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Parlament

„Portugal ist ein europafreundliches Land“

Christian Lange (SPD), links, im Gespräch Basilio Horta, Bürgermeister von Sintra

Christian Lange, Bürgermeister Basilio Horta in Sintra bei Lissabon (Christian Lange)

Es sei eines der „waghalsigsten politischen Experimente, die die Europäische Union in jüngerer Zeit gesehen hat“, schrieb im Dezember 2015 „Die Zeit“. Gemeint war damit nicht nur die Ankündigung der neuen portugiesischen Regierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten António Costa, die bisherige Sparpolitik zu beenden, welche in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten prompt mit Sorge aufgenommen worden war. Schließlich hatte das südeuropäische Land dank konsequenter Sanierungsanstrengungen gerade 2014 den Euro-Rettungsschirm verlassen können und stand finanziell erstmals seit dem Ausbruch der Euro-Krise wieder auf eigenen Beinen.

Sozialistische Minderheitsregierung

Ein Risiko zudem, so die Wochenzeitung, sei die Entscheidung des Regierungschefs, ein Minderheitskabinett zu bilden, das sich im Parlament auf Kommunisten und marxistischen Linksblock stützen müsse. Beide Parteien hätten zwar ihre radikalsten Forderungen, wie etwa nach einem Austritt Portugals aus der Nato und aus dem Euro, zunächst zurückgestellt. Dennoch sei es fraglich, ob dieses Bündnis Bestand haben werde.

Ein Gedanke, der auch die Mitglieder der Deutsch-Portugiesischen Parlamentariergruppe bewegte. Kein Wunder, schließlich war gerade im November 2015, wenige Tage nach ihrer Vereidigung, eine konservative Minderheitsregierung unter dem früheren Premier Pedro Passos Coelho gescheitert. So reiste eine vierköpfige Delegation – zu der neben dem Vorsitzenden Christian Lange (SPD) die Abgeordneten Richard Pitterle (Die Linke), Beate Müller-Gemmeke und Monika Lazar (beide Bündnis 90/Die Grünen) gehörten – vom 1. bis 6. Mai nach Portugal.

Seltene Regierungskonstellation

„Wir wollten uns ein Bild von der Stabilität dieser Minderheitsregierung machen“, sagt Christian Lange, seit 2009 Vorsitzender der Deutsch-Portugiesischen Parlamentariergruppe. Minderheitskabinette seien in Deutschland sehr ungewohnt.
In Lissabon kamen die Bundestagsabgeordneten zunächst mit dem Präsidenten des portugiesischen Parlaments, Dr. Eduardo Ferro Rodrigues, sowie Mitgliedern der Portugiesisch-Deutschen Parlamentariergruppe zusammen, zu der die Parlamentariergruppe des Bundestages bereits seit ihrer erstmaligen Konstituierung 1987 kontinuierlichen Kontakt pflegt.

In der aktuellen Legislaturperiode gehören ihr 13 Abgeordnete an. Das Pendant in der „Assembleia da República“ sei ungefähr genauso groß, berichtet Lange, und habe sich als eine der ersten Parlamentariergruppen überhaupt nach der Wahl neu konstituiert. Ein Hinweis darauf, welche Bedeutung die Portugiesen den Beziehungen zu deutschen Abgeordneten beimessen.

Gespräche mit Regierung und Opposition

Neben Parlamentariern – wie dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Sergio Pinto, und der Vorsitzenden des Europa-Ausschusses, Regina Bastos – führte die deutsche Delegation auch mit Vertretern der neuen portugiesischen Regierung Gespräche, darunter Außenminister Augusto Santos Silva, Finanzminister Dr. Mário Centeno und Innenministerin Dr. Constança Urbano de Sousa.

Bewusst habe die Delegation zu unterschiedlichen politischen Akteuren den Kontakt gesucht, berichtet Lange, sich so auch mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen ausgetauscht, um einen möglichst umfassenden Eindruck der politischen Situation im Land zu bekommen.

