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Europapolitik Solidarisches Miteinander innerhalb der EU bei Kampf gegen Corona

Beim Umgang mit der Corona-Pandemie ist ein solidarisches Miteinander innerhalb der EU gefragt, anstatt nationaler Alleingänge. In dieser Einschätzung waren sich die Teilnehmer der Konferenz der Vorsitzenden der für Gesundheit, Forschung und Digitale Angelegenheiten zuständigen Ausschüsse der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments am Montag, 7. September 2020, einig. Bei der zweiten interparlamentarischen Konferenz im Rahmen der Parlamentarischen Dimension der EU-Ratspräsidentschaft, die wegen der Pandemie als Videokonferenz stattfand, wurde auch die Bedeutung eines weiterer Punktes immer wieder betont: Die Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Optimismus in Sachen Impfstoff

Optimismus herrschte in Sachen Impfstoff. Hier gebe es eine sehr vielversprechende Entwicklung, sagte Peter Liese, Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im Europäischen Parlament und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Die klinischen Studien der Phase eins und zwei würden sehr gut laufen. Abgewartet werden müsse nun die Phase drei, ohne die es  - anders etwa als in Russland – in der EU keine Zulassung des Impfstoffes geben werde. Einmal zugelassen könnten aber große Mengen des Impfstoffes in kurzer Zeit hergestellt werden, zeigte sich Liese überzeugt.

Die stellvertretende Leiterin der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission, Sandra Gallina, sagte, die Gespräche mit fünf Pharmaunternehmen seien inzwischen abgeschlossen. Die Hersteller befänden sich im Prozess des Beschaffungsverfahrens. In einem Fall habe die EU-Kommissarin für Gesundheit den Vertrag bereits unterzeichnet.

Grippeimpfung „nicht aus den Augen verlieren“

Andrea Ammon, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), verwies in ihrem Eingangsstatement auf steigende Infektionszahlen in Europa, die sich allerdings sehr unterschiedlich verteilen würden. Zu tun habe das auch mit den unterschiedlichen Testkapazitäten in den einzelnen Mitgliedsländern. Nach wie vor, so Ammon, existiere das Virus. Nach wie vor müsse schnell gehandelt werden. Das betreffe die Kontaktverfolgung ebenso wie die Testeffizienz. Diese Zahlen seien schließlich die Grundlage für wichtige politische Entscheidungen. Wichtig ist es aus ihrer Sicht auch, den Kontakt mit der Öffentlichkeit zu erhalten. Abstandsregelungen, die Nutzung einer Maske und eine Präferenz für das „zuhause bleiben“, brauche es nach wie vor. Nicht aus dem Augen verlieren dürfe man die Grippeimpfung, betonte die ECDC-Direktorin. Dies sei wichtig, um im Herbst und im Winter den Druck auf das Gesundheitssystem zu minimieren.

Schnittstellen für Corona-Tracing App

Während der vom Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU), moderierten Diskussion meldete sich auch Manuel Höferlin (FDP) zu Wort, der den Ausschuss Digitale Agenda leitet. Höferlin nannte die in Deutschland entwickelte Corona-Tracing App „wichtig und hilfreich“. Sie sei auf 17 Millionen Smartphones aktiviert. „Das ist gut, geht aber noch besser“, sagte der Digitalpolitiker. Die Funktionsfähigkeit müsse länderübergreifend gewährleistet sein. Eine entsprechende Schnittstelle zu bauen, damit die App vernetzt werden könne, sei kein Hexenwerk, so Höferlin. Es müsse einfach nur getan werden. „Interoperabilität ist entscheidend, um die Wirksamkeit und die Akzeptanz der App zu erhöhen“, sagte er.

Kohärente Maßnahme innerhalb Europas

Um die Krankheit zu kontrollieren und zu beherrschen, müssten die „großartigen Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden“, sagte Manuel Pizarro, stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments und Mitherausgeber eines Forderungspapiers mehrerer Europaabgeordneter zur EU-Gesundheitspolitik vor dem Hintergrund der Pandemie. „Unsere Systeme müssen interoperabel sein“, forderte auch er. Mit Blick auf die zweite Welle, die seiner Ansicht nach kommen wird, verlangte er kohärente Maßnahme innerhalb Europas – basierend auf einer wissenschaftlichen Grundlage.

Ein positives Beispiel für die benötigte Zusammenarbeit sei das Impfstoffthema. „Das haben wir gut gemacht“, befand Pizarro. So sah das auch Iason Fotilas, Vorsitzender des Ausschusses für Soziale Angelegenheiten im Griechischen Parlament. Es sei eine gute Nachricht, dass ein Impfstoff – wenn er denn zugelassen ist – allen EU-Staaten zur Verfügung stehen wird und niemand ein Monopol darauf haben werde.

Kritik an Privatisierungen im Gesundheitsbereich

Kritik an der EU-Kommission übte Thierry Warmoes, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Belgischen Parlament. Zwischen 2011 und 2018 habe die Kommission 63 Empfehlungen ausgesprochen, um bestimmte Gesundheitsbereiche zu privatisieren damit die öffentlichen Ausgaben sinken. Die Mitgliedstaaten hätten dies weitgehend umgesetzt, was zu einem Verlust an Kompetenzen in Europa geführt habe. „Die Empfehlungen hatten einen negativen Einfluss auf die Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten“, befand Warmoes.

