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12.05.2016 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 279/2016

Skepsis bei EU-Onlinekaufrecht

Berlin: (hib/PST) Zwei Vorschläge der EU-Kommission, wie ein einheitliches europäisches Recht für den Handel mit Dateien sowie mit Waren aussehen könnte, sind bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch auf unterschiedliche Bedenken der Sachverständigen gestoßen. Sie reichten von Einwänden in Einzelpunkten bis zum Zweifel, ob die neuen Rechtsnormen überhaupt erforderlich sind.

Die Kommission hatte dem Europäischen Parlament und Rat im Dezember vorgeschlagen, zwei Richtlinien zu erlassen, eine „über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte“ (Ratsdokument 15251/15) und eine „über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren“ (Ratsdokument 15252/15). Die Entscheidung darüber in EU-Parlament und Rat steht noch nicht unmittelbar an. Dennoch hat sich der Rechtsausschuss bereits in diesen frühen Stadium für eine Anhörung entschieden, um sich eine fundierte Meinung zu bilden, ob das deutsche Parlament der Bundesregierung Vorgaben für die Verhandlung im EU-Rat machen sollte.

Dies könnte, dem Verlauf der Anhörung nach zu urteilen, insbesondere in einem Punkt der Fall sein. Der Richtlinienvorschlag zum Online-Warenhandel sieht vor, dass bei Gewährleistungsansprüchen die Beweislastumkehr zwei Jahre gelten soll statt sechs Monaten wie derzeit in Deutschland und den meisten EU-Staaten. Die Beweislastumkehr bedeutet, dass nicht der Kunde beweisen muss, dass das Produkt bereits mit einem Fehler geliefert wurde, sondern der Händler das Gegenteil beweisen müsste. Hierzu zeigte sich in den Befragungsrunden eine fraktionsübegreifende Mehrheit für eine einheitliche Regelung im Online- wie im stationären Handel. Ob der Bundestag hier eingreifen soll, darüber wird allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt im Rechtsausschuss und gegebenenfalls im Plenum entschieden. In der vergangenen Legislaturperiode war ein Vorstoß der EU-Kommission für eine umfassende Kaufrechtsrichtlinie am Widerstand im Bundestag und anderen nationalen Parlamenten gescheitert.

Jetzt ließ sich der Rechtsausschuss zunächst von einem Vertreter der Europäischen Kommission in Brüssel, Dirk Staudenmayer von der Generaldirektion Justiz und Verbraucher, deren Intentionen erklären. Staudenmayer hob hervor, man habe aus der Erfahrung mit der Kaufrechtslinie gelernt. Die Kommission habe in umfangreichen Evaluationen, darunter zwei Eurobarometer-Umfragen, ermittelt, in welchen Bereichen Verbraucher und Unternehmen Regelungsbedarf sehen, und beschränke sich bei den Richtlinienvorschlägen darauf. Statt ehemals 186 Artikel beim Kaufrechtsvorschlag umfassten die jetzt vorgeschlagenen Richtlinien nur je rund 20 Artikel. Unter anderem beschränke man sich auf Verbraucherverträge und lasse Handelsverträge völlig außen vor.

Die Ausschussvorsitzende Renate Künast (Grüne) hatte zuvor zwei Gruppen genannt, auf die die Richtlinien zielten: Zum einen durch unterschiedliche nationale Verbraucherrechte verunsicherte Kunden, die sich nicht trauten, in einem anderen EU-Land zu bestellen. Zum anderen Handelsunternehmen, die sich wegen der „Rechtszersplitterung“ scheuten, ihre Produkte grenzübergreifend anzubieten. Dementsprechend nannte Staudenmayer es als Zielsetzung der Richtlinie, das Verbrauchervertrauen zu steigern und dadurch, dass mehr Unternehmen grenzüberschreitend anbieten, den Verbauchern zu einer größeren Auswahl zu verhelfen. Die Kommission erwarte damit von den Richtlinien einen Wachstumsschub.

