Besuch

Friedenstaube (Nikolaiviertel)

`Da war eine Inschrift. An die Schrift kann ich mich nicht genau erinnern, obwohl ich hier oft vorbeigegangen bin. Aber ich bin sicher, es war auf keinen Fall was Vernünftiges.'

`Das war eine große Taube, so ein bisschen „picassoresque“, mit diesem Zweig in ihrem Schnabel, sie hatte etwa die Größe einer Etage, aber ich bin da ja nie raufgekrabbelt und habe nachgesehen.'

`Da drüben, wo man diese Reklametafeln sehen kann, war eine Friedenstaube und darunter eine Aufschrift: BERLIN, STADT DES FRIEDENS, oder so ähnlich. Schön fand ich das nicht. Das war so in Gold gehalten, irgendwie protzig, und die Schrift war eigentlich hässlich, aber es passte in dieses Viertel und in diese Zeit. Das muss nicht mehr da sein, aber das finde ich auch nicht sehr schön da.'

`Da stand: BERLIN, HAUPTSTADT DER DDR, HAUPTSTADT DES OSTENS. Die Schrift war ätzend. Und darunter war die Taube von Picasso, in Bronze gegossen. Ich kann nicht so sagen, ob es schön oder nicht schön war. Das kann jeder selbst entscheiden; die Taube, die jetzt an der Spree angebracht ist, gehörte ursprünglich hierher.'

`Man hat das von weitem gesehen. Da war eine Taube, eine gutaussehende Taube, aus Edelstahl gemacht und ein Schriftzug: BERLIN STADT DES FRIEDENS.'

`Gleich ins Auge stechend war sie nicht. Die war auch ein bisschen vergilbt. Ich glaube, da war irgendein Spruch, aber was nun genau, weiß ich nicht. Ich hab' nie auf solche Reklame geguckt.'

`Also, aus Porzellan war es nicht, aber so was Ähnliches. Es muss etwas sehr Wertvolles gewesen sein. Eine Friedenstaube ist immer weiß, also war die Friedenstaube weiß. Wahrscheinlich sollte das eine positive Grundhaltung ausdrücken. Solche verborgenen Dinge wirken oft stärker als offene, wie etwa Kampfgruppendenkmäler oder ein Panzer auf einer Rampe.'

`Man hätte es in Ruhe lassen sollen. Anders als bei anderen Denkmälern habe ich die Friedenstaube nicht als Bedrohung, mir eine geistige Richtung aufzuzwingen, empfunden. Sie fehlt nicht, aber sie könnte wieder dran, denn es war ja nichts Verkehrtes dran, nicht wahr? Das war ja ganz eindeutig: Das war eine FRIEDENSTAUBE. Das haben sogar die Kinder gewusst, dass es ein Symbol des Friedens ist, egal welche Gesellschaftsordnung. Wir gehen ja auch nicht einfach nach West-Berlin und nehmen irgendetwas weg, oder?'

`Das ist natürlich instinktlos, das durch dieses Schild zu ersetzen. Ich erkenne mein altes Berlin kaum wieder. Aber das kann man nicht wieder hinhängen, der symbolische Akt ist durch das Wegnehmen zerstört.'

`Mir fehlt das. Da war dieser große Schriftzug BERLIN, HAUPTSTADT DER DDR, STADT DES FRIEDENS. Ja, ich fand das schön, weil auch dieses STADT DES FRIEDENS ein Ausspruch war, der für die Politik der DDR stand. Das kam 1988 da dran, als das Nikolaiviertel gebaut wurde. Das ist damals eine internationale Auszeichnung gewesen. Das ist uns nicht einfach eingefallen und dann da rangeklatscht worden, sondern Berlin wurde damals STADT DES FRIEDENS. Das war eine Ehrung.'

`Der Spruch BERLIN, STADT DES FRIEDENS war so ein Herzenswunsch vom Staatsratsvorsitzenden, von ihm persönlich ausgesucht, also von Erich Honecker. Für mich war diese Aufschrift Zynismus. In der DDR gab es Frieden, aber es war ein Friedhofsfrieden. Ich finde es schade, dass sie wegkam, weil man das daran thematisieren kann.'

`Die Aussage fehlt mir eindeutig. Es war wichtig, dass Frieden dargestellt wird. Berlin versuchte, als Stadt des Friedens dargestellt zu werden, was sicherlich in dem politischen Kontext nicht einfach war. Es ist wirklich vielen Leuten auf Galle geschlagen. Dieser HAUPTSTADT DER DDR-Teil war mir egal, aber STADT DES FRIEDENS war bezeichnend für mich.'

`Wenn ich es hätte ändern müssen, hätte ich nur STADT DES FRIEDENS weggenommen und das Bild dort gelassen. Das sah aus wie Messing, zumindest goldfarben, einen halben Meter bestimmt in der Größe. Die Taube im Seitenprofil mit so einem Flügel, einem Schnabel und Kopf und soll wohl einer Picassozeichnung nachgebildet gewesen sein. Sie haben das weggenommen, weil Picasso Kommunist war, und sie mögen heute keine Kommunisten mehr. In Paris ist Picasso noch erlaubt, aber hier nicht.'

`So schön war die Taube nicht, aber ich hätte es bei dem Schriftzug belassen. Dies ist auf keinen Fall besser. Die Menschen in Ost-Berlin sind nicht in der Lage, konsequent mit Kapitalismus umzugehen, sonst hätten sie da eine viel bessere und eindeutigere Werbung hingemacht. Eine große Coca-Cola-Werbung wäre konsequenter gewesen.

 

Aus: Calle, Sophie: Die Entfernung, Dresden 1996 (vergriffen).