Klimaschutz

Öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung (EnWG), BT-Drs. 20/1599

Zeit: Mittwoch, 18. Mai 2022, 11 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.800

Die Pläne der Bundesregierung zum beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien, zur Engpass-Beseitigung bei Stromnetzen und zur Schaffung von Rechtsklarheit bei der Kündigung des Vertrags seitens des Energielieferanten in Zeiten steigender Energiepreise, stoßen bei Sachverständigen grundsätzlich auf Zustimmung. Der dazu vorgelegte Gesetzentwurf „zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung“ (20/1599) müsse gleichwohl an einigen Stellen nachgebessert werden, wurde während einer öffentlichen Expertenanhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Mittwoch, 18. Mai 2022, gefordert.

Rolle unseriöser Energielieferanten

Achim Zerres, Leiter der Abteilung Energieregulierung bei der Bundesnetzagentur, nannte die Regelungen im Sinne des Verbraucherschutzes „sehr gut“. Gleichzeitig sprach er sich für die Einführung „pauschalierter Mindestschadensersatzansprüche“ für Haushaltskunden aus. Lieferanten, die bewusst die Geschäftstätigkeit entgegen den Regelungen einstellen und die Verbraucher „im Regen stehen lassen“, könnten so auch von ihren Kunden einfacher zur Verantwortung gezogen werden, sagte Zerres.

Es seien vielfach die Stadtwerke gewesen, die Ende vergangenen Jahres und Anfang dieses Jahres die von unseriösen Energielieferanten im Stich gelassenen Endkunden aufgefangen haben, sagte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer beim Verband Kommunaler Unternehmen. Das sei mit einem Kraftakt verbunden gewesen, für den die Versorger von Medien und Verbraucherschützern als „Abzocker“ beschimpft worden seien. „Dieses Szenario aus dem Winter 2021/2022 darf sich nicht wiederholen“, sagte Liebing. Zu begrüßen sei daher die Beendigung der Gleichpreisigkeit von Ersatz- und Grundversorgung im Haushaltskundenbereich. Damit werde dem Bedürfnis von Grundversorgern Rechnung getragen, in ihrer Funktion als Interimsversorger auch preislich kurzfristig auf höhere Beschaffungskosten reagieren zu können.

Planung der Netze

Dass das Pariser-Klimaziel im wichtigsten Gesetz für die Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft angekommen ist, sei ein Meilenstein, befand Nadine Bethge von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Zu kritisieren sei, das die Gasnetzplanung von der Neuregelung nicht erfasst werde. Heutige Prozesse der Gasnetzplanung seien jedoch nicht geeignet, um den Übergang in ein Klimaneutralitätsnetz zu gestalten, sagte Bethge. Gut sei aus Sicht der DUH die Herstellung von Rechtssicherheit für die Höherauslastung des Bestandsnetzes. Netze könnten so optimiert und ertüchtigt werden, „dass mehr Strom als bisher mittels Übertragungsnetz transportiert wird, ohne dass sich die Grenzwerte für elektromagnetische Felder derart ändern, dass es Auswirkungen auf die Gesundheit hätte“.

Andrees Gentzsch vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft verwies darauf, dass es nicht ausreiche erneuerbare Energien auszubauen, „wenn wir die Netze nicht haben, um sie zum Kunden zu bringen“. Hier sei eine synchrone Entwicklung nötig. „Auch die Netze müssen ausgebaut werden“, so Gentzsch. Das für die erneuerbaren Energien im Gesetz festgeschriebene „überragende öffentliche Interesse“ müsse auch für den Netzausbau gelten, forderte er.

Stromverteilnetzausbau als Flaschenhals

Auch wenn der Gesetzentwurf in die richte Richtung gehe, habe er aus Sicht der Regionalversorger „diverse systemische Mängel“, sagte Rainer Kleedörfer von der Städtische Werke Nürnberg GmbH. So würden beispielsweise zeitliche Abhängigkeiten zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem dafür erforderlichen Stromverteilnetzausbau ungenügend berücksichtigt. Es müsse damit gerechnet werden, dass neue größere lastferne Photovoltaikanlagen Gefahr laufen, über Jahre hinweg und vorrangig im Sommerhalbjahr deutlich - im Extremfall bis auf Einspeisung von Null - abgeriegelt werden. Daher müsse der Ausbau vorrangig lastnah und unter Berücksichtigung noch vorhandener Aufnahmekapazitäten in den Stromverteilnetzen gestaltet werden.

Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, begrüßte die Abschaffung von Freileitungsprüfverlangen für neue Leitungsvorhaben zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung, für die noch keine Antragskonferenz durchgeführt wurde. Nachbesserungsbedarf gebe es beim Thema vorzeitiger Baubeginn - auch für bereits in der Planung befindliche Projekte. Auch bei der Höherauslastung der Bestandnetze brauche es Änderungen. Wenn dafür ein Mast erhöht werden muss, dürfe das nicht neue Planungsverfahren erfordern, sagte er.

Dr. Stefan Richter vom Energieversorger EON forderte, den Fokus nicht nur auf den Ausbau der Übertragungsnetze, sondern auch auf den erforderlichen zügigen Ausbau der Verteilernetze zu richten. Die Verteilernetze seien „Massen- und Endkundennetze“ und stünden daher im Zentrum aller aktuellen und zukünftig in noch höherer Geschwindigkeit zu erfüllenden klimawendebedingten Kundenbedürfnisse, sagte er. In dem Entwurf kämen aber Verteilernetzbetreiber nicht vor. Dabei seien sie der Flaschenhals zwischen den Übertragungsnetzen und den zukünftig stark anwachsenden Photovoltaik-Anlagen.

Warnung vor Verteuerung von Energie

Prof. Dr. Hans-Günter Appel vom Verein Stromverbraucherschutz warnte indes vor einer stetigen Verteuerung von Energie. Es ist nicht zu verantworten, die knappe und teure Energie durch den Bau von Wind- und Solaranlagen noch weiter zu verknappen, sagte er.

Appel plädierte für einen Stopp des Baus weiterer Wind- und Solaranlagen und den Ausbau vorhandener Wärme- und Wasserkraftwerke. Die Effizienz von Wärmekraftwerken könne noch um 10 bis 15 Prozent verbessert werden durch Erhöhung der Dampftemperatur, sagte Appel. Damit werde der heutige Windstrom durch höherwertigen Regelstrom weitgehend ersetzt.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Mit dem Entwurf will die Bundesregierung drei Problemkomplexe angehen: den beschleunigungsbedürftigen Ausbau erneuerbarer Energien; Engpässe in der Versorgung wegen fehlender Stromnetze und rechtliche Unklarheiten bei der Kündigung des Vertrags seitens des Energielieferanten in Zeiten steigender Energiepreise. Der Entwurf soll am Donnerstag, 12. Mai, erstmals im Bundestag beraten werden. Um die Klimaschutzziele aus dem Übereinkommen von Paris zu erreichen, will Deutschland spätestens im Jahr 2045 klimaneutral sein. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist dafür auch der Ausbau der Stromnetze von zentraler Bedeutung, heißt es in dem Entwurf. Der sei mit Blick auf die Sektorenkopplung - Elektromobilität und damit verbundener Ladeinfrastrukturaufbau wie auch Elektrifizierung des Wärmesektors - zwingend erforderlich. Der zügige Ausbau der Erneuerbaren sowie die schrittweise Abschaltung der verbleibenden Kernkraftwerke und der Kohlekraftwerke erforderten es, Strom zunehmend über weite Strecken zu transportieren. Insbesondere der im Norden Deutschlands erzeugte Strom aus Windenergieanlagen müsse zu den Verbrauchsschwerpunkten im Süden und Westen Deutschlands geleitet werden. Darüber hinaus sollen die technischen Voraussetzungen für den zunehmenden grenzüberschreitenden Stromhandel geschaffen werden. Daraus resultiere ein Netzausbaubedarf insbesondere in der Höchstspannungsebene.

Die Netzplanung soll künftig konsequent an dem Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 ausgerichtet und die verschiedenen Prozesse enger verzahnt werden. Die §§ 12a ff. des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) enthalten Regelungen zur Netzausbaubedarfsplanung. Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) ermöglicht beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die Bundesnetzagentur hat am 14. Januar 2022 den Netzentwicklungsplan Strom (NEP) 2021-2035 bestätigt und der Bundesregierung gemäß § 12e Absatz 1 Satz 1 EnWG als Entwurf für einen Bundesbedarfsplan vorgelegt. Die im NEP 2021-2035 bestätigten zusätzlichen Leitungsmaßnahmen seien für den verstärkten und beschleunigten Klimaschutz unabdingbar. Der bisherige Bundesbedarfsplan müsse aktualisiert werden. Nach § 12e Absatz 1 Satz 2 EnWG ist der Bundesbedarfsplan dem Bundesgesetzgeber mindestens alle vier Jahre vorzulegen. Mit den regelmäßigen Anpassungen des Bundesbedarfsplangesetzes (BBPlG) soll eine Beschleunigung der erfassten Planungs- und Genehmigungsverfahren für Netzausbauvorhaben auf Höchstspannungsübertragungsnetzebene gewährleistet werden.

