Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 130. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 12553 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 5 f und 15 12554 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen 12554 A Begrüßung der Präsidentin des Seimas der Republik Litauen, Frau Loreta Graužinienė 12570 A Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 15./16. Oktober 2015 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 12554 D Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) 12559 A Thomas Oppermann (SPD) 12561 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12564 B Volker Kauder (CDU/CSU) 12566 A Norbert Spinrath (SPD) 12568 C Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) 12570 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 12572 D Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) 12573 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12573 D Gunther Krichbaum (CDU/CSU) 12574 C Thorsten Frei (CDU/CSU) 12575 D Tagesordnungspunkt 5: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksachen 18/6185, 18/6386 12576 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6387 12576 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine faire finanzielle Verantwortungsteilung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen Drucksachen 18/3839, 18/6190, 18/4694, 18/6386 12577 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Entlastungsbeschleunigungsgesetz) Drucksachen 18/6172, 18/6381 12577 B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Drucksachen 18/5921, 18/6289, 18/6392 12577 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken Jugendhilfe aufnehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Kindeswohl bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge absichern Drucksachen 18/4185, 18/5932, 18/6392 12577 C Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 12577 C Jan Korte (DIE LINKE) 12579 B Dr. Eva Högl (SPD) 12580 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12582 A Nina Warken (CDU/CSU) 12583 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 12585 C Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 12586 B Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12587 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 12588 B Rüdiger Veit (SPD) 12590 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 12590 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 12590 D Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 12592 B Burkhard Lischka (SPD) 12594 A Namentliche Abstimmungen . . 12595 A, B, C, 12607 D Ergebnisse . . . . 12595 B, 12598 B, 12601 B, 12604 B, 12609 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Kerstin Andreae, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aus dem Pkw-Abgasskandal Konsequenzen ziehen – Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie sichern Drucksache 18/6334 12609 A b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die notwendigen Konsequenzen aus dem Betrugsskandal um Kfz-Abgase ziehen Drucksache 18/6325 12609 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12612 A Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI 12613 D Caren Lay (DIE LINKE) 12616 B Arno Klare (SPD) 12617 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 12618 B Arno Klare (SPD) 12618 D Oliver Wittke (CDU/CSU) 12619 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12620 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12621 D Oliver Wittke (CDU/CSU) 12622 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) 12622 C Birgit Kömpel (SPD) 12623 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12624 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 12624 D Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) 12626 B Johann Saathoff (SPD) 12627 C Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes Drucksache 18/6162 12628 C b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten Drucksache 18/6280 12628 D c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014 des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe Drucksache 18/6294 12628 D d) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken Drucksache 18/6204 12628 D e) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Herdenschutz ist Wolfsschutz – Jetzt ein bundesweites Kompetenzzentrum aufbauen Drucksache 18/6327 12629 A Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses Drucksache 18/6330 12629 A b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland voranbringen Drucksache 18/6341 12629 B Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits Drucksachen 18/5577, 18/6374 12629 C b)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften Drucksachen 18/6157, 18/6369 Buchstabe b und Buchstabe c 12629 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern Drucksachen 18/6158, 18/6369 Buchstabe b und Buchstabe c 12629 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Vierte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/5891, 18/5976 Nr. 2.1, 18/6180 12630 B d)–f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 233, 234 und 235 zu Petitionen Drucksachen 18/6210, 18/6211, 18/6212 12630 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164, 18/4189, 18/4514, 18/6370 12630 D Tagesordnungspunkt 25: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben Drucksache 18/6328 12630 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vierter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/5764 12631 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Amt des Maritimen Koordinators aufwerten Drucksache 18/6347 12631 A Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi 12631 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 12632 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) 12633 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12634 B Johann Saathoff (SPD) 12635 B Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) 12636 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 12637 B Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes Drucksachen 18/5321, 18/6384 12638 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt Drucksachen 18/5219, 18/6384 12638 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekre­tärin BMUB 12638 D Birgit Menz (DIE LINKE) 12639 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) 12640 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12642 A Carsten Träger (SPD) 12643 A Josef Göppel (CDU/CSU) 12643 D René Röspel (SPD) 12644 C Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Milchmarkt stabilisieren – Milchkrise beenden Drucksache 18/6206 12646 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Auslaufen der Milchquote – Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landwirtschaft braucht flächendeckende Milchviehhaltung – Bäuerliche Milcherzeuger stärken – Milchpreise stabilisieren Drucksachen 18/4424, 18/4330, 18/5601 12646 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 12646 B Christian Schmidt, Bundesminister BMEL 12647 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 12649 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12649 D Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) 12651 B Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) 12651 D Kees de Vries (CDU/CSU) 12653 C Rita Hagl-Kehl (SPD) 12654 D Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksachen 18/5865, 18/6234 12656 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekre­tärin BMUB 12656 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 12656 D Steffen Kanitz (CDU/CSU) 12657 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12659 B Hiltrud Lotze (SPD) 12660 C Florian Oßner (CDU/CSU) 12661 B Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken Drucksachen 18/4686, 18/6196 12663 B Michael Roth, Staatsminister AA 12663 B Andrej Hunko (DIE LINKE) 12664 C Thomas Dörflinger (CDU/CSU) 12665 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12666 D Dr. Lars Castellucci (SPD) 12668 A Iris Eberl (CDU/CSU) 12669 A Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften Drucksache 18/6284 12670 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 12670 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 12671 C Jana Schimke (CDU/CSU) 12672 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12673 D Michael Gerdes (SPD) 12675 A Albert Stegemann (CDU/CSU) 12676 A Ursula Schulte (SPD) 12677 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen Drucksachen 18/2870, 18/4512 12678 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Kai Gehring, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bund-­Länder-Aktionsplan „Studentisches Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur“ auflegen Drucksache 18/6336 12678 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 12679 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) 12680 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) 12681 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12682 C Yvonne Magwas (CDU/CSU) 12683 D Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie Drucksache 18/6283 12685 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen Drucksache 18/4329 12685 B Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12685 C Karsten Möring (CDU/CSU) 12686 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 12688 B Ulli Nissen (SPD) 12689 B Michaela Engelmeier (SPD) 12690 A Tagesordnungspunkt 14: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Drucksachen 18/5901, 18/6227 12691 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur abschließenden Beendigung der verfassungswidrigen Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften Drucksachen 18/3031, 18/6227 12691 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ehe für gleichgeschlechtliche Paare – Der Entschließung des Bundesrates folgen Drucksachen 18/5205, 18/6379 12691 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 12691 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 12692 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 12693 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12694 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 12695 C Susann Rüthrich (SPD) 12696 C Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption Drucksachen 18/4350, 18/6389 12697 D Dirk Wiese (SPD) 12698 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 12699 B Reinhard Grindel (CDU/CSU) 12700 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12701 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 12702 B Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts Drucksachen 18/5918, 18/6287, 18/6380 12703 A Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes Drucksachen 18/5925, 18/6292, 18/6383 12703 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6388 12703 C Dr. Nina Scheer (SPD) 12703 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 12704 C Hansjörg Durz (CDU/CSU) 12705 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12706 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 Drucksachen 18/5927, 18/6288, 18/6385 12708 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes Drucksachen 18/5759, 18/6233 12708 B Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes Drucksachen 18/6186, 18/6390 12708 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5579, 18/6369 Buchstabe a 12709 A Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes Drucksache 18/6164 12709 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56 EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz – APAReG) Drucksache 18/6282 12709 C Nächste Sitzung 12709 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12711 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Sven-Christian Kindler, Peter Meiwald, Monika Lazar, Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer und Stephan Kühn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) 12711 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Maria Klein-Schmeink und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) 12713 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci und Dr. Dorothea Schlegel (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) 12714 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Uwe Kekeritz und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) 12715 C Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) 12717 D Klaus Brähmig (CDU/CSU) 12717 D Marco Bülow (SPD) 12718 A Dr. Karamba Diaby (SPD) 12718 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 12718 D Hilde Mattheis (SPD) 12719 A Klaus Mindrup (SPD) 12719 D Mechthild Rawert (SPD) 12723 B Christoph Strässer (SPD) 12726 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12727 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12727 C Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) als Berichterstatter zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 6) 12728 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungspunkt 10) 12728 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) 12729 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 12729 D Ralf Kapschack (SPD) 12730 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 12731 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12732 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts (Tagesordnungspunkt 17) 12733 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) 12733 C Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 12734 C Sonja Steffen (SPD) 12735 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 12736 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12737 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 (Tagesordnungspunkt 19) 12737 C Oliver Grundmann (CDU/CSU) 12737 D Dr. Matthias Miersch (SPD) 12738 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 12739 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12739 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes (Tagesordnungspunkt 20) 12740 B Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 12740 B Michael Thews (SPD) 12741 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 12742 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12742 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (Tagesordnungspunkt 21) 12743 A Reinhard Grindel (CDU/CSU) 12743 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 12743 C Dr. Johannes Fechner (SPD) 12744 B Jan Korte (DIE LINKE) 12744 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12745 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Tagesordnungspunkt 22) 12747 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 12747 A Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) 12747 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 12749 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 12749 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12750 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes (Tagesordnungspunkt 23) 12750 D Alois Rainer (CDU/CSU) 12750 D Carola Stauche (CDU/CSU) 12751 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 12752 A Karin Binder (DIE LINKE) 12753 A Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12753 D Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz – APAReG) (Tagesordnungspunkt 24) 12754 B Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 12754 C Matthias Ilgen (SPD) 12755 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 12756 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12757 D 130. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und möchte Ihnen vor Eintritt in die Tagesordnung eine Vereinbarung zwischen den Fraktionen vortragen, zu der ich Sie um Ihre Zustimmung bitte. Es ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara (siehe 129. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 30) a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses Drucksache 18/6330 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland voranbringen Drucksache 18/6341 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Federführung strittig ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164, 18/4189, 18/4514, 18/6370 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Kai Gehring, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bund-Länder-Aktionsplan „Studentisches Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur“ auflegen Drucksache 18/6336 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen Drucksache 18/4329 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 5 a)  – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksache 18/5088               – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksache 18/5171 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6391 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten Drucksachen 18/4971, 18/6391 Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 5 f – hier geht es um den Antrag mit dem Titel „Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besser schützen“ – soll heute abgesetzt werden. Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 15, der Antrag zum Thema Sport und Fankultur, abgesetzt und stattdessen der Antrag auf Drucksache 18/4329 zum Thema „Sport und Alltag verbinden“ aufgerufen werden. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Ich mache schließlich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 25. September 2015 (125. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) sowie dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie Drucksache 18/5922 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Der am 25. September 2015 (125. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksache 18/5923 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Der am 25. September 2015 (125. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Innenausschuss (4. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) Drucksache 18/5926 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Der am 24. September 2015 (124. Sitzung) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW beenden Drucksache 18/6070 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 4 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 15./16. Oktober 2015 in Brüssel Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. – Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Also verfahren wir so. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Zusammenhalt Europas ist auch 58 Jahre nach Verabschiedung der Römischen Verträge nicht selbstverständlich, sondern er ist ein kostbarer Schatz. Er wird – auch das lehrt die Erfahrung der letzten 58 Jahre – immer wieder auf die Probe gestellt, manchmal sogar auf eine sehr harte Probe. Und doch ist dieser Zusammenhalt Europas so wie damals vor 58 Jahren auch heute unverzichtbar, um die drängenden Fragen, denen wir gegenüberstehen, zu beantworten. Denken wir dabei zunächst an die unverändert große Aufgabe, die europäische Staatsschuldenkrise nicht einfach irgendwie, sondern dauerhaft und nachhaltig zu überwinden, also so, dass Europa nach der Krise stärker ist als vor der Krise. Es ist erst wenige Wochen her, dass die Lage in Griechenland uns alle in Atem hielt und täglich die Hauptschlagzeilen prägte. Mittlerweile scheint das fast schon Ewigkeiten zurückzuliegen. Dennoch dürfen wir natürlich in unseren Bemühungen nicht nachlassen, die Reformprozesse in Europa auf der Grundlage nationaler Eigenverantwortung und europäischer Solidarität fortzusetzen, vorneweg in den von der Krise ganz besonders betroffenen Staaten. Wir dürfen auch nicht nachlassen – da sind wir längst nicht am Ende –, die Gründungsfehler der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu beheben. Dazu müssen wir weiter daran arbeiten, zum Beispiel die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa zu verbessern und zu intensivieren. Denn die gemeinsame Währung steht wie keine zweite Entscheidung des europäischen Einigungsprozesses auch dafür, wie und wie stark wir weltweit unsere Werte und Interessen behaupten können, und dies gerade in einer Zeit schwierigster außen- und sicherheitspolitischer Herausforderungen. Das gilt ganz besonders mit Blick auf die Lage in der Ukraine. Wir werden weiter an der Umsetzung der Minsker Vereinbarung arbeiten, gemeinsam mit Frankreich – im Normandie-Format – und in enger Abstimmung mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehört auch, dass unser Vorgehen bei den gegen Russland verhängten Sanktionen an die Umsetzung eben genau dieses Minsker Abkommens gekoppelt ist und bleibt. Der seit September weitgehend eingehaltene Waffenstillstand, der begonnene Abzug schwerer und leichter Waffen und ganz besonders die Absage der Wahlen bzw. die Verschiebung des Wahltermins in den Gebieten der Separatisten sind der Hoffnungsschimmer, der sich realisiert und von dem ich im Februar, als wir die Minsker Vereinbarung abgeschlossen haben, gesprochen habe. Ich spreche immer noch von einem Hoffnungsschimmer – nicht mehr, aber auch nicht weniger ist es –, aber das bietet uns jetzt die Chance, endlich auch auf dem Weg zu einer politischen Lösung voranzukommen. Der unabdingbare Schlussstein von Minsk ist der vollständige Abzug aller sich illegal in der Ukraine aufhaltenden Truppen und Söldner sowie die vollständige Kontrolle der Ukraine über ihre eigene Grenze. Unser Ziel ist und bleibt die Wiederherstellung der freien Selbstbestimmung der Ukraine und ihrer territorialen Unversehrtheit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, auf dem heute beginnenden Europäischen Rat werden wir auch über den weiteren Prozess zum Referendum in Großbritannien sprechen. Es versteht sich von selbst, dass wir dabei konstruktiv mit der britischen Regierung zusammenarbeiten werden. Das habe ich bei meinem Besuch am letzten Freitag auch dem britischen Premierminister David Cameron noch einmal zugesichert. Aber es versteht sich von selbst, dass es Unverhandelbares gibt, dass es Errungenschaften der europäischen Integration gibt, die nicht zur Disposition gestellt werden können, wie etwa das Prinzip der Freizügigkeit und das Prinzip der Nichtdiskriminierung. Auch das habe ich natürlich deutlich gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt wird es vor allen Dingen an der britischen Seite liegen, in den kommenden Wochen ihre inhaltlichen Vorstellungen noch einmal zu präzisieren. Ich bin überzeugt davon, dass wir am Ende einen tragfähigen Kompromiss finden können. Ich wünsche mir Großbritannien weiterhin als aktiven Partner in einer starken Europäischen Union. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn gerade in Anbetracht der großen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, die wir zu meistern haben, brauchen wir ein Europa, das näher zusammenrückt, statt ein Europa, das auseinanderdriftet. Kein anderes Thema macht in diesen Tagen so deutlich, wie groß die Herausforderung ist, die Europa angesichts der vielen Menschen zu bestehen hat, und wie stark diese uns fordert. Deshalb müssen wir eine europäische Antwort auf die Frage finden, wie Europa auf Herausforderungen wie Krieg und Verfolgung in unserer Nachbarschaft reagiert. Es ist nicht übertrieben, diese Aufgabe als historische Bewährungsprobe Europas zu bezeichnen. Es ist klar, dass die Bewältigung dieser Bewährungsprobe nur gelingen kann, wenn wir parallel an vielen Stellen und auf allen Ebenen ansetzen: national, in den Kommunen, den Ländern, beim Bund genauso wie in Europa und global in der Außen- und Entwicklungspolitik. Denn es gibt ihn nicht, den einen Schalter, den wir zur erfolgreichen Bewältigung dieser Herausforderung einfach umlegen könnten, und dann wäre es geschafft. Abschottung im 21. Jahrhundert ist angesichts des Internets ebenfalls eine Illusion. Sie wäre weder für Deutschland noch für die Europäische Union als Ganzes eine vernünftige Alternative. Also: Nur gemeinsames Handeln aller Ebenen ist der Weg, der den Anforderungen unserer globalisierten und digitalisierten Zeit gerecht wird und mit dem wir es schaffen werden, diese historische Bewährungsprobe zu meistern. In den letzten Wochen haben wir hierbei einiges erreicht, jedenfalls viel mehr als in vielen Monaten und Jahren zuvor. Denken wir nur an das Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am 23. April dieses Jahres, das keine wirklich weitreichenden Beschlüsse zustande gebracht hat. Damals gab es umfangreiche Kritik. 800 Menschen waren im Mittelmeer umgekommen. Nur wenig war als Schlussfolgerung zu sehen. National sind viele ganz zentrale innenpolitische Maßnahmen in dem jetzigen Gesetzespaket enthalten, das dem Bundestag heute zur Entscheidung vorliegt und das in enger Abstimmung mit den Ländern erarbeitet wurde. Ich möchte mich bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben. Es zeigt, dass unser Land nicht nur in Finanzkrisen schnell, flexibel und im Geiste des Miteinanders reagieren kann – Bund, Länder, Städte und Gemeinden –, sondern dass wir, wenn es um alles geht – auch um Kern und Inhalte unserer Grundwerte, also um unsere deutsche und europäische Verfasstheit –, in der Lage sind, zu handeln. Das ist eine gute Botschaft an die Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will hier nur die wesentlichen Stichworte nennen, die unser Gesetzespaket vorsieht. Das sind die Verpflichtungen des Bundes zur finanziellen Unterstützung der Länder und Kommunen, so die Einführung von Pauschalbeträgen, die sich nach der Zahl der tatsächlich aufgenommenen Personen und nach der Dauer der Bearbeitung der Anträge richten. Es sind die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, die Förderung bei der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die Erleichterung des Zugangs zu Integrationskursen, zur Sprachförderung und zum Arbeitsmarkt für Menschen mit guter Bleibeperspektive und die Beschleunigung der Verfahren für Menschen mit geringer Bleibeperspektive, auch um sie anschließend deutlich schneller in ihre Heimatländer zurückführen zu können. Weiter sind es die Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten, die laufende Verbesserung der Ausstattung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, damit Asylanträge künftig schneller bearbeitet und entschieden werden können. Die Verringerung der Anreize, die dazu führen können, dass Menschen aus rein finanziellen Gründen nach Deutschland kommen, bedeutet beispielsweise, dass wir in den Erstaufnahmeeinrichtungen vor allem Sachleistungen zur Verfügung stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das waren einige der Punkte, die wir heute beschließen werden und die wichtig und ein Beispiel für schnelles Handeln sind. So kann man sagen: Es ist Bund und Ländern gemeinsam gelungen, ein gutes nationales Gesamtpaket zu vereinbaren, und ich werbe heute um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage ganz offen: Sich zu enthalten, ist aus meiner Sicht in einer solchen Frage keine Option, die den Menschen im Lande hilft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit diesem in kürzester Zeit erarbeiteten Paket verbessern wir zum 1. November dieses Jahres, also in weniger als einem Monat, die Voraussetzung dafür, dass diejenigen, die aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen und sich daher zu Unrecht auf unser Grundrecht auf Asyl berufen, unser Land schneller als bisher wieder verlassen, damit diejenigen, die tatsächlich vor Krieg und Verfolgung zu uns geflohen sind, sehr viel besser und effizienter als bislang Hilfe von uns allen bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Bund und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben, glaube ich, durch die Entscheidung, gerade die finanziellen Leistungen des Bundes zu erhöhen, deutlich gemacht: Wir alle halten dies für eine nationale Kraftanstrengung, für eine nationale Gesamtaufgabe. Und das ist auch richtig so. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gerade um denjenigen zu helfen, die länger bei uns bleiben – wobei ich auch noch einmal darauf hinweisen möchte, dass nach der Genfer Flüchtlingskonvention der Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten erst einmal auf drei Jahre beschränkt ist und dann geschaut wird, ob sich die außenpolitischen Bedingungen verbessert haben –, ist es wichtig, dass wir ein Gesetzes­paket geschaffen haben, mit dem auch die Integration schneller und besser stattfinden kann, und zwar auf der Grundlage unserer Verfassung, auf der Grundlage unserer Werte und auf der Grundlage unserer Gesetze. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, so wichtig, so richtig und so unverzichtbar alle Maßnahmen unseres Gesetzpaketes auch sind – ihnen werden im Übrigen weitere folgen; wir reden im Augenblick über die Umsetzung von zwei EU-Richtlinien inklusive der Option eines Transitverfahrens im Landgrenzenbereich –, so richtig bleibt es, dass all diese Maßnahmen auf nationaler Ebene bei weitem nicht ausreichen werden, um die historische Bewährungsprobe zu bestehen, von der ich vorhin sprach. Dafür braucht es mehr, und dafür braucht es vor allen Dingen ein gesamteuropäisches Vorgehen. Ich habe dafür beim letzten Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am 23. September geworben, der Bundesinnenminister hat das beim letzten Innenministertreffen am 8. und 9. Oktober getan. Ich habe dafür in der vergangenen Woche zusammen mit dem französischen Präsidenten François Hollande im Europäischen Parlament geworben. Genau dafür werde ich mich heute beim regulären Treffen des Europäischen Rates mit aller Entschiedenheit einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ganz konkret wird es heute in Brüssel darum gehen, die Umsetzung der am 23. September getroffenen Beschlüsse zu überprüfen und, wo notwendig, neue Maßnahmen anzustoßen. Ich danke ausdrücklich dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der mehrere konkrete Maßnahmenpakete vorgelegt hat, die wichtige Schritte beinhalten und in die richtige Richtung weisen. Wir erleben so direkt wie nie, dass in unserer globalisierten Welt Kriege, Konflikte und Perspektivlosigkeit, die es vermeintlich nur sehr weit von uns entfernt gibt, immer häufiger bis vor unsere Haustüren gelangen. Die wichtigste Ursache für die aktuelle Flüchtlingsbewegung nach Europa ist und bleibt der Krieg in Syrien. Um die Situation in diesem von Terror und Gewalt so furchtbar gequälten Land zu stabilisieren und langfristig zu befrieden, brauchen wir natürlich einen Prozess des politischen Dialogs, der auch Russland und andere internationale Akteure, auch regionale Akteure, einbezieht. Um auch das gleich zu sagen: All das braucht einen langen Atem, vielleicht sogar einen sehr langen. Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien vor über vier Jahren mussten wir erleben, dass viele Millionen Menschen flüchten. Das ist einfach nur deprimierend. Wir müssen auch konstatieren: Alle bisherigen diplomatischen Bemühungen haben nicht den geringsten Erfolg gebracht, und nichts – auch das will ich nicht verschweigen – macht uns derzeit Mut, dass sich an der desolaten Lage des Landes, dessen Menschen von Assad und IS gleichsam in die Zange genommen werden, schon in allernächster Zeit etwas Entscheidendes zum Guten wenden könnte. Sollen wir es dann also gleich sein lassen? Sollen wir erst gar nicht versuchen, weiterzumachen? Sollen wir aufgeben? Nein, das kann keine vernünftige Option sein. Deshalb wählen wir sie auch nicht. Wir wollen vielmehr in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft unseren ganz bescheidenen Teil dazu beitragen, dass der Prozess eines politischen Dialogs in Gang gesetzt werden kann. Dem diente die Reise des Bundesaußenministers nach Kuwait, dem dient die Reise des Bundesaußenministers in den nächsten Tagen nach Iran und Saudi-Arabien, dem dient auch meine Reise in die Türkei. Wir verstärken gleichzeitig unsere Bemühungen, immer auch die Länder zu unterstützen, die im Moment den weit überwiegenden Teil der Flüchtlinge aus Syrien bei sich beherbergen und dies auch weiter tun werden. Das sind allen voran die Türkei, der Libanon und Jordanien. Diese Länder verdienen größte Anerkennung für die Hilfe, die sie für die Menschen leisten, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen sind, und sie verdienen unsere Unterstützung, meine Damen und Herren, und zwar ganz konkret. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das verlangt, dass wir uns finanziell stärker als bisher engagieren. Deshalb haben wir auf dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am 23. September dazu aufgerufen, den vor Ort tätigen Hilfsorganisationen 1 Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Die EU-Institutionen haben rasch gehandelt. Im Eilverfahren hat der Rat bereits zusätzlich 200 Millionen Euro aus dem diesjährigen EU-Haushalt genehmigt; dem hat gestern Abend auch das Europäische Parlament zugestimmt. Im kommenden Jahr soll dann die humanitäre Hilfe aus dem EU-Haushalt um zusätzliche 300 Millionen Euro aufgestockt werden. Deutschland hat darüber hinaus seinen eigenen Beitrag bereits um 100 Millionen Euro erhöht. Und ich sage zu: Sollte sich herausstellen, dass diese Zusagen gerade mit Blick auf den anstehenden Winter nicht ausreichen, um die Lebensmittelleistungen wieder zu erhöhen, dann werden wir weitere Mittel einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Denn je besser es uns gelingt, menschenwürdige Bedingungen und Lebensperspektiven in der Nähe der Heimatstaaten der Flüchtlinge wiederherzustellen, desto weniger werden sich Menschen gezwungen sehen, den gefährlichen Weg nach Europa auf sich zu nehmen. Meine Damen und Herren, ohne Zweifel: Eine Schlüsselrolle in dieser Situation spielt die Türkei; denn mit über 2 Millionen Schutzsuchenden trägt sie derzeit die Hauptlast der Fluchtbewegung aus Syrien. Die meisten Kriegsflüchtlinge, die in die Europäische Union kommen, reisen über die Türkei ein. Wir werden die Flüchtlingsbewegung daher nicht ordnen und eindämmen können, ohne mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Das beinhaltet, dass wir der Türkei für die Versorgung der Flüchtlinge und für die humanitäre Hilfe größere Unterstützung zuteilwerden lassen. Das beinhaltet auch, dass wir bei der Grenzsicherung und bei der Bekämpfung krimineller Schlepperbanden zusammenarbeiten; denn es ist nicht hinnehmbar, dass die schmale Meeresrinne, die zwischen der türkischen Küste und den griechischen Inseln und damit zwischen zwei NATO-Partnern liegt, im Augenblick von Schleppern beherrscht wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Türkei hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan vorgelegt, den wir nun rasch mit der Türkei vereinbaren müssen; gestern war der stellvertretende Kommissionspräsident Timmermans in der Türkei. Die Bundesregierung unterstützt diese Bemühungen zusätzlich durch den deutsch-türkischen Migrationsdialog, zu dem morgen die ersten Gespräche stattfinden werden. Ich werde am Sonntag nach Istanbul reisen, um mit den Vertretern der Türkei über die Ergebnisse des heute beginnenden Europäischen Rates zu sprechen. Meine Damen und Herren, ich verstehe, dass manche von uns besorgt sind, ob es Europa in den Beratungen mit der Türkei gelingt, nicht nur aktuelle Interessen in der Flüchtlingsfrage zum Ausdruck zu bringen, sondern immer auch unsere Werte zu behaupten. Führen wir uns dazu vor Augen: Mit der Türkei finden Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union statt. Es gilt – das ist selbstverständlich – das Prinzip: Pacta sunt servanda, Verträge werden eingehalten. Die Verhandlungen der EU mit der Türkei werden ergebnisoffen geführt. Daran hält sich die Bundesregierung, daran halte auch ich mich. In diesem Geiste habe ich in der Vergangenheit alle meine Gespräche mit der Türkei geführt, und so wird es auch am Sonntag wieder sein. Am Sonntag werden alle Fragen – wie die Lage in Syrien, Visafreiheit, sichere Herkunfts- und Drittstaaten, der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus und die Situation der Menschenrechte in der Türkei – auf den Tisch kommen. Wir dürfen jedoch nicht den Fehler machen, jetzt nur noch auf die Fluchtbewegungen über die Türkei in Richtung Europa zu schauen, so wie wir, wenn wir ehrlich sind, im Frühling – also noch vor wenigen Monaten, jedenfalls viel zu lange – nur auf die Fluchtbewegungen über Italien in Richtung Nordeuropa geschaut haben. In einer globalisierten Zeit müssen wir alles mit allem im Zusammenhang betrachten. Deshalb werden wir auch die Zusammenarbeit mit den vielen anderen Transit- und Herkunftsstaaten verstärken, insbesondere in Afrika. Mitte November werden wir mit den dortigen Partnerstaaten auf Malta zu einem EU-Afrika-Gipfel zusammenkommen, von dem wir konkrete und spürbare Fortschritte erwarten; der Europäische Rat wird auch dieses Treffen heute vorbereiten. Wir arbeiten darauf hin, dass die Europäische Union 1,8 Milliarden Euro für eine bessere Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika zur Verfügung stellt. Dabei geht es um die Verbesserung der wirtschaftlichen Perspektiven für die dort lebenden Menschen, aber auch um die Stärkung der Kapazitäten der afrikanischen Staaten im Kampf gegen kriminelle Schlepperbanden. Aber nun noch einmal zurück zur Europäischen Union: Dies umfasst auch, dass wir entschieden weiter daran arbeiten müssen, die Lage an den Außengrenzen der Europäischen Union besser in den Griff zu bekommen. Mit der Entscheidung für Dublin haben wir die Kontrolle im Wesentlichen an die europäischen Außengrenzen verlegt. Das war ein Vertrauensvorschuss, den wir gegeben haben. Wir müssen heute konstatieren, dass diese Kontrolle an den Außengrenzen nicht funktioniert. Deshalb muss sie stärker auf die europäische Gemeinsamkeit gestellt werden, deshalb muss sie effektiver gemacht werden, deshalb müssen wir Personal zur Verfügung stellen. Die Kommission hat bis zu 1 100 Personen angefordert. Gemeldet haben wenige Mitgliedstaaten, unter anderem Deutschland, unter anderem Österreich; aber ich erwarte – das muss Ergebnis dieses Europäischen Rats sein –, dass alle ihren Beitrag dazu leisten. Das ist selbstverständlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dazu gehört, dass wir die europäische Grenzschutzagentur Frontex stärken. Die Mitgliedstaaten müssen, wie gesagt, ihr Personal entsenden. Frontex lebt davon, dass Mitgliedstaaten Personal zur Verfügung stellen. Die Meldungen sind enttäuschend; ich sagte es schon. Dazu gehört, dass wir Hotspots einrichten. Die ersten Arbeiten haben begonnen. An diesen Hotspots an der Außengrenze sollen Flüchtlinge – das wissen Sie –, die in Europa ankommen, unmittelbar untergebracht, registriert und auf ihre Schutzbedürftigkeit überprüft werden. Wir haben im Kreise der Staats- und Regierungschefs vereinbart, dass die Hotspots bis Ende November voll funktionsfähig sein sollen. Die ersten Einrichtungen – es gibt wenige, aber es gibt immerhin Fortschritte – haben inzwischen in Italien und Griechenland ihre Arbeit aufgenommen. Deutschland trägt zum Aufbau der Hotspots bei, indem wir Italien und Griechenland personell und materiell unterstützen. Auch hier sage ich: Das wird nur gelingen, wenn wir das als eine gesamteuropäische Aufgabe verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die sogenannten Hotspots sind sozusagen der Ausgangspunkt einer fairen Verteilung in Europa. Wir haben nach kontroversen Diskussionen und auch einer kontroversen Abstimmung die Verteilung von 160 000 Flüchtlingen beschlossen. Die Umsetzung dieses wichtigen Beschlusses der Justiz- und Innenminister hat begonnen. Ende letzter Woche wurden die ersten Flüchtlinge aus Eritrea von Italien nach Schweden gebracht. Es werden weitere folgen, die von Griechenland nach Luxemburg gebracht werden. Ich weiß, das ist nur ein erster, kleiner Anfang; aber damit ist der Rahmen gesetzt. Seit dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs im September 2015 sind hierzu wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht worden. Ich bleibe unverändert – und das ist die Meinung der ganzen Bundesregierung – davon überzeugt, dass wir einen dauerhaften und verbindlichen Verteilungsmechanismus in Europa benötigen, genauso wie ihn die Europäische Kommission vorgeschlagen hat. Deshalb werden wir weiter daran arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Da wird noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein; aber wir werden nicht nachlassen. Neben der fairen und solidarischen Verteilung ist ein weiteres ganz wichtiges gesamteuropäisches Thema die Rückführung von Menschen, die keinen Anspruch auf Schutz in der Europäischen Union haben. Die Rückführungsquote in der Europäischen Union lag im letzten Jahr bei unter 40 Prozent. Das ist alles andere als zufriedenstellend; da müssen wir besser werden. Aber – ich habe mir die Zahlen sehr genau angeguckt – Deutschland liegt hier nirgends an der Spitze. Deshalb müssen vor allen Dingen wir besser werden; unser nationales Maßnahmenpaket trägt ja genau dazu bei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe bereits im Europäischen Parlament gesagt, dass das Dublin-Verfahren in der Praxis nicht funktioniert. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Europäische Kommission angekündigt hat, im Frühjahr kommenden Jahres einen Vorschlag zur Änderung von Dublin vorzulegen. Wir werden uns auch mit eigenen Vorschlägen daran beteiligen. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Themen, die wir heute beim Europäischen Rat in Brüssel besprechen werden, machen einmal mehr deutlich, wie sehr wir ein Europa brauchen, das sich solidarisch verhält, statt gesamteuropäische Herausforderungen zu Problemen einzelner Mitgliedstaaten zu erklären. Ein Europa, das in einer globalisierten Welt seiner Verantwortung gerecht wird, weil es seine Werte und Interessen weltweit behaupten will, das muss ein solidarisches Europa sein. Alles andere wird scheitern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein Europa, das diese Solidarität annimmt und auch lebt  das wird noch ein mühevoller Prozess; aber ich glaube, dass wir erfolgreich sein können , ein solches Europa, das auf dieser Grundlage arbeitet, wird auch stärker aus dieser Krise hervorgehen, als es in diese Krise hineingegangen ist. Ich werde mich heute beim Europäischen Rat dafür einsetzen und bitte um Ihrer aller Unterstützung. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rüdiger Veit (SPD)  Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin! Es gibt Werte, die man mit Blick auf die großen Traditionen von der Antike bis zur Aufklärung mit gutem Grund und im besten Sinne als europäische Werte bezeichnen kann. Demokratie, Solidarität und auch Gerechtigkeit gehören dazu. Wie wenig die Europäische Union mit solchen Werten zu tun hat, zeigt sich in der Flüchtlingskrise besonders krass. Europäische Einigkeit besteht gegenwärtig eigentlich nur darin, mehr in die Abschottung der EU-Außengrenzen zu investieren – ein Konjunkturprogramm für die Stacheldrahthersteller und für die Schleusermafia statt einer verantwortungsvollen europäischen Flüchtlingspolitik. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für Europa. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Wo leben Sie eigentlich?) Natürlich weiß jeder, dass die Lösung nicht darin liegt, die vielen Millionen verzweifelten Menschen, die weltweit auf der Flucht vor Krieg, vor Bürgerkrieg und vor Terror sind, (Zuruf von der CDU/CSU: Populismus!) in die EU oder gar nach Deutschland zu holen. Aber gerade deshalb wäre es endlich an der Zeit, über die Beseitigung von Fluchtursachen nicht nur zu reden, sondern auch real etwas dafür zu tun, dass es auf dieser Welt weniger Krieg, weniger Bürgerkrieg und weniger Terror gibt. (Beifall bei der LINKEN) Sagen Sie jetzt nicht, das liege nicht in Ihrer Macht. Die Vereinigten Staaten haben ihre Öl- und Gaskriege immer mit Beteiligung europäischer Länder geführt. US-Drohnen morden mit logistischer Unterstützung aus Deutschland. Die Saudis führen ihren Krieg im Jemen unter anderem mit deutschen Waffen. Es ist doch zutiefst verlogen, über die Beseitigung von Fluchtursachen zu reden und gleichzeitig die Waffenexporte ausgerechnet nach Saudi-Arabien zu verdreifachen. So bekämpft man Fluchtursachen nicht, sondern so macht man glänzende Geschäfte mit ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb muss ich Ihnen sagen: Solange Sie Waffenexporte in Spannungsgebiete nicht endlich verbieten, ist das ganze Gerede über die Bekämpfung von Fluchtursachen vollkommen unglaubwürdig. (Beifall bei der LINKEN) Darüber hinaus brauchen wir endlich eine eigenständige europäische Politik gegenüber den Vereinigten Staaten, gerade wenn sie sich als oberster Feldwebel dieser Welt aufspielen und bomben und töten, wo immer es ihnen passt. Ohne den Irakkrieg gäbe es den „Islamischen Staat“ nicht, der heute in Syrien wütet. Das jüngste Kriegsverbrechen in Kunduz mit 22 zivilen Toten, Ärzten und Patienten zeigt erneut den ganzen Zynismus dieser angeblichen Antiterrorkriege. Genau diese Kriege mit ihren Tausenden zivilen Opfern sind es doch, die den Hass säen, auf dem der islamistische Terror gedeiht. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb unterstützen wir es durchaus, dass Sie, Frau Merkel, eben noch einmal für eine politische Lösung für Syrien plädiert haben. Ich denke, es gibt keinen anderen Weg. Auch der IS, der sich in Städten mit Tausenden zivilen Einwohnern versteckt, lässt sich nicht mit Bomben stoppen, und zwar weder mit amerikanischen noch mit russischen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn man den IS stoppen will, dann muss man ihn von Waffenlieferungen und Finanzen abschneiden. Eines der Länder, die in der Vergangenheit genau das Gegenteil getan haben und immer noch tun, die den IS also direkt und indirekt unterstützt haben, ist allerdings die Türkei, und ausgerechnet die soll jetzt unser großer Partner in der Flüchtlingskrise werden, ausgerechnet Erdoğan, der sein eigenes Land durch die Aufkündigung des Friedensprozesses mit den Kurden an den Rand eines Bürgerkrieges führt. (Unruhe) Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, Frau Wagenknecht. – Ich darf sowohl auf der Regierungsbank als auch im Plenum um ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit bitten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Vielen Dank. – Wie gut die Türkei zum sicheren Drittstaat taugt, hat der furchtbare Anschlag mit über 100 Toten am letzten Wochenende gezeigt. Ich finde, es ist eine humanitäre Bankrotterklärung, mit einem Regime zu paktieren, das Journalisten, Kurden und Gewerkschafter verfolgt. (Beifall bei der LINKEN) Frau Merkel, sagen Sie deshalb Ihre Türkei-Reise ab. So kurz vor den Wahlen ist sie nichts anderes als direkte Wahlkampfhilfe für Erdoğan. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Kein Pakt mit Erdoğan!) Natürlich ist es wichtig, dass die Lager vor Ort, in denen sich ungleich mehr Flüchtlinge aufhalten als in der gesamten EU, besser ausgestattet werden. Das erreichen wir aber doch nicht dadurch, dass wir uns für Erdoğans Machtpolitik einspannen lassen, (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Richtig!) sondern indem wir Hilfsorganisationen wie die Welternährungsorganisation der UN besser ausstatten, damit sie ihre Aufgaben dort erfüllen können. (Beifall bei der LINKEN) Ich muss sagen: Sie können doch nicht im Ernst glauben, dass Sie mit einer zusätzlichen Milliarde, die die EU jetzt in Aussicht gestellt hat, die Lebensbedingungen von etwa 10 Millionen Flüchtlingen, die es derzeit in und um Syrien gibt, wirklich verbessern können. Wer so etwas erzählt, der ist doch einfach unseriös. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Inzwischen ist davon auszugehen, dass in diesem Jahr über 1 Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Die Willkommenskultur, die große Teile der Bevölkerung in den letzten Wochen und Monaten an den Tag gelegt haben, ist wirklich bewundernswert. Es ist jetzt aber auch langsam an der Zeit für eine Verantwortungskultur der Politik, und zwar vor allem der Bundespolitik, (Beifall bei der LINKEN) die damit beginnen muss, dass man sich den vorhandenen Problemen stellt, statt sie kleinzureden. Die hundertste Wiederholung Ihres „Wir schaffen das“, Frau Bundeskanzlerin, hilft dem Bürgermeister einer Gemeinde unter Haushaltsnotstand, der eine winterfeste Unterbringungsmöglichkeit für die Flüchtlinge braucht und schon überlegt, in welchen anderen Bereichen er dafür kürzen muss, nicht. Wir erleben zurzeit doch ein eklatantes Staatsversagen, und jetzt rächt es sich, dass die politischen Weichen in diesem Land seit vielen Jahren in die falsche Richtung gestellt wurden. Es ist doch nicht erst seit dem Zuzug der Flüchtlinge so, dass bezahlbarer Wohnraum gerade für diejenigen fehlt, die kein dickes Portemonnaie haben. Das ist seit vielen Jahren so. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Kommunen durch Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen finanziell ausgehungert wurden, sodass viele unter diesem Druck eben ihren Wohnungsbestand verkauft haben. Das ist doch eine Realität. Genauso ist es nicht erst seit dem Zuzug der vielen Flüchtlingskinder so, dass in diesem Land Lehrer fehlen. Schon seit vielen Jahren werden Lehrerstellen abgebaut, weil die Verkleinerung des öffentlichen Dienstes natürlich immer das leichteste Mittel ist, um im Korsett der Schuldenbremse klarzukommen. Einige von Ihnen reden hier von Leitkultur, aber Sie schaffen es noch nicht einmal, zu verhindern, dass wegen des Lehrermangels immer mehr Deutschstunden ausfallen und viele Kinder die Schule verlassen, ohne jemals einen Zugang zu Thomas Manns Der Zauberberg oder Goethes Faust gefunden zu haben. (Beifall bei der LINKEN) Dieses Bildungselend, die Wohnungsnot und auch den riesigen Niedriglohnsektor gab es schon, bevor die Flüchtlinge kamen, aber natürlich werden diese Probleme jetzt ins Extremste verschärft. Die Stimmen, die den ohnehin schon lückenhaften Mindestlohn weiter aufweichen wollen, werden immer lauter. Das heißt, die Zuwanderung soll jetzt auch noch für Lohndumping missbraucht werden. Ich finde das unerträglich. Das muss verhindert werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen stattdessen dringend bessere Sicherungen gegen Lohndrückerei. Wir brauchen ein groß angelegtes öffentliches Wohnungsbauprogramm. Wir brauchen eine massive Aufstockung der Bildungsausgaben. Wer jetzt immer noch meint, dieses Problem ließe sich dadurch lösen, dass man die Budgets ein bisschen umschichtet, der hat, finde ich, den Ernst der Lage nicht begriffen. Natürlich können wir es schaffen. Deutschland ist ein reiches Land. Aber dann muss man eben auch den Mut haben, sich das Geld bei den Reichen zu holen und nicht bei den Armen. (Beifall bei der LINKEN) Allein die 500 reichsten Familien in Deutschland haben ein Privatvermögen in Höhe von über 600 Milliarden Euro. Die zehn reichsten Familien kassieren zusammen Dividenden in Höhe von 2,4 Milliarden Euro im Jahr. Aber statt solch unverschämten Reichtum höher zu besteuern, lassen Sie es zu, dass die Kosten für die Flüchtlinge als Argument dafür herhalten müssen, warum wir unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas nicht ordentlich bezahlen können. Sie lassen es zu, dass Mietern in kommunalen Wohnungen gekündigt wird, um Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Wissen Sie nicht, was Sie damit anrichten? Frau Merkel, Sie haben mehrfach Ihre Aussage wiederholt, dass Sie Menschen in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen wollen. Aber ganz abgesehen davon, dass das freundliche Gesicht mit den geplanten Internierungslagern an der Grenze zu einer ziemlich hässlichen Grimasse zu werden droht, (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Ach!) fragen sich auch viele: Wo war und wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber Menschen in Notsituationen hier im Land? Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber denen, die von Jobcentern gedemütigt und in miese Billiglohnjobs gedrängt werden? (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der alleinerziehenden Mutter, die ihre Kinder nur noch dank des Angebots der Tafeln satt bekommt? (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der wachsenden Zahl von Menschen, denen nach einem langen Arbeitsleben Armut im Alter droht? (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Wo leben Sie eigentlich?) All diese Notsituationen lassen Sie seit vielen Jahren zu – mit einem ziemlich ungerührten Gesicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich erinnere Sie daran, wie viel Geld Sie über Nacht bereitgestellt haben, als deutsche Banken ins Taumeln gerieten. Heute taumeln in Deutschland Städte und Gemeinden, aber Sie hantieren mit Kleinbeträgen. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Ich sage Ihnen: Wer selbst von Zukunftsangst gequält wird, der ist selten bereit, anderen mit offenen Armen eine Perspektive zu bieten. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui!) Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr, statt zuzulassen, dass AfD, Pegida und Co. dort ernten gehen, wo Sie Spannungen und Überforderung gesät haben, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui!) sonst – das muss ich Ihnen sagen – wird mir angst und bange, wenn ich daran denke, wie dieses Land in ein oder zwei Jahren aussehen wird. (Beifall bei der LINKEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Beleidigung der Menschen ohne Geld!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Wagenknecht, auch in Ihrer ersten Rede als neu gewählte Fraktionsvorsitzende ist es Ihnen nicht gelungen, mich mit Ihren Ausführungen zu überzeugen. (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Oberlehrer!) Ich möchte Ihnen trotzdem zu Ihrer Wahl gratulieren. Viele Menschen verändern sich, wenn sie ein solches Amt ausüben. Das wünsche ich auch Ihnen von ganzem Herzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, auf dem heutigen Europäischen Rat müssen die Staats- und Regierungschefs den nächsten großen Schritt zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gehen. Diese Krise kann Deutschland auch zusammen mit Österreich und Schweden nicht allein bestehen. Dazu brauchen wir die Hilfe von ganz Europa. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat aus italienischen und französischen Zeitungen zitiert, Deutschland habe mit seiner Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen, die Ehre Europas gerettet. Es ist gut, dass uns die Aufnahme von Flüchtlingen überall viel Respekt einbringt, aber nach meinem Verständnis ist es nicht die Aufgabe Deutschlands, Europas Ehre zu retten. Europa kann seine Ehre nur selber retten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein erster Schritt dazu war der Beschluss über die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen und die Errichtung von Hotspots in Griechenland und Italien. Dem müssen jetzt weitere Schritte folgen. Das heißt für mich zuallererst: Europa muss an vorderster Stelle stehen, wenn es darum geht, die Fluchtursachen zu beseitigen. Viele Menschen fliehen zu uns, weil es in den Flüchtlingslagern im Nahen Osten nicht mehr genug zu essen gibt. Das können wir schnell ändern. Wir müssen den Ländern, die den größten Teil der Flüchtlinge aufnehmen, mit aller Kraft helfen. Ich möchte Frank-Walter Steinmeier danken: Aufgrund seiner Initiative wurde in New York vereinbart, dass die Etats des Welternährungsprogramms und des UN-Flüchtlingshilfswerks um 1,8 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Das ist ein guter Anfang. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber ich finde, auch die EU muss mehr Mittel mobilisieren, als es auf dem letzten Gipfel vereinbart wurde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Das geht allerdings nur, wenn die EU ihren Haushalt auf den Prüfstand stellt. Er scheint mir völlig aus der Zeit gefallen zu sein. Man kann ihm in keiner Weise ansehen, dass sich diese Welt total verändert hat. Im Jahr 2016 gibt die Europäische Union 150 Milliarden Euro aus, 40 Prozent davon für Agrarsubventionen. 34 Prozent fließen in die Strukturfonds. Für Migration und Entwicklungshilfe gibt es dagegen nur Kleckerbeträge. Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Haushalt, der der weltpolitischen Rolle und Bedeutung Europas gerecht wird, und das heißt für mich: mehr Geld für wirtschaftliche Zusammenarbeit und mehr Geld für die Bewältigung der Flüchtlingskrise. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Eine andere Handelspolitik der EU!) Die zweite große Aufgabe Europas ist die Sicherung der europäischen Außengrenzen. Die Freizügigkeit bzw. die Reisefreiheit, um die uns viele Menschen in der ganzen Welt beneiden, wird nur dann erhalten bleiben, wenn es gelingt, die EU-Außengrenzen zu sichern. Wenn die EU-Außengrenzen offen bleiben, wird Schengen fallen, und das müssen wir unbedingt verhindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sichere Außengrenzen bedeuten keineswegs die Abschottung von Europa. Ganz im Gegenteil: Deutschland wird auch in Zukunft viele Flüchtlinge aufnehmen. Aber das muss in einem geordneten Verfahren geschehen, an dem sich alle Länder Europas beteiligen. Mittelfristig brauchen wir ohnehin ein europäisches Asylverfahren, ein Verfahren, in dem nicht nationale, sondern europäische Gerichte entscheiden. Wir brauchen gemeinschaftliche europäische Standards für Asylbewerber. Denn das, was wir derzeit erleben, ist die Nationalisierung des Asylrechts. Das überfordert einige wenige Länder, und das spaltet am Ende ganz Europa. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für eine bessere Flüchtlingspolitik brauchen wir die Kooperation mit der Türkei. Wir alle wissen, dass die Ausgangslage nach dem furchtbaren Terroranschlag in Ankara und nach dem Kriegseinsatz Russlands in Syrien nicht einfacher geworden ist. Trotzdem müssen wir mit allen Beteiligten reden. Daran führt kein Weg vorbei. Ich finde es richtig, dass die Bundeskanzlerin am Sonntag in die Türkei fährt, und ich bin sicher – das hat sie eben auch klargemacht –, dass sie dort auch die richtigen Worte findet. Nur eine rechtsstaatliche und demokratische Türkei kann ein starker Partner für Europa sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die ersten Reaktionen der Deutschen auf die vielen Flüchtlinge waren offene Herzen und Optimismus. Fast jeder zweite Deutsche hat mittlerweile entweder für die Flüchtlinge gespendet oder ist in irgendeiner Weise selbst aktiv geworden. Das ist das größte zivilgesellschaftliche Engagement, das wir in unserem Land je erlebt haben. Dafür möchte ich allen, die dabei mitgemacht haben, ganz herzlich danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber neben diesem anhaltenden Engagement haben sich auch viele Ängste und Sorgen in der Mitte unserer Gesellschaft entwickelt. Und die müssen wir ernst nehmen. Ich war in der vergangenen Woche mit den Kollegen Jürgen Trittin und Fritz Güntzler bei einer Bürgerversammlung in Friedland. In Friedland leben im Augenblick auf 700 Plätzen 3 000 Flüchtlinge. Zu dieser Bürgerversammlung kamen 450 Menschen. Die haben ihre Sorgen auf den Tisch gepackt. Da war von Überforderung die Rede, von Müll auf den Straßen, von Bedrohungssituationen und Regelverletzungen. (Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Ich bin aber am Ende trotzdem optimistisch aus dieser Veranstaltung herausgegangen; denn es gab überhaupt keine Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit. Und das Ergebnis spricht am Ende auch für sich. Der Bürgermeister hat zugesagt, dass er die Straßenlaternen nachts nicht mehr abdimmt. Das stärkt das subjektive Sicherheitsgefühl. Die Polizei hat zugesagt, dass sie die Präsenz im Lager erhöht, sodass sie bei Konflikten schnell eingreifen kann. Und wir waren uns alle einig, dass wir Flüchtlinge mit Sprachkenntnissen und sozialer Kompetenz viel stärker in die Flüchtlingshilfe einbinden müssen. Was ich sagen will, ist: Man kann etwas gegen Ängste unternehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir dürfen die Menschen nicht wegen ihrer Ängste abstempeln. Wir dürfen die Probleme nicht verschweigen, sonst wenden sich die Bürger von der Politik ab und gehen zu Pegida. Und das müssen wir unbedingt verhindern, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Motto „Wir schaffen das“ ist ein guter Appell an die ehrenamtlichen Helfer; aber der Satz darf jetzt keine bloße Durchhalteparole werden. Jetzt muss der Staat seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Vom „Wir schaffen das“ müssen wir jetzt übergehen zum „Wir machen das“. Das erwarten die Menschen von uns. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin deshalb froh, dass wir heute gemeinsam ein Asylpaket verabschieden werden. Dazu gibt es – und das ist gut – in beiden Koalitionsfraktionen Entscheidungen ohne Gegenstimmen. Wir sind uns einig, dass die Flüchtlinge mit Bleiberecht schnell integriert und die ohne Bleiberecht schnell zurückgeführt werden sollen. Wir sind uns einig, dass die Geschwindigkeit, mit der die Flüchtlinge zu uns kommen, deutlich verringert werden muss. Auch wollen wir bessere Kontrollen an der Grenze. Aber Grenzhaftlager für Tausende von Flüchtlingen werden mit uns nicht zu machen sein. (Beifall bei der SPD) Davon bin ich genauso wenig überzeugt wie von der Idee, ausgerechnet den integrationswilligen Asylbewerbern die Sozialhilfe zu kürzen. Im Übrigen glaube ich, dass es uns im Augenblick nicht hilft, wenn wir jeden Tag eine neue Idee zur Diskussion stellen. Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, das, was wir beschlossen haben, auch tatsächlich umzusetzen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]) Um das zu schaffen, war es richtig, dass die Bundeskanzlerin die Flüchtlingsfrage zur Chefsache gemacht und Peter Altmaier als Gesamtkoordinator bestellt hat. Seine wichtigste Aufgabe ist es, vor dem Wintereinbruch dafür zu sorgen, dass alle Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf bekommen, dass wir in diesem Winter keine Obdachlosigkeit von Flüchtlingen in Deutschland haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist eine große Herausforderung. Dafür wünsche ich ihm ganz persönlich eine glückliche Hand. (Beifall bei der SPD) Die noch viel größere Herausforderung ist aber natürlich die Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen mit Bleiberecht. Das ist keine Frage des Krisenmanagements, sondern eine Daueraufgabe für die nächsten 10 oder 15 Jahre. Sie wird die Politik in Deutschland grundlegend verändern. Ich will das an drei Beispielen aufzeigen: Das erste Beispiel bezieht sich auf den Bereich Bildung. Schätzungen zufolge kommen allein in diesem Jahr 325 000 schulpflichtige Kinder nach Deutschland. Aufgrund der seit Jahren sinkenden Schülerzahlen haben die Länder in erheblichem Umfang Schulkapazitäten abgebaut. Ich würde es als einen ganz schweren Fehler ansehen, wenn wir jetzt die zusätzlichen Schüler aufnehmen, indem wir die Klassen vergrößern und am Ende die Unterrichtsqualität für alle Schülerinnen und Schüler im Lande verschlechtern. Das darf nicht passieren, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, machen!) Das werden die Länder allein nicht bewältigen können. Ich sage ganz klar: Mit dem Kooperationsverbot betreffend Bund und Länder wird das auch nicht gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr habt doch zugestimmt!) Wenn wir sagen: „Wir brauchen eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen bei der Integration“, dann passt ein Kooperationsverbot dazu in keiner Weise. Die beiden Dinge gehören nicht zusammen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, dass die Flüchtlingskrise auch eine große Chance bietet, den Reformstau in diesem Land anzugehen, nicht nur bei der Bildung, sondern auch in anderen Bereichen. Wir dürfen keine Angst vor den Kosten der Integration haben. Deutschland hat nach Japan die älteste Bevölkerung aller Industrieländer. 50 Prozent der Flüchtlinge sind jünger als 25 Jahre. Das ist eine riesige Chance. Deshalb muss diese Krise auch genutzt werden, Probleme zu lösen, die wir sonst nur hätten schwer lösen können. (Beifall bei der SPD) Zweites Beispiel: Wohnen. Wohnungsnot hatten wir schon, bevor die vielen Flüchtlinge gekommen sind. Nun kommt zu der alten Wohnungsnot in den Ballungszentren die neue Wohnungsnot der Flüchtlinge hinzu. Jetzt stellen wir fest: Wir müssen beides angehen. Wir werden praktisch durch die Flüchtlinge gezwungen, auch die alte Wohnungsnot zu beseitigen, und zwar in einer viel höheren Geschwindigkeit, als wir uns das bisher gedacht haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Als das Frau Wagenknecht gesagt hat, hat sich bei Ihnen keine Hand gerührt!) Jedem ist klar, dass wir schnell handeln müssen. Die Flüchtlinge können nicht jahrelang in Notunterkünften belassen werden; das wäre ein sozialer Sprengsatz. In Notunterkünften kann Integration nicht gelingen. Klar ist aber auch: Beim Wohnungsbau müssen wir darauf achten, dass es keine Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und Mietern gibt, die schon lange eine bezahlbare Wohnung suchen. (Beifall bei der SPD) Mein letzter Punkt. Integration kann nur gelingen, wenn die Neuankömmlinge unsere Grundwerte und Regeln kennen und akzeptieren. Deshalb haben wir die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes in arabische Sprache übersetzen lassen und verteilen sie in Flüchtlingswohnheimen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie schön! Die sollen doch Deutsch lernen!) verbunden mit der Aufforderung, mit uns ins Gespräch zu kommen. Die Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowie Religions- und Meinungsfreiheit, all diese Rechte gelten ohne Wenn und Aber. Nur wer das akzeptiert, kann einen Platz in unserer Gesellschaft finden. (Beifall bei der SPD) Ich bin übrigens optimistisch, dass das den meisten gelingen wird; denn die meisten Flüchtlinge sehnen sich nach einem Leben in Freiheit, nach einem Leben ohne korrupte Verwaltung und nach einem Leben ohne religiöse Fanatiker; davon haben sie bislang genug kennengelernt. Aber die Werte sind nicht nur für die Flüchtlinge verbindlich, und Ordnung brauchen wir nicht nur an unseren Grenzen, sondern auch in der Mitte unserer Gesellschaft. Zur Wirklichkeit in unserem Land gehört leider, dass Flüchtlingsheime brennen, Andersdenkende verfolgt werden sowie rassistische und rechtsextreme Hassbotschaften im Internet verbreitet werden. Ich finde es unerträglich, dass hierzulande Bürgermeister und Land­räte mit Gewalt bedroht werden, nur weil sie sich um Flüchtlinge kümmern. (Beifall im ganzen Hause) Ganz schlimm finde ich die Radikalisierung der Pegida-Bewegung in Erfurt und Dresden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung zu Recht geschrieben: „Die Hetze auf der Dresdener Pegida-Demo ist der Begleitchor zu den Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte.“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich meine, dass die Polizei nicht dulden darf, wenn bei solchen Demonstrationen zu Straftaten aufgerufen wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Die Bürgerinnen und Bürger dürfen bei all den Turbulenzen und Verwerfungen, die jetzt auf uns zukommen mögen, nicht das Gefühl haben, dass wir die staatliche Ordnung preisgeben und darauf verzichten, die Schwächeren in dieser Gesellschaft zu schützen; darauf müssen wir achten. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der vergangenen Woche haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, etwas Richtiges getan. Sie haben die Flüchtlingspolitik zur Chefinsache gemacht; das ist konsequent, nachdem Sie nicht als Beschwörung, sondern aus Überzeugung gesagt haben: „Wir schaffen das“, während Ihr Innenminister weiterhin den Eindruck erweckt hat: Ich will es gar nicht schaffen. (Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit! Lächerlich!) In Zeiten, in denen jeder Landrat schnelle Unterstützung braucht, macht sich ein Innenminister Gedanken darüber, warum Flüchtlinge eigentlich noch Geld für ein Taxi haben. Ich will Ihnen das sehr klar sagen: Wenn jemand, nachdem er zwischen 1 000 und 5 000 Euro für fünf, sechs, sieben, acht oder neun Schlepper bezahlt hat, hier ankommt und weiß, dass hier seine Familie oder Verwandte oder Freunde wohnen, zu denen er gehen könnte, dann hat er wahrscheinlich in der Not und in der Hoffnung auf Sicherheit auch noch die Euros, um mit dem Taxi durch Deutschland zu fahren. So eine Diffamierung halte ich für Stimmungsmache, die uns in dieser Situation überhaupt nicht hilft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das gilt auch für Sie, Herr Schäuble, der Sie der Meinung waren, man sollte doch jetzt bitte einmal die Unterstützungsleistung für die Flüchtlinge, die eine Integration wollen und die bei uns Deutsch lernen wollen, kürzen. Sie wissen genau, dass das verfassungsrechtlich gar nicht geht. Deswegen auch hier: Warum solche Stimmungsmache? Wofür ist sie eigentlich notwendig, meine Damen und Herren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Wagenknecht, eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Auch nachdem Sie heute, für mich zum ersten Mal hörbar, Herrn Putin kritisiert haben, muss ich Ihnen leider sagen, dass es mich aufregt, dass Sie hier eine Feststellung nach dem Motto treffen: Wer in Deutschland arm ist, wird auch schnell rechtsextrem. – So geht es nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das hat sie überhaupt nicht gesagt!) Ich kenne ganz viele Menschen in Deutschland, die verdammt wenig Geld haben, die aber helfen, helfen, helfen. Nein, es geht darum, Zusammenhalt in der Gesellschaft zu schaffen, und nicht darum, Stimmung gegen andere zu machen und die einen gegen die anderen aufzubringen. Das gilt für alle Seiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich finde: Ja, wir müssen uns Gedanken um die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger machen, wir alle gemeinsam. Aber wir sollten nicht Ängste und Neid verstärken. Wir sollten doch Zutrauen ausstrahlen. Gerade die Union sollte Zutrauen ausstrahlen. Mich wundert es sehr, dass die CDU/CSU ausgerechnet in dem Moment in eine Identitätskrise gerät, in dem auf der einen Seite christliche Werte und auf der anderen Seite ökonomische Interessen zusammenkommen. Empathie und Ökonomie – das könnte doch Ihre Stunde sein. Kommen Sie doch heraus aus der Angstecke. Nehmen Sie es in die Hand, und sagen Sie mit Überzeugung und mit Engagement, von mir aus sogar mit Enthusiasmus: Ja, wir machen jetzt Politik, und wir kriegen das hin, liebe Bürgerinnen und Bürger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin fest überzeugt: Unser Land ist nicht überlastet, sondern es ist auch nach Monaten, nachdem die Zahl der Anträge sprunghaft angestiegen ist, nicht ausreichend leistungsfähig. Das ist der Punkt. Wir können es und müssen es leistungsfähig machen. Die Frage ist nicht, ob wir es schaffen, sondern wie wir es schaffen, wer sich darüber Gedanken macht und wo der große Plan ist. Ich glaube, dass wir wirklich in einer Situation sind, in der es sehr darauf ankommt, dass die Menschen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik haben können. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn es nicht gelingt, dieses Vertrauen herzustellen, dann werden wir weiter große Pegida-Demonstrationen haben. Wenn wir uns zum Anwalt der Angst machen statt zum Anwalt der Bürgerinnen und Bürger, die wollen, dass es funktioniert, dann haben wir als politische Klasse in der Tat ein großes Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, das ist eine große Herausforderung für Europa. Wir sind das stärkste Land in Europa, und wir werden die Hunderttausende, die auf der Flucht sind, nicht auf arme und fragile Staaten abwälzen können. Da hilft übrigens auch kein schmutziger Deal mit Herrn Erdoğan. Die Vereinbarungen mit der Türkei helfen den Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und der Türkei nicht. Sie sind ein Wahlkampfgeschenk für Herrn Erdoğan, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) für einen Präsidenten, der die Pressefreiheit abschafft, der unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung Kurden bombardiert. Herrn Erdoğan muss man klar sagen, was europäische Werte sind. Ja, man kann der Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen helfen, aber nicht um den Preis eines Rabatts bei der Frage der Menschenrechte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Der Umgang mit den Flüchtlingen ist und bleibt eine gesamteuropäische Aufgabe, eine Aufgabe, die erst in Ansätzen entwickelt ist. Vor zwei Jahren haben die Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben zur Aufnahme festgelegt. Die Umsetzung ist bis heute nicht passiert. Wir brauchen eine gerechte Verteilung. Der Vorschlag der EU-Kommission ist kein Allheilmittel, aber er ist zumindest einmal ein erster Schritt. Doch Achtung: Die Verteilung rein nach Statistik statt nach Sinnhaftigkeit schafft nur neue Probleme. Manche Flüchtlinge haben besondere Sprachkenntnisse, andere haben Familie in Europa. Es geht hier weiterhin um Menschen und nicht um Nummern. Auch das müssen wir berücksichtigen, wenn wir es gut schaffen wollen, und darum muss es ja wohl gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Auffangstationen, die sogenannten Hotspots, in Italien, in Griechenland laufen auf gut Deutsch – Herr Kauder, das ist Ihnen ja immer besonders wichtig – Gefahr, vom Hotspot ganz schnell zum Brennpunkt zu werden. Frau Merkel drängt ja dazu, diese Zentren einzurichten. Aber dann muss man bitte einmal wissen, wozu sie eigentlich da sein sollen. Sind diese Hotspots eigentlich dazu da, um zu registrieren, eine erste Notaufnahme vorzunehmen, oder sind sie eigentlich dazu da, um Ingewahrsamnahme und Abschreckung zu organisieren? Diesen Unterschied müssen wir machen, und wir müssen wissen, wofür sie da sind. Es wird nicht funktionieren – auch nicht mit Hotspots –, die europäischen Grenzen auf eine neue Art dichtzumachen. Frau Merkel, Sie haben ja gesagt: Das Dublin-System ist obsolet. Ja, dann erkennen Sie das bitte auch an, und dann sagen Sie: Das System wird nicht mehr funktionieren, wir brauchen da wirklich ein neues. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Wenn man sich die Situation in den Nachbarländern anschaut, stellt man fest – ich habe das hier schon gesagt –: Immer noch hat das World Food Programme nicht genügend Geld zur Verfügung. Immer noch leben die Menschen in den Unterkünften im Libanon und in Jordanien in einer katastrophalen Situation. Da hilft es nicht, nur ein Bekenntnis abzugeben. Da hilft es nur, eine Geld­überweisung vorzunehmen. Hier muss wirklich Druck ausgeübt werden, damit das am Ende auch passiert. Das ist übrigens noch nicht die Bekämpfung von Fluchtursachen. Fluchtursachen bekämpft man ganz bestimmt nicht wie Herr Putin mit seiner Intervention zugunsten von Assad, die die Lage in Syrien noch weiter verschlimmert. Eine militärische Antwort auf ein humanitäres Problem ist immer falsch. Das gilt auch für die Mission im Mittelmeer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Mission heißt jetzt „Sophia“, und sie soll die Schlepper bekämpfen. Aber solange wir keinen anständigen Weg nach Europa haben, machen wir das Geschäft der Schlepper mit, und das sollten wir nicht wollen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt: Wir schaffen das. – Das war der erste Schritt. Jetzt geht es um Kraft; jetzt geht es um Mühe; jetzt geht es um Haltung. Ich hoffe sehr, dass das auch in der Unionsfraktion endlich und in Gänze so gesehen wird. Ich hoffe, dass sich diese Haltung, die ich nun wirklich für eine absolut christliche halte, auch ausweist in dem, was wir sagen, und in dem, was wir tun. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was christlich ist, entscheidet der liebe Gott!) Dazu gehört die Ehrlichkeit, über Probleme zu reden; viele sind hier angesprochen worden. Dazu gehört es, zu sagen, was es kosten wird, wie viele Lehrer, wie viele Sozialarbeiter, wie viele Wohnungsbauer wir brauchen werden. Dazu gehört es, ehrlich zu sagen: Ja, es wird an vielen Stellen in Deutschland erst einmal eng werden; aber wir haben eine gemeinsame Perspektive. Sorgen wir dafür, dass der rechte Mob, der auf der Straße ist, mit seiner Angstmache in der Ecke steht. Wir als demokratische Kräfte müssen sagen: Die Menschen, die hierherkommen, werden Neubürgerinnen und Neubürger sein, und wir werden mit ihnen zusammenleben, und wir werden alles dafür tun, dass diese Gesellschaft Zusammenhalt organisiert und erlebt und dass wir mit Überzeugung und Kraft gute Politik machen. Vielen Dank (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat Volker Kauder nun das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Anlass für die heutige Debatte und die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin ist eine Sitzung des Europäischen Rates heute und morgen. Da steht natürlich in erster Linie die Frage „Was tut Europa in einer der größten Herausforderungen in der Nachkriegsgeschichte?“ auf der Tagesordnung. Wir alle wissen: Bei allem, was wir national tun – darauf werde ich noch kommen –, werden wir diese Herausforderung nicht allein von Deutschland aus, sondern nur in und mit Europa bewältigen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Umgang mit dieser Situation – das muss jeder in Europa wissen – entscheidet auch darüber, ob die Menschen noch Vertrauen in Europa setzen und hier eine Zukunftsperspektive sehen. Europa muss wissen: Wenn jetzt keine richtige Antwort kommt, dann werden sich viele fragen, welchen Sinn Europa überhaupt noch hat. Deshalb ist es richtig, was die Bundeskanzlerin vorhin gesagt hat. Man muss alles daransetzen, dass sich Europa dessen auch bewusst ist. Es kommt jetzt darauf an, dass Europa erkennt, dass man nicht im Kleinteiligen groß sein kann, aber im Großen kleinteilig bleibt. Das ist die entscheidende Herausforderung, um die es nun geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Da wünschen wir Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, natürlich viel Erfolg und Überzeugungskraft. Dazu gehört auch, dass sich Europa in der Flüchtlingspolitik noch einmal neu sortiert. Die Sicherung der Außengrenzen und Dublin III funktionieren im Augenblick nicht richtig. Vielleicht muss man auch sagen: Schengen kann nur funktionieren, wenn jeder seine eigene Außengrenze sichert. Solange es um ein paar Tausend Flüchtlinge geht, mag dies jeder kleinere Staat mit Außengrenze schaffen, aber wenn es um Hunderttausende geht, zeigt sich, dass dies nicht zu machen ist. Deswegen dürfen wir – dazu brauchen wir eine klare Aussage – die Sicherung der Außengrenzen nicht allein in nationalstaatliche Verantwortung geben, sondern da trägt Europa eine gemeinsame Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu muss sich Europa bekennen. Das wird natürlich Geld kosten. Aber ich kann gut nachvollziehen und verstehen, dass Länder wie Italien, Griechenland und andere, die eine Außengrenze haben, sagen: Den Deutschen fällt es leichter, über die Sicherung von Schengen zu sprechen, weil sie keine Schengen-Außengrenze haben. Darauf antworte ich: Wir sind bereit, mitzuhelfen, dass Europa seine Außengrenzen sichern kann, dass dies auch in Zukunft so geschieht, wie es notwendig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch darüber muss gesprochen werden, Frau Bundeskanzlerin. Da ist, salopp gesagt, höchste Eisenbahn geboten, damit in der Welt klar wird: Europa ist bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Europa ist aber auch bereit, die beschlossene Sicherung der Außengrenzen durchzuführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig, darüber zu reden, dass wir den Ländern, die erste Anlaufstellen sind – Italien, Griechenland –, bei der Registrierung und Unterbringung von Flüchtlingen helfen. In Richtung der Grünen sage ich: Ich habe wenig Verständnis, wenn man – der Begriff „Hotspot“ ist wirklich nicht besonders toll, vielleicht fällt einem da auch ein verständlicherer Name ein – die Erstaufnahmeeinrichtungen als Anstalten diffamiert. Nein, das sind notwendige Maßnahmen, um den Flüchtlingsstrom koordinieren zu können. Deswegen unterstützen wir – ich denke, die Regierung und die Koalition insgesamt – den Aufbau solcher Erstaufnahmeeinrichtungen in Griechenland und in Italien mithilfe der EU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Satz richtig ist, dass Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt, dann ist es doch völlig klar – wenn man sich diese Wirklichkeit anschaut –, dass die Türkei, wie die Bundeskanzlerin zu Recht formuliert hat, eine wesentliche Rolle spielt. Jetzt kann man sagen: Die Türkei spielt zwar eine wichtige Rolle – wenn sie ihre Aufgabe nicht so wahrnimmt, wie wir glauben, dass sie wahrgenommen werden muss, dann wird das Chaos riesengroß –, aber egal; wir reden nicht mit denen. – Dies ist aber eine Form von Politikverweigerung, der wir uns nicht anschließen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Göring-Eckardt, nach der Rede der Bundeskanzlerin wäre der Hinweis auf die besondere Situation in der Türkei gar nicht mehr notwendig gewesen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, gerade! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Frau Kollegin Roth, das machen wir untereinander aus. (Heiterkeit – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt verliert er 100 Prozent!) Es ist doch wirklich bemerkenswert mutig, wenn die Bundeskanzlerin sich in aller Öffentlichkeit an dieses Rednerpult stellt und sagt: „Ich werde, weil es notwendig ist, mit der Türkei reden. Aber es wird kein Thema ausgeblendet. Das geht bis hin“ – wie formuliert worden ist – „zur Situation der Menschenrechte.“ Da kann ich nur sagen: Respekt, wenn man so etwas öffentlich formuliert – und weiß, dass dies im Zweifel auch Erdoğan hört –, weil man weiß, dass man diese Aufgabe anpacken muss. Auch dafür wünschen wir viel Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist aber nicht nur eine große Herausforderung in Europa, sondern es ist auch eine große Herausforderung in unserem Land. Darüber ist schon mehrfach gesprochen worden, und darüber werden wir auch beim nächsten Tagesordnungspunkt sprechen, bei dem es um das Asylpaket geht. Ich bin froh, dass wir diese Vereinbarungen haben treffen können, auch mit den Bundesländern. Bei manchem, das wir jetzt erreicht haben, haben wir uns vor einigen Wochen noch gar nicht vorstellen können, dass es erreicht werden könnte. Deshalb kann ich nur sagen: Wir sind handlungsfähig – ein entsprechendes Signal geben wir auch –, aber wir verschließen uns auch nicht den Fragen der Kommunen und der Menschen. Wir reden mit den Menschen und den Vertretern der Kommunen über das, was getan werden muss. Beispielsweise haben wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für heute Nachmittag die Landräte sowie die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte eingeladen – unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Weit über 200 werden da sein. Wir werden mit ihnen reden und ihnen sagen, was wir jetzt auf den Weg bringen. Manche Forderung, manche kritische Anmerkung ist zu einem Zeitpunkt gemacht worden, als dieses Paket noch gar nicht verabschiedet war und es natürlich auch noch nicht wirken konnte. Darüber werden wir mit den Menschen reden. Ich finde, es ist notwendig, dass man mit den Leuten redet und ihnen auch sagt: Das und das haben wir vor. – Wir dürfen die Katastrophenstimmung nicht immer weiter verstärken, sondern müssen sagen: Wir haben Möglichkeiten, zu handeln, um die Dinge zu verbessern. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen – da gebe ich Ihnen recht –, ist wichtig, damit so Sachen wie die Radikalisierung bei Pegida nicht noch weiteren Zulauf bekommen. Ich teile die Kritik. Was dort geschehen ist, geht überhaupt nicht. Galgen zu zeigen, Schilder dranzuhängen, das ist in einer Demokratie unwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber man darf auf keinem Auge blind sein. Ich fand auch nicht in Ordnung, was die TTIP-Gegner gemacht haben. Eine Guillotine aufzubauen, das ist um kein Haar besser, als einen Galgen zu zeigen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beides geht nicht. Beides muss auch klar angesprochen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin einigermaßen überrascht und auch ohne Verständnis, wenn ich von den ganzen Dingen höre, die mit dem World Food Programme und dem UNHCR zu tun haben. Wie viele andere habe ich Flüchtlingslager im Nahen und Mittleren Osten besucht und mir dort ein Bild verschafft. Dabei hatte ich eindrückliche Begegnungen mit Menschen, die aus dem Süden Syriens kamen, also nicht aus der Gegend um Aleppo herum, mit einfachen Menschen, die mir mittels Dolmetscher gesagt haben: Wir sind Fellachen, kleine Bauern. Wir können nicht lesen, wir können nicht schreiben. Deswegen glauben wir nicht daran, dass eine Zukunft in Europa für uns einfach sein würde. Wir möchten gerne wieder in unser Land, nach Syrien zurück, wenn dort der Bürgerkrieg zu Ende ist. Deswegen sind wir hier an der Grenze zu Syrien – in Jordanien beispielsweise. Wenn diese Menschen aber nun erfahren, dass ihnen die Rationen für Essen und die Mittel, die notwendig sind, um das tägliche Leben zu fristen, von 36 Dollar auf 16, 15 und dann auf unter 10 Dollar gekürzt werden, machen sie sich natürlich auch Gedanken, ob sie es unter diesen Umständen drei Jahre aushalten können oder nicht. Wenn man also etwas als Skandal bezeichnen kann, dann ist das ein Skandal, was da in den Flüchtlingslagern passiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen erwarte ich, Frau Bundeskanzlerin, dass auch das heute Abend im Europäischen Rat angesprochen wird und die Regierungen einmal nachfassen, wann das Geld nun zur Verfügung gestellt worden ist. Frau Wagenknecht, Sie haben kritisiert, dass man nur 1 Milliarde Euro gebe. Ich will Ihnen dazu einmal sagen: „Sie müssen genau hinhören“, und sollten nicht nach dem Motto verfahren: Ideologisch höre ich das, was ich will. – Es ist ausdrücklich gesagt worden: Das Geld, was nötig ist, um ordentliche Existenzen für die Flüchtlinge zu sichern, wird auch gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es bleibt nicht bei der 1 Milliarde, wenn sich herausstellen sollte, dass mehr nötig ist. Das machen wir dann schon. Aber ich will wissen, warum es so lange braucht, bis das Geld ankommt. Wenn die EU Geld gegeben hat – darunter 100 Millionen Euro von Deutschland –, jetzt 350 Millionen Euro und dann 1 Milliarde Euro, warum braucht es dann so lange, bis das Geld ankommt? Dazu kann ich nur sagen: Neben der konkreten Aufgabe, die wir hier haben, ist natürlich die Bekämpfung von Fluchtursachen eine wichtige Aufgabe. Es wird aber nicht möglich sein, in kurzer Zeit alle Fluchtursachen zu beseitigen. Aber eine Fluchtursache für die Menschen in den Flüchtlingslagern ist auf jeden Fall dann gegeben, wenn sie den Eindruck haben, mit ihnen werde nicht anständig umgegangen. Hier kann man schnell Abhilfe schaffen; das kann schon morgen geschehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und das erwarten wir auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben mit dem Paket, das nachher beraten und verabschiedet wird, gezeigt, dass wir in diesem Land, wenn die Aufgaben groß sind, auch verantwortlich handeln können. Wahrscheinlich ist es schon so, Kollege Oppermann, dass man, wenn man vor einer bestimmten Aufgabe steht, auch spürt, welche Verantwortung man hat. Und deswegen, weil sie die Verantwortung spüren, sind grüne Oberbürgermeister in Baden-Württemberg und ein grüner Ministerpräsident bei diesem Paket dabei. Die Grünen hier im Bundestag sind in der Opposition. Okay. Ich erinnere mich aber noch sehr gut daran, dass wir als Union, als wir in der Opposition waren und es um große Aufgaben in der Außenpolitik ging, gesagt haben: Da machen wir mit. Auch wenn die SPD und die Grünen regieren, machen wir da mit, um zu zeigen, dass wir zusammenstehen. – Das hätte ich eigentlich in dieser Situation von Ihnen erwartet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vielleicht sind ja meine Informationen nicht ganz richtig. Deswegen will ich mich korrigieren und sagen: Das erwarte ich von Ihnen. (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ganz ruhig. Ich war doch ganz friedlich. Ich habe doch nur eine Erwartung geäußert. Das werde ich doch noch tun dürfen. Aber wenn Sie mich schon provozieren, dann muss ich Ihnen sagen: Enthaltung hat mit Verantwortung in schwerer Zeit nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das ist es!) Frau Bundeskanzlerin, viel Erfolg heute Abend. Es steht viel auf dem Spiel: dass sich Europa in einer schwierigen Zeit als handlungsfähig erweist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Europäische Union kommt aus dem Krisenmodus nicht heraus. Sie muss sich ständig neu behaupten und ihre befriedende, stabilisierende Wirkung und die Werte, auf denen sie sich gründet, immer häufiger gegen vordergründige nationale Interessen behaupten. Es bleibt zu hoffen, dass zu den augenblicklichen Krisensituationen nicht noch eine neue hinzukommt, dass das Vereinigte Königreich nicht für neue Krisen sorgt. In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass ich es außerordentlich bedauerlich finde, dass es mangels konkreter Vorschläge durch Premier Cameron heute in Brüssel keine substanzielle Debatte über das britische Referendum geben wird, wie das ursprünglich vorgesehen war. Das zeigt mir vor allen Dingen eins: Cameron ist eben nicht der gewiefte Taktiker, als der er oft beschrieben wurde. Er ist eher ein Getriebener. Er handelt ohne Konzept. Er hat sich im Wahlkampf in eine Sackgasse hineinmanövriert. Mit seiner populistischen Kampagne gegen Europa wird er seinem Land langfristig schaden. Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen, dass das Vereinigte Königreich Mitglied der EU bleibt. Sollte Cameron aber aus seiner Not heraus Vorschläge zur Renationalisierung oder zur Schaffung neuer Blockademöglichkeiten vorlegen, dann müssen wir sie ganz klar ablehnen. (Beifall bei der SPD) Ich hatte eigentlich erwartet, dass Cameron seine Vorschläge auf dem Gipfel im Dezember 2015 präsentiert. Der heutigen britischen Presse muss ich aber entnehmen, dass er das auf den März 2016 verschieben will. Vielleicht sollte er das Referendum ganz absagen; denn wenn man den Umfragen Glauben schenkt, sind die Werte sehr besorgniserregend. Ich glaube, Cameron täte für sein Land und für die gesamte Union Besseres, wenn er auf dieses Referendum verzichtete. In der EU müssen die Spielregeln für alle gleichermaßen gelten. Auch die Werte der Europäischen Union müssen weiterhin gelten. Die Europäische Union muss mehr sein als eine Freihandelszone und ein gemeinsamer Binnenmarkt, nämlich eine Wertegemeinschaft, die durch gemeinschaftliche Ziele, solidarisches Handeln und sozialen Zusammenhalt geprägt ist. Gerade die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt doch auf, dass die EU auf dieser Grundlage handlungsfähig sein muss. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass angesichts der immensen Herausforderungen Sorgen wachsen, Sorgen vor einer Überforderung, die sich auch bei uns in Deutschland, insbesondere aber in den jüngeren EU-Mitgliedstaaten zeigen. Aber ich sage ganz nachdrücklich: Bei allem Verständnis für derartige Sorgen müssen wir auch weiterhin dem Vertrauen der Bevölkerung gerecht werden. Wir müssen deutlich machen, dass wir Lösungen haben. Wir müssen die Herausforderungen annehmen, ohne sie zugleich in Überforderungen umzudeuten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen unsere europäischen Partner eben nicht nur auffordern, Solidarität zu üben. Vielmehr müssen wir sie mit unserem so hohen Engagement davon überzeugen, dass die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssituation nur gemeinsam in der EU zu lösen ist. Dabei müssen wir viele nationale Ressentiments überwinden, die mir in den letzten Tagen und Wochen immer wieder in Gesprächen mit europäischen Nachbarn begegnen. Aber wir müssen uns auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst mahnen, unseren eigenen Sprachgebrauch in Richtung auf etwas mehr Demut zu verändern. Wie klingt es, wenn wir der EU und Brüssel im Sommer Versagen vorgeworfen haben, obwohl wir wussten, dass Kommission und EP mutige Maßnahmen vorgeschlagen haben, die aber an einer Reihe von Mitgliedstaaten und nicht an der EU gescheitert sind? Das muss man so klar benennen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Axel Schäfer (Bochum) [SPD]: Das ist genau die Wahrheit!) – Danke, lieber Kollege Schäfer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie klingt es aus unserem Mund, Europas Solidarität hart einzufordern, wenn wir selbst unseren Partnern in der EU Dublin I, II und III aufgedrängt haben und in Deutschland davon am meisten profitierten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und genau dann, wenn in den letzten Jahren unsere italienischen und griechischen Freunde nach Hilfe gerufen haben und Solidarität nicht forderten, sondern erwarteten, mit der kalten Schulter auf Dublin I, II und III verwiesen haben? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wundert es uns noch, wenn wir gerade jetzt bei unserer aktuellen – ich sage einmal – Überflutung mit Flüchtlingszahlen plötzlich Solidarität in seiner wahren Bedeutung definieren, dass unsere Nachbarn irritiert sind und diese Dinge als deutsches Problem bezeichnen? Wir haben in diesen Wochen in Deutschland gemeinsam mit großen Teilen der Verwaltung, mit vielen Organisationen, die dort unterwegs sind, mit vielen Menschen aus der Bevölkerung die Situation zwar mit sehr großen Anstrengungen, aber auch mit großer Empathie vorbildlich bewältigt. Nebenbei bemerkt, Frau Wagenknecht: Wer diese großartige Leistung so kleinredet, wie Sie es tun, muss sich nicht wundern, wenn Pegida und AfD Aufwind erfahren. (Beifall bei der SPD – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Was?) An die Verantwortlichen in Dresden gerichtet: Wer Galgen zeigt und damit zur Lynchjustiz auffordert, gehört nicht in die Abendausgabe der Tagesschau oder in das heute journal und nicht auf die Titelseiten der Presse, sondern der gehört in den Knast. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Axel Schäfer (Bochum) [SPD]: Sehr wahr!) Aber gerade weil wir diese Situation so vorbildlich bewältigt haben, versetzt uns das nun in die Lage, gemeinsam und partnerschaftlich, nicht mit dem großen Knüppel fordernd, mit den anderen Mitgliedern der europäischen Familie neue Wege zu suchen, neue Wege hin zu einer echten gemeinsamen europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik. Wir müssen das Dublin-System ablösen. Wie schon die Bundeskanzlerin ausführte, ist es nicht mehr zielführend. Es hat nie wirklich funktioniert. Wir müssen das vom JI-Rat beschlossene Quotensystem um einen permanenten Verteilungsmechanismus erweitern. Dies sind richtige Ansätze, die aber allein das Problem nicht lösen können. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Anreize für die Mitgliedstaaten schaffen, das Quotensystem dann auch zu erfüllen. Dafür müssen sie nach meinem Verständnis Mittel aus dem EU-Haushalt erhalten, aber auch zurückzahlen, wenn sie ihre Quote nicht erfüllen oder die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge das Land wieder verlassen. Der Haushalt muss dafür aufgestockt werden. Wir brauchen gleiche Standards beim Asylverfahren. Wir brauchen gleiche Standards bei der Verfahrensdauer, bei Anerkennungsquoten. Wir brauchen vergleichbare Standards bei Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen. Nur dann wird es möglich sein, auch den Flüchtlingen klarzumachen, dass sie in jedem Land in der Europäischen Union bleiben können, das ihnen zugewiesen wird. Dazu können wir uns auch weitere Anreize vorstellen, auch für Flüchtlinge. Aber wir müssen insgesamt dafür Sorge tragen, dass wir wirklich zu einer echten gemeinsamen europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik kommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Norbert Spinrath (SPD): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wenn dies nicht gelingen sollte, wenn sich die Mitgliedstaaten auch weiterhin auf ihre Kirchtürme und ihre egoistischen nationalen Interessen zurückziehen, wenn sie wieder Zäune bauen und Kontrollen an den Binnengrenzen aufnehmen, dann liebe Kolleginnen und Kollegen, verliert die EU ihr Fundament, ihre Werte. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die überwiegende Mehrzahl des Deutschen Bundestages unterstützt die humanitäre Politik, die wir hier betreiben. Der Europäische Rat muss dem heute Abend folgen und muss eine menschliche, insbesondere aber eine solidarische europäische Antwort auf diese europäische Flüchtlingsfrage finden,  – Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, es hilft alles nichts. Norbert Spinrath (SPD): – sowie für die Aufnahme von schutzsuchenden Menschen und bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Setzen Sie sich heute und morgen in Brüssel dafür ein. Danke. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben die Präsidentin des Seimas der Republik Litauen, Frau Graužinienė, und ihre Delegation Platz genommen. (Beifall) Ich begrüße Sie herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich für die intensiven und guten Gespräche, die wir gestern miteinander geführt haben. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit unserer beiden Parlamente. Nun hat der Kollege Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa lebt seit 70 Jahren in Frieden, abgesehen von einigen Auseinandersetzungen beispielsweise auf dem Balkan. Aber die Welt ist nicht friedlicher geworden. Es gibt zig Millionen Menschen, die ihre Heimat, die Region, in der sie geboren und aufgewachsen sind, verlassen mussten und in der Welt umherirren. Mit jeder Krise, mit jedem Konflikt, meine sehr verehrten Damen und Herren, steigen die Flüchtlingszahlen – heute Af­ghanistan und Syrien, morgen Pakistan und Bangladesch, übermorgen die Sahelzone, Subsahara-Afrika und Afrika insgesamt. Deswegen ist die Frage, welche Rolle Europa in diesem Szenario, das sich nicht von selbst auflösen wird, in Zukunft spielen wird. Haben wir, so stellt sich die Frage, die Pflicht, diesen vielen Millionen Menschen auf der Welt zu helfen? Ich kenne niemanden in diesem Haus, der nicht sagen würde: Ja, wir haben die Verpflichtung, nach unserer Kraft und unserer Leistungsfähigkeit das zu tun. – Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet doch nicht, dass wir diese zig Millionen Menschen alle zu uns holen können – auch das weiß doch jeder. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt doch auch niemand! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen ihnen in ihrer Heimat, in der Nähe ihrer Heimat helfen, wir müssen Fluchtalternativen schaffen. Jeder weiß, dass wir sie nicht alle hierherholen können. Deswegen, meine Damen und Herren: Hören Sie bitte auf, die deutsche Bevölkerung einzuteilen in diejenigen, die den Flüchtlingen helfen wollen, und diejenigen, die nicht helfen wollen. Alle wollen helfen, nur haben die einen andere Vorstellungen als die anderen, wie man helfen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Unser Asylrecht und auch die Flüchtlingskonvention sehen vor, dass wir Menschen in Deutschland und Europa aufnehmen. Aber wie viele kann Europa aufnehmen? 5 Millionen, 10 Millionen, 50 Millionen, 200 Millionen? (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Asylrecht kennt keine Begrenzung! – Weiterer Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wer beantwortet diese Fragen? (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Sie nicht! Offensichtlich!) Und wie beantwortet man diese Frage, nach welchen Kriterien? Die Zahl derjenigen, die wir aufnehmen, kann nur so hoch sein, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen, unsere eigene Stabilität nicht gefährden. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können nur so viele aufnehmen, wie wir integrieren können, ohne unsere Kultur, unsere Identität zu gefährden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles leere Sätze! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie sich!) Wie viele das sind, entscheidet jedes Land in seiner eigenen Souveränität. Wir Deutschen entscheiden das in unserer Souveränität. Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere europäischen Nachbarn entscheiden das in ihrer Souveränität. Ich höre immer, dass die Deutschen sagen: Wissen Sie, unsere Geschichte zwingt uns zu diesem und hält uns von jenem ab. – Aber auch die anderen haben eine Geschichte – die Ungarn, die Tschechen, die Slowaken, die Kroaten, die Slowenen, die baltischen Länder –, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Vielleicht haben die doch eine andere Geschichte! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh mein Gott! Das tut weh, was Sie sagen!) und sie entscheiden mit ihrer Mentalität und aus ihrer Geschichte heraus, wie viele aufgenommen werden können. Das ist europäisch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie brauchen nicht unseren moralischen Zeigefinger, sondern sie haben ihre eigene Souveränität. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise und die Reduzierung des Zustroms auf das verkraftbare Maß, meine Damen und Herren, ist eine Herausforderung für die gesamte Europäische Union; aber sie ist auch eine Chance. (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Es ist eine Chance, weil Europa beweisen kann, dass es nicht nur in der Lage ist, technokratische Vorschriften, Richtlinien und Verordnungen zu schaffen, sondern auch in der Lage ist, existenzielle Probleme der Bürgerinnen und Bürger unserer Länder zu lösen. Darin besteht eine Chance, und diese Chance muss Europa jetzt ergreifen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will ganz konkret werden und sagen, was jetzt geschehen muss: Erstens. Wir müssen die territoriale Integrität Deutschlands und Europas wirksam wiederherstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jeder Staat muss in der Lage sein, sein Staatsgebiet und seine Grenzen zu schützen, sonst verliert er seine Sicherheit, seine Staatlichkeit und das Vertrauen seiner Bürger. Deswegen ist das das oberste Prinzip. Wir haben heute die Situation, dass wir die Sicherung unserer Grenzen auf die europäische Ebene übertragen haben, jedenfalls teilweise. Wir haben gesagt: Ja, wir verzichten auf Grenzkontrollen, wenn wir Europäer gemeinsam unsere Außengrenzen schützen. – Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht es darum – und das ist das allerwichtigste Ziel, das jetzt erreicht werden muss –, die Außengrenzen Europas wirksam und lückenlos zu schützen und dafür zu sorgen, dass nur so viele nach Europa kommen, wie wir verkraften können und wie mit unserer Integrationskraft auch aufgenommen werden können. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Friedrich, lassen Sie eine Zwischenbemerkung zu? Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Nein, keine Zwischenbemerkung. – Es ist entscheidend, dass wir das jetzt schaffen, und zwar nicht irgendwann, nicht nächstes Jahr, auch nicht irgendwann in ein paar Monaten, sondern jetzt. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist der Europäische Rat heute von ganz großer Bedeutung; denn er stellt genau diese Aufgabe in den Mittelpunkt. Wir müssen alle Kräfte dafür verwenden, diese Aufgabe zu erfüllen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wie denn? Wie denn? Schießen, oder was? – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und ich sage auch: Wenn es uns nicht gelingt, die Sicherheit und die Integrität Europas herzustellen, (Zuruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) dann ist nicht nur Dublin, sondern dann ist auch Schengen beendet. Dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann bauen wir eine Mauer!) als wieder unsere deutschen nationalen Grenzen zu schützen. Auch das ist eine Wahrheit, die auf dem Tisch liegt und über die wir reden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie nach Bayern, Mensch!) Zweitens. Was muss noch geschehen? Wir müssen gegenüber den Menschen in den Krisenländern und in den Flüchtlingslagern das klare Signal aussenden: Wir können nicht mehr aufnehmen, als es unsere Integrationsfähigkeit zulässt. Unsere Kapazitäten sind weitgehend erschöpft. Es ist kein besonderer Ausweis von Nächstenliebe, den Menschen dort Illusionen zu machen, die dann wie die Seifenblasen platzen, wenn sie hierherkommen. Deswegen war es richtig, dass wir vor drei Wochen Grenzkontrollen eingeführt haben; da ist viel rumkritisiert worden. Es war wichtig, das Signal zu setzen: Hier gibt es eine Grenze, (Christian Petry [SPD]: Das hat doch nichts genutzt! – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) hier beginnt ein Gebiet, in dem wir in der Lage sind, unser Recht durchzusetzen. Drittens. Es ist ganz wichtig, dass wir – Volker Kauder hat recht, wenn er sagt: „Hotspots“ ist kein schöner Begriff – die Aufnahme- und Registrierungszentren an den europäischen Außengrenzen errichten und dort trennen zwischen denen, die eine Bleibeperspektive haben, und den anderen, die zurückgeschickt werden müssen, und das auch tun. Das ist jetzt wichtig. Das ist ein zentrales Anliegen. Das ist ein wichtiges Zeichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bayern hat Erstaufnahmezentren für die Balkanzuwanderer errichtet; das ist oft kritisiert worden, wird aber jetzt von allen Bundesländern kopiert. Man hat klipp und klar gleich gesagt: Wir brauchen schnelle Verfahren, und wir müssen, wenn die Voraussetzungen nicht gegeben sind, die Menschen zurückschicken. – Ich glaube, dass diese Erstaufnahmeeinrichtungen, zum Beispiel in Bamberg – jetzt entstehen sie im ganzen Land –, dazu beigetragen haben, dass die Quote der Balkanzuwanderer nachhaltig reduziert worden ist. Das ist ein erster Erfolg und zeigt, dass man nur die richtigen Signale aussenden muss. Wir brauchen Transitzonen an den deutschen Grenzen, (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) die nicht, wie die SPD behauptet hat, Hafteinrichtungen sind, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie werden es aber!) weil das ein notwendiges Stoppsignal an unseren Grenzen ist, ein Stoppsignal, das gesendet werden muss, damit es verstanden wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Hilflos ist das, was Sie hier erzählen!) Viertens. Wir müssen sichtbar und erkennbar zurückführen. Das passiert an den Hotspots. Die Europäische Kommission hat eine Migrationsagenda vorgelegt, in der Rückführung vorgesehen ist. Diese Migrationsagenda wird im Europäischen Parlament beraten, leider nur unterstützt von der EVP und bekämpft von den Sozialisten, an der Spitze die deutschen Sozialdemokraten. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist echt im Lagerkoller!) Ich möchte Sie wirklich bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie können hier doch nicht so reden, aber in Brüssel Ihre Leute laufen lassen, die permanent die Rückführungsbemühungen der Europäischen Kommission torpedieren. Sorgen Sie auch da für Ordnung! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Was für ein Quatsch! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Große Koalition zerstritten in der wichtigsten Frage! Das ist ja großartig!) Fünftens. Wir brauchen eine stärkere Kooperation mit unseren Nachbarländern außerhalb der Europäischen Union. Deswegen sind die Gespräche mit der Türkei von zentraler Bedeutung. Wir brauchen diese Kooperation, und zwar nicht nur, weil die Türkei bei der Beseitigung von Fluchtursachen eine Schlüsselrolle hat, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Orbán Ihr neuer Freund? Das ist ja unglaublich! Erst Orbán und dann Erdoğan!) sondern auch, weil die Türkei bei der Steuerung der Flüchtlingsströme eine entscheidende Rolle spielt. Ich glaube, dass es ganz selbstverständlich ist, dass wir dem Anliegen der Türkei auf finanzielle Entlastung nachkommen. Wir können den Türken nicht zumuten, dass sie die Menschen dort aufnehmen, sie nicht weiterleiten und gleichzeitig die Kosten in vollem Umfang tragen. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen sie schon seit vier Jahren!) Hier müssen sich die Europäer, hier müssen auch wir uns beteiligen. Ich halte das für ein wichtiges Anliegen. Und wenn man den Türken in anderer Weise entgegenkommen kann – natürlich immer unter Beibehaltung der Kriterien, die wir beispielsweise hinsichtlich Visaliberalisierung aufgestellt haben –, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) dann ist das ein Thema. Nur eines sollte nicht auf die Agenda kommen, weil es damit überhaupt nichts zu tun hat, und das ist die Frage des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist ein Thema von so grundsätzlicher Bedeutung, dass es nicht im tagespolitischen Handel gelöst werden kann. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie hier eigentlich für rhetorische Purzelbäume? Das ist doch alles ein schlechter Witz, Herr Friedrich! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worüber reden Sie?) Meine Damen und Herren, es geht darum, Grenzen zu sichern, Signale zu setzen, Kooperationen einzugehen und darum, lieber Gerd Müller, sich gemeinsam in Europa Afrika zu widmen, und zwar noch bevor sich die Afrikaner auf den Weg machen, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die machen sich schon auf den Weg! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirr und chaotisch, Herr Friedrich!) bevor alle nach Europa kommen wollen. Es geht darum, sich darum zu kümmern, dass dieser Kontinent, Afrika, den Menschen eine Zukunft bieten kann. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brandstifter!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Klaus Ernst das Wort. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Dr. Friedrich, das war ja eine sehr schneidige Rede. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja!) Stellen wir uns mal vor, Sie wären bei Anne Will gewesen und nicht die Kanzlerin, und Sie hätten das bei Anne Will gesagt. Stellen wir uns das mal einen Moment lang vor. – Ich möchte bei dieser Gelegenheit der Kanzlerin ausdrücklich für dieses Interview danken, das sie Anne Will gegeben hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das war eine ganz klare Botschaft. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nehmen Sie einmal die Hand aus der Tasche!) Herr Friedrich, nachdem Sie sehr deutlich gesagt haben, wo Sie in dieser Auseinandersetzung stehen, hätte ich von Ihnen gerne eine Frage beantwortet: Die Grenzen zu sichern, die Außengrenzen, möglicherweise auch die der Bundesrepublik, das ist, wenn 10 kommen, noch möglich, bei 100 vielleicht auch noch, bei 1 000 – schauen Sie sich das in Ungarn an – wird es schon kompliziert. Aber was wollen Sie bei 10 000, bei 100 000 oder bei 200 000 machen? Wie wollen Sie die Grenze sichern? Glauben Sie, dass da ein kleines Zäunchen reicht? Meinen Sie, dass Sie die Menschen, die kommen, weil sie bedroht sind, in dieser Größenordnung aufhalten können? Das ist eine berechtigte Frage, die auch die Kanzlerin gestellt hat. Glauben Sie wirklich, dass Sie mit einem Zaun oder drei, vier Grenzpolizisten, die ein bisschen mit dem Knüppel wedeln, die Menschen daran hindern können, ihre Existenz zu sichern, wenn sie das wollen? Wollen Sie – das wäre ja die Konsequenz, Herr Friedrich –, dass irgendwann an den Grenzen geschossen wird, um die Grenzen zu sichern? Wo hören Sie auf? (Zurufe von der CDU/CSU) – Die Frage ist doch berechtigt. (Beifall bei der LINKEN) Wie wollen wir denn die Menschen aufhalten, wenn sie kommen? Darauf haben Sie in Ihrer schneidigen Rede keine Antwort gegeben, Herr Friedrich. Ich hätte darauf aber gerne eine. Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen: „Wir machen zu“? Mit welchen Mitteln wollen Sie die Menschen aufhalten, wenn sie mit ihren Kindern im Arm am Zaun stehen und rüber wollen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie mal zu!) Herr Friedrich, ich habe den Eindruck, diese Rede, die Sie hier gehalten haben, war vielleicht wichtig für die AfD in Bayern, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht es! – Michael Brand [CDU/CSU]: Setzen Sie sich hin! Disqualifiziert!) aber nicht so sehr für die Auseinandersetzung, die wir in dieser Frage hier eigentlich zu führen haben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Lieber Herr Ernst, an dem, was Sie hier sagen, wird deutlich, dass Sie ein Radikaler sind. (Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie sind ein Radikaler. Es ist unglaublich, dass Sie mir unterstellen, dass ich wollte, dass an Grenzen geschossen wird. Das ist unsäglich. Nehmen Sie das bitte zurück! Das, was jeder Staat, was jedes Staatsgebilde ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen kann, verlange ich auch für Europa; und wenn Europa dazu nicht in der Lage ist, verlange ich das für unser Land, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wie zwischen den USA und Mexiko? Soll es so aussehen?) nämlich dass wir unsere Grenzen sichern und dafür sorgen, dass wir über unsere Grenzen die zu uns reinkommen lassen, die wir nach unseren Vorschriften und nach unseren Möglichkeiten hereinlassen können. Das ist das, was ich fordere, und das ist das, was auch die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa von ihrem Staat erwarten: dass die Staaten wirksam in der Lage sind, ihr Staatsgebiet zu schützen. Wir können das doch nicht aufgeben! Das ist ein staatsrechtliches Thema. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist doch unglaublich, was Sie hier sagen: Wir sind nicht in der Lage, unsere Grenzen zu schützen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie?) Wir müssen in der Lage sein, unsere Grenzen zu schützen. Das ist etwas, was wir auch erreichen können. Das ist der Sinn und Zweck des Europäischen Rates von heute, und das ist auch der Sinn und Zweck all der Verabredungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Friedrich, wir sind nicht im Krieg!) Ich hoffe, dass sie funktionieren; denn wenn sie europäisch nicht funktionieren, müssen sie national eingeführt werden. Das ist meine Forderung. Das habe ich gesagt und sonst nichts, Herr Ernst. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie haben es anders gemeint! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja unglaublich!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Kollege Friedrich, entschuldigen Sie bitte – ich respektiere Sie durchaus –, aber das gerade war eher eine persönliche Transitzone, die Sie hier auf dem Weg nach irgendwohin abgeliefert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte Ihnen gerne einen Satz entgegenhalten, den der ehemalige CDU-Sozialminister aus Nordrhein-Westfalen, Konrad Grundmann, gesagt hat. Er hat in Bezug auf den Karneval – Ihre Rede hat mich gerade daran erinnert –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie nicht den Karneval so schlecht!) einmal gesagt, man solle das Unglück der Vertriebenen und Flüchtlinge nicht zum Gegenstand von Büttenreden machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt frage ich mich: Warum klatschen Sie nicht mit – denn Ihre Partei hat doch die Leistung vollbracht, Vertriebene und Flüchtlinge in dieses Land zu integrieren –, statt zu sagen: „Das Boot ist voll; wir haben keinen Platz mehr“? Es ist doch auch Ihre Geschichte, die Sie hier erwähnen könnten, auch und gerade in Bayern, und auch als CSU! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich glaube, Sie müssen der Größe der Herausforderung gerecht werden. Dieses Niveau der Debatte wird es nicht. Denn wir müssen erkennen: Selbst wenn wir versuchen würden, uns vollständig abzuschotten, sogar bewusst um den Preis, dass Menschen an unseren Grenzen zu Schaden kommen könnten, wäre damit niemandem gedient: den betroffenen Menschen sowieso nicht – sie würden trotzdem Mittel und Wege suchen und finden, zu uns zu gelangen – und auch uns selbst in Europa nicht. Denn Abschottung und Abriegelung im Zeitalter des Internets sind eine Illusion, Herr Friedrich. Und jetzt klatschen Sie! Das ist nämlich etwas, was Ihre Kanzlerin letzte Woche im Europäischen Parlament gesagt hat. Aber bei Ihnen rührt sich keine Hand. Keine Hand rührt sich bei Ihnen dazu! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Kanzlerin Merkel hat letzte Woche dargelegt, dass Europa seine Rolle in der Welt nur behalten kann, wenn es bei dieser historischen Herausforderung zu seinen Werten steht. Die Werte der Europäischen Union sind christlich, humanistisch, jüdisch, und ganz oben steht der Wert der Nächstenliebe. Dass ich das den Parteien mit dem „C“ hier erklären muss – Ihre Kanzlerin schafft das anscheinend schon nicht –, ist eine Schande; das muss ich wirklich sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte noch eines sagen, Frau Merkel. Wir haben in Europa die Angewohnheit, immer die aktuelle Krise nach ganz oben zu stellen; das haben auch Sie angesprochen. Europa wird der Herausforderung, die die Geflüchteten mit sich bringen, und den Anstrengungen, die von uns gefordert werden, auch im Hinblick auf die Stabilität in unserer Nachbarschaft, nur dann gerecht werden können, wenn wir auch die Reformen, die wir zu Hause machen müssen, entschlossen angehen, die Wirtschafts- und Währungsunion geschlossen vertiefen, für starke europäische Institutionen sorgen, dabei auch die Demokratiefrage stellen und nicht zulassen, dass sich neue Spaltpilze in Europa entwickeln. Nichts wird einfacher zu lösen sein, wenn man einzelne Staaten hinausdrängt oder einen Kahlschlag bei den Werten zulässt, wie man ihn bei Herrn Cameron zum Teil vermuten kann. Auch dafür wird Ihr Einsatz auf dem Europäischen Rat gebraucht. Lassen Sie nicht länger die ökonomische Herausforderung der Euro-Krise hinten herunterfallen. Wir müssen auch hier entschlossen vorangehen. Nur ein starkes Europa, das zusammenhält, wird in der Lage sein, die Herausforderungen zu bewältigen. Danke sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile nun dem Kollegen Gunther Krichbaum für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Herausforderungen, für die jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union zu klein ist – und sei er auch noch so groß, wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland. Genau dann muss die Antwort natürlich eine europäische sein. Das gilt vor allem für die Bewältigung der gegenwärtigen Flüchtlingsströme. Es ist richtig, dass wir sagen: „Wir schaffen das“, aber richtig ist auch, dass wir vor allem die europäischen Partner noch stärker in die Pflicht nehmen und ihnen sagen müssen: Wir schaffen es nicht alleine. Anfänge sind gemacht. Auch wenn sich beispielsweise der britische Premierminister anfangs noch weigerte, syrische Flüchtlinge aufzunehmen, so lenkte er später ein – zugegebenermaßen auf noch viel zu niedrigem Niveau. Auf dem JI-Rat gelang es dann erstmals, eine Verteilungsquote festzulegen. Mein persönlicher Dank gilt hier ganz besonders auch Ihnen, Herr Innenminister de Maizière. Was wir aber keinesfalls akzeptieren können, ist die Totalverweigerung einiger Staaten, wie beispielsweise, um sie namentlich zu nennen, der Slowakei. Deren sozialistischer Ministerpräsident Fico sagt auch noch geradezu pharisäisch, er würde Flüchtlinge aufnehmen, aber nur, wenn es Christen seien. Man sollte ihm womöglich einmal ein Exemplar der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber ganz bestimmt eines des Neuen Testaments zuschicken; (Beifall der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) denn darin heißt es: Was du einem meiner geringsten Brüder getan hast, das hast du mir getan. Das ist Solidarität, Nächstenliebe und Humanität, wie sie niemand anderes als Jesus Christus selbst vorgelebt hat. (Beifall des Abg. Heinz Wiese (Ehingen) [CDU/CSU]) Er hat die Menschen bestimmt nicht nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt, bevor er geholfen hat. Deswegen darf dieses Denken – namentlich das Denken von Herrn Fico – wirklich als bizarr bezeichnet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Axel Schäfer (Bochum) [SPD]: Herrn Orbán nicht zu vergessen!) Die Europäische Union ist eine Solidargemeinschaft. Wir erleben hier jedoch eine Entsolidarisierung innerhalb der Europäischen Union, aber eben auch gegenüber den in Not geratenen Menschen. Das ist nicht akzeptabel, und das dürfen wir diesen Staaten auch nicht durchgehen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier wünsche ich mir in der Tat einen noch stärkeren Druck der Europäischen Kommission; denn der Umgang mit der gegenwärtigen Krise ist gewissermaßen der humanitäre Lackmustest für die gesamte Europäische Union. Wir sind kein Wirtschaftsklub, wir sind eine Werteunion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Gerade vor diesem Hintergrund war das Handeln unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 die einzig richtige Vorgehensweise. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es war ein Freitagabend, an dem der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann anrief und die dramatische Lage schilderte. Es gibt sicherlich Momente, in denen Entscheidungen gefragt sind und keine Arbeitskreise oder Zirkel, die man vorher einrichten könnte. Deswegen war es wichtig, die Flüchtlinge, die ja bereits in der Europäischen Union waren, an der Grenze hereinzulassen. Diese Entscheidung war mutig und verdient Respekt. Sie ist gerade der Beweis für die Humanität und die Werte, für die wir in dieser Europäischen Union insgesamt stehen, und hat eine Eskalation vermieden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte auch darauf eingehen, was Herr Oppermann vorhin über die Europäisierung des Asylrechts gesagt hat. Ja, das ist richtig, aber leider auch leichter gesagt als getan; denn das hat auch Auswirkungen auf uns. Bedingt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben wir mit das höchste Leistungsniveau in Europa. Deswegen brauchen wir in der Tat Vereinheitlichungen, um Fehlanreize auszuschließen. Das heißt, wir müssen eine Anpassung vornehmen, durch die wir logischerweise auf ein niedrigeres Niveau als gegenwärtig kommen. An dieser Stelle, Herr Dr. Strengmann-Kuhn, ist mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 das letzte Wort mit Sicherheit noch nicht gesprochen; denn der Kontext ist jetzt ein anderer. (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Stellen Sie bitte eine Zwischenfrage! Ansonsten geht das von meiner Redezeit ab. – Die Flüchtlinge werden auch in Rumänien, in Bulgarien und anderen Ländern der Europäischen Union in Sicherheit leben können. Es geht darum, hier eine Lösung zu finden. Wir brauchen eine echte Vergemeinschaftung. Von diesem Ziel sind wir gegenwärtig noch weit entfernt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, es gibt niemanden in diesem Hause, der Sie im Hinblick auf den bevorstehenden Europäischen Rat heute Abend beneidet. Gerade deshalb wünschen wir Ihnen allen eine glückliche Hand. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Notwendigkeit für die innenpolitischen Weichenstellungen hin zu besseren Systemen, schnelleren Verfahren und geringeren Anreizen ist uns allen klar, dass die Migrationswelle nach Europa angesichts ihrer Größe, Komplexität und auch Dynamik letztlich nur in einem gesamteuropäischen und internationalen Ansatz zu bewältigen ist. Deshalb ist es umso enttäuschender, dass diese Aufgabe nicht von allen europäischen Ländern als das angenommen wird, was sie ist, nämlich als eine echte Herausforderung und Bewährungsprobe für die Glaubwürdigkeit und Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das hat zwei wesentliche Gründe. Zum einen ist es so, dass sich durch die sozialen und ökonomischen Anreize, die wir in Deutschland setzen, eine Sogwirkung auf die Menschen in ihren Ländern entwickelt. Darauf antworten wir unter anderem mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz. Zum anderen ist es eben so, dass sich 21 von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union derzeit darin gefallen, diese epochale Entwicklung als Zaungäste zu verfolgen, statt ihre Verantwortung wahrzunehmen. Es ist nicht akzeptabel, wenn täglich 9 000 oder 10 000 Menschen nach Deutschland kommen, wenn Deutschland in einer Woche so viele Asylbewerber aufnimmt wie Frankreich im ganzen Jahr und wenn deutlich mehr als die Hälfte der Menschen, die in die 28 Staaten der Europäischen Union kommen, ihren Asylantrag in Deutschland stellen. Deshalb erwarten wir, dass von diesem Gipfel in Brüssel das Signal ausgeht, dass alle Länder der Europäischen Union bereit sind, ihren Teil der Verantwortung entsprechend ihrer Größe und Leistungsfähigkeit zu tragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass wir dieser Herausforderung letztlich nur gerecht werden können, wenn es uns gelingt, an den Fluchtursachen in den Herkunftsländern anzusetzen. Es ist klar, dass die Herausforderungen sehr differenziert sind, und zwar bei jedem betroffenen Land. Darauf braucht es individuelle Antworten. Aber richtig ist eben auch, dass man dieser Herausforderung nur gerecht werden kann, wenn man alle Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik, der Entwicklungspolitik, aber auch der Klima- und Umweltschutzpolitik zusammenfasst und ein Gesamtbild zur Lösung zeichnet. Das alles wird Zeit kosten – Zeit, die wir nicht haben, Zeit, die insbesondere die Städte und Gemeinden nicht haben, die die Flüchtlingskrise operativ zu meistern haben. Wir brauchen schnellere Antworten, um die Flüchtlingsströme einzudämmen. Dazu gehört die Sicherung der Außengrenzen; darauf ist in dieser Debatte bereits eingegangen worden. Es geht hier um mehr als nur um die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wer nicht in der Lage ist, die Grenzen zu sichern, der legt Hand an die Freizügigkeit in Europa. Das wollen wir nicht. (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) Deshalb müssen die Außengrenzen der Europäischen Union wirkungsvoll geschützt werden. Darum geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht darum, dass wir es schaffen, in der Region stärker mit einer Stimme zu sprechen. Das gilt für die Gespräche mit der Türkei, die notwendig sind, um die Sicherung der Außengrenzen zu erreichen. Es geht aber auch darum, dass die europäischen Länder bereit und in der Lage sind, die Sicherung der Außengrenzen zu erreichen. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Aus meiner Sicht mangelt es manchen Ländern – ich nenne in diesem Zusammenhang Griechenland – nicht nur an den Möglichkeiten, sondern auch am Willen, die Außengrenzen zu schützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn es ist auffällig, dass nicht mehr, wie es bis Ende des Jahres 2014 vor der Übernahme der Regierung durch Tsipras gelungen ist, nur wenige Zehntausend über die östliche Mittelmeerroute nach Europa gekommen sind, sondern allein in diesem Jahr schon mehr als eine halbe Million Menschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es sind auch ideologische Gründe, die diese Regierung davon abhalten, Außengrenzen wirkungsvoll zu sichern. Ich glaube, es ist keine unzulässige Verknüpfung von Sachverhalten, wenn ich sage: Solidarität bei der Bewältigung der Staatsschuldenkrise in Griechenland ist keine Einbahnstraße. Man darf schon erwarten, dass die eingegangenen Verpflichtungen auch eingehalten werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege. Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident, ich komme zum Ende. Vizepräsident Peter Hintze: Sie hätten schon längst zum Ende kommen müssen. Das ist das Problem. Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident, ich verspreche es Ihnen. – Wir müssen mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen. Das wird Geld kosten; das müssen wir in der öffentlichen Debatte deutlich machen. Ich glaube, dann werden die Menschen auch mehr Verständnis dafür haben, dass wir diesen internationalen Einsatz als Teil der Lösung der Probleme in Europa brauchen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld, Herr Präsident. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6335. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der Fraktion Die Linke. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksache 18/6185 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/6386 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6387 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine faire finanzielle Verantwortungsteilung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen Drucksachen 18/3839, 18/6190, 18/4694, 18/6386 c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Entlastungsbeschleunigungsgesetz) Drucksache 18/6172 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Drucksache 18/6381 d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Drucksachen 18/5921, 18/6289 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/6392 e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken Jugendhilfe aufnehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Kindeswohl bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge absichern Drucksachen 18/4185, 18/5932, 18/6392 Zu dem Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zu diesem Gesetzentwurf werden wir später fünf namentliche Abstimmungen durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich Bundesminister Dr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf treffen wir wichtige Entscheidungen für unser Land. Das ist die größte und umfassendste Änderung des Asylrechts seit Anfang der 90er-Jahre. Wir beschleunigen die Asylverfahren. Wir erklären Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern. Wir wollen, dass in Deutschland aussichtslose Asylanträge gar nicht erst gestellt werden. Wir verpflichten die Flüchtlinge – nicht die Länder – zur Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung; das entlastet auch die Kommunen. Wir setzen auf eine konsequente Rückführung der Menschen ohne Bleibeperspektive. Wer unser Land nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel verlassen muss, wer seinen Pass wegwirft, um einer Abschiebung zu entgehen, dem streichen wir die bisherigen Leistungen. Es gibt mehr Sachleistungen statt Bargeld. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die eine Seite. Das Gesetzespaket hat aber auch eine andere Seite, und die ist genauso wichtig. Wir bekennen uns zur Aufnahme und Integration der schutzbedürftigen Flüchtlinge. Wir öffnen früher die Integrationskurse für Menschen mit Bleibeperspektive. Wir wollen, dass die, die bleiben – jedenfalls in den nächsten Jahren –, früher in Arbeit kommen. Sprache und Arbeit sind die besten Mittel zur Integration. Wir erleichtern und vereinfachen eine rasche und vernünftige Unterbringung. Zu all dem kommen umfangreiche finanzielle Hilfen in Milliardenhöhe für Länder und Kommunen, auch für den sozialen Wohnungsbau. Wir gehen also neue Wege, um dieser großen Herausforderung gerecht zu werden. Das ist ein großes Paket und ein großer Schritt, und ich bedanke mich für die breite Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Regelungen betreffen viele einzelne Schicksale, unterschiedliche Schicksale. Sie betreffen zum Beispiel einen jungen Mann aus Eritrea, der vor einer Diktatur und dem Wehrdienst geflüchtet ist. Sie betreffen einen syrischen Akademiker mit Familie, und sie betreffen einen älteren Mann aus Afghanistan, der weder lesen noch schreiben kann. Sie betreffen eine junge jesidische Frau, die so gerade eben vor dem Terror des „Islamischen Staates“ geflüchtet ist. Sie betreffen auch einen Antragsteller aus Albanien, der schon zum zweiten oder dritten Mal einen Asylantrag stellt, weil er hier arbeiten möchte. Die Maßnahmen betreffen also Menschen mit unterschiedlichen Biografien, unterschiedlichen Lebenswegen. Wir werden mit diesem Gesetz vielen Menschen helfen können, aber eben nicht jedem. Asyl- und Flüchtlingspolitik heißt auch, unterschiedliche Schicksale unterschiedlich zu behandeln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Meine Damen und Herren, die Maßnahmen dieses Gesetzes betreffen uns alle, nicht nur die Flüchtlinge. Die ganze Flüchtlingskrise betrifft uns alle. Die Sorgen werden größer – Herr Oppermann hat das gesagt ; das dürfen wir auch aussprechen. Es sind auch unsere Sorgen. Es gibt keine Differenz zwischen Sorgen von Politikern und Sorgen der Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber Aufgabe einer Regierung ist es, Sorgen nicht nur zu verstehen, sondern zu handeln und sie abzubauen. Das tun wir unter anderem mit diesem Gesetzespaket. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Zahl derer, die in diesem Jahr zu uns kommen, ist einfach zu hoch. Ich kenne niemanden, der das ernsthaft bestreitet. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Merkel!) Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese Zahl zu verringern – international, europäisch und national. Keine Maßnahme alleine ist geeignet, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Nur zusammen wirken sie. Auch unser heute vorliegendes Gesetzespaket leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Herr Abgeordneter Sarrazin, die Alternative ist nicht totale Abschottung oder totale Öffnung. Es ist eine Frage des Maßes. Darauf kommt es an, und daran arbeiten wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, ich habe den Präsidenten des Bundeskriminalamts damit beauftragt, gemeinsam mit den Bundesländern erstmals ein Lagebild zur Kriminalität in und um Aufnahmeeinrichtungen sowie über Straftaten, begangen von Flüchtlingen, zu erstellen. Dieses Lagebild werden wir dann vorstellen. Es soll einer Legendenbildung in die eine oder andere Richtung entgegenwirken und mit Fakten Klarheit und Ehrlichkeit in dieser Debatte herbeiführen. Ja, Frau Göring-Eckardt, ich habe das Verhalten mancher Flüchtlinge – einer Minderheit – kritisiert und bin dafür kritisiert worden. Bitte schön. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten mal sagen sollen, dass es eine Minderheit war und ein Einzelfall!) Sie haben es jetzt wieder getan. Ich will gar nicht auf die Taxikosten eingehen, sondern auf einen ganz anderen Punkt, wo wir einen grundlegenden Meinungsunterschied haben. Wenn man das, was Sie sagen, nämlich dass es verständlich ist, dass ein Flüchtling mit seiner Familie kommen möchte, zu Ende denkt, kommt man zu dem Schluss: Dahinter steckt der Anspruch, dass es jedem Flüchtling in Deutschland das Recht gibt, sich seinen Wohnsitz auszuwählen. Da bin ich anderer Meinung. (Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Artikel 6! Familie! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grundgesetz!) Wenn der Asylantrag abgelehnt ist, muss der Betreffende unser Land verlassen. Wenn der Asylantrag angenommen wird, dann kann er bleiben. Aber in dieser Phase der Aufnahme müssen wir darauf bestehen, dass die Lasten in Deutschland gleich verteilt werden und dass der Flüchtling dahin geht, wohin er im Rahmen der Verteilung geschickt wird – und nicht in den Ort seiner Wahl. (Beifall bei der CDU/CSU) Realitäten zu verschweigen, hilft niemandem. Das würde manchen Bürger eher in die Arme der Extremen treiben, als wenn solche Sorgen auch ausgesprochen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kritisiere genauso und massiv die steigende Anzahl von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte und Straftaten im Zusammenhang mit diesen. Diese Entwicklung ist erschreckend und beschämend. Menschen, die Flüchtlinge hassen, hassen in Wahrheit auch unser Land, und Menschen, die Galgen zeigen, verlassen – neben der Tatsache, dass sie sich strafbar machen – jeden Boden für Dialog in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sehe jedenfalls meine Aufgabe als Innenminister darin, jeder Art von Hass, Gewalt und Straftaten – wer auch immer sie begeht, und aus welchem Motiv sie auch immer erfolgen – entschieden entgegenzutreten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das vorliegende Gesetzespaket ist eine Gemeinschaftsleistung, und zwar länderübergreifend. Ich glaube, wenn wir vor sechs Monaten oder sogar noch vor zwei Monaten so etwas vorgeschlagen hätten, hätten wir sicherlich nicht eine solche Zustimmung bekommen. Ich sage das besonders mit Blick auf die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung. Realität schafft Mehrheiten. Das ist nun einmal so in der Politik, und das ist auch richtig so. In den letzten Wochen werde ich fast jeden Tag gefragt, wie hoch die Zahl der Flüchtlinge sein wird und ob es eine Obergrenze gibt. Ich glaube, eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Das wird dieser Aufgabe nicht gerecht. Die Herausforderung zeigt ihren Umfang erst auf dem gemeinsamen Weg. Jede neue Zahl würde umgedeutet, um nach innen die Sorgen zu vergrößern und um nach außen mehr Menschen in Kriegsgebieten vorzutäuschen, sie würden geradezu eingeladen nach Deutschland, was natürlich nicht stimmt. Wir haben viel zu tun mit den Menschen, die zu uns kommen. Wir stellen uns dieser Aufgabe mit großer humanitärer und administrativer Verantwortung. Aber dass wir Menschen aus Krisengebieten geradezu einladen, nach Deutschland zu kommen, trifft einfach nicht zu. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, es geht auch um Veränderung. Das Zusammenleben mit so vielen Flüchtlingen einerseits und das Aushalten harter Maßnahmen andererseits, das ist neu für die einen wie für die anderen. Die Flüchtlinge müssen unsere Gesetze und Gewohnheiten akzeptieren und einhalten. Das mag für manche auch eine Veränderung bedeuten. Aber das ist nötig. Es gibt nur einen zentralen Bereich, wo wir uns nicht verändern wollen und verändern werden: bei der Achtung unseres Grundgesetzes, bei der Wahrung unserer Grundwerte sowie bei Respekt und Anstand im Zusammenleben. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzespaket. