Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 199. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. November 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Manfred Behrens und Hubert Hüppe 19757 A Begrüßung des neuen Abgeordneten Rainer Hajek 19757 A Wahl der Abgeordneten Elisabeth Motschmann und Franz Thönnes als Mitglieder des Stiftungsrates der Stiftung Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien 19757 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 19757 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 5, 20, 31 und 41 a 19758 D Nachträgliche Ausschussüberweisungen 19759 A Gedenken an den Volksaufstand in Ungarn 1956 19759 C Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz – FFG) Drucksachen 18/8592, 18/8627, 18/10218 19760 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Filmförderung – Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt Drucksachen 18/8073, 18/10218 19760 A Marco Wanderwitz (CDU/CSU) 19760 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 19762 A Burkhard Blienert (SPD) 19763 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19765 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 19767 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) 19768 B Matthias Ilgen (SPD) 19769 A Johannes Selle (CDU/CSU) 19769 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben Drucksache 18/10238 19771 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch in Gang bringen – Dekarbonisierung in Deutschland beschleunigen Drucksache 18/10242 19771 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz entscheidend voranbringen Drucksache 18/10249 19771 C Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 19771 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 19773 B Andreas Jung (CDU/CSU) 19774 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19776 A Frank Schwabe (SPD) 19777 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19777 C Niema Movassat (DIE LINKE) 19778 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 19779 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19781 A Dr. Nina Scheer (SPD) 19782 B Peter Stein (CDU/CSU) 19783 B Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Dr. Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Familiennachzug für subsidiär Geschützte) Drucksache 18/10044 19784 D b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneingeschränkt gewährleisten Drucksache 18/10243 19785 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19785 A Barbara Woltmann (CDU/CSU) 19786 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19787 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 19788 C Christian Petry (SPD) 19790 A Rüdiger Veit (SPD) 19790 C Martin Patzelt (CDU/CSU) 19792 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19792 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19795 A Dr. Lars Castellucci (SPD) 19796 C Martin Patzelt (CDU/CSU) 19797 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) 19798 B Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auflösung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und zur Änderung weiterer Gesetze (Branntweinmonopolverwaltung-Auflösungsgesetz – BfBAG) Drucksache 18/10008 19800 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes Drucksache 18/10026 19800 B c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes Drucksache 18/10183 19800 B d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Dezember 2015 über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits Drucksache 18/10212 19800 B e) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam Drucksache 18/10061 19800 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reduzierung, Beschränkung und Verbesserung von Tiertransporten Drucksache 18/10251 19800 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen Drucksache 18/10250 19800 D c) Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fairen Wettbewerb in der solidarischen Krankenversicherung ermöglichen – Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches vorantreiben Drucksache 18/10252 19800 D Tagesordnungspunkt 41: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exportüberschüsse abbauen – Wende in der Lohnpolitik einleiten Drucksachen 18/4837, 18/6251 19801 A c)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 367, 368, 369, 370, 371, 372, 373 und 374 zu Petitionen Drucksachen 18/10048, 18/10049, 18/10050, 18/10051, 18/10052, 18/10053, 18/10054, 18/10055 19801 B Tagesordnungspunkt 7: Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/10096 19802 A Wahl 19802 C Ergebnis 19815 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte zur aktuellen Lage in der Türkei Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA 19802 D Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 19804 D Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) 19806 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19807 C Gunther Krichbaum (CDU/CSU) 19809 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 19810 C Michelle Müntefering (SPD) 19811 B Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 19812 C Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 19813 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 19813 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 19814 A Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Erlass und zur Änderung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Drucksache 18/10237 19815 B Christian Schmidt, Bundesminister BMEL 19815 C Karin Binder (DIE LINKE) 19816 D Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) 19817 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19819 B Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) 19820 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 19821 C Olav Gutting (CDU/CSU) 19822 C Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Drucksache 18/10207 19823 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Strafrechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen Drucksache 18/7508 19823 C c) Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht Drucksache 18/10240 19823 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis Drucksachen 18/8078, 18/10279 19823 D Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi 19823 D Michael Schlecht (DIE LINKE) 19824 D Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 19825 C Michael Schlecht (DIE LINKE) 19826 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19827 C Marcus Held (SPD) 19828 D Axel Knoerig (CDU/CSU) 19829 D Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben Drucksachen 18/9124, 18/10094 19831 B Norbert Schindler (CDU/CSU) 19831 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 19832 C Christian Petry (SPD) 19833 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19835 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 19836 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 19837 C Namentliche Abstimmung 19838 C Ergebnis 19841 C Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 Drucksachen 18/9960, 18/10244 19838 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10275 19838 D Niels Annen (SPD) 19838 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 19840 A Gisela Manderla (CDU/CSU) 19844 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19845 B Rainer Arnold (SPD) 19846 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19847 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19848 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 19849 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19850 A Rainer Arnold (SPD) 19850 B Thorsten Frei (CDU/CSU) 19850 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Erklärung nach § 30 GO) 19851 C Thorsten Frei (CDU/CSU) 19852 A Julia Obermeier (CDU/CSU) 19852 C Namentliche Abstimmung 19853 B Ergebnis 19854 D Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Maria Klein-Schmeink, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Sicherheit in die Selbständigkeit – Für eine bessere Absicherung von Selbständigen Drucksache 18/10035 19853 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19853 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 19857 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19859 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 19860 A Michael Gerdes (SPD) 19861 A Tobias Zech (CDU/CSU) 19862 B Dr. Martin Rosemann (SPD) 19863 D Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG) Drucksache 18/10208 19865 B Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 19865 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 19866 B Dr. Edgar Franke (SPD) 19867 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19869 B Michael Hennrich (CDU/CSU) 19870 B Martina Stamm-Fibich (SPD) 19872 A Tino Sorge (CDU/CSU) 19873 A Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutschlands Verpflichtungen einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln Drucksachen 18/4092, 18/10175 19874 C Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) 19874 C Andrej Hunko (DIE LINKE) 19875 B Angelika Glöckner (SPD) 19876 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19877 B Katrin Albsteiger (CDU/CSU) 19878 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2304 (2016) vom 12. August 2016 Drucksache 18/10188 19879 C Michael Roth, Staatsminister AA 19879 C Niema Movassat (DIE LINKE) 19880 D Michael Vietz (CDU/CSU) 19881 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 19882 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19882 D Florian Hahn (CDU/CSU) 19883 D Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine transparente Regionalkennzeichnung einführen – Regionale Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln stärken Drucksache 18/9544 19884 D Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19884 D Marlene Mortler (CDU/CSU) 19885 D Karin Binder (DIE LINKE) 19886 C Dr. Karin Thissen (SPD) 19887 C Katharina Landgraf (CDU/CSU) 19888 B Willi Brase (SPD) 19888 C Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296 (2016) vom 29. Juni 2016 Drucksache 18/10189 19889 B Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 19889 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 19890 C Dirk Vöpel (SPD) 19891 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19892 A Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 19893 A Tagesordnungspunkt 18: Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksachen 18/8, 18/9914 19894 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare Drucksachen 18/5098, 18/10227 19894 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksache 18/6665 19894 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 19894 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 19895 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 19895 D Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 19896 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19897 D Bettina Bähr-Losse (SPD) 19898 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 19899 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19900 D Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes Drucksache 18/10009 19901 B Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saat-gut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10246 19901 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19901 D Kees de Vries (CDU/CSU) 19902 D Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 19903 C Rita Hagl-Kehl (SPD) 19904 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) 19905 C Ute Vogt (SPD) (zur Geschäftsordnung) 19906 B Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes Drucksachen 18/9531, 18/9907, 18/10102 Nr. 7, 18/10278 19907 B Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen Drucksache 18/10241 19907 C Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) Drucksachen 18/9528, 18/9837, 18/10102 Nr. 2, 18/10289 19907 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Psychisch erkrankte Menschen besser versorgen – Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln Drucksachen 18/9671, 18/10289 19908 A Ute Bertram (CDU/CSU) 19908 A Harald Weinberg (DIE LINKE) 19909 A Dirk Heidenblut (SPD) 19910 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19911 C Reiner Meier (CDU/CSU) 19912 C Tagesordnungspunkt 24: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/9981, 18/10225 19913 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/3563, 18/10284 19913 D – Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksachen 18/10285, 18/10286 19913 D Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Drucksachen 18/9757, 18/10074 19914 B Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas Drucksachen 18/9950, 18/10274 19914 C Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter: Jahresbericht 2015 der Bundesstelle und der Länderkommission Drucksachen 18/8966, 18/9129 Nr. 1.2, 18/10217 19914 D Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Fluchtursachen bekämpfen – Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken Drucksachen 18/8393, 18/9658 19915 A Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) Drucksachen 18/9753, 18/10290 19915 B Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. März 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Serbien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/9754, 18/10090 19915 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/9755, 18/10092 19915 C c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung Drucksachen 18/9756, 18/10091 19915 D Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum Drucksache 18/10190 19916 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren Drucksache 18/8084 19916 B Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) Drucksache 18/10186 19916 C b) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versorgung verbessern – Kompetenzen von Heilmittelerbringern ausbauen Drucksache 18/10247 19916 C Tagesordnungspunkt 34: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken Drucksache 18/10239 19916 D Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung Drucksache 18/10209 19917 A Nächste Sitzung 19917 C Berichtigung 19917 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 19919 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Kerstin Kassner und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 374 zu Petitionen (Zusatztagesordnungspunkt 41 j) 19919 B Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Sondergremiums gemäß § 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 7) 19920 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Bettina Bähr-Losse, Ulrike Bahr, Sören Bartol, Petra Crone, Bernhard Daldrup, Saskia Esken, Dr. Johannes Fechner, Michael Groß, Rita Hagl-Kehl, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gustav Herzog, Christina Jantz-Herrmann, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Cansel Kiziltepe, Arno Klare, Birgit Kömpel, Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Hiltrud Lotze, Dr. Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Bernd Rützel, Sarah Ryglewski, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Marianne Schieder, Elfi Scho-Antwerpes, Ursula Schulte, Ewald Schurer, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Gülistan Yüksel und Stefan Zierke (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) 19923 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller-Ohm, Daniela Kolbe, Markus Paschke, Jeannine Pflugradt, Detlev Pilger, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Norbert Spinrath und Carsten Träger (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) 19924 B Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) 19925 A Heike Baehrens (SPD) 19925 A Kirsten Lühmann (SPD) 19925 D Bernd Westphal (SPD) 19926 D Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michaela Engelmeier, Petra Rode-Bosse und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) 19927 A Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour und Kordula Schulz-Asche (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) 19927 D Anlage 9 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) 19928 D Kirsten Lühmann (SPD) 19928 D Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) 19929 B Klaus Mindrup (SPD) 19929 C Markus Paschke (SPD) 19929 D Christian Petry (SPD) 19930 B Florian Post (SPD) 19930 C Ursula Schulte (SPD) 19930 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 19) 19931 B Bernd Siebert (CDU/CSU) 19931 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 19932 A Inge Höger (DIE LINKE) 19932 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19933 C Markus Grübel, Parl. Staatssekretär BMVg 19934 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) 19935 B Kordula Kovac (CDU/CSU) 19935 B Kees de Vries (CDU/CSU) 19936 A Rita Hagl-Kehl (SPD) 19936 C Ursula Schulte (SPD) 19937 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 19937 D Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19938 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen (Tagesordnungspunkt 22) 19939 A Michaela Noll (CDU/CSU) 19939 B Julia Obermeier (CDU/CSU) 19940 C Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 19941 B Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 19941 D Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19942 B Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 24) 19943 A Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) 19943 A Sebastian Hartmann (SPD) 19944 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 19945 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19946 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI 19946 D Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesordnungspunkt 25) 19947 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 19947 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 19947 D Dirk Wiese (SPD) 19948 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 19949 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19950 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas (Tagesordnungspunkt 26) 19951 C Jens Koeppen (CDU/CSU) 19951 C Florian Post (SPD) 19952 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 19953 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19953 C Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter Jahresbericht 2015 der Bundesstelle und der Länderkommission (Tagesordnungspunkt 27) 19954 A Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 19954 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 19955 A Frank Schwabe (SPD) 19956 C Annette Groth (DIE LINKE) 19957 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19958 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Fluchtursachen bekämpfen – Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken (Tagesordnungspunkt 28) 19959 C Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) 19959 D Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 19960 D Gabriela Heinrich (SPD) 19961 D Stefan Rebmann (SPD) 19962 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 19963 B Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19964 A Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) (Tagesordnungspunkt 29) 19965 A Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 19965 A Andrea Wicklein (SPD) 19966 D Thomas Nord (DIE LINKE) 19968 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19968 D Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. März 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Serbien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung (Tagesordnungspunkt 30 a bis c) 19969 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 19970 A Wolfgang Gunkel (SPD) 19971 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 19971 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19972 C Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 19973 B Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum – des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren (Tagesordnungspunkt 32 und Zusatztagesordnungspunkt 10) 19974 A Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 19974 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 19975 A Michael Groß (SPD) 19975 D Marcus Held (SPD) 19976 B Caren Lay (DIE LINKE) 19976 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19977 B Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) – des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versorgung verbessern – Kompetenzen von Heilmittelerbringern ausbauen (Tagesordnungspunkt 33 a und b) 19978 B Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) 19978 B Martina Stamm-Fibich (SPD) 19979 B Birgit Wöllert (DIE LINKE) 19980 D Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19981 D Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG 19982 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken (Tagesordnungspunkt 34) 19983 D Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) 19983 D Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 19984 C Dr. Daniela De Ridder (SPD) 19985 B René Röspel (SPD) 19985 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) 19987 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19988 B Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Tagesordnungspunkt 35) 19989 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) 19989 A Florian Post (SPD) 19990 C Johann Saathoff (SPD) 19991 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 19991 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19992 C 199. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. November 2016 Beginn: 9.02 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich den Kollegen Manfred Behrens und Hubert Hüppe nachträglich zu ihrem jeweils 60. Geburtstag gratulieren mit allen guten Wünschen des Hauses. (Beifall) Für den ausgeschiedenen Kollegen Heiko Schmelzle ist der Kollege Rainer Hajek als Mitglied des Deutschen Bundestages nachgerückt, den ich herzlich begrüßen möchte und dem ich eine gute Zusammenarbeit für die verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode wünsche. Herzlich willkommen! (Beifall) Dann müssen wir noch die Wahl von zwei Mitgliedern des Stiftungsrates der Stiftung „Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien“ durchführen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, die Kollegin Elisabeth Motschmann als Mitglied des Stiftungsrates zu berufen. Die SPD-Fraktion schlägt den Kollegen Franz Thönnes als Mitglied dieses Gremiums vor. Gibt es dagegen Einwände? – Das ist nicht erkennbar. Dann sind die Kollegin Motschmann und der Kollege Thönnes in den Stiftungsrat gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben Drucksache 18/10238 ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch in Gang bringen – Dekarbonisierung in Deutschland beschleunigen Drucksache 18/10242 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz entscheidend voranbringen Drucksache 18/10249 ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 40) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reduzierung, Beschränkung und Verbesserung von Tiertransporten Drucksache 18/10251 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen Drucksache 18/10250 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fairen Wettbewerb in der solidarischen Krankenversicherung ermöglichen – Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches vorantreiben Drucksache 18/10252 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ZP 5 Vereinbarte Debatte zur aktuellen Lage in der Türkei ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis Drucksachen 18/8078, 18/10279 ZP 7 Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare Drucksachen 18/5098, 18/10227 ZP 8 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksache 18/6665 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10246 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren Drucksache 18/8084 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt Drucksache 18/2492 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/10288 Dabei soll wie üblich für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, von den entsprechenden Fristen abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 5 – hier geht es um den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen – wird heute abgesetzt. Stattdessen soll unter Beibehaltung der Debattendauer von 60 Minuten der Antrag auf der Drucksache 18/10238 mit dem Titel „Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben“ in verbundener Beratung mit den Anträgen auf den Drucksachen 18/10242 und 18/10249 debattiert werden. Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 20 abgesetzt werden – hier geht es um eine Große Anfrage zur politischen Willensbildung – und stattdessen der Antrag auf der Drucksache 18/10246 – hier geht es um eine Stellungnahme nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes zum Anbau gentechnisch veränderter Maislinien in der EU – mit einer unveränderten Debattendauer von 25 Minuten beraten werden. Zudem werden auch der Tagesordnungspunkt 31 – abschließende Beratung des Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes – und der Tagesordnungspunkt 41 a – hier geht es um die abschließende Beratung des Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften – abgesetzt. Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 20. Oktober 2016 (196. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes Drucksache 18/6664 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Der am 20. Oktober 2016 (196. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) Drucksache 18/9982 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich frage Sie, ob Sie mit allen diesen Vereinbarungen einverstanden sind. – Das ist der Fall und wird die PGFs jetzt sehr erleichtern; denn es hätte die Sache umgekehrt enorm kompliziert, wenn es dazu kein Einvernehmen gäbe. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: War aber gut vorbereitet!) – Wie immer war das gut vorbereitet und ist deswegen erwartungsgemäß reibungslos so akzeptiert worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ergänzung unserer heutigen Tagesordnung um eine Vereinbarte Debatte zur Situation in der Türkei gibt Anlass zu einem Hinweis auf ein anderes historisches Ereignis. Vor genau 60 Jahren gab es in Budapest und anderen ungarischen Städten letzte Gefechte eines Volksaufstands, bei dem Bürger für Meinungs- und Pressefreiheit, für ein Mehrparteiensystem und für freie Wahlen kämpften. Die kommunistische Führung in Moskau ließ im November 1956, also vor genau 60 Jahren, das protestierende Volk durch Panzer brutal niederschlagen. Daran zu erinnern, ist nicht nur von historischem Interesse, sondern von leider aktueller politischer Bedeutung. Die Tausenden Opfer des Ungarn-Aufstands sind eine bleibende Mahnung an alle, die im vereinten Europa heute in Freiheit leben, diese Freiheit nicht für eine schlichte Selbstverständlichkeit zu halten. Sie verpflichten uns, all denen beizustehen, für die staatliche Willkür noch immer eine alltägliche Erfahrung ist. Deswegen schweigen wir auch nicht, wenn in der Türkei, die zu unseren Partnern gehört, Mitglied der NATO und des Europarates ist und Teil unserer Wertegemeinschaft sein oder werden will, die staatliche Rechtsordnung gebeugt und fortgesetzt Grundrechte mit Füßen getreten werden. (Beifall im ganzen Hause) Während 1956 in Ungarn die Armee einen Aufstand des Volkes niederschlug, scheiterte in diesem Sommer in der Türkei ein Putsch des Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung am couragierten Widerstand der Bevölkerung, die seitdem erleben muss, wie die eigene Regierung mit Zensur, Massenentlassungen und Verhaftungen offensichtlich systematisch nicht nur gegen tatsächliche und vermeintliche Staatsfeinde, sondern gegen jede Form politischer Opposition vorgeht. Wir verurteilen jedes Vorgehen, das die Beseitigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorantreibt. (Beifall im ganzen Hause) Wir erklären unsere Solidarität mit allen aus politischen Gründen verhafteten Parlamentariern, Journalisten, Wissenschaftlern und Beamten, und wir appellieren an das türkische Parlament, seine Verantwortung als Volksvertretung wahrzunehmen, damit die Türkei zu dem demokratischen Standard zurückfindet, zu dem sie sich als Mitglied des Europarats ausdrücklich verpflichtet hat. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch eine letzte Bemerkung machen. Von großer Aktualität ist auch, dass der Ungarn-Aufstand 1956 die erste große Flüchtlingswelle in Europa auslöste, jedenfalls die erste große Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg. Schätzungen zufolge gelang damals 200 000 Ungarn die Flucht. 200 000! Das waren mehr als 2 Prozent der Bevölkerung. Sie erlebten in europäischen und westlichen Gesellschaften eben die „echte Solidarität der freien Menschen“ – wie es Bundeskanzler Adenauer in einer Sondersitzung vor dem Bundestag damals formulierte –, woran es gelegentlich, auch in Ungarn, zu erinnern gilt. (Beifall im ganzen Hause) Damals machten die Bundesbürger, von denen in ungleich schwierigerer Lage als gegenwärtig Tausende vorlebten, was wir heute Willkommenskultur nennen, erste Erfahrungen mit der massenhaften Anwendung des Rechts auf politisches Asyl. Dieses elementare Grundrecht gilt auch heute ausnahmslos für alle, die staatlicher Repression ausgesetzt sind – wo auch immer. Ihnen gehört unsere Solidarität und Unterstützung. (Beifall im ganzen Hause) Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz – FFG) Drucksachen 18/8592, 18/8627 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) Drucksache 18/10218 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Filmförderung – Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt Drucksachen 18/8073, 18/10218 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstes nicht dem Kollegen Bernd Neumann das Wort, den ich aber auf der Besuchertribüne herzlich begrüße, sondern dem Kollegen Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich der Begrüßung unseres ehemaligen Staatsministers für Kultur und Medien und jetzigen Präsidenten der Filmförderungsanstalt – in dieser Rolle ist nämlich Bernd Neumann heute hier bei uns – anschließen und ihn ebenfalls herzlich begrüßen, ebenso die anwesenden Vorstände der Filmförderungsanstalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinofilme erzählen Geschichten, und diese Geschichten erzählen etwas über unser Land, unsere Gesellschaft, über uns. Sie tragen damit zur Identitätsbildung bei. Das ist heute so wichtig wie eh und je. Filme werden auch im Ausland gesehen. Dort formen sie das Bild von Deutschland in der Welt. Sie sind damit so etwas wie Kulturbotschafter. Deshalb ist es wichtig, dass wir gute Filme in und aus Deutschland haben: spannende, glaubwürdige und professionell erzählte Storys, die gut unterhalten, aber auch eine Aussage haben. Produktionen auf der Höhe der Zeit zu schaffen – das ist die Aufgabe der Filmschaffenden und der Filmbranche, nicht die der Politik. Politiker liefern höchstens – ab und an freiwillig, aber zumeist unfreiwillig – den einen oder anderen filmreifen Stoff ab. Die Bedeutung fiktionaler bewegter Bilder ist überall in der Welt erkannt worden – für das Bild von Nationen ebenso wie als Wirtschaftsfaktor, Bruttoinlandsprodukttreiber, Arbeitsplatzmaschine. Daher wird der Wettlauf in Europa und der Welt insbesondere um die großen, hochwertigen Produktionen immer enger. Der Deutsche Filmförderfonds, DFFF, mit dem Deutschland 2007 das wahrscheinlich innovativste Produktionsförderungsinstrument der Welt geschaffen hatte, ist inzwischen vielfach kopiert und zum Teil auch finanziell überflügelt worden. Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, für die richtigen Rahmenbedingungen und für eine finanzielle Förderung zu sorgen, ohne die es bei den allermeisten Kinofilmen oft einfach nicht geht. Um diese Rahmenbedingungen zu schaffen, novellieren wir in gewissen Abständen turnusgemäß das Filmförderungsgesetz. Das Filmförderungsgesetz, FFG, ist so etwas wie der Kompass für die Filmförderungsanstalt als Eigenorganisation der Filmbranche. Sie arbeitet mit den finanziellen Eigenmitteln der Filmwirtschaft, nicht mit Steuergeld. Sie ist der Ort für die Debatten der Akteure der Branche und manchmal auch Mediatorin bei Streitfällen. Peter Dinges und sein Team leisten in diesem Sinne seit vielen Jahren vorzügliche Arbeit, für die ich mich im Namen meiner Fraktion herzlich bedanken möchte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Der vielfach geteilte Befund zum Zustand des deutschen Films lautet: Die kommerzielle Erfolgskurve weist über die Jahre stetig nach oben, vor allem wenn Schweiger, Schweighöfer oder ein populärer Kinder- oder Komödienfilmstoff an den Start gehen und so zum Zuschauermillionär im Kino werden. Es entstehen zudem höchst respektable filmkünstlerische Werke, die aber leider meist nur einen kleinen Publikumsausschnitt treffen bzw. von Haus aus nur auf diesen gezielt haben. Was fehlt, ist die Mittelware, sind Filme, die mehrere Hunderttausend Besucher anziehen, die nicht Besuchermillionär werden, aber eben auch nicht nur einige Zehntausend Besucher ansprechen. Allgemeiner Konsens ist auch, dass wir insgesamt zu viele Filme produzieren, die sich gegenseitig das Publikum streitig machen und von denen viele letztlich floppen, was wohl nicht zuletzt auch auf den einen oder anderen Fehlanreiz im bestehenden System der Filmförderung zurückzuführen ist. Gleichwohl ist die deutsche Filmförderung alles andere als schlecht. Das brauchen wir uns – auch wenn manche das versuchen – nicht einreden zu lassen. Dafür spricht nicht zuletzt der stetig steigende Marktanteil. Was wir brauchen, sind ein paar weniger, dafür aber mehr bessere Filme. Wir brauchen zielgenauere, flexiblere Förderinstrumente. Hier liegt, glaube ich, die Stärke dieser Novelle. Sie ist aus meiner Sicht an ziemlich vielen Stellen ziemlich innovativ. Das ist nicht nur eine kleine Novelle. Die Produzenten erhalten Erleichterungen bei der Erbringung ihrer Eigenanteile. Wir verstärken die aus meiner Sicht sehr wichtige Drehbuchförderung deutlich und sorgen durch die Einführung der Förderung der Drehbuchfortentwicklung dafür, dass – so ist zumindest der Plan – nur die guten Bücher weiter gefördert werden, diese dann aber mit mehr Geld und Betreuung. Wir betreiben mehr Spitzenförderung, indem wir die Mindestfördersumme auf 200 000 Euro erhöhen. Das heißt, dass weniger Filme Geld erhalten, die geförderten Filme dann aber mehr Geld erhalten. Wir professionalisieren – auch das ist sehr wichtig – die Zusammensetzung der Förderkommission, um die Wahrscheinlichkeit für zündende Auswahlentscheidungen zu erhöhen. Wir haben neue Wege aufgezeigt, die Sperrfristen im Einzelfall weiter zu lockern. Dies tun wir gemeinsam mit und im Interesse der Kinos; denn wir wollen neue Geschäftsmodelle befördern, bei denen die Kinos beispielsweise an der Video-on-Demand-Auswertung beteiligt sind. Ferner wollen wir modellhaft an Dokumentarfilmen neue Auswertungsformen erproben. Vielleicht schafft ein gleichzeitiger Filmstart in Kino und Internet gegenseitige Beflügelungseffekte, an die wir heute noch gar nicht denken. Ich bin überzeugt, von einem Experimentierfeld für den Umgang mit der Digitalisierung können die Kinos und der deutsche Film insgesamt profitieren. Last, but not least schaffen wir mit der Freischussregelung den Zwang ab, Filme in die Kinos zu bringen, die sich letztlich in einer Produktionsphase, die eher am Ende liegt, doch als nicht kinotauglich erweisen. Diese Ansätze stehen für uns als Unionsfraktion im Mittelpunkt der Überlegungen, wie man den deutschen Film voranbringen kann. Themen wie Austarierung der Gremien im Detail, sozialverträgliche Beschäftigung und dergleichen sind selbstverständlich auch wichtige Fragen. Aber zentral für die Ausgestaltung der Filmförderung sind aus unserer Sicht: erstens Stabilität beim Abgabeaufkommen der FFA – sie muss auch künftig 50 Millionen plus X in ihrem Etat haben –, zweitens Effizienz und Zielgenauigkeit der Förderinstrumente und drittens europarechtliche Kompatibilität. Wir mussten eine Reihe von Anpassungen an die EU-Kinomitteilung vornehmen. Von den weiteren Änderungen, die wir im parlamentarischen Verfahren am sehr gelungenen Entwurf der Staatsministerin vorgenommen haben, möchte ich drei hervorheben: Erstens. Wir kommen einem Wunsch der Verleiher und einer Reihe von Kinobetreibern nach und ermöglichen eine sogenannte sendebezogene Berechnung der Filmabgabe. Das ist Entbürokratisierung. Gleichzeitig bleibt die Beteiligung an diesem Abrechnungsmodell aber freiwillig. Kein Kino wird gezwungen, daran teilzunehmen. Zweitens. Wir machen ernst mit der Gleichstellung im Filmbereich. Das von unserer Staatsministerin ausgegebene Ziel, den Verwaltungsrat mittelfristig zu mindestens 30 Prozent mit Frauen zu besetzen, erreichen wir sofort, und zwar durch eine Umstellung in § 6 Filmförderungsgesetz und letztlich auch durch die Selbstverpflichtung des Deutschen Bundestages. Ich glaube, das ist ein richtiger und wichtiger Weg. Was hingegen mit uns nicht geht, das ist eine wie auch immer ausgestaltete Frauenförderquote innerhalb des Systems der FFA. Das wäre aus unserer Sicht mit der Maxime einer Kulturförderung ausschließlich nach inhaltlichen Gesichtspunkten und letztlich mit der Freiheit der Kunst nicht vereinbar. Frauen und Männer sitzen in den Gremien und Jurys und sind dort gemeinsam in der Verantwortung für Förderentscheidungen. Hier endet aber dann aus unserer Sicht die Vorgabe, wie diese auszusehen haben. Parallel zu den Verhandlungen über das FFG haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und mit Vertretern der Länder intensiv über das Thema Digitalisierung unseres Filmerbes verhandelt. Im FFG passen wir nun den gesetzlichen Rahmen für den Erhalt und die Zugänglichmachung des filmischen Erbes weiter an den Stand der technischen Entwicklung an. All diese Bemühungen stehen und fallen letztlich aber immer mit dem Thema Geld. Die Filmwirtschaft und der Bund stehen bereit, ihr Drittel zu den nötigen 10 Millionen Euro im Jahr für zehn Jahre beizusteuern. Damit könnte die Digitalisierung unseres Filmerbes sofort in großem Stile aufwachsen. Es hakt aber leider immer noch an einer Reihe von Ländern, die sich zu ihrem Anteil an der Verantwortung noch nicht bekennen. Die Kulturhoheit in unserem Land liegt aber aus gutem Grund vor allen Dingen bei den Ländern. Ihr verdanken wir einen Großteil unseres kulturellen Reichtums. Zum kulturellen Erbe gehört eben das filmische Erbe; sicher nicht jede Super-8-Aufnahme und jedes Werbefilmchen, aber das Gros der Spiel-, Dokumentar- und Kinderfilme, die im Kino gelaufen sind, darf ich jedenfalls zu unserem kulturellen Erbe zählen. Deswegen können und wollen wir die Länder hier auch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Eine alleinige Übernahme der Kosten durch den Bund oder durch die Filmförderungsanstalt und damit durch die Kinowirtschaft ist ausgeschlossen. Das möchte ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Eigentlich hätten wir eine Veränderung im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt vornehmen und die AG Verleih neu in diesen aufnehmen müssen. Insbesondere die in diesem Verband vertretenen Verleiher sind es, die diejenigen deutschen Filme vorantreiben, von denen wir uns noch mehr wünschen. Ich nenne stellvertretend die Filme von Tom Tykwer. Die Größe des Verwaltungsrates und die Aufnahme- und Aufstockungswünsche vieler weiterer Verbände haben es letztlich verhindert, dass wir diesen Punkt in der vorliegenden Novelle angefasst haben. Wir setzen uns aber mit Nachdruck dafür ein, dass die AG Verleih in den Unterkommissionen angemessen repräsentiert wird. Die nächste Novelle wird an dieser Stelle dann grundsätzlich zu Veränderungen im Verwaltungsrat führen müssen. Ich freue mich über den sehr konstruktiven Gesetzgebungsprozess. Insbesondere möchte ich meinem Berichterstatterpendant bei den Sozialdemokraten Burkhard Blienert herzlich für die kollegiale Zusammenarbeit danken. Ich glaube, es ist uns gelungen, eine gute Novelle zum Filmförderungsgesetz auf die Beine zu stellen. Auf dass wir, so hoffe ich, auch 2017 auf ein gutes Kinojahr blicken können, für die deutschen Kinos und für den deutschen Film in den Kinos! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Harald Petzold für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Besuchertribünen! Auch ich möchte mich der Begrüßung von Herrn Neumann und den Vertretern der Filmförderungsanstalt für meine Fraktion anschließen. Ich möchte genauso herzlich aber auch die Vertreterinnen von Pro Quote Regie ganz herzlich begrüßen, die ebenfalls auf der Besuchertribüne Platz genommen haben. Es ist nicht ganz so einfach, vor dem Hintergrund der zahlreichen historischen Schwerpunktdaten, die durch den Präsidenten heute früh schon angesprochen worden sind, und der Tatsache, dass in der Öffentlichkeit derzeit alle über die Ergebnisse der amerikanischen Präsidentenwahl reden, zum Filmförderungsgesetz zu sprechen. Aber das können wir trotzdem erhobenen Hauptes tun. Auch wenn ich die Euphorie von Kollegen Wanderwitz nicht ganz so teile, so bin ich doch der Auffassung: Das Filmförderungsgesetz, das wir heute hier verabschieden werden, ist ein besseres Gesetz als sein Vorgänger, und es ist besser als der Entwurf, den die Kulturstaatsministerin im Sommer dieses Jahres hier in den Bundestag eingebracht hat. Ich denke, daran hat auch meine Fraktion Die Linke einen wesentlichen Anteil. Mit unserem Antrag „Filmförderung – Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt“ haben wir vielen Filmschaffenden in diesem Land eine Stimme gegeben. An ihren berechtigten Forderungen an die künftige Filmförderung – mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Geschlechtergerechtigkeit und mehr kulturelle Vielfalt – ist am Ende auch die Große Koalition nicht vorbeigekommen. Das ist gut so, und deshalb wird meine Fraktion den Gesetzentwurf heute nicht ablehnen. (Beifall bei der LINKEN – Johannes Selle [CDU/CSU]: Das ist weniger als zustimmen!) – Ja, das ist aber keine Gegenstimme, Herr Kollege. Das sollten Sie mal würdigen. Wir beschließen hier heute ein Gesetz, dessen Ziel es ist, die Struktur der deutschen Filmwirtschaft zu sichern und den deutschen Film als Wirtschafts- und Kulturgut zu stärken, aber leider eben auch in dieser Reihenfolge. Wir hätten uns hier mehr kulturelle Akzente gewünscht, zum Beispiel ein viel stärkeres Bekenntnis zum Kulturort Kino und eine stärkere Förderung originärer Stoffe in allen Filmsparten. Worauf ich sehr stolz bin, ist, dass in dem Entwurf des Filmförderungsgesetzes, das wir heute beschließen, steht, dass die Filmförderungsanstalt, FFA, wenigstens darauf hinwirken soll, dass für die Beschäftigten in der Filmwirtschaft sozialverträgliche Bedingungen hergestellt werden. Das ist mehr als das Nichts dazu im ursprünglichen Entwurf von Frau Staatsministerin Grütters. Ich weiß, das ist hart erkämpft. Trotzdem bleiben wir bei unserer Kritik: So, wie es im Gesetzentwurf enthalten ist, wird das leider pure Symbolik, also ein zahnloser Tiger bleiben. Das gilt leider auch für den Vorschlag, den die Grünen in ihrem Entschließungsantrag zur Selbstverpflichtung unterbreiten. – Wir werden trotzdem eurem Entschließungsantrag zustimmen, weil wir der Auffassung sind, dass auch das mehr ist als das Nichts dazu vorher. Deswegen gibt es Zustimmung von uns. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für uns ist besonders wichtig, dass die Filmförderungsanstalt durch aktives und konkretes Zutun daran mitwirkt, die prekären und teilweise skandalösen Beschäftigungsverhältnisse und Beschäftigungsbedingungen in der Branche zu überwinden. So ähnlich hat das im Übrigen auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme gefordert. Deswegen bleiben wir dabei: Mindestlohn und bestehende Tarifverträge sind geltendes Recht, (Beifall bei der LINKEN) und wer öffentliche Fördergelder bekommt, steht in einer besonderen Verpflichtung, sich an Recht und Gesetz zu halten. Tut er dies nicht, muss sie oder er von der öffentlichen Förderung zumindest für eine gewisse Zeit ausgeschlossen werden können. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen bleiben wir dabei, dass die Antragstellerinnen und Antragsteller gegenüber der Filmförderungsanstalt offenlegen müssen, ob ein Tarifvertrag oder eine vergleichbare Regelung besteht, und sie müssen gewährleisten, dass diese eingehalten wird – nicht mehr und nicht weniger. Dabei bleiben wir. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir beschließen hier heute ein Gesetz, das sich nicht darauf beschränkt, die Filmproduktion zu fördern. Unterstützt werden alle Entwicklungsstufen der Filmproduktion, vom Drehbuch bis zur Fertigstellung des Films, sowie die anschließende Auswertung im Kino und auf den folgenden Verwertungsstufen. Neu ist dabei eine Spitzenförderung für die Weiterentwicklung besonders vielversprechender Drehbücher bis zur Drehreife. Dafür werden die Fördermittel im Bereich Drehbuch erhöht. Wir sagen trotzdem: Eine Filmförderung, die den Wert eines Films zuerst nach seinem kommerziellen Erfolg an den Kinokassen bemisst, ist auf dem falschen Weg. Sie beschneidet künstlerische Vielfalt und Innovation und vereinheitlicht das filmische Produkt. Mit dem kulturellen Auftrag des Bundes hat das nach unserer Meinung nichts zu tun. Mit der Verabschiedung dieses Filmförderungsgesetzes wird es Aufgabe der Filmförderungsanstalt, zu sicherndes Filmarchivmaterial zugänglich zu machen. Das ist ein klarer Fortschritt. Ich will aber darauf aufmerksam machen, dass die Sicherung und die Bewahrung des Filmerbes auch die Möglichkeit beinhalten muss, von analogem Material analoge Kopien herzustellen. Deswegen fordern wir, dass die Filmsicherung auf sichere Füße gestellt und entsprechend finanziell untersetzt wird: 10 Millionen Euro pro Jahr plus Sicherung des Kopierwerkes in Hoppegarten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir beschließen schließlich heute – auch darauf bin ich sehr stolz –, dass der Förderhilfehöchstsatz für die medienpolitische Begleitung von Kinderfilmprogrammen deutlich erhöht wird, von ursprünglich 2 000 Euro auf 5 000 Euro. Das freut uns besonders; denn dies war ein Vorschlag meiner Fraktion und vieler engagierter Filmemacherinnen und Filmemacher. Alles in allem: Dieses Gesetz ist – ich sagte es bereits – besser als sein Vorgänger und besser als das, was eingebracht worden ist. Insofern von uns zumindest Enthaltung. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Blienert erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Burkhard Blienert (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Filmbegeisterte und die, die es noch werden wollen, auf der Tribüne! Eine Nachricht hat uns kürzlich alle aufhorchen lassen: Der US-amerikanische Mobilfunkkonzern AT&T will das Time-Warner-Studio kaufen. Damit will man selbstproduzierte Inhalte exklusiv für mobile Endgeräte anbieten. Der Deal ist noch nicht sicher, aber diese Meldung wirft ein Schlaglicht auf die zukünftige Entwicklung insgesamt. Solche Entwicklungen haben natürlich auch darauf Auswirkungen, wie bei uns Filme entstehen, was für Filme gemacht werden, wie sie verwertet und wie sie konsumiert werden. Die internationalen Marktveränderungen beschreiben somit Koordinaten, in denen sich letztendlich auch das Filmförderungsgesetz bewähren muss. Sie markieren enorme Herausforderungen für den deutschen und europäischen Kinofilm, und sie markieren Herausforderungen für den Ort, an dem diese Filme zuallererst ihr Publikum finden sollen, nämlich das Kino. Für mich ergeben sich daraus zwei zentrale Aufgaben: Zum einen geht es darum, auch unter diesen Rahmenbedingungen Vielfalt und Qualität des Filmschaffens zu ermöglichen und weiterzuentwickeln. Zum anderen geht es darum, dem kulturellen Begegnungsort Kino eine Zukunft zu geben und damit unsere einzigartige Kinolandschaft weiterhin zu pflegen. (Beifall bei der SPD) Das waren für mich zugleich die Maßgaben für alle Beratungen über den Gesetzentwurf. Das Ergebnis insgesamt stimmt mich zufrieden. Schon der erste Entwurf war zu begrüßen. Der Ausschuss hat als Ergebnis seiner Anhörung weitere Änderungen beschlossen, die die ganze Sache rund machen. Im Vorfeld hatten wir übrigens einige neue Ansätze gründlich unter die Lupe genommen, aber am Ende aus guten Gründen wieder verworfen. Das gilt etwa für den Erlöskorridor und für Experimente bei den Sperrfristen. Darauf komme ich später noch im Detail zurück. Es freut mich besonders, dass der Beschluss im Ausschuss ohne Gegenstimme erfolgte. Ich möchte daher die konstruktiven Beratungen mit den Oppositionsfraktionen ausdrücklich anerkennen. An dieser Stelle danke ich Marco Wanderwitz und den Kollegen von der Union für die guten und intensiven Beratungen und ganz herzlich auch dem Filmreferat der BKM und der Filmförderungsanstalt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der überarbeitete Entwurf gibt wirklich allen Anlass zur Hoffnung, dass die Finanzierung der FFA in den nächsten Jahren auf sicheren Beinen steht und dass die Effektivität der Förderung deutlich verbessert werden kann. Zudem gibt es gute Regelungen bei der Gleichstellung. Ich gehe davon aus, dass die Parität in den Fördergremien für einen deutlich steigenden Anteil der Filme von Regisseurinnen und Produzentinnen sorgen wird. Vielleicht ist es schon ein gutes Zeichen, dass die FFA-Vergabekommission in der letzten Sitzung die Förderung von zwölf Kinoprojekten beschlossen hat, von denen die Hälfte unter weiblicher Regie entsteht. Wir werden genau beobachten, wie sich der Frauenanteil bei den Kinofilmprojekten entwickelt. Sollte es hier wider Erwarten keine nachhaltigen Verbesserungen geben, werden wir uns noch einmal mit der Zielvorgabe bei der Förderung beschäftigen müssen. Das neue Gesetz wird mit seiner konsequenten Qualitätsorientierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Flut der Filmstarts eingedämmt werden kann. Allein im ersten Halbjahr gingen 127 deutsche Filme an den Start. Dies war gegenüber dem Vorjahr erneut eine Steigerung, diesmal um elf Filme. Der Fokus auf Qualität wird mit der verbesserten Drehbuchförderung dafür sorgen, dass weniger mittelmäßige Filme ins Kino kommen. Mittelmäßig sind sie meist aufgrund halbgarer Drehbücher. Deshalb wird es mehr Filme aus dem mittleren Segment geben, also Filme mit einem Budget zwischen 4 und 6 Millionen Euro. Das sind genau die Filme, an denen es in unseren Kinos derzeit mangelt. Mit ausgereiften Drehbüchern, höheren Fördersummen und besonderen Anforderungen an die Expertise der Fördergremien wollen wir das ändern. Der Qualitätsbegriff im neuen FFG ist an eine wirtschaftlich erfolgreiche Verwertung gebunden. Damit erfährt das FFG eine Profilschärfung, das seinem Charakter eines Wirtschaftsförderungsgesetzes entspricht, zugleich aber dem Kulturgut gerecht wird. An dieser Stelle muss man auf die kulturelle Filmförderung durch die BKM zurückkommen. Ich kann es nur begrüßen, dass bereits im nächsten Haushalt eine Aufstockung um 15 Millionen Euro vorgesehen ist. Das muss natürlich auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden. So gibt es auch Möglichkeiten für innovative, mutige, sperrige, künstlerisch ambitionierte Projekte, die sonst nicht gefördert werden könnten. Dann hätten wir bald ein Problem. Denn ohne diese Mittel ist eine Stärkung der kulturellen Ausrichtung der Förderung nicht mehr zu machen. Ich würde mir daher wünschen, dass auch die Förderung durch die BKM ihr Profil schärft. In Abgrenzung zum FFG und vom FFG sollte es hier um Projekte gehen, die gerade nicht unter dem Verwertungsaspekt entstehen. Bei der BKM sollte der Akzent eindeutig auf der Förderung künstlerisch herausragender und anspruchsvoller Filme liegen. Dies sollte auch in den neuen BKM-Förderrichtlinien, die wir in der nächsten Zeit erwarten, berücksichtigt werden. Darüber hinaus: Wir müssen natürlich auch unsere Standortförderung überdenken. Dass es mit dem DFFF nicht weitergehen kann wie bisher, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Der Glanz des ehemaligen Vorzeigemodells aus Deutschland ist mittlerweile leider verblasst. Der DFFF kann seinen Zweck nicht mehr erfüllen. Grund sind eindeutig die attraktiveren Anreizsysteme in Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, Ungarn und vielen, vielen anderen Ländern. Leider machen internationale Großproduktionen inzwischen einen Bogen um Deutschland. Alarmierend finde ich auch, dass deutsche Produktionen Deutschland verlassen, weil sie woanders bessere Förder- und Produktionsbedingungen vorfinden. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Warum ändern wir das nicht?) Wenn wir den Filmstandort Deutschland erhalten wollen, müssen wir hier deutlich nachlegen. Ich möchte daran erinnern, dass ein attraktiver Standort nicht nur ein Innovationstreiber für Zukunftstechnologien wie Animation und Spezialeffekte ist, sondern auch viele neue, zum Teil hochspezialisierte Arbeitsplätze bringt. Alle Studien belegen, dass es sich bei dieser Förderung nicht um Subventionen handelt, sondern geradezu um ein Geschäftsmodell für den Finanzminister mit erheblichen Steuerrückflüssen. Ich würde mir daher eine Standortförderung mit verschiedenen sich ergänzenden Instrumenten wünschen – ich würde mir auch wünschen, dass wir eine Debatte darüber führen –: erstens mit Anreizmodellen für internationale Großproduktionen, auch unter Prüfung von Steueranreizen, die den Filmstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb stärken und sichern, zweitens mit der Förderung der deutschen Produktionswirtschaft und drittens mit einer technologisch orientierten Förderung, wie sie bereits seit zwei Jahren durch den German Motion Picture Fund des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel erfolgt. Wieder zurück zum FFG: Ganz besonders freut mich, dass mein Appell aus der ersten Lesung gehört wurde und wir uns auf eine wichtige Nachbesserung am Regierungsentwurf verständigen konnten. Der Gesetzgeber bekennt sich nun zu seiner Verantwortung, dass es bei der Produktion der öffentlich geförderten Projekte fair und sozialverträglich zugehen muss. (Beifall bei der SPD) Dazu haben wir den gesetzlichen Aufgabenkatalog der Filmförderungsanstalt erweitert. Künftig muss die FFA darauf hinwirken, dass in der Filmwirtschaft eingesetztes Personal zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt wird. Bei den Bewilligungsvoraussetzungen haben wir zusätzlich konkretisiert, wie diese Aufgabe umzusetzen ist. Über Förderanträge wird künftig nur dann entschieden, wenn der Hersteller angibt, ob eine Tarifbindung gilt. Ist dies nicht der Fall, muss er erklären, ob die Einhaltung sozialer Standards auf anderem Wege vereinbart wurde. Diese Angaben werden im Förderbericht der FFA veröffentlicht. So schaffen wir endlich Transparenz dahin gehend, wie viele nicht tarifgebundene Produktionen wir im Moment leider noch öffentlich fördern. Auch das werden wir genau beobachten. Sollte der Anteil über die Jahre zu hoch sein, müssen wir als Gesetzgeber gegebenenfalls wiederum nachsteuern. Es ist schließlich das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Tarifbindung von Unternehmen auszubauen. Das gilt natürlich auch für die Filmwirtschaft. (Beifall bei der SPD) Hier bringt die FFG-Novelle einen weiteren Fortschritt. Sie ist damit ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Filmschaffenden. Auch die Urheber unter den Filmschaffenden können sich freuen. Schon im Regierungsentwurf wurde festgeschrieben, dass die Erlösbeteiligungen gemäß dem Urhebervertragsrecht bei der Tilgung der Förderdarlehen vorrangig zu bedienen sind. Seit dem 1. November dieses Jahres gibt es für freie Film- und Fernsehschaffende bei der Alterssicherung aus der Pensionskasse übrigens wieder mehr Sicherheit. Auch dafür hat sich die SPD-Bundestagsfraktion eingesetzt, und auch das ist ein guter Baustein der Sicherung. Die Verabschiedung der FFG-Novelle markiert einen guten Tag für die Filmschaffenden und einen guten Tag für die Kinos; denn weder bei den regelmäßigen noch bei den ordentlich verkürzten Sperrfristen wird es Fristverkürzungen geben. Damit ebnen wir gerade denjenigen Filmtheatern den Weg in die Zukunft, die als Teil unserer Kinolandschaft zur Vielfalt des Filmangebotes beitragen. Diese Häuser sind auf das Kinofenster angewiesen, also auf die Möglichkeit, Filme über viele Wochen hinweg auswerten zu können, wie im Moment Toni Erdmann, der seit 15 Wochen läuft und noch immer erfolgreich ist und nach wie vor Tausende ins Kino zieht. Kinos sind immer auch öffentliche kulturelle Treffpunkte mit einer wichtigen sozialen Funktion – sowohl in der Großstadt als auch in der Fläche. Gerade in den kleineren Städten sind die Kinos oftmals das einzige kulturelle Angebot und damit unverzichtbar. Mit der Digitalisierungsförderung ist es uns gelungen, diese Vielfalt unserer Kinolandschaft zu erhalten. Das sollten wir durch Sperrfristverkürzungen nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Dennoch verkennen wir nicht, dass der Druck auf das Kinofenster durch neue internetbasierte Geschäftsmodelle und veränderte Sehgewohnheiten größer wird, und wir sehen auch, dass sich das Kino keinen Gefallen damit tut, wenn es diese Entwicklung ignoriert. Vor diesem Hintergrund haben wir erwogen, ob man im Rahmen des FFG ein Experimentierfeld bei den Sperrfristen eröffnen sollte, und zwar mit dem Ziel, auf diesem Weg die Kinozuschauer stärker an sich zu binden und neue Kinogänger – gerade auch jüngere – zu gewinnen. Aufgrund der absehbaren Nachteile und Risiken eines solchen Experiments, die wir uns angeschaut haben, haben wir am Ende aber Abstand davon genommen. Dennoch bleibt festzuhalten: Das neue FFG geht behutsame Schritte – nicht zur generellen Verkürzung, aber doch zu einer weiteren Flexibilisierung der Sperrfristen. Ich glaube, das ist ein richtiger und vernünftiger Weg. Ausnahmen sind weiterhin möglich, aber nur, wenn zum Beispiel der Kinovertreter im FFA-Präsidium diesen auch zustimmt. Damit stellen wir sicher, dass nichts über die Kinos hinweg geschieht. Ich wünsche mir, dass die Kinos die Chancen erkennen, die die neuen Möglichkeiten mit sich bringen, und ich möchte ausdrücklich an die Kinoverbände appellieren, dass sie diesen neuen Wegen zur Anwendung verhelfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle bringt nicht den großen Paradigmenwechsel, den sich manch einer in der Branche vielleicht erhofft hat, aber sie nimmt Weichenstellungen vor, die die Filmförderung nachhaltig zum Besseren verändern werden. Damit hat sich natürlich auch der Antrag der Fraktion der Linken erübrigt. Das war wahrscheinlich auch nicht anders erwartet worden. Wir sind aber auf viele Punkte eingegangen und haben sie umgesetzt. Ich denke, das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir hier gemeinsam für die Kinos und für den deutschen Film die Grundlagen für die nächsten Jahre geschaffen haben. Dieses Jahr ist trotz niedrigerer Besucherzahlen nach dem Rekordjahr 2015 ein erfolgreiches Jahr. Ich erinnere an den furiosen Auftritt von Toni Erdmann in Cannes. Er ist jetzt in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ für den Oscar nominiert. Daneben haben wir weitere Studenten-Oscars gewonnen. Erst vor wenigen Wochen wurden drei junge deutsche Filmemacher ausgezeichnet. Das FFG ist ein guter Beitrag für die Zukunft und für einen qualitativ guten und erfolgreichen – auch wirtschaftlich erfolgreichen – deutschen Kinofilm. Für die deutsche Filmwirtschaft kann ich nur sagen: Wir sind auf einem guten Wege und werden weiter daran arbeiten, dass wir zukunftssicher und optimistisch nach vorne blicken können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Tabea Rößner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die nächste Rednerin. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Staatsministerin Grütters, mit großen Versprechungen sind Sie die Novelle des Filmförderungsgesetzes angegangen. Sie sprachen von „Mut zum Experiment“ und davon, „mehr neue, gute Ideen zu fördern“. Das, was heute verabschiedet werden soll, wäre als Drehbuch aber nur bedingt förderfähig. Es ist zu vorhersehbar und unoriginell. Ihr Entwurf ist ungefähr so visionär wie eine Til-Schweiger-RomCom und so mutig wie Katzenvideos auf YouTube. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben die Auseinandersetzung mit den Verwertern gescheut, Sie lassen die Kreativen weiter im Stich, und Sie haben es versäumt, was mich bei Ihnen wirklich persönlich enttäuscht, tatsächlich für mehr Geschlechtergerechtigkeit beim Film zu sorgen. Wir brauchen aber mehr Vielfalt, damit das deutsche Kino auch international wieder mehr Beachtung erfährt. Doch das wird durch das FFG eher verhindert. Schauen wir uns einmal die Lage des deutschen Films an. Eine Regisseurin wie Maren Ade wird zu Recht – Herr Blienert hat sie auch erwähnt – hoch gelobt und als Beweis dafür herumgereicht, dass das deutsche Kino innovativ ist. Aber viele bedeutende Filmschaffende sind nicht dank, sondern trotz der Filmförderung erfolgreich. Es gibt unzählige Hürden, und viele herausragende Filme sind einfach hoffnungslos unterfinanziert. Ein paar Beispiele: Der Film Der Nachtmahr von 2015 hatte keine Förderung und nur ein ganz kleines Budget. Aber weil dieser Film das sinnliche Kino praktisch neu erfunden hat, war er auf zahlreichen internationalen Festivals erfolgreich. Selbst renommierten Filmschaffenden fällt es oft extrem schwer, die Finanzierung neuer Projekte zu stemmen. Der Film Schlafkrankheit von Ulrich Köhler wurde 2011 auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Das Geld für sein neues Projekt hat er nur mit sehr vielen Mühen zusammengekratzt. Andere erfolgreiche Filme wie Im Schatten oder Vor der Morgenröte mussten mit einem winzig kleinen Budget umgesetzt werden, oft war es sogar noch kleiner als ursprünglich geplant. Budgeteinschränkungen führen aber zu Kompromissen. Diese Filme, obwohl sie im Kino erfolgreich sind, können ihr künstlerisches und ihr wirtschaftliches Potenzial überhaupt nicht ausschöpfen. Damit Kreative herausragende Filme machen können, benötigen sie vor allem eines: Freiräume. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Stattdessen ersticken sie in Bürokratie. Zudem sind sie in den Fördergremien unterrepräsentiert. Die Verwerter haben hier nach wie vor die Übermacht. Sie entscheiden vor allem nach wirtschaftlichen Aspekten, welches Filmprojekt gefördert wird – logisch, denn schließlich wollen sie damit ja auch Gewinne machen. Wenn ein Haufen Menschen mit unterschiedlichen Interessen bei einem Filmprojekt mitredet, dann bleibt vom Neuen und Innovativen nicht mehr viel übrig. (Johannes Selle [CDU/CSU]: Das ist nicht logisch!) Nichts gegen gut gemachte Blockbuster, aber mutige Filmprojekte bleiben in diesem System zu oft auf der Strecke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das führt zu Monokultur statt zu Vielfalt, und wir bekommen nur selten Filme wie Victoria von Sebastian Schipper zu sehen, der eine Geschichte in einer einzigen Filmeinstellung erzählt. Dabei sollte doch gerade Mut prämiert und Unbequemes gefördert werden. Schauen Sie sich doch einmal die Welt an. Nach dem gestrigen Tag habe ich den Eindruck, dass wir unbequeme Kreative mehr denn je brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Regisseurinnen und Drehbuchautoren können oft besser entscheiden, ob ein Film künstlerisch wertvoll ist, und darum muss die Anzahl von Kreativen in den Förderkommissionen unbedingt erhöht werden. Die Koalition hat aber die Verwerter bei ihrer Besitzstandswahrung unterstützt, und das ist für die Kreativen, so glaube ich, eine ziemlich klare Botschaft: Von Union und SPD haben sie leider nicht viel zu erwarten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist völliger Blödsinn!) Es gibt noch eine weitere vernachlässigte Interessengruppe: die Produzentinnen und Produzenten. Wer einen Film produzieren will, muss erhebliche finanzielle Mittel als Eigenmittel einbringen. Aber selbst wenn ein Film wie Toni Erdmann dann an der Kinokasse erfolgreich ist, bekommen die Gewinne vor allem die Verwerter, sodass am Ende den Produzenten kaum etwas übrig bleibt. Dieses Problem hätte man mit einem Erlöskorridor lösen können. Produzenten würden dann einen festgelegten Anteil von den Nettoverleiherlösen erhalten. Gleichzeitig würde die Chance auf Rückzahlung der geförderten Mittel an die FFA steigen. Wieso Sie das nicht ins Gesetz aufgenommen haben, verstehe ich nicht. Da hat Ihnen wohl wieder der Mut gefehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir mehr gute Filme von Frauen sehen wollen, Filme wie Toni Erdmann, wie Wild von Nicolette Krebitz, müssen wir diese auch gezielt fördern. Meine Anfragen bei der Bundesregierung haben ergeben, dass die Frauenbeteiligung bei geförderten Projekten erschreckend gering ist. Gerade einmal 18 Prozent der in den Jahren 2004 bis 2013 – immerhin über zehn Jahre – von der FFA geförderten Filme stammen von Regisseurinnen. Noch schlimmer ist es bei der Produktion. Im vergangenen Jahr sind nur 16 Prozent der Filme unter Beteiligung von Frauen entstanden. Dabei machen fast genauso viele Frauen wie Männer ihren Abschluss an den Filmhochschulen. Es reicht eben nicht aus, lieber Kollege Wanderwitz und lieber Kollege Blienert, nur die Fördergremien paritätisch zu besetzen. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen. Deshalb fordern wir klare Zielvorgaben zur Förderung von filmschaffenden Frauen. Aber das war mit Ihnen leider nicht zu machen. Wirklich schade! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt noch sehr viel mehr, was in der Referenzförderung schiefläuft. Getreu dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ kommen eher die teuren und großen Produktionen in den Genuss automatisierter Filmförderung. Wir machen daher in unserem Entschließungsantrag eine Reihe von Vorschlägen, wie eben auch kleinere Produktionen besser gefördert werden können, was dann wieder für mehr Vielfalt sorgen wird. Auch in weiteren Punkten haben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf statt vielversprechendem Heldenepos eher einen Kassenflop produziert, zum Beispiel bei der ökologischen Filmproduktion. Zwar ist es in Zukunft auch Aufgabe der FFA, die deutsche Filmwirtschaft in „ökologischen Belangen zu unterstützen“. Aber was heißt denn das genau? So ein kleiner Nebensatz ohne konkreten Handlungsplan wird nicht ausreichen. Warum wird die Expertise zum Thema „grünes Kino“, die es in Deutschland inzwischen gibt, nicht genutzt? So ein Halbsatz ist enttäuschend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch die Vorgaben für die Barrierefreiheit sind nicht der große Wurf, eher ein Würfchen. Es genügt nicht, nur die Herstellung von barrierefreien Filmfassungen zu fördern. Sie müssen in den Kinos eben auch gezeigt werden. Wir brauchen Qualitätsstandards und deren Durchsetzung. Solange dies nicht geschieht, ist Barrierefreiheit nur ein Feigenblatt. Noch ein Gedanke zu meinem Lieblingsthema, dem Filmerbe. Die Italiener haben vergangene Woche ein neues Gesetz zur Filmförderung verabschiedet. Zukünftig soll ein größerer Teil ihrer Filmabgabe für die Digitalisierung alter Filme verwendet werden. Während in Rom gehandelt wird, warten wir hier in Berlin auf eine Digitalisierungsstrategie, die uns schon seit Ewigkeiten versprochen wurde. Dass die Rettung des Filmerbes deutlich mehr Geld braucht, ist allen bekannt. Aber Wissen ist nicht Handeln, und am Handeln fehlt es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein Satz noch zur Transparenz. Wir brauchen dringend ein umfangreiches, öffentlich einsehbares Filmregister. Wer die Antworten auf meine Anfragen zum Film kennt, der weiß, wovon ich spreche. Nur mit einem Filmregister kann die Förderung richtig evaluiert werden, zum Beispiel zur Beteiligung von Frauen oder auch zu sozialen Standards. Der berühmte Filmkritiker Gene Siskel sagte einmal: A film that aims low should not be praised for hitting that target. Das Gleiche gilt für diesen Gesetzentwurf. Wer keine hohen Ziele verfolgt, der bekommt auch kein Lob und leider auch nicht unsere Zustimmung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Astrid Freudenstein erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Im kommenden Jahr wird das Filmförderungsgesetz 50 Jahre und die Filmförderung in Deutschland 100 Jahre. Selbstkritisch muss man, wenn man sich diese 100 Jahre ansieht, feststellen: Das waren nicht immer nur ruhmreiche Jahre. Begonnen hat es während des Ersten Weltkrieges. Der deutsche General und Hindenburg-Stellvertreter Erich Ludendorff schrieb damals einen Brief an das Kriegsministerium mit der Forderung, eine Vereinheitlichung der deutschen Filmindustrie herbeizuführen, um eine planmäßige und nachdrückliche Beeinflussung der großen Massen im staatlichen Interesse zu erzielen. Ende 1917 wurde dann die Universum-Film AG, die UFA, gegründet, ausdrücklich auch mit dem Ziel der außen- und innenpolitischen Propaganda. Filmförderung unter ideologischen Gesichtspunkten prägte die ersten Jahrzehnte der Filmförderung und spielte eine wesentliche Rolle in den beiden Weltkriegen. Das wird uns heute mit Sicherheit nicht mehr passieren. Filmförderung heute bedeutet, dem kreativen Potenzial der Filmschaffenden Raum zu geben (Johannes Selle [CDU/CSU]: Genau!) und die Freiheit der Kunst hochzuhalten. Das verträgt sich nicht mit den Quotenfantasien der Opposition, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) In den 60er-Jahren, als das erste Filmförderungsgesetz in Deutschland verabschiedet wurde, wollte man den Film vor allem gegenüber dem aufstrebenden Fernsehen schützen. Der Film – das wissen wir heute – hat sich neben dem Fernsehen behaupten können, weil der Film auf die Wucht von Ton und Bild, das spannende Erleben in der Gemeinschaft, die guten Schauspieler und die aufregenden Ideen setzt. Kino – das wissen wir aber auch – ist heute neben dem Fernsehen nur noch dann interessant, wenn es wirklich großes Kino ist. Andernfalls kann man sich auch daheim eine DVD anschauen oder einen Film streamen. Das hat zwar eine eigene Qualität, aber wir brauchen auch den großen und schönen deutschen Film. Genau das muss Filmförderung heute vorantreiben. Ich meine, wir sind dabei auf einem guten Weg. Mit einem Marktanteil von gut 27 Prozent hat der deutsche Film im vergangenen Jahr einen neuen Rekord aufgestellt. 37 Millionen Besucher in deutschen Filmen: Auch das ist ein Spitzenwert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist nicht nur auf die Förderung durch die Filmförderungsanstalt zurückzuführen, sondern auch auf die Gesamtheit der Filmförderung in Deutschland, im Übrigen auch auf die regionale Filmförderung. Die Kulturhoheit der Länder wurde bereits angesprochen. Die Filmförderung ist nicht überall gleich ausgeprägt. Sie werden verstehen, dass ich an dieser Stelle Bayern als gutes Beispiel anführe. Es gibt den FilmFernsehFonds Bayern, der auch in diesem Jahr wieder mehr Geld aus dem bayerischen Staatshaushalt erhält. Bayern ist das Bundesland mit den meisten Kinos und Spielstätten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei uns muss man, wenn man noch nicht 18 ist, das nächste Kino mit dem Mofa erreichen können. Das ist wahre Filmförderung. (Johannes Selle [CDU/CSU]: Kriegen die ein Mofa?) Bayern hat eine bedeutende Filmindustrie und ein Filmfest. Im Süden hat der Film einen guten Boden. Allein im vergangenen Jahr wurden in Bayern 45 Kinofilme produziert. So manches andere Bundesland könnte sich bei der Förderung des Films an Bayern ein Beispiel nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ganz so schlecht kann unsere Filmförderlandschaft also nicht sein. Gleichwohl ist es wichtig, dass es Fördermodelle gibt, über die wir in den nächsten Jahren diskutieren können. Immer noch ist Luft nach oben. Aber wir verharren nicht auf dem Status quo. Die Novelle des Filmförderungsgesetzes bringt spürbare Verbesserungen. Wir wollen die Förderung der FFA effizienter machen. Wir wollen die Drehbuchförderung ausbauen, und wir wollen das Abgabeaufkommen hochhalten. Deshalb wird es künftig mehr Fördermittel für weniger Projekte geben. Wir wollen mehr Klasse als Masse und mehr Qualität als Quantität. Das ist ein guter und richtiger Schritt. Es gibt mehr Geld für die Drehbuchfortentwicklung, damit wirklich gute Drehbücher auch verfilmt werden. Das Abgabesystem wird an die wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst. So werden auch die Anbieter werbefinanzierter Videoabrufdienste abgabepflichtig. Auch bei der Flexibilisierung der Sperrfristen haben wir die Interessen ausbalanciert. Das Gesetz erfüllt damit noch mehr als bisher seinen Zweck, den Film als Kultur- und Wirtschaftsgut zu fördern. Es ist kein Widerspruch, dass ein wirtschaftlich erfolgreicher Film auch kulturell anspruchsvoll sein kann. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nicht gesagt, dass es sich widerspricht! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie schon zuhören!) Gerade die deutsche Filmbranche liefert dafür viele, viele gute Beispiele. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir reagieren mit der FFG-Novelle auch auf ein verändertes Publikum. Das freut mich als Sozialpolitikerin, die ich auch bin, ganz besonders. Ich finde nämlich, dass die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Filmen ein großer Schritt sind. Das war schon eine Forderung meines Kollegen Hubert Hüppe aus seiner Zeit als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, die wir jetzt umsetzen. Künftig müssen geförderte Filme auch für Seh- und Hörbehinderte in einer kinogeeigneten Qualität zugänglich gemacht werden. Das ist ein Schritt, der mich ganz besonders freut. So meine ich, dass wir mit dem neuen Filmförderungsgesetz in ein gutes 50. Lebensjahr gehen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Hupach das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Film und Fernsehen sieht es mit der Geschlechtergerechtigkeit zwischen Frauen und Männern im Jahr 2016 genauso schlecht und defizitär aus wie in anderen Bereichen. Dank der Initiative einzelner Regisseurinnen führte der Bundesverband Regie nun zum dritten Mal ein Gendermonitoring durch. Erst vor ein paar Tagen erschien der dritte Diversitätsbericht. Auch diese aktuellen Zahlen sind mehr als ernüchternd: Nur jeder sechste Film im Abendprogramm der ARD wurde von Frauen inszeniert. Beim ZDF ist es sogar nur jeder achte Film, obwohl die Absolventen von Filmhochschulen zu fast 50 Prozent weiblich sind. Das muss sich dringend ändern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dank des Engagements der Initiatorinnen von Pro Quote Regie gelangte das Thema der eklatanten Ungerechtigkeit in den letzten drei Jahren immer wieder an die Öffentlichkeit. – Ich begrüße ebenfalls die Vertreterinnen oben auf der Besuchertribüne. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute ist der Zeitpunkt so günstig wie nie, mit der Filmförderungsgesetzesnovelle die Weichen endlich so zu stellen, dass man der systemisch bedingten Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern entgegenwirken kann. Wir haben in unserem Antrag dazu detaillierte Vorschläge gemacht: eine paritätische Besetzung der Gremien, eine klare Quote bei der Fördermittelvergabe, weiterhin gesonderte Einreichtermine, Mentoringprogramme oder Referenzmittel für Filme, bei denen Frauen Schlüsselpositionen in den Bereichen Regie, Drehbuch oder Produktion verantworten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber was machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition? Sie beschränken sich auf eine paritätische Besetzung der Gremien. (Zuruf von der SPD: Nur im ersten Schritt!) Das ist zwar ein wichtiges Signal – dafür haben auch viele Filmemacherinnen hart gekämpft –, aber allein reicht das nicht aus. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Viele Filmprojekte von Frauen scheitern schon, bevor sie die Jurys überhaupt zu Gesicht bekommen. Die Filmförderung ist ein in sich kreisendes System. Damit es aus den eingefahrenen Bahnen herauskommt, braucht es eine Störung, einen exogenen Schock. Die Quote wäre ein solcher notwendiger Impuls. Sie aber machen genau das nicht. Vor kurzem hat das Weltwirtschaftsforum seinen diesjährigen Global Gender Gap Report veröffentlicht, welcher den Stand der Gleichstellung weltweit bewertet. Zwei Zahlen darin sind besonders bezeichnend und erschreckend. Wenn alles so bleibt, wie es ist – Stand heute –, wird es noch 170 Jahre dauern, bis Frauen und Männer die gleichen Chancen erhalten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Die zweite Zahl, die ich nennen will, ist eigentlich noch schlimmer. Im vergangenen Jahr waren es – in Anführungsstrichen – nur 118 Jahre. Der Trend ist also rückläufig. Wir müssen jetzt etwas tun und nicht irgendwann. (Beifall bei der LINKEN) Mit dem vorliegenden Gesetz ziehen Sie sich zwar die Schuhe an, laufen aber noch nicht los, sondern setzen sich erst mal noch aufs Sofa. Wie viele Berichte und Studien wollen Sie eigentlich noch abwarten? Vorschläge für wirksame Instrumente liegen auf dem Tisch. Stimmen Sie also unserem Antrag zu, und ändern Sie die ungerechten Strukturen – nicht irgendwann, sondern jetzt. Dann stimmen wir vielleicht auch Ihrem Gesetzentwurf zu. Danke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Matthias Ilgen ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Matthias Ilgen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute stellen wir nach mehrjährigen und langwierigen Verhandlungen die Filmförderung weiterhin auf die solide Basis, die sie braucht, und richten sie ein ganzes Stück gerechter aus – entgegen dem, was die Opposition verkündet hat. Mit dem neuen Filmförderungsgesetz machen wir deutlich, welche große Bedeutung die Filmschaffenden sowie der komplette Sektor der Kunst- und Kreativwirtschaft in unserem Land haben. Wie die Kollegen bereits deutlich skizziert haben, ist die Finanzierung der Filmförderungsanstalt gesichert. Die Effektivität der Förderung wird verbessert und wird zielgenauer. Und: Die Gleichstellung in den Gremien wird gewährleistet. Meine Damen und Herren der Opposition, das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Den sollten Sie auch einmal anerkennen. (Beifall bei der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es reicht nicht!) Aber Film ist nicht nur ein bedeutendes Kulturgut, sondern auch ein nicht zu unterschätzendes Wirtschaftsgut in Deutschland. Die Kinos hatten im letzten Jahr mit gut 139 Millionen Besuchern so viele Gäste wie seit sechs Jahren nicht. Entsprechend zufrieden waren die Betreiber mit den Umsätzen. 1,17 Milliarden Euro nahmen sie ein, ein Plus von mehr als 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein deutscher Titel war der Publikumsrenner: Den zweiten Teil der Komödie Fack ju Göhte sahen fast 7,7 Millionen Zuschauer. So muss es weitergehen mit der deutschen Filmwirtschaft. Aber wir müssen auch mit der Zeit gehen und andere Formate fördern, beispielsweise Video-on-Demand-Formate. Deshalb begrüßen wir es sehr, dass das Wirtschaftsministerium vor elf Monaten den German Motion Picture Fund ins Leben gerufen hat. Er fördert technisch anspruchsvolle und teure Produktionen und soll dafür sorgen, dass deutsche Filmproduktionen im Vergleich zu US-Erfolgsschlagern wie Homeland wettbewerbsfähig werden. Ihm verdanken wir auch die Serie You Are Wanted, die Anfang 2017 in sechs Episoden bei Amazone Prime ausgestrahlt werden wird. Das Serienprojekt, an dem Matthias Schweighöfer als Regisseur und Hauptdarsteller mitwirkt, hat in diesem Jahr eine Förderungsbewilligung durch diesen Fonds erhalten. Das Bundeswirtschaftsministerium will durch dieses innovative Förderinstrument einen Beitrag für einen weiteren Entwicklungsschub für das digitale Filmschaffen in Deutschland leisten; das unterstützen wir. (Beifall bei der SPD) Nach den Serien Babylon Berlin und Berlin Station ist es das dritte vom Bundeswirtschaftsministerium in dieser Form geförderte Serienprojekt, das hier in Berlin und Umgebung produziert wird. Abschließend möchte ich feststellen: Es freut mich, dass die Filmschaffenden in Deutschland auch in Zukunft künstlerisches und wirtschaftliches Wagnis gemeinsam eingehen können; denn diese beiden Seiten einer Medaille – Kunst/Kreativität und auf der anderen Seite wirtschaftlicher Erfolg – gehören für uns Sozialdemokraten immer zusammen. Deswegen danke ich auch dem Koalitionspartner dafür, dass wir diesen Schritt in die richtige Richtung heute gemeinsam miteinander machen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege Johannes Selle für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Selle (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche, in diesen Monaten sehr viele und wichtige Themen zu diskutieren. Aber ich bin außerordentlich dankbar, dass wir heute zur besten Sitzungszeit einmal über den deutschen Film sprechen; denn vom deutschen Film sind wahrscheinlich alle Bevölkerungsteile betroffen. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir darüber auch einmal zu dieser Zeit diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der deutsche Film hat auch im letzten Jahr wieder Rekorde eingefahren. Das gesamte Jahr war ein Rekordjahr: Über 136 Millionen Kinobesucher haben für einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro gesorgt. Der deutsche Film hat einen Anteil von 30 Prozent erobert, und das ist aus unserer Sicht eine erfolgreiche Entwicklung. Mehr als 92 Prozent der deutschen Filme wurden von den Kinobesuchern mit „hervorragend“ und „gut“ bewertet. Über diese Erfolge dürfen wir uns freuen. Ich darf daraus folgern, dass die filmpolitischen Rahmenbedingungen bisher gut gesetzt waren. Daran wollen wir mit dem neuen Gesetz anknüpfen. In diese Novellierung haben wir den technischen Wandel einzubeziehen, der selbstverständlich Einfluss auf das Zuschauerverhalten hat und der auch die Branche vor neue Herausforderungen stellt. Uns ist es ein Anliegen, die Qualität zu fördern, etwa durch Förderung hochwertiger deutscher Filme im Bereich des Kurzfilms, des Kinderfilms – er liegt mir besonders am Herzen –, des Dokumentarfilms und natürlich auch des Spielfilms. Das vorliegende Filmförderungsgesetz ist aus meiner Sicht geeignet, das zu unterstützen. Wie die Vorredner schon betont haben, werden dabei alle Entwicklungsstufen in den Blick genommen, vom Drehbuch über die Projektförderung bis hin zur Vermarktung, der Kinoförderung. Das Kino ist gesellschaftlicher Erlebnisort für eine große Zahl von Besuchern und macht deshalb ein besonderes Gemeinschaftserlebnis möglich. Es hat seinen Platz im kulturellen Leben behauptet, und wir wollen es auch in Zukunft stärken und schützen. Die Filmförderung ist auf die Schaffung von erfolgreichen Kinofilmen ausgerichtet. Daher bleibt auch im neuen FFG das Kino die erste und wichtigste Auswertungsstufe. Sperrfristen schützen die Auswertung im Kino. Deshalb gehen wir damit ganz besonders behutsam um. Allerdings wollen wir auch der Entwicklung besonders bei crossmedialen Ansätzen Rechnung tragen, die die gleichzeitige Auswertung in den verschiedenen Stufen erforderlich machen. Da darf ein bisschen experimentiert werden, auch im Hinblick auf das Ausprobieren neuer Geschäftsmodelle. Wenn die Kinowirtschaft an der Herstellung oder an nachgelagerten Verwertungsstufen maßgeblich beteiligt ist, kann auf Antrag eine Sperrfristverkürzung genehmigt werden. Damit stehen wir innovativen Entwicklungen nicht im Wege, die in der schnelllebigen digitalen Welt ohnehin nicht vorherzusehen sind. Wenn sich herausstellt, dass ein Filmwerk wahrscheinlich kein Kinoerfolg werden wird, dann soll darauf in Zukunft flexibel reagiert werden können. Sind sich Hersteller und Lizenznehmer einig, dass eine Kinoauswertung keinen Sinn macht, kann auf die Anwendung der Sperrfristregelung verzichtet werden. Das bleibt aber eine Ausnahme und kann nicht einfach wiederholt werden. Von den Kinos wissen wir, wie wichtig ihnen die Dokumentarfilme geworden sind. Es ist begrüßenswert, dass sich dieses Segment zunehmenden Zuspruchs erfreut. Sie stellen einen bedeutenden Anteil am Umsatz der Kinowirtschaft dar. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Dokumentationen, die den Ansprüchen der Zuschauer nicht entsprechen, stark gestiegen. Wir wollen durch die Mindestförderhöhe von 100 000 Euro erreichen, dass die Qualität des Dokumentarfilms nicht an der mangelnden Finanzierung scheitert. Auch bei den Dokumentarfilmen werden bei den Sperrfristen die Möglichkeiten geschaffen, mit der Veränderung der Verwertungsreihenfolge in besonderen Fällen den Erfolg zu erhöhen – natürlich wieder nur mit Antrag und Genehmigung durch die FFA. Das bedeutet, dass ein Dokumentarfilm zeitgleich im Kino oder mit geringem Abstand auf Bildträgern und auf entgeltlichen Abrufdiensten zu sehen sein kann. Das Gesetz will sich den neuen technischen Möglichkeiten und dem veränderten Zuschauerverhalten nicht verschließen. Wir wollen aber nicht ohne Weiteres die bewährten Regelungen aufweichen. Deshalb ist in dem Gesetz auch eine Evaluierung vorgesehen. Besonders Kinos im ländlichen Raum haben es schwer. Wir wollen auch die Attraktivität des ländlichen Raumes stärken. Deshalb verpflichten wir Verleiher, Kinos im ländlichen Raum angemessen mit Kopien zu versorgen. Die Kinos werden entlastet. Deren Grundkosten für den Betrieb einer Kinoleinwand sind deutlich gestiegen. Wir haben die Umsatzschwellen für die Höhe der Abgabe angepasst. Auch bei den Kinoreferenzpunkten erkennen wir die erfolgreiche Arbeit für den deutschen Film stärker an. So wird es zwei Referenzpunkte pro Besucher geben, wenn der Zuschauermarktanteil des entsprechenden Kinos bereits das 1,75-Fache erreicht hat. Wir fördern nicht nur den Film, sondern auch die Kinos, weil wir die wertvolle Symbiose von Film und Abspielstätte als gemeinschaftlichen Erlebnisbereich erhalten wollen. Den Erfolg des deutschen Films verdanken wir im Wesentlichen den Produzenten. Auf ihnen liegen die Hauptlast und das Risiko, das mit jeder Produktion verbunden ist. Deshalb war es bei jeder Novellierung ein Anliegen, die Produzenten zu stärken. Das haben wir in dem vorliegenden FFG wieder praktiziert. Wir haben die Darstellung des Eigenkapitalanteils durch die sehr flexible Anerkennung von Lizenzverkäufen erleichtert. Darüber hinaus erlangen erfolgreiche Produzenten in der Referenzförderung einen 25-Prozentpunkte-Bonus, wenn der Nettoumsatz die anerkannten Herstellungskosten übersteigt. Sehr intensiv – die Kollegen haben dies schon angesprochen – haben wir auch den Erlöskorridor für die Produzenten diskutiert. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht aufgenommen!) Die Beteiligung der Produzenten an den Erlösen vom ersten Euro an konnte sich in der Abwägung der Interessen aller, die an der Filmauswertung beteiligt sind, noch nicht durchsetzen. Aber diese Thematik wird bei der nächsten Novellierung auf jeden Fall wieder aufgegriffen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da nehme ich Sie beim Wort!) Wie schon angedeutet, ist es uns ein besonderes Anliegen, den Kinderfilm zu stärken. Das ist für uns ein wichtiger Aspekt. Wir wollen, dass nicht nur die Erwachsenen aus einer Bandbreite von Themen wählen können. In der FFA-Hitliste der 100 erfolgreichsten Filme der letzten 15 Jahre befinden sich 27 Kinderfilme. Das freut mich besonders, weil ich aus dem Kindermedienland Thüringen komme. Die 10- bis 19-Jährigen waren am häufigsten im Kino und mit 34 Prozent der Zuschauer überdurchschnittlich vertreten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen die medienpädagogische Begleitung im Kinderfilmprogramm verbessern und haben im parlamentarischen Verfahren den Zuschuss von 2 000 auf 5 000 Euro erhöht, damit eben nicht nur Kinderschminken möglich ist. Zusätzlich haben wir uns dafür eingesetzt, dass in der Kommission für Produktion und Drehbuchförderung eine Erfahrung mit Kinderfilmproduktionen vorhanden ist. Mindestens ein Mitglied muss schon Kinderfilme produziert haben. Wir haben ein neues Filmförderungsgesetz vorliegen, das den deutschen Film ganzheitlich fördert. Ich darf den hervorragenden Entwurf der Bundesregierung hier loben, dafür danken. Ich darf mich auch für die gute Zusammenarbeit mit der Branche und die Zusammenarbeit unter den Kollegen bedanken. Ich glaube, dass man diesem Gesetz mit gutem Gewissen zustimmen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10218, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/8592 und 18/8627 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der Stimme enthalten? – Dann ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/10291. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Antragsteller und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Unter dem Tagesordnungspunkt 4 b geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Filmförderung – Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10218, diesen Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 1 bis 3 auf: ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben Drucksache 18/10238 ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch in Gang bringen – Dekarbonisierung in Deutschland beschleunigen Drucksache 18/10242 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz entscheidend voranbringen Drucksache 18/10249 Auch dazu soll eine Aussprache von 60 Minuten stattfinden. – Einen Widerspruch dazu kann ich nicht erkennen. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der zuständigen Bundesministerin Frau Dr. Hendricks. (Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, mir ist schon klar: Da muss ich jetzt durch. – Aber bevor Sie sagen, dass ich mit leeren Händen oder leeren Taschen nach Marrakesch fahren müsse, will ich eines vorwegnehmen: Ich fahre nicht mit leeren Taschen nach Marrakesch. Im Gegenteil: Selten ist eine deutsche Umweltministerin mit so gut gefüllten Taschen – wenn ich im Bild bleiben darf – zu einer Klimakonferenz gereist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die Ratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens im Gepäck, die wir in Deutschland im Rekordtempo und in der EU mit größtem diplomatischen Geschick vorangetrieben haben. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Schönreden!) Wir sind bei der Klimafinanzierung auf einem sehr guten Weg. Die von den Industrieländern versprochenen 100 Milliarden Dollar pro Jahr ab 2020 sind in Reichweite – auch dank tatkräftiger deutscher Mithilfe. Wir sind Schrittmacher bei der internationalen Zusammenarbeit, wenn es darum geht, Entwicklungsländern bei der Erfüllung ihrer nationalen Klimabeiträge zu helfen – auch mit unserer neuen Umsetzungspartnerschaft, die wir in Marrakesch vorstellen werden. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, uns über den Klimaschutzplan als Fahrplan für eine weitgehende Treibhausgasneutralität bis 2050 zum Ende dieser Woche politisch zu einigen und ihn in der nächsten Woche förmlich zu beschließen. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen kann, die offenen Fragen in diesen Tagen zu klären, sodass ich mit dem Klimaschutzplan zur Klimakonferenz nach Marrakesch reisen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welchem Klimaschutzplan?) Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Machen Sie sich über uns keine Sorgen, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen uns um das Klima sorgen!) und lassen Sie uns über die bevorstehende Klimakonferenz sprechen. Meine Damen und Herren, wo stehen wir in der internationalen Klimapolitik? Wir haben ein globales Abkommen. Seit dem 4. November ist es nun offiziell in Kraft – und nicht erst 2020, wie ursprünglich geplant. Noch nie zuvor ist ein globaler völkerrechtlicher Vertrag von derart großer Bedeutung so schnell in Kraft getreten. Damit sendet die Staatengemeinschaft ein starkes Signal: Die Weltgemeinschaft ist sich einig, dass die globale Transformation hin zu einer treibhausgasneutralen Weltwirtschaft unumkehrbar erfolgen muss. Die schnelle Ratifikation war wichtig, aber die Umsetzungsarbeit fängt jetzt erst an. Ich bin optimistisch, dass wir den Schwung aus dem Ratifizierungsprozess mit in die bevorstehenden Verhandlungen nehmen können. Alle Staaten sind aufgefordert, ihre nationalen Klimaschutzbeiträge möglichst schnell und ambitioniert umzusetzen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass die EU ihre Gesetzgebung zum EU-Klima- und Energierahmen für 2030 zügig abschließt. Von Marrakesch erwarten wir klare Signale für eine ambitionierte Umsetzung des Abkommens, gerade auch schon vor 2020, um eben das politische Momentum zu bewahren. Daher passt es gut, dass die marokkanische Präsidentschaft das Motto „Action and Implementation“ für die Klimakonferenz ausgerufen hat. Marrakesch wird also eine Umsetzungskonferenz und damit etwas anderes als das, was wir bisher gewohnt waren. Eine Kernfrage dabei lautet: Wie helfen wir anderen Ländern bei der Erfüllung ihrer Klimaschutzziele? Stichwort „Klimafinanzierung“. In Paris haben wir uns darauf verständigt, dass Entwicklungsländer weiterhin Unterstützung erhalten. Vor einem Jahr wurden die Industrieländer in Paris aufgefordert, einen konkreten Fahrplan zur Erreichung des 100-Milliarden-Dollar-Ziels vorzulegen. Diese Roadmap haben wir bereits vor Marrakesch geliefert. Und ich bin mir sicher, dass dieses Signal gut für die Gespräche sein wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Roadmap stellt dar, dass sich die öffentliche Klimafinanzierung mit den bekannten Ankündigungen der Geber auf 67 Milliarden Dollar im Jahr 2020 erhöht. Zudem hat die OECD errechnet, dass sich die öffentliche Anpassungsfinanzierung voraussichtlich bis 2020 verdoppelt. Das 100-Milliarden-Dollar-Ziel ist also in Reichweite, wenn die private Finanzierung noch erhöht werden kann. Wir dürfen nicht nachlassen, aber wir werden auch nicht nachlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Bundeskanzlerin Merkel hat letztes Jahr angekündigt, dass Deutschland seine Klimafinanzierung zwischen 2014 und 2020 verdoppeln wird. Im Jahr 2015 ist Deutschland bereits der größte bilaterale Geber gewesen. Deutschlands öffentliche Klimafinanzierung aus Haushaltsmitteln betrug im vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Euro. Zusätzlich haben KfW und DEG weitere 4,7 Milliarden Euro an öffentlicher Klimafinanzierung mobilisiert, sodass die gesamte deutsche öffentliche Klimafinanzierung im Jahr 2015 bei 7,4 Milliarden Euro lag. Deutschland ist damit auf bestem Wege, seine Zusagen einzuhalten und seinen fairen Anteil zu den 100 Milliarden Dollar beizutragen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber es geht nicht nur um Geld, sondern es geht auch um gute Zusammenarbeit. Deutschland wird gemeinsam mit Marokko und anderen Partnern die globale Umsetzungspartnerschaft formal gründen. Zusammen mit unseren Partnerländern und anderen Gebern wollen wir die Klima- und Entwicklungsagenda so zusammenführen, dass Entwicklungsländer die Hilfe bekommen, die sie für ihre nationalen Klimaschutzbeiträge und für die notwendigen Anpassungen an den stattfindenden Klimawandel benötigen. Kollege Müller und ich werden dies gemeinsam in Marrakesch vorstellen. Wir sind optimistisch, dass diese Initiative viele Länder erreichen wird, und hoffen auf die weitreichende Beteiligung. Der offizielle Startschuss für die Partnerschaft soll am 15. November in Marrakesch gegeben werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt in Marrakesch natürlich auch Verhandlungen, aber sie sind deutlich technischer als in Paris. In Paris haben wir die großen Linien für ein zukünftiges Klimaschutzregime festgelegt. Viele Detailfragen zur Ausgestaltung des Abkommens sind noch zu klären. Unser Ziel für die weiteren Verhandlungen ist es, die Strukturelemente und Mechanismen des Paris-Abkommens so aufeinander abzustimmen, dass die Langfristziele des Abkommens erreicht werden. Stichwort auch „Ambitionssteigerung“. Der in Paris vereinbarte Transparenzrahmen muss so angelegt werden, dass er Auskunft darüber geben kann, ob die Staaten die von ihnen selbst bestimmten Ziele auch tatsächlich erreichen. Diese Informationen sind entscheidend für die globale Bestandsaufnahme, die zukünftig alle fünf Jahre ermitteln soll, wie weit die Staatengemeinschaft insgesamt gekommen ist. Im Lichte der globalen Bestandsaufnahme werden die Staaten ihre nächsten Klimabeiträge festlegen, die jeweils ambitionierter ausfallen müssen als die vorherigen. An diejenigen, die nicht genau wissen, worum es geht: Dies alles verpflichtet Deutschland als Staat. Wir machen hier keine Alleingänge, sondern wir sind ein Staat von 195. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!) Nur alle 195 Staaten zusammen können dieses Klimaschutzabkommen erfüllen. Manchmal wird mir ja vorgehalten, ich würde Alleingänge machen. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Das Klimaschutzabkommen ist die Summe der einzelnen Beiträge aller Staaten, um das noch einmal ganz deutlich zu machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir werden uns in Marrakesch für einen ambitionierten Fahrplan für die weiteren Verhandlungen einsetzen, sodass alle noch offenen Detailfragen spätestens bis 2018, zum ersten Überprüfungsmechanismus, geklärt werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir zum Schluss aus aktuellem Anlass noch einen Kommentar: Die USA haben beim Zustandekommen des Pariser Klimaschutzabkommens eine führende Rolle gespielt. Wir gehen davon aus, dass völkerrechtliche Verpflichtungen gelten und natürlich auch nach Regierungswechseln eingehalten werden und fortgelten. Wir pflegen mit den USA eine sehr gute Zusammenarbeit beim Klimaschutz, und wir wünschen uns, dass dies so bleibt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Freitag ist das Pariser Klimaschutzabkommen in Kraft getreten, in Rekordtempo. Am Montag hat in Marokko die UN-Klimakonferenz begonnen, um die Staatenwelt auf 2-Grad-Kurs zu bringen, um die Länder des Südens mit ausreichenden Mitteln zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels auszustatten, damit sie die Kosten der Schäden begleichen können und eine Energiewende hinbekommen. Und trotzdem ist diese Woche keine gute Woche für den Klimaschutz. Im Gegenteil: Die Große Koalition hat es nicht geschafft, sich auf eine Strategie für mehr Klimaschutz in Deutschland zu einigen. Der Klimaschutzplan 2050 des Umweltministeriums ist im Getriebe der Ministerien und des Kanzleramtes gnadenlos zerschreddert worden. Zum klimapolitisch notwendigen Kohleausstieg finden sich keine konkreten Termine und Maßnahmen mehr. Statt endlich ein Ausstiegsdatum zu nennen, wird mit einer Klimaschutzkommission ein neuer Arbeitskreis gegründet. Statt die Energiewende zu beschleunigen, einen Strukturwandel einzuleiten und mit sozialen Maßnahmen abzufedern, wird ein Mindestpreis für Emissionszertifikate des EU-CO2-Handels vorgeschlagen. Der Zertifikathandel funktioniert doch seit Jahren nicht, und auf EU-Ebene ist ein Mindestpreis leider nicht durchsetzbar. Ich sage: Das ist alles ein Spielen auf Zeit. Das ist Augenwischerei. Es ist keine Klimaschutzpolitik gemäß Pariser Abkommen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Warum musste die Klimaschutzforderung zum Ende von Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren – darüber muss man doch einmal diskutieren – oder zur Finanzierung einer Elektrifizierung des Verkehrs über – ich zitiere – den „sukzessiven Abbau der bisherigen bestehenden Steuerprivilegien bei Diesel-Pkw“ herausgenommen werden? Warum finden sich keine konkreten Termine mehr für eine Gebäude- und Wärmewende, die den Namen auch verdient? Warum so wenig Substanzielles zu ökologischer Landwirtschaft und zu weniger Fleischkonsum? Das alles in einem Klimaschutzplan, der – daran möchte ich erinnern – ein Kuhhandel war, um ein echtes Klimaschutzgesetz zu verhindern, wie es die SPD im letzten Wahlkampf noch gefordert hat. Ja, und dann am späten Dienstagabend das: Der zu einer Absichtserklärung verkommene Fata-Morgana-Klimaplan schafft es nicht einmal ins Kabinett. Die Klimakonferenz findet ohne deutschen Beitrag statt. „Klimapolitisches Horrorkabinett“ könnte man das nennen. Da fällt der Wirtschaftsminister Gabriel seiner eigenen Parteigenossin aus dem Umweltministerium in den Rücken, was er jetzt natürlich wieder abstreitet, und setzt den Klimaschutzplan endgültig in den Sand von Marrakesch. Dass dann gestern auch noch der Klimawandelleugner Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, hat mir als Klimapolitikerin, ehrlich gesagt, fast den Rest gegeben. Wer den Klimawandel zu einer Erfindung der Chinesen erklärt, eine Rettung der Kohle ankündigt und das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigen will, der muss sich in Zukunft einiges sagen lassen, und es ist die Frage, ob er noch enger Partner sein kann. Und so liest sich der heute vorliegende Antrag der Koalition zur Klimakonferenz: Worthülsen, Wischiwaschi, keine konkreten Vorschläge. Ich sage es noch mal: Es geht um das Ziel, die weltweite Klimaerwärmung auf 2 Grad zu begrenzen; aber momentan steuern wir auf 4 Grad zu. Das ist unerträglich, und da müssen wir etwas tun. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir machen in unserem Antrag konkrete Vorschläge: Bis 2050 brauchen wir mindestens 95 Prozent weniger CO2-Emissionen. Dazu müssen alle Sektoren einen fairen Beitrag leisten. Für Weggucken und Wegducken ist keine Zeit mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wer es mit den Beschäftigten in den Industrien der Braunkohle und des Verkehrs ehrlich meint, der beginnt jetzt sofort, den Wandel einzuleiten. Alles andere ist Augenwischerei. (Beifall bei der LINKEN) Es bedeutet, dass man ein Wahlversprechen nicht einlöst und die Beschäftigten ins Messer laufen lässt. Sie warten auf Zukunftspläne und brauchen Sicherheit. Was wir jetzt brauchen, ist ein politischer Klimawandel. Diese Regierung ist zu echtem Klimaschutz anscheinend einfach nicht in der Lage. Das muss sich ändern, spätestens ab nächstem Jahr. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Andreas Jung ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Bulling-Schröter, Sie sagen, es sei keine gute Woche für den Klimaschutz. Ich möchte dem entgegenhalten: Man soll den Tag natürlich nicht vor dem Abend loben; aber man soll auch nicht vor ihrem Ende über die Woche schimpfen. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Dann macht!) Wir setzen auf das, was die Ministerin gerade angekündigt hat, nämlich dass eine Einigung innerhalb der Bundesregierung über den Klimaschutzplan kurz bevorsteht. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange denn noch?) Ich sage für unsere Fraktion: Wir wollen einen Klimaschutzplan, wir brauchen einen Klimaschutzplan. Wir haben uns im Übrigen nicht nur im Koalitionsvertrag für den Klimaschutzplan ausgesprochen, sondern bekennen uns auch in dem Antrag, den wir heute gemeinsam beschließen, noch einmal ganz ausdrücklich zu dem Klimaschutzplan. Deshalb sage ich ganz ausdrücklich: Wir setzen darauf, dass es jetzt kurzfristig, vor Marrakesch, gelingt, eine Einigung beim Klimaschutzplan hinzubekommen. Ich halte das für wichtig, und das wäre auch für Sie, Frau Ministerin, der richtige Rückenwind in Marrakesch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Für diese Konferenz wünschen wir Ihnen alles Gute. Sie haben gerade beschrieben, was die Aufgaben und die Herausforderungen sind, dass es da um andere Dinge geht als in Paris, aber eben auch wieder um wichtige Fortschritte, was die Umsetzung des Abkommens angeht. Sie haben auch beschrieben, dass wir noch nicht wissen, in welcher Situation wir nach den Präsidentschaftswahlen in den USA sind. Umso wichtiger finde ich, dass wir aus Deutschland und aus Europa das Signal senden, dass bei uns Klarheit und Verlässlichkeit herrschen, dass wir diesen Pfad so gehen wollen. Insofern war es ein wichtiger Beitrag dieses Hauses, des Deutschen Bundestages, dass wir mit der schnellen Ratifizierung des Abkommens, die uns vor wenigen Wochen gelungen ist, das geleistet haben, was wir vor dieser Konferenz für das Klimaabkommen leisten konnten, nämlich die Herstellung des höchstmöglichen Maßes an Verbindlichkeit. Mit der Ratifizierung wurde das nun anstehende erste Vertragsstaatentreffen ermöglicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich komme noch einmal zum Klimaschutzplan. Warum brauchen wir ihn? Die Ministerin hat dargestellt: Wir sind auf einem guten Weg; das, was wir in Deutschland leisten, lässt sich vorzeigen. Sie haben die Ratifizierung genannt, die Finanzierung, unsere Rolle als Schrittmacher, auch das, was wir im eigenen Land leisten. Wir haben hier im Bundestag – nicht erst ganz aktuell, sondern schon vor langem und immer wieder – ehrgeizige Ziele formuliert, und wir beschließen heute mit unserem Koalitionsantrag das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Ich denke, es ist ganz unbestritten, dass das ein ehrgeiziges Ziel ist. Ich glaube, genauso unbestritten ist, dass es auch eine Herausforderung ist. Jetzt geht es nicht darum, mit diesem Klimaschutzplan schon jede einzelne Frage zu beantworten. Ich glaube, das kann bei einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten niemand ernsthaft erwarten. Aber es geht darum, einen Pfad zu beschreiben. Es geht darum, Verlässlichkeit zu geben, und es geht darum, das klare Signal zu geben, wohin die Reise geht. Sie geht eben nicht zurück in das Zeitalter der Kernenergie, und es gibt auch keine Renaissance der Kohle, sondern sie geht hin zu Erneuerbaren, zu Energieeffizienz und zu neuen Technologien. Das ist unser Weg, und darauf können und sollen sich alle einstellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn es um einen solchen Umbruch geht, dann ist richtig, was wir in unserem Klimaschutzantrag tun, nämlich zu sagen: Wir verstehen das auch als Chance für Deutschland. Wir schreiben in unserem Koalitionsantrag ganz ausdrücklich: Es ist auch eine Chance für unsere Wirtschaft, mit neuen Technologien für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Aber genauso richtig und auch notwendig ist es – ich finde, es ist nicht nur legitim, sondern geradezu zwingend –, darauf hinzuweisen: Es ist auch eine Herausforderung. Es ist eine gewaltige Aufgabe, ein großer Umbau. Dass Menschen in Braunkohlegebieten bei dem Thema Klimaschutz nicht als Allererstes daran denken, dass das eine Chance für sie sein könnte, sondern dass es da auch die Frage gibt: „Was wird denn aus uns? Was wird aus meinem Arbeitsplatz? Was wird aus meiner Region?“, das ist doch logisch und liegt auf der Hand. Das alles erklärt, glaube ich, auch ein Stück weit dieses Ringen, das wir in der Koalition, in beiden Koalitionsfraktionen, haben. Ich hätte mir gewünscht, dass wir schon früher zu dem Klimaschutzplan gekommen wären, selbstverständlich. Aber das ist auch Ausdruck dessen – und das ist doch legitim –, was unsere gemeinsame Aufgabe hier ist, nämlich gemeinsame Interessen so zusammenzuführen, dass wir es am Ende schaffen, ambitioniert Klimaschutz zu machen, aber auch die Wirtschaft mitzunehmen und insgesamt ein gutes Ergebnis für unser Land und alle Regionen hinzubekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist doch immer der Wunsch vorhanden, dass wir im Bundestag in und zwischen den Fraktionen diskutieren, damit Dinge nicht alternativlos sind. Deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass wir nicht das grundsätzliche Ziel, auf das wir uns immer wieder – auch heute – geeinigt und das wir immer bekräftigt haben, infrage stellen, sondern über Instrumente streiten. Das halte ich auch für notwendig. Da gibt es eben unterschiedliche Wege und Möglichkeiten. Ich will für unsere Fraktion sagen, dass wir nicht glauben, dass der Weg von immer mehr Verboten der richtige ist. Natürlich braucht es in gewissem Rahmen Ordnungsrecht; das ist unbestritten. Aber der Weg von immer neuen Verboten wäre bestimmt nicht der richtige. Unser Weg ist auch nicht der, immer neue Steuern zu erfinden, um diesen Weg beschreiten zu können, sondern unser Weg ist, dass wir sagen: Wir wollen Vorreiter sein. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie?) Diesen Anspruch haben wir, und das setzen wir um. Wer Vorreiter sein will, der muss Nachahmer finden. Wir sind der Überzeugung, dass wir Nachahmer nicht finden werden, wenn wir die meisten Gesetze machen, sondern nur dann, wenn wir die besten Technologien in unserem Land haben und sie exportieren können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb setzen wir auf Technologie. Deshalb setzen wir auf Effizienz, und deshalb setzen wir auf Innovation, erst einmal was die Grundsätze angeht. Dann können wir uns über die einzelnen Bereiche unterhalten. Das müssen wir auch tun. Das tun wir jetzt mit dem Klimaschutzplan. Wir wissen alle, dass das nur der Auftakt ist; es wird weitergehen. Was die Kohle angeht, so ist es selbstverständlich, dass, wenn wir diese ehrgeizigen Ziele bis 2050 verfolgen, der Anteil der Kohle Schritt für Schritt runtergehen muss; das muss jedem klar sein. Wir brauchen einen Plan, wie wir in dieser Zeit den Ausstieg aus der Kohle schaffen. Gleichzeitig brauchen wir dann aber auch Antworten auf die Strukturfragen. In der Lausitz haben wir in diesem Jahr entsprechende Programme beschlossen. Wir müssen den Wandel in der Energie- und Klimapolitik in Strukturprogramme und Maßnahmen einbetten, die den sozialen Frieden in diesem Land garantieren. Das ist der Weg, das ist die gemeinsame Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Selbstverständlich – das ist ja auch Aufgabe und Anspruch dieses Klimaschutzplans – müssen dafür alle Sektoren ihren Beitrag leisten: Verkehr und Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe, der Gebäudebereich; über den Energiebereich habe ich schon gesprochen. Das ist selbstverständlich. Aber auch da müssen wir über den richtigen Weg reden. Was die Verkehrspolitik angeht, so ist unser Weg eben nicht, dass ab dem Jahr 2030 alle Diesel- und Benzinfahrzeuge verboten werden sollen. Das halten wir für den falschen Ansatz; wenn ich „wir“ sage, dann meine ich unsere Fraktion. Ich als Baden-Württemberger kann sagen: Das sieht auch mein Ministerpräsident so. Das sieht sogar Ihr Vorgänger, Herr Hofreiter, als Vorsitzender des Verkehrsausschusses, Winfried Hermann, so, der im Bundesrat dagegen gestimmt hat. Wir wollen keine Verbote, sondern Anreize. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar kein Verbot! Das ist ein klassischer Anreiz! Mehr Anreiz geht gar nicht!) Wir wollen Anreize für mehr Effizienz. Wir setzen bei der Elektromobilität auf Forschung und Entwicklung. Wir setzen darauf, dass Technologien überzeugen. Natürlich müssen wir uns als Staat fragen: Wie schaffen wir den Rahmen dafür? Was können wir im Rahmen der Nationalen Plattform Elektromobilität tun, um das Ziel zu erreichen, das wir in den Klimaschutzplan geschrieben haben, nämlich dass bis zum Jahr 2050 der CO2-Ausstoß im Verkehr fast auf null gesenkt wird? Diesen Weg wollen wir gehen; aber wir wollen ihn im Dialog gehen, mit Anreizen, Förderung und dieser Rahmensetzung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dasselbe gilt für den Gebäudebereich. Auch im Gebäudebereich verfolgen wir ehrgeizige Ziele. Wir sind sehr dafür, im Bereich Neubau hohe Standards zu setzen. Im Prinzip muss in Zukunft beim Neubau ein Null-Emissions-Standard gelten. Wir müssen auch an den Bestand heran; denn ohne Maßnahmen an Gebäuden im Bestand werden wir es nicht schaffen. Aber auch hier gilt: Wir wollen keine Zwangssanierungen. Wir haben es in Baden-Württemberg einmal ausprobiert, Sanierungspflichten beim Auswechseln der Heizung einzuführen. Die Ergebnisse geben nicht gerade Anlass, Maßnahmen nach diesem Vorbild zu ergreifen; denn manche haben einfach gar nichts gemacht. Vielmehr müssen wir mit mehr Programmen mehr Anreize schaffen. Ich sage deshalb ausdrücklich: Wenn wir die ehrgeizigen Ziele beschließen, dann plädiere ich dafür, dass wir einen neuen Anlauf unternehmen, die Gebäudesanierung steuerlich zu fördern, um die Potenziale zu heben. Ich möchte abschließend beschreiben, worum es uns geht: Ehrgeizige Ziele ja; aber im Mittelpunkt sollen Technologien stehen, im Mittelpunkt soll Effizienz stehen, im Mittelpunkt sollen Anreize stehen. Mit diesen Zielen in der Klimapolitik wollen wir in Deutschland vorankommen und damit Beispiel geben für andere. Das sollte nicht zuletzt auch ein Signal für die Klimakonferenz in Marrakesch sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Anton Hofreiter hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das letzte Jahr war das heißeste Jahr, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. Der Juli in diesem Jahr war der heißeste Juli, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. Am Dienstag ist in den USA ein Präsident gewählt worden, der behauptet, der Klimawandel existiere nicht. Aber die Realität hält sich nicht an Ideologien; vielmehr müssen wir lernen, mit der Realität umzugehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Was würde man jetzt von der Europäischen Union und insbesondere von der Bundesregierung angesichts der schwierigen Lage, die wir sowohl faktisch naturwissenschaftlich als auch politisch auf unserem Planeten haben, erwarten? Man würde erwarten, dass man die Rolle Deutschlands nicht kleinredet, sondern erkennt, welche Bedeutung die viertgrößte Industrienation der Welt, die in der Vergangenheit einmal Vorreiter bei Technologie und Klimaschutz war, zu spielen hat. Man würde versuchen, diese Rolle auszufüllen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was erleben wir stattdessen? Wir erleben ein Trauerspiel in dieser Bundesregierung. Die arme Umweltministerin hat in einem ersten Entwurf einen ganz guten Plan für 2050 vorgelegt; das erkennen wir an. Aber was ist dann im Laufe der Beratung des Entwurfs passiert? Als Erstes hat ihr der Parteikollege Gabriel die relevanten Maßnahmen und Ziele im Bereich der Kohle, einem der wichtigsten Bereiche, rausgestrichen. Als Nächstes hat der Verteidiger der Massentierhaltung, der Landwirtschaftsminister, alles, was für den Bereich der Landwirtschaft relevant war, rausgestrichen. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht!) Als Nächstes kam Herr Dobrindt, der Minister, der immer noch glaubt, bei der Infrastruktur sei es wichtig, auf Kupfer und Beton zu setzen – man muss dazu wissen: der Minister ist eigentlich für Digitales und moderne Mobilität zuständig –, und hat die entsprechenden Maßnahmen für den Bereich der Mobilität rausgestrichen. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Stimmt auch nicht!) Als dieser Klimaschutzplan schon ziemlich entkernt war, insbesondere bei den Maßnahmen, wurde am Dienstagabend die Ministerin, die die Einigung schon hat verkünden lassen, wiederum von Herrn Gabriel hart gefoult – und die SPD-Fraktion schweigt dazu und lässt ihre Ministerin im Regen stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Herr Gabriel?) Was wäre eigentlich notwendig? Herr Jung, Sie haben davon gesprochen, dass man einen Plan bräuchte, um aus der Kohle auszusteigen. Ja, da geben wir Ihnen recht. Diesen Plan bräuchte man. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Wo ist denn der Plan?) Aber entsteht dieser Plan dadurch, dass Sie das zum wiederholten Mal hier sagen? Wäre es nicht vielmehr ein guter Plan, hier Gesetze zu verabschieden? Sie nennen Gesetze gerne Verbote. Wissen Sie, Gesetze sind per Definition allgemeingültige Normen. Glauben Sie wirklich, dass die Vertreter der Stromkonzerne, die mit den abgeschriebenen Kohlekraftwerken mehr Geld verdienen als mit den Erneuerbaren, weil sie dazu zu unbeweglich, zu langsam und zu träge sind, wenn Sie sie ein bisschen tätscheln und lieb zu ihnen sind, sagen: „Herr Jung, wir haben es erkannt, Sie haben so recht. Sie haben im Plenum ja auch immer wieder von einem Plan gesprochen. Wir schalten die Kohlekraftwerke jetzt freiwillig ab“? Glauben Sie wirklich, dass das Realität werden könnte? Hören Sie auf, hier Jahr für Jahr de facto die gleiche Rede zu halten. Machen Sie sich endlich an die Arbeit, und gießen Sie Ihre Vorschläge in Gesetze, sodass sie Auswirkungen auf die Wirklichkeit haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was wäre notwendig? Was müsste man in Gesetze gießen? Zum Beispiel müsste das, was Sie im Klimaschutzplan ankündigen – eine Verdoppelung des Stroms aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 –, in Gesetze gegossen werden. Es müsste festgeschrieben werden: 65 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030. Aber Sie haben ja schon ein Gesetz gemacht, ein Gesetz zum Ausbremsen der erneuerbaren Energien. Schauen wir einmal, was da drinsteht: Bis zum Jahr 2035, also fünf Jahre später, soll ihr Anteil 55 Prozent betragen. – Jetzt versteht man, warum Sie kein Klimaschutzgesetz machen wollen. Sie erstellen einen unverbindlichen Klimaschutzplan, den Sie noch nicht einmal rechtzeitig zur Konferenz in Marrakesch fertigbekommen, um auf der internationalen Bühne wieder einmal schön winken zu können; in Ihren Gesetzen schreiben Sie aber das Gegenteil fest. In Ihre Gesetze schreiben Sie etwas völlig anderes als in Ihren eh schon abgeschwächten Klimaschutzplan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wirklich notwendig wäre es, den Ordnungsrahmen so zu gestalten, dass die Verkehrswende klappt, dass wir in Richtung null Emissionen im Bereich Verkehr kommen und dass die Energiewende wieder angeschoben wird. Wir müssen aus der Kohle herauskommen. Wir brauchen eine Bürgerenergiewende. Was wir auch brauchen, ist eine Wende in der Landwirtschaftspolitik. Das wäre auch im Interesse der Landwirte, denen es unter dem jetzigen Regime nicht besonders gut geht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Frank Schwabe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schwabe sagt uns jetzt, wo Herr Gabriel ist! – Gegenruf der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]: Der arbeitet! – Gegenruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der arbeitet an der Verhinderung von allem!) Frank Schwabe (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Dies ist eine Debatte zur Klimakonferenz in Marrakesch. Deswegen will ich zumindest einen Satz zur Konferenz in Marrakesch sagen und zu dem, was in unserem Antrag dazu steht. Wir haben nämlich einiges in den Antrag geschrieben, was in Marrakesch zu leisten ist; ich finde, das muss man einmal würdigen. Vor allen Dingen haben wir aber – wie ich glaube, zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit – die menschenrechtliche Dimension des Klimaschutzes in einen Antrag aufgenommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man könnte sagen: Na klar, Klimaschutz hat automatisch mit Menschenrechten zu tun, weil, wenn es keinen Klimaschutz gibt, der Meeresspiegel steigt und die Menschen ihre Häuser und ihre Heimat verlieren. Das Problem ist aber, dass auch gut gemeinte Klimaschutzmaßnahmen oft problematische Begleiterscheinungen haben, zum Beispiel im Bereich des Waldschutzes, beim Staudammbau, beim Bau von Kraftwerken, aber auch beim Bau von Windparks. Ich glaube, es ist wichtig, dass das auf die internationale Tagesordnung kommt. In diesem Bereich sind viele NGOs unterwegs. Dieser Antrag soll Ermunterung und Rückenwind für die Bundesregierung sein, dies zu einem besonderen Thema in Marrakesch zu machen. Wir reden über den Klimaschutzplan. Natürlich ist das hochspannend. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt! Das ist hochspannend, was Sie in dieser Koalition machen!) Ich finde es ja immer interessant, die Szenerie zu betrachten. Wir messen jetzt daran, ob der Klimaschutzplan kommt oder nicht, ob wir in Marrakesch erfolgreich sein werden oder nicht. Wir müssen begreifen: Das Vorliegen solch eines Klimaschutzplans – darüber reden wir gerade – ist international keine Anforderung an uns. Wenn wir einen Plan hinbekommen – ich bin sehr optimistisch, dass wir das in dieser Woche noch schaffen –, leisten wir mehr als viele andere Länder auf der Welt. Das ist, glaube ich, die Wahrheit in der Debatte. Die Ministerin hat deutlich gemacht: Deutschland ist beim Thema Finanzen wirklich gut aufgestellt. Wir sind bezüglich nationaler Klimaschutzpläne gut aufgestellt. Wir unterstützen die Länder der Welt über die IKI, die Internationale Klimaschutzinitiative, und anderes, und wir sind auch auf einem guten Weg, das, was wir leisten, messbar und vergleichbar mit anderen auf der Welt zu machen. Auch da sind wir viel weiter als viele andere Länder. Da sind wir noch mitten im Prozess. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schwabe, darf die Kollegin Göring-Eckardt Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Frank Schwabe (SPD): Ja. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Schwabe, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Sie auf einem Weg sind, dass bis zum Ende der Woche noch dieses oder jenes passiert. Mich wundert sehr, dass jemand, der sich sehr engagiert hat, um vieles im Klimaschutzplan zu verhindern, nämlich der Bundesminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel, hier nicht anwesend ist. Ich frage Sie: Wie kommt es dazu? Entschuldigt ist er nicht; das haben wir gerade überprüft. Er ist einfach nicht da bei dieser so wichtigen Debatte, die ja – daran werden auch Sie keinen Zweifel haben – auch sein Ressort sehr stark betrifft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frank Schwabe (SPD): Man kann sich immer fragen, wer alles da ist und wer nicht. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jemand, der zuständig ist!) Ich würde mir wünschen, dass ganz viele da wären. Bei der Union äußert sich immer Herr Fuchs ganz viel; auch ihn sehe ich nicht. Es gibt die Kanzlerin, es gibt Herrn Gabriel – Herr Hofreiter hat sie gerade alle aufgezählt –, es gibt den Verkehrsminister, den Landwirtschaftsminister. Sie alle haben etwas mit dem Thema Klimaschutz zu tun. Ich würde das so interpretieren, dass sie akzeptieren, dass die Federführung bei der Umweltministerin ist, und das eher als Rückenwind für sie verstehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir reden über einen Klimaschutzplan. Ich will deutlich sagen: Mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hätte es auch ein Klimaschutzgesetz geben können. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach? Auch mit Herrn Gabriel?) – Das hätte es auch mit Herrn Gabriel geben können. – Das steht im Wahlprogramm der Sozialdemokraten. Im Übrigen steht dort auch ein Ziel von minus 95 Prozent bis 2050 und vieles andere. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt: Vieles andere!) Das ist gemeinschaftlich beschlossen worden und gilt entsprechend auch. Ich will sagen: Wenn Herr Fuchs und – das habe ich gelesen – auch Ministerpräsident Tillich öffentlich eine Beratung im Bundestag und im Bundesrat fordern, dann unterstütze ich das. Das geht mit der Sozialdemokratie sehr schnell. Wir werden einen Klimaschutzplan bekommen, der in der Tat nicht, wie vorgeworfen wird, Planwirtschaft bedeutet, sondern planvolle Politik vorsieht, der versucht, Wegstrecken und Wegmarken bis zum Jahr 2050, so wie es aus heutiger Sicht absehbar ist, zu entwickeln und entsprechende Leitplanken zu setzen. Das ist vorgegeben – die Ministerin hat es gesagt – durch das, was in Paris beschlossen worden ist. Das ist nicht auf unserem eigenen Mist gewachsen. Wir werden einen Plan bekommen; davon gehe ich aus. Er darf allerdings nicht substanzlos sein, sondern muss wichtige Dinge enthalten. Das eine ist die Frage, wie wir mit fossilen Energieträgern umgehen; dies ist zu Recht vielfach gesagt worden. Dabei geht es gar nicht um den Kohleausstieg allein. Das ist immer eine Art Symbolthema. Natürlich ist völlig klar, dass wir die Klimaschutzziele nicht erreichen können, ohne eine Idee davon zu entwickeln, wie wir mit diesem Thema in Zukunft umgehen. Das ist für diesen Klimaschutzplan eine Mindestanforderung. Eine weitere Mindestanforderung ist, dass wir die Ziele, die in Paris beschlossen wurden, natürlich auf Deutschland herunterbrechen. Wir müssen sie auch auf die einzelnen Bereiche, auf die einzelnen Sektoren herunterbrechen. Das funktioniert nicht, wenn wir in Deutschland nicht zu den wichtigen Beschlüssen, die wir in Paris gefasst haben, stehen und sich die Ministerien davor drücken. Ich habe das hier schon häufiger gesagt: Das ist, glaube ich, im Interesse des gesamten Hauses, im Interesse aller Minister. Herrn Gabriel, aber auch Herrn Schmidt und vielen anderen sollten wir mit auf den Weg geben: Auch ihr seid dafür zuständig, dass Klimaschutz in diesem Land gelingen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern um Qualität. Das hat Frau Hendricks deutlich gemacht. Sie steht dafür. Sie war eben nicht bereit, irgendeinen unverbindlichen Klimaschutzplan durchzuwinken. (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Machen Sie sich keine Sorgen; denn bei all dem hat sie die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Niema Movassat erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt leider immer noch Menschen, die den Klimawandel leugnen. Zu diesen gehört der nächste Präsident der USA. Das ist unfassbar. Aber unfassbar ist auch, wenn man zwar, wie die Bundesregierung, die menschliche Verantwortung für den Klimawandel anerkennt, aber nicht danach handelt. Dass Herr Gabriel den Klimaschutzplan von Frau Hendricks blockiert, zeigt doch: Diese Bundesregierung redet bei internationalen Konferenzen wie G 7 gerne über die Rettung der Welt; doch sie will möglichst nichts dafür tun. Das ist verantwortungslos. (Beifall bei der LINKEN) Völlig inakzeptabel ist es zudem, wenn die Bundesregierung Menschen, denen im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser bis zum Hals steht, das Recht abspricht, nach Europa zu kommen. Das ist so, als ob man aus Versehen das Nachbarhaus in Brand steckt und danach dem obdachlosen Nachbarn die Türe vor der Nase zuschlägt. Das ist verwerflich; denn wir tragen Mitschuld daran, dass vor allem afrikanische Länder heute mit immer extremerem Klima kämpfen müssen. Das Wetterphänomen El Niño hat in diesem Jahr die Existenz von 40 Millionen Menschen im südlichen Afrika bedroht, weil Ernten ausfielen. Küstengebiete und Inseln gehen weltweit unter. Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis 2050 bis zu 350 Millionen Menschen wegen des steigenden Meeresspiegels, wegen der zunehmenden Wüstenbildung und wegen der Wetterextreme fliehen werden. Das trifft vor allem Menschen, die schon in bitterster Armut leben. Wer den Klimawandel nicht leugnet, muss anerkennen, dass auch Deutschlands Industrialisierung und unser Lebensstil einen großen Anteil an dieser Entwicklung haben. Es ist unsere Autoindustrie, die seit Jahrzenten wider besseres Wissen viel zu leistungsstarke Motoren verbaut und Abgaswerte manipuliert. Uns ist es wichtiger, mit 220 Stundenkilometern über die Autobahn brettern zu können, statt ernsthafte CO2-Grenzen zu setzen und konsequent auf die Schiene umzusteigen. (Beifall bei der LINKEN) Uns ist es wichtig, möglichst viele möglichst billige Konsumgüter verbrauchen zu können, obwohl der dafür erforderliche Rohstoffabbau den Klimawandel befeuert und die Lebensgrundlagen der Menschen in den Entwicklungsländern ruiniert. Wer den Klimawandel verursacht, darf den Leidtragenden nicht die Türe vor der Nase zuschlagen. Deshalb sagen wir Linke, dass wir endlich eine völkerrechtliche Anerkennung von Klimaflüchtlingen brauchen. Wer wegen des Klimawandels fliehen muss, verdient Schutz. (Beifall bei der LINKEN) Die Realität aber ist, dass die Bundesregierung nicht nur nichts tut, um Klimaflüchtlinge anzuerkennen. Vielmehr bezahlt sie im Rahmen der EU sogar afrikanische Diktatoren dafür, Flüchtende zu stoppen. Die Menschenrechte sind da egal. Das ist eine moralische Bankrotterklärung. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung muss endlich aufhören, sich beim Klimaschutz selbst im Weg zu stehen und immer wieder vor der Industrielobby einzuknicken. Verhindern Sie, dass noch mehr Menschen wegen des Klimawandels fliehen müssen, und helfen Sie denen, die ihre Lebensgrundlagen deswegen schon verloren haben! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Anja Weisgerber ist die nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Debatte lautet: „Klimakonferenz von Marrakesch“. Deswegen möchte ich in meiner Rede den Schwerpunkt genau darauf legen. Am 4. November dieses Jahres ist das Paris-Abkommen – rechtzeitig vor der Wahl in den Vereinigten Staaten – in Kraft getreten. In der Woche darauf hat die erste Vertragsstaatenkonferenz des Pariser Abkommens stattgefunden. Auch Deutschland hat mit seiner schnellen Ratifizierung darauf hingewirkt, dass dies möglich geworden ist. So schnell wurde ein multinationaler Vertrag noch nie ratifiziert. Das ist der zweite wichtige Erfolg nach Paris. (Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schnell, dass Sie gar nicht wissen, was drinsteht!) Die Vertragsstaaten haben anerkannt: Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine globale Herausforderung, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Die Stimmung in der Welt hat sich durch den Prozess bis zur Klimakonferenz in Paris geändert. Jeder einzelne Staat der Welt ist bereit, seinen eigenen Klimaschutzbeitrag zu leisten. Erst diese Woche hatte ich ein Treffen mit dem chilenischen Umweltminister. Auch sein Land hat verstanden, dass Chile einen Beitrag leisten muss, und wichtige Weichenstellungen vorgenommen, um zum Beispiel den Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen und mehr erneuerbare Energien einzusetzen. Das ist nur ein Beispiel. Alle sind mit an Bord. Wir haben den Paradigmenwechsel geschafft, und das ist gut so, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich ist es immens wichtig, dass wir als Industrienation einen ambitionierten Beitrag leisten. Da werden wir auch liefern, und wir liefern bereits. Bei all den Diskussionen über nationale Maßnahmen müssen wir uns aber eines immer wieder vor Augen führen: Deutschland ist nur für 2,4 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, China zum Beispiel für 28 Prozent und die USA für 16 Prozent. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was heißt das jetzt?) Deswegen sage ich: Wir alleine können das Klima nicht retten. Wir sind Schrittmacher und müssen auch Schrittmacher sein, aber wir brauchen auch die anderen Staaten dieser Welt. Deswegen haben die Regierungsfraktionen einen Antrag vorgelegt, der sich auf alle Ebenen bezieht, auf die internationale, auf die europäische und auf die nationale Ebene. Wie jedes Jahr formulieren wir auch in diesem Antrag unsere Forderungen in Bezug auf die Verhandlungen der COP 22. Wir im Bundestag haben unsere Hausaufgaben also gemacht, und das ist gut so. Das Motto der Klimakonferenz in Marrakesch lautet „Action and Implementation“, also „Handeln und Umsetzen“. Die Vertragsstaaten wollen dort einen konkreten Fahrplan festlegen. In Paris hat man die nationalen Klimabeiträge vorgelegt, jetzt geht es darum – auch das ist immens wichtig –, wie diese gemessen, gemeldet und überprüft werden. Wir haben uns immer für diesen Überprüfungsmechanismus starkgemacht. Es geht aber in erster Linie um technische Details, und das ist auch gut so; denn die Staaten, die noch nicht ratifiziert haben, können nicht mitbeschließen. Man will sie nicht vor den Kopf stoßen und deshalb weiter gehende Beschlüsse erst fassen, wenn alle an Bord sind. Das ist der Geist, das Momentum von Paris. Dies nutzen wir. Wir müssen diesen gemeinsamen Willen zum Kampf gegen die Erderwärmung aufrechterhalten und alle Staaten in diesem Prozess mitnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Wir wollen, dass die Staaten, die das nicht aus eigener Kraft schaffen, entsprechend unterstützt werden, Klimaschutz zu betreiben und sich an den Klimawandel anzupassen. In Paris haben die Industrieländer ihre Zusage bestätigt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus privaten und öffentlichen Quellen zu mobilisieren. Wir fordern in unserem Antrag, dass die Industrieländer einen genauen Aufwuchspfad zur Zielerreichung vorlegen und dass auch – die Ministerin hat es erwähnt – private Mittel mobilisiert werden, um dies am Ende auch zu schaffen. Wir setzen darauf, dass es gelingt, diesen Topf zu füllen. Hierzu haben wir mit 750 Millionen Euro zur Erstauffüllung des Grünen Klimafonds beigetragen. Damit waren wir die Ersten, die die Zusage gemacht und Geld bereitgestellt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutschland beteiligt sich vor allem durch das BMZ, das Entwicklungshilfeministerium, in hohem Maße an der Klimafinanzierung. Mit der Initiative „Erneuerbare Energien für Afrika“ stellen wir 3 Milliarden Euro für weitere 10 Gigawatt an erneuerbaren Energien dort zur Verfügung. 150 Millionen Euro investiert das BMZ in die Klimarisikoversicherung. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt. Das Ziel ist, weitere 180 Millionen Menschen abzusichern und damit vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist wahrlich kein Pappenstiel und zeigt, dass Deutschland seine finanzielle Verantwortung für den internationalen Klimaschutz auch wahrnimmt. Die finanzielle Unterstützung ist die eine Sache, die andere Sache ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Wir teilen unsere Erfahrungen mit anderen Ländern, insbesondere mit den Ländern, die gerade erst mit dem Klimaschutz anfangen. Ein Leuchtturmprojekt, das bereits von der Ministerin genannt wurde, sind die sogenannten NDC-Partnerschaften mit den Entwicklungsländern. Diese Initiative des Entwicklungshilfeministeriums und des Umweltministeriums hilft ärmeren Ländern dabei, Strategien zu entwickeln, um ihre Klimaziele durch entsprechende Maßnahmen zu erreichen und am Ende das zu schaffen, was sie sich selbst vorgenommen haben. Dazu sollen zum Beispiel Anlaufstellen aufgebaut werden, die Informationen zu Fragen der Landwirtschaft, des Verkehrs und der erneuerbaren Energien bereithalten. Ich begrüße es sehr, dass die Ministerin angekündigt hat, dass in Marrakesch der offizielle Startschuss für diese NDC-Partnerschaften gegeben wird. In unserem Antrag fordern wir zu diesem Thema außerdem, dass in Marrakesch für diese Initiative geworben wird, sodass auch andere Industrieländer dafür gewonnen werden können und sich ihr anschließen. Das war die internationale Ebene. Jetzt zur europäischen Ebene. Herzstück ist der Emissionshandel. Dieser Emissionshandel wird durch eine weitere Reform gestärkt und verschärft. Er ist ein marktwirtschaftliches Instrument, das kosteneffizient ist und Emissionen einspart. Deshalb fordern wir auch in unserem Antrag, dass andere Staaten beim Ausbau solcher Emissionsbepreisungssysteme unterstützt werden. Das Ziel muss die Vernetzung der bestehenden und der geplanten Emissionshandelssysteme sein, um damit dann langfristig einen globalen Kohlenstoffmarkt zu errichten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun zur nationalen Ebene – sicherlich haben Sie darauf schon gewartet. Ja, auch da nimmt Deutschland seine Verantwortung wahr. Wir machen uns nicht an die Arbeit, sondern wir arbeiten, und dies schon seit Jahren. Wir haben ein ambitioniertes Klimaziel von 40 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2020, und wir haben ein Aktionsprogramm Klimaschutz – darüber wird überhaupt nicht mehr geredet –, (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) mit dem wir die prognostizierte Lücke bis zur Erreichung dieses Ziels schließen werden. Wir haben das Abkommen von Paris ratifiziert und durch diese schnelle Ratifizierung auch darauf hingewirkt, dass die Europäische Union ebenso schnell ratifiziert hat. Wir stellen – ich habe es erwähnt – umfangreiche Mittel zur Klimafinanzierung zur Verfügung, national und international. Allein das Entwicklungshilfeministerium hat die Leistungen in den letzten zehn Jahren auf knapp 2 Milliarden Euro vervierfacht. Außerdem, meine Damen und Herren, wollen wir eine Klimaschutzpolitik, die sich ambitionierte Ziele setzt. Diese Ziele müssen aber auch erreichbar sein. Bei allen Maßnahmen müssen wir auch die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft, auf die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch auf die Arbeitsplätze beachten. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Ein Klimaschutzplan, der Festlegungen für die kommenden Jahrzehnte trifft, muss auch gut überlegt sein. Als Klimapolitikerin begrüße auch ich ausdrücklich die Ankündigung, dass bis Ende der Woche eine Einigung zu diesem Klimaschutzplan vorliegen soll. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle möchte ich als CSU-Politikerin ebenfalls erwähnen, dass auch die CSU-Ressorts kritisch-konstruktiv mitgearbeitet haben und Minister Schmidt diese Woche als Erster die Einigung der Ressorts verkündet hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konstruktiv, die CSU? Da müssen Sie ja selber lachen! Ja, ich sehe es!) Meine Damen und Herren, alle Staaten um uns herum haben sich kurz- und mittelfristige Ziele gesetzt. Kein anderes Land in Europa geht derzeit so weit und setzt Leitplanken bis zum Jahr 2050. Nach dem Abkommen von Paris haben sich die G-7-Staaten vorgenommen, bis 2018 solche langfristigen Ziele vorzulegen. Wir sind also auch hier wieder Vorreiter, wenn diese Einigung kommt. Auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen. Jetzt betone ich noch Folgendes: Wenn wir so weitgehende Pläne machen, dann muss dieser Plan technologie- und innovationsoffen sein, auch im Bereich des Verkehrs, (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU] dann müssen wir mit jedem Euro, den wir einsetzen, am Ende die maximale Klimaschutzleistung erreichen, und dann brauchen wir nicht zuletzt die Akzeptanz der Menschen. Deshalb müssen wir die Menschen mitnehmen, wir müssen Strukturbrüche verhindern und letztendlich den Strukturwandel als Chance gestalten. Wir brauchen außerdem mehr Anreize statt Verbote. Deshalb werde ich nicht müde, zu fordern, dass wir uns wieder auf den Weg machen müssen, um die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung zu erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende. Alle Ebenen von der internationalen über die europäische bis zur nationalen Ebene müssen zum Klimaschutz beitragen. Unsere Forderungen haben wir in unserem Antrag klar formuliert. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung sich neben dem Klimaaktionsprogramm, das wir schon umsetzen, auch auf einen ambitionierten, aber ausgewogenen Klimaschutzplan einigt. Lassen Sie uns gemeinsam beherzt und selbstbewusst nach Marrakesch fahren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber. Einen schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die nächste Rednerin: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schönen guten Morgen! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Zurufe: Guten Morgen!) – Schönen guten Morgen! – Liebe Frau Hendricks, Sie können einem schon ein bisschen leidtun, wenn Sie das klimapolitische Desaster dieser Bundesregierung am Anfang dieser Debatte auch noch schönreden. Es wäre ja „noch schöner“ gewesen, wenn Sie nach Marrakesch fahren und die Klimafinanzierung, für die Sie sich hier so gepriesen haben, auch einstellen würden. Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass in Marrakesch die weitere Klimafinanzierung zugesagt wird. Dafür brauchen wir uns hier nicht auf die Schulter zu klopfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) By the way, hier sitzen ja auch ein paar Leute, die tiefer in diesem Thema drin sind als diese Lautsprecher von der Union. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sie sind der Lautsprecher!) Ein Blick in den nationalen Haushalt zeigt, dass die Klimafinanzierung nicht gesichert ist. Dann haben wir da noch genauso Probleme, weil es eine Doppelanrechnung zwischen der Entwicklungspolitik, der Flüchtlingspolitik und der Klimaschutzpolitik gibt. Auch hier sollte man einmal die Kirche im Dorf lassen, sehr verehrte Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine wichtige Sache haben Sie im zweiten Teil Ihrer Rede sogar selber gesagt: Mit Geld allein werden wir das Klima eben nicht retten können. – Für diejenigen, die jetzt leider alle nicht da sind: Auch das ist das Traurige an dieser Debatte, dass so viele von Ihnen nicht da sind, wie Herr Fuchs, der groß tönt, er würde den Klimaschutzplan gerne im Parlament diskutieren. Wo war denn Herr Fuchs bei den Anhörungen im Wirtschaftsausschuss? Wo war denn Herr Fuchs bei den Anhörungen im Umweltausschuss? Wo ist denn Herr Fuchs jetzt, oder wo ist er in den letzten drei Jahren gewesen? In dem Klimaschutzvertrag, den wir in Paris ratifiziert haben, steht eben nicht: Schaut mal, was ihr für die ärmsten der Länder weltweit machen könnt. – Nein, in diesem Klimaschutzvertrag steht in Artikel 3 – ich lese das jetzt hier einmal vor, weil offensichtlich fast niemand Ahnung von diesem Vertrag hat –: Jedes Land muss „national festgelegte Beiträge“ liefern. Diese werden im Laufe der Zeit überprüft und müssen sich jährlich steigern, und sie sollen übermittelt werden. Genau das ist der Klimaschutzplan. Jetzt sagen Sie: Ach Gott! Eigentlich steht ja in dem Vertrag „bis 2018“. – Ja, aber wir hören Ihnen sehr genau zu. Auch wir wollen, dass Deutschland einen guten Eindruck macht. Sie haben in Paris versprochen: Deutschland geht voran. Sie haben gesagt: Im Jahr 2016 werden wir als Erste einen nationalen Klimaschutzplan vorlegen. Wir werden ganz vorne mit dabei sein. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sind wir auch!) Deswegen ist es ein absolutes Desaster, dass Sie das nicht hinbekommen haben und uns in Marrakesch absolut blamieren werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Da helfen Ihnen auch die 100 Milliarden US-Dollar für die internationale Klimaschutzfinanzierung wenig weiter. Kommen wir zum Inhalt. Ein Plan allein reicht eben nicht, auch wenn Sie jetzt sagen: Wir schreiben jetzt irgendetwas auf, sodass in Marrakesch gesagt werden kann, wir haben etwas mitgebracht. – Nein. Schauen wir uns das einmal an. Was richtig gut war, sind die Sektorziele. Deswegen ist Herr Gabriel jetzt auf den Bäumen. Aber außer den Sektorzielen ist doch nichts mehr. Verbindlicher Klimaschutz bis 2050 – das stand einmal drin –: gestrichen; Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen: gestrichen; Reduzierung klimagefährlicher Massentierhaltung: gestrichen; Förderung klimafreundlicher Mobilität – es geht hier nicht um Verbote, liebe Kollegen von der Union, sondern um Förderung klimafreundlicher Mobilität –: gestrichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann Ihnen eins sagen: Klimaschutz ohne einen verbindlichen Kohleausstieg, das ist wie Blumengießen ohne Wasser. Das funktioniert einfach nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dann, Frau Weisgerber, sagen Sie: Warum redet eigentlich niemand mehr über das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020? Wir wollten Ihnen die Diskussion darüber ersparen, weil Frau Hendricks selbst gesagt hat: Wir werden die Ziele krachend verfehlen. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Der Staatssekretär hat es bestätigt!) Wenn Sie es in diesem Jahr nicht schaffen, den Kohleausstieg zu beschließen, dann werden wir die Ziele krachend verfehlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann die Schuld aber nicht allein bei der CDU/CSU abladen. Ich meine, dazu, dass Herr Gabriel diesen Plan am Ende abgeschossen hat und die Blinden in der Union rechts überholt hat, kann man nur sagen: Armes Deutschland! Arme SPD, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hatten gehofft – ich komme zum Schluss –, dass Herr Gabriel nach seiner Reise nach China verstanden hat, dass andere Länder sonst an uns vorbeiziehen. Klimaschutz ist nichts anderes als ein Modernisierungsprogramm für Industrien, die von den fossilen Energien schrittweise wegkommen müssen. Deswegen ist es nicht nur im Sinne unserer Kinder und Kindeskinder, sondern gerade auch im Sinne der deutschen Wirtschaft, endlich zu begreifen, dass die Zukunft begonnen hat. In Marrakesch werden sich alle Staaten daranmachen, dies noch einmal aufzuschreiben. Wir hoffen: Danach haben Sie es endlich verstanden. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Annalena Baerbock. – Wir hier oben haben uns gerade bildlich vorgestellt, wie der Baum wohl aussieht, auf den Herr Gabriel steigt. Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem ganz herzlichen Dank an unsere Bundesumweltministerin beginnen, die, wie ich finde, in der Bundesregierung hervorragende Arbeit macht. (Beifall bei der SPD) Ich kann verstehen, dass jetzt vonseiten der Opposition darauf abgestellt wird, was an den letzten Abenden dieser Woche geschehen ist – das ist, glaube ich, auch Ihre Aufgabe –, aber man muss auch akzeptieren, dass die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind und dass es mit dem Klimaschutzplan sehr wohl weitergeht. Deswegen finde ich es nicht fair und auch nicht realitätsgetreu, Richtung Öffentlichkeit so zu tun, als ob dieser Klimaschutzplan inzwischen im Mülleimer gelandet wäre. Das ist mitnichten der Fall, und das wissen Sie auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben recht! Er ist im Ministerium von Herrn Gabriel gelandet!) Ich möchte jetzt auf unseren Antrag zu Marrakesch eingehen – er ist schon an einigen Stellen von meinen Vorrednern erwähnt worden –, der heute auf der Tagesordnung steht. Auch wenn ich meinerseits ebenfalls nicht den Druck vom Kessel nehmen möchte, dass wir den Klimaschutzplan noch in trockene Tücher bekommen, muss doch gesehen werden, dass unsere Bundesumweltministerin auch unseren Antrag, über den wir heute entscheiden, im Gepäck haben wird. Dieser Antrag sagt zwar nicht auf Heller und Pfennig genau, was von heute auf morgen mit welchem politischen Hebel umgesetzt werden soll; er zeigt aber ganz klare Wege auf, in welcher Form wir politisch aufgefordert sind, auf allen Ebenen – der internationalen, der europäischen, aber auch der nationalen Ebene – tätig zu werden. Insofern ist darin auch richtigerweise und schwarz auf weiß enthalten, dass wir den Umstieg auf erneuerbare Energien brauchen. Das ist ganz klar darin enthalten. Deswegen muss man den Willen der Großen Koalition, die das mit diesem Antrag verbrieft hat, auch nicht immer wieder infrage stellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen natürlich darauf achten, dass das dann entsprechend umgesetzt wird. Insofern muss man auch erkennen, dass die Entwicklung sehr schnelllebig ist. Im Kontext der derzeitigen Diskussion etwa über die Sektorenkopplung müssen wir, da es um die Energiewende nicht nur bei Strom, sondern auch bei Wärme und Mobilität geht, sehen, dass wir nicht allein über die Ausbauzahlen, die wir für den Stromsektor definiert haben und die ich persönlich in der Obergrenze immer für kritisch gehalten habe, ans Ziel kommen. Insofern gab es in diesem Bereich innerhalb von wenigen Monaten eine entscheidende Weiterentwicklung in der öffentlichen Diskussion. Ich erwarte, dass wir das auch weiterhin zur politischen Umsetzung bringen. Mit den genannten Schlagworten zur Sektorenkopplung möchte ich das an dieser Stelle so stehen lassen. (Beifall bei der SPD) Ein weiterer Punkt, der in dem Antrag zu Marrakesch enthalten ist, ist, finde ich, auch ein neuer Schritt in der Diskussion. In dem Antrag ist nicht nur von Emissionshandelssystemen die Rede, sondern auch von Emissionsbepreisungssystemen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Ich finde, man muss es auch ernst nehmen, dass wir uns in der Großen Koalition darauf geeinigt haben, dass es jetzt um Energiebepreisungssysteme geht, für die wir uns international einsetzen. Das findet sich unter den geforderten Maßnahmen auf internationaler Ebene. Es ist aber auch klar, dass wir uns nicht nur auf internationaler Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene wie auch in Deutschland dafür einsetzen müssen, zu einer Bepreisungspolitik zu kommen; denn daraus ergeben sich genau die Anreize, von denen die Rede war. Natürlich steht die SPD für genau diese Anreize. Ich sehe die Aussage, eine Verbotspartei zu sein, auch nicht an uns gerichtet. Wir sind nämlich auf Anreize angewiesen. Wir müssen die Wirtschaft ankurbeln, die in diesem Sektor verwurzelt ist. Nicht von ungefähr wurde inzwischen – zum Beispiel nach den neuesten Meldungen aus Frankfurt – im Kontext von Green Finance – auch dies wird übrigens in unserem Marrakesch-Antrag gefordert – eine erste Börse für grüne Wertpapiere geschaffen. Insofern müssen wir noch besser werden, und ich denke, wir sind angesichts der beginnenden Energiewende auf einem guten Weg. Wir müssen erkennen, welche Chancen auch wirtschaftspolitischer Art wir in diesem Bereich haben. Wir haben enorme Chancen. In diesem Bereich sind über 400 000 Arbeitsplätze entstanden. Wir müssen jetzt schauen, dass das in die anderen Bereiche der Energiewirtschaft übertragen wird. Das ist der zentrale Bereich des Klimaschutzes. Ich bin am Ende meiner Redezeit angelangt. Deshalb verzichte ich darauf, die Zahlen anzuführen, welche Weltmarktanteile Deutschland da im Einzelnen hat. Die Zahlen zeigen ganz klar: Die Zukunft liegt in der nachhaltigen Wirtschaft und in den entsprechenden Technologien, und da müssen wir hin. Ich als Sozialdemokratin sehe das als eine Gerechtigkeitsfrage an. Denn unseren Planeten gibt es nur einmal. Klimaschutz ist Umweltgerechtigkeit, ist Lebensgrundlagengerechtigkeit. Insofern setze ich darauf, dass wir mit diesen Vorgaben weiterhin die Energiewende als wesentlichen Bestandteil des Klimaschutzes voranbringen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Nina Scheer. – Der letzte Redner in der Debatte: Peter Stein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Stein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Klimaabkommen von Paris war historisch. Ich glaube, dass sich heute viele genauso wie ich mich fragen, wohin die Zeit ist, wo das Jahr seit der Klimakonferenz von Paris geblieben ist. Nun geht es schon um die COP 22 in Marrakesch. In diesem Jahr ist unglaublich viel passiert. Das erklärt wahrscheinlich, warum uns dieser Zeitraum so unglaublich kurz vorkommt. Es ist nicht so, dass nichts passiert ist. Das Wichtigste, was von Paris ausgegangen ist, sind die Regeln, die wir uns gegeben haben. Es geht um Transparenz, An- und Abrechnung, Berichterstattung und – ganz wichtig – Überprüfbarkeit der gemeinsam vereinbarten Ziele. Bis 2018 soll überprüft werden. Es ist vereinbart, das in Marrakesch noch einmal zu unterstreichen. Schauen wir auf Deutschland. Einiges wurde schon gesagt. Der Koalition und der Regierung ist jedenfalls klar, dass Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung weder in Deutschland noch in der Welt ein Gegensatz sein dürfen. Beides muss Hand in Hand gehen. Klimaschutz gegen die Wirtschaft schadet beiden und bringt uns im Ergebnis nicht dorthin, wohin wir wollen. Der Staat – das sind in diesem Fall wir – muss die Rahmenbedingungen schaffen und klare Regeln aufstellen. Die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, ist ohne das Einbinden der Privatwirtschaft nicht zu lösen. Zu den Rahmenbedingungen gehört beispielsweise der Klimaschutzplan, der vorgelegt werden wird. Wir dürfen schon allein aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des Wirtschaftsstandorts Deutschland den Klimaschutz nicht ausblenden. Er muss im Kontext betrachtet werden. Es liegt im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft, dass wir den Klimaschutz vorrangig unterstützen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Der Klimaschutz muss auch vonseiten der deutschen Wirtschaft unterstützt werden. Entsprechende Signale sind deutlich zu verspüren. Dass wir in der Ressortabstimmung an einen Punkt gelangt sind, an dem es verschiedene Meinungen über die Ausgestaltung und die Tiefe bestimmter Aussagen gibt, ist besser zu verstehen, wenn man das in diesen Kontext stellt. Ich bitte an dieser Stelle die Opposition, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ziele, die wir uns gesetzt haben, nur zu erreichen sind, wenn ein Klimaschutzplan aufgestellt wird, der auch umsetzbar ist. Dazu gehört, alle gesellschaftlichen Gruppierungen einschließlich der deutschen Wirtschaft mitzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dass wir uns in unserem vorliegenden Antrag zur Unterstützung des Prozesses nach Marrakesch nicht in Details ergehen, hängt damit zusammen, dass bereits ein unglaublich großes Maßnahmenbündel beschlossen wurde. Es ist nicht nötig, erneut alle Maßnahmen einzeln aufzuführen. Es ist wichtig, dass dieser Antrag nicht ein schlichtes Auflisten von Maßnahmen, sondern eine Unterstützung für die beiden Vertreter der Bundesregierung, Bundesminister Müller und Bundesministerin Hendricks, auf ihrem Weg nach Marrakesch darstellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich begrüße unter dem Aspekt der Entwicklungszusammenarbeit – ich bin Mitglied des AwZ –, dass in unserem Antrag der globale Ansatz so deutlich hervorgehoben wird. Ich bedanke mich bei Ministerin Hendricks, dass sie den globalen partnerschaftlichen Ansatz ausdrücklich erwähnt hat. Es ist gut, dass beide Ministerien in Marrakesch vertreten sind. Klar ist, dass wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in Solidarität mit den Menschen, die von klimatischen Auswirkungen betroffen sind – das wurde heute schon in einigen Reden deutlich gemacht –, über die Bereiche Minderung, Anpassung und Resilienz reden und die Entwicklungsländer in ihren Anstrengungen unterstützen. Wir wollen zusammen mit unseren Durchführungsorganisationen wie der GIZ, der KfW, der DEG und den Entwicklungsbanken Projekte und Programme entwickeln. Wir müssen auch die Entwicklungsbanken unterstützen und ihnen weiterhin den Freiraum geben, in der Entwicklungszusammenarbeit, bei der Finanzierung klimapolitischer Maßnahmen, der Umsetzung von Klimaprojekten sowie bei Minderung, Anpassung und Resilienz zum Schutz der Bevölkerung aktiv zu sein, damit nicht das passiert, was vielleicht schon in einigen Regionen der Erde nicht mehr zu verhindern ist, nämlich dass zu viele Menschen aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlieren oder dass die Ernährungssicherheit nicht mehr gewährleistet ist. Gerade die Arbeit in einem Bereich wie Ernährung macht einen erheblichen Anteil der Entwicklungszusammenarbeit aus. Trinkwasser ist ein Thema; Bewässerung ist ein Thema. Auch das Thema Gesundheit spielt dabei natürlich eine Rolle. All das ist im Portfolio der EZ. Ich freue mich darüber, dass an dieser Stelle klargestellt werden kann, dass die Haushaltsmittel, die das BMZ in den letzten Jahren an Aufwuchs bekommen hat, zu einem erheblichen Teil gerade in diese Bereiche investiert werden. Das BMZ ist einer der größten Klimafinanzierer innerhalb Europas. Ich glaube, es ist das am besten ausgestattete Ressort der Bundesregierung, was Klimafinanzierung angeht. Ich kann nur sagen: Wenn ich mir Projekte in der Welt anschaue, ob es Bewässerungsprojekte oder Resilienzprojekte sind, stelle ich fest: Das sind alles gute Projekte, die in den letzten zwei, drei Jahren noch einmal hervorgehoben und auch bearbeitet worden sind. Daher richte ich an dieser Stelle einen recht herzlichen Dank an das BMZ dafür, was in dieser Zeit geleistet worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Der letzte Bereich, den ich an dieser Stelle noch hervorheben möchte – auch der Kollege Schwabe hat ihn schon hervorgehoben –, sind die Menschenrechte. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass wir im Zusammenhang mit Klimaveränderungen, aber auch im Zusammenwirken mit partnerschaftlichen Projekten und Programmen in der Welt gerade das Thema Menschenrechte immer mit im Gepäck haben. Ich glaube, die deutsche Bundeskanzlerin ist die Letzte, der man vorwerfen kann, dieses Thema nicht immer wieder anzusprechen und deutlich zu machen. Wir können froh sein, dass wir in der Regierungsführung, angefangen bei der Kanzlerin über die zuständigen Minister, gestandene Leute haben, die dazu in der Welt immer wieder klar Position beziehen. Das ist es allemal wert, hier im Parlament, auch mit diesem Antrag, unterstützt zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Abschließend möchte ich sagen, dass ich natürlich um Zustimmung für unseren Antrag bitte. Aber ich möchte, um die Kritik, die hier zur Art und Weise der Erarbeitung des Klimaschutzplanes vorgetragen worden ist, ein bisschen einzufangen, auch sagen: Der Klimaschutzplan ist uns allen zu wichtig, um ihn von einem einzigen Termin abhängig zu machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht auch gar nicht!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Peter Stein. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10238 mit dem Titel „Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Nein. Der Antrag ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10242 mit dem Titel „Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch in Gang bringen – Dekarbonisierung in Deutschland beschleunigen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 3. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10249 mit dem Titel „Klimaschutz entscheidend voranbringen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Dr. Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Familiennachzug für subsidiär Geschützte) Drucksache 18/10044 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneingeschränkt gewährleisten Drucksache 18/10243 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. (Unruhe) – Bevor ich der ersten Rednerin das Wort gebe, warte ich, bis die Gespräche beendet werden und die Kollegen sich hinsetzen. Ich eröffne nun die Debatte und gebe das Wort Katrin Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wahrscheinlich steckt uns allen noch der Schock der Wahlnacht in den Vereinigten Staaten in den Gliedern. Dazu gibt es viele Auswertungen, und daraus ziehen wir viele Lehren. Eine Lehre ist: Es zahlt sich für Demokraten nicht aus, den anderen Populismus vorzuwerfen und selbst eine andere Politik zu machen, als man vorgibt. Mehr noch als falsche Politik ärgert die Leute nämlich, wenn man ihnen mit Werten kommt, die man in der Rhetorik hochhält, aber in der Praxis unterläuft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage das an dieser Stelle, weil wir zum wiederholten Mal in diesem Parlament über Flüchtlingspolitik reden, reden müssen, reden wollen und weil ich mehr und mehr den Eindruck bekomme, dass Sie eine Flüchtlingspolitik nach dem Motto machen: Wie weit können wir eigentlich gehen, damit Herr Seehofer in München nicht völlig ausrastet? Auf der anderen Seite versuchen Sie immer, Ihre Werte in der Öffentlichkeit hochzuhalten. Ein sehr gravierendes Beispiel dafür ist: Die Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz müssen endlich wieder ihre Familien nach Deutschland holen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie sind in der Koalition drei Parteien, die immer den Schutz und den Wert der Familie hochhalten. Es tut mir leid: Ich kann nicht verstehen, wieso das eigentlich nur für manche Familien gelten soll. Ich kann nicht verstehen, wieso die Sicherheit und das Leben eines Kindes aus Aleppo davon abhängt, dass die CSU im Jahr 2018 Landtagswahlen in Bayern hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nach außen geben Sie sich das freundliche Gesicht. Aber seit dem Herbst 2015 hat das Asylrecht in weiten Teilen eine Aushöhlung nach der anderen erfahren. Nein, Sie haben sich leider nicht für ordentliche und schnelle Verfahren eingesetzt, wie wir das beispielsweise vorgeschlagen haben. Stattdessen haben Sie eine Ausweitung der vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten auf jede – inzwischen hat man dieses Gefühl – x-beliebige Diktatur oder Autokratie vor. Sie installieren ein von Ihnen selbst als gescheitert betrachtetes System neu, nämlich das Dublin-System. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, das Dublin-System sei nicht geeignet. Jetzt haben Sie es rückinstalliert. Sie haben eine Reihe von kleinen Gemeinheiten initiiert, zum Beispiel die Absenkung von Leistungen bei angeblichem Nichtbetreiben des Verfahrens. Das ist deswegen so perfide, weil wir alle wissen, dass es im BAMF nicht genügend Menschen gibt, die die Verfahren bearbeiten können, und weil wir alle wissen, dass bei weitem nicht genügend Deutschkurse angeboten werden etc. pp. Sie teilen in gute und schlechte Flüchtlinge ein. Man kann schon fast zynisch sagen: Sie sind selbst verantwortlich dafür, dass es Spannungen unter den Betroffenen gibt. Ich sage Ihnen: So macht man weder Asylpolitik noch eine vernünftige Integration. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Jetzt wollen Sie Flüchtlinge zusätzlich zu der Abschiebehaft auch noch in einen 14-tägigen Ausreisegewahrsam nehmen, und zwar ohne richterliche Anweisung. Ich weiß nicht, wann Sie zuletzt in einem Gefängnis waren, das Abschiebehäftlinge beherbergt. Diese Leute sagen einem: Das ist überhaupt nicht nötig. – Bei den allerwenigsten besteht nämlich die Gefahr, dass sie untertauchen. Das einzige Problem, das besteht, ist, dass Menschen, die weiß Gott genug hinter sich haben und in aller Regel auch ausreisewillig sind, in den Knast kommen und kriminalisiert werden. Das hat nichts mehr damit zu tun, dass Sie die Verfahren ordentlich machen wollen. Das hat nur noch mit Propaganda in Ihren eigenen Reihen zu tun. Ich warne Sie davor; denn dies führt zu der Spaltung der Gesellschaft, die Sie vorantreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber Sie sind ja noch nicht fertig. Jetzt gibt es den Vorschlag von Herrn de Maizière: Wer auf dem Mittelmeer gerettet worden ist, soll nach Afrika gebracht werden und dort einen Asylantrag stellen. – Wie perfide ist das eigentlich nach dem Türkei-Deal, zu dem ich nachher noch komme? In diesem Jahr sind 3 800 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Darunter waren sehr viele Frauen und sehr viele Kinder. Das sind schon jetzt so viele wie im vergangenen Jahr. Damit zeigt sich: Erstens. Wir sind noch lange nicht bei einer vernünftigen humanitären Asylpolitik und bei einer vernünftigen humanitären Flüchtlingspolitik. Zweitens. Was Sie immer behaupten, dass die Schleuserkriminalität sinkt und dass damit niemand mehr übers Mittelmeer kommen muss, das stimmt einfach nicht. Damit ist der Türkei-Deal doppelt gescheitert, und Sie sind mitverantwortlich für die humanitäre Katastrophe, über die im Moment leider so wenig geredet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Flüchtlingszahlen sind zurückgegangen, aber nicht etwa deshalb, weil es weniger Flüchtlinge gibt oder weil weniger Menschen Heimat und Haus aufgeben, um im kalten Deutschland Kleider von der Altkleidersammlung zu bekommen. Mitnichten! Tatsache ist, dass es wieder die EU-Staaten an den Außengrenzen sind, die die Last tragen. Italien beispielsweise hat 170 000 Geflüchtete aufgenommen und beherbergt. Sie sehen doch, Sie wissen doch, dass Erdogan kein vernünftiger Partner ist, um dieses schwierige Thema zu behandeln. Er kann jeden Tag auf die Idee kommen, zu sagen: Jetzt ist Schluss damit. – Ich bin die Letzte, die nicht sagt: Man muss auch mit Erdogan reden. – Aber man kann sich nicht auf ihn verlassen. Was Sie jetzt tun, ist, zu riskieren, dass wir wieder in eine Situation kommen wie im letzten Jahr. Im Moment werden die Kapazitäten in den Kommunen abgebaut. Im Moment haben wir die Situation, dass es Unruhe gibt, weil sich niemand hier integrieren kann, dessen Familie, dessen Frau und Kinder immer noch in Aleppo sitzen. Was Sie riskieren, ist, dass wir keine vernünftige Flüchtlings- und Integrationspolitik machen. Sie tragen weiter dazu bei, dass die Gesellschaft sich spaltet. Zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bitte Sie herzlich: Sorgen Sie dafür, dass die Kinder, die in Aleppo sitzen, für die Menschen hier in Deutschland schon Patenschaften übernommen haben, dass die Mütter, die in Aleppo oder in anderen Gebieten sitzen, endlich die Chance haben, wieder als Familie zusammenzuleben! Das ist doch das Mindeste, das wir für diese Menschen in dieser Situation tun können. Die Kapazitäten haben wir; die Möglichkeiten haben wir. Bitte fassen Sie sich jetzt ein Herz und sagen: Ja, selbstverständlich machen wir das. Es geht um die Familien. Sie sind das Fundament. – Das steht jedenfalls in Ihrem Grundsatzprogramm. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katrin Göring-Eckardt. – Nächste Rednerin: Barbara Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Woltmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die großen Herausforderungen aufgrund des hohen Flüchtlingszuzugs, die uns seit Ende des vergangenen Jahres zum Handeln zwingen, sind längst noch nicht bewältigt. Obwohl es uns gelungen ist, durch mehrere Gesetzespakete und Personalaufstockungen an den richtigen Stellen wieder Ordnung in das überlastete Asylsystem zu bringen, liegt noch viel Arbeit vor uns. Schwierige Zeiten erfordern entschiedenes Handeln. Die bislang getroffenen Maßnahmen belegen, dass der Gesetzgeber handlungsfähig ist. Wir haben den ungeregelten Zuzug von Migranten weitgehend unterbunden und sind zu einem geordneten Verfahren zurückgekehrt. Im Februar dieses Jahres haben wir mit der Verabschiedung des Asylpakets II einen – zugegeben – schwierigen, aber wichtigen Schritt getan. Dazu gehört, dass für diejenigen Flüchtlinge, die subsidiären Schutz erhalten, der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt wird. Subsidiär Schutzberechtigte, also Menschen, die vor Bürgerkrieg fliehen müssen, bleiben in der Regel nicht auf Dauer in Deutschland. Das ist generell so. Auch die GFK-Flüchtlinge bekommen nur ein Schutzrecht auf Zeit. Ihr Status wird nach zwei Jahren überprüft und, falls die Situation im Herkunftsland sich verbessert hat, nicht verlängert. Ich halte es auch für gerechtfertigt, einen dauerhaften Bleibetitel abzuwarten, bevor die Familie nachkommt, um nicht ganze Familien zurückschicken zu müssen. Dabei ist wichtig: Die Aussetzung des Familiennachzugs betrifft diejenigen Menschen, die ihre Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte nach dem 17. März 2016 erhalten haben. Nur solche sind von dieser Regelung betroffen. Wir erinnern uns: Im Jahr 2015 wurden die meisten Asylverfahren von Antragstellern, vor allem aus Syrien, im schriftlichen Verfahren ohne persönliche Anhörung bearbeitet. Die individuellen Fluchtgründe hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in dieser Zeit nicht erfasst. So konnte leider auch Missbrauch getrieben werden. Das war ein unhaltbarer Zustand, der so nicht bleiben konnte. Vor diesem Hintergrund haben wir mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren am 17. März 2016 beschlossen, alle Asylantragsteller unabhängig vom Datum der Einreise wieder persönlich anzuhören. Ich halte dies für eine richtige Entscheidung; denn nur so können wir feststellen, welcher Fluchtgrund den Einzelnen nach Deutschland geführt hat und welcher Flüchtlingsstatus der richtige ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Seit Wiederaufnahme der persönlichen Anhörung ermittelte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei syrischen Antragstellern vermehrt, dass viele Menschen zwar vom Bürgerkrieg betroffen sind, jedoch nicht individuell verfolgt werden. Und das führt nach der geltenden Rechtslage zur Gewährung subsidiären Schutzes. Ein Beispiel: In allen Landesteilen Syriens kann eine individuelle Verfolgung im Sinne des § 3 Asylgesetz, also wegen Rasse, Religion oder politischer Überzeugung, stattfinden, und zwar sowohl durch die syrische Regierung als auch durch den IS. Wenn eine solche individuelle Verfolgung festgestellt wird, dann erfolgt eine Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Von Januar bis September 2016 wurde diese Flüchtlingseigenschaft bei 142 000 schutzberechtigten Syrern festgestellt. Liegt aber eine individuelle Verfolgung nicht vor, weil sich die Menschen schon in Einrichtungen in den Anrainerländern befinden, kann stattdessen eine, ich will es einmal so beschreiben, allgemeine Gefährdungslage durch Bürgerkrieg bestehen. Dann kommt die Gewährung subsidiären Schutzes in Betracht. Diesen Status haben im Zeitraum von Januar bis September 2016 rund 75 000 Menschen zugesprochen bekommen. Diese Gruppe ist nun von der zweijährigen Aussetzung des Familiennachzugs betroffen. Eines muss ich aber auch noch klarstellen: Die Aussetzung des Familiennachzugs schließt die Aufnahme von Familienmitgliedern aus humanitären Gründen nicht völlig aus. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht völlig?) In einzelnen Ausnahmefällen kann eine Aufnahme nach § 22 Aufenthaltsgesetz in Betracht kommen. Danach kann einem Ausländer aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen oder auch zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland ein Aufenthaltstitel nach § 22 Aufenthaltsgesetz erteilt werden. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Finden Sie das gut? Und wenn ja, warum?) Das Auswärtige Amt kann in eigener Zuständigkeit oder auch in Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden auf der Grundlage von § 22 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz eine Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn eine besondere Notsituation dies unausweichlich macht; aber es muss sich dann um eine besondere Notlage handeln. Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass bei der Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen der EU-Kontingente eine familiäre Bindung berücksichtigt werden kann. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Woltmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Beck? Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ach, Herr Beck. – Ja, bitte schön. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guten Morgen, Frau Woltmann. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Guten Morgen, Herr Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es freut mich, mit Ihnen zu sprechen. – Ich wollte Sie etwas zu § 22 Aufenthaltsgesetz fragen. Dieser Paragraf ist ja eigentlich eine prima Regelung, aber meines Erachtens leider der toteste Paragraf des Aufenthaltsgesetzes. Wie viele Aufnahmeentscheidungen nach § 22 Aufenthaltsgesetz hat es im letzten Jahr und wie viele in diesem Jahr gegeben? Ich kenne einen Fall, um den ich mich selbst gekümmert habe. Ansonsten kriegt man das in der Regel nie hin. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ich kann Ihnen die genauen Zahlen jetzt auch nicht nennen. Aber es sind im letzten Jahr wenige gewesen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tippen Sie auf einstellig, zweistellig oder dreistellig? – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es gibt keinen einzigen Fall!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt antwortet Frau Woltmann. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Das kann ich jetzt nicht sagen, da ich die Zahlen hier nicht parat habe. Ich will die Frage aber gerne später noch beantworten. Wir haben festgestellt, dass wir durch die hohe Anzahl der Flüchtlinge, der Migranten, die im letzten Jahr zu uns gekommen sind – über 1 Million; ich hatte das ja schon zu Beginn gesagt –, sehr große Schwierigkeiten gehabt haben, das Ganze wieder in ein geordnetes Verfahren zu überführen. Wir tun das ja auch nicht, um irgendjemanden durch eine gesetzliche Regelung zu ärgern. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte wissen, wie viele es nach § 22 sind!) Vielmehr wollen wir einfach wieder zu einem geordneten Verfahren kommen, sonst überfordern wir Deutschland, sonst überfordern wir sehr viele. Aber ich komme in meiner Rede auch noch darauf zurück. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sollten uns vielleicht als Innenausschuss gemeinsam über die Praxis bei diesem Paragrafen unterhalten!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt ist Frau Woltmann wieder dran. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ich hatte bereits gesagt, dass es bei humanitären Gründen eine Härtefallregelung gibt und dass wir auf dieser Basis Menschen in besonderen Notlagen helfen können. Für anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gilt weiterhin der privilegierte Familiennachzug. Das heißt, es muss nicht nachgewiesen werden, ob der Lebensunterhalt gesichert ist oder ob Wohnraum zur Verfügung steht. Das alles muss nicht gemacht werden. Wenn wir die subsidiär schutzbedürftigen Menschen wieder gleichstellen würden, hieße das, auch für diese Menschen muss das nicht gegeben sein. Das ist eine schwierige Situation. Wir müssen bei dieser Diskussion beachten, dass gerade unsere Kommunen, aber auch viele Ehrenamtliche mit der Integration von Schutzberechtigten vor einer immensen Herausforderung stehen. Sie sind letzten Endes dafür verantwortlich, dass die Unterbringung und die Integration der Flüchtlinge so gut gelingt, wie wir es uns vorstellen und wünschen. Das Fehlen von Wohnraum in vielen Kommunen spielt dabei eine große und entscheidende Rolle. Deswegen halte ich es für richtig, diese getroffenen Maßnahmen, die wir durch das Gesetz so beschlossen haben, erst einmal wirken zu lassen. Wir lehnen es daher ab, die erst vor einem halben Jahr mit gutem Grund eingeführte Wartefrist für den Familiennachzug zurückzunehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Woltmann, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Meiwald zu akzeptieren? Barbara Woltmann (CDU/CSU): Nein. – Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie verweisen in Ihren Anträgen auf die Neubestimmung des Bleiberechts und der vereinfachten Aufenthaltsbeendigung, die wir 2015 verabschiedet haben. Ja, das ist so. Da haben wir diesen Personenkreis einbezogen. Aber wir haben in der Zwischenzeit eine veränderte Situation, nämlich die von mir schon erwähnten 1 Million Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, was wir in Deutschland erst einmal bewältigen und umsetzen müssen. Als wir das Gesetz 2015 verabschiedet haben, kamen noch nicht täglich 6 000 bis 10 000 Menschen nach Deutschland. All diese Menschen müssen untergebracht werden. Sie müssen versorgt werden. Auch die Familien, die dann nachziehen, müssen versorgt werden, brauchen Wohnraum. Um eine Überforderung der Kommunen zu verhindern, war und ist eine Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige um zwei Jahre erforderlich und gerechtfertigt. Lassen Sie mich noch eines klarstellen. Wir haben Regelungen für anerkennte Flüchtlinge, ihre Familien nachzuholen. Dazu gehören Eltern und Kinder, also die Kernfamilie. Wir müssen in der Abwägung aller Fakten und Positionen darauf achten, dass weder die Menschen noch die Kapazitäten in unserem Land überfordert werden. Wir müssen erst einmal denen helfen, die hier sind. Es ist eine verantwortungsvolle Abwägung, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wenn die Kinder im Kriegsgebiet sind!) der wir uns ständig stellen müssen. Die Bundesrepublik Deutschland wird ihrer Verantwortung in der Flüchtlingsfrage mehr als gerecht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Barbara Woltmann. – Die nächste Rednerin: Ulla Jelpke für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin Woltmann, die Bilder aus Syrien, aus Aleppo, aus den Kriegsgebieten, die wir tagtäglich sehen, zeigen, dass die Menschen, die dort fliehen, wahrscheinlich Jahre nicht zurückkehren können, weil das Land dermaßen zerstört ist. Schon deswegen ist der subsidiäre Schutz im Grunde eine einzige Grundgesetzverletzung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Das ist es nicht!) Es ist ein Grundrecht, das wir haben. Es ist eine schlimme Menschenrechtsverletzung, die Sie hier gerechtfertigt haben. Deswegen möchte ich hier noch einmal deutlich sagen: Der Gesetzentwurf der Grünen und der Antrag der Linken, die heute hier vorliegen, wollen genau diese Menschenrechtsverletzungen – den um zwei Jahre verzögerten Familiennachzug oder lange Wartezeiten für anerkannte Flüchtlinge – rückgängig machen und korrigieren. Wir müssen wieder zu Grundrechten kommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will das auch erklären. Es geht hier um Folgendes: Für Flüchtlinge, die nur einen subsidiären Schutz haben – einen sogenannten vorübergehenden Schutz, auf ein Jahr befristet –, wird gemäß Asylpaket II der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt. Mit dem Paket haben die Bundesregierung und auch diejenigen, die es hier im Bundestag beschlossen haben, bewirkt, dass Familien auseinandergerissen werden und menschliche Tragödien verschärft werden. Das ist aus unserer Sicht einfach unerträglich und Ausdruck einer verachtenden Menschenrechtspolitik. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich möchte Ihnen hier einen praktischen Fall vorstellen. Asma, eine Mutter von vier Kindern aus Syrien, musste mit ansehen, wie ihr Mann vom sogenannten „Islamischen Staat“ ermordet wurde. Auf ihrer Flucht nach Deutschland wird ihre Familie zerrissen: Sie ist mit zwei Kindern hier, und zwei ihrer Töchter sind in der Türkei in einem Flüchtlingslager; sie sind 15 und 16 Jahre alt. Asma hat hier in Deutschland nur den subsidiären Schutz erhalten, muss also jedes Jahr erneut nachsuchen, und die Familienzusammenführung ist für zwei Jahre ausgesetzt worden. Ihre Töchter sind, wie gesagt, 16 und 15 Jahre alt. In dem Moment, in dem das Recht auf Familienzusammenführung eintreten würde, gilt es im Grunde genommen für diese Familie nicht mehr, weil die Töchter ab einem Alter von 18 Jahren nicht mehr das Recht haben, nach Deutschland geholt zu werden. Hier muss man festhalten: Eine Mutter, deren Familie zerrissen worden ist, ist natürlich schwer traumatisiert. Und da fragt man sich immer wieder: Wie soll eigentlich vor dem Hintergrund einer so menschenverachtenden Politik Integration gelingen? (Beifall bei der LINKEN) Ich erinnere mich noch sehr genau, wie der Innenminister hier im Februar gesagt hat, wir müssten jetzt notwendige Härten in Kauf nehmen. Aber man muss sie eben nicht in Kauf nehmen. Tun Sie nicht immer so, als wenn es nicht möglich wäre, die Familien hier wirklich aufzunehmen! (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Reden Sie auch mal mit Kommunalpolitikern? Nein!) Wenn man den politischen Willen hat, dann ist es auch möglich. Ich finde es einfach nur noch abscheulich, wie hier immer wieder von Ihnen versucht wird, Menschen voneinander zu trennen und Familien zu zerreißen. Damit praktizieren Sie – insbesondere Sie auf der rechten Seite – eine Integrationsverweigerungspolitik. (Beifall bei der LINKEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Meine Damen und Herren, das Gesetz wurde damals mit der Behauptung durchgeboxt – das richtet sich jetzt insbesondere an meine Kollegen von der SPD –, der subsidiäre Schutz würde ja nur Einzelne treffen. Doch muss man ganz klar sagen: Kaum war das Gesetz da, hat sich das geändert. Noch im Februar hatten wir einen sehr hohen Anteil von Anerkennungen als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Anteil der Anerkennungen als Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz lag bei nur 1,2 Prozent; alle anderen syrischen Flüchtlinge – fast 99 Prozent – bekamen eine Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Heute liegt der Anteil der subsidiär Geschützten bei 73 Prozent. Man muss hier festhalten: Mehrheitlich sind hiervon Familien aus Syrien betroffen. Mit dieser Politik will die Koalition offenbar abschrecken, aber eben auch rechte Ressentiments bedienen; wir erleben es immer wieder, dass man der AfD hinterherkriecht. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Frechheit, absolute Frechheit, Frau Kollegin!) – Nein, es ist wirklich so, dass Sie sich im Grunde immer wieder anbiedern. Ich halte es für einen Skandal, dass Sie die Menschen dazu missbrauchen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: „Skandal“! Das Wort hat noch gefehlt! – Martin Patzelt [CDU/CSU]: „Skandal“? Das sind Unterstellungen! Ein Skandal sind die Unterstellungen!) Ich habe es eben schon gesagt: Es ist nicht nur zynisch, sondern meines Erachtens auch verfassungswidrig. Das sieht man jetzt schon daran, dass etwa 25 000 Menschen geklagt haben und bei 90 Prozent der Entscheidungen vor Gericht recht bekommen haben. Es wurde entschieden, dass der Status des subsidiären Schutzes nicht rechtens ist und dass die Familien nachziehen können, sobald der Status des Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurde. Generell muss man sich fragen: Wie kann man eigentlich den subsidiären Schutz für Flüchtlinge aus Kriegsländern verhängen? Es geht um Länder wie Syrien, Irak und Afghanistan. Wir wissen doch, dass dort eine Rückkehr nicht möglich ist. Man verunsichert doch die Flüchtlinge, wenn man ihnen für ein Jahr Schutz gewährt und ihnen verdeutlicht, dass sie dann möglicherweise ins Kriegsland zurückkehren müssen. Wer sind wir denn eigentlich, dass wir diesen Menschen keine Sicherheit geben, auch mit Blick auf ihre Integration? (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Asyl ist immer ein Anspruch auf Zeit!) Kriegsflüchtlinge müssen im Regelfall wieder den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen – das sieht der Gesetzentwurf der Grünen, aber auch der Antrag der Linken vor. Wir wollen, dass die Verfahren beschleunigt werden. Sie haben hier dargelegt, Frau Woltmann, dass das schriftliche Anerkennungsverfahren nicht tauglich ist, weil möglicherweise Missbrauch stattgefunden hat. (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: „Möglicherweise“? Der hat stattgefunden!) Gucken Sie sich einmal die Antworten der Bundesregierung an. Da stellen Sie fest, dass wir so gut wie gar keinen Missbrauch haben. (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Ach was!) Dann muss man auch einfach mal wieder zur Realität übergehen und wirklich schnelle Verfahren durchführen. Meiner Meinung nach muss man hier noch andere Punkte ansprechen. 800 Kinder und Jugendliche, die aus Syrien und anderen Krisengebieten geflohen sind, haben in Deutschland auch nur den subsidiären Schutz. Ein Jugendlicher hat neulich zu mir gesagt: Solange meine Familie im Krieg ist, ist ein Teil von mir auch noch dort. – Da frage ich Sie: Wie nehmen Sie es eigentlich mit der Kinderrechtskonvention? Ist es nicht im Interesse des Kindeswohls, dass man alles tut, um so schnell wie möglich die Eltern nachzuholen? Ich meine, ja, und es muss unbedingt wieder eingeführt werden, dass wir Kindern hier das Kindesrecht auch zukommen lassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt noch einige Worte an die SPD. Über 50 Abgeordnete haben bei der Abstimmung über das Asylpaket II hier ihre Bauchschmerzen beklagt, gerade was den Punkt angeht, der hier verabschiedet wurde. Ich kann nur sagen: Ich hoffe, Ihre Bauchschmerzen sind inzwischen so schlimm, dass Sie nicht nur mal hier und dort ankündigen, diese Praxis verändern zu wollen, sondern dass Sie endlich den Mumm haben, wirklich etwas zu verändern und entsprechende Initiativen vorlegen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, es ist wirklich ein Skandal, dass die sozialdemokratische Partei so etwas durchgehen lässt. Vielleicht ein Punkt noch. Man muss auch sagen, selbst wenn die zweijährige Aussetzung von Familiennachzug abgewartet wird, aber auch für viele andere, die das entsprechende Recht nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben: Wir haben auch ein Riesenproblem bei den Botschaften. Es gibt Wartezeiten von mehr als einem Jahr, bis überhaupt ein Termin für die Visabeantragung stattfinden kann. Meine Damen und Herren, es dauert Jahre, bis überhaupt – egal ob nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder bei subsidiärem Schutz – die Familien zusammengeführt werden. Auch hier muss endlich etwas geschehen. Wir brauchen mehr Personal in den Botschaften und im Auswärtigen Amt, das das bearbeitet, damit die Familien schneller zusammenkommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Jelpke, erlauben Sie eine Zwischenfrage eines SPD-Kollegen, dessen Namen ich jetzt nicht unmittelbar weiß? Er ist jedenfalls bei der SPD. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, gerne. Christian Petry (SPD): Mein Name ist Christian Petry. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das werde ich mir jetzt ewig merken. Christian Petry (SPD): Ich komme aus dem Saarland, und deswegen frage ich Sie auch: Ein weiterer Saarländer Ihrer Partei, Oskar Lafontaine, hat eine Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen gefordert. Jeder, der darüber hinaus kommt, soll keine Hilfeleistung des Staates mehr bekommen. Angesichts Ihrer Kritik, die Sie eben an der Sozialdemokratie geübt haben, frage ich Sie, ob Sie das etwas einordnen können und ob Sie bereit sind, auch daran Kritik zu üben. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Dafür habe ich eine klare und kurze Antwort: Das Asylrecht kennt keine Obergrenze. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sollten langsam auch Sie begreifen: Obergrenzen hebeln das Grundrecht aus. Deswegen müssen wir gar nicht weiter darüber diskutieren. Obergrenzen gibt es für uns nicht. (Dagmar Ziegler [SPD]: Für uns auch nicht!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber trotzdem an die Redezeit denken. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, ich komme zum Schluss. – Ich habe ganz kurz nur noch einen Punkt; der betrifft im Grunde genommen die Abschottungspolitik, die auf diesem Weg gemacht wird. Das Schlimme ist für mich, dass viele Menschen, deren Familien in Kriegsgebieten oder in elendigen Lagern sitzen, jetzt überlegen, ihr Asylrecht hier an den Nagel zu hängen und zurückzukehren, oder aber dass sie wieder die Schleuser in Anspruch nehmen und die Angehörigen sich auf die gefährlichen Wege des Mittelmeers begeben. Ich finde, es ist ein riesiger Skandal, dass Sie den einzigen legalen Weg für Menschen, die hier sind, Asyl haben und ihre Familien auf legalem Weg herbringen könnten, zumachen. Das muss geändert werden. Ich fordere Sie auf: Unterstützen Sie unsere Anträge. Dann kommen wir der Menschenrechtspolitik wirklich ein ganzes Stück näher. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulla Jelpke. – Nächster Redner für die SPD: Rüdiger Veit. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es waren nicht Bauchschmerzen, sondern schwerwiegendere Gründe, die mich daran gehindert haben, an der Beratung des Asylpakets II teilzunehmen: Ich musste eine gesundheitlich bedingte Auszeit nehmen. Das erleichtert einerseits ein bisschen die Stellungnahme heute, auf der anderen Seite musste ich, um zu erfahren, was damals passiert ist und was der Hintergrund der Entscheidung war, Protokolle lesen und mit Kolleginnen und Kollegen reden. Das habe ich gemacht. In der Tat hätte ich nicht jedes Wort bei den Beiträgen eben von Frau Göring-Eckardt oder von dir, Ulla Jelpke, mit Beifall bedenken können, aber ich will klar und deutlich sagen: Ich bin der Auffassung, dass die Grünen mit ihrem Gesetzentwurf und auch die Linkspartei mit ihrem Antrag in der Sache recht haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Denn als das Asylpaket II mit der Beschränkung des Familiennachzugs verabschiedet worden ist, sind alle Beteiligten – ich betone: alle Beteiligten – davon ausgegangen, dass davon nur ein kleiner Prozentsatz, eine geringe Zahl derjenigen betroffen sein würde, die als Flüchtlinge aus Syrien zu uns kommen. Das kann man in den Protokollen nachlesen, und die Kollegin Staatsministerin Aydan Özoğuz hat das damals in ihrem Debattenbeitrag genauso gesagt wie übrigens die Sachverständigen in der Anhörung des Innenausschusses. Wenige Personen mehr seien davon betroffen – so war damals die Erwartung. Tatsächlich hat es sich so entwickelt: Es gab im Jahr 2015, während der Zeit des schriftlichen Verfahrens, 61 Fälle von subsidiärem Schutz, im Jahr 2016, nach Wiederaufnahme der individuellen Prüfung, gab es über 75 000. Das betrifft, anders als noch im Oktober 2014, wo es gerade einmal 17 Prozent waren, jetzt – das ist richtigerweise gesagt worden – über 70 Prozent aller Menschen, die auf der Suche nach Schutz aus Syrien zu uns gekommen sind. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, war nicht die Geschäftsgrundlage dessen, was damals die SPD-Kolleginnen und Kollegen trotz schwerer Bauchschmerzen bewogen hat, dem Gesetz zuzustimmen. Deswegen werde ich in meiner Fraktion dafür werben – darauf gehe ich am Schluss noch einmal ein –, dem Gesetzentwurf der Grünen oder auch dem Antrag der Linkspartei zuzustimmen. Es sei denn, es gelingt uns – und darum wollen wir uns weiterhin in erster Linie bemühen –, mit unserem Koalitionspartner zu Lösungen zu kommen, durch die wir dieses für uns nicht akzeptable Ergebnis in der Zukunft vermeiden können. Da sind wir übrigens schon seit einigen Wochen und Monaten dran. Zu den Lösungsmöglichkeiten im Einzelnen, auch unterhalb einer gesetzlichen Änderung, werde ich noch kommen. Ich möchte Ihnen aber auch klar und deutlich sagen: Was uns bewegt – und mit Bewegung meine ich, dass man das auch innerlich spürt –, ist doch folgende Situation, in die ich Sie, gerade vonseiten der Union, bitte, sich hineinzuversetzen: die Situation eines Familienvaters, dessen Kinder und dessen Frau sich entweder im Bombenhagel von Aleppo oder an anderen Stellen in Syrien in unmittelbarer Lebensgefahr befinden oder sich unter menschenunwürdigen Bedingungen und ebenso unter Gefährdung ihrer Gesundheit oder sogar ihres Lebens in benachbarten Staaten aufhalten müssen, weil es eben nicht möglich ist, dass sie zu ihrem Vater, zu ihrem Ehemann nach Deutschland kommen können. Da reden wir nicht von zwei Jahren, da reden wir auch nicht von einer Verfahrensdauer von eineinhalb Jahren, sondern Sie müssen die Dauer der Prozesse addiert sehen: Da haben wir zunächst ein Asylverfahren, das zehn, zwölf Monate dauern mag. Dazu kommt sozusagen die Sperrzeit in Form der Aussetzung des Familiennachzugs für die lediglich subsidiär Geschützten. Dann kommt der ganze Prozess der Beantragung – und das ist erst ab dem März 2018 möglich – eines entsprechenden Nachzugsvisums in den Botschaften und Konsulaten der Bundesrepublik, namentlich in Beirut. Wir wissen heute, dass die Bearbeitungszeiten dort allein bis zur Erlangung eines Gesprächstermins bei mehr als einem Jahr liegen, nämlich mittlerweile bei 15 Monaten. Wenn sie all das zusammenzählen, heißt das im Klartext: Derjenige, der in Deutschland als Flüchtling lediglich subsidiären Schutz bekommt, der muss mindestens vier, wenn nicht sogar noch mehr Jahre darauf warten, bis seine unter gefährlichen Bedingungen lebenden Familienangehörigen endlich nach Deutschland kommen können. Das halte ich nicht für akzeptabel. Das ist kein Punkt, den wir einfach mal so beiläufig verhandeln können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Welche Möglichkeiten gibt es nun, hier Abhilfe zu schaffen – da appelliere ich in erster Linie an unseren Koalitionspartner –, auch unterhalb einer Gesetzesänderung? Eine Möglichkeit wäre es, zu sagen: Wir nehmen wenigstens jetzt schon die Anträge auf Familienzusammenführung auch von denjenigen entgegen, die lediglich einen subsidiären Schutz haben, und bearbeiten sie, damit diese Personen nicht nach Ablauf der Sperrfrist auch noch die Verfahrenszeit von 15 bis 24 Monaten abwarten müssen. Das ist die eine Möglichkeit. Das setzt eine entsprechende Kooperation zwischen Bundesinnenministerium, nachgeordneten Behörden und Auswärtigem Amt voraus. Ich füge aber hinzu: Das alleine hilft nur bedingt; denn es gibt Kapazitätsprobleme. Es ist ja kein böser Wille des Auswärtigen Amtes oder der Mitarbeiter der Konsulate, dass die Wartezeiten und die Verfahrensdauer so lang sind. Das Problem ist vielmehr, dass wir trotz einer Personalverstärkung um rund 100 Personen, trotz der Schaffung zusätzlicher räumlicher Kapazitäten, vor allen Dingen in Beirut, trotz der Einschaltung der Mithilfe durch IOM ab 2017 diese enorme Bearbeitungszeit haben. Sie zu verkürzen, muss Aufgabe des Auswärtigen Amtes sein. Der gute Wille dazu ist vorhanden. Man könnte aber in der Tat durch entsprechende Erleichterungen in der Verwaltungspraxis vonseiten der Ausländerbehörden dazu beitragen, dass die gesamte Verfahrensdauer verkürzt wird, und man könnte – ich wiederhole diese Anregung – die Verfahren beginnen lassen, bevor die zweijährige Sperrfrist abgelaufen ist. Es gibt noch einen anderen Punkt, auf den ich zu sprechen kommen will. Es ist mehrfach behauptet und unterstellt worden, von NGOs genauso wie von Politikerinnen und Politikern, der Innenminister habe dafür gesorgt, dass die Herkunftsländer-Leitsätze des BAMF geändert wurden, er also durch eine ministerielle Anweisung praktisch die Ursache dafür geschaffen habe, dass überwiegend nur noch subsidiärer Schutz gewährt werde. Das stimmt nicht. Ich habe die Leitsätze selber nachgelesen. Sie sind korrekt. Ich könnte das auch nicht anders machen. Darin werden seitens des BAMF bzw. der Behördenleitung auch die Risikoprofile benannt, bei deren Vorliegen ein GFK-Schutz zu gewähren ist. Aber es gibt einen Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der neu ist. In den Leitsätzen steht nämlich – dementsprechend ist auch die Praxis des BAMF gewesen –, dass die Bedrohung in Syrien nach der bloßen Rückkehr von einem längeren Auslandsaufenthalt alleine keinen Grund mehr darstellt, die betreffenden Menschen als politisch verfolgt anzusehen, und deswegen nur der subsidiäre Schutz infrage kommen kann. In mittlerweile nicht nur 17 000, sondern 18 000 Fällen haben die Betroffenen Verwaltungsgerichte angerufen. Die meisten haben recht bekommen; denn die Verwaltungsgerichte haben überwiegend gesagt: Nein, wir sind der Auffassung, dass das, was den Rückkehrern in Syrien droht, jedenfalls das Merkmal der Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt. Es gibt allerdings ein Obergericht, nämlich das OVG in Münster, das für Nordrhein-Westfalen zuständig ist, das gesagt hat: Wir sind der Auffassung, das, was denen in Syrien dann droht, erfüllt nur die Voraussetzungen für die Anerkennung eines subsidiären Schutzes. – Wenn man sich die Leitsätze der Entscheidung dieses Gerichts einmal anschaut, dann stellt man fest, dass das Gericht davon ausgeht – ich habe am Schluss eine andere Bewertung –, dass denjenigen, die überhaupt als Auskunftspersonen infrage kommen, bei ihrer Rückkehr nach Syrien vonseiten des Regimes Assad Folter droht, um Informationen aus ihnen über die Exilsituation und die persönliche und politische Einstellung manch anderer syrischer Flüchtlinge herauszupressen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht das, was ich mir als Rechtfertigung dafür vorstelle, lediglich subsidiären Schutz zu gewähren. Ich bin der Auffassung: Wem Folter bei der Rückkehr droht, weil man Informationen aus ihm herauspressen will, den muss man als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkennen, der ist politisch verfolgt, dem ist entsprechender Schutz zu gewähren. In der Konsequenz wäre Familiennachzug möglich. – Das ist das, wofür ich plädiere. Zum Schluss sage ich noch einmal: Wenn wir mit dem Koalitionspartner, worauf ich aber immer noch hoffe, nicht zu Ergebnissen kommen, die das nicht akzeptable bisherige Vorgehen vermeiden helfen, werde ich meiner Fraktion nachhaltig empfehlen, dem Gesetzentwurf der Grünen bzw. dem Antrag der Linkspartei zuzustimmen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Rüdiger Veit. – Nächster Redner: Martin Patzelt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Gäste in unserem gemeinsamen Haus! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muss es ja befremdlich und unangemessen, ja vielleicht sogar widersinnig wirken, dass vor sechs Monaten gerade Familienpolitiker der CDU/CSU gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge für die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt haben. Herr Veit, nicht das, was Sie hier gesagt haben, verwundert mich, sondern – da ist „verwundert“ noch ein gelinder Ausdruck – dass Ihre Fraktion Sie hier zu dem Gesetzentwurf und dem Antrag der Opposition sprechen lässt und dass Sie dabei unseren gemeinsamen Beschluss, (Rüdiger Veit [SPD]: Wir sind liberal!) den Sie krankheitsbedingt nicht mitvollziehen konnten und dann versucht haben, nachzuvollziehen, hier für die SPD derart infrage stellen. Das verwundert mich sehr. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist freier Abgeordneter! Dem Gewissen verpflichtet!) Wir sind hinter die Maßstäbe zurückgefallen, die wir uns selbst einmal – das ist gar nicht so lange her – im Zusammenhang mit dem Schutz, den wir Asylberechtigten und Flüchtlingen gesetzlich verbürgen wollten, gesetzt haben; das ist wahr. Insofern verstehe ich den uns vorgelegten Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und den Antrag der Fraktion Die Linke als Anliegen, nochmals öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass die Regierungsfraktionen eine Beschneidung von Rechten respektive allgemein anerkannten Menschenrechten vorgenommen haben. Als Opposition, die außerhalb jeglicher Regierungsverantwortung steht, können Sie locker eine angemessene und menschliche Aufnahme und Betreuung von nahezu 1 Million Schutzsuchender in einem Jahr in unserem Land fordern. Sie können das fordern, weil Sie ja nicht die Verantwortung für diese vielen Menschen haben, auch nicht für die vielen Menschen, die freiwillig noch mehr Verantwortung übernehmen. Sie machen öffentlich darauf aufmerksam, dass wir uns mit dem Aussetzen des Familiennachzuges – dies bedeutet sozusagen eine internationalem Recht widersprechende Trennung von Kindern von ihren Eltern – sozusagen familienfeindlich verhalten. Als Erstes wäre dem entgegenzuhalten, dass nicht wir die Kinder von ihren Eltern getrennt haben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Sondern der Krieg und die Flucht!) In den meisten Fällen haben sich wohl die Eltern selber von ihren Kindern getrennt. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Väter haben vielfach – das beweist eine Vielzahl von Anhörungen – ihre Angehörigen zurückgelassen, (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das ist jetzt wirklich daneben!) weil sie darauf vertrauten – das ist ihnen nicht vorzuwerfen; aber das wird auch durch ihre Argumentation bestätigt –, dass sie nach unseren Gesetzen ihre Familien folgen lassen können. Oder Sie haben ihre Kinder, wenn es sich um unbegleitete Minderjährige handelt, auf höchst ungewisse gefährliche Wege geschickt und in die Hände fremder Menschen gegeben, nicht wissend, wie und wann sie ankommen werden. Das gilt auch für die Väter. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Patzelt, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Frau Brantner? Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Brantner, bitte, aber – – Vizepräsidentin Claudia Roth: So nicht, ja oder nein? Martin Patzelt (CDU/CSU): Ja. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Patzelt, es tut mir leid, aber wir müssen hier nachfassen. Sie stehen ja häufig auch auf der Seite der Kinder und Jugendlichen. Deswegen wundert es mich, dass Sie den Eltern vorwerfen, dass sie ihren Kindern diese gefährliche Überfahrt nicht antun wollen. Da ist es doch selbstverständlich, es zunächst alleine zu wagen, wenn man die Hoffnung hat, dem eigenen Kind diese gefährliche Überfahrt ersparen zu können. Schließlich besteht die Gefahr, dass es dabei stirbt. Warum sollten Eltern also dann dieses Risiko eingehen? Es ist somit unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Kinder legal hierherkommen können, ohne diesen gefährlichen Weg auf sich nehmen zu müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Martin Patzelt (CDU/CSU): Danke für die Frage, Frau Dr. Brantner. – Das kann man wahrscheinlich nur aus einer persönlichen Sicht beantworten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich meine Familie und meine minderjährigen Kinder in dieser Situation zurückgelassen hätte. Das sage ich für mich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal in Damaskus gelebt im Krieg? – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt ist Herr Patzelt wieder dran. Martin Patzelt (CDU/CSU): Stellen Sie eine Frage, wenn Sie etwas wissen möchten. Ansonsten fahre ich fort. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui! Dann kann er ja mal in Damaskus leben! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Unglaublich!) Unsere Erkenntnis ist also, dass vor allen Dingen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in vielen bekannten Fällen als Wegbereiter für den Rest der Familie hierhergeschickt wurden oder dass die Väter als Wegbereiter für ihre Familien vorausgegangen sind. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich das verstehen kann und dass ich das keinem zum Vorwurf mache; aber es ist so, dass man diejenigen in die Gefahr, auf einen Weg mit einem ungewissen Ausgang – das muss man hervorheben – geschickt hat, die für die Familie eine so große Bedeutung haben, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, jetzt doch!) dass man sie mit ihren Familien jetzt so schnell wie möglich wieder zusammenführen will. Abgesehen von den wenigen Fällen, in denen die Kriegsereignisse selber oder die Fluchtwege die jungen Menschen von ihren Familien trennten, haben wir es also mit einem absichtsvollen und geplanten Verhalten der Eltern zu tun. Sie muten sich selbst die Trennung und die Gefahren der Flucht zu – in der ungewissen Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Wir haben von Herrn Veit gehört, wie lange es dauert, ehe ein solches Verfahren erfolgversprechend durchgesetzt werden kann. Wir in Deutschland haben all diese Menschen vorbehaltlos aufgenommen. Wir haben ihnen den erforderlichen Schutz gewährt, und wir werden ihn weiterhin gewähren. Wir haben ihnen Betreuung nach den gleichen Maßstäben wie einheimischen jungen Menschen angedeihen lassen, insbesondere den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Wir haben den gesetzlichen Schutz und die Fürsorge nach dem KJHG den örtlichen Jugendämtern anvertraut. Diese verfügen über die notwendigen Mittel und Erfahrungen, um gerade temporär oder dauerhaft von ihren Familien getrennten Kindern und Jugendlichen eine angemessene Hilfe zu geben. Das ist eine außerordentliche Herausforderung angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, der fremden Kultur, die sie mitbringen, und der gegebenenfalls hinzukommenden traumatischen Belastung. Es ist eine außerordentlich große Leistung, die die Jugendhilfeträger hier im Land erbringen. Wir leisten diese Hilfe unabhängig vom tatsächlichen Status, also egal ob Flüchtlinge, Asylberechtigte oder subsidiär Geschützte. Wir haben diese Hilfe über das Volljährigkeitsalter hinaus verlängert, wenn sie sich noch in Ausbildung befinden, und geben ihnen unabhängig von ihrem gesetzlichen Status sogar ein Bleiberecht für ein weiteres Jahr. Auf der anderen Seite aber gibt es eine große Zahl von in unser Land geflüchteten Menschen, die nicht Asyl oder die Anerkennung als Flüchtlinge in Anspruch nehmen können, sondern sich als Armutsmigranten auf die Suche nach einer besseren persönlichen Zukunft begeben haben und deshalb nicht zufällig in unserem Land angekommen sind. Der zunächst unmittelbare Bedarf an menschenwürdiger Unterbringung und Betreuung, eine gewissenhafte Prüfung des gesetzlich verbürgten Anspruchs auf Bleiberecht, eine sachdienliche und gerechte Verteilung dieser Menschen im Lande, die Rückführung der nicht unter diesem Schutz stehenden Flüchtlinge bzw. die Fürsorge für mindestens ein Drittel der nicht Berechtigten, aber aus verschiedenen Gründen Geduldeten – das waren und sind riesige Herausforderungen, die wir alle miteinander bewältigen wollen und bewältigen müssen. Unter enormer Kraftanstrengung des Bundes, der Länder und der Kommunen in ihrer jeweils unterschiedlichen Verantwortung sowie unserer Bürgergesellschaft, die nach einem kaum fassbaren positiven Willkommen unterdessen ihr Engagement verstetigt, organisiert und vernetzt, kümmern wir uns um all diese vielen Menschen. Wir tun dies im Wissen um die Notwendigkeit einer zeitnahen Integration, besonders in den Bereichen Sprache und Arbeitsvermittlung. Wir tun dies, um die Entwicklung von Parallelgesellschaften aufzuhalten – wohl wissend, dass es in unserem Land viele Ängste vor und Vorbehalte gegenüber den vielen Fremden gibt. Wir werden konfrontiert mit ihrer manchmal befremdenden Kultur, ihrer anderen, unseren Werten und Gesetzen mitunter widersprechenden Lebensweise. Wir müssen feststellen, dass sich in unserem Land auch Widerstände und Gewalt gegen diese Menschen entwickeln; das ist bedauerlich und verabscheuungswürdig. Wir wissen, dass in seltenen Fällen – sie werden dann aber zumindest medial sehr verstärkt – sicher auch feindliche terroristische Interessen unsere Bereitschaft zur Hilfe ausnutzen wollen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser Belastungen und Risiken geben wir Schutz. Wir geben Sicherheit und Kleidung. Wir versuchen, nach und nach für all diese Menschen individuellen Wohnraum verfügbar zu machen. So handeln wir, angefangen beim Gesetzgeber über die Regierung und die Verwaltung bis hin zur Bürgergesellschaft. Wir stellen uns diesen unerwarteten Herausforderungen und erfahren dafür weltweit Ansehen und Dankbarkeit. Wenn wir unter diesen Bedingungen die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge spürbar vermindern – nicht nur bei der Familienzusammenführung –, insbesondere die Zahl derer, die ohne berechtigtes Asylbegehren zu uns kommen, dann ist das nicht allein recht und billig, sondern dann erweist sich dies – das sehe ich so; manche werden das anders sehen – als ein sehr verantwortliches Handeln. Wir haben nämlich die Verantwortung für unsere ganze Gesellschaft. Verehrte Frau Göring-Eckardt, es ist – ja, wie soll ich es sagen? – einfach Ihrer unwürdig, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt nicht spalten!) wenn Sie sagen, dass das Handeln der Regierung deshalb so ist, weil Herr Seehofer im Wahlkampf steht. Dafür gibt es wirklich andere Herausforderungen und Gründe; das darf man nicht billig auf eine parteipolitische Schiene schieben. Wir dürfen die Menschen im Lande auch nicht mit einer solchen Aussage verwirren. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das doch die ganze Zeit!) Wenn Sie so etwas von diesem Pult aus sagen, dann erzeugen Sie den Eindruck, als gehe es nur um parteipolitische Auseinandersetzungen und einen Machtkampf. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch leider so! Ich sage so etwas ja nicht aus Spaß!) Wir haben aber ganz andere Sorgen. Wir wollen den Frieden in unserem Land erhalten. Das wollen wir! (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Na, dann muss die Not ja schon sehr groß sein!) Vor diesem Hintergrund ist es auch zumutbar, dass Flüchtlinge eine temporäre Trennung hinnehmen. Sie haben damit gerechnet, sie sind bewusst losgegangen. Die zumeist erwachsenen Kinder und die Väter, die hier leben, können auf ihre Art und Weise – und das tun sie auch – für ihre Familien auch aus der Ferne sorgen. Sie können auch – das will auch ich noch einmal betonen; das wurde ja von meinen Vorrednern schon gesagt – in den besonderen Einzelfällen einen schnellen Nachzug beantragen. Ein solcher Antrag wird, immer gemessen an den Gefahren, die sich tatsächlich stellen, geprüft werden. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach ja? Könnte ich Ihnen gleich einmal zehn Gegenbeispiele nennen!) Nicht in ganz Syrien – das sage ich auch immer wieder öffentlich – herrscht im Moment Krieg. Die schlimme Situation, die es in einigen umkämpften Städten gibt, ist nicht maßstabgebend für das ganze Land Syrien und auch nicht für die Flüchtlingslage in den angrenzenden Ländern. Wir möchten jedenfalls an die Möglichkeit erinnern, in besonders belastenden Situationen ein solches Verfahren auf den Weg zu bringen, und das wird auch getan. Wir können das auch, wenn Sie wollen, in Zahlen ausdrücken. Ich bin Ihnen, Herr Veit, dankbar für die Vorschläge, die Sie gemacht haben. Dort, wo es möglich ist, sollten wir versuchen, eine Annäherung zu erreichen. (Rüdiger Veit [SPD]: Ich bin schon seit Wochen dran!) Das alles sollten wir ernsthaft prüfen und bereden – mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. So müsste das Gespräch eigentlich erfolgen. Wir, die wir in der Regierungsverantwortung stehen, sagen: Wir müssen den Menschen in unserem Lande etwas zumuten, was dann auch zu bewältigen ist, und zwar im Interesse der Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, und in unserem eigenen Interesse. Das müssen wir ausbalancieren. Dazu hat die Opposition keine Veranlassung. Sie kann hier sehr schön mit Forderungen auftreten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Patzelt, denken Sie trotzdem an Ihre Redezeit. Martin Patzelt (CDU/CSU): Ja, das mache ich, danke schön. Ich bemühe mich, zum Ende zu kommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, Sie müssen zum Ende kommen. Martin Patzelt (CDU/CSU): Dann lassen Sie mich noch ein Schlusszitat vortragen. Es stammt von einem glaubwürdigen und überzeugenden Verfechter der Hilfen für Menschen, die in Not sind. Papst Franziskus sagte: Die Regierenden müssen sehr offen sein, sie – die Flüchtlinge – zu empfangen, aber auch kalkulieren, wie man sie unterbringt. Denn einen Flüchtling muss man nicht nur empfangen, sondern auch integrieren. Und der Papst warnt, wer die eigene Aufnahmefähigkeit ohne Augenmaß berechne, ist am Ende nicht in der Lage, eine Eingliederung – da sage ich, das gilt auch mental – zu ermöglichen. Die Folge könne eine gefährliche „Ghettoisierung“ sein … Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede war mental unchristlich!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächste Rednerin in der Debatte: Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hau rein!) Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Patzelt, ich maße mir nicht an, zu beurteilen, ob es richtig ist, als Familienvater alleine anstatt mit der Familie den Weg über das Mittelmeer zu suchen, und ich maße mir auch nicht an, zu beurteilen, ob man im Bürgerkriegsland bleibt, weil einem vielleicht das Geld fehlt, um die Flucht zu ermöglichen. All das zu beurteilen, maße ich mir schlichtweg deshalb nicht an, weil ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, wie es sein muss, derzeit in Syrien zu leben, und was es alles braucht, um dieser Hölle zu entfliehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Wir Grünen haben den vorliegenden Gesetzentwurf aus drei Gründen geschrieben: Wir glauben, dass wir zumindest einen kleinen Beitrag dazu leisten können, dem unsinnigen Sterben von Menschen – darunter vielen Kindern – auf dem Mittelmeer zumindest ein Stück weit etwas entgegenzusetzen. Frau Kollegin Woltmann, Sie haben gesagt, Sie wünschen sich ein geordnetes Verfahren. Das wünschen wir uns auch. Dem Familiennachzug in seiner Gesamtheit liegt ein geordnetes Verfahren zugrunde. Wir wissen sehr genau, wer kommt, wir wissen genau, wann jemand kommt, und wir wissen, dass er sicher kommt. Diese Argumentation müsste Ihnen eigentlich helfen, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Der Familiennachzug ist einer der wenigen legalen und vor allen Dingen ungefährlichen Möglichkeiten für Schutzbedürftige, der Brutalität des Krieges zu entgehen. Außerdem sind wir der festen Überzeugung, dass eine dauerhafte Integration, also das wirkliche Ankommen in Deutschland, nur gelingen kann, wenn Familien zusammenbleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jemand, der dem Krieg entkommen ist, hat viel zu verarbeiten und wird viel Kraft aufbringen müssen, um hier ein neues Leben aufzubauen. Es ist menschlich nicht zumutbar, dass diese Menschen neben all dem materiellen Verlust, den sie erlitten haben, auch noch das verlieren, was sie am meisten lieben. Familien sind ja – das ist das dritte Argument für unseren Gesetzentwurf – durch unsere Verfassung geschützt. Dieser Verfassungsrang, liebe Kolleginnen und Kollegen, der dem Respekt vor und dem Schutz von Familien zukommt, dieser Verfassungsrang bezieht sich eben nicht nur auf Menschen mit einem deutschen Pass, sondern ist grundsätzlich und muss deshalb auch für geflüchtete Menschen in Deutschland gelten. Dem werden Sie mit dieser Regelung zum Familiennachzug eben nicht gerecht. Sie schützen die Familien nicht, sondern Sie trennen sie dauerhaft – und das sehr bewusst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eines ist vollkommen klar – damit komme ich noch einmal zu der Unterscheidung, ob nach Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt oder subsidiär schutzberechtigt –: Für Menschen beider Gruppen gilt gleichermaßen, dass ein Leben mit der Familie im Heimatland unmöglich ist. Deshalb ist es absolut nicht zu rechtfertigen, eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen bei der Form des Schutzes zu treffen, und entbehrt jeder Grundlage. Weil das so ist, wurden die Regelungen 2015 ja sozusagen angeglichen und beiden Gruppen der Nachzug von Familien gestattet. Erst dann, als klar und deutlich wurde, dass eine große Zahl von Menschen von diesem Recht Gebrauch machen wird, haben Sie das Rad wieder zurückgedreht, und zwar mit dem klaren Ziel, die Quote derjenigen, die den subsidiären Schutz erhalten sollen, zu erhöhen und damit den Nachzug von Familien eben drastisch zu reduzieren. (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Aus gutem Grund!) – Ja, es ist aber ein Zahlenargument, Frau Woltmann, und kein moralisches. Dies hier herauszuarbeiten ist auch Aufgabe der Opposition, und das tun wir hiermit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Rüdiger Veit [SPD] – Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Es ist auch ein moralisches, was Integration betrifft!) Die SPD hat das damals im sogenannten Asylpaket II so mitgetragen. Ich möchte gerne Rüdiger Veit für seine Rede ausdrücklich danken. Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass er das hier so herausarbeitet, Herr Patzelt; denn Abgeordnete sind frei und ihrem Gewissen verpflichtet, (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) und ich glaube, Ihre Rede hier war deutlich ein Appell dafür, dass diese Entscheidung über den vorliegenden Gesetzentwurf eben nicht nur eine Entscheidung ist, die der Fraktionsdisziplin unterliegt, sondern auch eine, die dem Gewissen Rechnung tragen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das sollte bei jeder Entscheidung der Fall sein!) – Ja, das wünschen wir uns auch, dass dies bei jeder Entscheidung so gemacht wird. Bei dieser ist es aber sehr offensichtlich, und davon hat Rüdiger Veit, wie ich finde, sehr treffend Gebrauch gemacht. Nun kann man der SPD unterstellen, dass es entweder naiv oder aber knallhart kalkuliert war. Ich stelle mich da auf keine Seite. Aber beides ist kein Ruhmeszeugnis; denn es ist Fakt, dass die Annahme, es werde nur eine kleine Gruppe von Menschen treffen, falsch war. Wir haben das damals schon kommen sehen – Sie nicht. Das ist nicht weiter schlimm; denn wir geben Ihnen ja jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Möglichkeit, darauf zu reagieren und diese Entscheidung zu korrigieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Sie haben eben nicht erkannt, dass es eine deutlich größere Gruppe als angenommen treffen wird. Sie haben auch nicht erkannt, dass die Dauer der Trennung bis zum Familiennachzug deutlich länger sein wird, nämlich bis zu fünf Jahre. Ich kann dazu nur sagen: Mein Sohn ist anderthalb Jahre alt. Die Vorstellung, in dieser wichtigen Zeit fünf Jahre von ihm getrennt zu sein, kann nicht mit dem Hinweis auf eine Wartefrist beschönigt werden. Es wäre eine dauerhafte Trennung, die ich persönlich keinem einzigen Menschen zumuten möchte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen uns auch klarmachen, was das für die Strukturen in Deutschland bedeutet, beispielsweise für die Beratungsverbände, die nicht wissen, wie sie erklären sollen, warum der eine Mensch aus demselben Dorf in Syrien seine Familie sofort nachholen darf, der andere aber erst in zwei Jahren. Das kann man nicht erklären. (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Doch! Das kann man erklären, und ob man das kann!) Man kann auch von den Menschen nicht erwarten, dass sie das erklären; denn es ist unverhältnismäßig. Die veränderte Entscheidungspraxis des Bundesamtes führt darüber hinaus zu einer Reihe von Verwaltungsgerichtsentscheidungen, die unnötig wären und unsere Strukturen massiv belasten. Wir haben unbegleitete Minderjährige, die alleine hierherkommen, 18 Jahre alt werden und dann kein Recht mehr darauf haben, mit ihrer Familie zusammengeführt zu werden, und deshalb dauerhaft, also lebenslang, von ihrer Familie getrennt sein müssen, wenn sie diesen Zustand nicht ändern und vielleicht nach Syrien oder in die Türkei zurückgehen. Kurzum, es ist schlecht für alle Beteiligten: die Betroffenen, die Beratungsstellen, die Gerichte, aber auch für die Zivilgesellschaft. Mein letzter Gedanke: Die Zivilgesellschaft, die sich jetzt über ein Jahr lang mit Zeit, privatem Geld und höchstem Engagement dafür eingesetzt hat, dass Menschen hier ankommen können und eine Perspektive bekommen, sieht jetzt reihenweise Gemüter zerbrechen, weil Menschen hier leben und nicht wissen, wie sie zu ihren Familien kommen können. Auch das demobilisiert eine Gesellschaft, das frustriert eine Gesellschaft, enttäuscht sie von Politik. Auch das müssen wir uns auf die Fahnen schreiben; denn wenn wir diese Leute verlieren, dann verlieren wir deutlich mehr als nur das Engagement für Flüchtlinge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Luise Amtsberg. – Der nächste Redner ist Dr. Lars Castellucci für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Lars Castellucci (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein erstes Plädoyer ist auch, sich hineinzuversetzen, nicht immer nur von Zahlen und von Prozenten zu sprechen, sondern die Menschen hinter diesen Zahlen zu sehen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wer hat denn nur von Zahlen gesprochen?) Lieber Herr Patzelt, nach Ihrer Rede möchte ich auch über die Grenzen dieses Sichhineinversetzens sprechen. Das mache ich in dem Bewusstsein, dass ich Sie sehr schätze. Wir haben gestern den 9. November gefeiert. Das ist ein Tag, an dem wir in Deutschland immer an Erfahrungen mit Diktaturen erinnern, die wir in unserem Land hatten. Eine Erkenntnis, die ich aus diesen Gedenktagen mitnehme, ist, dass es eben eine Grenze bezüglich dessen gibt, was wir wissen können, wie wir uns in dieser Situation verhalten hätten. Wir wissen nicht, ob wir bei den Widerstandskämpfern im Dritten Reich oder bei der Opposition in der DDR gewesen wären (Zuruf von der LINKEN: Kann man nicht vergleichen!) oder ob wir andere Wege gefunden hätten. Es gibt Grenzen des Sichhineinversetzens, und weil es sie gibt, bitte ich darum, nicht zu urteilen, ob ein Familienvater, der in Syrien ist und sagt: „Ich bleibe bei meiner Familie, weil ich mich nicht von ihr trennen kann und weil ich hoffe, sie dort schützen zu können“, ein besserer Familienvater sei als einer, der sagt: Ich mache mich auf den Weg in der Hoffnung, meine Familie nachholen zu können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage von Herrn Patzelt? Dr. Lars Castellucci (SPD): Ja, selbstverständlich. Martin Patzelt (CDU/CSU): Danke. – Es ist nur eine Bemerkung. Ich habe mir nicht anmaßen wollen, über die Menschen, insbesondere über die Väter, in Syrien zu urteilen. Ich habe als Antwort auf die Frage nur von mir persönlich gesprochen. Das habe ich sehr bewusst getan. Diesen von Ihnen erweckten Eindruck wollte ich hier nicht stehen lassen. Danke schön. Dr. Lars Castellucci (SPD): Ich danke Ihnen für Ihre Klarstellung, bleibe aber dabei, dass man nur bis zu einer bestimmten Grenze weiß, wie man selber in dieser Situation entscheiden würde. Wir können uns nicht wirklich in eine solche Situation hineinversetzen, um zu wissen, wie wir handeln würden, wenn wir tatsächlich von diesem Bürgerkrieg betroffen wären. Das wird uns bei aller Anstrengung nicht gelingen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte in meinem Büro einen jungen Syrer zu Besuch, von dem ich jetzt erzählen möchte. Er ist 16 Jahre alt, sein Betreuer vom Landkreis hat ihn begleitet. Dieser Syrer wollte von mir wissen, warum denn sein Asylverfahren noch nicht einmal eröffnet worden ist und wann er seine Familie wiedersehen kann. Seine Familie in Syrien, die ihren Sohn nach Deutschland geschickt hat, während der jüngste Bruder dem Bombenhagel zum Opfer gefallen ist, wird vom IS unter Druck gesetzt. – Was erzählt man so jemandem? Frau Woltmann, Sie haben gesagt: Wir sollen denen helfen, die hier sind. – Diesem Jungen würden wir am meisten helfen, wenn wir es schaffen würden, seine Familie hierherzuholen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte etwas über Werte sagen. Es ist in diesem Zusammenhang von der Herausforderung Integration gesprochen worden. Auch das, liebe Barbara Woltmann, war deine Formulierung. Dazu brauchen wir Wohnraum, Arbeit, Bildung und Sprachkurse. Aber es wird sich doch niemand gut integrieren können, wenn er Angst um seine Familie im Bürgerkrieg haben muss. Der Junge, der bei mir im Büro gewesen ist, hat gesagt: Wissen Sie, ich lerne Deutsch – er konnte schon ziemlich gut Deutsch –, ich strenge mich auch an. Aber mein Asylverfahren ist noch nicht einmal eröffnet worden, obwohl die Menschen um mich herum schon als Flüchtlinge anerkannt sind. Diese stellen sogar das eine oder das andere an. Ist das gerecht? – Dieser Junge lernt vielleicht in einem Integrationskurs oder irgendwo anders, dass wir in Deutschland der Familie einen großen Wert beimessen. Er hat vielleicht auch schon einmal etwas aus dem Grundgesetz gelesen oder gehört, dass die CDU die Familienpartei sein möchte. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Sie ist es auch!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Integration in diesem Land gelingen soll, dann geht es darum, unsere Werte zu vermitteln. Unsere Werte werden wir nur dann gut vermitteln können, wenn wir sie vorleben. Wenn wir die Familie als Wert hochhalten, dann gehört dazu, dass wir es den Menschen ermöglichen, ihre Familie nachzuholen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang wird der Satz gesagt – man möchte ihn nicht immer deutlich aussprechen, aber man hört ihn auf den Gängen, und er ist auch schon angeklungen –: Man kann nicht allen helfen. Jetzt möchte ich eine Situation schildern, in die wir uns hineinversetzen können. Stellen wir uns vor, wir wären mit unserem schwerkranken Kind beim Arzt. Das Wartezimmer ist rappelvoll. Die Sprechstundenzeit endet, aber drei Patienten sind noch nicht behandelt worden. Dann sagt der Arzt: Ich kann nicht allen helfen. Jetzt ist die Sprechstunde geschlossen. – Ich frage uns alle hier: Wer von uns würde das akzeptieren? Ja, es gibt kein ethisches Prinzip, nach dem wir uns überfordern sollen. Das wird von niemandem verlangt. Aber es gibt ein ethisches Prinzip, da zu helfen, wo wir in der Lage sind, zu helfen. Das ist für meine Begriffe hier eindeutig der Fall. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das tun wir ja!) Jetzt möchte ich zum Schluss etwas sagen, was mir das Wichtigste ist. Wir müssen aufpassen, dass wir diese Debatte um Flucht und Migration nicht immer kleinteilig führen und immer nur von engen Grenzen und den Herausforderungen sprechen. (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Man muss auch das Ganze im Auge behalten!) Es heißt, dass 70 Prozent der Flüchtlinge nur subsidiären Schutz zuerkannt bekommen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wo steht das denn?) – Das sind die aktuellen Zahlen, Frau Lindholz. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Nein!) 70 Prozent der Flüchtlinge erhalten nur subsidiären Schutz. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Falsch!) – Sie können das gleich richtigstellen. – Wenn das so ist, wovon ich jetzt erst einmal ausgehe, dann bedeutet das, dass diejenigen, die etwa von Terror, von Folter und von Vergewaltigung bedroht sind und die aus politischen Gründen oder wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit individuell verfolgt werden, gar keine Chance haben, aus dem Bürgerkriegsland herauszukommen. Ich finde, das ist doch das zentrale Thema, dem wir uns stellen müssen. Wir müssen sagen: Als eine Wertegemeinschaft, die wir sind, müssen wir den Menschen, die aufgrund eines Bürgerkrieges oder aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe an Leib und Leben bedroht sind, die Chance geben, aus dieser Situation herauszukommen, und sie hier aufnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dem Kollegen Veit bin ich für seine Rede ebenfalls sehr dankbar. Auch wenn er in der betreffenden Debatte nicht anwesend war, so zählt er doch zu den größten Experten in diesem Hause und hat es gar nicht nötig, an jeder Debatte teilzunehmen. Ich glaube, er hat es sehr klargemacht: Wir haben damals in einer Situation entschieden, in der der Innenminister nach einem Flug vor die Presse getreten ist und gesagt hat, dass für Syrer künftig nur der subsidiäre Schutz gelten soll. Damals gab es einen Aufschrei, und dann wurde das zurückgenommen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wir leben immer noch in einem Rechtsstaat!) Wenn es nur um subsidiären Schutz gehen soll und die Anerkennungsquoten von Syrerinnen und Syrern nach der Flüchtlingskonvention so rückläufig sind, wie es zurzeit der Fall ist, dann ist auch für mich die Geschäftsgrundlage für unseren damaligen Kompromiss entfallen. Deswegen bitte ich Sie, offen zu sein, damit wir bei diesem Thema zueinanderfinden und Lösungen erarbeiten, damit wir den Menschen, die von der schlimmsten Not betroffen sind, in diesem Land auch weiterhin helfen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Castellucci. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, auch der letzten Rednerin in der Debatte Gehör zu schenken. Ich gebe ihr jetzt das Wort. Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber diskutieren und debattieren wir heute eigentlich in diesem Haus? Eigentlich geht es um den Antrag der Linken und den Gesetzentwurf der Grünen, in denen es darum geht, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte, den wir für zwei Jahre ausgesetzt haben, wieder zu ermöglichen. Auch ich, sehr geehrter Herr Castellucci, könnte jetzt von Einzelschicksalen aus meinem Wahlkreis erzählen, von schlimmen Einzelschicksalen, die wir uns selber nicht wünschen. Aber wir haben in Deutschland auch nach unseren Möglichkeiten und Grenzen zu suchen, und wir haben in Deutschland aktuell 1,7 Millionen Ausländer mit Bezug zu Asylverfahren. Um es noch einmal klar zu sagen: Es geht heute nicht um den Familiennachzug von Flüchtlingen nach Artikel 16a unseres Grundgesetzes. Es geht nicht um den Familiennachzug von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Es geht gerade nicht um diese Flüchtlinge, sehr geehrter Herr Castellucci, die persönliche Verfolgungsgründe haben, sondern es geht um die Flüchtlinge, die bei uns nur subsidiären Schutz genießen, das heißt zunächst für ein Jahr, der dann gegebenenfalls verlängert wird. Asylrecht ist vom Grundsatz her immer nur ein Anspruch auf Zeit; es ist kein Daueranspruch, in unserem Land leben zu können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Subsidiären Schutz haben im letzten Jahr 1,2 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge erhalten. Das waren 1 707 Personen. In diesem Jahr ist die Zahl auf 89 000 gestiegen. Das sind 31 Prozent. Der Rest fällt überwiegend unter die Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist so, nicht etwa, weil wir in einer Bananenrepublik leben, sondern in einem Rechtsstaat, der dazu zurückgekehrt ist, Einzelfallanhörungen durchzuführen und klar zu entscheiden, ob jemand, egal aus welchem Land er kommt, Anspruch nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder auf subsidiären Schutz hat. Es geht nicht an, dass wir einfach so, ohne Prüfung im schriftlichen Verfahren, über den Flüchtlingsstatus entscheiden. Insofern macht das Bundesamt nichts anderes, als Recht und Gesetz anzuwenden. Es wurde auch ganz klar gesagt, dass es keine Anweisung gibt, die im Übrigen auch rechtswidrig wäre. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ein Zufall, dass die Zahlen auch steigen, oder wie?) – Mir ist schon klar, dass Sie nicht gerne Zahlen hören. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Ich kenne sie vor allen Dingen!) Sie hören nicht gerne, dass wir in Bayern 134 000 Flüchtlinge aufgenommen haben, dass wir allein in Bayern 4,5 Milliarden Euro investieren und dass der Bund bis 2020  94 Milliarden Euro ausgibt. Sie hören auch nicht gerne Zahlen, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso soll ich das nicht gerne hören? Das ist richtig, dass das so ist!) sondern Sie setzen sich mit Einzelschicksalen auseinander. Aber wir müssen das Große und Ganze im Blick behalten. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Platz für Flüchtlinge! Das ist die Devise!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Lindholz, Moment bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Lindholz redet gerade. Wir sind gerade mitten in einer Debatte. Wir sind nicht auf dem Pausenhof. Ich bitte alle, sich entweder zu setzen oder die Gespräche draußen fortzuführen. Frau Lindholz hat das Recht, dass man ihr zuhört, und ich bitte, dass dieses Recht auch respektiert wird. (Beifall des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das gilt für alle; Herr Hüppe, auch für Sie. – Frau Lindholz, bitte. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Es gibt im Übrigen keine Möglichkeit, grenzenlose Solidarität zu zeigen. Wenn ich mir die Reden der Kollegen von den Grünen und der Linken sowie die des einen oder anderen Kollegen von der SPD vor Augen führe, frage ich mich allen Ernstes: Haben Sie mit Kommunalpolitikern vor Ort gesprochen? (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese können Ihnen erklären, wie schwierig die Situation vor Ort ist, welche Probleme es bei der Unterbringung und der Versorgung der Flüchtlinge gibt und dass der Wohnungsmarkt angespannt ist. Herr Kollege Veit, wir haben uns nicht aus Lust und Laune für die begrenzte Aussetzung des Familiennachzugs beim subsidiären Schutz entschieden. Wir sind auch nicht von falschen Zahlen ausgegangen. Die Union ist von richtigen Zahlen ausgegangen. Wir haben zugleich gesagt, dass die Betreffenden öfter subsidiären Schutz bekommen müssten, als dies aktuell der Fall ist. Wir haben uns dennoch für eine begrenzte Aussetzung ausgesprochen, weil die Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten in den Kommunen aufgrund der Wohnraumknappheit beschränkt sind. Wir wollen die Zuwanderung und die Integration steuern, ordnen und begrenzen. Sie erwecken einen völlig falschen Eindruck, wenn Sie sagen, dass diese Entscheidung aufgrund falscher Zahlen zustande kam. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mir ist es nicht erklärlich, warum Sie heute die Regelung, die Sie gemeinsam mit uns im Februar unter bestimmten Voraussetzungen beschlossen haben, in Abrede stellen. Aber von den beiden Rednern der SPD war wohl nichts anderes zu erwarten. Ich möchte mir nicht länger den Vorwurf gefallen lassen, wir betrieben eine unmenschliche Politik. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber!) Die Schweden haben im letzten und auch in diesem Jahr unter einer rot-grünen Regierung ihr Asylrecht verschärft. Die Schweden haben ebenfalls den Familiennachzug beschränkt. Warum haben sie das gemacht? Weil auch die Schweden gemerkt haben, dass sie an ihre Grenzen stoßen. Frau Kollegin Jelpke, das Asylrecht ist kein schrankenloses Recht. Es stößt dann an seine Schranken, wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Auch ich möchte an dieser Stelle Papst Franziskus zitieren. Er hat den Schweden gesagt: „Einen Flüchtling muss man nicht nur empfangen, sondern auch integrieren.“ Wenn Schweden keine Flüchtlinge mehr empfangen könne, dann geschehe das nicht aus Egoismus, sondern, damit allen ein Zuhause und eine Arbeit gegeben werden könne. Wir sind davon noch immer weit entfernt. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das auch den Kindern und den Säuglingen?) Wir nehmen noch immer in erheblichem Umfang Flüchtlinge auf. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen von 11 642 im vorletzten Jahr auf 42 309 angestiegen. Die Zahl der Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen hat sich dieses Jahr vervielfacht. Wollen wir weiterhin mit unserer Politik dafür sorgen, dass hauptsächlich junge Männer und unbegleitete Minderjährige auf den gefährlichen Fluchtweg geschickt werden? Schon lange kommen die Familienangehörigen im Rahmen des heute zur Diskussion stehenden Familiennachzugs nicht mehr direkt aus Syrien, sondern aus den Anrainerstaaten; das steht sogar in der Antwort auf Ihre Anfrage. Es muss also in erster Linie darum gehen, dass wir Hilfe vor Ort und in den Anrainerstaaten leisten und dass wir in Europa ein gut funktionierendes Asylsystem aufbauen. Wir müssen im Hinblick auf die Aufnahmekapazität in Deutschland steuern, ordnen und begrenzen. Nur dann können wir das schultern. Die Akzeptanz in unserem Land geht nicht dadurch verloren, dass wir den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre aussetzen. Die Akzeptanz in unserem Land geht verloren, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass wir uns nicht mehr um sie und ihre Probleme kümmern und dass wir nicht mehr in der Lage sind, die Migration zu steuern, zu ordnen und zu begrenzen. Dieser Schritt war Teil unserer Maßnahmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Vorlagen nicht zuzustimmen. Auch ich könnte Ihnen viele Einzelfälle und Schicksale, die uns ans Herz gehen, als humanitäre Beispiele nennen. Aber unsere Politik muss sich daran orientieren, die Akzeptanz von Zuwanderung und Migration in Deutschland zu erhalten. Aber Sie haben heute in keiner einzigen Rede von Deutschland, den begrenzten Aufnahmemöglichkeiten der Kommunen und den Problemen vor Ort gesprochen. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) So verlieren wir die Akzeptanz in unserem Land. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Lindholz. – Es tut mir leid, dass es so unruhig war im Saal. Sie sollten einmal in Ihren Fraktionen ansprechen, wie man mit Rednerinnen und Rednern aus den eigenen Fraktionen umgeht. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10044 und 18/10243 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 e sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf: 40.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auflösung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und zur Änderung weiterer Gesetze (Branntweinmonopolverwaltung-Auflösungsgesetz – BfBAG) Drucksache 18/10008 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes Drucksache 18/10026 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes Drucksache 18/10183 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Dezember 2015 über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits Drucksache 18/10212 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam Drucksache 18/10061 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Kultur und Medien ZP 4   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reduzierung, Beschränkung und Verbesserung von Tiertransporten Drucksache 18/10251 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen Drucksache 18/10250 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fairen Wettbewerb in der solidarischen Krankenversicherung ermöglichen – Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches vorantreiben Drucksache 18/10252 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 b bis 41 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 41 b: b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Exportüberschüsse abbauen – Wende in der Lohnpolitik einleiten Drucksachen 18/4837, 18/6251 (Unruhe) – Ich verstehe hier mein eigenes Wort nicht mehr. Ich kann die Sitzung auch gerne unterbrechen; dann gehen wir alle zum Mittagessen oder zum Kaffeetrinken. Aber so macht es einfach keinen Sinn. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6251, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4837 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war die Linke, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 41 c bis 41 j. Tagesordnungspunkt 41 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 367 zu Petitionen Drucksache 18/10048 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 367 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 368 zu Petitionen Drucksache 18/10049 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 368 ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 369 zu Petitionen Drucksache 18/10050 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 369 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen. Dagegengestimmt hat die Linke. Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 41 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 370 zu Petitionen Drucksache 18/10051 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 370 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 371 zu Petitionen Drucksache 18/10052 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 371 ist einstimmig angenommen. Ich will an dieser Stelle den Mitgliedern des Petitionsausschusses einmal für ihre wichtige Arbeit danken, die sie für unser Parlament leisten. (Beifall im ganzen Hause) Sie stehen nicht immer auf den Titelseiten der Zeitungen. Ihre Arbeit ist praktisch nie Gegenstand der ersten Nachricht in der Tagesschau oder bei heute. Vielen herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für das, was Sie hier in diesem Parlament leisten. (Beifall im ganzen Hause) Tagesordnungspunkt 41 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 372 zu Petitionen Drucksache 18/10053 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 372 ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke. Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 41 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 373 zu Petitionen Drucksache 18/10054 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 373 ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen war die Linke. Tagesordnungspunkt 41 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 374 zu Petitionen Drucksache 18/10055 Dazu gibt es drei Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung.1 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt dagegen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Jetzt warten schon einige Kolleginnen und Kollegen schön aufgereiht auf den nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/10096 Die Fraktion der SPD schlägt auf Drucksache 18/10096 den Abgeordneten Johannes Kahrs als ordentliches Mitglied und den Abgeordneten Dennis Rohde als Stellvertreter vor. Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich – das ist wieder eine Bitte; ich bin gespannt, ob mir diese Bitte irgendjemand erfüllt – für einige Hinweise zum Wahlverfahren um Ihre Aufmerksamkeit. Diese Wahl ist geheim. Zur Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens 316 Stimmen, erforderlich. Für diese Wahl benötigen Sie Ihren gelben Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby entnehmen können. Die Wahlunterlagen erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen vor den Wahlkabinen. Zeigen Sie dort bitte Ihren Wahlausweis vor. Dort erhalten Sie die gelbe Stimmkarte für die Wahl des ordentlichen Mitglieds und die blaue Stimmkarte für die Wahl des stellvertretenden Mitglieds sowie einen Wahlumschlag. Auf jeder der beiden Stimmkarten können Sie jeweils ein Kreuz machen. Sie können „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“ ankreuzen. Ungültig sind Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Das müsste Ihnen eigentlich bekannt sein. Die Wahl ist geheim. Das heißt, Sie dürfen Ihre beiden Stimmkarten nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen beide Stimmkarten ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag legen. Anderenfalls wäre die Stimmabgabe ungültig. Die Wahl kann in diesem Fall vorschriftsmäßig wiederholt werden. Das wollen Sie sicherlich vermeiden. Halten Sie sich deswegen bitte an die Regeln! Die Schriftführerinnen und Schriftführer werden darauf achten. Bevor Sie den Wahlumschlag in die Wahlurne werfen, müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren gelben Wahlausweis übergeben. Die Abgabe des Wahlausweises dient als Nachweis für die Beteiligung an der Wahl. Kontrollieren Sie daher bitte, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Soll ich das jetzt wiederholen, oder ist das angekommen? Das kann ich gerne machen. (Zurufe: Nein!) – Gut, dann wiederhole ich das nicht mehr. Sie haben alles zu hundert Prozent verstanden. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich sehe, dass die Tische besetzt sind. Damit eröffne ich die Wahl. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Mitglieder des Hauses ihre Stimme noch nicht abgegeben? – Dann bitte ich, dies jetzt zu tun. Gibt es noch eine Kollegin oder einen Kollegen, die oder der die Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen dann später bekannt gegeben.2 Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, auch diejenigen auf der Regierungsbank, jetzt bitten, ihre Plätze einzunehmen, damit wir in unserer Sitzung fortfahren können. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Vereinbarte Debatte zur aktuellen Lage in der Türkei Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Außenminister Frank-Walter Steinmeier für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist vorgestern Nacht nicht einfacher geworden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Die Sorgen vieler Menschen sind eher größer geworden, und das in einer Zeit, in der die Welt wahrlich genug Anlass zur Sorge hat. Einer dieser Anlässe ist die sich seit Monaten zuspitzende Lage in der Türkei, über die wir heute sprechen und diskutieren können. Ich danke für die Initiative aus den Fraktionen zu dieser Vereinbarten Debatte, nicht nur, weil wir unsere Sorgen ausdrücken wollen über Entlassungswellen, Inhaftierungen, Repressalien, sondern weil wir auch über Konsequenzen in unserem Handeln nachdenken müssen. Ich würde mich freuen, wenn wir es uns dabei nicht zu einfach machen, indem wir entweder diskutieren längs eigener Vorurteile oder Feindbilder gegenüber der Türkei oder Erdogan oder aber nach dem Grundsatz: Ich habe es schon immer gewusst. – Die einfachen Lösungen, die ohnehin selten sind, stehen uns im Falle der Türkei, liebe Kolleginnen und Kollegen, erst recht nicht zur Verfügung. Ich schlage vor, dass wir zunächst einmal anerkennen: Die Türkei erlebt stürmische und bedrohliche Zeiten; und das erleben nicht in erster Linie wir in Deutschland, sondern das erleben vor allen Dingen die Menschen in der Türkei. Viele Menschen dort leiden unter den seit Wochen wachsenden Spannungen, machen sich Sorgen um die Richtung, die das Land einschlägt. In Deutschland haben viele Mitbürger Verwandte, Familie, Freunde in der Türkei. Natürlich geht ihnen allen die Unruhe in der Türkei noch viel näher, und sie leiden mit. Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns zu Anfang gemeinsam Solidarität zeigen: Wir Deutschen stehen an der Seite der Menschen in der Türkei, und wir wollen alles tun und dazu beitragen, die türkische Demokratie zu festigen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es sind bedrohliche Zeiten für die Türkei in gleich mehrerer Hinsicht: Direkt an den Außengrenzen der Türkei toben die schwersten Konflikte unserer Zeit. Rund 3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien hat die Türkei aufgenommen. Die inneren Spannungen des Landes sind weiter ungelöst. Die Versöhnungsversuche der letzten Jahre sind dahin. Der Brückenbau zum kurdischen Südosten ist abgebrochen. Und dann im Juli der Putschversuch, der die Türkei erschüttert hat, ein Angriff auf das Herz der türkischen Demokratie. Es ist ein Glück, dass dieser Versuch schnell gescheitert ist. Wir trauern um die Opfer der Putschnacht, und wir bewundern die vielen, vielen couragierten Menschen in der Türkei, die in dieser Nacht die Verfassung und die demokratischen Institutionen verteidigt haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich wissen wir um die terroristische Bedrohung. Der sogenannte „Islamische Staat“ hat in den letzten Monaten mehrfach in der Türkei zugeschlagen und viel zu viele Menschenleben gekostet, unter ihnen auch elf Deutsche in Istanbul am Anfang dieses Jahres. Noch viel mehr Menschen in der Türkei leben in der ständigen Angst vor den perfiden Waffen des Terrors. Unsere Haltung ist klar und unmissverständlich: Wir verurteilen den Putschversuch. Was geschehen ist, muss aufgearbeitet werden: politisch und auch strafrechtlich; keine Frage. Wir verurteilen jede Form des Terrorismus und gehen mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen terroristische Strukturen vor, inklusive der PKK. Das ist und das bleibt unsere Haltung. Deshalb kann ich die anderslautenden öffentlichen Vorwürfe meines türkischen Kollegen nicht nachvollziehen. Ich weise sie entschieden und mit Nachdruck zurück, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber wenn wir die aktuellen Turbulenzen in der Türkei analysieren, dann müssen wir eben auch fragen, ob das, was wir jetzt beobachten, ob der Personenkreis derjenigen, die jetzt verfolgt werden, wirklich noch im Zusammenhang mit dem Putschversuch oder dem Terrorismus steht. Vor allem müssen wir fragen, ob das Vorgehen der türkischen Regierung mit den Mindeststandards rechtsstaatlicher Verfahren vereinbar ist. Auch darüber müssen wir heute debattieren und mit der Türkei notfalls darüber streiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) All die Stürme, all die Turbulenzen, die die Türkei erlebt, deuten in meinen Augen am Ende ganz klar auf eines hin: Die Türkei steht an einer Wegscheide. Es geht um die Richtung des Landes: entweder hin nach Europa oder weg von Europa, hin zu einer verfassten Demokratie, inklusive einer respektierten parlamentarischen Opposition, oder weg von ihr. Ich glaube, wir sollten an dieser Wegscheide ein deutliches Signal an die Türkei senden, und das Signal heißt: Wir stehen für die europäische Bindung der Türkei. Wir wollen die europäische Bindung der Türkei. Und wenn ich mir die Krisen und Konflikte in der Nachbarschaft der Türkei anschaue, dann sage ich als Außenminister ganz offen: Wir brauchen die europäische Bindung der Türkei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn wir einen nüchternen Blick auf die Fakten werfen, dann stellen wir fest: Die europäische Bindung liegt auch im Interesse der Türkei, ob wir über die wirtschaftlichen Verbindungen nach Europa und Deutschland reden oder über Sicherheit. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so klar diese Fakten, so klar unsere Signale sein mögen: Die Verantwortung für die Richtung, die die Türkei nimmt, liegt allein in der Türkei und nirgendwo anders. Die letzten Wochen haben uns leider gezeigt, dass die Entscheidungen und Maßnahmen der türkischen Führung und auch die rhetorische Eskalation gegenüber engsten Partnern wohl in eine andere Richtung weisen. Ja, wir wünschen uns gute Beziehungen zur Türkei, aber die Realität hat sich verändert, und darauf müssen wir unsere Politik ausrichten. Das hat aus meiner Sicht zwei Seiten: Wir lassen die politische Führung dort nicht aus der Verantwortung. Wir suchen weiterhin und gerade jetzt noch intensiver das Gespräch mit der Regierung. Nächsten Dienstag werde ich zu politischen Gesprächen nach Ankara reisen. Die Sorgen über das, was in der Türkei passiert, betreffen am Ende nicht nur unser bilaterales Verhältnis, sondern sie betreffen die vielen internationalen Institutionen, in denen wir mit der Türkei verbunden sind. Auch da gehören die Themen hin; denn viele der internationalen Bündnisse sind nicht einfach nur Zweckbündnisse, sondern sie sind auch Wertebündnisse. Das ist natürlich der Europarat, das ist aber auch die NATO. Wenn wir die politische Führung in der Türkei in Verantwortung einbinden wollen, dann müssen wir auch diese Foren für kontroverse Debatten nutzen, um wenigstens unseren Standpunkt gegenüber der Türkei klarzumachen. Deshalb gehört in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ein Wort zum Verhältnis der Türkei zur EU. Natürlich – das haben Sie, ich, wir alle miteinander erlebt – kriegen Sie als Politiker am leichtesten Beifall, wenn Sie in jedes Mikrofon „Abbruch aller Gespräche“ sagen. Die Frage ist nur: Ist das klug? Sollten wirklich wir diejenigen sein, die jetzt die Tür zuwerfen? Klar ist doch: Wenn die Türkei die Todesstrafe wiedereinführen sollte, dann ist das unmissverständlich das Ende der Beitrittsgespräche. Aber zugleich weiß ich doch: Wenn wir jetzt die Tür zuschlagen, den Schlüssel wegwerfen, dann enttäuschen wir viele Menschen in der Türkei, die gerade jetzt Hilfe suchend nach Europa schauen und auf Unterstützung hoffen. Deshalb ist das meiner Meinung nach eben nicht der klügste Weg. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU] und Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Dialog mit der politischen Führung ist die eine Seite. Die andere Seite ist die Zivilgesellschaft. Wenn die Zivilgesellschaft in ihrer Existenz bedroht ist, dann ist die Demokratie in ihrer Existenz bedroht. Das ist unsere Erfahrung. Gerade wir Deutsche wissen, wie unendlich wichtig die rechtsstaatlich garantierten Freiräume für Journalismus, Kultur und Wissenschaft sind. Wir wissen auch, wie gefährlich es ist, wenn diese Freiräume unablässig beschnitten werden. Deshalb will ich heute ein Bündel an Maßnahmen vorschlagen, um der türkischen Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken. Erstens. Wir wollen versuchen, verfolgten Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und Journalisten, die in der Türkei nicht mehr arbeiten können, hier in Deutschland die Weiterarbeit zu ermöglichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen die Stipendien der Philipp-Schwartz-Initiative für türkische Forscher deutlich aufstocken, und wir wollen gemeinsam mit der deutschen Kultur- und Medienszene Möglichkeiten für türkische Journalisten und Kulturschaffende schaffen. Zweitens. Wir setzen auf den Austausch unter jungen Menschen. Wir wollen die Deutsch-Türkische Jugendbrücke auch finanziell stärken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Drittens. Wir wollen in der Türkei Freiräume für die Zivilgesellschaft schaffen. Wir wollen die Ernst-Reuter-Initiative neu beleben, und wir wollen beim Goethe-Institut dafür werben, dass es einen Ort für die Zivilgesellschaft in Diyarbakir eröffnet, also gerade in einer kurdisch geprägten Region, und das Modell auf Ismir und Gaziantep erweitert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Viertens. Wir wollen mithelfen, dass die unabhängige und vielfältige Berichterstattung in der Türkei erhalten bleibt. Wir fördern mittlerweile diverse Onlinemedienprojekte, zum Beispiel das Nachrichtenportal eurotopics, das über aktuelle europäische Debatten auf Türkisch berichtet. Schließlich werden wir unsere Rolle als Gastland der Istanbuler Buchmesse nutzen und uns gerade dort für die Freiheit des Wortes, für den Schutz von Kunst und Künstlern starkmachen. Dieses Paket für die Zivilgesellschaft gehört jetzt genauso essenziell zu unseren Aufgaben wie der intensivierte Dialog, möglicherweise auch die Kontroverse mit der politischen Führung. Beides werde ich in der nächsten Woche, am kommenden Dienstag, in Ankara weiterverfolgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Schluss will ich den Blick etwas weiten: Wenn wir auf die Türkei, aber auch auf die wachsenden Fliehkräfte bei uns in Europa und natürlich auf das Wahlergebnis sowie den Wahlkampf in den USA schauen, dann begleiten uns dabei in der Tat viele Sorgen. Aber wir sollten in unserer eigenen Haltung umso fester stehen. Wir wissen, auf welchen Werten wir stehen, und vor allem, welche politische Kultur wir uns erhalten wollen. Denn wir wissen: Aus Polarisierung und grenzenloser Konfrontation ist noch nie Gutes erwachsen. Das sagen wir auch unseren Freunden in der Türkei. Doch die Entscheidung über den Weg, die wird weiter in Ankara liegen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einigen Wochen war der Vorsitzende der HDP, Herr Demirtas, bei uns zu Gast. Wir haben miteinander gesprochen. Zum Abschluss sagte er zu mir: Den nächsten Kontakt werden wir vermutlich über Briefe aus dem Gefängnis haben. – Ich habe das, ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten und eher für eine sarkastische Überspitzung – trotz der Kenntnis von den Entwicklungen in der Türkei in den letzten Monaten. Aber, meine Damen und Herren, wir alle wissen, genau das ist auf furchtbare Art und Weise eingetreten. Wir haben die Entwicklung gesehen: die gewaltsame Niederschlagung der Proteste im Gezi-Park, die Niederschlagung der Demonstrationen zum Weltfrauentag, die Unterstützung der Türkei für den IS – die Türkei war und ist Transitland des Terrorismus – und, und, und. Auch der jetzt vorgelegte Bericht der EU-Kommission fällt ein katastrophales Urteil über die Türkei. Lieber Frank-Walter Steinmeier, es geht auch uns nicht um einfache Lösungen. Niemand hat einfache Lösungen. Aber das Entscheidende ist: Die Bundesregierung hat in all der Zeit ihre Politik gegenüber der Türkei faktisch nicht verändert. Es gibt keine realen Konsequenzen. Sie haben sogar das Gegenteil gemacht. Ich will einmal daran erinnern: 14 Tage vor der Wahl ist Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Herrn Erdogan gefahren, um ihn de facto zu unterstützen. Was ist denn das sonst? (Beifall bei der LINKEN) Das ist de facto Wahlunterstützung. Damit haben Sie Menschenrechte und Demokratie mit auf den Verhandlungstisch gelegt. Das ist die reale Situation. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Der Außenminister hat mit der Opposition gesprochen!) Aber Menschenrechte und Demokratie gehören niemals und nirgendwo auf den Verhandlungstisch. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe die kritischen Worte eben zur Kenntnis genommen. Auch Ihre Maßnahmen können wir vermutlich weitgehend mittragen. Aber real ist es so: Sie machen gegenüber der Türkei eine Appeasement-Politik und nichts anderes. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen ist das auch heute sichtbar. Wir hätten überhaupt keine Debatte, wenn wir nicht eine Aktuelle Stunde beantragt hätten. Jetzt ist es, Gott sei Dank, eine vereinbarte Debatte. Ich hätte mir heute eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin gewünscht. Das wäre angemessen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier ist nicht ein CDU/CSU-Minister anwesend, während Sie, Herr Steinmeier, hier eine Rede halten. Das ist nicht akzeptabel. Es ist gut, dass alle Parteien die Verhaftung von HDP-Abgeordneten und kurdischen Bürgermeistern verurteilen. Das ist auch wichtig. Aber wichtig sind nicht nur deutliche Worte der Bundesregierung, sondern konkretes Handeln ist notwendig. Wir alle kennen doch die Zahlen: Unter dem Vorwand der Aufklärung des Putsches sind 130 000 Beamte, Lehrer, Wissenschaftler, Journalisten und Polizisten entlassen worden. Es gibt 30 000 Inhaftierte. Unabhängigkeit der Justiz? Fehlanzeige. Über 100 Medien, also Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen, wurden verboten. Can Dündar ist verhaftet worden. Da sagen Sie hier: Die Vielfalt soll erhalten bleiben. Das ist doch wohl ein Witz. Meinungsfreiheit in der Türkei? Fehlanzeige. (Beifall bei der LINKEN) Dass jetzt Abgeordnete der Opposition verhaftet werden – im Übrigen auch die beiden Parteivorsitzenden der HDP –, ist völlig inakzeptabel. Da sind wir doch alle einer Meinung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das geht weiter. Auch alle Abgeordneten der CHP sind von Erdogan angezeigt worden, weil sie sich dagegengestellt haben. Wir lange wollen wir da noch weiter zusehen? Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden dazu nicht schweigen. Wir werden das immer wieder im Parlament und in der Öffentlichkeit thematisieren. Da helfen keine Worte. Frau Merkel muss bereit sein, ihre Politik gegenüber Erdogan zu ändern. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe das Gefühl, dass ihr Verhalten irgendetwas mit dem Flüchtlingsdeal zu tun hat. Ich will eines sagen: Realität ist, dass die Zahl der Waffenexporte in die Türkei in all den Monaten weiter gestiegen ist. In den letzten zwei Jahren, seit Beginn der Flüchtlingskrise, ist die Türkei im Ranking bei den Waffenexporten von Platz 25 auf Platz 8 vorgerückt. Sie tragen die Verantwortung für die Waffenexporte in dieses Land. (Beifall bei der LINKEN) Der Umfang der Waffenlieferungen beträgt rund 200 Millionen Euro. Darunter befindet sich sogar Ausrüstung in Höhe von 420 000 Euro, die in der Anti-Folter-Verordnung aufgeführt ist. So etwas exportieren Sie. Sie können nicht einmal sagen, wo diese Güter alle bleiben. Wir haben die Bundesregierung gefragt, und sie konnte keine Antwort geben. Sie sollten sich teilweise einmal selber zuhören. Gabriel sagt: Wir prüfen bei den Genehmigungen stets im Einzelfall nach Lage vor Ort, wobei gerade auch die Menschenrechtslage eine wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig bietet Ihr Staatsminister Roth offensiv politisches Asyl für Verfolgte. Kann das vielleicht ein Widerspruch sein? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Obwohl die Repressionen gegen Oppositionelle, gegen Journalisten und gegen Kurden weiter zunehmen, setzen Sie auf militärische Zusammenarbeit mit der Türkei. Heute wollen Sie das Mandat in Incirlik verlängern. Dazu gibt es dann noch eine windelweiche Erklärung, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzen will, dass Abgeordnete den Stützpunkt weiterhin besuchen dürfen. Das ist ein NATO-Partner. Wo leben wir denn? Sie sagen im Kern: Erdogan, wir brauchen Sie, Sie können sich daher alles erlauben. – Aber wir sagen: Beenden Sie den menschenunwürdigen Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Beenden Sie die Rüstungsexporte in die Türkei. Die Beitrittsverhandlungen müssen gestoppt werden. Setzen Sie sich unmissverständlich für die Freilassung aller Abgeordneten ein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dies sollten wir möglichst alle gemeinsam tun. Aber die Bundesregierung trägt hier nun einmal eine andere Verantwortung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Franz Jung von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke schon, dass die aktuelle politische Lage in der Türkei mehr als besorgniserregend ist, insbesondere unter dem Aspekt der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Meinungs- und Pressefreiheit. Wir verkennen nicht, dass auch der Putschversuch in der Türkei, durch den man mit Gewalt einen Umsturz herbeiführen wollte, unter keinem demokratischen Aspekt akzeptabel war; denn Bombenangriffe auf ein Parlament sind nicht akzeptabel. Aber auch das Ausmaß der Säuberungen und der Repressalien nach dem Putsch hat nichts mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sind auch die Verhaftungen von und die Repressalien gegenüber frei gewählten Abgeordneten mit Nachdruck zu verurteilen. Ich will das aufnehmen, was der Außenminister hier gesagt hat. Die Türkei steht erheblichen Herausforderungen gegenüber, auch was beispielsweise Angriffe und Terroranschläge anbetrifft, etwa durch ISIS oder die PKK. Wenn ich es richtig gesehen habe, hat es heute wieder einen Anschlag gegeben. Die Türkei hatte in den letzten Wochen mit die meisten Anschläge zu ertragen. Dass deshalb aber Verhaftungen von frei gewählten Abgeordneten durchgeführt werden, kann unter keinem Gesichtspunkt akzeptiert werden. Das hat mit Terrorbekämpfung wahrlich nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich stelle mir die Frage, ob der türkische Präsident – auch im Hinblick auf die Sicherheit in seinem eigenen Land – nicht klüger beraten wäre, wenn er zu dem Versöhnungsprozess mit der PKK zurückkehren würde, um dadurch gegebenenfalls Anschläge in der Zukunft zu verhindern. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist die Aussage von Präsident Erdogan, Deutschland sei ein sicherer Hafen für Terroristen, nicht nur falsch, sondern solche Unterstellungen sind – erst recht gegenüber einem Bündnispartner – auch völlig inakzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, denkt man an die Entwicklung in der Türkei, im Land Kemal Atatürks, muss man leider feststellen, dass die Politik von Präsident Erdogan mit der Politik von Kemal Atatürk nun wahrlich nichts mehr zu tun hat. Er will das Land in einen autoritären, islamisch und nationalistisch geprägten Staat umbauen. Das hat mit den Wertgrundsätzen Europas und der NATO nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen schon darüber nachdenken, welche Maßnahmen wir ergreifen. Der Außenminister hat gerade ein paar Punkte angesprochen. Ich will etwas zu der Forderung, die Beitrittsverhandlungen jetzt auszusetzen, sagen. Unabhängig von der Tatsache, dass die Europäische Kommission hier anders entschieden hat, glaube ich, dass es nicht richtig wäre, den Dialog, der notwendiger denn je ist, jetzt zu unterbrechen. Ich glaube, dass es notwendig ist, das aufzunehmen, was der türkische Außenminister gesagt hat. Er sagte: Wir sollten mit Europa wieder zu der positiven Agenda zurückkehren. – Vor diesem Hintergrund müssen wir den türkischen Außenminister natürlich auch daran erinnern, dass er zuerst zu den Werten Europas zurückkehren muss, bevor wir diese Agenda wieder aufnehmen können. Meine Damen und Herren, in der Türkei herrscht eine Atmosphäre der Einschüchterung und der Gewalt. Die Menschen leiden unter Existenzangst, und sie hoffen auf Europa und die NATO. Gerade deshalb müssen wir jetzt Solidarität mit den Menschen in der Türkei zeigen. Ich finde, es war richtig, dass sich Staatsministerin Böhmer, als sie mit Kolleginnen und Kollegen in der Türkei war, im türkischen Parlament mit Abgeordneten der HDP getroffen hat. Ebenso war es richtig, dass Botschafter Erdmann die Redaktion von Cumhuriyet besucht hat. Ich glaube, es war auch ein richtiges Zeichen, dass der Bundespräsident den Journalisten Can Dündar zu einem Gespräch eingeladen hat. (Beifall des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Auch wenn wir aus all diesen Gründen zu dem Ergebnis kommen, dass die Beitrittsverhandlungen nicht auszusetzen sind, so sehe ich angesichts der derzeitigen politischen Situation aber keine Möglichkeit, weitere Verhandlungskapitel zu eröffnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, eines sollte aus meiner Sicht allerdings auch klar sein: Wenn der türkische Präsident und das türkische Parlament die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen sollten, dann bleibt uns keine andere Wahl, als erstens die Beitrittsverhandlungen komplett auszusetzen und zweitens die Mitgliedschaft der Türkei im Europarat zu beenden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Bartsch, ich glaube, in Bezug auf das Flüchtlingsabkommen wird eines oft vergessen: Dieses Abkommen ist durchaus auch im Interesse der Flüchtlinge. Seit dem Abschluss dieses Abkommens ist kein einziger Flüchtling mehr in der Ägäis ertrunken. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Mehr als jemals zuvor, Herr Jung!) – Seitdem das Abkommen funktioniert, ist diese Zahl unbestritten erheblich zurückgegangen. Die Situation im Mittelmeer sieht anders aus. In diesem Abkommen geht es natürlich auch um die Interessen der Türkei in Bezug auf finanzielle Aspekte. Ich glaube aber, dieses Abkommen dient insbesondere auch den Flüchtlingen. Deshalb darf man das in diesem Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Ich füge aber auch hinzu: Gerade jetzt – wir haben über Terrorismus gesprochen –, da der Kampf gegen ISIS unmittelbar in Mosul und Rakka stattfindet – dort wird der Terrorismus durch die internationale Allianz bekämpft –, wäre es ein völlig falsches Signal, wenn wir die Solidarität mit der internationalen Allianz beenden und aus Incirlik abziehen würden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich halte es aber schon für notwendig – um das klar zu sagen –, dass auch die NATO deutlich macht, dass das derzeitige politische Vorgehen in der Türkei nichts mehr mit den Wertgrundsätzen der NATO zu tun hat. Aufgrund der Flüchtlingssituation und angesichts der Tatsache, dass die Türkei Nachbar von fragilen Staaten wie Syrien und dem Irak ist und vom Terror durch ISIS und die PKK bedroht wird, glaube ich aber, dass alles dafür spricht, dass die Beziehungen zur NATO und zu Europa auch vonseiten der Türkei aufrechterhalten werden und sie wieder zu den Grundsätzen zurückkehrt, die Europa und die NATO prägen. Meine Damen und Herren, ein letzter Gedanke: Ich glaube, in diesem Zusammenhang darf man auch den Faktor Wirtschaft nicht ganz verkennen, der hier auch eine Rolle spielt. Die Türkei hat schon einen erheblichen Einbruch des Tourismus zu verzeichnen. Auch die wirtschaftlichen Investitionen sind zurückgegangen. 60 Prozent der Investitionen in der Türkei stammen aus Europa. Deshalb muss der Präsident auch wissen, dass er seinem Land mit seiner Politik erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügt. Ich denke, aufgrund all dieser Aspekte muss sowohl gegenüber dem türkischen Präsidenten als auch gegenüber der türkischen Regierung die klare Aufforderung bestehen: Kehren Sie zurück zu den Werten Europas und der NATO, zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit und zur Presse- und Meinungsfreiheit! Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Claudia Roth spricht als nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in dieser erschreckenden Zeit in der Türkei erleben, ist nichts anderes als ein Gegenputsch von oben. Tayyip Erdogan spaltet, polarisiert, eskaliert, verbreitet Angst und Schrecken und beugt auch die türkische Verfassung. Das macht ihn mehr und mehr zum Totengräber von Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei. Mit seiner Außenpolitik verfolgt er einen brandgefährlichen, aggressiven Expansionskurs, wie es ihn auch im Irak gegen den Willen der irakischen Regierung und gegen den Willen des irakischen Parlaments gibt. Mosul wird mehr und mehr zum blutigen Schauplatz regionaler Machtinteressen – auch der Interessen von Erdogan. Er träumt von seinem osmanischen Reich, er stellt Landesgrenzen infrage und ähnelt damit beängstigend Wladimir Putin. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!) Mit der Verhaftung von Selahattin Demirtas und Figen Yüksedag, praktisch der Parteispitze der HDP, und zahlreicher weiterer Abgeordneter, die der Massenverhaftung von Bürgermeistern und Kommunalpolitikern, unter anderem in Diyarbakir, folgte, höhlt Erdogan demokratische Institutionen aus, greift er legitimierte Volksvertreter und Volksvertreterinnen an und beraubt sie ihrer fundamentalen Rechte. Das fordert von uns allen – von uns allen – unseren lauten Protest, unsere klare Solidarität und die Forderung nach Freilassung unserer Kolleginnen und Kollegen, so wie es Bundestagspräsident Lammert heute Morgen getan hat. (Beifall im ganzen Hause) Erdogan macht mit seiner Politik klar: Er will keine politische Lösung der kurdischen Frage, die längst überfällig ist. Er will nicht das Ende der Gewalt, das wir auch von der PKK einfordern. Er ist nicht bereit, den blutigen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu beenden, einen Krieg, der so viele Opfer gefordert hat und der flächendeckend ganze Städte zerstört hat. Schauen Sie sich die Bilder von Cizre an, schauen Sie sich die Bilder der Innenstadt von Diyarbakir an: Sie gibt es nicht mehr. Erdogan grenzt darüber hinaus über 5 Millionen Wähler und Wählerinnen der HDP aus und macht so ihre Wahlentscheidung zunichte, Menschen, die für die offene, für die demokratische, für die europäische Türkei stehen. Wir vergessen sie nicht; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn Vergessen tötet in der Türkei im Herbst 2016. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir vergessen sie nicht, die verhafteten Redakteure und Murat Sabuncu, den Chefredakteur der liberalen Cumhuriyet, die mitnichten Unterstützerin der PKK ist, sondern immer schon Verfechterin der säkularen, der kemalistischen Türkei war. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Joachim Gauck dafür, dass er Can Dündar, den vorigen Chefredakteur, offiziell empfangen hat – ein wichtiges Zeichen, ein wichtiges Signal, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) genauso wichtig wie die Auszeichnung der Cumhuriyet mit dem alternativen Nobelpreis. Das können wir hier auch gemeinsam feiern. Wir vergessen sie nicht, die Presse- und die Meinungsfreiheit, die hinter Gittern ist, und nicht das Demonstrationsrecht, das mit Wasserwerfern und Gummigeschossen niedergemacht wird. Wir vergessen sie nicht, die 110 000 Richter und Richterinnen, Staatsanwälte, Polizisten und Polizistinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Beamte, die entlassen oder eingesperrt wurden. Wir vergessen nicht über 5 000 Professoren, Dozenten, Dekane, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von den Universitäten verwiesen wurden, übrigens auch von der Deutsch-Türkischen Universität, weil manche von ihnen einen Aufruf unterzeichnet haben, einen Aufruf, mit dem sie für den Frieden in der Türkei eintreten. All das ist eine massive Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wenn wir uns die 110 000 Menschen vor Augen führen, diese beispiellose Säuberungsaktion, dann ist das mit überhaupt gar keinem Argument zu rechtfertigen, weil es sich bei weitem nicht um die Gülen-Bewegung handelt. Aber ich sage: Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei sind eben noch nicht vollständig verschwunden. Es gibt sie noch, die Journalisten und Journalistinnen, die Autoren und Autorinnen, die Künstler und die Künstlerinnen, die Intellektuellen, die mutigen Frauen und Männer, all diejenigen, die Erdogan nicht unterstützt haben. Das sind sehr viele, und auch sie dürfen wir nicht vergessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch nicht zuletzt mit der Ankündigung, im Parlament über die Todesstrafe abstimmen zu lassen, wissend, dass er dafür die Mehrheit von AKP und MHP hat, verfolgt Erdogan gnadenlos seinen Kurs in Richtung absolutistischer Alleinherrschaft, und er führt die Türkei Schritt für Schritt in eine Diktatur. Damit entfernt er die Türkei sehr gewollt und sehr bewusst vom Europarat und von der EU-Beitrittsperspektive. Das kann uns überhaupt nicht egal und schon gar nicht recht sein; denn die Türkei ist doch nicht nur ein Nachbarland der EU, ein strategischer Partner in der Region. Nein, es verbindet uns so viel mehr, da in Deutschland fast 3 Millionen türkeistämmige Menschen leben und so viele Deutsche in die Türkei reisen, dort arbeiten und dort ihren Lebensmittelpunkt haben. Durch die Zollunion sind die wirtschaftlichen Beziehungen intensiv und tief wie auch die Beziehungen in den Bereichen der Kultur, der Bildung, der Wissenschaft und des Sports. Das ist doch der eigentliche Grund, warum wir alle so schockiert, so fassungslos und so tief besorgt über die Entwicklungen in der Türkei sind. Sie haben mit uns zu tun und wirken unmittelbar auch bei uns – im Guten wie im Schlechten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie angesichts brutaler Gewalt, angesichts systematischer Verfolgung, angesichts gnadenloser Repression und Entrechtung, angesichts eines Erdogans, der täglich neue Fluchtgründe schafft – danke an Michael Roth dafür, dass er sehr deutlich gemacht hat, dass wir in Deutschland selbstverständlich Verfolgte aus der Türkei aufnehmen –: Will hier in diesem Haus wirklich irgendjemand ernsthaft behaupten, die Türkei sei ein sicherer Drittstaat oder ein sicheres Herkunftsland? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie verträgt sich dann die Realität, so wie sie ist und nicht so, wie sie aus innenpolitischem Interesse beschrieben wird, mit den notwendigen Voraussetzungen für den EU-Flüchtlingsdeal, zu dem übrigens auch die Genfer Flüchtlingskonvention gehört, deren Kriterien die Türkei aber nicht erfüllt? Sie verträgt sich nicht. Dieser Deal muss beendet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Er muss auch beendet werden, weil Erdogan uns damit vorführt, uns erpressbar macht und wir ihn damit auch noch stärken. Wenn ich die Beendigung des Deals fordere, muss das aber auch heißen: Unterstützung für die Millionen Flüchtlinge in der Türkei und Unterstützung für Griechenland, das mit der Herausforderung doch schon heute völlig überfordert ist. Es bleibt richtig, auch wenn die Widerstände groß sind: Wir brauchen endlich eine solidarische EU-Flüchtlingspolitik, die nicht auf Abschottung, sondern auf humanitäre Schutzverantwortung setzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch und gerade für NATO-Mitglieder gelten doch die Regeln dieser Wertegemeinschaft. Das kann aber doch nicht heißen: Krieg im eigenen Land. Das kann auch nicht heißen: militärische Bekämpfung der kurdischen Einheiten in Syrien, die in ihrem Kampf gegen den Daesh vom NATO-Partner USA unterstützt werden. Auch für ein NATO-Mitglied gibt es keinen Blankoscheck und keinen Rabatt bei den Menschenrechten. (Beifall der Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Deswegen kann es auch ganz im Sinne unserer Rüstungsexportrichtlinien – da kenne ich mich ziemlich gut aus – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?) keine Rüstungsexporte an die Türkei geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie uns bitte unsere Maßnahmen und unsere Politik daran ausrichten, ob sie den Demokratinnen und Demokraten in der Türkei nutzen oder ob sie ihnen sogar schaden. Deswegen finde ich es etwas wohlfeil, wenn jetzt ausgerechnet diejenigen, die schon immer gegen den EU-Beitritt der Türkei waren, die sofortige Beerdigung der Verhandlungen fordern. Auch wenn es derzeit kaum vorstellbar ist, mit der türkischen Regierung weiter zu verhandeln, mit einem Präsidenten Erdogan, der auf allen Gebieten Rückschritte macht, auf denen es dringend Fortschritte bräuchte, so dürfen wir doch nicht einfach alle Türen zuschlagen und die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in der Türkei brauchen uns jetzt mehr denn je. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für eine demokratische Türkei müssen die Türen offen bleiben, die Erdogan zumauern will. Deswegen unterstützen wir Maßnahmen im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Wir sagen: Gerade jetzt braucht es die Unterstützung durch Parteien, durch Gewerkschaften, durch Verbände, durch Organisationen für die Zivilgesellschaft. Wir brauchen die Unterstützung durch das, was die Reporter ohne Grenzen tun, was Amnesty International, Human Rights Watch tun, was das Goethe-Institut und der DAAD tun, und wir brauchen die Unterstützung durch Künstler, durch Sportler und nicht zuletzt durch Fußballfans, die sich für Deniz Naki eingesetzt haben, den Ex-St.-Pauli-Spieler. Wir können mit über 80 Städtepartnerschaften zeigen, dass gerade jetzt kommunale Menschenrechts- und Demokratiepolitik positiv wirken können, weil sie Brücken bauen. Sprengmeister haben wir schon zu viele. Eine Politik des lauten Schweigens aber lässt unsere Partner in Not. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Gunther Krichbaum für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines ist doch klar: Wenn Präsident Erdogan so weitermacht, dann können wir auch nicht so weitermachen wie bisher. Gestern hat die Europäische Kommission ihren Fortschrittsbericht zur Türkei vorgelegt. Ein Fortschrittsbericht über ein Kandidatenland könnte nicht desaströser sein. Die Türkei bewegt sich mehr auf die Ausgangstür der Verhandlungen zum Beitritt zur Europäischen Union hin als zur Eingangstür der EU. Das muss uns besorgt machen; denn die Leidtragenden sind am Ende die Menschen: die Bürger und die Zivilgesellschaft; Frau Roth hat es gerade beschrieben. Doch bevor wir Schlüsse ziehen, müssen wir uns fragen, wo wir stehen. Fakt ist, dass wir uns in der Europapolitik und in der Außenpolitik alle gegenseitig brauchen. Das wird in der Tat bei dem Flüchtlingsabkommen deutlich. Man kann viel darüber klagen und schimpfen; Fakt ist aber auch, dass dieses Flüchtlingsabkommen wirkt und die Flüchtlingszahlen massiv gesunken sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Die Schlepper- und Schleuserkriminalität wurde wirksam bekämpft. Genau das war das Ziel dieses Abkommens. Wir wollten nicht, dass sich diese Organisationen eine goldene Nase an dem Leid der Menschen verdienen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir stehen – das wurde bislang noch nicht erwähnt – aber auch in Verhandlungen über Zypern. Wir stehen vor einer ganz entscheidenden Phase, die es immerhin erlaubt, zu sagen, dass wir der Wiedervereinigung Zyperns so nahe gekommen sind wie seit Jahren nicht mehr. Auch dafür brauchen wir die Türkei. Wir brauchen die Türkei auch in der NATO, wie schon angeklungen ist. Das alles ist richtig. Aber wir können natürlich nicht die Augen davor verschließen, was tatsächlich passiert. Das Verhalten gegenüber oppositionellen Kräften, der Zivilgesellschaft, Kurden, Minderheiten, Journalisten, Parlamentariern und damit Kollegen kann so nicht stehen bleiben. Es ist inakzeptabel. Wenn Parlamentarier verhaftet und ihrer Stimme beraubt werden, dann ist es unsere Aufgabe, ihnen eine Stimme zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn erst stirbt die Pressefreiheit, dann die Meinungsfreiheit und somit am Ende die Demokratie. Die Demokratie, verbunden mit Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, gehört aber zu den Kernwerten der Europäischen Union. Deswegen müssen wir schon allein im Interesse anderer Kandidatenländer hier Reaktionen zeigen. Was sollen denn Länder wie Montenegro, Serbien und alle, mit denen wir in Verhandlungen stehen, denken, wenn wir auf diese Vorkommnisse in der Türkei nicht oder nur schleppend reagieren, aber all den anderen Ländern, mit denen wir verhandeln, härteste Bedingungen stellen, was auch richtig ist? Deswegen kann ich eins zu eins unterschreiben, Herr Außenminister, was Sie gerade an Maßnahmen beschrieben haben, die wir umsetzen sollten. Für diese Signale sind wir Ihnen als Parlamentarier dankbar. Ich hätte mir in dem Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission, der gestern publiziert wurde, aber noch etwas mehr gewünscht. Wir gewähren den Kandidaten Vorbeitrittshilfen. Diese dienen dazu, dass diese Länder sich Schritt für Schritt an die Standards der Europäischen Union annähern können. Das ist in der Förderperiode, wie man das etwas technisch nennt, 2014 bis 2020 für die Türkei immerhin ein stolzer Betrag von 4,4 Milliarden Euro. Ich wäre nicht dafür, diese 4,4 Milliarden Euro, zumal sie auch zum Teil schon geflossen sind, in toto einzufrieren. Aber ein Drittel davon ist für die Förderung der Justiz und Rechtsstaatlichkeit reserviert. Mit diesem Geld werden junge Richter und Staatsanwälte ausgebildet. Das sind genau jene, die Herr Erdogan im Rahmen seiner Säuberungsaktion aus dem Amt gehoben hat. Das ist schon eine politische Veruntreuung von EU-Geldern. Deswegen muss man an dieser Stelle reagieren und wenigstens diesen Teil der Mittel einfrieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Solche Signale brauchen wir. Wir brauchen natürlich auch Signale an die Zivilgesellschaft. Hier können wir als Parlamentarier viel tun. Wir sollten mehr denn je in die Türkei reisen, auch wenn der Reiseetat des Deutschen Bundestages zurzeit etwas unter Druck steht. Aber diese Reisen machen Sinn. Mehr denn je sollten wir solche unternehmen. Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen – das klang schon mehrfach an –: Wenn die Türkei und vor allem Herr Erdogan jetzt noch weitergehen – wir müssen zwischen dem Land bzw. den Menschen in der Türkei und Herrn Erdogan differenzieren – und die Todesstrafe im Rahmen einer Verfassungsreform einführen sollten, dann macht es in der Tat keinen Sinn mehr – das sind wir letztlich uns gegenüber schuldig, auch unseren Werten, die wir zu verteidigen haben –: (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Richtig!) Ein Land, das die Todesstrafe einführt und sich damit offensichtlich von den Werten der Europäischen Union abwenden möchte, hat in der Tat keinen Platz mehr in Europa. (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Das sind wir uns, aber auch den anderen Ländern, die Mitglied der Europäischen Union werden möchten, schuldig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sevim Dağdelen hat als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat Bundeskanzlerin Merkel als Bedingung für die Zusammenarbeit mit dem neu gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika die Werte Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Menschenwürde genannt. Während Frau Merkel also dem künftigen US-Präsidenten Bedingungen für die Zusammenarbeit stellt, gibt es beim türkischen Präsidenten Erdogan keinerlei Bedingungen. Während Außenminister Steinmeier den gewählten US-Präsidenten einen Hassprediger nennt, ist Erdogan ein Premiumpartner der Bundesregierung. Das finde ich schlicht verlogen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie Menschenrechte, Demokratie, Menschenwürde und Freiheit als Bedingung für eine Kooperation nennen, dann hören Sie doch endlich auf, der türkischen Regierung und dem Präsidenten der Türkei bei ihrem Amoklauf gegen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zur Seite zu stehen. Das wäre konsistent und auch konsequent. (Beifall bei der LINKEN) Während die Vorsitzenden und Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP eingekerkert werden und der Krieg Erdogans gegen die Kurden im Land und in der Region auf Hochtouren läuft, liefert die Bundesregierung immer mehr Waffen in die Türkei. Allein im ersten Halbjahr 2016 hat die Bundesregierung Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte in die Türkei im Wert von über 76 Millionen Euro erteilt und damit die Türkei von Platz 25 auf Platz 8 der wichtigsten Bestimmungsländer deutscher Waffen gehievt. Der SPD-Vorsitzende Gabriel ist als Minister für Rüstungsexporte zuständig. Wir von der Linken finden das unerträglich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Hören Sie mit diesem Wahnsinn auf! Machen Sie sich nicht mit Ihren Waffenlieferungen mitschuldig an den Verbrechen und den Massakern, die die türkische Regierung im Südosten des Landes an den Kurden begeht. Während Erdogan nun auch noch Verfahren gegen die gesamte sozialdemokratische Fraktion in der Türkei eröffnet – es ist absehbar, was daraus folgen wird –, wollen Sie den Bundeswehreinsatz in der Türkei noch ausweiten. Vorgestern hat die Bundesregierung dem entsprechenden Entsendebeschluss eine Protokollerklärung beigegeben. Diese Protokollerklärung ist nichts anderes als ein neuerlicher Kniefall vor Erdogan. Statt klarzustellen, dass es bei Besuchsverboten für deutsche Abgeordnete keinen Einsatz geben wird, stellen Sie Erdogan in Aussicht, dass die Bundeswehrsoldaten, egal was passiert, weiterhin in der Türkei bleiben werden. Sie servieren dem Despoten in der Türkei auf dem Silbertablett nichts weiter als die Bundeswehr, eine Parlamentsarmee. Ich sage es Ihnen laut und deutlich: Diese Unterwerfungshaltung der Bundesregierung gefährdet nicht nur die Menschenrechte in der Türkei, sondern auch die Grundrechte hier in Deutschland. Schauen wir uns das doch einmal an. Was wollen Sie dem Despoten am Bosporus eigentlich noch zu Füßen legen? Herr Jan Böhmermann wurde von der Bundeskanzlerin vorauseilend verurteilt. Die Armenien-Resolution des Bundestages wurde relativiert. Die Rechte der Bundestagsabgeordneten werden jetzt in das Belieben Erdogans gelegt. Da müssen Sie sich doch wirklich nicht mehr wundern, dass dieser Mann immer brutaler gegen Andersdenkende vorgeht. Sie sagen zwar, Sie seien solidarisch mit den Menschen, mit den Verfolgten, mit den Verhafteten, mit den Kurden in der Türkei, aber setzen Ihren bisherigen Kurs in der Türkei-Politik fort. Deshalb sind 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von dieser Willfährigkeit gegenüber Erdogan regelrecht abgestoßen. Insofern fordern wir Sie auf: Beenden Sie diese Kumpanei mit der türkischen Regierung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss wirklich sagen: Der Kurs, den Sie in den letzten Jahren gefahren haben, nämlich immer weitere Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, immer in der Hoffnung, dass es besser wird, war falsch. Die Bilanz liegt doch vor Ihnen. Sie stehen vor einem Scherbenhaufen der deutschen Türkei-Politik. Sie war falsch und hat zu verheerenden Ergebnissen geführt. Deshalb ist es wahnsinnig, genau so weiter verfahren zu wollen. Wenn Sie Solidarität mit den politischen Gefangenen, mit den Journalisten, mit den kurdischen Abgeordneten tatsächlich ernst meinen, dann müssen Sie aufhören, hier nur Worte zu sprechen, dann müssen Sie tatsächlich Taten folgen lassen. Wer immer nur besorgt und alarmiert ist, aber gleichzeitig weiterhin Vorbeitrittshilfen leistet, wer gleichzeitig Bundeswehrsoldaten entsendet, wer gleichzeitig Rüstungsgüter in die Türkei exportiert und in den Beitrittsverhandlungen immer weitere Kapitel eröffnet, dem glaubt keiner mehr, dass er sich für die Menschenrechte in der Türkei wirklich einsetzt. Die Bundesregierung muss jetzt handeln. Die Zeit des Redens ist vorbei. Wir sagen: Keinen Cent, keine Waffe und keine deutschen Soldaten für Erdogan. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Michelle Müntefering für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michelle Müntefering (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin davon überzeugt, dass nicht der, der am lautesten schreit, in dieser ernsten Situation der Linkeste, der Sauberste oder der Moralischste ist. Ich bin aber überzeugt, dass die Debatte, die wir hier heute führen, zu der wir uns gemeinsam entschlossen haben, ein richtiger und ein guter Weg ist, darüber zu sprechen, was jetzt eigentlich passiert und was die Konsequenzen sein sollen. Was mir in letzter Zeit durch den Kopf gegangen ist, ist ein Zitat von Winston Churchill: Wenn es morgens um 6 Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe. Dieses Zitat habe ich in der Kolumne von Can Dündar gelesen – er ist hier schon angesprochen worden –, der entsetzt über die Verhaftungen der türkischen Oppositionellen berichtete. Am Abend bevor ich das las, war ich von einer Reise mit Kolleginnen und Kollegen nach Ankara nach Hause zurückgekommen. Ich habe den Schlüssel in der Haustür herumgedreht, das Licht angeschaltet, und plötzlich war mir klar, was Churchill gemeint hat. Sie müssen sich vorstellen: Wir wollten uns mit Abgeordneten des türkischen Parlamentes treffen, etwa mit der stellvertretenden HDP-Vorsitzenden, Frau Yüksekdag. Aber sie war in der Nacht zuvor verhaftet worden. Es herrscht Ausnahmezustand in der Türkei. Sie wird wohl so bald nicht freikommen. Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der HDP, ist weit weggebracht worden, in ein Gefängnis an die bulgarische Grenze; so hört man. Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen sind erschreckend. Wir haben uns nicht davon abhalten lassen, dennoch Gespräche mit der Opposition zu führen, und wir haben auch ganz offiziell die Zeitung Cumhuriyet besucht. Selbstverständlich haben wir noch am selben Tag türkische Regierungsvertreter mit diesen Vorgängen konfrontiert. Die türkische Regierung begründet alle diese Maßnahmen, die wir erlebt haben, die wir sehen und über die wir heute hier sprechen, damit, den Terrorismus zu bekämpfen und den Putschversuch aufklären zu wollen. Uns wird vorgeworfen, dass wir das nicht verstehen können. Ich will nicht verschweigen: Ich kann mir in der Tat kaum vorstellen, wie das Militär eines Landes das Parlament des eigenen Landes bombardiert. Ich habe die Einschüsse dort gesehen, die Trümmer, die in den deutschen Medien nicht zu sehen waren. Ich bin mir traurig bewusst, wie die Türkei immer wieder Opfer von Terroranschlägen geworden ist – ob durch den IS oder die PKK. Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass wir hier im Hause jeden Terror auf das Schärfste verurteilen. (Beifall im ganzen Hause) Mehr noch: Wir kämpfen sogar in gemeinsamer, ja, auch in schwieriger Allianz gegen den „Islamischen Staat“; denn die Türkei und Deutschland waren und sind Verbündete in der NATO. Die Türkei ist EU-Beitrittskandidat. Kolleginnen und Kollegen, wir verstehen hier in Deutschland sehr genau, was es heißt, wenn Demokratie und Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn Oppositionelle verfolgt und Kritiker mundtot gemacht werden; denn wir haben unsere ganz eigenen und leidvollen Erfahrungen gemacht. Ungefährdet ist Demokratie nie. Das hat sich in mein Bewusstsein, das hat sich in das Bewusstsein der deutschen Parlamentarier tief eingebrannt. Die Türkei ist nicht Deutschland, und Deutschland ist nicht die Türkei. Aber schweigen und wegschauen können wir nicht. Wir dürfen es nicht. Unrecht muss Unrecht genannt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Vorgehen der türkischen Regierung hat mit Demokratie und Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun. Wenn 130 000 Staatsbedienstete aus dem Amt entlassen, Zeitungen sowie Medienhäuser geschlossen und Parlamentarier verhaftet werden, dann delegitimiert das den Kampf gegen den Terror mehr, als es ihm nützt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Türkei scheint sich mehr und mehr abzuwenden von ihrer Orientierung gen Westen, ebenso von ihrem Kurs der modernen Zivilisation. Das ist eine Entwicklung, die von dem nicht unumstrittenen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk einst begründet wurde und an den übrigens heute in der ganzen Türkei im Rahmen eines Gedenktages erinnert wird. Mit Blick auf die jahrhundertealte Geschichte mit allen ihren Höhen und Tiefen ist das eine Entwicklung, die mich als Vorsitzende der Freundschaftsgruppe hier im Bundestag und als Sozialdemokratin zutiefst betrübt, weil ich weiß, wie viele Menschen in beiden Ländern Herzblut in das deutsch-türkische Verhältnis investieren, zu Recht. Es gäbe so viele gemeinsame Aufgaben in dieser Welt zu meistern. Die nächste Generation, viele junge Menschen, die beide Sprachen sprechen und beide Kulturen kennen – sie hätten das Zeug dazu. Eine Tür aber kann man immer von zwei Seiten zumachen. Die veränderte Politik der Türkei und die Veränderungen des Staatspräsidenten Erdogan selbst ziehen diese Tür nach Europa nun zu. Wir werden weiter kooperieren. Nachbarn bleiben wir weiterhin. Aber es wird sich etwas zwischen unseren Ländern ändern; denn durch geschlossene Türen kann man einander noch weniger hören und noch weniger verstehen. Um ein türkisches Sprichwort zu zitieren: Nur gute Freunde sagen sich bittere Wahrheiten. Meine Hoffnung sind die Menschen, eine starke Zivilgesellschaft und eine junge Generation. Sie müssen wir unterstützen. Wir müssen aufeinander zugehen und Frieden schaffen. Ich bin froh, dass wir einen Außenminister haben, der deutlich gemacht hat, dass wir uns dieser Verantwortung stellen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dr. Andreas Nick hat für die CDU/CSU-Fraktion als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Müntefering und ich waren in der vergangenen Woche zusammen mit Staatsministerin Böhmer zu Gesprächen in Ankara. Wir wollten den Gesprächsfaden wiederaufnehmen und auch den Boden bereiten für einen offiziellen Besuch unserer deutsch-türkischen Parlamentariergruppe Anfang nächsten Jahres. Doch leider sind wir mit mehr als besorgniserregenden Eindrücken und einer mehr als ernüchternden Bilanz von dieser Reise zurückgekommen. Bereits im Vorfeld kam es zu Verhaftungen von Redakteuren der Zeitung Cumhuriyet. Wir haben uns daher spontan entschieden, auch die Redaktion in Ankara zu besuchen. Dann mussten wir erleben, dass eine vorgesehene Gesprächspartnerin, die Co-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdag, in der Nacht vor unserem Termin verhaftet wurde. Nicht zuletzt hatten wir mehr als schwierige Diskussionen mit Regierungs- und Parlamentsvertretern zur Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe. Wir sagen in aller Deutlichkeit: Bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit gibt es für uns keinen Rabatt und keine Kompromisse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Wir erkennen ausdrücklich an, dass die Türkei erheblichen Bedrohungen von innen und von außen ausgesetzt war und ist. Ich nenne den aufgeflammten Terrorismus der PKK, den islamistischen Terror aus den Nachbarstaaten Irak und Syrien und nicht zuletzt den Putschversuch vom Juli 2016. Wir haben am Donnerstag die Bombeneinschläge im Parlamentsgebäude selbst in Augenschein nehmen können. Die Verletzungen und die Traumatisierungen, die da entstanden sind, sollten wir etwas deutlicher zur Kenntnis nehmen, als es in den deutschen Medien vielleicht teilweise geschehen ist. Niemand wird das Recht der Türkei bestreiten, sich in angemessener Weise gegen terroristische Bedrohungen zu wehren oder mit rechtsstaatlichen Mitteln den Putschversuch vom Juli aufzuarbeiten. Aber all das kann natürlich niemals Rechtfertigung dafür sein, jede kritische Stimme in Politik und Presse zu verfolgen, Abgeordnete und Journalisten zu kriminalisieren und in die Nähe des Terrorismus zu rücken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Michelle Müntefering [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist schon gesagt worden: Allein die Zahl von 130 000 Mitarbeitern, die aus Verwaltung, Justiz, Militär, Schulen und Hochschulen entfernt worden sind, verdeutlicht die Unverhältnismäßigkeit der Reaktion. All das verdichtet sich zu einem Bild, wonach in der türkischen Regierung inzwischen offenbar diejenigen Kräfte die Oberhand gewonnen haben, die einen Bruch mit Europa und dem Westen nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern möglicherweise auch ganz bewusst herbeiführen wollen. Mit der Einführung der Todesstrafe wäre der EU-Beitrittsprozess auf unabsehbare Zeit beendet, wäre auch die bereits bestehende Mitgliedschaft im Europarat infrage gestellt. Jetzt werden von türkischer Seite zunehmend auch die im Vertrag von Lausanne 1923 geregelten Außengrenzen der Türkei infrage gestellt. Das betrifft im Übrigen nicht nur die Gebiete nach Süden und Osten, die Regionen um Aleppo in Syrien und Mosul im Irak, sondern explizit auch die im Westen: die griechischen Dodekanesinseln in der Ägäis ebenso wie die Teile Thrakiens auf dem europäischen Festland, die zu Griechenland und Bulgarien gehören. Erst Anfang dieses Jahres ist es mit großem Engagement der Bundeskanzlerin und der Verteidigungsministerin gelungen, gemeinsame NATO-Patrouillen auf See in der Ägäis zu vereinbaren. Wenn jetzt Gebietsansprüche gegen NATO-Partner in den Raum gestellt werden, ist dies für uns völlig inakzeptabel. Die NATO ist Verteidigungsbündnis und Wertegemeinschaft, und daran müssen wir unsere Gesprächspartner in der Türkei nachdrücklich erinnern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kollegen, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind vielfältig. Über 3 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln sind in unserem Land zu Hause. Unser Land ist in der Spitzengruppe der Handelspartner der Türkei und der ausländischen Investoren in der Türkei. Die Türkei ist bei vielen unserer Bürger ein beliebtes Reiseziel, teilweise auch Altersruhesitz. Es soll niemand glauben, dass eine Abkehr von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ohne Folgen für Wirtschaft und Tourismus bleiben wird. Dafür bedarf es keiner – übrigens wenig hilfreichen, wie ich finde – Debatte über wirtschaftliche Sanktionen. Ein ganz anschauliches, vielleicht auch triviales Beispiel: Seit vielen Jahren ist Belek in der Nähe von Antalya ein bevorzugter Ort für die Wintertrainingslager der Bundesligavereine. Noch 2016 haben 16 Teams der ersten und zweiten Liga ihr Wintertrainingslager dort durchgeführt. Im Januar 2017 wird dies kein einziger Verein mehr tun. Die Vorwürfe vonseiten der Türkei, Türken hätten in Deutschland keine Rechte oder Deutschland sei Gastgeber des Terrorismus, sind absurd und drohen das politische Klima zwischen beiden Ländern zu vergiften. Wir weisen sie in aller Deutlichkeit zurück. