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Tom Koenigs: Benno Ohnesorgs Tod änderte mein Leben komplett

Porträtaufnahme eines Mannes mit grauen Haaren und einer Brille mit runden Gläsern

Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen) (DBT/Melde)

Am 2. Juni 2017 jährte sich der Todestag von Benno Ohnesorg zum 50. Mal. Der Student, der am Frühsommertag des 2. Juni 1967 mit Tausenden Studenten in West-Berlin gegen den Staatsbesuch von Schah Mohammad Reza Pahlavi demonstrierte, wurde von Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras mit einem Schuss in den Hinterkopf aus kurzer Distanz getötet. Dieses Ereignis veränderte Deutschland und löste wochenlange Massendemonstrationen in Westdeutschland aus. Am Ende führten die Proteste zu den Rücktritten des Polizeipräsidenten, des Innensenators und des Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin Heinrich Albertz (SPD)

Koenigs: Der 2. Juni 1967 änderte mein Leben komplett

Der Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen) war damals 23 Jahre jung, ebenfalls Student in Berlin und erinnert sich an die dramatischen Ereignisse vor 50 Jahren bis heute sehr deutlich.

„An diesem 2. Juni 1967 trugen die Demonstranten Papiermasken aus Einkaufstüten, auf denen das Gesicht des Schahs gedruckt war. Die Situation eskalierte, als Schah-Sympathisanten auf friedliche Demonstranten einschlugen und die Polizei erst zuschaute und dann mitprügelte. Dieser 2. Juni 1967 änderte mein Leben komplett, es war der Moment meiner Politisierung, und mir wurde klar, dass ich mich von diesem Tag an politisch engagieren würde. Die Papiermaske mit dem Gesicht des Schahs besitze ich noch heute“, sagt Tom Koenigs und fügt an: „Dieser Tag mobilisierte eine ganze Generation – nämlich die der Achtundsechziger. Aber für mich gab es an diesem 2. Juni 1967 die erschreckende Erkenntnis, dass es ernst ist, wenn der Staat auf Menschen schießt.“ 

Studentenbewegung, Hausbesetzer und Straßenkämpfe

Tom Koenigs, Sohn einer Kölner Bankiersfamilie, studierte Betriebswirtschaftslehre in Berlin, später in Frankfurt am Main. Er schloss sich schnell der Studentenbewegung an, die sich zu dieser Zeit außerparlamentarisch engagierte. Um politisch aktiv zu sein, brauchte man damals keine Partei, die Achtundsechziger-Bewegung gab den jungen Menschen ihre politische Orientierung.

Mit 25 Jahren beendete Tom Koenigs sein Betriebswirtschaftsstudium und wurde Mitglied der „Roten Zelle Ökonomie“, einer linksradikalen Uni-Gruppe, die vom Sozialismus träumte. „Ich nahm an Hausbesetzungen teil, und auch Straßenkämpfe waren damals nichts Besonderes. Wir wollten eine andere Republik, eine anderen Politik, und wir waren viele Gleichgesinnte. Als ich bei Opel einen Job als Schweißer annahm, wurde ich Mitglied der Gruppe ,Revolutionärer Kampf' und lernte Daniel Cohn-Bendit  (Bündnis 90/Die Grünen) und Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) kennen“, erzählt Tom Koenigs.

Außerparlamentarische Opposition

1968 und die Jahre danach waren eine hochpolitische Zeit. Tom Koenigs engagierte sich in der außerparlamentarischen Opposition.

„Ich war damals ein Feind von Parteien und vertrat die Meinung, dass Parteien den politischen Willen verfälschen. Ich wollte mich engagieren, aber ohne Parteibuch. Ich wollte opponieren und verschenkte 1972 mein Familienerbe an die Befreiungskämpfer in Vietnam und die Widerstandsbewegung in Chile. Ich war 28 Jahre alt und der Meinung, dass das Geld mir nicht zustand, weil meine Vorfahren es nicht durch eigene Arbeit, sondern vermutlich durch Ausbeutung angehäuft hatten. Geld hatte keine Bedeutung für mich“, sagt Tom Koenigs. 

1983 Eintritt in die grüne Partei

Als Ende der 1970er-Jahre die Demos gegen die Startbahn West des Flughafens Frankfurt am Main begannen, war auch Tom Koenigs dabei. Dem Ausbau der Startbahn West fielen 129 Hektar Wald zum Opfer. Hunderttausende Menschen demonstrierten gegen die Startbahn-Pläne, trotzdem wurde sie gebaut und am 12. April 1984 in Betrieb genommen.