„Keine Eintagsfliege“

Das Ergebnis: „Die Regierung ist stabil – und keine Eintagsfliege“, konstatiert der SPD-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd, der seit 2013 als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz tätig ist. Das habe selbst der Oppositionsführer, der frühere Premier Coelho, bestätigt. Als ein Zeichen für die Stabilität wertet Lange auch die erfolgreiche Verabschiedung des Haushalts: „Zur großen Überraschung ist es der Regierung gelungen, ihren Haushalt durchs Parlament zu bringen. Daran sind frühere Minderheitsregierungen gescheitert.“

Interessant findet es der SPD-Politiker, dass das Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Linksblock nur Themen, in denen sich alle drei Parteien einig seien, vertraglich geregelt und ansonsten der Minderheitsregierung freie Hand gelassen habe. „Das setzt schon ein erhebliches Maß an Pragmatismus und Disziplin voraus.“ Dass dieses Modell auf Deutschland übertragbar wäre, bezweifelt er: „Ich glaube nicht, dass das auf Bundesebene funktionieren würde. Wir haben auch damit einfach keinerlei Erfahrung.“

Aktive Flüchtlingspolitik

Portugal sei „nach wie vor ein europafreundliches Land“, sagt Lange im Hinblick auf die beiden europakritischen Parteien, auf deren Duldung die sozialistische Minderheitsregierung angewiesen ist. In der Flüchtlingsfrage zeige sich das Land als sehr offen: „Die Portugiesen haben zugesagt, 10.000 Schutzsuchende über den EU-Verteilungsschlüssel hinaus aufzunehmen und bemühen sich auch darum, in Europa zu einer rascheren Verteilung zu kommen.“ Angesichts der wirtschaftlich schwierigen Situation und der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit sei dies „bemerkenswert“, so der Sozialdemokrat.

Doch das Land habe auch eine lange Einwanderertradition und sehe den Zuzug von Flüchtlingen als Chance für den Arbeitsmarkt: „Portugal leidet unter einem Brain Drain. Viele gut ausgebildete junge Menschen haben in der Wirtschaftskrise ihre Heimat verlassen.“ Zudem drohten demografische Probleme. Diese wolle das Land langfristig durch die Aufnahme von Flüchtlingen kompensieren, berichtet Lange. „Portugal hofft, einige zumindest zu Fachkräften ausbilden zu können.“

Stipendien für syrische Studierende

Bildung ermöglichen und Flüchtlinge unterstützen – das will auch die „Global Platform for Syrian Students“, der die deutschen Abgeordneten in Lissabon einen Besuch abstatteten. Die mit Unterstützung des ehemaligen portugiesischen Präsidenten Jorge Sampaio gegründete Initiative vergibt Stipendien an syrische Studierende, damit diese trotz Bürgerkrieg ihr Hochschulstudium fortsetzen können. Ein Weg, den offenbar auch die Bundesregierung gehen will: 2014 kündigte Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) an, ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge aufzulegen.

Der ähnliche Zugang zum Thema Flüchtlingspolitik verbinde deutsche und portugiesische Parlamentarier, betont Lange. „Und die positive Haltung zu Europa.“ Es sei beachtlich, dass sich trotz Euro-Krise und massivem Sparkurs der konservativen Regierung in den vergangenen Jahren bislang keine dezidiert „europafeindliche“ Partei gebildet habe. Auch das Verhältnis zwischen Deutschen und Portugiesen habe angesichts der rigiden Sparauflagen nicht gelitten, anders als die zwischenzeitlich eingetrübten deutsch-griechischen Beziehungen, beteuert der Vorsitzende der Deutsch-Portugiesischen Parlamentariergruppe. „Deutsche haben einen extrem guten Ruf.“ Das hänge vor allem mit der starken deutschen Wirtschaft zusammen, aber nicht zuletzt auch mit sportlichen Erfolgen: „Sie lieben Fußball, sie lieben Design, sie lieben ‚Made in Germany‘“.

„Verständnis schaffen“

So haben die Euro-Krise und ihre Folgen zwar die Themen des Austauschs zwischen den Parlamentariern bestimmt, aber das Verhältnis nie belastet, betont Lange. Gerade in dieser schwierigen Zeit hätten sich die Kontakte als sehr nützlich erwiesen, um Verständnis zu schaffen – zum Beispiel für die jeweiligen nationalen Befindlichkeiten: „Im Gespräch kann man Hintergründe erklären und für Verständnis werben, wie Entscheidungen in der deutschen Bevölkerung aufgenommen wurden – zum Beispiel die über Finanzhilfen für Portugal.“

Delegationsreisen hält Lange deshalb auch für sehr wichtig: „Man führt Gespräche, knüpft Kontakte auch in die Zivilgesellschaft hinein und bekommt so einen ganz anderen Eindruck von einem Land, als wenn man nur die harten Fakten lesen würde.“ Zudem schaffe die Nähe Vertrauen. „Das ist sehr viel wert. Die Portugiesen wissen, dass sie in uns Partner haben, die ihre Anliegen kennen und dafür sorgen, dass sie hierzulande gehört werden – auch in der Regierung.“ (sas/11.07.2016)

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