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber eines muss hier auch gesagt werden: Wenn aus dem Kreis dieses Parlaments, aus der Linksfraktion, Herr van Aken die Aufhebung des Verbots der PKK fordert, (Zuruf des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE]) dann macht er sich zu einem Stichwortgeber für solche absurden Vorwürfe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!) Die Begründung, die PKK begehe ja keine Anschläge auf Zivilisten in Europa, sondern nur auf türkische Soldaten und Polizisten, ist völlig unerträglich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lassen Sie mich hinzufügen: Wir legen Wert darauf, dass innenpolitische Konflikte in der Türkei nicht gewalttätig ausgetragen werden, auch nicht hier bei uns in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben ein vitales Interesse an einer prosperierenden Türkei mit einer stabilen Demokratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft. Wir werden uns deshalb auch nicht von der Türkei abwenden. Aber unsere Aufmerksamkeit und unsere Solidarität gelten denen, die für einen pluralistischen und demokratischen Staat eintreten und deren Blick nach Europa gerichtet bleibt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Dehm hat das Wort zu einer Kurzintervention. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ich war bei Teilen Ihrer Rede versucht, zu klatschen, und habe sogar auch geklatscht. Wenn es stimmt, was Ihr Parteikollege Jung vorhin empfohlen hat, dass nämlich Herr Erdogan die Beziehungen und die Gespräche mit der PKK wieder aufnimmt – das ist von ihm ja ausdrücklich so gesagt worden –, könnte es dann sein, dass die Zunahme von bestimmten Aktionen der PKK vielleicht nicht nur damit zusammenhängt, dass Herr Erdogan diese Gespräche abgebrochen hat, sondern auch damit, dass er aus rein wahlkampftaktischen Gründen diese Gespräche durch wirkliche terroristische Maßnahmen und das Massakrieren unschuldiger Kurdinnen und Kurden ersetzt hat? Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Nick, Sie haben die Möglichkeit zur Gegenrede. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Versöhnungsprozesse bei bewaffneten Konflikten sind ein komplexes Thema. Wir haben ja gerade den schwierigen Prozess in Kolumbien sehr konstruktiv begleitet. Dass wir für eine Wiederaufnahme dieses Versöhnungsprozesses sind, ist ja keine Frage, aber sich mit gewalttätigem Terrorismus zu solidarisieren und zu erklären, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Macht doch keiner!) dass gewalttätige Attacken und terroristische Angriffe auf Polizisten und Soldaten in der Türkei in Ordnung sind, das ist völlig inakzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach all dem, was wir heute über die dramatischen Ereignisse im Sommer dieses Jahres in der Türkei wissen, waren die Dinge in der Abfolge doch so, dass Recep Erdogan von langer Hand eine Säuberungsaktion im gesamten türkischen Staatsapparat plante. Tausende zu entlassende Staatsbedienstete wurden listenmäßig von ihm erfasst. Mit diesen Entlassungen wollte er beim Militär Anfang August beginnen. Dieser Entwicklung wollte das Militär – was wir ohne Zweifel verurteilen – durch seinen Putsch am 15. und 16. Juli zuvorkommen. In dieser Reihenfolge haben sich die Dinge entwickelt. Dieser Putsch war formale Legitimation, aber auch willkommener Anlass für Präsident Erdogan, den Notstand auszurufen und als Alleinherrscher zu regieren. (Zustimmung der Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] und Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Schlag auf Schlag wurden in allen staatlichen Bereichen längst vorbereitete Personallisten herausgezogen und zu Säuberungen benutzt. 34 000 Menschen – so viele, wie in einer mittleren Stadt leben – sind seither inhaftiert. Die Gefängnisse sind überfüllt, Straftäter müssen entlassen werden, um diese Menschen, die zum größten Teil zu Unrecht inhaftiert sind, dort unterzubringen. Ein Drittel der Generäle ist inhaftiert. 72 000 Staatsdiener wurden ohne jedes Urteil unter Fortfall aller Bezüge entlassen. Stiftungen, soweit sie nicht islamische Stiftungen sind, wurden enteignet. 4,6 Milliarden Euro sind auf diese Weise enteignet worden. Recep Erdogan, der eigentlich repräsentativer Staatspräsident der Türkei ist, hat per Notstand die Gewaltenteilung aufgehoben, führt die Regierungsgeschäfte, indem er die Kabinettssitzungen persönlich leitet, und inszeniert sich als Parteivorsitzender der AKP, obwohl er eigentlich neutraler Präsident sein sollte. Und wir, der Westen, die USA und auch die Europäische Union, sind sprachlos. Fast ohnmächtig stehen wir dieser Entwicklung gegenüber. Die Türkei verstößt ganz unzweifelhaft mit ihren Fehlentwicklungen gegen alle Grundprinzipien unserer europäischen Werteordnung. Dem von der EU vielbeschworenen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat Sultan Erdogan demonstrativ den Rücken gekehrt. Die NATO ist ja nicht nur ein Verteidigungsbündnis, die NATO ist auch eine Wertegemeinschaft. Deswegen heißt es in der Präambel der NATO: Die Mitglieder sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. So steht es in der Präambel der NATO, die wir uns immer wieder vor Augen führen müssen. Auch diese Grundpfeiler des Atlantikvertrages werden von Erdogan ignoriert. Ist es nun klug, diese Türkei aus der NATO auszuschließen? Ist es klug, jegliche Beziehung zwischen der Europäischen Union und der Türkei abzubrechen? Ist es klug, diese Türkei aus dem Europarat zu werfen? Nein, der FAZ-Journalist hat Recht, wenn er sagt: Herrscher kommen und gehen – die Geografie aber bleibt bestehen. – Die Türkei ist nun mal das geografische Scharnier zwischen uns, Europa, und dem Nahen Osten. Und so wird es auch bleiben. Das heißt, die Türkei hat für uns strategische Bedeutung – jetzt und auch in der Zukunft. Auch deshalb ist ein vollständiger Bruch mit der Türkei niemals in unserem eigenen Interesse. Kraftmeierei und Belehrungen von außen bereiten nur den Nährboden für Erdogans Rhetorik gegen den Westen, gegen die Europäische Union. So werden wir unfreiwillig zum Gehilfen von Erdogans nationalistischer Propaganda. Was sind die sinnvollen Handlungsoptionen für uns? Letztlich – darauf ist bei solchen Entwicklungen immer wieder hinzuweisen, in welchem Land auch immer – sind es schon die Türken selbst, die sich von diesem selbsternannten Sultan und Herrscher befreien müssen. Wir können den Türken diese Aufgabe nicht abnehmen. Wenn die Dinge sich so entwickeln, wie sie hier beschrieben wurden, dass die Tourismusbranche, die für die Türkei so wichtig ist, auf ein Viertel reduziert wurde – da hilft auch Putin mit seinen zu Erdogan zwangsverschickten russischen Touristen nicht weiter –, dass die Arbeitslosigkeit dramatisch zunimmt, dass die Geldentwertung schlimme Folgen annimmt, dass die Staatsverschuldung enorm zugenommen hat und ausländische Investitionen, von denen die Türkei abhängig ist, nicht mehr erfolgen, wenn man berücksichtigt, dass 60 Prozent des türkischen Exportes in die EU gehen, dann weiß man: Dieser Erdogan wird sein eigenes Land ruinieren. Er wird seiner Türkei schwersten Schaden zufügen. Deswegen müssen sich die Türken von ihm befreien. Mit anderen Worten: Ein Ausschluss aus der NATO wäre eine Fehlentscheidung. Die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union allerdings haben wir von Anfang an als einen Irrweg gesehen. Dabei bleiben wir – nicht besserwisserisch. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben immer gesagt: Wir brauchen wegen der Scharnierfunktion eine Heranführung der Türkei an die Europäische Union. Das heißt, die privilegierte Partnerschaft, die wir entwickelt haben, war von Anfang an der richtigere Weg. Dafür auch Geld auszugeben – hier nenne ich die Hilfen der EU zur Heranführung an unsere Wertegemeinschaft, zur Ausbildung von Juristen und zur Umsetzung anderer Dinge –, war richtig. 6 Milliarden Euro wurden für diesen Zweck ausgegeben. Das war richtig. Mit diesen Heranführungshilfen sollten wir nach Erdogan wieder weitermachen. Aber jetzt, in einer Zeit, in der Erdogan seine Türkei, die er sich unterjocht hat, von der EU wegführen will, gibt es keinen Grund mehr, Geld für eine Heranführung auszugeben. Ich komme zum Schluss. Angesichts der Entwicklungen erwartet man von uns klare Kante; denn die Türkei ist wohl auf dem Weg, nicht mehr nur Transitland für Flüchtlinge zu sein, sondern wird leider Gottes auch Herkunftsland kurdischer Flüchtlinge. In einer solchen Zeit wäre es unverantwortlich, der Türkei eine Visaliberalisierung zu gewähren. Wir sind strikt gegen die Visaliberalisierung. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Sie waren doch schon immer dagegen!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes bekannt: Abgegeben wurden hier 590 Stimmen, gültig waren 590 Stimmen. Mit Ja haben 465 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 94 gestimmt, enthalten haben sich 31 Kolleginnen und Kollegen. Damit hat der Abgeordnete Johannes Kahrs die erforderliche Mehrheit erreicht und ist mit 465 Stimmen gewählt. Wir haben gleichzeitig ein stellvertretendes Mitglied des gleichen Gremiums gewählt. Hier wurden ebenfalls 590 Stimmen abgegeben, gültig waren ebenfalls 590 Stimmen. Mit Ja haben 514, mit Nein 47 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, enthalten haben sich 29 Kolleginnen und Kollegen. Damit hat auch der Abgeordnete Dennis Rohde die erforderliche Mehrheit erreicht und ist mit 514 Stimmen gewählt.3 Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Erlass und zur Änderung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Drucksache 18/10237 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Finanzausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Aussprache hat der Bundesminister Christian Schmidt für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was hat Donald Trump mit der Milchwirtschaft in Deutschland zu tun? (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist die Frage, ja!) Er hat gewonnen. – Nein, seine Wahl hat darüber hinaus gezeigt – wir in Europa sind bei der Brexit-Entscheidung auch darauf gestoßen –: Wenn Teile der Bevölkerung den Eindruck bekommen, die Politik kümmere sich nicht um ihre Probleme, sie lasse die Probleme, die die Menschen im Alltag belasten, links liegen, dann schauen sie sich nach anderen Angeboten und einfachen Antworten um. Ich weiß noch nicht genau, was das Konzept von Donald Trump zur Stärkung des ländlichen Raums in den USA ist. Vielleicht gibt es da etwas, was wir ihm empfehlen können. Wir arbeiten ja kräftig daran, gerade diesen Bereich sehr attraktiv zu halten im Sinne der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eines ist ganz wichtig – ich will das heute bei dieser Gelegenheit erwähnen; man soll dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ja nie in irgendeiner Weise vorgreifen, sondern ihm nur Respekt zollen –: Wenn nicht alle Eindrücke trügen, ist das Engagement des Haushaltsausschusses und des ganzen Hauses für die Stärkung des ländlichen Raums außerordentlich groß und bemerkenswert. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der CDU/CSU) Der Gesetzentwurf, der dankenswerterweise von den Koalitionsfraktionen eingebracht worden ist, handelt aber nicht vom Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, sondern von einem anderen Herzstück, nämlich von Maßnahmen für unsere Familien in der Landwirtschaft und für die Produzenten. Zur Erinnerung: Das Milchangebot auf dem Weltmarkt war übermäßig angestiegen aus verschiedenen Gründen, die sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite zu finden waren. Auch in der Europäischen Union und in Deutschland ist – wie übrigens schon vor dem Auslaufen der Milchquotenregelung – sehr viel produziert worden, so viel, dass die Preise nachgegeben haben und die Nachfrageseite des Marktes sie nicht mehr aufnehmen konnte. Die europäische Politik hat 30 Jahre lang, eine Generation lang, eine Politik der staatlichen Mengensteuerung betrieben. Deswegen besteht heute die Notwendigkeit, den Übergang zu unterstützen, abzufedern, aber auch auf das hinzuweisen, was wir strukturell noch verbessern müssen. Dabei können wir die Milchbauern nicht alleine lassen. Wir müssen auch diejenigen benennen, die im Hinblick auf eine Verbesserung, vor allem im Hinblick auf eine gerechte Risikoverteilung, in der Verantwortung sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen kommt man in dieser Situation nicht daran vorbei, einen Blick auf die Wertschöpfungskette von den Molkereien bis zum Lebensmitteleinzelhandel zu werfen. Für die Liquidität und als unmittelbare Unterstützung ist aber auch europäische Hilfe erforderlich, damit man für die nächsten Jahre Orientierung bekommt, wohin die Produktion gehen soll. Was den deutschen Markt angeht, so sagte mir jemand: Heute ist so viel Milch getrunken und Käse gegessen worden wie wohl nie mehr in Zukunft. – Na, das weiß ich nicht ganz. Aber dass bei unserer demografischen Ausrichtung der Milchmarkt kein Wachstumsmarkt ist, sondern ein Qualitätsmarkt werden muss, um so Wertschöpfung zu erreichen, das ist doch ein entscheidender Punkt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie das jetzt auch erkannt haben!) Deshalb geht an die, die am Markt sind, der Appell, zu überlegen, mit welchen Mitteln und mit welchen Zielen sie sich dort aufstellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön! Klasse statt Masse! Das sagen wir schon lange!) Wir wollen mit dem Milchmarktsondermaßnahmengesetz und der Änderung des Marktorganisationsgesetzes nur Grundlagen schaffen, Grundlagen allerdings auch für ein Finanzvolumen, das sich durchaus sehen lassen kann. Ich habe auf dem Deutschen Bauerntag in Hannover von 100 Millionen plus X gesprochen, die wir in den Bereich Landwirtschaft geben wollen, damit es vorangeht. Ich kann heute mit Freude feststellen – vorbehaltlich der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs –: Wir werden auf knapp 600 Millionen kommen, die in diesem und im kommenden Jahr der Landwirtschaft zur Verfügung stehen. (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) – Herzlichen Dank. – Das ist, glaube ich, schon bemerkenswert. Herzlichen Dank dafür, dass wir das mit Ihrer Unterstützung erreicht haben. Das kann aber nicht die ganze Antwort sein. Ich bedanke mich für die intensive Beratung und die Einbringung des Entwurfs eines Milchmarktsondermaßnahmengesetztes durch den im Fall der Verabschiedung 116 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Wir kommen hier auf 58 Millionen Euro aus der Europäischen Union und setzen das uns Mögliche von Bundesseite drauf, nämlich noch einmal 58 Millionen Euro. Damit wird der Betrag auf 116 Millionen Euro verdoppelt. 40 Millionen Euro zusätzlich hat die deutsche Milchwirtschaft – für die Molkereien war das ein wichtiges Signal – durch das Mengenreduzierungsprogramm der EU abgegriffen. Das heißt, derjenige, der die Produktion nicht ausdehnt, sondern reduziert oder im Rahmen unseres Programms Mengendisziplin übt, bekommt Liquiditätshilfe. Wir müssen in Zukunft deutlich machen, dass das Risiko verteilt werden muss. Wenn jemand ein Risiko in Kenntnis des Risikos eingeht, dann ist das eine Angelegenheit des Wirtschaftenden. Dann muss er das selbst regeln; das kann nicht der Staat tun. Aber so weit sind wir leider nicht. Deswegen sage ich vielen Dank. Vielen Dank auch dafür, dass wir im steuerlichen Bereich noch die eine oder andere Regelung erreichen konnten, auch wenn Kollege Priesmeier darauf hinweisen wird, dass der Bundesminister in diesem Punkt eigentlich noch mehr vorhatte. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit im Bereich der Gewinn- und Tarifglättung. Wenn in einem Jahr gut verdient worden ist, aber die nächsten zwei Jahre katastrophal verlaufen sind, dann muss der Betrieb die Möglichkeit haben, zu überleben. Unser Ziel ist doch nicht, Steuern einzukassieren. Vielmehr ist unser Ziel, dafür zu sorgen, dass der Betrieb mittel- und langfristig seine Existenzgrundlage sichern kann. Planungssicherheit ist hier das Stichwort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Ich bedanke mich sehr herzlich dafür, dass die beiden Koalitionsfraktionen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Grundlagen dafür geschaffen haben, dass wir, wenn alles gut geht, im nächsten Vierteljahr Geld dort zur Verfügung stellen, wo es benötigt wird, nämlich in den Betrieben. Dass noch andere Themen besprochen werden müssen, und zwar auch deutlich, das versteht sich von selbst. Es geht nicht allein um Geld. Es stellt sich auch die Frage: Wer trägt welches Risiko? Ich bin seitens der Bundesregierung bereit, mitzuhelfen, die Kutsche zu bauen; fahren muss die Molkereiwirtschaft allerdings schon selbst. Ich habe den Eindruck: Da bedarf es ab und zu noch einer kleinen Fahrausbildung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Karin Binder hat für die Fraktion Die Linke als nächste Rednerin das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den Entwurf eines Gesetzes zum Erlass und zur Änderung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, in Klammern: Milchmarktgesetz. (Alois Gerig [CDU/CSU]: Stimmt!) Jetzt wird für Sie vielleicht etwas klarer, worum es eigentlich geht. Der Gesetzentwurf ist nach meinem Dafürhalten ein unausgegorener Schnellschuss. Seit gestern liegt er bei uns Oppositionsfraktionen auf dem Tisch, und schon jetzt zeigt sich, dass es noch erheblichen Beratungsbedarf gibt. Diese Vorlage wirft viel mehr Fragen auf, als sie zur Klärung beiträgt. Es geht um das Thema Gewinnglättung à la Bundesminister Schmidt. Die Regelungen beziehen sich allein auf die Einkommensteuer. Ich frage Sie: Welcher Bauer löst seine Probleme, die durch die derzeitige Milchmarktkrise ausgelöst worden sind, mit der Einkommensteuer? Ganz ehrlich: Das wird keiner als die Lösung betrachten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Nichts kapiert!) Das vorgeschlagene Verfahren nutzt nur Einzelbetrieben und Personengesellschaften, die ihren betrieblichen Gewinn als Einkommen versteuern müssen. Mit der Verrechnung der Gewinne über mehrere Jahre sollen sie Steuern sparen. Die Steuereinsparung ist aber nur eine vorübergehende Einkommenshilfe, eine Überbrückung – mehr nicht. Das tatsächliche Problem ist doch, wie die Landwirtschaft in Deutschland insgesamt aufgestellt ist. Durch die Exportförderung wird die Landwirtschaft dazu getrieben, in die Weltmärkte zu exportieren, wo Dumpingpreise gezahlt werden, mit denen unsere heimische Landwirtschaft gar nicht mithalten kann. Die fairen Preise, die die Erzeuger in Deutschland bräuchten, werden durch die Dumpingpreise auf dem Weltmarkt kaputtgemacht. Anstatt hier für eine Förderung regionaler Kreisläufe, regionaler Vermarktung und regionalen Wirtschaftens einzutreten, wird der Export gefördert, und das auf die Gefahr hin, dass, wenn China vorübergehend kein Geld für Milchimporte oder den Import von Schweinehälften mehr hat – auch andere Länder könnten es sich vielleicht vorübergehend nicht mehr leisten, deutsche landwirtschaftliche Produkte zu importieren –, die Bauern auf ihren Produkten sitzen. Die weggefallene Milchquote verstärkt das Problem. Aber das lösen wir doch nicht durch eine Gewinnglättung im Rahmen der Einkommensteuer. Ich sage: Wir brauchen eine verlässliche Versorgung statt Exportrisiko. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen starke ländliche Räume mit starken Betrieben, die Umweltschutz, Tierschutz und Verbraucherschutz ernst nehmen und in der Lage sind, all dies umzusetzen. Deshalb fordert die Linke schon seit langem, stabile Rahmenbedingungen für die Milchviehbetriebe zu schaffen. Das bedeutet, wir brauchen eine nachfrageorientierte Milchmengensteuerung statt einer Exportförderung. Die Linke sagt: Die Tierhaltung muss tierschutzgerecht sein. Das bedeutet eine klare Kennzeichnung für Verbraucherinnen und Verbraucher, die sehr wohl ein Auge auf die Haltungsform haben. Dabei brauchen die Landwirte Unterstützung. Wir brauchen eine flächengebundene Bewirtschaftung, das heißt eine bestimmte Anzahl von Tieren in einer bestimmten Region. Das müssen wir als Politiker definieren. Wir brauchen ein starkes Kartellrecht. Molkereiverträge müssen unter die Lupe genommen werden, und die Benachteiligung vieler kleiner Milchbauern muss endlich beendet werden. Die Oligopole der Supermarktketten müssen aufgebrochen werden. Nur so können Erzeuger künftig auf Augenhöhe mit Molkereien und Einzelhändlern über ihre Preise verhandeln. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen auch viel mehr regionale Molkereien. Wir brauchen mehr regionale Lebensmittel im Handel. Wir brauchen die Kennzeichnung als regionales Lebensmittel, damit Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf nicht getäuscht werden. Dumping- und Lockangebote bei Lebensmitteln gehören endlich verboten. Wir brauchen ein dauerhaftes Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis. – Das wären wichtige Punkte. Ich frage Sie, Herr Minister: Warum wehren Sie sich mit Händen und Füßen dagegen, dass von den Betrieben endlich eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage gebildet werden darf? Das wäre eine langfristige Lösung für viele landwirtschaftliche Betriebe. (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Das ist die Gewinnglättung! Das müssen Sie verstehen, begreifen!) Dann könnten sie sich in schlechten Zeiten selber mit dem über Wasser halten, was sie in guten Zeiten steuerfrei zurücklegen durften. Dann stünde das Geld zur Verfügung, wenn es eng wird. Davon hätten die Bauern etwas. Der Bauernverband unterstützt diese Forderung. Ich verstehe nicht, warum unser Minister das nicht endlich umsetzt. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Er setzt es um! Sie verstehen es nur nicht!) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche eine gute Beratung. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner ist Wilhelm Priesmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin, wie Sie vielleicht mitbekommen haben, haben die Länderfinanzminister diesen Vorschlag schon vor längerer Zeit im Bundesrat unisono abgelehnt. Fragen Sie doch einmal nach, ob eine Gestaltungsmasse vorhanden ist, das entsprechend umzusetzen. Ich dachte, Sie seien da auf dem neuesten Stand. Wenn wir uns die Situation auf dem Milchmarkt anschauen, müssen wir registrieren, dass wir in den letzten zwei Jahren herbe Verluste hinnehmen mussten. Die Betriebe haben 7 bis 8 Milliarden Euro weniger eingenommen. Das entspricht ungefähr 112 000 Euro pro Betrieb. Das macht deutlich, wie ernst die Situation ist. Ich habe dabei in gewisser Hinsicht ein schlechtes Gewissen; denn wir haben – das müssen wir zugeben, wenn wir uns die Entwicklung und die Situation anschauen – recht zögerlich gehandelt. Wir haben an sich nur weiße Salbe angerührt und den Kern des Problems in vielen Bereichen nicht rechtzeitig wahrgenommen, oder wir wollten ihn nicht erkennen. Deshalb freue ich mich besonders über die heutige Äußerung des Bundesministers, dass er gerade die strukturellen Probleme lösen möchte. Dabei kann er sich auf meine Unterstützung verlassen. Vielleicht hätten wir einige Betriebe retten, also von der Aufgabe abbringen können, wenn wir umgesetzt hätten, was die SPD schon im vergangenen Herbst gefordert hatte, und rechtzeitig ein Wirtschaftsprogramm aufgelegt hätten, um Betriebe der Bonitätsklassen 1 bis 4 mit zusätzlicher Liquidität zu versorgen. Dieser Vorschlag ist aber leider nicht aufgegriffen worden. Wir greifen ihn jetzt auf, wo das Ende der Krise erkennbar ist, weil die Preise am Spotmarkt schon wieder 40 Cent erreicht haben. Das ist ein bisschen spät. Auch die Erkenntnis, auf einen Qualitätsmarkt zu setzen, ist im Kern richtig. Ich glaube, auch diesen Weg sollten wir unterstützen. Dazu passen die vielen Vorschläge, die die Kollegin eben gemacht hat. Das kann man gemeinsam mit den Ländern organisieren. Dafür muss man natürlich etwas in die Hand nehmen. Auch dazu wären wir von der SPD bereit. Wenn ich mir nicht nur die Artikel 1 und 2 dieses Gesetzentwurfs anschaue, sondern auch den Artikel 3, dann stelle ich mir die Frage, wie das Ganze entstanden ist. Ich habe gehört, dass der Herr Minister auf dem Deutschen Bauerntag gesagt hat – ich zitiere –: Wir greifen Ihre Ideen zur Steuererleichterung durch Gewinnglättung auf. Auch das entlastet alle Betriebe und hilft in Zeiten stark schwankender Gewinne. Es ging um die Vorschläge des Deutschen Bauernverbandes. Da frage ich mich: Wer macht in diesem Parlament das Gesetz, und wer schlägt die Lösungswege vor? Ich bin da recht nachdenklich geworden. Aus dem Grunde, glaube ich, muss man verschiedene Punkte in diesem Gesetzentwurf kritisch sehen. Wir haben es nicht zugelassen, dass Grund und Boden, so wie es ursprünglich vorgeschlagen worden war, veräußert werden, wenn Betriebe in Schwierigkeiten sind. Das brauchen sie hinterher, wenn sie die Krise überstanden haben. Es ist nach unserer Einschätzung auch nicht gewünscht, dass man den Bodenmarkt, der in vielen Bereichen sowieso schon Überhitzungserscheinungen zeigt, was landwirtschaftliche Flächen angeht, noch zusätzlich befeuert. Daher, glaube ich, war es richtig, dass dies keinen Niederschlag im Gesetzentwurf gefunden hat. Wir stehen natürlich an der Seite der Betriebe und auch an der Seite derer, die Hilfe brauchen. Wir hoffen, dass wir mit dem Gesetzesvorschlag jetzt zumindest einen Teil dazu beitragen können. Eine Gewinnglättung sollte es unserer Meinung nach nur vorübergehend geben. Wir haben uns dagegen gewehrt, dieses System dauerhaft zu implementieren. Warum? Wir haben es für falsch gehalten, weil wir dadurch verfassungsrechtliche Probleme bekommen. Wir würden dann eine Lex Landwirtschaft machen, die dauerhaft gültig ist, und müssten uns fragen, warum solche Regelungen nicht auch für andere Wirtschaftsbereiche gelten. Was ist mit demjenigen, der einen Gastronomiebetrieb hat und im Sommer geringe Einnahmen durch schlechtes Wetter hatte, oder demjenigen mit einem Beherbergungsgewerbe an der Küste, der eine schlechte Saison hatte? Hat er den gleichen Anspruch? Diese Fragen muss man dabei im Auge behalten. Aus diesem Grunde, glaube ich, ist es richtig, den Zeitraum zu begrenzen, und zwar beginnend mit dem Bezug 2014 bis 2022. Wir müssen überlegen, ob wir bei dieser gesetzlichen Regelung Gestaltungsspielräume für die Betriebe eröffnet haben, die über erhebliche Einkommen verfügen. 10 Prozent haben auch in der jetzigen Situation immer noch ein Einkommen von mehr als 100 000 Euro. Der normale Nebenerwerbsbetrieb hat weniger als 1 000 Euro Einkommen. Das macht deutlich, dass man mit dieser Vorschrift Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen muss und in Kauf nimmt. Wir haben erhebliche Zweifel, ob das dauerhaft und zielgerichtet so sein muss. (Beifall bei der SPD) Die jetzt angedachte Regelung ist vielleicht gerade noch verfassungstauglich. Die Bundesländer haben schon signalisiert, dass sie damit erhebliche Probleme haben. Sie beklagen sich auch darüber, dass sie nicht rechtzeitig informiert wurden. Ich habe 30 Fragen an das BMF gestellt; der Vertreter des BMF sitzt auf der Regierungsbank. Diese 30 Fragen habe ich Anfang August gestellt. Seitens des BMF gab es offensichtlich nicht genügend Zeit, sie ausreichend zu beantworten. Die Antworten haben mich nicht zufriedengestellt. Hier, glaube ich, ist das Auskunftsrecht, das Abgeordnete haben, wenn es um Gesetzgebung geht, mit Füßen getreten worden, und zwar ganz bewusst, um hinterher in der Situation zu sein, die wir jetzt haben, nämlich dass wir diesen Gesetzentwurf über die Fraktionen einbringen müssen, damit wir ihn fristgerecht zum Jahresende über die Bühne bekommen. Das ist ein Versäumnis. Über die Ursachen des Versäumnisses sollte man einmal nachdenken. Sie liegen jedenfalls nicht bei der SPD-Bundestagsfraktion. (Beifall bei der SPD) Die beste Risikovorsorge für die Betriebe ist immer noch eine gute Eigenkapitalausstattung. Unsere Betriebe haben das. Sie liegt zwischen 77 und 80 Prozent. Ich glaube, das ist auch ein Ansatz, den man fördern kann, wenn es um Risikovorsorge geht. Noch ein Hinweis eines Länderfinanzstaatssekretärs: Aus steuertechnischer Sicht geht die Vorschrift ins Leere, wenn im letzten Jahr des Betrachtungszeitraums keine oder eine nur geringe Einkommensteuer festgesetzt wurde, weil das Einkommensteuerrecht keine negative Steuerfestsetzung erlaubt. Das ist schon der erste Punkt, an dem wir nachbessern müssen. Zur Qualität dieses Entwurfes muss ich sagen: Hätte man sich mehr Zeit genommen und hätte man vor allen Dingen auch meine Fragen rechtzeitig beantwortet, wären diese Dinge vielleicht schon früher aufgefallen. Jetzt müssen wir es über kurz oder lang in der nächsten Beratungsrunde im Ausschuss regeln. Wir werden wahrscheinlich zu einem Ergebnis kommen; aber in Gänze, glaube ich, ist dieses Gesetz mit der heißen Nadel gestrickt. Aus meiner Sicht gibt es immer noch Probleme bei diesem Gesetz; das bereitet mir Kopfschmerzen. Ich hoffe, dass im nächsten Jahr, wenn wir bewerten können, ob das Gesetz wirkt und ob die Folgen, die gewünscht sind, in den nächsten Jahren eintreten, meine Kopfschmerzen vielleicht verschwinden. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Ich halte es für bedenklich, Betriebe, die Einkommen jenseits von 100 000 Euro haben, in größerem Umfang steuerlich zu bevorteilen als all die anderen Betriebe, die betroffen sind. Ich als Sozialdemokrat habe damit ein Gerechtigkeitsproblem. Tut mir leid. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wahlkampf lässt scheinbar grüßen. Urplötzlich sehen wir Engagement und Bewegung bei Minister Schmidt. Er habe sich ganz mächtig ins Zeug gelegt, um den Milchbauern aus der Krise zu helfen; 116 Millionen Euro würden jetzt bereitgestellt, erzählt er uns. Dabei handelt es sich doch, wenn wir ehrlich sind, im Wesentlichen um die von Europa bereitgestellten Mittel und die vom Minister schon im Sommer angekündigte nationale Aufstockung. Das ist also alter Wein in neuen Schläuchen. Natürlich ist es schon ein Erfolg, wenn der Minister nach wortreichen Ankündigungen auch einmal gewillt ist, etwas umzusetzen. Reicht es Ihnen eigentlich aus, Kolleginnen und Kollegen, wenn über diesen Minister in der Zukunft vielleicht geurteilt wird: „Er bemühte sich stets, die ihm übertragenen Aufgaben zu erledigen“? (Heiterkeit des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Langsam wird es peinlich!) Dafür müssten wir ihn angesichts des täglichen Chaos, das uns aus seinem Hause erreicht, vielleicht noch loben. Das ist aber keine verantwortungsvolle, entschlossene Politik, Herr Minister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bekanntermaßen sind wir Grüne sehr gnädig und sagen: Besser spät als nie. – Immerhin wird die Beihilfe ja nun an eine sogenannte Mengendisziplin gebunden. Mengendisziplin – ist das nicht das, was die Grünen immer gefordert haben? Ich kann mich entsinnen, dass wir in jeder Rede genau das gefordert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister, Ihren Vorschlägen fehlt jegliche substanzielle Stringenz, die angesichts der Situation bei der Milcherzeugung notwendig wäre. Vorredner Priesmeier hat auf die Verluste hingewiesen. Sie liegen im Milliardenbereich. Was sind da 116 Millionen Euro? Ihr Handeln, Herr Minister Schmidt, kommt viel zu spät. Wir Grüne haben immer wieder vehement auf die erwartbare Dramatik am Markt nach dem Fall der Milchquote am 1. April 2015 hingewiesen. Sie von der CDU/CSU haben das als Panikmache abgetan; das ist die Realität. Wer hat recht behalten? Leider war unsere Einschätzung richtig. Herr Minister, schauen wir uns Ihre Vorschläge etwas genauer an. Bezeichnend ist doch schon der Titel der vorgelegten Verordnung: „Milchsteigerungsvermeidungsbeihilfeverordnung“. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss ihn noch einmal sagen: „Milchsteigerungsvermeidungsbeihilfeverordnung“. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!) Welch ein Wortungetüm! Das ist vielleicht das Unwort des Jahres – wer weiß? (Heiterkeit der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Welch ein Irrsinn aber auch! Es geht allein um Mengenreduzierung, Herr Minister, doch nicht um Steigerungs-irgendetwas. Wir Grüne wollen einen Abbau von steuerlichen Sondertatbeständen; aber Sie schaffen mit der Gewinnglättung neue. Wieder einmal wird mit der Gießkanne Geld über die gesamte Landwirtschaft gegossen. Warum zum Beispiel gibt es keine Glättung in anderen Bereichen, wie der Kollege Priesmeier gefragt hat? Diese Frage geht auch mir durch den Kopf. Warum gibt es keine Glättung für Tourismusbetriebe? Auch bei diesen Betrieben schwanken die Jahresergebnisse stark, je nach Witterung und Einkommenslage der Kunden. Warum nicht hier? Warum ein Sonderrecht für die gesamte Landwirtschaft, wenn es doch eigentlich um die Milch geht? Auch Ihre Finanzexperten schlagen vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen. Aber Sie von der Union streuen, wie so oft, den Bauern und Bäuerinnen, um über die nächste Wahl zu kommen, Sand in die Augen. Sie verteilen wieder einmal Drops zur Beruhigung des aufgebrachten Landvolks. Wahrscheinlich versuchen Sie morgen auch noch, sich vor dem notleidenden Landvolk als Sankt Martin zu inszenieren. Sie von der Union möchten die Menschen glauben machen, das sei der ganz große Wurf. Dabei ist das Glätten für alle in höchstem Maße ungerecht. Mit der Aufhebung der Veräußerungsgewinnbesteuerung – auch hierauf hob Kollege Priesmeier ab –, die von Ihnen ja ganz groß angekündigt worden ist, sind Sie doch schon krachend gescheitert. Hier wird keine gezielte Hilfe an Betriebe in Not verteilt, sondern Geld nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“. Betriebe in Not machen keine Gewinne, meine Damen und Herren. Was soll denn da eine Gewinnglättung bringen? (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Rechnen können Sie nicht!) Wie bei der Unfallversicherungsbeihilfe wird hier allen und nicht nur den notleidenden Milchbauern gegeben. Selbst 22 Prozent der Landwirte sagen bei der „top agrar“-Umfrage – Kollegin Connemann, hören Sie zu –, (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja, das tut aber weh!) diese Maßnahme sei absoluter Quatsch. Wer hätte das gedacht! Wir Grüne können dem vorliegenden Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen. Die Milchbetriebe brauchen endlich eine wirksame, gezielte Hilfe. Dafür treten wir ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, aus der letzten Krise lernen heißt doch: Statt weißer Salbe und kleiner Weihnachtsgeschenke brauchen wir für die Zukunft endlich wirksame Krisenmanagementinstrumente, um den Zusammenbruch der bäuerlichen Milchviehhaltung zu stoppen. Dafür kämpfen Grüne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck, hier tun manche so, als ob wir jemanden zu Grabe tragen wollten. Wir wollen Hilfen für die Landwirte. Wilhelm, du hast gesagt, die Situation sei ernst. Ja, aufgrund der dramatischen Marktsituation ist sie ernst. Wir wissen, dass wir die Märkte politisch nicht ersetzen oder absolut steuern können. Deshalb bringen wir flankierende Maßnahmen auf den Weg. Das ist erst einmal ein Grund zur Freude. Wir tragen hier niemanden zu Grabe. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen Strukturbrüche vermeiden. Deshalb wollen wir unserer Verantwortung gerade für den ländlichen Raum und für Bauernfamilien gerecht werden und kümmern wir uns, weil wir wissen, dass der ländliche Raum ohne Bauernfamilien sein Gesicht und letztendlich auch sein Herz verliert. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!) Deshalb tun wir etwas. Natürlich kann man immer sagen, das sei zu spät. Ich nehme für uns, die Union, in Anspruch, dass wir den Pakt für die Landwirtschaft mit einem großen Maßnahmenpaket fraktionsintern bereits wesentlich vor der Sommerpause auf den Weg gebracht haben. Heute sprechen wir über zwei Maßnahmen daraus, während es im Gesamten um viel mehr Maßnahmen geht. Wir sprechen zum einen über die europäischen Hilfen, die wir immerhin verdoppeln. Herr Kollege Ostendorff, diese verbinden wir mit einer Mengendisziplin, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja!) die von der Wirtschaft gelebt und nicht staatlich hineingesteuert wird. Das haben wir letztlich auch immer gesagt, und auch die Grünen haben das immer gefordert. Das ist richtig, und dem widerspreche ich auch gar nicht. Hier haben wir aber etwas getan, und das hat Wirkungen im Land entfaltet. Darüber sollten wir uns freuen. Ich persönlich – das gilt auch für meine Fraktion – bin froh, dass das Bundesfinanzministerium bereit war, die 58 Millionen Euro auf 116 Millionen Euro zu erhöhen. Das ist eine große Leistung. Herzlichen Dank dafür auch an die AG Finanzen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Zum anderen reden wir über das Thema Gewinnglättung. Wenn man das infrage stellt – das ist eine Art Risikoausgleichsrücklage –, dann sollte man sich einmal damit beschäftigen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!) Auch weil unser Koalitionspartner das wollte, haben wir das bewusst auf Personengesellschaften begrenzt. Warum? Weil Kapitalgesellschaften einem konstanten Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent und eben nicht einer Steuerprogression unterliegen. So entsteht daraus letztendlich auch eine gewisse Logik. Herr Ostendorff, wenn Sie sagen, nur der Milchwirtschaft müssten wir helfen: Nein, das stimmt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch Schweinebetriebe und Sonderkulturbetriebe haben Probleme, und in diesem Jahr haben auch Ackerbaubetriebe Probleme. Wir fühlen uns für den gesamten ländlichen Raum verantwortlich. Das ist bei Ihnen offensichtlich nicht unbedingt so. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir hätten gerne noch mehr erreicht. Wir wollten zum Beispiel die Freibeträge nicht nur auf Basis des Landverkaufs gestalten, sondern steuerliche Freibeträge generell zur Schuldentilgung, aber nur für die Betriebe, die tatsächlich auf Liquiditätshilfedarlehen angewiesen sind. Auch das wäre zielgerichtet gewesen. Auch wenn das nicht gelungen ist, sind die vorgeschlagenen Maßnahmen, finde ich, ein großer Erfolg. Man muss dies auch im Zusammenhang mit den anderen Maßnahmen sehen, nämlich mit den 70 Millionen Euro des ersten europäischen Hilfspaketes im letzten Jahr, mit den 150 Millionen Euro für eine freiwillige europäische Mengenreduzierung, mit dem Agrarmarktstrukturgesetz, bei dem die Branche bislang natürlich viel zu wenig getan hat, und mit dem Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung, den wir um immerhin 78 Millionen Euro erhöht haben. Wir haben erreicht, dass dies auch noch auf das nächste Jahr verstetigt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Außerdem starten wir noch ein Bürgschaftsprogramm, vorgesehen im Haushalt 2017. Das ist ein Gesamtpaket, von dem letztendlich alle Betriebsstrukturen profitieren. Wir wollen keine Partikularinteressen vertreten, sondern den gesamten ländlichen Raum, und das leisten wir damit, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Somit sind die Maßnahmen ein Erfolg und stellen eine echte Hilfe für unsere Landwirtschaft dar. Wir müssen es schnell machen. Ich hätte auch gerne mehr Zeit, lieber Kollege Priesmeier, aber wir wollen, dass der Entwurf noch den Bundesrat erreicht, damit die Mittel im nächsten Jahr auch tatsächlich wirksam werden. Also lasst uns einmal uns nicht so anstellen, sondern die Dinge dann auch zügig umsetzen. Ich bin jedenfalls allen Beteiligten sehr dankbar, dass wir letztendlich in der Koalition diesen Weg miteinander gehen wollen. An dieser Stelle möchte ich auch einmal die Bundesländer auffordern, dabei zügig mitzugehen. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!) Wir haben über ein Jahr lang nur Forderungen gehört; aber es wurde nichts geliefert. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Übrigen wurde diese Gewinnglättung massiv von der AMK eingefordert. Ich bin sehr gespannt, ob der Bundesrat dann zügig mit uns mitgeht, damit wir den Bauern in Deutschland zügig helfen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Maßnahmenpaket zeigt – es ist nie genug, Herr Kollege Ostendorff, meinetwegen –, dass wir Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung in Deutschland in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns stellen und wir uns ausdrücklich zur Lebensmittelerzeugung in Deutschland bekennen. In einer Zeit, in der viele Landwirte immer stärkeren Anfeindungen unterliegen, unterstreiche ich dies ganz besonders, weil ich meine, die Bauern in Deutschland haben Unterstützung und Anerkennung für ihre tagtägliche Arbeit verdient – bei allen Veränderungsnotwendigkeiten, die in naher Zukunft auch auf uns zukommen werden. Sie haben Unterstützung und Anerkennung verdient. Dafür werben wir als Unionsfraktion. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Lothar Binding das Wort. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Begeisterung vom Kollegen Holzenkamp für die Landwirtschaft schließen wir uns an, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) seiner Begeisterung für die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen natürlich nicht. Das können Sie von einem Finanzer auch nicht erwarten. (Zuruf von der CDU/CSU: Sind wir Koalition oder nicht?) Wir sind dabei, eine Notoperation vorzunehmen. Deshalb lassen wir uns auf bestimmte Dinge ein; denn eines ist klar: Steuerliche Sondertatbestände, Schedulenbesteuerung, steuerliche Bevorzugung bestimmter Branchen oder bestimmter Bevölkerungsgruppen sind für uns ein Gräuel. Das sind Dinge, die man eigentlich nicht machen darf, es sei denn, man lässt sich darauf ein, zu erkennen, dass eine Notlage besteht. Dann muss man vielleicht auch von solchen Grundsätzen abweichen. Ich meine, Kollege Priesmeier hat die kritischen Punkte im vorliegenden Gesetzentwurf genannt. Insofern ist die Sache etwas komplizierter, und auch der Name „Milchsteigerungsvermeidungsverordnung“ deutet eine Zielgenauigkeit an, die wir mit dem Gesetz nicht erreichen. Auch das ist schon angesprochen worden, und das sehen wir in der Finanzarbeitsgruppe natürlich ebenfalls. Die Bauern mit Milchkühen haben schon länger Probleme; sie sind schon lange in einer schwierigen Lage. Überhaupt ist die Landwirtschaft schon lange in einer schwierigen Lage – wenn ich mich richtig erinnern kann, eigentlich seit der Nachkriegszeit. Seit der Nachkriegszeit gab es immer wieder große Verwerfungen in diesem Markt, und im Grunde haben wir heute mit Spätfolgen, wenn man so will, fehlgelenkter Marktbeeinflussung der 50er-, 60er- und 70er-Jahre zu tun. Der Markt war anfangs schlecht reguliert, dann schaffte die Kommission noch die Quote ab. Was ist passiert? Überproduktion und Preisverfall in hochvolatilen Märkten, und das war eine Ursache für die aktuellen Probleme. Jetzt habe ich irgendwie 50 Jahre übersprungen, und wir sind heute in einer aktuellen Problemlage und wollen darauf aktuell reagieren. Man erkennt daran aber auch, dass die Lobby, die in diesem Markt agiert, offensichtlich verlernt hat, was normales Marktgeschehen ist. Ein normaler Markt verfügt über eine automatische Stabilisierung. Das gibt es nicht mehr. Es ist alles so verworfen, dass man ohne künstliche Maßnahmen gar nicht mehr zurechtkommt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das begründet heute befristete Maßnahmen, weil wir sagen: Wir sind in einer Art Übergangsmarkt hin zu einer dann hoffentlich von allen mitgetragenen Normalität, in der es dann solche Maßnahmen nicht mehr braucht. In dieser Übergangsphase wollen wir den Bauern befristet helfen, natürlich im Wesentlichen mit Liquidität, ein bisschen Steuernachlass und einer Absenkung der Progression. Dabei muss man auf der Gegenseite fragen: Ist das mit Blick auf die wirklich exorbitant gute Eigenkapitalausstattung der meisten Betriebe das richtige Instrument? Denn die haben eine Eigenkapitalausstattung, von der alle anderen in der Welt nur träumen können: von über 70 Prozent. So könnte man sich möglicherweise auch andere Transfers vorstellen. Gleichwohl: Wir haben jetzt einen Kompromiss gefunden und wollen eine gewisse Gewinnglättung und damit die hoch schwankende Einkommensteuer als Folge von hoch schwankenden Gewinnen moderieren. Man muss sagen, dass die CDU-Kollegen diese Maßnahmen unbefristet haben wollten und damit den falschen Reflex für die Hoffnung entwickeln, dass sich der Markt ordentlich stabilisiert und wie ein normaler Markt funktioniert. Sie hätten damit im Grunde unterschrieben, dass der Markt nie mehr normal funktionieren wird. Diese Hoffnung wollen wir natürlich nicht aufgeben. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, man muss sich immer das Gefühl für ein subventionsfreies Marktgeschehen erhalten, sonst hat man dauerhaft ein Problem. Es ist natürlich klar: Ich denke, Spezial- und Fachausschüsse dürfen sich nicht im Lobbyismus verlieren. Wir alle sind in jedem Fachausschuss dem gesamten Volk verpflichtet. Jetzt komme ich kurz zur Definition: Wie sieht die Hilfe eigentlich aus? An der Gewinnermittlung an sich ändert sich gar nichts. Er wird in drei Jahren jahresbezogen ermittelt. Daraus ergeben sich die genannten Schwankungen. Was passiert dann tatsächlich? Wir wollen alle Gewinne und Verluste über die drei Jahre verteilen, dann gibt es eine Günstigerprüfung. Bei diesem Ergebnis schauen wir: Steigert sich die Progression? Dann passiert den Landwirten nichts, denn die Progression wird abgeschwächt. Dadurch helfen wir natürlich den Landwirten, die Belastungen aus der Volatilität der Einkünfte zu überwinden. Ich will noch eine Bemerkung machen, weil wir das für eine verträgliche Hilfe halten. Der Minister hat sehr stark von Risikoverteilung und Subventionen gesprochen. Ich glaube, das ist der falsche Blick auf Lösungsmomente. Wir müssen vielmehr fragen: Gibt es faire Preise im Markt? Gibt es faire Löhne? Gibt es gute Produktionsbedingungen und gute Vermarktungsbedingungen? Erst in zweiter, dritter oder vierter Linie sollten wir überlegen: Wie verteilen wir Risiken künstlich per Parlament? Wie wollen wir die Subventionen künstlich per Parlament so verteilen, dass es den Betrieben gut geht? Ich glaube, wir sollten uns in diesem Falle viel mehr dem Naturgeschehen des Marktes anvertrauen. Das könnte langfristig die beste Politik sein. Mit diesem Verständnis und sogar Vertrauen in einen Markt, der gegenwärtig unter großen Verwerfungen leidet, schauen wir positiv in die Zukunft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Olav Gutting, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Olav Gutting (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bauer sucht Geld – die wirtschaftliche Situation vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist mehr als angespannt. Viele unserer Bauernfamilien kämpfen in diesen Monaten um ihre Existenz. Es braucht deshalb in der Krise Hilfsmaßnahmen für Höfe und für den ländlichen Raum. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Hilfsmaßnahmen hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits im frühen Sommer mit ihrem Pakt für die Landwirtschaft gefordert. Das ist nichts Neues. Dafür kämpfen wir schon seit vielen Monaten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben es eben schon gehört: Es geht hier vor allem um direkte Hilfen, aber auch um steuerliche Erleichterungen. Mit der in diesem Entwurf vorgesehenen Änderung des Einkommensteuergesetzes verbessern wir die Möglichkeit zur Gewinnglättung für Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft. Konkret: Der Gewinnermittlungszeitraum bei Landwirten soll von derzeit zwei Jahren auf drei Jahre verlängert werden. Hierzu werden dann die steuerpflichtigen Einkünfte von drei Jahren summiert – Kollege Binding hat es schon erklärt, aber ich will es noch einmal sagen; Redundanz hilft hier, weil es nicht ganz unkomplex ist – und gleichmäßig verteilt. Liegt dann die tatsächlich gezahlte Einkommensteuer höher als die fiktiv berechnete, dann wird es am Ende des letzten Veranlagungszeitraums eine entsprechende Steuerermäßigung oder -erstattung geben. Damit unseren Landwirten auch schnell geholfen wird, soll diese Gewinnglättung rückwirkend erstmals für die Jahre 2014 bis 2016 möglich sein. Das heißt, es kann sofort ab dem nächsten Jahr mit dieser zusätzlichen Liquiditätshilfe gerechnet werden. Möglich ist diese Glättung bis zum Veranlagungszeitraum 2022. Man kann in der Tat über diese Begrenzung unterschiedlicher Meinung sein. Aber ich glaube, sie macht am Ende doch Sinn; denn wir wollen natürlich keine Dauersubvention, (Beifall des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) sondern wir wollen eine Soforthilfe für den vielfach anstehenden Transformationsprozess. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zur Wahrheit gehört auch, dass wir von der Union uns noch mehr hätten vorstellen können. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!) Wir wollten eigentlich unseren Landwirten in dieser kritischen Situation noch mehr helfen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Mehr war mit dem Koalitionspartner nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Man kann trotz dieser Einschränkung sagen: Der steuerliche Teil der Hilfsmaßnahmen ist eine spürbare Verbesserung insbesondere für unsere gebeutelten Milchbauern. Vorhin haben Sie, Herr Kollege Ostendorff, aus einer Umfrage zitiert. Sie haben irgendwas von 20 Prozent erzählt. Sie sollten die Umfrage schon richtig zitieren. Sie kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass über 70 Prozent der Befragten diese Maßnahmen als gut und enorm hilfreich empfinden. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Finanzer will ich nicht verhehlen, dass wir uns bei den Beratungen zu dem Gesetzentwurf schwergetan haben. Ausnahmen bei der Besteuerung sind immer problematisch, und es bleibt am Ende doch in steuersystematischer Hinsicht bei gewissen Bauchschmerzen. Auch andere Branchen – das wurde schon gesagt – leiden unter Marktschwankungen und sind witterungsabhängig. Trotzdem haben wir in der Landwirtschaft eine Sondersituation: Viele Bauern und ihre Familien in Deutschland leiden unter den Preiseinbrüchen bei ihren Erzeugnissen und befinden sich in einer außerordentlich schwierigen Lage. Für sie geht es schlichtweg um die Existenz. Sie befinden sich in einer akuten Notlage. Deswegen werden wir unseren Bauern, dem Herzstück und Gesicht des ländlichen Raumes, mit diesem Gesetz helfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns mit diesem Gesetz sputen. Ich freue mich auf die weiteren parlamentarischen Beratungen, und ich hoffe, dass wir angesichts der prekären Lage vieler Landwirte auf einen raschen Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens zählen können, damit wir dann schnell dem ländlichen Raum in der Krise helfen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10237 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c sowie Zusatzpunkt 6 auf: 9   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Drucksache 18/10207 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Strafrechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen Drucksache 18/7508 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht Drucksache 18/10240 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis Drucksachen 18/8078, 18/10279 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keine anderen Vorschläge. Dann ist so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer. (Beifall bei der SPD) Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung eine weitreichende Modernisierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Das ist eine vermeintlich trockene Materie. Aber diese hat es in sich, weil in einigen Bereichen Handlungsbedarf besteht. Die 9. GWB-Novelle bringt das Wettbewerbsrecht auf den Stand des digitalen Zeitalters. Gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass das althergebrachte Instrumentarium des Wettbewerbsrechtes nur zum Teil auf die neuen Geschäftsmodelle einer digitalisierten Welt passt. Mit der Novelle schaffen wir nun ein – ich nenne es einmal so – Wettbewerbsrecht 4.0. Das Bundeskartellamt hat sich bereits intensiv mit der Rolle von Facebook, Amazon und Co. befasst. Wir geben mit diesem Wettbewerbsrecht dem Kartellamt nun neue Beurteilungskriterien an die Hand. Hierzu zählen zum Beispiel Netzwerk- und Skaleneffekte sowie der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten. Der Bedeutung von Daten als neuer Währung unserer Zeit tragen wir auch bei der Fusionskontrolle Rechnung. Sie wird auf Fälle erweitert, die bislang außerhalb unseres Radars geblieben sind. Die Übernahme von WhatsApp durch Facebook hat gezeigt, dass auch Unternehmen ohne nennenswerte Umsätze erhebliche wettbewerbliche Bedeutung haben können und entsprechend teuer sind. Bislang war die Voraussetzung für die deutsche Fusionskontrolle aber nur, dass bestimmte Umsatzschwellen erreicht werden. Der Kaufpreis spielte dabei keine Rolle. Das ändern wir jetzt. Wichtige Impulse dafür hat uns die Monopolkommission in ihrem Sondergutachten zur Digitalisierung gegeben. Die Erweiterung der Fusionskontrolle ist so gestaltet, dass sie die deutsche Start-up-Szene nicht beeinträchtigt. Sie greift erst ab einem Kaufpreis von mehr als 400 Millionen Euro. In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland maximal eine einzige Übernahme pro Jahr. Hier geht es also nur um die Spitze des Eisbergs. Im Übrigen bedeutet eine Prüfung der wettbewerblichen Auswirkungen natürlich nicht per se ein Verbot von Fusionen. Das Kartellamt soll sich jedoch die Fälle genau ansehen können. Bei den Bußgeldern schließen wir nach der Aufdeckung eines Kartells in der Fleischwarenindustrie mit der Novelle die sogenannte Wurstlücke. Die beteiligten Unternehmen haben sich den Bußgeldern durch gesellschaftsrechtliche Tricks entzogen. Zwar ist es nicht möglich, hier rückwirkend etwas zu unternehmen. Aber so etwas wird es in Zukunft nicht mehr geben können. Wir schließen diese Lücke, indem wir eine umfassende Verantwortlichkeit der Unternehmen einführen. Künftig werden sowohl die Muttergesellschaft für ihre Tochter als auch der Nachfolger für ein gekauftes Unternehmen die Bußgelder für frühere Kartelle zahlen müssen. Das schließt zugleich eine Gerechtigkeitslücke; denn derartige Tricks können sich nur Konzerne erlauben. Der Mittelständler mit einer einfachen Unternehmensstruktur musste hier bisher zuschauen, wie große Kartellanten davonkommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen darüber hinaus ein wichtiges Signal gegen einen zum Teil ruinösen Preiskampf im Lebensmitteleinzelhandel; die Debatte über den Milchpreis zeigte, dass dort einiges los ist. Dazu entfristen wir das Verbot, Lebensmittel unter Einstandspreis zu verkaufen. Solche Lockangebote sollen nicht zu unfairem Wettbewerb führen. Dies ist nicht nur für uns, sondern auch für die Landwirtschaft und die Lebensmittelhersteller ein Anliegen. Schließlich erleichtern wir mit der Novelle die Kooperation von Presseverlagen; das hatten wir uns schon im Koalitionsvertrag vorgenommen. Künftig können Verlage jenseits der Redaktionen etwa den Anzeigenvertrieb gemeinsam organisieren. Das wird gerade kleinen Verlagen und Lokalzeitungen helfen, sich wichtigen Aufgaben im digitalen Zeitalter zu stellen. Wie Sie sehen, ist die 9. GWB-Novelle ein umfassendes Projekt, das deutsche Wettbewerbsrecht zeitgemäß zu gestalten und den Kartellbehörden die notwendigen Instrumente zu geben und Durchsetzungskraft zu verleihen. Diese Novelle ist aber nicht das Ende der Geschichte. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir im letzten Verfahren der Ministererlaubnis gemacht haben, evaluieren wir gerade, ob und wie wir zu weiteren Verbesserungen und Klarstellungen im Rahmen dieser Novelle kommen können. Meine Damen und Herren, hier ist Klarstellungsbedarf nötig. Den leisten wir. Bitte stimmen Sie unseren Wünschen und unseren Vorschlägen zu. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Michael Schlecht. (Beifall bei der LINKEN) Michael Schlecht (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in diesen Gesetzentwurf hineinschaut, stellt man fest: Es geht um die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen. – Dabei fällt eine Sache sofort auf, dass durch einen Punkt in dieser Novelle, den Sie, Herr Beckmeyer, zum Schluss Ihrer Rede merkwürdigerweise auch noch lobend erwähnt haben, die Bildung von Kartellen erleichtert, ja geradezu provoziert wird. Sie selbst haben eben den Pressebereich angesprochen: Es soll geregelt werden, dass Presseverlage, also Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, in allen Bereichen unterhalb der Schwelle der Redaktion Kooperationen und Zusammenschlüsse mit anderen Unternehmen eingehen können, also quasi auch Kartelle bilden können. Ich finde, es ist schon ein Schildbürgerstreich hoch drei, wenn so etwas in so einem Gesetz steht. Unter der Überschrift „Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen“ werden Marktteilnehmer hier sozusagen zur Kartellbildung aufgefordert. Ich meine, das kann man nur ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Die Folgen einer solchen Regelung sind vollkommen klar: Presseunternehmen – es sind im Regelfall die mehr oder minder großen Pressekonzerne – transferieren mit weiteren Auslagerungen Tätigkeiten in tariflose Tochterunternehmen hinein. Was das für die Kolleginnen und Kollegen, die dort arbeiten, bedeutet, das haben sie schon längst verstanden. Deswegen opponiert Verdi gegen diese Regelung in diesem Gesetzentwurf heftig. Ich will jetzt auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass Sie jetzt im Lichte der Erfahrungen gerade mit der jüngsten Ministererlaubnis überprüfen, ob man dort etwas verbessern wird. In der Tat – wir haben dazu einen Entwurf vorgelegt – sind wir der Auffassung, dass man es verbessern muss, konkret: dass man die Last einer Ministererlaubnis, im Notfall einer Erlaubnis für eine Fusion, wenn sie aus Gründen des Gemeinwohls notwendig ist, im Grunde genommen ein Stück weit von der Schulter eines einzelnen Ministers herunternehmen sollte. Wir sind dafür, dass der Minister eine solche Entscheidung dem Parlament unterbreiten soll und sich das Parlament bitte schön mit solchen gravierenden Fällen beschäftigt. Ich finde, auch in dem jüngsten Fall hätte es uns gut angestanden, wenn wir hier im Parlament über den Übergang von Kaiser’s Tengelmann zu Edeka debattiert und entschieden hätten. Dann wäre von Anfang deutlich geworden, worum es geht, nämlich auch darum, 16 000 Arbeitsplätze zu retten. Deswegen lautet unser Vorschlag, dass man dies in Zukunft verändert und dass man diese Möglichkeit herbeiführt. Ein wichtiger Punkt, der dabei mit geregelt wäre, wenn es eine derartige Parlamentsentscheidung gäbe, ist, dass wir als Kontrollinstanz über uns nur noch das Bundesverfassungsgericht hätten. Ich fand es wirklich unerträglich, mit anzusehen, wie die Ministererlaubnis von den Herrschaften an einem Oberlandesgericht zerpflückt wurde. (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Zu Recht!) Ich finde, dies geschah mit zum Teil ziemlich abenteuerlichen Argumentationen. Diese Ministererlaubnis ist dann erst einmal auf Eis gelegt worden, sodass in den Filialen von Kaiser’s Tengelmann dann doch wieder die Angst eingezogen ist, weswegen die Kolleginnen und Kollegen aufs Neue gezittert haben, ob ihre Arbeitsplätze gerettet werden können. Ich halte es für eine völlig unangemessene Vorgehensweise, solch einen Fall einem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorzulegen. Es ist eine politische Entscheidung, ob man so etwas macht, ob man 16 000 Arbeitsplätze rettet und ob man dabei bestimmten Gemeinwohlprinzipien folgt. Das muss aus unserer Sicht politisch entschieden werden, und zwar hier im Parlament. Denn nur so ist es angemessen. Es darf nicht von irgendwelchen Herrschaften in dunklen Talaren entschieden werden, die zur Arbeitswelt vielleicht eine gewisse Fremdheit haben. Jedenfalls ich habe in meinem langen Berufsleben erlebt, dass man bei Gericht eine gewisse Fremdheit gegenüber den Bedingungen in der Arbeitswelt hat. Deswegen bitten wir um Unterstützung unseres Antrags. Wir wollen, dass so etwas in Zukunft im Parlament behandelt wird. Unterstützen Sie diese Initiative! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Dr. Matthias Heider spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Wettbewerbsrecht ist die Straßenverkehrsordnung, die wir auf dem Markt haben. Die Unternehmen in Deutschland fahren gut damit. Wir haben in den allermeisten Branchen einen gesunden Wettbewerb. Trotzdem müssen wir als Parlament alle paar Jahre danach schauen, ob die Regeln noch den wirklichen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechen. Da gibt es Vorfahrtsregeln, und es gibt Stoppschilder. Manche Verkehrsteilnehmer schlagen über die Stränge. Da wird gerempelt, und andere werden sogar ausgebremst. Deshalb haben wir heute den Gesetzentwurf zur neunten Novelle des Wettbewerbsrechts vorliegen. Wir wollen, dass der Wettbewerb offen bleibt, bei Verletzung der Spielregeln Bußgelder eingetrieben und Schadensersatzansprüche leichter durchgesetzt werden können. Insgesamt umfasst die neunte GWB-Novelle fünf große Bereiche. Als Erstes ergänzen wir die Kriterien, mit denen wir im Kartellrecht einen Markt bestimmen. Die Digitalisierung verändert alle unsere Lebensbereiche. Es entwickeln sich neue Geschäftsmodelle, bei denen oft keine unmittelbare Gegenleistung für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen gefordert wird. Ein Beispiel, das wir alle kennen, ist die Google-Suche, die wir als Nutzer ohne Gegenleistung in Anspruch nehmen. Solche Märkte können wir bisher mit den Regeln des Kartellrechts nicht in den Griff bekommen. Unsere Gesetze sind darauf angelegt, dass wir einen Markt haben, bei dem letztendlich auch eine Gegenleistung fließt. Das müssen wir ändern. Wir werden die Kriterien an die Marktbetrachtung anpassen. Wir wollen uns auf das Zeitalter der Digitalisierung besser einstellen. Das gilt auch für die Fusionskontrolle. Der Fall „Facebook/WhatsApp“ ist schon angesprochen worden. So war es möglich, dass ein Unternehmen für fast 20 Milliarden Dollar übernommen werden konnte. Aber das Kartellrecht in Deutschland gab dem Bundeskartellamt keine Möglichkeit, einen solchen Vorgang zu prüfen. Das müssen wir ändern. Die Digitalisierung spiegelt sich auch in anderen Branchen wider, aber nicht nur mit Vorteilen. Besonders betroffen von der Digitalisierung sind die Pressebranche, die Presseverlage. Einerseits gehen die Umsätze bei Zeitungen und Zeitschriften zurück. Andererseits stehen die Presseverlage in erheblicher Konkurrenz zu den großen Onlineanbietern. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Kooperationen von Presseverlagen unterhalb der redaktionellen Ebene für zehn Jahre vom Kartellverbot ausnehmen wollen. Pressevielfalt, meine Damen und Herren, ist in einem demokratischen Rechtsstaat wichtig, und den wollen wir an dieser Stelle fördern. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Heider, ich darf Sie kurz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht? Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Ja, bitte. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber keine schlichte Zwischenfrage!) Michael Schlecht (DIE LINKE): Herr Kollege, Sie führten gerade an, dass die Presseverlage vor den Internetunternehmen geschützt werden sollten. So ungefähr kann man das übersetzen. Aber ist Ihnen denn nicht bewusst, dass mittlerweile zu einem erheblichen Teil gerade Presseverlage selbst im Internetgeschäft unterwegs sind und von daher eine Schutzbedürftigkeit in dem Sinne nun wirklich nicht besteht? Vielmehr wäre es nach wie vor wichtig, die Pressekonzentration zu bekämpfen und nicht die Regelungen, wie ich in meiner Rede schon ausgeführt habe, in diese Novelle einzubauen, die faktisch dazu führen, dass geradezu ein Aufruf dazu besteht, zusätzliche Kartelle zu bilden. So weit. Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Kollege. – Es ist natürlich immer so: Gerade da, wo Märkte im Umbruch sind, ist der Gesetzgeber gefordert, jedenfalls für eine kurze Zeit zu helfen und die Wettbewerbsstrukturen etwas mitzugestalten. Genau das machen wir im Pressebereich. Ich wüsste keine Regelung, die angemessener wäre, als für eine Zeit lang in einem so wichtigen Bereich wie der Meinungsvielfalt die Regeln etwas anzupassen. Wir werden zum Normalbetrieb zurückkehren müssen. Meine Damen und Herren, es gibt einige Tatbestände im Bereich der Missbrauchsaufsicht, die schon angesprochen worden sind: Vorschriften zu Verboten und Verhaltensweisen, das Anzapfverbot, der Verkauf unter Einstandspreis. Wir haben vorhin über den Milchsektor gesprochen; der Kollege Knoerig wird sich damit gleich noch intensiv beschäftigen. Lassen Sie mich noch zu einer Folge von Kartellverstößen kommen, die Ihnen vorhin schon als sogenannte Wurstlücke vorgestellt worden sind. Im Bußgeldrecht schließen wir die sogenannte Wurstlücke. Das Kartellamt konnte aufgrund der Lücke einen festgesetzten Bußgeldbetrag bei einem großen Wursthersteller nicht eintreiben. 130 Millionen Euro sind dem Kartellamt durch die Lappen gegangen. Das liegt an einer Lücke im deutschen Kartellrecht. Unternehmen können sich umstrukturieren, und dann kann der Bußgeldbescheid bei ihnen nicht mehr vollstreckt werden. Das ist ungerecht. Vor allen Dingen müssen wir befürchten, dass, wenn das so bleibt, Einzelkaufleute sowie mittlere und kleinere Unternehmen immer diejenigen sind, die das Nachsehen haben, weil sie nicht in dieser Weise umstrukturieren können. Wir wollen diese Lücke schließen. Deshalb ist es erforderlich, dass wir in diesem Bereich an den einheitlichen europäischen Unternehmensbegriff anschließen, das deutsche Recht in diesem einen Fall wirklich vollständig an das europäische Recht anschließen. Das Kartellrecht ist ein Bereich, der im Wesentlichen von Europarecht geprägt ist. Auch im Bereich des Schadensersatzes werden wir tätig. Das hilft den durch Kartelle Geschädigten, Schadensersatzansprüche besser durchzusetzen. Meine Damen und Herren, was wir noch nicht in der Kartellrechtsnovelle vorgesehen haben, ist eine Änderung des Ministererlaubnisverfahrens. Die Union setzt sich dafür ein, dass wir den Erkenntnissen aus dem Verfahren um Edeka/Kaiser’s Tengelmann Rechnung tragen. Sie sind durchaus schwerwiegend. Der unerfreulich lange Verlauf dieses Verfahrens bringt uns dazu, Änderungsbedarf an dieser Stelle anzumelden. Zunächst einmal ist das große Engagement des Ministers zu loben, der versucht hat, die Arbeitsplätze zu schützen. Ich glaube, es gibt niemanden in diesem Haus, der nicht unterstreichen würde, dass Arbeitnehmer und die Unternehmen in einer solchen Größenordnung geschützt werden sollten. Das ist lobenswert und nicht zu beanstanden. Ich erinnere aber daran, dass nach der Versagung der Übernahme durch das Kartellamt im April 2015 die Ministererlaubnis von Edeka/Kaiser’s Tengelmann beantragt wurde, aber erst elf Monate später, im März 2016, eine Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers erging. Diese Entscheidung wurde von Wettbewerbern beklagt. Die Klage ist bis heute nicht vom Tisch, weil Rechte der Beteiligten nicht genügend beachtet worden sind und weil das Argument „Gemeinwohl liegt vor“ auf verfassungswidrige Gründe gestützt worden ist; so sagt es das Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Gewerkschaften sollten bei der Übernahme das Feintuning durch Tarifverträge sicherstellen; so die Auflage des Ministers. Das hat sich als harte Nuss erwiesen, meine Damen und Herren. Fünf Monate hat Edeka gebraucht, um einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln. Die Zeit rannte den Beteiligten davon. Die Klage des Wettbewerbers Rewe ist immer noch anhängig, und ein Altbundeskanzler musste bemüht werden, um zwischen den Beteiligten zu vermitteln. Was jetzt kommt, ist schon etwas für exekutive Feinschmecker, meine Damen und Herren. Herausgekommen ist beim Einsatz des Altkanzlers offenbar eine Empfehlung, die Edeka und Kaiser’s Tengelmann auch schon damals aus der Entscheidung des Bundeskartellamtes im Jahr 2015 unschwer hätten ablesen können. Eine Einigung zwischen Edeka und Rewe auf Weiterverkauf von Filialen von Edeka an Rewe muss sich jetzt nicht nur im Rahmen der Ministererlaubnis bewegen, also sämtliche Punkte einhalten, auch die des Tarifvertrages mit den Gewerkschaften – tut sie das nämlich nicht, brauchen wir eine völlig neue Ministererlaubnis –; das Bundeskartellamt muss jetzt auch erneut entscheiden, nämlich darüber, ob Rewe möglicherweise Filialen aus diesem Paket der Edeka übernehmen darf. Welche Maßstäbe wird es da wohl anwenden? Hatte das Bundeskartellamt nicht schon im Jahr 2015 klar und deutlich gesagt, dass die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel hoch ist? Meine Damen und Herren, wir drehen uns an dieser Stelle im Kreis. Um die Bilanz ist es nicht gut bestellt: zwei verlorene Jahre für die Sicherheit der Arbeitnehmer und der Unternehmer, zwei Jahre Wertverlust, enttäuschtes Vertrauen in ein rechtsstaatliches Verfahren, fehlender Zugang zu Information, mangelndes rechtliches Gehör für die Beteiligten. Auch das Amt des Bundeswirtschaftsministers, meine Damen und Herren, ist dabei ein bisschen beschädigt worden. Zum Glück scheint der Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann noch ein gutes Ende nehmen zu können. Wir als Union sind der Überzeugung: Eine solche Hängepartie darf sich nicht wiederholen. Der Gesetzgeber muss deshalb die Konsequenzen aus diesem Verfahren ziehen, sonst wird kein Unternehmen in Deutschland jemals wieder versuchen, eine Ministererlaubnis in einer besonderen Lage zu beantragen. Wir als Union möchten die Ministererlaubnis stärken. Wir möchten die Entscheidungsfindung des Ministers klarer und effektiver gestalten. Wir möchten die Rechte der Beteiligten schützen. Dazu gehören die folgenden Eckpunkte. Die Verfahrensdauer der Ministererlaubnis von vier Monaten ist im geltenden Recht eine Sollvorschrift, also eine eher freundliche Empfehlung. Wir glauben, dass ein solches Verfahren in spätestens sechs Monaten beendet sein muss. Wir sind deshalb der Auffassung: Wenn innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung gefällt wird, dann muss dieses Verfahren beendet sein, weil der Antrag damit abgelehnt ist. Wir möchten einen festen Zeitpunkt für die öffentliche mündliche Verhandlung haben. Außerdem soll der Entscheidungsentwurf des Ministers zwingend öffentlich konsultiert werden. Die Beteiligten und die Beigeladenen sollen Gelegenheit haben, die Akten in einem Aktenraum in Echtzeit einsehen zu können. Wenn der Minister die Sollvorgabe von vier Monaten, wie sie im Moment im Gesetz steht, für eine Entscheidung nicht einhält, dann wollen wir Parlamentarier aus erster Hand informiert werden. Die Verfahrensvorschriften, die es dazu braucht, sollen transparent sein. Sie sollen in einer Verordnung gebündelt werden. Wir wollen daher, dass es eine Verordnungsermächtigung mit Parlamentsvorbehalt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gibt, damit eindeutig klar ist, wie die Spielregeln für den Wettbewerb in solch einer besonderen Situation sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein von den Grünen und Linken gefordertes Vetorecht oder sogar einen Parlamentserlaubnistatbestand lehnen wir ab. Meine Damen und Herren, das zu entscheiden, ist eine Aufgabe der Exekutive, nicht des Parlamentes. Herr Schlecht, dass Sie ein Problem mit Gewaltenteilung haben, habe ich gerade erst wieder bei Ihrer Kritik am Oberlandesgericht wahrgenommen. Insgesamt: Der Gesetzentwurf der 9. GWB-Novelle ist gut gelungen. Es gibt noch einige Stellschrauben, an denen wir arbeiten müssen, und einige Dinge, die verbessert werden können. Dazu wollen wir die nächsten Wochen und Monate nutzen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stimmen unserem Antrag zu?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Katharina Dröge, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung heute einbringt, stellt die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für den Bereich der digitalen Märkte in den Mittelpunkt. Das ist richtig, das ist notwendig. Allein: Es kommt ungefähr zehn Jahre zu spät; denn das, was wir uns im Bereich der Digitalwirtschaft angucken müssen, ist eine erhebliche Konzentration von Marktmacht. Bei Unternehmen wie Facebook und Google müssen wir feststellen, dass diese mittlerweile Wettbewerbspositionen haben, die für andere Unternehmen kaum noch angreifbar sind, und dass sie den Kunden ein Angebot bieten, zu dem es kaum noch Alternativen gibt. Diese Dominanz, diese Marktmacht ist schlecht – nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für den Datenschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Beispiel ist die Fusion von Facebook und WhatsApp, über die wir heute schon gesprochen haben. Wenn man sich anguckt, was nach dieser Fusion, die das Bundeskartellamt genehmigt hat, passiert ist, dann muss man sagen: Es gab eine massive Verschlechterung für die Verbraucher und Verbraucherinnen, weil die AGBs und damit die Datenschutzbestimmungen geändert wurden, die für die Verbraucher und Verbraucherinnen relevant sind. Da es keine Alternative mehr zu diesen Netzwerken gibt, waren die Verbraucher und Verbraucherinnen dieser Verschlechterung willkürlich ausgeliefert. Das ist ein Missbrauch von Marktmacht, gegen den das Wettbewerbsrecht vorgehen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aus diesem Grund ist es richtig, dass Sie mittlerweile endlich sagen: Auch die Zahl der Nutzer und Nutzerinnen, auch die Datenkonzentration müssen bei der Fusionskontrolle und bei der Bewertung von Marktmacht eine Rolle spielen. Allerdings hätten Sie durchaus noch weitergehen können. Auch den Zugang zu Analysemethoden, also Algorithmen, dem Gold, das die Unternehmen eigentlich haben, hätten Sie bei der Bewertung von Marktmacht in den Blick nehmen müssen. Oder das Thema Marktabgrenzung. Auch hier – das hätte der Fall Facebook/WhatsApp auch hergegeben – hätten Sie schauen müssen, welche Marktmacht aus der Zusammenführung von Daten entsteht, welche neuen Geschäftsfelder aus der Zusammenführung von Daten erwachsen können. Es geht nicht nur darum, die Fusionskontrolle zu verschärfen, sondern es geht ganz grundsätzlich um die Frage, wie man in Zukunft in solchen Märkten, die so hochkonzentriert sind, Wettbewerb überhaupt noch ermöglichen kann. Wie kann es in Zukunft möglich sein, dass neue, dass kleine Unternehmen noch eine relevante Konkurrenz für solche Giganten wie Facebook oder WhatsApp darstellen? Das Thema Interoperabilität wäre hier ein wichtiges Thema gewesen, also zum Beispiel der Zugang zum Messenger. Bei jeder E-Mail ist es möglich, dass ich von Gmail zu GMX oder Web.de meine E-Mails schicke, mich über die Grenze von Anbietern hinweg miteinander austausche. Aber bei den Messengerdiensten von Facebook, WhatsApp und Co. ist das nicht möglich. Man muss in einem geschlossenen System bleiben. Sie bleiben die Antwort auf die Frage, warum Sie zum Beispiel dieses Thema nicht angehen und einen ersten Schritt für mehr Wettbewerb in diesem hochkonzentrierten Markt schaffen, schuldig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir über das Thema Marktmacht im Bereich der Digitalwirtschaft reden, dann ist das nicht nur ein technisches Thema, ein Wettbewerbsthema, sondern es hat ganz persönlich für uns und für unser gesellschaftliches Leben Auswirkungen. Denn das, was ganz oben bei Facebook oder Google angezeigt wird, hat Einfluss darauf, welches Buch Sie lesen, weil Sie es bei Ihrer Kaufentscheidung berücksichtigen, welchen Artikel Sie in der Zeitung lesen und damit, welche politische Einflussnahme und politische Meinung Sie bekommen, welches Auto Sie kaufen, welche Versicherung Sie abschließen. Das, was Sie suchen, gibt auch Informationen über Sie selbst preis, wie gesund Sie sind oder wie ihre finanzielle Ausstattung ist. All das sind hochsensible Informationen, mit denen die Konzerne umgehen. Über all das müssen wir als Gesetzgeber entscheiden. Hier liegen riesige Zukunftsaufgaben vor uns. Mit diesem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fangen wir heute ein kleines bisschen an. Das sind aber Debatten, die noch lange nicht abgeschlossen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im GWB regeln Sie eine ganze Reihe anderer Themen, die die Kollegen teilweise schon angesprochen haben. Auf ein Thema möchte ich ganz besonders zu sprechen kommen. Das ist die Reform der Ministererlaubnis. Wir Grüne haben schon im April dieses Jahres einen Antrag eingebracht und haben gesagt: Angesichts dessen, was wir mit der Fusion von Kaiser’s Tengelmann und Edeka erleben, angesichts des Umgangs von Wirtschaftsminister Gabriel mit diesem Verfahren – schlecht gemanagtes Verfahren; das Gericht hat das Ganze gestoppt, weil es teilweise den Vorwurf der Befangenheit festgestellt hat –, angesichts des elf Monate dauernden Entscheidungsprozesses des Ministers, in denen es dem Unternehmen immer schlechter ging, angesichts der Argumente, die vom Minister nicht geprüft wurden – beispielsweise wie gefährdet die Arbeitsplätze bei den Wettbewerbern oder bei den Zulieferern sind –, ist die Ministererlaubnis reformbedürftig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gabriele Katzmarek [SPD]: Absoluter Quatsch!) Wir haben bereits im April einen Vorschlag gemacht. Wir stellen ihn heute zur Abstimmung und hoffen auf Ihre Unterstützung. Wir sagen: Die Ministererlaubnis muss raus aus dem Hinterzimmer. Wir brauchen mehr demokratische Kontrolle und mehr Transparenz. Deswegen schlagen wir ein zweistufiges Verfahren vor. Als Erstes prüft und entscheidet der Minister, informiert den Bundestag, und dann haben wir die Möglichkeit, falls wir es anders sehen, ein suspensives Veto gegen diese Entscheidung einzulegen. Wir schlagen vor, dass dies schnell und zügig geht, damit die Verfahren nicht unnötig verlängert werden. Aber der große Vorteil ist: Nicht ein Mensch allein entscheidet über das Wohl und Wehe von 16 000 Arbeitsplätzen, sondern das ist eine Entscheidung, die wir als Haus gemeinsam treffen. Es ist eine politische Entscheidung, die wir gemeinsam tragen müssen. Es würde das Verfahren transparenter machen, es würde das Verfahren besser machen, es würde es auch nicht langsamer machen. Deshalb bitte ich Sie heute um Zustimmung zu unserem Antrag. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Marcus Held. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marcus Held (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere auf Basis einer EU-Richtlinie aus dem Jahre 2014, die wir entsprechend in deutsches Recht umsetzen. Wir befassen uns auch deshalb damit, weil wir der Digitalisierung in der Wirtschaft Rechnung tragen wollen und entsprechende Anpassungen im GWB brauchen. Wir haben aber auch vor allem in den zurückliegenden Jahren in der Praxis Erfahrungen in Bezug auf die Rechtsdurchsetzung gemacht. Auch deshalb brauchen wir einige Neuregelungen in diesem Gesetzentwurf. Dies bezieht sich vor allem auf Probleme mit bestehenden Rechtsnachfolgen, aber auch mit bestimmten Konzernstrukturen, wie wir ja in den letzten Jahren feststellen mussten. Es war zum Beispiel festzustellen, dass Unternehmen versucht haben, kartellrechtliche Geldbußen in Millionenhöhe durch Vermögensverschiebungen und durch Umstrukturierungen zu vermeiden. Dem Staat sind somit rund 130 Millionen Euro entgangen. Der prominenteste Fall, der eben schon angesprochen wurde, ist uns allen als Tönnies-Fall oder als Wurstkartell bekannt. Um das künftig zu verhindern, haben wir nun die Lücke in § 81 GWB geschlossen und dafür gesorgt, dass Rechtsfolgen und Rechtsnachfolgen gewährleistet sind. Künftig ist es so, dass im Zweifel nicht mehr nur die handelnde Tochtergesellschaft für das Bußgeld herangezogen werden kann, sondern darüber hinaus auch die Konzernmuttergesellschaft, damit hier keine umgehende Lösung möglich ist. Gerade schwerwiegende Kartellrechtsdelikte mit besonders hoher Sozialschädlichkeit, meine Damen und Herren, können wir so in Zukunft ahnden. Dies war uns Sozialdemokraten besonders wichtig, denn das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit. Wir haben in § 33 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Möglichkeit eingeführt, Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen zu erheben. Es ist jetzt im Gesetz klar definiert, was ein Kartell ist, und es ist auch klar definiert, wann wir von einem Zuwiderhandeln gegen das Kartellrecht sprechen können. Mir persönlich war bei den Beratungen im Vorfeld, in den letzten eineinhalb Jahren, die Frage der Pressekooperationen wichtig. Lieber Herr Schlecht, Sie haben es angesprochen. Wir haben uns als SPD-Fraktion sehr intensiv mit den Playern auf dem Markt auseinandergesetzt und uns inhaltlich auf diese Neuregelungen verständigt. Hintergrund ist, dass immer mehr Verlage – vor allem kleine und mittelgroße – Probleme haben, auf dem Markt zu bestehen. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Marktanteile, die sich auf Facebook und das Internet beziehen und Jahr für Jahr größer werden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Gesamtumsätze der Zeitungsverlage in Deutschland von 10,8 Milliarden Euro im Jahr 2000 mittlerweile auf 7,6 Milliarden Euro in 2015 zurückgegangen sind. Dies ist ein deutlicher Rückgang. Er manifestiert sich durch den Rückgang der Zeitungsauflagen und drohende Insolvenzen etwa bei der Frankfurter Rundschau oder der Münchener Abendzeitung. Diese Entwicklung offenbart die Dramatik der Situation in diesem Bereich. Deshalb müssen wir für kleine und mittlere Redaktionen gleiche Rechte und Möglichkeiten schaffen. Wir haben uns dafür starkgemacht, hier weiterhin einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen. Wir wollen, dass in Deutschland ein flächendeckendes redaktionelles Angebot gerade auch im Printbereich gegeben ist, und dafür sorgen, dass der Wettbewerb nicht immer weiter zulasten der Vielfalt der Printprodukte geht, damit wir auch in einigen Jahren noch flächendeckend Tageszeitungen in Deutschland haben. Als SPD ist uns wichtig, nach dieser ersten Lesung dafür zu sorgen, dass noch ein Punkt in das Gesetz aufgenommen wird, nämlich der Punkt des kollektiven Verbraucherschutzes. Das Bundeskartellamt soll nach unserer Vorstellung künftig den Verbraucherschutz im Interesse des kollektiven Verbraucherschutzes durchsetzen können, gerade im Internet, wo eine Vielzahl von Fällen zu Beschwerden führt und der einzelne Nutzer am Ende Probleme hat, seine Rechte juristisch oder zivilrechtlich durchzusetzen. Wir sind der Meinung: Wenn eine Vielzahl von Fällen eine Vielzahl von Menschen betrifft, weil diese Fälle wiederholt auftreten, also auch wirtschaftlich bedeutsam sind, dann sollen sie künftig vom Kartellamt entsprechend verfolgt werden können, wenn ein Nutzer oder ein Bürger dem Kartellamt entsprechende Hinweise gibt. Last, but not least möchte ich natürlich gerne auf die Anträge der Grünen zur Ministererlaubnis eingehen. Ich habe es in dieser Woche schon im Ausschuss gesagt: Mir fehlt an dieser Stelle der deutliche Hinweis, dass wir durch die Ministererlaubnis von Sigmar Gabriel und den Kompromiss, der am Ende gefunden werden konnte, bei der Fusion von Kaiser’s Tengelmann 16 000 Menschen in Deutschland den Arbeitsplatz gesichert haben. (Beifall bei der SPD) Das sagt hier komischerweise bei allen formalen Diskussionen keiner. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja auch nicht so!) Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr verletzend gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unternehmung Kaiser’s Tengelmann, dass niemand diese Debatte zum Anlass nimmt, hierüber zu sprechen. Wir haben in Deutschland seit 1972 insgesamt nur 22 Fälle gehabt, in denen es, nachdem das Kartellamt eine Fusion abgelehnt hatte, tatsächlich zu einer Ministererlaubnis gekommen ist. Das ist so selten der Fall, meine Damen und Herren, dass wir hier wirklich nicht übertreiben sollten. Ich glaube, wir können dieses Verfahren weiterhin anwenden. Wir sollten es auch nicht von der politischen Mehrheit im Parlament abhängig machen, Herr Schlecht, wie hier entschieden wird; denn das kann sich auch in einer Form ändern, wie wir beide es vielleicht am Ende nicht haben wollen. Insofern sollten wir bei der Ministererlaubnis bleiben, meine Damen und Herren. Wir können sie sicherlich an der einen oder anderen Stelle ein bisschen modifizieren. Aber das können wir im Laufe des Verfahrens diskutieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt hat für die CDU/CSU der Kollege Axel Knoerig das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Axel Knoerig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Währung des 21. Jahrhunderts sind bekanntermaßen die Daten. Frau Dröge, Sie haben es gerade sehr schön formuliert, als Sie gesagt haben, die Algorithmen seien das Gold der Unternehmen. Das sehen wir bei Google, Facebook und YouTube. Das sind die Beispiele dafür, welchen Wert datenbasierte Unternehmen mittlerweile erzielt haben. Diese neuen Geschäftsmodelle konkurrieren mit unseren traditionellen Branchen. Dieser Entwicklung tragen wir Rechnung, und wir passen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen dem digitalen Zeitalter an. Wir brauchen neue kartellrechtliche Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft, und das wird hier entsprechend eingebracht. Da ist natürlich auch die Frage zu stellen: Wie messen wir die Marktmacht von Internetplattformen? Das ist, denke ich, sehr viel schwieriger als in der klassischen Wirtschaft; denn bei solchen Portalen wird für Suchanfragen oder Nachrichten ja kein Preis berechnet. Insofern sind die finanziellen Einnahmen eher gering. Dennoch kann selbst ein kleines Start-up mit wenig Umsatz sehr viel Marktmacht erreichen. Das hat – das Beispiel ist heute schon häufig gebraucht worden – der Kauf von WhatsApp bewiesen. Facebook zahlte ja sogar 19 Milliarden Euro für ein Unternehmen mit gerade einmal 50 Mitarbeitern. Dieses neue Phänomen von hohem Marktwert bei niedrigen Umsätzen müssen wir im Kartellrecht entsprechend aufnehmen. Neue Regelungen bei der Fusionskontrolle für digitale Geschäftsmodelle haben wir entsprechend eingeführt. Wir geben also bei der Fusion von Internetplattformen Schwellenwerte vor, damit das Bundeskartellamt auch hier Marktmissbrauch nachweisen kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Kollege Heider hat es vorhin angesprochen, sodass ich jetzt im Grunde genommen einen Sprung machen möchte in ein anderes Segment, nämlich in das Segment der Milchwirtschaft; denn wir haben ja hier beim GWB, bei dieser Kartellrechtsnovelle, zwei Punkte hinzugefügt. Das ist einmal das Anzapfverbot, zum anderen der Verkauf unter Einstandspreis. Das haben wir ja inzwischen in das Gesetz aufgenommen. Das ist in Bezug auf die Milchwirtschaft außerordentlich wichtig. Ich möchte das jetzt aber nicht weiter ausführen, sondern setze mich dafür ein, dass noch folgende Punkte berücksichtigt werden: Das Kartellamt hat 2012 die Sektoruntersuchung Milch durchgeführt. Die ist auch heute noch gültig. Dabei wurden Preisabsprachen in der Milchwirtschaft festgestellt. So erfolgen die Verhandlungen zwischen den Genossenschaften und dem Lebensmittelhandel viel zu transparent. Der Auszahlungspreis für die Landwirte kommt erst dann zustande, wenn die Genossenschaftsmolkereien ihre Produkte an den Handel verkauft haben, das heißt, ganz am Ende der Wertschöpfungskette. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat nichts mit Wettbewerb zu tun. Das ist vielmehr Preisdumping auf Kosten der Milchbauern, die nicht mehr auskömmlich wirtschaften können. (Beifall bei der CDU/CSU) Bereits seit drei Jahren leidet die deutsche Milchwirtschaft unter diesem enormen Preisverfall. Es sind große Mengen Rohmilch auf dem Markt, und der Milchauszahlungspreis lag im Sommer dieses Jahres bei lediglich 20 Cent pro Liter. Wir spüren inzwischen eine Erholung. In Europa ist die Milchmenge um 4 Prozent reduziert worden. Das wirkt sich entsprechend aus. Dieses europäische Milchmengenreduzierungsprogramm hat auch dazu beigetragen. Unsere Landwirte haben es intensiv genutzt. Wir erwarten nun einen Preisanstieg auf 30 Cent zum Ende dieses Jahres. Aber um Gewinn machen zu können, muss der Preis noch weiter ansteigen. Er darf nicht bei 30 Cent stehen bleiben, sondern muss bei 40 Cent liegen. Das kann gegebenenfalls bis 2017 gelingen. Wir sollten diese positive Phase nutzen, um uns mit folgenden Fragen zu beschäftigen: Erstens. Kann die Pflicht der Landwirte zur hundertprozentigen Andienung an die Molkereien wegfallen? Zweitens. Können die Vertragslaufzeiten zwischen Milchbauern und Genossenschaften flexibler ausgestaltet werden? Drittens. Kann der Milchauszahlungspreis insgesamt anders gestaltet werden? Darauf gibt es auch klare Antworten. Und diese geben die Landwirte in meinem Landkreis selber; denn sie wollen eins – und das ist ganz wichtig –: Sie wollen die Verträge im Vorfeld abschließen und nicht das Restgeld am Ende der Wertschöpfungskette erhalten. Das Bundeskartellamt hat im April dieses Jahres eine Überprüfung der Lieferbedingungen und der Preisbildung in Norddeutschland veranlasst. Die Auswertung dauert noch an. Ich erwarte vom Kartellamtschef Mundt, dass er uns hierzu auch Empfehlungen gibt; denn wir haben mit unserem Koalitionspartner SPD vereinbart, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung als Entschließungsantrag in die letzte Lesung der Novelle eingebracht werden. Wir haben eben schon über das Thema Ministererlaubnis diskutiert. Minister Gabriel hat ja im Zusammenhang mit dem Fusionsverfahren Edeka/Tengelmann davon gesprochen, dass der Schutz von 16 000 Arbeitsplätzen dem Gemeinwohl dient. (Zuruf von der SPD: Ja!) Dieses Argument kann ich als stellvertretender Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehr wohl sozialpolitisch nachvollziehen. Aber ich bin auch der Meinung, dass die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels kartellrechtlich betrachtet zu groß geworden ist und nicht weiter konzentriert werden darf. Die damalige Entscheidung wurde zu einem falschen Zeitpunkt getroffen: Sie hat ein falsches Signal im Markt ausgelöst und im Grunde genommen die Preisspirale nach unten befördert. Die Preispolitik des Lebensmitteleinzelhandels gefährdet auch die 85 000 Betriebe in der Milchwirtschaft und deren Fachkräfte. Von ihnen steht ein Drittel wegen des Dumpings beim Milchpreis betriebswirtschaftlich auf der Kippe. Die Milchproduzenten stehen ja am Anfang der Wertschöpfungskette, wie ich ausgeführt habe, und dürfen das ganze Marktrisiko alleine tragen. Das, meine Damen und Herren, ist mit uns als Union nicht zu machen. Hier müssen Veränderungen herbeigeführt werden. Ich sage aber auch: Wir haben nicht nur Veränderungen für die Milchwirtschaft, sondern auch für alle landwirtschaftlichen Betriebe herbeigeführt: Wir haben den Pakt für die Landwirtschaft auf den Weg gebracht, das EU-Hilfspaket mit 58 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt verdoppelt, steuerliche Verbesserungen umgesetzt und die Zuschüsse zur Unfallversicherung erhöht. Damit stärken wir die mittelständischen Familienbetriebe gerade in den ländlichen Regionen. Denn es gilt der Satz: Einen ländlichen Raum ohne Landwirte, den gibt es nicht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10207, 18/7508 und 18/10240 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei interfraktionell noch vereinbart wurde, dass die Vorlage 18/10240 auch mitberatend an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen wird. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über Zusatzpunkt 6, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10279, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8078 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben Drucksachen 18/9124, 18/10094 Über die Beschlussempfehlung werden wir nachher namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Norbert Schindler (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Verlängerung der Erhebungsdauer der Kernbrennstoffsteuer – das ist ein schönes politisches Thema, das in der Öffentlichkeit natürlich positiv besetzt ist. Doch worum geht es? 2010, in Zeiten nackter Haushaltsnot, kam man auf die Idee, die Atomkraftwerke zur Finanzierung der späteren Entsorgungskosten heranzuziehen. (Christian Petry [SPD]: Nicht nur aus nackter Haushaltsnot!) Als Zielvorgabe wurde beschlossen, der jährliche Steuerertrag solle 2,5 Milliarden Euro betragen. In den letzten Jahren war der Steuerertrag aber deutlich geringer. Auf den Grund dafür komme ich noch zu sprechen. Drei, vier Stromkonzerne sind jedenfalls von der Besteuerung der Brennstoffe Plutonium 241 und 239 sowie Uran 233 und 235 betroffen. Das sind die Tabletten, die in den Kernreaktor eingeführt werden. Als Steuer – da gab es ja verschiedene Vorschläge – wurde zum Schluss pro Gramm Kernbrennstoff eine Steuer von 145 Euro festgesetzt. Damit sollten die Kernkraftwerke auch finanziell zur Verantwortung gezogen werden. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das war günstig!) In der damaligen Debatte ging es aber nicht um das Verursacherprinzip oder die Langzeitwirkung, sondern es ging bei der Gesetzesvorlage des Haushaltsausschusses allein darum, für den Staat bis Ende 2016 höhere Einnahmen zu generieren. Heute stehen wir in der Verantwortung, zu entscheiden, ob wir die Erhebungsdauer verlängern. Ja, es wird ja über eine Verlängerung aufgrund der Verpflichtungen im finanziellen Bereich intensiv nachgedacht. Auch darauf komme ich später noch einmal zu sprechen. In der heutigen Debatte geht es auch um Begehrlichkeiten unseres Koalitionspartners. Frau Ministerin Hendricks hat ja darauf hingewiesen, dass man, nachdem Gerichte diese Steuer gebilligt haben, diese Steuer weiterhin erheben will. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das wäre eine gute Idee! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wäre gut!) Es gibt aber auch eine Koalitionsvereinbarung, liebe Freunde von der anderen Feldpostnummer. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Man kann also darüber streiten, ob man eine Steuererhöhung quasi in Form einer Verlängerung der Erhebungsdauer vornimmt oder nicht. Wir als CDU/CSU sagen dazu: Im Koalitionsvertrag wurde die Erfüllung dieses Wunsches eindeutig ausgeschlossen. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Nächstes Mal gewinnen wir die Wahl!) Dass man diese Aspekte auch im Zusammenhang mit dem Sondervermögen und der Abschöpfung aus der Brennelementesteuer betrachtet, kann ich schon verstehen. In dem anderen Gesetzeswerk, das vorher beschlossen wurde – Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ –, war aber nur eine einmalige Zahlung vorgesehen. Deswegen stimmen die Zahlen, die 2010 berechnet wurden, nicht in Gänze mit den tatsächlichen Einnahmen überein. Wir haben ja Gesamteinnahmen nur in Höhe von ungefähr 5 bis 6 Milliarden Euro. Jetzt geht es darum, ob wir die Kernkraftwerke, deren Laufzeit ja im Jahr 2012 gesetzlich verkürzt wurde – alle kennen die Debatte, deren Ausgangspunkt Fukushima war –, weiter belasten und den Beschluss aus dem Jahr 2010 neu überdenken. In diesem Zusammenhang muss man natürlich darauf hinweisen, dass alles, was wir als Kostenbelastung der besonderen Art beschließen, letztendlich auf die Verbraucher umgelegt wird. Das wird durchgereicht. Machen wir uns da nichts vor. Eine Verlängerung der Erhebungsdauer der Brennelementesteuer muss auch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass wir in diesen Tagen mit Blick auf die zukünftige Verantwortlichkeit für die Entsorgung der Altlasten eine Gesetzesnovelle in den Bundestag einbringen. Dabei ist eine Zielvorgabe zwischen 24 und 28 bzw. 29 Milliarden Euro als Gesamtbetrag für acht oder elf Kernkraftwerke vorgesehen. Darüber werden wir in den nächsten Wochen mit Sicherheit beraten. Seitens der Bundesregierung wurde ja 2015 eine Kommission eingesetzt. Über deren Ergebnisse werden wir dann beraten. Es geht darum, wie wir die Betreiber von Atomkraftwerken in Zukunft im Zuge des Ausstiegs hinsichtlich der Nachfolgekosten zur Verantwortung ziehen. Aus Sicht der Union sollte es da keine doppelte finanzielle Belastung geben. Wir wollen die Energielieferanten im Kernkraftbereich im Rahmen eines Sonderprogramms nochmals gesondert mit 25 bis 30 Milliarden Euro belasten. Sie wollen jetzt gleichzeitig eine Steuer fortführen. Das wäre eine Doppelbelastung. Unter dem Strich – ich sage es noch einmal – würde letzten Endes der deutsche Stromverbraucher dafür zahlen. In der Debatte über die Einzahlungen in den genannten Fonds, der dann errichtet werden soll, werden wir uns in den nächsten Wochen mit Sicherheit intensiver darüber unterhalten. Deswegen: Der Antrag der Linken (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Guter Antrag, Norbert!) ist schön populistisch formuliert, aber geht an der Realität vorbei und beachtet nicht, was wir 2010 beschlossen haben und was wir übrigens auch im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Daran sollten wir uns halten. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. Nur noch eine kleine amüsante Anmerkung: Als wir dies damals mit der FDP als Koalitionspartner beschlossen haben, gab es heftige Auseinandersetzungen im Bundestag. Sie können das im Protokoll nachlesen. Alle SPD-geführten Landesregierungen hatten sich vehement gegen die Einführung dieser Steuer ausgesprochen. Es ist interessant, dass jetzt auch Teile der SPD eine Fortführung dieser Steuer wollen. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir lernen eben dazu! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wollten wir schon immer, mein Lieber!) Wie gesagt, ein Nachfolgeprogramm für die Ausgestaltung der Finanzierung durch diejenigen, die die Verantwortung tragen, wird derzeit erarbeitet. Dabei sollte man das Kernproblem angehen und keine doppelte Besteuerung vornehmen. Deswegen wird die Union dies ablehnen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke, hat jetzt das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2010 beschloss die damalige Bundesregierung, den Brennstoff der Atomkraftwerke, also Uran oder Plutonium, bis zum Ablauf des Jahres 2016 zu besteuern. Wenn jetzt also nichts passiert, läuft diese Brennelementesteuer in einigen Wochen aus. Wir Linken wollen, dass diese sinnvolle Steuer bleibt. Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass die Brennelementesteuer bis zum Ende der Laufzeit sämtlicher Atomkraftwerke, also bis 2022, weitergeführt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Christian Petry [SPD] und Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gründe, warum die Erhebung dieser sinnvollen Steuer damals auf 2016 befristet wurde, wurden nie genannt. Ich habe auch in dem jetzigen Redebeitrag des Kollegen Schindler kein wirklich ernsthaftes Argument gehört, warum diese Befristung in irgendeiner Form sinnvoll wäre. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Abg. Norbert Schindler [CDU/CSU]) Auch der Redner der CDU/CSU-Fraktion sprach damals, im Jahre 2010, davon, dass diese Steuer – ich zitiere jetzt wörtlich – „aus ökologischen und ökonomischen Gründen ... richtig und zielführend“ sei. Daran hat sich absolut nichts geändert, und genau deswegen muss die Erhebung der Brennelementesteuer jetzt auch verlängert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Der Verzicht auf die weitere Erhebung dieser Steuer bedeutet für die Atomkonzerne eine Entlastung in Höhe von rund 5 Milliarden Euro auf die Gesamtzeit bis 2022 gerechnet. Ferner würde der Verzicht eine Verbilligung des Atomstroms mit sich bringen. Wir halten das für ein völlig falsches Signal für den Atomausstieg und die Energiewende. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hinzu kommt: Das Auslaufen der Brennelementesteuer wirkt schon. Eigentlich waren für das Jahr 2016 aus der Brennelementesteuer Einnahmen in Höhe von rund 1,1 Milliarden Euro eingeplant; aber die Atomkonzerne haben bereits in diesem Jahr trickreich die Schlupflöcher genutzt, immer in der Erwartung, dass die Steuer 2016 ausläuft. Soweit bekannt, haben wohl alle AKW-Betreiber im laufenden Jahr den Einsatz neuer Brennelemente unterlassen und auf das Frühjahr 2017 verschoben, um so die Steuerzahlungen für das Jahr 2016 vermeiden zu können. Die Befristung der Brennelementesteuer reiht sich außerdem in eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Notbeatmung der großen Energiekonzerne ein. Über das Desaster von Gabriel, was den Klimaschutzplan angeht, ist heute Morgen in der Debatte über die Klimakonferenz in Marrakesch schon genügend diskutiert worden. Sie alle wissen aber auch – Kollege Schindler hat es gerade angesprochen –, dass der Bundestag in den nächsten Wochen eine weitere und noch viel größere Entlastung für die Atomkonzerne beschließen soll. Da geht es darum, das jahrzehntelang hochgehaltene Versprechen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu brechen, dass die Atomkonzerne die volle Verantwortung und vor allem die vollen Kosten für den Atommüll übernehmen müssen, wie es auch im Atomgesetz festgeschrieben worden ist. Für eine billige Einmalzahlung sollen sich diese Konzerne von der Haftung und von der Nachschusspflicht für die Kosten der Atommülllagerung befreien können; so hat es die Bundesregierung bereits beschlossen. Damit wird das Verursacherprinzip außer Kraft gesetzt. Das vielgepriesene Unternehmerrisiko gilt bei der Atomenergie offenbar nur, wenn es den Konzernen sichere Gewinne bringt. Für die Verluste und die finanziellen Risiken für den Atommüll sollen am Ende wieder einmal die Bürgerinnen und Bürger einstehen. Faktisch ist die Befristung der Brennelementesteuer eine Subventionierung der Atomunternehmen im ganz großen Stil. Dass die CDU/CSU einen solchen Kurs zugunsten der Atomwirtschaft fährt, verwundert sicher niemanden. Aber wir haben ja auch noch die SPD im Bundestag. Die Umweltministerin Barbara Hendricks und auch Kolleginnen und Kollegen aus der SPD haben sich in den letzten Monaten wiederholt für eine Fortsetzung der Erhebung dieser Brennelementesteuer ausgesprochen. Und der Berichterstatter der SPD, Christian Petry, der gleich im Anschluss an mich reden wird, merkte im Finanzausschuss zu unserem Antrag an, darin seien „viele richtige Dinge“ enthalten. Dann sagte er wörtlich – Zitat –: Man könnte dem vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE. zustimmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) Ja, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, dann tut das doch einfach! Stimmt unserem Antrag zu! Gleich bei der namentlichen Abstimmung habt ihr die Chance dazu. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zum Schluss noch: Es wäre wünschenswert, wenn bei der Abstimmung über unseren Antrag nicht der Koalitionszwang, sondern Vernunft und Gerechtigkeit zum Tragen kommen würden. Die Zeit für Steuergeschenke für den Betrieb von Atomkraftwerken muss endlich vorbei sein. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Christian Petry, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade schon gesagt worden: An dem Antrag ist wirklich viel Gutes dran. Er deckt sich auch mit dem, was wir Sozialdemokraten gefordert haben. Insofern ist von dem, was im Ausschuss gesagt wurde, nichts zurückzunehmen. Atomkraft ist natürlich ein politisches Reizthema. Das hat sich über die Jahrzehnte auch in Bewegungen, die heute noch, was ich positiv sehe, existieren, niedergeschlagen. Der Ausstieg aus der Atomkraft ist durch dramatische Ereignisse beschleunigt worden. Es gab auf diesem Weg zwar ein paar Pirouetten; aber letztlich war dies ein Grund dafür, dass diese Steuer im Jahre 2010 eingeführt wurde. Herr Kollege Schindler, an der nackten Haushaltsnot lag es leider nicht; das kann man im Protokoll nachlesen. Auf Seite 5 des Gesetzentwurfes heißt es: Die Kosten für den Weiterbetrieb und die Stilllegung der Schachtanlage Asse II trägt ... ausschließlich der Bund. Die Erträge aus der Steuer sollen vor dem Hintergrund der notwendigen Haushaltskonsolidierung auch dazu beitragen, die hieraus entstehende Haushaltsbelastung des Bundes zu verringern. Es hat also auch einen Betrieb gegeben; ja, selbstverständlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das kostet 5 bis 7 Milliarden, und die sind schon gekommen!) – Herr Kollege Schindler, ich komme darauf noch zurück. Was Sie vorhin ausgeführt haben, ist nämlich in Teilen nicht richtig gewesen. Schon damals haben wir gesagt: Die Bemessungsgrundlage muss angehoben werden, und die Steuer muss unbefristet eingeführt werden. – Die Befristung ergibt sich aus dem Auslaufen des Betriebs der Atomkraftwerke von selbst; deswegen muss man sie nicht ausdrücklich nennen. Es ist natürlich so, dass dies dort seinen Niederschlag findet. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen wurde der Gesetzentwurf damals stark aufgeweicht, sodass die Sozialdemokraten schlussendlich nicht zustimmen konnten. Die Atomkraftwerke, über die wir sprechen, sind im Übrigen keine neuen Atomkraftwerke, sondern es sind eigentlich alles Oldtimer. Im Autobereich bekommen Oldtimer eine besondere Plakette. Wir fahren auch hier auf Oldtimern; so ist das. Auch technisch gesehen gibt es immer wieder zumindest bestimmte Teile, die Schwierigkeiten bereiten. Selbstverständlich werden die Anlagen gewartet und auch modernisiert. Auch das sollte man im Hinterkopf behalten. Ich bin davon überzeugt, dass die Auffassung, die Kosten hierfür auf die Energieversorger umzulegen, einen breiten Konsens in diesem Hause finden kann. Es darf natürlich nicht sein, dass der Bund schlussendlich alleine auf den Kosten der Endlagerung des Atommülls sitzen bleibt. (Beifall bei der SPD) Aus diesem Grund ist Ihre Argumentation für mich nicht ganz nachvollziehbar. Schließlich ist die Situation heute eine andere als im Jahr 2010. Es gibt neue Beschlüsse – auch über das Auslaufen und den Ausstieg. Daher gibt es durchaus positive Argumente dafür, die Kernbrennstoffsteuer Ende dieses Jahres nicht auslaufen, sondern auch 2017 und darüber hinaus weiterlaufen zu lassen. Es geht immerhin um 5 Milliarden Euro, die durch diese Maßnahme dem Bereich, für den die Atomlobby eintritt, zugewiesen werden sollen. Eben wurde ja auch schon gesagt, dass es im Endeffekt wohl so sein wird, dass die Brennstäbe erst im Jahr 2017 ausgetauscht werden. Das würde den Zahlen, die wir in den Haushalt eingestellt haben, entgegenlaufen. Auch hier kann ich mir vorstellen, dass wir in weiteren parlamentarischen Beratungen versuchen, dem bis Ende des Jahres einen Riegel vorzuschieben. Möglicherweise gibt es durch Sicherungsregelungen die Möglichkeit, diese Umgehung zu verhindern, sodass auch in diesem Fall Steuern gezahlt werden müssen. Auch das müssen wir ernsthaft diskutieren. (Beifall bei der SPD) Ich möchte an dieser Stelle noch einen weiteren Punkt ansprechen, der eben auch schon genannt wurde: Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs hat ja im April dieses Jahres ihre Empfehlungen vorgelegt. Über die Höhe des Betrages kann man sich jetzt streiten. Nach meinen Informationen übertragen die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf den Bund. Ich hoffe, damit liege ich in etwa richtig; eben ist ein noch höherer Betrag genannt worden. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!) Es geht jedenfalls darum, dass die finanzielle Verantwortung für die Endlagerung auf den Staat übergehen soll. Man muss ernsthaft darüber diskutieren, ob dies in dieser Form, so apodiktisch und endgültig, tatsächlich geht. Es liegt jetzt aber nun einmal ein Vorschlag vor, über den man reden muss. Es geht hier letztlich um ein Problem in einem Industriezweig, das zu lösen ist. Für mich persönlich ist hier im ersten Schritt noch kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht. Wir werden das im Parlament diskutieren und sehen, ob es am Ende bei diesem Ergebnis bleibt oder ob man auch hier noch über Korrekturen nachdenkt. Man könnte zum Beispiel in dem Sinne darüber nachdenken, die Energieunternehmen in diesem Bereich nicht einfach aus der Verantwortung für die Ewigkeitskosten auf einen Schlag zu entlassen, sondern weitere Regelungen zu finden, die eine dauerhafte Verantwortung zumindest nicht ausschließen. Das gibt es in anderer Form im Übrigen auch beim Bergbau. Die Ewigkeitskosten fallen dort nicht einfach weg, sondern werden auf Dauer von Stiftungen getragen. Ich finde, in diesem Zusammenhang wäre es das völlig falsche Signal, die Brennelementesteuer ohne Weiteres auslaufen zu lassen. Ich glaube, ich habe gute Argumente dafür genannt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist letztlich auch gerichtlich festgestellt worden, dass die EU-Rechtskonformität dieser Steuer gegeben ist. Herr Kollege Schindler hat das schon gesagt. Es laufen allerdings weitere Verfahren, durch die noch gewisse Feststellungen zu treffen sind. Trotzdem ist es notwendig, jetzt darüber zu entscheiden, weil das Ende des Jahres nicht mehr weit entfernt ist. Ich habe in meiner Rede bereits gesagt, dass ich hier gemeinsam mit meiner Fraktion unterstützend für die Fortführung stehe und kämpfe. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es sind aber nur noch sechs Wochen Zeit!) Jetzt kommt aber das große Aber! (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Habe ich die ganze Zeit drauf gewartet!) Letztendlich war es bisher – Herr Kollege Schindler hat das schon in einer sehr großen Eindeutigkeit mit Verweis auf den Koalitionsvertrag gesagt – nicht möglich, dies in den Gesprächen und Verhandlungen mit der CDU in der Form zu vereinbaren. Deshalb werden wir uns in diesem Fall vertragstreu verhalten und den vorliegenden Antrag gemeinsam mit unserem Koalitionspartner ablehnen. Es gibt aber noch einen weiteren Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der im Prinzip etwas konkreter ist und insoweit auch einen Vorteil bietet, weil die Grünen genau sagen, was sie wollen. Dort wird einmal ein Endzeitpunkt genannt. Ich habe ja schon gesagt, dass man ihn eigentlich nicht benennen muss; denn wenn die Laufzeiten aller Atomkraftwerke ausgelaufen sind, dann spielt auch die Brennelementesteuer keine Rolle mehr. Von daher müsste man das gar nicht befristen. Man könnte dort also auch von „unbefristet“ sprechen; denn wenn nichts mehr da ist, kann auch nichts erhoben werden. Zum anderen wird im genannten Antrag auch gefordert, die Brennelementesteuer anzuheben. Bei diesem Antrag, der in Kürze auf uns zukommen wird, werden wir in den parlamentarischen Beratungen versuchen, darauf hinzuwirken – ob das gelingt, weiß ich nicht; ich habe gewisse Zweifel –, noch ein Umdenken herbeizuführen. Klar ist, dass die SPD-Fraktion für diesen Fall bereitstünde, die Erhebungsdauer der Brennelementesteuer zu verlängern. In diesem Sinne freue ich mich auf muntere Debatten in der Kürze der Zeit bis Ende des Jahres. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das sind ja ganz hoffnungsvolle Aussichten, Herr Petry. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen der Anträge im Ausschuss. Herr Schindler, jetzt müssen wir erst einmal ein paar Sachen sortieren. Von einer doppelten Besteuerung kann man ja nun im Moment wirklich überhaupt nicht sprechen. Wir haben auf der einen Seite eine Brennelementesteuer, die auslaufen soll – genau darüber, ob das Sinn macht, diskutieren wir –, und wir haben auf der anderen Seite die Vereinbarung in der Koalition, die Ergebnisse der KFK-Kommission jetzt auch umzusetzen. Ich will ganz ehrlich sagen: Wir sind auch dafür, dass die Ergebnisse dieser Kommission umgesetzt werden. Man muss das eine oder andere noch einmal zurechtrücken. Aber im Grunde genommen sind wir – anders, Hubertus Zdebel, als die Linke – durchaus der Meinung, dass wir, was die Rückstellungen betrifft, retten müssen, was zu retten ist. Wir sind nicht mehr in der Situation, in der wir die optimale Lösung für Rückstellungen gemäß dem Verursacherprinzip finden können, sondern wir müssen jetzt die bestmögliche Lösung entwickeln. Ich glaube, da sind diese Ergebnisse relativ nah dran. Aber etwas anderes geht überhaupt nicht, und das will ich hier auch gleich noch einmal sagen: Es geht nicht an, dass die gleichen Konzerne, denen man ja in der Tat dann ein Risiko abnimmt – das ist so; da bin ich völlig bei dir, Hubertus; das Risiko wird ihnen abgenommen, es übernimmt der Staat mit einem Risikoaufschlag –, gleichzeitig über 30 Klagen gegen den Staat, gegen die öffentliche Hand betreiben. Darüber, liebe Koalition, muss noch einmal ausführlich geredet werden; denn das geht in der Tat nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wovon reden wir heute? Wir sprechen von der Brennelementesteuer. Es ist ja schon klargestellt worden, dass sie aus ganz bestimmten Gründen eingeführt wurde, und zwar nicht etwa, wie man ja auch oft hört, als Ausgleich für die Laufzeitverlängerung, so nach dem Motto: Wir schenken euch etwas, und dafür nehmen wir jetzt ein bisschen. – Nein, sie hatte einen ganz klaren ökonomischen Grund, nämlich den, dass die Gesellschaft seit Beginn der Geschichte der Atomkraft unglaublich viele Kosten für die Atomindustrie übernommen hat. Es gibt keinen Wirtschaftszweig, der mit so vielen Privilegien ausgestattet ist wie die Atomwirtschaft. Denken wir nur einmal an die Versicherungspflicht; da muss nicht annähernd das abgedeckt werden, was im Schadensfall tatsächlich an Kosten auf die Gesellschaft zukommen kann. Denken wir an Rückbau und Entsorgung der Forschungsanlagen. Denken wir an die Sanierung von Endlagern. Allein Asse und Morsleben werden über 7 Milliarden Euro – mindestens! – ausmachen. Insgesamt reden wir von Beträgen im zweistelligen Milliardenbereich, die in der Zukunft aufgrund dieser alten Aufgaben noch auf uns zukommen. Zugleich belief sich nach unabhängigen Schätzungen die staatliche Beihilfe für die Atomkraft in den letzten Jahrzehnten bereits auf einen dreistelligen Milliardenbetrag. Also unglaublich viele Vergünstigungen, unglaublich viele Privilegien, unglaublich viel, was die Gesellschaft übernimmt. Diese gesellschaftliche Schuld muss bezahlt werden. Am Ende muss die Rechnung doch irgendwann stimmen, wenigstens einigermaßen. Ein Faktor dabei ist die Brennelementesteuer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christian Petry [SPD] und Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) Es gibt keinen Grund dafür, gab nie einen Grund und gibt auch weiterhin keinen, diese Steuer zu befristen. Jeder Kfz-Halter würde sich unglaublich freuen, wenn man ihm sagte: Eine Zeitlang besteuern wir Kraftfahrzeuge; aber für die letzten Jahre, wenn sie da noch laufen und man weiß, dass sie eh bald abgeschaltet werden, erlassen wir die Steuer. Dann dürft ihr so damit fahren. – So funktioniert Steuer prinzipiell nicht. Ich will auch noch ein Wort zu Herrn Schindler sagen. Er sagte, die zu erwartenden Einnahmen hätten sich reduziert. Sie haben sich auch deshalb reduziert, weil unsere Freunde in den Konzernen, wie sie es immer gerne tun, natürlich von vorneherein geschaut haben, wie sie diese Kosten reduzieren können. Sie haben den Wechsel der Brennelemente erst vorgezogen, als es die Steuer noch nicht gab. Jetzt, da in Aussicht steht, dass die Erhebung der Brennelementesteuer beendet werden wird, wird wieder verzögert und aufs nächste Jahr verschoben. So geht das nicht. Indem man zum Beispiel sagt, wir beenden die Steuererhebung ab einem gewissen Zeitpunkt, eröffnet man nur wieder neue Schlupflöcher. Es wird nicht nur ab dann die Steuer nicht mehr bezahlt; vielmehr wird ebenso das, was selbst nach Ihrer Absicht noch bezahlt werden sollte, auch noch gespart, indem der Wechsel der Brennelemente verschoben wird. Auch das ist ein Grund dafür, dass diese Steuer bleiben muss. Man darf diesen Konzernen – es tut mir leid – diese Schlupflochmöglichkeiten überhaupt nicht bieten, weil alles sofort ausgenutzt wird, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) weil sie so etwas trotz guter Vereinbarungen immer wieder ausnutzen. Auch das Ergebnis der KFK ist eine gute Vereinbarung für die Konzerne. Trotz all dieses Entgegenkommens des Staates wird immer wieder geschaut: Wo können wir noch irgendetwas abgreifen? Wo können wir noch etwas herausholen? Das muss aufhören. Deswegen muss bei der Brennelementesteuer eine ganz klare Linie vorgegeben sein: Die Brennelementesteuer wird erhoben, solange ein Atomkraftwerk läuft, und zwar bis zum letzten Gramm Spaltstoff. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Milligramm!) Das ist Gerechtigkeit. Das ist eine geringe Teilabzahlung der gesellschaftlichen Schuld, die die Atomkonzerne nicht nur finanziell, aber auch finanziell tragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern schließe ich mich dem Antrag an. In unserem eigenen Antrag steht außerdem, die Brennelementesteuer auf das Niveau anzuheben, das ursprünglich gedacht war; denn der Betrag, der jetzt erhoben wird, 145 Euro pro Gramm, war schon ein nicht nachvollziehbares Zugeständnis in Richtung Atomkonzerne. Auch das kann man zurücknehmen. Ich bin dafür, dass wir hier eine klare Linie fahren. Ich hoffe, in den nächsten Wochen der Beratung, nachdem ich schon höre, dass man in Teilen nicht so ganz abgeneigt ist, zieht hier im Hause noch Vernunft ein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Philipp von und zu Lerchenfeld. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute extra eine namentliche Abstimmung angesetzt worden ist, weil dadurch sehr viele Leute kommen werden, die meine erste Rede nach meiner Krankheit hören. Dafür bin ich sehr dankbar und bin darüber hocherfreut. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das gibt mir die Gelegenheit, mich gleichzeitig bei allen zu bedanken, die mir Genesungswünsche geschickt haben. Ihnen allen gilt dafür mein herzlicher Dank. Aber lassen Sie mich jetzt zum Thema kommen. Lassen Sie mich zunächst mein Erstaunen darüber ausdrücken, dass hier mehrfach Vergleiche herangezogen wurden. Kernkraftwerke wurden mit Oldtimern verglichen, also mit Autos. Ich finde diesen Vergleich ein bisschen gewagt, muss ich sagen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 30 Jahre alte Autos finden Sie selten auf der Straße!) – Sie hatten das Auto angesprochen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die sind jünger als 30 Jahre!) Ich muss Ihnen sagen: Natürlich kommen Sie in den Genuss von Steuerermäßigungen, wenn Sie mit einem H-Kennzeichen fahren. Gerade für einen Oldtimer gibt es eine entsprechende Ermäßigung bei der Steuer. Also ist dieser Vergleich, den Sie angestellt haben, vielleicht ein bisschen schief. Ich möchte ihn gern korrigieren. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie damit darauf hinweisen, dass die Kernkraftwerke Oldtimer sind, ist mir das auch recht!) Die Kosten, die durch die Entsorgung auf die Kernkraftwerksbetreiber zukommen – das wurde vorhin schon angedeutet –, werden in einem ganz anderen Zusammenhang geregelt werden. Ich erinnere daran, dass die Brennelementesteuer, die 2011 eingeführt wurde, nie die erwarteten hohen Steuereinnahmen brachte: Im Jahr 2011 waren es 922 Millionen Euro statt 2,3 Milliarden Euro, im Jahr 2012  1,6 Milliarden Euro statt 2,3 Milliarden Euro. Dazu kann ich nur sagen: Ihre Schätzung, dass in den nächsten Jahren mit Einnahmen von 5 Milliarden Euro zu rechnen sei, kann ich nur anzweifeln. Die Mindereinnahmen lassen sich sicherlich dadurch begründen, dass ein Teil der Kernkraftwerke mittlerweile aufgrund der Katastrophe von Fukushima abgeschaltet wurde. Die Klagen der Unternehmen gegen diese Steuer wurden vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen; das wurde schon angesprochen. Auch die entsprechenden Finanzgerichte in Deutschland haben mittlerweile erkannt, dass dem Bund damals die Steuergesetzgebung für diese Steuer zustand. Zum Zeitpunkt der Einführung der Steuer war noch überhaupt keine Rede davon, dass es eine Laufzeitbegrenzung der Kernkraftwerke geben würde. Es war noch keine Rede davon, dass man dafür 2022 als Datum festsetzen würde. Vielmehr war zum damaligen Zeitpunkt der wesentliche Grund für die Einführung dieser Steuer, dass man einfach Haushaltslöcher stopfen wollte. Natürlich fällt es einem immer schwer, Steuern nicht mehr weiter zu erheben. Aber ich glaube, eine ganz wesentliche Frage ist auch: Wie zuverlässig sind wir bei unserer Steuergesetzgebung? Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun. Das hat etwas mit Planungssicherheit für die Unternehmen zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir in einem Gesetz festlegen, dass wir diese Steuern nur für einen gewissen Zeitraum erheben wollen, dann können wir nicht nachher sagen: Jetzt könnt ihr uns alle gernhaben; wir machen das Ganze doch anders. Wir müssen auch im Bereich der Steuer- und Finanzpolitik glaubwürdig bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen muss die Erhebung dieser Steuer dem Gesetz entsprechend ausgeführt werden. Damit läuft sie gegen Ende dieses Jahres aus. Die Fortsetzung der Erhebung der Steuer über das Jahr 2016 hinaus wäre auch eine indirekte Steuererhöhung, die wir im Koalitionsvertrag ausgeschlossen haben. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen keine indirekten Steuererhöhungen, und wir wollen keine direkten Steuererhöhungen. Im Gegenteil: Wir müssen sehen, dass wir für den Wirtschaftsstandort Deutschland Steuerentlastungen herbeiführen. Nur auf diese Art und Weise wird unser Standort entsprechend gewürdigt. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema Glaubwürdigkeit zurückkommen. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, die wir erleben – das zeigt ein Blick nach Amerika, aber auch zu unseren Nachbarn –, ist es von ganz essenzieller Bedeutung, dass wir mit dem, was wir als Gesetzgeber beschließen, glaubwürdig bleiben. Glaubwürdigkeit heißt: Wir müssen uns an die Gesetze halten, die wir selber in Kraft setzen. Deswegen sollte die Steuer Ende dieses Jahres aufgehoben werden. Wir haben keinen Grund, diese Steuer zu entfristen, und wir haben keinen Grund, die Unternehmen mit einer zusätzlichen Steuer zu belasten. Wir wollen keine Steuererhöhungen. Deswegen lehnen wir den Antrag ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Christian Petry hat schon begründet, warum wir den Antrag für einen sehr guten Sachantrag halten. Die Brennelementesteuer sollte bis zum Ende der Laufzeit aller Atomkraftwerke erhoben werden. Das wäre ohnehin ein relativ geringer Beitrag im Vergleich zu den Ewigkeitskosten, mit denen wir zu rechnen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Für mich wäre es schon deshalb wichtig, die Erhebung der Steuer zu verlängern, weil sie einen Konstruktionsfehler hat. Denn die Befristung lädt doch geradezu dazu ein, sie zu umgehen und den Austausch der Brennstäbe zu verzögern. Offen gestanden würde ich das auch so machen. Wenn ich Konzernchef wäre, würde ich auch nicht sagen: Jetzt tauschen wir die Brennstäbe aus, damit wir schön viel Steuern bezahlen. – Im Gegenteil, ich würde sagen: Das halten wir noch ein bisschen zurück, und wenn dann die steuerfreie Zeit beginnt, dann tauschen wir sie aus. – Alles andere wäre doch verrückt. Man ist schließlich für sein Unternehmen verantwortlich. Insofern wäre es wichtig gewesen, die Befristung gar nicht erst einzuführen. Das war ein Konstruktionsfehler. Es war in gewisser Weise ein Politikversagen gegenüber den Konzernen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dazu findet sich sehr viel mehr in den persönlichen Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung, die viele Kolleginnen und Kollegen heute abgegeben haben. Ich will aber auch etwas Kritisches zu dem Verfahren anmerken, weil Herr Zdebel vorhin ein bisschen vorwurfsvoll argumentiert hat. Denn so gut der Sachantrag ist, so schlecht ist das gewählte Verfahren. Normalerweise wird eine namentliche Abstimmung beantragt, damit die Bürgerinnen und Bürger später sehen können, welcher Kollege oder welche Kollegin für oder gegen etwas war. Das kann man zu Hause nachlesen. Mit einer namentlichen Abstimmung werden normalerweise Transparenz und Offenheit hergestellt, weil dadurch deutlich wird, wie man sich in der Abstimmung verhält. Es gibt aber auch namentliche Abstimmungen, die beantragt werden, um die Menschen hinter die Fichte zu führen und etwas zu zeigen, was eben nicht der Wahrheit entspricht. Warum das hier der Fall ist, kann ich relativ leicht erklären. Natürlich halten wir uns an den Koalitionsvertrag. Denken wir einmal zurück: Ich musste hier einer Maut zustimmen. Das fand ich ganz schrecklich. Die Kollegen von der CDU/CSU mussten einem Mindestlohn zustimmen. Das fanden sie ganz schrecklich. Wir haben das aber jeweils gemacht. Denn ohne Vertragstreue ist man nicht regierungsfähig, und wenn man nicht regierungsfähig ist, dann braucht man keine Koalition zu bilden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern versucht man mit der Beantragung einer namentlichen Abstimmung, die Menschen hinters Licht zu führen, die unsere Abläufe nicht kennen. Und es ist gut, dass sie sie nicht alle kennen. Denn sie haben vielleicht einen eigenen Beruf und müssen sich um ihre Arbeit kümmern. Aber dieses Missverhältnis der Erkenntnis wird von der Linken schamlos ausgenutzt. Das halte ich für sehr fragwürdig. (Beifall bei der SPD) Stellen wir uns einmal vor, dass die SPD-Fraktion einen Koalitionsvertrag mit der Linken und vielleicht auch mit den Grünen schließt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich! – Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich habe nur eine Hypothese aufgestellt. – Nehmen wir einfach an, dass dem so wäre. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unwahrscheinlich!) Dann würde jemand in diesem Haus – ich wage mir nicht vorzustellen, wer das sein könnte – den schön formulierten Antrag „Raus aus der NATO“ stellen. Aber in unserem Koalitionsvertrag würde stehen, dass wir in der NATO verbleiben. Schließlich würde die SPD-Fraktion keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn in ihm nicht steht, dass Deutschland Mitglied der NATO bleibt. Würde die Linke nun diesen Koalitionsvertrag brechen und dem Antrag einer anderen Fraktion auf Austritt aus der NATO zustimmen? Wärt ihr so unehrlich und vertragsuntreu? (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!) Dann würde ich euch vorwerfen, dass ihr eure Grundsätze verratet. (Beifall bei der SPD) Das wäre bestimmt durch eine namentliche Abstimmung zu dokumentieren, um zu zeigen, dass ihr tatsächlich das Gegenteil macht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben“. Zu dieser Abstimmung liegt eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor.4 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10094, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9124 abzulehnen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es jetzt noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 Drucksachen 18/9960, 18/10244 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10275 Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Über diese Entschließungsanträge werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Niels Annen, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Niels Annen (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich diese Aussprache mit einer Vorbemerkung beginnen. Das Mandat, über das wir heute entscheiden, ist kein Einsatz für die Türkei und erst recht nicht für die türkische Regierung oder ihren Präsidenten, Herrn Erdogan. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das glaubt ihr doch selber nicht!) Dieses Mandat dient der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, nämlich der Terrormiliz IS. Es dient damit auch unserer eigenen Sicherheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich glaube, dass diese Vorbemerkung angesichts der manchmal ja auch etwas hitzigen Debatte in Deutschland notwendig ist. Ich will deswegen auch daran erinnern, dass wir in diesem Hause vor wenigen Stunden die in der Tat notwendige Debatte über die innenpolitische Situation in der Türkei geführt haben. Ich glaube, dass es die richtige Entscheidung ist, beides getrennt zu diskutieren. Zur Sache: Wir alle kennen die Bilder und Nachrichten von der aktuellen Situation vor allem im Irak und von der großen Offensive zur Befreiung der Stadt Mosul, die im Moment noch von der Terrormiliz IS gehalten wird. Diese Offensive, aber auch die militärische Entwicklung in den letzten Wochen und Monaten zeigen – das ist vor dem Hintergrund der ganzen Debatte, die uns bedrückt, und in Anbetracht der Bilder, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, eine gute Nachricht –: Die Terrormiliz IS ist in der Defensive. Aber der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Ich glaube, wir alle müssen uns darauf einstellen, dass es eine lange Auseinandersetzung wird, in der es naturgegeben auch Rückschläge geben kann. Dennoch: Die internationale Koalition, die sich versammelt hat und die heute aus 67 Staaten besteht, hat den richtigen Weg eingeschlagen. Ich hoffe, dass der Bundestag deutlich machen wird, dass sich unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, mit den Soldatinnen und Soldaten, die wir entsendet haben, und mit den Fähigkeiten, die wir bereitstellen wollen – die Luftaufklärung, die Luftbetankung, zukünftig ergänzt um das Mandat AWACS –, als Teil dieser Koalition empfindet, dass wir Verantwortung übernehmen und dass wir uns – gerade angesichts der Wahl in den Vereinigten Staaten und der Verunsicherung, die dieses Wahlergebnis ausgelöst hat – als verlässlicher Partner präsentieren wollen. Das ist wichtiger denn je. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen in der Tat über Mosul reden. Es gibt in diesem Krieg bedauerlicherweise viele Auseinandersetzungen, es gibt viele Fronten. Aber Mosul ist eine entscheidende Etappe. Warum? Weil wir, die internationale Staatengemeinschaft, in Mosul aufgrund der Verantwortung, die wir tragen, nicht zulassen würden, dass die irakischen Kräfte dieselben Fehler wiederholen, die sie zum Beispiel in Falludscha gemacht haben. Unser Ziel muss sein, in dem manchmal schwierigen Dialog mit der irakischen Regierung und den Verbündeten dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer weiteren Zuspitzung der konfessionellen Konflikte im Irak kommt und dass der Ethnisierung des Konflikts, wenn dies schon nicht ganz gestoppt werden kann, zumindest entgegengewirkt wird. Die Befreiung Mosuls ist ein wichtiges Ziel. Aber sie darf nicht dazu führen, dass sich die Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten weiter zuspitzt. Deswegen geht es im Moment nicht nur um das Schicksal einer Millionenstadt; es geht möglicherweise um die Zukunft des Irak als souveränen Staat. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir klarmachen: Die Unterstützung dieses Hauses für die Kräfte in der Region, gerade im Irak, die sich dafür einsetzen, dass dieses Land in Zukunft Heimat bietet für alle ethnischen Gruppen, für alle Minderheiten, für alle religiösen Gruppen – das muss die Grundlage unseres Handelns sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich mich bei Außenminister Steinmeier für seine Initiative bedanken, die er mit der Unterstützung dieses Hauses auf den Weg gebracht hat. Ich kenne kein anderes europäisches Land, das sich in den letzten Wochen und Monaten so dafür eingesetzt hat, dass die Abfederung der schon heute sichtbaren Konsequenzen dieser Offensive – steigende Flüchtlingszahlen und menschliche Dramen, die sich dort abspielen – gelingt. Wir leisten dort einen humanitären Beitrag. Schon bei der Vorbereitung dieser Operation haben wir mitgeholfen, dass Flüchtlingseinrichtungen aufgebaut wurden und dass Mittel dafür bereitstehen, dass die befreiten Gebiete Wasser haben, dass es eine Gesundheitsversorgung gibt und dass die Infrastruktur wiederaufgebaut wird. Ich weiß natürlich: Die Voraussetzung dafür ist, dass zum Beispiel die mit der irakischen Armee verbündeten schiitischen Milizen, die sich in den letzten Jahren auch schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben, eben nicht sunnitisches Gebiet dominieren und besetzen. Aber in dem Augenblick, in dem das gelingt, müssen wir als internationale Gemeinschaft da sein und einspringen. Deswegen ist diese Initiative wirklich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich glaube, er zeigt auch, dass das, was wir hier vor uns haben, weit mehr ist als eine rein militärische Operation. Es ist ein Beitrag zur Stabilisierung einer Region, deren Kernkonflikt wir hier in Europa nicht lösen können. Es ist ein Konflikt, zu dessen Lösung wir aber beitragen können. Und wir tragen zu einer Verbesserung der humanitären Situation und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus bei, aber – ich will das am Ende noch einmal sagen, weil wir die Anschläge in Europa erlebt haben – wir tragen auch zu unserer eigenen Sicherheit bei. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie, glaube ich, mit gutem Gewissen zustimmen. Ich bitte jedenfalls um die Mandatierung. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Dr. Alexander Neu. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Heute stimmen wir über einen Auslandseinsatz ab, der eine besondere Aufmerksamkeit verdient, besonders weil Ihr Gewissen in außerordentlichem Maße gefragt ist und Sie sich nicht auf die Fraktionsdisziplin zurückziehen sollten. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen Ihrem Gewissen folgen und dabei folgende Fragen beantworten können: Erstens. Können Sie wirklich mit gutem Gewissen einem Einsatz zustimmen, der nicht verfassungs- und völkerrechtskonform ist? (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na, na!) Zweitens. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, einen Bundeswehreinsatz zu befürworten, ohne dass die faktischen Unterstützerstaaten des IS und anderer Dschihadisten, namentlich die Türkei und Saudi-Arabien, zur Rechenschaft gezogen werden? Die Bundesregierung kann sich in diesem Fall nicht auf Unkenntnis berufen. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage, wie die Medien abgedruckt haben, zugegeben: Die Türkei hat sich „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens“ entwickelt. – Das war die Antwort der Bundesregierung. Sie wissen also, mit wem Sie es zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN) Anstatt daraus die Konsequenzen zu ziehen, verkaufen Sie weiter Waffen und Rüstungsgüter in die Türkei und Saudi-Arabien. Drittens. Können Sie die Stationierung der Bundeswehr in der Türkei mit einem guten Gewissen bejahen? Ich glaube, nicht. (Henning Otte [CDU/CSU]: Doch!) Und warum nicht? Die Türkei rutscht unter dem Sultan Erdogan in die Despotie ab. Er bombardiert die Kurden, es findet eine massive Verfolgung linker und liberaler Medien und Parteien statt, und es findet eine massive Säuberung des Staatsapparats ohne rechtsstaatliche Verfahren statt. Und was macht die Bundesregierung? Was macht Frau Merkel? Sie ist lediglich besorgt. Hinzu kommt: Erdogan führt die Bundesrepublik Deutschland am Nasenring durch die internationale Arena. Der Deutsche Bundestag kann seine Kontrollaufgaben gegenüber der Bundeswehr in der Türkei nicht kontinuierlich und nicht vollumfänglich wahrnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Erdogan verlangte von der Bundesregierung die Distanzierung von der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages als Vorleistung für den Besuch in der Türkei, in Incirlik. (Niels Annen [SPD]: Sind Sie da gewesen oder nicht?) – Ich bin da gewesen, ja. Genau. Die Vorleistung wurde erbracht. Die Merkel/Steinmeier-Regierung ist eingeknickt. Sie hat geliefert, wie von Erdogan gewünscht. Aber es war ein Ausnahmefall. Es war kein kontinuierliches Besuchsrecht, was wir dort erlebt haben. Diese Befürchtung habe ich seinerzeit geäußert. Diese Befürchtung hat sich bewahrheitet. Jan van Aken wartet bis heute auf die Zustimmung zur Einreise nach Incirlik. Die Abgeordneten der CDU/CSU von Stetten und Brand durften ebenfalls nicht nach Incirlik. Ich bin mal gespannt, wie die beiden gleich abstimmen werden. Die Bundesregierung bestätigt in einer extrem peinlichen Protokollerklärung selber – ich zitiere –: Im Lichte der aktuellen Entwicklungen in der Türkei erklärt die Bundesregierung ..., dass sie sich weiterhin mit Nachdruck gegenüber der türkischen Regierung für die Ermöglichung von Besuchen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages einsetzen wird. Das ist niedlich, meine Damen und Herren, wirklich niedlich. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Wenigstens richtig vorgelesen!) Was hier als niedliche Anstrengung der Bundesregierung verkauft wird, ist nichts anderes als das, dass einige Fraktionsgrößen der SPD versuchen, den Abgeordneten der SPD Sand in die Augen zu streuen. Das Besuchsrecht der Abgeordneten für die im Ausland stationierten Soldaten der Bundeswehr ist eine Voraussetzung und keine Verhandlungsmasse, meine Damen und Herren! (Beifall bei der LINKEN) Mit dieser Protokollerklärung versucht die Bundesregierung nur, die Abgeordneten der SPD zu besänftigen, um die Stationierung der Bundeswehr im Erdogan-Reich sichern zu können. Aber noch kein Ende der Realsatire. Man setzt noch einen drauf. Man hält bis heute daran fest, den Bundeswehrstandort in Incirlik für 60 Millionen Euro auszubauen. Während in deutschen Schulen der Putz von der Decke fällt, weil angeblich kein Geld da ist, (Ulli Nissen [SPD]: Es reicht!) schiebt die Bundesregierung dem Erdogan-Regime 60 Millionen Euro Steuergelder in den Arsch. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber Schluss!) – Da sind Sie empört. Sie sollten über Ihr Verhalten empört sein. (Ulli Nissen [SPD]: Das ist überhaupt nicht witzig!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Dr. Neu, ich glaube, dass wir uns durchaus um eine parlamentarische Ausdrucksweise bemühen sollten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der weiß nicht, wie das geht!) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Ich glaube, diese Formulierung ist mittlerweile Usus. – Sehr geehrte MdBs, insbesondere der SPD, folgen Sie endlich Ihrem Gewissen! Die SPD hat doch angekündigt, dass sie dem Mandat nicht zustimmen wird, wenn es kein Besuchsrecht in Incirlik gibt. Wir haben kein Besuchsrecht! Stehen Sie also zu Ihrem Wort, und lehnen Sie den Antrag gemeinsam mit der Linken ab. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Haben Sie endlich das Rückgrat, wie es damals Bundeskanzler Gerhard Schröder im Vorfeld des Krieges mit dem Irak hatte. Er hat Nein gesagt. Sagen Sie jetzt auch einmal Nein. Zeigen Sie dem Erdogan-Regime die Rote Karte. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die zeigen wir Ihnen! – Ulli Nissen [SPD]: Was ist das für ein Vergleich? Mann!) Eines muss immer wieder gesagt werden: Es darf keine Beteiligung der Bundeswehr an Konflikten im Nahen Osten geben, auch nicht in Syrien und im Irak. Das verbietet sich schon allein aufgrund der deutschen Geschichte, zumal das Sterben in Syrien und im Irak dadurch nicht beendet wird. (Henning Otte [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu den IS-Opfern! – Ulli Nissen [SPD]: Was machen Sie denn gegen den IS?) Die Mitglieder der SPD und die Wähler der SPD würden sich wirklich freuen, wenn die SPD Rückgrat beweisen würde. Sie würden Ihnen danken. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vergessen Sie nicht, sehr geehrte Damen und Herren von der SPD: In weniger als einem Jahr haben wir Bundestagswahl. Dann wird sich entscheiden – auch anhand dieser Abstimmung –, wie Sie abschneiden werden. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Da haben wir jetzt aber Angst!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Bevor als nächste Rednerin die Kollegin Manderla das Wort hat, darf ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag „Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja, also für die Empfehlung des Finanzausschusses, haben gestimmt 472, mit Nein haben gestimmt 109, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 583; davon ja: 472 nein: 109 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. André Hahn Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Ingrid Arndt-Brauer Sabine Dittmar Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Jetzt darf ich der Kollegin Gisela Manderla für die CDU/CSU das Wort geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Gisela Manderla (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Neu, wir diskutieren und beschließen auch hoffentlich einen Bundeswehreinsatz gegen eine Terrororganisation. Wir reden hier nicht über Wahlkampf, und wir reden hier nicht über einen Besuch in Incirlik. Nutzen Sie doch nicht diese Debatte über ein solch schwerwiegendes Thema, um Parteipolitik für die Linken zu machen. Ich finde das schändlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, angesichts der undurchsichtigen Lage in Syrien und im Irak empfiehlt es sich, nochmals in aller Klarheit auf diejenigen zu schauen, gegen welche die internationale Koalition in diesen Ländern antritt, und vor allen Dingen zu fragen, warum sie das tut. Zentraler Gegner ist die Terrororganisation Daesh. Die Formulierung IS oder „Islamischer Staat“ wird diesen Verbrechern nicht gerecht; denn diese Terrorformation ist weder islamisch noch ist sie ein Staat. Diese skrupellose Mörderbande hat sich weit über ihre Ausdehnungsgebiete in Syrien und im Irak hinaus zu einer Bedrohung für Frieden und Sicherheit entwickelt. Zahlreiche Anschläge in der Türkei, in Tunesien, im Libanon – zuletzt auch in Frankreich, Belgien und Deutschland – belegen die Bedrohung für den Weltfrieden, die von Daesh ausgeht. Daesh will, glaubt man seiner Propaganda, im Vorderen Orient ein Regime nach dem Vorbild des Kalifats aus dem 7. Jahrhundert errichten. Hierbei bedient er sich einer kaum für möglich gehaltenen Brutalität. Er mordet, er vergewaltigt und er versklavt all jene, die nicht seiner engen Auslegung des Islam folgen. Er hat den Bürgerkrieg in Syrien und die wachsende Unzufriedenheit der sunnitischen Bevölkerung im Irak schamlos und grausam für seine Zwecke ausgenutzt. Seine verführerische Strategie besteht darin, den vielen Herausforderungen der Neuzeit in der muslimischen Welt mit nur scheinbar leichten und einfachen Antworten zu begegnen. Diese Strategie stützt sich auf eine ausgefeilte Propaganda, der nicht zuletzt auch in Europa manche orientierungslose und haltlose junge Menschen verfallen. Die Realität in den von Daesh besetzten Gebieten besteht jedoch aus nichts anderem als Terror, Unterdrückung und Gewalt. Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, vor allem für Frauen, wird verwehrt. Und: Ein klarer Gesellschaftsentwurf ist nicht im Ansatz zu erkennen. Nicht ohne Grund hat das Wüten von Daesh daher Hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben. Ich darf an dieser Stelle an den Versuch erinnern, die Minderheit der Jesiden aus dem Nordirak nicht nur zu vertreiben, sondern förmlich auszuradieren. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es nach meinem Verständnis nur einen Begriff, und der lautet: versuchter Genozid. Folgerichtig hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in diversen Resolutionen die Bedrohung durch Daesh ausdrücklich betont. Der Sicherheitsrat hat dazu aufgerufen, im Kampf gegen Daesh alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um seine terroristischen Handlungen zu verhüten und zu unterbinden. Zudem ist es erklärtes Ziel, Daesh seine Rückzugsorte zu nehmen, die er sich in weiten Teilen Syriens und Iraks schaffen konnte. Diesem Ziel, meine Damen und Herren, sind wir näher gekommen, wie die jüngsten Erfolge rund um die Offensiven in Mosul und Rakka zeigen. Aber von einem Ende der Bedrohung durch Daesh kann noch keineswegs die Rede sein. Es gilt, den eingeschlagenen Weg mit aller Entschlossenheit fortzusetzen. Die Notwendigkeit, diesen Weg entschlossen fortzusetzen, wird besonders deutlich, wenn man sich die aktuellen Berichte aus den befreiten Gebieten rund um Mosul oder Nordsyrien ansieht: Massengräber, Tausende Zivilisten verschleppt und als Schutzschilder missbraucht – die eigenen Landsleute! Ich komme zu dem Schluss: Wir müssen diesen Verbrechern konsequent das Handwerk legen. Entgegen anderslautender Einschätzungen will ich für uns als Union klarstellen: Die deutschen Einsatzkräfte haben sich im vergangenen Jahr an der Operation Counter Daesh mit sehr sinnvollen und von den Partnern in der internationalen Koalition auch ausdrücklich erwünschten Beiträgen beteiligt. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Beiträge sind: Geleitschutz, Luftbetankung, Aufklärung und Führungsunterstützung. Wir haben einen klar erkennbaren Mehrwert und sind dem Bündnis eine wertvolle Hilfe. In diesem Kontext ist auch der zusätzlich geplante Einsatz deutscher Besatzungsanteile für die AWACS-Aufklärer zu sehen, um den wir das Mandat künftig erweitern wollen. Das sind alles Fähigkeiten, die unsere Soldatinnen und Soldaten hochprofessionell und mit einem tollen Einsatzwillen gewährleisten. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken. Sie machen alle einen tollen Job. Das will ich noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung. Der internationalen Koalition gegen Daesh gehören mittlerweile mehr als 60 Nationen an. 60! Und ich glaube nicht, dass all diese Staaten mit ihrer Bewertung der Situation danebenliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb sollte für uns heute vor allem eine Frage handlungsleitend sein: Wofür oder wogegen hat Deutschland Grund aufzustehen, wenn nicht gegen versuchten Genozid und die Missachtung sämtlicher Menschenrechte? Deshalb bitte ich Sie nachdrücklich um die Zustimmung zur Mandatsverlängerung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Omid Nouripour. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ISIS ist eine grauenvolle Terrororganisation, die barbarische Verbrechen begeht. Das ist überhaupt keine Frage. Und es ist völlig richtig: ISIS kann man nicht militärisch besiegen, aber man muss ihn militärisch stoppen. In diesem Zusammenhang bin ich ausgesprochen verstört von einem Entschließungsantrag der Linken, in dem der IS tatsächlich durch den Begriff „gleichermaßen“ mit der NATO gleichgesetzt wird. Ich glaube, Sie tun damit niemandem einen Gefallen, sondern verharmlosen einfach nur die Verbrecherbanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unterirdisch!) Noch einmal: Es ist in bestimmten Situationen notwendig, militärisch gegen ISIS vorzugehen; auch in diesem Fall ist es notwendig. Aber nichtsdestotrotz kann man ISIS nur politisch besiegen. Das vorliegende Mandat ist kein Beitrag dazu. Meine Fraktion hat letztes Jahr mehrheitlich zu diesem Mandat Nein gesagt, und die Gründe dafür haben sich seitdem eher verstärkt. Es gibt massive militärische Veränderungen, gerade am Boden, zum Beispiel in Syrien. Letztes Jahr war Russland noch Unterstützer von Assad, jetzt ist es ein eigenständiger militärischer Akteur am Boden. Am deutlichsten sieht man das an der aggressiven Regionalpolitik der Türkei, die jenseits des Völkerrechts im Norden Iraks und auch in Syrien betrieben wird. Dort bombardiert die türkische Luftwaffe zurzeit fast täglich Stellungen von Milizen, allerdings nicht die von Daesh/ISIS, sondern die Stellungen von für sie unliebsamen kurdischen Milizen, die noch vor zwei Jahren von uns allen gefeiert wurden, weil sie den Kampf um Kobane geführt haben. Das ist, was die Gefährlichkeit der Situation, über die wir uns unterhalten, im Kern ausmacht. Aber die Bundesregierung beschäftigt sich nicht damit, sondern mit Protokollnotizen. Ja, ich bin als ehemaliges Mitglied des Verteidigungsausschusses sehr froh, dass es die Möglichkeit eines Besuchs gibt. Ja, ich finde auch, dass es unser Anrecht als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ist, unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Ausland einen guten Job machen, zu besuchen. Ja, natürlich muss man sich darüber echauffieren, wenn ein Staat wie die Türkei das nicht erlaubt. Ich glaube aber, dass hier der falsche Fokus gewählt wird. Die Protokollnotiz besagt, dass sich die Bundesregierung weiterhin dafür einsetze – ich zitiere es nicht; Kollege Neu hat es gerade vorgelesen –, dass die Türkei den Besuch der deutschen Soldatinnen und Soldaten durch Bundestagsabgeordnete ermöglicht. Ich dachte, ehrlich gesagt, das wäre selbstverständlich. (Beifall der Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] – Rainer Arnold [SPD]: Da fehlt aber ein Satz!) Ich habe gehört, bei den Sozialdemokraten habe es große Vorbehalte gegeben, und nach Abgabe dieser Protokollerklärung durch die Bundesregierung gebe es diese Vorbehalte nicht mehr. Das ist aber ein günstiger Preis, den Sie da akzeptieren. Ich bin schon beeindruckt und freue mich auf Koalitionsverhandlungen mit Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Kern der Auseinandersetzung ist die Frage des Umgangs der Türkei mit der kurdischen Bevölkerung. Deshalb sollten wir uns davon um Gottes Willen nicht ablenken lassen. