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Parlament

Brasilien: Delegation besucht Land im Umbruch

Eine Gruppe von 13 Personen posiert vor einer Weltkarte für ein Gruppenfoto

Rita Stockhofe, Benito Gama (brasilianischer Abgeordneter), Manfred Zöllmer, Lothar Binding, Alexander Ulrich, Philipp Murmann, Bärbel Höhn und Dirk Fischer (Manfred Zöllmer)

Gedankenaustausch mit Ministern und Abgeordneten, Treffen mit Kleinbauern, Naturschützern und Vertretern der Indigenen, dazu Besuche in deutsch-brasilianischen Unternehmen, Universitäten, im Amazonas-Regenwald sowie in einem deutschen Einwandererdorf – das Programm der Delegationsreise, welche die Deutsch-Brasilianische Parlamentariergruppe vom 1. bis 10. April 2016 nach Brasilien führte, war voll. Ob Klimaschutz, wirtschaftliche Zusammenarbeit oder die Rechte indigener Völker – Vieles gab es zu besprechen. Insbesondere auch deshalb, weil die letzte Reise deutscher Parlamentarier in das südamerikanische Land fast fünf Jahre zurückliegt.

Partnerschaft zwischen Deutschland und Brasilien

„Eigentlich wollten wir schon im vergangenen Jahr reisen“, erklärt Manfred Zöllmer (SPD), stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Brasilianischen Parlamentariergruppe. Doch dann flog im August 2015 Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) mit zwölf Kabinettsmitgliedern zu Regierungskonsultationen in die brasilianische Hauptstadt Brasília.

Diese ersten Regierungskonsultationen sollten unterstreichen, welche politische und ökonomische Bedeutung Brasilien für Deutschland hat. „Brasilien ist das einzige Land in Lateinamerika, mit dem Deutschland durch eine strategische Partnerschaft verbunden ist“, erklärt Zöllmer. Dementsprechend eng und vielfältig sei auch die bilaterale Zusammenarbeit. Der stellvertretende finanzpolitische Sprecher der SPD weiß, wovon er spricht: Seit seinem Einzug in den Bundestag 2002 ist er Mitglied der Deutsch-Brasilianischen Parlamentariergruppe, die seit 1981 kontinuierlich die Beziehungen des Bundestages zum brasilianischen Parlament, dem Congresso Nacional, pflegt. 

Seit 2009 fungiert Zöllmer auch als stellvertretender Vorsitzender der Gruppe, ebenso wie Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) und seit 2013 auch Alexander Ulrich (Die Linke). Den Vorsitz in der laufenden Legislaturperiode hat Reinhard Grindel (CDU/CSU) inne, der jedoch aufgrund seiner Wahl zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes im April 2016 angekündigt hat, sein Bundestagsmandat zum 3. Juni niederzulegen. Damit verzichtete er auch auf den Brasilienbesuch.

Vom Boom in die Krise

So übernahm mit Manfred Zöllmer ein Politiker die Leitung der Delegationsreise, der seit vielen Jahren die Entwicklung Brasiliens verfolgt. Seit den 1980er-Jahren ist der Abgeordnete aus Wuppertal auch regelmäßig in dem größten und mit über 200 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Land Südamerikas zu Gast. „Ich fand Brasilien immer sehr faszinierend“, bekennt der Sozialdemokrat, der vor seiner Zeit im deutschen Parlament als Lehrer tätig war. Sein Interesse hat auch biografische Gründe: „Meine Cousine arbeitete eine Zeit lang als Entwicklungshelferin in Brasilien. Als ich damals zum ersten Mal dorthin kam, galt es noch als ‚Dritte-Welt-Land‘“, erinnert er sich.

Seitdem hat sich Brasilien enorm verändert: Gerade in den Jahren nach der Jahrtausendwende bis 2011 wuchs die Wirtschaft sprunghaft, auch dank der Einnahmen aus den großen Erdölreserven sowie aus der Landwirtschaft. Inzwischen jedoch steckt das Land politisch wie wirtschaftlich in der Krise: Nach Jahren des Booms fiel die siebtgrößte Volkswirtschaft der Erde unter der Ägide der seit 2005 amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff tief in die Rezession.

Massendemonstrationen gegen Korruption

Zudem erschütterte eine Reihe von Bestechungsskandalen das Land – der wohl größte ist die Schmiergeldaffäre um den halbstaatlichen Ölkonzern Petropras. Für die Regierung, und insbesondere für die Präsidentin, eine ernste Bedrohung: Immer wieder kommt es seit 2015 zu Massendemonstrationen gegen Rousseff. Im Dezember 2015 machte das Abgeordnetenhaus den Weg frei für ein von der Opposition betriebenes Amtsenthebungsverfahren. Der Präsidentin wird vorgeworfen, Haushaltszahlen geschönt zu haben. Am 12. Mai 2016 stimmte dann der Senat für die Einleitung des Verfahrens. Seitdem ist Rousseff für 180 Tage suspendiert. In dieser Zeit sollen die Vorwürfe unter Beteiligung des Obersten Gerichtshofs geprüft werden.