Carsten Föhlisch, Rechtsexperte der Trusted Shops GmbH, bezweifelte, dass Rechtsunsicherheit maßgeblich für die Zurückhaltung von Kunden beim grenzüberschreitenden Einkauf sei. Vielmehr spielten Unsicherheit bei Zahlungsvorgängen, Sprachbarrieren und anderes eine große Rolle. Aus Sicht des Handels wiederum seien ständig wechselnde Rechtsvorschriften das größere Problem, weshalb neue EU-Richtlinien das selbsterklärte Ziel konterkarierten. Unter dem Strich sei eine Neuregelung des Onlinekaufrechts aus Sicht der Marktakteuere gar nicht notwendig, konstatierte Föhlisch.

Unsicherheit bei den Marktakteuren erzeugt nach Ansicht von Martin Schmidt-Kessel, Professor für Deutsches und Europäisches Verbraucherrecht in Bayreuth, dass mit der vorgeschlagenen Richtlinie der Sachmängelbegriff „massiv umformuliert“ werden soll. Er habe dafür „völliges Unverständnis“, man solle bei den bewährten Begriffen bleiben.

Joachim Bokor, Justiziar der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, begrüßte eine vorgeschlagene Regelung zu Internetangeboten, die der Kunde statt mit Geld durch die Überlassung von Daten bezahlt. Bei solchen Angeboten sollen die gleichen Kundenrechte gelten wie bei kostenpflichtigen Angeboten, schlägt die EU-Kommission vor. Allerdings stellte Bokor die Frage: „Was, wenn der Kunde gar nicht weiß, dass bestimmte Daten übermittelt wurden?“

Der selbständige Luxemburger Europarechts-Berater Bob Schmitz teilte den Ausschussmitgliedern mit, dass die EU-Kommission nach seiner Kenntnis in einigen Monaten auch Vorschläge für den stationären Handel vorlegen werde. Er erwarte, dass dann im Wesentlichen die Vorschläge für den Onlinehandel übernommen würden. Denn es mache keinen Sinn, unterschiediche Regelungen für Online- und Offline-Handel festzulegen.

Zur Verlängerung der Beweislastumkehr sagte Schmitz, diese gelte in Portugal bereits seit einiger Zeit zwei Jahre lang. Dies habe weder zu Nachteilen für die Händler noch zu den befürchteten Preiserhöhungen für die Verbraucher geführt. Im Gegenteil würden viele Unternehmen bereits mit freiwilligen Drei-Jahres-Fristen werben. Dem wollte Peter Schröder vom Handelsverband Deutschland HDE nicht folgen. Eine Allensbach-Umfrage zeige, dass nur zwölf Prozent der Verbraucher in Deutschland mit den geltenden Regelungen unzufrieden seien. Der Handel praktiziere Kulanz und stelle innerhalb der Gewährleistungsfrist meist keine Fragen, auch wenn die sechsmonatige Beweislastumkehr abgelaufen sei. Er müsse aber die Möglichkeit haben, sich gegen unberechtigte Forderungen etwa von Querulanten zu schützen.

Der Göttinger Jura-Professor mit Schwerpunkt Multimedia- und Telekommunikationsrecht Gerhard Spindler warf die Frage auf, was die Gleichstellung von Angeboten, die mit Daten statt mit Geld bezahlt werden, für Non-Profit-Dienste bedeute, also beispielsweise Wikipedia oder Open-Source-Software. Für ihn sei aus dem Richtlinienvorschlag nicht erkennbar, ob sie auch darunter fallen. Auch vermisste Spindler eine Einbeziehung des „Internets der Dinge“ in die geplanten Regelungen.

Zweifel an den Wachstumsprognosen der EU-Kommission äußerte der Konstanzer Rechtsprofessor Michael Stürner. Wachstum beim Online-Handel „dürfte auf Kosten des Offline-Handels gehen“, prognostizierte er. Stürner warf auch einen sozialen Aspekt auf: Mit der Fokussierung auf den Online-Handel stärke man bestimmte Schichten der Bevölkerung, nämlich die Technik-Affinen. Sein Rat: Man solle warten, bis die EU-Kommission auch ihre Pläne zum stationären Handel auf den Tisch legt. Und dann solle man beides gleichzeitig behandeln.

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