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Wer wird denn da bombardiert? Da werden kurdische Kräfte bombardiert, die Teil der Syrian Democratic Forces sind und von den Amerikanern unterstützt werden. Die Türkei, ein NATO-Staat, bombardiert gerade die Kräfte, die die Amerikaner aufrüsten. Ich finde, das hat eine deutlich größere Dimension als die Protokollnotiz der Bundesregierung, und darüber muss man reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Über die innere Situation der Türkei, über den massiven Rutsch in Richtung Autokratie und Diktatur, haben wir heute Vormittag bereits gesprochen. Insofern entfällt ein Argument der Bundesregierung aus dem letzten Jahr. Auf die Frage, wie es denn mit den geteilten Daten aussehe und ob die türkischen Streitkräfte das verwenden könnten, was unsere Tornados aufklären, hat die Bundesregierung letztes Jahr gesagt, sie habe Vertrauen zur türkischen Regierung. Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung das in diesen Tagen noch sagen würde bzw. sagen kann. Es ist vor allem so, dass sich am Boden etwas verändert hat. Man hat uns letztes Jahr gesagt: Wir klären nur Fazilitäten von ISIS im Landesinneren auf. – Aber mittlerweile gibt es zum Beispiel im Norden der Region Rakka Frontstellungen, an denen es fast täglich zu Gefechten zwischen den Syrian Democratic Forces und ISIS kommt. Wie wollen Sie diese Aufklärung denn trennen? Die Bilder, die dort im Rahmen der Aufklärung gemacht werden, landen automatisch bei der Türkei – das ist NATO-Usus –; damit aber auch die Bilder von Stellungen der kurdischen Milizen, die dort von der Türkei bekämpft werden. (Henning Otte [CDU/CSU]: Na, na, na!) Insofern kriegen Sie das gar nicht mehr getrennt. (Henning Otte [CDU/CSU]: Na, na, na!) Deshalb müssen Sie einfach verstehen, dass wir nicht imstande sind, einem Mandat zuzustimmen, bei dem Daten geliefert werden, die türkische Streitkräfte (Henning Otte [CDU/CSU]: Na, na, na!) derzeit für einen völkerrechtswidrigen Einsatz vor allem in Syrien, aber auch im Norden Iraks nutzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb werden wir die Verlängerung des Mandats ablehnen. Ich finde, es war sehr gut, was der Kollege Annen gesagt hat. (Thomas Oppermann [SPD]: Es ist meistens gut, was er sagt!) Er hat nämlich in seiner Rede den Schwerpunkt darauf gelegt, dass das Zentrale ist, zu schauen, wie es denjenigen geht, die befreit werden. Sie haben große Ängste: In Mosul haben viele Menschen mehr Angst vor den Befreiern als vor ISIS, weil sie ganz schlechte Erfahrungen mit schiitischen Milizen gemacht haben. Das ist der Fokus, den wir jetzt tatsächlich wählen müssen – das sind die zentralen Fragen, nicht das Thema Protokollnotiz –, nicht den Fokus, den das Mandat vorsieht. Es geht zentral um politische Fragen, etwa darum, wie wir die irakische Regierung dazu befähigen können, die Herzen und Köpfe der sunnitischen Minderheit im Land zurückzugewinnen. Das ist zentral, aber damit beschäftigen Sie sich leider nicht. Diesem Ablenkungsmandat werden wir nicht zustimmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Rainer Arnold spricht als Nächster für die SPD. (Beifall bei der SPD) Rainer Arnold (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns einig: Es wäre immer schöner und besser, wenn wir Konflikte zivil und diplomatisch überwinden könnten. Aber der brutalen Gewalt des IS muss man sich militärisch entgegenstellen. Sonst werden die Brutalsten am Ende obsiegen. Die Linken sind ja nicht naiv. Sie wissen ganz genau, dass dies so ist. Sie täuschen ihre eigene Klientel und die Wähler, indem sie so tun, als ob es klügere und bessere Alternativen gäbe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Gibt es!) Wir halten an diesem Mandant, gemeinsam mit über 60 Nationen den Terror zu bekämpfen, fest. Als Verteidigungspolitiker schauen wir natürlich besonders auf die Rahmenbedingungen, unter denen das stattfindet. Da ist ganz eindeutig: Besuche von deutschen Parlamentariern sind notwendig. Wir wollen nicht nur hören, was uns die Ministerin erzählt, sondern wir wollen uns auch selbst ungefiltert ein eigenes Bild machen können. Deshalb ist es wichtig, dass insbesondere Delegationen der Fachausschüsse dorthin reisen können. Wir schauen als Zweites besonders auf die Arbeitsbedingungen der Soldaten. Wenn ein seit dem 1. September zeichnungsreifes Abkommen von der türkischen Seite immer noch nicht unterzeichnet ist, macht uns das Sorgen, und wir werden nicht zuschauen, dass Soldaten auf Dauer 500 Meter von einer Piste entfernt in nicht schallgedämpften Containern leben müssen. Die Bauten sind marode. Ich erspare dem Hohen Haus die Erzählung, wie es dort wirklich ausschaut. Aber eines ist eindeutig: Diese Dinge muss man ändern. Der parlamentarische Vorbehalt ist ein hohes Gut. Er ist nicht nur ein demokratisches Prinzip, sondern es ist auch ein besonderes Verfahren. Wir können nämlich nur Ja oder Nein sagen und nicht wie bei Gesetzen etwas ändern. Deshalb ist eine Protokollerklärung eine Möglichkeit, bestimmte Dinge noch zu verstärken. Wir haben es uns in der SPD-Fraktion nicht einfach gemacht. Ich bin stolz darauf, dass wir nicht einfach durchwinken, sondern am Montag und Dienstag eine sorgfältige und gründliche Debatte hatten und auch dafür gesorgt haben, dass Regierung, SPD-Fraktion und Koalitionspartner über die Formulierungen diskutieren und darum ringen. Das Ergebnis ist vernünftig. Die Bundesregierung sagt zu, dass Alternativen untersucht werden; denn es ging nie darum, den Einsatz zu beenden. (Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es kann immer nur um die Frage gehen: Wo ist es vernünftig, dass die Flugzeuge starten und landen? Der Kampf gegen den Terror wird so oder so fortgeführt werden müssen. (Beifall bei der SPD) Was ich von der Opposition erlebt habe, die hier Halbwahrheiten vorgelesen hat, finde ich nicht in Ordnung. Die Erklärung geht nämlich weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dort heißt es: Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass der Bundestag erwartet, dass diese Möglichkeit – wie auch bei anderen Einsätzen – gewährleistet bleibt. Das ist schon eine deutliche Erklärung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN) – Jetzt regen Sie sich mal nicht auf. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt noch einen dritten Satz! Lesen Sie den auch noch vor!) Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Fraktion ist in der Koalition. Unserem Koalitionspartner war das Besuchsrecht in der Vergangenheit nicht ganz so wichtig, wie es uns Sozialdemokraten war. Ich sage, ich bin eigentlich froh, in einem Parlament zu sitzen, wo statt Streit und Spaltung am Ende vertretbare Kompromisse stehen. Ich sage Ihnen, wir können mit dieser Formulierung gut leben. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das der Maßstab für „vertretbar“? – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Wieder umgefallen! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? Rainer Arnold (SPD): Gerne. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Arnold, auch ich bin froh, in einem Parlament zu sitzen und über Bundeswehreinsätze nicht allein die Regierung entscheiden zu lassen. Aber ich habe insgesamt, glaube ich, fünf Anfragen an die Bundesregierung gerichtet und gefragt, was denn mit Unterstützung der Bundeswehr-Tornados in den letzten Jahren für Angriffe von der Militärkoalition, der auch die Bundeswehr bzw. Deutschland angehört, geflogen worden sind. Wie viele Angriffe waren es? Gegen welche Ziele haben sie sich gerichtet? Haben sie getroffen? Wie viele Menschen sind dabei getötet worden? Wie viele Zivilisten sind dabei getötet worden? Was hat man getan, um Opfer unter den Zivilisten zu verhindern? Die Bundesregierung hat mir auf alle Anfragen – die letzte ist, glaube ich, acht Tage alt – immer wieder geantwortet: Wir wissen das nicht. Wir wissen nicht, welche Ziele getroffen werden. Wir wissen nicht, was mit unseren Informationen, die von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden, gemacht wird. Ich frage Sie, Herr Kollege Arnold: Was ist das für eine Bundesregierung, die die Bundeswehr in einen Angriff schickt, bei dem sie nicht weiß, was mit den Unterstützungsleistungen der Bundeswehr tatsächlich passiert und angerichtet wird? Und was soll das für ein Parlament sein, das von der Bundesregierung keine Informationen darüber bekommt oder vielleicht auch nicht bekommen kann, was mithilfe der Bundeswehr im Iran, in Syrien und auch im Irak verursacht wird? Können Sie verantwortlich eine Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr treffen, ohne diese Informationen zu haben? Oder halten Sie es für richtig, dass sich die Bundesregierung die Informationen bei ihren Alliierten beschafft und diese Informationen dann dem Parlament zur Verfügung stellt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Rainer Arnold (SPD): Herr Kollege Ströbele, ich fühle mich geehrt, dass Sie erwarten, dass der bescheidene Abgeordnete Arnold anstelle der Bundesregierung die Antworten geben kann. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht wegtauchen!) Aber ich kann als Fachpolitiker vielleicht trotzdem ein bisschen weiterhelfen. Wir haben das Operationszentrum besucht, von dem aus die Lufteinsätze geführt werden. Wir haben uns, übrigens auch die Kollegen der Opposition, die Abläufe genau angeschaut. Wir haben überprüft: Wie sorgen die deutschen Soldaten dafür, dass Informationen nur mandatsgerecht erfasst und mandatsgerecht weitergegeben werden, dass eben nicht über kurdischem Gebiet geflogen und aufgezeichnet wird? All das haben wir uns angeschaut. Die sogenannten Red Card Holders haben uns relativ präzise erklärt, wie dies funktioniert. Das ist die eine Seite. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kurdischen Milizen sind in Rakka!) Die zweite Seite ist: Wir liefern hochauflösende Bilder von den Tornadofliegern in die Einsatzzentrale, in der die Einsatzentscheidungen aufgrund vieler Informationen getroffen werden. Die Bilder, die die Tornados liefern, sind nur ein kleines Mosaiksteinchen, das erst zusammen mit vielen unterschiedlichen Mosaiksteinchen ein Gesamtbild ergibt. Auf deren Grundlage werden dann Einsatzentscheidungen getroffen, und die Einsatzentscheidungen trifft die Allianz. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Langsam, Herr Ströbele. – Und weil es sich um eine Fülle von Informationen handelt, kann doch niemand direkt ableiten, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber indirekt!) wo die deutschen Bilder bei den Einsätzen hinführen. Diese Ableitung ist schlichtweg nicht machbar. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort!) Das sind die Abläufe, und ich rate den Kollegen von der Opposition, einmal dorthin zu fliegen und sich die Situation vor Ort selbst anzuschauen, bevor Unfug und Halbwahrheiten in die Welt gesetzt werden. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn van Aken! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr van Aken darf da nicht hin!) Die deutschen Soldaten im Einsatz arbeiten außerordentlich sorgfältig, rechtlich sauber, militärisch operativ, sehr nachdenklich und im Rahmen dessen, was der Deutsche Bundestag genehmigt hat. Das machen sie sehr gut. Für dieses Engagement sage ich Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein schlechtes Mandat, aber gute Arbeit der Soldaten!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Arnold. Drei weitere Kollegen haben den Wunsch, Fragen zu stellen. Rainer Arnold (SPD): Ich beantworte gerne alle Fragen, aber wir müssen auch ein bisschen an die Zeit denken. Vizepräsident Johannes Singhammer: Das wollte ich gerade sagen. Rainer Arnold (SPD): Vielleicht können Sie als Präsident das ein bisschen steuern. Vizepräsident Johannes Singhammer: Das ist ein sehr guter Hinweis an den Präsidenten, den ich gerne aufnehme. Deshalb schlage ich erstens vor, dass wir bei den Fragen oder Bemerkungen das Zeitkontingent beachten – die zur Verfügung stehende Zeit beträgt nicht drei Minuten wie bei der Kurzintervention, sondern sie ist deutlich kürzer –, und zum Zweiten meine ich, dass wir zwei Fragen zulassen sollten, und zwar die von Kollegin Brugger von den Grünen und anschließend die von Dr. Neu von der Fraktion Die Linke. – Frau Kollegin Brugger, Sie haben das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, lieber Kollege Arnold. Weil Sie explizit die Oppositionsabgeordneten, die auf der Reise dabei waren, mit ins Boot geholt haben, möchte ich betonen, dass uns auf der Reise sehr klar geworden ist, dass die Bundeswehr zwar prüft, ob die Aufträge, die sie annimmt, mandatskonform sind – das bestreiten wir nicht; das war ja auch nicht die Kritik, die der Kollege Ströbele vorgetragen hat –, dass aber niemand nachvollziehen kann, was genau mit den Daten passiert, nachdem sie der internationalen Koalition gegen den Daesh zur Verfügung gestellt worden sind. Sie haben sehr geschickt den Punkt umschifft, den der Kollege Ströbele angesprochen hat. Nicht nur die Bundesregierung hat auf die wiederholten Fragen des Kollegen Ströbele entsprechend geantwortet, sondern uns wurde auch vor Ort mitgeteilt, dass natürlich niemand nachvollziehen kann, was genau mit den Daten passiert. Es wäre ja naiv, zu glauben, dass beispielsweise der Frontverlauf zwischen den Kurden und Daesh nicht überflogen wird und keine diesbezüglichen Informationen eingespeist werden. Die Türkei hat auf diese Informationen Zugriff, und wir wissen nicht, was damit passiert. Das möchte ich an dieser Stelle einfach zur Klarstellung sagen, weil Sie uns mit ins Boot geholt haben. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein! In den Flieger! Wir sind gar nicht mit dem Boot gefahren!) Wir haben uns davon vor Ort ein klares Bild gemacht, haben aber auch sehr viele entsprechende Antworten der Bundesregierung schwarz auf weiß. Eine letzte Bemerkung: Sie haben, glaube ich, mit Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, warum das Besuchsrecht der Abgeordneten in diesem Zusammenhang wirklich ganz zentral ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Rainer Arnold (SPD): Ich habe versucht, zu erklären, dass die Bilder, die die Tornados liefern, einen kleinen Beitrag zum Gesamtlagebild liefern. Die Bundeswehr entscheidet nicht, was mit diesem Gesamtlagebild gemacht wird und welche Einsätze geflogen werden. Dieses Gesamtlagebild speist sich aus vielen Elementen. Die Einsatzführungszentrale bestimmt dann, wo Kampfflugzeuge eingesetzt werden. Deshalb kann man keinen direkten, kausalen Zusammenhang herstellen. Sie als Fachpolitikerin wissen, dass die Bilder, die von deutschen Tornados am Tag Y gemacht werden, nicht am Tag X zu einem Einsatz geführt haben. Dies ist schlechterdings nicht möglich. Sie sollten die Bundesregierung vielleicht ein bisschen anders fragen, würde ich Ihnen raten. Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt kommt der Kollege Dr. Neu zu seiner Frage oder Bemerkung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das muss ja nicht sein! Der hat doch gesprochen!) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Kollege Arnold, meine Frage zu Ihren Ausführungen: Sie können also nicht ausschließen, dass die Bilder, die von Recce-Tornados gemacht werden, von der Türkei missbräuchlich genutzt werden, um kurdische Stellungen in Syrien zu bombardieren. Habe ich Sie da recht verstanden? (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rainer Arnold (SPD): Sie haben mich überhaupt nicht verstanden, Herr Kollege. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das liegt aber nicht an mangelnden intellektuellen Fähigkeiten, sondern daran, dass Sie mich nicht verstehen wollen. Das ist der entscheidende Punkt. Das kennen wir ja schon. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Herr Kollege, die Deutschen prüfen dreimal: Einmal, wenn der Auftrag erteilt wird, dann, wenn die Tornados zurück sind und in Incirlik die Bilder von hochspezialisierten Auswertern ausgewertet werden – davon gibt es in der NATO nicht so viele; die Deutschen haben da eine besondere Fähigkeit –, und zum dritten Mal, wenn die Bilder in das Operationszentrum nach Katar gehen. Dann wird noch einmal rechtlich und politisch geprüft, dass keine Bilder dabei sind, die die Türken im Kampf gegen die Terroristen oder die Kurden missbräuchlich benutzen könnten. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Stimmt gar nicht!) Wir haben also drei Stufen. Das ist für mich eine sorgfältige und angemessene Vorgehensweise. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich glaube, jetzt hat er es verstanden!) Unsere Antwort kann doch nicht sein, dass wir uns, weil Erdogan gegenüber den Kurden eine Politik betreibt, bei der aus unserer Sicht die Verhältnismäßigkeit der Mittel in keiner Art und Weise mehr gewahrt ist, aus einer Allianz der Solidarität und der Verlässlichkeit herausnehmen und das Geschäft andere machen lassen. Dann hätten wir übrigens überhaupt keinen Einblick mehr in die Dinge, die dort passieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das wäre eine unpolitische, unverantwortliche und am Ende, wie ich finde, auch unethische Antwort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Deshalb muss man mit schwierigen Situationen – das ist ein Luftkrieg, und dabei gibt es nicht immer nur schöne und einfache Situationen – verantwortlich umgehen. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Der Kollege Neu war doch mit!) Es ist Ausdruck verantwortlicher Politik, in einer schwierigen Gemengelage verantwortungsvoll zu entscheiden und seine Beiträge abzuliefern. Das tun wir Deutsche, das tut das deutsche Parlament. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu AWACS sagen. Es ist leider so, dass die türkischen Partner nicht verstehen, was NATO bedeutet. In der NATO ist man nicht Mitglied. Die NATO ist eine Allianz von Partnern. Das heißt, dass sich alle Partner an die Spielregeln, Automatismen und Vorgehensweisen dieser Allianz halten und sich einordnen. Dies vermissen wir – ich sage das ausdrücklich – bei den Türken im Augenblick. Ich wünsche mir ausdrücklich, dass die NATO nicht nur diplomatisch – das tut sie –, sondern auch öffentlich – der Zeitpunkt ist jetzt da – deutlich macht, wie die Vorstellungen in solch einer Wertegemeinschaft sind. Ich glaube, die NATO ist sich das selbst schuldig, damit in der Öffentlichkeit kein falsches Bild über die für uns so wichtige Allianz entsteht. Unter diesem Vorbehalt halten wir aber den Einsatz der AWACS-Flieger für richtig; denn sie können den Luftraum dort besser kontrollieren und damit auch für mehr Sicherheit in dem Luftraum sorgen, in dem die Allianz fliegt, in dem die Russen fliegen und in dem die Türken ohne Anmeldung fliegen. AWACS-Flieger sind ein gutes Instrument, um dort mehr Sicherheit im Luftraum herzustellen. Deshalb halten wir diese Mandatserweiterung tatsächlich für notwendig und verantwortbar. Um es noch einmal klar zu sagen: Die Bundesregierung wird meiner Einschätzung nach am Ende der Prüfphase feststellen, dass es auch andere Optionen gibt. Sie wird gut daran tun, das zu tun, was Militärs immer tun, nämlich bei Einsätzen immer Optionen für alle Fälle in der Schublade zu haben. Das ist vernünftig. Das ist vorausschauend. Ich sage hier noch einmal: Wir werden so oder so an diesem Einsatz im Kampf gegen den fundamentalistischen IS-Terror festhalten. Die Frage, von wo aus man dies verantwortungsvoll tun kann, wo man startet und landet, wird man angesichts der Entwicklungen immer wieder neu bewerten müssen. Das ist ein völlig normaler Vorgang. Im Augenblick halten wir es für richtig, es so zu tun wie im vergangenen Jahr. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu diesem Mandat. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Es gab noch einige Wünsche nach Zwischenfragen. Ich hatte ja angekündigt, dass wir jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen. – Es gibt abschließend eine Kurzintervention der Kollegin Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese Kurzintervention zulassen. – Ich möchte noch einmal an die Frage anknüpfen. Wir haben ja, wie gesagt, seit Monaten auf die Frage, was am Boden passiert, nur gehört: Die Bundesregierung weiß es nicht. Jetzt hat das US-Zentralkommando unsere Frage beantwortet. Der Sprecher Thomas sagte: Zwischen November 2015 und September 2016 wurden demnach bei 24 Luftangriffen der Anti-IS-Koalition 64 Zivilisten getötet. 8 weitere seien verletzt worden; damit sei die Zahl der zivilen Todesopfer durch Luftangriffe im Kampf gegen die Terrormiliz auf 119 gestiegen, so teilte der Sprecher weiter mit. Wir freuen uns ja, dass wir die Antwort überhaupt bekommen haben. Meine Frage ist jetzt: Werden Sie in Zukunft sicherstellen, dass die Bundesregierung diese Zahlen nicht aus der Presse bekommt, sondern direkt von unseren Bündnispartnern über diese Zahlen informiert wird und sie dann auch an uns weitergibt? Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Arnold hat jetzt, wenn er es möchte, die Gelegenheit, darauf zu erwidern. Rainer Arnold (SPD): Frau Kollegin Keul, ich bekomme wie Sie Abgeordnetendiäten und bin nicht der Sprecher der Bundesregierung. Deshalb bin ich die falsche Adresse. Ich glaube, es ist immer noch nicht klar geworden, um was es tatsächlich geht. Ich habe gehofft, dass ich mich so ausdrücke, dass es richtig verstanden wird. Natürlich weiß eine Einsatzführungszentrale sehr genau, was sie beschließt, was sie tut und wie die Ergebnisse sind. Die Frage, die Sie gestellt haben, war: Welche Auswirkungen haben die Bilder, die die Deutschen zur Unterstützung geliefert haben, auf die Entscheidungen und die Ergebnisse? Dies kann kein Mensch beantworten, auch die Einsatzführungszentrale nicht. So einfach ist das. Ein Headquarter weiß natürlich, was passiert ist. Wenn ein Angriff stattgefunden hatte, gehen sofort Aufklärer dorthin und werten aus. Da sind Menschen am Boden. Es gibt auch Nichtregierungsorganisationen, die Meldungen machen. Das alles ist nicht neu. Man kann aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Aufklärung durch deutsche Tornados und der operativen Führung des Einsatzes im Detail herstellen. Darum geht es. Alles andere ist eine andere Frage. Solche Fragen kann und soll man – da sind wir uns übrigens einig – auch beantworten. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Danke schön. – Jetzt hat das Wort der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über den Antrag der Bundesregierung über die Verlängerung des Anti-IS-Mandates. Ich will an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen: Für uns als CDU/CSU ist dieser Antrag mit oder ohne Protokollerklärung zustimmungsfähig. Wir stehen zu diesem Einsatz – in einer Phalanx mit 64 anderen Ländern und drei internationalen Organisationen –, weil wir glauben, dass es politisch notwendig und humanitär geradezu verpflichtend ist, sich dort zu engagieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, finde ich es nicht okay, wenn so getan wird, als sei die Basis, von der aus wir operieren, völlig disponibel. Natürlich kann man über Alternativen nachdenken. Allerdings sind wir gerade dabei, den IS insbesondere im Irak massiv zurückzudrängen, und die Dinge laufen immer mehr auf Mosul zu. In einer solchen Situation darüber zu sprechen, die Basis für unsere Soldaten und unsere Aufklärungstornados zu verlegen, ist geradezu unverantwortlich. Der nächste Punkt. Ich will hier feststellen, dass auch für unsere Fraktion das Besuchsrecht bei den Soldaten absolut konstitutiv und wichtig ist; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Das weiß aber auch die Bundesregierung. Deswegen hätten wir auf eine solche Klarstellung verzichten können. Wer, wie heute Mittag Frau Dağdelen, sagt, dass dieses Mandat eine Unterwerfungshandlung der Bundesregierung gegenüber der Türkei und Erdogan sei, der verkennt Ursache und Wirkung und muss zur Kenntnis nehmen, dass wir uns in diesem Fall nicht für die Türkei und nicht für Erdogan engagieren, sondern in unserem eigenen Sicherheitsinteresse und in Solidarität mit der internationalen Staatengemeinschaft; das ist der Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein Ultimatum zu stellen, das sich am Ende nicht gegen Erdogan, sondern – umgekehrt – gegen uns richtet, wäre geradezu töricht. Deswegen, glaube ich, sind wir hier auf dem richtigen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine humanitäre Verpflichtung, dass wir uns hier engagieren. Allein in den letzten drei Wochen gab es 42 000 Flüchtlinge aus Mosul. Von einigen haben wir inzwischen Augenzeugenberichte erhalten. Sie haben die barbarischen Gräueltaten und die Verbrechen gegen Menschlichkeit, Andersgläubige, Andersdenkende, Frauen und Kinder deutlich zum Ausdruck gebracht. In einer solchen Situation gibt es zum einen eine humanitäre Verpflichtung. Zum anderen besteht aber auch eine politische Notwendigkeit zum Handeln, die sich daraus ergibt, dass wir den IS bekämpfen müssen, um zu verhindern, dass auch in Zukunft eine Terrororganisation über territoriale Machtmöglichkeiten verfügt. Deswegen muss der IS auch militärisch bekämpft werden. Es darf nicht sein, dass es dort Rückzugsgebiete für Terroristen, Ausbildungsmöglichkeiten für Terroristen und Ausgangspunkte für die Ideenwelten von Terroristen gibt. Das muss verhindert werden. Deswegen brauchen wir auch einen militärischen Einsatz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein weiterer Punkt. Es ist natürlich vollkommen klar, dass, wenn der IS militärisch besiegt ist, die Ideologie bzw. die Gedankenwelt dieser islamistischen Terroristen nicht verschwunden sein wird. Deswegen werden wir bei diesem Einsatz einen langen Atem brauchen. Wir wissen, dass der IS, indem er Steuern eingezogen und Öl gefördert und verkauft hat, allein zwischen dem Sommer 2014 und dem Sommer 2015 jeden Monat mindestens 250 Millionen Euro eingenommen hat. Das macht ihn zur reichsten Terrororganisation der Menschheitsgeschichte. Dies ist natürlich eine Ausgangsbasis, um diese Ideologie, diese Verblendung und diesen mörderischen Terrorismus auch ohne territoriale Möglichkeiten weiter zu praktizieren. Das ist exakt der Grund, lieber Herr Nouripour, warum wir heute nur über einen Teil dieses Einsatzes sprechen, nämlich über den militärischen; seine Notwendigkeit habe ich erläutert. 133 Millionen Euro wird er kosten. Auf humanitärem Gebiet, bei der zivilen Krisenprävention, bei der Konfliktnachsorge und zur Stabilisierung vor Ort tun wir ein Vielfaches, auch in finanzieller Hinsicht. Ich will an dieser Stelle das Lob an die Bundesregierung, das heute schon ausgesprochen worden ist, wiederholen. Es ist tatsächlich so, dass wir an der Spitze der Entwicklung stehen. Wir haben uns schon im Frühjahr 2015 innerhalb der internationalen Allianz für Konfliktnachsorge, insbesondere im Irak, engagiert. Wir haben die Federführung innerhalb der internationalen Allianz übernommen. Wir betreiben Konfliktnachsorge, und zwar ganz unmittelbar bei den Menschen: mit Wasser, mit Nahrungsmitteln, mit Elektrizität, mit Gesundheitsleistungen, mit Bildung und allem, was Menschen benötigen, um auch in einer solchen Situation Zukunftszuversicht haben zu können. Allein das Deutsche Rote Kreuz hat für die Flüchtlinge aus Mosul Kapazitäten für 50 000 Personen geschaffen. All das sind Dinge, die wir tun, die wichtig sind und die in dieses Gesamtbild gehören. Wir engagieren uns dort, um Strukturen zu stabilisieren, Vertrauen zu gewinnen, zurückzugewinnen und Ownership zu ermöglichen. Bei all diesen Dingen sind wir letztlich auch erfolgreich. In der Hochphase gab es im Irak 3,2 Millionen Binnenflüchtlinge, von denen etwa 1 Million schon wieder in ihre Herkunftsorte zurückgefunden haben. Allein nach Tikrit sind 90 Prozent der Flüchtlinge wieder zurückgekehrt, nachdem die Stadt von ISIS befreit war. Das sind Fakten, die man einfach zur Kenntnis nehmen muss und die man nicht ignorieren darf, nur weil es einem politisch in den Kram passt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das ist das Gesamtbild, für das wir uns einsetzen. Deshalb ist dieser Einsatz richtig und notwendig, und deswegen stimmen wir ihm zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Faktenlage in der Türkei? Kein Wort zur Türkei gesagt!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Dağdelen hat gebeten, in einer Kurzintervention Stellung nehmen zu dürfen, weil sie namentlich angesprochen worden ist. Diese Kurzintervention lasse ich zu. – Sie haben das Wort. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrter Herr Kollege Frei, Sie haben mich ja namentlich genannt und angesprochen. Ich bezeichnete die Protokollerklärung der Bundesregierung zum Mandat, die die unverbindliche Aussage enthält, dass sich die Bundesregierung bemühen würde, dass Bundestagsabgeordnete auch ihr Besuchsrecht in Incirlik wahrnehmen können – das halte ich für eine Selbstverständlichkeit –, als einen Kniefall vor dem türkischen Präsidenten Erdogan, weil Sie unsere Parlamentsarmee diesem Despoten damit auf einem Silbertablett servieren. Eine Parlamentsarmee ohne parlamentarische Kontrolle kann und darf es nicht geben. Es gibt kein Besuchsrecht für uns Bundestagsabgeordnete, die wir heute hier – alle und nicht nur wir, die Mitglieder des federführenden Ausschusses – namentlich über diesen Bundeswehreinsatz abstimmen müssen. Das finde ich einfach fatal, und ich finde es angesichts der aktuellen Situation in der Türkei auch ein falsches Signal, dass man an diesem Bundeswehreinsatz in der Türkei mit der Stationierung in Incirlik festhält und dem Despoten damit den Rücken stärkt. Ich komme nun zu Ihrem eigentlichen Argument, Sie würden das nur wegen der internationalen Koalition gegen den Terrorismus des „Islamischen Staates“ machen. – Ich muss Sie wirklich fragen, warum Sie das falsche Spiel Ihres türkischen Partners Erdogan nicht beenden, der bis heute die Grenze zum „Islamischen Staat“ offenhält, der laut französischem Geheimdienst jede Woche über 100 Kämpfer über die türkische Grenze als Nachschub zum „Islamischen Staat“ gehen lässt und der bis heute die Nachschubwege für die Waffen offenhält. Bis heute findet durch den „Islamischen Staat“ noch Ölschmuggel über die türkische Grenze statt. Ihr Partner Erdogan ist kein Partner im Kampf gegen die Terrororganisation IS. Er ist selbst ein Terrorpate; das hat auch die Bundesregierung gesagt. Die Bundesregierung hat gesagt, die Türkei sei zu einer zentralen Aktionsplattform für islamistischen Terrorismus im ganzen Nahen und Mittleren Osten geworden. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Deshalb sollten Sie, wenn Sie aufrichtig gegen den IS kämpfen wollen, aufhören, den Despoten Erdogan zu unterstützen, und Sie sollten uns auch keinen Sand in die Augen streuen, wonach Erdogan mit Ihnen gemeinsam gegen den IS kämpfen würde. Das Gegenteil ist der Fall: Er unterstützt die islamistischen Terror- und Mörderbanden in Syrien. Deshalb sagen wir Nein zu diesem Bundeswehreinsatz. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Frei, wenn Sie wünschen, dann können Sie darauf antworten. Thorsten Frei (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Dağdelen, zunächst einmal ist es unbestritten, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist und dass dazu auch Besuchsrechte von Bundestagsabgeordneten gehören. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung dies nicht nur weiß, sondern auch dafür sorgen wird, dass diesem Recht zum Durchbruch verholfen wird. Aber eine Frage, die sich daraus auch ergibt, ist, wie man so etwas organisiert. Ich glaube nicht, dass es für unsere deutschen Soldaten sinnvoll ist, wenn 630 Bundestagsabgeordnete, die alle über diesen Einsatz entscheiden, einzeln nach Incirlik pilgern. Sicherlich wird man dafür pragmatischere Lösungen finden. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Zweiten: Selbst wenn ein Teil dessen, was Sie zur Analyse der Situation und zur Rolle der Türkei im Nordirak und in Syrien gesagt haben, stimmen würde, rechtfertigte es nicht die Schlussfolgerung, die Sie daraus ziehen. Sie zeigt eigentlich, dass Sie eher türkische Innenpolitik betreiben, als dass Sie im Interesse der Menschen vor Ort, aber auch im Interesse unserer Sicherheit die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Dass es dort Probleme und Schwierigkeiten gibt, ist doch unbestritten. Aber dieser Einsatz hilft, die Probleme zu lösen, und trägt nicht dazu bei, sie zu verschärfen, wie Sie glauben machen wollen. Deshalb ist der Einsatz richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Julia Obermeier für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Nachmittag haben wir in der Vereinbarten Debatte bereits ausführlich über die aktuelle Lage in der Türkei gesprochen. Kommende Woche reise ich zur NATO-Parlamentstagung nach Istanbul. Dort werde ich, dort werden wir die Missstände offen ansprechen, und wir werden die Türkei an die Werte erinnern, auf denen die NATO aufbaut. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Mitglied der CSU, die sich schon immer klar gegen einen Beitritt der Türkei zur EU ausgesprochen hat, bin ich sicherlich nicht verdächtig, der Türkei unkritisch gegenüberzustehen. Aber ich stelle fest: Der NATO-Luftwaffenstützpunkt in Incirlik ist heute der strategisch wichtigste Ausgangspunkt im Kampf gegen den IS. Die Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss haben Anfang Oktober unsere 250 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Incirlik besucht, und solche Besuche müssen auch zukünftig möglich sein. Natürlich wollen wir vorbereitet sein. Die Bundesregierung wird deshalb andere Luftwaffenstützpunkte zum Beispiel in Jordanien oder in Zypern als mögliche Alternativen prüfen. Aber ich erinnere noch einmal daran: Unsere Soldatinnen und Soldaten sind nicht wegen der Türkei in Incirlik, sondern um den IS zu bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender Franz Josef Jung hat es heute in der Debatte treffend formuliert: Gerade jetzt, im entscheidenden Kampf um die IS-Hochburgen Mosul und Rakka, dürfen wir die internationale Allianz nicht im Stich lassen. Unsere Männer und Frauen in Uniform werden dringend gebraucht. Beispielsweise stellen sie die Luft-Luft-Betankung, und sie tragen zu einem umfassenden Lagebild bei. Die Tornado-Aufklärungsflugzeuge liefern gestochen scharfe Bodenaufnahmen des Gebiets, in dem der IS sein Unwesen treibt. Zukünftig werden wir uns an AWACS-Aufklärungsflügen der NATO beteiligen und die besten Bilder für die Luftraumüberwachung bereitstellen. Doch Deutschland engagiert sich in Syrien nicht nur sicherheitspolitisch; vielmehr verfolgen wir einen umfassenden, vernetzten Ansatz. Deutschland ist einer der größten Geldgeber in der Region. Wir leisten humanitäre Hilfe. Wir unterstützen die vom IS befreiten Städte beim Wiederaufbau, und wir helfen den Nachbarstaaten Syriens, die großen Flüchtlingsströme zu bewältigen. Die Menschen dort brauchen Nahrung, Wasser, Krankenhäuser und Schulen; sie brauchen Arbeit und eine Perspektive. Dafür nehmen wir Geld in die Hand. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Etat unseres Entwicklungsministers, lieber Gerd Müller, für das kommende Jahr erhöhen wollen. Auch gehen wir den mühsamen und langwierigen Weg der Diplomatie. Deutschland unterstützt die internationalen Bemühungen unter Leitung der Vereinten Nationen intensiv. Wir wollen Sicherheit für die notleidende Bevölkerung in Syrien und insbesondere auch in Aleppo erreichen. Es ist ein sehr langer und steiniger Weg, bis Syrien vom Terror des IS befreit sein wird. Für ihren großartigen Einsatz zur Erreichung dieses Ziels möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten meinen herzlichen Dank und den Dank meiner CDU/CSU-Fraktion aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen ihnen heute ein starkes Signal des Rückhalts aus dem Deutschen Bundestag senden. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS. Dazu liegt mir eine Reihe von schriftlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.6 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10244, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/9960 anzunehmen. Wir stimmen über diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich darf einmal fragen, ob alle Plätze an den Abstimmungsurnen mit Schriftführern besetzt sind. – Ich sehe, dass das überall der Fall ist. Damit haben wir alle formalen Voraussetzungen erfüllt. Ich kann die Abstimmung jetzt eröffnen. Gibt es noch ein Mitglied des Hohen Hauses, das seine Stimme abgeben möchte, aber dazu bisher noch nicht in der Lage war? Dann bitte ich, das schnell nachzuholen. – Ich sehe, dass jetzt alle ihre Stimme abgegeben haben. Jedenfalls gibt es keinerlei andere Bekundungen. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.7 Ich bitte jetzt alle, Platz zu nehmen, weil wir noch über die Entschließungsanträge abstimmen werden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10293. Wer für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10294. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Damit verlassen wir jetzt den Tagesordnungspunkt 11. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Maria Klein-Schmeink, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit Sicherheit in die Selbständigkeit – Für eine bessere Absicherung von Selbständigen Drucksache 18/10035 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute ein Thema, das uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier schon seit einigen Jahren beschäftigt: die soziale Absicherung von Selbstständigen. Ich möchte zunächst daran erinnern, wie hochsensibel dieses Thema ist. In der letzten Legislaturperiode hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition schon einmal einen Versuch unternommen, Selbstständige in die Rentenversicherung bzw. in die Vorsorge mit einzubeziehen. Da war eine Menge los: Es war die Rede von einer „Zwangsrente“ und einer „Zwangskollektivierung“, die die CDU/CSU versuchen würde. Es gab eine öffentliche Petition mit 80 000 Unterschriften, und der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland wurde gegründet; ich glaube, er hat mittlerweile über 2 000 Mitglieder. Da war wirklich was los. Auch die Vorschläge hatten es aus Sicht gerade der kleinen Solo-Selbstständigen in sich. Jeder und jede Selbstständige unter 30 Jahren sollte bis zu 400 Euro pro Monat in eine Vorsorge einzahlen. Das ist gründlich schiefgegangen. Dieses Vorhaben ist schließlich sang- und klanglos zurückgezogen worden. Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben uns das Ergebnis dieser Auseinandersetzung angesehen und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Notwendigkeit einer sozialen Absicherung gerade von Solo-Selbstständigen und allen anderweitig nicht abgesicherten Selbstständigen besteht. Wir stellen nun einen komplett neuen Ansatz vor, der nicht nur die einzelnen Sozialversicherungszweige einbezieht, sondern eine Gesamtschau vornimmt. Wir machen Selbstständigen mit unserem Antrag ein attraktives All-inclusive-Angebot. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir machen ein Angebot, das Selbstständige nicht strangulieren wird, sondern ihnen Flexibilität und Sicherheit im Bereich der Gesundheitsversorgung sowie eine Basissicherung im Renten- und Pflegebereich gibt. Wir haben im Blick, dass Selbstständige nicht nur in einem Versicherungszweig versichert sein müssen, sondern in mehreren und dass das alles vernünftig aufeinander abgestimmt sein muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darüber hinaus haben wir uns genau angehört, was Selbstständige zu den sozialrechtlichen Begutachtungsverfahren sagen, zu den Prüfungen, mit denen ermittelt werden soll, ob man abhängig beschäftigt oder selbstständig ist. Das führt zu viel Rechtsunsicherheit gerade bei Solo-Selbstständigen. Wir haben auch mit Menschen aus Kreativberufen gesprochen. Wir unternehmen nun – auch in Abstimmung mit gewerkschaftlichen Positionen – den Versuch, das trennscharf, unbürokratisch und gut abzusichern. Wir machen heute nicht nur den Selbstständigen ein Angebot, sondern sprechen allen hier im Haus vertretenen Fraktionen auch die Einladung aus, sich dieser Gesamtschau zu öffnen und gemeinsame Lösungen im Sinne dieses Schutzbedürfnisses zu finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir machen folgende Vorschläge: Gerade Selbstständige mit kleinen Einkommen sollen bei ihrer sozialen Absicherung nicht überfordert werden. Darum wollen wir die Mindestbeiträge für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung absenken und – ab einem niedrigen, angemessenen Mindestbeitrag – einkommensabhängig gestalten. Wir wollen die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen – auch hier soll es einkommensabhängige Beiträge geben – und vor allen Dingen für mehr Flexibilität sorgen. Selbstständige sollen in guten Zeiten mehr Beiträge zahlen, um schlechte Zeiten auszugleichen oder für zu erwartende Auftragsflauten vorzusorgen. Wir wollen auch für mehr Flexibilität gerade in der Gründungsphase eines Unternehmens sorgen, wenn es noch nicht so richtig läuft. Wir wollen die Start-ups nicht in der Gründungsphase strangulieren, sondern ihnen Raum zum Atmen lassen und den Selbstständigen, wenn die Sache läuft, ermöglichen, nachzuzahlen und den vollen Versicherungsschutz wiederherzustellen. Zu so viel Flexibilität und Anpassung sind unsere über 100 Jahre alten Sozialversicherungssysteme fähig. Das haben mir erst gestern wieder Vertreter der gesetzlichen Rentenversicherung gesagt. Sie haben gesagt: „Das schaffen wir auch noch“, und waren ganz optimistisch, dass das klappen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich wollen wir auch nach Möglichkeiten suchen, Auftraggeberinnen und Auftraggeber an den Sozialversicherungsbeiträgen zu beteiligen. Das ist keine triviale Aufgabe; das ist uns völlig klar. Aber wir wissen, dass Auftraggeberinnen und Auftraggeber in manchen Fällen Selbstständige beauftragen, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Modelle dieses Unterlaufens wollen wir beseitigen. Deshalb müssen wir nach alternativen Möglichkeiten suchen. Ein gutes Beispiel ist die Künstlersozialkasse, an deren Finanzierung die Auftraggeber durch eine Verwerterabgabe beteiligt sind. Das funktioniert in dieser Sparte ganz gut. Aber natürlich kann man das Prinzip der Künstlersozialkasse nicht umstandslos auf alle Selbstständigen ausdehnen. Ich gebe offen zu, dass wir da kein Patentrezept haben. Wir suchen nach an den jeweiligen Auftraggebern angepassten Lösungen. Aber gerade mit Blick auf Vermittlungsplattformen wie Crowdworker, die in Zukunft immer wichtiger werden, ist es Aufgabe für vorausschauende Politik in diesem Hause, Beteiligungsmöglichkeiten von Auftraggebern zu finden und so die Einnahmebasis der Sozialversicherung zu stärken sowie vor allen Dingen – das ist das Wichtigste – die soziale Sicherung in der Selbstständigkeit zu ermöglichen; denn nur soziale Sicherheit gibt Selbstständigen Freiraum, Entspannung und Kraft für mehr Kreativität, und das wollen wir. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Bevor jetzt gleich der Kollege Peter Weiß das Wort erhält, darf ich bekannt geben das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag „Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016“: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt 445, mit Nein haben gestimmt 139, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon ja: 445 nein: 139 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Frank Schwabe Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Hans-Georg von der Marwitz Martin Patzelt SPD Ulrike Bahr Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Michael Gerdes Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Dirk Heidenblut Gabriele Hiller-Ohm Frank Junge Thomas Jurk Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Klaus Mindrup Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Andreas Rimkus René Röspel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Stefan Schwartze Sonja Steffen Andrea Wicklein Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. André Hahn Heike Hänsel Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten CDU/CSU Dr. Andreas Lenz SPD Dr. Nina Scheer Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Jetzt hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor man möglicherweise falsch zielt, möchte ich einfach eine kurze Zusammenstellung von Daten, was das Thema Selbstständige in Deutschland anbelangt, vortragen. Wenn man sich anschaut, wie viele Personen, die im Rentenalter sind, zuletzt als Selbstständige berufstätig waren, dann stellt man fest: Das sind etwa 10 Prozent. Übrigens, die allermeisten von ihnen, nämlich drei Viertel, haben irgendwann einmal in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt. Es sind also durchaus Personen, die einen Anspruch an die gesetzliche Rentenversicherung haben. Möglicherweise sind sie als Selbstständige aus der gesetzlichen Rentenversicherung herausgegangen, das heißt, sie haben die restlichen Jahre irgendetwas anderes gemacht. Unter den Selbstständigen im Rentenalter sind sehr viele mit einem sehr guten Alterseinkommen. Das heißt, sie haben rechtzeitig vorgesorgt und haben zum Teil ein besseres Alterseinkommen als manche gesetzlich Versicherten. Aber es fehlt sozusagen die Mittelschicht, und wir haben eine relativ große Zahl von Selbstständigen, vor allen Dingen von sogenannten Solo-Selbstständigen, die kaum bis gar nicht für das Alter vorgesorgt haben. Deshalb findet man im Altersvorsorgebericht der Bundesregierung, der demnächst verabschiedet werden soll, folgende interessante Zahl: Während wir unter den Senioren in Deutschland 10 Prozent Selbstständige haben, haben wir 17 Prozent ehemalige Selbstständige bei den Beziehern von Grundsicherung im Alter. Die Armutsgefährdung bei ehemaligen Selbstständigen ist also doppelt so hoch wie bei Personen, die ihr Leben lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. Daran sieht man: Die generelle Frage ist nicht, ob wir etwas für die Altersversorgung für die Selbstständigen machen, sondern: Es gibt einen dringenden sozialpolitischen Handlungsbedarf, um zu verhindern, dass immer mehr Selbstständige im Alter nichts haben und auf Grundsicherung angewiesen sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht die Union? – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Da sind wir uns einig!) Weil der Kollege Kurth schon erwähnt hat, dass es gegen die Pläne, die wir schon in der letzten Legislaturperiode erarbeitet haben, sehr viel Widerstand gab, will ich einfach hinzufügen: Wenn ein Sozialstaat wie die Bundesrepublik Deutschland allen ihren Bürgerinnen und Bürgern unabhängig davon, was und wie sie gearbeitet haben, zusagt: „Wenn es im Alter zum Leben nicht reicht, gibt es eine konkrete staatliche Hilfe, nämlich die Grundsicherung“, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die auch nicht zum Leben reicht!) dann, finde ich, hat dieser Staat auch das Recht, ja, sogar die Pflicht, von jedem von uns zu verlangen, dass er in den Zeiten, in denen es ihm gut geht, in denen er gut verdient, irgendetwas für das Alter zurücklegt und anspart, damit er später möglichst nicht auf Grundsicherung angewiesen ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist derzeit ein bisschen schwer! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rentenversicherungsbeitrag zahlen!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Problem ist – Herr Kurth, das haben wir in der letzten Legislaturperiode sehr ausführlich diskutiert –, dass sich die Einkommenssituation von Selbstständigen von der des Festangestellten, der einen Arbeitsvertrag mit einem konkreten monatlichen Gehalt, das auszubezahlen ist, unterscheidet. Das Erste ist: Wenn ich eine selbstständige Existenz gründen will, muss ich in der Regel erst einmal ordentlich Geld ausgeben, möglicherweise noch einen Kredit aufnehmen. In den ersten Jahren verdiene ich vielleicht gar nichts. Deswegen muss es bei einer verpflichtenden Altersvorsorge für Selbstständige freie Jahre für die Existenzgründungsphase geben; sonst kann Existenzgründung nicht funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Zweite ist – das haben Sie zu Recht dargestellt –: Der Selbstständige weiß nicht unbedingt, ob er im nächsten Monat mit dem, was er unternimmt, einen sagenhaften Gewinn oder einen dicken Verlust macht, also ob überhaupt ein Einkommen erwirtschaftet wird. Deswegen braucht man eine ganz andere Beitragsgestaltung, eine Beitragsgestaltung, die sich an die unterschiedlichen Phasen von Verdienstmöglichkeiten, die sehr schnell wechseln können, anpasst. Das war übrigens der Inhalt des Vorschlags, den wir in der letzten Legislaturperiode erarbeitet haben. Nicht der von Ihnen genannte Betrag war der Topbetrag, sondern das war der Betrag, der dazu ausreicht, eine Altersversorgung aufzubauen, die auf jeden Fall oberhalb der Grundsicherung liegt. Für jeden, der nicht diesen Verdienst hat, sollte es selbstverständlich abgesenkte Beiträge geben, die sich an seiner Einkommenssituation ausrichten. Es muss also eine Beitragsgestaltung sein, die auf die speziellen Bedingungen von Selbstständigen mit unterschiedlichen Erwerbs- und Einkommensverläufen Rücksicht nimmt. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ein guter Vorschlag jetzt auf dem Tisch! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in unserem Antrag!) Das Dritte ist – das ist das Entscheidende –: Unabhängig davon, welche Form von Altersvorsorge der Selbstständige gewählt hat, sollten wir, der Staat, die Altersvorsorge des Selbstständigen bei einer Insolvenz schützen. Sprich: Wenn der Betrieb aus irgendeinem Grund in die Insolvenz geht, dann sollte das, was für die Altersvorsorge auf die Seite gelegt worden ist, nicht angegriffen werden, sondern tatsächlich auch in Zukunft für die Altersversorgung zur Verfügung stehen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rentenversicherung!) Ich – sicherlich auch viele Kolleginnen und Kollegen – kenne den traurigen Fall: Da war ein Handwerksmeister wirklich erfolgreich. Dann kommt die Situation, dass zwei große Kunden die Rechnungen nicht bezahlen, die Bank den Kredit kündigt und er Insolvenz anmelden muss. Eigentlich hat er gedacht, dass sein schönes Unternehmen, das er sich aufgebaut hat, eines Tages auch seine Altersversorgung ist. Aber mit einem Tag ist alles futsch, und er steht mit nichts da. (Zuruf von der LINKEN: Ja, aber seine Beschäftigten auch!) Deswegen ist die Pflicht zur Altersvorsorge für Selbstständige in unseren Augen zunächst einmal ein Angebot an den Selbstständigen, ihn aus einer solchen wirklich misslichen und katastrophalen Situation zu befreien und ihm zu garantieren: Was du für das Alter ansparst, das steht dir auch tatsächlich im Alter zur Verfügung. Das wird nicht irgendeiner Insolvenzmasse, falls es zu einer Insolvenz kommen sollte, zugeschlagen. (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie könnte man das besser machen als in der Rentenversicherung!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Weiß, es gibt gleich zwei Wünsche nach Zwischenfragen. Wollen Sie diese zulassen? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ja, dann machen wir das. Vizepräsident Johannes Singhammer: Dann darf ich mit dem Kollegen Kurth beginnen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, danke, dass Sie das zulassen, und danke auch an Sie, Herr Weiß. Ich mache es auch ganz kurz. Das mit dem Schutz der Alterssicherung im Falle einer Insolvenz finde ich ein richtiges und zutreffendes Argument, wie auch die Argumente, die Sie zuvor genannt haben, sehr gut mit unserem Antrag übereinstimmen. Aber stimmen Sie mir zu, dass der so wichtige Insolvenzschutz doch am besten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung gewährleistet ist, in der die gezahlten Beiträge laut Bundesverfassungsgericht quasi eigentumsrechtlich geschützt sind und in der sie pfändungssicher sind? Ist das nicht genau das Argument, das das unterstützt, was in dem vorliegenden Antrag steht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Kurth, ich will Ihnen gerne zugestehen, dass Sie die Vorzüge der gesetzlichen Rentenversicherung richtig geschildert haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Aber zu Ihrer eigentlichen Frage. Sie haben zu Recht erwähnt, dass in der letzten Legislaturperiode die von der damaligen Koalition und den Fachpolitikern im Ausschuss für Arbeit und Soziales mit dem Ministerium erarbeiteten Vorschläge zu einer verpflichtenden Altersvorsorge für Selbstständige eine riesige Diskussion und auch eine große Onlinepetition ausgelöst haben. Daran konnte man erkennen, dass sich Selbstständige, die bislang nicht verpflichtend in ein System einbezahlen mussten, eine Wahlmöglichkeit wünschen. Ich muss sagen: Für mich ist das Erste nicht, wo etwas einbezahlt worden ist, sondern für mich ist das Allererste, dass überhaupt etwas für die Altersvorsorge von Selbstständigen einbezahlt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die zweite Zwischenfrage hat sich erledigt, weil sie sich auf den nämlichen Gegenstand bezog. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ich füge eine persönliche Einschätzung hinzu. Wenn wir eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbstständige einführen, werden sich die Selbstständigen sehr genau angucken: Wo habe ich die besten Bedingungen? Wenn sie dann einen fairen und gründlichen Vergleich anstellen, werden sie feststellen, dass die gesetzliche Rentenversicherung nicht die schlechteste Lösung für sie ist. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Aber lassen Sie sie das doch selber erkennen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) So viel als meine Anregung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt einen weiteren Punkt. Von den Selbstständigen, die in Deutschland arbeiten und zum Gesamteinkommen unserer Volkswirtschaft maßgeblich beitragen, sind ein Drittel in Berufen tätig, in denen sie qua Berufsrecht oder eigene Regelung bereits heute verpflichtend in ein Altersvorsorgesystem einbezahlen müssen. Es ist also nicht so, dass alle Selbstständigen sozusagen die große Freiheit haben, etwas zu machen oder auch nichts zu machen. Ein Drittel arbeiten in Berufen, in denen sie verpflichtet sind, in die gesetzliche Rentenversicherung oder in ein berufsspezifisches Altersvorsorgesystem einzubezahlen. Zwei Drittel der Selbstständigen arbeiten in Berufen, die eine solche Pflicht nicht kennen. Da kann man meines Erachtens mit Fug und Recht die Frage stellen: Ist es okay, dass wir zwei Sorten von Selbstständigen haben? Diese Unterscheidung ist nicht die zwischen Selbstständigen, die gut verdienen, und solchen, die schlecht verdienen, sondern das geht quer durch die Berufspalette. Das ist ein weiterer Grund, glaube ich, zu sagen: Wir achten in einem hohen Maße das, was Selbstständige für uns, für den gesamtwirtschaftlichen Erfolg Deutschlands leisten. Aber dass es ein Drittel gibt, die sich selber schon die Pflicht zur Altersvorsorge auferlegt haben, und dass es zwei Drittel gibt, die sich eine solche Pflicht nicht auferlegt haben, ist ein wichtiges Indiz dafür, dass man diese Unterscheidung aufheben sollte. Selbstständige sollten Selbstständige sein, aber es sollte für alle das gleiche Recht gelten, egal in welchem Beruf sie arbeiten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass viele Verbände, in denen Selbstständige organisiert sind, an der Spitze der Zentralverband des Deutschen Handwerks, in dem unter anderem unsere Handwerkskammern organisiert sind, es mittlerweile so sehen: Ja, es ist gerade für den sozialen Schutz unserer Mitglieder, unserer Unternehmerinnen und Unternehmer, unserer Selbstständigen, wichtig, dass wir diese Frage einer ausreichenden Alterssicherung in Deutschland regeln. – Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass es gerade mit der Unterstützung aus dem Handwerk und aus vielen selbstständigen Berufen gelingen kann, eine vernünftige, der spezifischen Einkommens- und Arbeitssituation der Selbstständigen gerecht werdende allgemeine Altersvorsorgepflicht in Deutschland einzuführen. Das wäre sozialpolitisch ein großer Fortschritt. Ich freue mich, wenn wir auch unter Mitberatung des Antrags der Grünen zu einer solchen Lösung finden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Sabine Zimmermann spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist der Meinung, dass Deutschland mehr Selbstständige braucht. Das Bundeswirtschaftsministerium verkündet im Rahmen einer Initiative – zu lesen auf der Internetseite; ich zitiere –: Hier besteht noch viel Potential für mehr Aufbruchsstimmung, Wagemut und Lust auf unternehmerische Selbständigkeit. Das ist doch wieder typisch für diese Bundesregierung. Von anderer Seite fordert sie Bewegung, aber bei ihrer eigenen Politik sehen wir nur Stillstand, und das sorgt natürlich auch für Resignation, besonders bei unseren Selbstständigen. Das, finde ich, muss hier einfach mal gesagt werden. (Beifall bei der LINKEN) Bei den großen Risiken des Lebens wie Krankheit und Altersarmut lassen Sie die Selbstständigen im Stich; denn diese können sich nur sehr schwer dagegen absichern. Aber anstatt hier zu handeln, schicken Sie immer noch mehr Menschen sehenden Auges in prekäre Verhältnisse. Das ist unsozial, und das wissen Sie auch ganz genau. Viele Selbstständige, insbesondere Solo-Selbstständige, berichten mir regelmäßig – ich gehe davon aus, dass auch Sie diese Situation aus Ihren Wahlkreisbüros kennen –, dass sie Sorgen und Ängste haben, die Krankenversicherung nicht mehr bezahlen zu können oder aber auch in Altersarmut abzurutschen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Viele Selbstständige verdienen so wenig, dass sie Probleme haben, ihre Krankenversicherung selbst zu bezahlen. Ein Grund dafür ist die zu hohe, nicht den tatsächlichen Einkommen entsprechende Mindestbemessung. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Ich will es Ihnen erklären: Ein Mindestbeitrag von rund 400 Euro ist für viele Menschen kaum zu leisten, gerade bei Solo-Selbstständigen. Sie nicken, liebe Kollegin Klein-Schmeink. Angesichts von Solo-Selbstständigen, die im Durchschnitt mit 1 500 Euro brutto nach Hause gehen, frage ich Sie von der Koalition: Wie sollen die noch 400 Euro als Mindestbeitrag für ihre Versicherung bezahlen? Das geht einfach gar nicht. Das ist unsozial, meine Damen und Herren, und das wissen Sie auch ganz genau. (Beifall bei der LINKEN) Mehr als die Hälfte aller Solo-Selbstständigen ist nicht für das Alter abgesichert, weder durch die gesetzliche Rentenversicherung noch über eine Lebensversicherung. Sie können es sich einfach nicht leisten. Da sagen wir: Das ist unsozial, und das muss sich verändern. (Beifall bei der LINKEN) Die Regelungen zur Arbeitslosenversicherung für Selbstständige schließen viele Betroffene aus, da der Zugang zu restriktiv ist und die Beiträge oft nicht aufgebracht werden können. Viele Selbstständige fühlen sich mit ihren Problemen völlig alleingelassen. Nicht wenige – wir haben es heute schon gehört – schuften am Rande der Selbstausbeutung zu niedrigem oder niedrigstem Einkommen, muss man sagen. Über 100 000 Selbstständige stocken zusätzlich mit Hartz-IV-Leistungen auf. Das kann es doch wohl nicht sein. Das ist doch nicht das, was wir wollen. Wir haben ja mittlerweile für abhängig Beschäftigte, wenn auch viel zu spät und aus unserer Sicht viel zu niedrig, einen Mindestlohn eingeführt. Ebenso haben wir auch für Selbstständige eine Verantwortung und müssen eine Haltelinie nach unten einziehen. Das erwarten wir auch von dieser Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke möchte einen realistischen und fairen Beitrag zur Krankenversicherung für alle Selbstständigen, der vor allen Dingen auch bezahlbar ist. Wir fordern, dass sich der Mindestbeitrag an der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro orientiert. Das wäre ein Beitrag von rund 70 Euro im Monat für die Krankenversicherung und von rund 12 Euro im Monat für die Pflegeversicherung. (Beifall bei der LINKEN) Oberhalb davon soll natürlich entsprechend dem Einkommen gezahlt werden wie bei Angestellten auch. Außerdem brauchen wir eine Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, (Beifall bei der LINKEN) um sie vor allen Dingen vor Altersarmut zu schützen. Altersarmut ist das große Thema, das wir dringend für die Zukunft bearbeiten müssen. Die Linke fordert eine Orientierung am tatsächlichen Einkommen. Die gesetzliche Rente muss wieder ein höheres Leistungsniveau haben. Die gesetzliche Rentenversicherung muss für einen sozialen Ausgleich sorgen und wieder für alle attraktiv sein. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Es gibt viel zu tun, gerade zur Verbesserung der Situation von Selbstständigen. Doch das, meine Damen und Herren der Bundesregierung, wird natürlich mit Ihrer unsozialen Politik nicht gelingen. Dafür bedarf es eines Politikwechsels, und der geht nur mit der Linken. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den letzten Satz hätten Sie sich sparen können!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächster spricht der Kollege Michael Gerdes für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Altersvorsorge ist dieser Tage allgegenwärtig. Ob medial, hier im Hause oder bei sozialpolitischen Tagungen: Wir sorgen uns um die Leistungsfähigkeit von Rentenmodellen, ob gesetzlich, betrieblich oder privat. Für mich zählt die Gesamtschau, auch wenn wir heute auf Initiative der Grünen insbesondere die Selbstständigen und ihre soziale Absicherung auf der Tagesordnung haben. Über allem schwebt die Warnung und Sorge vor zunehmender Altersarmut, ohne Frage ein Zustand, den wir als Gesellschaft verhindern müssen. Auf Analyse und Prognose müssen aber irgendwann gute Änderungsideen folgen, sonst sinkt das Rentenniveau tatsächlich eines Tages – nach aktuellen Berechnungen nach 2030 – auf ein Level, das zum Leben nicht mehr auskömmlich ist. Unsere Ministerin Andrea Nahles ist auf einem guten Weg. Der von ihr geführte Rentendialog will eben nicht nur in der Analyse verharren, sondern Lösungen aufzeigen. Andrea Nahles wird noch in dieser Wahlperiode einen Gesetzesentwurf zur Rente vorlegen. Aus Sicht der SPD muss das Grundprinzip die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung sein. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das auch abgestimmt? – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht da auch etwas für die Selbstständigen drin?) – Ich komme noch dazu. Geben Sie mir doch die Gelegenheit. Ich bin erst am Anfang meiner Rede. Kein anderes System existiert so lange Zeit, kein anderes System hat so ein umfangreiches Leistungspaket. Allerdings gibt es, Herr Kurth, kein All-inclusive-Angebot. Dazu sind die Lebensmodelle einfach zu verschieden. Mein persönliches Vertrauen in das Umlageverfahren ist groß. Je mehr Menschen bzw. Erwerbstätige in dieses System integriert werden, desto besser ist es. Ich finde es absolut bedauerlich, dass viele junge Menschen dieses Vertrauen in die gesetzliche Rente verloren haben. Wir dürfen an dieser Stelle nicht müde werden und müssen deutlich zeigen, dass das gesetzliche System besser ist als sein Ruf. (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann müssen Sie es attraktiv machen! Herr Weiß hat ja einiges zur Flexibilität gesagt!) Selbstverständlich müssen wir dafür sorgen, dass der Ausgleich zwischen Rentnern und Erwerbstätigen auch mittel- und langfristig funktioniert. Mein Kollege Martin Rosemann wird sicherlich gleich im Detail auf den grünen Forderungskatalog zur besseren Absicherung von Selbstständigen eingehen. Unter seiner Leitung haben wir als SPD-Fraktion sehr konkrete Vorschläge zum Schutz von Selbstständigen vorgelegt – nicht nur in Bezug auf den Rentenversicherungszweig, sondern auch bei den Kranken- und Arbeitslosenversicherungen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das haben wir ja auch! Genau! Aber wir haben es im Parlament! Wo ist denn Ihres?) – Die Sozialabgaben müssen eben im Zusammenhang gesehen werden, Herr Kurth; das haben Sie erkannt. Momentan gibt es bei der staatlich organisierten Absicherung von Solo-Selbstständigen gegen Arbeitslosigkeit aber noch sehr viel Luft nach oben. Wir sehen, wie sehr sich unsere Sozialversicherungen am Modell abhängig Beschäftigter orientieren. Spannend finde ich übrigens das Beispiel Österreich. Unsere Nachbarn sind schon einen Schritt weiter. Dort wurden die Selbstständigen bereits in die Rentenversicherung einbezogen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Übrigens die Beamten und Politiker auch!) – Richtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vieles von dem, was die Grünen im vorliegenden Antrag zu Papier gebracht haben, geht in die richtige Richtung. Wir teilen die Auffassung, dass uns die Umbrüche am Arbeitsmarkt und die immer bunter werdenden Erwerbsbiografien dazu zwingen, die soziale Absicherung neu zu überdenken. Die Sozialversicherungen müssen zukunftsfest gestaltet werden. Armut im Alter muss verhindert werden. Allerdings müssen wir dann vernünftig vorsorgen. Eine auskömmliche Rente beginnt im Erwerbsleben. Das hat Kollege Weiß gerade dargestellt. Im Rahmen der Debatte um Arbeit 4.0 haben wir viel von Solo-Selbstständigen gesprochen, die das digitale Zeitalter mit sich bringt, neudeutsch heißen diese Erwerbstätigen „Clickworker“ oder „Crowdworker“. Hier ist vieles noch im Ungewissen, nicht zuletzt deshalb, weil diese Gruppe mit Blick auf Berufsbilder, Ausbildung und Einkommen sehr heterogen ist. Ich bin froh, dass die SPD-Fraktion an dieser Stelle eine verpflichtende Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung vorsieht. Allerdings müssen die Beiträge auch bezahlbar gestaltet sein. Viele Solo-Selbstständige stehen am Rande des Existenzminimums. Ein guter Bekannter von mir, Trinkhallenbesitzer im Ruhrgebiet, schildert mir sehr glaubwürdig (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – ich hätte auch sagen können: „Büdchen-Guido“ –, dass er nach Abzug aller Steuern und Sozialabgaben nicht einmal auf den Mindestlohn kommt. Selbstständig ist für ihn nicht gleich wohlhabend. Die Zeichen der Zeit sind erkannt: Wir wissen, dass wir auch denen ein Angebot machen müssen, die im Laufe ihres Erwerbslebens zwischen Selbstständigkeit, möglicherweise auch Scheinselbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung wechseln. Unser Blick muss weitreichend sein. Ich freue mich schon jetzt auf eine gute inhaltliche Diskussion zum Gesamtpaket. Denn es wird eben keine Patentlösung geben, und es kann sie auch nicht geben. Anscheinend sind wir – diesen Eindruck habe ich nach der bisherigen Diskussion – nicht allzu weit auseinander. Ich freue mich, wie gesagt, auf die weiter gehenden Diskussionen. Herzlichen Dank und Glückauf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächster spricht der Kollege Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Tobias Zech (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kurth, der Antrag, den Sie geschrieben haben, trifft die Aufgabe, die wir haben: nämlich den Veränderungen am Arbeitsmarkt aufgrund der Technologie Rechnung zu tragen, indem wir auch auf die soziale Sicherung schauen. Ich will Ihnen nur nicht zugestehen, dass Sie der Erste sind, der das aufgezeigt hat. Wir haben das schon einige Male diskutiert. Aber Ihr Antrag geht in die richtige Richtung. Sie treffen den Nerv der Zeit. Sie sprechen von Flexibilität, Sie sprechen darüber, dass wir mit Blick auf den Arbeitsmarkt Anpassungen vornehmen müssen. Das ist alles gut. Aber dann kommen Sie relativ schnell in eine für mich etwas wilde Regelungswut. Deshalb kann ich Ihrem Antrag nicht zustimmen. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Ich denke, wir müssen eine gemeinsame Lösung finden, wie wir die Rentenversicherung weiterentwickeln. Ich bin mir sicher: Wir können die Rentenversicherung weiterentwickeln; sie hält es auch aus. Nur sollten wir allzu rigorose Spielereien weglassen. Ich habe Ihren Antrag mehrmals gelesen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir nicht immer hier!) – Dass es für Sie so schön ist, dass ich ihn gelesen habe, kann ich Ihnen nicht versprechen. Aber ich kann Ihnen zusichern: Ich habe ihn gelesen. – Sie fordern, klarere Abgrenzungskriterien anzuwenden. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich das für unnötig halte. Erstens haben wir in den letzten Wochen und Monaten hier in diesem Haus die ganze Zeit über die Abgrenzung zwischen selbstständiger und abhängiger Beschäftigung gesprochen. Ich denke also, das ist etwas veraltet. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut durchlesen!) Zweitens ist mir persönlich kein einziger aktenkundiger Fall vor Gericht bekannt, in dem es Zuordnungsschwierigkeiten gab. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, massenhaft! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kennen Sie sich aber schlecht aus!) – Wenn Sie einen Fall kennen, der die Abgrenzung betrifft, dann lassen Sie ihn mir bitte zukommen. Ich kenne keinen; aber ich lerne ja immer gern dazu. Ich habe echt gesucht und nichts gefunden. Vielleicht können Sie mir das zukommen lassen. – Ich halte diese Forderung für absolut sinnlos, weil klarere Kriterien nicht notwendig sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der nächste Punkt. Es gibt natürlich schon heute – das wissen Sie auch – das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV. Das funktioniert auch. Die Notwendigkeit, hier etwas zu ändern, sehe ich nicht. Jetzt kommen wir zu den qualitativen Forderungen in Ihrem Antrag. Wissen Sie, es geht Ihnen bei Ihrem Antrag gar nicht so richtig um das Wohl der Selbstständigen und der Solo-Selbstständigen, und vor allen Dingen geht es Ihnen überhaupt nicht um Flexibilität. Was Sie vorsehen, ist eigentlich auch eine tiefgreifende Reform der Pflege- und der Krankenversicherung. Es geht ja gar nicht nur um die Rente. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das ist ja der Witz! Wir verzahnen das! Richtig!) Sie schreiben im Text, Sie wollten eine Bürgerversicherung. Aber die Bürgerversicherung passt nicht zur Arbeit 4.0; sie passt auch nicht mehr ins Jahr 2016. Das ist der Griff in die verstaubte, alte sozialpolitische Kiste; wir brauchen heute Flexibilität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nur um die Selbstständigen erst mal!) – Ich komme gleich darauf zurück. – Es ist klar, dass wir keine Bürgerversicherung haben wollen, weil sie überhaupt nicht flexibel ist. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag doch nicht gründlich gelesen! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte!) Was Sie vorhaben, ist, den Selbstständigen genau eine Möglichkeit zu lassen, nämlich in die gesetzliche Rentenkasse einzuzahlen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die abhängig Beschäftigten haben die Wahl auch nicht!) Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Rente. Ich kann den Selbstständigen doch nicht die Möglichkeit nehmen, zu entscheiden, wie sie vorsorgen. Es gibt die Möglichkeit der privaten Vorsorge, man kann über Immobilien vorsorgen. Man muss nicht jeden in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen. Eines muss man sehr wohl – da sind wir einer Meinung –: Man muss für die Selbstständigen in diesem Land – dafür tragen wir hier im Haus die Verantwortung – eine Vorsorgeverpflichtung einführen. Aber muss man, wenn man schon die Verpflichtung einführt, dann auch gleich die Methode festlegen? Können wir den Menschen in diesem Land nicht wenigstens insoweit vertrauen, als sie selber für sich entscheiden, welche Form der Vorsorge für sie die beste ist? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ihn ja leider doch nicht sorgfältig gelesen!) Ich finde, Kollege Weiß hat eindrucksvoll dargestellt, welche Möglichkeiten es gibt. Die gesetzliche Rentenversicherung ist vernünftig; aber sie stellt bei weitem nicht die einzige Form der Altersvorsorge dar. (Beifall bei der CDU/CSU) Also: Vorsorgepflicht ja – da kann ich mitgehen –; aber ich lehne es entschieden ab, die Menschen durch die Hintertür in die gesetzliche Rentenversicherung hineinzuzwingen und keine Wahlmöglichkeit zu schaffen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen doch alle die gesetzliche Rente stärken! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gesetzliche Rente ist besser als alle Fonds im Kapitalbereich!) Jetzt komme ich zu einem Punkt, der ganz spannend ist. Da bin ich bei einem Aspekt bei Ihnen, Herr Kurth. Lassen wir die Rente beiseite, und gehen wir zur Arbeitslosenversicherung. Da haben Sie aus meiner Sicht hinsichtlich der weiteren Öffnung recht. Ich möchte aber noch etwas hinzufügen: Wenn wir die Arbeitslosenversicherung für alle Selbstständigen öffnen, wie Sie es fordern, dann müssen wir auch sehr restriktive Regeln anwenden, um dem Versicherungs- und dem Solidargedanken Rechnung zu tragen. Man muss dann auch sicherstellen, dass jemand, der sich für die Arbeitslosenversicherung entscheidet, auch dauerhaft darin bleibt und nicht nach zwei Jahren raus- und dann wieder reingeht. Das geht nicht. Das müssten Sie noch hinzufügen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt also doch verpflichtend!) Wir brauchen eine Sperrfrist, damit nicht jede selbstverschuldete Aufgabe eines Unternehmens dazu führt, dass Mittel aus der Arbeitslosenversicherung bezogen werden. Zudem brauchen wir Anwartschaftszeiten, um ein Vermögen aufzubauen und dem Gedanken der Solidargemeinschaft Rechnung zu tragen. – Ich glaube, die Öffnung der Arbeitslosenversicherung ist sinnvoll, aber nur unter diesen Bedingungen. Ich komme zum Schluss. Wir haben heute schon oft gehört, wie stark unser Sozialversicherungssystem ist. Wir müssen es weiterentwickeln, aber nicht revolutionär, sondern evolutionär. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das steht da auch!) Wir erwarten am 28. Dezember die Vorstellung des Weißbuchs Arbeiten 4.0. Danach wird es sicherlich Gelegenheit geben, das Thema – hoffentlich auch mit Anträgen der Koalition – weiter zu bearbeiten. Notwendig ist es, aber nicht so. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen die Selbstständigen in dieser Wahlperiode im Regen stehen! Das ist Ihre Aussage!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Dr. Martin Rosemann für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Rosemann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich will Ihnen zuerst einmal sagen: Ich finde, Ihr Antrag beschreibt ein wichtiges und relevantes Handlungsfeld. Ich glaube, wir müssen die soziale Sicherung von Selbstständigen in Deutschland verbessern. Das gilt insbesondere für die soziale Sicherung im Alter; denn Selbstständigkeit bedeutet heutzutage eben nicht mehr unbedingt hohe Einkommen oder große Vermögen. Die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit sind fließender geworden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Die Übergänge zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit und auch umgekehrt sind häufiger geworden. Sie werden angesichts von Arbeit 4.0 in Zukunft noch weiter zunehmen. Ich finde auch, dass Ihr Antrag durchaus einige wertvolle Elemente enthält. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wow!) Beispielsweise wollen Sie – das will ich ausdrücklich unterstützen – keine neue Trennlinie zwischen Solo-Selbstständigen und anderen Selbstständigen einziehen; denn das wäre praktisch nicht umsetzbar und würde zu neuen Wettbewerbsverzerrungen zwischen unterschiedlichen Formen der Selbstständigkeit führen. Positiv finde ich auch die vorgeschlagenen Entlastungen, insbesondere im Bereich der Krankenversicherungsbeiträge. Insoweit entspricht Ihr Antrag auch dem Konzeptpapier „Neue Zeiten in der Arbeitswelt – soziale Absicherung für (Solo-)Selbstständige verbessern“, das die SPD-Bundestagsfraktion vor zwei Wochen beschlossen hat. Michael Gerdes hat darauf hingewiesen. (Beifall bei der SPD) Aber ich will Ihnen auch sagen: Ihr Antrag bleibt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung weit hinter dem Konzeptpapier zurück; (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?) denn die Beschreibung von Handlungsnotwendigkeiten löst noch keine Probleme. Die spannende Frage ist doch: Mit welchen praktischen Schritten (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch vorgeschlagen!) kommen wir denn von der heutigen Situation zu den beschriebenen Zielen? Da, muss ich sagen, ist Ihr Antrag doch ein bisschen schwach. Ich möchte das ein bisschen exemplarisch machen und nehme als Erstes das Stichwort „Auftraggeberbeitrag“. Das ist ja ein Element, das wir aus der Künstlersozialkasse kennen. Ich finde, da muss man sich jetzt schon entscheiden und konkret werden: Will man dieses System wirklich auf alle Selbstständigen ausdehnen? (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Will ich nicht! Das habe ich doch gesagt! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht doch drin!) Falls ja, wie soll das praktisch gehen, vor allem dann, wenn es eben keine Solo-Selbstständigen sind, sondern Beschäftigte da sind? Da bleiben Sie in Ihrem Antrag doch sehr schwach bei der lauen Aufforderung, man solle mal nach Möglichkeiten suchen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil das nicht so einfach ist!) Das ist aber viel zu wenig. Zeigen Sie doch bitte entweder konkrete Möglichkeiten auf, oder stellen Sie fest, dass es eben nicht funktioniert, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie uns das doch zusammen machen! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Aufgabe der Regierung!) – Das ist Aufgabe aller, der Parlamentarierinnen und Parlamentarier genauso. Das Zweite ist: Manche praktischen Fragen ignorieren Sie einfach. Welches Einkommen der Selbstständigen soll denn genau die Bemessungsgrundlage für die Beiträge sein, um tatsächlich eine Gleichstellung von abhängig Beschäftigten und Selbstständigen zu gewährleisten? Und wie trägt man bei der Beitragserhebung tatsächlich den ständigen Schwankungen der Einkommen von Selbstständigen Rechnung? Für die Selbstständigen ist eine ganz wichtige Frage: Wie sieht es denn mit den Übergangsregelungen aus? Welche Alternativen werden im Übergang anerkannt, welche gegebenenfalls dauerhaft? Meine Damen und Herren, ich will vielleicht noch ein Beispiel geben, um deutlich zu machen, dass Sie, wie ich finde, einfach nicht den Mut haben, etwas konkret zu benennen. Was heißt es denn, wenn Sie in Ziffer 2 sagen: „Die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden“? Was meinen Sie mit „anderweitig abgesichert“? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Versorgungslage!) Reichen 100 Euro an privater Rentenversicherung? Das ist doch sicherlich kein Schutz vor Altersarmut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Das steht alles in der Begründung! Versorgungswerke sind ausgenommen!) Meine Damen und Herren, wir haben uns in unserem Konzeptpapier genau mit diesen schwierigen Fragen beschäftigt und zeigen einen wirklich realisierbaren Weg auf. Wir tragen damit den Veränderungen in den Erwerbsbiografien vieler Menschen Rechnung (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum diskutieren wir das nicht hier im Bundestag, Ihr Konzept?) und dem Bedürfnis, Solo-Selbstständige endlich besser abzusichern. Dieses Konzept ist im Übrigen in einem breiten Beteiligungsprozess entstanden, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unseres auch!) mit betroffenen Selbstständigen, mit der Wissenschaft, mit der Rentenversicherung, mit Verbänden und Gewerkschaften. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir waren nicht beteiligt!) – Ja, zu Ihnen komme ich gleich. Fortschritte gab es in der Vergangenheit nämlich deswegen nicht – so ehrlich muss man sein –, weil bestimmte konkrete Fragen ungelöst waren, aber auch – zumindest ist das meine Wahrnehmung –, weil Ihre Vorstellungen, die Vorstellungen unseres Koalitionspartners, andere waren als unsere. Ich habe Ihnen heute zugehört, Peter Weiß. Ich muss sagen, Sie haben in der Frage, ob Sie eine Einbeziehung in die Rentenversicherung wollen und für wen, stark herumlaviert. Ich nehme dann doch erfreut zur Kenntnis, dass ein Kollege – Carsten Linnemann, er ist jetzt nicht anwesend – sich in einem Interview in einer westfälischen Zeitung im April dieses Jahres dafür ausgesprochen hat, dass es diesbezüglich keine Denkverbote geben darf und auch die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung kein Tabu sein dürfe. Meine Damen und Herren, wir als SPD-Bundestagsfraktion haben die Erwartung, dass die Einbeziehung von Selbstständigen, die bisher nicht in einem berufsständischen Versorgungswerk pflichtversichert waren, in die gesetzliche Rentenversicherung Teil des Gesamtkonzepts zur Rente wird und dass die Arbeitsministerin noch in diesem Herbst ein entsprechendes Konzept vorlegen wird. Unsere Fraktion wird sich auf Basis des beschlossenen Konzeptpapiers in die Debatte über die konkrete Ausgestaltung einbringen. Ich lade Sie alle ein, diesen Weg mitzugehen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10035 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG) Drucksache 18/10208 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch dagegen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt federführend die Debatte bestreiten werden, ihre Plätze einzunehmen. – Das ist der Fall. Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Ich erteile als erstem Redner für die Bundesregierung das Wort dem Bundesminister Hermann Gröhe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein immer leistungsfähigeres Gesundheitswesen, das zu den besten der Welt gehört, steigende Lebenserwartung – all das scheint selbstverständlich zu sein, bis wir an die Grenzen solcher Entwicklungen stoßen. Wenn wir eine neue Therapie herbeisehnen für einen Angehörigen, der an Krebs erkrankt ist, fragen wir uns: Wo kommt eigentlich der Fortschritt her? Wir fragen uns: Wer entwickelt und produziert einen Impfstoff gegen einen neuartigen Virus? Und schließlich: Was kann man gegen Infektionen mit multiresistenten Keimen tun? Wir alle kennen den alten Spruch von Deutschland als Apotheke der Welt. Wir wissen zugleich, dass wir diesen selbstbewussten Anspruch längst mit anderen, zum Teil auch stärkeren Standorten für Forschung und Produktion im Arzneimittelbereich teilen müssen. Aber gerade deswegen haben wir ein gesundheitspolitisches, ein forschungspolitisches und ein wirtschaftspolitisches Interesse daran, Deutschland als Entwicklungs-, als Forschungs-, aber auch als Produktionsstandort forschender Arzneimittelindustrie zu stärken. Die Voraussetzungen dafür sind nach wie vor gut, haben wir doch in diesem Bereich eine Branche, die in Deutschland Tag für Tag 16 Millionen Euro in die Entwicklung und Erforschung neuer Wirkstoffe und neuer Darreichungsformen investiert. Jahr für Jahr steigt auch die Zahl der Beschäftigten in dieser Industrie überdurchschnittlich an. Die Überzeugung, dass wir unser Land als Forschungs- und Produktionsstandort im Pharmabereich stärken wollen, hat die Bundesregierung geleitet, als das Wirtschafts-, das Forschungs- und das Gesundheitsressort gemeinsam Vertreter der Wissenschaft, der Pharmaunternehmen und der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie zu einem Pharmadialog eingeladen haben. Wir haben intensiv diskutiert, wie wir die Stärken Deutschlands in diesem Bereich stärken können, auch in einem härter werdenden globalen Wettbewerb. Wir haben eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, bei denen wir uns von einem Gedanken haben leiten lassen: Wie sichern wir einen guten Zugang zu Innovationen, und wie fördern wir Innovationen in den Bereichen, in denen wir sie besonders dringend herbeisehnen? Ich denke dabei an Diabetes, Alzheimer und bestimmte Krebserkrankungen. Hier wollen wir Innovationen erreichen und dafür sorgen, dass der Fortschritt möglichst schnell bei den Patientinnen und Patienten ankommt. Zugleich müssen wir stets im Blick haben, dass ein solidarisches Gesundheitswesen auf Dauer nur existieren kann, wenn es die langfristige Finanzierbarkeit des medizinischen Fortschritts sichert. Bei der Überführung der im Pharmadialog erarbeiteten Vorschläge in den vorgelegten Gesetzentwurf ging es daher um die Balance zwischen langfristiger Finanzierbarkeit und Innovationsfreundlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei knüpfen wir an die Grundprinzipien des AMNOG an, fragen also nach dem Patientennutzen. Das hat sich bewährt, das ist sinnvoll. Wir wollen den Fortschritt, der wirklich zu einer Verbesserung der Situation der Patientinnen und Patienten führt. Gleichzeitig wollen wir, dass diese Nutzenbewertung treffsicher dazu beiträgt, dort einen Fortschritt zu ermöglichen, wo wir ihn besonders dringend brauchen, etwa indem wir den Mehrnutzen von neu entwickelten Antibiotika bezüglich der Resistenzentwicklung gegenüber bereits etablierten Produkten gewichten. Wir wollen also Anreize schaffen, damit man sich nicht mit Produkten abfindet, von denen wir wissen, dass sie nach und nach an Wirkung verlieren. Innovationsfreundlichkeit und Finanzierbarkeit – das hat zu Diskussionen geführt – Sie kennen sie –, beispielsweise über die Preisgestaltung im ersten Jahr. Wir haben uns mit diesem Gesetzentwurf gegen eine neue Schwelle entschieden, um den Marktzugang zu erschweren. Wir sagen: Wir brauchen eine Preisbremse gerade für besonders hochpreisige Arzneimittel, die sich an eine große Zahl von Patientinnen und Patienten richten. Bei einem Überschreiten der Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro soll umgehend der zwischen den Verhandlungspartnern ausgehandelte Erstattungspreis gelten. Das ist eine wirksame Maßnahme, gerade mit Blick auf hochpreisige Produkte. Die Frage: „Wollen wir, dass bei Rabattverträgen zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen ebenso wie bei Verträgen zwischen einzelnen Versorgerkassen und pharmazeutischen Unternehmen auf eine öffentliche Listung verzichtet wird, um die Verhandlungen über eine Erstattung für die Kassen zu erleichtern?“, führte zu Diskussionen, auch gestern im Gesundheitsausschuss des Bundesrates. Wir sind davon überzeugt und unterbreiten mit diesem Gesetzentwurf einen entsprechenden Vorschlag. Wichtig ist uns, dass wir diese Maßnahmen verbinden mit Maßnahmen zur dauerhaften Preisdämpfung. Deswegen wird das Preismoratorium, das bis Ende 2017 für Arzneimittel ohne weitere Preisregulierung vorgesehen war, bis 2022 verlängert, ab 2018 mit der Möglichkeit einer Anpassung an die Inflationsrate. Allein das vermeidet Mehrausgaben in Höhe von jährlich 1,5 bis 2 Milliarden Euro. Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass wir die Regelung hinsichtlich der Zytostatika – ich habe das Thema in der Haushaltsdebatte angesprochen – in einer Art und Weise weiterentwickeln wollen, die die Ortsnähe und die gute Zusammenarbeit sichert, etwa zwischen verschreibenden Onkologen und der selbstgewählten Apotheke, und gleichzeitig Wirtschaftlichkeitsreserven hebt. Ich glaube, wir zeigen an diesem Beispiel, dass Ausschreibungsnotwendigkeit, Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung in guter Weise zusammengehören. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Kathrin Vogler spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, in der Arzneimittelpolitik ist es immer ein bisschen wie bei dem Wettlauf zwischen Hase und Igel: Der Hase ist die Gesundheitspolitik, und der Igel ist die Pharmaindustrie. Der politische Hase läuft und läuft und läuft, um die Bevölkerung mit wirksamen, sicheren und bezahlbaren Arzneimitteln zu versorgen. Immer, wenn er glaubt, er wäre jetzt am Ziel, ist der Igel von der Pharmaindustrie schon da – mit Scheininnovationen, mit massivem Marketing, mit monopolartigen Strukturen und mit Medikamentenpreisen, die in überhaupt keinem Verhältnis zu den eigentlichen Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Produktion stehen. Von 2011 bis 2015, also in nur vier Jahren, sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Medikamente um nahezu 20 Prozent gestiegen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind sie noch einmal um fast 4 Prozent explodiert. Noch stärker explodieren nur die Aktienkurse der großen Pharmakonzerne. Allein die Aktie der US-Firma Gilead hat ihren Wert seit 2012 mehr als verdreifacht. Das Gesetz, welches uns die Bundesregierung heute im Entwurf vorlegt, ändert daran leider nichts. Sie wollen die Fehler vergangener Gesetze ausbessern und neue Maßnahmen zur Kostenbegrenzung einführen. Einige davon sind sogar sinnvoll. Aber insgesamt bleiben Sie eher der samtpfötige Hase. (Beifall bei der LINKEN) Worum geht es? Seit 2011 müssen die Hersteller neu zugelassene Präparate einer Nutzenbewertung unterziehen. Dabei wird das neue Mittel mit den bisherigen Standardtherapien verglichen. Auf dieser Grundlage verhandeln dann die Krankenkassen mit den Herstellern über den Preis. Der Gedanke dahinter: Ist ein Mittel wirklich innovativ und gut für die Patientinnen und Patienten, dann darf es auch mal teurer sein. Ist es nicht besser als ein altes Medikament, dann soll es auch nicht mehr kosten. Aber es gibt eine Hintertür: Im ersten Jahr dürfen die Unternehmen den Preis frei bestimmen. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist schon immer so!) Den setzen sie natürlich so hoch wie möglich an. Daran wollen Sie im Prinzip nichts ändern. Man könnte dem Einhalt gebieten, wenn der auf Basis der Nutzenbewertung ausgehandelte Preis rückwirkend ab dem Tag der Zulassung gelten würde. Das wäre im Übrigen auch ein wirklicher Anreiz, nur echte Innovationen auf den Markt zu bringen. Ich weiß, dass es auch in den Koalitionsparteien durchaus Sympathien für diesen Vorschlag gibt; (Tino Sorge [CDU/CSU]: Mit wem haben Sie denn da geredet? Bestimmt nicht mit Koalitionskollegen! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Was Sie da erzählen, stimmt nicht!) aber Minister Gröhe hat mit den Unternehmen hinter verschlossener Tür etwas anderes ausgehandelt, und zwar zum Schaden der Allgemeinheit. Sie wollen jetzt eine Umsatzschwelle für das erste Jahr einführen. Erst dann, wenn ein Medikament im Jahr mehr als 250 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, soll eine Kostenbremse greifen. Das halten wir nicht nur für willkürlich, sondern auch für absolut nicht ausreichend. (Beifall bei der LINKEN) Herr Gröhe, was gar nicht geht, ist Ihr Vorschlag, die ausgehandelten Erstattungspreise geheim zu halten. Damit wollen Sie Preisvergleiche unmöglich machen. Sie wollen die Listenpreise in Deutschland künstlich hochhalten und damit eben auch die Arzneimittelpreise in anderen Ländern, die sich am deutschen Preis orientieren. Das ist unsolidarisch, und es ist auch zutiefst antieuropäisch. Wir fordern Transparenz und Solidarität im Gesundheitswesen. (Beifall bei der LINKEN) Es geht aber nicht nur um den Preis. Inzwischen haben wir ernsthafte Versorgungsprobleme. Immer wieder kommt es zu Lieferengpässen und Ausfällen bei wichtigen Medikamenten, zum Beispiel bei Antibiotika und Impfstoffen. Die Bundesregierung aber folgt auch hier dem Motto: Bloß keinen Ärger mit den Unternehmen. Ich sage Ihnen: Mit völlig unverbindlichen Selbstverpflichtungen und freundlichen Gesprächen werden Sie das Problem nicht lösen. Hier müssen klare gesetzliche Regelungen her wie eine verbindliche Meldepflicht bei drohenden Lieferausfällen und eine gesetzliche Pflicht zur Lagerhaltung. Das Ganze muss mit spürbaren Sanktionen bei Verstößen verbunden sein. Zum Schluss will ich noch auf das Thema Versandhandel zu sprechen kommen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs können ausländische Versandapotheken jetzt mit Dumpingpreisen auf den deutschen Markt drängen. Die Linke fordert schon seit Jahren, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu verbieten. Wir sagen: Medikamente gehören in die fachkundige Hand des Apothekers oder der Apothekerin und nicht in den Hermestransporter. (Beifall bei der LINKEN) Wenn noch mehr Apotheken im ländlichen Raum von kapitalgetriebenen internationalen Konzernen in Grund und Boden konkurriert werden, dann steht man nämlich demnächst in der Uckermark oder in der Eifel am Sonntag oder in der Nacht mit einer Krankheit ganz alleine ohne Medikamente da. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, Herr Gröhe, dass Sie sofort angekündigt haben, einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Auch die Bayerische Landesregierung hat unsere Forderung aufgegriffen und eine Bundesratsinitiative gestartet, (Reiner Meier [CDU/CSU]: Ja, genau! Na, sehen Sie mal!) der sich inzwischen auch Brandenburg und Thüringen angeschlossen haben. Leider ist dieses Thema vor allem in der SPD noch umstritten. Aber ich hoffe, dass wir gemeinsam erfolgreiche Überzeugungsarbeit leisten können, sodass es vielleicht noch möglich ist, diese Änderungen mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) In diesem Sinne freue auch ich mich auf die Beratungen. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: So viel Vorfreude!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Edgar Franke spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister hat es eben gesagt: Seit zwei Jahren wird im Rahmen des Pharmadialogs zwischen Bundesregierung und Industrie verhandelt. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hinter verschlossenen Türen! Unter Ausschluss des Parlaments!) Zum einen geht es darum, den Pharmastandort Deutschland zu stärken, zum anderen darum, eine wirtschaftliche und innovative Arzneimittelversorgung für die Patientinnen und Patienten zu sichern. Frau Vogler, Sie haben ja recht: Das Parlament war bei den Verhandlungen nicht dabei. Insofern ist die heutige Beratung im Bundestag natürlich umso wichtiger. Wir diskutieren ja auch über dieses Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Sechs Anmerkungen dazu: Erstens. Positiv ist zunächst das seit 2009 geltende Preismoratorium; auch das hat der Minister gesagt. Es wird um fünf Jahre, also bis 2022, verlängert. Das wird 1,5 oder 2 Milliarden Euro einbringen. Dies ist eine gute Regelung, weil sich auch die Pharmaindustrie daran beteiligt und letztlich einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Versicherten leistet. Ab 2018 gibt es übrigens einen Inflationsausgleich. Es ist also eine gute Regelung, die wir hier getroffen haben, Herr Minister. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Wir alle wissen: Ein Jahr nach Marktzulassung können die Pharmaunternehmen die Preise vollkommen frei bestimmen, unabhängig davon, ob ein Zusatznutzen für den Patienten vorliegt. Die freie Preisbildung soll jetzt durch eine sogenannte Umsatzschwelle eingeschränkt werden. 250 Millionen Euro Umsatz sind der Maßstab. Man muss sagen, dass diese Umsatzschwelle aufgrund ihrer Höhe in der Praxis weitgehend ins Leere läuft. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Viel zu hoch!) Wenn man die Kosten dämpfen wollte, müsste man eine wesentlich niedrigere Umsatzschwelle einführen; das muss man schon sagen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Bei 100 Millionen Euro wären im Jahr 2015 sieben Arzneimittel betroffen gewesen. Besser wäre aus unserer und meiner Sicht eine rückwirkende Erstattung nach sechs Monaten, also nicht ab Marktzulassung. Warum, Frau Vogler? Nach sechs Monaten, nach der frühen Nutzenbewertung, weiß man, ob ein Zusatznutzen gegeben ist, ja oder nein. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das weiß man manchmal schon eher!) Dann kann sich jedes Unternehmen darauf einstellen. Das ist eine faire Regelung, mit der jeder Hersteller leben kann, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Zumindest sollte man im parlamentarischen Verfahren noch einmal darüber nachdenken, ob das eine vernünftige Regelung ist. Drittens. Über die Vertraulichkeit der ausgehandelten Erstattungsbeträge ist auf allen Ebenen öffentlich diskutiert worden. Künftig soll der rabattierte Preis nicht mehr öffentlich gelistet werden; auch das steht in unserem Gesetzentwurf. Die Industrie sagt: Falls die rabattierten Beträge öffentlich wären, würde die Preisgestaltung schwieriger, und zwar gerade im Ausland, weil nicht mehr der Listenpreis Maßstab für die Preisgestaltung wäre. – Insofern habe dies eine industriepolitische Bedeutung für die deutschen Pharmaunternehmen. Allerdings muss man auch sagen: Es ist problematisch, wenn wir mit den Beitragsgeldern der Versicherten Industriepolitik machen. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Jetzt bringen Sie es mal auf den Punkt! Der Seeheimer wird noch zum Linken! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Na, das solltest du als Ausschussvorsitzender aber besser wissen!) Deutschland ist natürlich Referenzmarkt, aber nicht mehr allein. Neben Deutschland bezieht man sich bei Preisvergleichen auch auf andere Länder. Die deutschen Preise gehen vielmehr in eine Durchschnittsberechnung ein. Sie haben deshalb zumindest ein bisschen an Bedeutung verloren; das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist: Wenn ein Arzt verordnet, dann muss er das natürlich nach wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen tun. Er unterliegt aber auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Wir würden schon einen Irrweg beschreiten, wenn wir die Ärzte vollständig aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot in der Gesundheitsversorgung entlassen würden. Auch das muss man einmal sagen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Maag [CDU/CSU] und Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Die Details werden ja in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung geregelt. Das Parlament ist daran nicht ausdrücklich beteiligt. Es ist aber ein normales Vorgehen, dass die Bundesregierung Rechtsverordnungen erlässt, und ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung – ich bin sicher, auch der Minister – hier eine gute Regelung schaffen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wahrscheinlich nicht mehr vor den Bundestagswahlen!) Viertens. Die Vergütung für Apotheker soll um insgesamt 100 Millionen Euro angehoben werden. Das halte ich für vertretbar. Schließlich brauchen wir gerade in der Fläche eine hochwertige Arzneimittelversorgung und Apotheken, die wirtschaftlich arbeiten können müssen. Ich komme aus dem ländlichen Raum und weiß, wovon ich rede. Im Übrigen ist es so: Wenn das EuGH-Urteil rechtskräftig ist, dann ist es rein faktisch nicht ausgeschlossen, dass stationäre Apotheken zukünftig verstärkt mit dem Versandhandel konkurrieren müssen. Insofern ist die Erhöhung der Vergütung sachgerecht und in Ordnung. Fünftens. Ein besonderes Anliegen ist mir die Verbesserung der Impfquoten. Das haben wir ja auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Noch immer sind die Impfquoten in Deutschland viel zu niedrig. Das gilt insbesondere bei der Grippeimpfung. Ich konnte es kaum glauben: Die Impfquote beträgt dort nur circa 35 Prozent, womit wir weit entfernt von dem Ziel sind, insbesondere mehr ältere Menschen zu impfen und die Impfquote auch bei anderen Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Lieferengpässe und die vermeintliche Unwirksamkeit von Impfstoffen schmälern das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Insofern ist es, glaube ich, wichtig, dass wir auch einen Zugang der GKV-Patienten zu passgenauen Impfstoffen gewährleisten. Deswegen hielte ich es für vernünftig, der Abschaffung der Ausschreibung näherzutreten, zumal die Ausschreibungsvorteile eher gering sind und auch die jetzige Regelung mit zwei Losen wirklich nichts gebracht hat. Es wäre eine enorme Verbesserung für die Versorgung der Patientinnen und Patienten, wenn wir die Ausschreibung im Bereich der Impfstoffe abschaffen würden. Sechstens. In Ausnahmefällen muss es aus meiner Sicht möglich sein, dass Medikamente, die keinen ausgewiesenen Zusatznutzen haben, auf dem Markt gehalten werden können und damit den Patienten zur Verfügung stehen. Ich denke zum Beispiel an chronische Erkrankungen wie die Epilepsie. Hier ist der evidenzbasierte Nachweis eines Zusatznutzens nur schwer möglich. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Minuten haben Sie denn jetzt schon geredet?) Gleichwohl können neue Arzneimittel für Patienten, bei denen die bisherigen Kombinationsmöglichkeiten versagt haben, eine zusätzliche Therapieoption darstellen. Deswegen ist es auch vernünftig, dass wir die Öffnung des § 130b Absatz 3 Satz 2 SGB V vorsehen und eine Sollvorschrift in das Gesetz aufnehmen. Mit einer solchen Sollvorschrift erreicht man, dass in begründeten Ausnahmefällen – und nur dann – von der wirtschaftlichsten zweckmäßigen Vergleichstherapie abgewichen werden kann. Insofern ist hier auch kein Dammbruch zu befürchten. Liebe Kolleginnen und Kollegen – – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber Sie kommen jetzt bitte zum Schluss. Dr. Edgar Franke (SPD): Ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ohne Dammbruch! Es ist schon fast ein kleiner. Dr. Edgar Franke (SPD): Ja, ich komme wirklich zum Schluss. Vor Ulla Schmidt habe ich doch ganz großen Respekt. Insofern nur noch einen Satz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, um eine gute Arzneimittelversorgung zu sichern, hat die Bundesregierung ein insgesamt ausgewogenes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht. Auch wenn ich die eine oder andere kritische Anmerkung gemacht habe, ist es ein guter Gesetzentwurf. Man wird sicherlich den Pharmadialog und in den parlamentarischen Beratungen das eine oder andere in diesem Gesetzentwurf hinterfragen müssen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Franke! Dr. Edgar Franke (SPD): Dafür haben wir Anhörungen und einen guten Gesundheitsausschuss. In diesem Sinne sehen wir uns dort wieder. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht genau gezählt, das wievielte Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wir hier heute besprechen, das uns die Bundesregierung vorgelegt hat. GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz heißt es diesmal; aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich halte es eher für ein Pharmaindustrieversorgungsstärkungsgesetz, und das sollte man auch so benennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zwei Jahre lang hat die Bundesregierung hinter verschlossener Tür einen Pharmadialog durchgeführt. Ich habe gar nichts gegen Dialog, aber etwas gegen Dialoge hinter verschlossener Tür mit der pharmazeutischen Industrie unter Ausschluss des Parlaments und der Öffentlichkeit. Man hat sich auf Maßnahmen geeinigt. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Kollegin Michalk und dem Kollegen Hennrich, dass sie am Tag der Vorstellung dieser Ergebnisse als Parlamentarier aufgestanden sind und gesagt haben: Diese Forderungen fehlen uns als Parlamentarier, sie sind im Pharmadialog nicht besprochen worden. Ich muss sagen: Hochachtung vor dieser Aktion. Sie haben, glaube ich, für uns Parlamentarier allesamt gesprochen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Nun wurden die Ergebnisse, die die Bundesregierung mit der Pharmaindustrie ausgehandelt hat, in dieses Gesetz gegossen, das uns jetzt vorliegt, und jetzt dürfen wir als Parlament auch endlich mitreden. In der Einleitung zum Gesetzentwurf heißt es zwar noch großspurig, dass die Gesundheitsversorgung flächendeckend, innovativ, sicher und bezahlbar gestaltet werden soll; aber in dem Entwurf selber ist dazu leider nur wenig zu finden, und die Ziele sind auch kaum nachzuvollziehen. Stattdessen finden sich in vielen Punkten bestenfalls kosmetische Korrekturen und im schlimmsten Fall so unausgegorene und undurchdachte Regelungen, dass sie das Potenzial haben, das System der Arzneimittelversorgung eher auf den Kopf zu stellen. Ich möchte mich auf zwei Maßnahmen konzentrieren. Wir haben im Bereich der vielen neuen, innovativen Medikamente, die im Moment auf den Markt kommen, tatsächlich – wie die gesetzlichen Krankenkassen sie bezeichnen – Mondpreise, das heißt die freie Preisgestaltung im ersten Jahr. Anstatt die Kosten der Krankenkassen für patentgeschützte Arzneimittel wirksam einzudämmen, setzen Sie jetzt eine 250-Millionen-Euro-Umsatzgrenze, die viel zu hoch ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die werden alle versuchen, bis 240 Millionen zu kommen!) Bei genauer Betrachtung, welche dieser Medikamente im letzten Jahr davon betroffen wären, sind es ganze drei. Das heißt, dass diese Umsatzschwelle viel zu hoch ist. Ich bin der Meinung, dass es nach wie vor richtig ist, dass dann, wenn die Krankenkassen mit den Herstellern einen Preis verhandelt haben, dieser auch rückwirkend ab dem ersten Tag der Markteinführung gilt. Das nutzt den gesetzlich Versicherten, und das nutzt den Patienten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das zweite Beispiel: Die Höhe der zwischen den Krankenkassen und den Arzneimittelherstellern verhandelten Erstattungsbeträge soll in Zukunft – das ist bisher ja nicht so – vertraulich behandelt werden. Nicht nur die Kassen, meine Damen und Herren, die nach Ihrem Gesetzentwurf eigentlich die Profiteure davon sein sollten, bezweifeln, dass auf diese Weise tatsächlich günstigere Preise erzielt werden. Ich bezweifle das auch. Die Kassen raten sogar vehement davon ab, in das Abrechnungssystem zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen derart weitgehend einzugreifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir reden über einen Markt von 39 Milliarden Euro jährlich. Da sollen verschreibungspflichtige Medikamente und das Zustandekommen ihrer Preise geheim bleiben? Welchen Preis sollen dann zum Beispiel Apotheken den Krankenkassen künftig in Rechnung stellen, wenn Patienten bei ihnen ein Rezept einreichen? Wie sollen Ärzte wirtschaftlich verschreiben können, wenn ihnen die Preise nicht bekannt sind? Angesichts so vieler Beteiligter frage ich Sie: Wie sollen dann die Preise überhaupt geheim bleiben, zumal wir in unserem ganzen System andauernd darauf rekurrieren müssen, welche Preise tatsächlich gezahlt werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) All diese Antworten bleibt der vorliegende Gesetzentwurf schuldig. Details dazu sollen in einer Rechtsverordnung geklärt werden. Meine Damen und Herren, auch Rechtsverordnungen sind Verordnungen, die am Parlament vorbeigehen. Wenn man schon ein Gesetz macht, das man mit der Pharmaindustrie ausgehandelt hat, ist es meines Erachtens erneut nicht okay, jetzt auch noch mithilfe von Verordnungen die Details zu klären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] Das zeugt nicht davon, dass die Bundesregierung tatsächlich an einer zukunftssicheren Gesundheitspolitik oder überhaupt an einem Konzept orientiert ist, wie die Krankenversorgung und ihre Finanzierbarkeit in Zukunft sichergestellt werden können. Meine Damen und Herren, wir können uns sicher sein und sehen es ja auch, dass die Zahl innovativer Medikamente in den nächsten Jahren sehr stark zunehmen wird. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Manche sind auch nicht so innovativ!) Wir haben da eine ganz starke Bewegung. Deswegen ist es so notwendig, dass wir dafür sorgen, dass nicht nur das Geld für diese Innovationen bei den Herstellern ankommt, sondern dass diese Innovationen auch beim Patienten landen. Dazu ist dieser Gesetzentwurf leider überhaupt nicht geeignet. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt spricht der Kollege Michael Hennrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Hennrich (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren nach drei Jahren hier im Parlament das erste Mal Arzneimittelthemen im größeren Umfang. Ich glaube, es war eine gute Entscheidung, dass wir den Pharmadialog der Bundesregierung gestartet haben und damit einfach ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Herangehensweisen und Themen geschaffen haben, die die Versicherten, die Patienten, die Krankenkassen und natürlich auch die Pharmaindustrie betreffen. Es geht uns auch darum, mit unserer Politik eine gute und vernünftige Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen herzustellen. Liebe Frau Schulz-Asche, ich möchte mich ganz ausdrücklich für das Lob bedanken. Ich darf Ihnen aber gleichzeitig sagen, dass ich mich damals bestens informiert fühlte. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir uns schon gedacht!) Wenn es ein Problem gab, habe ich zum Telefonhörer gegriffen und nachgefragt: Was diskutiert ihr denn im Pharmadialog? (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren der Einzige hier im Haus!) Dann habe ich meine Information bekommen. Deswegen haben wir unser Papier letztendlich so gesehen, dass wir das, was im Pharmadialog besprochen wurde, von Parlamentsseite her nachdrücklich verstärken. Wir haben seit drei Jahren eine Debatte über Arzneimittelthemen. Ich nenne hier das Thema Hepatitis C, bei dem wir große Sorgen und Befürchtungen wegen des Ausgabenanstiegs bei den Krankenkassen hatten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja absehbar!) Dabei ist aber in Vergessenheit geraten, dass wir bei den Medikamenten gegen Hepatitis C erstmals einen Wirkstoff hatten, bei dem man sehen konnte, wie das AMNOG sich auszahlt und wirkt, dass ein Zusatznutzen attestiert wurde. Wir haben gesagt: Dafür wollen wir einen höheren Preis zahlen. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Wir haben Diskussionen über chronische Erkrankungen gehabt. Es ging um Diabetes und Epilepsie. Man hatte oft den Eindruck: Die Versorgung bricht zusammen. Wir haben abgewartet und sehen heute, dass sich einiges gut und vernünftig selbst regelt. Ich glaube, die heutige Debatte zeigt, dass der Pharmadialog zu einer hohen Akzeptanz der Arzneimittelregulierung beigetragen hat, sowohl hier im Parlament, selbst wenn jetzt Unterschiede deutlich werden, als auch in der Gesellschaft und bei den Beteiligten. Wir haben eine gut funktionierende Versorgung in der Fläche durch Großhandel und Apotheken vor Ort. Wir haben mit den Instrumenten Festbetragssystem, Rabattverträge und frühe Nutzenbewertung sichergestellt, dass wir eine qualitativ hochwertige Versorgung zu bezahlbaren Preisen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen jetzt diese Themen auf den Prüfstand stellen. Deswegen haben wir drei Themenkomplexe identifiziert, mit denen wir uns auseinandersetzen wollen. Es geht erstens um das Thema Apotheken, es geht zweitens um das Thema Rabattverträge, und es geht drittens um das AMNOG als solches. Ich möchte mit dem Thema Apotheken beginnen. Da hinter mir Frau Ulla Schmidt als Präsidentin sitzt, denke ich an den Sündenfall im Jahr 2003, als wir im vorauseilenden Gehorsam unter einer grün-roten Bundesregierung das Versandhandelsverbot beschlossen haben. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Mit der CDU. Michael Hennrich (CDU/CSU): Ja, aber das war Ihre Initiative. Denn Sie haben uns falsch informiert. (Beifall des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU] – Widerspruch bei der SPD) Sie haben nämlich gesagt, wenn das Verbot des Versandhandels nicht umgesetzt würde, würde uns der EuGH zurechtweisen. Der EuGH hat anders entschieden. Das war eine Fehleinschätzung Ihres Hauses. Deswegen müssen wir uns heute damit auseinandersetzen. Ich möchte ein ausdrückliches Dankeschön an Hermann Gröhe richten, der sich dafür einsetzt, dass dieses Versandhandelsverbot kommt, um die Präsenzapotheken vor Ort zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass dieses Urteil nicht besser begründet war!) Wir werden uns zweitens um das Thema Rabattverträge kümmern müssen. Da haben wir einen guten Ansatz, indem wir eine Frist von sechs Monaten zur Umsetzung von Rabattverträgen einführen. Wir haben darüber hinaus drei Spezialthemen, um die wir uns kümmern, und zwar um Biosimilars, Zytostatika und Impfstoffe. Gerade der Bereich Biosimilars zeigt, dass es gut ist, wenn man abwartet. Es gab in der Vergangenheit Diskussionen und Forderungen. Es um die gesetzliche Quote, um zwei Jahre vertragsfreie Zeit, Open-House-Verträge und Ähnliches. Heute erleben wir, dass die Selbstverwaltung das gut geregelt hat, sodass wir keinen zwingenden Handlungsbedarf sehen. Handlungsbedarf sehen wir beim Thema Zytostatikaversorgung. Ich glaube, dass wir da die richtige Entscheidung getroffen haben. Der dritte Punkt, um den wir uns kümmern müssen, ist der Bereich Impfstoffe. Das AMNOG hat gezeigt, dass wir gut und klug beraten sind, abzuwarten. Was gab es für Aufregung, Debatten und Diskussionen. Heute sehen wir, dass wir uns auf einen Bereich konzentrieren, und zwar auf die Preisfindung bzw. Preisbildung. Lieber Kollege Franke, ich darf Sie daran erinnern, dass die Umsatzschwelle eine Idee aus dem Bundeswirtschaftsministerium war und dort durchaus eine höhere Summe gefordert wurde. Insofern kommen wir darüber sicherlich in einen guten und vernünftigen Dialog. Ich möchte zum Schluss aber noch ein Thema ansprechen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kein neues Thema mehr. Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist fast unsere gesamte Zeit! Das kann doch nicht sein! Ihr habt doch viel zu viele Redner!) Michael Hennrich (CDU/CSU): Der Kollege Franke hat auch drei Minuten überzogen. Dann darf ich auch eine Minute überziehen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Er hat nicht drei Minuten überzogen. Michael Hennrich (CDU/CSU): Es geht um das Arztinformationssystem, das ein wesentlicher Baustein für den Erfolg des AMNOG ist. Denn wir erleben, dass viele bewertete gute Produkte nicht im Versorgungsalltag ankommen. Deswegen glaube ich, dass, wenn es uns gelingt, das Arztinformationssystem vernünftig auf den Weg zu bringen, dies ein wesentlicher Baustein dafür sein kann, dass wir eine qualitativ hochwertige Versorgung in der Fläche bekommen, was innovative Produkte angeht. Wir haben das Thema Arzneimittelversorgung in der Vergangenheit nur unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit diskutiert. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich muss mal sagen: Ich werde mich auch nicht mehr an Redezeiten halten!) Ich glaube, dass es wichtig und richtig ist, dass wir das Thema auch unter Qualitätsaspekten diskutieren. Das, glaube ich, sind die spannenden Punkte. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die Frage, ob der eine oder andere auch einmal etwas länger spricht, ist immer noch die Entscheidung des Präsidiums, und es wird unter allen Fraktionen sehr gleichmäßig verteilt. Es ist nicht Aufgabe des Redners, selber zu sagen, wie lange er reden darf. Im Normalfall ginge das jetzt zulasten Ihrer Fraktionskollegen. Darauf will ich jetzt einmal verzichten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber verwunderlich! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das war eine Ausnahme!) – Er war keine Ausnahme. Aber verzichten wir einmal darauf. Ich wollte auch nicht in die Debatte einsteigen; sonst hätte ich einiges zu sagen. Aber das passt nicht. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt hat die Kollegin Martina Stamm-Fibich, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Martina Stamm-Fibich (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Hennrich, zu Anfang sei aber schon der Hinweis gestattet, dass es damals eine Bundesratsmehrheit der CDU/CSU gab und dass wir ganz sicher über andere Zeiten sprechen als heute, was die GKV-Ausstattung angeht. Zur Wahrheit gehört auch, dass man damals Dinge tun musste, die man sicherlich nicht gern getan hat. (Beifall bei der SPD) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Besucher auf den Tribünen, es wurde schon mehrfach angesprochen: Zwei Jahre hat man mit der Pharmaindustrie verhandelt. Die Bundesregierung hat darüber verhandelt, medizinische Innovationen fördern zu wollen, und das, ohne die Ausgaben der Krankenkassen und damit die Beiträge der Versicherten stark steigen zu lassen. Das Ergebnis des Dialogs liegt nun in Form des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes vor. Der Gesetzentwurf kommt meiner Meinung nach sowohl der Pharmaindustrie als auch den Krankenkassen entgegen. So sollen Ärzte in Zukunft über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel für einzelne Patientengruppen besser informiert werden. Für die Übermittlung der Informationen soll die Praxissoftware der Ärzte genutzt werden. Das ist meiner Meinung nach grundsätzlich zu begrüßen. (Beifall bei der SPD) Aber ich warne davor, dass es sich dabei nicht um einseitige Informationen der Krankenkassen an die Ärzte handeln soll. Eine Vermischung von Arzneimittelinformation und Verordnungssteuerung müssen wir vermeiden. (Beifall bei der SPD) Denn die Therapiefreiheit darf unter keinen Umständen durch das Arztinformationssystem eingeschränkt werden. Wir brauchen Informationen, die beim Verordnen helfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ärzte müssen wissen, dass ein Erstattungsbetrag vereinbart ist und somit GKV und Hersteller die Preisverantwortung übernehmen. Aber um das Arztinformationssystem überhaupt umsetzen zu können, müssen wir erst die entsprechende Telematikinfrastruktur aufbauen. Wir müssen hier einen Schritt nach dem anderen machen. Sonst werden wir ins Stolpern kommen. Im weiteren parlamentarischen Verfahren werde ich mich für eine entsprechende Änderung einsetzen. Anderenfalls verschenken wir mit dem Arztinformationssystem die große Chance hin zu mehr Qualität und Transparenz in unserem Gesundheitssystem. Neben dem Arztinformationssystem besteht im Bereich der chronischen Erkrankungen dringender Handlungsbedarf. Als Beispiel nenne ich die Versorgung von Epilepsiepatienten. Seit Einführung des AMNOG im Jahr 2011 sind alle neuen Epilepsiemedikamente an der frühen Nutzenbewertung gescheitert. Es handelt sich dabei um drei verschiedene Wirkstoffe. Zwei dieser Medikamente sind bereits vom deutschen Markt verschwunden. Der Epilepsie Bundes-Elternverband hat sich deshalb Mitte des Jahres 2015 mit einer Petition an den Deutschen Bundestag gewandt. In der Petition wurde eine Reform des AMNOG gefordert, damit die Versorgung aller therapieresistenten Menschen mit Epilepsie mit neuen Medikamenten sichergestellt wird. Je größer die Bandbreite der auf dem Markt existierenden Arzneimittel ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten das für sie individuell richtige Medikament finden und anfallsfrei und selbstbestimmt leben können. Wir sprechen hier über 800 000 Menschen in diesem Land. Darunter sind etwa 200 000 Menschen, die therapieresistent sind und keine Anfallsfreiheit erlangen. Diese Patienten benötigen dringend neue Medikamente. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz haben wir nun die Chance, die Rahmenbedingungen des AMNOG so zu ändern, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen besser versorgt werden. Diese Chance müssen wir nutzen. Seit 20 Jahren verweisen Experten aber auch auf das Problem der unzureichenden Arzneimittelversorgung für Kinder und Jugendliche. So sind etwa 20 Prozent der Arzneimittelverordnungen im ambulanten und beinahe 70 Prozent der Verordnungen im stationären Bereich außerhalb einer Zulassung oder ohne eine formale Zulassung. Bei einem sogenannten Off-Label-Use treten häufiger unerwünschte Nebenwirkungen auf, die die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen gefährden. Die Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche muss gestärkt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb begrüße ich ausdrücklich den im Gesetz vorgesehenen Evidenztransfer bei Kinderarzneimitteln. Außerdem begrüße ich die vorgesehene Regelung zu den Zytostatikaausschreibungen. In vielen Bereichen haben sich Ausschreibungen bewährt. Aber im sensiblen Bereich der Onkologie sind sie fehl am Platz. Es geht hier nicht nur um längere Transportwege für die Medikamente. Es geht vor allem um den Patienten und sein Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit mit seinem Arzt und seinem Apotheker. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN) Versorgung muss wirtschaftlich sein, aber nicht billig. Wohin Ausschreibungen führen können, ist bei der Inkontinenzversorgung deutlich geworden. Liebe Kollegen von der Union, auch bei Impfstoffen könnten wir über Ausschreibungen nachdenken. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Neben dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz beraten wir heute in erster Lesung über das Heil- und Hilfsmittelgesetz. Als Politiker ist es unsere Aufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen zum Wohle der Patienten zu setzen. Sowohl mit dem Arzneimittel- als auch mit dem Hilfsmittelgesetz ist uns hier ein erster guter Aufschlag gelungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion, hat jetzt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Tino Sorge (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Vogler, mir ist aufgefallen, dass die Fabel, die Sie erzählt haben, völlig fehl am Platz war. Sie kamen mir vor wie die Prinzessin auf der Erbse, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ein Märchen!) – das ist keine Fabel, sondern ein Märchen; da haben Sie recht –, die immer sagt: Egal was passiert, passiert. – Das, was Sie hier gesagt haben, war in vielen Punkten nichts anderes als ein Märchen. Das ist wirklich schade. Anlässlich des erst vor kurzem begangenen 27-jährigen Jubiläums des Mauerfalls hätte ich mir gewünscht, dass Sie auf ein paar positive Aspekte hingewiesen hätten. Gerade im Bereich der Gesundheitswirtschaft sieht man, wie positiv sich die Entwicklung darstellt. Die Lebenserwartung in den neuen Bundesländern ist durchschnittlich um neun Jahre gestiegen. Bundesweit haben Männer inzwischen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80 Jahren und Frauen eine von fast 85 Jahren. Das heißt natürlich auch, dass diese Erfolge aufgrund des medizinischen Fortschritts vonstattengingen. Insofern können wir sagen: Das ist ein Erfolg, und da müssen wir nicht immer alles schlechtreden. (Beifall bei der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die tiefe Kiste!) Wir wissen doch alle, dass damit eine Steigerung der Anzahl an chronischen Erkrankungen in den Bereichen Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Krebs einhergeht. Der Minister hat es angesprochen: Gerade im Krebsbereich haben wir wirklich hoffnungsvolle Entwicklungen. Wenn man sich anschaut, wie noch vor einigen Jahren die Prognose bei vielen Krebsarten war, stellt man fest: Man hat von kurzzeitigem Überleben gesprochen, wenn überhaupt von Überleben die Rede war. Heute sind viele Krebsarten heilbar. Es gibt viele Krebsarten, die chronifiziert sind. Aber es gibt natürlich auch viele Krebsarten, bei deren Behandlung wir noch besser werden müssen. Hören Sie doch auf, den Gesundheitsbereich immer nur als Kostenblock zu sehen, sondern sagen Sie auch einmal: Das ist ein Bereich, in dem volkswirtschaftliche Wertschöpfung passiert. Wir reden über 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Automobilbereich kommen wir nicht annähernd in diese Größenordnung. Dennoch sagt keiner, der sich dazu äußert: Ein Auto, das angeboten wird, ist zu teuer, und deshalb wollen wir das nicht. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Es sind interessante Vergleiche, die Sie hier ziehen!) Wir müssen aufhören, unseren Standort unter Forschungsaspekten schlechtzureden. Wir müssen auch einmal sagen: Gerade das, was wir mit dem AMVSG, dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, machen, zeigt, dass wir gute Punkte in Angriff nehmen. Das Beispiel „Ausschreibung von Zytostatika“ ist angesprochen worden. Gerade im Bereich der Krebsversorgung hat man erkannt, dass es nicht wirklich sinnvoll ist, Ausschreibungen vorzunehmen. Daher hat man die Ausschreibungen dort ad acta gelegt. Das heißt, wir legen die Verantwortung denjenigen in die Hände – Ärzten, Apothekern –, die im besten Kontakt mit den Patienten entscheiden können, was sinnvoll ist. Vielleicht noch ein Wort zur Thematik Impfen; sie ist hier ja angesprochen worden. Frau Stamm-Fibich hat jetzt den Eindruck erweckt, als seien wir von der Union da völlig anderer Meinung als Sie. Im Gegenteil: Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Wir sind doch völlig beieinander, wenn es darum geht, dass wir darüber reden müssen, ob wir da gegebenenfalls nachsteuern. Auch Sie kennen den Grundsatz: Kein Gesetz geht so aus dem Bundestag heraus, wie er hereingegangen ist. Insofern werden wir das im Ausschuss noch beraten. Wir werden schauen, ob es durchaus sinnvoll ist, die Ausschreibungen auf diesem Gebiet abzuschaffen. Insofern sind wir da doch beieinander. Liebe Kollegin Kordula Schulz-Asche, ich finde es immer sehr interessant, wenn Sie auf einige Punkte eingehen und dann hier den Eindruck erwecken, als würde da überhaupt nichts gemacht, Beispiel Vertraulichkeit des Preises. Wir haben gesagt: Die Vertraulichkeit des Preises ist wichtig, weil sie Unternehmen im europaweiten und im internationalen Kontext die Möglichkeit eröffnet, Spielraum bei den Preisverhandlungen zu haben. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gesagt, Transparenz ist notwendig!) Das heißt, dass der entsprechende Preis nicht als Referenzpreis herangezogen wird. Daher wundert mich, dass gerade im Pharmadialog die Landesregierung in Rheinland-Pfalz, an der Rot-Grün beteiligt ist, sagt: „Die Vertraulichkeit des Preises ist wichtig“, während sich die Grünen hierhinstellen und sagen: Das ist eine Sache, die wollen wir überhaupt nicht. Das ist eine ganz schlimme Sache. – (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die einen haben Wirtschaftsförderung im Kopf, und wir haben Gesundheitsförderung im Kopf!) Insofern sollten wir da ein bisschen ehrlicher werden. Das Thema Umsatzschwelle ist hier angesprochen worden. Wir müssen da die Kirche im Dorf lassen. Es ist immer sehr interessant, zu sagen: Na ja, die Pharmaunternehmen sollen zwar forschen; aber sie sollen kein Geld verdienen. – Es ist hier ja schon mehrfach angeklungen, als es um die Einigung über die Höhe der Umsatzschwelle ging: Darüber werden wir im Ausschuss sicherlich noch miteinander reden. Wenn man sich konkret anschaut, welche Fälle das betrifft, dann stellt man fest, dass die Prognosen und die Befürchtungen, die geäußert worden sind, sich nicht bewahrheitet haben. Wir sollten uns da ein bisschen ehrlicher machen. Vielleicht noch etwas zu dem Punkt Transparenz. Wir alle haben gesagt: Transparenz ist wichtig. – Auch wir wollen Transparenz. Deshalb schaffen wir mit dem AMVSG ein Arztinformationssystem, das ermöglicht, dass jeder Arzt auf digitalem Weg genauer über Zusatznutzen im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens für neue, innovative Produkte informiert wird. Das ist doch ein Punkt, den auch Sie einmal positiv ansprechen können. Die Frage der konkreten Ausgestaltung müssen wir gegebenenfalls noch diskutieren; aber an sich ist das ein guter Punkt. Insofern schaffen wir mit dem AMVSG den Spagat zwischen einer höheren Lebenserwartung, innovativen Produkten, die schnell in die Regelversorgung eingehen sollen, und dem Im-Auge-Behalten von Kosten auf der anderen Seite. Lassen Sie uns im Ausschuss darüber diskutieren. Unser Ausschussvorsitzender wird das in die richtigen Bahnen leiten. Ich bin da guter Hoffnung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10208 an den Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutschlands Verpflichtungen einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln Drucksachen 18/4092, 18/10175 Für die Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich darf Sie bitten, die Plätze zügig einzunehmen. Dann gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Martin Pätzold. – Sie sind jetzt dran. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute noch einmal abschließend über die Europäische Sozialcharta debattieren und dass wir das Ganze mit dieser Lesung abschließen können. Die Diskussion hat gezeigt, dass die Europäische Sozialcharta ein historischer Meilenstein war und dass 50 Jahre Europäische Sozialcharta ein guter Anlass war, auf Wunsch der Linken darüber zu debattieren. Wir haben uns das erste Mal am 26. Februar 2015 hier darüber ausgetauscht. Meine Kollegin Katrin Albsteiger und ich haben in unseren Reden für die CDU/CSU-Fraktion deutlich gemacht, dass wir selbstverständlich offen sind, darüber zu diskutieren, bei welcher Möglichkeit es gegeben ist, die revidierte Fassung zu ratifizieren. Wir hatten dann am 10. Juli 2015 eine Anhörung im Ausschuss für europäische Angelegenheiten. Dort haben sich unterschiedliche Experten geäußert. Der DGB hat die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, zu einer Ratifizierung zu kommen. Er hat aber in einzelnen Punkten unsere Kritik, auf die ich nachher noch inhaltlich eingehen werde, auch bestätigt. Herr Professor Michael Eilfort von der Stiftung Marktwirtschaft hat herausgestellt, dass es bei der jetzigen Ratifizierung nicht darum geht, ob man die sozialen Errungenschaften akzeptiert oder nicht, sondern dass es dabei wichtig ist, zu schauen, ob wir das auch in nationales Recht übertragen können. Am 28. September 2016 haben wir im Ausschuss erneut darüber gesprochen, uns ausgetauscht und das abgelehnt. Wir werden heute diese Entscheidung hier im Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition treffen. Gucken wir einmal in die Geschichte: 1964 hat die Bundesrepublik Deutschland die Sozialcharta ratifiziert. Das war damals ein wichtiger Schritt, weil man auf der einen Seite wichtige Rechte definiert und festgehalten hat, zum Beispiel das Recht auf Arbeit, das Streikrecht und das Recht auf Gesundheit am Arbeitsplatz. Auf der anderen Seite war das aber nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für die Staaten des Europarates ein wichtiger Punkt für die Entwicklung einer einheitlichen Sozialpolitik. Das muss man an dieser Stelle deutlich sehen. 1996 war es so weit, dass die Europäische Sozialcharta revidiert wurde. Deutschland hat sie 2007 unterzeichnet, aber bis heute noch nicht ratifiziert. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das ist der Punkt!) 33 von 45 Mitgliedstaaten haben das getan und 12 eben nicht. Die Gründe dafür sind höchst unterschiedlich. Dazu gehören Staaten wie Spanien, Griechenland und Großbritannien. Die Gründe sind sehr individuell und, wie gesagt, sehr unterschiedlich. Wir haben nun einmal das Credo in der Bundesrepublik Deutschland, dass wir internationale Abkommen nur dann umsetzen, wenn wir sie glaubwürdig implementieren und das, was dort vereinbart wurde, auch in das deutsche Recht übertragen können. So haben die Debatten, die wir im Ausschuss geführt haben – es gab auch eine Anhörung –, die wir hier im Deutschen Bundestag geführt haben, deutlich gemacht – das wird sich auch heute zeigen –, dass wir für die Frage des Diskriminierungsverbots, dafür, wie wir mit dem Querschnittscharakter umgehen, noch keine vernünftige Lösung haben. Der zweite wichtige inhaltliche Punkt – da haben wir inhaltlich eine andere Auffassung, ganz deutlich, als die, die beispielsweise von Ihnen in der Debatte vertreten wurde – ist die Frage: Wie gehen wir mit einem allgemeinen Streikrecht um? Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland kein Streikrecht für Beamte. Das wollen wir auch nicht; da haben wir eine ganz klare Überzeugung. So zeigt sich mit dem heutigen Tag, dass es, glaube ich, wichtig und richtig war, diese Debatte zu führen. Aber wir müssen schon feststellen, dass wir an dieser Stelle noch nicht so weit sind, dass wir die Ratifizierung vornehmen können. Deswegen werden wir als Unionsfraktion den Antrag der Linken auch ablehnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt darf die Linke mit Andrej Hunko darauf antworten. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gab mal eine Zeit, in der Deutschland – der Bundestag, die Bundesregierung – bei der Ratifizierung internationaler Sozialverträge Vorreiter war, zum Beispiel bei der Europäischen Sozialcharta in den 1960er-Jahren – 1965 ist sie in Kraft getreten – oder auch bei den ILO-Kernarbeitsnormen; damals war Deutschland Vorreiter. Mittlerweile ist die Bundesrepublik Bremser und Schlusslicht. Das ist eine sehr traurige Entwicklung, die wir deutlich kritisieren müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Europäische Sozialcharta und ihre Weiterentwicklung in der revidierten Fassung ist die wichtigste Verankerung sozialer Rechte in einer internationalen Konvention. 1965 ist die Europäische Sozialcharta in Kraft getreten, nachdem Deutschland sie als fünftes Land ratifiziert hatte. Wir hatten vor anderthalb Jahren eine Debatte zum 50. Jahrestag. 1996 ist die revidierte Sozialcharta entwickelt worden, und 1999 ist sie in Kraft getreten. Das ist jetzt fast 20 Jahre her. 2007, 8 Jahre nach Inkrafttreten, hat die Große Koalition von SPD, CDU und CSU diese revidierte Sozialcharta unterzeichnet. Jetzt, wiederum fast 10 Jahre später, ist sie immer noch nicht ratifiziert. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis und das falsche Signal in die Welt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich mir die Begründung anschaue, sehe ich: Es kommt immer das Argument: Wir wollen nicht so wie andere Staaten die Sozialcharta einfach nur ratifizieren – Russland oder Aserbaidschan werden dann als Beispiel erwähnt –, sondern wir wollen sie auch wirklich umsetzen. – Aber der Grundgedanke dieser Konvention ist nicht nur die Ratifizierung, sondern auch die Schaffung von Umsetzungsinstrumenten. Dazu gibt es zum Beispiel Zusatzprotokolle wie das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden. Ich finde, hier sollten wir Vorreiter sein und nicht hinterherhinken, uns nicht hinter anderen Staaten verstecken, in denen zugegebenermaßen die soziale Entwicklung schlechter ist, obwohl sie ratifiziert haben. Ein weiteres Argument – Sie haben es gebracht, Herr Pätzold – ist das mit dem Beamtenstreikrecht. Auch das kam in der Anhörung zur Sprache. Das Beamtenstreikrecht leitet sich – jedenfalls nach Ansicht des Experten, der da geredet hat – schon aus der ursprünglichen Sozialcharta ab. Es gibt im Augenblick auch entsprechende Prozesse von der GEW, die in diese Richtung gehen. Das hat mit der revidierten Fassung erst einmal nichts zu tun. Dann kommt als Argument das sogenannte Diskriminierungsverbot. Da frage ich mich, wie man es in 20 Jahren nicht schaffen kann, eine entsprechende Umsetzung in die nationale Gesetzgebung zustande zu bringen. Mir ist das völlig unverständlich. Das ist eine Argumentation, die sowohl von der CDU/CSU als auch von der SPD an den Tag gelegt wurde. Sie haben vorhin gesagt, Herr Pätzold: Wir können das Kapitel jetzt abschließen. – Das werden wir nicht abschließen können. Wenn in dieser Legislaturperiode nicht ratifiziert wird, bleibt die Situation, dass Deutschland unterschrieben hat und irgendwann ratifizieren wird. Wir werden weiter nerven. Ich denke, es ist gerade in der gegenwärtigen Zeit angesichts der Desintegrationstendenzen, die es gibt und die zum Teil politische Gründe haben, wichtig, dass die sozialen Rechte auf europäischer Ebene gestärkt werden. Die Sozialcharta, ihre revidierte Form und die Zusatzprotokolle sind das wichtigste Instrument. Ich denke, wir sollten sie stärken und hier nicht weiter hinterherhinken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Angelika Glöckner. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angelika Glöckner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme es gleich vorweg: Ich bin sehr froh, nach einem Tag wie gestern in diesem Hause über die Europäische Sozialcharta zu debattieren; denn wir reden heute hier über ein verbindliches Abkommen, das der Bevölkerung umfassende soziale Rechte garantiert. Das ist sehr wichtig; denn je mehr Menschen sich in einer Gesellschaft aufgenommen, wertgeschätzt und integriert fühlen, desto größer ist ihr Zusammenhalt. Wenn Menschen sich abgehängt fühlen oder perspektivlos sind, dann kann dies dazu führen, dass sie ihr Vertrauen jenen schenken, die mit großen, vollmundigen Sprüchen schnelle Lösungen propagieren. Ich glaube schon, dass dies auch in Amerika ein wesentlicher Punkt dafür war, der letztlich zum Wahlsieg Donald Trumps geführt hat – und das, obwohl er einen sehr aggressiven und populistischen Wahlkampf geführt hat. Mit Blick auf unser Land ist es mir wichtig, diese Debatte heute zum Anlass zu nehmen, den Menschen hier aufzuzeigen, dass zur Stärkung ihrer sozialen Rechte in dieser Legislatur, in dieser Koalition und unter maßgeblicher Beteiligung meiner Fraktion, der SPD, bereits einiges auf den Weg gebracht wurde. Beispielhaft möchte ich aufführen die Rente mit 63, verbesserte Pflegeleistungen für Betroffene und ihre Angehörigen oder auch die Frauenquote. Es werden weitere Schritte folgen. Ich denke da etwa an das Lohngerechtigkeitsgesetz oder Regelungen zur Stärkung Alleinerziehender. Jede dieser Maßnahmen unterstützt den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in unserem Land. Ich finde schon, dass es angebracht ist, darauf hinzuweisen, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können: niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung, die Renten sind kräftig gestiegen, wir haben gute und stabile Wirtschaftszahlen. Mit Blick auf die Zukunft kann das nur bedeuten, dass wir genau diesen Weg der Stärkung der sozialen Menschenrechte konsequent weitergehen müssen. (Beifall bei der SPD) Genauso konsequent ist es natürlich auch, die Europäische Sozialcharta als umfassendes Regelwerk an gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Der Antrag der Linken zielt darauf ab, die Bundesregierung aufzufordern, einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der überarbeiteten Form der Europäischen Sozialcharta vorzulegen. Ich sage ganz deutlich: Die Tatsache, dass die Bundesregierung die erneuerte Fassung – Sie haben das erwähnt – schon 2007 unterschrieben und damit natürlich auch akzeptiert hat, und auch die Tatsache, dass damit eine Stärkung der sozialen Menschenrechte einhergeht, lassen gar nichts anderes als eine Ratifizierung zu. Ich sage aber auch, dass ich Ihren Antrag für nicht zustimmungsfähig halte, weil er in der Sache nicht schlüssig ist. Beispielsweise wird darauf verwiesen, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkomme, etwa weil das Streikrecht nach wie vor nur auf das Erreichen eines Tarifabschlusses ausgelegt sei oder, wie Sie es auch angeführt haben, nicht für Beamtinnen und Beamte geöffnet sei. Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur sagen: Ich war an unzähligen Streiks zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten beteiligt und habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir gerade in Deutschland eine sehr gute Streikkultur haben, nämlich Einsatz für Arbeitnehmerrechte, ohne dadurch gleich den ganzen Staat durch Generalstreik – nichts anderes steckt dahinter – lahmzulegen. Das gilt auch für das Beamtenrecht bzw. für das Streikrecht für Beamtinnen und Beamte. Hier sind unterschiedliche Maßstäbe anzulegen; denn was würden Sie den Leuten auf der Straße erzählen, wenn bei einem Amoklauf, einem Anschlag oder auch bei einem Verkehrsunfall nicht ganz schnell genügend Einsatzpersonal verfügbar wäre, weil ein Teil der Beamtenschaft gerade im Streik ist? Genauso wichtig finde ich auch, dass beitragsfinanzierte Sozialsysteme breit aufgestellt und abgesichert sind, bevor man aus einem generellen Gleichbehandlungsgebot heraus einem nicht abschätzbaren Personenkreis uneingeschränkt Zugriffe gewährt, die zur Überlastung unserer Beitragssysteme führen würden. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, kann doch nicht in Ihrem Sinne sein, und schon gar nicht kann es im Interesse unserer Bevölkerung sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde es daher auch sehr wichtig und richtig, dass die Bundesregierung an solch wichtigen Punkten noch einmal genauer hinschaut. In Ihrem Antrag wird auch der Umstand nicht deutlich, dass wir trotz des noch andauernden Prüfungsprozesses fortwährend überall da, wo soziale Rechte umgesetzt werden können, bereits vieles tun. Ich denke etwa an den Mindestlohn, das Elterngeld Plus oder das Bundesteilhabegesetz, das die Rechte vieler behinderter Menschen stärken wird. Wenn Sie heute Ratifizierung einfordern, dann frage ich mich schon: Wer oder was hindert Sie daran, all diese Gesetzentwürfe ganz selbstverständlich zu unterstützen, die doch die sozialen Rechte von Menschen in unserem Land sehr deutlich stärken? Ebenso halte ich es für sehr schwierig, dass Sie in Ihrem Antrag Deutschland und Länder wie die Türkei, Russland, Ungarn oder Aserbaidschan in einem Atemzug nennen. Sie verweisen darauf, dass all diese Länder die überarbeitete Sozialcharta bereits ratifiziert haben, Deutschland hingegen nicht. So weit, so richtig. Was Sie aber nicht sagen, ist, dass bei all diesen Ländern die Listen der Rechtsverletzungen immer länger werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das zeigt doch, dass allein eine Ratifikation nichts nützt, wenn es am Ende bei bloßen Lippenbekenntnissen bleibt. Gute Sozialpolitik äußert sich darin, dass bei der Bevölkerung etwas ankommt, und nicht, dass auf einem Stück Papier etwas steht, was am Ende nicht umgesetzt werden kann. Bloße Versprechungen, die am Ende unerfüllt bleiben – das wissen Sie genauso gut –, erzeugen nur Frust. Das ist mit der SPD nicht zu machen. (Beifall bei der SPD) Auch wenn ich heute empfehle, den Antrag der Linken abzulehnen, so freut es mich dennoch, dass Sie mit Ihrem Antrag heute die Gelegenheit eröffnet haben, in diesem Hohen Haus über den hohen Wert der sozialen Menschenrechte zu debattieren. Ich verbinde es, wie beim letzten Mal, einmal mehr mit der Empfehlung an die Bundesregierung, dem Bundestag zeitnah einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung vorzulegen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Also doch!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Bitte schön. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diesen Antrag bereits am 26. Februar 2015 hier im Plenum diskutiert. Das ist deutlich über anderthalb Jahre her. Ich habe mir noch einmal das Protokoll vorgenommen. Frau Glöckner, Sie haben es damals schon ähnlich gesagt. Sie haben Ihre Rede damit beendet, nachdem Sie gesagt haben, dass noch Dinge geprüft werden müssen: Diese Zeit möchte ich der Regierung und vor allem auch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Führung meiner Kollegin Andrea Nahles zugestehen. Dann kommt der letzte Satz: Am Ende dieser Prüfung muss aber noch in dieser Legislaturperiode ein Ergebnis stehen. „Muss“ – die Legislaturperiode geht langsam zu Ende, es wird allmählich Zeit, dass Sie diesem Parlament etwas vorlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es reicht nicht, es bei Lippenbekenntnissen zu belassen. Zur sozialen Situation in Deutschland reicht es nicht, aufzuzählen, was man gemacht hat, sondern wichtig ist, was am Ende herauskommt. Im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht wird wahrscheinlich sehr deutlich, dass in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich weiterhin auseinanderklafft, dass in Deutschland weiterhin Millionen Kinder in Armut leben, dass die Altersarmut in Deutschland steigt. Es gibt noch wahnsinnig viel zu tun. Da darf man sich nicht rausreden und es nicht schönreden. Das reicht an dieser Stelle nicht, sondern man muss etwas tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das gilt auch für die sozialen Menschenrechte und ein soziales Europa. Wir müssen als Deutschland eigentlich Vorreiter sein und nicht Schlusslicht. Es reicht nicht aus, wenn man, wie es die Bundesministerin macht, in Sonntagsreden oder in einem Gastbeitrag über das soziale Europa redet, sondern man muss Butter bei die Fische geben und tatsächlich voranschreiten. Das fängt bei uns zu Hause an. Wir behandeln morgen zum Beispiel einen Gesetzentwurf, mit dem der Zugang zu Sozialleistungen für Unionsbürgerinnen und -bürger wiederum drastisch eingeschränkt wird. Das geht genau in die falsche Richtung; das ist das falsche Signal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir müssen da in die andere Richtung gehen. Wir brauchen eine bessere Sicherung, wir brauchen mehr soziales Europa. Ich komme zu Vereinbarungen in der EU und erinnere an den EU-2020-Prozess, in dem ein Armutsbekämpfungsziel vereinbart worden ist. Die Bundesregierung stellt sich einfach hin und sagt: Die dort festgelegten Armutsindikatoren kümmern uns nicht; wir wählen einen eigenen Indikator. – Wir müssen uns auch an die Vereinbarungen in der Europäischen Union halten. Auch da wünschte ich mir, dass Deutschland Vorreiter und nicht Schlusslicht wäre – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE]) ganz abgesehen von vielen anderen Maßnahmen auf europäischer Ebene, beispielsweise endlich dafür zu sorgen, dass es eine Mindesteinkommensrichtlinie oder Mindeststandards in den sozialen Sicherungssystemen gibt. All das taucht in Reden immer mal wieder auf – in der praktischen Politik fehlt es. Die Probleme sind natürlich nicht allein durch die Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta zu lösen; da haben Sie völlig recht. Aber was ist das für ein Signal, dass wir die revidierte Fassung nach 20 Jahren immer noch nicht ratifiziert haben? Was sagen wir der Türkei und Russland, die sie ratifiziert haben, aber die Rechte nicht umsetzen? Wir haben doch überhaupt kein Argument, wenn wir sagen: Ihr setzt das nicht um. – Die können dann doch sagen: Ja, ihr ratifiziert das noch nicht mal. – Es würde doch eine Stärkung unserer Position bedeuten, wenn wir das endlich machten – deswegen noch einmal der Appell. Es wäre ein starkes Symbol, wenn wir das noch in dieser Legislaturperiode hinbekämen. Ich richte die dringende Aufforderung an die Bundesregierung, an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, etwas vorzulegen, damit wir die revidierte Europäische Sozialcharta endlich ratifizieren können. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Debatte schließt jetzt Katrin Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion, ab. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Katrin Albsteiger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir schauen in den Kalender und sehen, es ist November. Und wie es so ist: Wenn die kalte und dunkle Jahreszeit kommt, dann wirft das Weihnachtsfest seinen Schatten voraus, dann erblickt man in den Fenstern vielleicht wieder Lichtlein, die da leuchten, dann sieht man in Geschäften, in Supermärkten möglicherweise wieder Spekulatius oder auch Dominosteine – die sind übrigens sehr lecker. Bald läuft auch in den Geschäften wahrscheinlich wieder diese Musik, die Weihnachtshits, die wir alle kennen. Wie komme ich jetzt darauf? Weil ich beim Durchlesen dieses Antrags irgendwie an den Weihnachtshit Alle Jahre wieder denken musste. Und so finden wir uns heute hier ein und behandeln einen Antrag, den wir in genau dieser Fassung, mit exakt diesem Wortlaut, vor über einem Jahr schon einmal hier diskutiert haben. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Erste, zweite und dritte Lesung!) Auch damals hatte ich schon die Möglichkeit, im Plenum darüber zu sprechen, und ich habe mir, ehrlich gesagt, bei der Vorbereitung dieser Rede durchaus Gedanken darüber gemacht, ob ich es nicht einfach der Fraktion Die Linke gleichtue – im Übrigen liegt mir das ansonsten sehr fern –, meine Rede aus der Mottenkiste hole und exakt dieselbe Rede noch einmal halte; denn irgendwie hat sich ja nicht allzu viel verändert, seitdem wir das letzte Mal darüber diskutiert haben. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt an der Bundesregierung! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber das liegt doch an eurer Regierung! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihren beiden Kollegen! Die haben das mitgekriegt! – Zuruf von der CDU/CSU: Das hätte nicht mal ein Abgeordneter Mierscheid gewagt!) Insofern könnte man sagen: Wir machen daraus eine schöne Tradition und reden jedes Jahr wieder darüber, so wie wir es auch mit dem alljährlichen Schauen der Feuerzangenbowle machen. Aber ich will kein Spielverderber sein. Zumindest gibt es uns die Gelegenheit, heute über dieses wichtige Thema durchaus ganz ernsthaft zu diskutieren. Als Ergänzung zur Europäischen Menschenrechtskonvention wurde die Europäische Sozialcharta als völkerrechtlicher Vertrag im Jahr 1965 ratifiziert und ergänzt seitdem die Europäische Menschenrechtskonvention. Sie ist ein ganz wichtiges Dokument, um die sozialen Grundrechte zu garantieren. Was sind die sozialen Grundrechte? Da gibt es viele Dinge, bei denen wir uns in diesem Haus wahrscheinlich relativ schnell darüber einig sind, dass sie wichtig sind, sei es zum Beispiel das Recht auf Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer, sei es die berufliche Ausbildung für Behinderte, oder seien es beispielsweise auch gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen. Genauso verhält es sich natürlich mit dem, was neu vorgelegt worden ist: Die revidierte Fassung, die wir, wie wir alle wissen – denn darüber diskutieren wir heute –, noch nicht ratifiziert haben, ergänzt die Charta durchaus auch um wichtige Rechte – da sind wir wahrscheinlich einer Meinung –, beispielsweise um das Recht auf Arbeitslosenunterstützung oder auch den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Aber es ist nun mal so – Frau Kollegin Glöckner hat es ausgeführt –: Der Antrag als solcher – Sie haben die Argumente genannt – ist auf der einen Seite nicht zustimmungsfähig. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle – sei es das Streikrecht, sei es das Diskriminierungsverbot – schon Bedenken haben, dass es in der Fassung, in der es da steht, ratifizierbar ist. Wir wollen ja auch glaubwürdig sein. Wenn das Ministerium an dieser Stelle prüft und irgendwie eine Lösung zu finden versucht, dann sollte das doch in unser aller Interesse sein. Ob am Ende eine Ratifizierung in dieser Legislaturperiode steht, ganz ehrlich, das kann ich Ihnen nicht sagen. Dafür ist dann die Bundesregierung zuständig. Aber wir können kein Interesse an einer voreiligen Umsetzung haben, (Andrej Hunko [DIE LINKE]: 20 Jahre!) daran, so halbwegs zu sagen: Im Großen und Ganzen stimmen wir dem zu. Das haben wir im Übrigen mit der Unterschrift getan. Aber wenn es um die Ratifizierung geht, dann darf man schon mal ganz genau hinschauen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ladies Night kommt im Fernsehen, nicht im Bundestag!) Wir hatten im Übrigen in den letzten Jahren auch schon so ein Thema, beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz. Bei diesem Antidiskriminierungsgesetz ist uns ein Fehler unterlaufen. Das muss an dieser Stelle nicht wieder passieren. Da musste nachgebessert werden, weil im Eifer des Gefechts und des guten Gedankens hinsichtlich dessen, was hier ratifiziert werden sollte, vielleicht nicht so ganz genau hingeschaut werden konnte. Bei der Frage des Diskriminierungsbegriffs und des Streikrechts – mein Kollege hat die Argumente bereits ausgeführt – geht es letzten Endes wirklich darum, eine echte Lösung für das Problem zu finden, das hier auf dem Tisch liegt. Da sind wir Deutschen vielleicht etwas überkorrekt. Da kann man uns nicht einfach mit Ländern in einen Topf werfen wie die Türkei – darüber haben wir heute schon ausgiebig diskutiert – oder Aserbaidschan oder Russland. Wir sind halt anders. Man kann nicht alle Länder über einen Kamm scheren. So kann man auch nicht einfach sagen, jedes Land geht mit so einer Ratifizierung oder so einer Charta gleich um. Genau deshalb ist ja die Liste der Rechtsverletzungen und der Kritik bei anderen Ländern so lang und bei uns so kurz. Wenn man Ihren Antrag anschaut, dann bekommt man so ein bisschen den Eindruck, wir wären in Deutschland ganz fürchterlich, was das Thema Sozialschutz angeht. Dabei sind wir ein gutes Vorbild. Wir in Deutschland sind international ein Synonym für gute soziale Rechte und für ein gutes soziales Klima. Wir sind Vorreiter. Was Sie wollen, wollen Sie nur mit einem Symbol einer Ratifizierung und offensichtlich nicht durch echte Politik. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist nicht bloß ein Symbol!) Da haben wir Themen wie beispielsweise das Mutterschutzrecht. Da haben wir Themen wie den Kündigungsschutz. Wir haben das Thema Arbeitsschutzrecht. Das sind alles wichtige Themen. Da sind wir ganz weit vorne in Europa. Deswegen glaube ich, dass wir an dieser Stelle vielleicht eher auf dem Weg nach praktikablen Lösungen sein sollten. Wie gesagt, ob zum Schluss die Ratifizierung steht, kann ich Ihnen nicht sagen. Möglicherweise treffen wir uns in der nächsten Legislaturperiode wieder hier und singen dann gemein das Lied Alle Jahre wieder. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Mit Mierscheid! – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Wir werden weiter nerven!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutschlands Verpflichtung einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10175, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4092 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2304 (2016) vom 12. August 2016 Drucksache 18/10188 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Staatsminister Michael Roth. (Beifall bei der SPD) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Guten Abend. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen unseres Nachbarkontinents Afrika sehnen sich nach Frieden und nach Stabilität. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten ihnen dabei, so gut es geht, helfen; denn schließlich profitieren auch wir in Europa davon. Jeder Konflikt in Afrika treibt mehr Menschen in die Flucht und verstärkt damit auch die Fluchtbewegung nach Europa über das Mittelmeer, und was das für viel zu viele Menschen bedeutet, das wissen wir leider nur allzu gut. Einer dieser Brennpunkte in Afrika bleibt Südsudan. Dort haben sich die Hoffnungen leider nicht erfüllt, die wir vor einem Jahr in das Friedensabkommen gesetzt haben. Ganz im Gegenteil: Im Juli mussten wir heftige Kämpfe in der Hauptstadt Juba beobachten, die mit massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts einhergingen. Dabei kam es zu zahlreichen Verbrechen und zu sexueller Gewalt gegen Zivilisten – und das mitten im Zentrum der Hauptstadt. Die neuerliche Eskalation der Gewalt hat einmal mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt, wie sehr die Menschen im Südsudan seit langem unter diesem furchtbaren Konflikt leiden. Die Zahlen sprechen für sich: Bei rund 12,5 Millionen Einwohnern gibt es 1,6 Millionen Binnenvertriebene und mehr als 1 Million Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. 6 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 4,8 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe. Und auch die politische Lage gibt keinerlei Anlass zur Hoffnung. Von einer wirksamen Umsetzung des Friedensabkommens von 2015 sind wir weit entfernt. Wir sehen bisher zwar keine Rückkehr zu einem Bürgerkrieg – den hatten wir schon, und das Land wurde furchtbar erschüttert –, wir beobachten aber eine schleichende Zunahme lokal begrenzter Kämpfe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau in diesem schwierigen Umfeld ist die Friedensmission der Vereinten Nationen UNMISS tätig, an der sich derzeit auch 15 deutsche Soldatinnen und Soldaten beteiligen. Ich will Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit gegenüber nichts beschönigen: Es hat in den vergangenen Monaten aus guten Gründen eine sehr kritische Debatte über UNMISS gegeben; denn es hat bei der Mission Fehler und schwere Versäumnisse gegeben, die umfassend aufgeklärt werden müssen. Eine unabhängige Untersuchungskommission hat UNMISS in ihrem jüngsten Bericht harsch kritisiert. Demnach war die Mission auf die Krise im Juli nicht ausreichend vorbereitet, sodass in der Stunde der Not kein Blauhelmsoldat zur Stelle war. Die Vorwürfe – und viele von ihnen werden sich damit intensiv beschäftigt haben – sind gravierend und erschütternd. Generalsekretär Ban Ki-moon hat das genau so ausgedrückt und umgehend den militärischen Leiter der Mission seines Amtes entbunden. Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird alleine nicht genügen. Der Untersuchungsbericht enthält eine Vielzahl konkreter Vorschläge, wie die Mission künftig besser aufgestellt werden kann. Der Generalsekretär Ban Ki-moon hat selbst zugesagt, diese Pläne entschieden voranzutreiben. Klar ist: Das oberste Ziel der Mission muss stets der Schutz der Zivilisten sein. Das hat auch der UN-Sicherheitsrat bei der letzten Verlängerung des Mandats am 12. August 2016 verlangt, und das erwarten auch wir, wenn wir unsere Beteiligung an UNMISS fortsetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es verdient Respekt, mit welcher Transparenz und Schonungslosigkeit die Vereinten Nationen eigene Defizite offengelegt und die notwendigen Konsequenzen gezogen haben. Klar ist aber auch: Wenn die Hilfeleistenden Fehler machen, dann mindert das in keinster Weise die Verantwortung der Täter. Verantwortlich für die Kampfhandlungen und Gräueltaten sind die Konfliktparteien, und damit auch die südsudanesische Regierung. Nach wie vor legt Südsudan UNMISS viele Steine in den Weg. Immer wieder wird die Mission in ihrer Bewegungsfreiheit unzulässig eingeschränkt, immer wieder werden humanitäre Helfer und Nichtregierungsorganisationen in ihrer Arbeit behindert. Das ist nicht akzeptabel und muss beendet werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist genauso inakzeptabel, dass, während der Sicherheitsrat am 12. August 2016 die Verstärkung von UNMISS um eine regionale Schutztruppe mit bis zu 4 000 Mann beschließt, die Regierung des Südsudan eine unverantwortliche Hinhaltetaktik verfolgt – und das wieder einmal auf Kosten der Zivilbevölkerung. Wir unterstützen die Vereinten Nationen in ihrer Aufforderung an die Regierung in Juba: Die Regierung muss jetzt ihr Einverständnis geben, dass die Sicherheitsratsresolution 2304 vollständig umgesetzt werden kann, damit UNMISS endlich effektiv arbeiten und auch verstärkt werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt fragen Sie sich vielleicht, welche Rolle UNMISS und unsere Soldatinnen und Soldaten in dieser Lage spielen können. Die Antwort gibt die notleidende Zivilbevölkerung im Südsudan selbst. Immer mehr Menschen – mittlerweile sind es über 200 000 – sind in die Schutzzonen der Vereinten Nationen geflüchtet. Allein seit dem Sommer dieses Jahres ist die Zahl nochmals um 30 000 gestiegen. Diese Menschen setzen ihre ganze Hoffnung darauf, dass wir UNMISS gemeinsam stärken, damit die Mission ihre Aufgaben künftig besser erfüllen kann. Sie setzen ihre Hoffnung darauf, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf Südsudan und alle Konfliktparteien, zu einem politischen Friedensprozess zurückzukehren, aufrechterhält. Es geht darum, dass wir Südsudan nicht schon fünf Jahre nach seiner Unabhängigkeit aufgeben und im Stich lassen. Dass wir das nicht tun, dafür stehen auch die 35 Millionen Euro, die Deutschland in diesem und im vergangenen Jahr für humanitäre Hilfsprojekte zur Verfügung gestellt hat. Dafür steht unsere Entwicklungszusammenarbeit, die wir, soweit das überhaupt möglich ist, fortsetzen. Mit insgesamt 84 Millionen Euro sorgen wir dafür, die unmittelbaren Folgen des Bürgerkriegs zu lindern. Mein Dank gilt den Soldatinnen und Soldaten, die im Südsudan unter wahrlich schwierigen Bedingungen im Einsatz sind. Mit der Mandatsverlängerung setzen wir aber auch ein politisches Signal. Wir stärken UNMISS in schwierigen Zeiten den Rücken und unterstützen damit die weitere Stabilisierung des Südsudan. Deshalb meine Bitte an Sie: Machen Sie mit! Ich weiß, es ist nicht ganz einfach, aber Sie können es aus guter Überzeugung tun. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Niema Movassat das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich den Südsudan kurz vor seiner Unabhängigkeit 2011 besuchte, war im Land die Hoffnung auf eine friedliche und bessere Zukunft groß. Doch schon damals haben viele Experten gewarnt: Falle erst einmal der Sudan als Feind weg, würden im Südsudan heftige interne Konflikte ausbrechen. Die internationale Gemeinschaft hat damals diese Warnungen ignoriert. Das war ein schwerer Fehler. Seit drei Jahren tobt ein brutaler Machtkampf im Südsudan zwischen dem Präsidenten und seinem früheren Vizepräsidenten. Die Bilanz ist verheerend: 50 000 Tote, 2 Millionen Flüchtlinge, fast die Hälfte der Bevölkerung des Südsudan ist von Hunger bedroht. Die Antwort der internationalen Gemeinschaft auf diese schreckliche Lage ist der UNMISS-Einsatz. Aber UNMISS versagt bei einer seiner zentralen Aufgaben, dem Schutz der Zivilbevölkerung. Deshalb war und ist UNMISS das falsche Instrument, um die Krise im Südsudan zu bewältigen. (Beifall bei der LINKEN) Ein Beispiel: Im Februar dieses Jahres eskalierte in einem Lager für Binnenflüchtlinge in Malakal die Gewalt zwischen Mitgliedern verschiedener ethnischer Gruppen. Regierungssoldaten beteiligten sich an den Gewaltexzessen. Bis zu 65 Menschen wurden getötet. 29 000 Menschen flohen. Ein Bericht von Ärzte ohne Grenzen stellt fest: UNMISS hat völlig versagt. Weder gab es präventive Sicherheitsmaßnahmen noch eine Notfallreaktion auf den Gewaltausbruch. Und vor wenigen Tagen sorgte ein UN-Bericht für neue Negativschlagzeilen. Demnach sahen UNMISS-Soldaten oft tatenlos zu, während vor ihren Augen Frauen vergewaltigt, Menschen gefoltert und Kinder ermordet wurden. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich angesichts des Berichts tief erschüttert über das Verhalten seiner eigenen Leute. Fakt ist: Die Präsenz von 12 000 UN-Blauhelmsoldaten konnte die Gewalt im Südsudan nicht stoppen. Gleichzeitig verschlang sie ungeheure Finanzmittel. Allein zwischen Juli 2013 und Juni 2014 kostete der UNMISS-Einsatz circa 1 Milliarde US-Dollar. Wir als Linke werden deshalb die Verlängerung und die Ausweitung des UNMISS-Mandates ablehnen. Es ist absurd und verantwortungslos, einen Militäreinsatz, der versagt hat und extrem kostspielig ist, fortzuführen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt bin ich auf die Vorschläge gespannt!) Stattdessen brauchen wir eine Stärkung ziviler Friedensmaßnahmen. Sie sind wirkungsvoller und kosten nur einen Bruchteil dessen, was der Einsatz von Soldaten kostet. Bereits 2014 haben wir beantragt, die nicht verbrauchten Mittel für UNMISS im Bundeshaushalt – immerhin waren das damals 1 Million Euro – für den unbewaffneten Schutz von Zivilisten und für präventive Friedensarbeit einzusetzen. Sie, die Regierungsfraktionen, haben damals diesen Antrag abgelehnt. Sie waren der Ansicht, dass zivile Maßnahmen die Bevölkerung nicht schützen würden. Doch die Realität ist eine andere: Es gibt beeindruckende zivile Projekte von Nichtregierungsorganisationen im Südsudan, denen es immer wieder gelingt, bewaffnete Angriffe auf Zivilisten zu stoppen – und das ohne Waffengewalt. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb ist unsere erste Kernforderung: Ziehen Sie die Konsequenzen aus dem Versagen des Blauhelmeinsatzes, beenden Sie die deutsche Beteiligung an UNMISS, und fördern Sie stattdessen zivile Friedensmissionen und die Flüchtlingshilfe! (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Setzen Sie die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit dem Südsudan aus! Das Regime von Präsident Kiir überzieht das Land mit Blut und Gewalt und bereichert sich gleichzeitig skrupellos. Während er und seine Gegner oft im Ausland im Luxus leben, leidet die eigene Bevölkerung. So ein Regime darf kein Partner der Bundesregierung sein. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt auch – damit bin ich bei meiner dritten Forderung – für die Zusammenarbeit in Migrationsfragen. Ich finde es ungeheuerlich, dass der Südsudan immer noch Teil des GIZ-Vorhabens „Better Migration Management“ ist. Man macht sich mitschuldig an den Verbrechen eines Regimes, wenn man mit diesem im Bereich der Migrationsabwehr und der Grenzsicherung kooperiert. Beenden Sie das! Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Vietz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Vietz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen Sisyphos. Der ewige Versuch, einen Felsen auf einen Hügel hochzuwuchten, könnte im Südsudan geradezu Pate gestanden haben, vor allem, wenn man den hoffnungsvollen Beginn von vor fünf Jahren noch im Hinterkopf hat. Aber wegzuschauen, wegzubleiben, Südsudan seinem Schicksal zu überlassen, ist keine Option. Gerade jetzt ist unsere Beteiligung an der von der UNO geführten Friedensmission notwendiger denn je. Es geht um den Kernauftrag der Mission: den Schutz der Zivilbevölkerung und die Wiederbelebung des Friedensprozesses. Die schweren Unruhen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungs- und Oppositionsgruppen im Juli haben vor allem die Hauptstadtregion um Juba erschüttert. Die eskalierende Gewalt richtete sich gegen Zivilsten, auch gezielt gegen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Der Friedensprozess bleibt brüchig. Zugleich ist aber das internationale Engagement, unser Engagement, weiterhin notwendig. Die humanitäre Situation im Südsudan ist dramatisch; wir haben es gehört: Rund 5 Millionen Menschen, etwa die Hälfte der Bevölkerung, sind auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Im Land selbst sind etwa 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge unterwegs. 1 Million sind in die Nachbarländer geflüchtet. Schätzungen der Kinderhilfswerke gehen davon aus, dass nur etwa die Hälfte der Neugeborenen den ersten Monat überlebt. Auch die Müttersterblichkeitsrate ist weltweit die höchste. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen Fluchtursachen aus. Kann sich wirklich jemand die Beilegung des Konflikts mit all seinen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung ohne ein intensives Engagement der internationalen Gemeinschaft auf vielfältige Art und Weise vorstellen? Ich nicht. Das mühsam zustande gekommene Friedensabkommen vom August 2015 braucht zur Umsetzung und Einhaltung internationale Unterstützung. Auch in Zukunft werden wir hier mit Rat und Tat zur Seite stehen. Hinzu kommen die internen Vorwürfe – Staatsminister Roth hat es ausführlich ausgeführt – von Führungsmängeln und Versäumnissen gegen den größten Truppensteller von UNMISS. Gerade deshalb bleibt es aber richtig und wichtig, dass wir die Mission im Südsudan auch weiterhin begleiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit ihrem Beginn hat Deutschland die Mission mit Stabspersonal unterstützt, das Führungs-, Beratungs- und Beobachtungsaufgaben wahrnimmt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Vietz, ich muss Sie unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler? Michael Vietz (CDU/CSU): Ich finde, sie kann nachher eine Kurzintervention machen; es gibt da ja viele Möglichkeiten. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Also nein!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Okay. Michael Vietz (CDU/CSU): Hinzu kommen Hilfen für die truppenstellenden Nationen bei technischer Ausrüstung und Ausbildung. Die Herausforderungen sind weiter gewachsen. Der Konflikt flammt in Wellen der Gewalt immer wieder auf und wirft die Friedensbemühungen zurück. Unsere Polizeiausbilder mussten im Juli evakuiert werden. Erst vor kurzem konnte die deutsche Botschaft in Juba wieder besetzt werden. Das zeigt, wie fordernd dieser Einsatz, für den ich all unseren beteiligten Soldatinnen und Soldaten von ganzem Herzen danke, ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Sie dienen dort auch in unserem Interesse. Im Rahmen von UNMISS leisten wir mit den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung des Konflikts. Kernaufgaben bleiben der Schutz der Zivilbevölkerung und die Einhaltung der Menschenrechte. Es ist unglaublich mühsam, den Friedensprozess im Südsudan voranzubringen. Der Beitrag Deutschlands orientiert sich daher an den kontinuierlichen Bemühungen der Bundesregierung um eine dauerhafte Konfliktbeilegung in der Region. Und UNMISS bietet die Chance, die Gewaltspirale zu durchbrechen. Wir sind bereit, diese Chance zu ergreifen, damit die Republik Südsudan ihrer Bevölkerung am Ende eine Perspektive in Sicherheit, Frieden und Freiheit bieten kann. Deshalb wird die Koalition dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Der Südsudan braucht unsere Unterstützung, und Wegschauen ist keine Option. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Kollegin Vogler hat um eine Kurzintervention gebeten. Bitte schön. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Lieber Kollege Vietz, es ist klar, dass wir in der Frage des Militäreinsatzes im Südsudan grundsätzlich nicht einer Auffassung sind. Trotzdem war ich sehr entsetzt. Wir waren ja gemeinsam in New York bei der UNO. Wir haben auch mit Verantwortlichen für den UNMISS-Einsatz gesprochen, die sehr klare Worte gefunden haben. Dass Sie die Vergewaltigung einheimischer Frauen durch UNO-Soldaten mit den Begriffen „Führungsversagen“ und „Organisationsprobleme“ beschreiben, finde ich einfach nur unterirdisch. So kann man damit nicht umgehen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist beschönigend, das ist verharmlosend, und das ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen, die da Opfer geworden sind. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Vietz, möchten Sie darauf antworten? – Nein. Dann hat jetzt die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vier Länder haben aktuell die höchste Krisenstufe bei den Vereinten Nationen. Der Südsudan gehört schon seit Jahren dazu. Die Menschen dort leiden unter brutaler Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. 2 Millionen sind auf der Flucht; täglich kommen Tausende hinzu. 5 Millionen Menschen haben keinen oder kaum Zugang zu Nahrung. Die Hauptschuldigen an dieser Gewalt sind die  – man kann es nicht anders sagen – Verbrecher Präsident Kirr und sein früherer Stellvertreter, die ihren persönlichen Machtkampf austragen und dabei skrupellos über Leichen gehen. Ihnen fehlt jedes Verantwortungsgefühl für die Menschen im Südsudan. Sie haben auch keine politische Idee im Hinblick auf eine friedliche Zukunft des Landes. Man kann dem Generalsekretär der Vereinten Nationen nur beipflichten, wenn er sagt, sie verhöhnen jedes Versprechen auf Frieden. Seit 2013 gab es sieben – sieben! – Friedensabkommen. Jedes wurde kurz nach der Verabschiedung gebrochen, jede Einheitsregierung platzte in Rekordzeit, und die Gewaltspirale beginnt immer wieder aufs Neue. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daran konnte leider auch die seit der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 entsandte Friedensmission UNMISS nicht viel ändern. Man muss aber schon auch berücksichtigen: Die Vereinten Nationen sind immer nur so stark wie sie von den Mitgliedstaaten unterstützt werden. Und die müssen auch an dieser Stelle endlich mehr Druck ausüben. Die Sanktionen sollten verschärft werden, und nicht nur die Europäische Union, sondern alle Staaten sollten endlich ein Waffenembargo verhängen und nicht weiter dabei zuschauen, wie sich diese Gewaltspirale immer weiter dreht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem immer wieder Kritik an dieser Mission laut geworden ist, ist eben die bereits erwähnte unabhängige Untersuchungskommission durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen initiiert worden. Ja, die Ergebnisse waren erschütternd, die Zustände waren chaotisch, Zivilisten und UN-Mitarbeiter wurden nicht ausreichend geschützt. Man ist eben untätig geblieben, obwohl man die Hilferufe bei einer Vergewaltigung gehört hat. Das ist natürlich völlig inakzeptabel. Aber nun zu der Schlussfolgerung zu kommen: „Das war es dann, die Mission funktioniert nicht, wir beenden sie jetzt einfach“ das halten wir für falsch; denn das hieße auch, die Menschen der brutalen Gewalt zu überlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt mir wirklich völlig fern, diesen Bericht in irgendeiner Form zu relativieren. Er muss auch gravierende Konsequenzen haben. Die Entlassung des kenianischen Kommandeurs war ja eine erste Konsequenz mit Signalwirkung. Es braucht aber auch strukturelle und personelle Reformen, auch bei anderen Friedensmissionen. Dass UNMISS aber auch das leisten kann, was man von einer Friedensmission erwartet, hat auf der anderen Seite eine mutige Entscheidung vor fast drei Jahren gezeigt: Wieder einmal war Gewalt im Land ausgebrochen, einige sprachen von einem drohenden Völkermord, und die damalige Leiterin der Mission Hilde Johnson ließ in einer mutigen Entscheidung die Tore der Camps öffnen und hat damit wahrscheinlich hunderttausend Menschen das Leben gerettet. Auch heute befinden sich in diesen Schutzzonen der Vereinten Nationen immer noch 200 000 Menschen. Meine Damen und Herren, die Mission zu beenden, hieße, diese 200 000 Menschen ohne Schutz zu lassen. Auch aus diesem Grund, so meine ich, geht es darum, an der Mission festzuhalten und die schwerwiegenden Fehler dringend zu korrigieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber diese beiden Bewertungen zeigen auch: Der Erfolg einer Mission hängt auch immer ein Stück weit davon ab, welches Personal in sie entsandt wird und wie man dann auch mit der Verantwortung umgeht. Es kann nicht sein, dass Staaten über ihre Kontingente eigene Interessen verfolgen und den Auftrag der Friedensmission der Vereinten Nationen ignorieren oder gar untergraben. Aber auch die europäischen Staaten oder die USA müssen sich durchaus kritisch fragen lassen, ob es ausreicht, Schecks auszustellen, oder ob man zum Gelingen der VN-Friedensmission vielleicht besser beitragen würde, wenn man bereit wäre, selbst mehr qualifiziertes Personal zu stellen. Hier darf man sich nicht weiter so einen schlanken Fuß machen. Meine Damen und Herren, auch das passt ins Bild: Die Bundesregierung schöpft die ohnehin sehr niedrige Mandatsobergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten nicht aus. Aktuell sind 14 in den Südsudan entsandt. Herr Staatsminister Roth, Sie haben am Anfang Ihrer Rede gesagt, wir sollten so viel helfen, wie wir können. Da ist meine Rückfrage an die deutsche Bundesregierung dann auch: Tun wir das? Ich glaube nicht, dass wir das tun. (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir könnten die Vereinten Nationen bei dieser schwierigen Mission und die Menschen im Südsudan viel stärker unterstützen. Damit meine ich nicht nur die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten, sondern angesichts der humanitären Katastrophe auch noch mehr entwicklungspolitische und zivile Anstrengungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Florian Hahn hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben Syrien gibt es wohl derzeit kaum ein deprimierenderes Thema, über das man sprechen kann, als den Südsudan. Die Kollegen haben das ja allesamt bereits dargelegt. Viele große – man muss fast sagen: utopische – Hoffnungen waren mit der Unabhängigkeit 2011 verbunden. Der jüngsten Nation der Welt in einem an sich nicht armen Land sollte es auch an der Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft nicht fehlen. Milliarden wurden investiert. Viele Unterstützer aus dem Ausland kamen; auch gut ausgebildete Südsudanesen kehrten zurück, um ein neues Land praktisch aus dem Nichts aufzubauen. All diese Hoffnungen haben sich, wie wir jetzt wissen, zerschlagen. Die Menschen sind statt im Paradies zum Teil in der Hölle gelandet. Die Inflation übersteigt 600 Prozent. Die verbreiteten Geißeln Korruption und Vetternwirtschaft verblassen hier gegenüber dem tagtäglichen Leiden an Krieg, Entführungen, Vergewaltigungen, Plünderungen, Zwangsrekrutierungen. Kritische Journalisten werden gefoltert und ermordet. Kinder fürchten, auf dem Weg zur Schule umgebracht zu werden. Zurückkehrende sind völlig desillusioniert. Es herrscht teilweise regelrechte Anarchie. Aber warum ist das Projekt Südsudan gescheitert? Sicherlich vor allem anderen an der Unfähigkeit der politischen Führung. Der wahrhaft wahnwitzige Egoismus und die mörderischen Rivalitäten der ehemaligen Rebellenchefs haben das Land zugrunde gerichtet, bevor es überhaupt das Kindesalter erreichen konnte. Ihnen persönlich sind das Chaos und die Flucht von Millionen Menschen anzulasten. Zahlreiche auf internationalen Druck beschlossene Waffenstillstands- und Friedensabkommen haben sie gebrochen. Der Bürgerkrieg kostete Zehntausenden Zivilisten das Leben. Aber da wir heute über die Beteiligung an der UNMISS-Truppe beraten, müssen auch die Verfehlungen der Vereinten Nationen offen angesprochen werden. Neben dem fatalen Handeln der südsudanesischen Führung haben sich auch die VN schuldig gemacht, im Wesentlichen durch Unterlassen. Aber im Allgemeinen steht auch ein Unterlassen dem Tun gleich, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht. Unvorstellbar auch die Vergewaltigungen von Entwicklungshelferinnen im Juli dieses Jahres. An dieser Stelle möchte ich einfach sagen: Ich glaube, dass niemand in diesem Hohen Hause diese schrecklichen Vorfälle in irgendeiner Weise relativieren will. Deswegen finde ich es, ehrlich gesagt, etwas unanständig, Frau Kollegin, wenn Sie das einem anderen Kollegen hier unterstellen. Ich glaube, das hat hier nichts zu suchen. (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Dann muss er andere Worte wählen, die klar sind!) Angesichts dieses Versagens ist man versucht, einen Abbruch der Mission zu fordern. Aber was wäre die Folge? Wir würden die Menschen vollends im Stich lassen. Ohne internationale Unterstützung können weder der Konflikt beigelegt, noch die Zivilbevölkerung geschützt, noch das Land wieder aufgebaut werden. Die VN-Mission muss also bleiben. Sie muss aber auch stark verbessert werden. Vorfälle wie im Juli dieses Jahres dürfen sich nicht wiederholen. Welche ausländischen Mitarbeiter der Entwicklungszusammenarbeit werden sich noch überzeugen lassen, in den Südsudan zu gehen, wenn es nicht massive Fortschritte bei der Sicherheit gibt? Wenn wir die Mission verbessern wollen, müssen wir uns auch personell stärker beteiligen, oder wir müssen uns an Ausbildungshilfe für VN-Truppen oder für regionale Eingreiftruppen beteiligen, um das Niveau der Einheiten entsprechend zu heben. Was tut Deutschland bislang? Wir haben uns von Anfang an am UNMISS-Einsatz beteiligt. 15 Soldaten sind im Moment eingesetzt, überwiegend im Stabspersonal. Unsere Beteiligung soll jetzt bis zum 31. Dezember 2017 mit einer unveränderten Personalobergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten fortgesetzt werden. Das halte ich auch für richtig. Wir dürfen in dieser kritischen Situation nicht unsere Experten aus der Missionsführung abziehen. Das würde eine Reform des Einsatzes noch schwieriger machen. Unsere derzeit eingesetzten Kräfte werden die Situation vor Ort nicht entscheidend verbessern; das ist klar. Deutschland kann aber als Beteiligter an der Mission seinen Einfluss besser geltend machen, um die Mission umfassend zu reformieren. Unsere militärische Beteiligung ist nur ein kleiner Teil des deutschen Einsatzes für den Südsudan. Um das Flüchtlingsleid zu lindern, hat Deutschland in den Haushaltsjahren 2015 und 2016 humanitäre Hilfsmaßnahmen mit mehr als 35 Millionen Euro gefördert. Der Südsudan ist auch Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges wurden bislang 84 Millionen Euro für Hilfe bereitgestellt. Angesichts der neuen Gewaltausbrüche in 2016 mussten allerdings die entsandten Mitarbeiter der staatlichen deutschen Durchführungsorganisationen evakuiert werden. Auch das zeigt die unbedingte Notwendigkeit einer robusten Mission, die Sicherheit schafft und den Menschen eine Atempause gibt, um einen Dialog zu beginnen und dann ihr Land mit unserer Hilfe aufzubauen. Wir sollten nicht alle Hoffnung fahren lassen, sondern engagiert daran arbeiten, dass der Südsudan Schritt für Schritt aus der Hölle wieder herausfinden kann. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung. Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die Drucksache 18/10188 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine transparente Regionalkennzeichnung einführen – Regionale Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln stärken Drucksache 18/9544 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Auch hier sehe ich bei Ihnen keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte die Verbraucherschützer, jetzt ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Markus Tressel, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer mehr Menschen kaufen Lebensmittel aus der Region. Sie wollen damit auch Verantwortung für ihre Regionen übernehmen. Regionale Produkte stehen für Geschmack und Qualität, für Vielfalt und Auswahl. Sie schonen natürliche Ressourcen und das Klima durch kurze Wege. Wer regional einkauft, unterstützt aber vor allem Unternehmen, Arbeitsplätze und Wertschöpfung vor Ort: von den Betrieben der bäuerlichen Landwirtschaft über das Lebensmittelhandwerk bis zum regionalen Handel. So entsteht eine geschlossene Wertschöpfungskette, die Arbeitsplätze erhält und wirtschaftlich neuen Schwung in ländliche Räume bringen kann. Wir müssen deshalb Verbraucherinnen und Verbrauchern und den Regionen gerecht werden. Deshalb ist unser Anspruch klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wo regional draufsteht, muss auch ein regionales Produkt drin sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Längst sind regionale Lebensmittel keine Nischenprodukte mehr. Damit wird Geld verdient, und so wächst auch die Anzahl unterschiedlicher Siegel und Marken, die mit Regionalität werben. Die Verbraucherzentralen haben das im April dieses Jahres mit einer Studie gezeigt. Viele dieser Siegel entsprechen nicht unserem Anspruch an Regionalität. Was eine Region umfasst, ist subjektiv. Deswegen halten viele Regionalangaben auf Etiketten der genauen Prüfung nicht stand. Sie sind oft leere Worthülsen. Wann eine Bezeichnung wie „regional“ oder „von hier“ zur Täuschung oder gar zum Betrug wird, bleibt bisher immer eine Einzelfallentscheidung. Genau das ist das Problem. Unser Ziel muss deshalb eine aussagekräftige und transparente Regionalkennzeichnung sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Regionalfenster, 2012 eingeführt, verfolgt daher einen richtigen Ansatz, nämlich auf dem jeweiligen Produkt anzugeben, woher die verwendeten Rohstoffe stammen. Allerdings – auch das hat die Studie der Verbraucherzentralen gezeigt – gibt es weiter große Unterschiede, sowohl was den Anteil regionaler Rohstoffe als auch was die tatsächlich zurückgelegten Kilometer der Produkte – auch bei Produkten mit dem Regionalfenster – angeht. Kurzum, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Kriterien sind zu weich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Deswegen schlagen wir vor, hier nachzubessern. Wir wollen beispielsweise die Großregion als mögliche Herkunftsangabe abschaffen. Das ist zu unbestimmt. Wir wollen landwirtschaftliche Vorstufen mit einbeziehen, den Mindestanteil regionaler Zutaten bei den verarbeiteten Produkten erhöhen und den Ort der Verarbeitung mit aufnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber das löst am Ende noch nicht das Problem, dass es Leute gibt, die mit Regionalität werben, ohne dass diese tatsächlich beim Produkt gegeben ist. Dazu haben wir in unserem Antrag vorgeschlagen, mit einer verpflichtenden Positivkennzeichnung Transparenz im Siegel-Dschungel herzustellen, ohne – das ist wichtig – ein weiteres Siegel einzuführen und ohne zusätzliche Belastung kleiner Betriebe. Das bedeutet: Wer Angaben wie „aus der Region“ oder „von hier“ auf seinem Produkt verwenden will, der wird dazu verpflichtet, anzugeben, was damit gemeint ist. So kann der Verbraucher selbst entscheiden, ob diese Angabe der eigenen Erwartung an ein regionales Produkt entspricht, und so wird missbräuchlicher Nutzung des Regionalbegriffs ein Riegel vorgeschoben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So stärken wir die regionale ländliche Wirtschaft, schaffen Perspektiven für den ländlichen Raum und schonen die Umwelt. Der vorliegende Antrag ist ein erster Schritt in diese Richtung. Deswegen hoffe ich auf Ihre Unterstützung, damit wir endlich vorankommen: im Interesse der Regionen, der Betriebe und auch der Verbraucher dort. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung für diesen Antrag. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marlene Mortler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn es um regionale Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung geht, dann haben Sie mich sicherlich auf Ihrer Seite, insbesondere heute, wenn es um transparente regionale Kennzeichnung geht. Ich sage aber Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, gleich vorweg: Wer so respektlos über Landwirtschaft redet wie Sie in den letzten Wochen und Monaten, hat es nicht verdient, dass wir seinem Antrag zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn im Antrag? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut dem Markus Tressel jetzt aber weh!) – Ihr wisst genau, was ich meine. Die Botschaft ist angekommen. Wo stehen wir in Sachen Regionalvermarktung? In Bayern gibt es 175 Bauernmärkte. Die Hälfte aller Bauernmärkte befindet sich also in Bayern. In Bayern gibt es zudem über 50 zentrale Bauernladengeschäfte, 4 000 Direktvermarkterinnen und Direktvermarkter sowie viele Regionalinitiativen, die bei den Verbrauchern hohes Vertrauen genießen. Der Verbraucher hat also schon heute die Wahl bzw. die Chance, dieses Angebot zu nutzen und kleine Strukturen zu unterstützen. Bayern unterstützt außerdem mit einem breiten Maßnahmenpaket ein kostenloses Internetportal, das über Bauernmärkte, Regionalinitiativen und Gastroportale, also über die Zusammenarbeit von Gastronomen und Anbietern regionaler Produkte, informiert. (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit dem Antrag gar nichts zu tun!) Damit bin ich bei Ihrem Antrag. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie wir wissen, ist das Regionalfenster damals von Ilse Aigner eingeführt worden. Das war ein guter Ansatz und ein wichtiger Schritt in Richtung Kennzeichnung. (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gesagt!) Ich gebe gerne zu, dass es sich um ein reines Herkunftskennzeichen handelt. Es macht keinerlei Aussagen zur Qualität; auch das gehört zur Wahrheit. Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass der Anteil regionaler Rohstoffe bislang zu niedrig ist. Im Moment beträgt er 51 Prozent. Sie fordern 70 Prozent. Da haben Sie mich durchaus auf Ihrer Seite. Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat kürzlich veröffentlicht, dass der Anteil der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich für nachhaltige Produktion aussprechen und der Regionalität eine große Bedeutung beimessen, im Vergleichszeitraum von 2009 bis 2015 von 42 auf 51 Prozent gestiegen ist. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt der Ernährungsreport des BMEL. Danach legen 76 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher Wert auf regionale Lebensmittel. Wir haben die Vorteile gehört: kurze Wege, mehr Frische und Vielfalt sowie Transparenz. Aber Hand aufs Herz: Wer von uns kauft denn regelmäßig regionale Produkte ein? Bin ich die Einzige? (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!) Es gibt noch immer eine große Kluft zwischen Reden und Handeln. Deshalb sind wir in Bayern einen eigenen Weg gegangen. Es gibt in Bayern ein umfassendes System mit zwei Siegeln, die aussagekräftig und transparent sind. Sie sind transparent, weil die Qualitäts- und Herkunftssicherungssysteme sichtbar sind. Das Siegel „Geprüfte Qualität – Bayern“ und das bayerische Biosiegel ermöglichen es dem Verbraucher, zu beweisen, dass er es mit regionalen Produkten ernst meint; das ist überfällig. (Beifall bei der CDU/CSU) Es wird vom LEH stark nachgefragt. Es wird auch vom Verbraucher stark nachgefragt. Das ist zwar eine Momentaufnahme. Aber für mich ist wichtig: Es ist klar definiert, objektiv neutral, es ist kontrolliert, und die Herkunft und die Verarbeitung der Rohstoffe müssen durchgängig und zu 100 Prozent aus Bayern kommen. Ich weiß, dass es das auch in anderen Bundesländern gibt, allerdings längst nicht flächendeckend. Deshalb ist meine Forderung: Erstens. Jedes Bundesland soll erst einmal seine Hausaufgaben machen. Zweitens. Es ist sicherlich an der Zeit, dass das BMEL die Weiterentwicklung des Regionalfensters wissenschaftlich überprüft (Lachen der Abg. Petra Crone [SPD]) – nicht mit Gelächter; da kommt man zu keinem guten Ergebnis –, und zwar seriös. Auf dieser Basis werden wir entscheiden, inwieweit wir dieses Regionalfenster verbessern. Aber das muss dann mit Respekt und nicht mit Klamauk geschehen. (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist, wer hier den größeren Klamauk gemacht hat!) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt hat für die Fraktion Die Linke Karin Binder das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Mortler, hinter Ihren Hinweis, wer diese Debatte mit Klamauk begleitet, setze ich ein großes Fragezeichen. Ich finde, der Antrag der Grünen ist sehr ernst zu nehmen, und ich finde auch richtig gut, dass man sich darüber qualifiziert unterhält, und zwar ohne eine solche Polemik, wie Sie sie hier gezeigt haben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher legen Wert darauf, beim Lebensmittel-Einkauf die Landwirtschaft in ihrer Region zu unterstützen (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Ach!) und regionale Arbeitsplätze zu sichern. Für viele Käufer spielen auch kurze Transportwege und damit mehr Klimaschutz eine Rolle bei der Kaufentscheidung. Besser könnte ich es nicht sagen. Das steht so auf der Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. (Zuruf der Abg. Marlene Mortler [CDU/CSU]) – Sie haben recht: Da steht vieles, was richtig ist. – Das Problem ist nur: In der Konsequenz fehlt leider die Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher, dass überall da, wo „regional“ draufsteht, auch wirklich regional drin ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht damit los, dass mindestens 51 Prozent eines Produktes aus regionalen Rohstoffen bestehen müssen. Bitte schön, warum nur 51 Prozent? Ich kapiere das gar nicht. „Regional“ heißt für mich: Das kommt aus der Region. Daher finde ich es notwendig, dass mindestens 70 Prozent, wenn nicht sogar 100 Prozent des Produktes aus regionalen Rohstoffen bestehen. Ich gebe zu: Manche Gewürze und andere Zutaten dürfen auch woanders herkommen. Das ist aber nichts, was die Umwelt nachhaltig schädigen könnte. Kurze Transportwege, damit regionale Kreisläufe, regionale Landwirtschaft, regionaler Handel und regionale Vermarktung stattfinden können, wodurch Nachhaltigkeit gewährleistet wird – ich glaube, das sollte unser aller Anliegen sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ganz nebenbei erreichen wir damit faire Preise. Ich behaupte eins: Mit Regionalität wird das Geld tatsächlich bei denen ankommen, die für die Erzeugung zuständig sind. Das steht im Gegensatz zu Produkten, die weltweit gehandelt werden. Wenn etwas dreimal um den Globus transportiert wird, dann kommt das Geld nicht beim Erzeuger an – das wissen wir alle –, egal ob etwas in Bangladesch, in Indien oder hier vor Ort erzeugt wird, sondern das Geld landet irgendwo im Bereich Speditionen, Marketing oder sonst wo. Das kann uns doch nicht egal sein. Deshalb finde ich es richtig, dass der Antrag der Grünen heute hier diskutiert wird, und zwar ernsthaft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kurze Wege zwischen Acker und Verkaufsregal bedeuten Umweltschutz, bedeuten Klimaschutz, bedeuten Verbraucherschutz und bedeuten Tierschutz. Das ist doch ein ganz wesentlicher Aspekt. Deshalb muss auch dieses Regionalsiegel verbindlich sein, und es darf nicht eine Fülle von Siegeln geben, die einmal geprüft, einmal nicht geprüft werden und ein anderes Mal einfach ein Marketing-Gag sind. Wir brauchen hier eine ernsthafte Behandlung. Wir brauchen eine Vorgabe. Als „regional“ darf wirklich nur das bezeichnet werden, was auch dementsprechend geprüft wurde; denn alles andere ist Beschiss am Verbraucher und pure Geldmacherei. Ich finde, das sollte man hier im Hohen Hause nicht unterstützen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte jetzt ungern wieder den Schwarzwälder Schinken bemühen; aber man muss sich trotzdem einmal vergegenwärtigen, dass all die Leute, die Schwarzwälder Schinken kaufen und glauben, er komme tatsächlich aus dem Schwarzwald, schlichtweg enttäuscht sein müssen, weil die verarbeiteten Schweinekeulen eine weite Reise hinter sich haben, zumindest in 90 Prozent aller Fälle. Ich finde, dann darf das maximal „Schinken nach Schwarzwälder Art“ heißen, aber nicht „Schwarzwälder Schinken“. Es gibt ganz viele andere Beispiele, die zeigen, wie getrickst und getäuscht wird. Ich meine, wir sollten dem endlich einen Riegel vorschieben, indem man die Kennzeichnung „Regionalität“ auch wirklich gesetzlich schützt. Vielen Dank, meine Damen und Herren. Wir werden uns weiter beraten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Dr. Karin Thissen. (Beifall bei der SPD) Dr. Karin Thissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Regional ist das neue Bio. Aus Umfragen und Studien zum Ernährungsverhalten wissen wir, dass die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst Lebensmittel aus der Region kaufen möchte. Das gilt vor allen Dingen für frische Produkte wie Fleisch, Milch, Eier, Obst und Gemüse. Viele Menschen verbinden mit regionalen Lebensmitteln höhere Qualität und nachhaltige Erzeugung. Außerdem – das wird immer wichtiger – wollen viele mit ihrem Kaufverhalten die regionale Wirtschaft stärken und gerade die kleinen Betriebe aus der Gegend, in der sie leben, unterstützen; denn der große Vorteil von regionaler Lebensmittelproduktion und vermarktung ist, dass sie die Anonymität zwischen Produzenten und Verbrauchern auflöst. Durch den unmittelbaren Kontakt entsteht Verständnis für die Bedürfnisse des jeweils anderen. Regionale Verbundenheit führt zu mehr Solidarität innerhalb und mit der Region und damit zu einer Stärkung des ländlichen Raumes, die man nicht gering einschätzen sollte. Was ebenfalls wichtig ist: Verbraucherinnen und Verbraucher, die ihre Kaufentscheidung auf solche Überlegungen stützen, sind immer auch bereit, für gute Lebensmittel aus der Region gute Preise zu bezahlen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist die gute Nachricht für all diejenigen, die mit viel Leidenschaft und Engagement ebendiese Lebensmittel erzeugen. Die nicht so gute Nachricht ist, dass regional erzeugte Lebensmittel für den Verbraucher nur schwer zu erkennen sind. Das unter Ministerin Aigner entwickelte Regionalfenster hat daran nichts geändert. Wir von der SPD haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir dieses Siegel wenig hilfreich finden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Deswegen finden wir Forderungen, die da lauten „Besseres, verlässlicheres Regionalsiegel“ oder „Irreführender Werbung einen Riegel vorschieben“ immer gut. Allerdings bin ich der Meinung, dass sich Regionalität nicht allein durch ein bundesweites Label auszeichnet, sondern durch klare, eindeutige und transparente Kennzeichnung, und zwar für alle Lebensmittel. (Beifall bei der SPD) Wie wir dahin kommen und wie das aussehen könnte, das loten wir gerade mit unserem Koalitionspartner aus. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, da sind wir ja gespannt!) Dazu haben wir von der SPD zum Beispiel eine Forderung im aktuellen Haushalt für den Bundesverband der Regionalbewegung. Außerdem, finde ich, brauchen wir alle noch ein paar Erkenntnisse aus der Verbraucherforschung, nämlich: Wie lassen sich Verbrauchererwartungen und die Definition von Regionalität in Einklang bringen? Ich glaube, beim Thema transparente Regionalkennzeichnung sind wir alle gar nicht so weit voneinander entfernt. Allerdings: Der Teufel steckt im Detail. Wir von der SPD sind der Meinung, dass ein Regionalfenster, auch ein reformiertes, nicht die Lösung in Sachen Kennzeichnung ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber wir begrüßen grundsätzlich die Diskussion darüber und sind gerne bereit, uns notfalls auch bis spät in die Nacht diesbezüglich mit Ihnen auszutauschen. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Katharina Landgraf, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Katharina Landgraf (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regionalkennzeichnung – ja. Auch wir sind dafür, auch ich finde das gut. Ich möchte jetzt aber die Begeisterung für regionale Produkte nicht wiederholen, sondern zusammenfassen und mich dabei kurzfassen. Wichtig ist: Wir brauchen erst einmal eine Definition: Was ist eigentlich „regional“? Wir brauchen, klar geordnet, ein Siegel oder ein Label. Da muss zu erkennen sein: Was sind die Hauptzutaten? Woher kommen diese? Wo wurde abgepackt? Das Regionalfenster finde ich gut, aber es muss weiterentwickelt werden; das wissen wir auch. Ich weiß, dass schon eine wissenschaftliche Überprüfung angeleiert wurde. Wir sind gespannt auf die Resultate; denn wir erarbeiten gemeinsam einen Koalitionsantrag. Auch wir freuen uns schon auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen; ich denke, das wird gar nicht so schwer. Wichtig ist mir jetzt, dass es zu einer freiwilligen Kennzeichnung kommt, dass wir nicht so viel gesetzlich verpflichtend und damit bürokratisch gestalten. Es muss gut machbar sein, sowohl bei der Zertifizierung wie auch bei der Kontrolle. Es muss übersichtlich sein, lesbar für die Kunden, wobei Verbrauchertäuschung ausgeschlossen werden muss; das ist schwierig genug. Ein Blick in die Zukunft: Schön wäre auch ein Code, aus dem ich mit meinem Handy und einer entsprechenden App erkennen kann, woher das Produkt tatsächlich kommt. Das ist sicher denkbar und in der Zukunft möglich. Ich fasse zusammen: Für die Verbraucher soll es besser und leichter werden, und damit können wir Produzenten und Verarbeiter in den Regionen stärken. Das, denke ich, ist unser aller Ziel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dann hat jetzt Willi Brase, SPD-Fraktion, die Gelegenheit, die Aussprache zu beenden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Willi Brase (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich schon zu Beginn der Rede so viel Beifall erhalte. – Da alle gesagt haben, dass es eine tolle Sache ist, was wir mit Regionalität und regionalen Produkten machen, will ich das gar nicht wiederholen. Ich habe nur ein bisschen Sorge, dass wir an der einen oder anderen Stelle zu viel regeln. Vielleicht sollten wir den Menschen und den Erzeugern in den Regionen zutrauen, dass sie das eine oder andere vernünftig und sachlich regeln. Ich halte das schon für sehr geboten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Im Antrag der Grünen wird nicht nur, wie eben dargestellt, die Frage der Regionalität angesprochen; es geht auch um regionale Vermarktungsstrategien. Wenn wir einmal das betrachten, was die Bundesregierung schon macht, dann erkennen wir: Wir können einiges umsetzen. Wir können über die GAK Erzeugerstrategien, Regionalität, Regionalfenster und Ähnliches fördern. Wir können das auch über das BULE, das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, machen. Ich habe gehört: BULE wird heute Nacht wahrscheinlich noch einen Zuwachs erfahren; das finde ich ganz toll. Sie wissen, dass so etwas in den Haushaltsrunden zum Schluss im Rahmen der Bereinigungssitzung erfolgt. Vom Bundesministerium für Umwelt und Bau, vom Haus Hendricks, gibt es die Initiative Ländliche Infrastruktur. Auch darüber kann man etwas auf den Weg bringen. Wir haben die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe GRW. Damit können wir Länderprogramme zur Markteinführung von innovativen regionalen Produkten unterstützen und so etwas auf den Weg bringen. Das heißt: Wir haben genügend Instrumente, und es wäre schön, wenn diese Instrumente in den Regionen genutzt würden. In meiner Heimat gibt es ein schönes Beispiel – das darf ich heute Abend nicht vergessen –: das Regionalregal. Im Rahmen dieser Initiative werden Kaffeeröstungen, Schokolade, Pestos, Gewürze, Marmelade aus regionalen Früchten in speziellen Regalen angeboten. (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Typisch regional!) So etwas habe ich selbst in einem Möbelladen gesehen. Ich habe mich gewundert, aber dann überlegt: Es ist doch toll, wenn Menschen von sich aus sagen: Wir erzeugen etwas Schönes in der Region, und das wollen wir auf den Markt bringen. (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Regionalkaffee!) Die Konsumenten und die Menschen freuen sich auch. Ich finde, das ist ein guter Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich noch einen Punkt nennen. Für uns bedeutet regionale Wertschöpfung natürlich auch Weiterentwicklung unserer Region. Die Regionen sind, gerade was die landwirtschaftlichen Erzeugnisse angeht, vielfach Zulieferer für die Städte, für die Urbanität. Wenn wir da noch ein paar Wege verbessern, wenn wir da noch ein paar mehr Chancen eröffnen, mehr Möglichkeiten geben, machen wir es richtig. Ich freue mich auch auf die Diskussion. Ich werde ein bisschen schauen, dass wir nicht zu viel regeln; denn das haben wir in diesem Land schon reichlich gemacht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Das finde ich auch!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Brase. Das war eine Punktlandung. – Auch hier wurde zwischen den Fraktionen vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/9544 an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zu überweisen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296 (2016) vom 29. Juni 2016 Drucksache 18/10189 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Missionen in Afrika, unserem Nachbarkontinent, sind besonders herausfordernd; da gibt es nichts schönzureden. Aber sie sind eben auch wichtig. Das hat die Debatte über das UNMISS-Mandat im Südsudan deutlich herausgestellt. Das gilt auch für das UNAMID-Mandat, über das wir jetzt debattieren. Die humanitäre Lage im Sudan ist aufgrund des andauernden Konfliktes unverändert prekär. Ich konnte bzw. musste mich vor einigen Monaten dort bei meinen Gesprächen mit der politischen und militärischen Missionsleitung vor Ort selbst davon überzeugen. Die Zahl der Menschen, die in der Region Darfur auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, bleibt mit mehr als 5 Millionen besorgniserregend hoch. Mehr als 2 Millionen Kinder sind akut unterernährt. Die hohe Anzahl von Binnenvertriebenen in Darfur sowie die rund 370 000 Flüchtlinge aus Nachbarstaaten, die sich aktuell im Sudan aufhalten, verschärfen die humanitäre Lage zusätzlich. Der Sudan fungiert zudem weiterhin als Haupttransitland für Migrationsströme aus Äthiopien, Eritrea und Somalia, die über Libyen und Ägypten nach Europa kommen. Auch die Menschenrechtslage bleibt unverändert kritisch. Massive Gewaltanwendung gegen Zivilpersonen, Entführungen, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind leider immer noch an der Tagesordnung. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen der regulären Armee und Rebellen sowie zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Milizgruppierungen. Das im Jahr 2011 geschlossene Friedensabkommen von Doha hatte leider immer wieder Rückschläge zu verkraften. Aber dennoch gilt es, dies weiter unter der Begleitung der internationalen Gemeinschaft umzusetzen, wobei wir um die Herausforderung der Mission wissen, die selbst Ziel von Angriffen war und immer noch ist. Seit ihrer Einrichtung haben über 70 Peacekeeper gewaltsam ihr Leben gelassen. Das in diesem Jahr unter Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union zwischen der sudanesischen Regierung und Teilen der Opposition unterzeichnete Abkommen „Roadmap Agreement for Peace and Dialogue“ kann aber immerhin als ein erstes positives Signal gewertet werden. In Anbetracht dieser bedrückenden Gesamtsituation bleibt UNAMID ein unverzichtbarer Faktor in der Region. Diese Mission wird weiterhin gebraucht. Nur dank UNAMID war es zivilgesellschaftlichen Gruppen überhaupt erst möglich, im Rahmen des Darfur-internen Dialogs Gehör zu erhalten. Hinzu kommt, dass UNAMID durch die Schaffung von Schutzzonen einen zentralen Beitrag für die ansonsten schutzlose Zivilbevölkerung leistet, und um die geht es. Es geht darum, diejenigen zu schützen, die sonst schutzlos wären. Das ist auch unsere Aufgabe in diesem Konflikt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte in diesem Zusammenhang die besondere Funktion UNAMIDs auch bei der Lagebeobachtung und bei der Menschenrechtsberichterstattung betonen, auf die die internationale Gemeinschaft angewiesen ist. Wir hätten sonst überhaupt keine Ahnung, was dort in der Region auch im Hinblick auf die Menschenrechte wirklich passiert. Zur Wahrheit gehört – auch das hat Parallelen zum Südsudan –, dass für eine erfolgreiche Auftragserfüllung die effektive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gastregierung eine wichtige Bedingung ist. Leider ist das Verhältnis zwischen UNAMID und der sudanesischen Regierung weiterhin angespannt. Umso notwendiger ist es, dass die erforderliche Kooperationsbereitschaft von der sudanesischen Seite weiterhin eingefordert und auch geleistet wird. Ich betone hier ausdrücklich, dass wir uns seitens der sudanesischen Regierungsvertreter mehr Entgegenkommen wünschen. Verbal gibt und gab es dafür Signale, aber es ist wichtig, dass ihnen auch Taten folgen. Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Eine Verbesserung der Lage in Darfur wird nur dann möglich sein, wenn eine umfassende politische Lösung für diese Konfliktregion gefunden werden kann. Dafür wiederum ist es umso wichtiger, dass die internationale Gemeinschaft die VN-Mission UNAMID weiter unterstützt. Deswegen ist die Bundesregierung bereit, sich auf gleichbleibendem Niveau mit Soldatinnen und Soldaten dort zu engagieren, wie wir uns auch sonst engagieren. Ich bin dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dankbar, dass er im Oktober dieses Jahres mit einer Delegation vor Ort war und damit unterstreicht, dass der Sudan auch innerhalb dieses Hohen Hauses weiterhin von hoher Bedeutung ist, nicht nur in militärischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zusammenfassen und deutlich machen: Die Lage ist schwierig. Aber klar ist: Kein Problem ist von der internationalen Staatengemeinschaft verursacht, sondern es ist verursacht von den Akteuren vor Ort. Hier ist besonders die sudanesische Regierung in der Pflicht. Ohne die internationale Staatengemeinschaft, ohne uns würde nichts besser, wäre kein Problem gelöst, kämen viele neue Probleme hinzu, wäre im Sudan vieles schlechter. Wir sind nicht diejenigen, die verantwortlich sind. Wir haben nicht für jedes Problem eine Lösung. Das ist wahr. Das kann auch ein solcher Einsatz nicht leisten. Aber wir leisten in einer schwierigen humanitären Lage wichtige Beiträge zur Lösung von humanitären Problemen, die dort vorhanden sind. Das sollten wir weiter tun. Dafür bitte ich Sie namens der Bundesregierung um Ihre Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der sudanesischen Provinz Darfur kämpfen seit 2003 Milizen und Regierungstruppen um die Macht in einem blutigen Bürgerkrieg. Ein Frieden ist nicht in Sicht. Die Bundesregierung will nun den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Militärmission UNAMID zum fünften Mal verlängern. Konkret geht es um den Einsatz von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten. Derzeit befinden sich im Hauptquartier von UNAMID in alFaschir vier deutsche Soldaten, fünf Polizisten und zwei zivile Experten. Dieser Einsatz hat bisher schon über 2 Millionen Euro gekostet. Und ein Ende ist nicht in Sicht. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Wir haben es doch!) Das Militär unter dem gemeinsamen Kommando von UN und Afrikanischer Union sollte laut der UN-Resolution die humanitäre Hilfe absichern, die Zivilbevölkerung schützen, Waffenstillstände überwachen, ein sicheres Umfeld für den Wirtschaftsaufbau schaffen und Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit fördern. Wir müssen uns fragen: Was wurde davon bisher erreicht? Bei keinem dieser Ziele gibt es substanzielle Fortschritte, und zum Teil widersprechen sie sich sogar. Zum Beispiel die humanitäre Hilfe: Jeder siebte Mensch in Darfur hat nicht genug zu essen. 2 Millionen Kinder sind unterernährt. Der Hunger ist zur Waffe geworden; denn Waffenstillstände kommen nicht zustande, weil man sich nicht über die gerechte Verteilung der Hilfslieferungen einigen kann. Und so werden auch die humanitären Helfer regelmäßig selbst zum Ziel von Übergriffen. Verhandlungen zwischen Regierung und dem Oppositionsbündnis Sudan Call wurden im August wegen zweier Streitpunkte abgebrochen. Es ging um die Freilassung von Kriegsgefangenen und den Überwachungsmechanismus für humanitäre Hilfe. Auch die Zivilbevölkerung wird immer wieder brutal angegriffen. Amnesty International berichtet von mindestens 32 Angriffen der sudanesischen Regierungsarmee gegen die Zivilbevölkerung in diesem Jahr. Dabei kamen wahrscheinlich auch Chemiewaffen zum Einsatz – zuletzt am 9. September. Dabei starben 200 bis 250 Menschen. Hunderte litten danach an Erbrechen, Durchfall und Hautausschlägen. Aber UNAMID kann die Zivilbevölkerung nicht vor solchen Verbrechen schützen; denn UNAMID muss mit der Regierungsarmee kooperieren. Unter solchen Umständen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu reden, verbietet sich. Was mich besonders aufregt, ist, dass die Bundesregierung nun auch noch mit dem verbrecherischen Regime im Sudan bei der Flüchtlingsabwehr kooperiert. Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit will die Europäische Union jetzt Kameras, Scanner und Server zur Erfassung von Flüchtlingen und Migranten an die sudanesische Regierung liefern. Sie will Grenzschützer ausbilden und zwei Flüchtlingslager mit Hafträumen errichten. Sie statten also den Diktator Umar al-Baschir und ähnliche Sympathieträger mit Repressionsmitteln aus, die sie problemlos auch gegen die eigene Bevölkerung verwenden können. Für diese Aggression gegen Flüchtlinge aus Afrika gibt Deutschland fast 16 Millionen Euro aus. Das ist ein skandalöser Angriff auf die Menschenrechte, die Grundfreiheiten und die Rechtsstaatlichkeit. (Beifall bei der LINKEN) Da zeigt sich, dass dieser Einsatz ein weiteres Beispiel für eine verfehlte Außenpolitik ist. Sie benutzen das Militär, um das Scheitern Ihrer Politik zu überdecken. Wenn man dann vom Schutz der Zivilbevölkerung, von Menschenrechten, von Rechtsstaatlichkeit spricht, dann ist das einfach Heuchelei. (Beifall bei der LINKEN) Denn dieser Konflikt ist, wie viele andere, mit militärischen Mitteln nicht beizulegen. Militäreinsätze wie dieser schaffen keinen Frieden. Sie führen in eine Sackgasse. Deswegen sagt die Linke Ihnen: Kehren Sie um! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht der Kollege Dirk Vöpel. (Beifall bei der SPD) Dirk Vöpel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt, der seit 2003 in der westsudanesischen Region Darfur tobt und der bisher weit über 300 000 Menschenleben gekostet und zu millionenfachem Flüchtlingselend geführt hat, beschäftigt uns seit der erstmaligen Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten durch das Mandat im Jahre 2012 jährlich im Plenum. Wenn wir über Darfur reden, dann reden wir über viele Konfliktherde, Konfliktlinien, Konfliktanlässe und Konfliktparteien. Wir haben es unter anderem mit dem Kampf der sudanesischen Zentralregierung gegen die Autonomie- und Separationsbestrebungen verschiedener Rebellengruppen, Konflikten entlang der ethnischen Spaltung zwischen arabischen und afrikanischen Bevölkerungsgruppen, lokalen Auseinandersetzungen über konkurrierende Formen der Landnutzung zwischen sesshaften Ackerbauern und viehweidenden Nomadenstämmen, Konflikten um die Kontrolle von Bodenschätzen, Kleinkriegen zwischen kriminellen Banden und vor allem immer wieder neu aufbrechenden Konflikten zwischen den Rebellengruppen, aber auch zwischen verschiedenen Fraktionen und Abspaltungen von Abspaltungen innerhalb der Rebellengruppen zu tun. Wir sehen uns also mit einem extrem zersplitterten Konflikt konfrontiert. Dieser ist, wie die letzten Jahre gezeigt haben, nur sehr schwer aufzulösen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat als Reaktion auf die geringen Fortschritte bei der Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und angesichts der nach wie vor katastrophalen humanitären Lage in Darfur im Jahre 2014 eine Neuausrichtung der Aufgaben von UNAMID beschlossen. Priorität haben der Schutz von Zivilpersonen und humanitärem Personal sowie die Sicherung der Nahrungsmittellieferungen, von denen das Leben von fast 6 Millionen Menschen abhängt; der Herr Staatssekretär hat vorhin bereits darauf hingewiesen. Die Patrouillenfahrten wurden verstärkt, Schutzzonen für die Zivilbevölkerung geschaffen, und es wird mehr Präsenz in den Flüchtlingslagern gezeigt. Weitere zentrale Elemente sind die Vermittlung zwischen der sudanesischen Regierung und den bewaffneten Gruppen, die das Doha-Dokument nicht unterschrieben haben, und die Unterstützung von Vermittlungsbemühungen in Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zur Ursachenbekämpfung. Zaghafte Hoffnung darf man in die aktuellen Versuche setzen, den Friedenprozess wiederzubeleben. Die unter dem Mandat der Afrikanischen Union laufenden Friedensverhandlungen haben im Jahr 2016, mit deutscher Unterstützung, zur Unterzeichnung eines Roadmap Agreement durch die sudanesische Regierung und die Oppositionsallianz Sudan Call geführt. Anfang August nahmen Regierung und Rebellengruppen Verhandlungen über einen Waffenstillstand und humanitären Zugang auf, die aber erneut ins Stocken geraten sind. Die politische Opposition und die Rebellengruppen haben wenig Zuversicht, dass in diesem Prozess tatsächlich Fortschritte erzielt werden können, und sehen sich in ihrem Misstrauen durch das teilweise widersprüchliche, anhaltend repressive Verhalten der Regierung bestätigt. Seitens der sudanesischen Regierung glaubt man offenbar immer noch, dieser Konflikt könnte militärisch gelöst werden. Die Offensive der Regierungstruppen in den Marra-Bergen Darfurs zu Beginn des Jahres bestätigt diese Sorge. Durch die Kampfhandlungen und Luftschläge wurden nach Schätzungen der UN bis Ende August erneut mehr als 160 000 Menschen vertrieben. Auch die ständigen Versuche der sudanesischen Regierung, die Arbeit von UNAMID durch bürokratische Hindernisse zu behindern, müssen endlich aufhören. Es braucht mehr Zeit, um eine umfassende politische Lösung zu finden; denn nur eine solche politische Lösung kann zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lage führen. Solange die Schritte der Friedenskonsolidierung nicht gefestigt sind, leistet UNAMID einen unverzichtbaren Beitrag für die zukünftige Entwicklung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Einsätze wie diesen, ohne das Engagement der internationalen Gemeinschaft würden sich die Verhältnisse drastisch verschlechtern. Die traurige Wahrheit ist: Die Lage in Darfur bleibt angespannt und instabil. Zwischen einem erneuten Abdriften Darfurs in das totale Chaos stehen nur diese knapp 17 000 Frauen und Männer der UNAMID-Mission. Sie haben unsere Unterstützung und unseren Dank verdient. Auch wenn der deutsche Anteil an der UNAMID-Mission mit zurzeit vier Soldaten, fünf Polizisten, zwei zivilen Experten und einer Mandatsobergrenze von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten nicht besonders groß ist, ist es umso wichtiger, dass wir als die einzigen europäischen Vertreter diese Mission zunächst für ein weiteres Jahr unterstützen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeswehrmandat für die Operation in Darfur ist sicher nicht als unproblematisch einzustufen. Seine Umsetzung hat enorme Schwächen. Es bietet aber auch Chancen. Noch immer ist der Einsatz schlecht organisiert. Die Motivation vieler Soldaten ist eine geringe, und die Operation wird von der Regierung al-Baschir massivst torpediert. Es wurde gesagt, es sind vier Soldaten und fünf Polizisten dort. Ihre Aufgabe ist die Beobachtung, die Beratung. Beides ist ja eigentlich auch wichtig. Vorhin sagte jemand, wenn wir die nicht hätten, hätten wir ganz wenige Informationen, und das wäre nicht gut. Wir müssen eingestehen, dass sich die Situation seit 2007/2008 nicht wirklich verbessert hat. Die Gräueltaten, die seit Jahrzehnten in dieser Region verübt werden, entziehen sich unserer Vorstellungskraft. Menschenrechtsverletzungen, Morde, Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Momentan scheint es leider so zu sein, dass es eher schlechter als besser wird. Genau das müsste UNAMID eigentlich verhindern. Offensichtlich haben wir die höchste Gewaltstufe noch nicht erreicht. Präsident al-Baschir hat nach Angaben von Amnesty International Giftgas gegen die Menschen in Darfur eingesetzt – Kollegin Vogler hat es gesagt –, genau 32-mal. Diesbezüglich habe ich die Bundesregierung um Auskunft gebeten, was sie denn darüber wisse. Die Antwort war für mich etwas merkwürdig. Die Regierung sagte nämlich, der Einsatz von Giftgas oder Chemie sei wenig plausibel, und begründete das wie folgt: Zumindest sei der Einsatz von Chemiewaffen von keiner der beteiligten Seiten angesprochen worden. Mit Verlaub, das halte ich für ein merkwürdiges Argument. Immerhin handelt es sich hier um den dringenden Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber weil niemand das Thema angesprochen hat, hält es die Bundesregierung für nicht plausibel. Es gibt Bombardements, die auch Giftgasangriffe beinhalten könnten, aber UNAMID steht nur achselzuckend da und sagt, sie wissen nichts. 32 solcher Einsätze gab es seit Januar bis heute. Das ist unerträglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich frage die Regierung: Worin ist Ihr lautes Schweigen eigentlich begründet? Ich kann Ihnen sagen, worin es begründet ist: Die Mörder- und Folterknechte der sudanesischen Regierung sind nicht mehr die geächteten Kriegsverbrecher, sondern inzwischen zu strategischen Partnern in den deutschen und europäischen Außenbeziehungen geworden. Es geht um Grenzmanagement und um die Abwehr von illegaler Migration. 12 Millionen Euro erhält die Regierung dafür von Deutschland. Die Bundespolizei war mit einem großen Tross in Khartoum und hat Verhandlungen mit dem Innenministerium geführt. Bereits vor einem Jahr habe ich von diesem Pult aus den Paradigmenwechsel angesprochen, der mit den Beschlüssen von Valletta droht. Dass die Folgen derart dramatisch sein werden, hätte ich mir aber nie träumen lassen. Wir sehen inzwischen weg, und nicht nur das: Deutschland und Europa machen die Zusammenarbeit mit Diktatoren salonfähig. Das ist auch etwas, das wir nicht verstehen können. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Wir sehen weg, wenn Zivilisten mit Chemiewaffen getötet oder verstümmelt werden. Ich finde, unter diesen Umständen ist es gerechtfertigt, nach der Sinnhaftigkeit des Mandats zu fragen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) – Abwarten! Allerdings muss man auch anerkennen, dass UNAMID für die humanitäre Versorgung der Menschen da ist. Es werden Schutzzonen geschaffen und Transporte begleitet. Außerdem – wir haben es schon gehört – kann man nicht davon ausgehen, dass die Situation besser wäre, wenn es UNAMID nicht gäbe. Das ist eine naive Einschätzung. Es ist auch naiv, zu sagen: Wir schicken zivile Friedensdienste hin. Denn es stellt sich die Frage, ob die überhaupt überleben würden. Da muss man schon sehr vorsichtig sein. Die Ausführung des Mandats lässt extrem zu wünschen übrig. Aus der UNMISS-Diskussion von vorhin wissen wir, dass Herr Staatsminister Roth gesagt hat, dass das alles nicht zu akzeptieren ist. Allerdings erwarte ich von einer Regierung, dass sie nicht nur sagt: Das ist inakzeptabel. Vielmehr muss sie uns auch erklären, wie sie dazu beitragen wird, dass sich die Verhältnisse vor Ort bessern. Daran sollte die Bundesregierung arbeiten. Sie sollte wirklich zusehen, dass sie auf internationaler Ebene einen Hebel findet, um die Situation zu verbessern. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen in diesen Stunden sehr häufig von Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Wir befürchten, dass aufgrund der Wahl in Amerika diese Verlässlichkeit und diese Berechenbarkeit gefährdet sein könnten. Umso mehr müssen wir selber zeigen, dass man sich auf uns verlassen kann, dass wir berechenbar sind. Angesichts der vielen Krisen in der Welt – über eine reden wir hier – gilt dies ganz besonders für Außenpolitik und Verteidigungspolitik. Von uns und auch von der Europäischen Union erwartet die internationale Gemeinschaft, dass wir hierin Vorbild sind. Ich glaube, das ist die richtige Botschaft nach Washington: Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Auch aus diesem Grunde, aber nicht nur, beschließen wir die Verlängerung des Mandats UNAMID. Seit 2003 zählt die Region Darfur zu den schlimmsten Krisenherden der Welt. Der Konflikt im Sudan kostete seither etwa 300 000 Menschen das Leben. Etwa 2,6 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Tagtägliche Kampfhandlungen und bewaffnete Auseinandersetzungen verursachen Chaos. Jeden Tag kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, massiver Gewaltanwendung, Rechtsverletzungen und zu Missbrauch von Frauen und Kindern. Wir haben heute Nachmittag in einer Anhörung von einer Frau aus Afghanistan einen Erlebnisbericht bekommen und gehört, was das, worüber wir hier immer so schlank diskutieren, bedeutet. Man muss einmal an sich heranlassen, was es für eine Frau bedeutet, verkauft zu werden von dem eigenen Mann, vergewaltigt zu werden, missbraucht zu werden von zehn Männern in einer Nacht. Das hat diese Frau unter Tränen geschildert. Das passiert genauso auch im Sudan. Es kommt zu willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, 3 Millionen Menschen in der Region Darfur sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, und – das ist angeklungen – 2 Millionen Kinder sind unterernährt. Das ist Grund genug, hier Hilfe zu leisten. Doch der Zugang für humanitäre Hilfe ist erschwert. Überfälle auf Hilfsorganisationen nehmen zu, auch Entführungen humanitärer Helfer gehören längst zur grausamen Realität. Leider ist die Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und des nationalen Dialogs nicht so recht vorangekommen. Dennoch ist es wichtig, weiterhin an unserem Ziel festzuhalten und bei den Konfliktlösungen im Land mitzuhelfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von diesem Ziel sind wir ziemlich weit entfernt; auch das ist ja angeklungen. Deshalb bleibt das internationale Engagement unverzichtbar. Um es mit Immanuel Kant zu sagen: Wenn wir die Ziele wollen, wollen wir auch die Mittel. Im Rahmen von UNAMID leisten wir Hilfe zur Beilegung der Konflikte. Ich verstehe nach wie vor nicht, dass die Linken ein solches Land und die Menschen in diesem Land in die Hilflosigkeit entlassen wollen. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) – Herr Gehrcke, das müssen Sie ertragen. – Das kann doch nicht der richtige Weg sein. Sie lassen diese Menschen fallen. Sie sagen, wir sollen umkehren. Ich weiß nicht, wohin. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hin zu einem gerechten Frieden!) Jedenfalls den Menschen im Land hilft das ganz sicher nicht. Unsere Mission dient dem Schutz der Zivilbevölkerung. Wir leisten Unterstützung bei der Gewährung der Sicherheit der humanitären Helfer und fördern die Vermittlung zwischen den Konfliktpartnern. Was daran falsch sein soll, möchte ich wirklich einmal wissen. Das habe ich nicht verstanden. (Beifall bei der CDU/CSU) Es kommt auch nicht darauf an, ob wir über 4 Soldatinnen und Soldaten reden oder über 400. Unsere Gewissensentscheidung ist jedes Mal gleich schwer, weil es von uns gut überlegt sein muss, wenn wir Soldatinnen und Soldaten in den Einsatz schicken. Sicherheit ist – das wird gerade im Sudan ganz deutlich – die Grundvoraussetzung für die humanitäre Hilfe. UNAMID bildet somit eine wichtige Säule. Lassen Sie uns zeigen, dass wir die Hoffnung auf eine langfristige Lösung nicht aufgeben. Wenn wir die Hoffnung verlieren, dann verlieren die Menschen im Sudan erst recht ihre Hoffnung. Dann entlassen wir sie in die Hoffnungslosigkeit. Das kann ganz sicher nicht unser Wunsch und Ziel sein. Ich bitte also um Zustimmung zu dem Antrag zur Fortsetzung des Mandats UNAMID. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10189 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 sowie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: 18. Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksachen 18/8, 18/9914 ZP 7 Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare Drucksachen 18/5098, 18/10227 ZP 8 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksache 18/6665 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe allgemeines Einverständnis. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn das Wort dem Kollegen Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Zuhörerinnen und Zuhörer, die heute zu dieser späten Stunde zu diesem Tagesordnungspunkt noch anwesend sind, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte!) der mir wichtig ist und den hier Anwesenden sicherlich ebenso. Als ich mich auf die heutige Rede vorbereitete, fragte ich mich: Was soll ich sagen? Wir haben ja die Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken im Ausschuss immer wieder abgesetzt. Wir haben sie vertagt, obwohl das Thema für uns, für die SPD und für mich im Besonderen eine Herzensangelegenheit ist. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das hat man gemerkt!) Ich erinnere mich noch sehr genau – die Kolleginnen und Kollegen, die dabei waren, auch –, wie Abgeordnete und Vertreterinnen und Vertreter des LSVD am 25. September vergangenen Jahres vor dem Bundesrat standen, um den Beschluss zur Ehe für alle zu unterstützen. Ich war mir damals nicht sicher, jedoch hoffte ich, dass der Entwurf, den ich im vollen Umfang für gut erachte, schnell in die parlamentarischen Beratungen einfließt und im Ergebnis umgesetzt wird. Doch seither diskutieren wir nur. Wir sind zwar bei der Rehabilitation der nach § 175 StGB verurteilten Männer, einem Schandparagrafen dieses Landes, nunmehr auf einem guten Weg, doch bei der Ehe für alle sind wir noch keinen Schritt weitergekommen. Es hilft auch nicht, immer wieder mit neuen Anträgen oder Gesetzentwürfen der Oppositionsparteien konfrontiert zu werden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Demokratieverständnis? Wir werden doch wohl Anträge stellen können!) Denn der Bundesratsentwurf ist gut. Es ist ein guter Entwurf – eigentlich ein guter Wurf –, weil er die Realität in Deutschland widerspiegelt. Er rückt den Menschen ins Zentrum, keine Gruppe, keine Minderheit, keine Mehrheit, sondern Menschen. Der Entwurf erneuert Grundprinzipien unserer Solidargemeinschaft, nämlich füreinander einzustehen, einander zu respektieren, einfach da zu sein. Das ist toll und muss für uns alle gelten. Doch leider gibt es immer noch Strömungen in unserer Gesellschaft, die diese Grundprinzipien nur für eine Gruppe reklamieren wollen: nur für die Heteros. Dadurch kommt es dann zu so etwas wie dem, was am 4. November auf dem CSU-Parteitag passiert ist. Das Grundsatzprogramm der CSU ist ein Scherz, oder? Wäre es nicht November, hätte ich es als Aprilscherz durchgehen lassen. Die Ehe von Mann und Frau wollen Sie vor Relativierungsversuchen schützen. Niemand relativiert hier etwas. Aber eine eingetragene Lebenspartnerschaft wird durch Ihren Vorschlag dauerhaft diskriminiert. Dann die Härte in dem Programm: Es ist von Ideologie, Gender-Ideologie die Rede. Wo ist sie denn im Umgang mit der deutschen Sprache gelandet? Das Wort „Ideologie“ benutzen meines Wissens nur diejenigen, die selbst Ideologen sind. Ich traue Ihnen ja vieles zu, aber das dachte ich eigentlich nicht von Ihnen. (Beifall bei der SPD) Sie verteidigen Geschlechterrollen, nicht moralische Prinzipien. Sie verteidigen nicht das, was zusammenhält, also Liebe und Fürsorge. Sie lassen sich nicht an die Beziehung von Mann und Frau binden. Sie sind ein hohes Gut in unserer Gesellschaft, nämlich das Gut, dass Menschen füreinander sorgen. Kapieren Sie doch endlich, dass Sie die Ehe für alle nicht aufhalten können, dass Sie zu einem Lager der Scheinheiligen gehören, wenn Sie die Ehe weiterhin nur für Mann und Frau vorsehen. Ich möchte, dass das natürliche Recht des Menschen auf gleiche Würde und gleiche Behandlung endlich gleichrangig für alle in Deutschland gilt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte ein Gesetz, das Rechte nicht nach Gruppen unterscheidet, das nicht separiert. Ich möchte ein Gesetz, das die Gesellschaft draußen schon lange formuliert hat. Wir müssten es eigentlich nur noch abtippen und veröffentlichen: Gleiches Recht, gleiche Pflichten, Ehe für alle. Ich finde, dass der Bundesrat mit seinem Entwurf genau ins Schwarze getroffen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir sollten uns endlich zusammenraufen, das Thema abräumen und nicht über Wochen, Monate und Jahre zetern. Lassen Sie uns dieses Kapitel mit Würde beenden, und zwar mit der Ehe für alle! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und einen schönen Abend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Harald Petzold spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sag mal was zur Herzensangelegenheit der SPD!) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Besuchertribünen! Die Bundeskanzlerin hat gestern dem neu gewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump gratuliert. Sie hat dabei auf gemeinsame Werte hingewiesen, die Deutschland und die USA verbinden. Sie nannte Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung, und sagte: Dafür stehen wir in Deutschland. – Angesichts der Äußerungen, die Donald Trump im Wahlkampf unter anderem in Bezug auf Homosexuelle gemacht hat, ist das richtig. Ich finde es sehr in Ordnung, dass sie das so betont hat. Ich würde mir allerdings wünschen, dass diese Werte auch in Deutschland gelebt werden, und zwar ohne Einschränkungen, so wie die Bundeskanzlerin es fordert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Realität ist nach wie vor eine andere. Lesben, Schwule, trans- und intergeschlechtliche Menschen werden in Deutschland immer noch nicht gleichbehandelt. Sie haben mit Ungleichbehandlung und Vorurteilen zu kämpfen, und sie sind Anfeindungen ausgesetzt, und das nicht zuletzt auch aufgrund des Bauchgefühls der Kanzlerin und der Blockadehaltung ihrer eigenen Partei, der Union. Meine Fraktion hat heute diese Debatte verlangt, damit die Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum zweiten Mal darüber berichten muss, wie in diesem Ausschuss mit Gesetzentwürfen, die zur Behandlung überwiesen worden sind, umgegangen wurde. Aufgrund dieser Umgehensweise im Ausschuss führen wir heute die mindestens 14. Debatte zu diesem Thema. Auch wenn der Kollege Brunner meint, es lohne nicht, dass wir als Opposition immer wieder neue Anträge einbringen: Wir werden Sie so lange mit Anträgen konfrontieren, bis Sie endlich dafür gesorgt haben, dass Lesben und Schwule in der Gesellschaft gleichbehandelt werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben in diesen mindestens 14 Debatten immer wieder eines erlebt: dass auf der einen Seite die Opposition für gleiche Rechte gekämpft und auf der anderen Seite die Koalition verhindert hat. Sie hat verhindert, dass über den Gesetzentwurf der Linken im Ausschuss überhaupt diskutiert worden ist. Sie hat verhindert, dass über den Gesetzentwurf der Grünen zur Öffnung der Ehe im Ausschuss überhaupt diskutiert worden ist. Sie hat verhindert, dass über den Antrag der Linken zur Annahme der Entschließung des Bundesrates im Ausschuss diskutiert worden ist. Sie hat verhindert, dass es mehr Schutz für Menschen mit HIV und Aids vor Diskriminierung gibt. Sie hat verhindert, dass es gleiche Rechte für Regenbogenfamilien gibt. Sie hat verhindert, dass es das volle Adoptionsrecht für Menschen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gibt. Der absolute Treppenwitz der Geschichte ist, lieber Kollege Brunner, dass ihr es gewesen seid, die ihr euch im Ausschuss für diese Verhinderung hergegeben habt. Mindestens 15 von 17 Mal ist in den Ausschusssitzungen von dir der Antrag gestellt worden, Beratungsgegenstände von der Tagesordnung zu nehmen, sie zu vertagen oder aber gar nicht erst mit der Diskussion anzufangen. Euer Fraktionskollege Johannes Kahrs kneift heute ja ganz. Bei der letzten Beratung dieses Gegenstands hat er hier vollmundig erklärt: Es reicht. Ich habe einfach keine Lust mehr. Ich verspreche Ihnen eines: Wenn das Thema hier im Deutschen Bundestag noch einmal aufkommt, dann werden wir in der SPD-Fraktion darüber abstimmen, wie wir hier abstimmen. ... Entweder Sie raffen sich jetzt mal auf – das hat er in Ihre Richtung gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union – und kriegen es hin, dass die Abstimmung geöffnet wird, oder Sie werden hier im Deutschen Bundestag eine Abstimmungsniederlage erleiden! Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Petzold, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Dr. Brunner? Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Natürlich. Da ich nur noch vier Sekunden Redezeit habe, ist es mir sogar sehr recht, dass der Kollege Brunner noch eine Frage stellt. – Bitte schön. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Das Folgende habe ich mir eigentlich erst für eine Kurzintervention gedacht, aber ich kann es auch als Zwischenfrage stellen. Verehrter Kollege Petzold, Sie haben angesprochen, dass wir uns dafür hergegeben haben, die Beratung zu verhindern. Sie wissen aber durchaus und werden mit Sicherheit bestätigen, dass wir, wenn wir das Verfahren im Ausschuss, so wie es Grüne und Linke gern gewollt hätten, umgesetzt hätten, letztendlich nur zu dem Ergebnis gekommen wären, das Sie nicht wollten, nämlich zu einer Ablehnung der entsprechenden Anträge und damit zu einem Scherbenhaufen für diejenigen Menschen, für die wir da sein wollen, für die wir nämlich die Ehe für alle schaffen wollen. Deshalb haben wir die Anträge abgesetzt, zur weiteren Verhandlung mit dem Koalitionspartner, um den Menschen auch weiterhin die Chance zu geben, in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung zu bekommen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Es ist nach unserer Geschäftsordnung möglich, eine Frage an den Redner zu richten oder eine Zwischenbemerkung zu machen. Entsprechend können Sie darauf reagieren. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Lieber Kollege Brunner, ich nehme Ihnen persönlich ja durchaus ab, dass Sie mit Herzblut für die Angelegenheit kämpfen, und Sie machten uns dies ja auch mit entsprechender Emotionalität in jeder der von mir genannten mindestens 14 Debatten deutlich. Ich finde das in Ordnung; das Anliegen hat diese Emotionalität auch verdient. Ich sage Ihnen zu Ihrer Bemerkung aber: Sie haben die Absetzungsanträge jedes Mal verbunden mit der Zusage gestellt, dass es eine Lösung vonseiten der Koalition geben werde und dass Sie darüber verhandeln würden. Nur wurde diese Lösung nicht vorgelegt. Wenn Sie wenigstens 10 Prozent der Energie, die Sie hier für die Verhinderung aufgebracht haben, einmal dafür aufbrächten, dass wir endlich zu einer Lösung kommen, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann er doch gar nicht!) dann können Sie doch von mir aus auch unseren Gesetzentwurf ablehnen. Aber dann nehmen Sie wenigstens den Gesetzentwurf des Bundesrates an. Dann hätten wir das Problem erledigt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder den von den Grünen!) – Dafür könnt ihr selber werben, liebe Kollegen von den Grünen. Wenn wir zumindest den Gesetzentwurf des Bundesrates annehmen würden, dann hätten wir das Problem vom Tisch. Sie wissen genau, wie der Weg geht. Dazu bedarf es etwas Mutes seitens Ihrer Fraktion und nicht nur der Ankündigungen des Kollegen Kahrs – das können Sie ihm auch ausrichten –; dass er heute hier bei dieser Sitzung kneift, finde ich oberdaneben, aber das muss er mit sich selber ausmachen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Eva Högl [SPD]: Er ist in der Bereinigungssitzung!) – Schade. (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt ist leider die Redezeit vorbei! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie geht es jetzt weiter?) Ich will zusammenfassen: Geben Sie endlich Ihre Blockadehaltung auf! Dann werden wir auch keine weiteren Anträge dazu einbringen müssen. Sorgen Sie endlich dafür, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Intersexuelle in diesem Land gleichbehandelt werden. – Das sage ich auch in Richtung Union. Denn die Kollegen von der SPD sind dafür nicht alleine zuständig; das wissen wir auch. (Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Eben darum geht es!) Nehmen Sie ernst, was Ihre Bundeskanzlerin gesagt hat. Es geht um den Respekt, um die Freiheit und um das Recht und die Würde der Menschen, unabhängig von der sexuellen Identität. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich darf darauf hinweisen – es ist hier auch schon mit Zwischenrufen bekannt gemacht worden –, dass zeitgleich die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses stattfindet. Jeder von uns kennt die Bedeutung dieser Ausschusssitzung. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack für die CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verrate kein Geheimnis: In der Großen Koalition gibt es derzeit keinen Konsens in der Frage der Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Partner; wir haben es gehört. Selbstverständlich entziehen wir uns aber nicht der parlamentarischen Diskussion, wie Sie heute hier sehen. Die Opposition hat das Recht, über die Geschäftsordnung das Thema auf die Tagesordnung zu setzen; das hat sie ja auch getan. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Mindeste!) Wir haben die erste Lesung abgehalten, wir haben unsere Bedenken geäußert, wir haben eine Anhörung durchgeführt. Das Meinungsbild in der öffentlichen Anhörung war gespalten, aber unsere Bedenken wurden auch gestützt. Wir debattieren heute zum zweiten Mal vor dem Hintergrund eines Berichts des Rechtsausschusses über das Thema und haben den Gesetzentwurf des Bundesrates als Beratungsgegenstand in der ersten Lesung. Sie können uns also nicht vorwerfen, wir würden uns vor der parlamentarischen Beratung drücken. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten den Bundesratsentwurf gar nicht auf die Tagesordnung lassen!) Liebe Berichterstatter der Opposition, ich lasse mir auch nicht den Vorwurf gefallen, alle Diskussionen neben den Debatten im Plenum vermeiden zu wollen. In unseren interfraktionellen Runden sind wir regelmäßig über Gleichstellungsthemen im Gespräch. Unsere Meinung hinsichtlich des Inhaltes der Gesetzentwürfe war und ist gefestigt. Wir sind der Auffassung – ich wiederhole mich an dieser Stelle –, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers vorbehalten ist. Mit der ablehnenden Haltung gegenüber dem Gesetzentwurf möchte ich aber keinesfalls missverstanden werden. Alle Menschen, die sich lieben und die dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen, die sich Halt und Stabilität geben wollen, verdienen gleichermaßen Anerkennung und Wertschätzung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Egal ob verschieden- oder gleichgeschlechtlich: Sie verdienen die absolute Zustimmung und Unterstützung des Staates. Der erste Schritt als Ausdruck dieser staatlichen Anerkennung und Unterstützung war die Einführung des Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft, dessen Rechte und Pflichten das Parlament, aber auch das Bundesverfassungsgericht in den letzten 15 Jahren immer weiter konkretisiert haben. Der Vorwurf, ohne Öffnung der Ehe würde weiter staatliche Diskriminierung gegen Homosexuelle betrieben, ist schlichtweg falsch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Eheöffnung ist eine vertretbare politische Forderung, aber eben keine zwingende grundgesetzliche Notwendigkeit. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber vielen Dank, dass wir nicht gleich verhaftet werden!) – Herr Beck, hören Sie einmal zu. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das fällt ihm immer schwer!) Ich setze mich in meiner Fraktion für eine vollständige rechtliche Gleichstellung ein und versuche, einen tragbaren, gesamtgesellschaftlichen Konsens zu finden. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) Deswegen ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum es, wie es www.queer.de formuliert, eine „perfide Idee“ sein soll, die eingetragene Lebenspartnerschaft im Grundgesetz zu verankern. Der Artikel 6 des Grundgesetzes könnte dann heißen: Ehe, eingetragene Lebenspartnerschaft und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. – Man würde die Ehe damit als Verbindung zwischen Mann und Frau beibehalten, aber die eingetragene Lebenspartnerschaft als gleichberechtigtes rechtliches Konstrukt daneben statuieren. Das hätte doch mit Diskriminierung gar nichts zu tun. Zusätzlich wäre eine Änderung des Personenstandsgesetzes vorstellbar, um den gleichgeschlechtlichen Paaren in administrativen Vorgängen die Offenlegung ihrer sexuellen Identität zu ersparen. Diesen Vorschlag, der auch der Idee unseres verehrten Bundestagspräsidenten entspricht, habe ich mit den relevanten Akteuren unseres Koalitionspartners und der Opposition erörtert – bislang ohne Erfolg. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, eine fehlende Kompromissbereitschaft, zumindest in der jüngsten Zeit, können Sie uns wirklich nicht vorwerfen. Ich möchte jetzt keine inhaltliche Verbindung herstellen, aber auch die Opposition muss doch erkennen, dass unsere Herangehensweise an eine Thematik wie die der Rehabilitierung der Opfer des § 175 Strafgesetzbuch in der alten Fassung eine veränderte Geisteshaltung zum Ausdruck bringt. Wir erkennen an, dass die Rehabilitierung der Betroffenen ein wichtiges moralisches, politisches und gesellschaftliches Anliegen ist. Da die verurteilten Personen vielfach sehr alt sind, setzen wir uns dafür ein, das Gesetzgebungsverfahren zügig voranzubringen, um es noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluss zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen, dass die Betroffenen ihre Rehabilitierung noch erleben, und hoffen, dass sie dadurch mit unserem Rechtsstaat versöhnt werden. Ich schließe mit dem Gedanken, mit dem der Kollege Petzold begonnen hat, und erinnere daran, dass unsere Kanzlerin im Rahmen der gestrigen Gratulation an den frisch gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ausdrücklich den Respekt vor der Würde des Menschen unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung als gemeinsame Wertebasis betonte. In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. „Frei und gleich an Würde und Rechten geboren“: Wenn man ernst nimmt, was die Bundeskanzlerin gestern gesagt hat, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung die gleiche Würde haben, dann können Sie ihnen nicht die gleichen Rechte verweigern und homosexuelle Paare beliebig von einem Rechtsinstitut, nämlich der Ehe, ausschließen. Dann müssen Sie konsequent sein und sich endlich zur Öffnung der Ehe bereit erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es ist doch eigentlich absurd, dass Sie sagen, Sie seien bereit, die Verfassung zu ändern, weil Sie wissen, dass da nicht drinsteht, dass sich die Verschiedenheit von homosexuellen und heterosexuellen Paaren in Ehe und Lebenspartnerschaft dauerhaft ausdrücken kann. Nein, diese Verschiedenheit werden wir verfassungsrechtlich nicht festschreiben. Als in der Clinton-Ära die republikanische Mehrheit im US-Kongress mit dem Defense of Marriage Act versucht hat, in die Verfassung zu schreiben, dass die Ehe eine Verbindung von Mann und Frau ist, hat der Supreme Court der USA gesagt: Das ist verfassungswidrig, weil es dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht und damit eines der zentralen Prinzipien der amerikanischen Verfassung und jeder Verfassung eines zivilisierten Landes verletzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Besonders originell war das nicht. Die Verfassungsgerichte Brasiliens, Mexikos, Südafrikas und vieler anderer Staaten haben immer wieder genau das Gleiche gesagt: Es widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit, homosexuellen Paaren nicht das gleiche Eheschließungsrecht zu gewähren wie heterosexuellen Paaren. Die Große Koalition wollte ja übrigens den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates heute nicht diskutieren, obwohl es in Artikel 76 der Verfassung heißt, dass Bundesratsinitiativen zeitnah zu beraten sind und darüber Beschluss zu fassen ist. Merken Sie sich für den nächsten Bericht nach § 62 der Geschäftsordnung, dass auch Sie hier eine verfassungsrechtliche Pflicht haben, den Bundesratsentwurf mit einem Beschluss zu bescheiden. Ansonsten kann der Bundesrat Ihre Gesetze auch einfach liegen lassen. Dann verhungern Sie hier am laufenden Meter. In der Begründung des Bundesratsentwurfs wird dargelegt, dass in drei Punkten ein gesellschaftlicher Wandel des Ehebegriffs stattgefunden hat. Der erste Punkt ist die internationale Rechtsentwicklung, die ich Ihnen gerade geschildert habe. Es gibt immer mehr Länder, die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet haben, entweder durch gesetzgeberischen Akt oder durch Entscheidung der höchsten Gerichte. Der zweite Punkt ist: Es gibt einen Wandel in der Bevölkerung. Die Bevölkerung unterscheidet in ihrem Sprachgebrauch, in ihrem Verständnis nicht mehr zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft. Das tut Ihr Personenstandsgesetz. Das tut das Visum des Auswärtigen Amtes, wenn jemand aus einem Verfolgerstaat einreist und in seinem Pass steht: Einreisevisum für die Herstellung einer Lebenspartnerschaft statt einer Eheschließung. Damit weiß jeder im Sudan, im Iran oder in Ägypten, dass es sich um einen homosexuellen Bürger handelt, der das Land verlässt, um eine homosexuelle Partnerschaft einzugehen. Mit Ihrer Rechtspraxis gefährden Sie sogar die Sicherheit von Menschenleben. Den dritten Punkt hat das Bundesverfassungsgericht selbst gesetzt mit seiner Entscheidung zum Fortbestand der Ehe bei Transsexuellen. Das Bundesverfassungsgericht war der Auffassung, dass hier der Schutz der Ehe vorgeht und dass man sich nicht vorher scheiden lassen muss, wenn man verheiratet ist und einer der beiden Ehegatten eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen will, weil er in seinem gefühlten Geschlecht auch tatsächlich zu Hause sein will. Durch sein Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die ersten transsexuellen Ehen und damit auch die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen geschaffen. Sie hätten übrigens damals die Möglichkeit gehabt, zu reagieren und zu sagen: Wir machen eine Lebenspartnerschaft mit den identischen Rechtsfolgen der Ehe. Damit hätten Sie dieser Entwicklung ausweichen können. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Beck, Sie denken an die vereinbarte Redezeit? Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ein letzter Satz. – Offensichtlich war es weder für das Bundesverfassungsgericht noch für den Deutschen Bundestag noch für den Bundesrat so entscheidend, an der Geschlechtsverschiedenheit der Ehe begrifflich festzuhalten und da gesetzgeberisch initiativ zu werden. Meine Güte! Nehmen Sie sich an Ihrer Kanzlerin ein Beispiel – gleiche Würde unabhängig von der sexuellen Orientierung –, und gießen Sie das in einen Gesetzesbeschluss. Öffnen Sie die Ehe. Ich sage Ihnen: Wir müssen vor Ende der Legislaturperiode über den Bundesratsentwurf abstimmen. Vielleicht hat die SPD dann noch einmal Mut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Bettina Bähr-Losse. (Beifall bei der SPD) Bettina Bähr-Losse (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Rängen! Die Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts war bereits im Februar dieses Jahres Thema hier im Plenum, sodass vermutlich alle außer mir das Gefühl haben, ein Déjà-vu zu erleben. Im Februar dieses Jahres ist der Bundestag unter gleichen Vorzeichen zusammengekommen. Auf der Website des Bundestages hieß es damals dazu: Eine parlamentarische Besonderheit kann am Donnerstag, den 18. Februar, beobachtet werden, nämlich eine Debatte nach § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags. Es mag Beobachter geben, die deshalb den Umgang mit diesem Thema als respektlos bezeichnen. Das ist jedoch gerade nicht der Fall. Ich respektiere, dass die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von dieser Möglichkeit, die ihnen die Geschäftsordnung einräumt, Gebrauch machen, um dieses für viele Menschen so wichtige Thema weiter zu verfolgen. Ich fordere aber Respekt auch für die SPD ein; denn Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch klar, dass Teil einer Großen Koalition zu sein auch bedeutet, Kompromisse eingehen zu müssen. Die SPD hat in der vergangenen Legislaturperiode einen fast gleichlautenden Gesetzentwurf eingebracht. Gleichwohl werbe ich jetzt als Teil einer Großen Koalition auch um Respekt für die von unserem Koalitionspartner vielleicht noch immer mehrheitlich vertretene Position. Ich verstehe die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion. Konservative Parteien mit einem C in ihrem Namen haben bei diesem Thema andere innerparteiliche Auseinandersetzungen auszutragen als säkulare Parteien. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das C haben die nicht verdient!) Wir stehen im dauernden Dialog, um Überzeugungsarbeit zu leisten und Ihnen und Ihrer Partei auf dem Weg der Entscheidungsfindung zu helfen. (Beifall bei der SPD) Dies tun wir auch dann, wenn Sie dafür deutlich länger brauchen als andere; denn auch das gebietet der respektvolle Umgang miteinander. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir als SPD wollen die CDU/CSU einbinden auf dem Weg hin zu einem Gesetz, das es allen Paaren, egal ob hetero- oder homosexuell, ohne Wenn und Aber erlaubt, den Bund der Ehe miteinander einzugehen. Ich bin zuversichtlich, dass sich auch die CDU/CSU nicht dauerhaft davor verschließen kann, worum es hier eigentlich geht. Es geht um den Respekt vor zwei Menschen, die aus vollem Herzen Ja zueinander sagen wollen. Es geht um zwei Menschen, die damit Werte und Traditionen hochhalten und achten wollen. Die Ehe steht für diese Entscheidung, und wir sollten sie jedem Paar in vollem Umfang zugestehen. Dies ist die Position der SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Es geht um zwei Menschen, die füreinander einstehen wollen. Dagegen kann niemand ernsthaft und dauerhaft etwas einzuwenden haben. Ich respektiere aber auch die Einstellung und die Arbeit eines jeden Abgeordneten, egal welcher Fraktion er oder sie angehört; denn niemand in diesem Plenum macht sich die Meinungsbildung zu der hier anstehenden Frage leicht. Ich fordere deshalb, die Abstimmung zu diesem Thema freizugeben, sodass jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete frei und nach bestem Wissen und Gewissen abstimmen kann und wir ein Gesetz mit einer breiten Mehrheit über alle Fraktionsgrenzen hinweg auf den Weg bringen und den Menschen, die ihr Leben als Ehepaar in guten wie in schlechten Zeiten teilen wollen, unseren Respekt zollen können; denn auch diesen Respekt schulden wir einander. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Bähr-Losse, Sie gehören dem Hohen Haus seit dem vergangenen Monat an. Das war Ihre erste Rede. Ich gratuliere Ihnen dazu. (Beifall) Zum Abschluss dieser Aussprache erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Alexander Hoffmann für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin, auch von mir einen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, zu einer Rede zu einem schwierigen Thema, zu einem Thema, das mit Emotionen behaftet ist. Wir haben dieses Thema schon mehrmals besprochen. Kollege Petzold, ich will mich bei Ihnen ausdrücklich dafür bedanken, dass es heute gelungen ist, dass wir dieses Thema sehr sachlich ansprechen. Ich will schon in Erinnerung rufen, wie dieses Thema in der Vergangenheit diskutiert worden ist: oftmals mit sehr vielen Emotionen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ja auch um die Ehe! Da muss ja Emotion dabei sein!) Am Ende ging es oftmals um Toleranz, um das Grundgesetz. An mancher Stelle zeichneten sich diese Diskussionen gerade durch sehr wenig Toleranz gegenüber der Meinung des anderen aus. Es wurden von Ihnen, Frau Künast, und auch von Herrn Beck immer wieder zwei Lager gebildet: Das eine, das sind die, die für die Ehe für alle stehen, und die anderen sind einfach nur die Homophoben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Sie in diesem Zusammenhang nie als homophob bezeichnet! Zeigen Sie mir die Rede, wo ich das gesagt habe! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann habe ich das gesagt?) – Weil Sie gerade hereinrufen, Kollege Beck: Ich wollte es gar nicht vertiefen; aber Sie haben im Zusammenhang mit dieser Debatte schon den Begriff der Volksverhetzung verwendet. Der Kollege Kahrs benutzte einmal den Begriff „Vollpfosten“. Nur deswegen habe ich mich bemüßigt gefühlt, das anzusprechen. Lassen Sie es doch einfach einmal so stehen. Die Debatte leidet vor allem immer wieder darunter – das ist der zweite Punkt, den ich heute ansprechen möchte –, dass der Eindruck erweckt wird, Deutschland sei in Sachen Gleichstellung Schlusslicht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, in Russland ist es schlechter! Im Iran auch!) Kollege Beck, Sie haben jetzt Mexiko genannt. Sie haben Brasilien genannt. Sie haben die USA genannt. Es wird der Eindruck erweckt, Deutschland sei ein Hinterwälderland in Sachen Gleichstellung. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sind wir auch! Im westeuropäischen Vergleich ist es so!) – Jetzt haben Sie gerade den Zuruf gemacht: „Ja, sind wir auch.“ – Bei genauer Betrachtung wird klar, dass Sie sich letztendlich eigentlich nur um eine oberflächliche Betrachtung kümmern. Es geht Ihnen schlussendlich nur um ein Etikett. Zu den Ländern, die Sie genannt haben – USA, Mexiko, Brasilien –, muss ich Ihnen Folgendes mitteilen: In den USA hat der Supreme Court 2015 die Ehe für alle eingeführt. Das ist das Etikett. Was dahintersteht, ist die Realität, dass heute noch mehr als die Hälfte aller Bundesstaaten keine arbeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutz Homosexueller vor Diskriminierung hat. In Mexiko gibt es die Ehe für alle seit 2006. Nach Umfragen lehnen dort 63 Prozent der Bevölkerung homosexuelle Partnerschaften ab. In Brasilien ist die Entwicklung ganz schlimm. Auch dort stimmt nur das Etikett. Dort gibt es die Ehe für alle seit 2013. Im Jahr 2003 gab es dort 126 Morde an homosexuellen Menschen und im Jahr 2013 schreckliche 260 Morde. In den letzten fünf Jahren ist dort die Rate um 113 Prozent gestiegen. Deswegen traue ich mich, mich hierhinzustellen und zu sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns uns doch nicht nur um die Oberfläche kümmern, nicht nur um das Etikett; denn entscheidend ist das, was drin ist. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Kollege Beck: Immer wenn Sie das sagen, was Sie gerade gesagt haben, ärgere ich mich, weil dabei vollkommen unter den Tisch gekehrt wird, was politische Parteien in Deutschland, was Bundesregierungen und was auch die deutsche Gesellschaft für die Gleichstellung in diesem Land schon getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben am 28. September 2015 eine Anhörung gehabt – es ist schon angeklungen –, bei der sehr gut herausgearbeitet worden ist, dass es zur Vermeidung einer Diskriminierung eben nicht erforderlich ist, hier den Ehebegriff zu verwenden. Das sollten Sie, lieber Kollege Brunner, auch nicht mit dem Beschluss des Parteitags der CSU verwechseln. Da ging es vor allem darum, mit dem Begriff „verheiratet“ die personenstandsrechtliche Diskriminierung zu beseitigen. Das festzustellen, ist mir wichtig. Sie sehen: Auch bei der CSU gibt es einen sehr sachlichen und gewissenhaften Umgang mit diesem Thema. Da ist einfach meine Bitte, das nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Auch Sie haben immer von „Gleichstellung“ gesprochen. Da ging es ja nie um die Einführung desselben Begriffs, vielmehr haben Sie mit dem Begriff der Gleichstellung immer schon zu verstehen gegeben: Es sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe, die letztendlich gleichbehandelt werden sollten. Kollege Beck, ich muss Ihnen widersprechen: Das gesellschaftliche Verständnis der Ehe hat sich doch nicht gewandelt. Die Ehe ist heute noch mit Abstand die Form für das persönliche Zusammenleben von Menschen, die am meisten gewählt wird. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Drittel sind für die Öffnung der Ehe!) 70 Prozent aller Kinder werden in Ehen groß. Zu diesem Thema hat kürzlich ein sehr kluger Mann etwas geschrieben. Kollege Beck, hören Sie zu! Es ging um die moderne Lebensgestaltung. Diese Person schreibt – ich werde den Namen gleich nennen –: Es geht darum, dass jeder nach seiner Fasson leben kann, und nicht darum, traditionelle Lebensformen abzuwerten oder die Individualisierung ins Extrem zu treiben. Individualismus darf nicht zum Egoismus werden, sonst wird gesellschaftlicher Zusammenhalt unmöglich. So ist und bleibt die klassische Ehe die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen – und das ist auch gut so. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das gesagt, das Zitat?) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Hoffmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, was Ihre Redezeit verlängern könnte? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür hat er das ja auch zitiert! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Erst den Namen!) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Mit großem Vergnügen, Herr Präsident. Unbedingt. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass der Autor dieser Zeilen der Initiator des vorliegenden Bundesratsgesetzentwurfs ist? Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ja, natürlich, sehr gerne. Genau deswegen habe ich diese Zeilen vorgelesen. Ich bin damit noch gar nicht am Ende. – Es ist der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Aber ich sage Ihnen, dass genau dieses Zitat von ihm letztendlich die Botschaft transportiert, die auch uns als Union beschäftigt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja wohl im Bundesrat sehr wohl zustimmen!) Deswegen ist es zu kurz gesprungen, wenn Sie das in zwei Lager einteilen. Ich möchte zum Schluss kommen. Das ist der fünfte Punkt, den ich ansprechen möchte. In meinen Augen – diese Meinung werden Sie mir nicht nehmen – sollten wir jetzt nicht darüber diskutieren, dass wir unterschiedliche Dinge am Schluss gleich bezeichnen. Es gibt einen Unterschied zwischen der Ehe und der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worin besteht der?) Das ist nicht die Verbindlichkeit, das ist nicht die Fähigkeit, zum Beispiel einem Kind eine Heimat, ein gutes Zuhause zu geben, sondern der Unterschied ist, dass aus einer Ehe Kinder hervorgehen können. Ich bitte dafür um Verständnis und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie aber die älteren Herrschaften in Zukunft verpartnern, wenn Sie dieser Logik folgen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/6665 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Anderweitige Vorschläge gibt es erkennbar nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes Drucksache 18/10009 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss A. f. Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe niemanden, der nicht damit einverstanden wäre.8 Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10009 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Anderweitige Vorschläge gibt es nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10246 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, dass Sie alle mit dieser Redezeit einverstanden sind. Dann ist diese auch so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier. (Ute Vogt [SPD]: Genau, weil ihr immer die gleichen Anträge stellt!) Warum befinden wir uns beim Gentechnikanbau eigentlich noch immer in diesem Film? Hat nicht Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag und in zahlreichen Debatten hier im Hohen Haus mehrfach versprochen, dieses Thema endlich abzuhaken? Aber das ist wie beim Klimaschutzplan heute früh: Versprechen alleine nutzen nichts; man muss die Versprechen auch halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehören eine klare Regelung, dass auch neue Gentechnik Gentechnik ist, ein klares Gesetz für sichere, verlässliche, bundesweit einheitliche und dauerhafte Anbauverbote und – darum geht es heute – die klare Ablehnung neuer Zulassungen von Gentech-Pflanzen in Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil Sie alle drei Punkte nicht hinbekommen wollen, versuchen Sie jetzt, sich herauszumogeln. Die Bundesregierung verspricht auf Facebook mit einem grün angehauchten Posting: „Gentechnik kommt nicht auf den Acker“. – Das sieht schick aus. Sie brüstet sich als Widerstandskämpferin gegen die EU, die den Anbau in Deutschland verbietet – ich zitiere –, „sogar wenn die Pflanzen sonst in der EU zugelassen sind“. Wer sorgt denn dafür, dass genau diese Pflanzen „sonst in der EU zugelassen sind“? Das ist doch diese Bundesregierung, weil sie in Brüssel nicht gegen deren Zulassung stimmt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und das sind Sie alle von der Koalition, die heute zum wiederholten Male eine Abstimmung darüber verhindern. Sie schieben den Schwarzen Peter nach Brüssel und glauben, Sie könnten die Menschen da draußen verschaukeln. Das ist dreist und leistet weiterer Politik- und EU-Verdrossenheit Vorschub. Das ist gerade in diesen Tagen erschreckend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zeigt weiter, dass die Rechnung der Gentechnikkonzerne aufgeht: Wer bei sich zu Hause verbieten darf, der stemmt sich nicht mehr gegen EU-Anbauzulassungen. – Genau das sind Ihre Argumente: Mit einem nationalen Anbauverbot sei es doch egal, ob in Europa zugelassen wird. – Nein, das ist es eben nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zu Hause verbieten, aber woanders zulassen, ist armselig und falsch. Schlimm genug, dass Sie dazu hier und heute nicht einmal offen stehen; aber dass Sie nicht einmal ein Gesetz für verlässliche Anbauverbote hinbekommen, sondern ein Gentechnik-Comeback-Gesetz vorlegen, das ist noch viel schlimmer. Das findet sogar der Deutsche Bauernverband. Klammheimlich wollten Sie darin gleich noch dafür sorgen, dass die neue Gentechnik künftig gar nicht mehr als Gentechnik gilt. Das ist ja praktisch: Damit schaffen Sie sich auch gleich noch diese peinliche Abstimmerei vom Hals. (Rainer Spiering [SPD]: Ich weiß nicht, wovon Harald redet!) Dieses Gesetz sollten Sie schnell in die Tonne treten. Es kommt jetzt in Brüssel bei den Anbauzulassungen auf die Stimme Deutschlands an, und zwar in allernächster Zeit. Das erfordert auch, dass wir uns hier im Bundestag vorher dazu positionieren und nicht irgendwann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vor drei Wochen haben Sie uns die Abstimmung verweigert; es sei ja noch Zeit, den Antrag nach Beratung in den Ausschüssen wieder ins Plenum zu bringen. Stattdessen haben Sie gestern im Ausschuss die Abstimmung darüber verhindert. Das ist unehrlich und unglaubwürdig. Den Kopf in den Sand stecken, schafft doch die Fakten nicht aus der Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es bleibt dabei: Es geht darum, dass in den Folgewochen in Brüssel die Tür zum Gentechnikanbau in Europa weiter aufgestoßen werden soll. Das dürfen wir nicht dulden – schon gar nicht durch eine meinungslose Enthaltung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie wirklich verhindern wollen, dass Genmais auf den Äckern wächst, dann müssen Sie in Brüssel mit Nein stimmen, und zwar umso mehr, als diese Maislinien durch ihre dauerhaft eingepflanzte Insektizidproduktion und teilweise Resistenz gegen ohnehin verbotene Herbizide auch noch besonders problematisch sind. Pollen und Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen nach wie vor nicht an Staatsgrenzen halt. Es gibt ein Problem beim Saatgut. Da gibt es Verunreinigungen. Da gilt die Schwelle von 0,1 Prozent. Es gibt ein Problem mit der invasiven Teosinte, der Urmaissorte in Spanien. Da besteht die Gefahr der Auskreuzung. Wer diese Zulassungen nicht ablehnt, der ermöglicht sie. Wer hier nicht mal darüber abstimmen will, der hat Angst vor den Wählern. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Kees de Vries das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Kees de Vries (CDU/CSU): Mein sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Sie kennen mich inzwischen und wissen, dass ich immer darauf bedacht bin, sachlich zu bleiben, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich bislang noch nicht gemerkt!) ganz einfach, weil ich davon ausgehe, dass jeder hier in diesem Hohen Hause – trotz manchmal sehr unterschiedlicher Meinungen oder Sichtweisen – das Ziel hat, Deutschland nach vorn zu bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute tue ich mich sehr schwer damit, sachlich zu bleiben; denn in dieser Sache ist alles, was wir hier zu diskutieren haben, klar. Das haben wir auch schon gestern im Ausschuss festgestellt. Die drei zur Diskussion stehenden Maissorten MON 810, MON 1507 und Bt 11 werden in Deutschland nicht angebaut werden. Das ist eindeutig gesetzlich geklärt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Unser Minister Christian Schmidt hat die Antragsteller aufgefordert, das deutsche Bundesgebiet vom Anbau ihrer Produkte auszuschließen. Diesem Wunsch wurde nachgekommen. Damit ist klar: Deutschland bleibt gentechnikfrei. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann wollen Sie zustimmen in Brüssel, oder was?) Das dürfte sogar Ihnen seit 2015 bekannt sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum treffen wir uns dann hier zu so später Stunde? (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt nicht an uns!) Als tierhaltender Landwirt habe ich überhaupt kein Problem mit dem Einsatz um diese Uhrzeit. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte keine Arbeitsverweigerung hier!) Wenn eine Kuh kalbt, Harald, krank oder ausgebrochen ist, weiß ich, weshalb ich ran muss, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich dann etwas verdiene. Hier haben wir unser nicht geringes Einkommen sicher. Trotzdem bin ich empört, dass die Abgeordneten der Grünen ihre Kollegen zu einer so späten Stunde herbeizitieren, nur um politisch zu punkten. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hätten letzte Woche abstimmen können!) Der Bundesparteitag steht vor der Tür. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der letzten Woche hatten wir eine bessere Debattenzeit! Da hätten wir abstimmen können! Dann hätten wir heute nicht mehr antreten müssen!) – Hast du Zeit? – Gut. Ich kann das leider nicht anders als einen erneuten Versuch sehen, den Wählern Angst vor etwas Unbekanntem zu machen, um sich nachher als Retter der Menschheit darzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die Abstimmung verhindert?) Lieber Kollege Ebner, du hast in diesem Zusammenhang gestern die Begriffe „irreführend“ und „populistisch“ gebraucht. Eben habe ich die Worte „verschaukeln“ und „dreist“ verstanden. Ich könnte diese Worte jetzt postwendend in einem anderen Kontext zurückgeben. Aber ich denke, ich sollte das besser lassen. Auch so wird mich jeder verstanden haben. Bei jedem Wort, das ich in dieser Sache weiter verschwende, ist es nur schade um die Zeit. Deshalb danke ich für die Aufmerksamkeit. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die beste Zehnminutenrede in diesem Hause!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Du hast jetzt sechs Minuten mehr!) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Das grenzt eher an Arbeitsverweigerung. (Zuruf von der CDU/CSU: Das mag bei den Linken so sein!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Mit ihrem Antrag wollen die Grünen heute erneut erreichen, dass die Bundesregierung die Anbauzulassung für drei gentechnisch veränderte Maislinien in Brüssel ablehnt, darunter das berühmt-berüchtigte MON 810, das tatsächlich einige Jahre in Deutschland angebaut wurde, bis Ilse Aigner – von der CSU übrigens – als Bundesagrarministerin diese Linie bundesweit verbot, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weil es neue Hinweise darauf gab, dass die einheimische Insektenwelt eben doch gefährdet ist. Unterdessen sagen übrigens selbst Landwirtinnen und Landwirte, dass sie die Pflanzen überhaupt nicht brauchen. Alle drei Maislinien stammen aus den einschlägig bekannten Häusern: Monsanto, DowDupont und Syngenta. Allein diese Namen lassen bei mir zumindest die Alarmglocken schrillen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber leider verhindert das EU-Zulassungsverfahren keine riskanten Pflanzen. Das ist das eigentliche Problem. Es hat zu viele Schlupflöcher. Zum Beispiel untersucht die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, potenzielle Risiken eben nicht selbst, sondern prüft nur auf Grundlage der Unterlagen der Hersteller. Das ist weder ein unabhängiges noch ein transparentes Verfahren. Andere Risiken werden erst gar nicht geprüft, zum Beispiel Langzeitwirkungen; ethische Bedenken oder Verdrängungseffekte für konventionelle Pflanzenzüchter werden nicht berücksichtigt. Deshalb bleibt die Linke bei ihrer Hauptforderung: Das Zulassungsverfahren muss endlich fit gemacht werden, damit Risikopflanzen gar nicht erst zugelassen werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Aber es geht eben um viel Macht, und es geht um viel Geld. Deshalb ist der Widerstand sehr hartnäckig. Aber ich sage auch: Auch wir sind hartnäckig. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der kritische Geist in den Mitgliedstaaten ist längst geweckt. Es ist gut, dass in Brüssel eben nicht die EFSA entscheidet, sondern politische Gremien. Allerdings ist in den politischen Gremien seit Jahren Blockade angesagt, leider mit konzernfreundlicher Unterstützung der Bundesregierung. Sie stimmt einer Zulassung zwar nicht zu, aber weil die Union dafür, die SPD aber dagegen ist, enthält sich die Bundesregierung regelmäßig. Aber damit kommt keine qualifizierte Mehrheit – weder dafür noch dagegen – zustande. Und deshalb kann ebenso regelmäßig die EU-Kommission ersatzweise entscheiden. Diese Ausnahme ist längst zur Regel geworden. Und am Ende – oh Wunder – wird immer zugunsten der Konzerne entschieden. Deswegen ist die Enthaltung der Bundesregierung in Brüssel eine politische Farce. Aber es geht noch absurder. Dass die Bundesregierung bei diesen drei Maislinien längst weiß, dass die Hersteller die Anbauzulassung gar nicht beantragen werden, ist gerade genannt worden. Das geht über die sogenannte Ausstiegsklausel, das Opt-out. Damit können die Mitgliedstaaten auch nach der EU-Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen den Anbau auf ihrem Territorium verhindern. Dass eine Regierung überhaupt – sei es direkt oder indirekt – Konzerne bitten soll, auf den Antrag für die Anbauzulassung einer Risikopflanze im eigenen Land zu verzichten, ist für mich als Linke, ehrlich gesagt, schon ein ziemlich absurder Vorgang. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber wenn die Bundesregierung schon den Anbau im eigenen Land verhindern will: Wieso hält sie die Risiken dann in anderen Ländern für unproblematisch? Mal abgesehen davon, dass länderübergreifende Handelsströme einen Flickenteppich von Regeln ad absurdum führen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nein, das ist allzu durchsichtig. Legen wir doch die Karten auf den Tisch: Die SPD kann sich in der Koalition nicht durchsetzen. Die Schlussfolgerung daraus muss sie selbst ziehen. Was aber überhaupt nicht geht, ist, dass heute erneut dem gesamten Parlament die Abstimmung verweigert wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie lange will denn die SPD die Illusion verbreiten, dass die Union irgendwann mal ihre Blockade aufgeben wird? Außerdem haben wir hier doch eine gentechnikkritische Mehrheit. Grüne, Linke, SPD und sogar einige Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU könnten heute hier ein sehr starkes Zeichen setzen. Ich sage ganz ehrlich: Ein selbstbewusstes Parlament muss dieses Zeichen setzen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache spricht die Kollegin Rita Hagl-Kehl für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Rita Hagl-Kehl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich möchte Sie explizit einmal ansprechen: Das ist derselbe Antrag, über den wir bereits in der letzten Debatte gesprochen haben. Die Situation ist auch noch dieselbe. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Deswegen werde ich jetzt in Vertretung meiner Kollegin Elvira Drobinski-Weiß, die erkrankt ist, noch einmal so ungefähr dasselbe sagen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ute Vogt [SPD]: Das ist das pädagogische Prinzip: Durch Wiederholen lernt man! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Artikel 20a des Grundgesetzes steht: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ... Ich hoffe, Sie alle kennen diesen Artikel. Das ist genau der Artikel, der für meine Fraktion zutrifft, wenn es um Gentechnik geht. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lehnen Gentechnik auf dem Acker ab. (Beifall bei der SPD – Kees de Vries [CDU/CSU]: Wir auch!) Wir wollen die natürlichen Lebensgrundlagen für die zukünftigen Generationen schützen. Vorteile für den Verbraucher gibt es kaum, aber die langfristigen Risiken für die Ökosysteme, für die Umwelt, für die Nahrungsgrundlagen sind kaum erforscht und ungewiss. Es wird behauptet, dass Gentechnik wissenschaftlich erforscht sei. Aber woher wollen wir wissen, welche Folgen es in den nächsten hundert Jahren gibt? So lange existiert Gentechnik ja noch nicht. (Beifall bei der SPD) Deshalb wollen wir – da sind wir uns durchaus mit den Grünen und den Linken einig – in Deutschland den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen untersagen. Wir wollen in Deutschland nur Forschungsvorhaben, wie sie die EU erlaubt, und keinen Flickenteppich von Regelungen. Wir brauchen endlich einen Gesetzentwurf. Er ist am 2. November im Kabinett beschlossen worden. Laut diesem Gesetzentwurf soll die Bundesregierung ein Anbauverbot erlassen. Das ist ein klarer Auftrag. Uns hätte die Vorlage des Bundesrates zwar besser gefallen, und die Länder kritisieren einiges an dem Gesetzentwurf, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht ja nachher zur Abstimmung!) zum Beispiel, dass das Einvernehmen zwischen sechs Ministerien hergestellt werden muss, bevor ein Erlass zustande kommt, dass die Zustimmung der Mehrheit der zuständigen obersten Landesbehörden nötig ist oder dass die Länder selbst tätig werden müssen, wenn der Bund es nicht tut, wobei dann immer die Frage ist, ab wann die Länder selbst tätig werden müssen. Den Prozess haben Sie – Herr Schmidt ist leider nicht da; ich muss mich an die Staatssekretärin wenden – mit diesem Gesetzentwurf leider verkompliziert. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ja warum wohl? – Gegenruf des Abg. Kees de Vries [CDU/CSU]: Wegen der Rechtssicherheit! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben es in der Hand!) Minister Schmidt hat im Oktober laut Reuters gesagt – ich zitiere –: „Mein Ziel ist ein flächendeckendes Anbauverbot …“ Wir fordern ihn als SPD-Fraktion und als Koalitionspartner auf: Handeln Sie danach! (Beifall bei der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Parlament ist der Gesetzgeber! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es geht heute um etwas anderes! Es geht um die Zulassung von drei Maissorten!) Beim Antrag der Grünen – dazu komme ich jetzt, lieber Harald Ebner – geht es um die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen auf EU-Ebene. Die sozialdemokratisch geführten Ministerien stimmen regelmäßig dagegen – das ist von Frau Dr. Tackmann schon festgestellt worden –, die unionsgeführten stimmen dafür. Damit kommen wir in der EU zu einer Enthaltung. Insofern ist die Schlussfolgerung: Leider ist das keine konsequente Haltung. (Beifall der Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE] und Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wünschen uns vom Koalitionspartner, dass er endlich geschlossen den Wunsch der Bürger respektiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Menschen wollen keine Gentechnik auf den Feldern, (Alois Gerig [CDU/CSU]: Es gibt keine in Deutschland!) und wir wollen auch, dass es keine geben wird. Dann können wir es ja per Gesetz regeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auf den Feldern gibt es keine Gentechnik, in der Tiernahrung haben wir sie. Das wäre vielleicht auch mal ein Thema, das aufgegriffen werden müsste; denn ich bin mir nicht sicher, ob der deutsche Verbraucher immer weiß, dass er die ganze Zeit schon Gentechnik mitisst – (Kees de Vries [CDU/CSU]: Genau! Kennzeichnung! Transparenz!) über die Tiernahrung, die in den guten deutschen Ställen überall brav verteilt wird. Das Anbauverbot, das wir wollen, liegt auf dem Tisch und nimmt jetzt den gesetzgeberischen Weg. Da sind wir als Gesetzgeber, als Parlament gefragt. Wir wollen, dass das gemeinsame Ziel festgelegt wird. Mit dem Antrag, der jetzt vorliegt, können und werden wir arbeiten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/10246. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über ihren Antrag in der Sache. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung. Mir ist mitgeteilt worden, dass dazu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht wird. Ich glaube, dass die Kollegin Lemke als Erste reden möchte. Ich erteile ihr hiermit das Wort. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantrage ich die Sofortabstimmung über unseren Antrag, der sich auf die Zulassung dreier gentechnisch veränderter Maissorten in Brüssel bezieht. Ja, es ist richtig, dass wir diese Debatte in der letzten Sitzungswoche hier bereits geführt haben, (Kees de Vries [CDU/CSU]: Auch sinnlos!) und ich bedauere mit Ihnen, Herr de Vries, dass wir diese Debatte in dieser Woche noch mal führen müssen. Wir sitzen wegen Ihnen hier, weil Sie in der letzten Sitzungswoche verhindert haben, dass unser Antrag hier zur Sofortabstimmung kommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Unsere Idee war, sich in dieser Woche nicht noch mal zu treffen und diese Debatte nicht noch mal zu führen. Wir waren bereits in der letzten Woche der Meinung, dass dieser Antrag abstimmungsreif war. Die Debattenbeiträge haben auch gezeigt, dass alle im Thema sind und wissen, worum es geht. Das Argument, das uns in der letzten Woche entgegengehalten worden ist, namentlich seitens der Kollegin Ziegler von der SPD-Fraktion, war, dass eine Ausschussberatung unseres Antrages notwendig sei, diese durchgeführt werden solle und man ja danach über unseren Antrag abstimmen könne. So weit, so gut. Das Problem ist, dass die Ausschussberatung inzwischen stattgefunden hat, Sie aber immer noch nicht bereit sind, über unseren Antrag abzustimmen. Deshalb stehen wir jetzt wieder hier und beantragen erneut, dass er zur Sofortabstimmung kommt; denn wir gehen davon aus, dass in Brüssel noch im November oder im Dezember abgestimmt werden kann. Ein Antrag dazu kann dort jederzeit auf die Tagesordnung gesetzt werden, und wir finden, dass der Deutsche Bundestag in einer so wichtigen Angelegenheit wie der Zulassung von gentechnisch veränderten Maissorten auf europäischer Ebene vorher klar Position beziehen und dem Minister eine klare Position mit auf den Weg geben sollte. Deshalb wollen wir, dass das Parlament sich positioniert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Herr de Vries, ich finde, es ist schon starker Tobak, uns hier Populismus vorzuwerfen, wenn Sie hier zum zweiten Mal eine Abstimmung über einen klaren Sachverhalt verhindern, und zwar ausschließlich deshalb, weil Sie nicht wollen, dass klar und transparent nach außen transportiert wird, dass Sie diese Zulassung eigentlich wollen, aber den Schwarzen Peter in Brüssel hinterlassen möchten. Sie wollen, dass die Zulassung in Brüssel passiert, aber Sie wollen hier gerne weiter gegen die Grüne Gentechnik reden und damit den Verbrauchern Sand in die Augen streuen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Scheinheilig!) – Das ist nicht scheinheilig, sondern es ist Sinn und Zweck Ihrer Operation, damit den Zwiespalt in der Großen Koalition zu überdecken. Das ist ein Problem, für das ich Verständnis habe. Aber ich habe kein Verständnis dafür, dass Sie die Verhinderung der Abstimmung über unseren Antrag hier zum zweiten Mal zelebrieren. Dann stimmen Sie gegen unseren Antrag. Haben Sie den Mumm in den Knochen, zu sagen, Sie wollen diesen Antrag nicht; Sie lehnen ihn ab. Heben Sie dann einfach beim Nein die Hand, statt dass wir uns in der nächsten Sitzungswoche wieder um 22 Uhr hier versammeln müssen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Dann haben wir Haushaltswoche!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als zweite Rednerin zur Geschäftsordnung erteile ich der Kollegin Ute Vogt für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Ute Vogt (SPD): Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche im Namen der Koalition, und ich muss sagen: Natürlich hat der Herr Ebner recht: Es ist hier Murmeltiertag. Die Grünen schaffen es Woche für Woche, diese Empörungsmaschinerie anzuknipsen und uns jedes Mal mit dem gleichen Antrag zu befassen, der aber, wie Sie wissen, auch noch im Zusammenhang mit der Beratung des Opt-out-Gesetzes steht. Das ist jetzt gerade im Kabinett gewesen. Es wird uns demnächst erreichen. Da haben wir alle Zeit der Welt, eine gute und ausführliche Debatte zu führen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat damit gar nichts zu tun!) Ich will Ihnen eines sagen: Es gibt überhaupt keinen Eilbedarf für den Antrag, den Sie heute hier vorlegen; denn das Bundesministerium hat Ihnen gestern im Ausschuss schon erklärt, dass die EU-Kommission noch nicht einmal den Termin für die anstehende Abstimmung über die Zulassung dieser Maissorten festgelegt hat. Also gibt es kein Eilbedürfnis, wie Sie es hier geltend machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zum Zweiten ist Deutschland – auch das haben Ihnen mehrere Kolleginnen und Kollegen bereits erklärt – von den Anbauzulassungsvorschlägen, wie sie im Moment vorliegen, nicht betroffen, weil wir bereits das Opt-out erklärt haben und deshalb das gesamte Hoheitsgebiet Deutschlands von dieser Zulassung ausgenommen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann mutet ihr es den anderen Ländern zu, oder was?) Das Dritte haben Sie ja selbst eigentlich schon festgestellt. Die Bundesregierung wird dem jedenfalls nicht zustimmen; denn die SPD-Seite hat schon erklärt, dass Sie bei einem Nein zu diesem Thema bleibt. Insofern brauchen Sie auch keine Sorge haben, dass eine Zustimmung erfolgen wird. (Beifall bei der SPD) Schließlich muss ich Ihnen sagen: Was Sie hier betreiben, ist wirklich überflüssiger Alarmismus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es geht Ihnen doch überhaupt nicht um die Sache. Es geht Ihnen wieder einmal um die typische Oppositionsnummer, eben mal was vorzuführen. Ich sage Ihnen: Sie haben doch jedes Recht der Welt, Presseerklärungen noch und nöcher zu machen. Da brauchen Sie doch nicht jedes Mal unsere Zeit hier in Anspruch zu nehmen mit Plenardebatten zu Dingen, bei denen im Grunde klar ist, dass wir diese Debatte letzte Woche geführt haben und dass wir sie in Kürze wieder führen werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist wirklich übel! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Angesichts dieser ganzen schrillen Töne sage ich ganz ehrlich: Ich wünsche es mir ja nicht, aber manchmal denke ich schon: Ich würde Ihnen auch hier das gönnen, was Sie in Ländern zu ertragen haben, nämlich eine schwarz-grüne Regierung. Dann wollte ich mal sehen, wie Sie Ihre Klappe wieder aufreißen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind jedenfalls der Meinung: Wir sollten anständig über den anstehenden Opt-out-Antrag diskutieren. Er verdient es, ausführlich beraten zu werden. Die Showanträge, die Sie Woche für Woche vorlegen, lehnen wir ab. (Lebhafter Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! Sehr, sehr peinlich!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nach diesem Austausch von guten Wünschen (Heiterkeit) habe ich den Eindruck, dass die Wortmeldungen zur Geschäftsordnungsdebatte erledigt sind. Wir kommen dann zu den Abstimmungen. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD – das haben wir schon geklärt – wünschen die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10246, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für Gesundheit, an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Wer für diese beantragte Überweisung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Damit ist die Überweisung beschlossen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. – Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/10246 in der Sache nicht ab. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes Drucksachen 18/9531, 18/9907, 18/10102 Nr. 7 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/10278 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann machen wir das so.9 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10278, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9531 und 18/9907 anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen Drucksache 18/10241 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Federführung strittig Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann machen wir das so.10 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10241 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim Verteidigungsausschuss; die Fraktion Die Linke wünscht die Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen. Der Antrag der Fraktion Die Linke sieht vor, dass die Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da, wo Kinder hingehören! Kinder gehören nicht ins Militär!) Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Nein. Der Überweisungsvorschlag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD – Federführung beim Verteidigungsausschuss – abstimmen. Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) Drucksachen 18/9528, 18/9837, 18/10102 Nr. 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/10289 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Psychisch erkrankte Menschen besser versorgen – Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln Drucksachen 18/9671, 18/10289 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Gegenstimmen und andere Anträge sehe ich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Ute Bertram für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Heidenblut [SPD]) Ute Bertram (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute zu später Stunde den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen, das wir auch unter dem Kürzel PsychVVG kennen. Wie so viele Gesetze hat auch dieses Gesetz einen reichlich sperrigen Titel. Jedenfalls ist er nicht so peppig wie PEPP. Dieser Gesetzentwurf ist aber sehr ambitioniert und hat eine lange Entstehungsgeschichte. Während PEPP das alte Vergütungssystem mit seinen intransparenten Budgets zugunsten eines durchgängigen, leistungsorientierten und pauschalierenden Vergütungssystems auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten ablösen sollte, kommt mit dem PsychVVG nun eine Regelung, die beide Systeme kombiniert. Man könnte, wie ich finde, auch sagen: Es kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Zur Geschichte dieses Gesetzentwurfs gehört auch das Eckpunktepapier aus dem sogenannten strukturierten Dialog, den die Bundesregierung und die Regierungskoalition mit den Berufsverbänden und den Partnern des Gesundheitswesens 2015 und Anfang dieses Jahres geführt haben. Es hat sich gelohnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Gesetzentwurf findet die weit überwiegende Zustimmung der Beteiligten und der Betroffenen. Das hat Seltenheitswert, gerade im Gesundheitswesen. Dieser Konsens mit denjenigen, die das Gesetz betrifft, ist politisch ein Wert an sich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte es deshalb nicht versäumen, den ganz persönlichen Einsatz von Bundesminister Hermann Gröhe hervorzuheben und ihm und seinem Haus sehr herzlich zu danken. (Beifall bei der CDU/CSU) An dem mit PEPP verfolgten Ziel, die Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser leistungsorientiert und mit der verbesserten Transparenz über das Leistungsgeschehen in diesen Einrichtungen auszugestalten, halten wir mit dem PsychVVG fest. Doch die bislang vorgesehene schematische Konvergenz zu landeseinheitlichen Preisen entfällt. Stattdessen stärken wir die Verhandlungskompetenz der Vertragsparteien vor Ort. In Abkehr von PEPP wird das Entgeltsystem, das die Vertragsparteien auf Bundesebene ausgehandelt haben, nun als Budgetsystem ausgestaltet. Die bislang vorgesehene Anwendung als Preissystem wird aufgegeben. Wir erwarten von diesem Entgeltsystem, dass es leistungsorientierte Budgetvereinbarungen ermöglicht. Zusätzlich erwarten wir mehr Transparenz über das Leistungsgeschehen. Die Kalkulation des Entgeltsystems und seiner bundeseinheitlichen Entgelte erfolgt weiterhin auf der Grundlage empirischer Daten unter Verwendung der Kostendaten der Kalkulationshäuser. Deren bisherige Arbeit war somit nicht umsonst. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit Unterstützung dieses bundesweit und empirisch kalkulierten Entgeltsystems wird das Budget der einzelnen Einrichtung vereinbart. Hierbei werden regionale und strukturelle Besonderheiten in der Leistungserbringung berücksichtigt. Einen besonders hervorzuhebenden Baustein für die Budgetfestsetzung bilden die Personalkosten, was bei der Psychotherapie als der „sprechenden Medizin“ allerdings auch naheliegt. Von 2017 bis Ende 2019 wird die Psychiatrie-Personalverordnung scharf gestellt und ab 2020 durch verbindliche Mindestvorgaben abgelöst, die der G-BA im Rahmen der Richtlinien zur Qualitätssicherung festlegt. In Verbindung damit ist zu sehen, dass die Einrichtungen gegenüber den Kassen und auch gegenüber dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, dem InEK, die tatsächlich entstandenen Personalkosten und die besetzten Stellen nachzuweisen haben. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart worden, dass das Entgeltsystem auch die sektorenübergreifende Behandlung fördern muss. Mit dem PsychVVG wird nun die Möglichkeit eröffnet, dass psychiatrische Krankenhäuser mit regionaler Versorgungsverpflichtung und Allgemeinkrankenhäuser mit selbstständigen psychiatrischen Abteilungen unter bestimmten Voraussetzungen eine, wie es im Gesetzestext heißt, „stationsäquivalente psychiatrische Behandlung“ durchführen können. In Fachkreisen ist dies besser unter dem Begriff „Home Treatment“ bekannt. Eine sektorenübergreifende Behandlung im eigentlichen Sinne ist das Home Treatment nicht. Es ist ein Einstieg der vorsichtigen Art. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen haben wir immerhin zwei Bremsklötze gelöst, indem wir die Erfordernisse einer akuten Krankheitsphase und eines kompensatorischen Bettenabbaus gestrichen haben. Das PsychVVG hat sich im Laufe der Beratungen außerdem zu einem Omnibusgesetz entwickelt. Dazu wird es noch weitere Ausführungen meines Kollegen Reiner Meier geben. Ich empfehle, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Nur ganz kurz zum Entschließungsantrag der Grünen: Ich glaube, wir haben einige der Forderungen, die in Ihrem Antrag enthalten sind, umgesetzt. Die Schiedsstelle für Soziotherapie und auch der Nachweis der Personalstandards seien angeführt. Insofern ist es aus meiner Sicht unberechtigt, diesem Gesetzentwurf jetzt Unzulänglichkeit zu bescheinigen. Daher lehnen wir Ihren Antrag ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde sprechen wir über dieses Thema. Die Historie ist dabei nicht ganz unwichtig. Kaum jemand erinnert sich noch an Herrn Bahr, der als FDP-Gesundheitsminister das pauschale Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik einführen wollte, eine Art Fallpauschalen, die wir mit allen problematischen Wirkungen bereits in den normalen Krankenhäusern kennen. Das war natürlich hochgradiger Unsinn; denn es ist klar, dass dies gerade bei den psychischen Erkrankungen nicht funktionieren kann. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bei einer gleichen Diagnose, zum Beispiel Depression, kann es extrem unterschiedliche Behandlungsverläufe geben, die sich einer Pauschalisierung völlig entziehen. Es funktioniert ja eigentlich auch schon jetzt nicht in den somatischen Krankenhäusern. (Beifall bei der LINKEN) Es gab daher erheblichen Widerstand von Fachgesellschaften, Patientenorganisationen, Gewerkschaften, Klinikleitungen usw. Das führte zunächst zu einer Aussetzung des Vollzugs, zu einem Moratorium, und anschließend zu diesem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen. Dies ist ein wunderbarer Titel. Die Tatsache, dass uns das sozusagen aufgegeben werden musste, war und ist ein großer Erfolg dieses Widerstands. Es zeigt sich einmal mehr: Widerstand lohnt sich. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Allerdings folgte der Freude über diesen Erfolg eine gewisse Ernüchterung. Von vielen Akteuren war die Einschätzung zu hören, dass sie zwar die krankenhausindividuellen Entgeltverhandlungen begrüßen würden, dass aber der leistungsgerechte Vergleich der Einrichtungen, bei dem nach wie vor die durch PEPP ermittelten Daten verwendet werden, zu einer Art PEPP durch die Hintertür führe. Diese Einschätzung teilen wir. Trotz Verbesserungen in Einzelheiten – nicht zuletzt durch die Anhörung – bleibt also die Grundausrichtung dieser Finanzierungsreform aus unserer Sicht falsch. Sie setzt nicht auf eine Finanzierung, die sich am notwendigen Behandlungsbedarf orientiert, sondern setzt ähnliche Fehlanreize, wie sie durch PEPP zu befürchten waren und wie wir sie aus den normalen Krankenhäusern schon kennen. Frühe Entlassungen, Drehtüreffekte und Ähnliches sind hier zu nennen. Die Personalregelungen, die als Vorgaben immerhin im Gesetzentwurf enthalten sind, sind aus unserer Sicht unzureichend. Zusätzliche Mittel dafür – so geht es aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage von mir hervor – werden nicht eingestellt, und die Entwicklung der Personalvorgaben alleine in die Hände von Kassen und Krankenhäusern zu legen, ist nicht zielführend. (Beifall bei der LINKEN) Wichtige Gruppen wie Patientenorganisationen, Fachgesellschaften und die Wissenschaften sind außen vor. Eine Behandlung von psychisch erkrankten Menschen im häuslichen Umfeld statt auf Station zu ermöglichen, ist grundsätzlich positiv, und immerhin haben Sie geregelt, dass kein Zwang mehr besteht, im gleichen Umfang Stationsbetten abzubauen. Es bleibt allerdings das Problem einer sinnvollen Verzahnung mit bereits bestehenden ambulanten Versorgungsstrukturen, also von möglichen Doppelungen, von möglicher Konkurrenz und des Abbaus von Versorgungsnetzen. Die Schlussfolgerung für uns lautet: Der Gesetzentwurf enthält einige gute Ansätze. Er ist letztendlich aber nicht nur unzureichend geblieben – dann würden wir uns enthalten –, sondern hält auch noch an der falschen Logik eines pauschalierten Entgeltsystems fest. Deswegen werden wir ihn ablehnen, und deshalb haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Einen guten!) mit dem das eigentlich gute Projekt wieder auf ein vernünftiges Gleis gesetzt werden soll. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich noch zum Thema Omnibus kommen. Der Gesetzentwurf ist ein Transportmittel für ganz andere Dinge. Besonders hervorzuheben ist der Griff in die Rücklagen des Gesundheitsfonds von 1,5 Milliarden Euro. Es handelt sich dabei um ein klassisches Wahlkampfgeschenk, das dazu dienen soll, im Wahljahr 2017 einen weiteren Anstieg der Zusatzbeiträge, die die Versicherten ja alleine tragen müssen, zu vermeiden. Das ist allerdings ein Einmaleffekt. Der Zusatzbeitrag wird in 2018 umso stärker ansteigen müssen. Aber das ist dann ja nach der Wahl. Insofern ist das der jetzigen Regierung offensichtlich egal. Ein richtiger politischer Skandal ist die Begründung für diesen Griff in den Gesundheitsfonds. Sie lautet nämlich, dass durch die Zusatzkosten das Nachrücken von Flüchtlingen in die GKV abgedeckt werden müsse. Das ist meines Erachtens relativ problematisch und ein echter Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Später ist Minister Gröhe von dieser Begründung teilweise wieder abgerückt, vor allen Dingen deswegen, weil mehrere Kassen öffentlich erklärt haben, dass sie das Geld zwar nehmen, für diesen Zweck aber eigentlich nicht benötigen würden. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Weinberg, achten Sie bitte auf die Zeit. Harald Weinberg (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. – Dieser falsche Zusammenhang, der hier hergestellt wurde, ist im Raum und wirkt in einer Zeit, in der wir gemeinsam Verantwortung dafür haben, dass der Rechtspopulismus nicht weiter bedient wird, schlecht, und ich meine, hier müssen wir alle miteinander aufpassen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dirk Heidenblut (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich ist es geschafft – es war ein langer Weg –: Wir haben ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Lieber Herr Kollege Weinberg, nicht nur der Titel ist gut, sondern der gesamte Gesetzentwurf, und darauf können wir stolz sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gestatten Sie mir als jemand, der wirklich seit Beginn dieser Legislaturperiode dafür gekämpft hat, dass wir PEPP in den Griff kriegen, zu sagen, dass ich sehr froh bin, dass wir es geschafft haben und ihm zumindest die wesentlichen problematischen Reißzähne, die gerade den Schwerstkranken schwer zu stehen gekommen wären, gezogen haben. PEPP ist nicht weg; das will ich gerne einräumen. Es ist nun aber Teil eines Gesamtsystems, eines Budgetsystems, in dem es auf jeden Fall nicht mehr als Preisfindungsmechanismus dient. Das war einer der zentralen Problempunkte. (Beifall bei der SPD) Wir haben diesen guten Gesetzentwurf – das will ich ausdrücklich sagen – einem strukturierten Dialog zu verdanken, den wir dank unserer relativ schnellen Verlängerung der Optionsphase ermöglicht und bewusst auf den Weg gebracht haben. Ich bin allen Beteiligten, den Verbänden und den Ministerien, sehr dankbar dafür, dass man das aufgegriffen hat. Ich bin an dieser Stelle vor allem den Verbänden dafür dankbar, dass sie gemeinsam, vernünftig und strukturiert an einer Lösung mitgearbeitet haben. Deshalb sage ich, Herr Weinberg: Zumindest nach dem, was ich höre, wird der Gesetzentwurf unisono als durchaus gut und passfähig bezeichnet, und das ist er eben auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, wir haben den parlamentarischen Prozess genutzt – die Kollegin hat das schon klargemacht –, um einen guten Entwurf noch ein bisschen besser zu machen; denn nichts, was gut ist, könnte nicht noch besser werden. Das haben wir mit 29 Änderungsanträgen auf den Weg gebracht. Ich kann nur wenige Punkte aufgreifen; aber das will ich gerne tun. Wir haben etwas mehr präzisiert, wie die strukturellen und regionalen Besonderheiten in die Budgetfindung einfließen sollen, damit gerade hier das, was für die Patienten wichtig ist, auch Berücksichtigung findet. Wir haben aber vor allen Dingen die Kritik in der Anhörung aufgegriffen, dass der Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie, der allerdings einer besonderen Betrachtung bedarf, im Entwurf vielleicht nicht ganz optimal abgebildet war, und haben dafür gesorgt, dass hierbei der Fokus stärker auf die Besonderheiten von Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgerichtet wird. (Beifall bei der SPD) Wir haben das neue Instrument Home Treatment, stationsäquivalente Versorgung, eingeführt und dieses Instrument jetzt noch einmal geschärft; denn wir haben die im Gesetz vorgesehene unsinnige Verknüpfung mit dem Bettenabbau eliminiert. Das hat – lassen Sie mich das sagen – nicht nur die Frage aufgeworfen, ob das möglicherweise als Finanzanreiz ein Problem wäre. Meines Erachtens hat es auch eine inhaltliche Bedeutung. Ich habe die Umstellung der Eingliederungshilfe vom stationären auf den ambulanten Bereich selbst mitgemacht. Da war es für viele Menschen wichtig, zu wissen, dass das Bett noch nicht weg ist, es sozusagen eine Rückkehrsicherheit gibt. Ich glaube, das ist auch für die Akzeptanz dieser Regelung ein durchaus nicht unwichtiger Aspekt. Zudem haben wir dafür gesorgt, dass die Akutversorgung nicht zu eng geführt wird und wir am Ende womöglich gar keinen Personenkreis haben, der von dieser Lösung Gebrauch machen kann. Jetzt ist es an den Kliniken und natürlich an den Patientinnen und Patienten – denn es geht nur mit deren Wunsch und Willen –, diese durchaus gute Möglichkeit zu nutzen. Ich sage ganz selbstkritisch – das zielt auch auf Ihren Antrag –: Ja, wir müssen bei der Frage der Vernetzung, bei der Frage des sektorübergreifenden Arbeitens noch viel weiter kommen. Dazu steht durchaus viel Gutes in Ihrem Antrag. Es ist aber auch vieles enthalten, was wir aufgegriffen haben. Wir haben dafür gesorgt – das war uns von Anfang an wichtig, und das war einer der größten Knackpunkte am PEPP –, dass es wieder und weiterhin eine verbindliche Richtlinie für den Personalbereich gibt. (Beifall bei der SPD) Darauf bin ich besonders stolz. Diese verbindliche Regelung wird jetzt dadurch in ihrer Verbindlichkeit geschärft, dass ein Nachweis dafür erbracht werden muss, und zwar – das haben wir nachgebessert – ab 2017 und nicht erst ab 2020, wenn die ganz neue Regelung in Kraft tritt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir finden es richtig, dass der Kostenträger bereits ab diesem Zeitpunkt einen Blick darauf hat. Wir haben auch geregelt, dass es möglicherweise zu Ausnahmebestimmungen kommen muss, damit der Übergang so gestaltet werden kann, dass es durch die Umstellung von der Psych-PV auf die neue Personalrichtlinie nicht zu Versorgungsbrüchen kommt. Aber ich sage für meine Fraktion ganz klar: Das muss, wie die Worte es ausdrücken, eine Übergangs- und Ausnahmebestimmung sein. Es ist nicht dazu gedacht, die eigentliche Personalrichtlinie zu unterlaufen. Sie muss verbindlich und für alle geltend entsprechend realisiert werden. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich noch etwas zu einem Punkt sagen, der mir ebenfalls extrem am Herzen lag und der sich auch in Ihrem Antrag findet, nämlich zur Soziotherapie. Das ist ein wirklich ganz wichtiges Angebot für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dieses Angebot gibt es schon lange; aber es kommt nicht in Gang. Warum nicht? Weil man sich über die Finanzierung schlichtweg nicht einigen kann. Wir haben endlich die dringend nötige Schiedsstelle eingeführt. Somit bin ich guter Hoffnung, dass dieses wichtige Angebot jetzt auf den Weg kommt und wir die Soziotherapie endlich flächendeckend bekommen. Das ist aus meiner Sicht im Übrigen auch eine durchaus wichtige Brücke im Hinblick auf das BTHG und die Teilhabemöglichkeiten. Insofern gibt es sehr viele Schnittstellen, die wir hiermit in den Griff bekommen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir damit den immer wieder auftretenden Drehtüreffekt „rein in die Klinik, raus aus der Klinik“ vermeiden. Wenn Fachkräfte bei der Therapiebegleitung vor Ort und bei den Möglichkeiten, die man überhaupt in Anspruch nehmen kann, helfen, dann kann das ein wichtiger Akzent sein, um ambulant vernünftig versorgt zu werden. Am Schluss noch etwas zu dem, was Sie, Herr Weinberg, angesprochen haben. Ich gebe gerne zu, dass uns die Begründung für die 1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds, die den Krankenkassen zusätzlich zufließen werden, nicht nur große Bauchschmerzen macht, sondern dass wir Ihnen an dieser Stelle klar zustimmen müssen. Es ist schlicht falsch gewesen, das so zu begründen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE] und Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will hier nicht diskutieren, wie sinnvoll diese 1,5 Milliarden Euro sind – das lässt meine Redezeit auch nicht mehr zu –; aber eines will ich in aller Deutlichkeit sagen: Dies mit der Flüchtlingslage zu verknüpfen, ist schlicht falsch und instinktlos. Das findet überhaupt nicht unsere Zustimmung. (Beifall der Abg. Hilde Mattheis [SPD]) Mit diesen Worten bitte ich Sie dennoch, diesem Gesetz zuzustimmen; denn es ist ein gutes, ein vernünftiges und für die Weiterentwicklung der Psychiatrie unverzichtbares Gesetz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, dieses PsychVVG ist eines der besseren Gesetze der Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Weiter so! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ich danke dir!) Das liegt nicht nur daran, dass bereits im Gesetzentwurf angedeutet wird, dass man eine Fehlentscheidung der letzten Wahlperiode korrigieren will; das ist ein Punkt. Es hat auch Nachbesserungen gegeben. So wurden viele Vorschläge und Forderungen aufgenommen, die die Verbände erhoben haben, die sich aber auch in unseren Anträgen – hören Sie zu! – aus der letzten und aus dieser Wahlperiode wiederfinden, allerdings nur teilweise. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tatsache ist: Wir haben Schlimmeres verhindert. Sie haben mit den stationsersetzenden Leistungen kleine Schritte für die Verbesserung der Versorgung im stationären Bereich möglich gemacht. Aber eines haben Sie nicht geschafft: Sie haben nicht die Versorgung insgesamt anders aufgestellt. Sie sind nicht die große Aufgabe, die wir längst hätten erledigen müssen, angegangen, eine sektorübergreifende, durchgängig am Bedarf der Person orientierte Versorgung zu ermöglichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da haben wir noch viel vor uns. Es fehlt die Leitidee – auch das ist ein Manko dieses Gesetzentwurfs –, wie wir in Zukunft die Versorgung im Bereich der seelischen Erkrankung organisieren wollen. Das wird dazu führen, dass es Unklarheit darüber gibt: Wann und in welchem Umfang werden die stationsersetzenden Leistungen in Anspruch genommen? Wie verhalten sich die Krankenkassen zu den Verträgen, die es für die integrierte Versorgung aus dem ambulanten Bereich gibt? Wie folgen Sie den Modellvorhaben, von denen es bundesweit bisher klägliche 17 gibt, die einen viel größeren Versorgungsanspruch einlösen und das Suchfeld sein sollen, um eine bessere Versorgung vor Ort zu gestalten? All das ist bedauerlich und führt dazu, dass wir dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen können. Wir werden uns enthalten, weil wir wichtige Schritte in die richtige Richtung sehen. Aber die eigentliche Aufgabe gehen Sie nicht an. Ich bin mir ganz sicher: In der nächsten Wahlperiode werden wir diesen Themenkomplex ganz schnell angehen müssen. Wir müssen nicht nur flexiblere Behandlungsmöglichkeiten für diejenigen finden, die bereits stationär versorgt werden, sondern auch im Vorfeld einer chronischen Erkrankung dafür sorgen, dass Menschen sehr frühzeitig die Hilfe bekommen, die sie brauchen, und zwar inklusive akuter Krisenversorgung. Heute geht das nur stationär, nicht ambulant. Es wären aber stationsvermeidende Maßnahmen möglich. Das müssen wir angehen. Ein Blick auf die Zahl der Erkrankungen zeigt, dass wir hier große Verantwortung tragen. Wenn Sie sich die Steigerungsraten anschauen, wenn Sie sich anschauen, wie viele Erwerbsminderungsrentenanträge auf diesen Bereich zurückzuführen sind, wenn Sie sich anschauen, wie lang die Wartezeiten auf allen Feldern der Versorgung im ambulanten Bereich sind – nicht nur bei der Psychotherapie, sondern auch bei den psychiatrischen Praxen –, dann stellen Sie fest: Wir haben da noch einiges zu tun. Wir stehen auch in der Verantwortung, genau dies zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem muss ich sagen: Es ist ein guter und richtiger Schritt gewesen, dass wir nicht in dieses Preissystem eingestiegen sind, sondern dass wir es tatsächlich dahin gebracht haben, und zwar weiter gehend, als Sie das im Koalitionsvertrag stehen haben, dass wir auf ein neues System umsteigen, wenngleich ich sagen muss, dass wir natürlich nicht wissen, ob dieser Umstieg auch wirklich gelingt. Die Linke hat recht: Es ist durchaus möglich, auf der Grundlage des Gesetzes PEPP durch die Hintertür einzuführen, wenn die Selbstverwaltung nicht zu anderen Lösungen findet. Auch da werden wir sehr genau hinschauen müssen, was möglich ist. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einen Wunsch habe ich noch, den ich am Ende noch gerne loswerden würde. Was spricht dagegen, dass wir tatsächlich einen Expertenrat einberufen und schauen, wie eigentlich die Versorgung im Bereich der psychischen Erkrankungen in Deutschland aussehen muss und wie wir dieses Versorgungssystem gestalten müssen, um tatsächlich adäquate Antworten für die Erkrankten zu haben? Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie einen solchen Expertenbeirat nicht möglich machen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Klein-Schmeink, bitte. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wissen, wie weit wir damals bei der Psychiatriereform gekommen sind und dass wir damals wirklich einen Quantensprung hingelegt haben. Warum soll das heute nicht möglich sein? Ich bitte Sie, in sich zu gehen, ob das nicht bei nächsten Entscheidungen noch möglich wäre. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut. Wenn wir heute die Strukturen im Bereich psychiatrischer und psychosomatischer Leistungen neu regeln, dann tun wir das in der Überzeugung, dass wir gute und ausgewogene Lösungen für die Patienten und die Leistungserbringer gefunden haben. Mit dem PsychVVG schaffen wir in Verbindung mit den heute zu beschließenden Änderungsanträgen nicht nur gerechtere und transparentere Vergütungsstrukturen, sondern auch bessere Leistungen für unsere Versicherten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kollegin Bertram hat es schon angesprochen: Mit dem Home Treatment führen wir eine neue Behandlungsform ein. Patienten werden statt im Krankenhaus daheim, in ihrer gewohnten Umgebung, versorgt. Damit bieten wir den Patienten ein neues Behandlungsangebot, das Ängste vor der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abbaut. Mit diesem Angebot schwächen wir aber nicht etwa den ambulanten Bereich. Im Gegenteil: Es bleibt eine stationäre Leistung, in die der ambulante Bereich sogar jederzeit einbezogen werden kann. Bei der Finanzierung der Einrichtungen schaffen wir einerseits transparente und leistungsorientierte Strukturen, bewahren aber andererseits die notwendige Flexibilität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insbesondere können regionale oder hausindividuelle Besonderheiten bei den Budgets künftig berücksichtigt werden. Das ist gerade auf dem flachen Land besonders wichtig, wo oft wenige Einrichtungen den Großteil der Versorgung leisten müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Bereich der verbindlichen Personalvorgaben unterstützen wir die Einrichtungen in den nächsten Jahren dabei, die Standards der Psych-PV zu erreichen. Dazu wird es bis einschließlich 2019 einen Zuschlag auf die Budgets geben, wenn die Personalausstattung im Jahr 2016 noch unter diesen Anforderungen liegen sollte. Uns ist klar, dass das notwendige Fachpersonal nicht immer und überall gewonnen werden kann. Deshalb schließen wir die Rückforderung dieser Zuschläge so lange aus, wie sie für allgemeine Personalkosten genutzt werden können. Auch das kommt letztendlich den Patienten zugute. (Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt: Die Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten stand bei diesem Gesetz immer im Vordergrund, und nicht die reine Fixierung auf ökonomische Größen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das vorliegende Gesetz mit seinen Auswirkungen weist aber auch weit über den Psych-Bereich hinaus. So legen wir den im Krankenhausstrukturgesetz eingeführten Fixkostendegressionsabschlag für die Jahre 2017 und 2018 bundeseinheitlich auf 35 Prozent fest. Auf Krankenhausebene kann in besonderen Fällen ein erhöhter Abschlag von maximal 50 Prozent verhandelt werden. Damit schaffen wir gleiche Startbedingungen für alle und vermeiden einen Flickenteppich mit regional unterschiedlichen Abschlägen. Als zuständiger Berichterstatter für die Selbstverwaltung bedauere ich, dass die Verhandlungspositionen für eine Einigung offenbar zu weit auseinanderlagen. Deshalb gestatten Sie mir an dieser Stelle den Hinweis: Die heutige Festlegung können die Verhandlungspartner durchaus als Starthilfe des Gesetzgebers für Verhandlungen des Abschlags ab 2019 verstehen. Meine Damen und Herren, die psychische Gesundheit von Patienten mit vielschichtigen Krankheitsverläufen ist ein sensibles Thema, für das wir uns viel Zeit genommen haben. Zahlreiche Anregungen und Stellungnahmen aus der Praxis sind in diesen Gesetzestext eingeflossen. Heute kann ich deshalb sagen: Das PsychVVG ist ein großer Wurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es genießt völlig zu Recht breiten Rückhalt bei den Patienten und den Fachverbänden. Ich hoffe, dass Sie diese Auffassung teilen, und darf Sie deshalb um Ihre Zustimmung bitten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10289 (neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9528 und 18/9837 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10295. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 23 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10289 (neu), den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9671 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/9981, 18/10225 – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksache 18/3563 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/10284 – Berichte des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksachen 18/10285, 18/10286 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. 11 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10284, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9981 und 18/10225 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10284, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/3563 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Drucksache 18/9757 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/10074 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch hier einverstanden.12 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10074, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9757 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas Drucksache 18/9950 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/10274 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.13 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10274, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9950 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter Jahresbericht 2015 der Bundesstelle und der Länderkommission Drucksachen 18/8966, 18/9129 Nr. 1.2, 18/10217 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.14 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10217, in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/8966 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Fluchtursachen bekämpfen – Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken Drucksachen 18/8393, 18/9658 Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. – Sie sind damit einverstanden.15 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9658, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/8393 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) Drucksache 18/9753 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/10290 Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. – Sie sind damit einverstanden.16 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10290, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9753 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 c auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. März 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Serbien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksache 18/9754 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/10090 b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksache 18/9755 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/10092 c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung Drucksache 18/9756 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/10091 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.17 Tagesordnungspunkt 30 a. Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abkommen mit der Regierung der Republik Serbien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10090, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9754 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 30 b. Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10092, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9755 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 30 c. Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abkommen mit der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10091, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9756 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 sowie den Zusatzpunkt 10 auf: 32. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum Drucksache 18/10190 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren Drucksache 18/8084 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.18 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10190 und 18/8084 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) Drucksache 18/10186 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versorgung verbessern – Kompetenzen von Heilmittelerbringern ausbauen Drucksache 18/10247 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.19 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10186 und 18/10247 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken Drucksache 18/10239 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Da sich niemand zu Wort meldet, sind Sie offensichtlich damit einverstanden.20 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10239 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung Drucksache 18/10209 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden.21 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10209 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit. (Beifall im ganzen Hause) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. November 2016, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 23.26 Uhr) Berichtigung 198. Sitzung, Seite 19723 B, zweite Spalte: Bei den Jastimmen der Fraktion Die Linke ist der Name „Halina Wawzyniak“ durch den Namen „Harald Weinberg“ zu ersetzen. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.11.2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.11.2016 Bülow, Marco SPD 10.11.2016 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 10.11.2016 Groth, Annette DIE LINKE 10.11.2016 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 10.11.2016 Hellmich, Wolfgang SPD 10.11.2016 Hintze, Peter CDU/CSU 10.11.2016 Jüttner, Dr. Egon CDU/CSU 10.11.2016 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.11.2016 Malecha-Nissen, Dr. Birgit SPD 10.11.2016 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.11.2016 Riesenhuber, Dr. Heinz CDU/CSU 10.11.2016 Ripsam, Iris CDU/CSU 10.11.2016 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.11.2016 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 10.11.2016 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 10.11.2016 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Kerstin Kassner und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 374 zu Petitionen (Zusatztagesordnungspunkt 41 j) Wir haben gegen die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses gestimmt. Die Petition beschäftigt sich mit dem Wunsch, direktdemokratische Elemente in das Grundgesetz aufzunehmen. Die Fraktion Die Linke hat in dieser Wahlperiode erneut einen Gesetzentwurf für mehr direktdemokratische Elemente im Grundgesetz vorgelegt (Bundestagsdrucksache 18/825). Leider wurde er von der Mehrheit abgelehnt. Es wäre ein widersprüchliches Verhalten, auf der einen Seite mehr direktdemokratische Elemente im Grundgesetz zu fordern, dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen und gleichzeitig der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zu folgen und das Petitionsverfahren ergebnislos abzuschließen. Dies umso mehr, als die tragenden Argumente in der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses nicht überzeugend sind. Erstens. In der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses wird argumentiert, dass auf die Einführung direktdemokratischer Elemente im Grundgesetz vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Weimarer Republik verzichtet wurde. Auch wenn dies ein Standardargument ist und ständig wiederholt wird, ist es nicht richtig. In der Weimarer Republik, also zwischen 1919 und 1933, wurden auf der Reichsebene lediglich acht Volksbegehren beantragt und davon vier zugelassen. Von diesen vier zugelassenen Volksbegehren wurden drei tatsächlich durchgeführt, und es kam zu zwei Volksentscheiden. Das auch von der NSDAP getragene Volksbegehren gegen den „Young-Plan“ zu den Reparationen (1929) überwand zwar knapp die Zulassungshürde, die Volksabstimmung darüber war aber nicht erfolgreich. Auch der zweite Volksentscheid, initiiert von KPD und SPD zur Fürstenenteignung, scheiterte. Allein dies zeigt: Das Argument „Weimarer Republik“ ist nicht tauglich, um gegen direktdemokratische Elemente im Grundgesetz zu sein. Zweitens. In der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses wird weiter argumentiert, die Ergänzung des repräsentativ-demokratischen Systems um Möglichkeiten von Volksabstimmungen oder Volksinitiativen auf Bundesebene sei komplexer als auf Landes- und Kommunalebene. Dies deshalb, weil das Grundgesetz eine differenzierte Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern enthält. Schließlich seien auch die Länder an der Gesetzgebung beteiligt. Auch dieses Argument ist nicht überzeugend. Mit einem entsprechenden Abstimmungsgesetz ebenso wie mit einer entsprechenden Grundgesetzänderung kann die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung gesichert werden. Drittens. Schließlich verweist der Petitionsausschuss auf „nicht zu unterschätzende Risiken“. Ein sachliches Abwägen der Gesellschaftsinteressen, Staatsziele, langfristigen Vorteile und auch Risiken von Entscheidungen seien eher in parlamentarischen Abläufen gewährleistet. Gerade gesellschaftlich umstrittene Vorhaben werfen komplexe Fragestellungen auf, die nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sind. Es bestehe auch die Gefahr einer „populistischen Ausnutzung“ des Instruments Volksentscheid. Aus dieser Argumentation spricht die Arroganz von Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Weder sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier weniger anfällig für Populismus als Nichtparlamentarierinnen und Nichtparlamentarier  – manchmal könnte sogar vermutet werden, es ist andersherum –, noch sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier per se klüger oder dümmer als Nichtparlamentarierinnen und Nichtparlamentarier. Über ein entsprechendes Verfahren kann sichergestellt werden, dass in der Gesellschaft ebenso eine breite Diskussion zu Pro und Contra einer zur Abstimmung stehenden Frage stattfindet als auch die Möglichkeit eingeräumt wird, ein konkret zur Abstimmung stehendes Anliegen zu verändern. Es sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass am Ende eines parlamentarischen Prozesses auch eine Abstimmung mit „Ja“ oder „Nein“ steht. Viertens. Dass der Petitionsausschuss es mehrheitlich abgelehnt hat, dem Antrag der Fraktion Die Linke zu folgen und die Petition den Fraktionen zur Kenntnis zu geben, zeugt von einer beschämenden Ignoranz. Es wäre das Mindeste gewesen, die Fraktionen von der Petition in Kenntnis zu setzen. Dies hätte ihnen nämlich die Chance eröffnet, mit den Petenten über ihr Anliegen ins Gespräch zu kommen. Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Sondergremiums gemäß § 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 7) CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h. c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE. Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Bettina Bähr-Losse, Ulrike Bahr, Sören Bartol, Petra Crone, Bernhard Daldrup, Saskia Esken, Dr. Johannes Fechner, Michael Groß, Rita Hagl-Kehl, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gustav Herzog, Christina Jantz-Herrmann, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Cansel Kiziltepe, Arno Klare, Birgit Kömpel, Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Hiltrud Lotze, Dr. Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Bernd Rützel, Sarah Ryglewski, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Marianne Schieder, Elfi Scho-Antwerpes, Ursula Schulte, Ewald Schurer, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Gülistan Yüksel und Stefan Zierke (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) Die Atomenergieerzeugung hat ein Schadenspotenzial, das unberechenbar höher ist als die Energiegewinnung aus anderen Energieträgern. Das Risiko der Atomenergieerzeugung lässt sich dauerhaft nicht beherrschen. Im Gegenteil: In menschlichen Kategorien gedacht, bergen die bis heute schon erzeugten radioaktiven Abfälle verschiedene Ewigkeitsrisiken und Zukunftslasten mit unkalkulierbaren Zukunftskosten. Das zukunftsvergessene Management der Energiekonzerne hat auch in Zeiten hoher Gewinne und höchster Gewinnabschöpfung für diese Zukunftskosten keine ausreichende Vorsorge getroffen. Die Allgemeinheit, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, haben zunächst die Atom- bzw. Plasmaforschung bezahlt und anschließend als Stromkunden Bau und Betrieb der Atomkraftwerke. Von Anfang an wurde darauf spekuliert, auch die Ewigkeitskosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Deswegen ist die Nutzung der Atomenergie in Deutschland bis heute höchst umstritten. Zu Recht hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 den Atomausstieg beschlossen. Sogar die schwarz-gelbe Bundesregierung hat – nach ihrem Zick-Zack-Kurs in der Atompolitik in 2010 – nach dem verheerenden Unglück in Fukushima zur Vernunft gefunden und einen „zweiten“ Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen. Die Kernbrennstoffsteuer – umgangssprachlich Brennelementesteuer – wurde im Jahr 2010 eingeführt. Ziel war es, die Belastung des Bundes durch die Kosten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle wenigstens ein wenig zu mindern. Mit der Steuer sollte auch die Bevorzugung der Atomindustrie gegenüber anderen Energieträgern beendet werden: Die Atomindustrie trägt in keiner Weise die Folgekosten, die mit ihrem Betrieb verbunden sind. Nur ein Bruchteil des Schadenspotenzials eines Atomunfalls muss versichert werden. Daneben profitiert die Atomindustrie vom Handel mit Emissionszertifikaten, der andere Energieträger belastet. Die Atomenergie ist dabei ebenso begünstigt wie regenerative Energieträger. Dabei ist auch die Atomenergie in keiner Weise CO2-neutral. Wer genauer hinschaut, sieht: Die Emissionen fallen vor und nach der Stromerzeugung an. Der Wettbewerb zwischen den Energieerzeugern wurde auf diese Art und Weise massiv zugunsten der Atomkraft verzerrt. Ohne sachliche Gründe zu nennen, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die Steuer bis zum 31. Dezember 2016 befristet. Die Gründe für ihre Erhebung bestehen aber heute unverändert fort. Nach wie vor trägt die Atomindustrie in keiner Weise ihre Folgekosten. Das Auslaufen der Steuer bedeutet eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomindustrie. Für uns heißt das im Ergebnis: Alle zukünftigen Generationen müssen die Kosten und das Risiko der Atomindustrie tragen, während die Gewinne über Jahrzehnte in private Taschen geflossen sind. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs (KFK) hat am 27. April 2016 ihre Empfehlungen vorgelegt. Damit sollen die Weichen für eine sichere und verlässliche Finanzierung des Ausstiegs aus der Atomenergie gestellt werden. Für die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle übertragen danach die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf den Bund. Darin enthalten sind die bisherigen Rückstellungen der Energieunternehmen und ein Risikoaufschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Die operative und finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung geht damit auf den Staat über, der auf diese Weise auf lange Sicht die Verluste der Atomenergieerzeuger übernimmt. Das verstärkt die Begründung für die Erhebung einer Kernbrennstoffsteuer. Hinsichtlich der Kosten für die Endlagerung liegt nach den Empfehlungen der KFK das Risiko für Kostensteigerungen – die über den Risikoaufschlag hinausgehen – beim Staat. Liefe die Steuer wie vorgesehen zum 31. Dezember 2016 aus, bedeutete dies eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomwirtschaft gegenüber anderen Energieträgern, auch mit Blick auf die Versicherungspflicht und den Emissionshandel. Es ist leicht zu erkennen, dass sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs für einen sehr – für viele für einen viel zu – moderaten Vorschlag verwendet hat. Wir hören, dass die Atomindustrie durch verzögerten Austausch der Kernbrennelemente versucht, die schon gesetzlich geregelte Kernbrennstoffsteuer zu umgehen. Der Austausch wird dann erst nach dem 31. Dezember 2016 erfolgen, der kalkulierte Zielwert der Steuereinnahmen also verfehlt. Der Verbrauch von Kernbrennstoffen sollte auch deshalb so lange besteuert werden, wie in Deutschland Atomkraftwerke betrieben werden dürfen. Derzeit laufen noch acht Atomkraftwerke; bei den im Atomgesetz festgeschriebenen Laufzeiten würde eine Verlängerung der Steuer etwa 5 Milliarden Euro Einnahmen bringen. Der Vorschlag zur Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes, durch den die Kernbrennstoffsteuer ohne Unterbrechung bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke bzw. 31. Dezember 2022 weiter erhoben werden sollte, wurde von der CDU/CSU abgelehnt. Der Koalitionsvertrag schließe Steuererhöhungen aus, und die Fortführung der Steuer sei eine Steueranhebung. Da die Koalition Anträge bzw. Gesetzentwürfe nur gemeinsam einbringt und wir uns an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen, gibt es weder einen Koalitionsantrag noch die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustimmen. Wir hoffen sehr, dass die Union ihre Blockadehaltung aufgibt und wir eine gemeinsame Initiative der Koalitionsfraktionen zur Verlängerung der Kernbrennstoffsteuer starten. Das sind wir kommenden Generationen schuldig. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller-Ohm, Daniela Kolbe, Markus Paschke, Jeannine Pflugradt, Detlev Pilger, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Norbert Spinrath und Carsten Träger (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) Atomenergienutzung ist mit hohen Kosten verbunden, die nicht im Strompreis abgebildet werden, sich hingegen in nicht versicherten und der Dimension nach nicht versicherbaren Risiken sowie bisher weltweit nicht geklärten Endlagermöglichkeiten wiederfinden. Gesetzliche Versicherungshöchstbeträge bedeuten im Fall eines GAU während der Betriebsphase ökonomische Lasten unermesslichen Ausmaßes für die Allgemeinheit. Mit Blick auf die Folgelasten in der nachbetrieblichen Zeit ist es darüber hinaus richtig, dass nun mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung der Weg beschritten wird, Finanzierungsrisiken im Zusammenhang mit Rückbau, Zwischenlagerung und Endlagerung einzugrenzen. Während des anhaltenden Betriebs von Atomkraftwerken, der bis zum Ausstieg im Jahr 2022 noch für acht Atomkraftwerke zutrifft, bietet derzeit die Brennelementesteuer – Kernbrennstoffsteuer – ein Instrument, das Interesse an einer volkswirtschaftlichen Kostenentlastung während der Laufzeiten von Atomkraftwerken abzubilden. Vor diesem Hintergrund erachte ich es als einen Fehler, dass bei der Einführung der Brennelementesteuer unter der schwarz-gelb geführten Bundesregierung eine Befristung auf fünf Jahre vorgenommen wurde. Aus diesem Grund, aber auch aufgrund einer nach Einschätzung der SPD-Bundestagsfraktion mit 145 Euro pro Gramm zu niedrig angesetzten Bemessungsgrundlage für die Besteuerung des Brennstoffs, hat unsere Fraktion damals gegen die Einführung der Brennelementesteuer gestimmt, sie aber gleichwohl sachlich für richtig und erforderlich gehalten. Diese Einschätzung wird von der SPD-Bundestagsfraktion und uns persönlich nach wie vor getragen. Die mit Ablauf des Jahres 2016 erforderlich werdende Verlängerung der Brennelementesteuer ist auf eine entsprechende Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen angewiesen. Bereits in den Koalitionsverhandlungen konnte hierüber mit der Unionsfraktion keine Einigung erzielt werden. Ein aktueller Sondierungsentwurf vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion für einen Antrag zur Verlängerung der Brennelementesteuer bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke wurde von der Unionsfraktion nicht mitgetragen. Eine Verlängerung der Brennelementesteuer scheitert somit nach wie vor an der ablehnenden Haltung der Unionsfraktion. Mangels Einigung mit unserem Koalitionspartner können wir dem vorliegenden, an die Bundesregierung gerichteten Antrag der Fraktion Die Linke, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vorzulegen, durch den die bislang geltende Befristung der Brennelementesteuer bis Ende 2016 aufgehoben und stattdessen die Erhebung der Brennelementesteuer bis zum Ende der im Atomgesetz festgelegten Restbetriebsdauer der jeweiligen Atomkraftwerke verlängert wird, nicht zustimmen. Wir erwarten von unserem Koalitionspartner weiterhin, die Verweigerung einer Verlängerung der Brennelementesteuer aufzugeben und gemeinsam mit der SPD-Fraktion eine für die Restlaufzeit der Atomkraftwerke wirksame Brennelementesteuer auf den Weg zu bringen. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) Heike Baehrens (SPD): Die Atomenergieerzeugung hat ein Schadenspotenzial, das unberechenbar höher ist als die Energiegewinnung aus anderen Energieträgern. Das Risiko der Atomenergieerzeugung lässt sich dauerhaft nicht beherrschen. Im Gegenteil: In menschlichen Kategorien gedacht, bergen die bis heute schon erzeugten radioaktiven Abfälle verschiedene Ewigkeitsrisiken mit unkalkulierbaren Zukunftskosten. Auch in Zeiten hoher Gewinne und höchster Gewinnabschöpfung haben die Energiekonzerne für diese Zukunftskosten keine ausreichende Vorsorge getroffen. Die Allgemeinheit, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, haben zunächst die Atom- bzw. Plasmaforschung bezahlt und anschließend als Stromkunden Bau und Betrieb der Atomkraftwerke. Von Anfang an wurde darauf spekuliert, auch die Ewigkeitskosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Die Nutzung der Atomenergie in Deutschland ist zu Recht bis heute höchst umstritten. Darum hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 den Atomausstieg beschlossen. Sogar die schwarz-gelbe Bundesregierung hat – nach ihrem Zick-Zack-Kurs in der Atompolitik in 2010 – wegen des verheerenden Unglücks in Fukushima zur Vernunft gefunden und einen „zweiten“ Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen. Die Kernbrennstoffsteuer D umgangssprachlich Brennelementesteuer   wurde im Jahr 2010 eingeführt. Ziel war es, die Belastung des Bundes durch die Kosten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle wenigstens ein wenig zu mindern. Mit der Steuer sollte auch die Bevorzugung der Atomindustrie gegenüber anderen Energieträgern beendet werden. Ohne sachliche Gründe zu nennen, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die Steuer bis zum 31. Dezember 2016 befristet. Die Gründe für ihre Erhebung bestehen aber heute unverändert fort. Nach wie vor trägt die Atomindustrie in keiner Weise ihre Folgekosten. Das Auslaufen der Steuer bedeutet eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomindustrie. Für mich heißt das im Ergebnis: Alle zukünftigen Generationen müssen die Kosten und das Risiko der Atomindustrie tragen, während die Stromkonzerne über Jahrzehnte große Gewinne realisieren konnten. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs (KFK) hat am 27. April 2016 ihre Empfehlungen vorgelegt. Damit sollen die Weichen für eine sichere und verlässliche Finanzierung des Ausstiegs aus der Atomenergie gestellt werden. Für die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle übertragen danach die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf den Bund. Darin enthalten sind die bisherigen Rückstellungen der Energieunternehmen und ein Risikoaufschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Die operative und finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung geht damit auf den Staat über, der auf diese Weise auf lange Sicht die Verluste der Atomenergieerzeuger übernimmt. Der Verbrauch von Kernbrennstoffen sollte deshalb so lange besteuert werden, wie in Deutschland Atomkraftwerke betrieben werden dürfen. Derzeit laufen noch acht Atomkraftwerke; bei den im Atomgesetz festgeschriebenen Laufzeiten würde eine Verlängerung der Steuer etwa 5 Milliarden Euro Einnahmen bringen. Der Vorschlag, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vorzulegen, durch den die Kernbrennstoffsteuer ohne Unterbrechung bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke bzw. 31. Dezember 2022 weiter erhoben werden sollte, wurde von der CDU/CSU abgelehnt. Der Koalitionsvertrag schließe Steuererhöhungen aus, und die Fortführung der Steuer sei eine Steueranhebung. Da die Koalition Anträge bzw. Gesetzentwürfe nur gemeinsam einbringt und wir uns an den Koalitionsvertrag gebunden sehen, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt weder einen Koalitionsantrag noch die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustimmen. Nur aus diesem Grund muss ich den vorliegenden Antrag ablehnen. Ich hoffe sehr, dass die Union ihre Blockadehaltung aufgibt und wir eine gemeinsame Initiative der Koalitionsfraktionen zur Verlängerung der Kernbrennstoffsteuer starten. Das sind wir kommenden Generationen schuldig. Kirsten Lühmann (SPD): Die Atomenergieerzeugung hat ein Schadenspotenzial, das unberechenbar höher ist als die Energiegewinnung aus anderen Energieträgern. Das Risiko der Atomenergieerzeugung lässt sich dauerhaft nicht beherrschen. Im Gegenteil: In menschlichen Kategorien gedacht, bergen die bis heute schon erzeugten radioaktiven Abfälle verschiedene Ewigkeitsrisiken und Zukunftslasten mit unkalkulierbaren Zukunftskosten. Das zukunftsvergessene Management der Energiekonzerne hat auch in Zeiten hoher Gewinne und höchster Gewinnabschöpfung für diese Zukunftskosten keine ausreichende Vorsorge getroffen. Die Allgemeinheit, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, haben zunächst die Atom- bzw. Plasmaforschung bezahlt und anschließend als Stromkunden Bau und Betrieb der Atomkraftwerke. Von Anfang an wurde darauf spekuliert, auch die Ewigkeitskosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Deswegen ist die Nutzung der Atomenergie in Deutschland bis heute höchst umstritten. Zu Recht hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 den Atomausstieg beschlossen. Sogar die schwarz-gelbe Bundesregierung hat – nach ihrem Zick-Zack-Kurs in der Atompolitik in 2010 – nach dem verheerenden Unglück in Fukushima zur Vernunft gefunden und einen „zweiten“ Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen. Die Kernbrennstoffsteuer D umgangssprachlich Brennelementesteuer   wurde im Jahr 2010 eingeführt. Ziel war es, die Belastung des Bundes durch die Kosten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle wenigstens ein wenig zu mindern. Mit der Steuer sollte auch die Bevorzugung der Atomindustrie gegenüber anderen Energieträgern beendet werden: Die Atomindustrie trägt in keiner Weise die Folgekosten, die mit ihrem Betrieb verbunden sind. Nur ein Bruchteil des Schadenspotenzials eines Atomunfalls muss versichert werden. Daneben profitiert die Atomindustrie vom Handel mit Emissionszertifikaten, der andere Energieträger belastet. Die Atomenergie ist dabei ebenso begünstigt wie regenerative Energieträger. Dabei ist auch die Atomenergie in keiner Weise CO2-neutral. Wer genauer hinschaut, sieht: Die Emissionen fallen vor und nach der Stromerzeugung an. Der Wettbewerb zwischen den Energieerzeugern wurde auf diese Art und Weise massiv zugunsten der Atomkraft verzerrt. Ohne sachliche Gründe zu nennen, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die Steuer bis zum 31. Dezember 2016 befristet. Die Gründe für ihre Erhebung bestehen aber heute unverändert fort. Nach wie vor trägt die Atomindustrie in keiner Weise ihre Folgekosten. Das Auslaufen der Steuer bedeutet eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomindustrie. Für mich heißt das im Ergebnis: alle zukünftigen Generationen müssen die Kosten und das Risiko der Atomindustrie tragen, während die Gewinne über Jahrzehnte in private Taschen geflossen sind. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs (KFK) hat am 27. April 2016 ihre Empfehlungen vorgelegt. Damit sollen die Weichen für eine sichere und verlässliche Finanzierung des Ausstiegs aus der Atomenergie gestellt werden. Für die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle übertragen danach die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf den Bund. Darin enthalten sind die bisherigen Rückstellungen der Energieunternehmen und ein Risikoaufschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Die operative und finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung geht damit auf den Staat über, der auf diese Weise auf lange Sicht die Verluste der Atomenergieerzeuger übernimmt. Das verstärkt die Begründung für die Erhebung einer Kernbrennstoffsteuer. Hinsichtlich der Kosten für die Endlagerung liegt nach den Empfehlungen der KFK das Risiko für Kostensteigerungen D die über den Risikoaufschlag hinausgehen  beim Staat. Liefe die Steuer wie vorgesehen zum 31. Dezember 2016 aus, bedeutete dies eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomwirtschaft gegenüber anderen Energieträgern, auch mit Blick auf die Versicherungspflicht und den Emissionshandel. Es ist leicht zu erkennen, dass sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs für einen sehr – für viele für einen viel zu – moderaten Vorschlag verwendet hat. Wir hören, dass die Atomindustrie durch verzögerten Austausch der Kernbrennelemente versucht, die schon gesetzlich geregelte Kernbrennstoffsteuer zu umgehen. Der Austausch wird dann erst nach dem 31. Dezember 2016 erfolgen, der kalkulierte Zielwert der Steuereinnahmen also verfehlt. Der Verbrauch von Kernbrennstoffen sollte auch deshalb so lange besteuert werden, wie in Deutschland Atomkraftwerke betrieben werden dürfen. Derzeit laufen noch acht Atomkraftwerke; bei den im Atomgesetz festgeschriebenen Laufzeiten würde eine Verlängerung der Steuer etwa 5 Milliarden Euro Einnahmen bringen. Der Vorschlag zur Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes, durch den die Kernbrennstoffsteuer ohne Unterbrechung bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke bzw. 31. Dezember 2022 weiter erhoben werden sollte, wurde von der CDU/CSU abgelehnt. Der Koalitionsvertrag schließe Steuererhöhungen aus, und die Fortführung der Steuer sei eine Steueranhebung. Da die Koalition Anträge bzw. Gesetzentwürfe nur gemeinsam einbringt und wir uns an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen, gibt es weder einen Koalitionsantrag noch die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustimmen. Die vielen Briefe, die ich zu diesem Thema von Menschen aus meinem Wahlkreis erhalten habe, bestärken mich in meiner Erwartung, dass die Union ihre Blockadehaltung aufgibt und wir eine gemeinsame Initiative der Koalitionsfraktionen zur Verlängerung der Kernbrennstoffsteuer starten. Das sind wir kommenden Generationen schuldig. Bernd Westphal (SPD): Mit Blick auf die Folgelasten in der nachbetrieblichen Zeit ist es richtig, dass nun mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung der Weg beschritten wird, Finanzierungsrisiken im Zusammenhang mit Rückbau, Zwischenlagerung und Endlagerung einzugrenzen. Während des anhaltenden Betriebs von Atomkraftwerken, der bis zum Ausstieg im Jahr 2022 noch für acht Atomkraftwerke zutrifft, bietet derzeit die Brennelementesteuer t Kernbrennstoffsteuer  ein Instrument, das Interesse an einer volkswirtschaftlichen Kostenentlastung während der Laufzeiten von Atomkraftwerken abzubilden. Vor diesem Hintergrund erachte ich es als einen Fehler, dass bei der Einführung der Brennelementesteuer unter der schwarz-gelb geführten Bundesregierung eine Befristung auf fünf Jahre vorgenommen wurde. Aus diesem Grund, aber auch aufgrund einer nach Einschätzung der SPD-Bundestagsfraktion mit 145 Euro pro Gramm zu niedrig angesetzten Bemessungsgrundlage für die Besteuerung des Brennstoffs, hat meine Fraktion damals gegen die Einführung der Brennelementesteuer gestimmt, sie aber gleichwohl sachlich für richtig und erforderlich gehalten. Die mit Ablauf des Jahres 2016 erforderlich werdende Verlängerung der Brennelementesteuer ist auf eine entsprechende Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen angewiesen. Bereits in den Koalitionsverhandlungen konnte hierüber mit der Unionsfraktion keine Einigung erzielt werden. Ein aktueller Sondierungsentwurf vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion für einen Antrag zur Verlängerung der Brennelementesteuer bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke wurde von der Unionsfraktion nicht mitgetragen. Eine Verlängerung der Brennelementesteuer scheitert somit nach wie vor an der ablehnenden Haltung der Unionsfraktion. Mangels Einigung mit unserem Koalitionspartner kann ich dem vorliegenden, an die Bundesregierung gerichteten Antrag der Fraktion Die Linke, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vorzulegen, durch den die bislang geltende Befristung der Brennelementesteuer bis Ende 2016 aufgehoben und stattdessen die Erhebung der Brennelementesteuer bis zum Ende der im Atomgesetz festgelegten Restbetriebsdauer der jeweiligen Atomkraftwerke verlängert wird, nicht zustimmen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michaela Engelmeier, Petra Rode-Bosse und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) Der Einsatz der Bundeswehr dient der Bekämpfung der Terrorgruppe IS und damit der europäischen und unserer eigenen Sicherheit sowie der Sicherheit aller vom sogenannten „Islamischen Staat“ bedrohten Länder. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat wiederholt festgestellt, dass die Terrororganisation „Islamischer Staat“ unverändert eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt. Zahlreiche europäische Länder, aber auch Deutschland, mussten dies schmerzlich erfahren. Selbst wenn am Ende eine tragfähige Friedensregelung in der Region nur politisch erreicht werden kann, muss der IS auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden. Aus diesem Grund haben sich 67 Staaten in der internationalen Anti-IS-Koalition zusammengeschlossen. Deutschland hat mit seinen Maßnahmen zu Luftaufklärung, Luftbetankung und Begleitung für einen französischen Flugzeugträger einen wichtigen Beitrag innerhalb dieser Koalition geleistet. Die Erfolge gegen den IS sind unübersehbar. Aktuell befindet sich der IS bereits in der Defensive. Nun gilt es, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, ergänzt um Aufklärungselemente von AWACS, die Deutschland gemeinsam mit anderen Partnern in die Koalition einbringen kann. Deutschland zeigt sich hier als verlässlicher Partner, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Für uns ist klar: Der Kampf gegen den Terrorismus kann nicht allein mit militärischen Mitteln erfolgreich zu Ende gebracht werden. Aus diesem Grund setzen wir uns für einen breiten zivilen Ansatz ein, mit dem eine Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete in Syrien und Irak angestrebt werden soll. Deutschland gehört bereits heute zu den größten internationalen Gebern für humanitäre und Wiederaufbauhilfe in der Region. Das übergeordnete Ziel bleibt eine umfassende politische Lösung für Syrien und eine dauerhafte Stabilisierung des Irak, für die sich insbesondere unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier konsequent und mit großem persönlichem Engagement einsetzt. Deutschland ist somit neben seinem militärischen Engagement ein zentraler Akteur bei Stabilisierungsmaßnahmen und den Bemühungen um einen politischen Rahmen. Für 2017 plant die Bundesregierung, ihr Stabilisierungsengagement im Irak und in Syrien unter dieser Zielsetzung fortzusetzen. Der Einsatz der Bundeswehr wird vom Deutschen Bundestag mandatiert. Es ist daher selbstverständlich, dass der Bundestag auch künftig die Möglichkeit haben muss, die deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort zu besuchen – unabdingbare Voraussetzung für jede auswärtige Stationierung der Bundeswehr. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich hierfür weiterhin mit großem Nachdruck einsetzt. Nach Abwägung aller Umstände und insbesondere der oben genannten Punkte stimmen wir dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandat zur Verlängerung des Anti-IS-Einsatzes zu. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour und Kordula Schulz-Asche (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) Im letzten Jahr hielten wir das Mandat zum Einsatz deutscher Streitkräfte zur Bekämpfung des sogenannten „Islamischen Staats“ in Syrien und Irak (ISIS) für zustimmungsfähig. Die Argumente aus dem letzten Jahr sind immer noch valide. ISIS kann man nicht militärisch besiegen. Aber man kann ihn militärisch aufhalten. Nur so kann Raum für politische Lösungen für die befreiten Gebiete geschaffen werden. Ebenso richtig war unser schneller Beistand nach den feigen und abscheulichen Attentaten am 13. November 2015 in Paris. Solidarität mit Frankreich und die Demonstration europäischer Einigkeit und europäischen Zusammenhalts angesichts dieser Anschläge auf unser aller Freiheit und unsere gemeinsamen Werte waren und bleiben wichtig. Frankreichs Ausrufung von Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages war eine angemessene Antwort auf den Terror, der uns als gesamte Europäische Union getroffen hat. Es war eine sinnvolle Anwendung unserer europäischen Instrumente und deshalb für uns in vollem Maße zustimmungswürdig. Das war in dem Moment das stärkste Zeichen, das wir als EU nach Innen und nach Außen senden konnten. Es gab letztes Jahr auch viele berechtigte Kritikpunkte. Wir mussten uns fragen: Ist eine militärische Beteiligung deutscher Soldaten in diesem Fall verantwortungs- und sinnvoll? Am Ende kamen wir in der Abwägung zu dem Ergebnis, dass wir dem Mandat zustimmen können. Wir schauen uns Mandate jedes Jahr neu an, weil sich Umstände ändern können – das ist in diesem Jahr der Fall. Wir müssen neu abwägen. Die Solidarität mit Frankreich und der europäische Zusammenhalt sowie die Notwendigkeit einer auch militärischen Bekämpfung von ISIS sind in diesem Jahr nicht weniger wichtig. Aber die Situation im Einsatzgebiet hat sich stark verändert. Russland ist inzwischen nicht mehr nur Unterstützer des Assad-Regimes, sondern ein eigenständiger militärischer Akteur im Krieg in Syrien. Die Türkei ist inzwischen substanziell sowohl im Krieg in Syrien als auch im Nordirak involviert. Die türkische Luftwaffe fliegt fast täglich Angriffe, die sich nicht auf ISIS-Stellungen beziehen, sondern auf kurdische Kämpfer. In beiden Fällen agiert die Türkei völkerrechtswidrig. Die NATO hat der internationalen Koalition zur Bekämpfung von ISIS in einem Beschluss des NATO-Gipfels am 8./9. Juli 2016 AWACS-Aufklärungsflugzeuge zugesichert, um Lagebilder zur Vorbereitung und Durchführung militärischer Operationen zu erstellen. Das Problem dabei ist, dass die erhobenen Daten über die Situation am Boden für alle NATO-Mitglieder einsehbar sind, auch für die Türkei. Erdogan hat in den letzten Wochen bewiesen, dass diese Informationen bei ihm in den falschen Händen sind. Seine aggressive Politik in Syrien und Nordirak ist von seinen eigenen Interessen, nicht von gemeinsamen Zielen der NATO geleitet. Die Bundesregierung hat auf Nachfrage im letzten Jahr gesagt, dass ausschließlich Daten weitergegeben werden, die für die Bekämpfung von ISIS relevant sind. Dies wird zum einen erschwert, da die Daten nun nicht mehr von Deutschland für die Koalition erhoben werden. Zum anderen gibt es Frontlinien zwischen ISIS und kurdischen Kämpfern. Informationen hierüber sind also sowohl für die Bekämpfung ISIS relevant, als auch für Erdogans eigenen Krieg gegen die Kurden. Es gibt in der aktuellen komplexen Gemengelage keine Daten, die nur für die Bekämpfung von ISIS relevant sind. Die Bundesregierung hat bisher darauf bestanden, dass sie der Türkei vertraue, dass diese Informationen nicht für Eigeninteressen in Bezug auf die Kurden missbraucht werden. Das ist extrem fahrlässig und naiv, wenn wir uns die besorgniserregende Entwicklung der Türkei unter Erdogan weg von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die bewusste Eskalation mit der kurdischen Bevölkerung ansehen. Außerdem gibt es nach wie vor keinen dem deutschen Bundestag vorliegenden Operationsplan, der die Einsatzregeln für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien und Irak festlegt. Eine knappe Weisung des Verteidigungsministeriums, die ursprünglich nur als Grundlage für die Erarbeitung eines Operationsplans dienen sollte, wurde kurzerhand und leise zum Operationsplan umdeklariert. Das ist kein guter Umgang mit militärischer Verantwortung und eine Missachtung der Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung und den Streitkräften. Wir stehen weiterhin solidarisch an der Seite Frankreichs. Wir sind nicht gegen eine notwendige militärische Bekämpfung von ISIS. In der Gesamtabwägung und vor dem Hintergrund der sich massiv veränderten Rolle der Türkei und Russlands stimmen wir gegen das vorliegende Mandat der Bundesregierung. Anlage 9 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) Kirsten Lühmann (SPD): Ich stimme der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes zu, weil die Notwendigkeit, den sogenannten IS auch mit militärischen Mitteln zu bekämpfen, nach wie vor besteht. Gerade jetzt, wo die Anti-IS-Koalition den entscheidenden Kampf um die IS-Hochburgen Rakka und Mossul beginnt, ist die Kontinuität dieses Auslandseinsatzes von größter Wichtigkeit. Dies sind wir den Kämpfenden, darunter vielen Kurden und Kurdinnen, schuldig. Zu Recht pochen wir aber auf die Bedingung, dass der Einsatz von türkischem Boden nur fortgeführt werden kann, wenn sichergestellt ist, dass wir Abgeordneten ungehinderten Zugang zu den deutschen Soldaten und Soldatinnen haben. Diese Bedingung ist für eine Parlamentsarmee unerlässlich. Daher ist es auch zwingend geboten, Alternativstandorte für diesen Bundeswehreinsatz auszuloten. Außerdem sind die gezielten Verzögerungen bei den Verbesserungen der Unterbringungsbedingungen für unsere Einsatzkräfte nicht tragbar. Daher war für mich, um dem Antrag zustimmen zu können, die Protokollerklärung der Bundesregierung über die Suche nach Alternativstandorten zwingend. Da sich der Antrag auf den Einsatz bezieht und keinen Einsatzort vorsieht, können und sollten die Soldaten und Soldatinnen bei Vorliegen eines guten Alternativstandortes sofort dorthin verlegt werden. Mir ist – auch aufgrund meiner aktuellen Besuche – bewusst, dass die innenpolitische Lage in der Türkei aufgrund der Einschränkung demokratischer Grundrechte besorgniserregend ist. Eine Unterbrechung des Kampfes gegen den sogenannten IS ist darauf jedoch keine geeignete Antwort. Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Zum vorliegenden Antrag der Bundesregierung über eine Fortsetzung und Ausweitung des militärischen Engagements der Bundeswehr in Syrien nehme ich wie folgt Stellung: Bereits im vergangenen Jahr habe ich mich gegen den Einsatz der Bundeswehr im syrischen Bürgerkrieg ausgesprochen. Gerade die undurchsichtige Gemengelage zwischen den zahlreichen Konfliktparteien spricht gegen eine Intervention Deutschlands. Zusätzliche Aktivitäten der unterschiedlichen Regionalmächte, religiöser Fanatismus und der Einsatz Russlands und der NATO haben zu keiner Entspannung beigetragen. Trotz internationaler Maßnahmen kommt es in Syrien immer wieder zu neuen Gewaltexzessen. Ein Ende ist derzeit nicht absehbar und eine Einigung der Konfliktteilnehmer in weite Ferne gerückt. Vonseiten der UNO gibt es kein Mandat für konzertierte Maßnahmen der Staatengemeinschaft in Syrien. Entsprechende Resolutionen werden im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert. Gleichzeitig führten die innenpolitischen Konflikte im Partnerland Türkei und die Diskussionen um den Stützpunkt Incirlik in den vergangenen Monaten wiederholt zu Irritationen über ein zielgerichtetes gemeinsames Vorgehen der Allianz. Leider bleibt der Regierungsantrag ein deutliches Ausstiegsszenario schuldig. Die Bekämpfung des islamistischen Terrors, des sogenannten IS, wird allein mit militärischen Mitteln nicht gelingen. Außerdem legt das fragile Gefüge des Nahen Ostens ein vorsichtiges Agieren in dieser Region nahe. Unüberlegte Einsätze westlicher Staaten haben das Potenzial, die Region zusätzlich zu destabilisieren. Die Folgen des Irakkrieges, einer militärischen Intervention ohne Exit-Strategie, sind noch immer spürbar. Deutschlands Rolle als Konfliktpartei schwächt zusätzlich unsere diplomatische Glaubwürdigkeit. Bei internationalen Verhandlungen und Konferenzen genießt die Bundesrepublik ein besonderes Maß an Vertrauen und ist Ansprechpartner für unterschiedliche Lager. Die zunehmende Abkehr von der geübten militärischen Zurückhaltung erschwert außerdem die Arbeit des Auswärtigen Amtes, friedliche Lösungen am Konferenztisch zu erreichen. Der Einsatz der Bundeswehr in Syrien trägt weder zum Ende des Bürgerkrieges bei, noch kann die nachhaltige Bekämpfung des religiösen Fanatismus im Nahen Osten durch militärische Einsätze gelingen. Daher versage ich dem Antrag meine Zustimmung. Klaus Mindrup (SPD): Seit geraumer Zeit blicken wir mit großer Sorge auf die Lage in Syrien und den Irak. Die Terrormiliz IS hat sich in weiten Teilen dieser Länder ausgebreitet und damit ihre menschenverachtende Ideologie verbreitet. In den vergangenen Monaten erzielten vor allem kurdische Kämpfer militärische Erfolge gegen die Terrormiliz. Gleichzeitig fanden in der Türkei systematische Angriffe auf den Rechtsstaat und die Pressefreiheit statt, die wir als Demokraten nicht billigen können. Angefangen mit Entlassungen von Staatsbediensteten, Verhaftungen von Andersdenkenden und nun auch Unterdrückung und Verfolgung von gewählten oppositionellen Abgeordneten müssen wir in der Türkei eine besorgniserregende Entwicklung beobachten. Dies kann auch nicht mit dem gescheiterten Putschversuch gerechtfertigt werden. Zusätzlich sehen wir vermehrt das türkische Militär in Kampfhandlungen gegen kurdische Kämpfer in Syrien und Irak. Dem Bundeswehreinsatz, der vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik ausgeht, kann ich aufgrund dieser aktuellen Entwicklungen in der Türkei nicht zustimmen. Dass Abgeordneten des Deutschen Bundestages zeitweise sogar der Besuch des Luftwaffenstützpunktes untersagt wurde, ist für mich ein weiterer Grund, den Antrag der Bundesregierung abzulehnen. Markus Paschke (SPD): Im vergangenen Jahr habe ich für den Einsatz gegen die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) gestimmt. Ich halte diese Entscheidung nach wie vor für richtig und stehe auch dazu. Vom IS geht weiterhin eine große Bedrohung aus. Der internationale Kampf gegen den IS hat Erfolg gezeigt und muss weitergeführt werden. Richtig ist aber auch, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Unsere Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir Parlamentarier tragen die Verantwortung für die Einsätze der Frauen und Männer der deutschen Bundeswehr. Schon allein deshalb ist es das Recht aller Bundestagsabgeordneten, unsere Soldatinnen und Soldaten dort, wo sie stationiert sind, zu besuchen. Bisher ist dies jedoch seitens der türkischen Regierung nicht sichergestellt. Im Gegenteil, dieses Besuchsrecht ist vom guten Willen der türkischen Regierung abhängig. Einen solchen Umgang mit Vertretern unseres Parlamentes verurteile ich und lehne ihn ab. Zudem konnte bis jetzt immer noch keine Einigung über die Investitionen in die Soldatenunterkünfte erzielt werden. Es kann nicht sein, dass unsere Angehörigen der Bundeswehr in Unterkünften untergebracht werden, die von der amerikanischen Armee als „unbewohnbar“ aufgegeben worden sind. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Und auch die politischen Rahmenbedingungen in der Türkei, wo sich der Stützpunkt für den heute abzustimmenden Einsatz befindet, sind inzwischen unsicher, wenn nicht sogar gefährlich. Die Handlungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit den Verhaftungswellen gegen Journalisten und Oppositionspolitiker, massenhaften Entlassungen von Richtern und der Krieg gegen Kurden führen zu einer Radikalisierung und Spaltung der türkischen Gesellschaft. Die Stimmung in der Türkei wird zunehmend explosiver, und dies kann Auswirkungen auf unsere Soldatinnen und Soldaten haben. Wir haben eine klare Verantwortung gegenüber den Mitgliedern unserer Streitkräfte. Diese Verantwortung müssen wir auch wahrnehmen. Wenn der türkische Präsident öffentlich sagt, so wie in den letzten Tagen geschehen, Deutschland unterstütze den Terrorismus, dann ist für mich eine rote Linie überschritten. Dann kann ich auch nicht unsere Soldatinnen und Soldaten indirekt in seine Hände geben. Unsere Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen, reicht nicht mehr. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind für mich einfach noch zu viele Fragen ungeklärt. Daher hätte ich mir gewünscht, dass die Abstimmung verschoben oder der Einsatzort verlegt worden wäre – auch um das Engagement unseres Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Ringen um eine gute und verlässliche Lösung zu unterstützen und ihm dafür den notwendigen Raum zu geben. Aus heutiger Sicht ist es mir aus den angeführten Gründen nicht möglich, dem vorliegenden Antrag zustimmen. Daher werde ich heute gegen den Antrag „Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 stimmen. Christian Petry (SPD): Obwohl ich den Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den IS auch mit der Unterstützung deutscher Aufklärungsflugzeuge unterstütze, kann ich einer Weiterführung des Mandates der Bundeswehr auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aufgrund des Verhaltens der türkischen Regierung und des türkischen Präsidenten nicht zustimmen. Zwar ist der Luftwaffenstützpunkt Incirlik nicht Gegenstand der Mandatsverlängerung, gleichwohl ist er als Standort der Bundeswehr weiterhin vorgesehen. Der jederzeit freie und unbegrenzte Zugang der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik muss Voraussetzung einer Mandatsverlängerung sein. Dieser jederzeit freie und unbegrenzte Zugang der Abgeordneten des Deutschen Bundestages wird auch in der Protokollerklärung nicht in für mich ausreichender Form eingefordert. Florian Post (SPD): Deutschland beteiligt sich derzeit an der multinationalen Mission gegen den IS mit rund 470 Soldaten, von denen etwa 250 in dem türkischen Standort Incirlik stationiert sind. Wegen der innenpolitischen Entwicklung in der Türkei und der fehlenden Genehmigung für den Besuch eines Bundestagsabgeordneten hatte ich im Vorfeld der Abstimmung gewichtige Bedenken geäußert. Bei der Abstimmung über die Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes in Incirlik werde ich aufgrund der Protokollerklärung der Bundesregierung zustimmen. Die in der Erklärung enthaltene Zusicherung der Bundesregierung, andere Luftwaffenstützpunkte als Incirlik zu prüfen und das Parlament in geeigneter Weise darüber zu unterrichten, wird es uns gegebenenfalls ermöglichen, den Standort vorbereitet zu wechseln Der Einsatz der Bundeswehr wird vom Deutschen Bundestag mandatiert. Daher erwarte ich, dass sich die Bundesregierung weiterhin mit Nachdruck gegenüber der türkischen Regierung für die Ermöglichung von Besuchen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages einsetzen wird. Ursula Schulte (SPD): Der Einsatz der Bundeswehr dient der Bekämpfung der Terrorgruppe IS und damit der europäischen und unserer eigenen Sicherheit sowie der Sicherheit aller vom sogenannten „Islamischen Staat“ bedrohten Länder. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat wiederholt festgestellt, dass die Terrororganisation „Islamischer Staat“ unverändert eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt. Zahlreiche europäische Länder, aber auch Deutschland, mussten dies schmerzlich erfahren. Selbst wenn am Ende eine tragfähige Friedensregelung in der Region nur politisch erreicht werden kann, muss der IS auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden. Aus diesem Grund haben sich 67 Staaten in der internationalen Anti-IS-Koalition zusammengeschlossen. Deutschland hat mit seinen Maßnahmen zu Luftaufklärung, Luftbetankung und Begleitung für einen französischen Flugzeugträger einen wichtigen Beitrag innerhalb dieser Koalition geleistet. Die Erfolge gegen den IS sind unübersehbar. Aktuell befindet sich der IS bereits in der Defensive. Nun gilt es, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, ergänzt um Aufklärungselemente von AWACS, die Deutschland gemeinsamen mit anderen Partnern in die Koalition einbringen kann. Deutschland zeigt sich hier als verlässlicher Partner, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Für mich ist klar: Der Kampf gegen den Terrorismus kann nicht allein mit militärischen Mitteln erfolgreich zu Ende gebracht werden. Aus diesem Grund setzen wir uns für einen breiten zivilen Ansatz ein, mit dem eine Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete in Syrien und Irak angestrebt werden soll. Deutschland gehört bereits heute zu den größten internationalen Gebern für humanitäre und Wiederaufbauhilfe in der Region. Das übergeordnete Ziel bleibt eine umfassende politische Lösung für Syrien und eine dauerhafte Stabilisierung des Irak, für die sich insbesondere unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier konsequent und mit großem persönlichem Engagement einsetzt. Der Einsatz der Bundeswehr wird vom Deutschen Bundestag mandatiert. Es ist daher unabdingbar, dass der Bundestag die Möglichkeit haben muss, die deutschen Soldatinnen und Soldaten im Einsatz in Incirlik zu besuchen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich weiterhin mit Nachdruck für das Besuchsrecht einsetzt. Sollte die türkische Regierung dem Bundestag dieses Besuchsrecht wiederholt verweigern, sollen die Bundeswehreinheiten an einen anderen Standort verlegt werden. Die Standortalternativen sollen schon jetzt geprüft werden, damit eine Verlegung ohne zeitliche Verzögerung erfolgen kann. Nach Abwägung aller Umstände stimme ich dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandat zur Verlängerung des Anti-IS-Einsatzes zu. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 19) Bernd Siebert (CDU/CSU): 24 Islamisten wurden in der Bundeswehr enttarnt. 60 weitere Verdachtsfälle werden verfolgt. Diese Informationen konnten wir der medialen Berichterstattung entnehmen. Da der MAD der einzige Geheimdienst im Inneren der Bundeswehr ist, kann diese wichtige Information nur aus den Quellen des Dienstes stammen. Allein schon diese Tatsache macht zwei Dinge deutlich: Erstens. Es ist gut, dass wir den MAD haben! Zweitens. Es ist notwendig, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, die Extremisten, Terroristen und auch Kriminelle schon in der Phase der Bewerbung, also frühzeitig, erkennt, bevor sie in die Bundeswehr aufgenommen werden. Insgesamt bearbeitet der MAD derzeit, so ist zu hören, eine dreistellige Zahl extremistischer Verdachtsfälle, darunter Rechts- und Linksextremisten sowie die genannten islamischen Extremisten. Die Dunkelziffern dürften jedoch weitaus höher liegen. Der Wehrbeauftragte hat recht, wenn er darauf hinweist, dass Extremisten und Islamisten die Bundeswehr nicht zur Ausbildung für den Dschihad missbrauchen dürfen. Dies alles stellt eine reale Gefahr dar, die man ernst nehmen muss. Insofern sind die Bundesregierung und hier insbesondere das Bundesministerium der Verteidigung für die vorliegende Initiative zur Änderung des Soldatengesetzes zu loben; denn der Zeitpunkt der heutigen Beratung ist hochaktuell. Die Gesetzesänderung sieht vor, dass sich Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zukünftig vor dem Eintritt in die Bundeswehr einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen sollen, und zwar Berufs- und Zeitsoldaten ebenso wie auch freiwillige Wehrdienstleistende. Bisher ist dies in der Regel nur bei Verwendungen in sicherheitsrelevanten Bereichen der Fall. Darüber hinaus wird von angehenden Soldaten lediglich ein Führungszeugnis oder eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister eingeholt sowie ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung eingefordert. Aufgrund der Erfahrungen aus vielen Truppenbesuchen und aus der Arbeit als Mitglied im Verteidigungsausschuss muss ich erkennen, dass die bisherigen Maßnahmen keine umfassenden Erkenntnisse über mögliche extremistische Hintergründe eines potenziellen Bewerbers erlauben. Deswegen müssen wir hier dringend nachbessern; denn es ist eben nicht nachvollziehbar, dass für Soldaten, die mit geheimen Dokumenten zu tun haben, andere Regeln gelten als für ihre Kameradinnen und Kameraden, die im täglichen Dienst mit Kriegswaffen umgehen. Auch halte ich es für ein Gebot der Anständigkeit den vielen Tausend Soldatinnen und Soldaten gegenüber, wenn ihr Dienstherr zur Gefahrenabwehr bereits ganz am Anfang genauer hinschaut und nicht erst während der Dienstzeit. So kann Problemen und Gefahren vorgebeugt werden. Insbesondere der Prävention durch Aufklärung kommt eine wesentliche Bedeutung zu. Vorgesetzte und Mitarbeiter müssen über alle Formen des Extremismus informiert werden, damit sie mögliche Gefährdungspotenziale frühzeitig erkennen. Aber das allein genügt eben nicht. Wir wissen aus vielen Berichten, dass Extremisten, aber auch andere Schwerkriminelle, sich gezielt bei der Bundeswehr bewerben, um dort an Waffen ausgebildet zu werden und möglicherweise Einblicke in die Arbeitsweisen des sogenannten Feindes zu erhalten. Diese Menschen verhalten sich oft gezielt unauffällig. Umso dringlicher ist es, die nun vorgeschlagenen Maßnahmen so bald wie möglich umzusetzen. Wir müssen unbedingt verhindern, dass gewaltbereite Extremisten, gleich welcher Prägung, in den Genuss einer militärischen Ausbildung gelangen, um mit diesen Kenntnissen später unserem Land schwerwiegende Schäden zuzufügen. Man stelle sich einen schweren terroristischen Anschlag mit Schusswaffen vor, vergleichbar den Attacken in Paris vor knapp einem Jahr, und bei den nachfolgenden Ermittlungen kommt heraus, dass einer der Täter den Umgang mit Sturmgewehren bei den deutschen Streitkräften gelernt hat – ein absolutes Horrorszenario! Die Bundesregierung kalkuliert mit etwa 20 000 Neueinstellungen und Sicherheitsüberprüfungen von Soldaten pro Jahr. Dazu kommen die bisher schon etwa 50 000 Sicherheitsüberprüfungen sowie standardmäßige Wiederholungsüberprüfungen. Aus diesem Grund wird der Militärische Abschirmdienst wohl etwa 90 weitere Planstellen benötigen. Doch dies sollte es uns wert sein! Es ist meine feste Überzeugung, dass unsere Armee keinen Platz für Extremisten, Terroristen und Kriminelle haben darf. Diese müssen so früh wie möglich erkannt werden. Wenn sie erst einmal erkannt sind, dürfen sie keinen Zugang zur Bundeswehr bekommen. Es ist daher unsere Verantwortung als Verteidigungspolitiker, dafür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Der vorliegende Gesetzentwurf wird dazu beitragen, die Bundeswehr noch sicherer zu machen. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): In der Bundeswehr dienen von Jahr zu Jahr mehr Männer und Frauen muslimischen Glaubens. Die SPD-Fraktion begrüßt diese Entwicklung. Sie zeigt, dass zunehmend auch die Kinder und Enkel von Einwanderern sich voll und ganz mit diesem Land identifizieren. Sie alle schwören, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, und als religiöse Menschen schwören sie es in der Regel, so wahr Gott ihnen helfe. Wir können alle zusammen stolz darauf sein, dass immer mehr junge Leute mit Einwanderungsgeschichte so überzeugt von unserem Land sind, dass sie dazu bereit sind, in letzter Konsequenz ihr Leben dafür einzusetzen. Damit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich ein Bild machen können, was für tolle Leute das sind, die die Bundeswehr da gewonnen hat, empfehle ich Ihnen das Porträt eines Sohnes meines Wahlkreises Berlin-Neukölln, des Hauptfeldwebels Ferhat Alhayiroglu, das am vergangenen Montag im Berliner Tagesspiegel erschienen ist. Dazu eine Randbemerkung: Fast noch bemerkenswerter erscheint es mir, dass inzwischen auch Juden wieder in den deutschen Streitkräften dienen. Am kommenden Sonntag, dem Volkstrauertag, werde ich als Berliner Landesvorsitzender des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge wieder an einer Gedenkstunde für jüdische Gefallene des Ersten Weltkrieges auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee teilnehmen. Ihr Andenken ist von dem Land, dem sie ihr Leben geopfert haben, auf die schrecklichste Weise verraten worden. Dass dennoch heute wieder deutsche Juden als Soldaten dienen und dieser Republik so das größtmögliche Vertrauen schenken, ist ein Grund für tiefe Dankbarkeit. Das Engagement von Juden und Muslimen in den deutschen Streitkräften muss auch der Dienstherr, also letztlich dieses Parlament, würdigen und fördern. Ich würde es deshalb sehr begrüßen, wenn der Zentralrat der Juden sich dazu bereitfände, die jüdische Militärseelsorge wiederaufzunehmen, die im Ersten Weltkrieg Soldaten jüdischen Glaubens betreut hat. Und auch für den Aufbau einer islamischen Militärseelsorge wird das Bundesministerium der Verteidigung Sorge tragen müssen, indem es geeignete Partner dafür sucht. Die Bundeswehr wird als Armee des ganzen deutschen Volkes nur dann eine Zukunft haben, wenn Menschen aller Religionen, die von jeher hier verwurzelt sind oder seit jüngerer Zeit hier Wurzeln geschlagen haben, dort ganz selbstverständlich ihren Beitrag leisten. In der SPD-Fraktion sind wir überzeugt: Nur eine Bundeswehr, die sich als Spiegel dieser Gesellschaft versteht, wird ihren Auftrag auf Dauer mit voller Kraft erfüllen können. Aber wie die Gesellschaft als Ganzes, so ist auch die Bundeswehr der Gegenwart nicht frei von alten und neuen Gefahren. In der Vergangenheit hat der Militärische Abschirmdienst in einer kleinen, aber ernst zu nehmenden Zahl von Einzelfällen Rechtsextremisten ausfindig gemacht, die in der Bundeswehr eine militärische Ausbildung machen wollten, um verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. In jüngerer Zeit ist eine andere Risikogruppe auffällig geworden: Ich spreche von muslimischen Extremisten, die in der Bundeswehr militärische Fähigkeiten für den Dschihad erwerben wollen und mit denen sich auch die Gefahr von Terroranschlägen in den Standorten und Einsatzorten der Bundeswehr verbindet. Seit 2007 konnte der MAD 24 solcher Personen enttarnen. Nach Medienberichten werden circa 60 weitere Verdachtsfälle geprüft. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt den neuen Risiken Rechnung, denen die Bundeswehr als Freiwilligenarmee in einer veränderten sicherheitspolitischen Lage ausgesetzt ist. Damit Extremisten jeder Richtung nicht erst dann enttarnt werden können, wenn sie ihren Dienst bereits angetreten haben, sollen in Zukunft schon die Bewerberinnen und Bewerber einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Das wird nicht nur zu mehr Sicherheit in der Bundeswehr beitragen. Indirekt kann damit auch erschwert werden, dass gewaltbereite Extremisten die Dinge lernen, die sie brauchen, um unschuldige Menschen zu terrorisieren. Mit diesem sinnvollen Gesetz stärken wir also in schwieriger Zeit die wehrhafte Demokratie. Das sollte auch unser Leitgedanke bei der Beratung in den Ausschüssen sein. Inge Höger (DIE LINKE): Bei der Bundeswehr werden junge Menschen dazu ausgebildet, tödliches Kriegsgerät zu bedienen. Das gilt für jeden einzelnen Fall, in dem Rekrutinnen und Rekruten die Grundausbildung oder auch weitergehende Ausbildungsschritte bei der Bundeswehr durchlaufen. Deswegen ist große Wachsamkeit gefragt, was mit diesen Fähigkeiten gemacht wird oder werden kann. In anderen Worten: Die Sorgen, die ich hinter dem Gesetzentwurf vermute, teile ich weitgehend – allerdings gehen meine Sorgen deutlich weiter, und ich habe ernsthafte Zweifel, dass der vorgeschlagene Weg tatsächlich die realen Probleme löst. Als Militärkritikerin habe ich bereits mit der Tatsache, dass es diese Ausbildung zum Töten überhaupt gibt, ein Problem. Das ist besonders vor dem Hintergrund problematisch, dass es erklärtes Ziel der Ausbildung der Bundeswehr ist, Soldatinnen und Soldaten auf den Auslandseinsatz vorzubereiten. Konkret sind das häufig Kriegs- und Besatzungseinsätze. Der aktuelle Anlass für die vorgeschlagene Änderung des Soldatengesetzes ist die Angst davor, dass junge Menschen aus einer dschihadistischen Motivation heraus zur Bundeswehr gehen könnten. An dieser Stelle muss ich meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass jahrzehntelange Warnungen vor nationalistischen und rechtsradikalen Kräften in der Bundeswehr keine vergleichbare Aufmerksamkeit bekommen haben. Nach wie vor wird der regelmäßige Schwund von Waffen, Munition und Sprengstoff bei der Bundeswehr eher heruntergespielt. In der Begründung für die Gesetzesänderung wird neben der Beschwörung dschihadistischer Unterwanderung zusätzlich an den Nationalsozialistischen Untergrund erinnert. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, dass Geheimdienste keineswegs die passende Antwort auf die durchaus realen Gefahren sind. Uwe Mundlos war während seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr massiv wegen rechtsextremer Umtriebe aufgefallen. Er wurde unter anderem von der Polizei bei einer Demonstration zum Gedenken an Rudolf Heß aufgegriffen, in seiner Wohnung wurden eine umfangreiche Musiksammlung von Neonazibands und NPD-Flugblätter gefunden. Dennoch wurde er von seinen Vorgesetzten gelobt, befördert, und kurz vor Ende seiner Dienstzeit versuchte der MAD noch, ihn als Spitzel anzuwerben. So löst man keine Probleme, sondern schafft man neue. Notwendig ist eine umsichtige und sensible Personalführung. Das ist aber keine Aufgabe, für die sich ein Geheimdienst eignet. Diese Aufgabe muss die Bundeswehr auf allen Ebenen zusammen mit den jeweiligen Vorgesetzten ernst nehmen. Die zahlenmäßig bei weitem größte Gefahr geht übrigens nach wie vor von Rechtsextremen in der Bundeswehr aus. Aktuell gibt es 268 Verdachtsfälle. Dem stehen 64 mutmaßliche Sympathisanten von Dschihadisten gegenüber. Es wird befürchtet, dass diese dann entweder gegen andere Mitglieder der Bundeswehr Angriffe durchführen könnten, was bisher bei der Bundeswehr eher eine theoretische Gefahr ist, oder dass mit den gelernten Fähigkeiten terroristische Anschläge ausgeübt werden. Die Fähigkeit, Kriegsgeräte zu bedienen, ist jedoch aller Erfahrung nach nicht notwendig, um terroristische Anschläge durchzuführen. Wesentlich realer ist die Gefahr, dass Menschen, die bei der Bundeswehr den Umgang mit Kriegsgerät gelernt haben, später als Söldner ihre Fähigkeiten verkaufen. Es sind aktuell wohl etwa 30 ehemalige Soldaten nach Syrien und in den Irak ausgereist. Zusätzlich bieten Tausende deutsche Exsoldaten ihre „Dienste“ für verschiedene „Sicherheitsunternehmen“ auf dem globalen Markt an. 1990 hat die damalige Bundesregierung zwar die UN-Konvention gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern unterzeichnet. Die Ratifikation, durch die die Resolution erst verpflichtend würde, wurde jedoch von wechselnden Bundesregierungen hinausgezögert und fand bis heute nicht statt. Mir geht es hier nicht um eine Relativierung der Terrorgefahr, sondern um den Hinweis darauf, dass die nun vorgeschlagenen Schritte bestenfalls billiger Aktionismus, aber kaum dazu geeignet sind, die konkreten Probleme zu lösen. Zudem sind die Probleme wesentlich weitreichender, als die verkürzte Debatte um „islamistischen“ Terrorismus suggeriert. Vielmehr geht es darum, die Verantwortung für Fähigkeiten, die bei der Bundeswehr gelernt wurden, wesentlich grundlegender zu erkennen und auch entsprechend rechtlich und durch gute Personalführung einzulösen. Schlussendlich bleibt aber das Grundproblem: die deutsche Kriegspolitik. Es ist bekannt, dass die größte Radikalisierungsgefahr für Soldatinnen und Soldaten im Verlauf von Kriegseinsätzen existiert. Wenn sie psychisch oder auch moralisch mit der Realität der Kriege nicht klarkommen, äußert sich dies leider allzu häufig auch in gewaltförmigem Verhalten, gegen ihre Kollegen, gegen ihre Familien, aber auch gegen die gesamte Gesellschaft. Sogenannte Amokschützen sind leider nur ein Beispiel dafür. Wenn die Bundesregierung endlich Abstand nimmt von der interventionistischen Militärpolitik, dann ist dies eine wesentlich bessere Form der Gewaltprävention als alle noch so umfangreiche Überwachungspolitik. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In einem Punkt sind wir uns wahrscheinlich alle einig: Extremistinnen und Extremisten, egal ob islamistisch oder rechtsradikal, dürfen auf keinen Fall bei der Bundeswehr an der Waffe ausgebildet werden. Jeder Einzelfall ist einer zu viel! Es ist also richtig, dass die Bundesregierung in dieser Sache den Versuch unternimmt, die bisher zu laschen Regeln zu verschärfen. Es muss sichergestellt werden, dass Menschen mit extremistischem Gedankengut nicht der Bundeswehr angehören und dann das Wissen sowie die dort erlernten Fähigkeiten anschließend nicht missbrauchen können. Deshalb ist das Ziel dieser Änderung des Soldatengesetzes, eine Sicherheitsüberprüfung für Bewerberinnen und Bewerber bei der Bundeswehr einzuführen, an sich nicht falsch oder kritikwürdig. Trotzdem sehe ich aber in den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen mehrere hochproblematische Punkte und habe aus vielen Gründen großen Zweifel daran, ob die Sicherheitsüberprüfung durch den Militärischen Abschirmdienst ein geeigneter und vor allem auch ein ausreichender Weg ist, um der Gefahr zu begegnen. Wir Grüne haben mit Ihrem Gesetzentwurf ein ganz grundsätzliches Problem, das sich auf den institutionellen Rahmen bezieht. Die Bundesregierung will den Militärischen Abschirmdienst mit zusätzlichen Dienstposten verstärken und seine Aufgaben extrem ausweiten. Wir Grüne fordern seit Jahren immer wieder die Auflösung des Militärischen Abschirmdienstes. Manche Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition wollen uns hier scheinbar missverstehen oder hören nicht richtig zu. Immer wieder begegnet es mir, dass jemand versucht, unsere Position mit Absicht zu verdrehen, indem so getan wird, als wollten wir nicht die Institution des Militärischen Abschirmdienstes abschaffen, sondern seine Aufgaben. Ich möchte hier ganz klar sagen: Das ist falsch! Ich möchte Ihnen auch erklären, wie wir Grüne zu dieser Position kommen. Sowohl der Untersuchungsausschuss zum Terrornetzwerk NSU als auch der zur NSA-Spähaffäre haben an vielen Stellen das generelle Versagen der deutschen Geheimdienste in Deutschland aufgedeckt. So zeigte sich im NSA-Untersuchungsausschuss, dass der Bundesnachrichtendienst vor allem mit der Überwachung statt dem Schutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger beschäftigt ist. Die problematische Rolle des Militärischen Abschirmdienstes ist im Zuge des NSU-Untersuchungsausschusses ans Tageslicht gekommen. Es sind hier nicht nur wichtige Akten geheim gehalten worden, sondern der Militärische Abschirmdienst wusste schon in den 90er-Jahren von der rechtsextremen Gesinnung von Uwe Mundlos und wollte diesen sogar als Informanten anwerben. Mit der Forderung, den Militärischen Abschirmdienst aufzulösen, stehen wir Grüne auch nicht allein. Vielleicht erinnern wir uns kurz an die FDP: Dies war einer der wenigen Punkte, wo wir Grüne einer Meinung mit der FDP waren. Auch der Bundesrechnungshof hat sehr klar bemängelt und analysiert, dass die Aufrechterhaltung des Militärischen Abschirmdienstes hohe Kosten für wenig Mehrwert bedeutet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen Sie nun aber die Aufgaben und das Personal dieses Dienstes massiv aufstocken, statt endlich eine sinnvolle Reform in Bezug auf die gesamte deutsche Geheimdienstlandschaft auf den Weg zu bringen. Erst vor kurzem haben wir hier im Parlament über die Reform des Bundesnachrichtendienstes und die Notwenigkeit der umfassenden parlamentarischen Kontrolle debattiert. Unsere grüne Kritik an dieser großen Reform und unsere grünen Alternativen haben meine Kollegen Konstantin von Notz und Hans-Christian Ströbele in ihren prägnanten Reden Ende Oktober dargelegt. Auch in einem Positionspapier haben wir unsere Ideen, insbesondere für die Kontrolle der Nachrichtendienste, sehr konkret dargestellt. Es geht Ihnen aber bei diesem Gesetz wohl eher darum, punktuell Tatkraft zu heucheln und angesichts der kritischen Debatten eine Existenzberechtigung des Militärischen Abschirmdienstes zu liefern, statt wirksame und effektive Lösungen zu finden, um die Bundeswehr vor der Gefahr, die von Extremistinnen und Extremisten ausgeht, zu schützen. Diese wichtigen Aufgaben sollen unserer Auffassung nach entsprechend reformierte Institutionen übernehmen. Markus Grübel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Die Bundeswehr darf nicht zum Ausbildungscamp für Extremisten, Islamisten, Gewalttäter und Terroristen werden. Das wollen wir verhindern. Und darum legen wir diesen Gesetzentwurf vor. Die Bundeswehr ist darauf angewiesen, pro Jahr etwa 25 000 Bürgerinnen und Bürger für den Dienst als Soldatin oder Soldat in den Streitkräften zu gewinnen: 13 000 Soldaten auf Zeit und 12 000 freiwilligen Wehrdienst Leistende. Nur für diejenigen, die später eine „sicherheitsempfindliche Tätigkeit“ ausüben sollen – das sind etwa 10 000 Personen –, wird aktuell eine Sicherheitsüberprüfung nach der Einstellung durchgeführt. Da sich diese Sicherheitsüberprüfung nur auf den Schutz von Verschlusssachen und den Schutz vor Innensabotage bezieht, erfolgt keine inhaltlich tiefgehende Prüfung aller einzustellenden Bewerberinnen und Bewerber auf Extremismus- oder Terrorismusverdacht. Bislang werden einzustellende Bewerberinnen und Bewerber für den soldatischen Dienst in der Bundeswehr über den Inhalt und die Bedeutung der Verfassungstreue belehrt. Sie müssen lediglich ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und sich darüber hinaus über die mögliche Mitgliedschaft in und die Verbindung zu bestimmten politischen Parteien, Organisationen oder Institutionen und über das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erklären. Somit ist es derzeit nicht ausgeschlossen, dass eine an anderer Stelle bereits als Extremistin oder Extremist erkannte Person als Soldatin oder Soldat in die Bundeswehr eingestellt wird, eine Ausbildung an Kriegswaffen und insbesondere Umgang mit diesen erhält – einfach weil die zuständigen Stellen der Bundeswehr über diese Erkenntnisse nicht verfügen. Alle Soldatinnen und Soldaten werden im Rahmen der Grundausbildung in der Handhabung und dem Gebrauch von Kriegswaffen (zum Beispiel automatische Waffen) ausgebildet. Die Ausbildung ist qualitativ hochwertig und von daher auch bei solchen Menschen begehrt, die besser niemals lernen dürften, wie man ein Sturmgewehr bedient. Ich spreche hier von Islamisten, Extremisten, Gewalttätern und Terroristen sowie von Personen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich absehbar zu solchen entwickeln. Diese Menschen tragen ihre feindseligen Absichten aber nicht offen erkennbar auf der Stirn. Es besteht somit die Gefahr, dass derartige Neigungen bei einer Bewerbung als Soldatin oder Soldat unerkannt bleiben, solche Bewerber das Auswahlverfahren erfolgreich absolvieren und in der Grundausbildung all das lernen, was zum Handwerk des Soldaten gehört, auch den Umgang mit Waffen. Man muss dafür nicht nach Syrien reisen. Es genügt die Grundausbildung in Hammelburg. Dies wollen wir verhindern. Diese Lücke wollen wir schließen, diese Lücke müssen wir schließen. Wir wollen, dass zukünftig jeder Soldat, bevor er in der Handhabung von Kriegswaffen ausgebildet wird, einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterzogen wird. Wir orientieren uns dabei am seit Jahrzehnten erprobten Instrumentarium des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (SÜG). Wie in anderen besonders „sensiblen“ Bereichen auch, zum Beispiel dem Luftverkehr und dem Umgang mit radioaktiven Stoffen im Sinne des Atomgesetzes, wollen wir die bei Polizei- und Sicherheitsbehörden und dem Bundeszentralregister bereits vorliegenden Informationen nutzbar machen. Deshalb wird künftig vor Dienstantritt bei allen Bewerberinnen und Bewerbern eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt. Die beabsichtigte Regelung trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung. Ein durch den Tatbestand der „erstmaligen Berufung in ein Dienstverhältnis als Soldatin oder Soldat“ genau eingegrenzter Personenkreis kann somit durch die Einholung von Informationen im Rahmen eines bewährten Verfahrens überprüft werden. Die Anknüpfung an die Berufung in ein Dienstverhältnis als Soldatin oder Soldat und damit an die Einstellung als Soldatin oder Soldat stellt sicher, dass hierunter all diejenigen – aber auch nur diejenigen – fallen, die in der Bundeswehr an Kriegswaffen ausgebildet werden sollen. Als mitwirkende Behörde soll wie bislang schon der Militärische Abschirmdienst agieren. Dieser hat – ganz wie im „alten“ SÜG auch – hierbei keinerlei nachrichtendienstliche Befugnisse. Die Konzepte zur Vorbeugung der Einstellung von Extremistinnen und Extremisten in die Bundeswehr wurden bereits im Verlauf des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Legislaturperiode zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ kritisch hinterfragt. Insgesamt hat der Untersuchungsausschuss bemängelt, Sicherheitsbehörden hätten trotz vorhandener Erkenntnisse zur Affinität rechtsextremistischer Kreise zu Waffen und Sprengstoffen das Gefahrenpotenzial in nicht nachvollziehbarer Art und Weise verkannt. Diese Vorwürfe werden durch die beabsichtigte Lösung aufgegriffen. Die „Extremismusprävention“ wird umfassend gestärkt. Insgesamt ist das vorgeschlagene Gesetz ein kleiner, aber bedeutender Baustein für mehr Sicherheit in einer zunehmend unsicherer werdenden Welt. Unsere Bürger und unsere Bürger haben ein Recht darauf! Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Kordula Kovac (CDU/CSU): Pro Jahr verzehrt der Deutsche im Durchschnitt 200 Kilogramm Obst und Gemüse. Damit sind wir schon nah dran an der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Menge von 237 Kilogramm pro Jahr. Damit das aber auch so bleibt, müssen wir weiterhin beste Qualität und Vielfalt von deutschem Obst und Gemüse sicherstellen; denn machen wir uns nichts vor: Was dem Verbraucher nicht schmeckt, isst er nicht. Aber: Was der Verbraucher nicht kennt, isst er auch nicht, Gesundheit hin oder her. Der Obstbau ist aus der deutschen Landwirtschaft nicht wegzudenken, weder ökonomisch noch ökologisch oder sozial. Aber ohne leistungsfähige Pflanzensorten ist Obstbau nicht möglich. Hochwertiges Saat- und Pflanzgut resistenter, qualitativ hochwertiger und leistungsfähiger Sorten dient nicht nur dem Schutz des Verbrauchers, sondern auch der Versorgung der Landwirtschaft und des Gartenbaus. Das Saatgutverkehrsgesetz regelt im wahrsten Sinne des Wortes das „in Verkehr bringen“ und die amtliche Anerkennung von Saatgut und Vermehrungsmaterial in Deutschland. Dieses Saatgutgesetz wird mit der heutigen Gesetzesänderung gemäß EU-Vorgaben präzisiert. Das Vierte Gesetz zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes setzt somit unter Einhaltung der Frist des 31. Dezembers dieses Jahres verschiedene Durchführungsrichtlinien der EU-Kommission zur Schaffung von Sortenverzeichnissen für Obstsorten zur Fruchterzeugung und zum Inverkehrbringen von Vermehrungsmaterial von Obstarten in nationales Recht eins zu eins um. Zugrunde liegt den beiden Richtlinien des Rates und der Kommission letztendlich der Wunsch der Harmonisierung und der Transparenz auf europäischer Ebene. Die Richtlinien enthalten nähere Bestimmungen zur Registrierung bzw. dem Verzeichnis von Versorgern, zur Eintragung von Sorten ebenso wie zur regionalen Herkunft und zur Saatgutmenge. Die EU-Richtlinien umfassen aber auch Vorgaben für ein gemeinsames Sortenverzeichnis auf europäischer Ebene, mit denen Details wie zum Beispiel die Bedingungen für die Eintragung, die Geltungsdauer der Eintragung oder auch die Erneuerung einer Eintragung, geregelt werden. Die Errichtung dieses gemeinsamen elektronischen Sortenverzeichnisses für Obstsorten zur Fruchterzeugung obliegt der Europäischen Kommission. Dadurch, dass dieses Verzeichnis veröffentlicht wird, wird eine transparente und leicht abzufragende Datenbank angelegt, die als Informationsquelle Vertrauen auf dem Markt, aber auch eine angemessene Verbraucherinformation schaffen kann. Grundlage dieses gemeinsamen EU-Sortenverzeichnisses sind die jeweiligen nationalen Gesamtlisten, in denen alle relevanten heimischen Obstsorten aufgelistet werden. Der Inhalt der nationalen Gesamtlisten ist ebenfalls durch EU-Vorgaben bestimmt worden. In dem Verzeichnis müssen zum Inverkehrbringen mit amtlicher Beschreibung zugelassene, nach dem nationalen Sortenschutzrecht oder nach dem gemeinschaftlichen Sortenschutzrecht geschützte und bereits vor dem 30. September 2012 mit anerkannter Beschreibung in den Verkehr gebrachte Sorten ebenso wie das Vermehrungsmaterial von Obstarten aufgeführt werden. Für die Erstellung der deutschen Liste ist das Bundessortenamt zuständig. Ab Beginn des nächsten Jahres muss das Amt diese Liste, ebenso wie das Verzeichnis der Versorger, jährlich an die EU-Kommission übermitteln. Der Mehrwert von solchen Listen ist ja nicht unumstritten. Erlauben Sie mir aber darzustellen, warum dieses Sortenverzeichnis keine unnötige Bürokratie aus Brüssel ist: Erstens. Wir müssen nicht bei null anfangen. Die deutsche Gesamtliste kann auf der beim Bundessortenamt bereits vorhandenen Liste der vertriebsfähigen Obstsorten aufbauen. Zweitens. Die Mehrarbeit für das Bundessortenamt hält sich in Grenzen. Derzeit werden nicht mehr als 20 Anträge pro Jahr zur Aufnahme von Obstsorten in die deutsche Gesamtliste gestellt. Da der überwiegende Teil der vertriebsfähigen Obstsorten bereits gelistet ist, ist zu erwarten, dass diese Zahl zukünftig eher rückläufig ist. Drittens. Durch die Erteilung von Sortenschutz und Sortenzulassung unterstützt das Bundessortenamt bereits jetzt die vielfältigen Aktivitäten zur Förderung des Züchtungsfortschritts und der biologischen Vielfalt. Gerade die Wahrung der genetischen Vielfalt, die Erhaltung unserer pflanzengenetischen Ressourcen und der damit einhergehenden Biodiversität ist unverzichtbar für die zukunftsorientierte Pflanzenzüchtung in Landwirtschaft und Gartenbau. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bin ich für Obst, Gemüse und Wein zuständig. Ich lebe in einer Region, in der diese Themen die Menschen im Haupt- und Nebenerwerb täglich beschäftigen. Wir wissen, wie wichtig regionale Produkte jetzt und in Zukunft für uns sind. Und als Kommunalpolitikerin weiß ich auch, wie wichtig eine Zukunft für Obst, Gemüse und Wein für unsere Kulturlandschaften und die Aufrechterhaltung der Landwirtschaft ist. Man erntet bekanntlich, was man sät! Lassen Sie uns daher heute dem Gesetz unsere Zustimmung erteilen und somit die Weichen stellen für einen zukunftsorientierten, transparenten und wettbewerbsfähigen Obstbau in Deutschland und Europa auf der Grundlage einer verlässlichen und genau geregelten Datenbank über Versorger und Sorten, die Qualität und Vielfalt des Angebots sicherstellt. Kees de Vries (CDU/CSU): Vielleicht erinnern Sie sich an die bunten und idyllischen Bilderbücher aus Ihrer Kindheit. Dann haben Sie bestimmt noch den Bauern mit seiner Kuh oder die Bäuerin bei der Arbeit auf dem Weizenfeld vor Augen. Die banale, aber elementare Botschaft dieser Bilder lautet: Landwirtschaft produziert Lebensmittel. Abgesehen davon, dass viele Erwachsene die moderne Agrarwirtschaft mit Maßstäben der Bilderbuchromantik messen, wird häufig übersehen, welche bedeutende Aufgabe unsere Landwirte außerdem erfüllen. Ich spreche von Landschaftspflege – und ich spreche von der ökologischen Vielfalt des ländlichen Raumes, die es einerseits zu fördern, andererseits zu schützen gilt! Mit der Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes vergrößern wir den Spielraum der Landwirtschaft, nachhaltig auf unsere Umwelt einzuwirken. Ziel der Brüsseler Richtlinie ist es, die genetische Vielfalt im Obstanbau zu bewahren. Mit der Umsetzung zweier Durchführungsrichtlinien wollen wir dieses Ziel in nationales Recht übersetzen. Es ist vorgesehen, die Versorger von Vermehrungsmaterial zu registrieren und auf europäischer Ebene ein transparentes und gemeinsames Sortenverzeichnis zu erstellen. Dem gemeinsamen sollen nationale Sortenverzeichnisse zugrunde liegen, welche nach amtlicher Beschreibung zugelassene und vom Sortenschutzrecht geschützte Obstsorten auflisten. Ein solches Verzeichnis, also eine nationale Gesamtliste aller Obstsorten, wollen wir bis Ende des Jahres in Deutschland beschließen. Die entscheidende Neuerung ist, dass die Mitgliedstaaten auch Obstsorten ohne Wert für den kommerziellen Anbau in die Liste aufnehmen können. Das sind zum Beispiel alte Obstsorten, die Gefahr laufen, in Vergessenheit zu geraten, oder sogenannte Amateursorten, die bisher nicht vermarktet werden konnten. Hierfür müssen wir das Saatgutverkehrsgesetz anpassen, um die Regelung zum Inverkehrbringen und zur amtlichen Anerkennung von Vermehrungsmaterial in Übereinstimmung zu bringen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Gesetzesänderung erfüllt diese Kriterien, und ich rufe dazu auf, dem Entwurf zuzustimmen, einerseits deshalb, weil seine Umsetzung zur nachhaltigen Nutzung von pflanzengenetischen Ressourcen beiträgt, andererseits deshalb, weil er die Landwirtschaft bei einem wichtigen Dienst an unserer Gesellschaft unterstützt. Rita Hagl-Kehl (SPD): Das Saatgutverkehrsgesetz regelt das Inverkehrbringen und die amtliche Anerkennung von Vermehrungsmaterial von Obstarten zur Fruchterzeugung. Mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes wird die Durchführungsrichtlinie 2014/97/EU der Kommission vom 15. Oktober 2014 zur Durchführung der Richtlinie 2008/90/EG des Rates hinsichtlich der Registrierung von Versorgern und der Eintragung von Sorten sowie des gemeinsamen Sortenverzeichnisses (ABl. L 298 vom 16. Oktober 2014, S. 16) umgesetzt. Hierdurch wird die Erstellung eines Sortenverzeichnisses mit Sorten von Obstarten zur Fruchterzeugung geregelt. Das Gesetz trägt dabei auch zu einer Bereicherung der genetischen Vielfalt bei, da auch das Inverkehrbringen von Vermehrungsmaterial insbesondere von alten Obstsorten gefördert wird. Für mich ist die Förderung von ökologischem, gentechnikfreiem Saatgut sehr wichtig, da dieses nicht nur von Ökolandwirten verwendet wird, sondern auch von der konventionellen Landwirtschaft genutzt werden kann. Die Pflanzensorten, die im Ökolandbau verwendet werden, müssen robust und standortangepasst sein. Aus diesem Grund ist eine eigenständige Ökozüchtung notwendig. Da keine bzw. nicht ausreichend ökologische Züchtungen zur Verfügung stehen, werden im Ökolandbau konventionelle und Hybridsorten eingesetzt. Die gentechnikfreie und ökologische Erzeugung von Lebensmitteln beginnt bereits bei der Auswahl des Saatgutes. Die Bewahrung und Sicherstellung der genetischen Vielfalt durch ein nationales Sortenverzeichnis und dessen Veröffentlichung in einem gemeinsamen Sortenverzeichnis halte ich deshalb für wichtig und richtig. Generell stellt die Förderung pflanzlicher Eiweiße aus heimischer Produktion für mich eine Schlüsselstelle dar: Nur wenn wir es schaffen, unseren Bedarf an pflanzlichen Eiweißen mit unserer heimischen Produktion zu decken, können wir unsere Abhängigkeit von Importen von gentechnisch verändertem Soja verringern. Die Leguminosen bereichern nicht nur die Fruchtfolge, sondern erhöhen auch die Biodiversität und wirken sich auf die Bodenfruchtbarkeit positiv aus. Darüber hinaus leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Stickstoffversorgung der Pflanzen. Somit ist die heimische Eiweißpflanzenproduktion wichtig für das Erreichen der internationalen Umweltschutz- und Klimaschutzziele. Deshalb ist für mich das Programm zur Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung mit pflanzlichen Eiweißen aus heimischer Produktion besonders wichtig. Die Eiweißpflanzenstrategie dient dabei zur Erweiterung der Fruchtfolgen in Deutschland, insbesondere um Leguminosen, und trägt so zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und zur Stärkung der regionalen Wertschöpfungskette bei. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich deshalb auch für eine Erhöhung des Haushaltsansatzes des Projekts von 6 Millionen Euro in 2016 auf 8 Millionen Euro in 2017 eingesetzt. Das bestehende Programm, das zunehmend von der Landwirtschaft angenommen wird, soll so verstärkt unterstützt werden. Ursula Schulte (SPD): Wenn wir über die Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes diskutieren, klingt das erst einmal sehr formal. Und das ist auch so; denn wir beschließen heute eine Anpassung der nationalen Regelungen, die das Inverkehrbringen und die amtliche Anerkennung von Vermehrungsmaterial bei Obstsorten betreffen. Die Fakten sind klar: Es wird erstens eine Gesamtliste geben, in der alle relevanten Sorten aufgeführt werden. Es wird zweitens zur Wahrung der genetischen Vielfalt auch das Vermehrungsmaterial von Obst in diese Liste aufgenommen, und es werden drittens auch die Sorten berücksichtigt, die ohne Wert für den kommerziellen Anbau sind. Als zuständige Berichterstatterin für das Thema Biodiversität freut mich in diesem Zusammenhang vor allem die Aussage des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung. Dieser hat in seiner Stellungnahme zum Gesetz formuliert, ich zitiere: „Mit dem Vorhaben wird das Inverkehrbringen insbesondere alter Obstsorten befördert. Damit trägt das Gesetz auch zu einer Bereicherung der genetischen Vielfalt bei.“ In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt fordern wir die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der genetischen Vielfalt von Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen. Damit es nicht nur bei der Zielformulierung bleibt, müssen wir uns anstrengen, um die genetische Vielfalt zu sichern. Wenn die heutige Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes dazu beiträgt, begrüße ich das umso mehr! Bei unseren Einkäufen stellen wir jedoch fest, dass eine Vielzahl von Obst- und Gemüsesorten gar nicht mehr im Handel erhältlich ist. Das Angebot scheint zwar riesengroß, die Vielfalt wird aber immer kleiner. Das darf nicht sein! Am Ende geht das Verschwinden der Sorten auch zulasten unser Koch- und Essgewohnheiten. Das Saatgutverkehrsgesetz legt nicht nur fest, welche Pflanzensorten zugelassen werden, es bestimmt auch, welche Eigenschaften diese haben müssen. Das ist sinnvoll und dient auch dem Verbraucher. Er soll sich schließlich auf die Qualität verlassen können. Dabei haben wir aber die genetische Vielfalt im Auge zu behalten. Wer kennt denn noch Kartoffeln mit rosa oder violetter Schale? Viele kennen nur noch mehlig oder festkochende Kartoffeln. Eine immer geringer werdende Sortenvielfalt ist nicht in unserem Interesse und dient am Ende nur den großen Saatgutkonzernen. Im Übrigen sollten wir darauf achten, dass Bauern und kleine Unternehmen auf diesem Markt auch weiterhin eine Chance haben. Sie sehen, dass auch ein technokratischer Rechtsakt interessante Fragen aufwerfen und weite Bereiche unseres alltäglichen Lebens betreffen kann. Die FAO als Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gibt zum Beispiel an, dass seit dem 19. Jahrhundert mehr als drei Viertel der Gemüsesorten verlorengegangen sind. Der Grund dafür ist klar: Wir legen immer stärker den Fokus auf Produktivität und Homogenität. Im Zuge dieses Prozesses verschwanden die alten Landsorten immer mehr. Die Zulassungs- und Sortenkriterien fordern eben „Homogenität“ und „Beständigkeit“. So auch die Durchführungsrichtlinie 2014/94 vom 15. Oktober 2014. Dort heißt es zu den Anforderungen an die verschiedenen Sorten: Sie müssen unterscheidbar, homogen und beständig sein. Eine solche Formulierung unterstützt nicht das, was wir letztendlich wollen, nämlich den Erhalt der genetischen Vielfalt. Der Saatgutmarkt hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Er hat sich konzentriert, wie man an der Liebeshochzeit von Bayer und Monsanto sieht. Ich habe den Eindruck, dass der Saatgutmarkt von Firmen aus der Chemiebranche dominiert wird. Es geht hier um industrielle Qualitätsstandards, um Hightechproduktion und eben nicht um den Schutz alter Sorten. „Ökonomie first“ kann man das Prinzip nennen. Diese Dominanz der großen Konzerne hat das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ schon zum Auftakt seiner letztjährigen Spendenaktion kritisiert. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung vom 25. November 2015: „Das von den Firmen global verbreitete Saatgut verdrängt zunehmend die Sorten- und Nahrungsvielfalt in vielen Entwicklungsländern. … Traditionell angebaute Obst-, Getreide- und Gemüsesorten sind nicht nur reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Nein, sie halten auch Klimaschwankungen, Dürreperioden und längere Regenfälle besser aus.“ Sie sehen, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema Saatgut zu befassen. Mit einem modernen Saatgutgesetz würde ich gerne die alten Sorten schützen, das Wissen der Landwirte um diese Sorten und die genetische Vielfalt erhalten. Der Anfang ist mit der heutigen Änderung gemacht, lassen sie uns diesen Weg gemeinsam weitergehen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Jeder Mensch weiß: ohne Saat keine Ernte. Aber wir wissen auch: Nicht jede Saat geht auf. Bevor Saatgut kommerziell in Umlauf gebracht werden darf, muss es als eigenständige Sorte zugelassen werden, und dafür muss es bestimmte Kriterien erfüllen. Geregelt wird das im Saatgutverkehrsgesetz, das einerseits die Saatgutqualität im Sinne des Verbraucherschutzes und andererseits die Versorgung der Landwirtschaft und des Gartenbaus mit hochwertigem Saat- und Pflanzgut sichern soll. Ohne eine solche amtlich anerkannte Sortenbeschreibung darf die Sorte auch in der EU nicht vertrieben werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht Änderungen an diesem Saatgutverkehrsgesetz vor, um Unionsrecht national umzusetzen; denn die EU-Kommission hat bereits im Oktober 2014 in der neuen Richtlinie geregelt, dass es ein EU-weites Sortenverzeichnis von Obstarten zur Fruchterzeugung geben soll. Dementsprechend müssen die Mitgliedstaaten ihre national bereits anerkannten Obstsorten in das EU-Verzeichnis einspeisen. Die Zeit drängt, weil die Richtlinie bereits bis zum Jahresende von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist. Sollten die Änderungen des Saatgutverkehrsgesetzes deshalb nicht mehr dieses Jahr verabschiedet werden, könnten deutsche Obstgehölze ab 1. Januar 2017 nicht mehr EU-weit gehandelt werden. Es ist also Eile geboten, weil das Ministerium die Umsetzung verschleppt hat und erst kurz vor zwölf die entsprechenden Änderungen vorlegt. Grund hierfür ist aber auch, dass der Gesetzentwurf zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will, was nicht ganz einfach ist. Neben den vertriebsfähigen, vor allem kommerziell genutzten Sorten gibt es alte Sorten, die als genetisches Gedächtnis wertvoll sind, aber oft nicht als Sorte zugelassen werden. Aber sie müssen unbedingt als genetisches Gedächtnis erhalten, also auch vermehrt werden. Neben ihrem kulturellen Wert für eine bestimmte Region oder ihren besonderen Eigenschaften wie Geschmack spielt ihr Erhalt auch für spätere Veredlungsmöglichkeiten eine große Rolle. Schließlich verändern sich Züchtungskriterien im Zeitverlauf, von den Herausforderungen des Klimawandels ganz zu schweigen. Waren die alten Obstsorten zwar bisher über die Anbaumaterialverordnung abgedeckt, soll es zukünftig eine Gesamtliste von Obstsorten geben, die alle umfasst, sowohl vertriebsfähige Sorten, Amateursorten als auch Sorten, die zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen bestimmt sind. Die Bundesregierung verspricht sich hiervon auch eine Aufwertung der alten Sorten, da eine Gesamtliste die alten Sorten bekannter machen würde. In Deutschland ist das Bundessortenamt (BSA) für die Gesamtliste zuständig. Wegen der gebotenen Eile wurden bereits die Züchter, Baumschulen und Vermehrungsbetriebe bis Ende 2016 zur namentlichen Nennung aller Obstsorten aufgefordert. In Deutschland wird diese Gesamtliste wohl rund 17 000 Obstsorten umfassen. Nach Aufschrecken der Branche, die sich mit der Aufgabe bis zum Jahresende überfordert sah, forderte der Bundesrat den Gesetzgeber auf, die Nachmeldung von Sorten und deren Beschreibung zu ermöglichen. Mit der Klarstellung der Bundesregierung, dass alle relevanten Sorten bis Ende 2016 beim Bundessortenamt namentlich zu benennen seien, aber im Anschluss die Sortenbeschreibungen ohne bestehende Frist vom Bundessortenamt unentgeltlich vorgenommen werden, haben sich die Wogen wieder etwas geglättet. Ob das Bundessortenamt diese Aufgabe mit den vorhandenen personellen Ressourcen wirklich realisieren kann, werden wir im Auge behalten. Das kann nicht im Zug von Überstunden geleistet werden. Wenn nötig, muss das Personal im Bundessortenamt zur Umsetzung der Gesetzänderung kurzfristig aufgestockt werden! Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur vierten Änderung der Saatgutverordnung werden wir zustimmen. Es handelt sich um eine Umsetzung von EU-Recht und regelt ein Sortenverzeichnis für Obstarten zur Fruchterzeugung, das Grundlage für die europaweite Vermarktbarkeit ist. Das ist durchaus sinnvoll. Es ist allerdings schon höchst erstaunlich, dass wir seit fast drei Jahren im Agrarausschuss nur Berichte und EU-Vorlagen debattiert haben, jetzt aber urplötzlich auch dieser Gesetzentwurf wie einige andere in letzter Zeit als eilig gekennzeichnet ist. Uns hat sogar schon ein Brandbrief der Verbände erreicht, die fürchten, dass die Verabschiedung zu spät erfolgt und dass den Wirtschaftsbeteiligten, die auf die Umsetzung des Gesetzes angewiesen sind, dadurch Nachteile entstehen. Da das Unionsrecht die Umsetzung der Regelung in nationales Recht bis Ende dieses Jahres verlangt und ohne nationale Umsetzung den deutschen Baumschulen Marktprobleme entstehen, begrüßen wir auch eine schnelle Implementierung in deutsches Recht. Herr Minister, dass Sie erst lange gar nichts machen und dann auf den letzten Drücker etwas durchzupeitschen versuchen, sehen wir ja gerade auch bei anderen Gesetzvorhaben. Was sind das für Zustände bei Ihnen, dass sie es nicht gebacken kriegen? Dass das aber selbst bei einer so einfachen Sache wie der Umsetzung einer sehr kurzen, thematisch begrenzten EU-Richtlinie so ist, verwundert mich dann doch; denn Regelungen zu Saatgut und Sorten sind wichtige Stellschrauben, um Biodiversität und die Erhaltung pflanzengenetischer Vielfalt entweder zu fördern oder aber zu behindern. Wir begrüßen deshalb auch die vereinfachten Regelungen für die Erhaltungs- und Amateursorten und freuen uns, dass für die Bitte des Bundesrates eine praktikable Lösung gefunden wurde, nämlich dass nun die Möglichkeit besteht, bis zum Ende des Jahres 2016 alle relevanten Sorten dem Bundessortenamt namentlich zu benennen, ohne dass die Beschreibungen bereits fertig sein müssen; denn das wäre ein kaum zu erfüllendes Unterfangen für mehrere Tausend Sorten. Das zeigt aber schon die Dimension auf, in der dieses Gesetz Folgen hat, und hier stelle ich mir und Ihnen in der Tat die Frage, ob ausreichend gesichert ist, dass das Gesetz auch wirklich umsetzbar ist; denn mehrere Tausend Sorten müssen noch beschrieben werden, mehr als 17 000 (schon gemeldete) Sorten müssen noch in die europäische Sortensystematik überführt werden, und für mehrere Tausend Obstsortenbeschreibungen muss noch die Anerkennung erfolgen. Das ist ein umfassender Erfüllungsaufwand, den ich in der Gesetzesvorlage so nicht wiederfinde. Es muss aber gesichert sein, dass das Gesetz auch umsetzbar ist und dass insbesondere die vielen Sorten, die zur Erhaltung der genetischen Ressourcen beitragen, aber nicht zur kommerziellen Nutzung bestimmt sind, auch eingetragen werden. Dazu müssen die vielen Privatinitiativen und Hobbyverbände, die sich bisher schon um diese Sorten gekümmert haben, dabei unterstützt werden, die notwendigen Beschreibungen zu erstellen. Wenn das nicht passiert, kann man die mit dem Gesetz verbundenen Ziele „Ergänzung der Gesamtliste auch mit Vermehrungsmaterial von Obst, das zur Wahrung der genetischen Vielfalt vermarktet werden soll“ und „Ergänzung der Gesamtliste um Obstsorten, die ohne Wert für den kommerziellen Anbau sind“ nur als leere Phrasen bezeichnen. Ohne finanzielle Förderung oder Übernahme der Sortenbeschreibungen durch öffentliche Einrichtungen wie Institute und Bundesämter wird die Aufnahme der Amateursorten ins Gesetz sogar kontraproduktiv, weil dann viele Sorten schlicht aus Kapazitätsgründen nicht eingetragen würden. Und klar ist auch: Das Bundessortenamt muss entsprechend finanziell und personell gestärkt werden, statt im kommenden Haushalt schon wieder in seinen Mitteln gekürzt zu werden. Grundsätzlich reicht es für die Erhaltung der Biodiversität und alter Sorten nicht, den Aufwand für die Züchterinnen und Züchter und die privat Anbauenden möglichst gering zu halten, sondern es braucht auch eine aktive Politik für den Erhalt. Wer den dramatischen Verlust an Pflanzensorten stoppen will, muss Sortenvielfalt nicht nur tolerieren, sondern aktiv fördern. Das bedeutet: Wir brauchen eine Förderung der Ökozüchtung und eine Förderung der kleinen regionalen Züchter, und wir brauchen Unterstützung nichtkommerzieller Züchtungsinitiativen – und für diese jetzt vor allem eine Unterstützung bei der Katalogisierung und Sortenbeschreibung für die alten Obstsorten. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen (Tagesordnungspunkt 22) Michaela Noll (CDU/CSU): Wir debattieren heute den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen“. Der Antragstitel ist im Vergleich zu früheren Anträgen der Linken zum Thema „Minderjährige bei der Bundeswehr“ moderat formuliert, das Wort „Kindersoldaten“ fällt hier weder im Titel noch im Text. Anfang 2016 bezeichnete Kollege Norbert Müller gegenüber der Welt die jungen Nachwuchsrekruten aber doch wieder als Kindersoldaten. Daesh rekrutiert in Mosul aktuell Neunjährige als Kämpfer. Das sind Kindersoldaten. Das grausame Schicksal dieser Kinder hat nicht im Entferntesten mit der Situation von Minderjährigen in der Bundeswehr zu tun. Es scheint der Fraktion Die Linke also einzig und allein darum zu gehen, Misstrauen gegen die Bundeswehr zu schüren und ideologische Grabenkämpfe gegen die Politik der Bundesregierung zu führen. Sie skandalisieren die Bundeswehr und das, was die Soldatinnen und Soldaten täglich für uns und die Sicherheit und Freiheit unseres Landes leisten. Schauen wir uns die Realität doch einmal an. Welche Schutzmaßnahmen für Minderjährige sind bei der Bundeswehr vorgesehen? Erstens. Der Eintritt in die Bundeswehr ist grundsätzlich erst mit einem Mindestalter von 17 Jahren möglich. Zweitens. Die jungen Menschen sind freiwillig dort. Und freiwillig heißt freiwillig. Es werden keine Zwangsrekrutierungen vorgenommen. Keiner wird zur Bundeswehr eingezogen. Drittens. Die Minderjährigen dürfen nur mit dem Einverständnis der Eltern eingestellt werden. Viertens. Vor der Einstellung werden sie umfassend beraten und aufgeklärt über ihre Rechte und Pflichten und das, was sie bei der Bundeswehr erwartet. Auch bei diesen Gesprächen können die Eltern dabei sein. Fünftens. Im Einstellungsverfahren wird intensiv und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten geprüft, ob ein Bewerber für den Soldatenberuf geeignet ist. Unter anderem auch, ob sie oder er die erforderliche psychische Stabilität mitbringt und sich mit den Anforderungen des Soldatenberufes auseinandergesetzt hat. Natürlich wird bei dem Verfahren auch das Alter der Bewerber berücksichtigt. Das alles passiert, bevor ein junger Mensch bei der Bundeswehr anfangen kann. Und auch nach erfolgter Einstellung wird dem besonderen Schutzerfordernis gegenüber den Minderjährigen Rechnung getragen: Erstens. Sie dürfen die Waffe nur während der Ausbildung und nur unter strengster Aufsicht benutzen. Zweitens. Sie dürfen keine Funktionen ausüben, bei denen sie, wie etwa beim Wachdienst, zum Gebrauch der Waffe gezwungen sein könnten. Drittens. Sie nehmen nicht an Auslandseinsätzen teil. Sie werden also zwar an der Waffe ausgebildet, aber nicht an der Waffe eingesetzt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, der mir – auch als Mutter – besonders wichtig ist: Minderjährige dürfen den Dienst bei der Bundeswehr nur antreten, wenn die Eltern bzw. die gesetzlichen Vertreter einverstanden sind. Und die Eltern dürfen bei dem Beratungsgespräch, das vor der Einstellung geführt wird, dabei sein. Die Minderjährigen sind also nicht alleine mit ihrer Entscheidung. Sie sind nicht aufgrund einer plötzlichen Eingebung in ein Karrierecenter gegangen und haben einen Vertrag unterschrieben. Nein, ihre Eltern sind in den Prozess eingebunden. Sie müssen die Entscheidung ihrer Kinder mittragen und haben sich Gedanken gemacht, ob ihre Kinder dem Soldatenberuf gewachsen sind. Eltern kennen ihre Kinder. Wir sollten ihnen deshalb zutrauen, eine gute Entscheidung für ihre Kinder zu treffen, und zwar auch, wenn diese Entscheidung beinhaltet, mit 17 Jahren zur Bundeswehr gehen zu wollen. Zäumen wir das Pferd doch einmal von der anderen Seite auf. Mit dem Antrag und diversen Kleinen Anfragen suggerieren die Linken, dass sie um das Wohl der Minderjährigen in der Bundeswehr besorgt sind. Ich sehe es genau andersherum. Wenn 17Jährige nicht zur Bundeswehr gehen dürfen, dann nehmen wir ihnen unter Umständen die Möglichkeit, ihren Traumberuf zu ergreifen. Wir verbauen ihnen Chancen, wenn sie nicht direkt nach ihrem Abschluss anfangen können, dort zu arbeiten, wo sie arbeiten wollen. Wir drängen ihnen Wartezeiten auf. Es mag durchaus sein, dass die Bundeswehr nicht der favorisierte Arbeitgeber der Linken ist. Viele Jugendliche sehen das aber ganz anders. So belegt die Bundeswehr bei Schülern mittlerweile Platz vier unter den beliebtesten Arbeitgebern, bei den Mädchen ist es sogar Platz drei. Bei den IT-Berufen sind die Streitkräfte der Aufsteiger des Jahres: Im Trendence Graduate Barometer steigt die Bundeswehr von Platz 38 im Jahr 2015 auf Platz 27 der beliebtesten IT-Arbeitgeber – eine Steigerung um elf Plätze, die keinem der übrigen 120 Unternehmen gelingt. Und auch in den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Medizin gewinnt die Bundeswehr deutlich an Attraktivität Die Bundeswehr bietet exzellente Ausbildungsmöglichkeiten, interessante Tätigkeitsfelder und gute Aufstiegschancen. Viele sehen eine Tätigkeit bei den Streitkräften als sinnstiftend und den Soldatenberuf als Beruf, der die Persönlichkeit fördert und den Charakter schult. Bei der Bundeswehr wird Kameradschaft gelebt. Kurz: Die Bundeswehr ist für viele junge Menschen ein sehr attraktiver Arbeitgeber. Ich sehe das auch selbst, wenn ich in meinem Wahlkreis unterwegs bin. Wenn irgendwo der Karriere-Truck der Bundeswehr steht, ist der Andrang von Jugendlichen groß. Das Interesse an der Bundeswehr ist einfach da. Da muss man sich schon die Frage gefallen lassen, mit welcher Begründung wir einem 17Jährigen die Chance verbauen wollen, sich eine berufliche Zukunft bei einem solchen Arbeitgeber aufzubauen, wieso wir die Jugendlichen und deren Eltern derart bevormunden und wieso wir die Schulzeit verkürzen und die jungen Menschen früher dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, wenn ihnen ihr junges Alter dann zum Nachteil gereicht. Hier werden von den Linken Probleme herbeigeredet, wo es keine gibt. In ihrer Kleinen Anfrage vom 18. Dezember 2015 ziehen sie zum Beispiel Untersuchungen in der britischen Armee heran. Diese Untersuchungen zeichnen in der Tat ein anderes Bild von der Lebenswirklichkeit in den britischen Streitkräften. So seien zum Beispiel Fälle von PTBS, Mobbing, Selbstverletzungen, Selbstmord und sexueller Belästigung häufiger bei den jüngsten Rekrutinnen und Rekruten als bei den Erwachsenen. Ich weiß nicht, wie die Rekrutierungspraxis bei den Briten aussieht, und möchte mir hier auch kein Urteil anmaßen. Aber ob es in diesem Kontext sinnvoll ist, von den britischen auf die deutschen Streitkräfte zu schließen, halte ich doch für sehr fraglich. Aus den Antworten der Bundesregierung geht dann auch ganz klar hervor, dass wir diese Probleme nicht haben. Und auch der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner, hat mir auf Nachfrage bestätigt, dass ihm derartiges nicht bekannt sei. Auf diese Aussage können wir uns verlassen. Ich sitze seit 2002 im Bundestag und war bis 2013 Mitglied im Familienausschuss, dem ich nun auch noch als stellvertretendes Mitglied angehöre. Ich war Mitglied in der Kinderkommission bzw. ein Jahr deren Vorsitzende. Ich war Berichterstatterin für das Bundeskinderschutzgesetz, ein Gesetz, das als Meilenstein für den Kinderschutz in Deutschland gilt. Genau wie die meisten von Ihnen habe ich mich am sogenannten Red Hand Day beteiligt, einer Initiative gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten. Sie können mir also glauben: Das Wohl von Kindern und Jugendlichen liegt mir am Herzen. Und ich weiß auch, dass die meisten Eltern nur das Beste für ihre Kinder wollen. Der Soldatenberuf ist zwar kein Beruf wie jeder andere. Er ist mit Härten verbunden, die kein anderer Beruf mit sich bringt. Aber die Bundeswehr hat alle – auch völkerrechtlich gebotenen – Schutzmaßnahmen für die Minderjährigen getroffen. Wenn sich also eine 17Jährige oder ein 17Jähriger dazu entschieden hat, zur Bundeswehr zu gehen, und die Eltern ihrem Kind diesen Schritt zutrauen, dann sehe ich keinen Grund, sich diesem Wunsch entgegenzustellen. Julia Obermeier (CDU/CSU): Anfang November startete die Reality-Dokumentation Die Rekruten, die die Bundeswehr als Arbeitgeber vorstellt. Sie zeigt 12 junge Menschen bei ihrer Grundausbildung – ungeschönt mit allen Höhen und Tiefen. Sie zeigt, dass es eine Herausforderung ist, bei der Bundeswehr zu sein, sich in die Strukturen einzufinden und den hohen körperlichen und geistigen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Protagonisten von Die Rekruten sind keine martialischen Kämpfertypen, sondern ganz normale junge Leute. Diese Serie wirbt für einen besonderen Beruf, für den des Soldaten. Und das ist nötig in Zeiten der ausgesetzten Wehrpflicht! Die Serie bringt ein ungeschminktes Bild der Bundeswehr auf die Smartphones und Tablets einer jungen Zielgruppe. Die Rekruten spricht 17- bis 25Jährige an, die sich ein konkretes Bild von der Bundeswehr machen wollen. 2015 haben rund 21 000 Männer und Frauen ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten, darunter etwa 1 500  17jährige Jugendliche. Sie alle haben sich für den Soldatenberuf entschieden, der kein Beruf ist wie jeder andere: Soldaten schwören ihrem Arbeitgeber, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Und der Arbeitgeber, die Bundeswehr, hat im Gegenzug eine besondere Verantwortung denen gegenüber, die diesen Schwur leisten. Dies gilt gerade für die noch nicht volljährigen Rekrutinnen und Rekruten. Sie stehen unter besonderem Schutz – und zwar von Anfang an: Sie müssen den Entschluss, zur Bundeswehr zu gehen, grundsätzlich freiwillig fassen. Auch müssen ihre Erziehungsberechtigten dieser Entscheidung zustimmen. Drüber hinaus werden sie über die Aufgaben und Pflichten als Soldaten umfassend aufgeklärt und informiert. Im Auswahlverfahren wird ihre Eignung für den Soldatenberuf und insbesondere ihre psychische Belastbarkeit geprüft. Ihrer besonderen Verantwortung kommt die Bundeswehr auch in der Ausbildung nach. Sie stellt den Schutz von Leben und Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten in den Mittelpunkt. 17jährige Rekrutinnen und Rekruten werden zwar militärisch ausgebildet, doch erfahren sie dabei eine besonders intensive Betreuung. Sie sind beispielsweise beim Gebrauch von Waffen stets unter strenger Aufsicht. Außerhalb der Ausbildungsmaßnahmen gelangen in ihre Hände keine Waffen! Und viel wichtiger noch: Es ist ausgeschlossen, dass Minderjährige an bewaffneten Konflikten teilnehmen oder in einen Auslandseinsatz der Bundeswehr geschickt werden. Die Bundeswehr kommt durch diese und andere Maßnahmen ihrer Schutzverpflichtung gegenüber minderjährigen Rekruten vollumfänglich nach. Trotzdem möchte die Fraktion Die Linke es den unter 18jährigen Bundeswehrinteressenten verbieten, ihrem Berufswunsch nachzugehen. Sie, die Kollegen von den Linken, haben jedoch keine stichhaltige Argumentation. Sie zielen auf eine Diffamierung der Bundeswehr ab. Dies ist wohl weniger ihrer Sorge um die jungen Rekruten geschuldet als vielmehr ihrer generellen Ablehnung gegenüber allem Militärischen. Sie wollen durch solche Anträge die Bundeswehr aus der Mitte der Gesellschaft ins Abseits stellen. Doch dem treten wir entgegen. Der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten bringen wir größte Anerkennen und Wertschätzung entgegen und wollen das Band zwischen Bundeswehr und Gesellschaft noch fester knüpfen. Die aktuelle Rekrutierungspraxis der Bundeswehr ist dabei kein Selbstzweck. Sie soll es ermöglichen, dass junge Menschen direkt nach ihrem Schulabschluss, kurz vor dem Erreichen ihre Volljährigkeit, ohne Wartezeiten ihre Ausbildung bei der Bundeswehr beginnen können. Durch ihren besonderen Berufswunsch sollen sie nicht gegenüber Gleichaltrigen benachteiligt sein. Aus diesen guten Gründen lehnen wir den Antrag ab. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Die Kinderkommission des Bundestages hat sich mit der Einstellung 17Jähriger als Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr auseinandergesetzt und noch einmal grundsätzlich festgestellt, dass das Mindestalter für den Dienstbeginn auf 18 Jahre angehoben werden soll. Diesen Grundsatz teilt auch die SPD-Fraktion. Der Dienst in der Bundeswehr ist kein Beruf wie jeder andere. Er sollte an die Volljährigkeit der Soldatinnen und Soldaten geknüpft sein. Das liegt übrigens nicht allein im Interesse des Jugendschutzes: Es macht die Bundeswehr auch stärker. Denn die Minderjährigen haben nicht die gleichen Rechte und Pflichten wie die volljährigen Soldatinnen und Soldaten. Sie dürfen zum Beispiel an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht teilnehmen und müssen nach ihrem 18. Geburtstag noch einmal eine Erklärung darüber abgeben, dass sie sich auch zur Teilnahme an einem Auslandseinsatz verpflichten. Perspektivisch braucht die Bundeswehr also eine saubere Lösung, die auf der Volljährigkeit beruht. Diese Lösung muss aber auch der Lebenswirklichkeit junger Menschen gerecht werden. Für die Bundeswehr ist es immer noch eine neue Situation, dass sie sich selbst darum kümmern muss, in ausreichender Zahl Freiwillige zu gewinnen. Der Bedarf der Truppe trifft jetzt auf die gesellschaftliche Entwicklung, dass die Abiturientinnen und Abiturienten heute anders als früher oft noch keine 18 Jahre alt sind – Stichwort „G 8“. Aus Sicht der Bundeswehr ist es wirklich ein Problem, einem 17-jährigen Schulabgänger, der aus wohlerwogenen Gründen Soldat werden möchte, eine Wartezeit abzuverlangen. Junge Leute sind dann schnell für die Bundeswehr verloren, obwohl der Truppendienst für sie vielleicht genau das Richtige gewesen wäre. Um es dazu nicht kommen zu lassen, setzt die Anforderung der Volljährigkeit voraus, dass die Bundeswehr diesen Bewerberinnen und Bewerbern etwas anbieten kann, womit sie zufrieden sind – etwa einen vernünftig konzipierten Vorbereitungsdienst. Solange wir so etwas nicht haben, muss bei der Ausbildung minderjähriger Soldatinnen und Soldaten zumindest der Jugendschutz konsequent berücksichtigt werden. Die Kinderkommission macht dazu einige hilfreiche Vorschläge – zum Beispiel zur getrennten Unterbringung der Jugendlichen. Sinnvoll ist auch die Forderung, dass diese jungen Leute am Standort einen entsprechend geschulten Ansprechpartner für ihre Sorgen und Nöte haben müssen. Weniger sinnvoll scheint mir der Antrag der Linken, von jetzt auf gleich keine Minderjährigen mehr zum Dienstantritt zuzulassen. Dass Ihr Antrag, lieber Kollege Müller, den Interessen der Bundeswehr schadet, wird die Linke vermutlich billigend in Kauf nehmen – die SPD nicht unbedingt. Wir wollen eine starke Bundeswehr, die ihren Auftrag gut erfüllen kann. Aber dieser Antrag wird eben auch den Interessen der betroffenen jungen Leute nicht gerecht, und das ist vielleicht etwas, das auch die Linke gar nicht will. Ich würde der Linken sowieso raten, nochmal darüber nachzudenken, was sie Jugendlichen zutraut und was nicht. Ich finde, es passt nicht richtig zusammen, einerseits das Wahlalter 16 zu fordern – damit sagen Sie doch, sogar noch jüngere Jugendliche sind ganz allgemein alt genug, um große Verantwortung für das ganze Gemeinwesen zu übernehmen –, und andererseits sagen Sie hier: Die 17Jährigen sind aber noch viel zu jung, um für sich persönlich zu entscheiden, ob sie wirklich den Dienst in der Bundeswehr leisten können und wollen. Konsequent ist das nicht. Die SPD-Fraktion teilt die Auffassung, dass alle Soldatinnen und Soldaten volljährig sein sollen. Wir nehmen aber zur Kenntnis, dass die Praxis derzeit auch im Sinne der 17-jährigen Rekrutinnen und Rekruten anders ist. Wir wollen deshalb eine Lösung, die auch den Interessen der jungen Leute gerecht wird. Solange wir die nicht haben, ist entsprechend den Empfehlungen der Kinderkommission bei der Ausbildung der Minderjährigen konsequenter Jugendschutz oberstes Gebot. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Seit Aussetzen der Wehrpflicht ist die Zahl minderjähriger Rekrutinnen und Rekruten bei der Bundeswehr beständig gestiegen. Traten 2011, in dem Jahr also, in dem die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, 689 Minderjährige ihren Dienst an der Waffe an, sind es in diesem Jahr 1 576 unter 18Jährige. Hinter diesen Zahlen steckt eine Strategie: Die Bundeswehr und das Bundesverteidigungsministerium setzen im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft gezielt auf die Anwerbung Minderjähriger. Immer neue Formate werden in Zusammenarbeit mit PR-Agenturen entwickelt, um möglichst früh die Begeisterung von Kindern und Jugendlichen für eine mögliche Karriere bei der Bundeswehr zu wecken. Diese Praxis wird seit Jahren von Kinderrechtsorganisationen, Friedensinitiativen, Pädagogenverbänden und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit scharf kritisiert. Aber auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat der Bundesregierung bereits mehrfach empfohlen, die Rekrutierung Minderjähriger zu beenden. Und auch die Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder des Deutschen Bundestages hat sich in ihrer jüngsten Stellungnahme dieser Forderung angeschlossen. Unser vorliegender Antrag greift das auf und fordert von der Bundesregierung, die Ausbildung von Minderjährigen an Waffen sofort zu beenden und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Rekrutierung Minderjähriger für die Bundeswehr stoppt. Wir als Fraktion Die Linke machen damit deutlich: Es darf keinen Vorrang von militärischen Interessen vor den Schutzrechten von Kindern und Jugendlichen geben. Die Rechte von Kindern und Jugendlichen, zu denen sich auch die Bundesrepublik Deutschland mit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention bekannt hat, können aus unserer Sicht in militärischen Kontexten schlicht nicht gewährleistet werden. Dies wird insbesondere bei der Betrachtung der Unterschiede in der militärischen Ausbildung von minderjährigen und volljährigen Rekrutinnen und Rekruten deutlich. Die gibt es nämlich schlicht und ergreifend nicht. Minderjährige werden an der Waffe ausgebildet, sie werden mit Volljährigen zusammen untergebracht, es gibt keine gesonderten Ansprechpartnerinnen und partner oder Schutzkonzepte gegen sexuellen Missbrauch. Auch wenn Minderjährige nicht an Auslandseinsätzen teilnehmen dürfen und es ihnen ebenfalls untersagt ist, eigenverantwortlich sowie außerhalb der militärischen Ausbildung Funktionen auszuüben, bei denen sie wie etwa im Wachdienst zum Gebrauch der Waffe gezwungen sein könnten, ist es vor dem Hintergrund der internationalen Verantwortung der Bundesrepublik mehr als geboten, die Rekrutierung Minderjähriger endlich zu beenden. Wer glaubhaft international für die Demobilisierung von Kindersoldaten eintreten will, kann es sich nicht leisten, für die eigenen Armee Jugendliche zu rekrutieren, auch wenn dies auf freiwilliger Basis und mit Zustimmung der Eltern geschieht. Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hiermit auf: Lassen Sie uns gemeinsam die Rekrutierung Minderjähriger für die Bundeswehr endlich beenden. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich nehme an, Sie alle kennen sie längst: Julia, Jerome und Nathan. Die drei sind jung. Sie sind hip. Und seit dem 1. November machen sie ihre Grundausbildung bei der Bundeswehr. Seitdem sehen wir sie jeden Nachmittag auf You Tube. In schnell geschnittenen, wackeligen Selfie-Videos berichten sie davon, wie es so ist, bei der Bundeswehr. Und natürlich ist das alles echt abgefahren – aber irgendwie auch cool. Und das soll es ja auch sein: Denn das Verteidigungsministerium will möglichst junge Menschen für den Dienst in der Truppe begeistern. Und genau damit liefert die Bundesregierung den Beweis dafür, wie aktuell und wie berechtigt der Antrag der Linken ist, über den wir heute debattieren. Die Rekrutierung von Minderjährigen ist offensichtlich kein Betriebsunfall und keine Ausnahme, ganz im Gegenteil: Sie wird von der Bundeswehr ganz gezielt und auch erfolgreich betrieben. 1 515 Jugendliche haben 2015 ihren Dienst in der Bundeswehr angetreten – ein neuer Höchststand! Ich finde das skandalös! Wie Sie alle wissen, gilt in Deutschland ein Jugendschutzgesetz. Darin schließt der Gesetzgeber junge Menschen unter 18 Jahren ganz bewusst von bestimmten Aktivitäten aus: Jugendliche dürfen keine Spielhallen betreten. Sie dürfen keine Zigaretten kaufen. Sie dürfen auch keine Filme mit detaillierten Mordszenen sehen. Hinter all dem steht die völlig richtige Überzeugung: Junge Menschen sollten möglichst von allem ferngehalten werden, was ihnen körperlichen oder seelischen Schaden zufügen kann. Ich frage mich: Warum werfen wir diese Überzeugung über Bord, sobald Jugendliche eine Bundeswehruniform anziehen? Gibt es irgendeinen vernünftigen Grund, weshalb der real abgegebene Schuss auf den berühmten Pappkameraden weniger schädlich wirken soll als ein Mausklick im Videospiel? Hier misst die Bundesregierung doch offensichtlich mit zweierlei Maß – Die Bundeswehr hat Personalprobleme, da drückt man schon mal ein Auge zu. Aber Jugendschutz darf niemals eine Frage der politischen Opportunität sein! Und deshalb kann und darf nicht sein, dass der Staat Jugendliche an der Waffe ausbildet! Ich möchte Ihnen noch einen zweiten Grund nennen, warum wir den Antrag der Linken unterstützen. Es geht um unseren gemeinsamen Einsatz gegen Kindersoldaten. 250 000 Kinder werden nach Angaben von terre des hommes weltweit als Kämpfer in kriegerischen Auseinandersetzungen missbraucht. Mit Gewalt oder Drogen werden sie gefügig gemacht und an besonders gefährlichen Frontabschnitten eingesetzt. Und das ist, lassen Sie mich das an dieser Stelle anmerken, auch nur möglich, weil auch Deutschland so viele Kleinwaffen exportiert, die leicht genug für Kinderhände sind. Viele dieser Kindersoldaten werden sexuell ausgebeutet. Falls sie überleben, sind sie meist für ihr ganzes Leben traumatisiert. Der Einsatz von Kindersoldaten zählt zu den grausamsten und widerwärtigsten Menschenrechtsverletzungen überhaupt. Deutschland muss sein ganzes ökonomisches und politisches Gewicht einsetzen, um diesen Missbrauch von Jungen und Mädchen zu beenden. Deshalb ist es richtig, dass wir diverse UN-Abkommen unterzeichnet haben, die die Rekrutierung von Minderjährigen in die Streitkräfte verbieten. Aber: Wie glaubwürdig, frage ich Sie, können wir den Missbrauch junger Menschen in den Armeen und Guerillas dieser Welt kritisieren – wenn wir zuhause bei uns selber Jugendliche an der Waffe trainieren? Welcher Warlord soll eine Bundesregierung ernst nehmen, die von ihm fordert, was sie selbst nicht einhält? Mit dieser Ihrer Politik schwächen Sie unseren Kampf gegen Kindersoldaten, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Und deshalb: Hören Sie endlich auf, Jugendliche in Deutschland in die Streitkräfte zu rekrutieren! Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 24) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Diese vierte Änderung des Regionalisierungsgesetzes ist besonders eilbedürftig, sodass nach der ersten Beratung im Plenum am 20. Oktober 2016 und der gestrigen Ausschussdebatte bereits heute die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur erfolgen kann. Sämtliche Fraktionen im Ausschuss haben der Gesetzesänderung zugestimmt, um eine dringend benötigte Plansicherheit für den öffentlichen Personennahverkehr herzustellen. Auch der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 4. November 2016 keine Einwendungen zur Gesetzesänderung erhoben. Besonders hervorzuheben ist die Rolle des Bundes, der sich während der intensiven Verhandlungen über die Regionalisierungsmittel gegenüber den Ländern mehrmals kompromissbereit gezeigt und sichtbar bewiesen hat, dass er seiner Verantwortung zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nachkommt. So hatten sich Bund und Länder im Zuge der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss bereits 2015 auf eine Summe von 8 Milliarden Euro ab 2016 und eine jährliche Dynamisierung von 1,8 Prozent ab 2017 geeinigt. Am 16. Juni 2016 haben die Bundesregierung und die Länder zudem eine nochmalige Erhöhung der Regionalisierungsmittel beschlossen, um eine Benachteiligung einiger Bundesländer zu vermeiden, die aufgrund des von den Ländern geplanten Verteilungsschlüssels in den kommenden Jahren sinkende Mittelzuweisungen gehabt hätten. Der neue Gesetzentwurf, dem wir gestern im Ausschuss zugestimmt haben, sieht daher vor, dass ab 2016 die 8 Milliarden Euro noch einmal um 200 Millionen Euro aufgestockt und ebenfalls ab 2017 jährlich um 1,8 Prozent dynamisiert werden. Die horizontale Verteilung der Regionalisierungsmittel ist mit dem Gesetzentwurf ebenso klar geregelt: 8 Milliarden Euro werden auf alle Bundesländer nach einem Schlüssel verteilt, der sich je zur Hälfte aus den Einwohnern und den bestellten Zugkilometern im Jahr 2015 zusammensetzt. An folgende Länder, die durch diesen Verteilungsschlüssel finanzielle Nachteile haben, werden die zusätzlichen 200 Millionen Euro nach einem gesonderten Verteilungsschlüssel vergeben: Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Mit der Änderung des Regionalisierungsgesetzes schaffen wir nun die rechtssichere Grundlage für die Auszahlung dieses Aufstockungsbetrages in 2016. Die Länder erhalten die Möglichkeit, 2016 nicht beanspruchte Regionalisierungsmittel als zweckgebundene Rücklagen vorzusehen, was meine Fraktion sehr begrüßt. Insgesamt werden die Länderhaushalte bis ins Jahr 2031 um insgesamt über 153 Milliarden Euro durch den Bund entlastet. Dieses große finanzielle Engagement des Bundes über eine solch lange Dauer ist deutlich zu würdigen. Mit diesem Gesamtergebnis können die Länder ihre 2014 aufgestellten Forderungen auf Grundlage eines eigenen Gutachtens im Vorfeld der Verhandlungen um die Anpassung der Regionalisierungsmittel als nahezu erreicht ansehen. Daher haben wir heute im Ausschuss den förmlichen Gesetzesantrag des Bundesrates vom Dezember 2014 einstimmig für erledigt erklärt. Die Länder sind nun angehalten, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel sachgerecht und klug einzusetzen. Seit 1996 sind sie für die Planung, Organisation und Finanzierung für den öffentlichen Personennahverkehr und damit auch für den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr zuständig. Grundlage dafür war die Bahnreform 1996. Gleichzeitig steht den Ländern laut Grundgesetz unbefristet aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes ein Betrag für den öffentlichen Personennahverkehr zu; dies sind die Regionalisierungsmittel. Diese Mittel werden den Ländern zweckgebunden für Bestellungen von Nahverkehrsleistungen zur Verfügung gestellt, die sie in erster Linie zur Finanzierung der Verkehrsleistungen des Schienenpersonennahverkehrs, aber auch investiv zur Verbesserung des übrigen ÖPNV – sprich: Bussen und Straßenbahnen – einsetzen können. Es ist zu begrüßen, dass der Bundestag jährlich über die Verwendung der Mittel einen Bericht erhalten wird. Dies schafft Transparenz und wird die Länder dazu anhalten, die Mittel des Bundes sachgerecht zu verwenden. Der Bund leistet mit den Regionalisierungsmitteln einen wichtigen Beitrag für die staatliche Daseinsvorsorge im öffentlichen Personennahverkehr. Investitionen in die Infrastruktur, wie zum Beispiel die Schaffung von Barrierefreiheit an Haltestellen, und Bestellungen von Nahverkehrsleistungen sind für die kommenden Jahre gesichert. Mit dem Mitte 2016 verabschiedeten Eisenbahnregulierungsgesetz haben wir zudem sichergestellt, dass die Zahlungen für die Trassenentgelte der Nahverkehrszüge die Regionalisierungsmittel nicht über Gebühr beanspruchen, da die jährliche Steigerung der Trassenpreise die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel nicht übersteigen darf. Die den Ländern und ihren Bestellerorganisationen zur Verfügung stehenden Mittel leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Entlastung insbesondere der Ballungsräume und Stadtstaaten, weil Millionen von Pendlerkilometern auf der Schiene anstatt mit dem Auto zurückgelegt werden können. Es ist erklärter Wille meiner Fraktion, dass die Investitionen in die Infrastruktur nicht zu Lasten der Bestellungen gehen sollten; denn die seit Jahren jährlich steigenden Nutzerzahlen im öffentlichen Personennah- und -schienenverkehr zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Angebote gerne nutzen und es auch zukünftig einen hohen Bedarf an einem attraktiven Nahverkehrsangebot geben wird. Sebastian Hartmann (SPD): Mit der heutigen Lesung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes beenden wir ein weiteres Kapitel des Koalitionsvertrages und den dritten Pfeiler der Bahnreform, die bereits 1993 beschlossen wurde. Der Nahverkehr in Deutschland ist ein Erfolgsmodell. Jedes Jahr steigt die Anzahl der Nutzer von Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr; aktuell sind es 10 Milliarden Passagiere und 93 Milliarden Personenkilometer jährlich – mehr als die Hälfte der letzteren, 48 Milliarden Personenkilometer, fallen allein auf der Schiene an. Der Sektor beschäftigt bundesweit fast eine Viertelmillion Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und wer sich vor Augen hält, dass die Benutzung von Bussen und Bahnen jeden einzelnen Tag über 20 Millionen Autokilometer einspart, ist sich der wichtigen Rolle für den Klima- und Umweltschutz ohnehin bewusst. Die gesamtstaatliche Aufgabe der Finanzierung des Nahverkehrs, der sich Bund und Länder gemeinsam widmen – auch wenn die Aufgabe 1993 regionalisiert wurde und an die Länder überging –, wird mit dem jetzt eingebrachten Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes sichergestellt. Mit 8,2 Milliarden Euro steht ein Betrag ab 2016 zur Verfügung, der ab dem nächsten Jahr mit 1,8 Prozent jährlicher Steigerung dynamisiert wird. Er setzt sich zusammen aus 8 Milliarden Euro, die alle Bundesländer nach dem „Kieler Schlüssel“ aufteilen, und weiteren 200 Millionen mit eigenem Verteilschlüssel für die ostdeutschen Bundesländer inklusive Berlin und dem Saarland. Der Bund kommt damit seinem grundgesetzlichen Auftrag im Rahmen eines der zentralen Bereiche der Daseinsvorsorge vorbildlich nach. Die Regionalisierungsmittel des Bundes kompensieren den größten Anteil der Gesamtkosten des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs. 2014 wurden unter dem Vorgängergesetz aus Regionalisierungsmitteln 7,3 Milliarden der insgesamt mehr als 10 Milliarden Euro aufgewandt. Mit der neuen Regelung wird ein wichtiger Schritt zu einer zukunftssicheren, dauerhaften Lösung getan. Dieser großartige Erfolg ist ein echtes Glanzstück, auf das die SPD-Bundestagsfraktion sehr stolz ist. Richtschnur unseres Handelns mit dem Koalitionspartner, dessen Zustimmung wir benötigen, ist der mit großer Mehrheit unserer Parteimitglieder beschlossene Koalitionsvertrag 2013 bis 2017 von CDU/CSU und SPD. Darin haben wir vereinbart, dass wir für die ausstehende „Revision der Regionalisierungsmittel im Juli 2014“ eine zügige Einigung mit den Ländern anstreben: Wir werden die Regionalisierungsmittel für den Zeitraum ab 2019 in der Bund-Länder-Finanzkommission auf eine neue Grundlage stellen. Trotz unseres Einsatzes und unserer klaren Positionierung war es ein langer Weg bis zur heutigen Verabschiedung des Gesetzes. Der Entwurf des Bundeshaushaltes 2015 ist mit Blick auf die unterbliebene Dynamisierung der Regionalisierungsmittel, also dem Aufwuchs von 7,3 Milliarden Euro in 2014 um 1,5 Prozent auf dann 7,408 Milliarden Euro in 2015, auf die Kritik der NRW-Landesgruppe gestoßen. Insbesondere diese vielfach wiederholte Kritik führte dazu, dass die Dynamisierung durch einen eigenen Gesetzentwurf für 2015 letztendlich nachgeholt wurde. Das Kabinett hatte zunächst am 29. Dezember 2014 einen Gesetzentwurf beschlossen, der für die Länder ein Fortschreiben der bisherigen Mittel mit einer entsprechenden Dynamisierung um 1,5 Prozent auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 7,408 Milliarden Euro vorsah. Daraus ergaben sich aber folgende Probleme: Der „Kieler Schlüssel“ hätte nur dann für eine gerechte und ausreichende Mittelverteilung gesorgt, wenn sich die Bundesländer mit ihrer Maximalforderung gegen den Bund durchgesetzt hätten. Andernfalls würden die ostdeutschen Bundesländer dauerhaft weniger Geld erhalten. Auch wenn eine Neuverteilung nach Kriterien wie Verkehrsleistung und Bevölkerung konsequent ist, muss zumindest verhindert werden, dass kurzfristig Nahverkehrsleistungen abbestellt werden müssen. Mit einem neuen Kompromiss am 16. Juni 2016 konnte dieses Problem gelöst werden: Die Regionalisierungsmittel für 2016 wurden auf 8,2 Milliarden Euro erhöht. Damit haben wir den Betrag, der den Bundesländern für die Durchführung ihrer Nahverkehre zufließt, um 900 Millionen Euro angehoben – das sind mehr als 12 Prozent Aufwuchs gegenüber der Summe von 2014, dem letzten regulär aus dem Regionalisierungsgesetz von 1993 hergeleiteten Betrag. Die Dynamisierung liegt ab nächstem Jahr mit 1,8 Prozent ebenfalls über den ehedem 1,5 Prozent jährlich, mit denen die Regionalisierungsmittel vorher wuchsen. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, wie sehr die Länder um eine Einigung gerungen haben. Denn es geht nicht nur um die Frage der Mittelhöhe, sondern auch um die Verteilung zwischen den Ländern. Die Länder sind mit dem „Kieler Schlüssel“ einen wichtigen Schritt gegangen. Die Länder haben sich mit dem „Kieler Schlüssel“ eine neue, gegenüber dem alten Verteilschlüssel sachgerechtere Verteilung der Mittel untereinander geschaffen. Sie basiert auf den beiden wesentlichen Parametern Einwohnerzahlen und Zugkilometern und bietet damit ein besseres Abbild der tatsächlichen Bedarfslage. Die Mittelsicherheit und ihre zweckgerechte Verwendung sichern die benötigten Investitionen in die Infrastruktur ebenso wie das hohe Niveau von Bestellungen und Leistungen. Der „Kieler Schlüssel“ berücksichtigt natürlich, dass der Übergang von der bisherigen Verteilung auf die verabredeten Proportionen schrittweise erfolgen muss. Bis 2030 werden die prozentualen Anteile der Bundesländer langsam an den endgültigen Verteilschlüssel herangeführt. Den ostdeutschen Bundesländern steht ein zusätzlicher Betrag deshalb zur Verfügung, weil sie aus der Verteilung nach dem „Kieler Schlüssel“ allein Einbußen hinnehmen müssten, die durch die ebenfalls jährlich um 1,8 Prozent wachsenden 200 Millionen Euro ausgeglichen werden. Die SPD-Bundestagsfraktion ist sehr zufrieden, dass damit jeder Eindruck einer Benachteiligung, den eine starre Anwendung des „Kieler Schlüssels“ vermittelt hätte, ganz und gar unbegründet ist. Der NRW-Verkehrsminister Michael Groschek hat an dieser Stelle in einer früheren Debatte zum Thema gesagt: „Wer das Problem der Regionalisierungsmittel zu einem Ost-West-Gegensatz konstruiert, will mit dieser Konstruktion nicht Probleme lösen, sondern er will sie für andere politische Zwecke instrumentalisieren.“ Weder den Menschen noch den Verkehren in Ost und West wird ein solcher Gegensatz gerecht. Das tatsächliche Problem – und die 200 Millionen Euro zusätzlich mildern es ab, reichen aber nicht, um es zu lösen – ist strukturell: Während im Westen vorhandene Schienenwege für den Fernverkehr auch regional den Raum gut genug erschließen, damit der Nahverkehr darauf bewegt werden kann, muss für die Versorgung im Osten diese Erschließung erst erfolgen – mithilfe einer dem eigentlichen Zweck der Regionalisierungsmittel fremden Verwendung. Jetzt herrscht Klarheit für die Bundesländer, für die Verkehrsunternehmen, für die Kommunen und am Ende für die Nutznießer des Nahverkehrs, die vielen Millionen Pendler. Wir schließen damit ein weiteres Kapitel aus dem Koalitionsvertrag erfolgreich ab, der 2013 die Revision der Regionalisierungsmittel gefordert hatte. Damit der jetzt erzielte Erfolg nicht kannibalisiert werden kann, müssen die Trassen- und Stationspreise wirksam reguliert werden. Immerhin 40 Prozent der Regionalisierungsmittel werden für die Kosten der Nutzung von Schienenwegen und Bahnhöfen verwendet; das ist der größte Einzelfaktor in der Gesamtrechnung. Wir haben im Eisenbahnregulierungsgesetz Vorkehrungen getroffen, um mit einer gedeckelten Rate eine Teuerung bei den Trassenpreisen kurzfristig wirksam zu verhindern. Nur mit einem wirksamen Regime lässt sich dafür sorgen, dass das Geld aus dem Regionalisierungsgesetz seinem eigentlichen Zweck dienen kann. Das wird auch in den nächsten Jahren stets neu zu justieren sein; denn der Regulierungsdruck ist unverändert hoch. Über allem steht das Ziel: Mehr Verkehr, mehr Nahverkehr auf der Schiene ist das Ziel! Wir haben damit heute den Schlussstein eines wesentlichen Bausteins einer erfolgreichen Verkehrspolitik gesetzt, die ihrer Verantwortung für den schienengebundenen Nahverkehr vorbildlich nachkommt. Die Perspektive des Mittelaufwuchses ist damit bis 2031 klar. Die Signale für den modernen Nahverkehr in Deutschland stehen auf grün. Sabine Leidig (DIE LINKE): Natürlich geht das Gesetz, wie man so schön sagt, „in die richtige Richtung“. Und natürlich können wir von der Bundestagsfraktion Die Linke es, wohl gemeinsam mit allen anderen Parteien in diesem Parlament, nur begrüßen, wenn die Mittel für den Schienenpersonennahverkehr, SPNV, endlich erhöht werden. Und schließlich – bzw. ein letztes Mal: „natürlich“ – ist es richtig, wenn es diese 200 Millionen Euro als Schippe obendrauf gibt und damit diejenigen Bundesländer, die es bitter nötig haben, so im Westen das Saarland, Berlin und alle östlichen Bundesländer, einen gewissen zusätzlichen Betrag für den SPNV erhalten. Insofern sagen wir Ja zu den neu bestimmten 8,2 Milliarden Euro, die 2016 als Regionalisierungsmittel aus dem Bundeshaushalt den Bundesländern zufließen werden. Allerdings ist damit bei weitem nicht alles gut, und es gibt aus unserer Sicht drei große Aber: Das erste betrifft die Dynamisierung um jährlich 1,8 Prozent von 2017 bis zum Jahr 2031. Nun hatten wir in den vergangenen Monaten kaum Inflation, und momentan mögen die 1,8 Prozent sich ganz gut „anfühlen“. Allerdings hatten wir mehr als 35 Jahre lang erheblich höhere Raten der allgemeinen Preissteigerung. Und eine wesentliche Ursache für die niedrige Inflation ist der absurd niedrige Rohölpreis, der zeitweilig bei weniger als 40 US-Dollar je Fass lag. Aktuell liegt er wieder bei über 50 Dollar. Er lag vor 5 bis 6 Jahren noch deutlich über 100 US-Dollar und ist kaum kalkulierbar. Da mutet es schlicht grotesk an, wenn man für die nächsten 15 Jahre sich auf eine fixe Dynamisierungsmarge festlegt. Richtig wäre es gewesen, die jährliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel an die tatsächliche jährliche Preissteigerung anzubinden und dabei außerdem den Anstieg der Entgelte für die Nutzung der Trassen, der Bahnhöfe und der Energie zu berücksichtigen. Womit ich beim zweiten Aber bin – bei der Entwicklung der Entgelte für die Nutzung von Bahnhöfen, Trassen und Energie. Im Gesetzestext dazu heißt es diesbezüglich: „Die Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte, insbesondere der Stations- und Trassenentgelte im Schienenpersonennahverkehr […] ist nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts zu begrenzen.“ Diese Formulierung enthält zwei gefährliche Ungenauigkeiten. Was, bitte schön, heißt das „… nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts“? Das wird nirgendwo, auch nicht in der Begründung, ausgeführt. Es liegt nahe, dass damit die Formulierung, die „Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte“ sei zu begrenzen, bereits relativiert wird. Sodann: Es heißt ja nur, dass dieser Anstieg „zu begrenzen“ sei. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, wie genau und wie stark begrenzt werden soll. Das ist doch die Öffnung eines Scheunentors – für massive Erhöhungen dieser Entgelte. Ich darf Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, darauf hinweisen, dass diese Infrastrukturnutzungsgebühren in den letzten eineinhalb Jahrzehnten mehr als doppelt so schnell gestiegen sind wie die Inflationsrate. Und es ist auch dieses Anwachsen der „Schienen- und Bahnhofsmaut“, das auf der anderen Seite den Druck auf die „weichen“ Faktoren im SPNV, nicht zuletzt auf die Arbeitseinkommen der Beschäftigten und auf die Sozialstandards im SPNF-Bereich, krass erhöht. Obgleich all dies bekannt ist und obgleich wir in der Praxis erlebt haben, wie negativ sich diese massiv ansteigenden Infrastrukturnutzungsentgelte auf den SPNV auswirkten, wird auch in diesem neuen Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes dem kein Riegel vorgeschoben. Ja, man sagt sehenden Auges, dass das bis 2031 so weiterlaufen könne. Und wenn man als Gesetzgeber so etwas zulässt, dann kann die Deutsche Bahn AG als die Muttergesellschaft von DB Netz, von DB Station und Service und von der DB Energie GmbH, weiter an dieser Schraube drehen – für eine bessere Konzernbilanz und auf Kosten der Allgemeinheit. Mein drittes Aber bezieht sich auf die pauschale „Seligsprechung“, die man im Begründungsteil des Gesetzentwurfs lesen kann. Dort heißt es: „Das Gesetzesvorhaben trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei und ist umfassend mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vereinbar.“ Es bewirke, „dass die Schiene insgesamt gestärkt […] wird.“ Dazu sage ich klipp und klar: Herr Dobrindt, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD: Genau dies wird nicht eintreten. Erstens haben Sie – wie dargelegt – nicht einmal dafür gesorgt, dass auch künftig im gleichen Umfang Schienenpersonennahverkehr bezahlt werden kann. Zweitens reicht die Summe nicht, um den notwendigen Ausbau der Bahn in der Fläche zu finanzieren. Und Sie haben in den Bundesverkehrswegeplan, den wir gerade intensiv beraten haben, keines der beantragten Bahnprojekte aufgenommen, die – lediglich – regionale Bedeutung haben. Und viele wesentliche Bahn-Ausbauprojekte sind noch nicht einmal im Vordringlichen Bedarf. Aber Sie haben jede Menge Straßenbauprojekte drin, die keinerlei übergeordnete Bedeutung haben. Nach Ihrem Willen soll es außerdem einen erheblichen Autobahnausbau geben – teilweise in Konkurrenz zur Bahn. Und drittens befindet sich der klassische Schienenpersonenfernverkehr in einer ziemlich kritischen Lage – aufgrund der Erfolge der Fernbusverkehre. Und der beruht zu einem erheblichen Teil auf der Tatsache, dass diese keinerlei Maut für die Nutzung der Straßen zu entrichten haben. Die Deutsche Bahn AG hat gegen die heftigen Proteste von sehr vielen beschlossen, den Nachtreisezugverkehr am 11. Dezember komplett einzustellen. Dabei spielte bereits eine große Rolle, dass die viel zu hohen Entgelte für die Trassennutzung dieses Schienenverkehrssegment enorm belasteten. Und der Schienengüterverkehr ist auch alles andere als sorgenlos. Die Schiene wird in Gänze durch dieses Gesetz nicht gestärkt. Die Bundesregierung verstreicht mit dem Gesetz etwas weiße Salbe. Insgesamt kann ich nicht erkennen, dass damit eine Politik der Nachhaltigkeit betrieben und damit endlich eine Verkehrswende eingeleitet werden würde. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Regionalisierungsmittel von 7,4 auf 8,2 Milliarden Euro jährlich erhöht. Das ist eine gute Nachricht für die Fahrgäste des Nahverkehrs. Wir können damit den Nahverkehr auf der Schiene nicht nur auf dem heutigen Niveau sichern, sondern vor allem dort weiter ausbauen, wo die Nachfrage stetig wächst. Ein leistungsfähiger Nahverkehr auf der Schiene ist das Rückgrat eines attraktiven öffentlichen Verkehrssystems. Und dieses System müssen wir auch in Zukunft nicht nur hegen und pflegen, sondern massiv ausbauen. Wer die Klimaziele im Verkehrssektor erreichen will, der muss zukünftig mehr Verkehr auf die Schiene verlagern. Dafür brauchen wir neue Infrastruktur, und wir müssen das Angebot absichern. Mit der Erhöhung der Regionalisierungsmittel stellen wir erste Weichen für den weiteren Ausbau des Nahverkehrs auf der Schiene. Eine wichtige Neuerung sind die Transparenznachweise, mit denen die Länder die Verwendung gegenüber dem Bund nachweisen und veröffentlichen müssen. Unter den Ländern gab und gibt es bei der Verwendung der Nahverkehrsmittel einige wenige „schwarze Schafe“, die die Bundesgelder teilweise zweckentfremden. So finanzieren manche Länder damit beispielsweise die Schülerbeförderung, die eigentlich über die Länderhaushalte bestritten werden sollte. Mit den Verwendungsnachweisen wird für alle nachvollziehbar, welche Länder ihre Mittel zweckgerichtet und sinnvoll einsetzen und welche nicht. Die jetzt gefundene Lösung für die Regionalisierungsmittel steht in enger Verbindung mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz. Erstmals wird mit diesem Gesetz eine Art Trassenpreisbremse für den Nahverkehr auf der Schiene vorgesehen, damit die Infrastrukturentgelte – also die Schienenmaut, die alle Eisenbahnunternehmen zu entrichten haben – nicht schneller anwachsen als die Regionalisierungsmittel. Das ist existenziell wichtig. In der Vergangenheit fand über die Erhöhung der Infrastrukturentgelte, die stärker als die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel ausfiel, eine kontinuierliche Kaufkraftentwertung statt, sprich: Die Aufgabenträger bekamen immer „weniger Bahn“ für ihr Geld. Jetzt kann dieser Negativtrend der letzten 10 bis 15 Jahre, durch den ein immer höherer Anteil der Bestellerentgelte durch die Infrastrukturkosten gebunden ist, endlich gebrochen werden. Ende gut, alles gut, könnte man in Anbetracht der jetzigen Fassung des Regionalisierungsgesetzes resümieren. Doch auf einer weiteren Baustelle der Nahverkehrsfinanzierung geht seit Jahren nichts voran – trotz anderslautender Ankündigungen und trotz klarer Vereinbarung im schwarz-roten Koalitionsvertrag –, ruhen die Arbeiten. Ich meine das Bundesprogramm nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, mit dem die Infrastruktur des Nahverkehrs ausgebaut wird. Bei der Erweiterung der S-Bahn-Netze in den Ballungsgebieten besteht sogar ein direkter Zusammenhang zu den Regionalisierungsmitteln. Nun haben wir anlässlich der Einigung bei den Bund-Länder-Finanzen erneut vernommen, was wir vor einem Jahr nach dem sogenannten Flüchtlingsgipfel schon gehört haben: Das GVFG-Bundesprogramm soll fortgeführt werden. Auch hier hat die Bundesregierung durch ihr Zaudern und Zögern bei Kommunen und Verkehrsunternehmen für größtmögliche Verunsicherung gesorgt. Deshalb brauchen wir jetzt schnell Klarheit beim Ausbau der Nahverkehrsinfrastruktur. Die jährlich 333 Millionen des GVFG-Bundesprogramms reichen hinten und vorne nicht aus, um den Bedarf zu decken, zumal die Mittel seit fast 20 Jahren auf diesem Niveau eingefroren sind. Meine Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass künftig jährlich 1 Milliarde Euro in Sanierung sowie Neu- und Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur fließen und der Nahverkehr so noch attraktiver wird. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Nach zugegeben langer Diskussion ist uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes ein beachtlicher Erfolg gelungen: Die Höhe der Regionalisierungsmittel ist nun langfristig – bis zum Jahr 2031 – gesichert. Mit den 8,2 Milliarden Euro im Jahr 2016, ab 2017 dynamisiert mit 1,8 Prozent, leistet der Bund seinen Beitrag für die Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs in den Ländern. Auch die schon im vorausgegangenen Vermittlungsausschuss im Herbst 2015 offen gebliebene Frage der horizontalen Verteilung der Regionalisierungsmittel konnte im Frühsommer 2016 geklärt werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat nun bereits die nächste Hürde genommen. Der Bundesrat hat am 4. November 2016 beschlossen, keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf zu erheben. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir in Kürze die zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung in Gesetzesform vorliegen haben werden. Derzeit erfolgt die Auszahlung der Mittel an die Länder durch das Bundesfinanzministerium unter Vorbehalt auf der Basis der Daten des Jahres 2015, also unter Berücksichtigung des alten, nunmehr überholten Verteilungsschlüssels. Wie Sie wissen, haben wir diesen Gesetzentwurf als besonders eilbedürftig im Sinne von Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG deklariert, um gegebenenfalls die Fristen im Gesetzgebungsverfahren verkürzen zu können. Dies ist entscheidend, damit wir noch in diesem Jahr das neue Regionalisierungsgesetz verkünden können. Erst dann ist die gesetzliche Grundlage vorhanden, um die entsprechenden Auszahlungen an die Länder noch im laufenden Jahr 2016 vornehmen zu können. Das Gesetz wird daher rückwirkend zum 1. Januar 2016 in Kraft treten. Die Länder sollen die ihnen zustehenden Mittel sobald wie möglich erhalten. Deshalb begrüße ich die Überlegungen der Koalitionsfraktionen, sich gegenüber dem Bundesrat für einen Fristverzicht starkzumachen. Sollte der Bundesrat dem zustimmen, könnte der Gesetzentwurf noch in diesem Monat, am 25. November 2016, auf die Tagesordnung des Bundesrates gesetzt werden. Einer erneuten Zustimmung durch den Bundesrat sollte dann nichts mehr im Wege stehen. Dieser frühere Termin wäre insofern von Vorteil, als dass die abschließende Berechnung der jedem einzelnen Land zustehenden Mittel und das Auszahlungsverfahren aus dem Bundeshaushalt 2016 innerhalb der regulären Fristen sichergestellt werden könnten und die Mittel den Länderhaushalten auch noch in 2016 zugutekommen würden. Ich hoffe daher auf Ihre Unterstützung und zähle auch auf die Unterstützung der Länderkollegen, damit wir dieses Vorhaben nun zügig abschließen können. Dies ist heute ein guter Tag für den Nahverkehr in Deutschland. Wir stellen mit dem Beschluss eine gute Zukunft für den Nahverkehr in Deutschland langfristig sicher. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesordnungspunkt 25) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Mit der Entscheidung zu einer Staatengemeinschaft Europa war die Entstehung neuer Herausforderungen vorgezeichnet. Grenzüberschreitende Sachverhalte machen Neuregelungen erforderlich, zum Beispiel im Bereich des Arbeitsrechts, des Gewerberechts, des Personenstandsrechts, aber auch im Bereich des Strafrechts. Es ist gut, dass hier nie der Versuch unternommen wurde, das alles umfassend auf einmal neu zu regeln; denn in der Regel handelt es sich um vielschichtige und komplexe Fragestellungen, die jeweils auf nationaler Ebene weitere Folgefragen generieren. Dennoch wird über die Jahre deutlich, dass es Bereiche gibt, in denen eine rasche Nachregulierung erforderlich wird, da die tatsächliche Entwicklung ansonsten der Rechtslage enteilt. Exakt so erleben wir das im Strafrecht, dem der vorliegende Gesetzentwurf gewidmet ist. Gerade hier stellen wir fest, dass Straftäter sich das Moment des Grenzübertritts innerhalb Europas zunutze machen – sei es beim Kalkül der erschwerten Fahndungsarbeit über Landesgrenzen hinweg bis hin zur Strafvollstreckung, der sich der Täter gerne entziehen möchte durch das Verlassen des entsprechenden Mitgliedstaates. Banden agieren organisiert in Regionen, wo Landesgrenzen das Agieren der Strafverfolgungsbehörden erschweren. Deshalb ist der vorliegende Entwurf ausdrücklich zu begrüßen. Die tatsächliche Entwicklung zeigt die Erforderlichkeit, auch länderübergreifend Gerichts- und Ermittlungsverfahren durchführen zu können. Im Rahmen der Richtlinienumsetzung geht es hier auf Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung um die Schaffung von Regelungen zur ineinandergreifenden Zusammenarbeit von Justiz und Strafverfolgungsbehörden der unterschiedlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wenn wir nicht wollen, dass die Tatsache der Mehrstaatlichkeit ein „Eldorado“ für Bandenkriminalität, Wohnungseinbruchdiebstahl oder Schleuserwesen erzeugt, müssen wir die Herausforderung im Strafrecht entsprechend abbilden. Das tut der vorliegende Gesetzentwurf. Deshalb bitte ich um Zustimmung. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen führen wir die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen in nationales Recht ein. Nach den vorherigen Anpassungen des Gesetzes zur internationalen Rechtshilfe, insbesondere bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen, bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und der Vollstreckungshilfe allgemein, ist dies nun ein wesentlicher weiterer Schritt, die internationale Rechtshilfe europaweit zu modernisieren und zu verbessern. Die CDU/CSU-Fraktion ist Vorreiter, wenn es darum geht, gute europarechtliche Rechtsrahmen und internationale Übereinkommen zu unterstützen, zu fördern und dann auch in nationales Recht umzusetzen. Ich würde mir wünschen, dass alle Fraktionen im Bundestag ein vergleichbares Engagement für die Sicherheit der Menschen in die Debatte einbringen, wie dies die CDU/CSU auch mit diesem Gesetzentwurf wieder leistet. Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang auch den Kolleginnen und Kollegen der EVP im Europäischen Parlament, die sich immer wieder gemeinsam mit uns für eine trag- und leistungsfähige Sicherheitsarchitektur engagieren. Der vorliegende Gesetzentwurf geht nämlich auf die Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen zurück. Sie ist bis zum 22. Mai 2017 in nationales Recht umzusetzen, was wir mit dem vorliegenden Gesetz nahezu eins zu eins übernehmen. Die neu eingefügten Normen schaffen im bestehenden Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung. In Absatz 1 Satz 1 wird die Europäische Ermittlungsanordnung als eine Entscheidung definiert, die von einer Justizbehörde zur grenzüberschreitenden Durchführung spezifischer Ermittlungsmaßnahmen zwecks Beweiserlangung erlassen oder bestätigt wird. Besondere Bedeutung kommt einer verstärkten Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden des Anordnungsstaates und des Vollstreckungsstaates zu. Dies soll unter anderem die Arbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte erleichtern. Das Ziel der Europäischen Ermittlungsanordnung ist es, im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung das bisherige Nebeneinander verschiedener Rechtsinstrumente abzubauen, und dies erreichen wir jetzt durch die nationale Umsetzung. Bereits jetzt haben wir schon unterschiedliche Regelungen zur grenzüberschreitenden Beweiserhebung. Ein einheitliches und umfassendes System gab es bisher aber nicht. Mit den §§ 91a ff IRG schaffen wir nun klare Regelungen für allgemeine Grundsätze und für die Zulässigkeit. Insgesamt wird das Verfahren detailliert in den entsprechenden Normen beschrieben. Für besondere Formen der Rechtshilfe werden Ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 91c IRG aufgenommen. Dies betrifft zum Beispiel die Durchführung von kontrollierten Lieferungen oder den Einsatz von verdeckten Ermittlern. Der besonderen Sensibilität dieser Maßnahmen wird durch hohe Voraussetzungen Rechnung getragen. Insgesamt wird durch die klare Orientierung am Richtlinienzweck eine gute Implementierung ins nationale Recht erreicht. Unserer Justiz ermöglichen wir eine effektive Strafverfolgung unter gleichzeitiger Berücksichtigung eines wirksamen Grundrechtsschutzes. Auch die zum Beispiel vom Deutschen Richterbund geäußerte Kritik gegenüber der Richtlinie konnte im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden. Ist die Bundesrepublik Deutschland Vollstreckungsstaat, verbleibt es bei den nationalen Richtervorbehalten, die in dem deutschen Verfahrensrecht für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen vorgesehen sind. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung könnte vermuten lassen, dass der ersuchte Mitgliedstaat gehindert ist, seine eigenen Verfahrensregelungen anzuwenden, wenn ein anderer Mitgliedstaat entsprechend dem dortigen Verfahrensrecht eine (Zwangs)Maßnahme angeordnet hat. Schon in der Richtlinie ist aber der Schutz des Richtervorbehaltes vorgesehen, und dies wird auch so im Gesetz umgesetzt. Ist die Bundesrepublik Deutschland also ersuchter Staat, kann die Durchführung einer Zwangsmaßnahme weiterhin von der Anordnung durch ein deutsches Gericht abhängig gemacht werden, sofern das nationale Verfahrensrecht dies vorsieht. So sieht es die neue Regelung eindeutig vor. Die ebenfalls teilweise geäußerte Kritik, jeder Einzelfall müsse am Maßstab des europäischen Verhältnismäßigkeitsbegriffs geprüft werden und behindere damit die angestrebte Vereinfachung grenzüberschreitender Ermittlungen, trägt nicht. Selbstverständlich muss in der internationalen Rechtshilfe wie auch grundsätzlich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Dies ist im deutschen Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen auch schon eh und je so vorgesehen. Dass durch die speziell europarechtliche Prägung der neuen §§ 91a ff. IRG eine besondere Schwierigkeit entstünde, ist nicht ersichtlich. Vielmehr werden sich die Verfahren in der Praxis schnell als effektiv einspielen. Nachdem wir in der ersten Lesung das Gesetz noch ohne Debatte eingebracht haben, gab es eine intensive Diskussion zwischen den Fraktionen. Es steht nun ein Gesetz zur Abstimmung, zu dem wir einen ausgewogenen Entwurf vorlegen. Ich würde mich freuen, wenn alle Fraktionen diesem Entwurf nun zustimmen könnten. Dirk Wiese (SPD): Mit dem heute hier zu verabschiedenden Gesetzentwurf wird die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen umgesetzt. Anzumerken ist, dass wir ausnahmsweise gut in der Zeit sind; die Umsetzungsfrist ist der 22. Mai 2017, an diesem Tag wird das Gesetz dann auch in Kraft treten. Mit der Umsetzung wird sich die sonstige Rechtshilfe in der EU ändern. Diese ist bisher noch durch die Instrumente der klassischen Rechtshilfe geprägt, dort insbesondere durch das EU-Rechtshilfeübereinkommen aus dem Jahr 2000. Der vorliegende Gesetzentwurf wird dem Selbstanspruch der Richtlinie gerecht, die grenzüberschreitende Beweiserhebung innerhalb der EU umfassend zu regeln. Die dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Richtlinie beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Kurz zur historischen Einordnung: Dieser wurde von den Mitgliedstaaten der EU im Jahr 1999 im finnischen Tampere beschlossen und ausdrücklich im Primärrecht der Union verankert. Die europäischen Rechtsinstrumente, die auf diesem Grundsatz basieren, unterscheiden sich von denen der klassischen Rechtshilfe durch ein höheres Maß an Kooperationsverpflichtung. Ein Ermessen dazu, ob ein eingehendes Ersuchen zu bewilligen ist, wird es zukünftig nicht mehr geben. Die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates der EU kann nur noch abgelehnt werden, wenn ein in dem jeweiligen Rechtsinstrument geregelter Zurückweisungsgrund eingreift. Hier ist anzumerken, dass die Bundesregierung in den Verhandlungen zur Richtlinie ein hervorragendes Ergebnis erzielt hat und sicherstellen konnte, dass die Zurückweisungsgründe so weit gefasst wurden, dass den deutschen Behörden ein weiter Handlungsspielraum zur Verfügung steht, der dem Grad der klassischen Rechtshilfe entspricht. Mit der Übernahme sämtlicher in der Richtlinie genannter allgemeiner und besonderer Zurückweisungsgründe in die §§ 91b, 91c und 91e IRGE ist sichergestellt, dass die deutschen Behörden auch auf Anordnung aus dem europäischen Ausland keine Ermittlungs- oder gar Zwangsmaßnahmen vornehmen dürfen, die nach deutschem Recht nicht zulässig wären. Unterstreichen möchte ich, dass alle Richtervorbehalte der StPO für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen weiterhin uneingeschränkt zu beachten sind. Dies war ein wichtiges rechtspolitisches Anliegen des BMJV, der Länder und der Anwaltschaft. Hier möchte ich auch noch einmal die hervorragende Arbeit von Bundesjustizminister Maas hervorheben, der so sichergestellt hat, dass eine der entscheidenden Säulen unseres Rechtssystems bestehen bleibt. Auch umgekehrt ist übrigens sichergestellt, dass deutsche Behörden nur solche Ermittlungsmaßnahmen im EU-Ausland anordnen können, die auch nach deutschem Recht zulässig sind. Aufgrund von kritischen Stimmen der letzten Wochen möchte ich noch einmal ausdrücklich anmerken, dass dies auch für die in der Presse erwähnten Echtzeitmaßnahmen gilt, für die bereits die Richtlinie selbst weit gefasste Zurückweisungsmöglichkeiten vorsieht. Denn für die Echtzeitmaßnahmen greifen zusätzlich zu den allgemeinen Zurückweisungsgründen aus dem Allgemeinen Teil der Richtlinie auch noch die maßnahmenspezifischen besonderen Zurückweisungsgründe aus dem Besonderen Teil der Richtlinie ein. Damit wird einer Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen durch die Hintertür der Riegel vorgeschoben. Sie sehen, der Gesetzentwurf ist durchweg gelungen. Die – soweit im Einzelfall möglich – Einbettung der komplexen neuen Regelungen in die Regeln und Verfahren, die wir aus der klassischen Rechtshilfe kennen, wird der Praxis die Anwendung erleichtern. Ich habe mich für eine zeitnahe Umsetzung eingesetzt, die mit der heutigen Verabschiedung auch glücken wird; denn dadurch gewähren wir der Praxis ein adäquates Zeitfenster, um sich auf die Anwendung der neuen Regelungen vorzubereiten. Dass der Gesetzentwurf Mittel wie Fristen für die Bearbeitung eingehender Ersuche, eine verbindliche Nutzung von Formularen und erhöhte Kommunikationsanforderungen der beteiligten in- und ausländischen Behörden vorschreibt, ist übrigens der Tatsache geschuldet, dass es bisher auch innerhalb der Europäischen Union immer noch vorkommt, dass ein Ersuchen deutscher Behörden im Ausland erst nach mehr als einem Jahr oder gar nicht beantwortet wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf europäischer Ebene mit Umsetzung der Richtlinie in jeweils nationales Recht von diesem Missstand wegkommen und eine weitere Verbesserung und Straffung des Rechtshilfeverfahrens erreichen werden. Das hilft übrigens nicht nur den Ermittlungsbehörden; denn auch beschuldigte Personen können davon profitieren, wenn etwa im Ausland entlastende Beweise zu erheben sind. Nicht zuletzt wird sich zukünftig auch die Dauer des Strafverfahrens auf die rechtsstaatlich gebotene Kürze beschränken, wovon ebenfalls alle Beteiligten profitieren werden. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetz wird die EU-Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (RL EEA) in nationales Recht umgesetzt. Dazu wird im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) ein neuer Abschnitt zur EEA eingefügt. Die RL EEA schafft, basierend auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, Regelungen für die justizielle und strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung. Sie soll der Vereinfachung und Beschleunigung grenzüberschreitender Strafverfolgung dienen. Grundsätzlich ist gegen eine solches Ziel nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, in Artikel 82 AEUV festgelegt, ist im Grunde zu begrüßen. Mehr Europa statt weniger Europa ist eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Doch wir reden hier nicht abstrakt über mehr oder weniger Europa. Wir reden hier über die konkrete Umsetzung dessen, was Artikel 82 AEUV und die RL EEA festlegen. Und da kommen wir dann an ein Dilemma, jedenfalls dann, wenn die im Grundsatz zu begrüßende Idee von mehr Europa in einer Weise genutzt wird, die zum Abbau von Standards im Bereich der Menschenrechte und rechtstaatlichen Grundsätze führt. Nun wissen wir alle, dass dieser Abbau von Standards nicht irgendwelchen angeblichen Brüsseler Bürokrateninnen und Bürokraten zuzuschreiben ist, sondern das Ergebnis von Verhandlungen mit den nationalen Regierungen ist. Dass zumindest der Bundestag hier noch viel zu wenig Einfluss auf die Verhandlungen nimmt, obwohl ihm Artikel 23 GG und § 8 EUZBBG dafür Instrumente in die Hand geben, sei nur am Rande erwähnt. Die damalige Bundesregierung aus Union und FDP hat keine Notwendigkeit für diese Richtlinie gesehen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion (Drucksache 18/1439) heißt es: „Aus Sicht der Bundesregierung bestehen auch ohne die EEA keine rechtlichen Defizite bei der justiziellen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.“ Nun ist diese Richtlinie beschlossen, und der deutsche Gesetzgeber muss sie in innerdeutsches Recht umsetzen. Die Richtlinie verpflichtet die Behörden des Vollstreckungsstaates, grundsätzlich einer EEA, welche die Umsetzung einer polizeilichen oder justiziellen Maßnahme begehrt, eines Mitgliedsstaates (Anordnungsstaat) innerhalb einer bestimmten Frist nachzukommen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Richtlinie eine Zurückweisung ermöglicht. Der Vollstreckungsstaat darf nur diese Zurückweisungsmöglichkeiten geltend machen. Mit dem § 91b IRG regeln Sie nun diese Zurückweisung, indem Sie die Voraussetzungen der Zulässigkeit regeln. Ein Ersuchen im Hinblick auf eine EEA darf nur abgelehnt werden, wenn dies in der RL so vorgesehen ist. Der Artikel 10 der RL enthält im Wesentlichen die Zurückweisungsgründe. Er ist ein Kompromiss; denn die ursprüngliche und richtige Position der Bundesregierung war, wegen der Option von Verstößen gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit einen allgemeinen, weit gefassten Zurückweisungsgrund für den Fall, dass die Anerkennung und Vollstreckung eines EEA gegen das nationale Recht des Vollstreckungsstaates verstoßen würde, zu formulieren. Das Problem bleibt bestehen. Der Artikel 10 Absatz 2 RL EEA – sogenannte Positivliste – schreibt Ermittlungsmaßnahmen vor, die in jedem Mitgliedstaat zur Verfügung stehen müssen. Für die dort genannten Ermittlungsmaßnahmen gilt das Zurückweisungsrecht der Mitgliedstaaten nicht. Zu Recht verweist der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf darauf, dass auch die dort aufgeführten Ermittlungsmaßnahmen unverhältnismäßig sein könnten. Ob die Zurückweisung dann wirklich im Rahmen des Artikels 11 Absatz 1 Buchstabe f möglich sein wird, wie der Gesetzentwurf behauptet, wird sich erst noch zeigen müssen. Der Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe f der RL sieht eine Zurückweisung vor, wenn „berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaats nach Artikel 6 EUV und der Charta unvereinbar wäre.“ Diese Regelung ist gut, und es ist kein Ruhmesblatt für die nationalen Regierungen, dass es erst das Europäische Parlament war, das mit Artikel 11 den Zurückweisungsgrund der drohenden Verstöße gegen die europäischen Grundrechte in der Richtlinie verankerte. Die Formulierung durch das Europäische Parlament zeigt aber auch, wie wichtig es ist, nationalstaatliche Blicke zu überwinden. Warum mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nun aber nicht die Möglichkeit genutzt wurde, die fakultativen Zurückweisungsgründe aus Artikel 11 Absatz 1 RL EEA als zwingendes Zulässigkeitshindernis im IRG zu verankern, erschließt sich uns nicht. Sie schreiben im Gesetzentwurf sogar explizit, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen im IRG abschließend geregelt werden. Wir hätten uns eine klare Verankerung der Zurückweisungsgründe aus Artikel 11 Absatz 1 RL EEA gewünscht. Sie implementieren zwar Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe f (Verstöße gegen die europäischen Grundrechte) der Richtlinie über § 91b Absatz 3 IRG, nicht aber die Anerkennung der Versagung der Vollstreckung nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe d, also wenn die Vollstreckung dem Grundsatz „ne bis in idem“ widersprechen würde. In eingeschränkter Form wird versucht, diesen Grundsatz als bloßes Bewilligungshindernis in § 91e Absatz 1 Nr. 2 IRG festzuschreiben. Den Grundsatz „ne bis in idem“ aber zu einer Ermessensentscheidung zu machen, scheint uns unangemessen. Wir können auch nicht nachvollziehen, warum Sie in § 91b Absatz 1 IRG bei der abstrakten Beschreibung für die Zurückweisung einer EEA stehen bleiben und hier nicht Katalogtaten oder Kategorien von Straftaten oder Straftaten mit einem bestimmten Mindeststrafmaß explizit aufzählen. Genau diese Möglichkeit eröffnet die RL. Die Erwähnung des Strafmaßes von drei Jahren in den Formblättern ist hier nicht ausreichend. Wenn Sie in der Begründung unter anderem auf die Katalogtaten aus §§ 100a Absatz 2, 100c Absatz 2 oder 111 Absatz 1 StPO verweisen, hätten Sie diese auch gleich in den Gesetzestext schreiben können. In § 91a Absatz 3 IRG belassen Sie es bei der Terminologie Einziehung und Verfall bei der Vermögensabschöpfung. Nun haben wir zu diesem Gesetz gerade die erste Lesung durchgeführt und werden sicherlich demnächst die Neuregelung der Vermögensabschöpfung hier abschließend behandeln. Es wäre aus unserer Sicht klüger gewesen, die Anpassungen an die Neuregelung bereits jetzt vorzunehmen oder auf die Neuregelung zu warten, bevor das IRG neu geregelt wird. Was wir benötigen, sind europäische Regelungen, die höchstmögliche rechtsstaatliche Standards sichern. Von daher können wir dem Gesetz nicht zustimmen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt die Sorge, dass Ermittlungseingriffe von Strafverfolgungsbehörden von dem Anordnungsstaat in einem anderen Mitgliedstaat ungehindert und ohne wirkliche Kontrollmechanismen möglich sein sollen und so einem Ausverkauf von Grundrechtsgarantien Vorschub geleistet werde. Auch wir haben hier im Deutschen Bundestag vor sechs Jahren unsere Bedenken gegen die Europäische Ermittlungsanordnung deutlich gemacht. Zum ersten Mal hatte der Bundestag sogar fraktionsübergreifend und einvernehmlich gegen eine geplante Regelung der EU-Kommission Stellung bezogen. Einige Einschränkungen wurden sogar durchgesetzt, wie ein Zurückweisungsgrund, wenn die ersuchte Maßnahme nicht genauso auch innerstaatlich hätte angeordnet und durchgeführt werden können, ebenso zwingende Bewilligungshindernisse des Grundsatzes „ne bis in idem“. Diese Punkte stehen auch im Umsetzungsgesetz. Zu begrüßen ist auch, dass in der Richtlinie erstmals ein ausdrücklicher Zurückweisungsgrund bei Grundrechtsverstößen verankert wurde (§ 91b Absatz 3 IRGE). So weit zum Positiven. Es ist richtig, Verbesserungen bei grenzüberschreitenden Ermittlungsmöglichkeiten innerhalb der EU bei grenzüberschreitenden Straftaten zu schaffen, insbesondere Erleichterungen etwa im Verfahrensablauf. Aber solche Erleichterungen dürfen nicht zulasten der Beschuldigtenrechte und Verfahrensstandards gehen. Ebenso wie beim Europäischen Haftbefehl und bei der Europäischen Staatsanwaltschaft wollen wir einerseits die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden grenzübergreifend verbessern, weil auch Kriminalität grenzüberschreitend ist. Andererseits gibt es immer noch keine breite Angleichung von Strafrecht und Strafverfahrensrecht. EU-weite Mindeststandards auf hohem Niveau fehlen noch, wie ein einheitlicher Richtervorbehalt. Stattdessen werden durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, der nun auch für die grenzüberschreitende Beweiserhebung gelten soll, die Verfahrensstandards auf ein Mindestmaß abgesenkt. Staatsanwalt oder Gericht eines europäischen Mitgliedstaats, in dem die strafprozessualen Standards deutlich unter den unsrigen liegen, können nun zum Beispiel die Überwachung von Telekommunikation, also Telefon- oder Emailverkehr, die Durchsuchung von Wohnungen oder Beschlagnahmungen anordnen. Deutsche Stellen werden solche Anordnungen vollstrecken müssen – es sei denn, einer der ausdrücklich geregelten Zurückweisungsgründe greift. Dies ist auch der entscheidende Unterschied zur klassischen Rechtshilfe – wie ja selbst in der Gesetzesbegründung angeführt wird. Europäische Rechtsinstrumente, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhen, bringen eine stärkere Kooperationsverpflichtung mit sich. Der Ermessensspielraum, ob ein Ersuchen bewilligt werden soll oder nicht, ist faktisch nicht mehr vorhanden. Geregelt ist zwar, dass nur Ermittlungsmaßnahmen für Taten durchgeführt werden dürfen, die auch in Deutschland strafbar oder ordnungswidrig sind und die nach deutschem Recht für die entsprechende Tat zulässig sind. Aber nach dem Gesetzestext ist jedenfalls wohl nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass die entsprechenden Behörden der EU-Mitgliedstaaten den Einsatz staatlicher Schadsoftware, sogenannte Staatstrojaner, in Deutschland anordnen dürften. Vorausgesetzt, dies fällt nicht unter § 91c Absatz 2 Nummer 2 dd IRGE – Einschränkungen der Überwachung der Telekommunikation – in Verbindung mit § 59 Absatz 3 IRG – dann wäre es darüber ausgeschlossen. Auch der noch grundrechtsintensivere Eingriff, die akustische Wohnraumüberwachung, ist wohl nach dem Wortlaut nicht ausgeschlossen. Die Bundesrechtsanwaltskammer fordert in ihrer Stellungnahme, dass in § 91c Absatz 2 Nummer 2 IRGE ein ausdrücklicher Verweis auf Maßnahmen nach §§ 100c ff., 100f StPO erfolgen sollte – um klarzustellen, dass die engen Voraussetzungen für eine akustische Wohnraumüberwachung bzw. eine akustische Überwachung außerhalb von Wohnraum gelten müssen. Mindestens diese Klarstellung ist erforderlich. Für den Einsatz von Staatstrojanern fehlt in unserer Strafprozessordnung eine gesonderte und eindeutige Regelung. Wir Grüne lehnen diesen Grundrechtseingriff ab, da wichtige Fragen hierzu völlig ungeklärt sind: Wie sollen Berufsgeheimnisträger und der Kernbereich höchstpersönlicher Lebensgestaltung geschützt werden? Wie sollen andere auf den Endgeräten gespeicherte Inhalte jenseits der überwachten Kommunikation geschützt werden? Folglich sind wir mit der Möglichkeit, dass eine solche Maßnahme aus einem anderen EU-Staat heraus angeordnet werden könnte, nicht einverstanden. Mir ist klar, dass gerade in Grenzregionen die polizeiliche und staatsanwaltliche Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Nachbarländern Alltag ist und schon jetzt viele grenzübergreifende Maßnahmen durchgeführt werden können. Trotzdem ist mein Fazit: Die grundsätzlich richtige Erleichterung in grenzüberschreitender Beweiserhebung rechtfertigt nicht, dass das Problem der zum Teil sehr unterschiedlichen strafverfahrensrechtlichen Standards fortbesteht. Das kann in bestimmten Konstellationen zu problematischen Ergebnissen führen. Es wurde leider die Chance verpasst, im Kontext der Diskussion um die Europäische Ermittlungsanordnung das Etablieren von strafverfahrensrechtlichen Mindeststandards voranzutreiben. Wir werden aus den genannten Gründen diesem Gesetz nicht zustimmen, sondern uns enthalten. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas (Tagesordnungspunkt 26) Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir heute unsere Beratungen zu dem wichtigen Artikelgesetz abschließen können. Im Vergleich zu anderen Gesetzesvorhaben im Energiebereich ist dieses Gesetzesvorhaben relativ unumstritten und hat nicht zu vielen unterschiedlichen Positionierungen hier im Bundestag geführt. Wenn ich an unsere Diskussionen zum EEG, zum Fracking, zum KWK-Gesetz oder zum Strommarktgesetz denke, ist das Gesetzesvorhaben heute quasi im Konsensverfahren durch das Bundestagsverfahren gelaufen. Bei der Gesetzesvorlage handelt es sich um ein Artikelgesetz mit dem folgende Gesetze geändert werden: das Erdölbevorratungsgesetz, das Mineralölgesetz und das Energiewirtschaftsgesetz Die Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes zielt auf folgende vier Punkte ab: Erstens sollen neben inländischen Unternehmen auch Unternehmen mit Sitz in Mitgliedstaaten der EU oder in Norwegen oder der Schweiz Mitglied im Erdölbevorratungsverband werden können. Zweitens soll für beitragspflichtige Erdölerzeugnisse, die auf Seeschiffen gebunkert werden, frühzeitig ein Abzug bei der Bemessung der Beträge ermöglicht werden. Drittens soll es durch die Novelle Unternehmen ermöglicht werden, in Deutschland gehaltene Mineralölbestände auch zugunsten der Krisenabsicherung in Drittstaaten bereitzuhalten. Viertens zielt die Gesetzesänderung darauf ab, dass die Auswahlverfahren für Vertragspartner des Erdölbevorratungsverbandes vereinfacht werden. Zusammengefasst: Wir wollen den Krisenmechanismus für Deutschland und Europa verbessern. Und hier freue ich mich ausdrücklich über unsere Einigkeit. Mit der Änderung des Mineralölgesetzes sollen vorliegende Verwaltungsdaten für die statistischen Landesämter zur Erstellung von Energie- und Treibhausgasbilanzen nutzbar gemacht werden. Unsere Änderung hat damit einen ganz konkreten Bezug zur besseren Beobachtung unser energiepolitischen Bemühungen zur Reduzierung von CO2 in der Atmosphäre. Mit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes soll auf die neuen technischen Anforderungen auf Grund veränderter Gasbezugsquellen reagiert werden. Bis zum Jahr 2030 müssen sich 30 Prozent der deutschen Gaskunden auf die veränderte Gasqualität einstellen. Hintergrund ist die rückläufige L-Gas-Produktion bei uns in Deutschland und in den Niederlanden und die damit verbundene Umstellung auf die Gasqualität H-Gas. Für uns bedeutet der zusätzliche Gasimport nicht nur eine Erhöhung der Gasabhängigkeit vom Ausland, sondern die Gaskunden brauchen in Häusern, Wohnungen und Unternehmen andere Technik, damit die neue Gasqualität genutzt werden kann. Die Umrüstung der Geräte ist mit deutlichem Investitionsaufwand verbunden. Eine abschließende Einschätzung, inwieweit mit höheren Netzentgelten diesbezüglich zu rechnen ist, konnte uns das zuständige Fachministerium bisher noch nicht geben. Die Gesetzesgrundlage sieht aber vor, dass hier nicht nur die besonders betroffenen Kunden in Norddeutschland diese Erhöhungen tragen müssen, sondern eine gesamtdeutsche Wälzung unter den Gaskunden stattfindet. Ich finde es wichtig – insbesondere hinsichtlich der Akzeptanz für die Umstellung –, dass wir jetzt die Grundlage für die Umrüstung schaffen und diese Umrüstung mit einer zweijährigen Vorabinformationspflicht der Kunden verbinden. Gaskunden müssen nach dem Gesetz mindestens zwei Jahre vor der Umstellung auf die Umstellung hingewiesen werden. Diese Verpflichtung wird dazu führen, dass die Gaskunden mitgenommen werden, sie die Gründe hinterfragen können und keine pauschale Ablehnung für die neue Technik auf Grund fehlender Informationen aufbaut wird. Richtig und wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass der Einbau von effizienteren Geräten mit einer Kostenerstattung von 100 Euro belohnt wird. Hier verbinden wir dieses energiepolitische Vorhaben im Bereich der nicht regenerativen Energiequellen eng mit dem Energieeffizienzziel. Abschließend möchte ich um Ihre Zustimmung werben. Florian Post (SPD): Mit dem vorliegenden Artikelgesetz bringen wir notwendige Änderungen von drei energiepolitischen Gesetzen auf den Weg. Hierbei handelt es sich um das Energiewirtschafts-, das Erdölbevorratungs- und das Mineralöldatengesetz. Eine besondere Bedeutung hat hierbei sicherlich die Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes. Hintergrund ist der signifikante Rückgang der in Deutschland geförderten Erdgasmengen sowie die Verringerung der Importmengen aus den Niederlanden. Daher müssen Gasimporte aus anderen Staaten diese Lücke schließen. Entscheidend hierbei ist: Erdgas ist nicht gleich Erdgas, denn Gas aus deutschen und niederländischen Vorkommen hat einen geringeren Brennwert als Gas aus anderen ausländischen Bezugsquellen. Eine technische Umstellung der Gasendgeräte auf Gas mit höherem Brennwert – auch hochkalorisches oder H-Gas genannt – ist erforderlich damit Gasheizungen und Gasherde weiterhin sicher betrieben werden können. Von dieser sogenannten Marktraumumstellung sind große Teile der nord- und westdeutschen Gasnetze betroffen. Bis zum Jahr 2030 müssen etwa ein Drittel der deutschen Gaskunden auf eine andere Gasqualität wechseln. Eine Verzögerung bei dieser wichtigen Infrastrukturmaßnahme etwa aufgrund von Rechtsunsicherheit bei der Kostenverteilung können wir uns nicht leisten. Die Versorgungssicherheit vieler Millionen Haushalte und zahlreicher Industriebetriebe im Nordwesten Deutschlands, die momentan mit niedrigkalorischem Gas versorgt werden und auf H-Gas umstellen müssen, wäre in Gefahr. Verantwortlich für die Umstellung sind die örtlichen Netzbetreiber. Die Kosten für die Anpassung von Endgeräten – wie beispielsweise Gasheizungen und Gasherden – werden damit zuerst einmal von diesen getragen. Die Kosten werden dann – in einem zweiten Schritt – über die Gasnetzentgelte auf die Gaskunden umgelegt. Bisher wurden die Kosten der Umstellung immer nur im betroffenen Marktgebiet umgelegt. Mit der Gesetzesänderung führen wir nun eine bundesweite Wälzung der Kosten ein. Damit wird eine ungleiche Belastung der Endverbraucher beider Marktgebiete aufgrund unterschiedlicher Umstellungszeitpunkte vermieden. Die Einführung einer bundesweiten Wälzung der Kosten ist im Sinne einheitlicher Grundbedingungen im gesamten Bundesgebiet ein wichtiger Schritt. Damit die Kosten des Anpassungsprozesses nicht künstlich aufgebläht werden und auf das notwendige Maß beschränkt bleiben, führen wir zudem ein gesetzliches Prüfrecht durch die zuständige Regulierungsbehörde ein. Diese prüft nun, ob die von den Netzbetreibern vorgenommenen Anpassungen erforderlich und die Kosten angemessen sind. Damit haben wir eine wirksame Kostenkontrolle im Gesetz verankert. Die Einführung einer Informationspflicht für die Netzbetreiber stellt eine weitere wichtige Neuerung dar. Die Verteilnetzbetreiber werden nun gesetzlich verpflichtet, die Letztverbraucher mit einem zeitlichen Vorlauf von zwei Jahren über die geplante Umstellung zu informieren. Dies gibt den Gaskunden die Möglichkeit, sich rechtzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu entscheiden, ob sie im Zuge der Umstellung ein effizienteres Neugerät einbauen wollen. Entscheidet sich der Eigentümer eines Gasendgerätes dafür, anstelle der Anpassung des alten ein neues und in der Regel effizienteres Gerät anzuschaffen, erstattet ihm der örtliche Netzbetreiber einen Teil der Anschaffungskosten. Damit fördern wir den Einsatz effizienter Gasheizungen und liefern einen Baustein für eine erfolgreiche Wärmewende. Zusammenfassend schaffen wir mit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes also eine verlässliche Grundlage für eine kostengünstige, transparente und reibungslose Marktraumumstellung bis 2030. Damit wird die Versorgungssicherheit der Gasnetzkunden dauerhaft erhöht. Neben der Änderung des EnWG werden mit dem vorliegenden Gesetz auch notwendige Änderungen an zwei weiteren energiepolitischen Gesetzen vorgenommen: dem Erdölbevorratungsgesetz und dem Mineralöldatengesetz. Mit der Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes können nun auch Unternehmen mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten sowie aus Norwegen und der Schweiz Mitglieder im Erdölbevorratungsverband werden. Die Aufgabe dieses öffentlich-rechtlichen Verbandes ist es, Erdöl und verschiedene andere Kraftstoffe für 90 Tage vorzuhalten. In Zeiten, in denen das Risiko von Versorgungsengpässen auch durch unsichere außenpolitische Verhältnisse zunimmt, gewinnt diese strategische Erdölreserve immer weiter an Bedeutung. Diese Gesetzesänderung führt in erster Linie zu Verfahrensvereinfachungen; Umfang und System der Bevorratung bleiben aber unverändert. Die Erdölbevorratung wird zudem im Sinne einer stärker gesamteuropäisch gedachten Energiepolitik weiterentwickelt. Die Krisenfestigkeit der Öl- und Kraftstoffversorgung wird dadurch auch in Deutschland erhöht. Zu guter Letzt nehmen wir mit dem Artikelgesetz eine kleine, aber wichtige Änderung am Mineralöldatengesetz vor. Diese Anpassung stellt sicher, dass alle Bundesländer wieder alle notwendigen Daten für ihre Energiestatistiken erhalten. Eine freiwillige Datenweitergabe durch die Mineralölbranche hat sich hier als nicht praktikabel herausgestellt. Nun steht fest, dass die Länder über verlässliche Energie- und Treibhausgasbilanzen verfügen, die wiederum eine wichtige Basis für energiepolitische Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene darstellen. Klaus Ernst (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas sollen das Erdölbevorratungsgesetz, das Mineralöldatengesetz und das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden. Dabei werden verschiedene Ziele verfolgt. Unter anderem wurde die Erdgasversorgung in den Ländern Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt dauerhaft auf das sogenannte H-Gas umgestellt, das einen höheren Methangehalt hat. Hintergrund ist die rückläufige Förderung des bisherigen L-Gases in den Niederlanden und in Deutschland. Die Umstellung von L-Gas auf H-Gas ist nicht zuletzt auch deshalb zu befürworten, weil es eine höhere Energieeffizienz hat. Das Ressort schätzt, dass von den 4,3 Millionen Gas- und Brennwertkesseln und 1,2 Millionen sonstigen Geräten, in erster Linie Gaskochgeräte und Gasdurchlauferhitzer, 2,5 Prozent bzw. 10 Prozent nicht umrüstbar sind. Die Umrüstungskosten werden auf 4 000 Euro für Gas- und Brennwertkessel und 400 Euro für sonstige Geräte pro Fall geschätzt. Aufgrund einer hohen Anzahl alter Geräte würde die Investition allerdings ohnehin anfallen. Es gibt einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Netzbetreiber von Neugeräten, 100 Euro für jedes Neugerät. Damit fallen am Ende für die Bürgerinnen und Bürger Kosten für den Austausch der Geräte von rund 175 Millionen Euro an. Wir kritisieren jedoch, dass der Gesetzentwurf nicht die Chance nutzt, zeitgleich die Sicherheitsrisiken bei den Kavernenspeichern zu beseitigen, vor denen Umweltschützer seit langem warnen. Das Nachrüsten der Kavernen mit Doppelrohren wäre ein wichtiger Schritt, ein anderer die stärkere Überwachung der Kavernenspeicher. Mit der Änderung des Mineralöldatengesetzes sollen vorliegende Verwaltungsdaten für die statistischen Landesämter für die Erstellung von Energie- und Treibhausgasbilanzen nutzbar gemacht werden. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Darüber hinaus sollen auch Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in Norwegen und in der Schweiz Mitglied des Erdölbevorratungsverbandes werden können. Für die Mengen beitragspflichtiger Erdölerzeugnisse, die zur Bebunkerung von Seeschiffen verwendet werden, soll frühzeitiger ein Abzug bei der Bemessung der Höhe der Beiträge geltend gemacht werden können. Außerdem soll es Unternehmen ermöglicht werden, in Deutschland gehaltene Mineralölbestände auch zugunsten der Krisenvorsorge von Drittstaaten bereitzuhalten, und die Verfahren zur Auswahl von Vertragspartnern des Erdölbevorratungsverbandes sollen vereinfacht werden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass sich mit einer erfolgreichen Energiewende eine Bevorratung von Erdöl in diesem Ausmaß erübrigen würde. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will mich auf einen Punkt des vorliegenden Gesetzentwurfes konzentrieren: den Umstieg von L-Gas auf H-Gas. Seit Mai 2015 wird das Erdgasnetz schrittweise von L-Gas auf H-Gas umgestellt. Davon sind schätzungsweise 4,3 Millionen Kundinnen und Kunden, Gewerbetreibende und Industrieunternehmen betroffen. Insgesamt werden 5 bis 6 Millionen Endgeräte angepasst. Es geht vor allem um den Nordwesten: Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Hessen. Die Umstellung soll bis 2030 abgeschlossen sein. Wir finden es richtig, dass die Kosten dieser Umstellung nicht mehr nur diejenigen tragen sollen, die in den betroffenen Marktgebieten Gas beziehen, sondern alle Netzkundinnen und -kunden bundesweit herangezogen werden. Allerdings hätte man an dieser Stelle auch dafür sorgen können, dass die Berechnungen der Gasnetzbetreiber für die Umlage transparent gemacht werden. Im Strombereich ist das schließlich auch möglich. Warum nicht hier? Auch andere Neuregelungen, die sich aus den bisherigen Erfahrungen bei der Umstellung ergeben haben, halte ich grundsätzlich für richtig. Man könnte aber mehr tun. Ich bin überzeugt, dass wir die Umstellung von L-Gas auf H-Gas auch als Chance für Energieeinsparungen und erneuerbare Energien sehen sollten. Alle rund 4 Millionen Betroffenen werden für die Umrüstung persönlich aufgesucht. Dies bietet eine besondere Gelegenheit, für mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu werben; denn die Beschäftigung mit der Gasumstellung könnte für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ein Anlass sein, über Neuanschaffungen oder Veränderungen bei ihren vorhandenen Geräten nachzudenken. Das ist ein geeigneter Ansatzpunkt, um für mehr erneuerbare Energien zum Beispiel im Wärmebereich zu sensibilisieren und auf weitere Fördermöglichkeiten (MAP erneuerbare Wärme etc.) aufmerksam zu machen. Eine begleitende Informationskampagne für Energieeffizienzmaßnahmen und erneuerbare Energien als Alternative zu Erdgas wäre also sinnvoll, ist jedoch nicht geplant. Wer die Energiewende vorantreiben will, darf sich solche Gelegenheiten aber nicht entgehen lassen! Erdgas ist wie Erdöl und Kohle ein fossiler Rohstoff. Wenn wir die Klimaziele einhalten wollen, müssen wir mittelfristig auch auf Erdgas verzichten. Investitionen in Infrastruktur wie das Gasnetz sind langfristig ausgerichtet. Auch Geräte wie Heizungen, die heute neu angeschafft werden, werden in der Regel mindestens 20 Jahre genutzt und nicht so schnell wieder angefasst. Wir müssen also jetzt dafür sorgen, dass Chancen für Effizienz und erneuerbare Energien konsequent genutzt werden, und wir müssen uns jetzt überlegen, wie das deutsche Gasnetz aussehen muss, wenn wir uns zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen. Wir sollten nicht zulassen, dass Geld in fossile Infrastrukturen fließt, die wir in wenigen Jahren so nicht mehr brauchen. Die Priorität muss stattdessen immer bei Energieeinsparungen, mehr Energieeffizienz und mehr erneuerbaren Energien liegen. Weil wir Grüne die technisch notwendigen Inhalte des Gesetzes grundsätzlich für richtig halten, aber die günstige Gelegenheit von Geräteumstellungen nutzen wollen und dabei mehr Engagement von der Bundesregierung für die Energiewende erwarten, enthalten wir uns. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter Jahresbericht 2015 der Bundesstelle und der Länderkommission (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Folter ist ein schauriges Überbleibsel längst vergangener Jahrhunderte. Es ist fatal, dass wir uns heute überhaupt noch mit ihr beschäftigen müssen. Doch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In circa 70 Prozent aller Staaten wird gefoltert oder misshandelt. Sicher, diese viel zu hohe Zahl schließt auch jene Länder mit ein, in denen in den vergangenen Jahren nur Einzelfälle von Folter beobachtet wurden. Aber jeder Einzelfall ist einer zu viel, und in der Mehrzahl der Staaten gehören Folter und Misshandlungen zur traurigen Routine. Dies zeigt, wie schwierig es offenkundig auch weiterhin ist, dieser gravierenden Menschenrechtsverletzung den Garaus zu machen. Wenn wir über Folter sprechen, dann geht es dabei nicht nur um Nordkorea und China – oder Saudi-Arabien, wo Raif Badawi die Peitschenhiebe Nummer 51 bis 100 Gerüchten zufolge kurz bevorstehen. In Russland werden laut Amnesty International jedes Jahr Hunderte Menschen Opfer von Folter. Auf das Schicksal Oleg Sentsovs habe ich an dieser Stelle bereits mehrfach hingewiesen; diese Woche haben wir den Bericht des Kreml-Kritikers Ildar Dadin zur Kenntnis nehmen müssen, in dem dieser sein Martyrium im russischen Gefängnis schildert. Große Besorgnis löst darüber hinaus die Situation in der Türkei aus: Berichte über drastisch häufiger vorkommende Folterungen bzw. die Aussetzung entsprechender Schutzmechanismen nach dem Putschversuch widersprechen gänzlich unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Der Druck auf Präsident Erdogan muss umgehend erhöht werden; der gestern veröffentlichte Fortschrittsbericht der EU (der tatsächlich eher ein Rückschrittsbericht ist) war ein Schritt in diese Richtung. Einer der wichtigsten Ansätze in dem Bemühen, Folter und Misshandlung ein Ende zu setzen, ist – neben einer Portion gesunden Menschenverstandes – die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen, die inzwischen von 157 Staaten ratifiziert wurde. Das 2006 verabschiedete Zusatzprotokoll zu dieser Konvention sieht für alle Vertragsstaaten einen nationalen Präventionsmechanismus vor, der regelmäßige Besuche in Gefängnissen und weiteren Orten der Freiheitsentziehung vorzieht. In Deutschland wurde dieser Präventionsmechanismus mit der Einrichtung der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter umgesetzt, deren Bericht für das Jahr 2015 uns heute vorliegt. Lassen Sie mich zunächst den Mitgliedern der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter für ihre Arbeit danken. Zwar ist die Situation bei uns eine gänzlich andere, als ich sie eingangs in Bezug auf andere Länder geschildert habe. Folter gibt es bei uns nicht. Dennoch müssen selbstverständlich auch wir in Deutschland darauf achten, dass es – erstens – genau so bleibt. Zweitens können auch wir noch Dinge verbessern, bei denen der Begriff „Folter“ eher verwunderlich anmutet, aber Verbesserung im Detail anregt. Genau hier setzt der vorliegende Bericht an. So wird beispielsweise mit Blick auf die Arrestzellen einer Bundeswehrkaserne angemerkt, dass es Insassen ermöglicht werden sollte, selbstständig die Beleuchtung in den Arresträumen zu regeln. Das mag sich für manch einen schon fast übertrieben anhören. Dennoch hat es seine Berechtigung; denn in anderen Ländern wird Licht – oder dessen Abwesenheit – tatsächlich als Folterinstrument angewendet. Gleichzeitig verdeutlicht dieses Beispiel: Wenn sich die Kritikpunkte einer unabhängigen Organisation in solchen Dimensionen bewegen, dann wird klar, dass es sich hier bei uns um Sachverhalte ganz anderer Art handelt, als in den 141 Ländern, in denen Amnesty International in seinem letzten Berichtszeitraum Folter oder andere Formen der Misshandlung beobachtet hat. Wir müssen und wollen unseren menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Pflichten nachkommen – selbstverständlich auch gegenüber „Arrestantinnen und Arrestanten“, wie es in dem Bericht so schön heißt. Denn die eigentliche Stärke einer Gesellschaft lässt sich auch an ihrem Umgang mit denjenigen ablesen, die sich nicht an die Regeln gehalten haben. Anfang 2015 wurden daher die Finanzmittel für die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter aufgestockt, um eine größere Anzahl an Besuchen zu ermöglichen. Ich möchte an dieser Stelle allerdings ganz klar unterstreichen, worum es dabei eindeutig nicht gehen darf. In Justizvollzugsanstalten sitzen zum Teil verurteilte Schwerkriminelle ein: Mörder, Kinderschänder und Terroristen. Die Haft im Gefängnis ist eine Einschränkung und soll auch eine solche sein. Mit einem Hotelaufenthalt braucht sie nicht verglichen zu werden. Das ist nicht das Ziel von Strafe. Der vorliegende Bericht zieht eine positive Bilanz und bestätigt damit das hohe Niveau, auf dem Deutschland sich befindet. In den vergangenen Jahren wurden viele Empfehlungen der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter zeitnah umgesetzt. Wir gehen davon aus, dass dies auch weiterhin so sein wird, und bringen dies auch in der heute zur Abstimmung stehenden Entschließung zum Ausdruck. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Folter in Deutschland – anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts 2015 der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter widmen wir uns heute diesem Thema. Und wir freuen uns über sehr positive Nachrichten. Schon 2013 stellte der Ausschuss gegen Folter der Vereinten Nationen fest, dass es in Deutschland keine Fälle von Folter gab. Der aktuelle Bericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, also des deutschen Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter, die nach der Ratifizierung vom VN-Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (VN-Antifolterkonvention – CAT) gegründet wurde und 2009 ihre Arbeit aufnahm, ist durchaus positiv. Zu Beginn des Jahres 2015 wurde das Budget der Nationalen Stelle auf 540 000 Euro erhöht und die Anzahl der Mitglieder der Länderkommission auf acht verdoppelt, womit die Aufnahme der Besuchstätigkeit in bisher nicht oder kaum abgedeckten Bereichen – insbesondere in Alten- und Pflegeheimen, psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen der Jugendhilfe – zumindest sporadisch möglich wurde. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter besteht aus der Bundestelle und der Länderkommission. Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte der Freiheitsentziehung aufzusuchen, auf Missstände aufmerksam zu machen und den Behörden Empfehlungen und Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Untergebrachten, zur Verhütung von Folter und sonstigen Misshandlungen zu unterbreiten. Letztes Jahr besuchte die Bundesstelle 16 Dienststellen der Bundespolizei. Trotz des hohen Arbeitsaufkommens wegen der großen Zahl von einreisenden Flüchtlingen und Migranten vermerkte die Bundesstelle eine insgesamt positive und problembewusste Haltung der Beamten. Die Länderkommission befasste sich schwerpunktmäßig mit dem Jugendstrafvollzug. Sie berichtet über eine hohe Zahl an ausgebildeten Mitarbeitern, die die Gefangenen intensiv betreuen und behandeln und über keine menschenunwürdigen Bedingungen. Diese positiven Erkenntnisse begrüßen wir. Wir begrüßen auch die konstruktiven Empfehlungen der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter und unterstützen ihre Bemühungen, diese Empfehlungen bundesweit stärker bekannt zu machen, damit sie bei Bedarf in ähnlichen Einrichtungen ebenfalls und noch breiter angewandt werden können. Zukünftig können wir die Bundesregierung nur dazu auffordern, die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter weiterhin zu unterstützen und ihr Engagement gegen und zur Verhütung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe mit Nachdruck im In- und Ausland fortzusetzen. Wahrscheinlich denkt man, dass diese guten Nachrichten selbstverständlich sind, dass Deutschland vorbildlich ist, was Folterprävention angeht. Doch es ist keine Selbstverständlichkeit. Nur ein paar Blicke in die weltweite Situation machen es schon sehr deutlich. Denn Folter ist außerhalb Deutschland und Europa überhaupt keine Ausnahmeerscheinung. Laut Professor Manfred Nowak, dem ehemaligen Sonderberichterstatter für Folter der Vereinten Nationen, ist Folter in der überwiegenden Mehrheit der Staaten dieser Erde eine weit verbreitete Praxis. In manchen Ländern werden sogar Körperstrafen als gerichtliche Sanktion vorgesehen und angewandt, wie in Afghanistan, in Saudi-Arabien und im Sudan. Letztes Jahr haben wir hier im Reichstag die Freilassung von Raif Badawi gefordert. Der saudische Blogger und Internetaktivist war zu 1 000 Stock- und Peitschenhieben verurteilt worden. Der Menschenrechtsverteidiger sitzt übrigens immer noch im Gefängnis; sein Gesundheitszustand ist schlimm, und das Regime hat die weiteren Schläge noch nicht aufgehoben. Erschütternd ist die Situation auch in Syrien, wie wir es leider schon allzu gut wissen. Laut Schätzungen der internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International sind seit 2011 in den Gefängnissen der syrischen Regierung mindestens 17 723 Menschen durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedingungen ums Leben gekommen. Ihr Bericht „It Breaks the Human: Torture, disease and death in Syria’s prisons“ belegt anhand von Aussagen von Überlebenden das erschreckende Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen. Dieses staatliche Vorgehen stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Wieder zeigt sich, wie dringend wir Gesprächskanäle brauchen, um den Bürgerkrieg zu beenden. Oft sind die schutzbedürftigsten Menschen Folter ausgeliefert. So zum Beispiel junge Eritreer, die vor der Diktatur ihres Landes fliehen. Auf dem Weg nach Ägypten durch den Sudan werden viele entführt und gefoltert. Die Menschenhändler erpressen immense Lösegeldsummen von den verzweifelten Verwandten daheim. Sie rufen die Familien an und lassen sie dabei zuhören, wie ihre Angehörigen gefoltert werden. Manchen werden Organe entnommen. Die aus Eritrea stammende Menschenrechtlerin Fessaha berichtete über Menschen, deren Körper mit glühenden Eisen verbrannt wurden, deren Haut mit kochendem Wasser oder Öl übergossen wurde, deren Leiber aufgeschlitzt und akribisch wieder zugenäht wurden. Folter ist völkerrechtlich ohne Einschränkungen verboten. Die Internationale Gemeinschaft hat als Reaktion auf den Nazi-Holocaust das Folterverbot aus guten Gründen zu einem der wenigen absoluten und notstandsfesten Menschenrechte erklärt. Artikel 2 der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen von 1984 bekräftigt dies nochmals nachdrücklich, so § 2: „Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.“ Und § 3: „Eine von einem Vorgesetzten oder einem Träger öffentlicher Gewalt erteilte Weisung darf nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.“ Wir dürfen nicht vergessen, dass das Zulassen von Folter in Ausnahmefällen zur Öffnung der berühmten Büchse der Pandora geführt hat. In verschiedenen Geheimgefängnissen weltweit ließ die CIA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Terrorverdächtige foltern, um an Informationen zu gelangen. Dies belegt der Ende 2014 veröffentlichte Bericht des US-Kongresses. Die USA haben damit gegen das absolute Folterverbot und das Völkerrecht verstoßen und sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. Mit der bisherigen Straflosigkeit für die Folterer haben sie ein verheerendes Signal in die Welt gesandt. Noch besorgniserregender sind die Aussagen des neugewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump während seines Wahlkampfs. Vor dem Fernseher kündigte er an, mit derzeit illegalen Foltermethoden gegen Terroristen durchgreifen zu wollen: Er würde sich darum bemühen, dass die rechtlichen Vorschriften überarbeitet würden, die Waterboarding und extremere Formen der Folter verbieten, weil die USA einen strategischen Nachteil gegenüber der IS-Miliz hätten. Letzten Februar sagte er: Torture works. OK, folks? You know, I have these guys –”Torture doesn’t work!” – believe me, it works. And waterboarding is your minor form. Some people say it’s not actually torture. Let’s assume it is. But they asked me the question: What do you think of waterboarding? Absolutely fine. But we should go much stronger than waterboarding. Donald Trump sprach sich übrigens auch mehrmals für die Tötung von Familienmitgliedern von Terrorverdächtigen aus. Den neuen amerikanischen Präsidenten ermutigen wir gern, „Amerika wieder groß zu machen“. Am 4. Juli 1776 gründeten die Gründerväter die Vereinigten Nationen von Amerika auf den Prinzipien der Freiheit. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung ist das weltweit erste offizielle Dokument, dass Menschenrechte postuliert: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ Seitdem haben die USA sich unerlässlich als Schutz- und Trutzmacht der Freiheit weltweit eingesetzt. Seit Guantanamo, Abu Ghuraib oder außerordentlichen Überstellungen sind die USA aber kein Vorbild mehr. Daher ermutigen wir – ermutige ich – den neuen Präsidenten, „Amerika wieder groß zu machen“: Amerika wieder zur größten Schutzmacht für jeden Freiheitsliebenden dieser Welt zu machen. Frank Schwabe (SPD): Wir befassen uns heute mit dem Jahresbericht 2015 der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. Die Nationale Stelle ist Deutschlands Einrichtung für die Wahrung eines menschenwürdigen Lebens von Personen, denen ihre Freiheit entzogen wurde. Es ist eine sehr wichtige Einrichtung. Aus ihrem Jahresbericht erfahren wir, ob in Deutschland Menschen, denen ihre Freiheit entzogen wurde, menschenwürdig untergebracht und behandelt wurden. Hierfür überprüft die Nationale Stelle Orte der Freiheitsentziehung wie Dienststellen der Bundespolizei, Haft- und Arresteinrichtungen der Bundeswehr, Justizvollzugsanstalten, Jugendarrestanstalten, Abschiebungshaftanstalten, psychiatrische Kliniken sowie Alten- und Pflegeheime. Die Untersuchungen der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter sind auch insofern wichtig, da wir oft und zu Recht Folter und unmenschliche Behandlung und Strafe im Ausland kritisieren. Deshalb müssen wir darauf achten, dass auch wir selbst jene menschenrechtlichen Standards einhalten, die wir von anderen fordern. „Folter versteht sich als jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden ….“ So steht es im Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, der sogenannten Antifolterkonvention. Es ist erfreulich, dass die Nationale Stelle zusammenfassend feststellen kann, dass es in Deutschlands Gewahrsamseinrichtungen keine Folter gibt. Allerdings gibt es Situationen und Missstände, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar sind. Diese Missstände müssen wir ernst nehmen und beseitigen. Bund und Länder sind hier gleichermaßen gefordert. Laut Artikel 2 der Antifolterkonvention ist jeder Vertragsstaat verpflichtet, „… wirksame gesetzgeberische, verwaltungsmäßige, gerichtliche oder sonstige Maßnahmen, um Folterungen in allen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten zu verhindern“, durchzuführen. In diesem Sinne wurde 2002 die Konvention durch ein Fakultativprotokoll ergänzt. Dieses verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, einen Nationalen Präventionsmechanismus einzurichten, der dafür sorgt, dass freiheitseinschränkende Institutionen, die der staatlichen Gewalt unterliegen, die Antifolterkonvention einhalten. Bis Ende 2015 wurde das Fakultativprotokoll von 98 Staaten unterzeichnet und von 80 ratifiziert. 63 Staaten haben bereits einen Nationalen Präventionsmechanismus eingerichtet. Die SPD-Bundestagsfraktion hat lange für die Ratifizierung des Zusatzprotokolls gekämpft. In Deutschland wurde der Nationale Präventionsmechanismus 2009 zunächst in Form der Bundesstelle eingerichtet, 2010 dann ergänzt durch die Länderkommission. Bundesstelle und Länderkommission bilden gemeinsam die Nationale Stelle. Der Zuständigkeitsbereich der Bundesstelle ist mit 280 Gewahrsamseinrichtungen klein im Vergleich zu jenem der Länderkommission. Diese ist für mehrere Tausend Einrichtungen zuständig. Dazu gehören 1 270 Dienststellen der Landespolizei, etwa 550 psychiatrische Fachabteilungen sowie 10 900 Alten- und Pflegeheime. Dies ist eine immense Herausforderung. Als Schnittstelle zwischen internationalem Abkommen und deutschem Recht besteht die Nationale Stelle aus einem unabhängigen Gremium, das auf Missstände aufmerksam macht und Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Viele frühere Empfehlungen der Nationalen Stelle wurden umgesetzt, jedoch fast ausschließlich in den besuchten Einrichtungen, nicht aber landes- und bundesweit in Einrichtungen mit ähnlich gelagerten Problemen. Dies ist bedauerlich und muss sich ändern. Zu den Problemen und Missständen in freiheitsentziehenden Institutionen in Deutschland zählen zum Beispiel fehlende Rauchmelder, fehlende Intimsphäre der Gefangenen, unzulässige Doppelbelegung einer Zelle, nicht dimmbare Beleuchtung, fehlende Papierunterwäsche und teilweise schlechte bauliche Zustände der Einrichtungen. Auch der aktuelle Fall des Terrorismusverdächtigen Jaber Albakr hat deutlich gemacht, dass zumindest in der Leipziger JVA Handlungsbedarf besteht. Der inhaftierte Syrer hätte besser bewacht werden müssen und keine Gelegenheit erhalten dürfen, sich das Leben zu nehmen. Dass dies geschehen konnte, ist allein schon Beleg für strukturelle und personelle Probleme in dieser JVA. Speziell 2015 stellte die unerwartet hohe Zahl der Flüchtlinge eine große Herausforderung für Deutschland und die damit befassten Einrichtungen dar. So war zum Beispiel das Bundespolizeirevier in Passau auf die vielen Menschen nicht ausreichend vorbereitet. Sie wurden daher auch in Räumen untergebracht, die die Besuchsdelegation der Bundesstelle als nicht geeignet empfand. Außerdem mussten Personen untergebracht werden, die verdächtig waren, eine Straftat begangen zu haben. So war eine Einzelzelle doppelt belegt; weder gab es eine abgetrennte Toilette in der Haftzelle noch einen Sichtschutz durch die Gitter von außen. Problematisch sah die Delegation auch die Unterbringung von zehn Personen in einem Raum ohne Sitzgelegenheit an. Trotz der Herausforderungen und dem hohen Arbeitsaufwand für die Bundespolizeiinspektion Freyung mit ihrer Zuständigkeit für sehr viele Flüchtlinge wird im Bericht das insgesamt hilfreiche und problembewusste Verhalten der Beamten gewürdigt. In einer von der Länderkommission besuchten Jugendarrestanstalt waren die 8 Quadratmeter großen Arresträume ebenfalls doppelt belegt, die Toilette war baulich nicht abgetrennt. Das Bundesverfassungsgericht hat solche Situationen als Verletzung der Menschenwürde eingestuft. Die Wahrung der Intimsphäre gehört zu jenen Standards, die freiheitsentziehende Einrichtungen einhalten müssen. Dennoch gibt es in diesem Bereich viele Mängel, oft in Waschräumen, in denen Trennwände zwischen den Duschkabinen fehlen. Obwohl viele Einrichtungen inzwischen ganz auf Türspione verzichten, was die Nationale Stelle empfiehlt, werden sie anderswo weiterhin benutzt. Auch auf die vollständige Entkleidung von Gefangenen sollte verzichtet werden. Sollte ein Ausnahmefall bestehen, werden Papierunterwäsche und Papierhemden empfohlen. Die Menschenwürde muss unter allen Umständen gewährleistet werden. Diese und andere Missstände konnten durch die Nationale Stelle aufgedeckt werden. Zugleich gibt sie den besuchten Einrichtungen vielfältige Empfehlungen – von Dolmetschern im Jugendstrafvollzug über bauliche Veränderungen bis hin zu unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestellen. Da die Nationale Stelle eine präventive Funktion wahrnimmt, richten sich ihre Empfehlungen nicht nur direkt an die von ihr besuchten Einrichtungen. Deshalb unterstützen wir ihre Bemühungen, die Empfehlungen bundesweit stärker bekannt zu machen, damit sie bei Bedarf in vergleichbaren Einrichtungen ebenfalls angewandt werden können. Auch sollten die Berichte auf der Internetseite besser zugänglich gemacht werden. Eine engere Zusammenarbeit mit europäischen Staaten, um gemeinsame Standards einzuführen und voneinander zu lernen, wie dies die Nationale Stelle plant, begrüßen wir sehr. Ich freue mich, dass es für das Jahr 2015 gelungen ist, die Nationale Stelle finanziell und personell aufzustocken. Das Budget wurde auf 540 000 Euro erhöht, die Anzahl der Mitglieder der Länderkommission auf acht verdoppelt, sodass mehr Einrichtungen besucht werden können. Dies ist gut, reicht aber nicht aus. Trotz verbesserter Arbeitsbedingungen steht die Nationale Stelle weiterhin vor einer großen Herausforderung. Mittelfristig muss der Präventionsmechanismus erneut finanziell und personell verstärkt werden. Die personelle und fachliche Erweiterung der Nationalen Stelle macht künftig auch verstärkt Besuche in Pflege- und Altenheimen möglich. Dies ist ein weites Feld, in dem viel Missbrauch geschehen kann, unabhängig davon, ob die Heime über geschlossene Abteilungen verfügen oder nicht. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg. Die Nationale Stelle hat sich schon jetzt bewährt, die SPD-Bundestagsfraktion wird sie weiterhin in ihrer wichtigen Aufgabe unterstützen. Im Namen des Deutschen Bundestages danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nationalen Stelle für ihre engagierte Arbeit. Annette Groth (DIE LINKE): Der Entschließungsantrag der Koalition zeichnet in völligem Widerspruch zum Bericht der Nationalen Stelle ein rosarotes Bild von den Zuständen in den besuchten Einrichtungen. Die Koalition sieht offensichtlich keinen Handlungsbedarf und hat die reale Lage nicht zur Kenntnis genommen. In keiner Weise thematisiert der Antrag die Tatsache, dass es dringend einer deutlichen Aufstockung der finanziellen und personellen Ressourcen für die Nationale Stelle und die Länderkommission bedarf, damit mehr Besuche in den Einrichtungen durchgeführt werden können. Zwar ist es positiv, dass 2015 die Anzahl der Mitglieder der Länderkommission vergrößert wurde, dies ist aber nur ein erster Schritt. Auch die Erhöhung des Budgets der Nationalen Stelle auf 540 000 Euro ist lediglich ein erster bescheidener Anfang, der keinesfalls ausreicht. So schreibt die Nationale Stelle zwar in ihrem Bericht: „Dies war für die Länderkommission ein wichtiger Schritt, da nun die Aufnahme der Besuchstätigkeit in den bisher nicht oder kaum abgedeckten Bereichen möglich wurde“, gleichzeitig zeigt der Bericht jedoch ganz klar auf, dass auch nach der Erhöhung der finanziellen und personellen Ressourcen für die Nationale Stelle nur wenige Stichprobenbesuche in den zu überprüfenden Einrichtungen durchgeführt werden können. Aufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte der Freiheitsentziehung zu besuchen und vorhandene Missstände aufzuzeigen. Sie schlägt den Behörden konkrete Verbesserungen vor. Dabei ist die Nationale Stelle für die etwa 280 Gewahrsamseinrichtungen der Bundeswehr, der Bundespolizei und des Zolls sowie für Rückführungsmaßnahmen, die von der Bundespolizei begleitet werden, zuständig. In die Zuständigkeit der Länderkommission fallen 184 organisatorisch selbstständige Justizvollzugsanstalten, etwa 1 270 Dienststellen der Landespolizeien, alle Gerichte mit Vorführzellen, sieben Abschiebungshafteinrichtungen, circa 550 psychiatrische Fachabteilungen in speziellen Kliniken oder allgemeinen Krankenhäusern, 28 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit geschlossenen Plätzen sowie geschlossene Heime für Menschen mit Behinderung und die circa 10 900 Alten- und Pflegeheime, in denen freiheitsentziehende Maßnahmen durchgeführt werden. Wer sich vor Augen hält, um was für ein riesiges Aufgabengebiet es sich handelt, erkennt sofort, dass die derzeitige Ausstattung der Nationalen Stelle und der Länderkommission bei weitem nicht ausreicht, um eine angemessene Prüfung der Situation in diesen Einrichtungen durchzuführen. Deshalb fordert die Fraktion Die Linke seit vielen Jahren, die Mittel für die Nationale Stelle deutlich anzuheben und die Personalstellen für die Länderkommission auf mindestens 20 Vollzeitstellen zu erweitern. Im Bericht wird deutlich, dass eine Intensivierung der Besuche der Nationalen Stelle und der Länderkommission mehr als notwendig ist. Wenn im Bericht zum Beispiel darauf hingewiesen wird, dass die Empfehlungen nach wie vor in vielen Fällen nur in der jeweils besuchten Einrichtung umgesetzt werden, aber nicht landes- bzw. bundesweit, ist dies mehr als bedauerlich. Daraus folgt jedoch auch, dass möglichst viele Einrichtungen besucht werden müssen, damit vorhandene Missstände abgestellt werden. Gleichzeitig werden in dem Bericht immer wieder schwerwiegende Eingriffe in die Menschenwürde beklagt. So wird darauf hingewiesen, dass besonders gesicherte Hafträume per Video überwacht werden, wobei häufig die Intimsphäre der Untergebrachten nicht hinreichend geschützt ist. Es ist höchst alarmierend, dass ein erheblicher Anteil der Gefangenen in den Gemeinschaftsduschen nur mit Unterwäsche bekleidet duschen will. Es muss so schnell wie möglich Sorge dafür getragen werden, dass die Intimsphäre der Betroffenen ausreichend geachtet und geschützt wird. Die Ausführungen im Bericht über die Jugendarrestanstalt Lebach sind erschreckend. Insbesondere im Jugendarrest sind Unterbringungsbedingungen, die die Menschenwürde verletzen, nicht akzeptabel. In dem Bericht wird dargestellt, dass Arresträume, die über eine Grundfläche von lediglich 8 Quadratmetern verfügen und deren Toilette nicht baulich abgetrennt und gesondert entlüftet wird, doppelt belegt sind. Solche Zustände wurden vom Bundesverfassungsgericht als Verletzung der Menschenwürde bewertet. Auch der Hinweis, dass bei den Nachfolgebesuchen in den Jugendarrestanstalten Düsseldorf und Wetter (Ruhr) durch die Länderkommission ein Großteil ihrer Empfehlungen trotz teils anderslautender Mitteilungen der Aufsichtsbehörde nicht umgesetzt worden waren, ist erschreckend. Es ist skandalös, dass die Fixierung von Personen in Polizeidienststellen, die die Nationale Stelle als „menschenunwürdig“ bezeichnet, immer noch nicht abgestellt wurde. Außerdem weist die Nationale Stelle in ihrem Bericht darauf hin, dass Durchsuchungen, die mit einer vollständigen Entkleidung verbunden sind, einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen. Sie fordert deshalb völlig zu Recht, diese auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren. Ich kann mich nur voll und ganz der Einschätzung der Nationalen Stelle anschließen, dass die Durchsuchung Geflüchteter in Abschiebeeinrichtungen bei ihrer Inhaftierung unter vollständiger Entkleidung einen schwerwiegenden Eingriff in die Intimsphäre darstellt. Ausdrücklich unterstütze ich den Hinweis der Nationalen Stelle in ihrem Bericht, dass Abzuschiebende keine Kriminellen sind. Es zeigt sich an diesem Kapitel im Bericht überdeutlich, welche menschenrechtlich nicht akzeptablen Praktiken in Abschiebeeinrichtungen noch immer vorzufinden sind. Diese müssen sofort abgestellt werden. Für die Fraktion Die Linke möchte ich ausdrücklich meinen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nationalen Stelle und der Länderkommission für ihre wichtige Arbeit aussprechen. Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich die Ausstattung der Nationalen Stelle und der Länderkommission deutlich zu verbessern, damit Deutschland seinen eingegangenen Verpflichtungen aus dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen (OPCAT) angemessen nachkommen kann. Nur mit einer spürbaren Anhebung des Budgets und der Personalstellen kann die Nationale Stelle den präventiven Ansatz, den sie als wichtigen Teil der Sicherung der Menschenrechte und der Menschenwürde für Gefangene und Menschen, die in Einrichtungen untergebracht sind, in denen ihre Freiheit eingeschränkt wird, umsetzen und so ihren Verpflichtungen nachkommen Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Verbot von Folter ist eine der zentralen Menschenrechtsgarantien, die der Staat zu gewährleisten hat. Erwachsen aus dem Zusatzprotokoll zur UN-Anti-Folter-Konvention von 2002 ist hier auf deutscher Ebene die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Ihre gesetzliche Aufgabe ist es, die Orte, an denen Menschen die Freiheit entzogen werden kann, zu besuchen und Missstände aufzudecken. Das Mandat umfasst sowohl körperliche als auch seelische Formen der Gewalt und Misshandlungen und geht damit über einen eng gefassten Folterbegriff hinaus. Es ist seit langem klar, dass die Nationale Stelle derzeit diesen Auftrag nicht einmal ansatzweise erfüllen kann. Leider wird dies auch im nun vorgelegten Jahresbericht 2015 wieder einmal deutlich. Es ist daher absolut überfällig und dringend, dass die seit Jahren von den Grünen im Bundestag geforderte Aufbesserung der finanziellen Mittel in Zukunft im Bundeshaushalt durchgesetzt wird. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, an denen die mangelhafte Ausstattung der Nationalen Stelle sich offenbart. Zunächst einmal ist da die internationale Kritik, die in der Vergangenheit an Deutschland geäußert wurde. Sowohl die Vereinten Nationen als auch der Europäische Ausschuss zur Verhütung der Folter haben die mangelhafte Ausstattung der Nationalen Stelle mehrfach scharf kritisiert. Dass trotz dieser mehrfachen Kritik eine wirkliche Verbesserung der Verhältnisse verweigert wurde, ist – man kann es nicht anders sagen – ein wiederkehrendes Armutszeugnis für die Bundesregierung. Zudem ist die Leitung der Stelle noch immer ehrenamtlich und wird von noch nicht einmal zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt, die zudem zeitgleich für die achtköpfige Länderkommission tätig sind. Der Besuch Hunderter Einrichtungen, die in den Zuständigkeitsbereich der Nationalen Stelle fallen, ist somit faktisch unmöglich. Im Jahr 2015 wurden laut Bericht insgesamt 41 Besuche durchgeführt. Schaut man sich die besuchten Einrichtungen an, so wird deutlich, dass insbesondere zwei Felder aufgrund der demografischen Entwicklung sowie der aktuellen Lage vermehrte Aufmerksamkeit durch eine besser ausgestattete Nationale Stelle bekommen müssen: erstens die Pflege- und Altersheime, zweitens die Unterkünfte für Geflüchtete. In Zukunft werden immer mehr Menschen in Deutschland in Pflege- und Altersheimen wohnen. Die teilweise dramatischen Zustände in diesen Einrichtungen, die sich sowohl auf Bewohnerinnen und Bewohner als auch auf die Pflegekräfte auswirken, sind weithin bekannt. Viel zu oft werden Schutzlose und Pflegebedürftige Opfer körperlicher und seelischer Gewalt, ausgeübt ausgerechnet von denjenigen, denen sie aufgrund ihrer Situation vertrauen müssen. Viel zu oft werden Seniorinnen und Senioren mit nachlassender körperlicher Kraft Opfer von Willkür und Repression im Altersheim. Gerade auch bei diesen Fällen von nichtstaatlichen Einrichtungen sind die Überwachung und ganz ausdrücklich auch die Prävention, die sich aus dem Folterverbot ergeben, von immenser Wichtigkeit. Kommen wir zum zweiten großen Thema: Aus dem gesamten Bundesgebiet gab es während des letzten Jahres Berichte über die unhaltbaren Zustände in den Unterkünften für Geflüchtete. Der sächsische Flüchtlingsrat beispielsweise kritisierte im Sommer dieses Jahres die unhaltbaren Zustände einer Gemeinschaftsunterkunft in Rossau. Keine Küchen, keine Betten und verschmutzte sanitäre Anlagen – so der Bericht des Flüchtlingsrates. Doch was machte das zuständige Landratsamt als Reaktion auf die Vorwürfe? Anstatt Transparenz herzustellen, dementierte es die Vorwürfe schlichtweg und, noch schlimmer, erteilte dem Flüchtlingsrat Hausverbot. Ein gravierendes Beispiel, das verdeutlicht, dass wir dringend nicht nur einen Aufstand der Anständigen, sondern auch einen Aufstand der Zuständigen in diesem Land brauchen. Hierbei könnte die Nationale Stelle helfen. Sie könnte in diesem und unzähligen vergleichbaren Fällen mit einer besseren finanziellen und personellen Ausstattung eine immens wichtige Lücke füllen. Die Besuche bei einigen Stellen der Bundespolizei, die mit der Erstregistrierung Geflüchteter befasst waren, sowie der Abschiebungshaftanstalt Eisenhüttenstadt und die Beobachtung einer Rückführung von 106 Personen von Leipzig nach Belgrad sind hier leider nichts als Tropfen auf den heißen Stein. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat bereits im Jahr 2013 eine Erhöhung der Bundesmittel auf 300 000 Euro und anschließend weitere Budgetsteigerungen gefordert. Es ist an der Zeit, dass sich die Bundesregierung bewegt und die Nationale Stelle in Zukunft angemessen unterstützt. Denn der Humanismus und die Reife einer Gesellschaft zeigen sich vor allem darin, wie mit den Schwächsten und Schutzbedürftigsten in ihren Reihen umgegangen wird. Und kaum eine Gruppe ist schutzbedürftiger als Folteropfer. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Fluchtursachen bekämpfen − Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken (Tagesordnungspunkt 28) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): „Fluchtursachen bekämpfen“ ist zu einem geflügelten Begriff geworden. Kaum eine Debatte über Syrien oder Afrika kommt ohne diese Formulierung aus. Wenn man diesen Begriff wörtlich nimmt, müssten wir eigentlich über Konfliktbefriedung und Konfliktvermeidung sprechen – sind doch Konflikte die größten Verursacher von Flucht. Doch wir wissen, wie schwer es die Diplomatie hat, gerade in Syrien eine politische Lösung des Konflikts herbeizuführen. Als Entwicklungspolitiker können wir jedoch diejenigen Staaten unterstützen, die die Masse der rund 5 Millionen syrischen Flüchtlinge aufgenommen haben und deshalb vor enormen innenpolitischen Herausforderungen stehen. Ich denke da vor allem an die Türkei, Jordanien, Libanon, Nordirak und Libyen. Diese Länder leisten Hervorragendes, und die internationale Gemeinschaft und auch wir zollen den Verantwortlichen für ihre Hilfsbereitschaft Dank und Respekt. Die Auswirkungen der großen Zahl an Flüchtlingen in diesen Ländern auf den Arbeitsmarkt, den Wohnungsmarkt, die soziale Infrastruktur und auch den Zusammenhalt der Gesellschaft sind gewaltig. Daher müssen wir unser komplettes entwicklungspolitisches Instrumentarium anwenden, um die Länder bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu unterstützen. Dazu zählt zunächst die Finanzierung der Arbeit der internationalen Hilfswerke, seien es das UNHCR, UNICEF oder andere. Wir haben unsere Beiträge erhöht und teilweise auch früher ausgezahlt, um diesen Institutionen die notwendige Planungssicherheit zu ermöglichen. Ich hoffe, dass auch andere Geber ihre Zusagen zeitnah einhalten werden, damit die internationalen Hilfsinstitutionen nicht wieder in eine Situation kommen, in der sie aufgrund von Unterfinanzierung vor Ort Rationen kürzen müssen. Neben der Finanzierung der internationalen Arbeit leisten wir schon seit Jahren natürlich die reguläre, bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern, die wir zudem noch über das Instrumentarium der Übergangshilfe und Krisenbewältigung vor Ort sinnvoll ergänzen können. Deren Fokus liegt vor allem auf den Gemeinden und Kommunen, in denen das Gros der Flüchtlinge in den Aufnahmestaaten lebt. Und nicht zuletzt können wir auf die großen Mittel der speziell geschaffenen Sonderinitiativen im Rahmen des BMZ-Etats zurückgreifen. Deren Einführung erweist sich im Rückblick als Glücksfall für die Handlungsfähigkeit der deutschen EZ in der betroffenen Region. In der Summe kann sich unser Instrumentarium mehr als sehen lassen. All unsere Maßnahmen und Instrumente haben das Ziel, die aufnehmenden Länder zu stabilisieren und die dort lebenden Flüchtlinge zu unterstützen; denn machen wir uns nichts vor: Diese Volkswirtschaften und Gesellschaften leiden schon heute unter Ressourcenknappheit, die durch die große Zahl der Flüchtlinge noch verstärkt wird. Daher müssen wir alles tun, um innergesellschaftliche Spannungen zu verhindern und auch die Geflüchteten vor Ort in Lohn und Brot zu bringen. Insbesondere das „Cash-for-Work“-Programm hat hier großes Potenzial. Rund 40 000 Menschen konnten schon über Jobs beschäftigt werden, die so ihre Familien ernähren können. Bis Jahresende hoffen wir, 50 000 Menschen anzustellen. Insgesamt erreichen wir damit eine Viertelmillion Familienmitglieder. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf zwei Punkte hinweisen, nämlich dass die Mittel, die in dieser Region ausgegeben werden, die circa 10- bis 20-fache Wirkung entfalten als in Deutschland, und dass ich hoffe, dass der sogenannte „Jordan Compact“ als wirtschaftlich selbsttragendes Modell doch noch zum Erfolg geführt werden kann – aber das nur am Rande. Zurück zu „Cash for Work“. Das Programm ist nicht nur eine Beschäftigungsmaßnahme: Wir investieren gleichzeitig auch in die örtliche Infrastruktur und Ausbildung. Durch das „Cash-for-Work“-Programm können rund 335 000 Kinder in die Schule gehen, über 11 000 Berufsschüler ausgebildet, über 1 700 Wohnungen sowie 40 andere Gebäude wie Schulen oder Gesundheitsstationen gebaut und mehrere Hundert Kilometer Straßen instand gehalten werden. Darüber haben wir uns ja in der gestrigen Ausschusssitzung ausführlich unterrichten lassen. Auch das gehört zur Erfolgsbilanz und muss auch an dieser Stelle deutlich gewürdigt werden. Dennoch wissen wir, dass die Aufnahmestaaten vor schwierigen Herausforderungen stehen. Das gilt insbesondere für Libyen, einem Land, dem in meinen Augen eine Schlüsselrolle zukommen wird. Den Friedensschluss vor einem knappen Jahr zur Bildung einer Einheitsregierung haben wir alle noch gut in Erinnerung. Der Bürgerkrieg war lang und schlimm genug. Wir beobachten, dass die neue Zentralregierung in Tripolis sich um die Konsolidierung der staatlichen Strukturen bemüht. Dennoch gibt es im Land Spannungen und droht ein Verlust staatlicher Autorität. Libyen darf kein „failed state“ und Transitland für Migration werden, in dem kriminelle Schleuserstrukturen ihr menschenverachtendes Unwesen treiben können. Daher ist es gut und richtig, dass Deutschland zur Initiierung der Stabilisierungsfazilität des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen 10 Millionen Anschubfinanzierung leistet. Lassen Sie mich zusammenfassen. Das Thema „Fluchtursachen bekämpfen“ ist in aller Munde. Die Entwicklungspolitik hat die Bedeutung erfasst und liefert. Das von der Bundeskanzlerin Merkel angekündigte verstärkte Engagement bei der Fluchtursachenbekämpfung setzen das Entwicklungsministerium und auch das Auswärtige Amt eindrucksvoll um. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Unsere Mittel und Instrumente wirken. Mehr kann man in der jetzigen Situation von der Entwicklungspolitik nicht verlangen. Ich hoffe, dass es der Diplomatie bald gelingen wird, einen Frieden in Syrien zu vermitteln, damit das Morden ein Ende hat und die Geflüchteten in ihr Land zurückkehren können. Dann – und das wissen wir nur zu gut – beginnt eine ganz andere Aufgabe für die Entwicklungspolitik. Aber auch dafür sind wir bereit. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Beim Luftangriff auf das syrische Idlib, südlich von Aleppo, vor zwei Wochen haben wir zusehen müssen, wie 22 Kinder und 6 Lehrer getötet wurden. Es war bisher der Angriff auf eine Schule, der am meisten Todesopfer gefordert hat. Obwohl Bildungseinrichtungen ebenso wie Krankenhäuser nach internationalem Recht unter besonderem Schutz stehen, hat UNICEF seit Beginn des gewaltsamen Konflikts in Syrien vor fünf Jahren mittlerweile über 4 000 Attacken auf Schulen gezählt. Jede dritte Schule in Syrien ist inzwischen außer Betrieb. Ich habe größten Respekt vor dem Mut der Lehrer, die sich trotz der Gefahr für ihr Leben hinstellen und versuchen, den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Die versuchen, den Kindern Normalität zu vermitteln, und sich dafür anstrengen, dass die Kinder trotz des Kriegs nicht völlig aus der Bildung herausfallen. Ich habe auch größten Respekt vor den Kindern, die trotz der täglichen Bomben, Kampfflugzeuge, Hubschrauber, Tretminen und Heckenschützen den Entschluss fassen, sich jeden Morgen auf den gefährlichen Weg in die Schule aufzumachen. Diese Kinder tragen keine Schuld an dem brutalen Krieg in ihrem Land, dem sie ausgeliefert sind. Sie wollen sich nicht ihre Zukunft rauben lassen. Sie wollen nicht zu einer verlorenen Generation werden. Ich habe Respekt vor den Menschen, die in Aleppo ausharren, weil sie das Letzte, was sie besitzen, nicht zurücklassen wollen. Oder weil sie ihren Verwandten und Freunden beistehen wollen. Ich habe aber auch bei allem Respekt für die, die bleiben, Verständnis für die, die diese tägliche Hölle nicht mehr aushalten und vor den Zuständen fliehen, weil sie die Zustände nicht mehr ertragen. Oder ganz einfach, weil sie Angst um die Gesundheit und das Leben ihrer Kinder haben. 5 Millionen Menschen haben die Zustände nicht mehr ertragen und sind aus Syrien geflohen. Davon sind über 80 Prozent in die Nachbarländer Syriens geflohen. Sie sind nicht zu uns nach Europa gekommen, sie sind in der Region geblieben und haben dort Aufnahme gefunden. In unserem Antrag „Fluchtursachen bekämpfen – Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen … stärken“ sagen wir sehr deutlich, dass wir diese Aufnahmestaaten nicht im Stich lassen dürfen. Denn alle Saaten sind von der Last der Flüchtlinge überdurchschnittlich stark gefordert, einige überfordert. Im Libanon leben 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge, und in Jordanien haben 650 000 Syrer Schutz gefunden. In beiden Ländern kippt die Stimmung. Und das hat Gründe. Das wirtschaftliche Wachstum in Jordanien sinkt seit fünf Jahren kontinuierlich, was ja auch kein Wunder ist, wenn die vor Beginn der Gewalt wichtigsten Absatzmärkte, Syrien und der Irak, fast ganz weggefallen sind. Die Verschuldung in Jordanien hat immer weiter zugenommen und liegt schon fast bei 100 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei 30 Prozent. In beiden Ländern werden die Forderungen immer deutlicher, dass die syrischen Flüchtlinge zurück in ihr Land müssen, weil man die Versorgung der Flüchtlinge nicht mehr bewältigen kann, weil die Gesellschaft vor eine Zerreißprobe gestellt ist. Wohin sollen die Syrer zurück? In den Bombenhagel? Die Lösung des Syrien-Konflikts ist die wichtigste Voraussetzung für eine Rückkehr der über 4 Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich in den Nachbarländern aufhalten. Wir müssen weiter alles für eine politische Lösung tun, damit es so bald wie möglich ein Ende der Gewalt in Syrien geben kann. Aber bis dahin muss die Versorgung der Flüchtlinge im Land und in den Staaten um Syrien sowie die Stabilisierung der Aufnahmestaaten und -gemeinden im Mittelpunkt stehen. Wir setzen mit unseren Maßnahmen an den richtigen Stellen an. Wir helfen, die Wasser- und Stromversorgung so auszubauen, dass alle Menschen erreicht werden. Wir können beim „Cash-for-Work“-Programm eine gute Bilanz ziehen und haben mit den aktuell knapp 40 000 Jobs unser Ziel für 2016, 50 000 Jobs zu schaffen und damit insgesamt 250 000 Menschen ein Einkommen zu bieten, schon fast erreicht. Mit der Sanierung von Wohnungen, Straßen und Abwasserleitungen im Libanon, in Jordanien, im Irak und in der Türkei tragen wir gleichzeitig dazu bei, dass sich die Lebensbedingungen für alle Menschen dort verbessern. Mit der Bezahlung von Lehrern sorgen wir dafür, dass wir für möglichst viele der Flüchtlingskinder aus Syrien, aber auch für die Kinder der einheimischen Bevölkerung der Aufnahmestaaten Bildung zur Verfügung stellen können. Damit eben keine verlorene Generation entsteht. Im Irak, der mit 250 000 syrischen Flüchtlingen gleichzeitig Aufnahmestaat ist und dazu noch 3,3 Millionen Binnenvertriebene zu versorgen hat, die im eigenen Land fliehen mussten, deuten sich mit der Rückeroberung des Landes vom IS jetzt die Herausforderungen an, die auch in Syrien auf uns zukommen werden, sobald dort ein Frieden erreicht werden kann. Das sind neue Herausforderungen, die vor allem die Frage betreffen, wie Aufbau, Versöhnung und stabiler Frieden gleichzeitig erreicht werden können. Wir sind aber jetzt schon gefordert, den Blick nach vorne zu richten, um vorbereitet zu sein und am Tag X in Syrien direkt handeln zu können, denn es gibt keine Zeit zu verlieren. Wenn in Syrien die Gewalt beendet ist, werden wir den Menschen schnell beim wirtschaftlichen Neuanfang helfen müssen. Wenn wir verhindern wollen, dass nach einem Friedensschluss die Gewalt immer und immer wiederkehrt und dann noch mehr Menschen aus Syrien fliehen müssen und die Region so dauerhaft instabil bleibt, dann wird das aber nicht ausreichen. Wir werden auch die schwierige Aufgabe lösen müssen, die Menschen bei einem gesellschaftlichen Neuanfang zu unterstützen. Wir sind gefordert, jetzt schon darüber nachzudenken, wie wir bei der Gestaltung eines Syriens helfen, in dem bei allen ethnisch-religiösen Unterschieden und bei allem gegenseitig zugefügten Leid ein friedliches Zusammenleben gefördert werden kann. Mit welcher Versöhnungsarbeit wir wo ansetzen müssen, welche Programme zur Förderung des religiösen Dialogs es braucht. Auf welche Weise wir beim Aufbau einer tragfähigen staatlichen Struktur mithelfen, die Entstehung einer Zivilgesellschaft fördern, wo wir helfen, möglicherweise notwendige Dezentralisierungsmaßnahmen durchzuführen. Wie wir es schaffen können, Minderheiten in die neuen Strukturen einzubinden, die beim Wiederaufbau des Landes entstehen. Wir stehen hier vor großen Aufgaben, die jahrelanges entwicklungspolitisches Engagement erfordern werden. Entwicklungspolitisches Engagement, ohne das Syrien niemals stabilisiert werden kann. Wichtig ist, dass wir auf den Tag X gut vorbereitet sind. Das heißt, wir haben zwei prioritäre Aufgaben: die Stabilisierung der Aufnahmestaaten konstant weiterzuführen und gleichzeitig die Maßnahmen vorzubereiten, die notwendig sein werden, um ein Syrien wiederaufzubauen, in dem alle Bevölkerungsteile zu dauerhaftem Frieden finden. Ein Land, das Teil einer stabilen Region Naher und Mittlerer Osten wird. Beides sind schwierige Aufgaben. Ich bin überzeugt, dass wir sie schaffen können. Gabriela Heinrich (SPD): Perspektivlosigkeit ist eine häufige Ursache dafür, dass sich Menschen entscheiden, weiterzuziehen. Wenn Menschen einem Krieg entkommen sind und dann in einem Nachbarland aufgenommen werden, haben sie ihr Leben gerettet, viel mehr aber häufig nicht. Für viele Menschen gilt: kein Zugang zum Arbeitsmarkt, kein Geld, keine vernünftige Unterkunft, und die Kinder können keine Schule besuchen. Ein solches Leben können Menschen, die vor einem Krieg fliehen, eine Weile aushalten, und das tun sie. Aber was, wenn der Konflikt weitergeht? Der Syrien-Krieg tobt seit 2011. Deswegen konnte sich niemand wundern, als im letzten Jahr viele der Flüchtlinge ihre Flucht fortgesetzt haben; denn niemand will Perspektivlosigkeit als Dauerzustand für sich und für die eigene Familie. Seit die Große Koalition Ende 2013 an den Start gegangen ist, hat sich sehr viel geändert. Wir investieren jetzt massiv in die Region und helfen den Aufnahmestaaten. Dazu haben wir vor allem den Haushaltstitel „Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infrastruktur“ massiv ausgebaut, von 49 Millionen Euro im Jahr 2013 auf zuletzt 400 Millionen Euro im Jahr. Auf der Geberkonferenz in London hatten wir mit 2,3 Milliarden Euro die größte Einzelzusage gegeben und auch eingehalten. Wir engagieren uns zum Beispiel mit der Schaffung von bis zu 50 000 Arbeitsplätzen für Flüchtlinge in den Aufnahmestaaten im Rahmen der Initiative „Cash for Work“. Mit dem vorliegenden Antrag gehen wir diesen Weg weiter. Die Frage „Was geht uns das denn an?“ stellt sich heute kaum noch jemand, und das ist gut so. Mit dem Antrag wollen wir weiter daran arbeiten, Perspektiven für die Flüchtlinge in den Hauptaufnahmestaaten zu schaffen. Dazu gehört auch die flächendeckende Absicherung des Schulunterrichts für alle Kinder in den Aufnahmestaaten. Wir gehen aber noch weiter; denn mit dem Antrag fordern wir auch mehr Engagement bei der zivilen Krisenprävention. Wir sprechen uns klar für eine politische Lösung für Syrien aus, und wir wollen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit solche Maßnahmen stärken, die der Stabilisierung der Region dienen. Um die Konfliktbearbeitung, die Achtung der Menschenrechte und den Dialog in den Aufnahmestaaten zu fördern, setzen wir auch auf die Deutsche Welle und den Zivilen Friedensdienst. Das ist wichtig; denn wir müssen Konflikten zwischen den Flüchtlingen und den Aufnahmegesellschaften entgegenwirken. Viele Flüchtlinge haben Grausames erlebt; wir brauchen daher auch mehr Traumaarbeit, mehr Aufarbeitung. Aber es geht noch um mehr. Wir wollen schließlich, dass irgendwann die Menschen nach Syrien zurückkehren können, und dann werden sich auch Menschen der verschiedenen Konfliktparteien wieder gegenüberstehen. Natürlich ist das erste Ziel der Frieden für Syrien. Aber wir müssen heute schon daran arbeiten, dass der Frieden nachhaltig wird. Deswegen dürfen wir nicht warten, sondern müssen schon jetzt – in den Aufnahmestaaten der Flüchtlinge – Konfliktprävention und den Dialog fördern. Genau das fordern wir mit unserem Antrag. Die Oppositionsfraktionen haben in der Ausschussberatung kritisiert, unser Antrag sei nicht umfassend genug, um Fluchtursachen zu beseitigen. Das ist richtig. Aber natürlich ist das Thema Fluchtursachen zu komplex, um es mit einem Antrag lösen zu können. Mit dem Antrag konzentrieren wir uns sinnvollerweise auf einen Aspekt der Fluchtursachen, nämlich darauf, die Aufnahmestaaten rund um Syrien zu stärken sowie Libyen zu stabilisieren. Wir wollen die Länder stärker unterstützen, die vom Syrien-Konflikt am stärksten betroffen sind und den Großteil der Flüchtlinge aus Syrien bei sich aufgenommen haben. Außerdem wollen wir zur Stabilisierung Libyens beitragen, damit hier nicht der nächste Konflikt vor den Toren Europas weiter eskaliert, sondern eingedämmt wird. Dass die Grünen und die Linke diese Ansinnen im Ausschuss abgelehnt haben, finde ich sehr schade und nicht sachgerecht, zumal wir in dem Antrag einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen: Wiederaufbau und die stärkere Vernetzung von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Die Frage, ob in Libyen ein Wiederaufbau gelingt, ist genauso entscheidend wie die Frage, ob wir in Syrien – im Falle eines Endes des Krieges – einen Wiederaufbau hinbekommen. Ein wichtiger Grund für die Existenz des „Islamischen Staates“, für Terror und Konflikte ist die Perspektivlosigkeit. Es geht also darum, weiterzudenken und weiter zu unterstützen, und zwar gerade auch dann, wenn die Waffen niedergelegt sind; denn das ist der Punkt, wo sich entscheidet, ob der Frieden dauerhaft sein wird oder nicht. Stefan Rebmann (SPD): Ende 2015 waren weltweit 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl, die jemals vom UNHCR gemessen wurde. Im Rahmen der Berichterstattung in Deutschland konnte leicht der Eindruck entstehen, diese Menschen hätten sich alle auf dem Weg nach Europa bzw. nach Deutschland gemacht. Betrachtet man jedoch die tatsächlichen Zahlen, relativiert sich dieser Eindruck recht schnell. Ja, es sind viele Menschen nach Deutschland geflohen, 890 000 um genau zu sein. Aber 86 Prozent, also neun von zehn Flüchtlingen weltweit, leben in Entwicklungsländern. Nicht etwa Deutschland zählt zu den größten Aufnahmeländern, sondern die Türkei (2,5 Millionen), der Libanon (1,1 Millionen) und Jordanien (664 100). Die Zahl im Falle Jordaniens ist zwar geringer als die Zahl der Menschen, die Deutschland aufgenommen hat, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung aber wesentlich höher. In Anbetracht der Herausforderungen, denen wir als reiche Industrienation im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise gegenüber stehen, ist es nicht schwer, zu erahnen, dass diese in wirtschaftlich schwächeren Ländern ungleich höher sind. Zunächst stellt die Erstunterbringung und Versorgung eine zentrale Aufgabe dar. Nachgelagert haben so große Flüchtlingszahlen auch Auswirkungen auf die Wohn- und Arbeitsmärkte, Gesundheitssysteme und Bildungseinrichtungen der Aufnahmeländer. Diese Vielschichtigkeit an Herausforderungen zeigt auch: Entwicklungszusammenarbeit alleine kann hier nicht das Allheilmittel sein. Fluchtursachenbekämpfung ist folglich immer eine ressortübergreifende Aufgabe. Der vorliegende Antrag ist auch nicht als ein allumfassendes Instrument zur Fluchtursachenbekämpfung im Allgemeinen zu verstehen. Hier geht es um einen sehr wichtigen Teilbereich. Es ist unbedingt notwendig, dass alle finanziellen Zusagen, beispielsweise an die Hilfswerke der UN, eingehalten werden. Wir haben im vergangenen Jahr gesehen, welch katastrophale Folgen die Unterfinanzierung des Welternährungsprogramms hatte. Das darf unter keinen Umständen erneut passieren. Neben der Sicherstellung von grundlegenden Bedürfnissen, wie Unterbringung und Versorgung, müssen aber unbedingt auch Perspektiven für die geflüchteten Menschen geschaffen werden. Dazu gehört beispielsweise die flächendeckende Absicherung des Schulunterrichts für geflüchtete Kinder, Traumaarbeit und die Berücksichtigung besonderer Belange von Frauen und Kindern. Ebenso wichtig ist es, eine Perspektive für die Menschen in den Aufnahmeländern selbst zu schaffen; denn sind Bildungsangebote in den Flüchtlingsunterkünften besser als im Rest des Aufnahmelandes, wird dies wiederum zu gesellschaftlichen Konflikten führen. Aus diesem Grund ist die entwicklungspolitische Stärkung in den Aufnahmeländern so wichtig, und die Bundesregierung hat hier schon einiges getan. Deutschland hat bei der internationalen Geberkonferenz für Syrien mit 2,3 Milliarden Euro bis 2019 die größte Einzelzusage getätigt. Als Entwicklungspolitiker freut mich zudem der Aufwuchs des Entwicklungsetats, der auf dem höchsten Stand der Geschichte steht, wenngleich das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, noch nicht erreicht wird. Dieser Antrag ist ein wichtiger Schritt zur entwicklungspolitischen Stärkung der Aufnahmeländer um Syrien, aber auch eine Anerkennung für das, was diese Länder bisher humanitär geleistet haben. Der Antrag ist eine deutliche Aufforderung an die Bundesregierung, weiter ihrer internationalen Verantwortung gerecht zu werden und nicht in ihren Anstrengungen nachzulassen, auf der einen Seite alles für eine Lösung des Syrienkonflikts zu tun und gleichzeitig die Nachbarstaaten bei der Unterbringung der Flüchtlinge zu unterstützen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag „Fluchtursachen bekämpfen“ von SPD und CDU/CSU spiegelt realistisch die Außenpolitik der Bundesregierung wider: Sie reden ständig über die Bekämpfung von Fluchtursachen, aber Sie machen überhaupt nichts, um real Fluchtursachen zu bekämpfen. Sie betreiben eine Politik, die sich darauf konzentriert, Fluchtmöglichkeiten, Fluchtwege und auch direkt Flüchtlinge zu bekämpfen. In Ihrem Antrag konzentrieren Sie sich auf die schlechte Situation der Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten Syriens und Iraks. Und es stimmt, die Lebensbedingungen sind nach wie vor inhuman und unwürdig, und trotz vieler Appelle der UN-Organisationen reicht die finanzielle Ausstattung nicht aus. Wir haben das mehrfach kritisiert und deshalb auch in den Haushaltsverhandlungen gefordert, dass endlich die Regelbeiträge der Bundesregierung an die UN-Hilfsorganisationen wie UNHCR, WFP etc. erhöht werden und nicht immer, viel zu spät und zögerlich, im Nachhinein Gelder aufgestockt werden müssen; dies wäre ein überfälliger Schritt, um die Kürzung von Essensrationen, Schulangeboten usw. in Flüchtlingslagern von Beginn an zu verhindern. Das sind aber nur mittelbar Fluchtursachen, unmittelbare Fluchtursachen sind doch die Kriege in der gesamten Region. Dazu beigetragen hat eine unverantwortliche Regime-Change-Politik des Westens. Und eine menschenverachtende Rüstungsexportpolitik in diese Region, allen voran von Deutschland. In 2016 haben wir erneut einen Höchststand an Exportgenehmigungen. Ernsthaft Fluchtursachen bekämpfen heißt, keine Waffen mehr in alle Welt zu exportieren. Und keine Entsendung von Bundeswehrsoldaten, noch dazu ohne völkerrechtliche Grundlage! Stoppen Sie diese Kriegspolitik, und das würde dazu beitragen, dass weniger Menschen fliehen müssen. Weiterhin wird der Kurs der militärischen Aggression ausgebaut. Dafür wird die Schaffung von verschiedenen militärischen Instrumenten auf der EU-Ebene als ein zentraler Bestandteil gesehen. Nach den Erfahrungen im Irakkrieg, im Kosovokrieg im Afghanistankrieg, im Jemen sollte eigentlich auch die aktuelle Bundesregierung begriffen haben, dass eine militärische Aufrüstung und militärische Aggression die Gewaltspirale weltweit weiter vorantreibt und der sogenannte Kampf gegen den Terrorismus nicht mit Waffengewalt gewonnen werden kann. Statt die Zusammenarbeit mit Despoten und autoritären Regimen voranzutreiben, zum Beispiel Erdogan in der Türkei, muss diese Kumpanei beendet werden. Erdogan selbst ist doch die personalisierte Fluchtursache. Hunderttausende Kurden und Kurdinnen mussten bereits aus dem Südosten der Türkei vor dem Krieg Erdogans gegen die Zivilbevölkerung fliehen. Zum Beispiel wurde die Altstadt Diyarbakirs dem Erdboden gleichgemacht. Das muss beendet werden, und da braucht es klare Kante gegen den NATO-Partner Türkei und keine Unterstützung durch Flüchtlingsdeals, Rüstungsexporte und Bundeswehrsoldaten nach Incirlik. Dieses Mandat haben Sie, als Antragsteller, heute gerade verlängert, und dann sprechen Sie von Bekämpfung von Fluchtursachen, währenddessen Sie Erdogan damit Grünes Licht geben, genauso weiterzumachen, wie bisher. Das heißt auch, Erdogan kann weitermachen mit seiner Unterstützung für islamistische Terrorgruppen und den IS, die ja maßgeblich für die Vertreibung Hunderttausender Menschen aus Syrien und Irak verantwortlich sind. Diese Politik von SPD/CDU ist zynisch. Wer Fluchtursachen verhindern möchte, muss weltweit faire Handelsbedingungen schaffen, statt weiterhin immer neue Freihandelsverträge, auch mit den Ländern des Südens, durchzudrücken. Bestes Beispiel sind die EPAs mit den afrikanischen Ländern, die dazu beitragen, dass noch weniger ökonomische Perspektiven auf diesem Kontinent entstehen. Auch die EPAs sind eine zentrale Fluchtursache, und wenn Sie ernsthaft Fluchtursachen bekämpfen wollen, dann stoppen Sie auf europäischer Ebene diese zerstörerische Handelspolitik; sonst brauchen Sie uns hier nicht mehr solche Anträge vorzulegen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leider belegt die Große Koalition mit der heutigen Debatte ein weiteres Mal ihr mangelndes Verständnis dafür, was wirksame Fluchtursachenbekämpfung tatsächlich bedeutet. Bei der letzten Debatte im Mai hatten Sie unseren Antrag nicht zugelassen, mit der Begründung, er sei zu breit. Dann aber haben Sie selber einen vorgelegt, der sich in erster Linie mit der Bekämpfung von Sekundärbewegungen auseinandersetzte, also das Thema verfehlte. Dieses Mal setzen Sie diese so zentrale und für die Öffentlichkeit so wichtige Debatte mitten in der Nacht und zu Protokoll an. Das ist zwar ärgerlich, aber es ist konsequent; denn die Politik der Bundesregierung hat sich längst von dem Ziel verabschiedet, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, und sich stattdessen darauf verlegt, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Geflüchteten nach Europa kommen. Damit wird es keinen Flüchtling weniger auf der Welt geben. Nein, das ist eine Politik nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Wer Fluchtursachen wirklich bekämpfen will, der kann seine Politik gar nicht breit genug anlegen. Bekämpfung von Fluchtursachen fängt nämlich bei uns zu Hause an. Es geht um eine allumfassende Politik, bei der kein Ressort, kein Ministerium außer Acht gelassen werden kann und bei der nicht nur die beiden Gute-Gewissen-Minister Barbara Hendricks und Gerd Müller gefragt sind. Wir sollten uns mehr mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit das politische Handeln und Nichthandeln in unseren Partnerländern, aber eben auch bei uns in Deutschland, dazu beitragen, dass über 60 Millionen Menschen ihre bisherige Heimat, ihr bisheriges Leben hinter sich lassen mussten; denn so, wie wir gerade Politik betreiben, wie wir unsere Handelspolitik, unsere Agrarpolitik, unsere Kohlepolitik, unsere Verkehrspolitik, unsere Rüstungsexportpolitik ausgestalten und gleichzeitig Entwicklungszusammenarbeit hochfahren, ist das in etwa so, als ob man von einer Seite Fässerweise Öl in ein riesiges Feuer kippt und gleichzeitig von der anderen Seite mit einer Wasserpistole versucht, das Feuer zu löschen. Stattdessen betreibt die Bundesregierung derzeit in Brüssel zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten die Abkehr von ihrer menschenrechtsbasierten Außenpolitik und einer Entwicklungspolitik, die sich dem Ziel der Armutsreduzierung und der Umsetzung der SDGs verschreibt. Das neue Ziel lautet Flüchtlingsabwehr. Das war der Grund von Frau Merkels Afrikareise. Ich begrüße, dass Frau Merkel Afrika mehr in den Blick nehmen will, aber das Wie ist grundfalsch! Denn das Muster des EU-Türkei-Deals soll nun auf zahlreiche andere Länder wie etwa Jordanien, Libanon, Niger, Nigeria oder Äthiopien angewendet werden – noch dazu am Europäischen Parlament vorbei. Das ist nicht nur vollkommen undemokratisch, sondern auch politisch geradezu wahnwitzig. Trotz massiver Abschottung in den letzten Monaten und Jahren ertrinken auch weiterhin Tausende Menschen im Mittelmeer. Wer glaubt, das Sterben durch noch mehr Abgrenzung schon irgendwie beenden zu können, erliegt einem fatalen Irrtum und handelt auf Kosten der Schutzbedürftigen. Handelsbeziehungen, Entwicklungsgelder und andere Finanzmittel sollen jetzt künftig dafür eingesetzt werden, dass Drittländer Migrantinnen und Migranten daran hindern, Europa zu erreichen. Die Ankündigung, europäische Entwicklungszusammenarbeit fortan konditionieren zu wollen und Länder zu bestrafen, die bei der Migrationskontrolle nicht ausreichend kooperieren, ist nicht hinnehmbar. Entwicklungspolitik muss die Situation und Unterstützungsbedürftigkeit der Menschen zum Maßstab haben, nicht das Verhalten der Regierung in Fragen der Grenzkontrolle und Abschottung. Selbstverständlich ist es richtig, Ländern wie Libyen beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen nach aller Kraft beizustehen. Auch spricht nichts dagegen, die Zivilbevölkerung in Äthiopien oder Niger zu unterstützen. Wenn aber nun das gesamte außenpolitische Handeln der EU und ihrer Mitgliedstaaten dem Leitmotiv weiterer Abschottung untergeordnet werden soll, ist das der vollkommen falsche Weg! Wir fordern stattdessen in unserem Antrag, die Strukturen unseres Handelns zu überdenken und nach der eigenen Verantwortung zu fragen. Wir exportieren Rüstungsgüter in Krisengebiete, überfischen die Weltmeere und nehmen in Kauf, dass unser Export und Konsum andernorts zu Armut und Zukunftslosigkeit führen. Viel zu oft haben wir – ebenso wie die Regierungen und Konfliktparteien vor Ort – bei der Konfliktprävention und Friedensschaffung versagt, und die von uns mitverursachte Klimakrise führt weltweit zu immer mehr Dürren, Stürmen und Ernteausfällen. All das erzeugt Flucht und Vertreibung, wird aber weder mit höheren Zäunen noch mit Patrouillenbooten oder Pakten mit Despoten zu lösen sein. Mit unserem Ansatz setzen wir uns deshalb für eine kohärente internationale Politik ein und fordern strukturelle Reformen in Bereichen wie Handel, Landwirtschaft, Fischerei, Außenpolitik und Klimaschutz. Konkret fordern wir, die diplomatischen Anstrengungen bei der Bearbeitung und politischen Beilegung aktueller Krisen sowie die zivile Krisenprävention massiv zu verstärken und dabei etwa Rüstungsexporte in Krisengebiete und an Staaten mit einer hochproblematischen Menschenrechtslage zu stoppen; innerhalb der EU und in den EU-Außenbeziehungen auf die verbesserte Anerkennung nationaler Minderheiten und die Verbesserung ihres Schutzes vor Diskriminierung zu drängen; die negativen Folgen unseres Wirtschaftens für andere Weltregionen abzustellen, um Armut und Zukunftslosigkeit zu bekämpfen; das Klima zu schützen, die ärmsten Staaten bei der Anpassung an Klimaveränderungen entschieden zu unterstützen und Klimaflüchtlinge zu schützen; Aufnahme- und Transitländer bei der Unterbringung und Versorgung sowie bei der Stabilisierung und der Integration der Geflüchteten in die Gesellschaft aus humanitären Gründen zu unterstützen; die multilaterale Kooperation bei der Festsetzung globaler Maßnahmen und Regeln für mehr globale Gerechtigkeit und Klimaschutz zu stärken, vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen; sowie Entwicklungs- und Migrationspolitik stärker zu verschränken, legale Fluchtwege und Migrationsmöglichkeiten zu schaffen. Wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass weniger Menschen fliehen müssen, und nicht nur erreichen wollen, dass weniger Menschen bei uns ankommen, dann müssen wir unsere Politik in vielen Feldern ganz grundlegend umgestalten. Und dann kann der Ansatz eben nicht breit genug sein, sondern dann muss er überall, in allen Bereichen, anfangen – und das besser heute als morgen. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) (Tagesordnungspunkt 29) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Mit einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als 3 000 Milliarden Euro, dem Wert der deutschen Exporte von mehr als 1 000 Milliarden Euro sowie einer Arbeitslosenquote von unter 6 Prozent ist unsere Wirtschaft auf einem soliden Wachstumskurs. Es ist jedoch weiterhin nötig, unterstützend tätig zu werden, um die großen Potenziale unserer Wirtschaft optimal auszuschöpfen. Wir debattieren deshalb heute zum Gesetzentwurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes für das nächste Jahr. Es soll am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Ohne Vergangenheit keine Zukunft; deshalb gestatten Sie mir einen kurzen Blick in die Geschichte: Im Juni 1947 verkündete der US-Außenminister George Marshall ein wirtschaftliches Aufbauprogramm für Europa. Das war die Geburtsstunde des „European Recovery Program“, kurz: ERP oder Marshallplan genannt. Der Marshallplan wurde zu einem Mythos und war mitverantwortlich für das „Wirtschaftswunder“ in Deutschland. Denn kurz darauf, im November 1948, wurde die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit dem Ziel gegründet, den Wiederaufbau zu finanzieren. Das Startkapital stammte aus Mitteln des ERP. Das ERP-Sondervermögen dient also faktisch der Förderung der deutschen Wirtschaft nach den Bestimmungen des Abkommens über Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Dezember 1949. 1953 lief der Marshallplan aus, und es wurde festgelegt, dass Deutschland lediglich knapp 1 Milliarde US-Dollar zurückzahlen musste. Da der Bund die Tilgung aus dem Bundeshaushalt leistete, wurde das ERP-Sondervermögen nicht geschmälert. Das Sondervermögen wurde nun per Gesetz zu einem Fonds für langfristige Investitionskredite ausgestaltet. Diese sollten zur Förderung der Wirtschaft eingesetzt werden. Ab jetzt war es eine klassische Hilfe zur Selbsthilfe, und durch Zinseinnahmen ist das Sondervermögen bis heute stark angewachsen. Erfreulicherweise werden nun Mittel aus dem ERP-Sondervermögen in Höhe von rund 800 Millionen Euro für Förderzwecke bereitgestellt. Und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wird ermächtigt, Kredite bei der KfW bis zur Höhe von 30 Prozent dieses festgestellten Betrages aufzunehmen. Hiervon profitieren in erster Linie mittelständische Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und die Freien Berufe. Sie erhalten zinsgünstige Darlehen und Beteiligungskapital von insgesamt rund 6 800 Millionen Euro aus dem ERP-Sondervermögen. Darüber hinaus darf das Wirtschaftsministerium – mit Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen – Bürgschaften, Garantien oder sonstige Gewährleistungen zur Wirtschaftsförderung einschließlich der Freien Berufe bis zu einem Gesamtbetrag von 2 900 Millionen Euro zulasten des ERP-Sondervermögens übernehmen. Vielfach unerwähnt bleibt hierbei, dass bei der Förderung den Begünstigten keine zusätzlichen Kosten entstehen. Im Gegenteil, sie werden von Finanzierungskosten entlastet. Denn die Kosten, die zum Beispiel den Hausbanken mit der Gewährung der Darlehen entstehen, werden vom ERP-Sondervermögen gedeckt. Ebenso selten erwähnt wird, dass der ERP-Wirtschaftsplan zwar im Wesentlichen von der KfW durchgeführt wird, aber auch Förderinstitute eine gewichtige Rolle spielen. Der Bund trägt auch hier die Personal- und Sachkosten, die unmittelbar bei ihm für die Verwaltung des Vermögens entstehen. Und für die Verwaltung ist das BMWi zuständig. Lassen Sie uns ein wenig tiefer in die Materie einsteigen: Was die Ausgaben betrifft, möchte ich zunächst Folgendes hervorheben. Bezüglich einer Investitionsfinanzierung haben wir für 2017 zwei große Posten: Zum einen sind das Förderkosten aus Zusagen bis Ende 2016 sowie Verpflichtungen aus der Neuordnung der ERP-Wirtschaftsförderung mit 243,1 Millionen Euro. Zum anderen haben wir Projektfinanzierungen mit deutschen und europäischen Partnern zur Bereitstellung von Kapital für deutsche KMU sowie von Vorhaben im Kontext der Energiewende mit 500 Millionen Euro im Jahr 2017. Sinn und Zweck der ERP-Finanzierungshilfen ist es, der Unterstützung von Unternehmensgründungen und -übernahmen, der Leistungssteigerung mittelständischer privater Unternehmen sowie der Förderung von Exporten der gewerblichen Wirtschaft zu dienen. Des Weiteren sollen Förderbeiträge zur Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen geleistet werden. Das heißt: Es könnten mit den Mitteln Finanzierungszwecke von rund 6 500 Millionen Euro zinsbegünstigt werden. Besonders erfreulich und wichtig finde ich den Punkt „Existenzgründungen und Wachstumsfinanzierungen“, der hiervon mit 3 890 Millionen Euro berücksichtigt wird. Ein weiterer Ansatz umfasst besonders die Dotierung der ERP/EIF-Programme mit dem Ziel, mittelständischen Unternehmen die Kapitalbeschaffung in der Früh- und auch in der Wachstumsphase – Venture Capital – zu erleichtern. Außerdem sollen sie in der Expansionsphase durch Private Equity und Mezzaninkapital unterstützt werden. Die einzelnen Planansätze in den ERP-Programmgruppen wurden bewusst so gewählt, dass den speziellen Finanzierungsbedürfnissen im Mittelstand entsprochen werden kann. Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass außer den wirtschaftsfördernden Maßnahmen auch völkerverbindende finanziell unterstützt werden können. Es handelt sich vor allem um Stipendienprogramme und Maßnahmen im Rahmen des Deutschen Programms für transatlantische Begegnung. Wir haben im Wirtschaftsplan hierfür Baransätze von insgesamt 6,3 Millionen Euro und Verpflichtungsermächtigungen von insgesamt 5,1 Millionen Euro veranschlagt. Lassen Sie mich kurz den Blick auf die Start-up-Szene richten: Nachdem die KfW im letzten Jahr mit dem Förderinstrument „ERP-Venture Capital-Fondsinvestments“ als Fondsinvestor in den Wagniskapitalmarkt zurückgekehrt ist, hat man mit dem Ko-Investitionsfonds „coparion“ im März den nächsten Schritt gewagt. Als eigene Gesellschaft wird sich der Fond unmittelbar an jungen innovativen Unternehmen beteiligen. So können sie von Venture Capital in Höhe von insgesamt rund 450 Millionen Euro profitieren. Der Fonds soll zunächst über fünf Jahre laufen und zur Finanzierung von etwa 60 Unternehmen, die jünger als 10 Jahre sind, mit öffentlichem Wagniskapital dienen. Was den besseren Schutz des Eigentums betrifft, so ist die KfW auch durchaus aktiv: Umbaumaßnahmen zum Schutz vor Einbruch sollen künftig ab einer Investitionssumme von 500 Euro mit einem zehnprozentigen Zuschuss der KfW gefördert werden. Bislang mussten 2 000 Euro investiert werden. Auch bei der großen Herausforderung zum Thema „Betriebsübergabe gestalten“ wollen wir etwas tun. So sollten wir alles daran setzen, dass die Zahl von potenziellen Unternehmensnachfolgern für die mittelständischen Unternehmen nicht auf ein Rekordtief sinkt. Denn neben dem demografischen Wandel bringen vor allem Engpässe bei der Finanzierung den Generationswechsel ins Stocken. Daher mein Hinweis: Mit dem ERP-Gründerkredit können KMU unter anderem günstige Konditionen im Rahmen von Unternehmensnachfolgen erhalten. Der Zinssatz wird aus Mitteln des ERP-Sondervermögens vergünstigt. Mit der Umsetzung des vorliegenden Gesetzes sollen die deutschen Wirtschaftsunternehmen im Kalenderjahr 2017 finanziell „begleitet“ werden und unser politischer Förderauftrag weiterhin umgesetzt werden. In der letzten Sitzung des Unterausschusses Regionale Wirtschaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne befassten wir uns erstens mit dem Bericht des Wirtschaftsministeriums über die Inanspruchnahme der Fördermittel aus dem ERP-Sondervermögen und zudem mit dem Bericht des Bundesrechnungshofes zu Förderleistung und Substanzerhalt. Sinnvollerweise müssen die Berichte gemeinsam beraten werden, und beide beziehen sich auf das Jahr 2015. Im Bericht des Bundesrechnungshofes wird nun unmissverständlich festgestellt, dass die Förderleistung unter der vom Deutschen Bundestag angestrebten Mindestzielgröße lag – dies war in den vergangenen Jahrzehnten so und ist laut Bundesrechnungshof auch für die Zukunft zu erwarten. Der Vermögenszuwachs an zinsverbilligten Förderkrediten, die Bestandteil der KfW-Förderung sind, kann also keine maximale Schlagkraft entfalten. Andererseits besteht jedoch für mittelständische Unternehmen ein großer Bedarf, zum Beispiel im Bereich der Beteiligungsfinanzierung und des Venture Capital. Aus meiner Sicht besteht deshalb auch die förderpolitische Notwendigkeit, die Innovationsfähigkeit besonders der KMU am Standort Deutschland zu stärken, indem umfassende Angebote geschaffen werden. Denn wir stehen mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017 in der Verantwortung, einen wichtigen Beitrag zur Stabilität und zum wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland zu leisten. Und die Erwartung an die KfW als Durchführungsorganisation des BMWi und weltweit größte nationale Förderbank muss deshalb sein, dass sie ihre Förderaufgaben noch besser erfüllt und gestaltend tätig wird. Brach liegendes Kapital nutzt niemandem. Mit dem ERP-Wirtschaftsplan 2017 wollen wir die Förderung unserer mittelständischen Unternehmen in 2017 sicherstellen. Das ist mein Kernanliegen. Wichtig ist es aber auch, dass wir in der weiteren Zukunft, also über 2017 hinaus, die vielfältigen Möglichkeiten und finanziellen Potenziale des ERP-Sondervermögens noch besser ausschöpfen und die Förderkraft deutlich erhöhen können. Denn um wirklich schlagkräftig zu sein, muss die Förderung zeitnah und flexibel auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und zum Teil ganz unterschiedliche Bedürfnisse unserer Unternehmen reagieren können. Gerade das Förderelement der Zinsverbilligung bei KfW-Krediten hat in der schon langen Zinsniedrigphase nur wenig Impulse setzen können. Damit bleiben Fördermöglichkeiten ungenutzt. Dieses „Potenzialdefizit“ gilt es zu schließen, indem die KfW ein stärkeres Engagement im Wagnis- und Beteiligungsbereich wagt. Das wäre aus meiner Sicht ein für die Unternehmen wichtiges Engagement. In seiner Sitzung vom 23. September 2016 hat der Bundesrat beschlossen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben. Dies gilt auch für den Unterausschuss Regionale Wirtschaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne und seit gestern auch für den Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Nun fehlt uns noch das Votum aus diesem Plenum zugunsten unserer mittelständischen Wirtschaft. Andrea Wicklein (SPD): Beschäftigung, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand sind ohne unseren Mittelstand nicht denkbar. Der Mittelstand, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sind das Rückgrat unserer Wirtschaft und die Basis für soziale Gerechtigkeit in unserem Land. Über 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland zählen zu den kleinen und mittleren Unternehmen. Das sind insgesamt rund 2,5 Millionen Unternehmen. Rund 61 Prozent der 27,8 Millionen Beschäftigten arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen. Den wiederum größten Anteil daran haben die Kleinstunternehmen. Hier sind 18 Prozent aller tätigen Personen beschäftigt. Dagegen gelten nur etwa 17 000 als Großunternehmen. Der Gesamtumsatz des Mittelstandes im Jahr 2013 betrug mehr als 1,8 Billionen Euro. Das entspricht etwa einem Drittel des Gesamtumsatzes in Deutschland. Der Anteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen an der Wertschöpfung betrug 47 Prozent. Das sind beachtliche Fakten, die zeigen: Unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen sind die wichtigste Stütze für die Beschäftigung in Deutschland. Der Mittelstand ist deshalb ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Die stark ausgeprägte Verzahnung von mittelständischen Betrieben in Wertschöpfungsketten bzw. Wertschöpfungsnetzwerken ist weltweit nach wie vor einmalig. Diese Strukturen müssen erhalten bleiben und gestärkt werden. Im Vergleich zu größeren Betrieben hat der Mittelstand besondere Chancen, aber auch spezifische Herausforderungen zu bewältigen. Er steht mit Großunternehmen in einer harten Konkurrenz um Fachkräfte, hat einen eingeschränkteren finanziellen Spielraum und ist vom bürokratischen Aufwand vergleichsweise höher betroffen. Auf der anderen Seite sind kleine und mittlere Unternehmen sehr flexibel, innovativ und zeichnen sich häufig durch eine starke regionale Verbundenheit aus. Uns ist deshalb klar: Wir brauchen die passenden Rahmenbedingungen zur Entfaltung von Mittelstand, Selbstständigkeit und Existenzgründungen. Darum kümmern wir uns mit unserer Mittelstandspolitik. Dazu gehören die erfolgreichen Maßnahmen zum Bürokratieabbau genauso wie die Mittelstandsförderung über das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, GRW, und eben auch die Mittelstandsfinanzierung mit den ERP-Programmen; denn wir wissen, dass die Herausforderungen der kleinen und mittleren Unternehmen enorm sind. Sie brauchen immer wieder aufs Neue Investitionen und Innovationen für marktfähige Produkte und Dienstleistungen. Sie brauchen hochqualifizierte und motivierte Fachkräfte, und sie sind angesichts der Globalisierung immer mehr auch auf Exporte angewiesen. Ich bin sehr froh, dass wir mit den ERP-Programmen einen erfolgreichen Instrumentenkasten an Finanzierungsunterstützung für den Mittelstand zur Verfügung haben. Auch wenn das ERP-Sondervermögen nicht allzu oft im Mittelpunkt der Öffentlichkeit steht, hat es dennoch eine enorme Bedeutung für die Mittelstandsfinanzierung. Das ERP-Sondervermögen hat eine lange Erfolgsgeschichte. Hervorgegangen ist es aus den Mitteln des Marshallplans für den Wiederaufbau der nach dem Zweiten Weltkrieg am Boden liegenden deutschen Wirtschaft. Es war eine richtige Entscheidung, dass der Bund die Tilgung für die Marshallplanhilfe an die Amerikaner damals aus dem Bundeshaushalt leistete und nicht aus dem Investitionsfonds. So konnte der Grundstein für das ERP-Sondervermögen als einem revolvierenden Fonds erhalten bleiben. Auch heute sollten wir Parlamentarier ab und zu daran erinnern, dass das European Recovery Program, ERP, das am 5. Juni 1947 vom amerikanischen Außenminister George Marshall verkündet wurde, die Geburtsstunde für das ERP-Sondervermögen war, mit dem wir seitdem die deutsche Wirtschaft fördern. Diverse Förderprogramme, ob zum Wohnungsbau, zur Strukturförderung, Mittelstandsfinanzierung oder Umweltschutz wurden oder werden hierüber finanziert, seit 1990 auch die Wirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern. Bis heute gilt, dass die erwirtschafteten Erträge aus dem Sondervermögen ausschließlich für die ERP-Wirtschaftsförderung und den Substanzerhalt eingesetzt werden dürfen. Schließlich gilt auch weiterhin der Parlamentsvorbehalt für die ERP-Mittel. Auch das heute zur abschließenden Beratung anstehende ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017 wird einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der KMU und der freien Berufe leisten. Gefördert werden insbesondere mittelständische Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und Angehörige freier Berufe. Ziel ist die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen sowie der dauerhafte Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch die Förderung von Gründungen und Innovationen. Im kommenden Jahr will die Bundesregierung aus dem ERP-Sondervermögen 800 Millionen Euro bereitstellen. Mobilisiert werden könnten dadurch zinsgünstige Darlehen und Beteiligungskapital mit einem Volumen von rund 6,8 Milliarden Euro. Im Mittelpunkt stehen kleine und mittelständische Unternehmen, die in ihrer Finanzierungssituation oftmals gegenüber Großunternehmen strukturell benachteiligt sind. Schwerpunkte der ERP-Finanzierungshilfen sind die Förderung von Existenzgründungen und Wachstumsfinanzierungen, Innovationsförderung, Exportfinanzierungen, Förderung von Beteiligungskapital, Unternehmensfinanzierung in strukturschwachen Regionen in Ost- und Westdeutschland und bei Bedarf auch die Beteiligung an Projekten im Zusammenhang mit der Energiewende. Im Gesetz ist darüber hinaus verankert, dass Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern auch weiterhin entsprechend der Fördergebiete Fördervorteile erhalten, zum Beispiel durch höhere Zinsverbilligungen, längere Laufzeiten und höhere Mitfinanzierungsanteile. Mit 6,3 Millionen Euro werden darüber hinaus Maßnahmen im Rahmen des Deutschen Programms für transatlantische Begegnungen und verschiedene Stipendienprogramme insbesondere in die USA bezuschusst. Die Förderprogramme aus dem ERP-Sondervermögen gehören mit ihren zinsgünstigen Krediten und Beteiligungen zu den wichtigsten Instrumenten der deutschen Wirtschaftsförderung. Gleichzeitig müssen sich die ERP-Programme immer wieder aufs Neue der Realität stellen; denn wir wollen, dass die Finanzierungsprogramme die kleinen und mittelständischen Unternehmen auch tatsächlich erreichen. Der Bundesrechnungshof hat in seiner Stellungnahme zum ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017 darauf hingewiesen, dass er das Volumen für die Zinsverbilligungen für 2017 für überhöht hält, da das Fördervolumen schon bisher nicht vollständig ausgeschöpft worden sei. Diese Hinweise sind sehr wichtig; denn angesichts des anhaltenden Zinstiefs stoßen wir bei der Mittelstandsfinanzierung zunehmend an Grenzen. Gleichzeitig hat sich die Bedürftigkeit des Mittelstandes in Richtung Risiko- und Beteiligungsfinanzierung verschoben. Diese Entwicklung bewerte ich als sehr positiv. Zeigt sie doch, dass Bedarf an Finanzierung von neuen Ideen und Innovationen besteht. Gründungen, gerade im innovativen Bereich, sind für Fortschritt, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig. Mit unseren Fördermaßnahmen und Initiativen, wie zum Beispiel dem EXIST-Gründerstipendium, dem High-Tech Gründerfonds oder dem Programm INVEST, das einen Zuschuss für Wagniskapital beinhaltet, haben wir diese Nachfrage bereits unterstützt. Aber wir wissen, dass das Potenzial als Wagniskapitalfinanzierung in Deutschland noch lange nicht ausgeschöpft ist und dass die kleinen und mittelständischen Unternehmen und auch die Gründerinnen und Gründer hier noch bessere Rahmenbedingungen brauchen. Wir halten es deshalb für angezeigt, die Programme des ERP-Sondervermögens noch stärker auf Beteiligungsfinanzierung auszurichten und die Finanzierungssäule des Beteiligungskapitals zu stärken; denn wir wollen auch weiterhin, dass Handwerk und Mittelstand die passenden Finanzierungsmöglichkeiten bei uns finden und nicht gezwungen sind, das notwendige Kapital im Ausland einzuwerben. Die parlamentarischen Gespräche dazu werden in den kommenden Wochen und Monaten stattfinden. Mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz setzen wir weiterhin auf den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Ein starker und innovativer Mittelstand ist der Garant dafür. Thomas Nord (DIE LINKE): Wir behandeln heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017). Die Bundesregierung will aus dem Sondervermögen des European Recovery Program (ERP) rund 800 Millionen Euro bereitstellen. Das Geld soll besonders mittelständischen Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und der freien Berufe zugutekommen. Mobilisiert werden könnten dadurch in einer Prognose zinsgünstige Darlehen und Beteiligungskapital mit einem Volumen von rund 6,8 Milliarden Euro. Allgemein verweisen Meldungen des Statistischen Bundesamts auf ein weiterhin schwieriges wirtschaftliches Umfeld für Kleinunternehmen und Freiberufler. Das Statistische Bundesamt hat im September 2016 einen Rückgang von neu gegründeten Unternehmen im Vergleich zum Vorjahresraum um circa 95 000 oder 10,4 Prozent vermeldet. Die Gesamtzahl der Gewerbeanmeldungen sank im ersten Halbjahr auf rund 360 000, in etwa 2,9 Prozent weniger als im Vergleichsraum 2015. Gewerbeanmeldungen müssen nicht nur bei Gründung eines Gewerbebetriebes erfolgen, sondern auch bei Betriebsübernahme, Umwandlung oder Zuzug. Dieser rückläufige Befund spricht nicht für gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Immerhin aber war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auf der anderen Seite zuletzt auch stark rückläufig. So lagen die Unternehmensinsolvenzen laut einer Meldung des Statistischen Bundesamts vom 14. Oktober 2016 im Juli 2016 um 17,5 Prozent unter denen des Vorjahresmonats. Die Linke sieht die Förderung von Unternehmen durch das ERP-Sondervermögen gerade vor dem Hintergrund eines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds als ein sinnvolles Instrument. Während dem Förderzweck grundsätzlich zuzustimmen ist, gibt es bei der Förderpraxis und Evaluierung jedoch einige kritische Bemerkungen. Seit 2011 ist bekannt, dass es bei dem ERP-Regionalförderprogramm besonders hohe Mitnahmeeffekte gegeben hat, 38 Prozent. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom November 2015 (Drucksache 18/6717) sagt die Bundesregierung, dass es seit 2011 keine neue Evaluierung gegeben hat. Sie verweist dabei auf den hohen Arbeits- und Kostenaufwand und weist die Forderung einer jährlichen Evaluation zurück. Deshalb sollten wir als Nächstes die Frage erörtern, ob eine Evaluierung nicht in kürzeren, regelmäßigen Abständen erfolgen kann, zum Beispiel alle zwei Jahre oder wenigstens einmal pro Wahlperiode, zum Beispiel in der Mitte. Eine überprüfbare statistische Kennzahl über die Mitnahmeeffekte liegt seit 2011 nicht mehr vor. Dennoch nimmt die Bundesregierung an, dass sie sich „voraussichtlich“ reduziert haben. Wir würden aber gerne etwas verlässlicher von der Bundesregierung bzw. dem Wirtschaftsministerium wissen, ob und in welchem Umfang es hier zu einer Begrenzung der Mitnahmeeffekte gekommen ist. Auch würden wir gerne wissen, wie sich die Neuordnung der ERP-Förderung von 2012 ausgewirkt hat, dies insbesondere bei der Konzentration auf etablierte Unternehmen, die seit mindestens 5 Jahren am Markt sind. In ihrer Antwort hat die Bundesregierung selber einen mehrjährigen Zeitraum vorgeschlagen, in dem Evaluierungen durchgeführt werden sollten. Wie man es dreht und wendet, ob alle zwei Jahre oder mindestens einmal in der Wahlperiode, der mehrjährige Zeitraum, den die Bundesregierung selbst in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage vorgeschlagen hat, ist rum. Legen Sie dem Bundestag vor dem nächsten Gesetzentwurf eine neue Evaluation vor, in der auch die Neuordnung der ERP-Förderung von 2012 einer kritischen Überprüfung unterzogen wird. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wirtschaftsförderung ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Es gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge, dass der Staat im Interesse seiner Bürgerinnen und Bürger die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen fördert. Dabei kommt der Förderung von neuen Geschäften und Innovationen für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen eine wichtige Bedeutung zu; denn ganze Branchen können gleichzeitig durch technologische oder gesellschaftspolitische Entwicklungen ihre Bedeutung für Beschäftigung verlieren. Dabei kommt der Förderung des Mittelstandes und kleiner und mittlerer Unternehmen eine besondere Bedeutung zu. Es ist gut, dass wir mit dem ERP-Sondervermögen ein Instrument haben, um Innovationen gerade von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern. Was genau ist ERP? ERP steht für European Recovery Program. Aus den verbliebenen Geldern der Marshallplanförderung wurde in den 50er-Jahren ein Fonds gebildet, der mittlerweile an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die KfW, übertragen wurde. Wir halten die Förderinstrumente des ERP-Wirtschaftsplangesetzes grundsätzlich für sinnvoll und werden daher dem Gesetzentwurf zustimmen. Aber natürlich sind wir als Parlament aufgefordert, uns das Programm sorgfältig und kritisch anzuschauen. Drei Punkte sind uns dabei aufgefallen. Erstes Thema: Schaut man sich die Fördervolumina der letzten 10 Jahre an, so stellt man fest, dass die Förderzielgrößen in den vergangen Jahren immer deutlich unterschritten wurden. Im Jahr 2015 lagen die tatsächlich geleisteten Förderungen zum Beispiel um rund 100 Millionen Euro unter der Zielmarke, und in den Jahren davor waren die Abweichungen nicht deutlich geringer. Dies wird aktuell mit der Niedrigzinsphase begründet. Diese Begründung ist sicher nicht verkehrt. Bei niedrigen Zinsen ist das klassische Förderinstrument eines Zinszuschusses kaum attraktiv für die Unternehmen. Das Nicht-Erreichen der Förderziele kann allerdings nicht allein eine Konsequenz der Niedrigzinsphase sein; denn auch in Phasen mit höherem Zinsniveau wurde die Förderung der ERP-Mittel nicht ausgeschöpft. Leider hat erst in diesem Jahr die Bundesregierung überhaupt auf diese Tatsache hingewiesen. Hier müssen wir intensiv nach Lösungen suchen. Es kann nicht sein, dass im wichtigen Bereich der Innovationsförderung gerade kleiner und mittlerer Unternehmen vorhandene Fördermittel nicht ausgeschöpft werden. Gleichzeitig lehnt der Bundesfinanzminister aber die steuerliche Forschungsförderung, die von den Fachpolitikern auch der Regierungsfraktionen und den meisten Experten gerade für kleine und mittlere Unternehmen gefordert wird, aus fiskalischen Gründen ab. An dieser Stelle spielt die Große Koalition mit gezinkten Karten. Das ist gerade im Interesse der Sache nicht in Ordnung! Der zweite kritische Punkt ist jetzt aktuell ein Ergebnis der Bankenregulierung vor dem Hintergrund, dass die ERP-Mittel 2007 an die KfW übertragen wurden. Im Prinzip war die Überlegung damals gut begründet, wollte man doch nachhaltig verhindern, dass der Bundesfinanzminister in einer engen Lage diese Mittel einfach in den Haushalt einstellt, diesen damit entlastet, aber gleichzeitig die Mittel für zukünftige Förderzwecke nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, hat nun angewiesen, dass im Rahmen der bisherigen Förderstrukturen der KfW der ERP-Fonds nicht mehr als Eigenkapital in der Bilanz abgebildet werden darf. Um die Bilanzposition der ERP-Mittel bei der KfW unverändert halten zu können, sind Förderungen der KfW, in denen die Mittel als Eigenkapital eingesetzt werden, nicht mehr möglich. Das ist insofern mehr als problematisch, da die Bereitstellung von Eigenkapital das wesentliche Element der Förderung von Innovationen und Start-ups ist und die Eigenkapitalförderung gerade in Zeiten schnellen technologischen Wandels immer wichtiger wird. Die Beschränkung der Förderung von Eigenkapital würde damit ein wichtiges Förderziel der KfW treffen. Lösungsansätze konnten von der KfW und vom Bundeswirtschaftsministerium bisher nicht genannt werden. Der Weg zurück zur Situation von vor 2007 ist aus dem oben genannten Grund sicher nicht zielführend, umso mehr müssen andere Lösungsmöglichkeiten gesucht und umgesetzt werden. Und da dürfen wir nicht zu kleinmütig sein, dafür ist das Thema zu wichtig. So rege ich an, zu prüfen, ob die ERP-Mittel nicht in eine Stiftung eingebracht werden könnten, um damit deutlich verbesserte Handlungsmöglichkeiten zu haben. So etwas wurde in der Vergangenheit schon gemacht. Beispiel ist die VW-Stiftung. Mit dem Einbringen der Bundes- und Landesanteile am VW-Konzern in die VW-Stiftung konnte vor mehr als 50 Jahren der Grundstock zu einer Forschungsförderung gelegt werden, die sich wesentlich durch höhere Freiheitsgrade gegenüber staatlicher Forschungsförderung auszeichnet. Ich halte es für sehr zielführend und unterstütze ausdrücklich, dass wir im Unterausschuss Regionale Wirtschaftspolitik entschieden haben, diese und gegebenenfalls weitere Themen in einer Expertenanhörung zeitnah zu beleuchten. Dritter Kritikpunkt ist das Thema Transparenz. Es ist die Lehre in vielen Bereichen, dass nur bei Transparenz der Daten und Vorgehensweisen ein unmittelbarer Druck entsteht, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen besteht darauf, dass die Bundesregierung – wie versprochen – Transparenz über die Beteiligungen im ERP-Programm an den Wagniskapitalfonds herstellt und – wie angekündigt – den gesonderten Risikobericht über auffällige Besonderheiten der Beteiligungsfinanzierung vorlegt. Dies hat zu Recht auch der Bundesrechnungshof angemahnt. Nur bei regelmäßiger und umfassender Information kann das Parlament Risiken einschätzen und gegebenenfalls nachsteuern; denn dies ist unsere vornehmste Aufgabe. Bitte verstehen Sie in diesem Sinne unsere Kritik: Wir wollen die Förderung von Innovationen im Mittelstand und insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen stärken! Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. März 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Serbien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung (Tagesordnungspunkt 30 a bis c) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Wir behandeln heute drei Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Serbien, Albanien und Georgien. Das Albanien betreffende Abkommen wurde von den beiden Vertragspartnern, der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien, bereits am 31. Mai 2013 unterzeichnet, das Abkommen mit Georgien am 9. Juli 2014 und das mit der Republik Serbien am 22. März 2016. Mit dem uns vorliegenden Gesetz zu dem nun durch den Bundestag zu ratifizierenden Abkommen wird ein wichtiger Schritt in der Kooperation unserer Länder in der Kriminalitätsbekämpfung getan. Die Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich werden nicht nur die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Serbien, Albanien und Georgien stärken und vertiefen. Sie werden vor allem der Verhinderung und Bekämpfung von Straftaten, besonders durch die organisierte Kriminalität, dienen. Verbrechen wie Zuhälterei und Menschenhandel, der Schmuggel von Waffen sowie die Herstellung und der Handel mit illegalen Betäubungsmitteln sind gravierende Probleme, die die Kooperation der Staaten untereinander erfordern. Zusätzlich dazu stehen Straftaten gegen das Leben, Korruption, Geldwäsche, illegales Glücksspiel, Eigentumskriminalität sowie weitere Delikte im Fokus der Abkommen. Die organisierte Kriminalität agiert im freien Europa verstärkt über Grenzen hinweg: Drogenlabors beispielsweise, deren Produkte in Deutschland konsumiert werden, befinden sich oftmals außerhalb unserer Landesgrenzen. Speziell grenznahe Gebiete werden immer stärker von einer steigenden Wohnungseinbruchskriminalität international agierender Banden belastet. Gerade das vergangene Jahr und die massiven Migrationsbewegungen sollten zudem jedem klar gemachthaben, dass wir nicht nur innerhalb der Europäischen Union, sondern vor allem auch mit den Balkanstaaten eine intensivere Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte anstreben müssen. Vor diesem Hintergrund ist auch zu erwähnen, dass die Kooperation mit den Sicherheitsorganen der drei Staaten in der Bekämpfung von Terrorismus und Terrorismusfinanzierung vertieft werden soll. Zu diesem Zweck werden zwischen den Vertragspartnern Fachpersonal und Expertise in der Verbrechensbekämpfung und -prävention sowie Informationen und Erfahrungen zu Verbrechensmustern, Strukturen und Methoden der organisierten Kriminalität ausgetauscht werden. Darüber hinaus vereinbaren die unterzeichnenden Staaten die Zusammenarbeit nach Maßgabe der nationalen Gesetze durch die zuständigen Behörden und die gegenseitige personelle, materielle und organisatorische Unterstützung bei polizeilichen Maßnahmen im Rahmen operativer Ermittlungen. Die Vertragsparteien werden dabei insbesondere in den Fällen kooperieren, in denen kriminelle Handlungen oder die Vorbereitungen dazu im Hoheitsgebiet einer der jeweiligen beiden Parteien begangen werden und es Anzeichen dafür gibt, dass auch das Hoheitsgebiet des anderen Vertragspartners oder dessen Sicherheit betroffen sein wird. Warum aber brauchen wir diese Abkommen? Zunächst einmal ist es eine der Kernaufgaben des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren und die Aufrechthaltung und Umsetzung seiner demokratisch erlassenen Gesetze zu gewährleisten. Aber auch die generelle Frage der zwischenstaatlichen Kooperation in Europa über den Rahmen der Europäischen Union hinaus halte ich für einen zentralen Punkt. Da Serbien und Albanien Beitrittskandidaten der EU sind und auch Georgien dies eines Tages sein könnte, liegt eine Annäherung und Vertiefung der Beziehungen und Zusammenarbeit sowohl in ihrem als auch unserem Interesse. Als Partei der inneren Sicherheit stehen wir als CDU voll und ganz hinter dem Vorhaben, die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich in Europa zu vertiefen. Von der verbesserten Effizienz und Wirksamkeit der Sicherheitskräfte in den beteiligten Ländern werden auch die Wirtschaft vor Ort und ausländische Investoren profitieren. In diesem Zusammenhang gibt es noch einen weiteren wichtigen Punkt, den ich zwar bereits erwähnt habe, auf den ich aber noch einmal näher eingehen möchte. Dies sind die Migrationsbewegungen nicht nur nach Europa, sondern auch innerhalb Europas. Der Balkan spielt vor diesem Hintergrund nicht nur eine herausragende Rolle als neben dem Mittelmeer wichtigste Route der nach Europa ziehenden Menschen, sondern auch als Herkunftsort Zehntausender von Asylbewerbern. Zwar konnten wir inzwischen erfolgreich die Balkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Montenegro, Albanien und Kosovo als sichere Herkunftsstaaten einstufen und somit den Migrationsdruck von dort massiv senken. Eine nachhaltige Lösung der Balkan-Emigration kann aber nur sein, die Push-Faktoren vor Ort, die die Menschen zur Auswanderung bewegen, zu lindern. Und da sehe ich die Eindämmung der organisierten Kriminalität, die schwer auf dem alltäglichen Leben der Menschen lastet und deren verbrecherische Aktivitäten auch hier in Deutschland ihre Spuren hinterlassen, als einen wichtigen Punkt. Gerade in Zeiten, in denen die Europäische Union geschwächt ist und an Strahlkraft zu verlieren droht, müssen wir daran arbeiten, die engen Bindungen an unsere Nachbarn aufrechtzuerhalten und gegebenenfalls zu vertiefen; denn dahinter steht letztlich eine Stärkung der europäischen Idee, für die wir als CDU stets mit Leidenschaft gestritten haben. Aber auch unsere Bürger vor Ort, die Menschen in den Großstädten und grenznahen Orten, erwarten zu Recht von uns, dass wir die nötigen Maßnahmen ergreifen, sie vor Terrorismus und Bandenkriminalität zu schützen. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den Terrorismus ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unverzichtbar. Wir können uns in einer globalisierten Welt nicht einigeln; wir müssen gemeinsam Entscheidungen treffen und zusammenarbeiten, um so unsere Gegenwart und Zukunft konstruktiv zu gestalten. Dazu leisten diese Abkommen mit Serbien, Albanien und Georgien einen wertvollen Beitrag. Wolfgang Gunkel (SPD): Wir behandeln heute einen ausgesprochen wichtigen Punkt im Bereich der inneren Sicherheit. Polizeiliche Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg wird angesichts der zunehmenden Gefahr international operierender Banden im Bereich der organisierten Kriminalität, aber vor allem wegen der Gefahr durch den Terrorismus, immer wichtiger. Ich bin froh, dass die Bundesregierung hierbei auch den Blick über das Schengen-Gebiet und die EU hinaus sucht. Anfang 2015 haben wir bereits über ein Polizeiabkommen mit unserem direkten Nachbarn Polen diskutiert. Dieses war sehr detailliert geregelt, weil es hier auch eine unmittelbare Zusammenarbeit, etwa bei gemeinsamen Streifen oder bei der Nacheile, gibt. Die Abkommen, die wir hier heute beraten, sind dabei eher grundsätzlicher Natur. Dass bereits Zusammenarbeit in dem Bereich stattfindet, zeigt eine Meldung vom September. Dem BKA ist es gemeinsam mit der Abteilung zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität des Innenministeriums Serbiens gelungen, mehrere internationale Täter im Bereich der Rauschgiftkriminalität in Deutschland, Serbien und Kroatien festzunehmen und große Mengen an Rauschgift sicherzustellen. Vorangegangen waren 13 Monate Ermittlungsarbeit. Ein weiterer Erfolg war die Festnahme eines wegen Mordes international gesuchten serbischen Staatsangehörigen, der von Zielfahndern des BKA ergriffen werden konnte. Zusammenarbeit findet bereits statt und erfreulicherweise auch ausgesprochen erfolgreich. Nichtsdestotrotz ist es zu begrüßen, dass diese partielle Zusammenarbeit nun auf gesetzliche Füße gestellt wird. Wie sieht das nun konkret aus? Die Abkommen zielen dabei auf bestimmte Deliktsbereiche; denn es soll die Zusammenarbeit bei der Verhütung, Bekämpfung und Aufklärung von Straftaten der organisierten und schweren Kriminalität gestärkt werden. Exemplarisch geht es hierbei unter anderem um Terrorismus und Terrorismusfinanzierung, Zuhälterei und Menschenhandel, Waffen- und Sprengstoffschmuggel, das Verschieben von Kraftfahrzeugen und Drogenhandel. Die Formen der Zusammenarbeit sind hierbei insbesondere der Austausch. Nicht nur der Austausch an Erfahrung, sondern auch der Informationsaustausch über Tatbeteiligte, Struktur der Tätergruppen, typisches Täterverhalten und Einzelheiten des Sachverhaltes ist relevant. Daneben sollen die beteiligten Polizeien auch operativ durch aufeinander abgestimmte polizeiliche Maßnahmen zusammenarbeiten und sich dabei personell, materiell und organisatorisch Unterstützung leisten. Außerdem ist die Entsendung von Verbindungsbeamten vorgesehen. Einen besonderen Teil nimmt in den Abkommen die Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität ein. Auch hier geht es um den Austausch von Informationen unter anderem über Personen, Verstecke, Transportmittel, Arbeitsweisen sowie Herkunfts- und Bestimmungsorte der Stoffe. Grenzen findet die Zusammenarbeit, wenn sie in Widerspruch zu deutschen, serbischen, georgischen oder albanischen Gesetzen steht, die Souveränität eines Staates beeinträchtigt oder Ermittlungen bzw. laufende Maßnahmen gefährdet. Neben allen positiven Auswirkungen, welche die diskutierten Abkommen haben, möchte ich mir noch ein paar kritische Anmerkungen erlauben. Die Länder, mit denen wir die Abkommen abschließen, haben einige menschenrechtliche Probleme, in die die Polizeien mitunter auch involviert sind. Aus Serbien, das infolge des starken Migrationsdrucks im vergangenen Jahr als Transitland ebenfalls mit einer größeren Zahl Flüchtlingen zurechtkommen musste, erreichten uns Berichte über Misshandlungen und Ausbeutung. Laut Amnesty-Report erlaubten die Behörden ab November 2015 nur noch Afghanen, Syrern und Irakern die Einreise und stuften Flüchtlinge aus anderen Ländern willkürlich als Wirtschaftsflüchtlinge ein, denen die Einreise verweigert wurde. Auch über Georgien und Albanien gibt es Berichte, dass die Polizei in Einzelfällen die Versammlungsfreiheit nicht gewährleistet und Strafverdächtige auf Polizeiwachen misshandelt. Diese Form der Zusammenarbeit bietet jedoch immer die Chance, auf Verbesserungen der menschenrechtlichen Standards zu dringen und Missstände klar anzusprechen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass dies erfolgt. Abschließend freue ich mich, dass wir mit den Abkommen einen bedeutenden Schritt zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität gehen. Ich bin mir sicher, dass wir durch eine effiziente Zusammenarbeit viel erreichen können. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir beraten hier über drei Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Sicherheitszusammenarbeit mit Georgien, Serbien und Albanien. Dabei geht es um den Austausch von Informationen und personenbezogenen Daten über begangene oder geplante Straftaten etwa im Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus. Vorgesehen sind zudem Regelungen zur Durchführung gemeinsamer oder abgestimmter Operationen von bundesdeutschen Stellen mit Sicherheitsbehörden dieser Länder. Lassen Sie mich erst einmal ganz grundsätzlich bemerken, dass es sich hier um Partnerländer handelt, bei denen – trotz mancher Reformanstrengungen der letzten Jahre – noch keineswegs von einem Rechtsstaat nach unserem Verständnis die Rede sein kann. Es sei noch viel Arbeit, um Georgien zu „europäisieren“ und den Rechtsstaat zu stärken, gestand selbst der georgische Regierungschef Giorgi Kwirikaschwili vor wenigen Wochen ein. Und bezüglich Albanien kam eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung im Sommer zu dem Ergebnis, dass die Entpolitisierung der Justiz weiterhin eine Hauptforderung europäischer Akteure, aber auch der Bevölkerung des Balkanlandes bliebe. Solche Mängel im Justizsystem oder Sicherheitsapparat schließen eine Sicherheitszusammenarbeit mit diesen Staaten natürlich nicht aus. Doch umso entscheidender sind hohe Standards der entsprechenden Abkommen; denn nur so kann verhindert werden, dass Daten in die falschen Hände geraten, sich Unschuldige etwa aus politischen Gründen Verfolgung ausgesetzt sehen oder die Bundesrepublik sich durch eigene Fahrlässigkeit mitschuldig an Menschenrechtsverletzungen macht. Genau diese Sorgfalt findet sich in den vorliegenden Entwürfen für Sicherheitsabkommen leider nicht. So sind die darin genannten Deliktfelder entweder viel zu ausufernd und zu weit gefasst, oder sie sind viel zu unbestimmt. Sind mit Eigentumsdelikten bereits kleine Ladendiebstähle gemeint oder erst millionenschwere Straftaten? Beginnen Betrug und Glücksspiel bereits beim Hütchenspieler oder erst beim illegalen Kasino und beim Scheckkartenbetrug im professionellen Stil? Die Linke ist der Auffassung: Der Anwendungsbereich eines solchen bilateralen Sicherheitsabkommens sollte auf die Abwehr von erheblichen Straftaten beschränkt werden. Das entspräche den in § 61a des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen genannten Tatbestandsvoraussetzungen. Ansonsten sollte der Informationsaustausch auf die in § 61b genannten Ermittlungsgruppen beschränkt werden, für die hier zugleich die Bedingung der völkerrechtlichen Vereinbarung erfüllt wird. Das geplante Abkommen mit Georgien enthält durchaus begrüßenswerte datenschutzrechtliche Bestimmungen. Doch leider fehlen entsprechende Regeln zu ihrer Durchsetzung und zur Sanktionierung bei Verstößen. Dieses Manko entwertet die entsprechenden Klauseln zur reinen Augenwischerei. Zudem fehlt bei diesem Abkommen eine klare Benennung der behördlichen Zuständigkeit für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten. Nicht auszuschließen ist damit, dass auch Behörden mit geheimdienstlichen Zuständigkeiten und Kompetenzen an der polizeilichen Zusammenarbeit beteiligt werden. Damit wird das grundgesetzliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten unterlaufen. So besteht die Gefahr, dass Informationen in deutsche Ermittlungsverfahren einfließen, die mit – aus bundesdeutscher Sicht – illegalen Ermittlungsmethoden gewonnen wurden. Umgekehrt können in Deutschland festgestellte Daten bei ausländischen Behörden landen, die sie nicht nur zur Strafverfolgung sondern gegebenenfalls auch zur politisch motivierten Verfolgung nutzen. Schließlich enthält das geplante Abkommen mit Albanien sogar das äußerst umstrittene Element der „kontrollierten Lieferung“. Gemeint sind vorgetäuschte Deals mit strafbaren Substanzen, die grenzübergreifend observiert werden. In der Regel geht es dabei um Drogen; doch wie Sie wissen, gibt es in diesem Bereich keine besonders gute Erfahrung. Erinnert sei hier an den spektakulären Fall von „kontrolliertem“ Plutoniumschmuggel. Hier besteht immer die Gefahr, dass Personen erst durch verdeckte Ermittler zu schweren Straftaten veranlasst werden, die sie von sich aus gar nicht begangen hätten, und somit die Kriminalitätsbekämpfung ihr Gegenteil erreicht. Aus all den genannten Gründen lehnt die Linke diese drei Gesetzentwürfe ab. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn ich richtig gezählt habe, dann hat die Bundesrepublik Deutschland inzwischen mit 24 Staaten – inklusive der drei Länder, über die wir heute sprechen: Serbien, Albanien und Georgien – Sicherheitsabkommen geschlossen. Dabei sind auch Staaten wie Saudi-Arabien, China oder Katar. In einer Reihe dieser Länder finden mit staatlicher Beteiligung systematische Menschenrechtsverletzungen statt: Folter, willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen sowie Unterdrückung der Opposition oder Verhängung der Todesstrafe. Es ist daher dringend geboten, klarzustellen, ob und unter welchen Voraussetzungen Deutschland Sicherheitsabkommen mit Staaten schließen sollte. Die Bundesregierung sieht das offenkundig anders. Sie hält – wie auch die vorliegenden Abkommen zeigen – daran fest, immer wieder die gleichen Textbausteine für die verschiedenen Bereiche der Zusammenarbeit zu verwenden. Dieser Standardtext enthält aber keine Anforderungen oder Bedingungen in puncto Menschenrechte oder Rechtsstaatsprinzipien. Unsere Fraktion hatte daher bereits Ende 2014 einen Antrag eingebracht – „Sicherheitsabkommen brauchen Standards“, Bundestagsdrucksache 18/3553 –, in dem wir fordern, Sicherheitszusammenarbeit grundsätzlich neu zu gestalten und auszurichten. Dazu sollten in den Abkommen selbst die Vertragsstaaten in konkreten Klauseln verbindlich zur Einhaltung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Standards verpflichtet werden. Die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag ab. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich und auch nicht gegen eine Zusammenarbeit mit Albanien, Serbien und Georgien. Es macht aber einen erheblichen Unterschied, ob mit Ländern wie Saudi-Arabien, China, Katar oder Usbekistan im Sicherheitsbereich zusammengearbeitet wird oder eben mit diesen drei Ländern. Serbien und Albanien sind EU-Beitrittskandidaten, Georgien hat einen vehementen Reformkurs vorangetrieben und ist EU-assoziiert. Trotzdem kann sich die Lage in Staaten jederzeit ändern. EU-Beitrittsverhandlungen oder selbst eine EU-Mitgliedschaft garantieren nicht, dass rechtsstaatliche Prinzipien und Standards hoch entwickelt sind beziehungsweise nicht irgendwann beschnitten werden. Das gilt ebenso für die menschenrechtliche Lage. Das EU-Land Ungarn ist ein gutes Beispiel hierfür oder auch die Türkei. Aus diesem Grund wollen wir, dass anhand klarer und vorab verbindlich festgelegter Kriterien über Fort- oder Rückschritte im Bereich der Menschenrechte und der Korruptionsbekämpfung in den jeweiligen Kooperationsländern berichtet werden muss. Anhaltend negative Ergebnisse müssen zu einer Aussetzung und/oder Beendigung des Sicherheitsabkommens führen. Es muss also eine Exit-Klausel geben. Im April dieses Jahres haben wir die Bundesregierung gefragt, ob jemals ein geplantes Sicherheitsabkommen aufgrund einer bedenklichen Menschenrechtslage nicht abgeschlossen wurde. Es gab keinen einzigen Fall, war die Antwort. Das ist eine ziemlich erschütternde Bilanz. Das heißt nämlich, dass nicht einmal eine desaströse menschenrechtliche Lage wie zum Beispiel in Saudi-Arabien Grund genug ist, um auf ein solches Abkommen zu verzichten. Dabei kann im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit mitnichten ausgeschlossen werden, dass Deutschland sich mittelbar mitschuldig macht, indem es bestimmtes Know-how an staatliche Institutionen weitergibt, aus denen heraus Menschenrechtsverletzungen begangen werden, wenn wir zum Beispiel die Polizei eines bestimmten Landes an einer bestimmten Sicherheitstechnologie schulen und diese dann nicht etwa zur Bekämpfung von Kriminalität eingesetzt wird, sondern beispielsweise gegen Regierungskritiker. Ein solches Szenario muss aber ausgeschlossen sein. In unserer Kleinen Anfrage hatten wir von der Bundesregierung auch wissen wollen, warum Sicherheitsabkommen bisher keine konkreten Klauseln mit Überprüfungscharakter in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit sowie Verhinderung von Korruption beinhalten. Die Antwort hierzu war – unter anderem –, dass Sicherheitsabkommen so ausgestaltet seien, dass Maßnahmen im Rahmen ihrer Umsetzung keinen Menschenrechtsverletzungen Vorschub leisten können. Insbesondere seien sämtliche Maßnahmen nur im Rahmen und auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts zulässig, das heißt, für die deutschen Sicherheitsbehörden gelten die auch in Deutschland anwendbaren Rechtsgrundlagen und Beschränkungen. Das klingt alles ganz schön – stimmt aber nicht. Nehmen wir Ägypten. Auch hier verhandelt die Bundesregierung seit geraumer Zeit über ein Sicherheitsabkommen. Auch hier wäre ein Teil dieses Abkommens die polizeiliche Zusammenarbeit – Ausbildungs- und Ausstattungshilfe – mit ägyptischen Sicherheitsbehörden, sogar mit dem Inlandsgeheimdienst NSS. Wir wissen, dass der NSS fürchterlich foltert. Wir wissen, dass das BKA ägyptische Polizisten ausbildet, unter anderem die brutale Stadionpolizei, die willkürlich und gewalttätig vorgeht. Die Bundesregierung kann hier doch nicht ernsthaft glauben, sie leiste dadurch keine Unterstützung zu all diesen Menschenrechtsverletzungen. Ein Sicherheitsabkommen würde diese Zusammenarbeit noch intensivieren. Solange die Bundesregierung nicht bereit ist, Sicherheitszusammenarbeit neu zu gestalten und als Ausgangsbedingung für Sicherheitsabkommen, aber auch für andere zwischenstaatliche Abkommen in den Bereichen Sicherheitszusammenarbeit, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Polizei und Militär sowie für jegliche sonstigen Unterstützungsmaßnahmen im Sicherheitssektor, konkrete Bedingungen, vor allem die Einhaltung von menschenrechtlichen Standards zu knüpfen, können wir einer solchen Zusammenarbeit nicht zustimmen. Die Lage in Serbien, Albanien und Georgien ist nicht vergleichbar mit der in Ägypten, Mexiko oder Saudi-Arabien. Daher enthalten wir uns zu diesen drei Gesetzvorlagen. Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Wir beraten heute drei Gesetzentwürfe jeweils zu Sicherheitsabkommen, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren mit den Regierungen von Albanien, Serbien und Georgien abgeschlossen hat. Sicherheitsabkommen dienen seit vielen Jahren insbesondere der Verbesserung der Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität im Rahmen der sogenannten Vorverlagerungsstrategie der Bundesregierung. Diese Politik zielt darauf ab, die Auswirkungen von Kriminalität und Terrorismus auf Deutschland zu reduzieren. Konkret umfassen die Sicherheitsabkommen – um nur einige Beispiele zu nennen – die Zusammenarbeit etwa bei der Bekämpfung von Betäubungs- und Eigentumskriminalität, Menschenhandel oder Schleusung. Näher geregelt werden in den Abkommen die Formen und Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit. So haben die Vertragsparteien in den jeweiligen Sicherheitsabkommen unter anderem vereinbart, dass sie zur Verhütung und Bekämpfung von Straftaten Fachleute austauschen, einander Informationen und Personalien zu Tatbeteiligten mitteilen, auf Ersuchen die nach dem Recht der jeweils ersuchten Vertragspartei zulässigen Maßnahmen durchführen oder bei Bedarf kriminalistische und kriminologische Forschungsergebnisse austauschen werden. Sofern nicht bereits erfolgt, ist auch die Entsendung von Verbindungsbeamten zu den Polizeibehörden der anderen Vertragspartei ausdrücklich vorgesehen. Der Abschluss eines abstrakt formulierten bilateralen Sicherheitsabkommens hat zunächst keinen unmittelbaren Einfluss auf konkrete Maßnahmen der polizeilichen Ausstattungshilfe oder die Entsendung von Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts. Nach erfolgter fachlicher Bedarfserhebung werden im Einzelfall Maßnahmenpläne zur Festlegung der umzusetzenden Aktivitäten erarbeitet. Insbesondere bei Ausbildungsmaßnahmen im Bereich der Durchführung von Ermittlungshandlungen sollen Arbeitsweisen vorgestellt und geübt werden, die in der kriminalpolizeilichen Arbeit Anwendung finden. Unser Ziel ist es, bei den Vertragspartnern den sogenannten Sachbeweis als wesentlichen Bestandteil eines Ermittlungsverfahrens nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu fördern. Die einzelnen vertraglichen Regelungen entsprechen zu weiten Teilen den bereits mit anderen Staaten abgeschlossenen Abkommen zur Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung. Ich verweise insoweit etwa auf die Sicherheitsabkommen mit dem Kosovo oder der Ukraine, die dem Bundestag seinerzeit ebenfalls vorlagen. Anzumerken ist noch, dass es sich bei den Sicherheitsabkommen um völkerrechtlich bindende Vereinbarungen handelt, die – im Gegensatz zu Polizei- und Justizverträgen – den Vertragsparteien keine über die Regelungen im innerstaatlichen Recht hinausgehenden Befugnisse oder Verpflichtungen einräumen. Die Sicherheitsabkommen sehen vor, dass die Zusammenarbeit der Vertragsparteien in allen Bereichen nach Maßgabe ihres jeweiligen innerstaatlichen Rechts erfolgt. Für die deutschen Sicherheitsbehörden gelten somit auch die in Deutschland anwendbaren Rechtsgrundlagen und Beschränkungen. Weiterhin enthalten die Abkommen jeweils zusätzlich eine allgemeine Vorbehaltsklausel zur Ablehnung der Zusammenarbeit, wenn diese im Widerspruch zu dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei steht. Wie Sie sehen, sind die Sicherheitsabkommen so ausgestaltet, dass Maßnahmen im Rahmen ihrer Umsetzung Menschenrechtsverletzungen keinen Vorschub leisten können. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum – des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren (Tagesordnungspunkt 32 und Zusatztagesordnungspunkt 10) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Wir debattieren heute in erster Lesung das Gesetz zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum, das uns im November vom Bundesministerium vorgelegt wurde. Grundlage ist unser Koalitionsvertrag, in dem CDU/CSU und SPD vereinbart haben, dass wir unter anderem für die genannten Berufe Mindestanforderungen durch einen Sachkundenachweis und Pflichtversicherungen einführen wollen. Beide Berufsbilder sind derzeit nicht zwingend mit einer Ausbildung verbunden, sondern lediglich an eine Gewerbeanmeldung und ein Führungszeugnis geknüpft. Durch diese Maßnahmen soll dem Kunden eine gewisse Leistungsqualität zugesichert, und er soll zudem vor möglichen Folgen bei Fehlern bei der Vermittlung und Verwaltung einer Immobilie geschützt werden, es soll also der Verbraucherschutz einen höheren Stellenwert erhalten. Dies ist aufgrund des sich in den letzten Jahren in Deutschland entwickelten Zuwachses an Haus- und Wohnungseigentum zu diskutieren. Zu den über 9 Millionen Eigentumswohnungen, die nach dem Wohnungseigentumsgesetz verwaltet werden, kommt noch ein beachtlicher Anteil privater Mietwohnungen hinzu: Hier zählen neben 5 Millionen vermieteten Eigentumswohnungen weitere Wohnungen in Gebäuden privater Eigentümer dazu. Insgesamt ist die qualifizierte Fremdverwaltung von knapp 18 Millionen Wohnungen oder rund 44 Prozent des deutschen Wohnungsbestandes zu sichern. Dem Verbraucherschutz kommt hier mit dem Aspekt der Altersvorsorge eine besondere Bedeutung zu. Denn Wohnungseigentum ist eine äußerst attraktive Form der Vermögensbildung. Nun kommen wir zu dem Punkt, wie wir denn im Maklerrecht Anreize für eine bessere Beratung des Verbrauchers beim Immobilienerwerb schaffen wollen. Und: Wie genau müssen wir dies in einem Gesetz eigentlich überhaupt festlegen? Hierzu haben bereits seit 2014 intensiv und ressortübergreifend das BMWi, das BMJV und das BMUB die Einführung dieses Gesetzentwurfes mit dem Ziel des Verbraucherschutzes diskutiert. Hintergrund ist: Standards aus anderen Beratungsberufen auf das Maklergewerbe zu übertragen. Das ist gleichzeitig einer der Knackpunkte des Gesetzes. Unser Ziel muss es immer sein, dass neben dem gut gemeinten, erweiterten Verbraucherschutz übermäßige Bürokratie und ausufernde Kosten vermieden werden. Immobilienverwaltungen und Makler haben bereits heute eine Vielzahl an Gesetzen und Verordnungen zu beachten. Daran müssen wir insbesondere bei dem Nachweis der Sachkunde denken. Die Notwendigkeit eines Sachkundenachweises zum Beispiel für den Geschäftsführer einer gewerblichen Immobilienverwaltung gilt ohnehin. Deshalb trifft rechtlich betrachtet nur ihn die Verantwortlichkeit für die qualifizierte Auswahl seiner Mitarbeiter. Und daher sollte er ganz im eigenen Interesse dafür sorgen, dass seine Mitarbeiter die nötige Fachkunde für ihre Arbeit besitzen. Und wenn trotzdem der Haftungsfall eintritt, muss der Geschäftsinhaber bzw. die Gesellschaft dafür einstehen. Übrigens stelle ich mir auch vor diesem Hintergrund ernsthaft die Frage, ob wir generell eine Berufshaftpflichtversicherung für den Beruf des Maklers überhaupt benötigen. Beim Verkauf einer Immobilie haftet eh der Verkäufer, und der Vorgang des Verkaufes ist als „einmaliger Akt“ mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages beendet. Bei allen Punkten halte ich es für zweckmäßig, die für Anfang 2017 geplante Sachverständigenanhörung abzuwarten, die ich auch als Chance für die mittelständische Branche betrachte, ihre Standpunkte weiter zu präzisieren. Auch würde ich gerne Vertreter des Normenkontrollrates hierzu begrüßen. Denn der NKR hat sich bereits im Dezember letzten Jahres zu einigen wichtigen genannten Punkten qualifiziert und kritisch geäußert. So berücksichtigen nämlich zum Beispiel die Kostenschätzungen nicht, dass neue Meldepflichten besonders gegenüber den Gewerbeämtern zu erfüllen sind. Außerdem sind der Aufwand und die Kosten von Immobilienmaklern und WEG-Verwaltern zur Vorbereitung einer Sachkundeprüfung nicht berücksichtigt. Hierbei wäre mir übrigens wichtig, eine große Vielfalt an verschiedenen Institutionen oder Einrichtungen etc. zu haben, die eine solche Prüfung abnehmen würden. Eine Beurteilung fällt mir im Moment noch schwer, da keine hinreichenden empirischen Belege vorliegen. Dies haben bei der Anhörung im Dezember 2015 übrigens auch alle befragten Sachverständigen erklärt. Die Frage ist ja grundsätzlich, inwieweit Schäden durch gesetzliche Berufszulassungsregelungen vermieden werden können. So könnten zum Beispiel auch ein einfaches Qualitätssiegel oder die Einführung eines Registers völlig ausreichend sein. Geklärt werden müssen bei einer weiteren Anhörung aus meiner Sicht auch exakte begriffliche Berufsbezeichnungen, wie zum Beispiel die Differenzierung zwischen Immobilienmaklern und WEG-Verwaltern. Wer darf sich eigentlich Makler nennen? Diese Frage gilt es zu klären, zumal es ja einen Ausbildungsberuf „Immobilienkaufmann“ oder auch einen „Immobilienmakler IHK“ gibt. Ich teile zentrale Bedenken des NKR, vor allem wenn es um mögliche hohe Kosten für die mittelständische Wirtschaft geht. Abschließend möchte ich daher nochmals unterstreichen, dass es uns wichtig ist, dass die neuen Zulassungsvoraussetzungen, so sie wirklich nötig sind, mit möglichst geringem regulatorischem und bürokratischem Aufwand umzusetzen sein müssen. Wir haben eigentlich die „One in, one out“-Regelung, doch diese greift aufgrund des geltenden Gewerberechtes hier nicht. Eine unmittelbare Kompensation des entstehenden Erfüllungsaufwands ist also nicht möglich. Daher muss der Erfüllungsaufwand in Höhe von 18,3 Millionen Euro pro Jahr durch sinnvolle Entlastungen an anderer Stelle ausgeglichen werden können. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Der Abbau von unnötiger Bürokratie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen. Wir wollen Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von unnötiger Bürokratie entlasten. Gesetze müssen einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet werden, damit Bürokratielasten vermieden oder so gering wie möglich gehalten werden. Die Europäische Union muss sich bei der Normsetzung selbst zurücknehmen. Ich habe soeben Auszüge aus dem Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode zitiert. Bei dem heutigen Gesetzentwurf meine ich, dass wir uns ernsthaft fragen müssen, ob er den gerade genannten Anforderungen genügt. Wenn wir aber von der Europäischen Union Zurückhaltung bei der Normsetzung fordern, sollten wir uns auch hier im Deutschen Bundestag danach richten. Von vielen Branchenvertretern wird die Notwendigkeit einer Regulierung bejaht, und zwar vor allem mit dem Argument des Verbraucherschutzes und wegen der Bedeutung von Wohneigentum für die individuelle Altersvorsorge. Natürlich haben Immobilienverwalter und -makler wichtige Aufgaben zu erfüllen. Diese nehmen hinsichtlich der Anforderungen an die energetische Sanierung von Gebäuden sicherlich auch noch zu. Allerdings frage ich mich ernsthaft, ob es derartige Missstände in der Branche gibt, die eine Regulierung und damit einen Eingriff in die Berufsfreiheit rechtfertigen. Auch wenn von verschiedener Seite Zahlen vorgetragen wurden, konnte nicht bestätigt werden, dass es belastbare Statistiken zu Schadensfällen in diesem Bereich gibt. Das wäre aber eine Grundvoraussetzung, um die Notwendigkeit einer Regulierung zu beurteilen – zumal die geplanten Regelungen insbesondere kleine und mittelständische Immobilienverwaltungen und Makler belasten würden und hohe Kosten für die Branche mit sich bringen. Diese Kosten würden letztlich auch die Verbraucher treffen; denn es wäre zu erwarten, dass die Verwaltungen den gestiegenen Aufwand auf die Wohneigentümergemeinschaften umlegen. Wenn wir die Notwendigkeit eines Gesetzes allerdings bejahen, müssen wir aus meiner Sicht auch Mietverwalter mit einbeziehen. Eine Trennung der Berufsbilder WEG-Verwalter und Mietverwalter ist praxisfern, sie sollten daher auch rechtlich gleich behandelt werden. Aus meiner Sicht gibt es aber noch weitere Fragen zu klären: Die diskutierte „Alte-Hasen-Regelung“, also der Verzicht auf einen verpflichtenden Sachkundenachweis für Verwalter und Makler, die schon länger auf dem Markt agieren, überzeugt mich nicht. Wenn die behaupteten Missstände vom Versagen unqualifizierter „Altverwalter“ herrühren, sollten gerade diese Sachkundenachweise erbringen müssen, dies allerdings nicht ohne eine angemessene Übergangsfrist, auch um das Verfahren praktikabel zu gestalten. Ich bin aber nicht der Ansicht, dass sich die Pflicht zum Sachkundenachweis auch auf Mitarbeiter erstrecken sollte. Der Sachkundenachweis sollte allein für den Geschäftsinhaber oder Geschäftsführer gelten. Diesen trifft dann die Verantwortlichkeit für die Auswahl und Überwachung seiner Mitarbeiter, und er muss – schon im eigenen Interesse – dafür Sorge tragen, dass diese die erforderliche Sach- und Fachkunde für die übernommene Tätigkeit haben. Sollte dennoch ein Haftungsfall auftreten, muss – je nach Rechtsform – grundsätzlich der Geschäftsinhaber oder die Gesellschaft dafür einstehen. Damit ist aus meiner Sicht dem Verbraucher- und Kundenschutz ausreichend Rechnung getragen; denn wir wollen ja ein Zuviel an Bürokratie vermeiden. Was die geplante verpflichtende Berufshaftpflichtversicherung betrifft, frage ich mich ebenfalls, ob diese notwendig ist. Schon im eigenen Interesse werden Immobilienverwalter eine Haftpflichtversicherung abschließen. Da aber eben keine belastbaren Zahlen zu Schadensfällen vorliegen, sollten wir uns mit einer gesetzlichen Verpflichtung aus meiner Sicht zurückhalten. Pflichtversicherungen verteuern den Versicherungsschutz und führen zu mehr Bürokratie. Dies wäre insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen nachteilig. Bei der Zuständigkeit für die Abnahme der Sachkundeprüfung meine ich, dass wir hier eine größere Vielfalt zulassen könnten. Möglicherweise ist ein Prüfmonopol der Industrie- und Handelskammern, wie bislang geplant, nicht notwendig. All diese Fragen sollten wir im neuen Jahr in einer öffentlichen Anhörung klären. Michael Groß (SPD): Ich begrüße den Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohneigentum. Damit wird ein weiterer Baustein unseres Koalitionsvertrages umgesetzt. Mit dem Gesetz wird auch ein gewichtiger Punkt für den Verbraucherschutz umgesetzt. Immobilienmakler und Verwalter von Wohneigentum brauchten bisher trotz massiv gestiegener Anforderungen an ihr Profil gerade im Wohnimmobilienbereich keine spezifische Qualifizierung oder verpflichtende Haftpflichtabsicherung zur Absicherung im Schadensfall. Natürlich sind gute Verwalter und Makler von Immobilien bereits heute freiwillig versichert und bilden sich fort bzw. gehen nicht ohne Kenntnisse auf den Immobilienmarkt. Trotzdem gibt es immer wieder schwarze Schafe, die die fehlende Gesetzgebung zu ihren Gunsten und zum klaren Nachteil bis hin zum persönlichen Ruin von Wohnungseigentümern führen. Mit der Gesetzesnovelle wird nun endlich klar definiert, welche Qualifizierungen und Voraussetzungen dringend und zwingend notwendig sind für das Berufsbild des Verwalters und des Maklers. Leider wurden bisher noch nicht alle Aspekte der Tätigkeiten aufgegriffen im Gesetzentwurf. Die große Sparte der Mietwohnungsverwalter ist im bisherigen Entwurf nicht berücksichtigt. Hier sehe ich als wohnungs- und baupolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion dringenden Nachholbedarf. Damit stehe ich nicht alleine, sondern werde durch den Bundesverband der Immobilienverwalter, den Deutschen Mieterbund und auch von Haus & Grund – also den Wohnungseigentümern – unterstützt. In Zeiten von niedrigen Zinsen und dem sogenannten Betongold als Rücklage und Alterssicherung ist der Traum der Eigentumswohnung nicht nur für den Eigenbedarf wichtig, um überhöhten Mieten in Ballungsgebieten zu entfliehen, sondern auch eine langfristige Geldanlage und der Einstieg in die Kleinvermietung. Doch gerade für den Mieter können hier bei Fehlverhalten hohe finanzielle und existenzielle Lasten entstehen, und es sollte daher der Gesetzentwurf – auch zur eigenen Absicherung von Verwaltern – auf die Mietwohnungsverwaltung ausgeweitet werden. Die bisherigen Ausnahmeregelungen werden wir im parlamentarischen Prozess noch diskutieren. Gerade die sogenannte Alte-Hasen-Regelung für langjährig tätige Gewerbetreibende und angestellte Verwalter und Makler sollte auf den Prüfstand gestellt werden. Dies würde eine große Zahl der Verwalter und Verwalterinnen betreffen, doch gerade die vielseitigen neuen Anforderungen an das Berufsbild erfordern eine umfassende Qualifikation und regelmäßige Weiterbildung. Ich bin daher sehr dafür, die Sachkundenachweispflicht auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszudehnen. Unterm Strich sorgt der vorliegende Gesetzentwurf für Sicherheit auf allen Seiten: Verwalter und Makler sichern sich besser ab und schließen aus, dass ein ganzes Berufsbild durch schwarze Schafe in Verruf gerät. Mieterinnen und Mieter können sich sicher sein, von kompetenten Menschen betreut zu werden. Marcus Held (SPD): Heute behandeln wir in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum. Damit setzen wir als Regierungskoalition einen weiteren Punkt aus dem Koalitionsvertrag um, wo es heißt: „Wir wollen im Maklerrecht Anreize für eine bessere Beratung des Verbrauchers beim Immobilienerwerb schaffen. Hierzu streben wir als weitere Option des Verbrauchers eine erfolgsunabhängige Honorierung entsprechend dem Beratungsaufwand an. Zudem wollen wir einen Sachkundenachweis einführen und Standards aus anderen Beratungsberufen auf das Maklergewerbe übertragen. Wir werden berufliche Mindestanforderungen und Pflichtversicherungen für Wohnungsverwalter und Immobilienmakler verankern.“ Der vorliegende Gesetzentwurf bildet eine gute Grundlage, um im parlamentarischen Verfahren nun weiter daran arbeiten zu können. Wohneigentum wird für viele Menschen hier in Deutschland, vor allem als Altersvorsorge, immer wichtiger. Attraktive Zinssätze und steigende Mieten befördern den „Traum vom Eigenheim“ bei den Bürgerinnen und Bürgern derzeit. Deswegen ist es wichtig, dass wir insbesondere auf Qualität bei den Verwaltern und Immobilienmaklern setzen und diese mit diesem Gesetzentwurf hervorheben. Sachkunde bei der Tätigkeit eines Immobilienmaklers und Wohnungseigentumsverwalters ist deshalb von großer Wichtigkeit. Bereits im Vorfeld gab es zu diesem Gesetzentwurf großen Diskussionsbedarf, viele Stellungnahmen aus der Branche hatten mich dazu erreicht. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion möchte ich kurz auf ein paar Dinge eingehen, die für uns wichtig sind und die wir im Gesetz ergänzen und sicherstellen wollen. Die Pflicht zum Nachweis der Sachkunde und die Weiterbildungspflicht sollen auf Mitarbeiter, die eine aktive Verwaltungstätigkeit ausüben, ausgeweitet werden. Ich kenne dazu die Bedenken des Normenkontrollrats und auch die des Koalitionspartners, werbe aber hier ausdrücklich weiter für diese Regelung, weil wir dies in der SPD-Bundestagsfraktion für sinnvoll halten. Zudem sollen auch die Mietverwalter in das Verfahren eingeschlossen werden. Außerdem wollen wir die Bestandsschutzregelung, die sogenannte Alte-Hasen-Regelung, so verändert wissen, dass alle Verwalter die oben genannten Voraussetzungen erfüllen müssen. Allerdings erst nach drei Jahren. Auch halte ich die Erweiterung der Versicherungspflicht auf die Betriebshaftpflichtversicherung für Immobilienmakler für sinnvoll. Dies werden wir als Koalition im parlamentarischen Verfahren prüfen lassen. Deshalb freue ich mich auf die vor uns stehende Zusammenarbeit in der Koalition zu diesem Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren, insbesondere mit meinen beiden Unionskolleginnen Frau Grotelüschen und Frau Lanzinger, und bin guter Dinge, dass wir ein für alle Seiten anständiges und annehmbares Gesetz hinbekommen werden. Caren Lay (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf löst die Bundesregierung das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein, Immobilienmaklern und Verwaltern von Wohneigentum Berufszulassungen aufzuerlegen. Gewerbliche Immobilienmakler und Wohnungsverwalter müssen einen Sachkundenachweis über die IHK erbringen und Verwalter eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen. Gemeinsam mit den Verbänden begrüßt die Linke das Anliegen des Gesetzes. Der Sachkundenachweis sichert die Qualität der Arbeit und bremst vereinzelt auftretende schwarze Schafe aus, und eine Berufshaftpflichtversicherung schützt im Endeffekt Mieterinnen und Mieter vor finanziellen Schäden bei Zahlungsunfähigkeit des Verwalters oder der Verwalterin. Die Linke sieht in einigen Bereichen aber noch deutlichen Änderungsbedarf. Der Gesetzentwurf bleibt an vielen Punkten hinter seinen Möglichkeiten zurück. Es erschließt sich uns nicht, warum die Zulassungsregelungen ausschließlich auf die Verwalter von Wohneigentum beschränkt sind und nicht auf die Verwalterinnen und Verwalter von Mietwohnungen. Im Koalitionsvertrag sprach die Bundesregierung noch ausdrücklich von Wohnungsverwaltern, was auch die Mietverwalter mit einschließt. Dies fordern sogar die Betroffenen selber. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein großer Teil der Verwalterinnen und Verwalter nicht vom Gesetzentwurf erfasst wird. Nicht verständlich ist auch, warum der Sachkundenachweis nicht auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Wohneigentumsverwaltern ausgedehnt wird, die dieselbe Tätigkeit ausüben wie Gewerbetreibende. Ähnliche Regelungen gibt es bereits bei den Finanzvermittlern. Genauso wenig ist nachvollziehbar, dass die Berufshaftpflicht nicht auf Maklerinnen und Makler ausgedehnt wird. Wir alle wissen: In fast keinem Beruf reichen die einmal erlernten Kenntnisse bis zum Eintritt in die Rente. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen sich auf ständig verändernde Bedingungen einstellen. In manchen Berufen passiert dies im laufenden Betrieb, aber gerade Verwalterinnen und Verwalter sind mit ständig wechselnden Anforderungen und Gesetzen konfrontiert. Ein einmaliger Sachkundenachweis wird dafür nicht ausreichen. Nutzen Sie die Gelegenheit und führen Sie eine Weiterbildungspflicht für Verwalterinnen und Verwalter ein. Das nützt am Ende auch ihren Kundinnen und Kunden und entlastet die Gerichte. Der vorliegende Gesetzentwurf ist in vielen Punkten notwendig, leider aber noch nicht ganz ausgereift. Wir fordern die Bundesregierung auf, hier noch einmal nachzubessern. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit über einem Jahr warten wir auf die Einführung dieses Sachkundenachweises für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum. Der Zeitpunkt, zu dem wir ihn nun debattieren, spricht Bände. Sowohl Vertreterinnen und Vertreter von Wohnungseigentümern wie auch von Verwalterseite sind sich schon lang darüber einig, dass es hier Regelungen braucht. Und auch politisch diskutieren wir das seit letzter Wahlperiode; es steht sogar im Koalitionsvertrag. Deshalb ist es für mich absolut nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung so lange gebraucht hat, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn Sie gleichzeitig eine Reform des WEG-Rechts vorgelegt hätten, könnte ich das verstehen; denn diese ist mindestens ebenso notwendig wie die Einführung des Sachkundenachweises. Aber man kann ja schon froh sein, dass wenigstens dieser Gesetzentwurf im Bundestag behandelt wird. Anderen Vorhaben dieser Bundesregierung ist noch nicht einmal das vergönnt; denn leider ist ihre momentane Politik von einem gegenseitigen Ausbremsen geprägt, das man in vielen Politikfeldern beobachten kann. Leider bleiben Sie in ihrem Gesetzentwurf wieder einmal weit hinter dem zurück, was guten Mieter- und Verbraucherschutz ausmacht. Der Sachkundenachweis muss zum Beispiel auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie auf Mietverwalterinnen und Mietverwalter ausgedehnt werden. Zusätzlich sollten auch sie verpflichtet werden, sich jährlich fortzubilden. Damit Wohnungseigentümer darauf vertrauen können, dass ausnahmslos jeder Wohnungseigentums- und Mietverwalter und jede -verwalterin über einen Sachkundenachweis verfügt, muss die sogenannte Alte-Hasen-Regelung gestrichen werden. Außerdem fordern wir ein öffentliches Register von Immobilienverwalterinnen und -verwaltern, welches bei den Industrie- und Handelskammern angesiedelt und jederzeit einsehbar sein soll. Mittlerweile ist jede vierte Wohnung in Deutschland eine Eigentumswohnung – Tendenz steigend. Insgesamt haben wir 9 Millionen Eigentumswohnungen, deren Besitzerinnen und Besitzer, trotz ihrer großen Bedeutung für die Wohnungsmärkte, in der wohnungspolitischen Debatte kaum Gehör finden. Das WEG-Recht ist hoffnungslos veraltet, obwohl der Wohnungsmarkt einem stetigen Wandel unterliegt. Auch hier agiert die Große Koalition zukunftsvergessen. Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümer sind wichtige Partner für das Erreichen der Klimaziele. Das wissen wir seit geraumer Zeit. Angesichts des hohen Reformbedarfs haben wir unseren Antrag „Wohnungseigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren“ zu Ihrem Gesetzentwurf dazugesetzt. In der gestrigen Kabinettssitzung hat die Bundesregierung eingeräumt, dass es Änderungen am Wohnungseigentumsgesetz bedarf. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition: Sie müssen das nicht in die nächste Legislaturperiode schieben! Sie können auch einfach unserem Antrag zustimmen, der auch umfassende Änderungsvorschläge in Bezug auf Klima- und Verbraucherschutz enthält. Bereits das Bundesverfassungsgericht hat im März 2015 in seinem Urteil anerkannt, dass Wohnungseigentümergemeinschaften Verbraucher sind. Dementsprechend muss sich auch der Verbraucherschutz viel stärker im Wohnungseigentumsrecht wiederfinden. Wir brauchen endlich mehr Transparenz bei der Verwaltung von WEG-Finanzen. WEG-Konten müssen besser vor Missbrauch geschützt werden. In Krisenfällen brauchen Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer mehr Handlungsmöglichkeiten. Ihnen muss eine vereinfachte Einberufung der Eigentümerversammlung ermöglicht werden. Insgesamt wollen wir den WEG-Beirat gegenüber den Verwalterinnen und Verwaltern stärken und als Kontrollinstanz ausbauen. Hierfür brauchen wir deutlich mehr Beratungs- und Schulungsangebote auch von staatlicher Seite. Es sollen mehr Umbaumaßnahmen und Sanierungen von Wohnungseigentümergemeinschaften ermöglicht werden. Dafür bedarf es zum Beispiel mehr Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von Sanierungsmaßnahmen als Instandhaltung, Instandsetzung, modernisierte Instandsetzung, Modernisierung und bauliche Veränderung. Zusätzlich wären steuerliche Anreize für den energetischen und barrierefreien Umbau von WEG sinnvoll. Um die Gerichte zukünftig von den häufigen Rechtsstreitigkeiten in Wohnungseigentümergemeinschaften zu entlasten, fordern wir Möglichkeiten zur außergerichtlichen Streitbeilegung. Hierzu finden Sie einige Vorschläge in unserem Antrag. Wir setzen uns als Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen für eine bessere Stellung der Eigentümerinnen und Eigentümer gegenüber den Verwalterinnen und Verwaltern ein. Obwohl es zahlreiche Beispiele für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt, ist der Schaden, der von einigen schwarzen Schafen in der Branche verursacht wurde, leider zu hoch. Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Deswegen schlagen wir als ein Instrument einen Abberufungskatalog für WEG-Verwalter ein. Wie Sie sehen, sind umfassende Reformen am Wohnungseigentumsrecht, ergänzt durch die Verbesserungen an den Berufszulassungsvoraussetzungen für Wohnungs- und Immobilenverwalterinnen und -verwalter, notwendig. Vor Ihnen liegt das weitere parlamentarische Beratungsverfahren. Nutzen Sie diese Möglichkeit, und verschieben Sie die notwendigen Lösungen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag! Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) – des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versorgung verbessern – Kompetenzen von Heilmittelerbringern ausbauen (Tagesordnungspunkt 33 a und b) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Heute bringen wir das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung in den Deutschen Bundestag ein. Mit diesem schaffen wir verbesserte wirtschaftliche Bedingungen für die Heilmittelleistungserbringer, schärfen die Rahmenbedingungen für die Versorgung mit Hilfsmitteln sowie im Bereich der Wundversorgung und stärken dadurch vor allem die Patientinnen und Patienten in ihren Rechten und Möglichkeiten. All diese Schritte sind unbedingt notwendig geworden, schaut man sich die Situationen in den unterschiedlichen Bereichen einmal genauer an: Die Heilmittelerbringer, wir sprechen hier von mehr als 330 000 Beschäftigten in den Berufsgruppen der Physiotherapie, Ergotherapie, Sprachtherapie und Podologie, leiden unter starkem finanziellen Druck. Hohe Schulgeldkosten und geringe Verdienstaussichten dünnen die Berufsgruppen zunehmend aus. Hinzu kommt, dass zahlreiche Qualifikationen erst im Anschluss erlernt werden können, was mit einem hohen zeitlichen und finanziellen Zusatzaufwand verbunden ist. Es ist richtig, dass wir uns dieser Berufsfelder annehmen und ihnen eine echte Zukunftsperspektive aufzeigen. Bisher sind die Therapeuten in ihren Verhandlungen an die Grundlohnsumme gebunden. Die Grundlohnsummenveränderungsrate markiert die obere Grenze für die Gehälterentwicklung der Therapeuten. Ärzte und Zahnärzte haben es längst geschafft, die Entkopplung zu erreichen, nun sind endlich auch die therapeutischen Gesundheitsberufe an der Reihe. Sosehr ich die zahlreichen Vorteile begrüße, möchte ich ganz deutlich die Verkürzung auf drei Jahre kritisieren und verspreche, dass ich mich intensiv darum bemühen werde, zur Formulierung aus dem ersten Referentenentwurf aus dem BMG zurückzukehren. Die Therapeuten müssen dauerhaft die Möglichkeit haben, auch oberhalb der Veränderungsrate verhandeln zu können. Die Anforderungen, vor denen unser Gesundheitssystem steht – steigende Lebenserwartung, alternde Gesellschaft, wachsender Pflegebedarf –, müssen mit klaren Konzepten und guten Ideen konsequent angegangen werden. Das geplante Modellvorhaben „Blankoverordnung“ ist genau der richtige Weg zu einem kompetenzorientierten Gesundheitssystem. Ziel ist es, dem Therapeuten die Versorgungsverantwortung zu übertragen, indem er Auswahl und Dauer der Therapie sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten selbst bestimmen kann. Die Erprobung in einem Modellvorhaben ist aus unserer Sicht notwendig, um die Überführung in die Regelversorgung zu überprüfen. Ich rufe aber an dieser Stelle die Bundesländer, Kassen und Therapieverbände auf, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, um einheitliche und verbindliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur dadurch können evaluierbare Daten geschaffen werden, nur so kann das Modellvorhaben erfolgreich sein. Ebenfalls stehen wir im Bereich der Hilfsmittelversorgung vor großen Herausforderungen. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, hat mit seiner Aktion zu Inkontinenzprodukten auf ein Thema aufmerksam gemacht, das Millionen Patienten betrifft. Die Qualitätsanforderungen an Hilfsmittel müssen konkretisiert werden, der Schutz der Patienten muss für uns oberste Priorität haben, und die Versorgungssicherheit darf nicht unter kalkulatorischen Rechenbeispielen aufgerieben werden. Diese Aufgaben gehen wir mit dem HHVG konsequent an. Das Hilfsmittelverzeichnis bedarf einer grundlegenden Überarbeitung. Dass einige Produktgruppen seit Jahrzehnten nicht überarbeitet worden sind, ist für mich vollkommen unverständlich. Aber jetzt haben wir reagiert und dem GKV-SV aktualisierte Instrumente an die Hand gelegt, um den Missstand zu beheben. Die kontinuierliche Fortschreibung, Aktualisierung und Bereinigung des Hilfsmittelverzeichnisses ist ein wichtiges Instrument, ebenso wie die Festsetzung von Qualitätskriterien. Wichtig war uns, dass neben der Qualität des Produkts auch die Zweckmäßigkeit oder die Zugänglichkeit der Leistung, aber auch andere Kriterien zur Bewertung herangezogen werden. Nur so können wir einen Standard garantieren, der allen Patientinnen und Patienten gerecht werden kann. Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich bestens, dass nicht jeder Patient mit jedem Hilfsmittel einwandfrei zurechtkommt. Deswegen ist es sinnvoll, dass wir die Anzahl der zur Verfügung stehenden mehrkostenfreien Hilfsmittel erhöhen. Dadurch hat jeder die Möglichkeit auf eine vernünftige und zweckmäßige Versorgung. Es gilt der Grundsatz: Umfangreiche und gute Versorgung müssen für jeden zugänglich sein. Fakt ist: Das Hilfsmittelverzeichnis wird grundlegend überarbeitet und muss permanent fortgeschrieben werden. Fakt ist auch: Die Beratungs- und Informationsrechte der Versicherten werden umfangreich gestärkt. Darüber hinaus schaffen wir die Grundlage zur Verbesserung der Versorgung chronischer und schwer heilender Wunden. In besonderen Fällen können spezialisierte Wundzentren bereits jetzt gegründet werden. Diese sollen aber explizit unabhängig in ihren Finanzierungsstrukturen bleiben, weswegen wir durch Nachjustierungen das Zusammenwirken der Leistungserbringer ausschließen. So wird die Unabhängigkeit der Einrichtungen sichergestellt. Sie sehen: Wir stärken die Versicherten in ihren Interessen, unterstützen Heil- und Hilfsmittelerbringer auf vielfältige Art und Weise und stärken die Pluralität im Gesundheitssystem. Ich möchte mich auf diesem Wege ganz herzlich beim Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, und seinem Haus – hier möchte ich insbesondere den Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, hervorheben –, meinen Kolleginnen und Kollegen in der Koalition und ganz besonders innerhalb unserer Arbeitsgruppe Gesundheit für Ihre Unterstützung danken. Besonders vor dem Hintergrund, dass dieses Gesetz außerhalb der Koalitionsvereinbarung zusätzlich seinen Weg in die Gesetzgebung finden wird, meinen herzlichsten Dank. Martina Stamm-Fibich (SPD): Laut einer repräsentativen Umfrage der Schwenninger Krankenkasse unter rund 1 000 Teilnehmern sind die Bürgerinnen und Bürger mit der Hilfsmittelversorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung unzufrieden. 74 Prozent sind der Meinung, es werde immer schwieriger, beispielsweise Bandagen, Einlagen oder Hörhilfen so wie beantragt auch bewilligt zu bekommen. Jeder Zweite gibt an, Hilfsmittel schon selbst bezahlt zu haben, obwohl sie nach eigener Einschätzung medizinisch notwendig waren. Das Thema Hilfsmittel beschäftigt mich inzwischen seit über zwei Jahren. Ausschlaggebend war eine Petition beim Deutschen Bundestag zum Thema Inkontinenzversorgung. Diese Petition weist auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin. Die Monatspauschalen der gesetzlichen Krankenkassen liegen derzeit zum Teil unter 10 Euro. Meiner Meinung nach sind für eine qualitativ angemessene Versorgung jedoch mindestens Pauschalen in Höhe von 20 Euro nötig. Durch meine Hartnäckigkeit und durch viele Gespräche unter anderem mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, ist der Stein ins Rollen gekommen. Auch der Petitionsausschuss hat das Problem erkannt und die Petition mit einem hohen Votum an das Bundesministerium für Gesundheit überwiesen. Im Juni lag dann der ersehnte Referentenentwurf eines neuen Heil- und Hilfsmittelgesetzes aus dem Bundesgesundheitsministerium vor. Daraufhin erfolgte Ende August der Kabinettsbeschluss. Ich freue mich sehr, dass sich das Gesetz heute in der ersten Lesung befindet und wir den parlamentarischen Prozess starten. Ich hoffe, dass auch in diesem Fall das sogenannte Struck’sche Gesetz, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist, greifen wird; denn vollständig glücklich bin ich mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf noch nicht. Unter den Begriff Hilfsmittel fallen Sachmittel, die Patienten mit funktionseingeschränkten Gliedmaßen oder Organen benötigen, also beispielsweise Hörhilfen, Inkontinenzhilfen oder Prothesen. Der Markt ist aufgrund völlig unterschiedlicher Produkte und einer Vielfalt von Anbietern sehr intransparent. Durch die demografische Entwicklung steigen der Bedarf an Hilfsmitteln und die Ausgaben kontinuierlich an, sodass dieser Bereich stärker in den Fokus rückt. Betrachtet man die einzelnen Ausgaben der GKV im Jahr 2015, entfielen 7,6 Milliarden Euro auf Hilfsmittel. Mit einem Anteil von 3,8 Prozent an den GKV-Gesamtausgaben lagen die Hilfsmittel damit auf Rang sechs, nach Krankenhausleistungen, ärztlicher Behandlung und Arzneimitteln. Medizinischer Fortschritt und medizintechnischer Fortschritt tragen zudem ständig zur Entwicklung neuer Hilfsmittel bei. Zu den Hilfsmittelproduktgruppen mit den höchsten Ausgaben pro Versichertem zählten im letzten Jahr die Hörhilfen, Inhalations- und Atemtherapiegeräte, Orthesen/Schienen, Inkontinenzhilfen, Kranken- und Behindertenfahrzeuge sowie Einlagen. Das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung regelt nun wichtige Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Hilfsmittelversorgung. Das Gesetz umfasst aber auch Regelungen zu Heilmitteln, zur Wundversorgung und zum Schutz der Sozialdaten. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Krankenkassen beim Abschluss von Lieferverträgen nicht nur den Preis, sondern vor allem die Produktqualität angemessen berücksichtigen. Neben dem Preis sollen zu mindestens 40 Prozent Qualitätsaspekte wie Kundendienst, Erreichbarkeit und Anwendungshilfen berücksichtigt werden. Außerdem soll der GKV-Spitzenverband verpflichtet werden, das Hilfsmittelverzeichnis regelmäßig zu aktualisieren. Das vom GKV-Spitzenverband zu erstellende und regelmäßig fortzuschreibende Hilfsmittelverzeichnis ist das wichtigste Werkzeug zur Sicherung der Qualität der Hilfsmittelversorgung und zur Schaffung von Transparenz über das Angebot erstattungsfähiger Hilfsmittel. Die über Jahre verschleppte Anpassung der Qualitätskriterien einzelner Produktgruppen hatte das Preisdumping befördert. Mit dem HHVG sollen die Versicherten zudem die Wahl zwischen mehreren aufzahlungsfreien Hilfsmitteln, auch bei Ausschreibungsverträgen, erhalten. Dies ist positiv zu bewerten. Am Instrument der Ausschreibungen generell wird nicht gerüttelt. Krankenkassen soll es ermöglicht werden, sogenannte Mehrpartnermodelle auszuschreiben. Dadurch können bei einer Ausschreibung mehrere Hersteller den Zuschlag erhalten. Dies kann sinnvoll sein, um den Versorgungsablauf der Versicherten sicherzustellen, wenn beispielsweise ein Hersteller Lieferschwierigkeiten hat. Exklusivverträge mit nur einem Anbieter und einem Produkt sind künftig verboten. Die Krankenkassen sollen in Zukunft Stichproben- und Auffälligkeitsprüfungen durchführen. Hierfür soll es ihnen ermöglicht werden, die notwendigen Daten bei den Leistungserbringern anzufordern. Bei patientenbezogenen Daten ist eine vorherige Zustimmung des Patienten notwendig. Die Regelung gewährleistet, dass den Krankenkassen auch wirklich Daten vorliegen und ein effektives Vertragscontrolling ermöglicht wird. Zukünftig soll über die Abrechnung der Hilfsmittellieferanten auch die Höhe der Aufzahlungen erfasst werden. Bisher liegen diese Daten weder Krankenkassen noch Politik vor, da Hersteller und Versicherte über die gewählte Versorgung und eine damit verbundene Aufzahlung eine privatrechtliche Vereinbarung schließen. Durch die neue Regelung können Krankenkassen auf mögliche Fehlentwicklungen aufmerksam machen und ihnen entgegenwirken. Das ist sehr zu begrüßen. Hier besteht eine echte Chance, Licht in den Dschungel der Aufzahlungsmärkte zu bringen und die Versicherten zielgerichtet zu beraten und zu unterstützen. Schade ist, dass im aktuellen Gesetzesentwurf keine Regelung zum Thema der externen Hilfsmittelberater vorgesehen ist. Hier fehlt bislang eine eindeutige Rechtsgrundlage. Die derzeitige Rechtsunsicherheit beruht darauf, dass die Krankenkassen gemäß SGB V nicht befugt sind, Daten an die externen Hilfsmittelberater weiterzugeben. Deshalb sitzen die Berater derzeit in den Räumen der Krankenkassen. Durch eine gesetzliche Klarstellung könnte die Weitergabe der Daten an die externen Hilfsmittelberater erlaubt werden. Der Einsatz dieser Fachleute ist immer dann hilfreich, wenn es darum geht, eine Hilfsmittelversorgung auf ihre Zweckmäßigkeit und den bedarfsgerechten Einsatz im individuellen Wohnumfeld zu überprüfen. Ich wünsche mir hier eine gesetzliche Klarstellung und werde im weiteren Gesetzgebungsprozess darauf hinwirken. Aktuell werden Hilfsmittelberater für etwa 1 Prozent der Hilfsmittelversorgung eingeschaltet. Der Hilfsmittelexperte berät Krankenkassen in technischen Fragen. Er übernimmt dabei keine Leistungen des MDK. Die finale Entscheidung über die Versorgung bleibt bei der Krankenkasse, der Berater spricht nur eine Empfehlung aus. Aus meiner Sicht wäre der Aufbau der Expertise für technische Beratung bei den Krankenkassen selbst unwirtschaftlich, da es sich nur um eine sehr kleine Anzahl von Fällen handelt. Unter keinen Umständen dürfen externe Hilfsmittelberater von Krankenkassen dazu eingesetzt werden, auf Kosten der Versicherten zu sparen. Beim Einsatz der Berater sollen auch die Versicherten einen Vorteil haben. Die Berater sollen zur Qualitätssicherung der Versorgung eingesetzt werden. Ziel ist es, so Über-, Fehl- als auch Unterversorgung aufzudecken. Für mich ist klar, dass die Situation der Betroffenen besser werden muss. Wirtschaftlichkeit darf nicht der einzige Maßstab sein. Wir brauchen in der Versorgung mit Hilfsmitteln mehr Qualität und mehr Bewusstsein für die individuellen Bedürfnisse der Patienten. Jeder Patient muss davon ausgehen können, dass er bei seiner Krankenkasse ordentlich versorgt wird. Das neue Heil- und Hilfsmittelgesetz muss die nötigen Rahmenbedingungen für eine patientengerechte, aber finanzierbare Versorgung Betroffener mit Hilfsmitteln setzen. Grundsätzlich muss der Wettbewerb zwischen den Kassen bestehen bleiben. Zukünftig muss dieser jedoch viel stärker zu einem Wettbewerb um die qualitativ beste Versorgung werden – nicht wie bisher einer um das billigste Angebot. Als Gesetzgeber müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dass den Kassen ein harmonischer Dreiklang aus Wirtschaftlichkeit, Qualität und Serviceleistung gelingen kann. Ich begrüße es, dass der GKV-Spitzenverband bereits im Vorgriff auf die Gesetzgebung reagiert hat und die Qualitätsanforderungen an aufsaugende Inkontinenzhilfsmittel deutlich anheben wird. Von den aktuell rund 2 200 für diesen Bereich gelisteten Produkten werden voraussichtlich über 600 Produkte nach dem Ende der Übergangsfrist aus dem Verzeichnis gestrichen. Es wird gründlich aufgeräumt. Wie der GKV-Spitzenverband Ende Oktober gegenüber „apotheke adhoc“ bestätigte, soll ab Mitte November die Hilfsmittelliste der entsprechenden Gruppe 15 aktualisiert werden. Damit stehen circa 100 höherwertige Produkte zur Versorgung bereit. Der Selbsthilfeverband Inkontinenz geht davon aus, dass die neuen Produkte ab Januar bei den Patienten ankommen und damit noch bevor das „Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung“ verabschiedet wird. Als Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion haben wir uns als Erste um das Thema Hilfsmittelversorgung gekümmert. Wir haben bereits Ende Juni 2015 unser Positionspapier „Hilfsmittelversorgung verbessern – Versorgungsqualität für Patienten stärken“ veröffentlicht. Wir haben sieben konkrete Forderungen formuliert. Darin enthalten sind neben der konsequenten Kopplung der Ausschreibung an Qualitätskriterien auch die Forderung nach Transparenz sowie die Überwachung der Qualitätsstandards. Die Eckpunkte unseres Koalitionspartners sowie der nun vorliegende Gesetzentwurf orientieren sich an unseren Forderungen. Birgit Wöllert (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vorgelegt. Das Anliegen begrüßen wir ausdrücklich. Im Sinne von Gesundheitsförderung, Therapie und Rehabilitation sieht auch meine Fraktion Die Linke eine zunehmende Bedeutung der Heil- und Hilfsmittelversorgung. Die circa 330 000 Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen, Logopäden und Logopädinnen und Podologen und Podologinnen leisten in der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung hervorragende Arbeit. Dieser Gesetzentwurf wird sich unter anderem daran messen lassen müssen, ob er für diese Berufsgruppen eine substanziell bessere Vergütung gebracht hat. Ob dazu allein die Loslösung von der allgemeinen Lohnentwicklung ausreichend ist, darf stark angezweifelt werden. Schließlich ermöglicht dies zunächst nur eine größere Flexibilität bei den Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen. Das ist aber längst keine Garantie dafür, dass die Therapeutinnen und Therapeuten auch wirklich mehr Geld in der Tasche haben werden. Dass diese Regelung nun anders als im früheren Entwurf auch noch zeitlich befristet ist, schürt den Verdacht, dass es sich um eine Hinhaltetaktik der Bundesregierung handelt, der wir uns keinesfalls anschließen werden. Schon seit langem fordern wir mehr Kompetenzen für die Therapeutinnen und Therapeuten. Es ist nur richtig, dass die Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet die richtige Behandlung auf Basis der ärztlichen Diagnose selbst bestimmen. In der Physiotherapie laufen schon zwei Modellvorhaben mit ersten Zwischenergebnissen. Ich denke, wir sollten im Gesetzgebungsverfahren darüber diskutieren, ob es tatsächlich notwendig ist, Modellvorhaben nochmals auszudehnen, oder ob der Gesetzgeber Regelungen für eine Blankoverordnung schon jetzt vorgibt und sie nach einem bestimmten Zeitraum evaluiert. Dagegen ist es doch sehr enttäuschend, dass der Direktzugang zur Logopädie, Physiotherapie etc. überhaupt nicht angegangen wird. Auch hier sind entsprechende Modellversuche überfällig. Für den Bereich der Hilfsmittel sind Veränderungen längst überfällig. Diese Veränderungen müssen vor allem auf eine qualitativ bessere Versorgung der Betroffenen abzielen. Es muss gewährleistet sein, dass Hilfsmittel, die dem speziellen Krankheitsbild und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen, ohne Mehrkosten für die Versicherten erstattet werden. Die ständige Fortschreibung und Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses hätten schon viel eher vorgeschrieben werden müssen. Die bessere Überwachung der Ergebnisqualität und die Stärkung der Wahlmöglichkeiten für die Versicherten, die Festlegung einer Verfahrensordnung zur Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis und jährliche Berichterstattung vor dem Ausschuss für Gesundheit sind mögliche Schritte für eine bessere Versorgung. Mit den Regelungen zu Hilfsmittelausschreibungen gesteht die Bundesregierung endlich ein, dass hier in der Praxis vieles schief gelaufen ist. Dass der Preis nun nicht mehr das alleinige Kriterium für Wirtschaftlichkeit sein soll, ist auch eine längst überfällige Erkenntnis. Dass die Gewichtung der Qualität nun aber ausgerechnet bei 40 Prozent liegen soll, ist kaum überprüfbar und dürfte wenig spürbare Verbesserungen bringen. Die Ausschreibungen an nur einen oder einige wenige Anbieter sind ein Konstruktionsfehler, der nicht mit ein paar kosmetischen Verbesserungen korrigiert werden kann. Wir sagen nach wie vor: Diese intransparenten Hilfsmittelausschreibungen, die die Versorgungsqualität beeinträchtigen und die Anbietervielfalt bedrohen, gehören abgeschafft. Die Änderungen im § 126 mit der Einrichtung von Präqualifizierungsverfahren sind ein richtiger Schritt zur Qualitätskontrolle zugelassener Hilfsmittel. Die Regelungen im § 127 unter anderem mit Beratungspflicht der Leistungserbringer ist eine Möglichkeit, Betroffene besser in die Lage zu versetzen, eine für sie passende Versorgung zu finden. Die in § 140 benannten Verbesserungen für die Beteiligung von Patientenvertretungen sind eine richtige, aber noch nicht ausreichende Maßnahme, damit Patientinnen und Patienten in eigener Sache ihre Interessen wahrnehmen können. Dann wäre da noch das Vorhaben einer verbesserten Wundversorgung. Auch hier ist das Ziel lobenswert. Aber ist hierfür die Änderung des § 37 SGB V mit der Orientierung auf spezialisierte Zentren wirklich das erste und wichtige Mittel der Wahl? Oder sollte nicht besser auf eine Stärkung spezialisierter Pflegekräfte im ambulanten und vollstationären Bereich hingewirkt werden? Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Leistungsausschlüssen sagen, die hier von allen Fraktionen außer der Linken befürwortet werden. Warum Sehhilfen nicht erstattet werden, erschließt sich keinem normal denkenden Menschen. Wer nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, stolpert mit erhöhtem Unfallrisiko durch den Alltag. Das entspricht nicht Ihrem eigenen Anspruch im Gesetzentwurf. Dort schreiben Sie selbst, dass neben die Behandlung von Akuterkrankungen und Verletzungen auch die Prävention, die Verhinderung des Voranschreitens chronischer Beschwerden sowie die Wiederherstellung verloren gegangener Alltagskompetenzen und Hilfen zur selbstbestimmten Bewältigung der Anforderungen des Alltags auch bei chronischer Erkrankung oder Behinderung treten müssen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält positive Elemente für die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln. Doch er bleibt auf halbem Wege stehen, versucht Symptomtherapie, wo an die Ursachen gegangen werden sollte, und traut sich weiterhin nicht, die Kompetenzen von Heilberufen substanziell zu stärken. Er bietet eine Grundlage, auf der im Gesetzgebungsverfahren mutigere Schritte gegangen werden können. Nicht mehr und nicht weniger. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden älter, das ist die gute Nachricht. Wir bleiben häufig sogar länger gesund. Dennoch wird die Zahl der kranken, körperlich eingeschränkten und pflegebedürftigen Menschen insgesamt steigen. Da kommt den Heilmittelerbringern, also den Physiotherapeuten, den Logopäden, Ergotherapeuten und den Podologen, eine wichtige Rolle zu. Sie können die Folgen von Krankheiten mildern, sie können Menschen helfen, ein Stück Eigenständigkeit zurückzugewinnen. Logopäden helfen Patienten nach einem Schlaganfall, wieder klar sprechen zu lernen. Physiotherapeuten können Pflegebedürftigen helfen, mehr Mobilität zu erlangen, und die Ergotherapie stärkt motorische Fähigkeiten, sodass Menschen im Idealfall wieder selbstständig leben können. Heilmittelerbringer fördern noch vorhandene Fähigkeiten und unterstützen eine selbstbestimmte Lebensführung. Sie spielen damit eine wichtige Rolle, ganz besonders in einer alternden Gesellschaft. Leider behandeln wir die Angehörigen der therapeutischen Berufe nicht ihrer Rolle entsprechend. Sie müssen immer noch für ihre Ausbildungen zahlen, viele verdienen wenig. Wir achten ihre Kompetenzen gering. Dabei ist es für eine bessere Qualität der gesundheitlichen Versorgung wichtig, die Handlungsmöglichkeiten der Heilmittelerbringer zu stärken. Dazu müssen ihre spezifischen Kompetenzen, Kenntnisse und Erfahrungen aufgegriffen werden. Ebenso wichtig ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Berufsgruppen auf Augenhöhe. Die Aufgabenteilung und Aufgabenverteilung zwischen akademischen und nichtakademischen Gesundheitsberufen, insbesondere den Heilmittelerbringern, müssen überprüft und sinnvoll gestaltet werden. Darüber wird schon so lange diskutiert, in der Wissenschaft ebenso wie in der Politik. Doch der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt viel zu zögerlich. Es sollen lediglich Modellversuche zur sogenannten „Blankoverordnung“ stattfinden. Das bedeutet: Ärzte stellen die Diagnose und verordnen eine Behandlung. Über die geeignete Therapiemethode entscheiden die Heilmittelerbringer mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung selbst. Wir wollen, dass die „Blankoverordnung“ zügig in die Regelversorgung überführt wird. Darüber hinaus fordern wir Modellprojekte zum „Direktzugang“ für Heilmittelerbringer. Das bedeutet, dass Patientinnen und Patienten sich direkt an den Therapeuten wenden können, ohne dass eine vorherige Verordnung durch den Arzt erforderlich ist. Voraussetzung ist natürlich eine entsprechende Qualifikation des Heilmittelerbringers. Beide Maßnahmen werten die therapeutischen Berufe auf, geben ihnen mehr Entscheidungen an die Hand und schöpfen damit auch besser das spezifische Wissen, die besonderen Kenntnisse der Heilmittelerbringer aus. Und beide Maßnahmen sind auch schon einmal in einem Positionspapier der AG Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgetaucht. Da wurde durchaus mutig und zukunftsorientiert gedacht, doch leider haben diese Ideen keinen Eingang in den Gesetzentwurf gefunden: Die Unionsfraktion konnte sich nicht durchsetzen. Mir ist schon klar, dass das nicht so einfach ist, dass man damit an Tabus rührt und Teile der Ärzteschaft verärgert. Auch die Berufsgesetze der Heilmittelerbringer müssten aufgeschnürt werden, insbesondere für den Direktzugang. Aber gerade darum müsste die Bundesregierung die Dinge anpacken, statt sie zu vertagen! Im Koalitionsvertrag von 2013 sind Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistung geplant – und bei Erfolg deren Überführung in die Regelversorgung. Kein einziges Modellvorhaben zur Substitution ärztlicher Leistungen ist bis jetzt umgesetzt. Die Überführung in die Regelversorgung befindet sich in ganz weiter Ferne. Genau das jedoch, tatsächlich mehr Kompetenzen und Befugnisse, wäre ein überfälliges Signal an alle Heilmittelerbringer gewesen, dass ihr Beruf wertgeschätzt wird, dass er eine wichtige Rolle in der Zukunft der gesundheitlichen Versorgung spielen wird. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Auch wenn die Heil- und Hilfsmittelversorgung in den vergangenen Jahren nicht im Blickpunkt der öffentlichen Debatte gestanden hat, wird sie zukünftig angesichts der Altersentwicklung in unserer Bevölkerung eine größere Bedeutung im Bereich der medizinischen und pflegerischen Versorgung erlangen. Anders als der Begriff auf den ersten Blick vermuten lässt, sind Heilmittel medizinische Behandlungen, die von Vertragsärzten verordnet und von speziell ausgebildeten Therapeuten erbracht werden. Zu nennen sind hier zum einen die Anwendungen der Physiotherapie wie Krankengymnastik, Massagen und Wärmebehandlungen sowie der Logopädie bei Stimm-, Sprech-, und Sprachstörungen. Zum anderen zählen auch Maßnahmen der Ergotherapie sowie der podologischen Therapie zu den Heilmitteln. Während erste bei Störungen im Bereich der Motorik, der Sinnesorgane sowie der geistigen und psychischen Fähigkeiten zum Einsatz kommen, werden zweite von den Krankenkassen bei Schädigungen an Füßen aufgrund von Diabetes übernommen. Hilfsmittel wiederum sind Gegenstände, deren Gebrauch eine beeinträchtigte Körperfunktion ersetzt, erleichtert, ergänzt oder erst ermöglicht, zum Beispiel Körperersatzstücke, Hörhilfen, Blindenführhunde, Prothesen sowie Rollatoren und Rollstühle. Als Folge des demografischen Wandels verändern sich sowohl die Krankheitsbilder als auch die Ziele der Gesundheitsversorgung. Neben die Behandlung von Akuterkrankungen und Unfallverletzungen treten zunehmend die Prävention, die Rehabilitation und Hilfen zur selbstbestimmten Bewältigung des Alltags auch bei chronischer Erkrankung und Behinderung. Für diese Versorgungsziele haben eben Heil- und Hilfsmittel eine besondere Bedeutung. Handlungsbedarf besteht dabei an verschiedenen Punkten. So gibt es im Bereich der Hilfsmittelversorgung Hinweise auf erhebliche Qualitätsdefizite. Im Vordergrund der medialen Berichterstattung sowie der vielen Zuschriften, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie der Patientenbeauftragte der Bundesregierung erhalten, stehen vor allem Qualitätsmängel bei Inkontinenzhilfen. So gerieten Krankenversicherer in den Fokus der Kritik, weil sie ihren Versicherten Windeln mit nur geringer Saugfähigkeit anboten. Aber auch mit Blick auf andere Produktgruppen wird kritisiert, dass die an die Hilfsmittel gestellten Qualitätsanforderungen vielfach nicht mehr dem aktuellen Stand der medizinisch-technischen Entwicklung und den sich veränderten Anforderungen der Versicherten gerecht würden. Die zahlreichen Berichte haben den Bundesrechnungshof dazu veranlasst, einen ausführlichen Prüfbericht zur Hilfsmittelversorgung zu verfassen, in dem er die Qualitätsdefizite bestätigt. Auch die Anforderungen der Heilmittelversorgung wachsen, während die Heilmittelverbände die vermeintlich unzureichenden Einkommen der Heilmittelerbringer beklagen und von großen Schwierigkeiten berichten, offene Stellen in den Heilmittelpraxen zu besetzen. Bestätigt werden diese Berichte durch eine 2014 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichte Studie zu Fachkräfteengpässen in Unternehmen. Dieser zufolge gehören die Physiotherapie und die Logopädie zu den Bereichen mit dem stärksten Fachkräftemangel. Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung wirkt diesen Problemen entgegen. Zur Veranschaulichung möchte ich hierzu sowohl für den Hilfsmittel- als auch für den Heilmittelbereich einige Beispiele nennen. Beginnen wir mit dem Bereich der Hilfsmittel, für den der Gesetzentwurf ein ganzes Maßnahmenbündel für mehr Qualität vorsieht. Der Gesetzentwurf verpflichtet den GKV-Spitzenverband zu einer grundlegenden Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses einschließlich der in ihm enthaltenen Qualitätsanforderungen an die Hilfsmittel und der mit ihnen verbundenen Dienstleistungen bis zum 31. Dezember 2018. Damit die Aktualität des Hilfsmittelverzeichnisses auch über die einmalige Aktualisierung hinaus gewährleistet bleibt, hat der GKV-Spitzenverband darüber hinaus bis zum 31. Dezember 2017 eine Verfahrensordnung zu beschließen. Diese hat insbesondere Fristen für die einzelnen Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses zu enthalten, bis zu denen künftig eine Prüfung auf Aktualisierungsbedarf erfolgt sein muss. Um die Umsetzung der Qualitätsanforderungen an die Hilfsmittel durch die Anbieter von Hilfsmitteln sicherzustellen, werden die Krankenkassen dazu verpflichtet, die Einhaltung der Vertragsinhalte durch Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen zu überwachen. Für dieses Vertragscontrolling hat der GKV-Spitzenverband bis zum 30. Juni 2017 Rahmenempfehlungen vorzulegen. Daneben enthält der Gesetzentwurf Vorgaben für die Krankenkassen zu einer stärkeren Berücksichtigung von Qualitätsaspekten bei Vergabeentscheidungen im Rahmen von Hilfsmittelausschreibungen. Darüber hinaus haben die Krankenkassen auch bei solchen Versorgungen, die über Ausschreibungen zustande kommen, ihren Versicherten Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen aufzahlungsfreien Produkten zu ermöglichen. Zudem werden die Informationsmöglichkeiten der Versicherten erweitert. Die Krankenkassen müssen ihre Versicherten über ihre Vertragspartner und die wesentlichen Inhalte der mit ihnen abgeschlossenen Verträge informieren. Darüber hinaus werden die Krankenkassen verpflichtet, die Informationen über die Inhalte der Verträge auch Versicherten anderer Krankenkassen über das Internet zugänglich zu machen. Damit werden den Versicherten Vergleiche zwischen den Leistungsangeboten verschiedener Krankenkassen ermöglicht. Weiterentwickelt wird auch das Präqualifizierungsverfahren. Im Präqualifizierungsverfahren weisen die Leistungserbringer ihre grundsätzliche Eignung für Vertragsabschlüsse mit den Krankenkassen nach. Dabei werden die organisatorischen, personellen, räumlichen und technischen Bedingungen in den Betrieben, die Hilfsmittel abgeben, auf den Prüfstand gestellt. Durchgeführt werden die Präqualifizierungsverfahren durch Präqualifizierungsstellen. Künftig erfolgt die Begutachtung, Akkreditierung und Überwachung der Präqualifizierungsstellen durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS). Alle fünf Jahre müssen sich die Präqualifizierungsstellen einem Akkreditierungsverfahren sowie regelmäßigen Überwachungsaudits durch die DAkkS unterziehen. Des Weiteren enthält der Gesetzentwurf Regelungen zu den Beratungspflichten der Hilfsmittelerbringer gegenüber den Versicherten und zu einer verbesserten Transparenz über die Verbreitung und Höhe von Aufzahlungen, die Versicherte über die gesetzlich Zuzahlung hinaus zu entrichten haben, wenn sie sich für ein Hilfsmittel entscheiden, das über den Leistungsrahmen der GKV hinaus geht. Für den Heilmittelbereich möchte ich zudem folgende Punkte anführen: In Modellversuchen zur sogenannten „Blankoverordnung“ soll eine stärkere Einbindung von Heilmittelerbringern in die Versorgungsverantwortung bundesweit erprobt werden. Bei dieser Versorgungsform erfolgt die Diagnose und Verordnung weiterhin über den Arzt, der Therapeut bestimmt aber selbst Art, Dauer und Häufigkeit der Therapie. Außerdem erhalten Krankenkassen und Heilmittelverbände zusätzliche Bewegungsspielräume für ihre jährlichen Vergütungsvereinbarungen. In den Jahren 2017 bis 2019 entfällt die Begrenzung der Preisanhebungen für Heilmittelleistungen durch die Grundlohnrate. Doch der vorliegende Gesetzesentwurf enthält nicht allein Vorschriften zur Heil- und Hilfsmittelversorgung, sondern darüber hinaus auch Regelungen für weitere Bereiche: Regelungen zur Verbesserung der Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden, zur Definition von Verbandmitteln, zur finanziellen Unterstützung der Interessenvertretung der Patientinnen und Patienten in den Gremien der GKV, zum Schutz von Sozialdaten vor unbefugter Kenntnisnahme, eine Erweiterung der Ausnahmeregelung von der Mitteilungspflicht an die Krankenkassen bei drittverursachten Gesundheitsschäden um Fälle sexualisierter und häuslicher Gewalt und eine klarstellende Beitragsregelung für landwirtschaftliche Unternehmer, die Arbeitslosengeld II beziehen. Im Ergebnis verbindet der vorliegende Gesetzentwurf eine deutliche Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen der Qualität der Hilfsmittelversorgung mit einer Aufwertung des Stellenwerts des Heilmittelbereichs im Versorgungssystem. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag für die Ausrichtung beider Leistungsbereiche auf sich verändernde und zusätzliche Anforderungen. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken (Tagesordnungspunkt 34) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag hat meine Unterstützung, obwohl sich der Vorderteil des Titels wie eine Parole aus meiner Pionierzeit in der DDR anhört. Trotzdem handelt es sich ja um ein wichtiges Anliegen: Im Münchner Konsens hatten vor zwei Jahren übereinstimmend der Bundespräsident, der Bundesminister des Auswärtigen und seine Kollegin der Verteidigung die Bereitschaft Deutschlands zur verstärkten Übernahme internationaler Verantwortung erklärt. Die Ministerien haben ihre Hausaufgaben gemacht und mit dem Review-Prozess bzw. dem Weißbuch Dokumente erarbeitet, nach denen sie sich neu aufstellen. Es ist folgerichtig, dass sich auch der Deutsche Bundestag mit dem Feld der Friedens- und Konfliktforschung intensiver befasst. Die wissenschaftliche Analyse von Konfliktursachen ist von herausragender Bedeutung, um Fehler frühzeitig zu erkennen oder am besten gar nicht erst zu machen – oder um aus Fehlern und Entwicklungen wenigstens etwas Positives zu lernen, selbst wenn diese äußerst schmerzhaft verlaufen sind. Die gewonnenen Erkenntnisse stehen natürlich auch den Abgeordneten zur Verfügung. Die Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung können direkt über Expertengespräche oder Einzelberatung oder indirekt über das breite Instrumentarium der wissenschaftlichen Politikberatung abgerufen werden, über den Service des Wissenschaftlichen Dienstes für eher kurzfristige Fragestellungen oder über das Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) für intensivere, gründliche Studien. Die Friedens- und Konfliktforschung ist dabei für uns Abgeordnete von herausragender Bedeutung, da wir in Deutschland aus historisch bedingten, unverändert guten Gründen eine Parlamentsarmee haben: Jeder Bundeswehreinsatz muss im Deutschen Bundestag eine Mehrheit erhalten. Wir tragen die Verantwortung für das Leben der Soldaten; dafür sind wir auf umfassende Informationen angewiesen. Und dies gilt nicht nur für die Mandatierung von Auslandseinsätzen, sondern insbesondere auch für das Aufzeigen von Möglichkeiten zur frühzeitigen Lösung von Konflikten. Die Vernetzung von Informationen ist nicht zuletzt im Zuge der Migrationsbewegung der letzten zwölf Monate deutlich verbessert worden. Dies muss, wie im Antrag richtig formuliert, auch in der Konflikt- und Friedensforschung erfolgen, um durch Zusammenarbeit auf grenzüberschreitende Konflikte angemessen reagieren zu können. Nicht zuletzt die Intensivierung der hybriden Kriegsführung lässt uns hier auch gar keine andere Wahl: Über Ländergrenzen hinweg finden Einflussnahmen statt, die wir erkennen und entschärfen müssen. Dafür ist interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit der Schlüssel. Natürlich darf Friedens- und Konfliktforschung keine Selbstbeschäftigung sein. Die unabhängige, kontinuierliche Evaluierung ist mir ein wichtiges Anliegen. Es ist richtig, dass sich die Forschung stets am Bedarf nach Erkenntnissen zu aktuellen Fragestellungen ausrichten muss und die Programme des BMBF und anderer Ressorts dementsprechend flexibel gestaltet werden. Die gemeinsame Ausrichtung ist natürlich die Beförderung von friedlichen Konfliktlösungen, von demokratischen Prozessen und Lösungen unter dem Leitstern von Freiheit und Menschenrechten. Ob dafür der verkürzte Titel die optimale Zusammenfassung bildet, sei dahingestellt. Aber wirklich wichtig ist die inhaltliche Stoßrichtung. Und die ist in Ordnung. Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Was zeichnet Friedens- und Konfliktforschung aus? Eins ist sicher: Sie ist in jeder Hinsicht vielfältig. Erstens. Ihre Disziplinen sind vielfältig: Friedens- und Konfliktforschung ist zwar traditionell politikwissenschaftlich geprägt, aber sie ist heute in großem Maße interdisziplinär: Jura, Geistes- und Sozialwissenschaften, auch Naturwissenschaften, wenn es etwa um die Rüstungskontrolle geht, Ethnologie – all diese Fachdisziplinen tragen unter anderem zum Erkenntnisgewinn bei. Das ist eine angemessene Reaktion auf die vielfach zusammenwirkenden Ursachen für Konflikte überall auf der Welt, die nicht allein durch militärische Mittel gelöst werden können. Militärische Mittel müssen leider in vielen Fällen erst bewaffnete Konflikte beenden und die Voraussetzungen für Verhandlungen schaffen. Aber dann geht es um die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, die Atmosphäre der Aussöhnung und um gute Regierungsführung. Dafür brauchen wir gute Analysen, um informierte politische Entscheidungen zu treffen. Es wäre dennoch unfair, von wissenschaftlichen Analysen zu erwarten, dass sie den goldenen Weg zur Konfliktlösung oder auch zur Prävention kennen. Zweitens. Die Themen sind vielfältig: Friedens- und Konfliktforschung befasst sich mit zwischen- und innerstaatlichen Konflikten weltweit. Ein Beispiel dafür ist der geplante Aufbau eines Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstituts, das an der größten staatlichen Universität des Landes, der Universidad Nacional, angesiedelt ist. Von deutscher Seite sind hier die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, kurz HSFK, die Universitäten Gießen und Göttingen und die FU Berlin beteiligt. Mit dem Ergebnis des Referendums in Kolumbien stellt sich die Relevanz eines solchen Projekts in neuem Licht dar. Es spannt einen breiten Bogen: von der historischen Aufarbeitung über Methoden der Konfliktprävention zur Frage der Gestaltung einer Post-Konflikt-Gesellschaft. Hier sieht man schon, dass wissensbasierte Politikberatung in der Friedens- und Konfliktforschung immer eine wichtige Rolle spielt. Sie befasst sich auch mit Themen, die uns in Deutschland direkt betreffen. Welche Bedrohungen von Cyberterrorismus ausgehen können, ist eine relativ neue Frage, auf die wir Antworten finden müssen. Auch wenn wir über die Stärkung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft nachdenken, ist dieser Wissenschaftsbereich relevant. Ein Forschungsprojekt, auf das ich noch eingehen werde, zeigt dies hochaktuell: das Projekt zur Erforschung des Salafismus in Deutschland. Drittens. Die Akteure der Friedens- und Konfliktforschung sind vielfältig. Aus sehr unterschiedlichen Perspektiven wird geforscht: von der Universität der Bundeswehr über das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg bis zum Leibniz-Institut HSFK. Eine ideologische Färbung muss man den Akteuren übrigens nicht gleich unterstellen, nur weil sie den Frieden als normativ erstrebens- oder erhaltenswerten Zustand werten. Die Vielfalt der Themen, Denkansätze und Akteure macht es notwendig, Friedens- und Konfliktforschung möglichst breit zu fördern. Wir tun das bereits und wollen dies auch in Zukunft tun: über die sogenannten Area Studies die soziale, kulturelle und politische Gegebenheiten für bestimmte Regionen untersuchen; über die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die vor dem Hintergrund der interdisziplinären Aufstellung der Friedens- und Konfliktforschung geeignete Förderangebote macht; über Projektförderung wie etwa des Salafismus-Projekts an der schon erwähnten HSFK, das ich kurz vorstellen möchte: Hier ging es erstens darum, einen Überblick zu erhalten, was wir zu Salafismus eigentlich schon wissen. Welche Daten stehen uns zu Verfügung, welche fehlen, wie werden Jugendliche in Deutschland umworben und angeworben, was können wir zur Prävention tun? Das waren nur einige der Fragestellungen. Zweitens ging es darum zu ermitteln, welchen Bedarf an Beratung Politik und Gesellschaft zum Thema haben. Wissenschaftliche und praxisbezogene Expertise wird hier gebündelt. Zu jeder der Fragestellungen, die die Forschungsgruppen untersucht haben, wurden Handlungsempfehlungen für Politik, Sicherheitsbehörden, Zivilgesellschaft und Medien verfasst. Ein gutes Beispiel für Wissenstransfer! Ich begrüße, dass aus diesem Forschungsprojekt eine Folgeuntersuchung abgeleitet wurde, die den Schwerpunkt Radikalisierungsforschung hat. Für diese und viele weitere Vorhaben sind Fördergelder gut angelegt. Das wollen wir auch in Zukunft unterstützen, wie unser Antrag deutlich macht. Deshalb bitte ich um Ihre Unterstützung. Dr. Daniela De Ridder (SPD): Gut 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind wir in Deutschland in der glücklichen Situation, in Frieden zu leben, während gleichzeitig in Syrien ein Bürgerkrieg herrscht, der ganze Generationen dazu zwingt, das Land zu verlassen – ohne eine konkrete Perspektive zu haben. Mit unserer Geschichte im Hintergrund sehe ich uns in der Pflicht, nicht nur humanitäre Hilfe zu leisten, sondern auch weiterhin einen Beitrag zur Friedenssicherung, Gewalt- und Krisenprävention sowie zur Lösung von Konflikten zu leisten. Deshalb begrüße ich diesen Antrag der Koalition ausdrücklich. Dass in Europa Frieden herrscht, ist nicht gleichbedeutend mit Konfliktfreiheit. Beunruhigt schauten wir in dieser Woche in Richtung USA und Türkei – der Wahlsieg Donald Trumps und das Erstarken von Populisten macht auch mich besorgt. Auch sehe ich das Konfliktpotenzial in Bezug auf die Fortführung einer konsequenten Ukraine-Politik. In seinem Wahlkampf hatte Trump ja bereits angekündigt, die russische Annexion der Krim anzuerkennen. Dies und auch die Missachtung der Nato hatten bei vielen Menschen Besorgnis ausgelöst und gefährdet unser Bündnis. Zumindest darf man diesen Politikstil fragwürdig finden. Nun gilt es, erst einmal abzuwarten, wie sich die Situation in den USA entwickelt, und gleichzeitig den internationalen Austausch in der Friedens- und Konfliktforschung zu befördern. Hier unterstütze ich beim vorliegenden Antrag, die Friedensforschung mit regelmäßigen internationalen Konferenzen zu aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Friedens- und Konfliktforschung zu stärken. Letztlich haben wir – zumindest in Europa – doch mit sehr ähnlichen Konflikten zu kämpfen. Auch hierzulande und in unseren angrenzenden Nachbarländern finden Populisten einen Nährboden für ihre Thesen und eine immer breiter werdende Anhängerschaft – sei es in Frankreich, den Niederlanden, Ungarn oder Polen. Sie stellen keine Randgruppe mehr da, nein, sie finden auch Zugang zu unseren Parlamenten. Gleichzeitig stehen wir vor der Herausforderung, uns mit dem aufkeimenden gewaltbereiten Salafismus zu beschäftigen und Anschläge wie in Frankreich, Belgien oder zuletzt auch in Deutschland zu verhindern. Damit die verschieden verantwortlichen Politikbereiche zusammen spielen können – seien es Innen- und Verteidigungspolitik aber auch bildungspolitische Aspekte – benötigen wir eine Friedens- und Konfliktforschung, die geistes- und sozialwissenschaftliche, juristische, aber auch naturwissenschaftliche und technische Fragen und Lösungsansätze interdisziplinär bearbeitet. Ich möchte noch einmal die Forderung unseres Antrags hervorheben, dass es einen Ausbau der wissenschaftlichen Politikberatung geben sollte sowie gezielte Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Insbesondere in der naturwissenschaftlichen Friedensforschung besteht aktuell aufgrund eines Generationswechsels sowie des Fehlens einer kontinuierlichen finanziellen Förderung die Gefahr eines Verlustes von wissenschaftlichen Kompetenzen. Dafür steht im Übrigen auch die Deutsche Stiftung Friedensforschung mit Sitz in Osnabrück. Wir sind – wie es im Titel des Antrags zu Recht heißt – dem Frieden verpflichtet. Und die wissenschaftliche Expertise, die in der Friedens- und Konfliktforschung generiert wird, ist für Regierungen, Parlamente und Gesellschaft unverzichtbar. Wir sind darauf angewiesen, dass im Rahmen der Forschung daran gearbeitet wird, Konfliktursachen und Gewaltdynamiken zu analysieren, Grundvoraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit zu definieren oder friedliche Lösungsansätze für Konflikte herauszuarbeiten. Ich denke, das ist etwas, das unsere vollste Unterstützung verdient und dem wir mit unserer Initiative Ausdruck verleihen. René Röspel (SPD): Leider zu einem sehr späten Zeitpunkt in der Nacht von Donnerstag auf Freitag geben wir ein Thema zu Protokoll, das wahrscheinlich nie so wichtig war wie dieser Tage. Wir sehen uns aktuell mit einer schier unüberschaubaren Zahl inner- und zwischenstaatlicher kriegerischer Konflikte konfrontiert. Ob Syrien oder die Ukraine, Irak oder Südsudan – wir haben es mehr und mehr mit ganz neuartigen und nicht nur wegen der vielen beteiligten Akteure oftmals undurchsichtigen Konfliktsituationen zu tun. Aber auch die globalen Verteilungsprobleme bei Wasser und Ernährung, die drohende Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die Krisen, die in Folge von (klimawandelbedingten) Umweltkatastrophen auftreten, und nicht zuletzt die Gefahren des internationalen Terrorismus stellen neue Bedrohungsdimensionen dar. Die klassischen Methoden sowie Narrative der Außenpolitik und Diplomatie geraten hier regelmäßig an ihre Grenzen. Nun ist es unsere moralische Verpflichtung, auf Krisen und Kriege nicht nur zu reagieren, sondern auch vorausschauend zu agieren. Dazu verpflichtet uns bereits die Präambel unseres Grundgesetzes, in der es heißt, dass die Bundesrepublik „dem Frieden der Welt dienen“ möge. Einen überragend wichtigen Beitrag zum Verständnis moderner Kriegs- wie auch Friedensprozesse trägt das Feld der Friedens- und Konfliktforschung bei, um welches es im vorliegenden Antrag geht. Deswegen sind nicht nur wir Forschungspolitiker in der Pflicht: Es ist unumgänglich, dass wir dieses Feld entschieden stärken. Eine erfolgreiche Friedenspolitik braucht Erfahrung, Verantwortung und Wissen. Denn letztlich hängen Menschenleben davon ab, ob und wie man alle relevanten Akteure einer kriegerischen Auseinandersetzung an einen Tisch bekommt, ob man die Konfliktursachen korrekt herausarbeitet und entsprechend bekämpft und ob man Wege für eine nachhaltigen Friedensprozess findet. Wir benötigen kontinuierlich neue bzw. fallspezifische wissenschaftliche Erkenntnisse zur friedlichen Krisen- und Gewaltprävention, Konfliktbearbeitung und Konfliktnachsorge. Da das nun alles ein wenig abstrakt klingen mag, möchte ich anhand einiger ganz konkreter Beispielprojekte verdeutlichen, wie hochaktuell und wichtig das Betreiben der Friedens- und Konfliktforschung ist und warum wir uns mit dem vorliegenden Antrag für eine Stärkung des interdisziplinären Forschungsfaches sowohl in Deutschland, als auch in Europa einsetzen: Ein wichtiger Teil der deutschen Forschungslandschaft ist zum Beispiel die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, die vom BMBF institutionell über die Leibniz-Gemeinschaft mitfinanziert wird. Sie koordiniert unter anderem das Projekt „Salafismus in Deutschland“, mit dem vor allem zwei Ziele verfolgt werden: Das Projekt erhebt einerseits den wissenschaftlichen Forschungsstand in den Themenfeldern Datenlage, Organisations- und Rekrutierungsformen, Motivationen der Hinwendung zum Salafismus, Rechtfertigungsnarrative der Bewegung und ihres dschihadistischen Zweiges, transnationale Dimensionen salafistischer Netzwerke sowie Erkenntnisse der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit. Andererseits ermittelt das Projektteam parallel dazu den Beratungsbedarf in Politik, Verwaltung und Gesellschaft und entwickelt diesen Bedarfen entsprechend Instrumente des Wissenstransfers. Das Forschungsprojekt trägt damit zur Aufklärung der Phänomene Salafismus und Dschihadismus in Deutschland sowie vor allem auch zur wissenschaftlichen Politikberatung in diesem Themenfeld bei. Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass es sich dabei um dringliche und besonders politikrelevante Probleme unserer Zeit handelt. Darum fordern wir im vorliegenden Antrag nicht nur, dass die Friedens- und Konfliktforschung weiterhin gezielt gefördert wird, sondern auch, dass ihre Ergebnisse noch stärker als bisher in die Arbeit der Bundesregierung auf allen Ebenen einfließen. Das Projekt „Humanitär-völkerrechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz luftgestützter unbemannter militärischer Kampfsysteme im bewaffneten Konflikt“ der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) widmet sich der juristischen Dimension eines drängenden sicherheitspolitischen Themas. Kampfdrohnen sind seit geraumer Zeit in aller Munde, wenn es um moderne Kriegsführung geht. Es ist unerlässlich, die besorgniserregende Automatisierungstendenz bei der Entwicklung neuer Militärtechnik auch (völker-)rechtlich zu beleuchten. Dass sich die DSF – eine weitere feste Größe in der deutschen Friedens- und Konfliktforschungslandschaft – diesem Thema angenommen hat und uns damit die notwendige Expertise an die Hand gibt, ist vor diesem Hintergrund sehr zu begrüßen. Als weiteres Beispiel sind die Arbeiten des Imre Kertész Kolleg an der Universität Jena anzuführen. Hier forscht man zur Geschichte des östlichen Europas im 20. Jahrhundert mit fünf Schwerpunktbereichen: Krieg, Gewalt, Unterdrückung; Staatlichkeit; Umbrüche zur Moderne; Intellektuelle Horizonte; Selbst- und Fremdwahrnehmungen in Europa sowie Geschichte und Öffentlichkeit. Durch eine transnationale Perspektive auf die Gesamtregion Ostmittel- und Südosteuropa lassen sich gemeinsame Entwicklungslinien und spezifischen Unterschiede der Länder herausarbeiten und die geschichtswissenschaftliche Analyse der historischen Ereignisse in dieser Region auf eine neue Grundlage stellen. Wie sich nicht nur an diesem Projekt zeigt, kann die Friedens- und Konfliktforschung in den seltensten Fällen national gedacht werden. Daher fordern wir, dass sich die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass die Disziplin im Zuge der Implementierung des Rahmenprogramms „Horizont 2020“ einen breiteren Raum einnimmt. Das Käte Hamburger Kolleg „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“ des Centre for Global Cooperation Research an der Uni Duisburg-Essen wiederum forscht zu globalen Kooperationen als Schlüssel zur effektiven und legitimen Bearbeitung dringender transnationaler Probleme. Die Analyse und der Umgang mit globalen Kulturkonflikten und transkulturellen Kooperationen bilden hier einen Forschungsschwerpunkt. Neben diesen eher klassisch geisteswissenschaftlich-juristischen Beispielen ist auch die besondere Bedeutung der naturwissenschaftlichen Friedensforschung hervorzuheben. Arbeitsbereiche naturwissenschaftlicher Friedensforschung sind Abrüstung, präventive Rüstungskontrolle, Rüstungstechnikfolgenabschätzung und die technische Verifikation internationaler Verträge, aber auch die Erforschung und Entwicklung von Technologien oder alternativen Technologiepfaden, die konfliktvermeidend oder friedensfördernd sind. Da geht es unter anderem um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, biologische und chemische Waffen, Raketenabwehr und Weltraumrüstung, neuere Entwicklungen in der Robotik, bei unbemannten Waffensystemen, der Cyberkriegführung, in der Nanotechnik, der synthetischen Biologie und bei neuen Materialien. Beispiel von deutschen Vorzeigeinstitutionen in diesem Bereich sind das Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) an der Uni Hamburg, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg (IFSH) sowie die Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung an der TU Dortmund. Der naturwissenschaftlich orientierten Friedensforschung fehlt seit längerem der Nachwuchs, weil zum Beispiel keine nachhaltige Perspektive gegeben werden kann. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass die bestehende Expertise in dem Bereich aufrechterhalten bleibt und die Forschungsbedingungen so verbessert werden, dass auch wieder mehr Nachwuchswissenschaftler angezogen werden. Alle diese Beispiele stellen natürlich nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Spektrums der Friedens- und Konfliktforschung dar. Sie verdeutlichen, warum unser Bekenntnis im Koalitionsvertrag, die Förderung in diesem Forschungsbereich auszuweiten, so wichtig und notwendig war und ist. Wir brauchen friedenswissenschaftliche Expertise heute mehr denn je, und gute Forschung benötigt nun mal eine solide finanzielle Ausstattung. Es ist zu begrüßen, dass das BMBF die Friedens- und Konfliktforschung bereits gezielt fördert. Dennoch müssen wir hier weiter dranbleiben und noch mehr tun. So müssen auch bereits bestehende Forschungsprogramme des BMBF und der anderen Ressorts darauf geprüft werden, inwieweit Fragestellungen und Lösungsansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung noch stärker eingebunden werden können. Ich hoffe, ich konnte verdeutlichen, warum es so essenziell ist, diese Forschungsdisziplin noch mehr in den Fokus zu rücken. Der vorliegende Koalitionsantrag setzt dafür einen wichtigen Impuls, auf dem es weiter aufzubauen gilt. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Wir diskutieren heute über die Rolle und Zukunft der Friedens- und Konfliktforschung für unsere Gesellschaft. Die Friedensforschung steht in der Tradition der Aufklärung, des Humanismus und für die Maxime der Gewaltfreiheit. Sie versteht sich als Teil der Friedensbewegung, sie begleitet und unterstützt friedenspolitisches Engagement, indem sie staatliche Sicherheitspolitik, Militärstrategien und Aufrüstungsmaßnahmen kritisch analysiert und erklärt und Vorschläge für friedliche Konfliktbearbeitung entwickelt. So weit die historisch begründbare und zivilgesellschaftlich wünschenswerte Theorie. In der Praxis hängt die Friedensforschung jedoch am Gängelband regierungspolitischer Interessen. Finanzielle und administrative Abhängigkeiten beeinflussen Forschungsplanung und Forschungsergebnisse. So beliebig und berechenbar sich der Mainstream der Friedenswissenschaften heute präsentiert, so dringend brauchen wir eine kritische, alternative, der zivilen Konfliktbearbeitung und Rüstungskontrolle verpflichtete, interdisziplinäre Friedensforschung. Wer als Friedenswissenschaftler aus der aktuellen Weltlage schlussfolgert, man müsse das „robuste Peacekeeping“ stärken, und damit die Anwendung von militärischer Gewalt rechtfertigt, ist kein Friedensforscher. Er arbeitet einer Regierung zu, die immer wieder Legitimationshilfen für ihre völlig unsinnige Kriegspolitik braucht. Wer als Friedensforscher Begründungsmuster und Argumentationshilfen für eine interventionistische Außenpolitik entwickelt, indem er zum Beispiel die Erzählung von den „schwachen“ oder „gescheiterten“ Staaten zu einem Bedrohungsszenario aufbaut, mit dem Deutschland seine Wirtschaftsinteressen auch noch im hintersten afrikanischen Krisengebiet begründen kann, ist kein Friedensforscher. Er hilft mit, dass dieses Land Kriege führen kann, wo immer es den Interessen der Herrschenden dient. Wissenschaftliche Institutionen dürfen nicht zu Stichwortgebern militärfixierter Strategiekonzepte degradiert werden. Es darf auch nicht sein, dass zivile Universitäten ihre knappen Ressourcen zur Verfügung stellen für Rüstungs- und Militärforschung und zur Ausbildung von Soldaten und Soldatinnen. Die Verstrickung von Wissenschaft und Militär ist fatal. Der Artikel 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes garantiert die Freiheit der Wissenschaft. Freiheit braucht aber wirtschaftliche Unabhängigkeit. Und die fehlt in einem Wissenschaftssystem, in dem alle von Drittmitteln abhängig sind und befristete Verträge eher die Regel als die Ausnahme sind. Anfang 2016 gab es in Deutschland 239 Hochschulen in staatlicher Trägerschaft, nur acht von ihnen boten Masterstudiengänge im Bereich Friedens- und Konfliktforschung an. Aber seit 2014 hat das Verteidigungsministerium schon über 300 Aufträge im Umfang von 125 Millionen Euro an öffentliche Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen erteilt. Während sich die Bundeswehr-Universitäten, die im Antrag der Regierungskoalition frech zu Institutionen der Friedenswissenschaft umdekoriert werden, offen von Rüstungsfirmen sponsern lassen, ganze Forschungsetats in Grauzonen wie der Zivilschutzforschung verschwinden und die Bundeswehr insbesondere in der Informatik die bundesdeutschen Hochschulen mit Kooperationsangeboten überrennt, fristen die tatsächlichen Friedensforscher ein eher prekäres Dasein. Entziehen sich Forscherinnen und Forscher den militärischen Avancen, weil es ihnen ernst ist mit der Entwicklung von echten zivilen Alternativen zu militärischem Interventionismus und weil sie die Entwicklung, Produktion und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindern wollen, sehen sie sich mit schrumpfenden Etats, einer schwindenden Zahl von Lehrstühlen, einem kaum vorhandenen öffentlichen Interesse oder sogar Diffamierungskampagnen konfrontiert. Die Linke will eine freie, gut ausgestattete und kritische Friedens- und Konfliktforschung, die interdisziplinär und international agiert und die Chance bekommt, mit langfristigen und interessanten Projekten wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden. Solange aber die zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und der Wille zum Frieden nicht handlungsleitend sind, bleibt der viel zu regierungsnahen Friedens- und Konfliktforschung nur die Rolle als Stichwortgeberin. Aber dass es möglich ist, sich gegen die militärische Vereinnahmung zu wehren, dokumentiert ganz aktuell das Rechtsgutachten, das der ehrenamtlich arbeitende Verein „NaturwissenschaftlerInnen Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.“ in Auftrag gegeben hat. Dabei geht es um das Recht der Hochschule Bremen, sich auf ihre Zivilklausel zu berufen und die Kooperation mit dem Bundesamt für das Personalwesen der Bundeswehr zu verweigern. Darin heißt es: „Die Wissenschaftsfreiheit ist im Grundgesetz vorbehaltlos gewährleistet. Eine Zivilklausel stellt einen Eingriff in dieses vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht dar. Ein solcher Eingriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn er einem Rechtsgut dient, das seinerseits durch die Verfassung geschützt wird. Dieses Rechtsgut ist das verfassungsrechtliche Leitbild des Friedens.“ Und es heißt weiter: „Die Bundeswehr dient militärischen Zwecken. Eine Kooperation der Hochschule Bremen mit der Bundeswehr ist deshalb durch die bestehende Zivilklausel ausgeschlossen.“ Solche klaren Worte brauchen wir. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerade jetzt, nach der Präsidentschaftswahl in den USA, erleben wir, wie schnell sich geopolitische Lagen ändern und neue Herausforderungen entstehen, die sich auf die Sicherheit in vielen Regionen der Welt auswirken können. Die Leitlinie unserer Politik muss es sein, kriegerische Konflikte so weitgehend wie möglich präventiv im Vorfeld zu verhindern. Wo Kriege trotzdem stattfinden, müssen ihre verheerenden Folgen so gut wie möglich eingedämmt und die Auseinandersetzungen schnellstmöglich beendet werden. Um dafür erfolgversprechende diplomatische und politische Strategien zu entwickeln, sind wir auf wissenschaftlich fundierte Informationen, Einschätzungen und Empfehlungen angewiesen. Deshalb sind der Wert und die Wichtigkeit der Friedens- und Konfliktforschung kaum hoch genug einzuschätzen. Nach dem Ende der Blockkonfrontation haben sich internationale Bedrohungslagen massiv verändert. So sind unsere Gesellschaften mit verstärkten Gefährdungen konfrontiert, sei es durch den internationalen Terrorismus in Verbindung mit asymmetrischer Kriegsführung, sei es durch neue Risiken eines Cyberwars, sei es durch Konflikte, die aus Ressourcenmangel oder Folgen der Klimakatastrophe zu erwachsen drohen. Hierzu braucht es präventive Politikansätze und sicherheitspolitische Antworten, die Bürgerrechte nicht schleifen, sondern stärken. Als grüne Fraktion haben wir auch deshalb einen Antrag zum Thema Biosicherheit eingebracht, der sich mit dem Missbrauchspotenzial moderner Techniken und der Dual-Use-Problematik auseinandersetzt. Beispielhaft geht es hier darum, Vorsorgemechanismen zu etablieren, damit Bedrohungen für die Sicherheit der Bevölkerung, für Gesundheit und Umwelt nicht zur Realität werden. Einen solchen Konkretisierungsgrad vermissen wir bei den Forderungen an die Bundesregierung im vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen. Der Feststellungsteil Ihres Antrags führt zwar wichtige Akteure der Forschungslandschaft mit deren Schwerpunkten auf, den ohnehin dünnen Forderungsteil stellen Sie jedoch unter einen generellen Finanzierungsvorbehalt. Diese ungedeckten Forderungen werden den Herausforderungen nicht gerecht. Der Mittelaufwuchs in den vergangenen Jahren reicht nicht aus. Speziell die Einrichtungen, die auf Zinszahlungen aus ihrem relativ geringen Stiftungskapital angewiesen sind, waren und sind in ihren Möglichkeiten massiv eingeschränkt. Deshalb wollen wir die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) finanziell stärken. Diesen Bedarf sieht auch der Bundesrechnungshof, der der DSF attestiert, ihre Finanzierung befinde sich am unteren Limit des institutionellen Mindestaufwands zur Aufrechterhaltung ihrer Aktivitäten. Ein wesentliches Problem der Friedens- und Konfliktforschung wird in den nächsten Jahren der fehlende wissenschaftliche Nachwuchs sein. Die Unsicherheit, ob und wie die jeweilige Institution in den kommenden Jahren gefördert wird, führt zur Abwanderung hochqualifizierter Forschender. Die Einrichtungen selber sprechen von einem schwierigen „Generationenwechsel“. So befürchtet zum Beispiel der Forschungsverbund der naturwissenschaftlichen Friedensforschung, dass dessen „Kompetenz in der Rüstungstechnik-Folgeabschätzung in den nächsten fünf Jahren in Deutschland verloren geht.“ Es gilt, eine bessere Kooperation leistungsfähiger Strukturen dauerhaft zu ermöglichen. Dazu gehört selbstverständlich eine regelmäßige Evaluation, die beim Wissenschaftsrat sicherlich in guten Händen liegen würde. Friedens- und Konfliktforschung erfordert interdisziplinäre Expertise, die einzelne Hochschulen kaum vorhalten können. Deshalb ist es richtig, die nationale und europäische Vernetzung und Zusammenarbeit auszubauen. Eine grundlegende Stärkung muss jedoch schon früher beginnen, etwa durch den Ausbau der Friedenspädagogik in Schulen und Jugendeinrichtungen, ziviler Krisenprävention und entsprechender Freiwilligendienste für Jugendliche und Erwachsene und den Ausbau interdisziplinärer, international ausgerichteter Studiengänge. Diesen Aufgaben müssen sich Bund und Länder sowie die Forschungsorganisationen gemeinsam stellen. In der Vergangenheit war dies immer wieder an ideologischen Grabenkämpfen gescheitert. Frau Ministerin Wanka erklärte noch im letzten Jahr im Forschungsausschuss auf meine Frage zu den Perspektiven der Friedensforschung sinngemäß, diese hätte ja nicht einmal den arabischen Frühling vorhergesehen. Das war in dieser Pauschalität nicht nur falsch, solche Plattitüden bringen uns auch nicht weiter. Friedensforschung bearbeitet aktuell Themen, an die sich die Bundesregierung nicht herantraut. Wo bleibt zum Beispiel die im Koalitionsvertrag angekündigte grundlegende Diskussion über den Umgang mit unbemannten Waffensystemen? In der deutschen Friedensforschung wird dies verantwortungsvoll diskutiert. Diese Ressourcen zur Reflexion und Entscheidungsfindung müssen wir stärken als bisher nutzen! In der weiteren parlamentarischen Beratung wünsche ich mir eine unvoreingenommene gemeinsame Suche nach dauerhaft tragfähigen Strukturen. Darauf freue ich mich! Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Tagesordnungspunkt 35) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Planungs- und Rechtssicherheit sind wesentliche Eckpfeiler einer verlässlichen Energiepolitik und unseres Erfolgs als Industrienation. Auch wenn die Energiewende ein umfassender energiewirtschaftlicher Veränderungsprozess ist, kann sie nur dann zum Erfolg geführt werden, wenn die Politik ausreichend Planungssicherheit für alle Beteiligten schafft. Das ist unser Anspruch. Die nun vorliegenden gesetzlichen Änderungen zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) und Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Nach monatelanger Unsicherheit aufgrund von intensiven beihilferechtlichen Verhandlungen mit der EU-Kommission wird jetzt für die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) sowie für die Eigenstromerzeugung Planungssicherheit geschaffen. Damit werden Investitionen ermöglicht und der Energiewende neuer Schwung gegeben. Der erste Teil des Gesetzes passt den Förderrahmen für die KWK an das europäische Beihilferecht an. Der Ausbau dieser emissionsarmen Erzeugungstechnologie kann damit nach fast einem Jahr Unterbrechung endlich weiter vorangehen. Für uns ist KWK ein intelligenter Weg, effizient mit Energiequellen umzugehen. KWK hat einen hohen Wirkungsgrad. Während in konventionellen Kraftwerken zwischen 45 und 70 Prozent der Energie, die für die Stromerzeugung eingesetzt wird, als Abwärme verloren gehen, haben moderne KWK-Technologien Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent. KWK trägt damit auch entscheidend zur Einsparung von CO2 und zur Erreichung unserer ehrgeizigen Klimaziele auf nationaler und europäischer Ebene bei. Gegenüber der ungekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung werden rund 56 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Wenn man mehr Klimaschutz in der Energiewirtschaft möchte, kommt man nicht an der KWK vorbei. Gerade in der Debatte um den Klimaschutzplan ist dieser Beitrag nicht zu unterschätzen. Auch können KWK-Anlagen in verschiedenen Größen einen Beitrag zur Netz- und Systemstabilität leisten. So kann durch dezentrale KWK dort Energie bereitgestellt werden, wo sie benötigt wird. Durch den Eigenverbrauch des KWK-Stroms wird das bestehende Stromversorgungssystem entlastet. Ausbaubedarf und Leitungsverluste können so verringert werden. Um die KWK im Einklang mit der Energiewende weiter auszubauen, haben wir im vergangenen Jahr ein KWK-Gesetz auf den Weg gebracht. Gerade die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich damals massiv für die KWK eingesetzt und erreicht, dass KWK auch künftig ein Bestandteil der Energiewende bleibt. So wurden die Förderung neuer KWK-Gasanlagen erhöht, die Förderung von Fernwärmenetzen und Speichern verstärkt und bestehende KWK-Anlagen gesichert. Nach der beihilferechtlichen Überprüfung der EU-Kommission und den langen, intensiven Verhandlungen konnte dann endlich eine Einigung im Sommer erzielt werden. Das KWK-Gesetz, das im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht wurde, kann nun endlich auch rückwirkend seine Wirkung entfalten. Der Investitionsstau bei der KWK ist damit seit dem 24. Oktober 2016 aufgelöst. Die Regelungen, bei denen die EU-Kommission Änderungen festgeschrieben hat, werden wir mit dem vorliegenden Gesetz bereinigen. So können auch in diesen Bereichen zeitnah Investitionen getätigt werden. Kern der Einigung ist, dass auch künftig, wie schon bei den erneuerbaren Energien, KWK-Anlagen nur noch gefördert werden, wenn sie sich erfolgreich an einer Ausschreibung beteiligen. Die Ausschreibung gilt jedoch nur für KWK-Anlagen mit einer Größe von 1 bis 50 Megawatt. Alle anderen Anlagen bleiben im bestehenden System. Ausschreibungen sind grundsätzlich richtig und wurden von uns schon in der vergangenen KWK-Novelle gefordert. Wir haben jedoch kein Verständnis dafür, dass Eigenversorgung und damit der Großteil der industriellen KWK von den Ausschreibungen ausgeschlossen ist. Das ist der falsche Weg. Hier werden wir auf Änderungen drängen. Denn wer mehr Klimaschutz im Industriesektor will, braucht auch zukünftig den Ausbau der KWK. Es ist uns auch gelungen, Planungssicherheit und Vertrauensschutz für bereits getätigte Investitionen zu schaffen. Die Ausschreibung gilt nicht für KWK-Anlagen, die noch 2016 eine immissionschutzrechtliche Genehmigung erhalten haben oder verbindlich bestellt sind. Diese Anlagen müssen nicht in die Ausschreibung, sondern können noch unter dem bisherigen System des KWKG 2016 gefördert werden. Auch die Einführung einer Ausschreibung für innovative KWK-Anlagen und Systeme, wie zum Beispiel die Kombination KWK-Anlagen und Wärmepumpe, begrüßen wir. Denn damit bringen wir Innovationen und neue Technologien voran, die für die Energiewende von großer Bedeutung sein können. Der im Gesetz festgelegte Systemwechsel bei der Finanzierung der KWK-Förderung muss aus unserer Sicht ebenfalls im Rahmen der parlamentarischen Beratungen näher beleuchtet werden. Künftig soll nämlich nur noch derjenige von der KWK-Umlage entlastet werden, der auch einen Begrenzungsbescheid auf der Grundlage der Besonderen Ausgleichsregelung im EEG hat. Der Mechanismus der Besonderen Ausgleichsregelung wird somit, mit angepassten Mindestsätzen, analog auf das KWKG übertragen. Diese Anpassung bedeutet für die deutsche Industrie zusätzliche Kostenbelastungen. Gerade für viele kleinere und mittelständische Unternehmen, die nicht von der Besonderen Ausgleichsregelung profitieren, entsteht ein deutliches Kostenplus. Einen mittelständischen Automobilzulieferer (mit 10 Millionen Kilowattstunden Verbrauch) kostet die Neuregelung bis zu 70 000 Euro. Geld, welches für Investitionen fehlt. Deshalb brauchen wir, wie schon im EEG veranlagt, eine Härtefallregelung. Unternehmen, die bisher von einer reduzierten KWK-Umlage profitieren, müssen auch zukünftig dauerhaft teilweise entlastet werden. Dafür werden wir uns mit aller Kraft einsetzen. Eng mit dem Thema KWK ist auch das Thema Eigenstromerzeugung verbunden. Nach langen und intensiven Verhandlungen haben wir bei der Novelle des EEG im Jahr 2014 eine Beteiligung der Erzeuger von Eigenstrom an der EEG-Umlage eingeführt. Auf Eigenstrom muss 40 Prozent der EEG-Umlage gezahlt werden. Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Sie war jedoch im Interesse einer bezahlbaren Energiewende richtig. Denn die steigende EEG-Umlage hat es immer attraktiver gemacht, sich durch Erzeugung von Eigenstrom von der Pflicht zur Zahlung der EEG-Umlage zu befreien. Diese Entsolidarisierung geht jedoch zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung, die ihren Strom selber nicht erzeugen kann, wie zum Beispiel Wohnungsmieter. Es ging also nicht darum, Eigenstrom zu verteufeln, sondern um eine faire Aufteilung der Energiewende-Kosten. Eigenverbrauch ist nach wie vor möglich, das zeigt auch der Boom bei den Hausspeichern. Bei der nun folgenden beihilferechtlichen Prüfung durch die EU-Kommission wurden mögliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen Neu- und Altanlagen bemängelt. Nach langen, intensiven Verhandlungen ist nun klar: Der Vertrauensschutz für Altanlagen bleibt bestehen. Die Eigenversorgung von Bestandsanlagen wird wie bisher nicht mit der EEG-Umlage belastet. Dies gilt, solange die Bestandsanlage nicht wesentlich modernisiert wird. Ab einer solchen wesentlichen Modernisierung, also dem Ersatz des Generators, fällt eine EEG-Umlage in Höhe von 20 Prozent an. Das ist ein großer Verhandlungserfolg für Deutschland und ein wichtiges Signal für den Industriestandort Deutschland. Denn hätten die Eigenerzeugungs-Bestandsanlagen zukünftig auch 40 Prozent der EEG-Umlage zahlen müssen, wären rund 4 Milliarden Euro (56,7 TWh x 6,88 Cent) Zusatzbelastung auf Industriebetriebe, Erneuerbaren- oder KWK-Anlagenbetreiber zugekommen. Manch traditioneller Industriebetrieb, der schon seit Jahrzehnten Eigenerzeugung betreibt – also noch lange vor dem EEG –, wäre in große finanzielle Bedrängnis gekommen. Im Rahmen des nun beginnenden parlamentarischen Verfahrens werden wir die Regelung auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüfen. So dürfen sinnvolle Effizienzmaßnahmen nicht durch eine drohende Umlagepflicht bei Modernisierung bestraft werden. Hier werden wir schauen, was im Rahmen des Beihilferechts an Änderungen möglich ist. Das gilt auch für die Einführung einer Neudefinition von Eigenstrom, die restriktiver ist als die bisherige Praxis. Ausufernde Bürokratie sollte weitest möglich vermieden werden. Die zunehmende Einmischung der Europäischen Kommission in die nationale Energiepolitik hat ihren Preis. Die Verfahren dauern länger und werden leider auch intransparenter. Planungssicherheit herzustellen, liegt nicht mehr alleine in der nationalen Verantwortung. Das ist auch für uns als Parlamentarier nicht leicht. Ich bin daher froh und dankbar, dass es für die KWK und die Eigenstromerzeugung wieder Planungssicherheit gibt. Es gilt nun, die Regelung im Sinne von mehr Praxistauglichkeit weiterzuentwickeln und mögliche Schwachstellen in Detailfragen auszubessern. Denn unsere Energiewende braucht mehr KWK und weniger Bürokratie. Für uns ist klar: KWK und Eigenstromerzeugung sind und bleiben ein elementarer Bestandteil der Energiewende. Florian Post (SPD): Die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme ist hocheffizient, ressourcen- und klimaschonend. Sie schlägt eine Brücke zwischen den Sektoren Strom und Wärme und ist, gerade in Verbindung mit Speichern, durch ihre Flexibilität und den komplementären Bedarf von Wärme und der Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern die Nahtstelle zwischen Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Es dürfte kein Geheimnis sein, dass ich ein großer Freund der KWK bin, und ich denke, dass diese Technologie eine wichtige Aufgabe in unserem sich wandelnden Energiemarkt hat. Wir haben letztes Jahr mit der Novellierung des KWKG dafür gesorgt, dass die KWK nicht nur kurzfristig gerettet wird, sondern diese Technologie eine echte Perspektive hat. Nach zähem Ringen mit der EU-Kommission werden wir nun endlich die lang ersehnte Planungssicherheit schaffen, die es braucht, um den KWK-Ausbau auf den Weg zu bringen; denn die Branche braucht dringend verlässliche Rahmenbedingungen, um ihrer Rolle bei der Energiewende gerecht zu werden. Die andauernde Ungewissheit hinsichtlich der Finanzierungsbedingungen bedeutet faktisch den Stopp für neue, bereits in Planung befindliche KWK-Projekte ebenso wie einen Stopp für die Modernisierung bestehender Anlagen. Darum werbe ich dafür, dass wir dieses Gesetz zügig und zugleich sorgfältig angehen. Es sind uns durch die Einigung mit der EU-Kommission gewisse Grenzen gesetzt, und ich finde, der Entwurf, den uns das Ministerium vorgelegt hat, ist in seiner grundsätzlichen Aussage zu begrüßen. Gerade die Einführung der Förderkategorie der innovativen KWK ist ein zukunftsweisender Ansatz, um die Entwicklung der KWK in den kommenden Jahren voranzutreiben. Aber es gibt auch noch Diskussionsbedarf hinsichtlich des Gesetzentwurfs, für dessen Prüfung ich mich im laufenden parlamentarischen Verfahren einsetzen werde. Besonders beim Ausschreibungsvolumen sollten wir das Ziel des Ausbaus im Blick behalten. Um unser Ziel von 110 Terawattstunden im Jahr 2020 zu erreichen, kann das Ausschreibungsvolumen von 200 Megawatt pro Jahr möglicherweise nicht genügen – gerade wenn man im Blick behält, dass zwischen 2009 und 2015 der Ausbau im Schnitt bei 350 Megawatt elektrisch lag. Auch sollten wir gründlich prüfen, ob es eine zielführende Forderung ist, wenn ein Zuschlag nur gewährt wird, wenn kein vermiedenes Netznutzungsentgelt oder Steuerbegünstigungen nach Stromsteuergesetz in Anspruch genommen wurden. Hier wurde davon ausgegangen, dass es sich bei den vermiedenen Netznutzungsentgelten um eine Förderung handelt (in Anlehnung an das Doppelförderungsverbot). Dem stehe ich vorsichtig gegenüber; denn bei den vermiedenen Netznutzungsentgelten handelt es sich ja eher um eine Weitergabe von tatsächlich erzielten Kosteneinsparungen der Netzbetreiber. Die dezentralen KWK-Anlagen speisen ja direkt in deren Netze ein und senken den Strombezug aus vorgelagerten Netzen. Werden diese Kosteneinsparungen nicht an die KWK-Anlagenbetreiber (als Einspeiser) ausgegeben, so verbleiben sie als Windfall Profits bei den Einspeisenetzbetreibern. Hier müssen wir genau schauen, ob in diesem Punkt Anreize für dezentrale Erzeugungslösungen nicht durch den vorgeschlagenen Ansatz untergraben werden. Insgesamt haben wir mit dem Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen, um der Technologie KWK die lang ersehnte Investitionssicherheit zu verschaffen. Johann Saathoff (SPD): „Mennigmaal mutten Saken langer düüren, um gaud tau worden“, würde man in meiner Heimat Ostfriesland sagen. Also: Oft will gut Ding Weile haben. Lange, eigentlich viel zu lange, mussten wir und vor allem die davon betroffenen Unternehmen auf die Genehmigung des KWKG durch die Kommission warten. Die Verhandlungen des Bundeswirtschaftsministeriums mit der Kommission waren sehr umfangreich. Aber nun gibt es endlich ein Ergebnis und damit die notwendige Sicherheit, wie die KWK-Förderung auch in den nächsten Jahren europarechtskonform bleibt. Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, die schon in den Startlöchern standen und nur auf die Genehmigung durch die Kommission gewartet haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die Einigung mit der Kommission nun umsetzen und damit die monatelange Unsicherheit für Investoren beenden. Die Einigung mit der Kommission sieht unter anderem vor, dass KWK-Anlagen zwischen 1 und 50 Megawatt künftig nur noch einen per Ausschreibung ermittelten Zuschlag erhalten sollen. Grundsätzlich erachte ich Ausschreibungen bei der KWK für genauso schwierig wie bei EEG-Anlagen, allerdings aus anderen Gründen. Da ja nun aber anscheinend kein Weg daran vorbeizugehen scheint, werden wir uns das genau anschauen. Ein Blick in die Zukunft ist die Ausschreibung für innovative Systeme, die wir auch im EEG machen wollen. Hier wollen wir Flexibilitätspotenzial heben und auf eine stärkere Verknüpfung mit den erneuerbaren Energien hinwirken. Dadurch können und sollen Zukunftspotenziale erschlossen werden, und die KWK kann uns in einem zukünftigen Energiemarkt viele Optionen bieten. Wir werden die KWK also noch lange brauchen, wenn wir sie fit für die Zukunft machen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält aber weit mehr Regelungen, als es zur Umsetzung der Einigung mit der Kommission bedarf. Es sind zahlreiche Klarstellungen enthalten, aber eben auch weitergehende Regelungen. In diesem Zusammenhang möchte ich feststellen, dass die Kommission die Förderung mittels Zuschläge außerhalb des Ausschreibungssegments für europarechtskonform befunden hat. Auch im Hinblick darauf werden wir den Gesetzentwurf noch mal detailliert prüfen. Der Bundesrat hat uns in seiner Stellungnahme eine ganze Reihe wertvoller Hinweise gegeben, und wir werden uns auch diese genau anschauen. Er fordert ja beispielsweise eine Untergrenze für die Ausschreibungen bei Anlagen von 2 Megawatt oder zur Förderung bei Teilmodernisierung. Interessant finde ich auch den Versuch, die technische Mindesterzeugung – die einen großen Teil des Must-Run darstellt – zu begrenzen. Schon beim EEG habe ich dieses Jahr deutlich gemacht, dass wir den Must-Run begrenzen müssen; denn wir sollten unsere Netze möglichst für erneuerbaren Strom freihalten. Der größte Teil der Maßnahmen zur Begrenzung des Must-Run findet sich weit untergesetzlich, aber wir sollten als Gesetzgeber hier ein deutliches Signal senden. Und natürlich enthält der Gesetzentwurf auch eine Regelung, um die Privilegierung der stromkostenintensiven Unternehmen bei den Förderkosten des KWKG an die europäischen Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitlinien anzupassen. Zu diesem Zweck wird die besondere Ausgleichsregelung des EEG 2017 auf das KWKG übertragen. Das ist ein komplexes Vorhaben, und wir werden uns mögliche Folgen genau anschauen. Sehr wichtig ist auch die Einigung bei der Zukunft der Eigenversorgung. Die zeitliche Begrenzung dieser Genehmigung hing wie ein Damoklesschwert über uns, und ich bin froh und dankbar, dass das Bundeswirtschaftsministerium hier ein Ergebnis erzielt hat. Wir werden zu dem Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung im Ausschuss durchführen, und ich freue mich schon auf die Beratungen, sodass wir das Gesetz zu einem guten Abschluss bringen können. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Als Sigmar Gabriel Ende August aus Brüssel zurückkehrte und der Öffentlichkeit von seinen Verhandlungen mit der EU-Kommission berichtete, war er stolz, die hohen Industrieprivilegien in Brüssel durchgeboxt zu haben. Sowohl die stromintensive Industrie als auch der Eigenverbrauch im großen Stil bleiben also befreit von der EEG-Umlage, was bedeutet, dass grünes Licht gegeben wird für insgesamt 5,4 Milliarden Euro Flucht aus der EEG-Umlage. Davon kommen 3,4 Milliarden über die Besondere Ausgleichsregelung und gut 2 Milliarden aus dem Eigenverbrauch. Dieses Geld müssen die übrigen Stromverbraucher und -verbraucherinnen bezahlen. Als Linke halten wir diese Subventionierung der Industrie quasi mit der Gießkanne für völlig überzogen. Man sollte hier streng überprüfen, welche Betriebe eine solche Befreiung wirklich brauchen, denn die Kosten der Energiewende sollten von allen getragen werden, nicht nur von Privathaushalten und Mittelständlern. Hier wird Strukturpolitik mit Energiewende-Mitteln gemacht, das halte ich für den falschen Weg, weil auf der anderen Seite dann wieder aufgrund angeblich hoher Kosten der Energiewende der Ausbau gedrosselt wird. Eine faire Energiewende sieht anders aus. Dass der Deal aus Brüssel endlich das bereits ein Dreivierteljahr zuvor in Kraft getretene Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz abgesegnet hat, war das glückliche Ende einer Hängepartie. KWK-Förderbescheide, die seit Januar auf Eis liegen, können endlich erteilt werden, viele Stadtwerke können aufatmen, weil sie für hocheffiziente Gas-KWK der öffentlichen Versorgung einen Ausgleich für den Strompreisverfall erhalten. So viel Freude wird natürlich wie gewohnt sofort mit dem nächsten Dämpfer getrübt: Auch die Förderung für Kraft-Wärme-Kopplung soll nun ausgeschrieben werden. Leider gibt es dafür kein Konzept, keine Erfahrungen, keine ausgereifte Idee. Wir Linken haben bei der Bundesregierung nachgefragt: welche Studien das Ministerium zu diesem Thema kennt, welche es in Auftrag geben will und welche Erfahrungen aus anderen Ländern man kennt. Antwort: keine, keine, keine. Das ist wenig, muss ich sagen! Und das ist fahrlässig hinsichtlich der Zukunft dieser hocheffizienten Technologie, die die Energiewende sinnvoll ergänzen kann. De facto wird der Kraft-Wärme-Kopplung damit auch ein rigider Deckel verpasst, weil natürlich nur die ausgeschriebene und mit 200 Megawatt jährlich zu gering angesetzte Menge zugebaut werden kann. Kraft-Wärme-Kopplung wird im Blindflug in die Ausschreibungen geschickt, und zwar bereits in einem Jahr. Die KWK wird als Versuchskaninchen dem Experimentierfeld Ausschreibungen geopfert, obwohl klar ist, dass Kraft-Wärme-Kopplung ganz andere Anforderungen hat als Photovoltaik und Windenergie. Es ist daher höchst fraglich, ob hier wettbewerbliche Ausschreibungen überhaupt Sinn machen. Ich möchte die Stadtwerke von Neuburg an der Donau, aus meinem Wahlkreis in Oberbayern, als hervorragendes Beispiel für Energiewende und Klimaschutz anführen. Der Stadtwerke-Chef aus Neuburg ist ein Mann vom Fach und will bei den Stadtwerken bis 2020 den CO2-Ausstoß um 30 Prozent senken. Er setzt dabei auf ein Nahwärmenetz, das die Abwärme eines Glasherstellers nutzt, erzeugt aber auch selbst Strom und Wärme mithilfe von hocheffizienter Gas-KWK mit einem Wirkungsgrad von 91 Prozent. Wir brauchen solche Menschen wie in Neuburg, die überzeugt sind von der hocheffizienten Technologie für die dezentrale Erzeugung, wir brauchen aber auch die Rahmenbedingungen, damit die Engagierten ambitionierte Ziele überall in Deutschland verfolgen können. Mit Ausschreibungen bei der KWK legt die Bundesregierung diesen Leuten Steine in den Weg. Ausschreibungen bedeuten Risiken und Bürokratie ohne Preissicherheit. Ich bin nicht sicher, ob der Neuburger Stadtwerke-Chef unter den neuen Bedingungen investiert hätte. Wer so mit der sowieso schon dahindümpelnden KWK-Branche umgeht, der will sie nicht voranbringen und gefährdet nachhaltige Arbeitsplätze im Maschinenbau. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist unfassbar, wie diese Bundesregierung mit der KWK-Branche umgeht, einer Branche, die wir für die Energiewende und die Energieversorgung der Zukunft brauchen, und einer Branche, die die Bundesregierung in ihren eigenen Klimaschutzzusagen fest eingeplant hatte. Nun ja, was die Zusagen zum Klimaschutz unter dieser schwarz-roten Koalition wert sind, erleben wir gerade hautnah bei dem unwürdigen Geschacher um den Klimaschutzplan. Es ist ein einziges Trauerspiel, was diese Bundesregierung in der zentralen Frage über die Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen aufführt. Die Bundesregierung hat in ihrem Klimaaktionsprogramm beschlossen, dass durch den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung zusätzlich 4 Millionen Tonnen CO2 bis 2020 eingespart werden sollen. Doch statt den Unternehmen Planungssicherheit und klare Förderzusagen für den Ausbau der KWK zu geben, lässt die Bundesregierung eine ganze Effizienzbranche am ausgestreckten Arm verhungern. Erst hat das Wirtschaftsministerium die Novelle des KWK-Gesetzes über ein Jahr verzögert, ein Jahr, in dem Investoren und Planer für energieeffiziente Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in die Glaskugel schauen mussten, statt seriös planen zu können. Als das Gesetz dann Anfang 2016 endlich in Kraft trat, konnte es nicht angewendet werden; denn das Wirtschaftsministerium hatte einen Vorbehalt für die beihilferechtliche Genehmigung aus Brüssel eingefügt. So verging ein weiteres Dreivierteljahr, in dem kein einziger Zuschlag für ein KWK-Projekt bewilligt wurde. Unternehmen mussten ihre geplanten Projekte einstampfen und im Zweifel Leute entlassen. Wenn Sie jetzt sagen: „Die Verlinden soll doch aufhören, zu jammern, wir regeln mit dem neuen Gesetz ja die offenen Fragen“, antworte ich Ihnen: Mitnichten! Für einen großen Teil der KWK-Betreiber bleibt die Unsicherheit weiter bestehen; denn Sie wollen nun für KWK-Kraftwerke mit einer Leistung von 1 bis 50 Megawatt Ausschreibungen einführen. Die Details für diese Ausschreibungen lassen Sie im vorliegenden Gesetzentwurf aber weitgehend im Dunkeln. Licht in die Sache soll erst eine Verordnung bringen. Die kommt aber erst irgendwann im nächsten Jahr. Die Hängepartie für KWK-Betreiber, für Stadtwerke und für dezentrale Versorger geht also weiter. Das ist das Gegenteil von KWK-Ausbau und auch das Gegenteil von verlässlicher Energiewende! Was brauchen wir, um die KWK zum Teil der Energiewende und zu einem wirksamen Beitrag für den Klimaschutz zu machen? Ich nenne Ihnen exemplarisch drei Punkte: Erstens. Wir brauchen mehr dezentrale Lösungen mit KWK. Das können Bürgerprojekte, Mieterstrommodelle oder Contracting-Lösungen sein, bei der hocheffiziente KWK-Anlagen vor Ort Strom und Wärme für Gebäude liefern. Doch in der Vorstellung der Regierung kommt KWK bei Mieterstrom bisher gar nicht vor. Eine entsprechende Verordnung wollen Sie ausschließlich für Photovoltaik aufsetzen. Außerdem stellt der vorliegende Gesetzentwurf die direkte Versorgung über Kundenanlagen schlechter als die Versorgung über öffentliche Netze. Das ist ein weiterer Hemmschuh. Zweitens. Wir brauchen stärkere Anreize für den Umstieg auf klimaschonende Brennstoffe und erneuerbare Energien. Statt in diesem Bereich nachzulegen, tun Sie mit dem vorliegenden Gesetz das Gegenteil. Zusätzliche Hürden für die Modernisierung bestehender Anlagen oder der Ausschluss von Abwärmenutzung bei der Förderung bremsen den Umstieg und damit auch den Nutzen für das Klima. Drittens. Wir brauchen stärkere Impulse für Nahwärmenetze; denn Wärmenetze machen die Energieversorgung flexibler und erleichtern die Einbindung von erneuerbaren Energien oder industrieller Abwärme. Doch auch für Wärmenetze errichten Sie mit der vorgesehenen Einzelfallbegründung der Förderwürdigkeit neue Hürden. An diesen drei Beispielen sehen Sie, was die KWK für die Energiewende und damit für den Klimaschutz leisten könnte. Doch dafür muss man erstens die KWK auch wollen und zweitens die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Dazu ist diese Bundesregierung ganz offensichtlich nicht in der Lage oder einfach nicht willens, wie der heute eingebrachte Gesetzentwurf zeigt. 1)  Anlage 2 2)  Ergebnis Seite 19815 B 3)  Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3 4)  Anlagen 4 bis 6 5)  Ergebnis Seite 19841 C 6)  Anlagen 7 bis 9 7)  Ergebnis Seite 19854 D 8)  Anlage 10 9)  Anlage 11 10)  Anlage 12 11)  Anlage 13 12)  Anlage 14 13)  Anlage 15 14)  Anlage 16 15)  Anlage 17 16)  Anlage 18 17)  Anlage 19 18)  Anlage 20 19)  Anlage 21 20)  Anlage 22 21)  Anlage 23 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 199. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 10. November 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 199. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 10. November 2016 III Plenarprotokoll 18/199