Tom Koenigs trat 1983, an seinem 39. Geburtstag, in die grüne Partei ein. Warum, erklärt er so: „Ich hatte eine Partei gefunden, die meine Ideen und Ideale vertrat, und ich hatte begriffen, dass sich Macht und Meinung besser in Parteien organisieren lassen als in der außerparlamentarischen Opposition.“ 

Leiter des Ministerbüros im hessischen Umweltministerium

Es war der Beginn einer außerordentlichen Karriere des Politikers – sie war vielfältig, manchmal gefährlich und forderte ein Höchstmaß an Verantwortung. Sein erstes Wahlamt: Stadtverordneter für die Grünen in Frankfurt 1983. Später leitete er in der ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene das Ministerbüro im hessischen Umweltministerium und war Landesvorsitzender der Grünen. Die Koalition zwischen der SPD und den Grünen sollte ein Novum in Deutschland sein, aber mit der jungen grünen Partei kam zunächst nur eine Tolerierung des SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner zustande. Bereits am 20. November 1984 beendeten die Grünen die Zusammenarbeit mit der SPD, weil sie ihre Forderung nach Stilllegung der Hanauer Nuklearbetriebe nicht durchsetzen konnten.

Im Dezember 1985 kam es im hessischen Landtag dann doch zur ersten Koalitionsregierung aus SPD und Grünen in Deutschland. Holger Börner blieb SPD-Ministerpräsident, Joschka Fischer wurde Umweltminister. Die Landesregierung wurde in- und außerhalb von Hessen von vielen misstrauisch gesehen – vor allem wegen Joschka Fischer, der so gar nicht den Vorstellungen entsprach, die viele Bürger von einem deutschen Politiker hatten. 1987 platze die rot-grüne Koalition, aber sie gilt bis heute als Vorbild für die erste rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD). 

Suche nach einer neuen Herausforderung 

Tom Koenigs blieb auch nach dem Ende der Koalition in Hessen und wurde in Frankfurt Stadtkämmerer und Umweltdezernent in Personalunion. Zwei Jahre war er stellvertretender Oberbürgermeister und amtierte bis zur Neuwahl vier Monate lang als Oberbürgermeister im Frankfurter Römer. „Die Direktwahl des Oberbürgermeisters war ein Novum, und es gewann nicht der SPD-Kandidat, sondern Petra Roth von der CDU“, erinnert sich der Politiker.

Bei Tom Koenigs reifte der Entschluss, sich eine neue Herausforderung zu suchen. Ihm gefiel die „Politik der Hinterzimmer“ immer weniger. „In Hessen war in verschiedenen Kreisen rechtes Gedankengut beheimatet und ist es bis heute. Denken Sie an Erika Steinbach. Sie war Stadtverordnete in Frankfurt. 27 Jahre hat sie als Bundestagsabgeordnete den Wahlkreis Frankfurt II vertreten. Im letzten Jahr ist sie aus der CDU ausgetreten und unterstützt jetzt die AfD.“

Weiter fragt Tom Koenigs: „Hat niemand in all den Jahren bemerkt, welche politische Haltung Frau Steinbach vertritt? Auch Dr. Alexander Gauland (AfD) kommt aus Frankfurt, dort war er Leiter des Büros des Oberbürgermeisters Walter Wallmann (CDU). Er hat danach fünf Jahre in der Hessischen Staatskanzlei unter Ministerpräsident Walter Wallmann gearbeitet, der sein politischer Mentor war. Ich fühlte mich im hessischen Hinterzimmerklima nicht wohl und suchte nach neuen Perspektiven.“ 

Für die UN im Kosovo und in Guatemala

Tom Koenigs orientierte sich um und übernahm eine Aufgabe, die er als sinnvolle Herausforderung sah und deshalb gern übernahm. „Im Millenniumsjahr 2000 wurde ich von UN-Generalsekretär Kofi Annan zum stellvertretenden Sondergesandten im Kosovo ernannt. Ich sollte helfen, die örtlichen Zivilverwaltungen aufzubauen, was mir eine Herzensangelegenheit war“, erinnert sich Tom Koenigs. 

