Klimaschutz

Öffentliche Anhörung zur „Änderung des Gebäudeenergiegesetzes sowie Änderungen des EnWG entsprechend der Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 20/1599 (EnWG-Novelle)“

Zeit: Dienstag, 31. Mai 2022, 8.45 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101

Die geplante Einführung des EH-55-Neubaustandards (maximal 55 Prozent Energieverbrauch eines Referenzgebäudes) zum 1. Januar 2023 als Zwischenschritt bis zur Einführung des EH-40 Standards im Jahr 2025 wird von Sachverständigen unterschiedlich bewertet. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Dienstag, 31. Mai 2022, deutlich. Grundlage der Anhörung ist die Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (20(25)95) zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung“ (20/1599).

Verschärfung des Baumindeststandards

Aus Sicht von Maria Hill vom Zentralen Immobilien Ausschuss, einer Interessensvertretung der Immobilienwirtschaft, ist eine EH-55-Verschärfung sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch „nicht der richtige Weg“. Noch mehr Dämmen als im geltenden Gebäudeenergiegesetz (GEG) führe nur noch zu geringen theoretischen Einsparungen beim Heizwärmebedarf. Der damit verbundene Ressourcenverbrauch führe gar zu einer Zunahme des CO2-Ausstoßes, sagte Hill. Auch der Idee der Kreislaufwirtschaft werde man durch klebende Wärmedämmungen nicht gerecht. Nach Berechnungen des ZIA führe die Erhöhung des jetzigen GEG-Standards auf ein EH-55-Niveau lediglich zu einer CO2-Reduktion von rund 0,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Demgegenüber stünden zusätzliche Kosten von rund 430 Millionen Euro jährlich für Bürger und Wirtschaft. Dies stehe in keinem angemessenen Verhältnis zueinander, befand Hill.

Dr. Ingrid Vogler vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen sieht die geplante Verschärfung des Baumindeststandards im GEG ebenfalls kritisch. In Kombination mit den drückenden Bedingungen am Markt und vielen weiteren existierenden und geplanten Auflagen sowie der eingestellten Förderung führe dies dazu, „dass im Segment des bezahlbaren Wohnraums der Neubau einbricht“. Um dort das Schlimmste zu verhindern, müsse es zu einer korrespondierenden Förderung des bezahlbaren Wohnraums in Mehrfamilienhäusern kommen. Zudem seien bei einer Verschärfung die GEG-Instrumente bereits jetzt zu erweitern, damit ein kreislaufwirtschaftsgerechtes Bauen im Lebenszyklus optimiert werden kann. Eine entsprechende Innovationsklausel sei nötig, die Ausnahmen von der Verschärfung des Wärmeschutzes für andere, nachhaltigere Bauweisen ermöglicht.

Notwendigkeit weiterer Technologiesprünge

Weitergehende Ziele sind aus Sicht von Prof. Lamia Messari-Becker vom Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen nur dann vertretbar, wenn die betriebsseitigen Einsparungen an Energie und CO2-Emissionen den Mehraufwand eines EH-40 Gebäudes an Materialien und Technik kompensieren. Um dies aber zu gewährleisten, brauche es weitere Technologiesprünge. Auch drohe der massive Anstieg der Rohstoffpreise das „Mehr an Energieeffizienz und CO2-Minderung“ im Betrieb zu konterkarieren. Messari-Becker forderte, niedrigschwellige Maßnahmen, insbesondere im Gebäudebestand ordnungsrechtlich zu etablieren und mit Förderung zu flankieren. Dazu gehörten unter anderem die digital-gestützte Optimierung von Heizungsanlagen im Betrieb, das Management der Raumtemperatur und die regelmäßige Durchführung von hydraulischem Abgleich. Hier lägen Potenziale zur Energieeinsparung von bis zu 25 Prozent, sagte Messari-Becker.

Ein EH-55 oder EH-40 Gebäude habe keinen signifikant geringeren tatsächlichen Energieverbrauch als die aktuelle Mindestanforderung eines EH-75, befand Dietmar Walberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen. Eine „Überoptimierung“ von Neubauten sei weder wirtschaftlich noch klimaschutztechnisch sinnvoll. Weitere Anforderungen gefährdeten zudem die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Walberg sprach sich dafür aus, die Potenziale der erneuerbaren Energien und lokalen Nah- und Fernwärmelösungen verstärkt auszuschöpfen. Im Fokus des Ordnungsrechts müssten technologieoffene CO2-Einsparungen liegen.