Subsidiaritätsprinzip nicht außer Acht lassen

Diskussionsleiter Rüddel machte zum Abschluss des ersten Teils der Konferenz deutlich, dass auch er die europäische Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Pandemie für richtig und wichtig hält. Nicht vergessen dürfe man jedoch, dass es große Unterschiede zwischen den Gesundheitssystemen in den Mitgliedstaaten gebe. „Daher sehe ich immer noch die nationalen Parlamente in der Verantwortung, die jeweiligen Gesundheitssysteme zu gestalten“, sagte der Bundestagsabgeordnete. Es gelte das Subsidiaritätsprinzip, „damit die Dinge dort geregelt werden, wo sie am besten an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden können“.

Netzwerke für die Gesundheitsforschung

Aus Sicht von Jean-Eric Paquet, Leiter der Generaldirektion Forschung und Innovation der Europäischen Kommission war Europa im Bereich der Forschung auf die Pandemie besser vorbereitet als in anderen Bereichen. Schon Mitte März seien einige Projekte umgesetzt worden, bei denen man beispielsweise auf Erfahrungen im Umgang mit dem Ebola-Virus aufgebaut habe, sagte Paquet während dem von Ernst Dieter Rossmann (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, moderierten zweiten Teil der Konferenz.

Zu diesem Zeitpunkt habe es bereits 50 Expertengruppen in Europa gegeben, die damit befasst waren, Lösungen für den Umgang mit der Pandemie auszuarbeiten. Frühzeitig habe es klinische Studien gegeben – auch seien verschiedene Testmöglichkeiten auf den Markt gebracht worden. „Wir haben es auch geschafft, eine Plattform einzurichten, auf der Forscher aus allen Teilen Europas nicht nur ihre Forschungsergebnisse miteinander teilen, sondern auch ihre erhobenen Daten zu Verfügung gestellt haben“, sagte der Kommissionsvertreter. Noch mehr als in der Vergangenheit müsse es aber im Bereich der Gesundheitsforschung gelingen, die Europäer zusammenzubringen und Netzwerke zu schaffen.

„Handwerkszeug des Wissenschaftlers“

Diese Netzwerke können aber ein Problem darstellen, sagte Professor Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin. „Wir Wissenschaftler leiden unter der Größe der Netzwerke, weil diese einen großen Verwaltungsaufwand mit sich bringen“, sagte der Virologe. Es sei eine Gefahr für die Qualität der Forschung, wenn eher diejenigen zum Zuge kommen, die die Beantragung von Forschungsgeldern professionalisiert haben, bei denen aber der eigentliche Forschungsinhalt „auf sekundärer Priorität stehen kann“. Noch ein Punkt stört Drosten bei der Wissenschaftsförderung. Vielfach sei diese auf Exzellenz orientiert – weniger an dem, was die Gesellschaft tatsächlich benötigt.

Ein ganz wichtiger Aspekt ist aus seiner Sicht die Kommunikation  des Wissenschaftlers. Stichwort Fake-News. Dagegen müsse die Wissenschaft aufstehen, forderte Drosten. Nicht aber, in dem man die Fehlinformation „direkt aufnimmt und versucht zu diskutieren“. Stattdessen müsse man Information liefern, die richtig ist und die gegen die Fehlinformation gestellt werde, so dass diese sich korrigiere. Sichtbar machen „was die eindeutige Richtung der Wissenschaft ist“, müssten die Wissenschaftler aber selber. „Das muss einfach zum normalen Handwerkszeug des Wissenschaftlers werden“, sagte Drosten, der dies selbst in seinem regelmäßigen Podcast im ECDC-Direktorin leistet.

Drosten: Wissenschaft macht Vorschläge

Vom belgischen Abgeordneten Warmoes zum Thema Regierungsunabhängigkeit der Forscher angesprochen, sagte der Virologe, der als einflussreicher Berater der Bundesregierung gilt: „Die Wissenschaft macht nur Vorschläge. Entscheiden muss schlussendlich die Politik.“ Mit den Medien, so Drosten weiter, gerate aber eine weitere Größe in das Spiel. Deren Darstellung lasse das Bild – wer berät und wer entscheidet – manchmal verrücken und so aussehen, als habe der Wissenschaftler die Entscheidung getroffen. Es sei daher auch Aufgabe der Politik, klarzustellen, wer welche Rolle hat, damit diese Grenze von der Bevölkerung auch verstanden wird. Geschehe das nicht, komme es dazu, dass Wissenschaftler zu Unrecht kritisiert werden, da sich die Kritik an die Volksvertreter richten müsste.

Andrea Ammon, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) teilte Drostens Einschätzung. Sie gab zu bedenken, dass es den Wissenschaftler nicht gelehrt werde, ihre Ergebnisse so darzustellen, dass sie von der breiten Bevölkerung verstanden werden. „Diese Fertigkeiten müssen geübt werden und die Rollen müssen klar verteilt sein“, sagte die NDR.

Rossmann: Finanzierung der Forschung nicht auf EU abwälzen

Der Forschungsausschussvorsitzende Rossmann machte abschließend deutlich, dass es eine gesamt-europäische Strategie brauche, die immer auch eine europäische und zugleich eine nationale Strategie sei. Die „Lissabon-Verheißung“ aus dem Jahr 2000, so Rossmann, habe nicht gesagt, „dass drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes durch die EU und deren Forschungsressort geliefert werden soll“. Vielmehr müssten die Forschungsgelder aus den nationalen Haushalten und der freien Wirtschaft entsprechend mitfinanziert werden. Darauf hinzuweisen erscheine ihm „dringender denn je“. (hau/07.09.2020)

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