Konkret heißt das: Das Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 soll auch unmittelbar in das Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen und in dort geregelten Prozessen stärker verankert werden. Die Netzentwicklungsplanungen sollen um die Berechnung eines Klimaneutralitätsnetzes ergänzt und auch Planungen auf Verteilernetzebene am Ziel einer vorausschauenden und effizienten Bedarfsdimensionierung ausgerichtet werden, die unter anderem den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge berücksichtigt. Der Bundesbedarfsplan wird aktualisiert. Es werden 19 neue Netzausbauvorhaben aufgenommen und 17 Netzausbauvorhaben geändert. Ein Vorhaben wird gestrichen. Für die neuen und geänderten Netzausbauvorhaben wird entsprechend § 12e Absatz 4 EnWG die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf festgestellt.

Start seigende Energiepreise auf den Großhandelsmärkten

In den letzten Monaten sind die Energiepreise auf den Großhandelsmärkten stark gestiegen. In der Folge stellten einzelne Energielieferanten die Energieversorgung ihrer Kunden kurzfristig ein. Davon betroffene Kunden fallen in die vertragliche Grundversorgung oder das gesetzliche Schuldverhältnis der Ersatzversorgung und werden weiter mit Energie versorgt, heißt es im Entwurf zum Thema gekündigter Verträge. Abhängig von der Anzahl kurzfristig neu zu versorgender Kunden und der Höhe der bereits beschafften Energiemengen hätten Grundversorger dafür zusätzliche Mengen am Großhandelsmarkt zu den jeweils geltenden Preisen einkaufen müssen. In der Folge gestiegener Beschaffungskosten erhöhten sie dann ihre Endkundenpreise oder führten unterschiedliche Grundversorgungspreise für Alt- und Neukunden ein. Die rechtliche Zulässigkeit solcher gespaltenen Preise wurde kontrovers diskutiert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll rechtliche Klarheit erreicht und grundsätzlich einer erneuten Situation vorgebeugt werden, in der Kunden kurzfristig mit der Einstellung ihrer Belieferung durch ihren im Wettbewerb tätigen Energielieferanten konfrontiert werden.

Die aktuell stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise belasteten Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen erheblich. Deshalb sei außerdem sicherzustellen, dass im Fall sinkender Rohstoff- und Großhandelspreise Endverbraucherinnen und Endverbraucher auch von Preissenkungen profitieren und dass marktmächtige Unternehmen ihre Stellung nicht missbrauchten. Ziel sei ein klarer und gestärkter Wettbewerbsrahmen, der das Funktionieren der Märkte gewährleistet. Der vorliegende Gesetzentwurf soll daher den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten durch eine intensivere kartellbehördliche Beobachtung und Kontrolle fördern und schützen.

Im Einzelnen heißt das: Das Energiewirtschaftsgesetz soll um die bußgeldbewährte Vorgabe ergänzt werden, dass auch eine planmäßige Beendigung der Energiebelieferung von Haushaltskunden der Bundesnetzagentur mindestens drei Monate im Voraus anzuzeigen ist und betroffene Kunden zu informieren sind. Die Bundesnetzagentur erhält dem Entwurf zufolge zudem zusätzliche Aufsichtsbefugnisse gegenüber Energielieferanten. Die Ersatzversorgung und die Grundversorgung sollen neu voneinander abgegrenzt werden, die preisliche Kopplung beider Instrumente auch im Segment der Haushaltskunden aufgehoben werden. Dadurch könnten die Ersatzversorgungspreise stärker die jeweils aktuellen Beschaffungskosten berücksichtigen. Damit einhergehen sollen weitere Transparenzvorgaben im Hinblick auf die Preiszusammensetzung der Ersatzversorgung. (mis/18.05.2022)

Marginalspalte