Es war also eine turbulente Zeit, in der die Delegation, der neben den stellvertretenden Vorsitzenden Zöllmer, Ulrich und Höhn auch die Abgeordneten Dirk Fischer, Dr. Philipp Murmann, Rita Stockhofe (alle CDU/CSU) und Lothar Binding (SPD) angehörten, Brasilien besuchte. „Das drohende Impeachment hat natürlich alle Gespräche, die wir mit Abgeordneten, Senatoren und Regierungsmitgliedern in Brasília geführt haben, bestimmt“, sagt Zöllmer.

Gespräche über Reformen

„Die Brasilianer waren deshalb auch sehr daran interessiert, mehr über die Strukturen unseres parlamentarischen Systems in Deutschland zu erfahren.“ In Brasilien werde nämlich schon seit Längerem über Reformen im Wahlrecht diskutiert, berichtet Zöllmer.

Dazu gehöre auch die Einführung von Wahlkreisen und einer Fünf-Prozent-Hürde, ähnlich wie in Deutschland. „Das würde die Strukturen festigen“, ist sich der Abgeordnete sicher. Derzeit sei das Parteiensystem in Brasilien sehr zersplittert, was die Regierungs- und die Parlamentsarbeit erschwere.

Korruptionsbekämpfung angemahnt

Eine der größten Herausforderungen jedoch, betont Zöllmer, sei die Bekämpfung der Korruption. Ein Thema, das sich die Regierung unter Dilma Rousseff eigentlich auf die Fahnen geschrieben habe.

So nutzten die Bundestagsabgeordneten die Delegationsreise bewusst, um auf weitere Anstrengungen zu dringen: „Korruption hat in Brasilien eine lange Tradition. Deshalb muss man immer wieder ganz deutlich machen, wie sie ein Land letztlich zerstören kann – wenn nicht effektiv etwas dagegen getan wird“, sagt der SPD-Politiker. „Es ging uns in unseren Gesprächen darum, darauf hinzuweisen, welche Strukturen Korruption begünstigen.“

Schutz der Rechte indigener Völker

Wie es um den Schutz der Rechte indigener Völker und die Fortschritte bei der Entwaldungsbekämpfung bestellt ist, darüber informierten sich die Bundestagsabgeordneten unter anderem in Gesprächen mit Vertretern der Indigenen, Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen und Kleinbauern in der Nähe von Manaus im Bundesstaat Amazonas. „Hier ist offenbar gelungen, die Vertreibung der Indigenen zu stoppen und ihren Lebensraum zu sichern“, sagt Zöllmer im Rückblick. „Die Ausweisung der Territorien funktioniert in Amazonas gut.“

In anderen Regionen, etwa im Bundesstaat Mato Grosso, jedoch sei die Situation eine andere. Dort komme es gerade bei der Neuausweisung von indigenen Territorien immer wieder zu heftigen Konflikten zwischen Indigenen und Farmern, berichtet Zöllmer: „Und leider werden diese Konflikte nicht nur vor Gericht ausgetragen, sondern oft auch mit der Waffe.“ Ein ernstes Problem, so der Delegationsleiter, über das sich die Delegation auch mit Justizminister Eugenio Jose Guilherme de Aragao ausgetauscht habe. (Mit der Ernennung des Kabinetts durch den Interimspräsidenten Michel Temer am 12. Mai hat inzwischen jedoch Alexandre de Moraes das Amt des Justizministers übernommen.)

„Tacheles reden“

Offen zu sprechen und Kritik zu äußern, sei ein Ausdruck des besonderen Drahts gerade unter Parlamentariern. „Man muss schon Tacheles miteinander reden können“, findet Zöllmer. Schwierigkeiten zu verschweigen nütze schließlich keinem. „Wir haben natürlich in unseren Gesprächen immer auch klar gemacht, dass Brasilien seine Probleme selbst lösen muss – und kann. Diese Zuversicht haben wir.“

Begünstigt werde der vertrauensvolle Austausch auch durch die Tatsache, dass Regierungs- und Parlamentsmitglieder nicht selten Deutsch sprächen, erklärt Zöllmer. „Der nun abgelöste Justizminister zum Beispiel hat in Bochum studiert. Das erleichtert natürlich die Konversation.“ Brasilien sei zudem durch eine lange Tradition deutscher Einwanderung geprägt: „Im Süden des Landes leben rund 300.000 Menschen mit deutschem Migrationshintergrund.“ Deutsche Kultur werde hier noch heute gepflegt. „Allerdings so, wie sie in Deutschland vor ungefähr 150 Jahren war“, erzählt der Delegationsleiter.

Empfang mit Blaskapelle

Wie das etwa im Bundesstaat Rio Grande do Sul aussehen kann, erlebten die Abgeordneten zum Abschluss ihrer Reise in der Gemeinde Nova Petrópolis, etwa 100 Kilometer nördlich von Porto Alegre.

„Da wurden wir doch tatsächlich mit einer Blaskapelle empfangen“, erzählt Zöllmer. „Männer und Frauen trugen Trachten. Das war schon eindrucksvoll, wie uns da mitten in Brasilien alte deutsche Traditionen vorgeführt wurden.“ (sas/24.05.2016)

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