Vermeidung von Fehlanreizen für den Bau

Franz Michel vom Deutschen Mieterbund begrüßte hingegen die Anhebung des Neubaustandards auf EH-55. Negative Implikationen für die Mieter seien nicht zu erwarten, sagte er. Stattdessen würden Fehlanreize für den Bau klimakompatibler und bezahlbarer Wohnungen beseitigt. Ein Großteil der ausgeschütteten Fördermittel sei in der Vergangenheit in den freifinanzierten und damit mietpreisungebundenen Neubau gegangen. „Die notwendige Sanierung des Gebäudebestands und der Bau von Sozialwohnungen ist hingegen unterfinanziert geblieben“, so der Vertreter des Deutschen Mieterbundes.

Aus Sicht von Christian Noll von der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz ist die Anhebung des Standards „richtig und überfällig“. Die Neubauanforderungen sowie die weiteren technischen Anpassungen des GEG-Entwurfs sollten jetzt zügig in der vorgeschlagenen Form umgesetzt werden, verlangte er. Statt erst zu Beginn des kommenden Jahres sollte die Regelung schon eher in Kraft treten. Da aktuell EH-55 nicht mehr gefördert werde, drohe ansonsten die Baupraxis für hunderttausende Wohneinheiten auf das aktuelle gesetzliche Neubauniveau unterhalb des EH-70-Niveaus zurückzufallen, das mit den Klimazielen nicht kompatibel sei, warnte Noll.

Mangel qualifizierter Fachkräfte im Handwerk

Probleme bei der Umsetzung der geforderten Maßnahmen thematisierte Michel Durieux vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Vor allem aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch wegen des Trends zu einer zunehmenden Studierneigung von Jugendlichen, nehme der Mangel an Fachkräften im Handwerk seit Jahren zu.

Die notwendige Transformation des Wirtschaftens in Deutschland hin zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit könne jedoch nur mit einer ausreichenden Zahl beruflich qualifizierter Fachkräfte insbesondere aus dem Handwerk als dem originären Umsetzer vor Ort gelingen. Daher brauche es unter anderem eine Stärkung der beruflichen Bildung und insbesondere der betrieblichen Ausbildung, eine arbeitsmarkt- und betriebsnahe Gestaltung von Fort- und Weiterbildung sowie eine Förderung von Betriebsnachfolgen, sagte Durieux.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung drei Problemkomplexe angehen: den beschleunigungsbedürftigen Ausbau erneuerbarer Energien; Engpässe in der Versorgung wegen fehlender Stromnetze und rechtliche Unklarheiten bei der Kündigung des Vertrags seitens des Energielieferanten in Zeiten steigender Energiepreise. Um die Klimaschutzziele aus dem Übereinkommen von Paris zu erreichen, will Deutschland spätestens im Jahr 2045 klimaneutral sein. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist dafür auch der Ausbau der Stromnetze von zentraler Bedeutung, heißt es in dem Entwurf.

Der sei mit Blick auf die Sektorenkopplung – Elektromobilität und damit verbundener Ladeinfrastrukturaufbau wie auch Elektrifizierung des Wärmesektors – zwingend erforderlich. Der zügige Ausbau der Erneuerbaren sowie die schrittweise Abschaltung der verbleibenden Kernkraftwerke und der Kohlekraftwerke erforderten es, Strom zunehmend über weite Strecken zu transportieren. Insbesondere der im Norden Deutschlands erzeugte Strom aus Windenergieanlagen müsse zu den Verbrauchsschwerpunkten im Süden und Westen Deutschlands geleitet werden. Darüber hinaus sollen die technischen Voraussetzungen für den zunehmenden grenzüberschreitenden Stromhandel geschaffen werden. Daraus resultiere ein Netzausbaubedarf insbesondere in der Höchstspannungsebene.

Treibhausgasneutralität im Jahr 2045

Die Netzplanung soll künftig konsequent an dem Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 ausgerichtet und die verschiedenen Prozesse enger verzahnt werden. Die Paragrafen 12a ff. des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) enthalten Regelungen zur Netzausbaubedarfsplanung. Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) ermöglicht beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die Bundesnetzagentur hat am 14. Januar 2022 den Netzentwicklungsplan Strom (NEP) 2021-2035 bestätigt und der Bundesregierung gemäß Paragraf 12e Absatz 1 Satz 1 EnWG als Entwurf für einen Bundesbedarfsplan vorgelegt. Die im NEP 2021-2035 bestätigten zusätzlichen Leitungsmaßnahmen seien für den verstärkten und beschleunigten Klimaschutz unabdingbar. Der bisherige Bundesbedarfsplan müsse aktualisiert werden. Nach Paragraf 12e Absatz 1 Satz 2 EnWG ist der Bundesbedarfsplan dem Bundesgesetzgeber mindestens alle vier Jahre vorzulegen. Mit den regelmäßigen Anpassungen des Bundesbedarfsplangesetzes (BBPlG) soll eine Beschleunigung der erfassten Planungs- und Genehmigungsverfahren für Netzausbauvorhaben auf Höchstspannungsübertragungsnetzebene gewährleistet werden.