Zwei Jahre später wurde Koenigs Sonderbeauftragter für Guatemala und nahm die Herausforderung an, als Leiter der UN-Friedenssicherungsmission „Minuga“ die Einhaltung des Friedensabkommens der ehemaligen Bürgerkriegsparteien zu überwachen. „Die Arbeit als Sonderbeauftragter für die UN war nicht nur sehr wichtig, sie war auch sinnvoll, weil ich Menschen helfen konnte. Ich habe auch die Zusammenarbeit mit Kofi Annan sehr geschätzt“, so Koenigs. 

Menschenrechtsbeauftragter im Auswärtigen Amt

2005 kehrte Koenigs nach Deutschland zurück und wurde Menschenrechtsbeauftragter im Auswärtigen Amt in Berlin, erst unter Außenminister Fischer, anschließend unter Außenminister Dr. Frank Walter-Steinmeier (SPD). Damals regierte die erste rot-grüne Koalition in Deutschland, die vorzeitig endete, weil der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Parlament die Vertrauensfrage stellte – und verlor. Das führte zu Neuwahlen, und die rot-grüne Koalition wurde abgewählt.

Tom Koenigs sagt rückblickend: „Nach der Wahlniederlage von Rot-Grün kehrte ich zu den Vereinten Nationen zurück und übernahm 2006 die Aufgabe des Leiters deren ziviler Mission in Afghanistan, eine Aufgabe, die eine besondere Herausforderung war.“

Vorsitz im Ausschuss für Menschenrechte

Weil Tom Koenigs Herausforderungen liebt, kandidierte er mit 65 Jahren erstmals für den Deutschen Bundestag. Er trat 2009 auf der hessischen Landesliste an und zog auf Platz vier in den Deutschen Bundestag ein. Tom Koenigs wurde aber 2009 nicht nur zum Bundestagsabgeordneten gewählt, sondern auch zum Vorsitzenden des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Eine perfekte Wahl, einem so engagierten Menschenrechtler mit jahrzehntelanger Erfahrung bei den Vereinten Nationen die Leitung dieses Ausschusses zu übertragen.

Wenn man den Vollblutpolitiker fragt, was er in der parlamentarischen Arbeit am meisten schätzt, dann muss er nicht lange überlegen. „Die Möglichkeiten, die jeder einzelne Abgeordnete in diesem Parlament nutzen kann, schätze ich sehr.“  Es gibt aber auch Dinge, die ihm „quer liegen“ und über die Tom Koenigs ganz offen und mit ein wenig Enttäuschung spricht. „Im Ausschuss für Menschenrechte gab es in dieser Legislaturperiode absolut unvereinbare Standpunkte zwischen den Regierungsparteien und der kleinen Opposition. Wir konnten uns nicht einmal auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, und das lag an der CDU-Sprecherin Erika Steinbach. Leider haben sich die CDU-Abgeordneten des Ausschusses von Frau Steinbach völlig blockieren lassen, sodass die Arbeit wenig erfolgreich war.“

Verzicht zugunsten eines Generationswechsels

Nach acht Jahren verabschiedet sich Tom Koenigs in diesem Jahr aus dem Parlament. Er sagt: „Ich bin 73 Jahre alt und finde, es ist die richtige Zeit aufzuhören und einer jüngeren Generation Platz zu machen. Wir brauchen neue Ideen, neue Gesichter und Impulse, und wir brauchen einen Generationenwechsel. Für mich hat das politisches Engagement nicht mit dem Eintritt in den Bundestag begonnen und endet auch nicht mit meinem Ausscheiden. Ich bin dann zwar kein Parlamentarier mehr, aber ich bleibe trotzdem ein politischer Mensch.“

Was hat Tom Koenigs vor, wenn er im September sein Bundestagsbüro geräumt hat und nicht mehr ins Plenum geht? Was wird er mit der vielen Zeit anfangen? „Das Leben ist endlich, und deshalb fehlt es mir immer an Zeit. Ich besitze noch viele Bücher, die ich noch nicht gelesen habe und die darauf warten, aufgeschlagen zu werden. Außerdem habe ich drei Kinder und zwei Enkel, für die ich künftig mehr Zeit habe. Ich kann absolut ausschließen, dass mich die Langeweile überfällt“, sagt Tom Koenigs abschließend. (bsl/31.07.2017)

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