Konkret heißt das: Das Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 soll auch unmittelbar in das Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen und in dort geregelten Prozessen stärker verankert werden. Die Netzentwicklungsplanungen sollen um die Berechnung eines Klimaneutralitätsnetzes ergänzt und auch Planungen auf Verteilernetzebene am Ziel einer vorausschauenden und effizienten Bedarfsdimensionierung ausgerichtet werden, die unter anderem den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge berücksichtigt.

Bundesbedarfsplan soll aktualisiert werden

Der Bundesbedarfsplan wird aktualisiert. Es werden 19 neue Netzausbauvorhaben aufgenommen und 17 Netzausbauvorhaben geändert. Ein Vorhaben wird gestrichen. Für die neuen und geänderten Netzausbauvorhaben wird entsprechend Paragraf 12e Absatz 4 EnWG die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf festgestellt. In den letzten Monaten sind die Energiepreise auf den Großhandelsmärkten stark gestiegen. In der Folge stellten einzelne Energielieferanten die Energieversorgung ihrer Kunden kurzfristig ein. Davon betroffene Kunden fallen in die vertragliche Grundversorgung oder das gesetzliche Schuldverhältnis der Ersatzversorgung und werden weiter mit Energie versorgt, heißt es im Entwurf zum Thema gekündigter Verträge.

Abhängig von der Anzahl kurzfristig neu zu versorgender Kunden und der Höhe der bereits beschafften Energiemengen hätten Grundversorger dafür zusätzliche Mengen am Großhandelsmarkt zu den jeweils geltenden Preisen einkaufen müssen. In der Folge gestiegener Beschaffungskosten erhöhten sie dann ihre Endkundenpreise oder führten unterschiedliche Grundversorgungspreise für Alt- und Neukunden ein. Die rechtliche Zulässigkeit solcher gespaltenen Preise wurde kontrovers diskutiert. Mit dem Gesetzentwurf soll rechtliche Klarheit erreicht und grundsätzlich einer erneuten Situation vorgebeugt werden, in der Kunden kurzfristig mit der Einstellung ihrer Belieferung durch ihren im Wettbewerb tätigen Energielieferanten konfrontiert werden.

Beobachtung und Kontrolle

Die aktuell stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise belasteten Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen erheblich. Deshalb sei außerdem sicherzustellen, dass im Fall sinkender Rohstoff- und Großhandelspreise Endverbraucherinnen und Endverbraucher auch von Preissenkungen profitieren und dass marktmächtige Unternehmen ihre Stellung nicht missbrauchten. Ziel sei ein klarer und gestärkter Wettbewerbsrahmen, der das Funktionieren der Märkte gewährleistet. Der vorliegende Gesetzentwurf soll daher den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten durch eine intensivere kartellbehördliche Beobachtung und Kontrolle fördern und schützen.

Im Einzelnen heißt das: Das Energiewirtschaftsgesetz soll um die bußgeldbewährte Vorgabe ergänzt werden, dass auch eine planmäßige Beendigung der Energiebelieferung von Haushaltskunden der Bundesnetzagentur mindestens drei Monate im Voraus anzuzeigen ist und betroffene Kunden zu informieren sind. Die Bundesnetzagentur erhält dem Entwurf zufolge zudem zusätzliche Aufsichtsbefugnisse gegenüber Energielieferanten. Die Ersatzversorgung und die Grundversorgung sollen neu voneinander abgegrenzt werden, die preisliche Kopplung beider Instrumente auch im Segment der Haushaltskunden aufgehoben werden. Dadurch könnten die Ersatzversorgungspreise stärker die jeweils aktuellen Beschaffungskosten berücksichtigen. Damit einhergehen sollen weitere Transparenzvorgaben im Hinblick auf die Preiszusammensetzung der Ersatzversorgung. (hau/mis/31.05.2022)

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