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Jan Korte, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich zu Beginn – sicherlich zur Freude der CSU – ein Zitat der Bundeskanzlerin: Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht!) Das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle eines Bürgerkriegs zu uns kommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich tue das selten, aber ich kann der Bundeskanzlerin hier nur recht geben. Asyl und Grundrechte kennen keine Kontingente. Dafür haben Sie meine volle Zustimmung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will aber auch sagen: Das ist kein revolutionärer Satz der Bundeskanzlerin. Das ist eigentlich eine humanistische Selbstverständlichkeit und nichts anderes als die Wiedergabe des Grundgesetzes. Das muss man so einordnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist schon bezeichnend, dass diese Selbstverständlichkeit in den Reihen der CSU zum völligen Austicken führt. Ja, sie ticken völlig aus: Söder, Herrmann, ­Seehofer. Es gibt kein Halten mehr. Ich will es deutlich sagen – auch an die Adresse der Bundeskanzlerin –: In diesem Fall haben Sie die Unterstützung der Linken gegen die Extremisten in Ihren eigenen Reihen. Darauf können Sie sich voll und ganz verlassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Allerdings steht das vorangestellte Zitat in einem eklatanten Widerspruch zu dem, was Sie – auch Sie, Frau Bundeskanzlerin – heute vorlegen. Die Dauer der Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Frauen, Kinder und Familien von drei auf sechs Monate verpflichtend zu erhöhen, ist inakzeptabel. Es sind Menschen, und Menschen haben das Recht, menschenwürdig untergebracht zu werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es soll des Weiteren ein Zurück zu Sachleistungen geben. Das ist nicht nur viel teurer und bürokratischer. Das entmündigt vielmehr Menschen. Wir dürfen nicht vergessen: Es geht um Menschen. Was Sie heute vorgelegt haben, ist daher inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will noch etwas erwähnen: Das Kosovo soll ein sicheres Herkunftsland sein. Darf ich kurz daran erinnern, dass wir hier jedes Jahr einen Bundeswehreinsatz im Kosovo beschließen sollen, weil es dort so unsicher ist? Fällt Ihnen irgendetwas auf? Das ist doch unlogisch. Das ist Ideologie und nichts anderes. Das lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann begehen Sie einen offenen Verstoß gegen ein klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Blick auf die Leistungskürzung. Das kann doch nicht sein. Es gibt ein aktuelles Urteil dazu, und Sie gehen einfach darüber hinweg. Auch das ist nicht zu akzeptieren und wird von uns klar abgelehnt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Klaus Ernst hat hinsichtlich der Transitzonen eben wunderbar sachlich im Disput mit dem Kollegen Friedrich argumentiert. Was ist das für ein Gerede? Wenn man das wirklich macht, dann schafft man Massenhaftanstalten und dann macht es nach Ihrer Logik nur Sinn, wenn die Grenzen komplett geschlossen und neue Mauern gebaut werden. Das ist das Ende der europäischen Idee, das Ende von Schengen. Helmut Kohl hält es nicht aus, was Sie mit Europa machen, um auch das einmal klar zu sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will meine Kritik gerecht verteilen. Ich würde mir auch von der SPD und Sigmar Gabriel bei all diesen Fragen wenigstens einmal, in einem Punkt eine klare Haltung wünschen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Wir haben eine sehr klare Haltung!) Sagen Sie, wo Sie in dieser Debatte stehen. Wo stehen Sie eigentlich? (Beifall bei der LINKEN) Eine Anmerkung auch zu den Grünen. In Hessen und in Baden-Württemberg – das waren die Schlüsselländer – gab es die Chance, das Vorhaben der Koalition zu verhindern. Die wurde leider nicht ergriffen. Ich freue mich im Übrigen, dass Thüringen und Brandenburg dem in dieser Form am Freitag im Bundesrat nicht zustimmen werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich will noch einmal die Bundeskanzlerin zitieren – das ist heute schon mehrfach geschehen –, und zwar ihren Satz: Wir schaffen das. – Die entscheidende Frage ist: Was wollen wir schaffen? Diese Frage müssen wir diskutieren und beantworten. Eigentlich bietet die Situation, in der wir jetzt sind, die große Chance für eine soziale, weltoffene und demokratische Modernisierung der Bundesrepublik, für eine Öffnung der Bundesrepublik und für eine wirkliche Integrationspolitik. Erstens. Die Kommunen waren vor der Ankunft der Flüchtlinge völlig unterfinanziert, sie sind es jetzt genauso. Neu und gut für alle wäre es, in dieser Zeit endlich die Finanzierung der Länder, des Bundes und der Kommunen neu zu regeln, damit die Misere ein Ende hat. Das wäre gut für alle. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Der soziale Wohnungsbau wurde vor der Ankunft der Flüchtlinge kurz und klein frikassiert. In elf Jahren wurden 1 Million Sozialwohnungen abgebaut. Neu und gut für alle wäre es, jetzt massiv in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Es gäbe jetzt die große Chance, endlich das Bildungssystem in diesem Land zu reformieren und mit dieser Kleinstaaterei Schluss zu machen. Neu und gut für alle wäre ein Topbildungssystem in der ganzen Bundesrepublik. Das ist die richtige Antwort, die wir geben müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Egal ob Flüchtling oder Nichtflüchtling, natürlich brauchen wir eine Reregulierung des Arbeitsmarkts. Neu und gut für alle, ob für Inländer, Ausländer oder Flüchtling, wäre ein Verbot der Leiharbeit – das steht an –, wären ein vernünftiger Lohn und ein Mindestlohn von 10 Euro für alle, ohne jegliche Ausnahme. Das wären die richtigen Antworten, die man jetzt geben müsste. (Beifall bei der LINKEN) Ich will noch kurz etwas zum Flüchtlingssoli anmerken, den es angeblich geben müsse, wie es durch die Gazetten geisterte, was im Zweifel von der CSU – ich weiß es aber nicht – kam. Dazu will ich sagen: Wenn jemand einen Flüchtlingssoli zahlen sollte, dann ist das die deutsche Rüstungsindustrie. Die sollte zahlen, und das Geld sollte direkt an den UNHCR überwiesen werden. Das wäre richtig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe einige Punkte aufgezählt, die aufzeigen, was man kurzfristig machen könnte. Dazu gehört auch – das ist kurzfristig machbar – ein Verbot von Rüstungsexporten; das ist die richtige Antwort. (Beifall bei der LINKEN) All das könnte man tun. Diese kleinen Punkte, die eine soziale, weltoffene Modernisierung in diesem Land darstellen könnten, würden übrigens dazu führen, dass am Ende aus dem ganzen Krisengerede ein großer Aufbruch, sozial, demokratisch, weltoffen, entstehen könnte. An dessen Ende könnte eine massive Steigerung der Lebensqualität durch eine angekurbelte Binnenkonjunktur und Solidarität stehen. Was wir jetzt brauchen, ist nicht das, was Sie vorgelegt haben. Was wir jetzt brauchen, ist eine neue Ära der Solidarität, der Mitmenschlichkeit, eine klare Haltung gegen Rassismus. Es gibt auch eine Gefahr aus der Mitte. Namens der Linken sage ich: Die Linke wird niemals zulassen, dass die Schwachen gegen die Allerschwächsten ausgespielt werden. Dagegen werden wir aufstehen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächste Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Eva Högl, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 25 Jahre nach der deutschen Einheit und 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Deutschland für Menschen aus allen Teilen der Welt ein Land der Hoffnung, des Friedens, des Schutzes und der Sicherheit, und darauf können wir sehr stolz sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diesen Gedanken hat dieser Tage Wolfgang Thierse formuliert. Ich finde, er hat recht. Ungefähr bis zu 10 000 Menschen kommen jeden Tag nach Deutschland. Sie fliehen vor Krieg, vor Terror, vor Verfolgung, vor Not und Elend. Ich sage es in dieser Debatte ganz deutlich: Wir helfen Menschen in Not. Wir geben ihnen Schutz, und wir geben ihnen Sicherheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutschland ist ein starkes Land. Wir sind weltoffen. Wir sind reich. Wir heißen die Menschen hier willkommen, und wir sind hilfsbereit. Außerdem ist unser Arbeitsmarkt in einer guten Verfassung. Hinzu kommt – auch das gehört in diese Debatte –, dass wir Einwanderung brauchen. Deswegen sage ich ganz klar: Ja, wir schaffen das. Trotzdem müssen wir sehr klar und deutlich die Frage beantworten: Was schaffen wir, wie schaffen wir das, und wer schafft das? Damit wir das schaffen, brauchen wir einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist das Asylpaket, das wir heute hier beraten und hoffentlich auch verabschieden, ein richtiger und wichtiger Beitrag. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In diesem Asylpaket steckt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die dazu beitragen, dass wir die Menschen, die zu uns kommen, schnell registrieren, gut unterbringen und menschenwürdig versorgen, dass wir die Verfahren kurz und stramm führen und dass wir die Menschen, die hier keine Perspektive haben, die hier keinen Schutz bekommen können, wirksam zurückführen. Auch das gehört dazu, auch das gehört in dieses Paket. Alle anderen, die die Perspektive haben, in unserer Gesellschaft bleiben zu können, sollen eine Zukunft in Deutschland bekommen. Ich möchte zwei Punkte aus diesem Paket herauspicken, die besonders wichtig sind. Der eine Punkt betrifft das Thema „Verfahren verkürzen“. Es ist absolut menschenunwürdig, dass die Personen, die jetzt hierherkommen – sie kommen in großer Zahl –, monatelang darauf warten müssen, dass sie registriert werden, dass sie ihr Anliegen vortragen können, dass sie überhaupt einen Antrag stellen können, und dann monatelang oder sogar jahrelang darauf warten, dass eine Entscheidung getroffen wird. Deswegen müssen wir die Verfahren verkürzen. (Beifall bei der SPD) Es ist richtig, dass die Menschen so lange in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, bis die Verfahren abgeschlossen sind. Das ist ein wichtiger und richtiger Beitrag zur Verkürzung der Verfahren. Zweiter Punkt. In dem Asylpaket steckt ganz viel zum Thema Integration. Auch das ist ein ganz wichtiger Baustein. Viele der Menschen, die zu uns gekommen sind und noch kommen, werden länger oder auch für immer bei uns bleiben. Deswegen ist es so wichtig, dass sie schnell unsere Sprache lernen, dass sie ihre Qualifikationen verbessern, dass sie einen Arbeitsplatz finden, dass sie eine Ausbildung machen und eine Wohnung bekommen, dass sie sich mit unseren Werten und unserer Kultur vertraut machen und dass wir gemeinsam mit ihnen das Zusammenleben in unserer Gesellschaft gestalten. Damit investieren wir in die betroffenen Menschen, aber auch in unsere gesamte Gesellschaft. Das ist wichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein weiterer Aspekt ist ebenfalls ganz wichtig: Wir machen Politik für alle Menschen hier in Deutschland und in Europa. Wir denken bei unserer Politik für Wohnungsbau und Integration, für Arbeitsmarkt und Ausbildung auch an alle anderen: an die Rentnerinnen und Rentner, an die Obdachlosen, an die Familien, an die Alleinerziehenden und an Arbeitslose. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was schlagt ihr denn vor?) Wir machen Politik für alle, und das ist ganz entscheidend. Diese Botschaft geht auch von diesem Asylpaket aus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich wissen wir: Wir müssen, wenn wir helfen wollen, auch helfen können. Das heißt, dass dauerhaft nicht 10 000 Menschen jeden Tag nach Deutschland kommen können. Deshalb sind wir uns im Deutschen Bundestag einig, dass wir die Zuflucht begrenzen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber wir antworten darauf nicht damit, dass wir die Grenzen schließen, wir senken nicht unsere Standards für die Menschen, die zu uns kommen, und wir antworten auch nicht mit Abschreckung, (Beifall bei der SPD) sondern wir antworten mit menschenwürdiger Politik. Wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen. Dazu ist heute Morgen schon viel gesagt worden, was ich nicht wiederholen möchte. Aber ich möchte noch etwas sagen, was ich für ganz entscheidend halte: Es geht um Europa. Meiner Meinung nach ist das Thema „Flüchtlinge und Zuwanderung“ eine Bewährungsprobe für Europa. Ich will es ganz deutlich sagen: Schengen ist wichtiger als der Euro. Wenn wir die zentrale Errungenschaft Europas nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, nämlich die offenen Grenzen und die Freizügigkeit, das, was Europa für die Bürgerinnen und Bürger ausmacht, preisgeben, nur weil wir nicht in der Lage sind, eine gute und vernünftige Flüchtlingspolitik zu machen, dann wäre das wirklich ein Skandal. (Beifall bei der SPD) Deswegen muss unser Engagement in Richtung Europa gehen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe in Europa. Wir brauchen gleiche Standards, einheitliche Verfahren, eine gerechte Verteilung, eine solidarische Finanzierung, und, ja, wir brauchen auch besser gesicherte Außengrenzen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Asylpaket richtig und wichtig. Ich bitte darum, dem heute zuzustimmen und es so zu verabschieden. Es ist ein wichtiger Schritt, wenn auch nicht der letzte; es bleibt noch viel zu tun. Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Das ist ein tolles Wort, ich weiß, aber ich meine es ganz ernst. Wir kapitulieren nicht davor, sondern gehen diese Herausforderung engagiert und beherzt im Sinne der Menschen an, die zu uns kommen und hier Schutz suchen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Derzeit erreichen Deutschland mehr Flüchtlinge als jemals zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie kommen zweifellos aus sehr unterschiedlichen Gründen, aber die überwältigende Mehrheit von ihnen kommt nach dramatischer Flucht und in größter Not. In dieser Zeit gibt es in Deutschland Zehntausende von Menschen, die nicht lange fragen, was dieses Land, sondern was sie selbst für Flüchtlinge tun können. Hauptamtliche und Ehrenamtliche, Junge und Alte, sie alle leisten vorbildliche und großartige Arbeit, oftmals bis an den Rand der Erschöpfung. Diesen Menschen gebührt zunächst einmal unser aller Dank. (Beifall im ganzen Hause) Jetzt erwartet man zu Recht Antworten von uns, aus dem Deutschen Bundestag. Wir sehen in dem heute vorliegenden Paket zwar durchaus gute Instrumente, aber leider auch zahlreiche schlechte, verfassungsrechtlich problematische und vielfach einfach untaugliche. Wir sagen Ja zu einer strukturellen und dauerhaften finanziellen Entlastung der Länder und Kommunen. Wir sagen Ja zu überfälligen Verbesserungen im Asylrecht, dazu, 16- und 17-Jährige endlich nicht einfach wie Erwachsene zu behandeln. Wir sagen Ja zu einem einfacheren Planungsrecht, das hoffentlich möglichst viele Flüchtlinge vor dem kommenden Winter aus den Zelten holt. Aber wir sagen Nein zu dem nutzlosen und verfassungsrechtlich problematischen Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sagen Nein dazu, Asylsuchende länger in Erstaufnahmeeinrichtungen festzusetzen; das ist unpraktikabel, und es verhindert die Integration, die wir doch gerade wollen. Wir sagen Nein zu immer weiteren Anspruchs­einschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz; da verweise ich auf die klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Herr de Maizière, gerade haben Sie von der Achtung gegenüber dem Grundgesetz gesprochen. Das gilt auch für Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir lehnen eine immense Bürokratisierung durch Sachleistungen ab, die Flüchtlingen und den Helferinnen und Helfern das Leben zusätzlich erschwert und immense Kosten erzeugt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das alles sind bürokratische Placebos, die uns in der derzeitigen Situation einfach nicht weiterhelfen. In Abwägung der positiven und der negativen Argumente werden wir uns heute bei dem von Ihnen vorgelegten Gesamtpaket enthalten. Tatsächlich effektive Maßnahmen liegen aber längst auf dem Tisch: Anerkennung und Rechtssicherheit für die Asylsuchenden, die seit Jahren bei uns leben; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die überfällige Abschaffung der Vorrangprüfung, die ausgerechnet von der SPD verhindert wurde, Frau Högl – herzlichen Glückwunsch! –; unbürokratische Anerkennung derjenigen aus Staaten mit hohen Anerkennungsraten; entschlossene Maßnahmen für Integration, vor allen Dingen eine Bildungsoffensive. All das schlagen wir seit langem und heute erneut vor, und all das ignorieren Sie noch immer. Das ist einfach zu wenig, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt Entschlossenheit und Geschlossenheit in der CDU/CSU-Fraktion Meuterei auf der Bounty. Aus Kreisen ausgerechnet der Fachpolitiker der Union wurde offen mit – ich zitiere – „Regierungsabwahl“ gedroht. Regierungsabwahl! Man muss es sich einmal vorstellen! Diese Drohung soll offensichtlich von Ihren eigenen massiven Versäumnissen ablenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU und CDU tragen seit zehn Jahren die Verantwortung für die Innen- und auch für die Flüchtlingspolitik in diesem Land. Um dies zu kaschieren und um ein dringend erforderliches Einwanderungsgesetz zu verhindern, riskieren Sie lieber das politische Ende Ihrer eigenen Bundeskanzlerin. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Kalauer! Kein Skandal!) Früher hieß konservativ sein: auch Verantwortung übernehmen in schwierigen Zeiten. – Heute haben wir einen Innenminister, der ohne irgendeine Faktenbasis über taxifahrende Flüchtlinge schwadroniert, um allen Ernstes den Eindruck zu erwecken, Herr de Maizière, er habe mit der katastrophal schlechten Ausstattung des BAMF, mit der unakzeptabel langen Verfahrensdauer und mit dem ganzen Chaos der letzten Monate nichts zu tun. Das ist absurd. Das ist peinlich, Herr de Maizière. Man kann nur hoffen, dass der Chef des Bundeskanzleramts es besser und sachbezogener angeht als Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und Horst Seehofer? Der macht seit Wochen die unsozialen, unchristlichen, antieuropäischen Positionen der „neuen Rechten“ hoffähig. Ich sage Ihnen: Das wird Ihnen noch leidtun, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!) Nun will er – Herr Seehofer – die eigene Bundesregierung verklagen – vor dem Bundesverfassungsgericht. Das ist nur noch grotesk, meine Damen und Herren. Unfassbar! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich möchte der Bundeskanzlerin an dieser Stelle sagen: Ich habe, auch im Sinne meiner Partei und Fraktion, vieler Leute dort, durchaus Respekt für Ihre bisherige Haltung in der Flüchtlingsfrage. Aber wer solche Koalitionspartner hat, der muss sich fragen, ob er für die größte Herausforderung unserer Geschichte seit der Wiedervereinigung tatsächlich gewappnet ist. (Rüdiger Veit [SPD]: Wir sind auch noch da! – Gegenruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal rechts und mal links!) Wenn 24 Stunden nach der Regierungsabwahldrohung von Herrn Uhl die irrsinnige Forderung, die Türkei ernsthaft zu einem sicheren Herkunftsstaat zu machen, übernommen wird, dann erweckt das schlicht den Eindruck der Erpressbarkeit, Herr Kauder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn man etwas freiwillig macht, ist man nicht erpresst!) Wenn die Autorität erodiert wie am Dienstag in der Sitzung Ihrer Bundestagsfraktion, wenn in der Partei Putsch in der Luft liegt wie gestern Abend offenbar in Schkeuditz, (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht dabei!) dann fehlt das Vertrauen, das Sie dringend brauchen. Ich sage Ihnen: Sie müssen das in Ihren Reihen klären; denn wir brauchen eine Haltung – eine Haltung! –: die Bundesregierung, dieses Parlament und das ganze Land. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Sie enthalten sich doch heute! Das ist Ihre Haltung!) Wir brauchen Geschlossenheit und Mut. Wir brauchen ein klares Ja zur Einwanderungsgesellschaft und zur Integration. Wir können das schaffen. Wir können das schaffen, aber nur, wenn alle, die es schaffen wollen, an einem Strang ziehen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege von Notz, ganz klar ist mir nicht geworden, wie wir es eurer Ansicht nach schaffen wollen, wenn die grüne Fraktion sich enthält. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Seit vielen Wochen und Monaten diskutieren wir über das Thema Flüchtlinge. Gemeinsam haben wir bereits zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, um die stark gestiegenen Flüchtlingszahlen und die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Vieles hat sich verändert. Wir sprechen heute von einer der größten Flüchtlingskrisen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch eines hat sich nicht geändert: unsere feste Überzeugung, dass unser Asylsystem nur funktionieren kann, wenn die geltenden Regeln von allen Beteiligten eingehalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Mehr denn je stellt sich heute im Angesicht der nicht nachlassenden Flüchtlingsströme nach Deutschland die Frage: Was ist ein gerechtes Asylsystem? Je nachdem, wohin man in diesem Hohen Haus schaut, wird es verschiedene Antworten darauf geben. Ich möchte mich daher auf vier Kernpunkte konzentrieren, die wir wohl fast alle teilen. Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es denjenigen Schutz bietet, die vor politischer Verfolgung, Krieg, Plünderung und Vergewaltigung aus ihrer Heimat fliehen. Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es seine Kapazitäten für diejenigen zur Verfügung stellt, die den Schutz wirklich benötigen. Es ist gerecht, wenn es verlässlich und anerkannt ist: verlässlich für unsere internationalen Partner, für die Schutzsuchenden und – das wird häufig vergessen – anerkannt durch die eigene Bevölkerung. Ein Asylsystem ist aber auch nur dann gerecht, wenn es den Verfolgten eine angemessene menschenwürdige Aufnahme und die Chance zur Integration bieten kann. Seit Anfang September – das wird sicherlich niemand hier bestreiten – befinden wir uns bei der Flüchtlingsfrage im Ausnahmezustand. Wir erleben einen massiven Zustrom von bis zu 10 000 Asylbewerbern am Tag, die alle registriert, versorgt und untergebracht werden müssen. Die hauptamtlichen und die ehrenamtlichen Helfer leisten in diesen Tagen großartige Arbeit und manchmal fast schon Übermenschliches: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörden, Polizisten, Soldaten und die vielen Helfer vom THW, vom Roten Kreuz, von den freiwilligen Feuerwehren und vielen weiteren Organisationen, wie sie zum Beispiel auch heute auf den Zuschauertribünen Platz gefunden haben. Dafür möchte ich ihnen herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der aktuellen Lage verstehe ich, wenn es in Landkreisen, Städten und Gemeinden, aber auch bei freiwilligen und hauptamtlichen Helfern heißt: Wir können diese Massen nicht mehr bewältigen. – Genauso verstehe ich die Sorgen und Bedenken der Menschen bei uns im Land, wenn es gilt, auf einmal 1 000 Flüchtlinge innerhalb weniger Stunden in einer kleinen Gemeinde unterzubringen, wie zum Beispiel im Fall von Hardheim in meiner Heimatregion. Für mich steht fest: Wir dürfen unsere Kommunen und die Helfer nicht grenzenlos belasten. Wir brauchen dringend geordnete Strukturen und Verfahren. Deshalb ist es von fundamentaler Bedeutung, dass wir mit der heutigen Debatte und ihren rechtlichen Folgen ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger senden, dass wir die Sorgen ernst nehmen und unserer Verantwortung nachkommen, Herr der Lage zu sein. Es ist deshalb richtig, dass wir mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eine konsequente Trennung einhalten zwischen den Schutzbedürftigen und denen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, eine Trennung, die sich wie ein roter Faden durch unser komplettes Asylsystem ziehen muss. Wir haben nun in diesem Sinne ein Gesamtpaket auf den Weg gebracht, durch das die Verfahren beschleunigt werden, Anreize reduziert werden sowie die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten und die Integration von Asylbewerbern mit Bleibeperspektive erleichtert werden. Ein wichtiger Baustein dabei ist, dass nun alle Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, weil dort keine systematische Verfolgung droht. Damit können nun auch Anträge von Asylbewerbern aus Albanien, dem Kosovo und Montenegro schneller bearbeitet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Antragsteller aus sicheren Herkunftsländern müssen zudem künftig bis zum Ende des Asylverfahrens in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Voraussetzung für ein geordnetes Verfahren und ein faires Asylsystem ist die Beseitigung von Fehlanreizen. Ein wichtiger Anreiz für die Menschen, die in unser Land kommen, ohne schutzbedürftig zu sein oder obwohl sie bereits in einem anderen Land Schutz gefunden haben, sind die Geldleistungen, die bei uns gewährt werden. Diese mögen manchem gering erscheinen, übersteigen jedoch oft die Monatslöhne in den Heimatländern der Menschen um ein Vielfaches. Es ist deshalb das richtige Signal, dass die Auszahlung von Geldleistungen längstens einen Monat im Voraus erfolgen darf. In den Erstaufnahmeeinrichtungen soll der Bargeldbedarf künftig, soweit möglich, durch Sachleistungen ersetzt werden. Ich möchte an dieser Stelle eindringlich appellieren, diese Regelung auch konsequent umzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sinne der Akzeptanz des Asylsystems sind auch die vorgesehenen Einschränkungen im Leistungsbezug. Nimmt ein vollziehbar Ausreisepflichtiger, bei dem das Ausreisedatum und die Reisemöglichkeit feststehen, die Ausreise nicht wahr, steht ihm nach dieser Frist bis zur Ausreise nur noch ein Anspruch auf Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege zu. Gleiches gilt für Geduldete, bei denen eine Abschiebung aus selbst zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Diese Einschränkungen stehen – das hat auch die Anhörung ergeben – im Einklang mit dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei diesen Asylbewerbern ist nämlich nicht von einem dauerhaften Aufenthalt und daher von einem geringeren Bedarf zur Deckung der Kosten für die Lebensführung auszugehen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!) Nachholbedarf besteht bei der Abschiebung der Ausreisepflichtigen. Nach wie vor klaffen die Zahl der abgelehnten Asylbewerber und die Zahl der Abschiebungen weit auseinander. Aber auch hier sage ich: Wir müssen die Akzeptanz und die Berechenbarkeit unseres Asylsystems beibehalten. Dazu gehört, dass wir unsere Regeln endlich konsequent durchsetzen und damit auch abgelehnte Asylbewerber zügig wieder nach Hause schicken. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig!) Alles andere ist angesichts der Lage in den Kommunen nicht mehr zu vermitteln. Auch hier machen wir mit dem Gesetz unsere Hausaufgaben und geben den Ländern entsprechende Instrumente an die Hand. So dürfen Abschiebungen künftig nicht mehr angekündigt werden. Mit der bislang gängigen Praxis wurden viel zu häufig diejenigen geschützt, die sich ihrer Abschiebung durch Untertauchen entziehen wollten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt liegt der Ball im Feld der Länder. Für die gilt: Kommen Sie Ihrer Pflicht nach, und verweisen Sie diejenigen schneller des Landes, die kein Recht haben, hier zu sein, und die lediglich die Kapazitäten für die tatsächlich Schutzbedürftigen blockieren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn uns dies alles gelingt und unser Asylsystem akzeptiert, berechenbar und fair bleibt und wir ein geordnetes Verfahren haben, dann bin ich mir sicher, dass wir auch die wichtigste Aufgabe erfolgreich bewältigen: die Integration der zu uns kommenden Menschen. So sorgen wir mit dem Gesetzespaket, etwa mit der Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive, dafür, dass sich diese Menschen bei uns im Land schneller eine eigene Zukunft aufbauen können. Gleichzeitig gebe ich dem Bundesinnenminister recht, wenn er betont, dass Integration keine Einbahnstraße sein dürfe. Nicht nur wir müssen Integrationsangebote und eine gelebte Willkommenskultur schaffen, sondern auch umgekehrt erwarten wir von den Flüchtlingen, dass sie unsere Werte und unsere Gesetze achten und annehmen. Eines muss auch gesagt werden: Wer sich zum Beispiel von Frauen das Essen nicht reichen lässt oder sich weigert, mit ihnen zusammen einen Deutschkurs zu besuchen, den werden wir, egal wie sehr wir uns bemühen, nicht integrieren können, und der sollte sich fragen, ob wir das richtige Land für ihn sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das vorliegende Gesetzespaket ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wenn der Flüchtlingsstrom weiter anhält, werden jedoch weitere Maßnahmen folgen müssen. Bundespräsident Gauck hat es vor kurzem auf den Punkt gebracht: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich. – Letzteres ist uns sehr wohl bewusst. Deshalb sollten wir bereits heute über weitere Schritte nachdenken, wie etwa die Möglichkeit, Asylverfahren auch direkt an der Grenze durchzuführen. Wie auch Bundeskanzlerin Merkel heute betont hat, können wir die Flüchtlingskrise nicht allein in Deutschland lösen. Wir brauchen eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas. Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, die Sache mit der Endlichkeit gilt auch für die Redezeit. Die ist schon überschritten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nina Warken (CDU/CSU): Ich komme zum Ende. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der gegenwärtigen Situation gibt es nicht die eine Lösung. Wir brauchen eine ganze Reihe von Maßnahmen. Einige davon können wir sofort in Angriff nehmen, für andere brauchen wir einen langen Atem. Auf nationaler Ebene gehen wir mit dem Gesetzespaket den richtigen Schritt und geben den Ländern gute Instrumente in die Hand. Ich fordere diese nochmals auf, sie zu nutzen. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, rufe ich zu: Stimmen wir dem Gesetz mit breiter Mehrheit zu, und senden wir ein Signal nicht nur an die Flüchtlinge, sondern vor allem auch an unsere Bürgerinnen und Bürger! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin, weil Sie von „Fehlanreizen“ gesprochen haben, möchte ich hier eines doch einmal betonen: Die Menschenwürde ist kein Fehlanreiz. Auch Menschen, die nach Deutschland kommen und deren Asylantrag abgelehnt wird, haben ein Recht darauf, hier in Menschenwürde zu leben. (Beifall bei der LINKEN) Das garantiert unser Grundgesetz. Der Schutz der Menschenwürde und des Grundgesetzes sollte eigentlich auch Ihnen wie uns allen hier oberste Verpflichtung sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute steht eine historische Abstimmung an. Nach dem Asylkompromiss im Jahr 1992 ist dies der gravierendste Angriff auf das Grundgesetz und auf das Recht auf Asyl. Es ist ein schwarzer Tag für das Asylrecht. Diesmal sind es leider nicht nur Union und SPD, die die Axt an die Restbestände dieses Grundrechtes legen, sondern es sind leider – ich bedauere das aus tiefstem Herzen – die grün mitregierten Länder Baden-Württemberg und Hessen. Ich finde, auch eine Enthaltung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist angesichts dieser massiven Eingriffe in die rechtsstaatlichen Garantien, in dieses Recht auf Asyl, ein Armutszeugnis. (Beifall bei der LINKEN) Das sollten Sie sich noch einmal überlegen. Dieser Gesetzentwurf atmet lediglich den Geist der Abwehr und der Abschreckung. Deshalb wird er nur dazu führen, dass Flüchtlinge schlechter gestellt werden. Er atmet auch den Geist der Abschottung. Wir Linke weisen ihn deshalb scharf zurück, weil wir der Auffassung sind, das Grundrecht auf Asyl und das Grundgesetz dürfen nicht zum Steinbruch der Abschottungspolitik werden. (Beifall bei der LINKEN) Sie reden immer von Integration. Dabei bringen Sie hier ein Regelwerk auf den Weg, das Integration verhindert. Welchen integrationspolitischen Nutzen soll es denn haben, dass Menschen hier sechs Monate lang nicht arbeiten dürfen? Welchen integrationspolitischen Nutzen soll es denn haben, dass Menschen sechs Monate lang zwangskaserniert werden sollen? Und welchen integrationspolitischen Nutzen soll es haben, dass Menschen nur noch Sachleistungen bekommen? Sie wissen, dass das nicht zur Integration der Menschen führen wird. (Beifall bei der LINKEN) Das ist auch Ihr Kalkül, meine Damen und Herren. Sie wollen diese Abschreckung, und Sie wollen diese Ausgrenzung und Schlechterstellung der Flüchtlinge. Das ist einfach schändlich, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen Integration statt Abschreckung und Ausgrenzung der Schutzsuchenden. Deshalb hat mein Kollege Korte richtig gesagt: Wir brauchen ein soziales Integrationsprogramm, mehr Lehrer, mehr öffentlichen Wohnungsbau, mehr Ärzte, mehr Krankenhäuser statt Entrechtung und Ausgrenzung von Flüchtlingen. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Sehr lange drei Minuten!) – Eines will ich noch erwähnen, weil meine Kollegin auch überzogen hat. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Oder ist es nur so langer Atem?) Vizepräsident Peter Hintze: Die Zeit. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Angesichts der Bombardierung kurdischer Gebiete durch Erdoğan und die AKP und angesichts dieses furchtbaren Bombenanschlags und der Verfolgungswelle in der Türkei, angesichts des Krieges gegen den eigenen Teil der Bevölkerung von Erdoğan: Möchten Sie diesen Terrorunterstützer, der den IS und andere islamistische Terrormilizen bewaffnet – das wissen Sie auch –, zum sicheren Herkunftsstaat erklären? Das ist doch wirklich schäbig, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Die Zeit, Frau Kollegin. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Es ist schäbig und schändlich. Hören Sie damit auf! Bekämpfen Sie die Fluchtursachen und paktieren Sie nicht mit der personifizierten Fluchtursache Erdoğan! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Nächste Rednerin ist die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben gerade eine Situation, die unsere Gesellschaft im Ganzen fordert. In der Hoffnung auf Frieden und eine Zukunft vertrauen sich vor Krieg und Hoffnungslosigkeit geflüchtete Menschen uns an. Es ist unsere menschliche Pflicht, sie aufzunehmen und willkommen zu heißen. Es ist unsere politische Verantwortung, Sorge zu tragen, dass aus Fremden Nachbarn werden können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht jetzt vor allem um pragmatische Schritte, um konkrete Maßnahmen, die den Menschen wirklich helfen, ganz egal, ob sie hier geboren sind oder erst seit kurzem bei uns leben. Unsere Politik muss in diesem Sinne jetzt auch sicherstellen, dass für alle Menschen Wohnraum oder – sofern noch kein endgültiger Wohnraum vorhanden ist – vorübergehende Unterkünfte zur Verfügung stehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die Realität betrachten. Der Winter steht nun wirklich unmittelbar vor der Tür, die Temperaturen bewegen sich schon jetzt um den Gefrierpunkt. Das heißt, wir haben keine Zeit zu verlieren. Alle Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf. Wir sind – das wissen wir alle – ein starkes Land. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der LINKEN: Das kommt zu spät!) Wir sind bei allen Schwierigkeiten, die ich nicht kleinreden will, durchaus in der Lage, diesem überlebenswichtigen Bedürfnis der Menschen gerecht zu werden. Das muss, wird und kann unser Land auch wirklich leisten. Wir brauchen – erstens – kurzfristige Lösungen für neue Unterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen. Mein Haus hat seinen Beitrag zu dem vorliegenden Gesetzestext mit weitgehenden Änderungen im Bauplanungsrecht geleistet, insbesondere um die Situation in den Kommunen zu verbessern. Mit unseren Regelungsvorschlägen machen wir in sämtlichen Gebietsarten – in Bebauungsplangebieten, im nicht beplanten Innenbereich und im Außenbereich – sowohl Erstaufnahmeeinrichtungen als auch Gemeinschaftsunterkünfte zulässig. Im Übrigen haben wir eine Art Generalklausel vorgelegt: Wenn auch mit allen bereits genannten Erleichterungen dringend benötigte Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können, ermöglichen wir auch generelle Abweichungen von den Vorschriften des Baugesetzbuches. Wir müssen – zweitens – den Wohnungsneubau in Deutschland kräftig ankurbeln. Viele Menschen, die zu uns kommen – das wissen wir –, werden auf Dauer oder zumindest für eine Reihe von Jahren bleiben. Sie werden sich, wie viele Deutsche auch, auf die Suche nach gutem und bezahlbarem Wohnraum machen. Ich sage hier ganz klar: Wir werden dabei nicht zulassen, dass der Eindruck entsteht, dass für Flüchtlinge gebaut wird und für Einheimische nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das kann nicht sein. Unser Ziel ist und bleibt dauerhafter bezahlbarer Wohnraum für alle Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) Wir investieren deshalb 2 Milliarden Euro zusätzlich und damit insgesamt 4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2019 in den sozialen Wohnungsbau. Ich freue mich, dass die Länder die zweckentsprechende Verwendung der Mittel zugesagt haben. Der Bund wird den Kommunen zudem weitere Immobilien und Liegenschaften schnell und verbilligt für den sozialen Wohnungsbau überlassen. (Beifall bei der SPD) Ich setze mich darüber hinaus für steuerliche Anreizinstrumente ein. Hierzu stehe ich bereits mit dem Bundesfinanzminister im Dialog. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier gemeinsam mit den Ländern schon sehr bald zu einem guten Ergebnis kommen werden. Grundsätzlich gilt: Wir brauchen die Länder und Kommunen genauso wie private Investoren und Flächenvermarkter. Alle geeigneten Flächen müssen für den Wohnungsneubau aktiviert werden. Und wir brauchen mehr private Investitionen in den Wohnungsneubau. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wem sagen Sie das?) Niemand kann allerdings mit Sicherheit vorhersagen, ob die Maßnahmen ausreichen oder ob wir nicht in einigen Monaten weitere Schritte beraten müssen. Denn wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wohnen ist ein kein Luxus; Wohnen ist nichts, worauf ein Mensch, und sei es auch nur vorübergehend, einfach einmal so verzichten könnte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Dem Rechnung zu tragen, ist eine gesamtgesellschaftliche Pflicht, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir nur gemeinsam lösen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil wir es schaffen wollen, ist es längst überfällig und wichtig und richtig, dass sich der Bund nun endlich bereit erklärt hat, die Länder und Kommunen strukturell und dynamisch bei der Versorgung von Flüchtlingen finanziell zu unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Der Bedarf und die Not sind doch augenscheinlich, wenn wir sehen, wie die Menschen tagelang im Freien auf ihre Registrierung warten oder gar bei Temperaturen unter null auf der Straße schlafen müssen. Deshalb: Die finanzielle Unterstützung durch den Bund ist ein guter Teil dieses Pakets. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Was wir eben auch brauchen, sind schnellere Verfahren. Nur kommt es weder zu einer Aufhebung der Widerrufsprüfung noch zu einer Altfalllösung. Genauso fehlen erleichterte Verfahren bei besonders Schutzbedürftigen oder unbürokratische Möglichkeiten zur privaten Unterbringung und zur familiären Zusammenführung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das betrifft übrigens Artikel 6 unseres Grundgesetzes. Das als Asylverfahrensbeschleunigung zu bezeichnen, das ist wirklich Etikettenschwindel, und dem stimmen wir nicht zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ich im vorliegenden Gesetzentwurf wirklich schmerzlich vermisse, das ist die Rückbesinnung auf Artikel 1 und auf Artikel 18 unseres Grundgesetzes. Denn das müsste heißen: keine Verschärfung, sondern eine Politik aus der Perspektive des Flüchtlings und gemessen an der Realität von großen Fluchtbewegungen, eine Politik, die die Würde des Flüchtlings und das individuelle Grundrecht auf Asyl achtet und es nicht traktiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer Integration und ein friedliches Zusammenleben wirklich will, der verlängert doch nicht die Verweildauer in Erstaufnahmeeinrichtungen und der entwürdigt auch Schutzsuchende nicht mit Sachleistungen, sondern er sorgt dafür, dass die Menschen unsere Sprache lernen können und dass sie schnell in Bildung, Ausbildung und Arbeit, übrigens ohne Vorrangprüfung, kommen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Anders als die Rhetorik von Angela Merkel atmen die fast enthemmten Debattenbeiträge mancher – dazu gehört auch Hans-Peter Friedrich – in diesen Tagen immer weniger den Geist der humanitären Schutzverantwortung, der so viele Helfer in unserem Land beseelt, übrigens auch und gerade in Bayern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber die können nicht mehr, Frau Roth!) Vielmehr atmen sie den Geist von Abwehr, von Abschreckung und von Anreizminderung. Ein Baustein dafür ist die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer, wie im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen. Die Absurdität dieses Konstrukts wird am Beispiel Kosovo deutlich – da hat Kollege Korte doch recht –, das nicht einmal in der EU von allen Ländern als unabhängiger Staat anerkannt wird und in das wir – alle, die zugestimmt haben – noch vor der Sommerpause deutsche Soldaten geschickt haben, weil die Lage dort so instabil ist. Wenn jetzt sogar die Türkei, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wo es entgrenzte Gewalt gibt, zum sicheren Herkunftsland umdefiniert werden soll – und nichts anderes ist das –, dann zeigt das doch auch die Willkürlichkeit des Konzepts insgesamt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Wir erleben mehr und mehr eine von innenpolitischen Interessen getriebene Außenpolitik. Aber wie soll eine solche Politik menschenrechtsbasiert und wertegeleitet sein? Darauf haben Sie keine Antwort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist in diesen Tagen leicht entflammbar. Wenn wir sehen, dass im Durchschnitt täglich zwei Flüchtlingsunterkünfte angegriffen werden, wenn wir angesichts der fürchterlichen Entgleisungen der Pegida nach Dresden blicken, wenn wir angesichts der widerlichen Hetze der AfD nach Erfurt blicken, dann erwarte ich, dass wir uns alle unserer Verantwortung für unser Land und für alle Menschen in diesem Land bewusst sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Deswegen meine Bitte: Zündeln Sie nicht mit! Hören Sie auf mit der Kriegsrhetorik! Die Flüchtlinge bedrohen uns nicht; sie sind doch in Not und nicht wir in Notwehr. Setzen Sie klare Zeichen, dass Hass und Ausgrenzung in unserem Land nichts verloren haben! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vizepräsident Peter Hintze: Da muss ich widersprechen: Es sitzt ein Präsident hinter Ihnen. Aber das macht nichts. (Heiterkeit – Rüdiger Veit [SPD]: Immer gendern!) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Seit Monaten sorgen die Verantwortungsträger in den Kommunen, unsere Polizisten und Soldaten, die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden und Hilfsorganisationen und die vielen ehrenamtlichen Helfer in einem beispiellosen Kraftakt dafür, dass Deutschland seinen hohen humanitären Ansprüchen in dieser Ausnahmesituation gerecht wird. Sie sind die stillen Helden in dieser historischen Flüchtlingskrise, und wir können ihnen gar nicht oft genug Danke sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wer diese beeindruckende Leistung ernsthaft anerkennt, der muss aber auch erkennen, dass diese Leistung auf Dauer nicht tragbar ist und dass die Menschen in unserem Land in diesen Tagen von uns Lösungen erwarten. Vorrangiges Ziel des Asylpaketes ist die Entlastung der Kommunen. Die kommunalen Spitzenverbände halten die finanziellen Hilfen für ausreichend, (Rüdiger Veit [SPD]: Wie bitte?) und ich hoffe sehr, dass die Leistungen, die der Bund zusätzlich zur Verfügung stellt, auch umfassend an die Kommunen weitergegeben werden. Bayern ist da ein Vorbild. Bevor ich auf den Gesetzentwurf eingehe, möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien danken, die in den letzten Wochen und Tagen Tag und Nacht an der Umsetzung gearbeitet haben. Hierfür heute einmal ein herzliches Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, der Kollege Veit von der SPD-Fraktion möchte Sie etwas fragen. Wollen Sie das zulassen oder weitersprechen? Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nein, ich rede weiter. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf soll im Grunde fünf Vorhaben umsetzen: erstens die Asylverfahren weiter beschleunigen, zweitens Fehlanreize minimieren, drittens die Ausreisepflicht konsequent durchsetzen, viertens die Unterbringung der Asylbewerber erleichtern und fünftens die Integrationshilfen für Menschen mit guter Bleibeperspektive verbessern. Der letzte Punkt ist entscheidend, um die gesellschaftlichen Folgen dieser Krise zu meistern. Wir wollen den Menschen, die tatsächlich schutzbedürftig sind, die Chance geben, sich schnell zu integrieren und sich schnell selbst zu versorgen. Deshalb heben wir auch das Leiharbeitsverbot auf und öffnen früher die Integrationskurse. Wichtig ist – das wird heute zum wiederholten Male nicht gesagt –, dass künftig nur Menschen mit guter Bleibeperspektive auf die Kommunen verteilt werden und nur aussichtslose Asylbewerber bis zum Verfahrensabschluss in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben sollen, und das ist auch richtig so. Darum bitten uns im Übrigen auch Kommunen und Ehrenamtliche, weil sie ihren Fokus im Wesentlichen auf diejenigen richtigen wollen, die ein Bleiberecht bei uns erhalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit diesem Gesetzespaket stufen wir auch Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten ein. Schon im letzten Jahr hatte die Union dies gefordert. Das ist richtig so; denn allein in diesem Jahr wurden rund 80 000 Asylanträge aus dem Kosovo und aus Albanien registriert, aber zu 99 Prozent abgelehnt. Selbst Oberbürgermeister, die den Grünen oder der SPD angehören, schließen sich mittlerweile unserer Meinung an, weil sie nah an der Realität, nah an den Menschen vor Ort sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem Asylpaket setzen wir heute auch die bayerische Forderung nach einer bundesweiten Verteilung von unbegleiteten Minderjährigen um. Auch das ist richtig so. Bayern wird bis zum Jahresende rund 15 000 Flüchtlinge in der Jugendhilfe versorgen. Bundesweit sind das aktuell rund 35 000 Flüchtlinge. Es ist wichtig, dass auch diesbezüglich die Solidarität der Bundesländer untereinander endlich greift. Der Bund unterstützt mit 350 Millionen Euro pro Jahr die Versorgung. Ich will an dieser Stelle nochmals sagen, dass auch diesbezüglich unter anderem Bayern die Hauptlast trägt. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich müssen abgelehnte Asylbewerber ihrer Ausreisepflicht nachkommen. Wir können nicht hinnehmen, dass nur rund 10 Prozent aller Ausreisepflichtigen zurückgeführt werden. (Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) Es ist gerechtfertigt, die Leistungen für Menschen, die nicht ausreisen, die sich der Ausreise entziehen oder widersetzen, in Zukunft konsequent zu kürzen. Das wird auch verfassungsrechtlich standhalten. Insgesamt ist der Gesetzentwurf ein wichtiger Zwischenschritt, mit dem wir auf nationaler Ebene nach der Reform des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom Juli 2015 für wichtige Verbesserungen sorgen. Aber auch die Länder müssen noch nachbessern. Wir brauchen an den Verwaltungsgerichten noch mehr Richter, noch mehr Personal, damit dort nicht der nächste Flaschenhals entsteht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat allein im September 23 000 Asylanträge entschieden. Wir wollen – das ist auch richtig –, dass mehr Entscheidungen erfolgen. Da aber jeder zweite Bescheid beklagt wird, brauchen wir an den Gerichten mehr Richter, damit dort nicht der nächste Stau entsteht. (Beifall bei der CDU/CSU) All diese Maßnahmen, die wir heute beschließen, werden nicht ausreichen. Sie sind ein wichtiger Zwischenschritt. Wir müssen auch alles daransetzen, die unkontrollierte Zuwanderung von bis zu zehntausend Menschen pro Tag nach Deutschland einzudämmen, und zwar zügig und spürbar. Nach Niederbayern und Oberbayern strömen seit Wochen tagtäglich Tausende von Menschen. Die Kommunen und alle Verantwortlichen sind an ihren Belastungsgrenzen angekommen. Es ist daher nachvollziehbar, dass der bayerische Ministerpräsident vom Bund, der die Entscheidungen hierzu zu treffen hat, erwartet, dass richtige Entscheidungen getroffen werden, Entscheidungen, die Bayern entlasten. Ich appelliere an dieser Stelle auch an die Solidarität der anderen Bundesländer. Sie müssen zügig und gemäß dem Königsteiner Schlüssel im erforderlichen Maß Flüchtlinge aufnehmen und Bayern entlasten. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland ist stark wie kein anderes Land, und es hilft wie kaum ein anderes Land, auch in der Flüchtlingskrise. Aber auch unsere Aufnahmefähigkeit ist nicht unbegrenzt. Ein Bevölkerungswachstum von jährlich 1 bis 2 Prozent kann kein Land, auch Deutschland nicht, schultern. Das wäre weder gegenüber der deutschen Bevölkerung noch gegenüber den Helfern noch gegenüber den Flüchtlingen verantwortungsvoll. Unsere Bundeskanzlerin hat heute Morgen in ihrer Regierungserklärung eindrucksvoll dargestellt, dass es keine einfache Lösung gibt. Die Menschen vor Ort fragen uns – zumindest mich und viele meiner Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion – tagtäglich: „Was könnt ihr machen, was könnt ihr tun?“, und uns erreichen Hunderte von E-Mails. Wir müssen den Menschen erklären, dass es sich nicht um eine einfache Lösung handelt. Es wird, wie Angela Merkel gesagt hat, keinen Schalter geben, den man einfach umlegen kann. Diese Herausforderung ist vielschichtig, und sie kann nur auf europäischer Ebene bewältigt werden, nur mit Maßnahmen der Außen- und Entwicklungspolitik, nur vor Ort und in den Anrainerstaaten. Trotzdem kann es nicht sein, dass Deutschland in Europa die Hauptlast trägt. Trotzdem kann es nicht sein, dass wir den effektiven Grenzschutz quasi aufgegeben haben; das gilt für Europa wie für Deutschland. Der Schutz der eigenen Grenzen ist kein Ausdruck von Menschenfeindlichkeit, sondern er ist die verfassungsgemäße Pflicht eines jeden Staates. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch unser Bundespräsident hat in Mainz klargestellt, dass unsere Hilfsbereitschaft groß ist, aber unsere Kapazitäten begrenzt sind. Ja, die Kanzlerin hat recht: Das faktische Limit wird sich wohl nur schwer beziffern lassen. Aber die Lage in den Kommunen ist dramatisch. In Bayern gibt es Kommunen, die an der Belastungsgrenze sind. Es kann daher kein Weiter-so geben. Das haben auch die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung am Montag eindrucksvoll bestätigt. Wir müssen dieser Entwicklung Rechnung tragen. Natürlich lassen sich Grenzen nicht per Kabinettsbeschluss schließen. Natürlich will niemand Grenzen schließen oder eine Abschottung Deutschlands oder Europas. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir in der aktuellen Ausnahmesituation nicht auch effektivere Kontrollen und Zurückweisungen an den eigenen Grenzen erwägen sollten. Das Landgrenzenverfahren, das in der EU-Asylverfahrensrichtlinie vorgesehen ist, kann neben der Sicherung der Außengrenzen und der Einführung von Hotspots ein Baustein sein. Gemeinsam müssen wir es schaffen, in Deutschland und Europa ein tragfähiges Asylsystem unter den aktuellen Bedingungen für die Zukunft zu gestalten. Daran müssen wir alle gemeinsam verantwortlich mitarbeiten. Aber auch innerhalb Deutschlands können wir diese Herausforderung nur gemeinsam bewältigen. Das geht nur, wenn wir ohne Hysterie und ohne Dramatik weiterhin mit überlegtem Handeln auf allen Ebenen zusammenarbeiten und nicht vergessen, dass es um Menschen mit individuellen Schicksalen geht, die aus unterschiedlichen Gründen bei uns Schutz suchen. Wir können stolz sein auf die vergangenen Monate und Wochen, in denen die Menschen in Deutschland Herausragendes geleistet haben. Ich wünsche mir, dass wir in diesem Sinne und in dieser Rhetorik weitermachen und gut zusammenarbeiten. Ich werbe heute um die Zustimmung zu diesem Gesetzespaket, dem sicherlich noch weitere Schritte folgen müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention – mit der Bitte, es wirklich kurz zu machen, weil wir schon lange bei diesem Thema sind –: Rüdiger Veit, SPD-Fraktion. Rüdiger Veit (SPD): Frau Kollegin Lindholz, ich wollte mit meiner Zwischenfrage nichts Böses wie die Unterbrechung Ihres Redeflusses bewirken. Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit geben, einen eventuellen Versprecher zu korrigieren oder aber Ihre Aussage zu präzisieren. Sie haben nämlich ausgeführt, dass die Kommunen das, was wir ihnen jetzt als finanziellen Ausgleich geben wollen, als ausreichend empfinden. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Das kann man, glaube ich, so nicht sagen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: In Bayern schon!) Denn wir müssen erst einmal erreichen, dass die Länderfinanzminister diese Mittel so an die Kommunen weitergeben, dass sie in ihren kommunalen Haushalten keine nennenswerte Unterdeckung mehr haben; das ist das Entscheidende. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ja, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen! – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Besonders Nordrhein-Westfalen! Genau!) Im Übrigen weise ich darauf hin, dass den Kommunen im Hinblick auf die Finanzierung der Infrastruktur – Kindergärten, Schulen usw. – noch weitere Kosten entstehen. Ich habe die Anhörung der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände also nicht so verstanden, wie Sie es gesagt haben. Vielleicht möchten Sie das korrigieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Wollen Sie darauf antworten? Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ja. – Ich habe die kommunalen Spitzenverbände sehr wohl so verstanden, dass sie die jetzt weiter zugesagten finanziellen Hilfen für ausreichend halten. An dieser Stelle lobe ich Bayern, das die Leistungen eins zu eins an die Kommunen weitergibt – im Gegensatz zum Beispiel zu Nordrhein-Westfalen –, noch einmal ausdrücklich, und ich wünsche mir, dass das in anderen Bundesländern ebenso erfolgt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Jetzt geht das wieder los! Denken Sie an die Krankenversicherung! Da könnt ihr euch mal eine Scheibe abschneiden!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Bundesministerin Manuela Schwesig für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In jeder Notsituation und bei jeder Rettungsaktion gilt das Prinzip „Kinder und Frauen zuerst“. Wenn viele Menschen aus guten Gründen in unser Land flüchten – das ist hier vielfach angesprochen worden – und wir nicht alles für alle sofort leisten können, dann, so finde ich, muss ein Schwerpunkt auf denjenigen liegen, die einen besonderen Schutz brauchen, und das sind für mich die Kinder. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb legt Ihnen die Bundesregierung heute ein Asylpaket mit Schwerpunkt auf der Unterstützung von Kindern und Familien und gleichzeitig den Entwurf eines Gesetzes zur besseren Versorgung und Betreuung der Kinder und Jugendlichen, die unbegleitet zu uns kommen, vor. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht; die Hälfte davon sind Kinder. Über 200 000 Kinder und Jugendliche kommen zu uns nach Deutschland, und es ist wichtig, dass diese Kinder und Jugendlichen so schnell wie möglich nicht nur gut untergebracht werden, sondern auch Anschluss finden. Dazu gehört für die Kleinen der Zugang zu den Kitas, um schnell die Sprache zu erlernen, und für die Schulkinder, schnell in die Schule zu kommen, wo sie die Sprache lernen und Freundschaften schließen. Das ist der beste Weg, um hier eine neue Heimat zu finden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Deshalb ist es gut und richtig, dass wir im Asylpaket festgehalten haben, dass wir die freiwerdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld zur Verbesserung der Kinderbetreuung nutzen und sie bis auf fast 1 Milliarde Euro jährlich aufstocken und dass wir mit dem Gesetzentwurf, den ich Ihnen als Ministerin vorgelegt habe, dafür sorgen, dass die geflüchteten Kinder und Jugendlichen genauso wie die hier geborenen und aufwachsenden Kinder und Jugendlichen auch Zugang zu den Kinder- und Jugendleistungen haben. Ich möchte nicht, dass wir Flüchtlingskinder gegen einheimische Kinder stellen – oder umgedreht. Jedes Kind muss eine Chance haben, in unserem Land gut aufzuwachsen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kinder und Jugendlichen können eine gute Integration der Familien voranbringen. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Abgeordneten der Regierungskoalition – ich weiß, dass das zu großen Teilen auch aus der Opposition unterstützt wird – und bei meinem Kollegen Herrn de Maizière bedanken. Natürlich müssen wir gemeinsam eine gute Balance finden. Es stellt doch gar keiner infrage, dass die Menschen bei uns ein Asylrecht haben, und ich glaube, unser Land zeigt, wie offen wir sind. Zwischen dem Satz „Wir schaffen das“ und den gleichzeitig berechtigten Sorgen und Forderungen derjenigen, die das praktisch vor Ort umsetzen müssen – unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Landrätinnen und Landräte, die vielen hauptamtlichen und freiwilligen Helfer, die uns sagen, dass das aber auch praktisch funktionieren und es praktische Kapazitäten geben muss –, gibt es keinen Widerspruch, sondern das gehört zusammen. Wir haben gemeinsam versucht, diese Balance zu finden, und uns gefragt, wer den Schutz am nötigsten hat, wer die meiste Unterstützung braucht und wer vielleicht zu denjenigen gehört, die gute Gründe haben, zu uns zu kommen, denen wir das alles aber nicht bieten können. Das gehört zur Ehrlichkeit und zur Sicherung unseres Asylrechts dazu. Deshalb bin ich dem Innenminister dankbar, dass wir bei dem Schutz für Kinder und auch bei den Kinder- und Jugendleistungen keine Abstriche machen, sondern dass wir diese Standards in der heutigen Zeit weiter sichern. Es ist ein wichtiges Signal, dass wir nicht sagen: „Jetzt funktioniert das alles nicht mehr“, wodurch die Kinder unter die Räder kämen, sondern dass wir weiterhin betonen: Die Kinder und Jugendlichen sind uns wichtig, egal wie schwer es ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Zu dieser wichtigen Schutzgruppe gehören vor allem die Kinder und Jugendlichen, die unbegleitet zu uns kommen. Denken Sie noch einmal daran, wie es war, als Ihr eigenes Kind das erste Mal alleine zur Schule gegangen und von der Schule zurückgekommen ist. Man schaut dann schon auf die Uhr und fragt sich, ob das alles klappt. Ich gehöre zu diesen besorgten Eltern. Denken Sie daran, wie es ist, wenn man seinem 12-jährigen Mädchen oder Jungen gesagt hat, er oder sie solle am Abend zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein. Spätestens zehn Minuten nach der vorgegebenen Zeit guckt man auf die Uhr. Wer von uns kann sich vorstellen, dass der 14-jährige Sohn auf seiner Flucht vier Monate lang durch viele Länder allein unterwegs ist? Ich kann das nicht. Ich weiß, dass es das gibt, weil diese Jugendlichen zu uns gekommen sind und ich mit ihnen gesprochen habe. Aber ich glaube, wirklich zu ermessen, wie groß das Leid für Familien sein muss, um diesen Weg zu gehen, also ihre Kinder zu uns zu schicken, ist fast unvorstellbar. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen unbegleiteten Kindern und Jugendlichen, die hier erst einmal niemanden haben, eine Heimat und Schutz bieten, als ob sie unsere eigenen Kinder wären. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb gibt es besondere Schutzmaßnahmen für diese Unbegleiteten, die aber vor Ort nicht mehr funktionieren. Wenn über hundert dieser Unbegleiteten in Passau ankommen – ich weiß, dass es im Bereich des Jugendamtes in Passau so viele sind –, über tausend in ganz Bayern, über tausend in Dortmund oder in Hamburg, also in diesen sogenannten Drehkreuzen, dann ist es ganz praktisch nicht mehr möglich, für alle jungen Menschen an diesen Orten Jugendwohngruppen, Sozialarbeiter und das, was wir an dieser Stelle alles brauchen, bereitzustellen. Deshalb ist es eine Frage der Solidarität, aber vor allem eine Frage des Kindeswohls, dass zukünftig die Kapazitäten der Kinder- und Jugendhilfe überall in Deutschland genutzt werden, um diesen Kindern und Jugendlichen, die hier ohne Familie ankommen, ein gutes Zuhause zu geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das machen wir mit dem neuen Gesetz und stellen damit das Kindeswohl in den Mittelpunkt. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Kollegen, Bundesfinanzminister Schäuble, bedanken, weil es gelungen ist, auch für diese besonders schutzwürdige Gruppe zusätzlich Geld zur Verfügung zu stellen. Es ist immer ein Spagat, auf der einen Seite das Geld zusammenzuhalten und auf der anderen Seite zu schauen, wofür wir es ausgeben. Aber ich glaube, dafür zu sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen hier gut ankommen und gut integriert werden, ist eine Investition in die Zukunft. Wenn wir das nicht machten, würde das ein großes Risiko bedeuten. Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass wir vieles von dem, was heute besprochen worden ist, nur leisten können, weil es die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer gibt. Ja, sie kommen an ihre Belastungsgrenze. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir mit diesem Paket dafür sorgen, dass es ein Sonderprogramm geben wird, auf dessen Grundlage dem Bundesfreiwilligendienst 10 000 Stellen bewilligt werden, damit Bundesfreiwillige Flüchtlingen helfen können, damit aber auch Flüchtlinge anderen Flüchtlingen helfen. Wir sollten das Potenzial, das Flüchtlinge mitbringen, nicht vernachlässigen. Dass Flüchtlinge selbst mit anpacken, ist für die Akzeptanz in der Gesellschaft und für ihre Integration wichtig. Das werden wir mit dem neuen Programm machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage vielen herzlichen Dank für die Unterstützung. Wer hier fordert, es müsse Kitaplätze geben, es müsse Schulplätze geben, und wir sollten etwas für Kinder und für die Freiwilligen tun, der kann dem Gesetzentwurf heute nur zustimmen. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Schwerpunkt dieses Paketes liegt auf der Integration. Ich finde nicht, dass man auf der einen Seite sagen kann, man müsse etwas tun, aber auf der anderen Seite nichts akzeptiert, was gemacht wird. Herzlichen Dank an die Regierungsfraktionen, dass sie diese wichtigen Sachen mit uns auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Schauen Sie einmal in das Gesetz! Was sehen Sie denn da?) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind Bilder und Begegnungen, die in diesen Tagen die Debatte um die Flüchtlinge prägen, medial und auch bei jedem von uns vor Ort. Es sind Bilder aus Hamburg von Kindern, die bei einstelligen Temperaturen in unbeheizten Zelten übernachten, die krank sind, die husten, die frieren. Es gibt aber auf der anderen Seite auch die Familie, die nicht in die ihnen angebotene Wohnung einziehen will, weil einer anderen Familie ein ganzes Haus angeboten wurde. Es gibt den Imam, der einer deutschen Politikerin nicht die Hand geben will. Aber es gibt auch die Flüchtlinge, die sich selbst einbringen: als Arzt in den Aufnahmestellen, als Berater in der Kommune, als Helfer vor Ort. Es gibt die deutschen Schülerinnen und Schüler, die voller Neugierde und Offenheit auf ihre neuen Mitschüler zugehen, sie als neue Freunde akzeptieren und zu Hause davon berichten. Es gibt aber auch die Menschen, die abends Angst haben, allein durch den Park zu gehen. Es gibt nicht den einen Flüchtling. Es gibt nicht den einen Bürger, und es gibt auch nicht den einen Politiker. Vor allem gibt es nicht die eine Lösung für all die Probleme und Fragen, die so plötzlich auf unser Land zukommen. In ganz Deutschland diskutieren wir darüber, ob wir das schaffen. Man muss sich doch erst einmal die Frage stellen: Was heißt es denn, es zu schaffen? Es so hinzubekommen, dass keiner etwas merkt, dass alles picobello rundläuft und dass keiner irgendwelche Einbußen hat? Das wird es nicht heißen. Das sagen wir den Menschen in unserem Land offen und ehrlich. „Wir schaffen es“ kann auch nicht heißen, dass einer oder eine ein Patentrezept hat. Deshalb, lieber Kollege Konstantin von Notz, ist es völlig verrückt, dass Sie uns vorwerfen, dass wir in einer Volkspartei und in einer Fraktion um den richtigen Weg ringen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ringen?) und über das, was jetzt zu tun ist, diskutieren. Sie bezeichnen das als „Meuterei auf der Bounty“. Ich bezeichne es als das, was Demokratie ausmacht. Es ist das Selbstverständlichste in einem demokratischen System, dass über den richtigen Weg gerungen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD] – Jan Korte [DIE LINKE]: Die Basisdemokraten der CDU, ja, genau! Basisdemokratischer Aufbruch!) Dabei ist jeder in diesem Haus, aber auch draußen eingeladen, mitzudiskutieren. Ich sage aber auch: Mitdiskutieren heißt, konkrete Vorschläge zu machen, wie man es besser machen kann und was man machen kann, (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Richtig!) statt nur zu sagen, dass wir es nicht schaffen, wieso wir das nicht schaffen und was alles nicht geht. Das ist ein zu einfacher Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Jeder ist aufgefordert, in dieser schwierigen Situation konstruktive Vorschläge zu machen. „Wir schaffen es“ heißt meiner Ansicht nach, dass wir alle gefordert sind, mitzumachen, anzupacken und die Probleme zu lösen. Das fängt bei jedem Einzelnen an und geht von den Ländern, den Kommunen und dem Bund weiter bis zu den Verhandlern auf europäischer und internationaler Ebene. Meiner Meinung nach gibt es drei Ziele, für die wir Lösungen erarbeiten. Das Paket, das wir heute vorlegen, hält schon viele dieser Lösungen bereit. Andere müssen erst erarbeitet werden. Unser erstes Ziel muss es sein, dass in den kommenden Jahren nicht noch einmal so viele Menschen zu uns kommen – kommen müssen – wie in diesem Jahr. Dazu trägt der Gesetzentwurf bei, indem ganz klar zwischen denen, die aus Krisengebieten zu uns fliehen, und denjenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, differenziert wird. Für Letztere sind alle Anreize, hierherzukommen, zu reduzieren, und genau das tun wir mit dem Gesetzentwurf. Es ist aber auch völlig klar, dass wir nicht alle Flüchtlinge aus den Krisengebieten in unserem Land aufnehmen können. Eine Zahl als Obergrenze zu definieren, wäre völlig unseriös. Ich sage aber auch: Hier haben auch die anderen europäischen Länder eine Verantwortung. Hier hat die Türkei eine Verantwortung. Der Libanon und Jordanien brauchen mehr Unterstützung bei der Versorgung der Flüchtlinge vor Ort. Deshalb ist es wichtig, dass heute wie auch in den nächsten Tagen und Wochen auf europäischer und internationaler Ebene darüber gesprochen und verhandelt wird. Dabei ist unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel die Frau, die mit ihrer Macht und ihrem Einfluss auf internationaler Ebene viel erreichen kann. Auch Bundesaußenminister Steinmeier muss entsprechende Gespräche führen. Auf internationaler Ebene liegt der Hebel, wenn es darum geht, den Flüchtlingsstrom zu begrenzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unser zweites Ziel ist: Wir müssen Lasten verteilen und entlasten. Wir tragen als Familienpolitiker in diesem Hause zwei entscheidende Punkte zu dem Gesetzespaket bei, die in den nächsten Wochen zu genau dieser Entlastung führen werden. Das betrifft zum einen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Dazu hat die Ministerin gerade viel gesagt. Künftig werden alle Bundesländer in die Versorgung der minderjährigen Flüchtlinge eingebunden. Wir entlasten damit die Länder, in denen sie derzeit zu Zehntausenden ankommen und von wo aus sie bisher nicht weiterverteilt werden konnten, weil das nationale Recht dem entgegensteht. Nun wird eine Weiterverteilung möglich. Das dient dem Kindeswohl. Es dient aber vor allem auch der Entlastung der Länder und der Kommunen vor Ort. Ich komme aus dem Saarland, einem Land, das viele unbegleitete Minderjährige bestens aufgenommen und versorgt hat. Aber hier ist eine Entlastung dringend notwendig, und das machen wir mit diesem Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir schaffen im Bundesfreiwilligendienst 10 000 neue Stellen an der Schnittstelle zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen und entlasten somit in den Kommunen und Hilfsorganisationen sowohl die Ehrenamtlichen als auch die Hauptamtlichen. Ich hoffe, dass viele Kommunen und viele Organisationen von diesem Angebot Gebrauch machen werden. Mit dem Paket sorgen wir auch für eine finanzielle Entlastung – das ist schon gesagt worden –, indem der Bund viele Kosten übernimmt: für die unbegleiteten Minderjährigen, für Bauen und Wohnen, für die Kinderbetreuung und die Versorgung der Flüchtlinge vor Ort. Wir entlasten aber auch organisatorisch, vor allem die Hauptamtlichen, die ebenfalls an ihre Grenzen kommen. Das klare Ziel von Kanzleramtsminister Peter Altmaier und auch BAMF-Chef Weise ist, die Verfahren stringenter, weniger bürokratisch und einfacher zu machen. Ich plädiere entschieden dafür, dabei auch die digitalen Möglichkeiten besser zu nutzen. Mit digitalen Lösungen kann Doppel- und Dreifacharbeit vermieden werden. Damit können Kosten gespart werden. Digitale Mittel zur Koordinierung der Ehrenamtlichen entlasten diese. Sie leisten Großartiges, aber sie verzweifeln an der schieren Menge. Sie verzweifeln oft an der Organisation, die sich ständig ändert. Deshalb an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an die Hauptamtlichen, aber auch an die Ehrenamtlichen in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bund entlastet auch durch konkrete Hilfe vor Ort, bei uns im Saarland etwa, indem er bei der Registrierung hilft. Wenn man hört, dass so viele Menschen in unserem Land und in anderen Ländern nicht registriert sind, dann ist das ein Offenbarungseid. Das können wir nicht hinnehmen. Die Menschen haben ein Anrecht darauf, zu wissen, wer in unserem Land ist. Denn nur wenn die Flüchtlinge registriert sind, wenn wir wissen, wer bei uns ist, können wir die Versorgung garantieren sowie für Sicherheit und auch Integration sorgen. Damit bin ich bei dem dritten Punkt, den wir gemeinsam bewältigen müssen, nämlich bei dem wichtigen Thema Integration. Zu Recht stellen sich die Menschen in unserem Land die Frage, ob das funktionieren kann, ob die Menschen, die zu uns kommen, denn bereit sind, die Werte zu akzeptieren, die wir hier leben. Rechtsstaatlichkeit, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit – wird all das akzeptiert werden? Für uns als Union ist klar, dass das die Prinzipien sind, die unser Land so stark gemacht haben. Deshalb sagen wir deutlich: Wer bei uns und mit uns leben will, wer von dieser Stärke unseres Landes profitieren will, der muss diese Regeln des Zusammenlebens auch akzeptieren. Er muss sie verstehen, er muss sie leben. Das ist die klare Aufforderung an alle, die zu uns kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist wichtig, dass wir das so schnell wie möglich vermitteln. Vizepräsident Peter Hintze: Apropos Regeln! Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Herr Präsident, ich habe gesehen, dass ich zum Schluss kommen muss. Vizepräsident Peter Hintze: Nein, Sie hätten schon zum Schluss kommen müssen. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Dann gestatten Sie mir noch einen Abschlusssatz. – Ich plädiere dafür, dass sich all diejenigen, die heute die Frage stellen, ob wir es denn schaffen können, bei dem wichtigen Thema Integration einbringen. Jeder, der heute diese Frage stellt, muss spätestens morgen damit anfangen, etwas mit dazu beizutragen, dass wir es schaffen. Denn nur alle gemeinsam können wir die Probleme lösen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Burkhard Lischka, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zum Ende dieser Debatte eine simple Feststellung, die Herr Kauder heute Morgen schon einmal getroffen hat, nämlich: Gute Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Was wir in diesen Tagen erleben, ist eine Gesellschaft, die schwankt. Sie schwankt zwischen einer wirklich einzigartigen Hilfsbereitschaft, über die sich viele in der Welt verwundert die Augen reiben, auf die sie aber auch mit großer Hochachtung schauen, auf der einen Seite und Zweifeln und Sorgen, ob unser Land eine so große Zahl von Flüchtlingen bewältigen kann, auf der anderen Seite. Es steht die bange Frage im Raum, ob es Grenzen der Aufnahmefähigkeit gibt. Fast jeder von uns, auch hier im Haus, spürt, dass beides in diesen Tagen irgendwie zusammengehört: das Helfenwollen, aber auch die Ahnung, dass uns die Realität Grenzen setzt, Grenzen, die wir mit keiner noch so gut gemeinten Wunschvorstellung verschieben können. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Probleme lassen sich nicht lösen, indem man sie einfach ignoriert. Es ist wichtig und richtig, die Probleme zu benennen, die die Aufnahme so vieler Menschen bis in den Lebensalltag hinein mit sich bringt. Das muss ohne Schwarzmalerei und Übertreibung und mit klarer Kante gegen Fremdenhass und Rassismus geschehen. Aber die Augen vor den Problemen und Herausforderungen zu verschließen, das wird nicht funktionieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was wir brauchen, sind passende Lösungen und Antworten, um mit der großen Zahl von Flüchtlingen umzugehen. Deshalb brauchen wir schnelle Asylverfahren, den Abbau falscher Anreize und eine klare Priorität für Kriegsflüchtlinge. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer eine Bleibeperspektive hat, den wollen wir schnell integrieren und auf diese Weise rasch aus Flüchtlingen Mitschüler und Arbeitskollegen machen. (Beifall bei der SPD) Wer allerdings nicht vor Krieg und Vertreibung flüchtet, den wollen wir zurückführen. Das sind die klaren Botschaften des heutigen Gesetzentwurfs, und es sind angemessene und vernünftige Botschaften. Aber wir wissen auch: Das heutige Gesetzespaket ist nur ein kleiner Teil der Lösung. Der eigentliche Treibsatz für die Flüchtlingsströme sind der Krieg in Syrien und die katastrophale Situation in den Flüchtlingslagern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer den Flüchtlingsstrom auch nur ansatzweise verringern will, der muss bereit sein, die Flüchtlinge in der Krisenregion viel stärker als bisher zu unterstützen. (Beifall des Abg. Stephan Mayer (Altötting) [CDU/CSU]) Die Flüchtlingswanderung können wir nicht mit einem Machtwort beenden. Aber wir können etwas tun, wenn Nahrung und Hoffnung in den Flüchtlingslagern schwinden, und zwar sofort. Alles andere wird sich bitter rächen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Deutschland hat in den letzten Wochen und Monaten bei der Flüchtlingsaufnahme Großartiges geleistet, und wir bleiben auch in Zukunft aufnahmebereit. Aber wir können auch nicht Unmögliches leisten. Gerade deshalb werden wir in diesen Tagen Europa nicht aus der Verantwortung entlassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Diese Flüchtlingskrise wird die Europäer auch dazu zwingen, ganz grundlegend über sich, ihr Verhältnis untereinander und zum Rest der Welt nachzudenken. Wir brauchen europäische Lösungen. Aber diese können nicht darin bestehen, dass wir – 25 Jahre nach Fall des Eisernen Vorhangs – zwischen den europäischen Staaten wieder Mauern und Stacheldraht errichten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn jeder Staat die Krise für sich regelt und wir in nationalstaatliche Abschottung zurückfallen, dann ist die europäische Idee am Ende – und übrigens die Flüchtlingskrise noch immer nicht gelöst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir können nur gemeinsam unsere Außengrenzen kontrollieren, Anmelde- und Registrierzentren an den EU-Außengrenzen schaffen und dann diejenigen, die unseren Schutz benötigen, in einem fairen und gerechten Verfahren auf 28 europäische Staaten verteilen. Ja, wir können das schaffen in einem Europa mit 508 Millionen Einwohnern. Aber was jetzt hinzukommen muss, ist der feste politische Wille, die Probleme gemeinsam anzugehen. Sonst werden wir sehr schnell zu der Einsicht kommen: Ja, wir wollen helfen. Aber nein, wir können nicht Unmögliches schaffen. Recht herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes. Hierzu liegen eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages vor.1 Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6386, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6185 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustimmen, und zwar erstens über Artikel 1 Nummern 15, 16 und 19 – Änderung der §§ 47, 48 und 59 a des Asylverfahrensgesetzes –, zweitens über Artikel 1 Nummer 34 – Neufassung der Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes –, drittens über Artikel 2 – Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes –, viertens über Artikel 8 – Änderung des Finanzausgleichsgesetzes – und Artikel 12 – Änderung des Entflechtungsgesetzes – sowie fünftens über den Gesetzentwurf im Übrigen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat hierzu vier namentliche Abstimmungen verlangt, die wir nacheinander durchführen werden. Nach einer Unterbrechung der Sitzung zur Auszählung folgt eine weitere namentliche Abstimmung auf Verlangen der Fraktion Die Linke zur dritten Lesung des Gesetzentwurfes. Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung: über Artikel 1 Nummern 15, 16 und 19 des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung. Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht abgegeben? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2 Wir kommen jetzt zur zweiten namentlichen Abstimmung: über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung, hier: Neufassung der Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3 Wir kommen nun zur dritten namentlichen Abstimmung: über Artikel 2 des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung, Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über Artikel 2 des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.4 Wir kommen jetzt zur vierten namentlichen Abstimmung: über Artikel 8 und Artikel 12 des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung, Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und Änderung des Entflechtungsgesetzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. – Ist das der Fall? – Jawohl. Ich eröffne die Abstimmung über Artikel 8 und Artikel 12 des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung. Ist jemand im Haus, der bei dieser vierten Abstimmung noch nicht abgestimmt hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.5 Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der vier namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung. (Unterbrechung von 12.53 Uhr bis 13.07 Uhr) Vizepräsident Peter Hintze: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. – Da wir jetzt auch noch mündliche Abstimmungen durchführen werden, bitte ich alle, zu ihren Plätze zu gehen. Ich verlese die vier Protokolle. Erstes Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über Artikel 1 Nummern 15, 16 und 19 des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 478, mit Nein haben gestimmt 117, Enthaltungen 6. Damit ist Artikel 1 Nummern 15, 16 und 19 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 598; davon ja: 477 nein: 116 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Valerie Wilms Nein SPD Cansel Kiziltepe DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann (Zwickau) Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Enthalten SPD Klaus Barthel Marco Bülow Hilde Mattheis Susann Rüthrich Swen Schulz (Spandau) Zweites Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Neufassung der Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 477, mit Nein haben gestimmt 118, Enthaltungen 3. Artikel 1 Nummer 35 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 594; davon ja: 473 nein: 118 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Valerie Wilms Nein SPD Klaus Barthel Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Mechthild Rawert Susann Rüthrich Frank Schwabe Kerstin Tack DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann (Zwickau) Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Enthalten SPD Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Swen Schulz (Spandau) Drittes Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt 476, mit Nein haben gestimmt 120, Enthaltungen 7. Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 597; davon ja: 474 nein: 117 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Valerie Wilms Nein SPD Cansel Kiziltepe Susann Rüthrich DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann (Zwickau) Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Enthalten SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Hilde Mattheis Swen Schulz (Spandau) Frank Schwabe Viertes Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über Artikel 8 und Artikel 12 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und Änderung des Entflechtungsgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 544, mit Nein hat keiner gestimmt, Enthaltungen 57. Artikel 8 und Artikel 12 des Gesetzentwurfs sind in der Ausschussfassung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 599; davon ja: 542 nein: 0 enthalten: 57 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann (Zwickau) Pia Zimmermann Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze an den Urnen einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.6 Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6393. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Tagesordnungspunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Innenausschusses auf Drucksache 18/6386 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3839 mit dem Titel „Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6190 mit dem Titel „Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss ein Fehler gewesen sein! Sie haben über c abstimmen lassen, Frau Präsidentin, richtig?) – Ja, c. (Zuruf der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Gut. Dann wiederholen wir die Abstimmung. Jetzt passen alle bitte mal auf. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6190 mit dem Titel „Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung“. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Nein, das ist er nicht, Frau Präsidentin!) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist ja b, Frau Präsidentin! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das ist b! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Mein Gott, passt doch mal ein bisschen auf dort hinten!) – Darf ich vielleicht noch einmal wiederholen – ich weiß, es ist jetzt sehr anstrengend –: Unter Buchstabe b lautete der Antrag der Linken: „Flüchtlinge willkommen heißen“ – das ist gleich –, aber dann folgt: „Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik“. Die entsprechende Beschlussempfehlung ist angenommen worden. Jetzt kommt Buchstabe c. Da lautet der Antrag der Linken: „Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung“. Auch hierzu gibt es eine Beschlussempfehlung des Ausschusses, die besagt: Dieser Antrag soll abgelehnt werden. Jetzt bitte ich noch mal alle, über die Beschlussempfehlung zu Buchstabe c abzustimmen. Wer ist für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Wunderbar. (Beifall des Abg. Christian Kühn (Tübingen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Beschlussempfehlung ist also mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ablehnung der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4694 mit dem Titel „Für eine faire finanzielle Verantwortungsteilung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Jetzt kommt Tagesordnungspunkt 5 c. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6381, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6172 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 d. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6392, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/5921 und 18/6289 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 5 e. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 18/6392. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4185 mit dem Titel „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken Jugendhilfe aufnehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5932 mit dem Titel „Das Kindeswohl bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge absichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Kerstin Andreae, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aus dem Pkw-Abgasskandal Konsequenzen ziehen – Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie sichern Drucksache 18/6334 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die notwendigen Konsequenzen aus dem Betrugsskandal um Kfz-Abgase ziehen Drucksache 18/6325 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 600. Mit Ja haben gestimmt 475, mit Nein haben gestimmt 68, Enthaltungen 57. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 599; davon ja: 475 nein: 68 enthalten: 56 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Valerie Wilms Nein SPD Cansel Kiziltepe DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann (Zwickau) Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Sven-Christian Kindler Stephan Kühn (Dresden) Monika Lazar Peter Meiwald Corinna Rüffer Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Enthalten SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Hilde Mattheis Mechthild Rawert Susann Rüthrich Swen Schulz (Spandau) Christoph Strässer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Dr. Franziska Brantner Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Doris Wagner Beate Walter- Rosenheimer Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann sich leider des Eindrucks nicht erwehren, dass VW und die Bundesregierung in einem Punkt sehr deutlich etwas gemeinsam haben: Beiden waren saubere Autos nicht wirklich wichtig; die einen haben geschummelt, und die anderen haben wunderbar weggeschaut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben die besten Autos, Herr Hofreiter!) Wir sehen allerdings, wohin das führt: VW ist schwer angeschlagen, „made in Germany“ ist in manchen Regionen in Verruf geraten. Es gilt der alte Spruch – diesmal gilt er wirklich, meine Damen und Herren von der CSU –: Wer betrügt, der fliegt – und zwar aus dem Markt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das müssen Sie die Käufer entscheiden lassen, Herr Hofreiter!) Leider ist der schöne Spruch „Vorsprung durch Technik“ ersetzt worden durch „Vorsprung durch Betrug“. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!) So was funktioniert auf Dauer allerdings nie; denn die Schummelei kommt am Ende immer heraus. Durch das Wegschauen des Verkehrsministeriums wurde das zur größten Gefahr für die Arbeitsplätze bei uns in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil Sie es kaputtmachen wollen!) Das Problem ist – das merkt man auch an den Zwischenrufen –, dass weder Regierung noch Koalitionsfraktionen oder Autoindustrie bis jetzt gemerkt haben, dass diese Grenzwerte keine lästige Erfindung sind. Man hat sie nicht eingeführt, weil man sich gesagt hat: Wir ärgern jetzt mal die Autoindustrie und erlassen Grenzwerte. – Nein, diese Grenzwerte gibt es aus einem sehr einfachen Grund. Es gibt sie, weil die Autoabgase toxisch für Menschen sind, weil die Autoabgase die Gesundheit der Menschen gefährden, insbesondere in den Städten, wo die Autodichte höher ist. Deshalb gibt es diese Grenz­werte, und nicht, um die Autoindustrie zu ärgern. Und deshalb sind diese Grenzwerte einzuhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Grenzwerte gibt es noch aus einem weiteren Grund: Weil wir verhindern wollen, dass der CO2-Ausstoß am Ende zu einem so starken Klimawandel führt, dass unsere Lebensgrundlagen gefährdet werden. Deswegen gibt es diese Grenzwerte. Es ist schon bedenklich, wenn Vertreter der Autoindustrie sagen: Uns war natürlich klar, dass das alles gar nicht so ernst gemeint war. Die Autokäufer wissen doch eigentlich, dass ein Auto, für das ein Verbrauch von 5 Litern angegeben wird, in Wirklichkeit 7 Liter verbraucht. Diese Grenzwerte sind doch eigentlich dazu da, um Autos untereinander vergleichen zu können. Auch das Umweltbundesamt sagt uns: Wir wissen auch, dass diese NOx-Grenzwerte eigentlich gar nicht ernst gemeint waren. Die wirkliche Belastung ist ein Vielfaches dieses Wertes. – So ist das Ganze allerdings nicht gedacht. Diese Grenzwerte waren politisch dafür gedacht, unser Klima und die Gesundheit der Menschen in den Städten zu schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnte der größte Autokonzern Deutschlands und Europas in so große Schwierigkeiten geraten, dass man jetzt insgesamt überlegen muss, wie es weitergeht? Es konnte so weit kommen, weil es eine unheilige Allianz zwischen der Bundesregierung und den Automanagern gibt, weil es zu oft Autokanzler gab, weil es sowohl bei den Sozialdemokraten als auch in der Union zu viele Leute gab, die sagten, dass sie Benzin im Blut haben. (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Das ist eines der Hauptprobleme dahinter. Es kam auch deshalb so weit, weil die Autoindustrie nach und nach größenwahnsinnig geworden ist. Vertreter der Autoindustrie konnten einfach bei Frau Merkel anrufen, und Frau Merkel hat dann auf Wunsch der Autoindustrie einen bereits ausgehandelten Kompromiss zu den CO2-Grenzwerten zerschossen. Dass eine Autoindustrie, die so viel Macht und Einfluss hat, am Ende glaubt, über den Gesetzen zu stehen, und zwar nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in den USA, das ist naheliegend. Und das ist ein Riesenproblem für unser Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was ist jetzt zu tun, damit VW nicht so endet wie Eon und RWE? Können Sie sich noch daran erinnern, wie arrogant Eon und RWE waren? Sie haben gesagt: Ach, die erneuerbaren Energien werden nie mehr als 3, 4 Prozent zur Stromerzeugung beitragen; wir setzen weiter auf klassische, alte Kohlekraftwerke. Und wie stehen sie jetzt da? Jetzt stehen sie am Rand der Pleite, und die Kommunen in NRW sind in höchster Not. Genau diese Gefahr kann uns bei den Autokonzernen drohen. Die Autokonzerne sind von großer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland; (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn die Autoindustrie ist eine der zentralen Industrien bei uns. Die Autokonzerne sind von großer Bedeutung für Tausende von Menschen, die dort arbeiten. Sie sind von großer Bedeutung für die Kommunen, die auf die Steuerzahlungen dieser Konzerne angewiesen sind. Sie sind insgesamt für die ökonomische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland von großer Bedeutung, weil die Autoindustrie eine zentrale Industrie ist. Deshalb können die Konzerne nur eine einzige logische Konsequenz daraus ziehen: In Zukunft bauen wir nicht nur bequeme und gute und schöne Autos – das bestreitet niemand –, sondern in Zukunft bauen wir auch die saubersten Autos; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) in Zukunft überlassen wir die Technologieführerschaft nicht Toyota, das zum Beispiel ein Wasserstoffauto entwickelt hat, oder Hyundai. Das ist die ganz entscheidende Frage. Dafür bedarf es guter Rahmenbedingungen, die von der Politik gesetzt werden müssen. Da muss das Verkehrsministerium endlich handeln, und da muss auch Frau Hendricks endlich handeln, statt nur zu reden! (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen Kaufprämien, wir brauchen vernünftige Grenzwerte, und wir brauchen ein Ministerium, das nicht nur von Kontrollen redet, sondern diese Kontrollen auch real, auf der Straße, umsetzt. Denn es ist doch absurd, dass das Kraftfahrt-Bundesamt de facto ein paar Häkchen auf ein paar Zetteln macht, aber nicht in der Lage ist, irgendetwas selber zu kontrollieren. Deshalb meine Aufforderung an das Verkehrsministerium: Handeln Sie endlich! Sorgen Sie für vernünftige Kontrollen! Sorgen Sie für vernünftige Rahmenbedingungen! Eine Autoindustrie, die in Zukunft saubere Autos baut und nicht schummelt, hat die besten Chancen, eine führende Industrie für die Zukunft Deutschlands zu werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss, Herr Hofreiter; das wäre gut. Sonst muss ich Ihren Leuten Zeit abziehen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war schon der Schluss, und die CSU ist glücklich. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die Bundesregierung hat jetzt der Staatssekretär Ferlemann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst möchte ich meinen Minister entschuldigen, der heute sicherlich sehr gerne eine Rede zu diesem Tagesordnungspunkt gehalten hätte. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Das glaube ich! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber er ist, wie Sie wissen, auch auf Ihren Wunsch im Haushaltsausschuss gebunden, und das Haushaltsrecht ist das höchste Recht des Parlaments. Das bitte ich zu respektieren. Zum Zweiten möchte ich sagen: Ich komme aus dem VW-Land, aus Niedersachsen. Die Auswirkungen, die dieser Skandal hat, werden bei uns bis in jedes Dorf zu spüren sein. Die Auswirkungen auf die Struktur unseres Landes und auf die dortigen Bedingungen werden enorm sein. Deswegen ist man als Niedersachse äußerst betroffen. Denn man sagt bei uns nicht zu Unrecht: Wenn VW erkältet ist, liegt Niedersachsen schon mit einer Grippe im Bett. – Jetzt ist VW wahrscheinlich nicht nur erkältet, sondern schwer erkrankt. Deswegen müssen wir uns auch um unser Land, um Niedersachsen, durchaus Sorgen machen. Die von Volkswagen eingestandenen Manipulationen bei den Emissionen von Dieselfahrzeugen sind ein sehr ernstzunehmender Vorgang. Sie sind unzulässig und illegal, und sie erfordern sowohl eine vollumfängliche Aufklärung als auch eine zügige Beseitigung der entsprechenden Einrichtungen. VW steht in der Verantwortung, den Schaden zu beheben, eine damit verbundene Belastung seiner Kunden auszuschließen und verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Das ist ein großer Schaden für die Marke VW; so viel steht jetzt schon einmal fest. Ein Weg, den ich allerdings nicht mitgehe, ist, jetzt eine ganze Branche, so wie Herr Hofreiter es gemacht hat, unter Generalverdacht zu stellen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und wegen der Manipulationen Einzelner Hunderttausende von fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verunglimpfen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Wenn die Grünen in ihrem Antrag der gesamten Automobilbranche Schönfärberei oder Greenwashing vorwerfen und ihr grüner Vorzeige-Verkehrspessimist Winnie Hermann sagt: „Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Automobilindustrie nicht ... so bedeutend, wie sie tut“ – Zitat Ende –, dann ist das eine unglaubliche Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten an vorderster Stelle für unser aller Wachstum und unseren Wohlstand gearbeitet haben und es auch heute noch tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Deutschland ist und bleibt das Autoland Nummer eins. Wir sind seit 130 Jahren Innovationsführer beim Automobil. Alle wichtigen Erfindungen – vom Viertaktmotor bis zum Antiblockiersystem – kommen aus Deutschland. Darauf beruht ein wesentlicher Teil unseres Wohlstands, und darauf können wir alle miteinander zu Recht stolz sein. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die Schummelsoftware kommt auch aus Deutschland!) Was Sie machen, ist teilweise unanständig und auch eine unzulässige Vermischung verschiedener Sachverhalte. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was Sie machen, ist unanständig! Das ist ja unglaublich!) Insgesamt geht es um drei unterschiedliche Komplexe, die unabhängig voneinander zu betrachten sind: erstens um die Manipulation bei Dieselfahrzeugen durch VW, zweitens um die Optimierung von Prüfmechanismen in der Typengenehmigung und drittens um die Überprüfung des ordnungsgemäßen Wartungszustandes. In allen drei Bereichen sind wir aktiv und Ihrem Anti-Auto-Antrag sehr weit voraus. Zum ersten Komplex. Wir haben sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe der US-Behörden das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen, strenge spezifische Nachprüfungen bei Volkswagen durch unabhängige Gutachter vornehmen zu lassen. Diese Nachprüfungen erstrecken sich auch auf Fahrzeuge anderer Hersteller im In- und Ausland. Dabei wird sowohl auf dem Prüfstand, der sogenannten Rolle, als auch unter realen Verkehrsbedingungen auf der Straße kontrolliert. Darüber hinaus haben wir eine Untersuchungskommission unter der Leitung von Staatssekretär Odenwald, besetzt mit Fachleuten aus dem Bundesverkehrsministerium und dem Kraftfahrt-Bundesamt, eingesetzt, die bereits wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe in Wolfsburg zu ersten Gesprächen war und Einsicht in die Unterlagen genommen hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat VW im Zuge dessen aufgefordert, einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen und technische Details zu der installierten Software mitzuteilen. Dieser Plan ist bei uns Mitte letzter Woche fristgerecht eingegangen. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat heute eine rechtsverbindliche Anordnung zum verpflichtenden Rückruf der Fahrzeuge gegenüber VW erlassen. Die zugrundeliegende EG-Verordnung sieht vor, dass das Kraftfahrt-Bundesamt zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge nachträglich Nebenbestimmungen anordnen kann. Von dieser Möglichkeit macht das Kraftfahrt-Bundesamt nunmehr Gebrauch. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte es mal früher machen sollen!) Dieser Bescheid kommt im Hinblick auf den Sachverhalt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem von VW in bestimmte Diesel-Kfz eingebauten Softwareprogrammen um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Er auferlegt VW, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit insbesondere der Emissionen des genehmigten Systems nach der Entfernung dieser zu ergreifen und dies durch entsprechende Nachweise zu belegen. Er auferlegt VW außerdem, den von VW am 7. Oktober 2015 vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplan einzuhalten und über den Erfolg der Rückrufaktion dem Kraftfahrt-Bundesamt regelmäßig zu berichten. Hinsichtlich der Fristen sieht der Bescheid ferner Folgendes vor: Für Fahrzeuge mit einem 2-Liter-Aggregat ist bis zum Ende dieses Monats eine generelle Lösung für die Mängelbehebung anhand eines Fahrzeugs mit Testsoftware verbindlich aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit einem 1,6-Liter-Aggregat ist bis Mitte November eine generelle Lösung für die Mängelbehebung verbindlich aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit einem 1,2-Liter-Aggregat ist bis Ende November eine generelle Lösung für die Mängelbehebung verbindlich aufzuzeigen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leidig? Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Nein, ich möchte im Zusammenhang berichten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Die entsprechenden Rückrufaktionen beginnen Anfang 2016. Deren Einleitung und auch deren Fortgang werden ebenso vom Kraftfahrt-Bundesamt überwacht werden. Fest steht, dass VW bei allen Maßnahmen die Verbraucherinteressen vollumfänglich berücksichtigen muss. Das heißt konkret: Alle Maßnahmen, die der Schadensbehebung dienen, und auch mögliche Folgeauswirkungen dürfen nicht zulasten der Kunden gehen. Wir haben gegenüber VW keinen Zweifel daran gelassen, dass wir die Aufklärung und Problemlösung aufmerksam begleiten und nicht nachlassen werden, bis der ganze Fall aufgeklärt ist. Zum zweiten Komplex. Mit den Manipulationen bei VW nichts zu tun hat unser Engagement auf europäischer Ebene, die Prüfmechanismen bei der Typengenehmigung so zu optimieren, dass wir näher an die Realemissionen herankommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stehen seit Jahren auf der Bremse!) Wie Sie alle wissen, stehen wir in Brüssel seit 2011 in Verhandlungen mit der Kommission und den Nationalstaaten, um neben dem Test auf der Rolle auch einen Test mit portabler Messtechnik im Realverkehr auf der Straße, den sogenannten RDE-Test, einzuführen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie versuchen doch, dies zu verhindern!) Das entspricht im Wesentlichen dem Verfahren, das wir jetzt bereits bei den strengen spezifischen Nachprüfungen anwenden. Die Verkehrsminister der Länder sind sich seit langem darüber einig, dass diese RDE-Tests eingeführt werden. Vor diesem Hintergrund wurden bereits mehrere Verordnungspakete verabschiedet. Jetzt geht es darum, letzte Details zu klären und einen verbindlichen Zeitplan zur Einführung der neuen Prüfmechanismen einzuführen. Gleichzeitig setzen wir uns mit großem Nachdruck auf internationaler Ebene dafür ein, ein weltweit einheitliches Testverfahren zur Ermittlung von Abgasemissionen, das sogenannte WLTP, zu entwickeln und in die europäischen Vorschriften zur Typengenehmigung zu überführen. Bereits heute sind bei der Typengenehmigung nach EU-Recht sogenannte nationale Überwachungsprogramme möglich. Dies wird umgangssprachlich auch Feldüberwachung genannt. Dabei wird nach der Typengenehmigung stichpunktartig die Konformität der Serienfahrzeuge überprüft. Zum dritten Komplex. Ein weiteres, wieder anderes Thema, das man eben nicht vermischen darf, ist die Überprüfung des ordnungsgemäßen Wartungszustandes der Fahrzeuge, die sich bereits im Betrieb befinden. Hier greift die sogenannte AU, die periodische Abgasuntersuchung, die sich in den vergangenen Jahren sehr bewährt hat. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das meinen Sie nicht wirklich ernst! Ich fasse es nicht! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat sich bewährt?) Um auch hier noch näher an die Realemissionen heranzukommen, arbeiten wir an einer Kombination der Messungen am Überwachungssystem und am Endrohr. Eine sachgerechte Umsetzung dieser Erweiterung wird derzeit geprüft und anschließend auf den Weg gebracht. Ungeachtet unserer Maßnahmen in diesen drei Feldern müssen wir auch einmal ganz klar sagen: Wir haben in den vergangenen Jahren bei den Emissionen durchaus deutliche Fortschritte gemacht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Stickoxid nicht!) Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Verhandlungen zur europäischen CO2-Richtlinie stark dafür eingesetzt, dass wir in Europa heute die weltweit anspruchsvollsten Zielwerte haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich reicht es nicht!) Dadurch sind allein in den letzten fünf Jahren die CO2-Emissionswerte von Pkw um mehr als 25 Prozent gesunken. Gleichzeitig hat die Einführung der Euro-Grenzwertstufen seit 1992 zu einer über 90-prozentigen Reduzierung der NOx-Grenzwerte geführt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Schönrederei, was Sie da machen!) Das ist die Lösung: näher ran an die Realemission und nicht noch weiter runter mit den Grenzwerten, wie es die Grünen in ihrem Antrag wieder einmal fordern. (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen die Grenzwerte einhalten! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Hendricks ist aber für eine Senkung der Grenzwerte!) Ihnen geht es bei der ganzen Diskussion, so hat man den Eindruck, nicht um Aufklärung, nicht um Lösungen und nicht um Fortschritte. Sie schrecken nicht davor zurück, völlig unterschiedliche Sachverhalte wild zusammenzuwürfeln und Wahrheit und Klarheit Ihrer Ideologie zu opfern. Ihnen geht es ausschließlich um einen Fundamentalangriff auf das Auto an sich als Symbol für Mobilität, Flexibilität und Individualität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Quatsch!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Staatssekretär, ich muss Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer zulassen. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Nein, danke. – Wir klären die Vorgänge bei VW auf und sorgen dafür, dass die Maßnahmen zur Behebung der Manipulationen vollumfänglich umgesetzt werden. Wir wahren die Verbraucherinteressen und stellen sicher, dass die Umrüstung nicht zulasten der Kunden geht. Wir treiben die Einführung der RDE-Tests auf europäischer Ebene weiter voran. Deutschland bleibt Autoland Nummer eins: für unser Wachstum, unseren Wohlstand und unsere Arbeit von morgen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der sogenannte Dieselgate ist wirklich so ein Hammer, dass die Story inzwischen filmreif ist. Der Hollywoodschauspieler Leonardo DiCaprio sicherte sich vor ein paar Tagen die Rechte. Das ist leider kein Witz. ­Leonardo DiCaprio mimt bekanntermaßen am liebsten den Schurken. Das sollte vor allen Dingen dem Minister etwas mehr Ansporn sein, sonst spielt DiCaprio am Ende nämlich nicht Martin Winterkorn, sondern Alexander Dobrindt. (Beifall bei der LINKEN – Oliver Wittke [CDU/CSU]: Sie sind ja lustig! – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Film würde ein Flop werden!) Meine Damen und Herren, ob die Spiegel-Meldung stimmt, dass bis zu 30 Manager in diesen Betrug involviert sind oder nicht, wissen wir nicht. Aber kein Mensch glaubt doch wirklich, dass es hier einzelne Manager und einzelne Ingenieure gewesen sind, die diese Schummelsoftware heimlich und völlig unbemerkt von allen anderen eingebaut haben. Das ist organisierter Betrug. Dieser organisierte Betrug muss ohne Wenn und Aber aufgeklärt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Ferlemann, Sie können uns als Linke glauben: Wir nehmen die Interessen der Beschäftigten ernst. Aber ich bin wirklich entsetzt, wenn Sie im Grunde argumentieren, dass ausgerechnet diejenigen, die Aufklärung verlangen, den Standort schlechtreden. Ich sage: Gerade im Interesse der Beschäftigten gehören die Fakten endlich auf den Tisch und nicht länger unter den Tisch. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe aber leider das Gefühl, dass die Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht kommt. Auch das Krisenmanagement der Bundesregierung ist wirklich nicht gerade vorbildlich. Jahrelang haben Sie die Hinweise der Umweltverbände und der EU ignoriert und buchstäblich in den Wind geschlagen. Offenbar konnte sich die Autolobby in diesem Land sehr sicher fühlen, dass dieser Schwindel nicht auffliegt. Sie durfte sich auch sicher fühlen: Martin Winterkorn als einer der Cheflobbyisten war in der letzten Legislaturperiode neun Mal bei der Bundeskanzlerin. Auch andere Vertreterinnen und Vertreter der Branche gingen wie selbstverständlich bei ihr ein und aus. Aus meiner Sicht ist Regel Nummer eins – schreiben Sie sich diese ins Stammbuch –: Diese Kumpanei, diese Klüngelei zwischen Automobilindustrie und Politik muss endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht aber immer noch weiter. Heute haben wir in der Zeitung gelesen: Die EU ist entsetzt darüber, dass die Bundesregierung nicht genügend aufklärt. Die Abgaswerte überschreiten die zulässigen Höchstgrenzen in der Realität um sage und schreibe 400 Prozent. Dazu sagt die EU: Oh, das ist zu viel. Jetzt dürfen diese Werte nur noch um 60 Prozent überschritten werden. – Ich meine, das ist an sich schon ein bemerkenswerter Vorgang. In welchem anderen Bereich beschließt man, dass bestehende Grenz­werte nur zu 60 Prozent überschritten werden dürfen? Das ist doch wirklich unmöglich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Selbst das ist der Bundesregierung offenbar noch zu streng. Sie blockieren, wenn man den Presseberichten glauben kann. Ich kann nur sagen: Geben Sie diese Haltung auf! Hören Sie mit der Blockade auf! Machen Sie den Weg für schärfere Kontrollen und bessere Gesetze frei! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Offenbar glauben einige, Umweltverschmutzung sei ein Kavaliersdelikt. Aber Luftverpestung durch Diesel­abgase in diesem Maßstab gefährdet die Gesundheit von Millionen von Menschen. Deshalb dürfen wir das nicht dulden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist außerdem auch Verbrauchertäuschung in großem Maßstab. Ab heute haben wir mit dem Rückruf von 2,4 Millionen Autos eine Kennziffer. Es sind also 2,4 Millionen Autokäufer betroffen. Im Verbraucherausschuss des Bundestages wollten Sie das Thema nicht kommentieren, und zwar mit dem absurden Argument, das sei kein Verbraucherthema. Wer das nicht mitbekommen hat, dem ist nicht mehr zu helfen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, zum Schluss stellt sich die entscheidende Frage: Wer wird für diesen Schlamassel bezahlen? Sind es am Ende die Verbraucher und die Beschäftigten? Bei den Familien Piëch und Porsche ist in jedem Fall einiges zu holen. Mit einem Vermögen von 12 Milliarden Euro müssen die keine Existenzängste haben, ganz anders als die Beschäftigten, die jetzt um ihre Jobs fürchten müssen. Oder nehmen wir Herrn ­Winterkorn: Er fällt mit einem stattlichen Jahreseinkommen von 16 Millionen Euro ganz schön weich. Er soll es angeblich auch im nächsten Jahr bekommen. Meine Damen und Herren, dort sitzt das Geld. Da ist etwas zu holen, und ich finde, da sollten wir es uns auch holen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Arno Klare das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Arno Klare (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Von Max Frisch stammt der Satz: „Krise ist ein produktiver Zustand.“ Der Satz ist gut und richtig, und ich stelle dazu fest: Lamento und Bashing sind kein produktiver Vorgang. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was muss jetzt getan werden? Wir brauchen so etwas wie eine Zukunftslandkarte bzw. eine produktive und innovative To-do-Liste, was wir jetzt machen müssen. So bewältigt man Krisen. Das ist der erste Punkt. Wir brauchen natürlich Aufklärung: rückhaltlos und transparent, ohne dass irgendwelche Reste von Zweifeln bleiben. Wir brauchen natürlich Real-Driving-Emissions-Tests. Aber ob dann die NTE-Limits, die es dabei gibt, mit einem CF-Wert von 1,5 oder 1,2 angegeben werden, ist zwar wichtig, aber nicht zukunftsentscheidend. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Klare, ich muss Sie unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leidig aus der Fraktion Die Linke? Arno Klare (SPD): Nein, danke. Ich möchte das jetzt in Ruhe vortragen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Also generell keine Zwischenfragen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist doch albern! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist krass! Sie haben alle die Hosen voll!) Arno Klare (SPD): Zweiter Punkt. Unter dem Gesichtspunkt, Krise als produktiven Wendepunkt zu begreifen, bin ich sehr dankbar – es ist fast untergegangen –, dass sich am Dienstag dieser Woche sechs Unternehmen in Deutschland, und zwar keine kleinen Unternehmen, zum H2-Mobility-Joint-Venture zusammengeschlossen haben. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, weil dabei nämlich sichergestellt wird, dass es bis 2023 in dieser Republik 400 Wasserstofftankstellen geben wird. Warum sage ich das? Diese Tankstellen sind die Bedingung, um Möglichkeiten neuer schadstoffarmer Antriebe zu nutzen. Es geht nicht darum, Schadstoffe herauszurechnen, was ohnehin illegal ist, oder herauszufiltern, was technisch möglich ist und sein muss, sondern schlicht darum, sie gar nicht erst entstehen zu lassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dritter Punkt. Ich war erfreut, aber auch gleichzeitig verärgert – ich sage gleich etwas zu beiden Punkten –, dass VW deutlich gemacht hat, jetzt einen anderen Weg zu gehen, was die Antriebsformen angeht, und sich stärker auf Brennstoffzellen und Elektromobilität zu stützen. Das ist gut so, und das können sie auch gut. Ich war auf der IAA enttäuscht – das ist schon gesagt worden, und das kann ich teilen –, dass das erste serienreife Brennstoffzellenfahrzeug nicht aus Wolfsburg oder von einem der anderen deutschen Premiumhersteller kam, sondern von Toyota vorgestellt worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für mich ist klar: Die Mobilität der Zukunft ist elektrisch, und sie gehört der batteriebetriebenen Mobilität und der Brennstoffzellenmobilität. Wir alle wissen vom Hofmannschen Apparat, was Wasserstoff bewirken kann. Das muss ich niemandem erklären, der im Chemieunterricht aufgepasst hat. Der Hofmannsche Apparat hat ein kleines Effizienzproblem: Man muss mehr Energie hineinstecken, als man nachher an Wasserstoffenergie gewinnen kann. Das gilt aber nicht, wenn die hineingesteckte Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. An dieser Stelle wird daraus ein industriepolitisches Thema. Denn dann hat man Wasserstoff als Speicher für den überschüssigen Strom, der im Moment abgeregelt werden muss. (Beifall bei der SPD) Das ist der entscheidende Punkt. Hier kommen zwei Pole zusammen. Man könnte über die Methanisierung sogar Kohlekraftwerke cleanen, also sauber bekommen, indem man das CO2 in CH4 umwandelt, das wiederum in Motoren verbrannt oder sogar wieder zu Strom gemacht werden kann. So geht das vonstatten. Diese Vernetzung aber vermisse ich in all Ihren Reden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Solche Pläne, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen auch Gesetze bzw. gesetzliche Flankierungen. Diese gesetzlichen Flankie­rungen gehen aber nicht über das Strafrecht, sondern eher über das Steuerrecht; denn da geht es um eine Sonder-AfA für EFahrzeuge, die wir unbedingt brauchen, um einen Hochlauf hinzubekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir brauchen wahrscheinlich auch keine Kaufprämien, die haushalts- und kassenwirksam sind, sondern wir sollten eher darüber reden, ob wir nicht Tilgungszuschüsse für private Käufer über die KfW organisieren. Das ist nämlich haushaltsneutral, bewirkt aber genau dasselbe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch! Nicht nur darüber reden!) Ich sage Ihnen zum Abschluss, was wir auf keinen Fall brauchen. Wir brauchen auf keinen Fall irgendeinen schwachsinnigen Hollywoodfilm à la Watergate oder so ähnlich – egal wer ihn dreht. Wenn schon ein Film gedreht werden soll, dann bitte doch einmal einen mit einer positiven Utopie über die H2angetriebene Mobilität der Zukunft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kommt die deutsche Automobilindustrie aber nicht vor! Das ist das Problem!) Ich bin relativ sicher: Wenn den Kollegen Rimkus oder mich einer fragen würde, ob wir an einem entsprechenden Drehbuch mitschreiben wollten, dann würden wir das sogar ohne Honorar tun. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt die Kollegin Leidig. Sabine Leidig (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Nachdem beide Kollegen nicht gestattet haben, dass ich eine Zwischenfrage stelle, nutze ich die Möglichkeit, jetzt darauf aufmerksam zu machen, dass die von Ihnen ins Feld geführte Untersuchungskommission – das haben wir gerade gehört – von Staatssekretär Odenwald geleitet wird. Wir wissen – das ist akribisch belegt –, dass die Betrügereien mit den Abgaswerten nicht neu sind. Das ist bereits im Februar 2009 von der Deutschen Umwelthilfe dem Verkehrsministerium dargelegt worden. Es haben dort Gespräche stattgefunden. Danach haben noch weitere Gespräche stattgefunden. Es sind Briefe geschrieben worden, und es sind Probemessungen gezogen worden. Die Deutsche Umwelthilfe hat wieder und wieder auf die Problematik aufmerksam gemacht. Im Verkehrsministerium wurde das zur Kenntnis genommen und abgebügelt. Staatssekretär Odenwald ist seit 2009 in leitender Funktion im Verkehrsministerium tätig. Von 2010 bis 2012 war er dort Leiter der Zentralabteilung. Danach wurde er Staatssekretär. Ich bin der Meinung, dass weder das Verkehrsministerium noch das Kraftfahrt-Bundesamt, das in dieser Zeit keine einzige Kontrollmessung durchgeführt hat, dazu geeignet sind, jetzt die Verwicklungen bzw. die Sachverhalte umfassend aufzuklären und für Alternativen zu sorgen. Wir bestehen darauf, dass eine wirklich unabhängige Untersuchung stattfindet und dass das Umweltbundesamt in Zukunft für die Messungen verantwortlich ist – und nicht diejenigen, die für den Schlamassel verantwortlich sind. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Herr Kollege Klare, möchten Sie darauf antworten? Arno Klare (SPD): Selbstverständlich. – Erst einmal bitte ich darum, zwei Sachverhalte – das ist gerade schon von Herrn Ferlemann gesagt worden, ich sage es jetzt noch einmal – auseinanderzuhalten. Frau Leidig, Sie wissen, dass ich im Februar dieses Jahres auf einer Veranstaltung der Deutschen Umwelthilfe – da haben wir, glaube ich, auf demselben Podium gesessen – darauf hingewiesen habe, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass die werksseitig angegebenen Werte möglichst mit denen übereinzustimmen haben, die dann auch auf der Straße erreicht werden. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das wird aber nicht gemacht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) – Also, ich habe selber darauf hingewiesen, dass es dort Differenzen gibt. – Das alles aber ist auf dem Weg. All das wird passieren. Und die Real-Driving-Emissions-Tests, von denen wir gerade geredet haben, werden diese Labortests ergänzen. Man muss aber, wenn man sich das einmal technisch anschaut, auch sehen, wie das bei diesen Tests, die dann auf der Straße passieren, funktionieren muss. Tests müssen, damit sie vergleichbar sind, wiederholbar und objektivierbar sein. Wenn eine Strecke im Schwarzwald abgefahren wird, gibt es einen großen Unterschied zu einer Strecke in Mühlheim, wo eben die Topografie eine ganz andere ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie dieses Gerede auf! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das weiß ich alles! Darum geht es gar nicht!) Man muss Folgendes sehen: Diese RDE-Tests sind zur Ergänzung dessen vorgesehen, was in den Labors gemessen wird. Wir wollen da auch diesen anderen Zyklus haben, der wesentlich realistischere Werte liefert. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einfach klar, Sie wollen Tests verhindern und weiter schummeln!) Wir sind alle dafür, dass sich diese Werte stärker annähern. Das hat etwas mit Verbraucherschutz und Ehrlichkeit zu tun. Aber wir dürfen zwei Sachverhalte nicht durcheinanderbringen, nämlich die in Rede stehende Manipulation durch willentlich falsch eingestellte Software und die Lücke, die es zwischen den Verbrauchswerten im Labor und den tatsächlich auf der Straße erzielten Verbrauchswerten gibt. Das sind zwei verschiedene Sachverhalte, um die wir uns natürlich beide vehement kümmern müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege Oliver Wittke, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Oliver Wittke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eines vorweg: Jawohl, auch wir sind entsetzt über das Ausmaß des Skandals. Es ist völlig klar, dass der zur Diskussion stehende Betrug nicht nur ein Betrug im Hinblick auf staatliche Vorgaben und europäische Normen ist, sondern auch ein Betrug an Kunden des VW-Konzerns sowie an den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die exzellente Arbeit leisten. Es wird in diesen Tagen im Übrigen immer klarer, dass es sich nicht um das Fehlverhalten einiger weniger handelt. Vielmehr hat eine bestimmte Unternehmenskultur diesen Skandal ermöglicht. Daher geht es nun nicht nur um eine umfassende und transparente Aufklärung, sondern auch um einen Wechsel der Unternehmenskultur im VW-Konzern. Das ist dieser Konzern, insbesondere die Führung dieses Konzerns, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Kundinnen und Kunden sicherlich schuldig. Aber genauso klar ist auch – das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen –: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stehen zu einem erstklassigen Unternehmen, in dem erstklassige Arbeit geleistet wird und erstklassige Automobile gebaut werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Kirsten Lühmann [SPD]: Wir von der SPD auch!) Meine Damen und Herren von den Grünen und der Linksfraktion, wir werden es nicht zulassen, dass Sie hier eine effiziente Technologie, nämlich die Dieseltechnologie, ein exzellentes Unternehmen, nämlich den VW-Konzern, sowie eine innovative und leistungsstarke Branche, nämlich die deutsche Automobilindustrie, Pars pro Toto in Misskredit bringen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das hat niemand gesagt! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das hat VW selbst gemacht!) Das haben diese drei Institutionen nicht verdient. Ganz im Gegenteil: Sie sind Leistungsträger unserer Wirtschaft in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren von den Grünen, ich lese Ihnen gerne vor, was in Ihrem zur Debatte stehenden Antrag steht: „Die Schönfärberei ... der Automobilindustrie ist gescheitert.“ (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie wollen die Betrügereien decken?) Weiter ist die Rede von systematischer „Verbrauchertäuschung, Gesundheitsgefährdung und Klimazerstörung“. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles passiert!) Wenn das kein Automobil-Bashing ist, wenn das nicht die Fortsetzung Ihres Antiautokurses ist, dann frage ich mich, wo hier die inhaltliche Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Themen stattfindet, die auf der Tagesordnung stehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das sind Fakten! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt total irre!) Liebe Frau Lay, wenn Sie vorgeben, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, und so tun, als würden Ihnen die Jobs am Herzen liegen, dann hören Sie bitte auf, von Kumpanei zu reden, wenn die Bundeskanzlerin mit den Chefs der deutschen Automobilkonzerne spricht. Das ist richtig, und das fordern wir auch von ihr. Es ist gut, dass sich die Kanzlerin um die Arbeitsplätze kümmert und sie sichert. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es kommt darauf an, was hinten herauskommt!) Im Zusammenhang mit der Dieseltechnologie möchte ich noch etwas sagen. Es gibt kaum eine Technologie, die in den vergangenen Jahren in puncto Sauberkeit solche Fortschritte gemacht hat wie die Dieseltechnologie. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Theorie! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier!) Die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Pkw sind seit 1995 um 30 Prozent gesunken. Seit Euro 3 wurden die NOx-Emissionen von Diesel-Pkw um 84 Prozent reduziert. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier!) Mit modernen Dieselsystemen lässt sich der Kraftstoffverbrauch um 20 Prozent im Vergleich zum Ottomotor reduzieren. Wenn wir im Übrigen über neue Technologien sprechen und beispielsweise die Hybridtechnologie voranbringen wollen, dann brauchen wir die Dieseltechnologie; denn Hybridtechnologie ohne Dieseltechnologie ist unsinnig und wird es nicht geben. So lange, bis der elektroenergetische Antrieb oder der Wasserstoffantrieb zu 100 Prozent im Automobilverkehr eingesetzt werden können, brauchen wir Zwischenlösungen. Deshalb brauchen wir eine Fort- und Weiterentwicklung der Dieseltechnologie. Diese lassen wir uns von Ihnen nicht kaputtreden. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deutschland hat geschlafen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Wittke, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer zu? Oliver Wittke (CDU/CSU): Ja, bitte, gerne. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Kollege Wittke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe eben schon versucht, Herrn Staatssekretär Ferlemann eine Zwischenfrage zu stellen – die hat er nicht zugelassen –, als er die Pressemitteilungen des Bundesverkehrsministeriums aneinandergereiht und hier vorgelesen hat. Mich würde interessieren, ob Sie die Auffassung von Herrn Staatssekretär Ferlemann, die er hier vorgetragen hat, teilen, wonach bei Stickoxiden – Sie haben gerade selber über die Dieseltechnologie gesprochen – keine weitere Grenzwertreduzierungen im Realbetrieb erforderlich sind, oder ob das gilt, was die Bundesumweltministerin gestern, nachzulesen in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung – ich kann Ihnen das gerne vorlesen –, fordert, nämlich dass es bei Stickoxiden im Realbetrieb deutliche Emissionsreduktionen geben muss. Könnten Sie mir bitte diese Frage beantworten? Gilt das, was Herr Ferlemann sagt – es gibt keine weitere Veränderung bei den Grenzwerten –, oder gilt das, was die Bundesumweltministerin gestern in dem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung gesagt hat? Oliver Wittke (CDU/CSU): Herr Kollege Krischer, Sie wissen vielleicht, dass der Verkehrsministerrat am 8. Oktober dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, sich mit genau dieser Problematik beschäftigt hat und beschlossen hat, dass es eine Veränderung der Grenzwerte bei den Stickoxiden geben wird. Das heißt, wir werden dort einen großen Schritt weiterkommen. Ich wäre im Verlauf meiner Rede noch darauf gekommen. Das ist keine Forderung, sondern das ist ein Fakt. Das geschah auf Betreiben auch der Bundesrepu­blik Deutschland; das ist ein Fakt, mit dem wir vorangekommen sind, und damit machen wir die Dieseltechnologie im Übrigen noch sauberer. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also gilt das, was die Umweltministerin gesagt hat, und nicht das, was Herr Ferlemann gesagt hat!) Eines will ich noch anschließen, Herr Kollege Krischer. Wir müssen ein ganz klein wenig auch darauf achten, dass wir hier nicht das Geschäft ausländischer Automobilkonzerne betreiben. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass wir führend sind in der Dieseltechnologie, dass wir eine Technologie entwickelt haben, die über die Jahre hinweg Stück für Stück sauberer geworden ist, und dass beispielsweise amerikanische Automobilunternehmen und auch andere ausländische Automobilkonzerne kein Interesse daran haben, diese europäische Technologie weiter zu fördern, liegt doch offen auf der Hand. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Wittke deckt eine Verschwörung auf! Kommt Ihnen das nicht selber lächerlich vor?) Da geht es um schlichte wirtschaftliche Interessen, da geht es um Arbeitsplätze. Wir sind dafür da, deutsche Arbeitsplätze zu sichern und nicht Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Wittke, weil Sie so temperamentvoll sind, hat jetzt der Kollege Ostendorff das Bedürfnis, Ihnen eine Frage zu stellen, damit Sie ungebrochen weitermachen können. Oliver Wittke (CDU/CSU): Frau Präsidentin, das machen wir vielleicht im Anschluss an diese Debatte. Ich würde jetzt gerne mit meiner Rede fortfahren. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gut. Oliver Wittke (CDU/CSU): Ich habe eine Frage zugelassen. Wir wollen jetzt nicht ein Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Wittke und der grünen Bundestagsfraktion machen. Das wäre, glaube ich, auf Dauer etwas langweilig für die anderen Zuhörerinnen und Zuhörer hier im Saal. – Vielen Dank für Ihr Verständnis. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist deutlich geworden – Staatssekretär Ferlemann hat das ausdrücklich gesagt –, dass es auch Handlungsbedarf gibt. Darum ist es gut, dass wir über Real Driving Emissions nicht nur debattieren und nicht nur Forderungen aufstellen, sondern dass das System im Januar 2016 kommen wird und die Labortests endlich durch Untersuchungen und Tests auf der Straße ergänzt werden. Damit verbessern wir die Kontrollen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Schritt. Da kommen wir tatsächlich weiter voran. Ich habe gerade etwas zu den NOX-Grenzwerten gesagt. Der Verkehrsministerrat hat, wie ich gerade schon in der Antwort auf die Frage des Kollegen Krischer ausgeführt habe, am 8. Oktober beschlossen, dass es eine Veränderung der Grenzwerte geben wird. Es wird eine Verschärfung geben. Das ist gut so und vernünftig. Auch da gab es sicherlich Handlungsbedarf. Ich will auch offen eingestehen: Es reicht eben nicht aus, dass wir als Koalitionsfraktionen ein Elektromobilitätsgesetz als ersten Schritt auf den Weg gebracht haben, sondern es müssen weitere Schritte folgen. Wir wollen die Elektromobilität weiter fördern, und wir werden sie weiter voranbringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann geht es los?) – Entschuldigung, Kollege Kühn, was haben Sie in Ihrer Regierungszeit (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zehn Jahre her! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon sehr lange her! – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein sehr starkes Argument! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das letzte Mal mit der FDP regiert!) – die ist gar nicht einmal so lange her; Sie waren damals noch nicht dabei – vorangebracht? Nichts haben Sie hinbekommen. Wir haben die Elektrotechnologie bei Kraftfahrzeugen vorangebracht. Ich will eine persönliche Bemerkung anschließen, weil ich auch da für Offenheit und Transparenz bin. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das letzte Mal mit der FDP regiert!) – Herr Hofreiter, hören Sie gut zu. Vielleicht gefällt Ihnen das, was ich jetzt sage. – Ich bin dafür, dass beispielsweise Untersuchungsergebnisse des Kraftfahrt-Bundesamtes veröffentlicht werden, weil die Zeiten vorbei sind, in denen man solche Untersuchungsergebnisse irgendwo unter der Decke halten konnte. Da gibt es nichts zu verstecken. Die müssen auf den Tisch gelegt werden, und dann muss darüber debattiert werden. Nur so bekommt man Änderungen hin. Darum werde ich mich ganz persönlich dafür starkmachen, dass wir zu einer Offenlegung solcher Untersuchungsergebnisse kommen. Das tue ich alleine, um Ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen und der Behauptung entgegenzutreten, dass da Kumpanei, Vertuschung oder sonst etwas im Spiel seien. Das ist es nämlich beileibe nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal gut!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass wir aus dieser Krise lernen. Ich hoffe, dass auch andere Unternehmen, im Übrigen nicht nur in der Automobilindustrie, aus dieser Krise lernen. Ich bin mir ganz sicher: Die deutsche Automobilindustrie und auch der VW-Konzern werden gestärkt aus dieser schwierigen Situation hervorgehen, weil wir sie dabei begleiten, weil wir die Rahmenbedingungen setzen (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann setzen Sie Rahmenbedingungen?) und weil wir nicht wie Sie Bashing betreiben, weil wir keinen Feldzug gegen das Automobil betreiben, sondern weil wir an der Seite dieses wichtigen deutschen Industriezweiges stehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Ostendorff. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schönen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir als Betroffenem gestatten, Ihnen, Herr Wittke – Sie waren ja einmal Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen –, die Frage zu stellen, wie Sie Betroffenen diejenigen Fragen beantworten, die sie vom VW-Konzern nicht beantwortet bekommen. Meine Frau und ich haben in unserem Betrieb einen Caddy-Lieferwagen. Wir haben uns umgestellt, weil wir dachten, der Opel, den wir vorher hatten, ist nicht das Richtige, und wir haben uns auf den Kauf eines VW Caddy geeinigt. Damit verbunden war das Versprechen des Händlers, dass damit ein wesentlich höherer Wiederverkaufswert verbunden ist. Das hat sich mittlerweile marginalisiert. In unser Auto ist der Motortyp EA 189 eingebaut worden. Das Vorhandensein dieses Motortyps ist durch das Internet mühsam erkannt worden, nachdem die Marketing-Chefin des VW-Konzerns, die ich als Abgeordneter erreichen konnte, nicht in der Lage gewesen war, mir Antwort auf die Frage zu geben, ob mein Auto von dem Skandal betroffen ist oder nicht. Ich glaube, das Verfahren, das hier gewählt worden ist, ist alles andere als kundenfreundlich; denn man braucht Wochen, bevor man erst im Internet erfährt, ob der Motor des eigenen Autos betroffen ist oder nicht, und man bekommt keine direkte Antwort. Mir wurde das Versprechen gegeben, dass dieser 1,6-Liter-Motor eventuell Anfang nächsten Jahres umgebaut wird. Das kann uns doch nicht befriedigen. Ist das Ihre Antwort, Herr Wittke? Unterstützen Sie dieses Vorgehen? Halten Sie es für verbraucherfreundlich, dem Kunden, der betroffen ist, der getäuscht worden ist, so Antwort zu geben? Wir, die wir den Caddy auch deshalb gekauft haben, weil wir Kunden in den Umweltzonen im Ruhrgebiet – Ihre Heimat wie meine Heimat – beliefern, fragen uns zu Hause natürlich, ob dieser Caddy möglicherweise zu Unrecht eine Betriebserlaubnis und eine Umweltplakette hat. Damit hätten wir uns als Halter strafbar gemacht. Wie beantworten Sie als ehemaliger Verkehrsminister mir die Frage, in welchem Rechtszustand ich mich befinde? Darf ich dieses Auto in einer Umweltzone, etwa in der Stadt Dortmund, noch betreiben oder nicht? Was ist Ihre Antwort? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Wittke, möchten Sie erwidern? Oliver Wittke (CDU/CSU): Ja, gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Oliver Wittke (CDU/CSU): Herr Kollege Ostendorff, ich will Ihre Fragen gerne beantworten, vor allem, weil Sie mich als ehemaligen Verkehrsminister und nicht als Verkaufsberater von VW angesprochen haben. Die Fragen, die Sie gestellt haben, gingen ja wohl eher in Richtung VW als an einen Menschen, der politische Verantwortung trägt. Staatssekretär Ferlemann hat Ihnen gerade dargelegt – ich hoffe, Sie haben richtig zugehört –, wie die Bundesregierung gehandelt hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat dem VW-Konzern aufgegeben, binnen kürzester Zeit – man sollte nicht von Wochen, sondern kann fast schon von Tagen reden – Konzepte aufzuzeigen, wie diese Missstände abgestellt werden. Natürlich hat jeder Kunde ein Anrecht darauf, dass diese Missstände abgestellt werden. Natürlich müssen diese Fahrzeuge nachgerüstet werden. Natürlich müssen diese Fahrzeuge umgerüstet werden. Das ist Verbraucherschutz, der praktiziert wird. Wir sind dazu da, diesen Verbraucherschutz sicherzustellen, und wir werden ihn sicherstellen. Am Ende – Gott sei Dank verfügt VW über diese Technologien – wird Ihr Auto so sauber sein wie das, das Sie eigentlich kaufen wollten. Dafür steht das Kraftfahrt-Bundesamt; dafür gibt es die politischen Rahmenbedingungen. Was Ihr Vertrauensverhältnis zu diesem Konzern anbelangt: Das ist eine Geschichte, die Sie mit sich ausmachen müssen. Auf Ihre Frage dazu kann ich Ihnen sicherlich keine Antwort geben. Aber Sie werden am Ende dieses Prozesses einen Wagen haben, der so sauber ist wie der, den Sie bestellt haben. Damit haben sich alle anderen Fragen, die Sie gestellt haben, erübrigt. Das heißt, Sie werden in die Umweltzonen fahren können, Sie werden keinen Wertverlust erleiden, sondern Sie haben ein technologisch hochwertiges Fahrzeug erworben, für das Sie einen angemessenen Preis bezahlt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Darf er nun in die Gelsenkirchener Innenstadt? Was macht er die nächsten Monate? Das ist die Frage!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im August war die Welt für die Beschäftigten bei VW noch in Ordnung. Seit September wissen sie vom systematischen Betrug einzelner Manager. Verbraucherinnen und Verbraucher werden verprellt, Umwelt und Kommunen belastet. Gleichzeitig erleben wir, wie dafür verantwortliche Topmanager mit fast 30 Millionen Euro abgefunden werden und weich fallen. Das alles ist nicht zu entschuldigen. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt aber stellt sich die Frage: Wer muss dafür eigentlich den Kopf hinhalten? Mit Sicherheit trifft es diejenigen, die keine Schuld an dem Skandal und an dem ganzen Schlamassel haben, nämlich die Beschäftigten. Die Bundesregierung und die niedersächsische Landesregierung können sich sicher sein, dass wir sehr genau darauf schauen, was sie in den nächsten Tagen machen werden. Als Abgeordnete aus Niedersachsen und erst recht als Gewerkschafterin der IG Metall weiß ich nur zu gut, wie wichtig VW als Arbeitgeber für die Menschen in diesem Bundesland ist. Es geht hier aber nicht nur um die niedersächsischen Beschäftigten. (Ulli Nissen [SPD]: Auch um die Hessen!) In Deutschland arbeiten 160 000 Menschen bei VW, weltweit sind es 600 000. Hinzu kommen die Beschäftigten aus den Zulieferbetrieben, die befristet beschäftigten Leiharbeiter und die Werkvertragsbeschäftigten. Sie alle sorgen sich derzeit um ihren Arbeitsplatz, ihre Zukunft und die Sicherheit ihrer Familien, und das alles wegen organisierten Betrugs von Managern. Ich fordere Sie auf, die Befürchtungen und Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Sie sind schockiert, dass so etwas bei VW passieren konnte. Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie Angst und Unsicherheit die Menschen im Moment umtreiben? In diesem Zusammenhang ist jetzt Arbeitsplatzsicherung das A und O bei VW. (Beifall bei der LINKEN) Dabei sind alle gefragt, allen voran der Arbeitgeber VW. Das erwarten die Arbeiter zu Recht, insbesondere diejenigen, die bald ihre Miete nicht mehr zahlen können, weil der befristete Leiharbeitsvertrag ausläuft. Die Gewerkschaft und die betrieblichen Interessenvertreter haben viel Erfahrung mit Beschäftigungssicherung in Krisenzeiten. Sie wissen, wie man mit Arbeitszeitkonten, mit Arbeitszeitverkürzung und Kurzarbeit umgeht. Nun muss endlich auch die Bundesregierung die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Sie muss zusehen, dass jetzt alles unternommen wird, damit die Folgen des VW-Skandals nicht auf die Beschäftigten und die Kommunen abgewälzt werden. (Beifall bei der LINKEN) Auch Leiharbeitsbeschäftigte verdienen den Schutz durch Kurzarbeit. Es kommt darauf an, die Arbeitsplätze der Beschäftigten zu erhalten. Klar ist: Wenn VW hustet, dann wackelt ganz Niedersachsen, und es wackeln unzählige Firmen über VW hinaus. Die Bosse können sich entspannt zurücklehnen und werden sich möglicherweise auf einer sonnigen Insel ausruhen – nicht jedoch die Beschäftigten –, werden sie doch alle vielleicht in Millionenhöhe abgefunden. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat die Verantwortung für die Beschäftigten bei VW. (Beifall bei der LINKEN) Sie hat auch die Verantwortung für die zig betroffenen Beschäftigten in den umliegenden Bereichen: den Bäckereien, den Kiosken, den Supermärkten und allen anderen, die dazugehören. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, damit dort Beschäftigung weiter erhalten bleibt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Birgit Kömpel, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Birgit Kömpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! VW stand stets für deutsche Wertarbeit – (Oliver Wittke [CDU/CSU]: Immer noch!) hier bei uns und in der ganzen Welt. Der VW-Käfer zum Beispiel war das Sinnbild für das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Krieg. VW wurde in einem Atemzug mit Wörtern wie Zuverlässigkeit, Wertbeständigkeit und Sicherheit genannt. Diese Eigenschaften haben VW groß gemacht und den Erfolg des Unternehmens begründet. Auch zu Beginn des Jahres hat VW wieder Erfolge verkündet. Die Marke von 600 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollte erstmals in der Geschichte des Autobauers überschritten werden. VW war damit auf dem besten Weg, zum größten Autobauer der Welt aufzusteigen. Diese einmalige Erfolgsgeschichte ist nun vorerst zu Ende erzählt. Das ist sehr bedauerlich, und das ist auch – leider – selber verschuldet. VW hat in großem Maß Abgasmessungen bei seinen Dieselfahrzeugen manipuliert. Insgesamt – Stand heute – sind davon circa 11 Millionen Fahrzeuge betroffen. Noch kann keiner diesen langfristigen Imageschaden auch nur annähernd beziffern. Ich persönlich allerdings bedauere vor allem, dass es nun wohl zum großen Teil die VW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sein werden, die die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen ihre Führungsetage eingebrockt hat. Sie haben gut gearbeitet. Sie trifft keinerlei Schuld. Auch wenn noch nicht klar ist, welches Ausmaß der Abgasskandal von VW erreicht – eines muss sicher sein: Die Affäre muss offensiv aufgedeckt und vollumfänglich aufgearbeitet werden, und bei der Aufarbeitung darf es keine Tricks geben. (Beifall bei der SPD) Leider gehen die Folgen noch ein bisschen weiter; Herr Ferlemann hat es bereits erwähnt. Die Kommunen mit VW-Standorten sind unmittelbar betroffen. Wenn Wolfsburg beispielsweise eine Haushaltssperre verhängt, ist für Standorte wie Baunatal in meinem Heimatland Hessen nicht sicher, ob die für die nächsten Jahre geplanten Modernisierungen nun auch realisiert werden können. Wir alle wissen: Fehlende Investitionen in einen Standort können diesen mittel- und langfristig als Ganzen gefährden. Daher darf VW jetzt keine Fehler mehr machen: nicht bei der Aufarbeitung des Skandals, nicht im Hinblick auf die notwendigen Konsequenzen daraus und schon gar nicht beim Entwurf einer Strategie für die nächsten Jahre. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir ins Spiel. Hier ist auch die Politik gefragt. Ich fordere Folgendes: Erstens. Abgaswerte müssen zukünftig einheitlich und unabhängig vom Unternehmen festgestellt und überprüft werden. Dazu müssen die neuen realitätsnahen Messverfahren zügig eingeführt werden. Zweitens. Messungen im realen Fahrbetrieb dürfen nicht mehr wesentlich von den Laborergebnissen abweichen. Es müssen klare Konsequenzen bei Verstößen auf nationaler und internationaler Ebene vereinbart werden. Last, but not least: Die Aufarbeitung des Skandals muss eng begleitet und genauestens beobachtet werden, damit weitere negative Folgen von den Arbeitnehmerinnen und den Arbeitnehmern abgewendet werden können. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es wird ein harter Weg werden, um das verlorengegangene Vertrauen im In- und Ausland wiederzugewinnen. Aber ihn zu gehen, sind wir vor allem den Menschen schuldig, die im Vertrauen auf den guten Ruf von VW täglich an vielen Standorten in Deutschland und auf der ganzen Welt ihr Bestes für das Unternehmen geben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Stephan Kühn das Wort. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein einziges Mal hat das Kraftfahrt-Bundesamt in der Vergangenheit die Angaben der Automobilhersteller kontrollieren lassen. Erst durch die VWAffäre soll nunmehr untersucht werden, ob das, was typgenehmigt wurde, auch tatsächlich verbaut wurde. Das Kraftfahrt-Bundesamt kann diese Aufgabe nicht selber wahrnehmen; denn das Kraftfahrt-Bundesamt besitzt keinen einzigen Rollenprüfstand, um zum Beispiel Abgasuntersuchungen vorzunehmen. Das ist in etwa so, als wenn die Polizei Verkehrskontrollen durchführen soll, aber keine Fahrzeuge dafür zur Verfügung hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt ist vollständig auf technische Dienstleister angewiesen. Diese wiederum werden für die Zulassung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen direkt von der Automobilindustrie bezahlt. Da sind wirtschaftliche Interessenkonflikte vorprogrammiert. Wir brauchen daher eine unabhängige europäische Typgenehmigungsbehörde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Feldüberwachung der im Verkehr befindlichen Fahrzeuge sollte künftig durch das Umweltbundesamt übernommen werden. Herr Ferlemann, Sie haben die Abgasuntersuchung angesprochen. Das war interessant. Sie haben von der Endrohrmessung gesprochen. Ihnen müsste eigentlich bekannt sein, dass seit 2006 – so meine Erinnerung – gar keine Endrohrmessungen mehr durchgeführt werden. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!) War das jetzt ein Hinweis darauf, dass sie künftig wieder stattfinden werden? Dann wäre das ja sehr positiv zu bewerten. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Autos, die Schadstoffgrenzwerte nur im Labor einhalten, aber nicht auf der Straße, sie dort vielmehr um ein Vielfaches überschreiten, sind nicht zukunftsfähig. Das ist Greenwashing, und das ist gescheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Messverfahren für Straßentests werden aktuell in Brüssel verhandelt. Bei den sogenannten Real Driving Emissions, kurz RDE, geht es um Abgastests unter realen Fahrbedingungen. Die Kommission hat am 6. Oktober einen Vorschlag dazu vorgelegt. So sollen die realen Emissionen ab 2017 nur noch maximal um das 1,6Fache oberhalb der festgesetzten Abgasgrenzwerte liegen dürfen, ab 2019 nur noch um das 1,2Fache und damit im Bereich der Messunsicherheit des RDEVerfahrens. Morgen, also am Freitag, dem 16. Oktober, muss die Bundesregierung der Kommission antworten, wie sie zu diesem Vorschlag steht. Erfreulich, dass sich die Bundesumweltministerin gestern öffentlich zu diesem Vorschlag bekannt hat. Nur scheint 24 Stunden vor Rückmeldefrist keine abgestimmte Position der Bundesregierung vorzuliegen; denn gestern hat der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle im Verkehrsausschuss bekräftigt, dass es dazu noch keine abgeschlossene Meinung der Bundesregierung gibt. Deshalb stellt sich die Frage, ob Verkehrsminister Dobrindt mal wieder auf der Bremse steht. Ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass sie sich jetzt konsequent für den Schutz der Menschen vor gesundheitsgefährdenden Stickoxiden und für eine bessere Luftqualität in Städten einsetzt. Das ist das Gebot der Stunde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Krise der deutschen Automobilindustrie kann auch eine Chance sein, wenn sie für die Umstellung auf emissionsfreie Antriebe genutzt wird. Wer es mit Klima- und Umweltschutz ernst meint, muss jetzt auf Elektromobilität setzen – und nicht länger auf den Diesel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn damit wäre man international schlecht aufgestellt: In den USA ist der Markt für Diesel praktisch tot, in China gibt es keine DieselPkw, dort setzt man gleich auf die Elektromobilität. Industriepolitisch gesehen, darf die deutsche Automobilindustrie nicht den Anschluss verlieren. Dafür hängen von ihr in Deutschland zu viele Arbeitsplätze ab. Die Politik muss jetzt unterstützend eingreifen: Wir brauchen ein Marktanreizprogramm mit einer Kaufprämie für Elektroautos, wenn die Elektromobilität – ob nun mit Batterie- oder Brennstoffzellentechnologie – endlich aus der Nische kommen soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen ein Investitionsprogramm für Elektromobilität, um zum Beispiel den Aufbau öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur voranzutreiben. Eine klare Linie der Bundesregierung kann ich an dieser Stelle nicht erkennen: Frau Hendricks ist für eine Kaufprämie, Herr Dobrindt dagegen. Meine Damen und Herren, jetzt muss gehandelt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie langfristig zu sichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Matthias Heider spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird heute wohl nicht das letzte Mal sein, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen müssen. Wir alle haben aber, wie ich glaube, inzwischen den Eindruck gewinnen können, dass es mehr darum geht, politisches Kapital aus dem Fehlverhalten von einzelnen Personen zu schlagen. Das, was Sie uns heute hier verquickt vortragen, macht jedenfalls deutlich, dass Sie allen Anspruch auf diese Lösung erheben. Meine Damen und Herren von den Grünen, es gibt durchaus ein paar Punkte, die vernünftig sind. Da gibt es auch gar keinen Widerspruch zu den Forderungen in Ihrem Antrag, nämlich dass Aufklärungsarbeit zu leisten ist. Dass es allen Beteiligten angelegen sein muss, Schaden vom Unternehmen Volkswagen und damit auch Schaden von der deutschen Wirtschaft abzuwenden, das ist ein Gebot, dem Sie alle schon im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland zustimmen müssten. Es wird eine Menge Aufklärungsarbeit betrieben. VW hat eine externe Revision in Form von Anwälten in den USA und Deutschland beauftragt. In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betruges. Der Verkehrsminister hat eine Kommission aus Experten von Kraftfahrt-Bundesamt und Ministerium einberufen, die ebenfalls an der Aufklärung des Fehlverhaltens arbeitet. Es gibt einen Austausch mit den amerikanischen Behörden. Und die Bundesregierung berichtet dem Bundestag und seinen Ausschüssen. Ich stelle zunächst einmal fest, dass all das, was notwendig ist, im Moment getan wird, um die Situation aufzuklären. Ich lese in Ihrem Antrag aber beispielsweise auch, dass Sie glauben, es sei jetzt ein Wendepunkt im Hinblick auf die Dieseltechnologie erreicht. Das klingt, als hätten Sie schon die Abschaffung des Diesel-Pkw beschlossen. Das ist aber genau der falsche Weg, und das hat der Kollege Wittke in seiner Rede gerade eindrucksvoll belegt. Natürlich brauchen wir saubere Dieselmotoren, aber wir brauchen auch Dieselmotoren, die effizient sind. Dabei ist es ein hoffnungsvolles Potenzial, dass die meisten Hersteller von Dieseltechnologie sagen, dass der Verbrauch um weitere 15 bis 20 Prozent verbessert werden kann. Wenn wir eine saubere und gleichzeitig sparsamere Technologie behalten können, warum sollen wir sie dann schon abschaffen, nur weil Sie das heute hier fordern? Zum Antrag der Linken wollte ich eigentlich nichts sagen. Nur so viel: Sie geben vor, dass Sie Arbeitsplätze schützen wollen. Sie schlagen dafür kompliziertere Strukturen beim Umweltbundesamt und beim Kraftfahrt-Bundesamt vor. Sie wollen gleich auch noch die Gruppenklage als neue Klageart einführen und damit wahrscheinlich Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild Vorschub leisten. Sie sprechen von einem Unternehmensstrafrecht. (Caren Lay [DIE LINKE]: Nein! Das haben Sie falsch verstanden! Das ist doch Quatsch!) Dabei bestrafen Sie eigentlich die Mitarbeiter des VW-Konzerns; denn Unternehmensstrafrecht ist so etwas wie eine kollektive Schuldzuweisung. Bei uns in Deutschland ist es Gott sei Dank so, dass Schuld an ein persönlich vorwerfbares Verhalten geknüpft ist. Gerade diesem persönlichen Fehlverhalten der entsprechenden Mitarbeiter des Konzerns sind wir auf der Spur. Wir wollen nicht diejenigen bestrafen, die mit guter Arbeit dazu beitragen, dass ein vernünftiges Produkt entsteht. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie uns einen Blick auf das Ausmaß des Schadens werfen. Weltweit sind 11 Millionen Fahrzeuge betroffen, allein in Deutschland 2,4 Millionen. Das Vertrauen der Verbraucher ist tief enttäuscht, weil sie Autos von VW als ein solides und zuverlässiges Produkt aus Deutschland kennen. Das Bild der seriösen deutschen Ingenieurskunst insgesamt ist angekratzt. Wenn Sie mit Besuchern aus dem Ausland sprechen, dann erfahren Sie, dass man dort auch die große Sorge hat, dass die Marke „made in Germany“ damit beschädigt wird. Wie konnte es eigentlich zu diesem dolosen und massiven Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter bei VW kommen? Das ist die Frage, die uns hier heute interessieren muss. Die Ursachen sind wohl insbesondere innerhalb des Konzerns zu suchen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei der Bundesregierung!) weil dieser Skandal zeigt: Wenn eine solche Manipulation an einem so zentralen Bauteil wie dem Motor in einem Konzern möglich ist, dann müssen nicht nur dringend die manipulierten Fahrzeuge in die Werkstatt, sondern dann brauchen auch die Compliance-Regeln in diesem Konzern dringend eine Inspektion. Ich habe die Hoffnung, dass der VW-Konzern das jetzt sehr vorbildlich lösen wird. Die Ursachen sind aber auch außerhalb des Konzerns zu suchen, weil wir prüfen müssen, ob unsere bisherigen Regelungen – das hat der Kollege Kühn gerade richtig angesprochen – zur Erteilung der Typgenehmigungen durch das Kraftfahrt-Bundesamt im Rahmen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ausreichend sind. Es hat wohl nicht funktioniert, dass man das, was das Kraftfahrt-Bundesamt möglicherweise auch mit eigenen Kräften nachprüfen könnte, konsequent auf Labore und Zertifizierungsstellen outgesourct hat. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Wenn die Industrie in einem solchen Umfang von einer Bürokratieentlastungsregelung Gebrauch macht, dass man schon von einem Missbrauch sprechen muss, dann gehört auch diese auf den Prüfstand, gar keine Frage. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir doch mal klatschen! – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) – Klatschen Sie ruhig. Ich habe ja schon eingangs gesagt: Es gibt Punkte, da sind wir uns durchaus einig. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das dem Minister auch einmal gesagt?) Wie reagiert jetzt der VW-Konzern auf diese drohenden hohen Kosten – es wird wohl einen hohen Milliardenbetrag erfordern – in seinem Hause? Ein Sparprogramm wird auf den Weg gebracht. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nichts Neues!) 1 Milliarde Euro soll dieses Sparprogramm erbringen. Das wird einen Kostendruck bei vielen Zulieferern, die auch bei Ihnen zu Hause in den Wahlkreisen angesiedelt sind, auslösen. Das hat das Potenzial, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze zu gefährden. Es wird auch dafür sorgen – das haben die Kollegen aus Niedersachsen schon damals in der Aktuellen Stunde vorgetragen –, dass es Gewerbesteuereinbrüche in Städten und Gemeinden gibt. Braunschweig und Wolfsburg haben schon Haushaltssperren verhängt. Wir haben deshalb überhaupt keine Freude an den Folgen dieses Skandals. Im Gegenteil: Wir müssen durch konsequente Aufklärung dafür sorgen, dass ein solcher Vorfall nicht wieder geschehen kann. Die Industrie – das ist eines der klaren Ziele – muss zeigen, dass der Diesel weiter neben den verschiedenen Möglichkeiten der Elektromobilität eine Zukunftstechnologie ist. Wir müssen zeigen, dass Produkte aus Deutschland für Verlässlichkeit stehen, dass „made in Germany“ weiterhin das Signet für Qualität ist und dass Deutschland auf diesen Feldern Technologieführer ist. Letztens müssen die Verbraucher vor Täuschungen dieser Art geschützt werden. So kann Vertrauen wiederhergestellt werden – das ist die vordringliche Aufgabe –, so schützen wir den deutschen Automarkt, eine Schlüsselbranche unserer Industrie, ohne daraus – diese Bitte habe ich – politisches Kapital schlagen zu wollen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Birgit Malecha-Nissen, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hört sich an wie ein Wirtschaftskrimi und ist doch Realität. Im Frühjahr 2014 gab es erste Hinweise, dass europäische Dieselmodelle der Marke VW die strengen amerikanischen Abgasnormen nicht einhalten. Während man in der Folge noch von technischen Problemen sprach, kam dann im September dieses Jahres der Paukenschlag: Der VW-Konzern gab erstmals öffentlich zu, bei Abgastests manipuliert zu haben. Nun haben sich die Ereignisse überschlagen und den vorläufigen Höhepunkt erreicht: Texas verklagt VW wegen des Verstoßes gegen Verbraucherschutz- und Umweltgesetze, und das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet, ganz aktuell, den Rückruf von 2,4 Millionen Autos an. Inzwischen ist auch klar: Insgesamt sind etwa 11 Millionen VW-Fahrzeuge von der Manipulation betroffen. Meine Kollegin Birgit Kömpel hat gesagt: Gerade unsere Generation ist der Marke VW sehr verbunden. Sie hat auch ein Stück weit unser Leben begleitet. Wir müssen dabei fest im Blick haben: Die Automobilindustrie hat für den Standort Deutschland eine enorme wirtschaftliche Bedeutung – damals wie heute. Deutsche Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer sind in vielen Bereichen Innovationsführer, und das muss auch in Zukunft so bleiben. Die Folgen dieses Skandals werden jedoch noch lange nachwirken. Unsere besondere Sorge gilt dabei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, (Beifall bei der SPD) großartig ausgebildeten Facharbeiterinnen und Facharbeitern, Ingenieurinnen und Ingenieuren. Sie sind verunsichert, wissen nicht, wie es für sie weitergeht, und haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Warum geht ein erfolgreicher Konzern einen solchen Weg? Das werden sich viele fragen. Warum so viel Energie in die Manipulation stecken, statt ein Produkt weiterzuentwickeln? Fakt ist – hier widerspreche ich meinem Vorredner –: Die Dieseltechnologie stößt bei hohen Leistungen, bei hohen Geschwindigkeiten an ihre Grenzen, was die Einhaltung der Abgasnorm angeht. Lassen Sie uns deshalb den Skandal als echte Chance nutzen, unsere Energie und unseren Erfindergeist in die Weiterentwicklung alternativer Antriebe zu investieren! Mein Kollege Arno Klare hat uns heute schon eine innovative To-do-Liste vorgestellt. Die Zukunft gehört der Elektromobilität. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn wir haben reichlich Strom aus erneuerbaren Energien. Damit ist der Weg zu wirklich sauberer Mobilität frei. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute ein Auto kaufen, dann können wir viele technische Errungenschaften als Extras dazukaufen: vernetzte Navigation, klimatisierte Sitze, Einparkhilfen, automatische Distanzregelung, Fernlichtassistenten, um nur einige zu nennen. Mittlerweile machen diese Extras einen beträchtlichen Teil des Kaufpreises aus. Automatische Distanzregelung und Fernlichtassistenten sind jedoch nicht nur Luxus, sondern tragen auch wesentlich zur Verkehrssicherheit bei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielleicht müssen wir an dieser Stelle einmal umdenken und diese Fahrerassistenzsysteme auch zur Standardausrüstung eines Fahrzeugs erklären, ähnlich wie früher den Airbag. (Beifall bei der SPD) Katalysatoren zur Steuerung der Abgaswerte, über die wir heute sprechen, gehören zur Standardausrüstung. Wird deswegen alles unternommen, die Kosten zu senken, zu manipulieren und gesetzliche Vorgaben zu umgehen, weil es eine Standardausrüstung ist? Wird etwa auch bei anderen Standardausrüstungen gespart und der Fokus zu stark auf gewinnbringende Extras gelegt? Diese Frage werden wir heute nicht beantworten können, aber mir war es wichtig, sie heute einmal in den Raum zu stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Umweltministerin Barbara Hendricks hat bereits schärfere Abgasvorschriften und -kontrollen für alle Dieselfahrzeuge gefordert. Die Kosten für das Kontrollsystem sollen dabei die Hersteller tragen. Was heißt das jetzt konkret? Mein Kollege hat es zum Teil schon genannt – ich möchte es noch einmal erwähnen –: Das neue Testverfahren WLTP mit weltweiten strengen Prüfstandards muss schnellstmöglich eingeführt werden, möglichst noch vor 2014. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist vorbei! Das geht nicht mehr!) Dieses Verfahren löst ein altes Messverfahren ab, das schon in den 90er-Jahren entwickelt wurde. An der Stelle ist es mir wichtig, zu sagen: Man kann sich gut vorstellen, dass ganz viel Raum für Manipulationen besteht, wenn man ein Messsystem nutzt, das fast 20 Jahre alt ist, aber die Software auf dem Stand des Jahres 2015 ist. Als Zweites werden wir natürlich – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich darf Sie an die Zeit erinnern. Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Ja. Es gibt zu diesem Thema so viel zu sagen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ja, aber das geht leider nicht. Es sitzen noch ganz viele hier im Saal, die viel zu sagen haben. Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Okay, noch zwei Sätze. – Zweitens werden wir uns umgehend auf EU-Ebene für die Einführung der Messung der Realemissionen von Pkws als weiteres Kon­trollverfahren einsetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass neben den theoretischen Messungen natürlich auch auf der Straße gemessen und geprüft wird, um das Verbrauchsverhalten realistisch abzubilden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt! Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Ich bedanke mich ganz herzlich. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Ostfriesland gibt es gerade eine ganze Liste von Sorgen; aber meine kleinste Sorge ist derzeit, wen Leonardo ­DiCaprio denn als Nächstes spielen wird, (Beifall bei der SPD) es sei denn, er kandidiert für den Deutschen Bundestag. Nach Bekanntwerden des Abgasskandals werden schnell Konsequenzen gefordert. Aber eines muss zunächst klargestellt werden: Die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Werken von VW haben gute Arbeit geleistet, nicht nur in den letzten Jahren. Sie sind es, die VW in den letzten Jahrzehnten durch ihren Einsatz zur weltweit größten Automarke gemacht haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Es sind nicht nur die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Werken, sondern auch an den Werken, also die Zulieferer, die gute Arbeit geleistet haben. Es ist gute Arbeit in den Standortkommunen geleistet worden, die sich auf die Automobilindustrie eingestellt haben. Als Kind von der Küste kann ich sagen, dass stets auch in den Häfen gute Arbeit geleistet wurde, die die wichtige Aufgabe des Exports übernommen haben. Insofern liegt eigentlich eine unfaire Situation vor, wenn die eigentlichen Leistungsträger plötzlich zur Verantwortung gezogen werden sollen. Verantwortung haben die Menschen in den Managementetagen, nicht die Menschen, die am Band arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir müssen dafür Sorge tragen, dass am Ende nicht die Menschen an den Werkbänken und an den Bändern die Suppe für inakzeptable Managemententscheidungen auszulöffeln haben. Es ist richtig, Konsequenzen zu fordern. Allerdings ist es genauso richtig, erst alle Sachverhalte gründlich aufzuklären. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) Nur auf Grundlage der Erkenntnis der Aufklärung können wirksame Konsequenzen gefordert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Frage: Durch den Abgasskandal ist Vertrauen zerstört worden. Das ist besonders schlimm, weil Deutschland weltweit als klimapolitischer Vordenker gilt. Das ist besonders schlimm, weil Deutsche den Ruf haben, auch nachts um drei an einer vollkommen leeren Straße vor einer Fußgängerampel auf Grün zu warten, also Rechtsstaatlichkeit zu leben. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es kommt darauf an, wie man nun beispielgebend mit der Situation umgeht, und man kann darin auch eine Chance sehen. Zum Beispiel kann ich mir gut – wir haben das heute schon mehrfach gehört – einen konsequenten Einstieg in die Elektromobilität vorstellen. Seite 44 des Koalitionsvertrags kann in dieser Frage deutlich helfen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessiert diese Seite 44 Ihren Minister auch nur ein bisschen?) Ich möchte an dieser Stelle ein Lob für den Neun-Punkte-Plan der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks aussprechen. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Art, wie man die Krise aufklärt, wie man Transparenz schafft, wie man dafür sorgt, dass die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen und die Nichtverantwortlichen geschützt werden, und wie man sich aus der Krise heraus für die Zukunft aufstellt, schafft neues Vertrauen – neues Vertrauen in neue VW-Modelle, aber auch neues Vertrauen in „made in Germany“. Die Dieseltechnologie würde ich an dieser Stelle nicht gleich kaputtreden; denn Dieselantriebe sind energieeffizient und außerdem im Sinne unserer Klimaziele. Dass die Stickoxidproblematik beherrschbar ist, sei an dieser Stelle auch mal erwähnt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Allein in diesem Bereich gibt es 70 000 Arbeitsplätze. Wer hat eigentlich vor einem Jahr seinen angegebenen Abgas- und Verbrauchswerten getraut? Das gilt übrigens auch für Energieausweise an Gebäuden. Ich will das ausdrücklich nicht kleinreden. Eine wirksame unabhängige Kontrolle ist jetzt wichtiger denn je; wir haben viel über Real Drive Emission gehört. Neue Testverfahren sind wichtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es in abgeänderter Form schon gehört: Wenn VW hustet, dann hat Ostfriesland eine Lungenentzündung. Die Auswirkungen auf die Region sind enorm. Aber es gibt auch bundesweit Auswirkungen, wegen der Zulieferer von VW. Wir sind gefordert, dafür zu sorgen, dass es nicht zu unumkehrbaren Strukturbrüchen kommt, und zwar wir alle. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für die Menschen in den Werken, denen man keinen Vorwurf machen kann, müssen wir uns einsetzen. Diese Menschen haben ihre ganze Kraft eingesetzt – oder wie wir Ostfriesen sagen: Knooit hett lüttje Mann sük genug. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6334 und 18/6325 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit; denn wir haben eine Reihe von Abstimmungen vorzunehmen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf. Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen. Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e sowie Zusatzpunkt 2 a: 30   a)    Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes Drucksache 18/6162 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten Drucksache 18/6280 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014 des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe Drucksache 18/6294 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken Drucksache 18/6204 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­abschätzung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Herdenschutz ist Wolfsschutz – Jetzt ein bundesweites Kompetenzzentrum aufbauen Drucksache 18/6327 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit ZP 2a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses Drucksache 18/6330 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts­ordnung Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/6327 soll federführend beim Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Zusatzpunkt 2 b: Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland voranbringen Drucksache 18/6341 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Federführung strittig Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6341 mit dem Titel „Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland voranbringen“ an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 f auf. Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 31 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits Drucksache 18/5577 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) Drucksache 18/6374 Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6374, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5577 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 31 b: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften Drucksache 18/6157 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern Drucksache 18/6158 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6369 Buchstabe b und Buchstabe c Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6157 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in dritter Lesung angenommen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6158 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 31 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Vierte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/5891, 18/5976 Nr. 2.1, 18/6180 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6180, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 18/5891 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkte 31 d bis 31 f. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 31 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 233 zu Petitionen Drucksache 18/6210 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 233 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 31 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 234 zu Petitionen Drucksache 18/6211 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 234 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 31 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 235 zu Petitionen Drucksache 18/6212 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 235 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164, 18/4189, 18/4514, 18/6370 Berichterstatter ist der Kollege Abgeordnete Michael Grosse-Brömer. Der Kollege Michael Grosse-Brömer gibt als Berichterstatter des Bundestages im Rahmen einer schriftlichen Erklärung eine Protokollerklärung der Bundesregierung zur Kenntnis. Diese Erklärung nehmen wir zu Protokoll.7 Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Absatz 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 18/6370? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben Drucksache 18/6328 b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/5764 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Amt des Maritimen Koordinators aufwerten Drucksache 18/6347 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Haushaltsausschuss Ich bitte, die Plätze zu tauschen, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Okay! Komm, wir gehen rüber! – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja, Platztausch! – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) soweit das geht. Alles im Rahmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer für die Bundesregierung. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren dieses wichtige Thema heute im Vorfeld der Nationalen Maritimen Konferenz, die Anfang der kommenden Woche, am 19./20. Oktober, in Bremerhaven stattfindet. Diese Konferenz hatte im Gegensatz zu den Vorgängerkonferenzen schon im Vorfeld verschiedene neue Merkmale aufzuweisen. Wir haben diese Konferenz mit sechs Branchenforen vorbereitet. Wir haben dort einen sehr intensiven fachlichen Austausch zwischen den Branchen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Verbänden und der Politik durchführen können. Wir legen großen Wert darauf, dass bei dieser Konferenz am kommenden Montag und Dienstag, obwohl sie eine nationale Konferenz ist, der internationale Aspekt eine große Rolle spielt; denn es geht um Branchen, die sich im internationalen Rahmen tummeln müssen. Wenn wir über die maritime Branche in Deutschland sprechen, dann reden wir nicht nur über Unternehmen und Verbände, die ihre Heimat in Norddeutschland haben, sondern auch über Industrien und Dienstleistungen von Flensburg bis zum Bodensee. Wir haben große Motorenhersteller, die in Friedrichshafen für die Welt produzieren und auf dem nationalen, aber auch dem internationalen Markt im Antriebsgeschäft aktiv sind. Wir haben große Werften. Wir haben große Schifffahrtsunternehmen in Deutschland, die auf dem Weltmarkt eine wichtige Rolle spielen. Diese Unternehmen haben am Ende des Tages immerhin 400 000 Direktbeschäftigte in Deutschland. Es sind, um einige Kennzahlen zu benennen, 2 800 Unternehmen mit einem Umsatz von 30 Milliarden Euro. Bei dieser Nationalen Maritimen Konferenz geht es – ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass sie die Eckpunkte, die für die Branche wichtig sind, in ihrem Antrag unterstrichen haben – um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Eine Konferenz wie die am kommenden Wochenanfang stattfindende muss, denke ich, eine Antwort auf die Fragen geben: Wie sieht diese Branche in der Zukunft, in den nächsten zehn Jahren, aus? Was haben wir zu gewärtigen? Was müssen wir seitens der Politik tun, um Rahmenbedingungen zu setzen, die diese Branche auch in den nächsten zehn Jahren gut dastehen lassen? Ich glaube, das ist das entscheidende Thema, vor dem wir uns nicht drücken werden und nicht drücken dürfen. Die Koalitionsfraktionen haben in ihrem Antrag und in ihren Beschlussfassungen Wesentliches und Richtungsweisendes dazu ausgeführt. Die Ziele, die wir uns vornehmen müssen, sind auch im Hinblick auf die Gestaltung der maritimen Politik in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten zehn Jahren entscheidend. Wir müssen die maritimen Zukunftsmärkte im Auge behalten, dabei bestehende und zukünftige maritime Wachstumsmärkte genau identifizieren und unsere hohen technologischen Standards auch zum Schutz der Umwelt einsetzen. Wir müssen die Technologieführerschaft in Deutschland sichern und ausbauen und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das heißt auch, dass wir chancengleiche Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen schaffen müssen, damit deutsche Unternehmen auch auf den Exportmärkten bestehen können. Wir wollen das Green Shipping fortsetzen, und ich glaube, das haben wir gemeinsam mit der Industrie gut entwickelt. Der Klima- und Umweltschutz im Seeverkehr sorgt dafür, dass umweltfreundliche Technologien eingeführt werden – zwangsweise auch von Dritten. Es war und ist ein gutes Werk, einheitliche Umweltstandards auf internationaler Ebene zu schaffen. Wir müssen die Infrastruktur für unsere Häfen verstärken – sowohl see- als auch landseitig. Die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur ist von immenser Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Häfen. Ausbildung und Beschäftigung haben etwas mit dem maritimen Know-how zu tun, das wir am Schifffahrtsstandort Deutschland für unsere Unternehmen, die auf das Kapitäns-Know-how zurückgreifen möchten, auch in der nächsten Dekade dringend benötigen. Daneben brauchen wir im Bereich der maritimen Industrie auch eine Antwort darauf, wie es mit „Industrie 4.0“ weitergeht. Dort geht es spezifisch auch um die Frage, wie es mit „Hafen 4.0“ weitergeht. Ich denke, hier ist eine innovative Seehafentechnologie in großem Maße gefordert. Das Thema „Maritime Sicherheit“ und die Sicherheitspolitik haben wir in unseren Branchenforen auch besprochen. In Deutschland wurden Anti-Piraterie-Maßnahmen entwickelt. Wir haben Standards gesetzt, die international beachtet werden. Die IMO empfiehlt sie, und ich denke, wir haben auch bei der Überwachung von sensiblen Seegebieten industrielle Standards zu setzen. Diese werden uns auf dem Weltmarkt Dritten gegenüber helfen, dass unsere Instrumente und Technologien, mit denen wir sensible Seegebiete überwachen lassen, Beachtung finden. Ich will zu diesen Zielen sagen, dass wir bei der strategischen Ausrichtung unserer einzelnen Maßnahmen aktuell Gutes vorzuweisen haben. Im Bereich der Innovationsförderung, bei der Technologieentwicklung und in Bezug auf die umfassende Strategie eines Nationalen Masterplans Maritime Technologien haben wir Gutes im Köcher. Auf der Maritimen Konferenz werden wir dazu noch einiges Wegweisendes ausführen. Ich bedanke mich bei den Koalitionsfraktionen für ihren wegweisenden Antrag (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben aber gar nicht geklatscht!) und bitte das Haus um den entsprechenden Beschluss dazu. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt Herbert Behrens das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema hätte eigentlich ein bisschen mehr Zeit verdient. Nach der normalen Parlamentsplanung war dieses Thema für morgen früh vorgesehen. Aber die Bundesregierung muss morgen früh noch die Vorratsdatenspeicherung durchsetzen, sodass wir heute weniger Zeit haben, uns mit dieser entscheidenden Frage der maritimen Wirtschaft auseinanderzusetzen. Ich will mich deshalb auch auf nur einen oder zwei wesentliche Punkte konzentrieren, die uns als Linke wichtig sind, wenn wir hier über das Thema „Maritime Wirtschaft“ verhandeln. In der Handelsschifffahrt haben wir es mit Begriffen wie „Klabautermann“ und „Pfeffersäcke“ zu tun gehabt. Die Klabautermänner sind inzwischen verschwunden, seitdem die Schiffe nicht mehr aus Holz sind. Aber die Pfeffersäcke sind noch da. Das spiegelt sich sowohl in dem Antrag, den die Regierungsfraktionen vorgelegt haben, als auch in den Branchenforen, die in Vorbereitung der Maritimen Konferenz stattgefunden haben, und in dem Bericht der Bundesregierung wider, der vor einiger Zeit vorgelegt worden ist. Darin wird festgeschrieben, was es alles fortzuführen gilt. An dieser Stelle will ich einsetzen und nachfragen: Was soll eigentlich fortgeführt werden? Ist es etwa der Arbeitsplatzabbau? Inzwischen fahren weniger als 7 000 Seeleute unter deutscher Flagge. Soll die Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation fortgesetzt werden? Laut Zentraler Heuerstelle in Hamburg gibt es ein immer krasser werdendes Missverhältnis zwischen der Zahl der nachgefragten Arbeitsplätze und der Zahl der offenen Stellen. Insbesondere Nautiker suchen unmittelbar nach ihrer Ausbildung händeringend nach Arbeitsplätzen, um ihre Patente ausfahren zu können. Das ist für sie entscheidend, um nicht ihre teure Qualifikation zu verlieren und im Nichts zu landen. Andernfalls wäre ihre teure Ausbildung umsonst gewesen. Auf der Maritimen Konferenz kann kein wirklicher Fortschritt festgestellt werden. Im Bericht der Bundesregierung, den ich eben erwähnt hatte, wird darauf an mehreren Stellen hingewiesen. Die Schifffahrtskrise ist nicht überwunden: Die deutsche Handelsflotte hat sich reduziert, und die Anzahl der Schifffahrtsunternehmen ist zurückgegangen. Der Anteil der Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, ist gesunken – mit Auswirkungen auf Beschäftigung und Ausbildung deutscher Seeleute. Diese Bilanz vor der 9. Nationalen Maritimen Konferenz ist vernichtend. Die Konsequenz daraus muss heißen: Es darf kein Weiter-so geben. Die Linke will erreichen, dass die maritime Wirtschaft sichere, saubere und dauerhafte Arbeitsplätze schafft. (Beifall bei der LINKEN) Wir sehen nicht zu, wenn immer weniger Schiffe unter deutscher Flagge fahren. Die Reeder flüchten nämlich unter Flaggen von Niedriglohnländern und umgehen Tarifverträge mit guten Heuern und guten Arbeitsbedingungen. Sie wollen ihre Schiffe künftig zunehmend unter Flaggen fahren lassen, die ihnen genehme Arbeitsbedingungen, das heißt billige Arbeitskräfte, liefern. Trotzdem haben sich die Reeder immer alles gut bezahlen lassen. Da sind sie wieder, die Pfeffersäcke. Während der Klabautermann deutlich hörbar gewirkt hat, geht es bei den Pfeffersäcken sehr ruhig zu. Das Ergebnis: Sie werden subventioniert, indem sie für ihre Mannschaften nur 40 Prozent Lohnsteuer zahlen müssen, während andere Arbeitgeber für ihre Beschäftigten 100 Prozent Lohnsteuer zahlen müssen. Die Reeder wollen aber noch mehr gefördert werden. Jetzt sollen 40 Prozent Lohnsteuereinbehalt nicht mehr ausreichen; man will 100 Prozent Lohnsteuereinbehalt. Damit sollen Wettbewerbsnachteile ausgeglichen werden, so wird argumentiert, die sie angeblich gegenüber anderen Flaggenstaaten haben. Wenn wir uns das einmal genauer ansehen, merken wir, dass da mit falschen Zahlen operiert wird. So wird behauptet, in den Niederlanden gebe es schon heute einen 100-prozentigen Lohnsteuereinbehalt. Das ist falsch. Er liegt dort bei 40 Prozent für Beschäftigte auf Schiffen unter niederländischer Flagge und bei 10 Prozent für Beschäftigte auf Schiffen, die unter der Flagge eines europäischen Staates fahren. Richtig ist, dass in Italien, Belgien, Malta und Portugal der 100-prozentige Lohnsteuereinbehalt gilt. Aber selbst die marktbeherrschenden griechischen Reeder haben keinen 100-prozentigen Lohnsteuereinbehalt. Sie zahlen 85 Prozent Lohnsteuer für die Kapitäne und 90 Prozent Lohnsteuer für die Mannschaften. Es wird also deutlich: Hier wird auf die Politik der Bundesregierung massiv Einfluss genommen und versucht, sich weitere Vorteile zu verschaffen und eine neue Runde im Subventionswettlauf auf dem Markt zu beginnen. Hier muss dringend eine Änderung erfolgen. Ansonsten haben wir eine subventionierte Schifffahrtsbranche, die auch noch versucht, andere vom europäischen Markt zu verdrängen. Das darf nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rüdiger Kruse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Rüdiger Kruse (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Will Deutschland führende Schifffahrtsnation bleiben? Diese Frage steht seit längerem im Raum. Wenn Fragen längere Zeit unbeantwortet im Raum stehen, dann werden sie durch Zeitablauf beantwortet, und zwar in der Regel mit Nein. Man muss also schon etwas tun. Die eingangs gestellte Frage darf aber nicht erst auf der Maritimen Konferenz diskutiert werden. Vielmehr müssen wir mit einer Antwort in die Maritime Konferenz gehen – mit dem klaren Willen, Schifffahrtsnation zu bleiben. Das ist keine Frage von Seefahrtsromantik. Man kann Geschichten über Klabautermänner erzählen, etwa in einem Museumshafen in Hamburg, Rostock oder sonst wo. Man kann nette Bücher vorlesen, zum Beispiel wenn Vorlesetag ist. Das hat aber nichts mit einer Schifffahrtsnation zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn man Exportnation sein will – wir haben vorhin über unsere Automobilindustrie gesprochen; das ist eine Exportindustrie –, dann muss man auch Logistiknation sein. Es gibt keinen Export ohne Logistik, und es gibt keine Logistik ohne Schifffahrt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Man könnte sich zwar damit trösten, dass andere Länder auch schöne Schiffe haben; aber es ist ein deutlicher Unterschied, ob man die Organisation der Logistik selber in der Hand hat und mitentscheidet, wo und unter welchen Bedingungen die Handelsströme verlaufen, oder nicht. Die Bedingungen in der deutschen Schifffahrt, auch was die Arbeitnehmer angeht, sind vorbildlich. Wir sind aber längst nicht mehr die einzigen, die vorbildliche Bedingungen schaffen. Es gibt – das müsste Ihnen bekannt sein – international entsprechende Listen der Gewerkschaften. Schiffe, die nicht positiv auf diesen Listen vermerkt sind, werden in den Häfen auch gerne einmal abgewiesen. Unsere europäischen Mitbewerberstaaten – es geht nicht um irgendwelche Südseeinseln – halten die Bedingungen ebenfalls alle ein. Sie machen aber noch etwas anderes, nämlich ein gutes Angebot. Wir wollen nichts anderes, als die Möglichkeiten, die das EU-Beihilferecht bietet, ausnutzen. Man muss sie voll und ganz ausnutzen; denn sonst hat man keinen Vorteil. Wir wollen natürlich unsere Bundeskanzlerin nicht mit leeren Händen zur Maritimen Konferenz schicken. Daher haben die Koalitionsfraktionen diesen Antrag erarbeitet. Ich bin dem Kollegen Saathoff und seiner Küstengang sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit. Man muss auch feststellen: Ohne uns gäbe es keine Verlängerung von ISETEC. Ohne uns gäbe es auch keine Weiterentwicklung von maritimer Technologie der nächsten Generation. Mit uns gibt es eine Aufstockung des Innovationsprogramms, und zwar ohne dass die Länder mitziehen müssen, sondern dadurch, dass der Bund seinen Anteil verdoppelt. Das heißt, wir haben 50 Prozent mehr im Spiel und können wesentlich mehr fördern. Die Länder bekommen für jeden Förder-Euro, den sie einsetzen, 2 Euro vom Bund dazu. Besser geht es nicht, liebe Länder. Jetzt nutzt auch die Chance! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben uns auch mit Umweltfragen beschäftigt, und irgendwie haben wir schon vor Wochen gewusst, dass man den Schiffsdiesel nur schwer – wahrscheinlich nur mit Software – sauber bekommt. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen ein anderes Antriebssystem fördern. Mit diesem Beschluss machen wir den Weg frei für ein LNG-Förderprogramm. Das heißt, dass wir neue Schiffsantriebe mit gasbetriebener Technologie bekommen werden. Das ist eine Technologie, die weltweit nachgefragt werden wird. Schon jetzt verlangen die Häfen an der amerikanischen Küste von ihren Liniendiensten, dass sie in ihrer Flotte jedes Jahr die Umweltwerte verbessern. Mit dieser Technologie, die dann führend aus Deutschland käme, sichern wir unseren Export und tun gleichzeitig etwas Gutes für Klima- und Umweltschutz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Erstmalig werden wir uns auf der Maritimen Konferenz auch einem Thema widmen, dem wir vielleicht in der Kantine begegnen, ohne es zu wissen. Es wird auch in Deutschland sehr viel Fisch aus illegaler Fischerei angelandet, die eine Hälfte wahrscheinlich auf dem Frankfurter Flughafen und der Rest verteilt auf Bremerhaven und Hamburg. Das muss man zurückweisen, und zwar nicht nur, weil das illegal ist, sondern auch weil dadurch unsere mühsam ausgehandelten Ziele, was die Fischfangquoten angeht, zerstört werden und weil die illegale Fischerei für die Besatzungsmitglieder unter unmenschlichsten Bedingungen erfolgt. Damit sind Menschenhandel und Kriminalität mit nach allgemeiner Schätzung bis zu 15 Milliarden Euro Umsatz verbunden. Wir wollen der Bundesregierung Möglichkeiten an die Hand geben, das zu überwachen und Transporte, die nicht entsprechend zertifiziert sind, zurückzuweisen. So kann man Globalisierung im positiven Sinne für den Umweltschutz betreiben, und das machen wir auf dieser Konferenz. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Kollegen von den Grünen haben den Vorschlag gemacht, das Amt des Maritimen Koordinators beim Verkehrsministerium anzusiedeln und es aufzuwerten. Die Ansiedlung beim Verkehrsministerium werte ich als Kompliment, weil das ein von uns geführtes Haus ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Was die Aufwertung des Amtes angeht, ist festzustellen: Mit dem Antrag, den wir heute beschließen, werten wir den Maritimen Koordinator extrem auf; denn es gibt jetzt verdammt viel zu koordinieren. Dabei werden wir ihn massiv unterstützen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Dr. Valerie Wilms spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Politik für die maritime Wirtschaft tritt seit Beginn der Schifffahrtskrise auf der Stelle, obwohl Sie hier eben wieder blumige Reden gehört haben, dass es angeblich anders wird. Neue Ideen liefert diese Große Koalition nun wirklich nicht. Es wird immer nur an ein paar kleinen Schräubchen gedreht. Mit diesem Herumdoktern kommen wir nicht weiter. Sie müssten jetzt wirklich einmal einen großen Wurf wagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Ansonsten geht die maritime Wirtschaft in Deutschland – um im Bild zu bleiben – wirklich unter. Wir geben jedes Jahr mindestens 60 Millionen Euro in die Schifffahrtsförderung, ohne dass die Branche ihre Zusagen einhält. Die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge geht kontinuierlich zurück. Jetzt sind es schon deutlich unter 200 anstelle der von den Reedern ursprünglich zugesagten 600 Schiffe. Scheinbar will sich die Bundesregierung immer weiter das Geld aus der Tasche ziehen lassen. Das ist GroKo-Politik. Wann wird es endlich neue Ideen im sogenannten Maritimen Bündnis geben? Hier regiert seit Jahren großer Stillstand. Ich sage: Die Bundesregierung wagt sich aus Bequemlichkeit nicht an Veränderungen; denn damit sind gewisse Risiken verbunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bequem, werte Kolleginnen und Kollegen, ist vor allem der Maritime Koordinator, Herr Beckmeyer. Er soll die maritime Politik dieser Bundesregierung koordinieren. Doch wo ist er? Heute ist er mal da. (Dagmar Ziegler [SPD]: Er ist immer da!) Gestern aber, im Verkehrsausschuss, wo es um das Thema „Lotswesen“ ging, war er trotz ausdrücklicher Einladung nicht anwesend. Man kann nur festhalten: Ihn interessieren die wirklichen Probleme der maritimen Wirtschaft nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Er war im Wirtschaftsausschuss!) Er will nicht mit dem Parlament zusammen Lösungen erarbeiten. Wir müssen feststellen: Der Maritime Koordinator versagt. In Wirklichkeit hat er ja auch nichts zu koordinieren. Im Wirtschaftsministerium, wo sein Amt angesiedelt ist, gibt es in Sachen Maritimes nichts zu entscheiden. Die Schifffahrtsthemen nehmen ihm täglich das Verkehrsministerium oder andere Ressorts ab. Das Maritime Bündnis zwischen Reedern, Gewerkschaft, Küstenländern und dem Bund sowie die Verkehrswegeplanung und die Anbindung der Seehäfen darf er nicht koordinieren. Auch hier hat der Maritime Koordinator keinen Einfluss. Er beschäftigt sich noch nicht einmal am Rande damit. Aber eines, Herr Beckmeyer, haben Sie in den zwei Jahren Ihrer Amtszeit wirklich geschafft. Sie haben die Maritime Konferenz zu sich nach Hause geholt, nach Bremerhaven. Wird das die Veranstaltung zur Verabschiedung in Ihren wohlverdienten Ruhestand? (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Werte Kolleginnen und Kollegen, maritime Politik wird vor allem im Verkehrsministerium gemacht. Deshalb gehört der Maritime Koordinator dahin, und zwar jetzt und sofort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Großkoalitionäre, für Ihren Antrag haben Sie ja sehr lange gebraucht. Darum hatte ich doch eine gewisse Hoffnung, dass Sie wirklich zu neuen, zündenden Ideen kommen. Aber jetzt kam die Ernüchterung: 13 eng beschriebene Seiten ohne irgendetwas Neues. Das reicht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Küstengangs der Großkoalition. Fassen Sie doch zumindest ein einziges Thema ernsthaft an und führen es dann auch zu Ende! Dass Sie wirklich nichts zu Ende führen, sieht man an der Schifffahrtsförderung ganz deutlich. Auch wenn Sie den Lohnsteuereinbehalt nach dem Vorschlag Hamburgs auf 100 Prozent erhöhen, lösen Sie die Probleme nicht. Damit erhöhen Sie nur den Bürokratieaufwand. Mit den etwa 60 Millionen Euro jährlich fördern wir jeden Mitarbeiter an Bord eines deutschen Seeschiffes mit etwa 1 300 Euro pro Monat. Die Zahl deutscher Seeleute nimmt trotzdem stetig ab. Derzeit sind weniger als 5 000 deutsche Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge beschäftigt, und jeden Tag werden es weniger. Werfen wir einen Blick auf das komplizierte System des Lohnsteuereinbehalts: Dabei zahlen die Reeder den Seeleuten erst einmal den Bruttolohn und ziehen die Lohnsteuer ein. Teile davon – irgendwann sollen nach Ihren Plänen 100 Prozent einbehalten werden – dürfen sie aber selbst behalten, anstatt sie an das Finanzamt zu geben. Da wiehert der deutsche Amtsschimmel bei diesem bürokratischen Aufwand. Aber das sind wir von dieser Großen Koalition schon gewohnt. Warum sind Sie nicht offen für wirklich neue Ideen? Mein Vorschlag ist, erstens den internationalen Heuertarif für die Seeleute anstelle des höheren deutschen einzuführen. Nur damit werden deutsche Seeleute wieder international wettbewerbsfähig. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist ein Sechstel!) Zweitens. Gleichzeitig gibt es – das gehört automatisch dazu – volle Lohnsteuerfreiheit, und der Staat bezahlt die Sozialversicherung. Die Seeleute hätten dann netto das Gleiche in der Tasche wie bisher. Die deutsche Seeschifffahrt würde wieder wettbewerbsfähig werden. So sichern wir die Arbeitsplätze der deutschen Seeleute dauerhaft und schaffen endlich wieder neue. Dann kommt wieder Schwung in das Maritime Bündnis. Gehen Sie diesen Weg! Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Johann Saathoff spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Een groot Schkipp will vööl Water hebben. Da ich gerade gebeten wurde, meinen plattdeutschen Ausspruch zu übersetzen: Ein großes Schiff braucht viel Wasser. – Im vorliegenden Antrag geht es um ein großes Schiff. Es geht nämlich schlicht um die Zukunft der nationalen maritimen Wirtschaft. Der Antrag erfolgt in Vorbereitung der Maritimen Konferenz, die in der nächsten Woche in Bremerhaven stattfindet. Der Konferenz sind erstmalig Fachforen vorausgegangen. Ich habe bei einigen dieser Foren dabei sein können und muss sagen: In diesen Fachforen wurde hervorragende Arbeit geleistet. Diese Konferenzen haben sich weiterentwickelt. Das ist das Verdienst unseres Staatssekretärs Uwe Beckmeyer. Dafür herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD) Wenn der eine oder andere an dieser Stelle meint, dass der Maritime Koordinator in das Verkehrsministerium gehört, dann greife ich diesen Ball gerne auf. Wenn Uwe Beckmeyer in das Verkehrsministerium wechselt, dann passiert dort auch einmal etwas. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das war völlig überflüssig!) Es geht um die Zukunft der nationalen maritimen Wirtschaft und darum, sich ehrlich zu machen. Wollen wir noch deutsches Know-how in unseren Häfen und auf unseren Schiffen? Brauchen wir noch die deutsche Flagge? Aus meiner Sicht ist es nicht egal, ob ein Toaster über Rotterdam oder Hamburg nach Deutschland kommt. Wir reden über 400 000 Arbeitsplätze und über 30 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Jahr, übrigens nicht nur in Norddeutschland, sondern in der gesamten Republik. Mir ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen – Uwe Beckmeyer hat das bereits getan –, dass Schiffsmotoren vornehmlich in Süddeutschland produziert werden. 3 000 Handelsschiffe sind noch in deutschem Eigentum, 350 – etwas mehr als 10 Prozent – unter deutscher Flagge. Daran müssen wir etwas ändern. In Vorbereitung dieses Antrags hat es eine sehr gute Zusammenarbeit gegeben, Herr Kruse. Ich möchte mich ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bei Ihnen bedanken, genauso wie bei Birgit Malecha-Nissen, meiner Mitlotsin in der SPD-Küstengang, die von der Verkehrsseite her zugearbeitet hat. Wir haben gut zusammengearbeitet. Ich glaube, das können wir öfter so machen. Herzlichen Dank euch beiden! (Beifall bei der SPD) Das Sprichwort lautet „Schifffahrt tut not“ und nicht „Schifffahrt macht Not“. Im Moment trifft aber eher Letzteres zu. Was beschreibt der Antrag im Einzelnen? Er beschreibt die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf 100 Prozent. Mehr geht dann auch nicht mehr. Dies ist bis 2025 befristet. Dann wird evaluiert. Die 183-Tage-Regelung, die dafür sorgte, dass die Menschen kontinuierlich 183 Tage auf einem Schiff angestellt sein mussten – das war in der Praxis kaum möglich –, fällt weg. Mit diesen Regelungen schaffen wir Anreize, wieder deutsche Seeleute auf Schiffen zu beschäftigen. Deutsche Flagge und deutsche Besatzung sind Voraussetzung für den Ausbildungspakt „Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt“. Für diesen Pakt zahlt der Bund 60 Millionen Euro, die Reederschaft 30 Millionen Euro. Das ist gut angelegtes Geld auf beiden Seiten; denn es geht um die dauerhafte Sicherung des maritimen Know-hows in Deutschland. In unserem Antrag geht es des Weiteren um Innovationsförderung im Schiffbau. Wir heben den Bundesanteil von 50 auf 66 Prozent an. Wir hatten im Vorfeld Probleme beim Kofinanzierungsanteil auf Landesebene. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Besonders in Niedersachsen!) Es ist jedenfalls richtig, diesen Anteil anzuheben. Der Ansatz des Bundes soll von 15 Millionen auf 20 Millionen Euro angehoben werden. Ich hoffe, dass wir das in den Haushaltsberatungen gemeinsam hinbekommen. Wichtig ist, dass die Innovationen im Schiffbau von Deutschland ausgehen. Aber wir müssen auch aufpassen, dass es uns im Schiffbau nicht so geht wie beim MP3-Player, bei dem die Innovation erst einmal in Deutschland ermöglicht wurde, die Produktion und das Geldverdienen jedoch woanders stattfanden. Lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema Offshore sagen. Ich denke, man kann konstatieren, dass das eine Erfolgsgeschichte der Koalition ist. Ein Windpark nach dem anderen wird derzeit eingeweiht und macht Deutschland Stück für Stück umweltfreundlicher. Kaum einer hier im Haus hat das für möglich gehalten. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Rechtssicherheit und Planungssicherheit für die Investoren geschaffen werden. In diesem Zusammenhang müssen wir besonders auf die Gestaltung der Ausschreibungen achten. Wir brauchen auch eine bedarfsgerechte Netzanbindung. Ich gebe zu: Persönlich hätte ich mir da mehr Fortschrittlichkeit in unseren Forderungen gewünscht. Das Problem „800 Megawatt von Nord- und Ostsee zusammen“ besteht weiterhin. Ein Netzanschlusspunkt sind 450 Megawatt; 900 Megawatt wäre also die logische Lösung des Problems auf dem Meer. Aber die Projekte, die ab 2020 realisiert werden, sind jetzt in der Phase der Projektierung. Deswegen müssen wir uns Gedanken darüber machen, dass die Lücke zwischen 2020 und 2025 gar nicht erst entsteht und dass wir die Planungs- und Investitionssicherheit gewährleisten. Wir haben zum Thema LNG eine ganze Menge Regelungen gefunden. Aber wir sollten in dieser Frage auch bei eigenen Schiffen mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben die Weiterentwicklung des nationalen Hafenkonzeptes in unserem Antrag behandelt. Sorgen wir also gemeinsam dafür, dass unser großes Schiff „Deutsche maritime Wirtschaft“ immer mindestens eine Handbreit Wasser unter dem Kiel hat. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächstes spricht der Kollege Hans-Werner Kammer, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch wir hätten uns für diese maritime Debatte etwas mehr Zeit gewünscht. Aber unser Antrag zeigt, dass wir Kurs halten und auch Fahrt aufnehmen. Im Zusammenhang mit der Debatte über die Autoindustrie und jetzt über die maritime Wirtschaft wird eines sehr deutlich: Die Linke und die Grünen wollen alles schlechtreden. (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Sie wollen nicht, dass wir uns in Deutschland weiterentwickeln, sondern reden alles schlecht, während wir Kurs halten und sagen: Wir setzen auf die Innovationen von Industrie und Wirtschaft und unterstützen sie als Große Koalition. Wir wollen, dass Deutschland auf den Weltmeeren nicht den Anschluss verliert. Wir wollen, dass Deutschland als maritimer Standort Spitzenklasse bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die erfolgreichen Bemühungen der vergangenen Jahre führen wir daher konsequent fort. Zugleich setzen wir neue Impulse, etwa beim Maritimen Bündnis, bei der Frage des Lohnsteuereinbehalts, beim Umweltschutz und bei der Meerestechnologie. Ich nehme einen Punkt heraus, nämlich LNG. Verflüssigtes Erdgas ist ein Treibstoff mit großer Zukunft. Diesen Trend wollen und werden wir nicht verschlafen. Deshalb fordern wir ein Förderprogramm für LNG-betriebene Schiffe, den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur inklusive eines LNG-Terminals und die Optimierung des Rechtsrahmens für LNG. Ein Thema, das sämtliche Vertreter der maritimen Wirtschaft eint, ist die Infrastrukturpolitik. Gerade bei den Hinterlandanbindungen der Seehäfen mit Bahn, Straße und Binnenwasserstraße steht unserem Land noch viel Arbeit bevor. Daher räumen wir der Engpassbeseitigung rund um die deutschen Seehäfen Priorität ein. Die deutliche Steigerung der Infrastrukturausgaben wird hier besondere Wirkung entfalten. Ich erinnere an den Nord-Ostsee-Kanal, für den wir fast 1 Milliarde Euro ausgeben. Herr Saathoff, an der Stelle braucht das Verkehrsministerium keine Unterstützung. Wir leisten dort hervorragende Arbeit und sind auf einem tollen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Leider – das muss man in dieser Debatte sagen – ziehen wir in dieser Frage nicht an einem Strang. Gestern haben Grüne und Linke im Verkehrsausschuss gemeinsam gegen die Vertiefung von Elbe und Weser gestimmt. (Zuruf von der LINKEN: Sehr gut!) Das sei nicht erforderlich, sagen sie, weil der Verkehr zukünftig über Wilhelmshaven abgewickelt werden könnte. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Für die großen Pötte, ja!) Ich kenne Wilhelmshaven etwas besser als die meisten in diesem Saal, und ich kann Ihnen sagen: Der JadeWeserPort kann sehr viel; aber er kann nicht Bremerhaven und Hamburg ersetzen. Auch das müsste klar sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Von einer unzureichenden Anbindung Hamburgs und Bremerhavens würden vor allem niederländische Häfen profitieren. Das hätte fatale Konsequenzen für die maritime Wirtschaft in Deutschland. Sie müssen sich fragen, ob Sie das wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleiches gilt übrigens für die Blockadehaltung der niedersächsischen Grünen, die dem Infrastrukturausbau im Hafenhinterland regelmäßig im Weg stehen. Niedersachsen ist ein Schlüsselland für die Durchleitung der Verkehre. Solch ein ideologisch begründeter Stillstand schadet der Branche; denn in der Schifffahrt gilt: Wer den Motor stoppt, wird abgetrieben. Gut, dass die Verantwortung in diesem Bereich beim Bund, also in unseren Händen, liegt. Frau Wilms, zu Ihrem Antrag, das Amt des Maritimen Koordinators vom Wirtschaftsministerium ins Verkehrsministerium zu verlagern, hat der Kollege Kruse schon etwas gesagt. Ich freue mich, dass Sie ein solch großes Vertrauen in das Bundesverkehrsministerium, den Minister und seine Staatssekretäre setzen. Das ist absolut gerechtfertigt. Dieses Vertrauen habe ich in manchen Debatten bei Ihnen bisher nicht feststellen können; aber man lernt ja dazu. Ich finde das klasse. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist aber zu bezweifeln, dass diese Maßnahme der maritimen Wirtschaft wirklich hilft. Sie zählen in Ihrem Antrag zahlreiche maritime Themen auf, die im Verkehrsministerium federführend bearbeitet werden. Fast alle Ministerien arbeiten dem Maritimen Koordinator zu, sei es im Bereich der Offshorewindkraft, sei es beim Lohnsteuereinbehalt. Nahezu jedes Bundesministerium befasst sich regelmäßig mit maritimen Fragen. Folglich braucht es einen Koordinator, der die Arbeit der Ministerien zusammenführt. Die Frage, wo sein Schreibtisch steht, ist nicht entscheidend. Die maritime Branche hat drängendere Probleme. Daher lehnen wir Ihren kleinkarierten – so bezeichne ich ihn – Antrag ab. Es ist der Antrag der Koalition, der die maritime Wirtschaft voranbringen wird. In der nächsten Woche wird von der Maritimen Konferenz ein deutliches Zeichen für den maritimen Standort Deutschland ausgehen. Da bin ich absolut sicher. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr. Philipp Murmann für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als geborener Kieler möchte ich darauf hinweisen, was für ein Netzwerk die maritime Wirtschaft eigentlich bedeutet. In Kiel werden U-Boote mit Brennstoffzellentechnik gebaut; das ist einmalig in der Welt. Vor zwei Wochen ging die „Sailing Yacht A“ in die erste Testphase; das ist das größte Segelschiff, das neu gebaut wird. Es ist 143 Meter lang, 25 Meter breit und hat 100 Meter hohe Karbonmasten. Es soll einmal besondere Segelgäste aufnehmen. Auch dieses Schiff wurde auf einer Werft in Kiel gebaut. Wir haben einen Hafen, in dem viele Kreuzfahrer anlegen. Wir haben zahlreiche mittelständische Unternehmen im technischen Bereich, von Sonartechnik bis Signaltechnik für Schiffe. Wir haben ein Gleisnetz, das an den Hafen angeschlossen ist, und wir haben mit GEOMAR ein Forschungsinstitut, das Meeres- und Klimaforschung betreibt und auch im Tiefseebergbau einiges macht. Das soll nur einmal zeigen, wie umfangreich der maritime Bereich ist. Das gilt nicht nur für den Standort Kiel; das Gleiche könnte man über Lübeck, Rostock, Bremen und Bremerhaven sagen. Es gibt bei uns zahlreiche maritime Zentren, nicht nur im Norden, sondern auch im Süden, etwa in Friedrichshafen oder in Nürnberg. Dort gibt es genauso viele Kapazitäten, genauso viel Know-how und Wertschöpfung. Man kann also sagen, dass es sich nicht um eine norddeutsche, sondern um eine nationale Aufgabe handelt, so gerne ich Norddeutschland auch hier vertrete. Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn sich vielleicht auch der eine oder andere Süddeutsche in diese Debatte einbringen würde. Wir haben noch eine ganze Menge zu tun; denn es gibt hier ein Wahrnehmungsdefizit. Deshalb, Herr Beckmeyer, würde ich Sie bitten, ein bisschen mehr Dynamik in die maritime Wirtschaft zu bringen. Jedem Euro für die maritime Wirtschaft entsprechen 16 Euro für die Luft- und Raumfahrt; das Verhältnis ist noch nicht ausgegoren. Insofern müssen wir, denke ich, da noch angreifen, noch mehr für die maritime Wirtschaft arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Warum müssen wir das tun? Die maritime Wirtschaft befindet sich in einem der globalsten Wettbewerbe, den die deutsche Wirtschaft zu bestehen hat. Die Wettbewerber kommen aus Korea, aus China, aus Japan und natürlich auch aus Europa. Wir sind in einem Wettbewerb um Subventionen; auch das muss man sagen. Lieber Herr Behrens, den Lohnsteuereinbehalt machen wir ja nicht, weil wir es lieben, uns solchen Themen anzunähern – das kann ich gerade für die CDU sagen –, aber wenn Sie mit Ihren Verdi-Kollegen sprechen, dann werden Sie feststellen, dass gerade die das fordern. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: In der Tat!) Wir machen das auch deswegen, um unseren Seeleuten, für die Sie ja gesprochen haben, im Kostenwettbewerb die Chance zu geben, ihr Patent ausfahren zu können; das können sie sonst nämlich nicht. Nur deswegen haben wir uns auf diese Sache eingelassen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Gucken wir uns die Zahlen nächstes Jahr noch mal an, was ihr gemacht habt!) Ich denke, das ist eine gute Lösung. Es ist wichtig, dass wir das so hinbekommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aus meiner Sicht müssen wir vier Dinge tun: Wir müssen erstens dafür sorgen, dass es in vielen Bereichen ein Level-Playing-Field gibt. Dafür ist noch mehr Einsatz in der IMO notwendig. Gerade wir Europäer müssen uns zusammentun, um die Standards hochzuhalten, müssen aber sicherlich auch noch gemeinsam mit Bund und Ländern arbeiten. Insofern bin ich den Mitgliedern des Haushaltsausschusses sehr dankbar, die es jetzt in der zweiten Runde des Haushalts geschafft haben, einige Themen voranzubringen. Auch der Dank an das Verkehrsministerium, das ISETEC-Projekt wieder auf die Schiene gehoben zu haben, sodass es uns nicht verloren geht. Da haben wir doch einiges geschafft. Vielen Dank allen, die dazu beigetragen haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sonst wäre das tot!) Wir müssen zweitens das Fördern angehen. Der Lohnsteuereinbehalt ist ein Thema, ISETEC sicherlich ein anderes. Auch LNG wurde angesprochen. Hier müssen wir zunächst staatlich fördern, weil wir erst einmal genügend Masse hineinbringen müssen. Ich hoffe, dass wir dann zu einer wirtschaftlichen Lösung kommen, damit die Unternehmen, die da jetzt Geld hineinstecken, am Ende Erfolg damit haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens ist es ganz besonders wichtig, die Systemfähigkeit in Deutschland zu erhalten. Das gilt nicht nur für den Marinebereich, aber auch da, im Überwasserschiffbau. Ein Schiff ist eben ein komplexes System. Es besteht aus Stahl, aber auch aus sehr viel Elektronik. Alles muss exakt aufeinander abgestimmt sein. Da müssen große Projekte gemanagt werden, um die Systemfähigkeit zu erhalten. Das müssen wir weiterhin vorantreiben und uns dafür einsetzen. Vierter und letzter Punkt – darüber wurde schon viel gesprochen –: Infrastruktur. Auch daran müssen wir weiterarbeiten. Beim Nord-Ostsee-Kanal sind wir ganz gut vorangekommen, die Elbevertiefung steht noch aus. Offshore ist ein wichtiges Thema; Sie haben es angesprochen. Die Netzanbindung und all diese Dinge müssen vorangetrieben werden. Wir haben es sehr begrüßt, dass das Verkehrsministerium mit großer Priorität an dem Hafenkonzept arbeitet. Deutschland ist eine Schifffahrtsnation, meine Damen und Herren. Wir wollen dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Meine Vorfahren waren Wikinger, nehme ich jedenfalls an. Die hatten auch schon eine ganze Menge Ahnung vom Maritimen; denn sie wussten schon: Den Wind können wir nicht bestimmen, aber die Segel können wir richtig setzen. – Mit unserem Antrag haben wir die Segel gut gesetzt, denke ich. Insofern bitte ich Sie, dem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6328 mit dem Titel „Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 25 b und 25 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5764 sowie 18/6347 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind, weil es keinen Widerspruch gibt. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes Drucksache 18/5321 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt Drucksache 18/5219 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/6384 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Das ist somit beschlossen. Deshalb eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter das Wort für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Biologische Vielfalt ist wertvoll. Das ist ein Schatz. Die Natur ist nicht nur Grundlage für unsere Existenz und alles menschliche Leben – sie ist auch eine geradezu unerschöpfliche Quelle für neue Ideen und Innovationen. Häufig sind Pflanzen, Tiere und andere Lebewesen – als genetische Ressourcen – Grundlage für neue Produkte. So wird aus einer Heilpflanze ein neues Medikament, ein neu entdecktes Enzym wird zum Ausgangspunkt für ein biotechnologisches Verfahren, und wilde Pflanzen werden zu neuen Pflanzensorten oder Kosmetikprodukten entwickelt. Diese Zusammenhänge hatte die internationale Staatengemeinschaft vor Augen, als sie 1992 auf der Konferenz in Rio das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, die sogenannte CBD, beschloss. Die CBD hat drei Ziele: die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile aus der Nutzung von genetischen Ressourcen. Dieses dritte Ziel der CBD erlaubt es biodiversitätsreichen Ländern, auch wirtschaftlich davon zu profitieren, dass sie biologische Vielfalt schützen und bewahren. Hier wird das Phänomen der Biopiraterie bekämpft: Wer auch immer Forschung und Entwicklung an solchen genetischen Ressourcen betreibt, hat dies mit dem Land zu vereinbaren, aus dem die Ressource stammt. Vorteile aus der Nutzung werden geteilt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach falsch!) Um das dritte Ziel der CBD umzusetzen, hat die internationale Staatengemeinschaft 2010 in Japan, in Nagoya, das Nagoya-Protokoll beschlossen. Es konkretisiert dieses Ziel des Übereinkommens und setzt klare internationale Regeln für den Zugang zu genetischen Ressourcen, für ihre Nutzung und für den Vorteilsausgleich. Das Nagoya-Protokoll ist auch ein Erfolg der deutschen CBD-Präsidentschaft von 2008 bis 2010. Denn auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD 2008 in Bonn hat Deutschland – unter dem damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel – den Grundstein für dieses völkerrechtliche Verbot der Biopiraterie gelegt. 2014 hat die Europäische Union eine Verordnung beschlossen, die das Nagoya-Protokoll umfassend und wirksam in europäisches Recht umsetzt. Die heute vorgelegten Gesetze sorgen – gemeinsam mit der europäischen Verordnung – dafür, dass Deutschland das Nagoya-Protokoll umsetzt und ratifizieren kann. Der Biopiraterie wird somit wirksam ein Riegel vorgeschoben. Das Bundesamt für Naturschutz wird zukünftig kontrollieren, ob sich Nutzer von genetischen Ressourcen an die Gesetze von Herkunftsländern halten. Mit dieser Umsetzung des Nagoya-Protokolls erweist sich Deutschland erneut als zuverlässiger Partner und treibende Kraft in der internationalen Naturschutzpolitik. Diese Umsetzung ist gerade für die Entwicklungsländer von großer Bedeutung. Das Abholzen von wertvollen Tropenwäldern und die Ausbeutung von anderen Ökosystemen erscheinen dort häufig kurzfristig verlockend und profitabel, zerstören aber langfristig unsere gemeinsame Lebensgrundlage. Hier hilft das Nagoya-Protokoll; denn es trägt dazu bei, biologische Vielfalt in Wert zu setzen, und bietet so einen starken wirtschaftlichen Anreiz für den Naturschutz weltweit. Naturschutz wird zur wirtschaftlichen Alternative. Die Umsetzung des Nagoya-Protokolls nimmt auch den Privatsektor in die Verantwortung. Wenn zum Beispiel ein Wirtschaftsunternehmen Naturgüter nutzt, Produkte daraus entwickelt und davon auch wirtschaftlich profitiert, dann muss dieses Unternehmen auch zur Erhaltung dieser Naturgüter beitragen. Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir kommenden Generationen denselben Reichtum an biologischer Vielfalt hinterlassen, den wir geerbt haben. Wer die Natur erforscht und von ihr profitiert, der muss sie auch schützen. So leistet das Nagoya-Protokoll einen wertvollen Beitrag für die nachhaltige Entwicklung. Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, dass wir das Nagoya-Protokoll in diesem Jahr nach der Nachhaltigkeitskonferenz in New York ratifizieren können. Ich möchte mich ganz herzlich auch für die gute Zusammenarbeit mit den Parlamentariern bedanken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Menz für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Menz (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Gäste! Es war ein hartes Ringen, bis sich die 193 Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention auf die Verabschiedung des Nagoya-Protokolls einigen konnten. Auf Drängen der Entwicklungsländer wurde 2010 mit dem völkerrechtlich verbindlichen Protokoll das dritte große Ziel der Konvention – der faire Ausgleich von Vorteilen, die durch die Nutzung und Kommerzialisierung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens erlangt werden – endlich umgesetzt. Lassen Sie mich eines klarstellen: Wir begrüßen ganz ausdrücklich die Ratifizierung des Nagoya-Protokolls. (Beifall bei der LINKEN) Begründung: weil es einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt und zu mehr Gerechtigkeit leistet. Gerade weil uns die Wirksamkeit des Protokolls am Herzen liegt, ist uns der vorliegende Gesetzentwurf zu dessen nationaler Umsetzung nicht gut genug. Wir lehnen ihn deshalb in der bestehenden Form ab. Der deutsche Gesetzentwurf schafft weder für die Grundlagenforschung noch für die Wirtschaft ausreichende Rechtssicherheit. Das ist ein großes Problem. Wenn der Gesetzentwurf Forschung und Innovation nicht hemmen soll, muss vor allem die nichtkommerzielle Grundlagenforschung mit Informations- und Beratungsangeboten unterstützt werden. (Beifall bei der LINKEN) Das Bundesamt für Naturschutz als zuständige Behörde sagt schon jetzt, dass mit den vorhandenen Stellen weder eine solche Beratung noch – viel schlimmer; ich zitiere – „ein völker- und europarechtskonformer Vollzug von Nagoya-Protokoll und europäischer Verordnung“ gewährleistet werden kann. Das darf nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert deshalb, die notwendigen Planstellen zu schaffen, und hat einen entsprechenden Antrag für die Haushaltsdebatte verfasst. (Beifall bei der LINKEN) Auch die geforderten Offenlegungspflichten gehen nicht weit genug, um dem Patentamt eine wirkungsvolle Kontrolle zu ermöglichen. Hier muss dringend nachgebessert werden: Statt „Angaben zum geographischen Herkunftsort“ muss ein Nachweis über den legalen Zugang zu den genetischen Ressourcen verlangt werden. Fehlende Angaben würden zur Konsequenz haben, dass ein Patentgesuch nicht weiter verfolgt wird. Außerdem muss auch hier neben den genetischen Ressourcen traditionelles Wissen explizit einbezogen werden. Das gravierendste Problem aber ist, dass der Gesetzentwurf Unklarheiten gerade da schafft, wo Klarheiten unbedingt erforderlich sind, nämlich bei der kommerziellen Nutzung. Es stimmt: Die Definition von „Nutzung“ und „Nutzer“, die die EU-Verordnung zugrunde legt, ist hier wenig hilfreich. Die Bundesregierung hätte aber durchaus genug Spielraum gehabt, hier eine Verbesserung vorzunehmen. Spanien macht uns das vor. Der spanische Gesetzentwurf sieht vor, dass bei Missachtung der Sorgfaltspflichten die sofortige Aussetzung nicht nur der Nutzung genetischer Ressourcen, sondern explizit auch der Kommerzialisierung verfügt werden kann. Mit diesen Vorschriften kann also direkt in die illegale Vermarktung eingegriffen werden. Um es klar zu sagen: Der deutsche Gesetzentwurf verhindert nicht, dass deutsche Patente vergeben werden können, die auf illegalem Zugang oder der unrechtmäßigen Nutzung von genetischen Ressourcen und damit verbundenem traditionellem Wissen beruhen. Er verhindert ebenso wenig die Vermarktung von Produkten, die aus illegaler Forschung und Entwicklung entstehen. Einer der Sachverständigen hat dies als „im entwicklungspolitischen Kontext nur schwer vermittelbar“ bezeichnet. Ich bezeichne das als ungerecht und unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Vor nicht einmal drei Wochen hat die Welt sich in New York auf eine umfassende Armuts-, Entwicklungs- und Umweltagenda geeinigt. Ein zentraler Erfolg dieser Agenda war, dass sie für alle gilt und dass alle dazu aufgefordert werden, zu handeln. Dieses neue gemeinsame Handeln soll von einem neuen Miteinander begleitet werden, der globalen Partnerschaft. Dabei geht es nicht darum, mehr Verantwortung auf die Entwicklungsländer abzuschieben, sondern es geht um Gerechtigkeit und gegenseitiges Vertrauen. Was hat das nun mit der heutigen Abstimmung zu tun? Nicht einmal drei Wochen nach der Unterzeichnung dieser Agenda soll der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschieden, das geeignet ist, das Vertrauen von Entwicklungs- und Schwellenländern in die Verlässlichkeit der Industriestaaten zu beschädigen; denn die Verlässlichkeit, so legt es der Entwurf nahe, könnte sehr schnell dort enden, wo der Profit beginnt. Das wäre ein falsches Zeichen. (Beifall bei der LINKEN) Das können wir nicht unterstützen. Wir brauchen ein Gesetz, dass das Nagoya-Protokoll im Sinne des Schutzes unserer Umwelt und im Sinne der Gerechtigkeit bestmöglich umsetzt. Was Sie uns hier anbieten, ist schlichtweg nicht gut genug. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ratifizierung und Umsetzung des Protokolls von Nagoya ist auf den ersten Blick nur etwas für den am Artenschutz interessierten Feinschmecker, aber bei näherem Hinsehen wird die weitreichende naturschutz- und entwicklungspolitische Bedeutung dieses Themas deutlich. Die vorliegenden Gesetzentwürfe zur Ratifizierung und zur Umsetzung des Protokolls in Deutschland sind der erfolgreiche Abschluss eines Jahrzehnte währenden Diskussions- und Verhandlungsprozesses. Daher ist die heutige Verabschiedung beider Gesetzentwürfe ein historischer Moment und unterstreicht Deutschlands führende Rolle in der internationalen Naturschutzpolitik. Das Protokoll – darauf hat die Staatssekretärin schon hingewiesen – ist im Wesentlichen während der deutschen Präsidentschaft zwischen 2008 und 2010 federführend bearbeitet, unter der Mitwirkung vieler einzelner Mitgliedstaaten vorbereitet und entsprechend unterzeichnet worden. Worum geht es beim Protokoll von Nagoya? Es regelt den Zugang zu den genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus ihrer Nutzung ergeben. Es setzt das dritte Ziel der CBD um, schafft einen verlässlichen internationalen Rahmen für den Umgang mit genetischen Ressourcen und einen ökonomischen Anreiz für die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Es ist ein Instrument zur Verhinderung der Biopiraterie, gibt den Entwicklungs- wie auch den Nutzerländern einen verlässlichen Rahmen bei der Nutzung genetischer Ressourcen. Es trägt dazu bei, den Wert biologischer Vielfalt bei der Herstellung neuartiger Produkte besser zu berücksichtigen und setzt wirtschaftliche Anreize für die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Natur. Länder mit hoher biologischer Vielfalt sollen auch wirtschaftlich davon profitieren, dass sie Lebensräume und Arten schützen und erhalten. Es soll gewährleistet sein, dass Forscher die Gesetze der Herkunftsländer respektieren und für ihre Forschung nur biologisches Material nutzen, das im Herkunftsland legal erlangt wurde. Durch die In-Wert-Setzung genetischer Ressourcen wird ein starker Anreiz für den Natur- und Artenschutz weltweit gesetzt. Es kann ein Beitrag zum Schutz der Lebensgrundlagen der indigenen Völker sein, wenn es gelingt, dass die Nationalstaaten die Vorteile, die sie erhalten, auch an die jeweiligen indigenen Völker weitergeben. Den Wert der biologischen Vielfalt und den wirtschaftlichen Nutzen von Ökosystemen und der darin beheimateten Pflanzen und Tiere haben wir Menschen frühzeitig erkannt. Bis zum Inkrafttreten des Protokolls am 12. Oktober 2014 hatten jedoch die Herkunftsstaaten, zumeist Entwicklungsländer, keinerlei Vorteile aus der Nutzung ihrer genetischen Ressourcen, und es verstärkten sich mehr und mehr die Forderungen nach einem Einschreiten gegen die schon erwähnte Biopiraterie und den Raubbau an biologischer Vielfalt in solchen Ländern. Nicht erst seit dem Wirken des wohl berühmtesten deutschen Biopiraten, Alexander von Humboldt, profitiert auch Deutschland vom Nutzen der Ressourcen anderer Länder, sei es für die Entwicklung von neuen Medikamenten aus Heilpflanzen, für die Kosmetikproduktion oder für innovative Erzeugnisse der Biotechnologie. Das Nagoya-Protokoll wurde infolge der am 5. Juni 1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten Biodiversitätskonvention nach einem langen und schwierigen Verhandlungsprozess am 29. Oktober 2010 in Nagoya beschlossen und setzt erstmals international verbindliche Standards für den Umgang mit genetischen Ressourcen und fördert so Transparenz und Rechtssicherheit. Deutschland hat das Protokoll am 23. Juni 2011 unterzeichnet und der Wille, es zu ratifizieren, ist im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgehalten. Parallel zur 10. CBD-Vertragsstaatenkonferenz in Pyeongchang, an der ich zusammen mit meinem Kollegen Carsten Träger teilnehmen konnte – das hat genau vor einem Jahr stattgefunden –, fand auch das erste Treffen der Vertragsparteien zum Nagoya-Protokoll statt, bei dem weitreichende Entscheidungen für die internationale Fortentwicklung des Protokolls getroffen wurden. Auf europäischer Ebene wurde das im April 2014 mit der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 geregelt. Die Bundesregierung hat in der Kabinettssitzung am 29. April dieses Jahres die vorliegenden Gesetzentwürfe gebilligt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat in seiner Sitzung am 14. Oktober 2015 den Gesetzentwürfen zugestimmt, nachdem am 30. September 2015 hierzu eine öffentliche Anhörung stattgefunden hat. Die Anhörung im Umweltausschuss hat noch einmal die gesamte Bandbreite der Wirkung des Protokolls von Nagoya verdeutlicht und aufgezeigt, wie anspruchsvoll die Umsetzung in Deutschland in Verantwortung durch das Bundesamt für Naturschutz als zuständige Vollzugsbehörde sein wird und welche Auswirkungen dies für Wissenschaft und Forschung und für die Wirtschaft haben kann. Das Bundesamt wird aber nicht nur für den Vollzug der Bestimmungen des Protokolls von Nagoya verantwortlich sein, sondern soll etwa 600 zu erwartende Nutzer beraten und informieren, insbesondere aus der Pharmazie, der Kosmetikindustrie, der Biotechnologie, Pflanzenzucht und Gartenbau und natürlich aus dem Bereich der nichtkommerziellen Grundlagenforschung. Auch die Überprüfung der erwarteten etwa 750 Anträge von Sammlungen zur Aufnahme in das EU-Register gehört zu dieser Aufgabe. Aufgrund der Vielzahl von Aufgaben wird für das Bundesamt für Naturschutz mit zusätzlichem Personalbedarf gerechnet. Im Gesetzentwurf spricht das zuständige Ministerium von insgesamt 16 Stellen. Zunächst einmal sind für das Haushaltsjahr 2016  3 Stellen vorgesehen. Wir haben gemeinsam mit den Sozialdemokraten mit einem Entschließungsantrag darauf hingewirkt, dass zu gegebener Zeit eine Analyse der Anträge erfolgt, geprüft wird, wie hoch der Antragsberg ist, wie die Abarbeitung erfolgt. Auf Grundlage dieser Analyse hat ein Aufwuchs in den Folgejahren beim Personal zu erfolgen. Für uns als Fraktion gilt: Wir wollen keinen Papiertiger als Gesetz haben, aber wir wollen auch keine überbordende Bürokratie. Deshalb ist eine ständige Analyse der Anträge, die dem Bundesamt für Naturschutz vorliegen, dringend erforderlich. Wir werden als Gesetzgeber auch in den nächsten Jahren darauf achten, dass das entsprechend umgesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Derzeit ist die EU-Kommission dabei, sogenannte Guidance-Dokumente zu erarbeiten, die eine genauere Erläuterung von Schlüsselbegriffen regeln sollen. Das ist, glaube ich, das, was die Kollegin der Linken angesprochen hat. Wir gehen davon aus, dass, wenn diese Dokumente vorliegen, durch das Bundesamt entsprechende praxistaugliche Formen der Veröffentlichung vorgenommen werden, damit Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen werden kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mittlerweile haben 62 Staaten das Protokoll ratifiziert, darunter die Europäische Union und die EU-Mitgliedstaaten Kroatien, Dänemark, Ungarn und Spanien. Deutschland wird nunmehr als fünftes EU-Land die Ratifizierung vornehmen. Es zeigt sich wieder, dass wir international ein zuverlässiger Partner sind. Ich glaube aber, dass wir mit der Verabschiedung der Gesetze am heutigen Tag noch nicht am Ziel angekommen sind. Ich hatte heute Vormittag die Möglichkeit, mit Kollegen aus dem Umweltausschuss ein Gespräch mit der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Rechte indigener Völker zu führen. Frau ­Victoria Tauli-Corpuz hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass die Vereinbarung zum Vorteilsausgleich zwischen den Nationalstaaten nur die eine Seite ist, auf der anderen Seite muss dafür gesorgt werden, dass die Mittel vor Ort ankommen. Man muss zukünftig daran arbeiten, dass die Vorteile aus der Vereinbarung tatsächlich bei den Indigenen ankommen und für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen genutzt werden können. Deutschland muss in den verschiedenen Gremien, in denen es vertreten ist, entsprechenden Druck aufbauen. Ein zweiter Punkt. Leider treten nicht alle Staaten dem Nagoya-Protokoll bei. Wenn ein so großes Industrieland wie die USA sich dem bisher verschließt, dann ist das für unsere mittelständische Wirtschaft nicht gut; denn sie ist auf faire Wettbewerbsbedingungen angewiesen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Worum geht es bei diesem Nagoya-Protokoll, einem Begriff, der sich nicht von alleine erschließt? Es geht um globale Gerechtigkeit. Es geht darum, die wirtschaftlichen Vorteile auszugleichen, die hauptsächlich Industriestaaten aus der Nutzung genetischer Ressourcen oder traditionellen Wissens oft aus Staaten der Erdteile Afrika und Südamerika ziehen, indem dort auf dieser Grundlage Produkte entwickelt und vermarktet werden. Das Anliegen des Nagoya-Protokolls, einen Gerechtigkeitsausgleich zwischen den reichen Industriestaaten und den ärmeren Staaten bzw. den Menschen, die in diesen Regionen leben, zu schaffen, unterstützen hoffentlich wir alle hier im Haus unisono. Insofern werden wir dem Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Nagoya-Protokolls heute auch zustimmen. Aber dann ist auch Schluss mit lustig. Denn: Das, was Sie mit der nationalen Übersetzung des Nagoya-Protokolls, mit Ihrem Gesetzentwurf heute hier im Deutschen Bundestag, anrichten, ist das Gegenteil von dem, was im Nagoya-Protokoll gefordert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie alle von der Großen Koalition, die Sie hier sitzen, wissen das auch; denn das haben Ihnen Ihre eigenen Sachverständigen in der Anhörung des Umweltausschusses so um die Ohren gehauen, dass die Schwarte kracht. Sie haben Ihnen in der Anhörung des Umweltausschusses nicht gesagt: Da ist irgendwie etwas falsch; das könnte man besser machen. – Stattdessen haben sie Ihnen gesagt: Das widerspricht dem Geist, der Intention des Nagoya-Protokolls ganz grundsätzlich. – Damit wird Biopiraterie, das heißt die Ausbeutung von Ressourcen in armen Ländern, eben nicht beendet und nicht reduziert. Sie als Bundesregierung führen nahtlos die Strategie fort, die in den letzten Jahren diesbezüglich von einzelnen Firmen und Staaten gefahren worden ist. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf – genauso wie in der EU-Verordnung, die mit tatkräftiger deutscher Unterstützung zustande gekommen ist – eine doppelte Unterteilung vorgenommen. Das heißt, Sie trennen Forschung und Entwicklung von der Vermarktung von Produkten. Und dann regeln Sie die Sache so, dass deutsche Pharmaunternehmen – Herr Göppel, stellen Sie sich vor, Sie verträten ein deutsches Pharmaunternehmen – nicht anmelden müssen, wenn sie bei der Forschung und Entwicklung solche genetischen Ressourcen nutzen. Das kriegt vermutlich keiner mit, weil man es eben nicht melden muss. Man muss die Nutzung solcher Ressourcen erst dann anmelden, wenn das Produkt kurz vor der Vermarktung steht. Dann wird die Nutzung der Ressourcen zwar angemeldet, aber die Vermarktung nicht mehr sanktioniert. Das heißt, das, was nicht angemeldet wird, könnte rein theoretisch sanktioniert werden. Man muss erst einmal darauf kommen, ein völkerrechtliches Abkommen, das jahrelang verhandelt worden ist, auf eine solche Art und Weise zu unterminieren und ad absurdum zu führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Damit werden Sie die Vermarktung von illegal erworbenen Ressourcen eben nicht stoppen können. Es kommt hinzu – Frau Staatssekretärin, deshalb habe ich bei Ihrer Rede einen Einwurf gemacht –, dass Sie Forschung aus Privatmitteln und die Forschung aus öffentlichen Mitteln unterschiedlich behandeln. Das heißt, wenn privat geforscht wird, dann ist das gemäß Ihrem Gesetzentwurf nicht meldepflichtig; es ist also schlichtweg falsch, wie Sie es dargestellt haben. Meldepflichtig ist nur Forschung aus öffentlichen Mitteln oder wenn mit Drittmitteln geforscht wird. Aber ein privates Unternehmen, das mit rein privaten Mitteln forscht, muss die Forschungsaktivität nicht einmal melden. Das ist das Gegenteil dessen, was im Nagoya-Protokoll in Artikel 8 Buchstabe a gefordert wird. Dort wird ausdrücklich gefordert, dass es „vereinfachte Maßnahmen“ für die „nicht kommerzielle“ Forschung geben soll, weil es für unsere Gesellschaft wichtig ist, dass Pflanzen und genetische Ressourcen zum Nutzen des Gemeinwesens erforscht werden und dieses Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird. An dieser Stelle führen Sie zusätzliche Bürokratie ein. Ich bin eigentlich immer für Stellen im Bundesamt für Naturschutz, aber sie müssen Sinn machen. Die Stellen, die entstehen sollen, werden die öffentliche Forschung bürokratischer gestalten; es ist absurd, was Sie da veranstalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Es gibt einen dritten gravierenden Fehler in Ihrem Gesetzentwurf und in der EU-Verordnung; denn eine große Zahl der genetischen Ressourcen wird dadurch überhaupt nicht erfasst. Es wird das erfasst, was ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Nagoya-Protokolls bzw. der Umsetzung auf EU-Ebene und in Deutschland genutzt wird. Das heißt, all die Ressourcen, die in den letzten Jahren gesammelt worden sind, die sich in öffentlichen oder privaten Sammlungen befinden, werden hier überhaupt nicht erfasst. Meine Bitte ist – ich will hier ja nicht nur Kritik üben; wobei das bei diesem Thema wirklich schwierig ist –: Nehmen Sie die Kritik Ihrer eigenen Sachverständigen aus der Anhörung im Umweltausschuss ernst. Verhandeln Sie auf europäischer Ebene nach, damit möglichst bald eine neue EU-Verordnung auf den Weg gebracht werden kann. Dann können wir hier über einen Gesetzentwurf verhandeln, der tatsächlich versucht, das Nagoya-Protokoll umzusetzen; was ohnehin schwierig genug ist. Sie schaden mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf dem Vorteilsausgleich zwischen armen und reichen Staaten. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Carsten Träger spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einen anderen Akzent setzen. Betrachte ich die Entwicklung der letzten beiden Jahre, so scheint mir, dass die Weltgemeinschaft gerade noch rechtzeitig zur Besinnung kommt. Trotz der aktuellen internationalen Krisen bleibe ich dabei: Gerade in den letzten Monaten gelingen im Bereich Klima- und Naturschutz beachtliche internationale Erfolge: Der Nachhaltigkeitsgipfel in New York ist gerade hoffnungsvoll zu Ende gegangen, für den Klimagipfel in Paris gibt es positive Aussichten, auch weil der G-7-Gipfel von Elmau in diesem Sommer schon gute Signale gesetzt hat, und bereits im letzten Jahr trat das Nagoya-Protokoll in Kraft, eine zentrale Säule des Übereinkommens über den Erhalt der biologischen Vielfalt, vom Umfang und vom Anspruch her das umfassendste internationale Naturschutzabkommen. Die drei großen Ziele des Nagoya-Protokolls wurden schon genannt: die Erhaltung biologischer Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die gerechte Aufteilung der Vorteile, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen erzielt werden. Ein Beispiel: Eine seltene wertvolle Pflanze in einem Land, meist einem Entwicklungsland, wird von einem Unternehmen, meist in einem Industrieland, genutzt, um ein Medikament oder ein Kosmetikprodukt auf den Markt zu bringen. Weder wurde das Herkunftsland um die Zustimmung zur Nutzung gebeten, noch werden die Gewinne irgendwie mit dem Herkunftsland geteilt. Das nennen wir Biopiraterie, und im Nagoya-Protokoll geht es darum, diese zu bekämpfen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bleibt nach Ihrem Gesetzentwurf so!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Erhalt der biologischen Vielfalt ist es unerlässlich, dass Entwicklungsländer auch wirtschaftlich davon profitieren, Lebensräume und Arten zu schützen. Dieser ökonomische Anreiz wird mit dem Protokoll gesetzt. Der zweite Aspekt ist auch ganz wichtig: Das schafft Vertrauen in der Zusammenarbeit zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern. Wir wissen längst, dass wir zum Beispiel beim Klimaschutz auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern angewiesen sind. Aber wie soll das gelingen, wenn der reiche Norden die ärmsten Staaten ihrer Ressourcen beraubt? Deshalb begrüße ich es sehr, dass Deutschland eine glaubwürdige Vorreiterrolle in der internationalen Naturschutzpolitik eingenommen hat, gerade auch mit Blick auf die mitunter sehr, sehr schwierigen Verhandlungen zum Nagoya-Protokoll. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, Frau Lemke, dass wir hier über das Ergebnis eines mehrjährigen, um nicht zu sagen: langjährigen Verhandlungsprozesses sprechen, weil die unterschiedlichsten Interessen zum Teil diametral zueinander standen. Ich selbst durfte bei der letzten Konferenz in Südkorea dabei sein und kann bestätigen, wie schwierig diese Verhandlungen waren und welch hohes Ansehen Deutschland in diesen Fragen deshalb genießt. Mit den heutigen Beschlüssen ermöglicht der Bundestag den deutschen Beitrag zum Nagoya-Protokoll und wird damit auch in dieser Hinsicht als einer der ersten EU-Staaten der internationalen Vorreiterrolle gerecht. Es wurde schon gesagt: Das Bundesamt für Naturschutz wird zukünftig kontrollieren, ob in Deutschland die Regeln zu Zugang und Vorteilsausgleich in den Herkunftsländern eingehalten werden. Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen haben wir den Sorgen, die in der letzten Woche in der Anhörung zum Ausdruck gebracht wurden, Rechnung getragen: Die Stellenausstattung des Bundesamtes für Naturschutz wird einer jährlichen Evaluierung unterzogen und damit sichergestellt. Einige Rechtsbegriffe werden konkretisiert – das war auch ein großer Vorwurf – und schnell und praxistauglich veröffentlicht. Auch das Patentgesetz wird so geändert, dass nachvollzogen werden kann, ob das biologische Material aus den anderen Ländern legal erlangt wurde. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe um Zustimmung zu dem Beitritt zum Nagoya-Protokoll, weil wir damit ein wichtiges Signal für die internationale Zusammenarbeit setzen und weil wir damit einen nachhaltigen Beitrag zum Naturschutz in den Schatzkammern der Artenvielfalt, in den wirtschaftlich schwachen Regionen der Erde leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt unser Kollege Josef Göppel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Josef Göppel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An einem Tag, an dem wir die neuen Gesetze für Asylbewerber verabschiedet haben, darf man schon sagen: Hier geht es um Beseitigung und Eindämmung von Fluchtursachen, und zwar weit in die Zukunft hinein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist das Erfreuliche und Hoffnungsvolle an der Umsetzung des Nagoya-Protokolls. Ich sehe es noch vor mir, wie vor ziemlich genau fünf Jahren, im Oktober 2010, die Delegierten geradezu erleichtert aufgeatmet und stürmisch Beifall gespendet haben, weil es endlich gelungen war, zu einem Übereinkommen zu finden, damals, ein Jahr nach dem Desaster in Kopenhagen in Bezug auf den Klimaschutz. Dieses Nagoya-Protokoll kommt etwas spröde daher; das wurde von den Rednerinnen und Rednern vor mir ganz gut beleuchtet. Ich sehe auch Anlass, drei Punkte zu markieren, an denen nachgearbeitet werden muss: Erstens. In der Anhörung hat sogar der Vertreter der chemischen Industrie gesagt: Wir wissen nicht, wann die Nutzung beginnt und wann sie endet. Man befürchte eine Flut von Rechtsstreitigkeiten zulasten der Betriebe, die umsetzen wollen. In der europäischen Verordnung fehlt der Bereich der Vermarktung. Im spanischen Umsetzungsgesetz sind Verwendung und Vermarktung enthalten. Auch im französischen Umsetzungsgesetz ist von Utilisation commerciale die Rede, also der nutzbringenden Verwendung. Deswegen denke ich, das muss in den weiteren Beratungen darüber, wie man das Ganze handhabbar macht, noch einmal aufgegriffen werden. Zweiter Punkt. Es geht um gewaltige kulturelle Unterschiede für indigene Völker. Übrigens, heute Abend sind welche vom Amazonas hier in Berlin; auch dort geht es um diese Fragen. Für diese Menschen kann etwas, was der Mutter Erde entnommen wird, niemals Privatbesitz sein. Deswegen haben sie keinerlei Verhältnis zu dem, was wir „Patente“ nennen. Es geht also darum, in einem offenen und durchsichtigen Prozess in den jeweiligen Ländern ausgiebig und einfühlsam mit den bisherigen Hütern dieser Schätze zu reden. Sie sehen oftmals ihre nationale Regierung als Handlanger der Industrie. (René Röspel [SPD]: Sehr richtig, Josef!) Damit bin ich beim dritten Punkt. Der Vorteilsausgleich, um den es geht – das hat ja mein Kollege Schulze sehr klar dargestellt –, geht fast immer an die nationale Regierung, aber noch lange nicht an die lokalen Gruppen, die in den jeweiligen Gebieten wohnen und in einer Art Allmendewirtschaft, in einer allgemeinen Wirtschaftsweise, über Jahrhunderte mit diesen Stoffen umgegangen sind und sie auch zum Wohl ihrer Gemeinschaften verwendet haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deswegen ist auch an diesem Punkt noch einmal nachzuarbeiten. Trotzdem: Wenn ich ein Resümee ziehe, kann ich sagen, dass wir heute an einem wichtigen Punkt sind, auch wenn die Anzahl der Abgeordneten, die an diesem Beschluss teilnimmt, überschaubar ist. Dennoch ist es ein Beschluss, der die Welt gerechter macht, der weit in die Zukunft reicht und der uns auch hilft, in einer positiven Art und Weise auf die Gemeinschaften und Völker, die diese Schätze besitzen, zuzugehen – so wie das Bild Deutschlands seit kurzem ja auch durch sein Verhalten gegenüber Flüchtlingen geprägt wird. Ich sage nochmals – ich kehre zum Anfang zurück –: Hier geht es darum, durch einen gerechten Vorteilsausgleich für Lebens- und Entwicklungschancen in diesen Ländern zu sorgen, damit dort die eigene, gewachsene Kultur auch im 21. Jahrhundert eine Zukunft hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege René Röspel für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man nach den guten Worten von Josef Göppel als Umwelt- oder, wie ich, als Forschungspolitiker hier steht, hat man manchmal den Eindruck, in anderen Bereichen unserer Gesellschaft herrsche die Meinung vor, die Art Homo sapiens sei die einzige, die auf der Welt bedeutend ist, und es sei gar nicht so schlimm, wenn jeden Tag viele Arten diesen Planeten unwiederbringlich verlassen, meistens aufgrund menschlichen Handelns. Deswegen ist es richtig, an die Bedeutung von Artenvielfalt und Biodiversität anzuknüpfen. Albert Einstein wird ein Zitat zugeschrieben; es klingt ein bisschen dramatisch, macht aber vielleicht etwas deutlicher, wie wichtig andere Arten sind und wie abhängig der Mensch von anderen Arten ist. Er soll irgendwann einmal gesagt haben: Wenn die Biene unsere Erde verlässt, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben. – Das ist vielleicht ein bisschen sehr dramatisch, zeigt aber die Zusammenhänge zwischen den Arten und die Bedeutung der Artenvielfalt auf unserem Planeten. Es ist nicht nur so, dass der Mensch von genetischer Vielfalt abhängig ist. Vielmehr sind Biodiversität und Artenvielfalt, wie hier heute schon häufig erwähnt wurde, auch ein großer Schatz, den die Menschheit hat. Als Forschungspolitiker muss ich natürlich das Beispiel nennen, das vor einigen Wochen in allen Medien war: Der diesjährige Nobelpreis für Medizin ist an die Forscher Tu Youyou, Campbell und Omura gegangen. Sie haben sich Pflanzen und eine Vielzahl von Bakterien, also natürlich vorkommende Arten, angeschaut und sie auf Wirkstoffe untersucht. Es ist ihnen gelungen, Wirkstoffe zu isolieren, die seit vielen Jahren gegen Malaria und Wurmkrankheiten eingesetzt werden können und vielen Millionen Menschen das Leben retten oder erleichtern. Dieser Zugang zur Forschung und zu genetischen Ressourcen muss offen sein, und es ist wichtig – das regelt das Nagoya-Protokoll glücklicherweise –, dass der Nutzen solcher Forschung und solcher Erkenntnisse fair verteilt wird. Du hast in gute Worte gefasst, Josef, dass man auch Respekt gerade vor den indigenen Völkern haben muss, die dieses Wissen und diese Ressourcen haben, dass man gut mit ihnen umzugehen hat und nicht zu deren Nachteil handeln darf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Dass dieser Schatz bewahrt werden muss, ist richtig, und das Nagoya-Protokoll ist hier ein wegweisender Schritt. Als Forschungspolitiker darf ich trotzdem eine Kritik bzw. eine Besorgnis ausdrücken, die der Umweltausschuss durch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen in einer Entschließung glücklicherweise aufgegriffen hat: Seit langen Jahren bearbeiten naturkundliche Sammlungen und die Wissenschaft in Deutschland Hunderttausende genetische und biologische Objekte jedes Jahr neu, und die Umsetzung des Nagoya-Protokolls führt dazu, dass der Erfüllungsaufwand bei diesem Verfahren groß sein wird. Damit wir das Nagoya-Protokoll gut umsetzen können, brauchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler also eine gute Unterstützung. Ich sage das ausdrücklich: Das Bundesamt für Naturschutz wird für die Genehmigung zuständig sein, aber wir dürfen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht alleine lassen, sondern müssen sie durch Beratung und Koordinierung unterstützen. Das setzt voraus – und das ist nicht nur meine Bitte, sondern meine Aufforderung an die Bundesregierung und gerade auch an das zuständige Bundesministerium für Bildung und Forschung –, dass in den nächsten Monaten und Jahren wirklich darauf geachtet wird, dass die Forschung nicht durch Bürokratie belastet wird, wenn es nicht sein muss, sondern dass notfalls für eine Übergangszeit auch zusätzliche Personalstellen geschaffen werden, damit das Nagoya-Protokoll zum Frieden der Forscher umgesetzt werden kann. Das sollte uns dieser Schatz der Menschheit wert sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6384, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5321 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6394. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenen Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6384, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5219 anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss auf Drucksache 18/6384, eine Entschließung anzunehmen. Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Damit haben wir auch diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen. Ich rufe hiermit die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Milchmarkt stabilisieren – Milchkrise beenden Drucksache 18/6206 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Auslaufen der Milchquote – Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landwirtschaft braucht flächendeckende Milchviehhaltung – Bäuerliche Milcherzeuger stärken – Milchpreise stabilisieren Drucksachen 18/4424, 18/4330, 18/5601 Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die diesem Tagesordnungspunkt durch Beratung besonders verbunden sind, Platz zu nehmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Einen Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Heute legen die Linken und die Grünen einen gemeinsamen Antrag vor. Das ist sehr ungewöhnlich, aber die Lage in vielen Milchvieherzeugerbetrieben ist dramatisch, weil sie seit Monaten für ihre Produkte nur noch ein Handgeld bekommen. Ich finde, da ist es mehr als angemessen, Trennendes beiseitezuschieben und gemeinsam zu handeln. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Kollegen Friedrich Ostendorff ausdrücklich für die sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit, die diesen Antrag ermöglicht hat. Wir müssen in der Milchpolitik endlich die Weichen richtig stellen. Immer mehr Betriebe steigen aus der Milchproduktion aus, meistens schweren Herzens. Das sind längst nicht nur Betriebe, die schlecht gemanagt werden. Als ich 2005 neu in den Bundestag einzog, lagen wir noch über der Schallmauer von 100 000 Milchviehbetrieben. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Wir erleben jetzt den dritten Preisabsturz seit 2009. Jeder vierte Betrieb hat unterdessen die Milchproduktion aufgegeben. Die 75 000 Überlebenden stehen bereits am Abgrund. Ich verstehe sehr gut, dass sie ihre Not und Verzweiflung auf die Straße getragen haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unionskollege de Vries meinte einmal, wer nicht für 32 Cent melken könne, der solle es lassen. – Mag sein. Aber seit Monaten ist der Milchpreis im Tiefflug Richtung 20 Cent. Statt guten Lohns für gute Arbeit haben die Betriebe durchschnittlich 23 000 Euro Schulden pro Hektar angehäuft. Das kann uns doch nicht gleichgültig sein. Aber nicht nur kleine Familienbetriebe können Milch nicht unter 30 Cent pro Liter produzieren. Die Krise trifft auch Betriebe, die investiert haben. Ja, sie haben häufig, weil sie der Ankündigung des Paradieses nach dem Wegfall der Quote geglaubt haben, in noch mehr Milch investiert, aber auch in bessere Lebensbedingungen für die Tiere im Stall und in bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für die Menschen, die sie betreuen. Diesen Betrieben sitzen jetzt die Banken im Nacken. Und was kommt als Alternative aus Brüssel? Wieder ein Milchpaket mit weiteren 69 Millionen Euro für Liquiditätshilfen in Deutschland. Aber das ist wieder nur ein Sterbegeld, das letzten Endes in fremden Taschen und vor allem bei den Banken landet. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt Ursachen zu bekämpfen, bleibt es wieder nur bei einem Tropfen Milch auf den heißen Stein. So geht das doch nicht. Viele Betriebe wollen gar nicht mehr Geld aus Brüssel. Sie fordern faire Bezahlung für ihre schwere Arbeit, und zwar, wie ich finde, völlig zu Recht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seien wir doch ehrlich: Wer heutzutage Milch produziert, muss schon positiv bekloppt sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sollten einmal die Plenarsitzungen für den Rest des Jahres morgens um 3 Uhr beginnen und auf sonnabends und sonntags ausweiten. Dann ahnen wir vielleicht, wie viel Lebensqualität dann noch übrig bleibt. Am meisten ärgert mich aber, dass mit Milch durchaus Geld verdient wird. Supermärkte und Großmolkereien machen satte Gewinne auf Kosten der Milchproduzenten. Ich finde, hier kann sich die Politik nicht mehr heraushalten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber wir brauchen ein radikales Umdenken, damit sich wirklich etwas ändert. Das ist eine Herausforderung, vor allem für die Union. Ich war selbst einmal in einer Partei, die geglaubt hat, immer recht zu haben. Ich weiß, wie schmerzhaft es ist, sich davon zu lösen. Ich weiß aber auch, wie heilsam und vor allem wie nötig das ist. Denn für viele Betriebe ist die Milchstraße längst zur Sackgasse geworden. Es macht doch keinen Sinn, immer mehr Milch zu produzieren, die nicht gebraucht wird. Auch in einer globalisierten Welt wartet längst niemand mehr darauf, unsere Milchseen und Butterberge zu kaufen. Ich finde es auch, ehrlich gesagt, zynisch, unsere überflüssigen Lebensmittel auf Drittmärkten quasi zu entsorgen. Wir können doch die Landwirtschaft vor Ort nicht auch noch die Zeche für unseren Wachstumswahn zahlen lassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was schlagen Linke und Grüne gemeinsam vor? Zum Beispiel ein neues System zur Anpassung der Milchmenge an die Nachfrage. Nein, das ist keine Milchquote 2.0, sondern es ist die Korrektur der Fehler des alten Systems. Denn es war eben nicht an der Nachfrage orientiert. Die Betriebe mussten die Quote teuer bezahlen, und der Börsenhandel hat sie oft weiter verteuert. Zu diesen Instrumenten der Vergangenheit wollen wir nicht zurück. Aber es macht doch Sinn, in Zeiten der Überproduktion den Betrieben einen Ausgleich zu zahlen, die freiwillig ihre Milchmenge reduzieren. Was spricht denn dagegen, wenn Milcherzeugerinnen und -erzeuger gemeinsam mit Molkereien, Wissenschaft und Verbraucherverbänden die Milchmenge aushandeln? Beim Wein akzeptiert doch selbst die Union eine Mengenregulierung. Aber bei der Milch sieht sie tatenlos zu, wie der Markt die Betriebe enteignet. Ich finde das wirklich zynisch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann auch von den Biobetrieben lernen, die nämlich erstmals nicht von der Krise betroffen sind. Vielleicht liegt das daran, dass bei Biomilch das Angebot kleiner ist als die Nachfrage und ihre Verarbeitung und Vermarktung stärker regional orientiert sind. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig! – Zuruf von der SPD: Und der Preis anständig ist!) Gunnar Hemme hat uns in der Ausschussanhörung erklärt, dass man bei regionaler Verarbeitung und Vermarktung auch konventionell erzeugte Milch in Brandenburg fair bezahlen kann. Also müssen wir Handel und Verarbeitung für faire Milchpreise in die Pflicht nehmen. Zum Beispiel sollen durchschnittliche Erzeugungskosten als Mindestbasispreis für Vertragsverhandlungen mit den Molkereien vorgeschrieben werden. Um die Marktübermacht von Supermärkten und Molkereien zu beseitigen, muss endlich das Kartell- und Wettbewerbsrecht gestärkt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe auf eine offene, aber auch sehr ernsthafte Diskussion. Ich finde, die Milcherzeugerinnen und -erzeuger haben das verdient. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesminister Christian Schmidt das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Milch ist im Augenblick billig. Sie ist zu billig. Unsere hochwertigen Lebensmittel sind einen besseren Preis wert. Von der guten Milch werden Verbraucher satt. Es müssen aber auch die Milcherzeuger satt werden können. Wir alle wissen, dass bei diesen Preisen – das gilt übrigens nicht nur für Milch, sondern auch für Schweinefleisch – und durch Trockenheit Bauern in wirtschaftliche Schieflage geraten können und geraten sind. Das ist nicht gut. Landwirte, auch mit mittleren und kleinen Betrieben, brauchen gute Perspektiven. Deswegen ergreifen wir sowohl kurz- als auch mittelfristig Maßnahmen, um den Markt und die Einkommen zu stabilisieren. Jetzt geht es allerdings vor allem um die Linderung der akuten Probleme. Deswegen stellen wir den Landwirten kurzfristige Liquiditätshilfen zur Verfügung. Ich würde gar nicht darüber reden und fragen, ob man das mag oder nicht – man braucht es. Deswegen soll das sehr schnell umgesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf bei der Gelegenheit sagen: Wenn wir Bilanz ziehen, dann müssen wir feststellen, dass die Flexibilität bei den Direktzahlungen, die im Rahmen der Agrarpolitik an die Milcherzeuger gehen und die einen Teil des Einkommens darstellen, zu wünschen übrig lässt. Ja, wir sind dieses Jahr spät dran. Das ist deswegen so, weil sich die neue Agrarpolitik mit Greening, Junglandwirteprämie und anderen neuen Elementen erst einpendeln muss. Ich wäre bereit gewesen, die Direktzahlungen aus Mitteln des Bundeshaushaltes vorzeitig zu finanzieren. Wenn ich aber erlebe, dass alle 16 Bundesländer, die dafür die Verantwortung tragen, die weiße Fahne hissen und mir sagen, dass sie administrativ nicht in der Lage sind, den Tanker Direktzahlungen auf einen schnelleren Kurs zu bringen bzw. den Kurs zu korrigieren, dann haben wir, meine Damen und Herren, auch hier eine Baustelle bzw. ein Problem, das weit über die Milch hinausgeht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen uns die Strukturen der bürokratisierten europäischen Agrarpolitik ernsthaft und schnell vornehmen. So kann das nicht weitergehen. (Beifall des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Mittel- und langfristig müssen die Strukturen anpassungsfähiger werden. Manches muss ausgebaut werden – auch die Exportförderung, zu der ich noch kommen werde. In Brüssel wurde, was die Soforthilfe angeht, über 500 Millionen Euro verhandelt. Die Kommission hat sie aufgeteilt. Der Anteil von 70 Millionen Euro für unser Land ist der größte. Das ist von Bedeutung für die Direkthilfe. Ich habe ein Modell vorgestellt, wie diese 70 Millionen Euro so schnell wie möglich bei den Landwirten ankommen können. Dabei ging es mir darum, die größtmögliche und schnellstmögliche Wirkung zu erzielen. Landwirte, die von ihrer Hausbank bereits ein Liquiditätshilfedarlehen erhalten haben, bekommen dazu einen direkten Zuschuss von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das ist die Liquiditätshilfe, Geld, das direkt bei den Bauern ankommt. Das Darlehen muss unter dem normalen Satz verzinst werden – es müssen 1 bis 1,5 Prozent weniger sein –, es muss im ersten Jahr tilgungsfrei sein, und es wird eine Laufzeit von vier bis sechs Jahren haben. Dieses Angebot – ein ähnliches Modell hat die Landwirtschaftliche Rentenbank bereits seit Juli für die „Superabgabe“ laufen – wird dann durch konkretes Cash in Form der Liquiditätshilfe noch befördert und beschleunigt, sodass de facto eine Regelung vorhanden ist, die dazu führt, dass die Konteninhaber, auf deren Konten gegenwärtig rote Zahlen sind, jedenfalls für die nächste Zeit wieder flüssig werden können. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich ist mir klar, dass das die Probleme nicht löst. Aber wer schnell hilft, hilft doppelt. Und dann lasst uns weitersehen, was wir noch tun müssen. Ich will darauf hinweisen, dass wir den delegierten Rechtsakt der Europäischen Union noch in dieser Woche erwarten. Dann werde ich sofort die Eilverordnung auf den Weg bringen, sodass alles, was die Antragstellung betrifft, noch im Laufe dieses Jahres über die Bühne gehen kann. Durch die Kopplung unserer Zuschüsse an die Darlehen stellen wir auch sicher, dass das Geld tatsächlich ankommt. Die Sorge, dass die Banken besonders viel verdienen, ist damit unberechtigt. Wir schaffen Marktentlastung durch ein neues, attraktives Programm der privaten Lagerhaltung für Milch und Käse – diese wurde, was Magermilchpulver betrifft, bereits stark in Anspruch genommen – sowie ein verbessertes und praktikables Programm der privaten Lagerhaltung für Schweinefleisch, wenngleich ich nicht verhehlen will, dass das Beispiel der privaten Lagerhaltung für Schweinefleisch zeigt, dass man mit privater Lagerhaltung, wenn sie nicht klug angelegt ist, Probleme allenfalls in die Zukunft verschiebt, sie aber nicht löst. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Genau das ist es! Nicht mehr und nicht weniger!) Wir müssen aber auch die Fragen stellen: Was macht die Landwirtschaft zukunftsfähig? Wie schaffen wir anpassungsfähige Strukturen? Was sichert unseren Milchbauern in Zukunft ein gutes Auskommen? Natürlich ist es gut, zu wissen, dass die EU-Marktbeobachter davon ausgehen, dass sich der Milchpreis in den nächsten Jahren bei 35 Cent einpendeln wird; das ist die Grundlage. Aber auch dann wird es Ausschläge nach oben und unten geben. Natürlich sind wir gespannt-optimistisch, dass die Entwicklung der – jedenfalls bei den Produkten – wieder anziehenden Preise mit einem gewissen Verzug auf die Rohmilchpreise – so sind unsere Hoffnungen und Erwartungen – übergeht. Aber das löst natürlich das Problem nicht. Wir wollen daher die Ausschläge mit marktgeeigneten Mitteln abfedern. Wir brauchen einige Grundlagen dafür: erstens eine hohe Qualität und Regionalität unserer Produkte, zweitens vorausschauende Marktbeobachtung und ein Sicherheitsnetz und drittens weltweite Wettbewerbsfähigkeit. Die Milchquote ist Vergangenheit, und das ist gut so. Das soll auch so bleiben. Ich kenne niemanden, der in Wahrheit der Milchquote eine Träne nachweint. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Mein Dank gilt bei der Anpassung vor allem den Landwirtinnen und Landwirten sowie denjenigen, die den Weg und den Übergang – weg von der Milchquote, hin zu einem neuen Regime, das nun schon seit einigen Jahren besteht – vorbereitet und aktiv mitgestaltet haben. Auch von Verbandsseite wurde dieser Weg – Dank an den Deutschen Bauernverband – sehr gut begleitet und unterstützt. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Weg an den Rand des Abgrunds!) Ich bin überzeugt: Die Marktorientierung wird den Milchmarkt langfristig stabilisieren; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht passiert aber das Gegenteil!) denn mit unserer jetzigen Situation eines geringen Außenschutzes lassen sich die Milchmenge und der Milchpreis nicht vom Weltmarkt entkoppeln. All die Romantiker, die sagen: „Lasst uns doch ohne Außenschutz so etwas versuchen“ – als ob wir unseren eigenen Markt alleine regieren könnten –, weise ich auf das hin, was die Kollegin Tackmann im Hinblick auf die Subventionierung von Exporten gesagt hat. Die sogenannten Exporterstattungen sind Gift für die Länder der Dritten Welt. Ich will und werde sie nicht akzeptieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir exportieren das doch dahin!) Ich will, dass dorthin exportiert wird, wo zahlungskräftige Kunden sind. Dass es zahlungskräftige Kunden zum Beispiel in den USA und China gibt, ist doch nicht von der Hand zu weisen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will keine Verwischung der Fragen. Die Wertschöpfungskette muss sich organisieren. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter? Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Mit Interesse, Frau Kollegin Bulling-Schröter. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Danke schön, Herr Minister. – Ich möchte Sie Folgendes fragen: Ich habe in einem Zeitungsartikel gelesen, dass die USA Zölle auf Butterprodukte aus der EU verhängen. Der Hintergrund ist, dass nach Auffassung der USA alles zu billig ist und dass die USA beispielsweise Milch- und Joghurtprodukte selber herstellen wollen. Wie stehen Sie denn dazu? Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Vielen Dank, Frau Kollegin. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sind Sie für TTIP, oder?) Ich habe den Artikel nicht gelesen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten aber so was lesen als Landwirtschaftsminister!) Wenn es sich aber so, wie Sie sagen, verhält, dann ist das die beste Vorlage dafür, dass wir TTIP brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die EU wird eine High-Level Group einrichten, die sich mit Marktmodellen, aber auch mit Ideen zu Risikomanagement und Sicherungsfonds befasst. Dort bestehen keine Denkverbote. Jede Idee muss aber wirklich weiterhelfen. Danke, dass Sie sagen: Die Partei hat immer recht. Der alte SED-Slogan würde nicht mehr funktionieren. Ich will aber auch allen Verbänden und allen, die auf diesem Gebiet unterwegs sind, sagen: Es gibt keinen, der immer recht hat. Deswegen bin ich bereit, darüber zu reden. Aber jeder muss schon den Nachweis erbringen, dass seine Idee auch wirklich greift. (Beifall bei der CDU/CSU) Das habe ich bei der Mengensteuerung bisher noch nirgendwo gesehen. Wer ehrlich zu sich selbst ist und wissenschaftliche Bewertungen liest, der kann zu keinem anderen Ergebnis kommen. Wir müssen über viele Fragen reden, beispielsweise über Steuerungsmechanismen bei Preisanpassungen, über Versicherungsmodelle und die Frage, ob wir mit Fondslösungen abfedern können, und wir müssen über das Kartellrecht reden. Ich habe in Kürze mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes ein Gespräch auch über das Thema „Verkauf unter Einstandspreis“. Das ist ein Thema, das wir uns natürlich anschauen müssen. Wir werden darüber auch auf europäischer Ebene offen reden. Ein letzter Punkt: Export. Der Export in die richtige Richtung ist wichtig. Wer ihn nicht will, der muss sagen, dass dann die Hälfte unserer Landwirte die Betriebe schließen müsste. Das will ich nicht, sondern ich will einen fairen und vernünftigen freien Handel haben. Deswegen werde ich die Mittel für das Auslandsmesseprogramm erhöhen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein allerletztes Wort noch: Wir haben heute früh das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verabschiedet und darüber debattiert – in der Regierungserklärung hat die Kanzlerin das dargelegt –, wie wir daran arbeiten müssen, dass nicht so viele Menschen sich auf den Weg zu uns machen. Die Menschen kommen zu uns aus Flüchtlingslagern, in denen sie – Gott sei’s geklagt – deswegen leben müssen, weil sie aus ihren Häusern gebombt wurden. Wenn wir, die internationale Gemeinschaft, die wir über Überfluss reden, nicht in der Lage sind, sicherzustellen, dass die Milch zu den Menschen kommt und nicht die Menschen zur Milch, dann haben wir versagt. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milch nach Syrien, oder was heißt das jetzt? Mann, Mann, Mann!) Deshalb werden mein Kollege Gerd Müller und ich ein nationales Programm auflegen und uns darum kümmern, dass die Mütter und ihre Kinder, die im Libanon oder woanders in den Flüchtlingslagern sind, etwas bekommen. Das ist ein richtiges Verständnis von sozialem Marktgeschehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Friedrich Ostendorff spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schönen Dank zurück an Kirsten Tackmann für die geleistete gemeinsame Arbeit. Ja, es war gut, dass wir das auf die Reise gebracht haben. Wir haben gerade eindrücklich erlebt, warum es gut war, dass wir unsererseits ein deutliches Signal an unsere Milchviehbetriebe gesendet haben. Herr Minister Schmidt, Sie und viele aus Ihren Reihen haben uns Milchbauern noch vor einem halben Jahr das Blaue vom Himmel versprochen: Die Zukunft liegt im Export, die Zukunft liegt auf dem Weltmarkt, die langfristigen Aussichten sind bestens, die Welt wartet auf unsere Milch, sie braucht unsere Milch. – Mit der Realität hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das mag bei Kees de Vries nicht angekommen sein. Er hat vieles versprochen, zum Beispiel 32 Cent für die Milch. Wer bei dem Preis nicht wirtschaften könne, solle Beamter werden. Solche Dinge hörten wir von ihm. Gut, das hat sich alles als Märchenstunde erwiesen. Die Realität ist leider hart. Sie von der Union, oftmals auch vom Bauernverband, haben durch Ihr ständiges Wachstumsmantra die Milchviehbetriebe bis an den Rand des Abgrunds geführt. Gewachsen sind in den letzten Jahren doch nur die Milchpulvertürme der Exportmolkereien, geförderte Milchpulvertürme, die uns heute gehörig um die Ohren fliegen. Milchpulver als deutsches Premiumprodukt für die Versorgung der Welt, demnächst dann auch noch über Syrien abgeworfen – Sie können nicht verhehlen, dass Sie sehr lange im Verteidigungsbereich waren; ich hoffe, dass wir dann ein Transportflugzeug haben, das das alles leisten kann –, Milchpulver als bestmögliche Wertschöpfung für unsere Betriebe, das ist doch völlig absurd, Herr Minister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Botschaft glaubt Ihnen, Herr Minister, doch draußen kein Mensch mehr. Für 25 Cent kann kein Betrieb melken, keiner in Deutschland, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) vor allem nicht die Betriebe, die Sie so hoch gelobt haben, die Wachstumsbetriebe, die resilient und für die Zukunft gut aufgestellt seien. So waren Ihre Worte. Gerade diese Betriebe hat es ganz heftig erwischt. Die Anzahl der Milchbetriebe ist in den letzten zehn Jahren um ein Drittel gesunken und hat in den letzten sechs Monaten vor dem Wegfall der Milchquote um 2,2 Prozent auf unter 75 000 abgenommen. Das, meine Damen und Herren von der Union, das, Herr Agrarminister Schmidt, ist der Erfolg Ihrer Politik. Wo ist denn, Herr Minister Schmidt, die versprochene rosige Zukunft für die Milchviehbetriebe? Wo sind denn die Zukunftsmärkte, die Sie versprochen haben? Chinas Importe an Milchpulver sind von Januar bis Mai dieses Jahres um 54 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. Ich sehe da keine großen Märkte. Sie müssen mir erklären, wie das als Zukunftsabsatzmarkt deklariert werden kann. Allein Indien hat in den letzten fünf Jahren – auch das muss man zur Kenntnis nehmen – seine Erzeugung um 25 Prozent gesteigert. Auch da gibt es inzwischen eigene Bemühungen, die sehr erfolgversprechend sind. Sicher, es bleiben ja noch so demokratische Freunde – für die CSU ist das wahrscheinlich nicht so schwierig – wie Saudi-Arabien, Iran und Ägypten. Der Absatz unserer Butter dort hat sich tatsächlich etwas gesteigert; das ist richtig. Aber meinen Sie wirklich, unseren Milchviehbetrieben verkaufen zu können, dass dies der sichere Hafen der Zukunft ist, auf dem man Existenzen gründen kann, auf dem man die Zukunft aufbauen kann? Diese Heilsversprechen glaubt Ihnen keiner mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wie sonst, Herr Minister Schmidt, sind die anhaltenden Proteste zu erklären, zu denen es kommt, wann immer Sie irgendwo im Land auftauchen? Diese Proteste entstehen, egal wo Sie hinfahren, ob nach Brüssel, nach Fulda, nach München oder am vergangenen Samstag zur Anuga in Köln. Die Milchbauern und bäuerinnen bezeugen ihre Wut. Sie sind vor Ort. Sie kämpfen gegen Ihre Politik. Das hat zumindest immerhin dazu geführt, wie wir heute hörten, dass Ihr Personenschutz deutlich verstärkt worden ist. Man hat Angst vor den wild gewordenen Milchbauern. Ihre heilige Dreifaltigkeit aus Union, Bauernverband und Agrarindustrie hat ausgedient, Herr Minister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bis heute haben Sie nämlich keinerlei Vorschläge zur Lösung der Probleme vorgelegt. Warum haben Sie denn auf den Bericht des Bundeskartellamtes zur Situation auf dem Milchmarkt nicht reagiert? Jetzt wollen Sie darüber sprechen. 2012 war es an der Zeit, über die Machtlosigkeit der Milcherzeuger zu reden. Ja, Sie vertreten natürlich einseitig nur die Interessen der Molkereien. Überproduktion muss eingedämmt werden; das ist die Aufgabe der Stunde, nichts anderes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben zu viel Milch. Der Milchüberschuss in der Welt beträgt 10 Millionen Tonnen; das kann jeder nachlesen. Genau seit 2010 werden in Europa 10 Millionen Tonnen mehr erzeugt. Jeder kann doch erklären, dass das eindeutig zu viel ist. Ihre Politik führt dazu, dass insbesondere die Wachstumsbetriebe schließen müssen. Wir stehen vor einem Strukturbruch mit volkswirtschaftlichen Verlusten in Milliardenhöhe. Da helfen keine freiwilligen Verbindlichkeiten, Herr Minister, die Sie ja so gerne jeden Tag, fast jede Stunde verkünden. Besonders schlimm: Die Milch wandert aus den benachteiligten Grünlandgebieten ab, wo sie hingehört; dort hat sie oft eine hohe Bedeutung für die Erhaltung der Arten. Wir brauchen endlich ein Krisenmanagement, das die Menge an den europäischen Bedarf anpasst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, der Milchmarkt kann nur mit einer nachfrageorientierten Produktion funktionieren. Herr Minister Schmidt, wir fordern Sie zum xten Mal auf – diesmal beide Fraktionen der Opposition gemeinsam –: Folgen Sie doch endlich den Empfehlungen der Länderagrarministerkonferenz. Setzen Sie sich endlich für ein Krisenmanagement, für eine flexible Angebotsregulierung, national und europäisch, ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nutzen Sie die Möglichkeiten für eine Marktregulierung, indem Sie die Auszahlung konditioniert an eine Mengenreduzierung binden. Stärken Sie die Marktmacht der Milcherzeuger durch die Abschaffung der Andienungspflicht – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Ostendorff, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – lassen Sie mich diesen Gedanken gerade noch zu Ende bringen, dann gerne –, durch Verbesserungen im Wettbewerbsrecht und eine Stärkung der Erzeugerbündelung. Helfen Sie den Milchviehbetrieben, die auf Grünland, oft in benachteiligten Regionen, produzieren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Milchbäuerinnen und Milchbauern haben nicht mehr die Zeit, darauf zu warten, dass dieser Minister endlich einen Weg findet, ohne Gesichtsverlust zur Vernunft zu kommen. Vielleicht will der Minister es aber auch gar nicht. Jetzt bitte Ihre Zwischenfrage. Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt erteilt der Präsident dem Kollegen Franz-Josef Holzenkamp das Wort zu einer Zwischenfrage. Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Herr Präsident, ich habe auch bewusst so lange gewartet, bis Sie mir das Wort erteilen. – Herr Kollege Ostendorff, ich möchte zunächst bemerken, dass wir – ich glaube, da sind wir uns alle einig; das wissen wir auch von unserer gemeinsamen Ausschussarbeit – uns alle um die Milchviehbetriebe wirklich sorgen und dass wir alle um richtige, um bessere Wege für die landwirtschaftlichen Betriebe streiten. Im Übrigen geht es den Schweinehaltern, insbesondere den Sauenhaltern, schon seit längerer Zeit nicht viel besser. Aber ich möchte die Frage stellen: Wie wollen Sie die Außengrenzen absichern? Denn das muss ja Voraussetzung sein, um innerhalb von Europa ein eigenes, unabhängiges, hohes Preisniveau zu halten. Wie wollen Sie die Außengrenzen sichern, und wer soll das dann eventuell bezahlen? Wer soll die Kosten für die Kompensation tragen? Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie Sie wissen, Kollege Holzenkamp, bewegen wir uns europäisch. Die Befürchtung, dass dann sofort von außerhalb Europas Milchmengen in die Europäische Union fließen, die unsere Freigaben besetzen würden, habe ich nicht. Das mag uns unterscheiden. Sie mögen dann bitte erklären, was Sie erwarten, wann Indien den Markt hier überschwemmt. Ich glaube, in Indien ist im Moment noch Luft für die eigene Versorgung. Auch der chinesische Milchbauer wird noch nicht in der Lage sein, den Gang nach Bayern anzutreten. Ich sehe diese Gefahr nicht. Europa ist in der Lage, die Milchmenge mit seiner Stärke nachfrageorientiert zu regulieren, wie ich es gesagt habe. Das ist die Lösung; anders wird es nicht gehen. Sie sehen es doch an den Zahlen: 730 Millionen Tonnen Erzeugung in der Welt, 720 Millionen Tonnen Verbrauch. Seit 2010 – ich habe es gesagt – gab es eine Steigerung um 10 Millionen Tonnen, und zwar in Europa. Sonst hat niemand gesteigert, auch die USA kaum. Diese 10 Millionen Tonnen, die Europa seit 2010 zugelegt hat – auch Deutschland hat leider erheblich zugelegt –, machen jetzt den Preis kaputt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darauf mögen Sie dann bitte noch eine Antwort geben. Das können wir hier leider nicht machen, das müssen wir gleich bilateral klären. Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so zuhört, dann glaubt man, Friedrich Ostendorff und die Kollegin Tackmann haben den Stein der Weisen gefunden, wie man zu einer neuen Marktwirtschaft kommt. Eins ist doch klar: Wenn wir mit den Beschlüssen von 2003 – unter Rot-Grün von Renate Künast in Luxemburg in hervorragender Weise durchgesetzt – ernst machen, dann bedeutet das, dass wir am Ende die Interventionspolitik abgeschafft, den Interventionspreis gesenkt, die Exporterstattungen gestrichen und uns damit dem Weltmarkt geöffnet haben. Das bietet Chancen, das bietet natürlich auch Risiken. Mit dem alten System haben wir die Betriebe nicht stabilisiert; die Zahl der Betriebe ist kontinuierlich zurückgegangen. Zu Recht weist der grüne Antrag darauf hin, dass seit 1999 die Hälfte der Betriebe aufgegeben hat. Das ist zu Zeiten passiert, als wir noch einen regulierten Markt hatten. Die Quote hat das nicht verhindern können. In den letzten Jahren haben wir zumindest durch Veränderungen des Agrarsystems im Hinblick auf die Gemeinsame Agrarpolitik und das Zahlungssystem dafür gesorgt, dass die Landwirtschaft in Europa erheblich wettbewerbsfähiger geworden ist. Man sollte sich nicht einfach von dem verabschieden, was man einmal mitbeschlossen hat. Dazu sollte man stehen, und dazu stehe ich zumindest in der vollen Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Kassandra braucht man hier nicht aufzutreten. Der eigentliche Akteur im Milchpulvermarkt ist Neuseeland. Nicht nur die Europäer haben ihre Produktion drastisch erhöht, sondern die Neuseeländer haben das Gleiche getan. Wir finden uns jetzt in einer Situation wieder, in der wir in der Tat eine Überproduktion haben. Aber welches Instrument ist denn besser geeignet als Angebot und Nachfrage mit dem daraus resultierenden Preis, um solche Krisen zu bewältigen? Bisher kann ich nicht erkennen, dass da jemand wirklich den Stein der Weisen gefunden hat. Wenn ich an alte Zeiten zurückdenke: Schon der zentral gelenkten Planwirtschaft war kein Erfolg beschieden. (Beifall bei der CDU/CSU – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Bravo!) Das, was wir hier in Ansätzen sehen, ist so etwas Ähnliches. Meine Damen und Herren, diese Denkweise kann ich nicht mehr nachvollziehen. Das hat den europäischen Steuerzahler sehr viel Geld gekostet, nicht zur Stabilisierung beigetragen und auch nicht für wettbewerbs- und zukunftsfähige Betriebe gesorgt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo kommen die Liquiditätshilfen her, Wilhelm? Aus Steuergeldern!) – Die Liquiditätshilfen kommen aus den Steuergeldern, zum Teil natürlich auch aus den Zahlungen, die durch die „Superabgabe“ nach Brüssel abgeflossen sind. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wird es die nächsten Jahre nicht geben!) Das heißt, die kommen aus dem Sektor unmittelbar. Das Vertrauen der deutschen Landwirte, glaube ich, verliert man durch eine offene und geradlinige Politik nicht; ich setze darauf. Wenn wir zurückschauen, dann können wir erkennen, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten viele Milliarden für nichts ausgegeben haben. Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Konzept, original übernommen vom BDM. Insofern, glaube ich, sitzt hier die parlamentarische Speerspitze dieses Verbandes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ob man sich wirklich dazu machen sollte, ist für mich die Frage; ich glaube, eher nicht. Eigene Ideen dazu, wie man das Ganze angeht, habe ich heute nicht gehört. Sie fordern Bonuszahlungen für Betriebe, die ihre Produktion kurzfristig drosseln. Da muss man natürlich sehen, dass man das nicht unbedingt nur aus dem bezahlen kann, was Sie als Finanzierung anbieten. Das wird wesentlich darüber hinausgehen. Das wird dann natürlich auch die sonstigen Zahlungen, die wir in dem Bereich noch haben, in ganz erheblichem Umfang belasten. So einfach ist die Rechnung nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Das, was Sie auf der einen Seite nehmen, können Sie dann auf der anderen Seite – linke Tasche/rechte Tasche – wieder ausgeben. So kann man das machen. Sie wollen eine Abgabe für Erzeuger einführen, die ihre Produktion um mehr als 5 Prozent erhöhen. Warum gerade 5 Prozent? Warum nicht 3,8 oder 4,9? Dafür liefern Sie keinen überzeugenden Beleg. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie 69 und nicht 70 Millionen Liquiditätsbeihilfe?) Die durchschnittlichen Erzeugungskosten sollen der Maßstab für den unteren Preis sein. – Wo sind denn die durchschnittlichen Erzeugungskosten in Irland, in Estland, in Italien, in Griechenland? Überall sind unterschiedliche Bedingungen im Markt. Überall sind unterschiedliche Kostensituationen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 15 Cent Milchpreis in Estland! Estland hat den niedrigsten Milchpreis in Europa!) In dieser Situation kann man das in einem gemeinsamen europäischen Markt überhaupt nicht definieren. Der Ansatz, den Sie fahren, ist ökonomisch nicht tragfähig. Das müssen Sie, finde ich, einmal offen eingestehen. Private Lagerhaltung halte ich nicht für das Mittel der Wahl. Das dient den Lagerhaltern, aber nicht den Landwirten. Die Anhebung des Interventionspreises – vielen Dank, dass Sie das abgewehrt haben – ist auch kein taugliches Mittel, genauso wenig wie der Versuch einer flexiblen Mengensteuerung. Das ist purer Dirigismus, blanke Bürokratie. Bürokratie – das haben wir eben schon gehört – funktioniert im Agrarbereich nicht besonders gut. Man ist noch nicht einmal in der Lage, die Direktzahlungen vorzeitig auszuzahlen. Liquiditätshilfen für an sich gut aufgestellte Betriebe in so einer Krisensituation, das kann ich durchaus nachvollziehen. Das ist ein überschaubarer Bereich. Das kann man politisch vertreten – das haben wir in anderen Bereichen auch –, aber nur für die Betriebe, die in einer entsprechenden Situation sind. So etwas kann man natürlich nicht dauerhaft darstellen. Kontrollen und Überwachungsinstrumente – das wäre ja Ihre Strategie – müssten erst aufgebaut werden. Sanktionen müssten durchgesetzt werden. Überall wäre staatliches Handeln gefragt. Ich sage eines voraus: Bis das Instrumentarium umgesetzt wäre, würde niemand mehr über diese Krise reden. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann kommt die nächste Krise!) Ich erinnere mich noch an 2009. Was war unmittelbar danach? Da haben wir eine Kuhschwanzprämie beschlossen. Die haben wir ein Jahr später ausbezahlt; da war der Preis schon wieder oben. Das sind Instrumente, die untauglich sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe das feste Vertrauen in die deutsche Agrarwirtschaft, in die Landwirtschaft, in die Milchviehhalter und in die Milchbauern, dass sie auch diese Krise überwinden werden; denn die Krise ist endlich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Krise ist nicht endlich!) Am Horizont scheint sich eine gewisse Entspannung abzuzeichnen. Das kann man nicht einfach negieren. Der Milchpulverpreis in Neuseeland – Neuseeland ist der Pulverexporteur – ist auf den Terminmärkten schon um 60 Prozent gestiegen. Das lässt den Rückschluss zu, dass wir die Talsohle zumindest durchschritten haben und es vielleicht schon in allernächster Zeit wieder nach oben geht. Wenn wir etwas Gutes tun wollen, dann sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie wir im Binnenmarkt Wettbewerbsfähigkeit und Marktfähigkeit besser darstellen können, wie wir Situationen, in denen es Nachfrageoligopole gibt, angehen können. Vielleicht sollten wir Andienungsverpflichtungen und solche Dinge in bestimmten Regionen begrenzen, um da dem Erzeuger eine bessere Marktposition zu geben. Es gibt auch andere Hinweise. Indem man regionalisierte Produkte auf den Markt bringt, erzeugt man einen höheren Mehrwert und kann auch mehr vom Verbraucher erwarten. Man schaue sich nur den Biobereich an! Da funktioniert der Markt. Also kann das mit dem Markt ja nicht so ganz falsch sein. Oder soll es da, wo die Preise steigen, in irgendeiner Form eine Begrenzung geben? Jeder Eingriff in solche Mechanismen bringt letztendlich einen Wohlfahrtsverlust mit sich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür muss ich hinterher die Konsequenzen tragen. Man kann das auch nicht in Gänze tun; denn im Rahmen der europäischen Agrarpolitik ist eine Neuorientierung angesagt. Es ist, wie ich glaube, nicht zweckdienlich, dass wir dazu übergehen, das bisherige System weiterzuführen. Im Hinblick auf 2017/2020 gibt es eine ganze Reihe an Handlungsoptionen; diese sollten wir auch wahrnehmen, indem wir beispielsweise Geld aus der ersten Säule in die zweite packen, es zielgerichtet für die Förderung von Grünlandstandorten ausgeben und so dafür sorgen, dass diese Grünlandstandorte nachhaltig bearbeitet und im Sinne des Klimaschutzes erhalten werden können. Klimaschutz, Grünlandregionen und Milchproduktion bilden ja letztlich eine Einheit. Die ersten beiden Faktoren sind dabei die Grundlage für unsere Milchproduktion; das wird auch in Zukunft so sein. Ich hoffe einmal, dass wir in einem halben oder Dreivierteljahr über die derzeitige Krise in der jetzigen Form nicht mehr reden werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen schönen Nachmittag von meiner Seite Ihnen und den Gästen oben! Der nächste Redner ist Kees de Vries für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kees de Vries (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Milch mal wieder. Zwei Anträge werden abschließend beraten, nämlich von den Grünen und von unserer Koalition. Diese Anträge basieren auf dem Milchquotenende am 1. April dieses Jahres. Ein weiterer Antrag stammt nun von den Grünen, die extra dazu die Linken mit ins Boot geholt haben, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eigentlich andersherum! Aber egal!) der aber wirklich nichts Neues bringt. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir begegnen uns auf Augenhöhe!) – Nein, so lang bist du nicht. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Linken, Sie gießen hier erneut die Vorstellungen des BDM in einen Antrag. Der BDM hat übrigens als Erster – das war im Jahr 1998 – die Abschaffung der Quote gefordert. Ich habe hier Flugblätter, die zeigen, dass der BDM schon damals festgestellt hat, dass nur eine – ich zitiere – Abschaffung der Quote zu einer „Verbesserung der Wirtschaftlichkeit“ und zur „Nutzung der Chancen auf den internationalen Märkten“ führt. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es gibt Leute, die dazulernen! – Gegenruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht man in der Union nicht so!) – Ja, die suche ich noch. Wenn dann jetzt, 15 Jahre später, dieser Wunsch in Erfüllung gegangen ist und alle zusammen feststellen, dass das auch nicht alle Betriebe retten kann, wird ein freiwilliger Verzicht auf Produktion gefordert. Das war auch beim ersten Antrag der Grünen zum Milchquotenende schon der Fall; aber, lieber Friedrich Ostendorff, durch Wiederholung wird diese Forderung nicht überzeugender. Das hat im Übrigen auch schon das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut festgestellt. Jeder, der sich mit dieser Materie auseinandergesetzt hat, weiß schon lange, dass es für diese Krise keine Lösung im Sinne der Markt­regulierung gibt. Das war auch so gewollt, als wir uns 2003 zur Beendigung der Quotierung bekannt haben. Ich mache es kurz: Ein freiwilliger Verzicht auf Milchproduktion, wie Sie es hier wiederum fordern, ist schlicht unrealistisch, ja sogar populistisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bestenfalls können wir versuchen, die Auswirkungen dieser Preiskrise zu mildern. Ich bin der Meinung, dass unser Minister Christian Schmidt sich in diesem Fall bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten für unsere Milchbauern eingesetzt hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb braucht er jetzt Personenschutz, oder wie? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man den Milchbauern noch einmal erklären! Das haben sie nicht ganz verstanden!) Maßgeblich durch seinen Einsatz hat EU-Kommissar Hogan zugestimmt, dass die Gelder aus der „Superabgabe“ – eigentlich zweckentfremdet – für unsere Milchbauern eingesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Krise ist nicht eine Folge des Auslaufens der Quotierung. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das ist ja erstaunlich!) Nein, meine Damen und Herren – Frau Tackmann, vielleicht können Sie auch noch lernen; wir haben diese Hoffnung –, zwei verführerisch gute Jahre für die Milchbauern haben zu einer Produktionssteigerung auch bei uns um mehr als 4 Prozent geführt. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Problem!) Das ist zusammen mit dem Nachfragerückgang in China und den Sanktionen wegen der Ukraine-Krise die Ursache dafür, dass wir eine Überproduktion haben. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, China sei die Zukunft! Was denn jetzt?) – Friedrich, du wirst lernen: Es ist die Zukunft. – Diese Überschussproduktion wird in dem von uns allen gewollten freien Markt nun einmal zu sinkenden Preisen führen. Jetzt sollten wir nicht in Aktionismus verfallen. Der Sektor wird nicht nur diese Krise überstehen. Der Sektor hat eine gute Zukunft. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Sektor vielleicht! Aber Zehntausende Milchbauern nicht!) Tatsache ist, dass wir im Durchschnitt der letzten Jahre zufriedenstellende oder sogar gute Preise hatten. Trotzdem gab es vor und während der Quotierung einen Strukturwandel, und diesen werden wir auch weiter haben. Ob dieser freie Markt und die dazu gehörende Volatilität der Preise für kleinere Betriebe so große Probleme bringen, dass dies zu einem verstärkten Strukturwandel führen wird – ich gebe zu, auch ich habe davor Angst –, wird uns die Zeit lehren. Ganz werden wir den Strukturwandel nicht aufhalten können, genauso wenig wie den technischen Fortschritt. Aber wenn unsere Gesellschaft das als ein Problem sehen wird, dann werden wir uns damit auseinandersetzen müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe schon gesagt, dass die aktuelle Krise nur der Markt lösen kann, indem Angebot und Nachfrage wieder in Balance gebracht werden. Aber genauso fest steht, dass die nächste Krise kommt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon die nächste Krise! Die eine ist noch nicht zu Ende!) Die für mich spannende Frage ist, ob wir dann wieder diesen Weg gehen oder ob wir in der Lage sind, intelligentere Modelle zu finden. Ich bin unserem Minister Schmidt sehr dankbar, dass er auf der vorletzten Agrarministerkonferenz gesagt hat, dass es bei der Lösung dieser Frage keine „Denkverbote“ geben darf. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hauptsache Mengenregulierung!) Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass wir in der nächsten Zeit ohne Scheuklappen miteinander über die zukünftige Marktorientierung ins Gespräch kommen werden. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur über Menge dürfen wir nicht reden! Alles vorher schon mal regeln! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt mit China?) Ich komme zum Schluss. Der Antrag der Grünen ist einfach nicht realistisch und deshalb abzulehnen. Folgerichtig muss man dem Antrag der Koalition zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege de Vries. – Die letzte Rednerin in der Debatte: Rita Hagl-Kehl für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Hagl-Kehl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei uns lernt man schon in der Schule: Die Bundesrepublik Deutschland folgt dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Sozial bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man Härten abfängt. Dass man dafür auch Subventionen verwendet, wissen wir alle. Es ist ja in den letzten Minuten schon darüber gesprochen worden. Marktwirtschaft bedeutet, dass Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Wir haben im Bereich der Milchwirtschaft ein Überangebot an Milch. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Gleichzeitig besteht in Deutschland eine Nachfrage nach Biomilch, die wir allein nicht stillen können. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch richtig!) Wir importieren Biomilch aus Österreich und Dänemark. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überall her, wo wir sie kriegen!) 30 Prozent des Umsatzes im Biobereich entfallen allein auf Milchprodukte und Käse. 3 Prozent der Milchprodukte in Deutschland werden aus Biomilch hergestellt. Der Preis für Biomilch ist in den letzten Monaten gestiegen. Wir sind jetzt bei durchschnittlich 47,9 Cent pro Liter. Ich glaube, dafür kann man auch melken, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Ja!) um die Begrifflichkeit von vorhin aufzugreifen. Meiner Meinung nach sollten wir uns nicht am Export orientieren, sondern an der Deckung der Nachfrage vor Ort. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Friedrich, ich habe ein Wort von dir zur Bioproduktion vermisst. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe immer nur fünf Minuten! Das ist das Problem! Ich könnte darüber auch noch ausführen, wenn du das möchtest! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Friedrich redet auch 20 Minuten, wenn er das darf!) – Gut. – Dieser Bereich bietet ganz viele Chancen für kleinere und mittlere Betriebe. Kleinere und mittlere Betriebe sind es auch, die wir durch die regionalen Wirtschaftskreisläufe fördern müssen. Das heißt, Regional- und Selbstvermarktung müssen gestärkt werden. Der Verbraucher in Deutschland will immer häufiger wissen, wo seine Produkte herkommen – auch im Bereich der Milch. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun!) – Lassen Sie mich doch bitte einmal ausreden. – Beispiele für solche Regionalprojekte wären Milchtankstellen, Käseproduktion an den Höfen oder Erzeugergemeinschaften. Mit solchen Modellen kann man auch den Strukturwandel aufhalten. Genau das ist auch das Ziel der SPD-Fraktion. Deswegen fordert die SPDFraktion schon seit längerem, dass die zweite Säule auf mindestens 15 Prozent aufgewertet wird. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Österreich zum Beispiel, um zu dem Land zurückzukehren, das Milch zu uns exportiert, hat mehr als die Hälfte in der zweiten Säule. Dadurch ist es Österreich auch gelungen, die Höfe von Bergbauern und die kleinen Strukturen zu erhalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müsst ihr denen auf der Regierungsbank sagen!) – Genau. Ich wende mich natürlich auch an die Regierungsbank, nicht nur an Sie. Ich komme zu den Zielen der SPD-Bundestagsfraktion. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milchbauern sichern. Wir wollen nachhaltige und tiergerechte Milchproduktion anstreben. Das schont auch die Umwelt. Wir wollen die Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den ländlichen Regionen fördern. Genau deswegen müssen wir diesen Strukturwandel aufhalten. Genau dazu dienen solche Mittel wie die zweite Säule. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Hagl-Kehl. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6206 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 18/5601. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/4424 mit dem Titel „Auslaufen der Milchquote – Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4330 mit dem Titel „Landwirtschaft braucht flächendeckende Milchviehhaltung – Bäuerliche Milcherzeuger stärken – Milchpreise stabilisieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und einem Kollegen der Linken sowie bei Enthaltung der übrigen Mitglieder der Linken. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/5865 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/6234 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe gar nicht, dass bei so einem interessanten Thema nicht mehr Kolleginnen und Kollegen im Plenarsaal bleiben. (Ulli Nissen [SPD]: Aber wir sind da!) – Die wichtigsten sind da. Die sogenannte Entsorgungsrichtlinie ist teilweise noch in nationales Recht umzusetzen. Sie dient der Schaffung eines europäischen Gemeinschaftsrahmens für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollen geeignete innerstaatliche Vorkehrungen treffen, um ein hohes Sicherheitsniveau bei der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle zu gewährleisten. Das deutsche Recht entsprach schon weitgehend den Vorgaben dieser Richtlinie. Ein erster Schritt zur weiteren Umsetzung ist durch das Standortauswahlgesetz vom 23. Juli 2013 erfolgt. Ich kann mich noch gut erinnern; das Gesetz wurde am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause beschlossen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Umsetzung der Richtlinie jetzt abgeschlossen. Mit dem Gesetzentwurf wird die Bundesregierung verpflichtet, in Form eines Nationalen Entsorgungsprogramms darzulegen, wie die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt, die nationale Strategie für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle umzusetzen. Das Nationale Entsorgungsprogramm ist künftig regelmäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren. Wir haben im Vorgriff auf diese Regelung und vor dem Hintergrund der europäischen Verpflichtung zur Vorlage eines Entsorgungsprogramms bis zum 23. August dieses Jahres bereits ein Nationales Entsorgungsprogramm erstellt, das vom Bundeskabinett schon beschlossen und der EU-Kommission übermittelt wurde. Wir haben damit Transparenz geschaffen und eine belastbare, solide gerechnete und ungeschönte Planung für die Entsorgung des Atommülls vorgelegt. Im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung des Programms bestand für die Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Beteiligung. Wir haben in diesem Programm die Kritik an der Option der Erweiterung des Endlagers Schacht Konrad berücksichtigt. In diesem Zusammenhang begrüße ich es, dass sich die Endlagerkommission – ohne Verlängerung ihrer gesetzlich vorgesehenen Arbeitszeit bis Mitte 2016 – auch mit der Planung für die Entsorgung der zurückzuholenden Asse-Abfälle und der möglicherweise endzulagernden Rückstände aus der Urananreicherung befassen wird. Der Umweltausschuss hat Ergänzungen des Entwurfs empfohlen. Hierbei geht es um Regeln für das Verfahren zur Übermittlung von Abfalldaten und die Erweiterung von Bußgeldtatbeständen. Ich halte die Änderungen für sinnvoll. Sie gehen auf die Anregungen des Bundesrates zurück und werden auch von der Bundesregierung unterstützt. Daher kann ich Ihnen insgesamt den Gesetzentwurf einschließlich seiner Änderungen zur Annahme empfehlen und hoffe auf eine entsprechende Beschlussfassung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter. – Nächste Rednerin: Eva Bulling-Schröter für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch nach 40 Jahren Atomenergie sind grundsätzliche Fragen einer sicheren und dauerhaften Atommülllagerung nicht geklärt. Regelmäßig wird darüber gestritten, wie und wo Atommüll überhaupt gelagert werden kann – nicht nur in der Atommüllkommission. Auch der Bericht zum Nationalen Entsorgungsprogramm hat eine heftige Debatte ausgelöst. 70 000 Einsprüche hat es zu dem Berichtsentwurf gegeben. Wir sollen nun hier mit der 14. Novelle des Atomgesetzes sozusagen nachträglich eine gesetzliche Grundlage schaffen. Es ist zunächst gut, dass im Bericht zum Nationalen Entsorgungsprogramm die enorme Menge leicht- und mittelradioaktiver Abfälle aus Gronau und aus der Asse thematisiert wird, sodass sich die Atommüllkommission mit der weiteren Klärung befassen kann. Es wird zumindest vorerst darauf verzichtet, diesen Strahlenmüll in dem dafür ungeeigneten Schacht Konrad zu verklappen. Damit reagiert die Bundesregierung offenbar auf den Protest aus der Region Salzgitter. Gut so! Das Beispiel macht aber auch klar: Die Probleme, vor denen wir stehen, sind weiterhin gewaltig. Der Bericht wurde dieses Jahr im Sommer fertiggestellt, aber erst jetzt kommt eine Atomgesetznovelle, die im Grunde Details des Berichts regeln soll. Umgekehrt wäre es eigentlich besser gewesen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich hätte mir gewünscht, dass die Novelle strengere Anforderungen an den Bericht beinhalten würde und zum Beispiel eine problemorientierte Analyse – um festzustellen, wo die Probleme wirklich liegen – und klare Kriterien vorsähe. Dann erst hätte der Bericht geschrieben werden sollen. Das wäre eigentlich besser gewesen. 70 000 Einwendungen – meine Damen und Herren, das ist doch schon ein bisschen peinlich, oder? So, wie der Bericht jetzt ist, stellt er das wahre Ausmaß des Atommülldesasters nicht dar, sondern tut so, als ob alles irgendwie lösbar wäre oder gelöst worden ist. Über die tatsächlichen Probleme schweigt sich der Bericht aus. Er verschweigt zum Beispiel die rostigen Atommüllfässer in der Asse. Auch die per Gerichtsbeschluss aufgehobene Genehmigung für das Castorzwischenlager am AKW Bruns­büttel und die Frage, welche Probleme das für künftige Genehmigungsverfahren macht, werden mit keinem Wort erwähnt. Ein letztes Beispiel. Im Bericht ist plötzlich von einem „Eingangslager“ für Castorbehälter mit hochradioaktiven Abfällen die Rede. Das ist ein neuer Begriff für eine alte Sache. Aber warum braucht man ihn? Wir wissen: Irgendwann laufen die Genehmigungen für die Zwischenlager Gorleben und Ahaus aus. Wie geht es dann weiter: ein neues Zwischenlager oder die alten mit viel mehr Müll? Im Kleingedruckten, ganz versteckt, steht dann: In diesem Eingangslager sollen künftig immerhin 500 Castoren für Jahrzehnte zwischengelagert werden. – Hört! Hört! Ich finde das interessant, nicht nur für die Atommüllkommission, sondern auch für die Betroffenen vor Ort. Ich frage mich: Warum verstecken Sie diese Information? Ich muss Ihnen sagen: Wir, die Linken, halten das für vollkommen unakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Über den Inhalt des Berichts werden wir im Umweltausschuss sprechen; wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht. Heute diskutieren wir über die 14. Atomgesetznovelle. Die jetzt von den Regierungsfraktionen eingereichten Nachbesserungen in Bezug auf die Informationspflichten der Betreiber und auf die Bußgelder finden wir richtig; das ist über den Bundesrat ja auch schon aufgerufen. Aber die Anforderungen an den Bericht zum Nationalen Entsorgungsprogramm hätten schärfer und konkreter sein müssen. Damit würden Sie das Berichtswesen verbessern und wirklich umfassend informieren. Aber weil das nicht so ist, werden wir uns bei der Abstimmung enthalten. Ich muss noch ein Wort zu den Gerüchten sagen, die uns hier erreichen: Es soll eine neue Kommission geben, die sich mit der Finanzierung der Atomlasten beschäftigen soll. (Ute Vogt [SPD]: Das ist kein Gerücht!) – Das ist kein Gerücht. – Das ist nun wieder ein Ablenkungsmanöver. (Ute Vogt [SPD]: Das ist ein Parlamentsbeschluss!) Denn was wir wirklich brauchen, ist ein öffentlich-rechtlicher Fonds, der die Rücklagen der Konzerne sichert. Darüber diskutieren wir nicht erst seit heute, sondern schon länger. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun wird wieder eine Kommission gebildet – es werden interessante Namen genannt: ein gewisser Herr Hennenhöfer, uns allen bekannt; da wird wieder einmal der Bock zum Gärtner gemacht –, unter Ausschluss der Linken, eine Kommission, die nicht demokratisch legitimiert wird; auch das haben wir schon öfter gesagt. Das zeigt wieder nur die Hilflosigkeit der Bundesregierung angesichts der drängenden Milliardenkosten und Probleme, die auf uns zukommen. Nun ist das Thema wieder auf dem Tisch. Eigentlich dachte ich, wir wären schon einen Schritt weiter. Aber da habe ich mich wieder einmal getäuscht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Bulling-Schröter. – Nächster Redner: Steffen Kanitz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Nationale Entsorgungsprogramm, kurz: NaPro, ist das Herzstück der nuklearen Entsorgungsstrategie in Deutschland. Der letzte vergleichbare Beschluss stammt aus dem Jahre 1979. Ich hoffe, dass dieser heutige Beschluss etwas länger hält als der letzte; mindestens jedoch zehn Legislaturperioden, die wir brauchen werden, um ein Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe zu finden. Wir wollen es 2050 in Betrieb nehmen. Insofern hat der heutige Beschluss historische Qualität. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken beim BMUB für die geleistete Arbeit und dafür, dass wir heute diesen Beschluss verabschieden können. Vielen Dank für Ihre Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogrammes wurde öffentlich diskutiert. Die Einwendungen, die gerade von den Linken zitiert wurden, wurden berücksichtigt. Es gibt – Kollege Lagosky ist ja da – keine Erweiterung Konrads durch die Hintertür, was befürchtet wurde. Das stand in der ersten Fassung des Entwurfs nicht drin, aber es wurde jetzt noch einmal klargestellt. Bei der Umsetzung des NaPros werden die Empfehlungen der Endlagerkommission eine wichtige Rolle spielen. Um diese Rolle sachgerecht auszufüllen, muss die Endlagerkommission stringent und auch pünktlich bis Mitte 2016 ihren Arbeitsauftrag abarbeiten. Eine für die Endlagerkommission zentrale Aussage im Nationalen Entsorgungsprogramm ist, dass die radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse sowie das angefallene abgereicherte Uran der Firma Urenco bei der Arbeit mitgedacht werden sollen. Vor diesem Hintergrund gab es in den letzten Wochen eine kontroverse Debatte in der Endlagerkommission, aber auch in der Presse darüber, wie diese Abfallarten berücksichtigt werden sollen. Ergebnis der Diskussion ist, dass die Endlagerkommission die Asse-Abfälle behandeln wird und darlegt, wie die Abfälle konditioniert werden müssten, um zusammen mit den hochradioaktiven Abfällen entsorgt werden zu können. Klar muss aber auch sein, dass der Schwerpunkt der Kommissionsarbeit auf dem Kriterienkatalog für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle liegt. Alles andere würde die Problemlösung auf zukünftige Generationen verschieben. Ich würde sogar so weit gehen, dass es wahrscheinlich den gesamten Prozess gefährden würde. Ich möchte gerne anhand einiger Fakten erklären, warum ich diese Gefahr für die Zukunft durchaus sehe: Wir unterscheiden in Deutschland grundsätzlich zwei Abfallkategorien, zum einen die hochradioaktiven, wärmeentwickelnden Abfälle, die größtenteils aus dem Betrieb der Kernkraftwerke stammen und etwa 10 Prozent des Abfallvolumens ausmachen, aber eben 99 Prozent der Radioaktivität – hier liegt also das maßgebliche Gefahrenpotenzial und aus meiner Sicht auch unsere große Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen –, und zum anderen die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, die zum großen Teil aus dem Rückbau der Kernkraftwerke, der Forschung und auch der Medizin stammen. Sie vereinen rund 90 Prozent des Abfallvolumens; sie sind also mit Abstand die größte Menge der radioaktiven Abfälle in Deutschland, stehen aber für nur 1 Prozent der Radioaktivität. Das Gefährdungspotenzial sollte man nicht kleinreden, aber das ist eben ein anderes Niveau als das der hochradioaktiven Abfälle. Für 303 000 Kubikmeter dieser schwach- und mittelradioaktiven Abfälle ist bereits ein Endlager gefunden, das eben schon erwähnte Endlager Schacht Konrad. Nach den aktuellen Planungen soll die Inbetriebnahme 2022 erfolgen. Um es ganz klar zu sagen: Ohne Konrad werden wir keinen Rückbau der Kernkraftwerke hinbekommen. Deswegen: Konrad muss kommen. Wir wollen an dem Zeitplan dringend festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach dem Nationalen Entsorgungsprogramm der Bundesregierung müssen auch mögliche zukünftige schwach- und mittelradioaktive Abfälle durch die Endlagerkommission betrachtet werden: die Urantails der Firma Urenco und die prognostizierten Rückholungsabfälle aus der Asse. Bei beiden Abfallarten ist aber noch nicht klar, in welchen Mengen und in welcher Beschaffenheit sie vorliegen werden. Das gilt insbesondere für die Abfälle aus der Asse. Um es mit den Worten des BfS-Präsidenten König zu sagen: Mit der Frage der Menge und der Verbackung der Abfälle mit Salz werden wir leben müssen, bis die Abfälle geborgen werden. Schätzungen des BfS gehen davon aus, dass die Rückholung der Asse-Abfälle frühestens um das Jahr 2030 beginnen könnte. Wir alle wissen, dass auch dieser Zeitplan ambitioniert ist angesichts der zeitlichen Verzögerungen, die wir insbesondere beim Bau eines neuen Schachtes sehen. Da auch die Rückholung viele Jahre in Anspruch nehmen wird, gehen wir nach einer aktuellen Studie der DMT, die vom BfS in Auftrag gegeben wurde, davon aus, dass wir die gesamten Abfälle der Asse nicht vor dem Jahr 2065 kennen. Laut Standortauswahlgesetz soll der Standort für ein Endlager für insbesondere hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfälle 2031 gefunden sein, das heißt, mindestens drei Jahrzehnte früher. Hier zeigt sich sehr deutlich: Hochradioaktive Abfälle und Asse-Abfälle können nicht zusammen gedacht werden. Wir planen die Inbetriebnahme des Endlagers für 2050. Das heißt, 15 Jahre nachdem wir das Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe in Betrieb nehmen, wissen wir erst, wie viele Asse-Abfälle wir haben. Neben dieser zeitlichen Dimension möchte ich auf eine zweite Herausforderung hinweisen: Hochradioaktive Abfälle und schwach- und mittelradioaktive Abfälle haben sehr unterschiedliche Anforderungen an das Wirtsgestein: Hochradioaktive Abfälle produzieren Wärme. Den bestmöglichen Einschluss gewährleisten dichte Wirtsgesteine wie Tongestein oder Steinsalz. Schwach- und mittelradioaktive Abfälle produzieren keine Wärme; aber aufgrund von Anteilen von Organik und Feuchtigkeit bilden sich Gase. Damit diese Gase ohne Druckaufbau gespeichert werden können, sollte ein poröses Wirtsgestein gewählt werden, das von einer dichten geologischen Barriere umschlossen wird, zum Beispiel einer Tongesteinsschicht. Konrad verfügt über eine solche geologische Gesamtsituation. In der Endlagerkommission haben uns Fachleute klargemacht, dass diese beiden Abfallarten aufgrund ihrer Eigenschaften nicht unmittelbar zusammen in ein Endlager verbracht werden können. Insbesondere die Asse-Abfälle werden größte Mengen kontaminierten Salzgruß beinhalten, der das Wirtsgestein Ton angreifen würde. Ein gemeinsames Endlager für beide Abfallarten wäre damit faktisch eine Vorfestlegung auf das Wirtsgestein Steinsalz. Eine solche Vorfestlegung haben wir über alle Parteien hinweg, gerade auch in der Endlagerkommission, bisher bewusst vermieden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Stellen Sie sich vor dem Hintergrund dieser dargestellten Fakten nun vor, dass wir in der nächsten Legislaturperiode – das ist unser gemeinsames Ziel – mit der Suche nach einem Endlager für sämtliche Abfallarten beginnen würden. Dann bekommen wir ein Endlager, das die bestmögliche Sicherheit für alle Abfallarten darstellt, sehr wahrscheinlich aber eben nicht die bestmögliche Sicherheit für jede einzelne Abfallart. Dann stellt sich im Rahmen des laufenden Verfahrens möglicherweise heraus, dass sich die Rückholung aus der Asse verzögert oder womöglich unmöglich wird. Was wird dann passieren? Völlig klar – das wissen wir jetzt schon –: Es wird einen Aufschrei derjenigen geben, die kein Endlager in Deutschland wollen. Hätten wir von Anfang an ein reines Endlager für HAW-Abfälle gesucht, dann wären möglicherweise andere Kriterien angewendet und damit auch andere Standorte auf ihre Eignung hin untersucht worden. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch ein besser geeigneter Standort für die reinen hochradioaktiven Abfälle übersehen wurde. Die Erwartung „Bestmögliche Sicherheit für 1 Million Jahre“ wäre offensichtlich nicht erfüllt. Dann stehen wir wieder – es ist ja nicht so, dass uns das nicht auch viele wünschen würden – vor einem Scherbenhaufen, beginnen wieder bei null. Ich meine, dass wir genau dies ganz dringend und um jeden Preis verhindern müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Wir tragen heute Verantwortung und können die Lösung nicht auf zukünftige Generationen verschieben. Wir haben maßgeblich von der Kernenergie profitiert – ja, das ist richtig – und haben jetzt die historische Chance, eine Lösung zu finden. Wie könnte diese Lösung aussehen? Ich glaube, wir brauchen zwei parallele Prozesse: Das neue Suchverfahren sollte in einem ersten Schritt nur ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zum Ziel haben. Hierfür liegen alle Ausgangsparameter, die benötigt werden – Abfallmenge, Radionuklidinventar –, vor, sodass wir die Suchkriterien verbindlich festlegen können. Wenn wir von Transparenz und Glaubwürdigkeit des Verfahrens sprechen, dann ist die verbindliche Festlegung der Kriterien vor Beginn des Verfahrens absolut wichtig. Wir sollten parallel dazu für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle alle notwendigen Grundlagen erarbeiten. Nur: Wie gerade ausgeführt, werden wir Gewissheit über sämtliche Parameter wahrscheinlich erst in 50 Jahren haben. Insofern meine herzliche Bitte: Lassen Sie uns nicht wegen 1 Prozent der Radioaktivität das gesamte Suchverfahren für Jahrzehnte unterbrechen. Auch das gehört zur Glaubwürdigkeit dazu. Ich bitte alle Beteiligten, sich diese Zusammenhänge klarzumachen und uns hier zu unterstützen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Steffen Kanitz. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die Grünen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Atomgesetznovelle, die wir heute beschließen wollen, behandelt den Atommüll, das Gefährlichste und Langlebigste, was die Menschheit je produziert hat. Der Gesetzentwurf in seinen Buchstaben ist für uns als grüne Fraktion völlig in Ordnung; er ist ja auch relativ mager. Wir werden ihm zustimmen. Die Differenzen liegen eher in dem, was dahintersteht: im Nationalen Entsorgungsprogramm. Deswegen haben sich auch alle bisherigen Rednerinnen und Redner darauf bezogen. Auch ich will das tun und mit Konrad anfangen. Ich finde es erfreulich und lobenswert, dass das BMUB sehr stark auf die Einwendungen eingegangen ist und – das erachte ich auch als einen Ausfluss der Arbeit der Endlagerkommission – auch die gesellschaftspolitischen Implikationen, die ein solches Endlager hat, sehr stark in den Vordergrund gerückt hat. Jetzt wird also davon Abstand genommen, als erste Priorität für die Asse- und Urenco-Abfälle, wie es noch im Entwurf des NaPro stand, die Option Konrad zu sehen. Dass dies in den Hintergrund gerückt ist, ist gut. Aber immer noch ist im Hinblick auf Konrad ein Fehler zu finden – ich bitte, da nachzuarbeiten –: Im Nationalen Entsorgungsprogramm steht, der Stand von Wissenschaft und Technik sei für Konrad erst bei Ende der Betriebszeit nachzuweisen. Ich glaube, dass man damit den Menschen im Umfeld von Konrad das Leben mit dem Endlager noch ein Stück schwerer macht. Der Stand von Wissenschaft und Technik muss zu Beginn der Einlagerungsphase, also bei Inbetriebnahme von Konrad, nachgewiesen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Kanitz hat sehr deutlich ausgeführt – Sie hatten ja auch ein bisschen mehr Redezeit als ich –, (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch gut so!) welche Aufgaben das NaPro uns in der Endlagerkommission stellt; deswegen will ich darauf nur relativ kurz eingehen. Frau Schwarzelühr-Sutter, für uns in der Endlagerkommission ist klar: Ja, wir geben gemäß dem Zeitplan – so haben wir es zumindest vor – einen Bericht ab. Das wird aber nicht, wie ursprünglich gedacht, ein wirklicher, vollkommener Abschluss- bzw. Endbericht sein, in dem wir alles darlegen, wie man das Verfahren zur Endlagersuche starten kann, sondern er wird bewusst „Bericht“ heißen, und es werden auch offene Fragen thematisiert. Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen die Abfälle aus der Asse und von Urenco an demselben Standort eingelagert werden können – in zwei Endlager, die auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind –, werden wir nicht beantworten können, sondern diese Frage wird ein Nachfolgegremium beantworten müssen. Ein großer Fehler in dem NaPro ist auch die Regelung – Frau Bulling-Schröter hat es schon benannt – zum Eingangslager. Ich halte es für völlig untragbar, festzulegen, dass ein Eingangslager nach der Benennung des Standortes durch die Behörde und anschließendem Beschluss des Bundestages errichtet wird. Das wäre in der Tat ein Rückfall zum Prinzip „Gorleben“. Nach der Genehmigung des Standortes kann das Eingangslager gebaut und in Betrieb genommen werden, nicht vorher. Ich bitte wirklich inständig: Lassen Sie uns einen solch absolut gravierenden Fehler nicht machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) Weil das zurzeit sehr stark diskutiert wird, will ich auch noch kurz etwas zum Nachhaftungsgesetz sagen – auch deshalb, weil Sie sich, Herr Kanitz, in Ihrer Rede zur ersten Lesung dieser Atomgesetznovelle, die Sie ja zu Protokoll gegeben haben, wie wir alle, sehr stark mit der Finanzierung befasst haben. Zu dem Nachhaftungsgesetz, das Sie für überflüssig erachtet haben, haben Sie gesagt, Sie hielten das für einen Startschuss zur Deindustrialisierung unseres Landes. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich zitiere Sie jetzt: Eine zeitlich und inhaltlich unbegrenzte Haftung kann nicht verhältnismäßig sein und entfaltet eine gefährliche Signalwirkung für andere, risikobehaftete Branchen. Heute wollen Sie ein Einzelfallgesetz für die Energieversorgungsunternehmen, und morgen diskutieren wir über weitere Branchen mit langfristigen Risiken ... (Steffen Kanitz [CDU/CSU]: Genau!) Herr Kanitz, weil Ihre Ausführungen ansonsten darauf schließen lassen, habe ich bisher gedacht, Sie hätten erkannt, dass der Atommüll wirklich ganz singulär langfristige Risiken aufweist und wirklich mit nichts, aber auch gar nichts und keiner anderen Branche in der Wirtschaft zu vergleichen ist und es von daher absolut gerechtfertigt ist, sich extra für diesen Bereich Gesetze zu überlegen. Ein solches Gesetz ist zum Beispiel das Nachhaftungsgesetz. (Steffen Kanitz [CDU/CSU]: Verfassungsrecht!) Dieses Gesetz ist richtig; wir brauchen es dringend. Das ist ein guter erster Schritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben des Weiteren gesagt: Das Nachhaftungsgesetz geht von der verfassungsrechtlich unzutreffenden Prämisse aus, die EVU hätten alles zu bezahlen, was der Staat für gesellschaftspolitisch wünschenswert hält. Nein, das haben die EVU nicht, aber die Entsorgung und die sichere Verwahrung des Atommülls, den sie selbst produziert haben, haben sie in der Tat zu bezahlen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD] und Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Kotting-Uhl. – Nächste Rednerin: Hiltrud Lotze für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Steffen Kanitz [CDU/CSU]) Hiltrud Lotze (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Unser Debattenthema heute ist die 14. Novelle des Atomgesetzes, aber eigentlich – das haben wir hier jetzt eben schon gehört – reden wir über das Nationale Entsorgungsprogramm, das NaPro. Kernpunkte der Novelle sind der Auftrag und die Kriterien für ein Nationales Entsorgungsprogramm, welches die Bundesregierung – das hat die Parlamentarische Staatssekretärin vorhin gesagt – ja bereits erstellt hat. Im NaPro wird nicht nur erstmals – und das breit angelegt, offen, ehrlich und umfassend – der Atommüll bilanziert, sondern auch ein Konzept dafür entworfen, welcher Atommüll wo gelagert werden soll. Ab unter die Erde und dann Schwamm drüber: Das war – so flapsig könnte man es vielleicht sagen – lange Zeit die gängige Entsorgungsphilosophie, mit fatalen Folgen, wie wir bei der Asse erkennen mussten. Bei der Asse, in Gorleben und beim Schacht Konrad wurde auch klar, dass es nicht ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit geht. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Diese Erkenntnis wurde mit dem Standortauswahlgesetz vom Juli 2013 und der Einsetzung der Endlagerkommission aufgegriffen. Damit wurde auch schon der Richtlinie entsprochen. Endlich sollte ein Verfahren gefunden werden, das die Öffentlichkeit, die Bevölkerung, miteinbezieht und bei ihr möglichst breite Akzeptanz findet, damit es nicht so wie bei Gorleben abläuft, wo der Standort aus zweifelhaften politischen Erwägungen willkürlich bestimmt wurde. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Kommission ist also dabei, ein Suchverfahren zu entwickeln, insbesondere für hochradioaktiven Müll. Je länger die Kommission tagt, desto deutlicher wird die Dimension der Herausforderungen, die in dem Auftrag liegen. Das macht das Nationale Entsorgungsprogramm deutlich: Wir haben nicht nur ein ungelöstes Problem mit dem hochradioaktiven, sondern auch mit dem mittel- und schwachradioaktiven Müll. Es ist hier schon angeklungen: Was passiert mit den Asse-Abfällen und was mit den sogenannten Uran-Tails aus Gronau? Das NaPro – auch das wurde schon angesprochen – favorisiert nun die Suche nach einem Endlager, das alle Arten des Atommülls, hochradioaktiv sowie mittel- und schwachradioaktiv, aufnehmen kann. Dies geschieht aus einem sehr guten Grund: Die Bedenken der Bevölkerung gegen Schacht Konrad wurden gehört und ernst genommen. Das ist ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Als Abgeordnete, in deren Wahlkreis Gorleben liegt, kann ich ein solches Vorgehen nur ausdrücklich begrüßen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ich muss allerdings an dieser Stelle kritisch anmerken, dass die seit Jahrzehnten vorgetragenen Bedenken der Menschen aus Lüchow-Dannenberg über lange Zeit leider keine vergleichbare Folgewirkung hatten. Eine Suche nach einem Kombilager würde alle Voraussetzungen radikal verändern. Wir reden dann vom zehnfachen Volumen und bei den Asse-Abfällen über mögliche chemische Reaktionen, Prozesse und Auswirkungen, die wir noch gar nicht kennen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kommission hat auch in diesem Fall eine, wie ich meine, gute Entscheidung getroffen. Sie wird in dem Bericht, der im Juli 2016 übergeben wird, insbesondere die Auswahlkriterien für hochradioaktive Abfälle darstellen und sich in einem weiteren Kapitel mit Empfehlungen für eine Lagerstätte beschäftigen, in der auch die Asse-Abfälle eingelagert werden können. Eines muss aber aus meiner und aus unserer Sicht ganz klar sein: Eine Verengung auf ein wie auch immer geartetes Kombilager, bei der es aufgrund des benötigten Volumens von vornherein nur auf Salz als Wirtsgestein und damit auf Gorleben als einzig möglichen Standort hinausläuft, ist nicht akzeptabel. Das widerspräche auch den Zielen und dem Grundgedanken des Standortauswahlgesetzes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch Akzeptanz wäre so nicht zu erreichen. So wie ich die Arbeit in der Kommission verfolge, ist das überhaupt nicht zu erwarten; da bin ich ganz sicher. Ich will das als Abgeordnete mit Gorleben im Wahlkreis hier nur noch einmal deutlich sagen, und das ist natürlich auch die Erwartung der Menschen in meiner Region. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen ist es richtig, dass das Nationale Entsorgungsprogramm explizit unter Vorbehalt der Ergebnisse der Endlagerkommission steht und nicht umgekehrt, wie die Linken es fordern. Aus all den hier genannten Gründen können wir der 14. Novelle des Atomgesetzes in der Fassung der Beschlussvorlage mit gutem Gewissen zustimmen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Lotze. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Florian Oßner. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Oßner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte führt uns vor Augen, dass wir eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen haben. Unser Ziel ist es, eine sichere Endlagerung für den atomaren Abfall zu finden. Ja, wir bemühen uns jetzt schon fast ein halbes Jahrhundert darum. Weitere 50 Jahre können wir uns gerade vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kernenergie nicht mehr leisten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daher freut es mich, dass wir die 14. Novelle des Atomgesetzes parlamentarisch nun so zügig behandeln. Dafür natürlich herzlichen Dank an das Bundesumweltministerium. Wir schaffen hiermit den Rechtsrahmen für das Nationale Entsorgungsprogramm; das wurde heute schon mehrfach angesprochen. Diesem Programm kommt die Aufgabe der Erstellung einer strategischen Gesamtkonzeption und eines umfassenden Verzeichnisses aller atomaren Abfallarten in Deutschland zu. Wir setzen damit auch Europarecht um. Jetzt sollten wir zügig weitermachen, um den Zeitplan einzuhalten, den das Standortauswahlgesetz vorgibt. In der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“, der Endlagerkommission, haben wir uns laut gesetzlichem Rahmen bis zum 30. Juni 2016 Zeit gegeben, um Empfehlungen für Kriterien und Verfahren zur Endlagersuche auszuarbeiten. Diese Zeit müssen wir jetzt sinnvoll nutzen, ohne Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, was ich vor allem an die Kollegen der Grünen richte. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?) Mit der Beschlussempfehlung für eine Neuordnung der Behördenstruktur zur nuklearen Entsorgung haben wir in der Endlagerkommission bereits einen zentralen Eckpunkt für den Abschlussbericht gesetzt. Allerdings ist es nach wie vor meine Meinung, dass Regulierung und Betrieb der Endlagerung strikt getrennt durch unterschiedliche Behörden erfolgen sollten und damit die Aufsicht durch verschiedene Bundesbehörden durchgeführt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies ist nicht nur im Sinne der EU-Vorgaben, sondern entspricht auch meinem Verständnis einer effektiven Kontrolle. Auch sollten wir uns in der Kommissionsarbeit bei der inhaltlichen Befassung mit dem Thema Rechtsschutz gut überlegen, in welchem Umfang und bis zu welchem Stadium wir bei der Endlagererkundung Rechtsschutz empfehlen. Bundestag und Bundesrat müssen aber Letztentscheidungsrecht in dieser Frage behalten. Es darf nicht sein, dass sich die Endlagerung nach einer Entscheidung durch den Gesetzgeber durch vielfältige Klagemöglichkeiten und Gerichtsverfahren wiederum um Jahre oder gar Jahrzehnte verzögert. (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was kommt vor!) Das Nationale Entsorgungsprogramm mahnt uns mit der exakten Auflistung und Prognose aller Abfälle gerade dazu, termintreu zu sein und eine Endlagerung in einem vernünftigen Zeithorizont zu realisieren. Der Schacht Konrad – er wurde heute schon mehrfach angesprochen – ermöglicht es uns, voraussichtlich ab 2022 den schwach- und mittelradioaktiven Abfall Schritt für Schritt endzulagern. Den Abschlussbericht sollten wir auf die wesentlichen Fragen mit dem Schwerpunkt hochradioaktive Abfälle beschränken. Wir müssen ihn nicht mit historischen und ethischen Betrachtungen überladen. Die Endlagerkommission ist meines Erachtens auch nicht als belehrendes Gremium gedacht, sondern als Empfehlungs- und Ratgeber für Legislative und Exekutive. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bürger verlangen von uns mehrheitlich tragbare Lösungsvorschläge für dieses komplexe Problem statt akademischer Spiegelgefechte. Mit einem fristgerechten Bericht können wir gleichzeitig den vereinbarten Zeitplan zum Ausstieg aus der Kernenergie einhalten und ein klares Zeichen der Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen setzen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass der Rückbau einzelner Kernkraftwerke bereits läuft. Ab 2022 werden die Rückbaumaßnahmen nach Abschaltung der letzten Kernkraftwerke – zum Beispiel Isar 2 in Essenbach bei Landshut in meiner Heimatregion – sicherlich noch intensiver. Das bedeutet, dass weiterer Abfall anfällt. Wir sollten auch die Sorgen der Menschen an den Standorten der Kernkraftwerke ernst nehmen. In den dortigen Zwischenlagern sind bereits die abgebrannten Brennelemente der Kernkraftwerke verwahrt. Jetzt sehen sich einige dieser Standorte noch mit der Aufnahme von 26 weiteren Castorbehältern mit radioaktiven Abfällen aus den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield konfrontiert. Das Standortauswahlgesetz sieht das zwar so vor, doch die Bürgerinnen und Bürger müssen die Klarheit haben, dass es sich tatsächlich nur um eine zeitlich begrenzte Zwischenlagerung handelt. Ein Bericht der Endlagerkommission zum 30. Juni nächsten Jahres mit Schwerpunkt hochradioaktive Abfälle verdeutlicht, dass die Politik Befürchtungen der Bevölkerung klar entgegentritt. Denn eines darf nicht passieren: Zwischenlager dürfen sich letztlich nicht in Endlager verwandeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Ebenso ist es für mich ein Gebot, das Standortauswahlgesetz in Bezug auf die geografischen Standorte ernst zu nehmen. Bei der Ausarbeitung unserer Empfehlungen muss das Prinzip der weißen Landkarte gelten. Kein Standort darf aus irgendwelchen Gründen von vornherein ausgeschlossen werden. Das bedeutet, dass das Erkundungsbergwerk Gorleben so weit und so gut, wie es technisch und rechtlich erforderlich ist, offengehalten werden muss. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist gefordert, dafür Sorge zu tragen. Die Historie und die Symbolik dieses Standorts für die Umweltbewegung und letztlich auch ein Stück weit für Sie, liebe Grüne, dürfen nicht als Rechtfertigung herhalten, den Salzstock Gorleben vorab auszuklammern. Das wäre aus meiner Sicht ungerecht gegenüber allen anderen möglichen Standorten in Deutschland. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir ja auch nicht!) Das Nationale Entsorgungsprogramm führt aber nicht nur die Abfälle aus der Kernenergie, sondern auch aus der Kerntechnik und der Medizin auf. Wir sollten bei unseren Bemühungen, diesen atomaren Abfall endzulagern, nicht den Forschungsstandort Deutschland gefährden. Deutschland hat internationale Zusagen zur Nichtverbreitung von hochangereichertem Uran gemacht. Demnach sind wir aufgefordert, dieses Material, das wir für Forschungszwecke benötigen, immer an die Lieferländer zurückzuführen. Wir sollten den kerntechnischen Forschungseinrichtungen auch nicht die Grundlage entziehen, indem wir den Zugang und die Rücknahme von Brennelementen für Forschungszwecke gesetzlich unmöglich machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn heißen?) Kerntechnik ist für die Grundlagenforschung in der Industrie – zum Beispiel bei der Materialforschung; das wird oft nicht erkannt –, aber auch in der Medizin – zum Beispiel bei der Krebsforschung – sowie in der Pharmazie unerlässlich. Dort ist sie wichtig. Wir benötigen das Wissen der Experten auf diesem Gebiet für den Erhalt der Spitzenposition des Forschungs- und Entwicklungsstandorts Bayern bzw. Deutschland. Kompetenzerhalt für den Rückbau ist hier absolut erforderlich und überlebensnotwendig. Den Vorwurf, der Kompetenzerhalt diene dazu, einen Wiedereinstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie zu ermöglichen, halte ich daher für eine ideologisch völlig verfehlte Argumentation. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus der Verantwortung gegenüber den nachkommenden Generationen heraus dürfen wir das Thema Endlagerung nicht mehr auf die lange Bank schieben. Darum sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Legislaturperiode ein unverrückbares Zeichen zur Lösung der Endlagerfrage setzen. Daher müssen wir dieser Novelle zustimmen. Herzliches „Vergelts Gott“ fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, lieber Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6234, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5865 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. Wer stimmt zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die Linken. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken. Ich kann Sie einladen, auch dem nächsten Tagesordnungspunkt zu folgen. Heute Morgen ging es um ein starkes Europa. Wollen wir einmal sehen, wie viele sich dafür einsetzen wollen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken Drucksachen 18/4686, 18/6196 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihrem Charme sind doch einige Abgeordnete erlegen; das ist schön. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Abgeordneten verlassen den Raum. (Heiterkeit) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Es sind aber auch einige dageblieben. Bekanntermaßen zählt die Qualität und nicht die Quantität. Im Übrigen haben Sie, Frau Präsidentin, versucht, eine Brücke zu der Debatte anlässlich der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin heute Morgen zu schlagen. Ich finde, dass die jetzige Debatte unmittelbar an das anknüpft, worüber wir heute Morgen debattiert und gestritten haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was macht uns zu Europäern? Ist das die Zugehörigkeit zu einem Kontinent? Ist das der Binnenmarkt? Ist das der Euro? Sicherlich auch. Aber wir sind vor allem eine Gemeinschaft von Werten, eine Gemeinschaft, die sich verständigt hat auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte, die Würde des Einzelnen, Solidarität und Freiheit. Wir alle wissen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, weder im globalen Wettstreit noch in der EU als Ganzes. Deshalb ist es gut, dass wir heute diese Debatte im Deutschen Bundestag führen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die Logik habe ich nicht verstanden!) Ich weiß aus meiner bisherigen Arbeit, dass das Thema innerhalb der EU nicht von allen mit der gleichen Leidenschaft angepackt wird, weil man oft skeptisch ist, ob es zuträglich ist, sich in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzumischen. Wir sind eine Gemeinschaft. Genauso wie uns Fragen der Haushalts- und der Wirtschaftspolitik grenzüberschreitend beschäftigen, sind wir alle davon betroffen, wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Zweifel gezogen werden. Deshalb tut eine gesamteuropäische Verständigung not. Es ist auch gut, dass wir in den nationalen Parlamenten, insbesondere im Deutschen Bundestag, darüber reden. Unsere europäische Gesellschaft ist wertegebunden. Das trägt uns und hält uns zusammen. Wir sind zugleich offen für alle Kulturen, alle Religionen und alle Ethnien. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bayern!) Es ist schon merkwürdig, dass sich Deutschland dafür kritisieren lassen muss, dass es mit Flüchtlingen so umgeht, wie es unsere Werte vorschreiben, nämlich human und anständig. Auch das muss einmal zur Sprache gebracht werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sagen Sie das Herrn Seehofer!) Wir müssen unsere Werte auch im Innern leben. Das darf sich nicht alleine darauf fokussieren, dass wir schöne, wohlfeile Reden halten. Es geht auch um konkrete Taten. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Deine Rede ist auch wohlfeil!) Deshalb haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag verabredet, einen wirksamen Mechanismus in der Europäischen Union zu implementieren, der Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstärkt überprüft. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo gibt es den denn?) Dies ist uns nach langen Auseinandersetzungen gelungen. Nicht alleine die Kommission und das Europäische Parlament beschäftigen sich mit dem Zustand der Werte und der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Vielmehr haben wir seit Dezember 2014 auch im Ministerrat einen entsprechenden Mechanismus entwickelt. Das war nicht einfach, aber nun haben wir ihn. Wir werden uns im kommenden November unter luxemburgischer Präsidentschaft zum allerersten Mal darüber austauschen, wie es um die Werte und die Rechtsstaatlichkeit bestellt ist. Die luxemburgische Präsidentschaft hat als Thema die Grundwerte im digitalen Zeitalter vorgeschlagen. Wir haben uns kürzlich in einem Kolloquium der EU-Kommission über Fragen der Islamophobie und des Antisemitismus ausgetauscht. Genau solche Debatten werden wir führen müssen; denn wie wir wissen, ist Artikel 7, der das Verfahren festlegt, das auf den Entzug der Stimmrechte eines Landes hinausläuft, kein taugliches Instrumentarium. Deswegen brauchen wir einen neuen Mechanismus, der inklusiv ist und der auch kein einzelnes Land an den Pranger stellt; denn wir alle haben unsere Hausaufgaben zu erledigen. Wenn wir über den Antisemitismus in Europa reden, dann wissen wir, dass dieser nicht nur ein Phänomen in einigen wenigen Staaten ist, er ist ein Thema, das auch uns in Deutschland in besonderer Weise betrifft. Ich hoffe, dass diese Debatte auch dazu beiträgt, uns alle zu sensibilisieren, und dass sie dazu beiträgt, dass wir, wenn konkrete Missstände erkennbar werden, diese auch benennen. Das darf kein Thema sein, das wir hinter verschlossenen Türen diskutieren, sondern das Thema muss in die Parlamente hineingetragen werden. Wenn der Antrag, der heute zur Debatte steht, dazu beitragen kann, würde ich mich sehr darüber freuen. Ich zumindest verstehe ihn als Rückenwind für die Bemühungen der Bundesregierung. Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch in der Novemberdebatte im Ministerrat ein klares Zeichen zu setzen. Worauf ich besonders hinweisen möchte, ist, dass bei einer konkreten Missachtung der Grundwerte auch eine entsprechende Ad-hoc-Debatte im Ministerrat vorgesehen ist. Wir werden im nächsten Jahr mit Ihrer Unterstützung den Beweis antreten müssen, dass wir uns damit beschäftigen, wie es um die Grundwerte steht, ob sie für uns nicht nur auf dem Papier stehen, sondern ob wir sie leben, ob wir sie verteidigen und ob wir sie achten. Wenn die Bundesregierung dabei auf die Unterstützung des Deutschen Bundestages zählen kann, wäre ich Ihnen ausgesprochen dankbar. Augustinus soll einmal gesagt haben: Nimm das Recht weg, was ist dann der Staat noch anderes als eine große Räuberbande? – Dieser Satz verpflichtet nicht nur Deutschland vor dem Hintergrund seiner schwierigen, tragischen Geschichte, dieser Satz verpflichtet alle in Europa, 28 Mitgliedstaaten und die Institutionen der Europäischen Union. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michael Roth. – Nächster Redner in der Debatte: Andrej Hunko für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Roth, Sie haben vorhin einen Brückenschlag zu der Debatte von heute Morgen versucht. Ich will einen Brückenschlag zur Debatte von gestern machen, in der wir über 70 Jahre UNO diskutiert haben. Infolge der Gründung der Vereinten Nationen gab es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Wenige Jahre später gab es in Europa die Europäische Menschenrechtskonvention, das wichtigste Dokument zur Verankerung von Menschenrechten in Europa. Ich finde es sehr befremdlich, dass weder im Antrag der Grünen noch in Ihrer Rede darauf Bezug genommen wurde. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist im Unterschied zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte völkerrechtsverbindlich. Es gibt einen Gerichtshof in Straßburg, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der 820 Millionen Bürgern in den Staaten des Europarates, also in ganz Europa, ein Individualklagerecht ermöglicht. Dieses Recht gibt es für alle Menschen, also auch für die Flüchtlinge, die jetzt nach Europa gekommen sind. Sie haben die Möglichkeit, vor diesem Gerichtshof zu klagen. Ich glaube, die Stärkung dieser Institution, auch ihre Benennung hier in der Debatte, ist der wichtigste Schutz zur Stärkung der Grundrechte in Europa. Deswegen will ich damit anfangen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Europäische Union, die nicht identisch mit Europa ist – sie ist ein Teil von Europa mit bestimmten Verträgen und bestimmten Institutionen –, hat sich im Lissabon-Vertrag verpflichtet, dieser Menschenrechtskonvention beizutreten, weil es auf der EU-Ebene keinen vergleichbaren Schutz gibt und auch damit Bürger in Europa die Möglichkeit haben, bei Verstößen der EU vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu klagen. Dieser Beitritt sollte mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags am 1. Dezember 2009 vollzogen werden. Das ist jetzt mittlerweile fast sechs Jahre her, und dieser Beitritt ist nicht vollzogen worden. Wenn wir einen Antrag zu dem Thema in die Debatte einbrächten, wäre die Forderung nach einem Beitritt der EU zur EMRK die wichtigste Forderung. (Beifall bei der LINKEN) Aber nicht nur hinsichtlich der Menschenrechte, sondern auch hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit – darum geht es noch mehr in dem Antrag – gibt es durchaus funktionierende Strukturen auf Europaratsebene. Ich denke an die Venedig-Kommission; sie wird im grünen Antrag positiv erwähnt. Die Venedig-Kommission überwacht sozusagen Rechtsstaatlichkeit und vor allen Dingen Verfassungsfragen in den 47 Mitgliedstaaten. Beispielsweise in Moldawien sollte vor einigen Jahren ein Gesetz in Kraft treten, das kommunistische Symbole verbietet. Dieses Gesetz ist von der Venedig-Kommission als Verstoß gegen europäische und demokratische Prinzipien bezeichnet worden. Deshalb ist es nicht in Kraft getreten. Ein ähnliches Gesetz, das jetzt in der Ukraine in Kraft getreten ist, wird bald ebenfalls von der Venedig-Kommission beraten. Ich gehe von einem ähnlichen Ausgang aus. Es gibt ein Memorandum zwischen dem Europarat einerseits und der EU andererseits. Darin ist ganz klar festgehalten, dass der Europarat die Benchmark, also die Bezugsgröße, für Fragen der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bleibt und dass eine Doppelung von Strukturen vermieden werden soll. Ich lese den grünen Antrag so, dass eine ähnliche Struktur auf EU-Ebene aufgebaut werden soll. Ich halte das nicht für sinnvoll. Es schwächt eher die Strukturen. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Ich komme zum Ende. Die Linke unterstützt die Stärkung von Grundrechten. Die Linke ist aber dagegen, wenn es dadurch eine Doppelung von Strukturen gibt und wenn Kompetenzen, die schon da sind und die funktionieren, auf EU-Ebene verlagert werden. Die Linke tritt für die Stärkung insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention, für die Stärkung des Europäischen Gerichtshofes und auch für die Weiterentwicklung anderer Strukturen wie etwa der Europäischen Sozialcharta ein. Darauf zielt der grüne Antrag leider nicht ab. Das, was mit diesem Antrag beantragt wird, läuft auf eine Doppelung dieser Strukturen hinaus. Deswegen lehnen wir ihn ab. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Hunko. – Nächster Redner in der Debatte: Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mir zu Beginn meiner Rede die Kritik meines Sohnes an meinem jüngsten Plenarbeitrag zu eigen machen, den ich um eine ehrliche Einschätzung gebeten hatte. Er hat gesagt: War prima; aber verstanden habe ich leider nichts. – Offenkundig ist das der Beweis dafür, dass wir, wenn wir es ohnehin schon mit schwierigen Dingen zu tun haben, eine besondere Begabung dafür haben, diese schwierigen Dinge auch noch schwierig zu erklären. Deswegen beginne ich mit den Anfängen: Als die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – so hieß die Vorgängerorganisation der heutigen EU damals – Mitte der 1950er-Jahre gegründet wurde, hat man sich darauf verständigt, dass sich diejenigen, die damals schon dabei waren, und diejenigen, die dazukommen möchten, an bestimmte Grundwerte halten. Das sind im Wesentlichen, um es zu vereinfachen, die Dinge, die wir aus dem Grundgesetz unseres Landes kennen: Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Achtung vor der Menschenwürde, Achtung der Menschenrechte und alle weiteren dort niedergelegten Grundrechte. Das steht so auch in der Nachnachnachfolgeversion der Römischen Verträge, im Lissabon-Vertrag, im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die Frage, vor der wir nun stehen, heißt: Was tun wir, wenn sich ein Mitgliedstaat der Europäischen Union in der politischen Praxis erkennbar nicht an diesen Grundwerten orientiert oder sogar dagegen verstößt? Ich verweise auf Artikel 7 des Lissabon-Vertrages, der bestimmte Pönale, also bestimmte Strafen, vorsieht; diese Strafen sind sehr drakonisch. Es gibt beispielsweise die Möglichkeit des Entzugs des Stimmrechtes. Das heißt, das jeweilige Land kann im Rat, also in der Runde der europäischen Staats- und Regierungschefs, seine Stimme nicht mehr mitabgeben. Daraus folgt: Wenn die Strafe so drakonisch ist, dann zieht sie notwendigerweise nur dann, wenn auch der Verstoß sehr bedeutend war. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Land die Pressefreiheit abschaffen würde, dann würde Artikel 7 des Lissabon-Vertrages vermutlich greifen. Aber wenn ein Land an der Pressefreiheit nur kratzt oder sie einschränkt, dann ist dieser Artikel 7 vermutlich ein Schwert, das zu scharf ist, weil die Strafe zu hoch ist. Daher stellt sich die Frage: Haben wir ein Format, um derartige Verstöße zu ahnden oder um mit dem jeweiligen Land ins Gespräch zu kommen? Das ist in Artikel 7 so nicht verankert; dieses Format gibt es so nicht. Das hat den deutschen Außenminister – seinerzeit Guido Westerwelle – im Jahr 2013 zusammen mit seinen Amtskollegen aus Dänemark, den Niederlanden und Finnland auf die Idee gebracht, die sogenannte europäische Rechtsstaatsinitiative auf den Weg zu bringen. Diese sieht ein Verfahren unterhalb des relativ komplizierten Verfahrens in Artikel 7 vor, bildlich gesprochen: ein Format, in dem man zunächst einmal miteinander spricht und versucht, die Dinge in einem Dialog, in einem Trilog zu klären. Wenn jemand in der eigenen Familie über die Stränge schlägt, dann verweist man ihn auch nicht gleich des Hauses, sondern man setzt sich zunächst an einen Tisch und versucht, die Dinge in einem ruhigen, sachlichen Ton miteinander zu klären. – So weit, so gut. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der heute auf dem Tisch liegt, geht aber über das, was die europäische Rechtsstaatsinitiative vorsieht, bei weitem hinaus und ist auch der Grund dafür, weswegen sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Inhalt in keiner Weise anfreunden kann. Bei der Konstruktion der europäischen Rechtsstaatsinitiative wurde sehr bewusst darauf geachtet, dass eben nicht eine neue Institution geschaffen wird, sondern dass man mit den vorhandenen Mitteln, die das Instrumentarium innerhalb der Europäischen Union bietet, das Format abbildet, um miteinander ins Gespräch zu kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ich in dem Antrag nun etwas von Monitoring Panels und unabhängigen Expertenrunden lese, dann mag das in Ihrer politischen Intention folgerichtig sein. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) – Das habe ich erwartet, Herr Kollege Sarrazin. Aber ich bitte gleichzeitig um Verständnis, dass wir diesem Ansatz so nicht folgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir verfolgen den Ansatz auch deswegen nicht – das fand ich in dem Antrag der Grünen besonders spannend –: Wir sind uns vermutlich einig darüber, dass alle 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – Rechtsstaaten sind. In Rechtsstaaten gibt es ein Selbstreinigungsverfahren, das jeder Demokratie eigen ist. Das kommt aber im Antrag der Grünen nicht einmal im Wort vor, was mich wundert. Ich weiß nicht, wer das Wort „Basisdemokratie“ schlussendlich erfunden hat, aber wenn es um die Urheberrechte geht, könnte es sein, dass die Grünen in die engere Auswahl kommen. Auch das Wort „Wahl“ kommt in dem Antrag gar nicht vor. Die Wahl ist im demokratischen Rechtsstaat ein Selbstreinigungsmittel, das die Bürgerinnen und Bürger selbst zur Anwendung bringen, indem sie schlicht und ergreifend die Regierung, die sie möglicherweise in ihren Rechten beschneidet oder einschränkt, abwählen, ohne dass es dazu von außen eines Hinweises bedurft hätte. (Beifall bei der CDU/CSU) Das liegt in der Zuständigkeit jedes einzelnen Nationalstaats. Ich finde es interessant, dass zu den Handlungsempfehlungen, zu den Vorstellungen, die die Europäische Kommission entwickelt hat, im März des vergangenen Jahres, wenn ich es richtig im Kopf habe, ein Gutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Rates herausgegeben wurde. Die Kommission hatte vorgeschlagen, ein mehrstufiges Verfahren zu etablieren, um die europäische Rechtsstaatsinitiative formal abzubilden. Kernsatz der Einschätzung des Juristischen Dienstes des Rates ist, dass die Vorschläge nicht durch die Zuständigkeit der Europäischen Union gedeckt sind. Dann finde ich es hochinteressant, dass Sie nicht nur auf der Basis dieses Gutachtens einen Antrag formulieren, der das abbildet, was schon durch den Juristischen Dienst des Rates als rechtswidrig eingestuft worden ist, sondern dass Sie noch einen obendrauf setzen und offenkundig glauben, die Rechtswidrigkeit wäre geringer als bei der Vorlage, auf die Sie sich bezogen haben. Das erschließt sich mir logisch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir bleiben dabei – insofern teile ich das, was Staatsminister Roth zu Beginn der Debatte gesagt hat –: Der Anlass und der Kern der europäischen Rechtsstaatsinitiative, so wie sie durch Guido Westerwelle und seine Amtskollegen 2013 auf den Weg gebracht worden ist, finden unsere Zustimmung, weil es ein Format unterhalb von Artikel 7 ist, in dem Verstöße gegen die europäischen Grundrechte in den Nationalstaaten besprochen werden können. Aber Institutionen neu ins Leben zu rufen, die das Ziel verfolgen, durch ein auch parlamentarisch nicht legitimiertes Gremium, (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Sehr richtig!) das von irgendwem besetzt wird, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vom Parlament!) einen Mechanismus zu installieren, der dazu da ist, bestimmte Fehlentwicklungen – tatsächliche oder vermeintliche – in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ahnden oder zu korrigieren, das halte ich nicht nur für nicht vereinbar mit europäischem Recht, das halte ich auch politisch für nicht angezeigt, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen bleiben wir dabei: Wenn die luxemburgische Ratspräsidentschaft im Verlauf dieses Jahres einen Vorschlag vorlegt – der Staatsminister hatte darauf hingewiesen –, wie in der europäischen Rechtsstaatsinitiative in diesem Jahre und in den Folgejahren zu verfahren ist, dann ist das für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Basis, auf der wir in den kommenden Jahren weiterarbeiten. Dafür brauchen wir weder neue Gremien noch neue Institutionen. Wir arbeiten mit dem, was wir haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Dörflinger. – Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen und Wochen viel diskutiert: über unsere Werte, über den menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen. Wir haben gesehen, wie Orbán mit Flüchtlingen umgegangen ist, eben nicht menschenwürdig. Wir haben die Weigerung mehrerer Mitgliedstaaten der EU erlebt, Flüchtlinge überhaupt aufzunehmen. Wir erleben ein öffentliches Zerlegen bei diesen Themen, als ob es nicht um Menschen ginge, sondern um irgendwelche Waren, die man hin und her schiebt. Es gab über den Sommer ein öffentliches Zerlegen – das war es fast schon – in der Griechenland-Debatte: Wer gewinnt? Wer verliert? Wer zahlt wie viel? Wir haben in unserer Nachbarschaft im Süden Länder, die eigentlich zerfallen, und trotzdem keine gemeinsame effektive Außenpolitik. In diesen Tagen stelle ich mir immer wieder die Frage: Was hält uns in der Europäischen Union eigentlich noch zusammen? Was verbindet uns noch? Was haben wir gemeinsam? Ich finde, das sind relevante Fragen, die man stellen muss. Ich glaube nicht, dass die Antwort „der Euro“ oder „der Binnenmarkt“ ausreicht, um die Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft mitzunehmen. In Artikel 2 des EU-Vertrages heißt es: Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist es, was uns zusammenhält und was es durchzusetzen gilt. Sie alle wissen – das hat Herr Dörflinger auch schön gesagt –: Bis zum Beitritt ist das alles relevant. Da gibt es Kriterien, Untersuchungen, Überprüfungen. Manchmal macht man ein Auge halb zu, aber es wird überprüft. Wenn man dann Mitglied ist, kann man sich eigentlich wieder alles erlauben. Man kann es schlecht finden, dass es eine liberale Demokratie gibt. Man kann die Medien- und Kartellgesetze so weit dehnen, dass es eigentlich keine Pressefreiheit mehr gibt. Man kann Verfassungsgerichtsrechte beschneiden. Das Einzige, was wir haben, ist die sogenannte Nuklearbombe – Sie haben sie erwähnt –, die bis jetzt noch nie genutzt wurde: der Artikel 7. Wir haben in dem Bereich nichts Vergleichbares zum Stabilitätspakt, zu der Überprüfung der einzelnen Haushalte. Man kann kaum jemandem erklären, warum wir mitbestimmen oder mitdiskutieren, wie hoch die Mehrwertsteuer auf einer griechischen Insel ist, aber nichts tun können, wenn Menschen unwürdig behandelt werden. Den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären „Das ist die Europäische Union. Das eine können wir; bei dem anderen haben wir keine Instrumente“, ist sehr schwierig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der bisherige Weg, nämlich „Wir hauen ein bisschen mehr Geld raus oder üben Druck aus, damit die Länder sich bewegen“, wird in Zukunft, glaube ich, nicht mehr funktionieren. Man wird einen Monsieur Hollande nicht durch mehr Geld dazu bringen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, weil er Angst vor Marine Le Pen hat. Das Gleiche gilt in England für Cameron. In Osteuropa ist es eine andere Debatte, aber auch dort wird man wegen Geld nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen. Worum es geht – das Problem liegt doch wesentlich tiefer –, ist dieses gemeinsame Verständnis unserer Grundwerte und ihrer Bedeutung auch für unsere politischen Entscheidungen. Da braucht es gemeinsame Anstrengungen, zu überzeugen und nicht nur anzuprangern. Ich glaube, wir brauchen Instrumente, um dort hinzukommen, eine Neubesinnung oder Rückbesinnung auf das, was uns eigentlich ausmacht. Ich glaube, dass die Kommissionsinstrumente und das, was der Rat jetzt macht, in die richtige Richtung gehen – Herr Roth, ich weiß, dass Sie sich dafür eingesetzt haben –, aber das ist trotzdem zu zahnlos, zu vage. Deswegen wollen wir ein unabhängiges Gremium. Übrigens: Wenn Sie den Text gelesen hätten, Herr Dörflinger, hätten Sie gesehen, dass das Gremium mit einem Entsandten aus jedem nationalen Parlament besetzt sein soll. Das heißt, wir würden über den Verfassungsexperten abstimmen, den wir in dieses Gremium senden. Das Europäische Parlament würde zehn weitere Experten benennen. Das heißt, die Parlamente wären genau diejenigen, die über die Zusammensetzung dieses Gremiums bestimmen. Der Vorteil eines solchen Gremiums wäre, dass Herr Orbán nicht mehr sagen könnte: Ach, den Gutachter hat sich ja die Kommission ausgesucht; der hat mit mir nichts zu tun. – Es wäre der große Vorteil eines solchen Gremiums, dass es eben unparteiisch wäre, dass jeder mit in der Verantwortung stünde und man nicht einfach sagen könnte: „Das kommt wieder aus Brüssel“, sondern für jeden wäre klar: Da sind auch unsere Leute mit drin, die wir entsandt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist ein großer Unterschied. Und genau das brauchen wir: eine gemeinsame Anstrengung. Von Ihrer Seite kam nun der Einwand, ein solches Gremium stelle eine Konkurrenz zum Europarat dar. Sie wissen doch, der Europarat braucht eine EU, die diese Rechte auch umsetzen kann, und je stärker wir nach innen werden, desto glaubwürdiger ist der Europarat. Deswegen handelt es sich nicht um eine Dopplung oder um eine Konkurrenz, sondern beides ist absolut komplementär. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nötig ist auch, dass die Zivilgesellschaft basisdemokratisch in diesen Prozess eingebunden wird, dass die Debatten transparent verlaufen und nicht nur im Ministerrat geführt werden, der in kleiner Runde darüber diskutiert. Dieser repräsentiert ja nicht die europäische Familie; die Familie ist größer als die Runde der Minister, die irgendwo zusammensitzen. Deshalb muss man auch eine gemeinsame Debatte führen. Schließlich haben Sie noch auf den Juristischen Dienst des Europäischen Rates verwiesen. Sie wissen doch, dass dieser eh nichts einstufen darf. Ich weiß nicht, wie viele Gesetze in dieser Legislaturperiode schon gegen den Rat des Wissenschaftlichen Dienstes dieses Hauses verabschiedet wurden. Von daher würde ich auch nicht sagen, dass das unbedingt der Maßstab aller Dinge ist. Wenn schon, dann wäre das am Ende eines Entscheidungsprozesses der EuGH. Ich glaube, dass es notwendig ist, diese Debatten öffentlich, transparent und unabhängig, mit Experten und trotzdem politisch geleitet zu führen. Wir brauchen solche Debatten in Europa. Am Ende möchte ich aus der Rede der Bundeskanzlerin vor einer Woche in Straßburg zitieren. Sie hat gesagt: „Europa ist eine Wertegemeinschaft, eine Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft.“ Als Richtschnur nannte sie: „Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, die Achtung von Minderheiten, Solidarität.“ Ich finde, dass unser Antrag eine gute Handhabe bietet, um ohne Vertragsveränderungen diesen europäischen Werten mehr Geltung zu verschaffen. Herr Roth, nach Ihren Worten bin ich ganz zuversichtlich, dass die SPD vielleicht zustimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, geben Sie sich einen Ruck. Es wäre, wie ich glaube, ein schönes Signal aus diesem Hause, wenn wir auf diese Weise mehr Diskussionen und eine stärkere Verankerung der Grundwerte europaweit einfordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Brantner. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Lars Castellucci für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Lars Castellucci (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist in diesen Tagen viel von Europas Werten die Rede, und es ist wichtig, an dieser Stelle einmal festzuhalten, dass sich nicht jeder aussuchen kann, um welche Werte es geht, sondern es vielmehr so ist, dass wir diese Werte aufgeschrieben haben. Sie sind aus Artikel 2 des EU-Vertrages zitiert worden. Ich darf einmal vorlesen, was da weiter steht. Da steht nämlich auch noch: Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. Auch der Wert der Solidarität wird erwähnt, den wir ja gerade in der Flüchtlingsfrage einfordern. Wir fordern ihn also nicht einfach so ein, sondern wir fordern ihn ein auf der Basis von gemeinsam verabredeten und verabschiedeten Vertragstexten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch – das ist ja das eigentliche Thema –, dass diese Grundwerte, wie Artikel 49 festlegt, zwingend zu erfüllen sind, wenn jemand Mitglied der Europäischen Union werden will, aber – das sagt ja selbst Herr Dörflinger – wir eigentlich kein Instrumentarium haben, das sicherstellt, dass, wenn jemand in der Europäischen Union drin ist, diese Grundwerte auch eingehalten werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann aus meiner Sicht so nicht bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen also ein Instrument. Und diese Rechtsstaatinitiative passt aus meiner Sicht absolut in diese Zeit; sie ist nötig. Wir laufen in Europa auseinander in diesen Wochen, in denen es eigentlich auf europäischen Zusammenhalt ankommt. Wir brauchen dringend die Rückbesinnung auf das, was uns verbindet. Es gibt Handlungsbedarf: Es können Flüchtlinge nicht zurück nach Italien überführt werden, es können Flüchtlinge aufgrund von Gerichtsurteilen nicht zurück nach Ungarn überführt werden, es gibt Zurückweisungen an den Grenzen. Es wird europäisches Recht nicht eingehalten, und wir haben nichts in der Hand, um das zu ändern. Deswegen lobe ich auch die Bundesregierung für die Schritte, die sie in die Wege geleitet hat. Ich finde sie sehr gut. Ich bin auch dankbar dafür, dass die Grünen diesen Antrag gestellt haben und diese Debatte heute hier ermöglichen. Wir müssen aber weiter gehen, und es stimmt mich sehr hoffnungsvoll, dass das Europäische Parlament sich vorgenommen hat, einen an den Kopenhagener Kriterien angelehnten Mechanismus zu definieren, der sogar über das hinausgehen wird, was heute vorliegt. Zur Union möchte ich noch etwas sagen: Sie sind doch immer für Sicherheit, Ordnung, Recht, Leitkultur und all dies. Sie sind doch immer dafür, dass Menschen, die zu uns kommen, sich an unsere Gesetze zu halten haben. Das ist ja am Ende des Tages auch richtig. An dieser Stelle ist aber doch eindeutig klar: Regeln, die wir nicht durchsetzen wollen, brauchen wir auch nicht aufzustellen. Deswegen bitte ich Sie herzlich, sich nicht dagegen zu versperren, dass wir hier ein Instrumentarium schaffen, das uns hilft, Regeln, die wir gemeinsam aufgestellt haben, auch wirklich durchsetzen zu können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An dieser Stelle einen Appell: Europa soll zu gemeinsamen Vorgehensweisen zurückfinden. Das sagen wir doch alle hier. Aber mit welchem Recht fordern wir eigentlich von Europa gemeinsame Vorgehensweisen, wenn wir noch nicht einmal hier in diesem Saal zu gemeinsamen Vorgehensweisen in der Lage sind, und das noch beim Thema „Europäische Grundwerte“, die uns doch alle verbinden? Vielleicht ist das wirklich einmal ein Punkt, bei dem wir uns zusammenraufen und zeigen können: Für europäische Grundwerte stehen wir alle in diesem Haus. Wir werden aus Koalitionsdisziplin diesen Antrag zurückweisen, aber wir werden im Laufe des Verfahrens auf europäischer Ebene noch einmal einen Anlauf unternehmen und versuchen, zu einem gemeinsamen Text zu kommen. – Das würde ich sehr begrüßen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein letzter Aspekt. Jetzt ist von blauen Briefen, von Kontrolle und neudeutsch von „blame and shame“ die Rede. Ich frage, ob das eigentlich das ist, was uns am Ende hilft, zusammenzustehen. Oder müssen wir nicht vielmehr mit jeder Faser und jeden Tag denen, die zu uns kommen und die eigentlich andere Werte teilen, deutlich machen, dass wir wirklich hinter unserem Rechtsstaat und hinter unseren Grundwerten stehen, dass wir denen dankbar sind, die sie in Generationen vor uns errungen haben, und dass wir es als Auftrag verstehen, sie voranzutreiben und sie auch in der heutigen Zeit durchzusetzen? Ich wünsche mir, dass wir nicht nur ein Instrumentarium haben, mit dem wir gegenüber Menschen und Ländern, die die Vorgaben nicht korrekt erfüllen, den Zeigefinger heben können, sondern dass wir im Gegenteil auch gute Beispiele schaffen und Begeisterung für unser Lebensmodell ausstrahlen. Ich halte es für fantastisch, auf einem Kontinent zu leben, auf dem wir uns Spielregeln gegeben haben, und, wenn wir uns in diesem Rahmen bewegen, frei und ohne Angst aufwachsen können. Das ist ein Modell des Zusammenlebens für die ganze Welt. Das müssen wir ausstrahlen. Das ist das Wichtigste, was wir hier miteinander verabreden können. Wir dürfen nicht nur dabei stehen bleiben, in Kontrollmechanismen zu denken, sondern wir müssen in Richtung der jungen Generation und der Menschen, die zu uns kommen, auch wieder unsere Werte wirklich vorleben. Die Menschen müssen bei uns spüren, dass uns das, was wir von der Türkei oder von denen, die zu uns kommen, fordern, wichtig ist. Diese Grundwerte sind fundamental für unsere Gesellschaft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Lars Castellucci. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Iris Eberl. (Beifall bei der CDU/CSU) Iris Eberl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag trägt die Überschrift „Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken“. Diese Aussage hat mich als Nichtjuristin fasziniert. Wir stärken unsere gemeinsamen Grundwerte, und wir stärken damit ganz Europa, von Lissabon bis Minsk, von Reykjavik bis Istanbul. Großartig! Ich war begeistert. Nach gründlichem Studium des Sachverhalts folgte die Ernüchterung. Seit Jahren geht es in einem zähen Ringen um die Frage: Werden denn die gemeinsamen Grundwerte in allen EU-Ländern auch brav eingehalten, und wenn nicht, was dann? Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Grundwerte sind uns allen ein besonderes Anliegen; denn sie sind unser kostbarstes Gut. Als überzeugte Europäerin sage ich: Das gilt auch für die Europäische Union. Das Zusammenwachsen dieser Union macht deutlich, dass sie nicht nur ein zufälliger Verbund von souveränen Staaten ist. Hier wurde die Basis für ein gemeinsames Werteverständnis geschaffen. Weil das so grundsätzlich und wichtig ist, zitiere ich aus Artikel 2 des EU-Vertrages: Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Die weitere Ausgestaltung der Architektur erfolgte in der Charta der Grundrechte von 2000 und 2007, wo diese Werte konkretisiert wurden. Die Grünen wollen mit ihrem Antrag zum Schutz der Grundwerte ein Monitoringpanel einführen. Dieses Instrument überzeugt uns von der CDU/CSU gar nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem Artikel 7 des EU-Vertrages steht dem Rat ein Instrument zur Verfügung, das Bestehen einer eindeutigen Gefahr, einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat festzustellen und darauf zu reagieren. Es ist richtig: Die Hürden für die Auslösung des Verfahrens nach Artikel 7 sind hoch. Doch die Väter des EU-Vertrages haben diese Hürden wohlüberlegt so hoch angesetzt, um die Union in ihrem Bestand zu festigen. Wenn denn vom Volk gewählte Regierungen einzelner EU-Länder über kürzere oder längere Zeit Maßnahmen ergreifen, die fragwürdig erscheinen mögen, muss das eine demokratisch gefestigte Union aushalten und ausdiskutieren können. Das war bis jetzt der Fall. Ein Verfahren nach Artikel 7 ist seit Bestehen der EU noch nie ausgelöst worden, obwohl es auch in der jüngeren Vergangenheit in Unionsstaaten immer wieder zu Verletzungen von Grundwerten gekommen ist. Ich nenne sie beim Namen: politische Einflussnahme auf Gerichtsverfahren, Korruption und Wahlfälschung, Diskriminierung von Minderheiten, Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. Der jüngste Jahresbericht der Grundrechteagentur zeichnet das Bild einer sich verschlechternden Lage von Migrantinnen und Migranten auf. Eine Ursache dafür ist die durch Krieg, Not und Elend ausgelöste Flüchtlingskrise. Wir sind der Auffassung: Die Union muss sich als Staatengemeinschaft mit der Lösung dieses Problems beschäftigen, auch mit dem Problem brutalster Menschenrechtsverletzungen in ihrer Nachbarschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Werte sind nämlich dazu da, dass man sie lebt. Dafür brauchen wir aber eine stabile Europäische Union und nicht eine, deren Mitglieder sich gegenseitig misstrauisch beäugen. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber der Antrag der Grünen taugt in meinen Augen auch nicht. Die EU-Verträge bieten keine Rechtsgrundlage für einen neuen Aufsichtsmechanismus, schon gar keinen, der unterhalb der Schwelle des Artikels 7 läge. Wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie das Gutachten vom 27. Mai 2014 des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Union, den ich für nicht ganz so unwichtig halte. Jetzt ist ganz sicher nicht die Zeit, sich mit Vertragsveränderungen zu befassen. Denn bereits im zweiten Halbjahr 2014 wurde mit der Vereinbarung über den neuen politischen Rechtsstaatsmechanismus ein wichtiges europapolitisches Ziel des Koalitionsvertrages umgesetzt. Kern des Mechanismus ist eine Diskussion einmal pro Jahr im Allgemeinen Rat. Der neue politische Mechanismus bleibt, im Gegensatz zum Grünenantrag, im Rahmen der bestehenden Verträge, und das ist entscheidend. Er öffnet den Weg zu einem Dialog zwischen allen Mitgliedstaaten im Rat unter Wahrung der Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung, sein Ansatz ist unparteiisch und faktengestützt. Und das überzeugt. Auch zusätzliche Ad-hoc-Diskussionen zu spezifischen Problemen einzelner Mitgliedstaaten sind möglich. Damit hat der Rat ein Instrument, um auch kurzfristig auf besorgniserregende Entwicklungen innerhalb der Union zu reagieren. Der luxemburgische Ratsvorsitz wird diesen Rechtsstaatsdialog noch 2015 in Gang setzen, wie Staatsminister Roth ausführte. Sein Erfolg bleibt abzuwarten. Geben wir doch diesem Instrument eine Chance, bevor wir neue Instrumente schaffen! (Beifall bei der CDU/CSU) Schließlich geht der Antrag in seiner aktuellen Form auch zu weit. Die Partnerländer würden mit einem solchen ständigen Monitoringpanel-Überwachungsapparat unter Generalverdacht gestellt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, zerstört die Vertrauensbasis innerhalb der Europäischen Union. Ein solches Monitoringpanel ist in einer Demokratie auch überflüssig. Es ist die Aufgabe der Presse, Missstände aufzuzeigen. Und sollte das Grundrecht der Pressefreiheit gar verletzt sein, so gibt es heute die sozialen Netzwerke. Dort wird jede Verfehlung publik gemacht und löst, je nach ihrer Art, einen Shitstorm aus, den niemand überhören kann. Dass das funktioniert, erleben wir jeden Tag, oft im Übermaß. Letztendlich habe ich gegen den Antrag auch politische Bedenken, die in seiner eigenen Begründung liegen. Dort werden als Länder, deren Entwicklung Anlass zur Sorge geben, nur – ich zitiere – „Ungarn, Rumänien oder früher … Italien“ genannt. Warum nicht Griechenland? Warum nicht die Staaten, die sich bislang weigern, einen angemessenen Teil der Last der Flüchtlingskrise zu übernehmen? Hier offenbart sich eine wesentliche Schwäche des vorgeschlagenen Instruments: Das ständige Gremium könnte auch dazu benutzt werden, nur missliebige Länder an den Pranger zu stellen, was einen ehrlichen Dialog über die Rechtsstaatlichkeit im Weiteren unmöglich machen würde. Damit schließe ich meine Ausführungen und sage ganz einfach: Ich bitte, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Eberl. – Das ganze Haus – alle Fraktionen – gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Wir wünschen Ihnen Kraft und viel Begeisterung für ein starkes Europa. Vielleicht haben wir es noch nie so dringend gebraucht wie heute. (Iris Eberl [CDU/CSU]: Ich danke! – Abg. Iris Eberl [CDU/CSU] nimmt Glückwünsche entgegen) – Jetzt müssen die Männer erst mal gratulieren. Das verstehe ich. (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Und die Frauen? Die Frauen bleiben sitzen, oder was?) Ich mache jetzt trotzdem weiter. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6196, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4686 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann bleibt niemand mehr, oder? Wer will sich enthalten? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung von CDU/CSU, Teilen der SPD (Zuruf von der CDU/CSU: Großen Teilen!) und der Linken, bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und zwei Enthaltungen aus der Sozialdemokratie angenommen. (Michael Roth, Staatsminister: Regierungskrise!) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zügig zu wechseln. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften Drucksache 18/6284 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­abschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich würde Sie bitten, Platz zu nehmen und der ersten Rednerin zuzuhören. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist Dagmar Schmidt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU]) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, mit dem wir uns heute beschäftigen, beinhaltet viele verschiedene Dinge. Unter anderem verbessern wir die Arbeitsmarktintegration von Geduldeten, wir schaffen Gerechtigkeit für ehemalige NVA-Wehrdienstleistende, die im Dienst verletzt wurden, und wir erleichtern die Situation der Landwirtinnen und Landwirte bei den Vorschriften zur Hofabgabe. Wir leisten mit diesem Gesetzentwurf aber auch einen Beitrag zur Entbürokratisierung – dort, wo es geboten ist. So verzichten wir mit dem Gesetz auf eine differenzierte Nachweispflicht der Länder hinsichtlich der Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter durch den Bund. In Zukunft wird nur noch zwischen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unterschieden. Das ist eine spürbare und gebotene Entlastung der Länder. An anderer Stelle dagegen sind wir auf mehr Information angewiesen. Aus diesem Grund sollen die Daten zum Bildungs- und Teilhabepaket in Zukunft häufiger und detaillierter erhoben werden. Ich hoffe, dass dies einen Beitrag für eine breite und zuverlässige Datenquelle leistet, die auch eine Grundlage dafür ist, das Bildungs- und Teilhabepaket noch einmal grundsätzlich diskutieren und beraten zu können. So, wie es heute genutzt und abgerufen wird, erfüllt es jedenfalls seine Aufgabe, für bessere Bildung und Teilhabe armer Kinder zu sorgen, nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein weiterer Punkt ist die Anrechnung von Einkommen im SGB XII. So gibt es bei der Anrechnung von Einnahmen aus dem Schonvermögen eine Verbesserung. Zinsen aus dem Schonvermögen in Höhe von 26 Euro werden nicht auf die Leistungen des SGB XII angerechnet. Und es wird in dem Gesetz die Anrechnung von einmaligen Einnahmen geregelt. Diese werden im Folgemonat angerechnet, sollten Regelleistungen für den laufenden Monat schon ausgezahlt sein – das ist überwiegend Technik. Wie erwähnt klären wir – und das ist keine Technik – die Anrechnung der NVA-Verletztenrente. Wie zugesagt, ist nach Prüfung durch das Ministerium eine Lösung für das Problem der Ungleichbehandlung von im Wehrdienst der NVA Beschädigten gegenüber den im Wehrdienst der Bundeswehr Beschädigten in dem Gesetzentwurf umgesetzt worden. Die Gleichstellung erfolgt durch die Berücksichtigung eines Freibetrags aus der Verletztenrente, die für die ehemaligen NVA-Wehrdienstleistenden aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezahlt wird. Der Freibetrag entspricht dabei der Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, die den beschädigten Wehrdienstleistenden der Bundeswehr zusteht; jeweils abhängig vom Grad der Schädigungsfolgen. Damit ist eine Gleichstellung von ost- und westdeutschen Wehrdienstleistenden im SGB XII gewährleistet. Nicht alles, was das SGB XII betrifft, aber vieles Wichtige wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt: Gerechtigkeit für die im Wehrdienst der NVA verletzten Soldaten, Verbesserungen für Landwirtinnen und Landwirte und für Flüchtlinge bei der Arbeits- und Ausbildungsunterstützung. Ich freue mich auf die kommende Diskussion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Schmidt. – Nächster Redner in der Debatte: Matthias W. Birkwald für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An Silvester 2014 waren 1 Million Menschen in Deutschland auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, sprich: auf Sozialhilfe, angewiesen. Sie mussten aufs Sozialamt, weil ihre Erwerbsminderungsrente durchschnittlich weniger als 735 Euro betrug oder ihr Alterseinkommen im Schnitt unter 782 Euro lag oder weil sie sich ihre Miete nicht leisten konnten oder weil sie sich ihre Medikamente nicht leisten konnten. Was sie vom Sozialamt dann erhalten, liegt weit unter den gängigen Armutsrisikogrenzen. Die offizielle Armutsgrenze der Europäischen Union liegt für alleinlebende Menschen in Deutschland bei 979 Euro im Monat. Das ist der eigentliche Skandal. Und daran ändert Ihr 54 Seiten langer Gesetzentwurf gar nichts. (Beifall bei der LINKEN) Ihr Gesetzentwurf ändert auch Nullkommanichts daran, dass die Zahl derjenigen Älteren, die aufs Sozialamt müssen, in den vergangenen zehn Jahren um 76 Prozent gestiegen ist, und sich bei den Erwerbsgeminderten die Zahl sogar verdoppelt hat. Jahr für Jahr kommen 30 000 bis 40 000 Betroffene neu dazu. Akzeptieren Sie endlich, dass viele Altersrenten und noch mehr Erwerbsminderungsrenten nicht vor Armut schützen! Darum sage ich Ihnen: Schaffen Sie die ungerechten Abschläge für Erwerbsminderungsrentner und rentnerinnen ab! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Und: Schaffen Sie die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel ab! Das wäre bitter notwendig. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Aber davon findet sich selbstverständlich nichts in Ihrem Gesetzentwurf. Worum geht es Ihnen? Seit dem 1. Januar 2014 ist die Grundsicherung im Alter komplett auf den Bund übergegangen. Daraus ergeben sich Auslegungsfragen, Verfahrensänderungen usw.; das machen Sie alles mehr oder weniger bürokratisch korrekt. Aber dann liest man auf einmal auf Seite 40 des Gesetzentwurfes, dass sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme einem echten Problem zuwendet, Herr Kollege Weiß, den ich an dieser Stelle gerne ansprechen möchte, einem Problem, wegen dessen sich immer wieder Betroffene an uns wenden: Die Grundsicherung, die die Rente ja oft nur aufstockt – sagen wir zum Beispiel: um 200 Euro –, wird am Beginn eines Monats ausgezahlt. Die Rente – sagen wir zum Beispiel: in Höhe von 600 Euro – wird aber erst am Ende des Monats ausgezahlt. Folge: Die Rentnerin muss einen Monat lang von 200 Euro leben. Wie soll denn das gehen? Wir hatten der Bundesregierung im November 2014 zu dieser Lücke zwischen Grundsicherung und Rentenauszahlung eine Frage gestellt. Sie wollten prüfen, was Sie tun können. Der Bundesrat hat zur Lösung des Problems drei leider hochkomplizierte Verfahrensvarianten vorgelegt. Das ist schon befremdlich; aber dass die Bundesregierung auf Seite 51 des Gesetzentwurfs ebenfalls das Problem anerkennt, die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung in epischer Breite auf ihre Schwächen hin abklopft, um dann am Ende nichts vorzulegen, das ist wirklich unverschämt. (Beifall bei der LINKEN) Zitat: Die Bundesregierung lehnt es bereits im Grundsatz ab, das im SGB XII geltende Zuflussprinzip ... zu durchbrechen ... Welcher Grundsatz denn? Ignoranz? Bürokratische Weltfremdheit? Nein, das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht von älteren Menschen, die einen Monat lang von 200 Euro leben sollen. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, wahrlich keine kommunistische Vorfeldorganisation, hatte ganz einfach und elegant gefordert, die Rente im ersten Monat nicht zu berücksichtigen – ganz einfach. Man bekäme also im ersten Monat einmalig zum Beispiel 800 Euro Grundsicherung und erst ab dem nächsten Monat dann immer nur 200 Euro Grundsicherung am Anfang des Monats und 600 Euro Rente am Ende des Monats. Das ist doch ein guter Vorschlag. Setzen Sie ihn um. Die Betroffenen werden es Ihnen danken. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt nach all der Kritik noch ein bisschen Lob (Zurufe von der SPD: Oh! – Katja Mast [SPD]: Das sind wir gar nicht gewohnt!) und ein bisschen Eigenlob. (Zurufe von der SPD: Ah!) Bisher wurde die Verletztenrente bei früheren Wehrdienstleistenden der Nationalen Volksarmee auf die Grundsicherung angerechnet und die der Wehrdienstleistenden der Bundeswehr nicht. Das war ungerecht, und das ist ungerecht. Die Linke kritisiert das schon seit der 16. Legislaturperiode. (Zuruf von der LINKEN: Aha!) Jetzt wollen Sie endlich einen Freibetrag von durchschnittlich 238 Euro im Jahr einführen. Damit würden Sie immerhin eine der einigungsbedingten Ungerechtigkeiten beseitigen. Das ist gut. Machen Sie weiter so. (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Danke!) Noch ein Wort zur Hofabgabeklausel bei Bauern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ein kurzes Wort. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die Linke bleibt dabei: Die Hofabgabeklausel ist anachronistisch. Sie muss gestrichen werden. Sie wirkt häufig wie eine Zwangsenteignung: Gibt der Landwirt den Hof ab, bekommt er eine Minirente, kann aber nichts dazuverdienen; gibt er ihn nicht ab, hat er komplett umsonst eingezahlt. Dass wenigstens die jüngeren Ehepartnerinnen einen eigenen Rentenanspruch behalten, wenn ihr Gatte den Hof nicht abgibt, wäre ein kleiner Fortschritt. Das ändert an dem Grundproblem aber nur wenig. Darüber werden wir in der Anhörung noch reden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Birkwald. – Nächste Rednerin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen eine sehr interessante und wichtige Debatte hier im Deutschen Bundestag erlebt. Wir haben das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und damit, so will ich es sagen, eines der wichtigsten Gesetze in dieser Legislaturperiode verabschiedet. Ich denke, eine ähnlich wichtige Bedeutung haben die Änderungen, die wir jetzt im Rahmen des Zwölften Sozialgesetzbuches verabschieden. Mit der heutigen Beratung zum Zwölften Sozialgesetzbuch schaffen wir weitere Verbesserungen in unserer Sozialgesetzgebung. Zur Erinnerung: Vor zehn Jahren, am 1. Januar 2005, löste das Zwölfte Sozialgesetzbuch das damalige Bundessozialhilfegesetz ab. Seitdem regelt das SGB XII die Vorschriften für die Sozialhilfe in Deutschland. Zur gleichen Zeit wurde für Arbeitsuchende, die zuvor Anspruch auf Sozial- oder Arbeitslosenhilfe hatten, das Arbeitslosengeld II eingeführt. Diese Reformen waren Teil der Agenda 2010 und brachten – dieser Auffassung sind wir noch heute – unseren Arbeitsmarkt damals wieder auf Erfolgskurs. (Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD] – Heiterkeit) Das SGB XII kennt mehrere Leistungsarten. Eine davon ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Auf diese Sozialleistung ist erfreulicherweise nur ein kleiner Teil der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland angewiesen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er wird leider von Jahr zu Jahr immer größer, dieser Teil!) Es sind sage und schreibe gerade einmal 3 Prozent; es sind, genau genommen, in den neuen Bundesländern 2,1 Prozent und in den alten Bundesländern 3,2 Prozent. Meine Damen und Herren, von der oftmals und viel beschworenen Altersarmut ist, zumindest wenn man nach diesen Zahlen geht, nicht viel zu erkennen. Der Bund übernimmt bereits seit zwei Jahren die Finanzierung dieser Sozialleistung von den Bundesländern. 2013 wurden zunächst 75 Prozent der jährlichen Nettoausgaben an die Länder erstattet, und seit 2014 trägt der Bund 100 Prozent der Kosten der Länder für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Für 2015 haben wir dafür eine Summe von rund 5,9 Milliarden Euro im Bundeshaushalt vorgesehen. Meine Damen und Herren, das ist ein Beispiel von vielen, wie der Bund den Ländern und den Kommunen hilft, sie finanziell entlastet und ihnen bei der Bewältigung wichtiger Aufgaben hilft. Doch der heute diskutierte Gesetzentwurf zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch geht noch weiter. Die Finanzierungsübernahme des Bundes erforderte bisher eine aufwendige Nachweisführung der Länder über deren Verwendung der Gelder. Diese Nachweis- und Abrechnungsmodalitäten werden wir jetzt im Sinne der Länder neu regeln. Wir kehren zu einer vereinfachten Nachweisführung zurück. 2013 und 2014 haben wir damit schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Länder müssen künftig nicht mehr, wie bisher, nach den einzelnen Bedarfen differenzieren. Eine Unterscheidung soll künftig lediglich nach den unterschiedlichen Leistungsberechtigten vorgenommen werden. Wir schaffen weitere Entlastungen: Wir schaffen für Sparer, die gleichzeitig Leistungsempfänger sind, einen jährlichen Freibetrag in Höhe von 26 Euro für Einnahmen aus Kapitalvermögen, also insbesondere für Zins­einnahmen. Einmalige Einnahmen werden künftig erst im Folgemonat angerechnet, und bedarfsdeckende einmalige Einnahmen sind in der Regel auf sechs Monate zu verteilen. Das bedeutet in der Praxis, dass ein Grundsicherungsempfänger seine Leistung aufgrund einer einmaligen zusätzlichen Einnahme künftig nicht mehr gestrichen bekommt. Doch der Gesetzentwurf beschränkt sich eben nicht nur auf sozialpolitische Maßnahmen, er widmet sich auch einem der Vorzüge der Europäischen Union, nämlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nicht nur grenz­überschreitende Mobilität ermöglicht, sondern auch den Bedarfen unseres Arbeitsmarktes und insbesondere dem Fachkräftemangel in Deutschland Rechnung trägt. Vor zwei Jahren ist Kroatien der Europäischen Union beigetreten. Der damals ausgehandelte Beitrittsvertrag sah vor, dass kroatische Staatsangehörige für maximal sieben Jahre im europäischen Ausland arbeiten durften. In der zurückliegenden Zeit gab es dann umfangreiche Erleichterungen für qualifizierte Fachkräfte, für Saisonkräfte und Auszubildende beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Viele, meist jüngere Kroaten haben diese Zugangserleichterungen genutzt. In 2014 waren 93 000 Kroaten in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie arbeiten vor allem in Bereichen, in denen wir einen immer größeren Fachkräftemangel haben, in denen immer weniger Beschäftigte zur Verfügung stehen, beispielsweise im verarbeitenden Gewerbe, im Baugewerbe oder auch im Gesundheits- und Sozialwessen. Seit dem 1. Juli dieses Jahres besteht die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wir gehen damit von jährlich etwa 10 000 weiteren kroatischen Arbeitskräften aus. Sie tragen dazu bei, dass eine Lücke dort geschlossen wird, wo wir dringend Bedarfe haben. Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerfreizügigkeit hilft nicht nur, unseren Fachkräftemangel abzuschwächen, sondern sie gibt auch den Menschen in Europa die Möglichkeit, vielerorts berufliche Chancen zu nutzen. Während wir hierzulande über die höchsten Beschäftigungszahlen und die geringste Arbeitslosigkeit seit langem verfügen, sieht die Situation in vielen europäischen Partnerländern ganz anders aus. Nicht nur Spanien oder Griechenland beklagen eine hohe Arbeitslosenquote von mehr als 25 Prozent oder eine hohe Jugendarbeitslosenquote von mehr als 48 Prozent. Auch Kroatien selbst hat enorme Probleme im Hinblick auf den Arbeitsmarkt. Dort liegt die Arbeitslosenquote bei 17 Prozent, bei den Jugendlichen sogar bei 43 Prozent. Auch da, meine Damen und Herren, setzt Arbeitnehmerfreizügigkeit an. Sie sorgt aber auch dafür, dass wir einen Teil unserer Standards bei der Ausbildung, im Bereich der Weiterbildung oder in verschiedensten Berufsbildern, zum Beispiel im Handwerk, weitergeben können. Ich möchte hier an das hohe Ansehen erinnern, das wir im europäischen Ausland für unser System der dualen Berufsausbildung oder unser – wir alle kennen es – Innungs- und Kammersystem mit einer Vielzahl an zertifizierten Berufen genießen. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus diesem Grund ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit Kroatiens nicht nur ein Gewinn für Deutschland und für Kroatien, es ist ein Gewinn für alle Länder der Europäischen Union. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Schimke. – Nächster Redner in der Debatte: Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/Die Grünen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden es ahnen: Ich werde mich heute für die Grünen zur Hofabgabeklausel der Landwirtschaftlichen Alterskasse erklären. Das ist für uns ein ganz entscheidender Punkt. Den ersten kleinen Schritt hat die Koalition vollzogen. Weit war der Weg, eine Lösung ist aber trotzdem nicht in Sicht. Wir halten es mit Laotse: „Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.“ Wir Grünen halten an unserem Ziel fest. Der Weg ist kurz und einfach beschrieben: Die Hofabgabe als Bedingung für die verdiente Rente von Bäuerinnen und Bauern, die ihr Leben lang hart gearbeitet und in die Landwirtschaftliche Alterskasse eingezahlt haben – oft jahrzehntelang –, gehört abgeschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die agrarstrukturelle Funktion der Hofabgabeverpflichtung wurde von der Realität restlos überholt. Wer daran festhält, hat nur zwei Dinge im Sinn: eine weitere große soziale Ungerechtigkeit und die massive Beförderung des Strukturwandels. – Das soll man dann auch sagen. Dieses Ziel hat man sowieso; deshalb darf man es auch erklären. Ich bin seit 36 Jahren Pflichtmitglied der Landwirtschaftlichen Alterskasse. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU kann ich das nicht feststellen. Dort hat man sich auf leisen Sohlen aus dem System verabschiedet, um jetzt machtvoll für den Erhalt von Dingen zu streiten, von denen man selber überhaupt nicht mehr betroffen ist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, so sind sie!) 1957 wurde die Hofabgabeklausel eingeführt, um den damaligen Zustand, den Erbgang auf dem Sterbebett, zu beenden. Aber die Welt hat sich weiterentwickelt; die Zustände haben sich verändert. Heute haben nur noch 30 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe eine geregelte Hofnachfolge. Für diese Betriebe ist die Hofabgabeklausel kein Problem. Aber 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe haben keine geregelte Hofnachfolge. Diese Landwirte werden gezwungen, ihre Höfe abzugeben, um eine Rente zu erhalten, obwohl sie keine Hofnachfolge haben. Das führt natürlich zu dubiosesten Scheinverträgen. Der Sohn als Lufthansa-Pilot ist dann auf einmal Hoferbe im Ostwestfälischen, obwohl er niemals auf dem Hof ist. Dadurch hat man dann aber irgendwie der Form Genüge getan. Mit der Realität hat dies allerdings nichts zu tun. Wer von diesen Landwirten weitermacht, sich also entscheidet, auch mit 65 Jahren und mehr seinen landwirtschaftlichen Betrieb weiterzuführen, erhält keine Rente, obwohl jahrzehntelang Beiträge gezahlt wurden. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit wollen wir Grünen endlich beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir als Grüne wollen es nicht hinnehmen – das tun wir gemeinsam mit den Linken; wir haben ja gerade schon Gemeinsamkeiten entdeckt –, dass die Bauern und Bäuerinnen in ehelicher Gemeinschaft ihren Hof abgeben müssen, um circa 700 Euro Rente im Monat zu erhalten. Das ist knapp genug und wird durch oft nur sehr kleine Pachteinnahmen nur etwas angereichert. Dies führt zu einem sehr bescheidenen Lebensabend der Bauern und Bäuerinnen. Andere EU-Länder, wie Österreich, die ein ähnliches System haben, zeigen, dass es ohne Hofabgabepflicht geht. Dort hat sich das Durchschnittsalter der Bäuerinnen und Bauern nach der Streichung der Hofabgabeklausel nicht verändert. Wir stellen also fest, dass das ein Vorbild für Deutschland sein könnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb sind wir mit dem Ausschuss nach Österreich gefahren. Ich frage mich heute aber, warum wir das getan haben, wenn Sie in der Union nicht bereit sind, dazuzulernen. Sie wissen doch ganz genau, dass die landwirtschaftliche Alterssicherung eine Ausnahme im System darstellt. Versicherungspflichtige Selbstständige, die in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, können nach Erreichen der Altersgrenze Rente beziehen, obwohl sie ihren Betrieb weiterführen. Auch an dieser Gesetzesvorlage haben Sie von der Union wieder einmal halbherzig herumgedoktert. Um nur eine neue Regelung herauszugreifen: die geänderte Abgabemöglichkeit vom Ehemann an die jüngere Ehefrau. Das wollen Sie nun ändern. Dies ist eigentlich eine Streichung der Hofabgabeklausel. Warum macht man es so verkappt und nicht durchgängig? Es findet ja sowieso statt. Der Titel wird erhalten, aber der Inhalt restlos ausgehöhlt. Die meisten Landwirte sind verheiratet. Viele werden die neue Regelung nutzen, die da lautet: Der Mann geht mit 65 Jahren aufs Altenteil und bezieht Rente. Seine Frau arbeitet selbstständig weiter. – Bauernschläue wird das Ganze anreichern; Sie von der CDU/CSU kennen das ja bestens. Von daher wird es zu einer weiteren Aushöhlung der Hofabgabeklausel kommen, die ihren Namen dann nicht mehr verdient. Sie aber können der Landjugend erzählen: Wir haben für die Hofabgabeklausel gekämpft. – Sie hat zwar keine Bedeutung mehr, da sie umgangen wird; aber formal ist sie noch da. Dies hat insbesondere Frau Mortler von der CSU betrieben, weil sie jemand ist, der nicht akzeptiert, dass sich die Welt weiterdreht und wir uns mit ihr weiterentwickeln. Das will sie nicht zur Kenntnis nehmen. Aber alle anderen von uns merken das sehr wohl. Hier steht die Union doch wieder einmal allein auf weiter Flur. Auch die Bundesländer haben bei der letzten Ministerkonferenz gezeigt, dass sie mehrheitlich gegen diesen Entwurf sind. Was finden wir in der Bibel dazu? Bei Matthäus, meine Kollegen von der CDU/CSU, heißt es: „Ehre Vater und Mutter“ und „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst“. Aber auch hier tragen Sie das Christliche zu Unrecht in Ihrem Namen. Beenden Sie endlich diesen Krieg mit den Schwächsten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Alten haben es verdient, ernst genommen zu werden. Es ist bewundernswert und anerkennenswert, mit welcher Beharrlichkeit und Ausdauer der Arbeitskreis für die Abschaffung der Hofabgabeklausel seit Jahren für dieses Ziel kämpft. (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Wir Grünen versprechen, ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen in den grün regierten Ländern, weiter für die Erreichung dieses Ziels zu streiten. Wir Grünen hätten auch den Vorschlag einer 10-prozentigen Abschlagsrente ohne Hofabgabe, den Dr. Peter Mehl vom Bundesforschungsinstitut gemacht hat, akzeptiert. Hier gilt es, den Streitern Dank zu sagen, die seit Jahren für vernünftige Regelungen streiten, bei CDU/CSU allerdings kein Gehör finden. Ich hoffe, dass die SPD als eine Partei, die immer für die soziale Sicherung in der Landwirtschaft gestanden hat, diese Sorgen ernster nimmt und die Hofabgabe endlich abschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Gerdes, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf sieht verschiedenste Neuregelungen vor, einen großen Strauß an Themen, wie wir gerade gehört haben. Zur Hofabgabe werde ich jetzt nichts sagen; das macht gleich meine Kollegin Schulte. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu ist alles gesagt worden!) Bei den Änderungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch geht es vor allem um Verwaltungsvereinfachungen, einheitliche Begriffe und auch redaktionelle Überarbeitungen. Das ist sinnvoll. Hier gibt es auch keine große politische Kontroverse. Interessant ist unter anderem, dass die statistikbezogene Betrachtung von jährlicher Erfassung auf vierteljährliche Betrachtung zu deutlichen Verbesserungen in den Kommunen führt. Wurden bisher Leistungen und Aufwendungen für Klassenfahrten, Schülerbeförderungen, Mittagsverpflegung, aber auch ergänzende Lernförderung lediglich zum 31. Dezember erhoben, erfolgt die Erfassung und Abrechnung nun wesentlich zeitnäher im vierteljährlichen Modus. Das führt zu deutlich besserer Haushaltsklarheit. Die Änderung der betroffenen Verwaltungsvorschrift im SGB XII ergibt sich aus der Tatsache, dass der Bund seit 2014, wie wir gehört haben, die Nettoausgaben der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu 100 Prozent übernimmt. Wie Sie wissen, war und ist das wesentliche Ziel der Kostenübernahme die Stärkung der Finanzkraft der Kommunen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hier haben wir in den vergangenen Jahren und Monaten einiges erreicht. Dennoch ist klar, dass viele Städte und Gemeinden weiterhin unter knappen Kassen leiden. Die aktuelle Flüchtlingssituation erhöht den Druck im Kessel. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass es die Sozialdemokraten waren, die an der damaligen Einführung der Grundsicherung federführend beteiligt waren. Aus unserer Sicht ist die Grundsicherung ein erster Schritt gegen unwürdige Armut im Alter. Sie ist eine gute soziale Errungenschaft. Gut ist auch, dass der Bund diese Leistung seit einiger Zeit vollständig zahlt. (Beifall bei der SPD) Im März 2015 bezogen in Deutschland rund 512 000 Personen Leistungen der Grundsicherung im Alter. Deshalb bleibt es dabei: Wir müssen für ordentliche Löhne und Einkommen der Menschen sorgen, damit sich Altersarmut nicht verfestigt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das alleine reicht nicht! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht erst in 20 oder 30 Jahren! Sie müssen sofort etwas machen!) – Lassen Sie mich das vielleicht noch ausführen. – Das setzt voraus, dass Menschen berufliche Perspektiven haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da setzt eben auch der Gesetzentwurf an. Er sieht unter anderem Änderungen im SGB III sowie im Bundesausbildungsförderungsgesetz, BAföG, vor. Konkret geht es hier um die schnellere Öffnung der ausbildungsbegleitenden Hilfen auch für Geduldete. Sicherlich kennen Sie dieses Instrument. Grundsätzlich geht es darum, jungen Menschen beim Lernen unter die Arme zu greifen, etwa beim Erfassen von fachlichen Inhalten, beim Abbau sprachlicher Defizite oder in Form von sozialpädagogischer Hilfe. Sprache ist der Zugang zur Gesellschaft und zum Arbeitsmarkt. Deshalb gehören Sprachkurse zu den ersten Maßnahmen, um Ausbildung zu ermöglichen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Je schneller wir ausbilden und fördern, desto eher eröffnen wir Flüchtlingen die Chance auf Teilhabe und Eigenständigkeit. Wir brauchen diese Hilfen mehr denn je. Sie sind eine Chance für die Menschen, die bei uns Zuflucht und Perspektiven suchen. Sie sind aber auch eine gute Chance für uns als Einwanderungsland; denn gut ausgebildete Menschen sind unsere Zukunft. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Flüchtlinge. Wir wollen allen ausbildungswilligen Menschen in unserem Land die gleichen Chancen bieten. (Beifall bei der SPD) Dabei geht es nicht nur um das Nachholen von Schulabschlüssen. Es lohnt sich, das Bildungsniveau insgesamt zu stärken. Diese Idee sollten wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens diskutieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sich meine Betrachtung in dieser Rede auf die jetzige, außergewöhnliche Situation fokussiert hat, erlauben Sie mir noch einen grundsätzlichen Satz: Integration gelingt durch Bildung. Das gilt für diejenigen, die schon immer in unserem Land gelebt haben, gleichermaßen wie für die Menschen, die jetzt hinzukommen. Lassen Sie uns diese Chance nutzen. Wir haben heute Morgen gehört: Wir schaffen das. Aber wir haben heute Morgen auch gehört: Wir machen das. In diesem Sinne herzlichen Dank. Glückauf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Albert Stegemann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Albert Stegemann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Neben den schon genannten sehr wichtigen Punkten liegt mir ein Thema des Gesetzentwurfs besonders am Herzen, welches wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart haben, und zwar die Neugestaltung der Hofabgabeklausel. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffung statt Neugestaltung! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffung, Albert! Das ist ganz einfach!) Doch was verbirgt sich hinter diesem etwas sperrigen Begriff? Um gesetzliche Regelungen zu verstehen, ist es hin und wieder hilfreich, sich mit deren Entstehung auseinanderzusetzen. Warum hat man seinerzeit den Rentenbezug der Landwirte an die Abgabe des Hofes geknüpft? (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1957!) Als die Bundesregierung unter Konrad Adenauer 1957 das Alterssicherungssystem für Landwirte eingeführt hat, verfolgte sie damit zwei Ziele: Erstens. Ehemalige Landwirte sollten erstmalig im Alter eine im Umlageverfahren finanzierte Absicherung erhalten. Zweitens. Landwirtsfamilien sollten ermuntert werden, die Hofabgabe an die nachfolgende Generation zu vollziehen. Daher bekommen nur Landwirte eine Rente, die den Hof an in der Regel junge Betriebsleiter abgegeben haben. Diese sollen dadurch früh unternehmerische Verantwortung übernehmen können. Dem Gesetzgeber war also damals wie heute ein strukturelles Problem bewusst: Den Landwirten fällt es hin und wieder äußerst schwer, sich von ihrer Scholle zu trennen. Das ist verständlich; schließlich hat der Landwirt auf dieser sein Leben lang gewirtschaftet. Allerdings sind landwirtschaftliche Flächen begrenzt und für die landwirtschaftliche Tätigkeit unabdingbar. Zugleich ist es für Junglandwirte aber faktisch nicht möglich, ohne landwirtschaftliche Fläche unternehmerisch tätig zu werden. Ebendiese jungen, engagierten und gut ausgebildeten Landwirte braucht es aber. Sie haben neue Ideen und Impulse, um Fragen des Tierwohls, des Gewässerschutzes, aber auch Fragen der Akzeptanz in der Gesellschaft zu beantworten. Nicht zuletzt geht es auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft insgesamt. Sie sehen also: Mit dieser Intention war die Hofabgabe von Anfang an Voraussetzung für den Rentenbezug, und sie hat nie an Berechtigung verloren. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, hat sie!) So hat auch Dr. Mehl vom Thünen-Institut 2013 herausgearbeitet, dass nur 6,6 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsleiter in Deutschland älter als 65 Jahre sind. Im EU-Schnitt sind es mehr als viermal so viele, und in Italien ist sogar jeder dritte Landwirt über 65 Jahre alt. Die Hofabgabeklausel erzielt also weiterhin die positive agrostrukturelle Wirkung, die bei der Architektur der Alterssicherung der Landwirte neben der sozialen Sicherungsfunktion von Anfang an eine ganz erhebliche Rolle gespielt hat. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist die Trickserei auch mitgerechnet? Herr Ostendorff hat das beschrieben!) Gleichwohl fordert eine kleine, aber sehr lautstarke Gruppe die Abschaffung der Hofabgabeklausel. Sie begründet das damit, dass sie einen Anspruch auf diese Rente hätte und von der Politik getäuscht würde. Dabei gilt der Grundsatz „Rente nur nach Abgabe der unternehmerischen Verantwortung“ seit nunmehr knapp 60 Jahren. Dieses Vorgehen wurde immer wieder höchstrichterlich bestätigt. Die Klausel muss damit jedem Landwirt seit Beginn des Berufslebens klar gewesen sein. Übrigens erhalten die Landwirte im Ruhestand im Gegenzug zur Abgabe des Hofes gegenüber den Beitragszahlern der gesetzlichen Rentenversicherung je eingezahltem Euro eine um rund 10 Prozent höhere Rente. Dies ist gerechtfertigt, weil der Landwirt mit der Hofabgabe neben dem Erreichen der Regelaltersgrenze und der Erfüllung der Mindestwartezeit eine zusätzliche Bedingung erfüllen muss, um in den Rentenbezug zu kommen. Der Großteil derer, welche die Abschaffung der Hofabgabeklausel fordern, will daher schlicht die eigenen Rentenzahlungen maximieren. Es kann aber nicht Unionspolitik sein, eine solche von eigenen Interessen geleitete Forderung auf Kosten der Allgemeinheit zu goutieren. Deshalb lehnen wir dies ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kollege Ostendorff hat einen Vorschlag gemacht!) Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt Einzelfälle, bei denen die Hofabgabe schwerfällt. Gerade in strukturschwachen Regionen ist es nicht für jeden Landwirt einfach, einen Hofnachfolger zu finden. Betriebsleiter mit kleinen Betrieben bewirtschaften den Hof daher oftmals über die Regelaltersgrenze hinaus. Dann erhalten sie nach heutiger Rechtslage jedoch keine Zahlung aus der Alterssicherung der Landwirte, auf die sie gleichwohl angewiesen wären. Wir halten es für richtig, dass der Renteneintritt auch weiterhin im Grundansatz an die Übergabe des Hofes geknüpft ist. Die CDU/CSU steht aber an der Seite der Landwirte, für welche diese Regelung eine besondere soziale Härte bedeutet. Mit der Neugestaltung der Hofabgabeklausel wollen wir diesen Landwirten helfen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie höhlen sie total aus!) Wie sehen die konkreten Maßnahmen im vorliegenden Gesetzentwurf aus, über die wir heute beraten? Wir handeln nämlich nicht nur an einer Stelle, sondern gleich an mehreren Stellen. Zum Beispiel wurden die Rentenzahlungen an den Ehegatten bisher eingestellt, wenn dessen Ehepartner die Regelaltersgrenze erreicht, den Hof aber noch nicht abgegeben hat. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das betraf die Frauen in der Regel! Ihr habt gemerkt: Die Frauen sind gleichberechtigt!) Das wollen wir ändern, indem wir den Rentenanspruch des Ehegatten in diesem Fall erhalten. Damit schaffen wir einen Bestandsschutz für die Rente der Ehegatten. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine totale Diskriminierung der Frauen!) – Die jetzt abgeschafft wird. Sehr gut! Bisher dürfen Rentner nur wenig durch Weiterbewirtschaftung hinzuverdienen. Das wollen wir deutlich aufstocken, indem künftig mit knapp 8 Hektar viermal so viel Fläche wie bisher weiterbewirtschaftet werden darf. Zur Veranschaulichung: Diese Fläche entspricht ungefähr der Größe von elf Fußballfeldern. – Damit verbessern wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten der Landwirte. Flankierend ändern wir das Krankenversicherungsrecht, damit die Einkünfte aus den Hinzuverdienstmöglichkeiten nicht durch massiv ansteigende Krankenversicherungsbeiträge aufgezehrt werden. Ein weiterer Punkt: Bisher wurde eine spätere Inanspruchnahme der Rente nicht rentensteigernd gewürdigt. Wir wollen nun eine Regelung aus der gesetzlichen Rentenversicherung übernehmen, die eine spätere Inanspruchnahme der Rente honoriert. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Stück Gerechtigkeit! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Angleichung an die gesetzliche Rentenversicherung!) Damit machen wir den nächsten logischen Schritt in Richtung Flexirente. Bisher gab es nach § 21 Absatz 6 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte eine Regel zur Hofabgabe, die sogenannte Abgabefiktion durch Ermächtigung zur Veräußerung oder Verpachtung an eine öffentliche Stelle. So kompliziert, wie die Regelung klingt, ist sie auch. Folglich wurde diese Möglichkeit bisher kein einziges Mal genutzt. Sie ist schlicht nicht praktikabel, und deswegen schaffen wir sie ab. Damit leisten wir auch einen Beitrag zum Bürokratieabbau. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ferner soll künftig die Hofabgabe erfolgen können, indem das landwirtschaftliche Unternehmen in eine Gesellschaft eingebracht wird und der ehemalige Landwirt dort keine Vertretungsvollmacht hat. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch überfällig!) Sie sehen also: Mit diesen Vorschlägen werden die sozialen Härten in den Blick genommen und, wie ich finde, gute Lösungen gefunden. Ich bin mir sicher, dass wir, was dieses Thema anbelangt, zu einer Befriedung beitragen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden sicherlich auch künftig munter über die Hofabgabeklausel diskutieren. Wir müssen aber bei allem, was wir tun, darauf achten, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, dass Landwirte früh Verantwortung übernehmen können. Daher brauchen wir Rahmenbedingungen, mit denen jungen Menschen Verantwortung übertragen wird und die Landwirten einen guten Ruhestand ermöglichen, in dem sie stolz auf ihr Lebenswerk zurückschauen können, weil sie die ehemals von ihnen bewirtschafteten Flächen in guten Händen wissen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ursula Schulte, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ursula Schulte (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in erster Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. In diesem Zusammenhang steht auch die Hofabgabeklausel auf der Tagesordnung. Die Hofabgabeverpflichtung, wie es richtig heißen muss, ist eine der Kernvoraussetzungen für den Bezug einer Altersrente in der Landwirtschaft. Die Hofabgabe ist kein Thema, das vergnügungssteuerpflichtig ist; denn über den Sinn dieser Abgabe lässt sich trefflich streiten. Auch unter den Generationen ist man sich längst nicht immer einig. Unser sozialdemokratischer Anspruch lautet: Wer ein Leben lang in die Alterssicherung eingezahlt hat, hat am Ende auch ein Recht auf Rente. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so einfach ist das!) Wenn ich mit den vielen Gruppen, die mich aus dem Westmünsterland – durchaus landwirtschaftlich geprägt – in Berlin besuchen, über die Hofabgabeklausel diskutiere, ernte ich erstaunte Blicke und sehe in viele ungläubige Gesichter. Die Menschen können nicht nachvollziehen, dass der Bezug einer Regelaltersrente in der Landwirtschaft nur dann möglich ist, wenn man sein Unternehmen abgibt. Die Mehrzahl meiner Besucherinnen und Besucher empfindet das als zutiefst ungerecht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Damit bin ich bei den Kernfragen, die uns beschäftigen sollten, wenn wir über die Hofabgabeverpflichtung nachdenken. Wie können wir erstens soziale Härten bei den älteren Landwirten vermeiden? Wie schaffen wir es zweitens, junge Landwirte in ihrer persönlichen und unternehmerischen Entwicklung zu unterstützen? Drittens. Wie schaffen wir es, dass die Ehepartner in der Landwirtschaft sozial und vor allem eigenständig abgesichert werden? Das sind die Fragen, auf die wir in der Großen Koalition Antworten geben wollten. Ich denke, dass wir auch einige Antworten gefunden haben. Wir haben uns 2013 vorgenommen, die Hofabgabeklausel neu zu gestalten. Immer wieder ist es seit Gründung der landwirtschaftlichen Alterssicherung zur Novellierung und damit auch zur Aushöhlung dieser Klausel gekommen. Deswegen sage ich an dieser Stelle, dass ich persönlich – ich denke, ich darf das auch im Namen der SPD-Fraktion sagen – die Hofabgabeklausel für nicht mehr zeitgemäß halte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie sehen nun die geplanten Veränderungen bei der Hofabgabeverpflichtung aus? In der Koalition haben wir miteinander vereinbart, den rentenunschädlichen Rückbehalt auf 99 Prozent der Mindestgröße anzuheben. Somit kann der Landwirt neben seiner Rente eine landwirtschaftliche Fläche unterhalb der zur Versicherungspflicht führenden Mindestgröße behalten. Das sind immerhin 8 Hektar, wie Sie gerade ausgeführt haben, Herr Stegemann. Flankiert wird diese Maßnahme durch eine Änderung im Recht der Krankenversicherung. Bezieher einer Rente sollen pflichtversichert bleiben können, sofern sie unterhalb dieser betrieblichen Mindestgröße liegen. Wir haben auch eine Anpassung der Alterssicherung für Landwirte an die Regelung der gesetzlichen Rentenversicherung miteinander verabredet. Ganz wichtig: Wir haben die rentenrechtliche Stellung der Ehegatten verbessert; denn die derzeitige Rechtslage führt doch zu einer eklatanten Benachteiligung der Ehepartner. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Eine jüngere Fiktivlandwirtin – das ist die Ehefrau eines Landwirts ohne eigene Flächen – wird nach dem Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, zukünftig auch dann einen Rentenanspruch haben, wenn ihr Ehemann trotz Erreichens der Regelaltersgrenze den Betrieb nicht abgibt. Damit haben wir, wie ich finde, eine entscheidende Verbesserung für die Bäuerinnen erreicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Die eben genannten drei Punkte – die Erhöhung der Rückbehaltsfläche, die Honorierung verkürzter Rentenlaufzeiten und die Verbesserung der Absicherung der Ehepartner – sind die zentralen Bestandteile des nun vorliegenden Gesetzentwurfs. Ergänzung erfahren diese Punkte durch die Tatsache, dass der landwirtschaftliche Unternehmer seinen Betrieb nun einfacher in eine neue Gesellschaft überführen kann. Sicherlich bleiben bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf noch viele Wünsche offen. Aber wir stehen erst am Anfang des parlamentarischen Verfahrens. Wie uns die Erfahrung lehrt, kommt kein Gesetz so aus dem Bundestag, wie es eingebracht wurde. Die SPD will eine moderne Agrarpolitik, verbunden mit einer innovativen Sozialpolitik. Vor allen Dingen wollen wir eine Landwirtschaft, die von der Gesellschaft akzeptiert wird. Dazu ist die Novellierung der Hofabgabeklausel ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Die SPD-Fraktion hätte sicherlich mit diesem Gesetzentwurf auch gleich die Abschaffung der Hofabgabeklausel beschließen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber unser Koalitionspartner hält an der Übergabe des Hofes bei Renteneintritt fest. Schade, schade, schade! Aber ich bin mir sicher: Was nicht ist, kann noch werden. Danke, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hätten euch aber unterstützt!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6284 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 13. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen Drucksachen 18/2870, 18/4512 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Kai Gehring, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bund-Länder-Aktionsplan „Studentisches Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur“ auflegen Drucksache 18/6336 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte, die Plätze einzunehmen und die Gespräche zu beenden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über zwei Anträge der Opposition, in denen etwas gefordert wird, was wir als Große Koalition bereits umsetzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wie immer bei Anträgen der Opposition ist es so, dass ungefähr das Doppelte von dem gefordert wird, was wir machen. Da denke ich zum Beispiel an die soziale Wohnraumförderung. Ich kann mich erinnern, dass vor einem Jahr die Opposition gefordert hat, wir müssten die soziale Wohnraumförderung mindestens verdoppeln. Jetzt, da wir sie verdoppeln, reicht das nicht aus, und sie muss mindestens versechsfacht werden. So ist das Geschäft der Opposition. Die SPD-Bundestagsfraktion wie die Große Koalition hat auf das Thema „bezahlbares Wohnen“ einen großen Schwerpunkt gelegt. Wir haben das nicht nur in den Koalitionsvertrag geschrieben, sondern wir haben auch gehandelt. Dies kommt insbesondere den Studierenden in den Hochschulstädten zugute. Mittlerweile sind die Wohnungsmärkte in 40 von etwa 80 Hochschulstädten angespannt, wodurch dringender Handlungsbedarf besteht. Auch Studierende müssen bezahlbaren Wohnraum vorfinden, und wir leisten dazu einen großen Beitrag. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben die Mietpreisbremse umgesetzt, (Beifall bei der SPD) die dazu führt, dass bei Wiedervermietung die Mieten nicht mehr in dem Maße wie zuvor ansteigen. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist ja eine Schimäre!) Wir haben umgesetzt, dass ein marktwirtschaftliches Prinzip wieder gilt, nämlich: Wer bestellt, bezahlt auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Maklergebühr war ein Ärgernis für viele Studierende, die das Zweieinhalbfache der Monatsmiete zahlen mussten, wenn sie sich selber eine Wohnung gesucht haben und so abgezockt worden sind. Das ist seit Sommer dieses Jahres vorbei. (Beifall bei der SPD) Wir haben im Rahmen der BAföG-Reform den Zuschuss deutlich erhöht, (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist keine BAföG-Reform!) um den Wohnraum von Studierenden zu finanzieren. Wir haben vor wenigen Monaten in diesem Haus die Wohngeldreform beschlossen. Über 40 Prozent steigen die Ausgaben des Bundes für das Wohngeld. Auch das kommt Studierenden zugute. (Beifall bei der SPD) Wir haben die Mittel für die soziale Wohnraumförderung verdoppelt. Das ist eigentlich Aufgabe der Länder, so wie die Bereitstellung von Wohnraum für Studierende eigentlich auch Aufgabe der Länder wäre. Wir unterstützen jetzt die Bestrebungen der Länder, indem wir nicht nur 500 Millionen Euro im Jahr, sondern 1 Milliarde Euro pro Jahr für soziale Wohnraumförderung ausgeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angespannte Wohnungsmärkte bekommen wir nicht in den Griff, indem wir nur den mietrechtlichen Schutz verbessern. Wir bekommen sie nur dann in den Griff, wenn wir zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum vor Ort schaffen. Deswegen ist es richtig, dass wir neben der Förderung des sozialen Wohnungsbaus auch die Liegenschaften des Bundes verbilligt abgeben; denn so kann soziale Wohnraumförderung auch von den Kommunen, von Genossenschaften und von Baugesellschaften vor Ort geleistet werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das führt dazu, dass es zu einer Entspannung auf den Wohnungsmärkten kommt. Wir wollen zusätzlich steuerliche Anreize schaffen, um neben der öffentlich geförderten Wohnraumfürsorge die Bereitstellung von Wohnraum durch Private zu fördern, insbesondere in angespannten Wohnungsmärkten, und zwar über verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten, damit mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Auch das ist wichtig für die Studierenden. Wir haben als Große Koalition beschlossen, dass wir, obwohl der Bund für die soziale Wohnraumförderung nicht mehr zuständig ist, etwas machen, was den Studierenden ganz besonders zugutekommt. Wir werden nämlich in Modellvorhaben für experimentelles Bauen 120 Millionen Euro ausgeben, um neue Konzepte auszuprobieren, die eine Leuchtturmfunktion für den studentischen Wohnungsbau in der ganzen Republik haben sollen. Ich war gerade mit dem Kollegen Mindrup in Berlin unterwegs, um mir ein Projekt zur Planung von Mikrowohnungen anzuschauen. Auch in anderen europäischen Städten kann man besichtigen, wie heute mit intelligenten Lösungen auf formal geringem Wohnraum von vielleicht nur 16 Quadratmetern ganz tolle Wohnsituationen geschaffen werden. So kann man Studierenden und Auszubildenden bezahlbares Wohnen ermöglichen. Wir wollen neues nachhaltiges Bauen ausprobieren. Wer weiß denn, ob in 15 Jahren die Studierendenzahlen noch so hoch sind? Warum soll man Gebäude nicht so gestalten, dass sie künftig auch anderweitig nutzbar sind? Wenn wir an den Zuzug von Flüchtlingen denken: Warum sollen Wohnraumgrößen nicht verändert werden? Warum soll eine Durchmischung von Wohnraum nicht schon jetzt eingeplant werden? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir reden in Umweltdebatten immer davon, dass wir das 30-Hektar-Ziel einhalten sollen. Was heißt das in der konkreten Umsetzung des Vorhabens, mehr Wohnraum zu schaffen? Das heißt doch, dass die Städte nicht mehr in die Breite, sondern in die Höhe wachsen müssen. Intelligente und nachhaltige Nachverdichtung, das ist eine der Aufgaben, die wir in unserem Modellvorhaben für experimentelles Bauen für Studierende und Auszubildende einfordern. Ich denke nur an die Universität Regensburg, an der ich in den 70er-Jahren studiert habe, ein Flachbau. Das führt mich zu einer anderen Idee: Würde man zum Beispiel darauf in Holzbauweise Studierendenwohnungen schaffen, (Ulli Nissen [SPD]: Super Idee!) dann könnten die Studierenden in der Früh auch länger schlafen. Es wäre mir sehr entgegengekommen und hätte meine Noten nachhaltig verbessert, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) wenn ich eine solche Möglichkeit zu meinen Universitätszeiten gehabt hätte. Unabhängig davon gibt es direkt neben der Universität riesige Parkplätze. Warum sollte dort nicht in Holzständerbauweise neuer Wohnraum geschaffen werden? Die Parkplätze blieben erhalten. Trotzdem gäbe es eine intelligente Nachverdichtung, die übrigens auch dazu führt, dass studentischer Wohnraum billiger wird. Der Boden gehört ja schon der öffentlichen Hand. Man hätte 20 bis 25 Prozent weniger Baukosten. Gegenstand des Modellvorhabens ist auch, besonders günstiges, aber hochwertiges Bauen zu fördern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir schaffen Leuchtturmprojekte für den studentischen Wohnungsbau der Zukunft. 120 Millionen Euro werden wir dafür in die Hand nehmen. Das ist wirklich ein gutes Zeichen. In der SPD, in der Großen Koalition ist das Thema „bezahlbares Wohnen auch für Studierende“ in den besten Händen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute nicht zum ersten Mal über die großen Probleme von Studierenden, eine Wohnung, und zwar eine bezahlbare Wohnung, zu finden. Ehrlich gesagt, durch besonders großen Tatendrang ist die Regierung eigentlich nicht aufgefallen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber ich kann Ihnen versprechen: Die Linke und die gesamte Opposition werden dafür sorgen, dass dieses Thema zu Semesterbeginn immer wieder auf der Tagesordnung steht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch!) Die neuesten Zahlen zu diesem Semester sind noch schlimmer als die letzten. Mittlerweile zahlen Studierende in München für ein WG-Zimmer weit über 500 Euro. Die Zahl der Hochschulstandorte mit einem sogenannten angespannten Wohnungsmarkt ist im letzten Jahr noch einmal angewachsen. Das heißt, die Studierenden werden auch in diesem Herbst wieder in Turnhallen, Zelten oder Containern unterkommen müssen. Wenn hier nicht bald etwas passiert, werden die Studierenden nicht mehr über die Runden kommen, selbst wenn sie das BAföG zweimal beantragen könnten. Zwar wurde jetzt von der Großen Koalition das Programm „Modellvorhaben nachhaltiges Wohnen für Studenten und Auszubildende“ ins Leben gerufen – Sie haben es gerade erwähnt –; aber das wird dem Bedarf nicht einmal im Ansatz gerecht. Es hat auch bis jetzt, ehrlich gesagt, noch nicht ein einziges zusätzliches Zimmer geschaffen. Das ist schlicht fahrlässig; denn in der nächsten Zeit kann sich die Wohnsituation noch einmal zuspitzen. Wir alle wissen, wie viele Menschen gerade aus Not und Elend bei uns ankommen. Es ist höchste Zeit, dass nicht nur die Hochschulen konsequent für die jungen Zugewanderten geöffnet werden, sondern dass auch die soziale Infrastruktur so auf Vordermann gebracht wird, dass junge Menschen, egal ob aus Deutschland, aus Syrien oder Albanien, auch in München oder Köln studieren können und nicht an unbezahlbaren Mietkosten scheitern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die Situation nicht nur für Studierende, sondern auch für die Mieterinnen und Mieter allgemein zu verbessern, damit die Studierenden, die ja für ihr Studium oft mehrfach umziehen müssen, nicht auch noch die ohnehin angespannte Situation auf dem allgemeinen Mietmarkt verschärfen, weil der Vermieter die Miete bei jeder Neuvermietung noch einmal erhöht. Das ist das eigentliche Problem. Da greift Ihre sogenannte Mietpreisbremse, die Sie gerade angesprochen haben, eben nicht. Die Linke schlägt ein Bund-Länder-Programm vor, um innerhalb der nächsten vier Jahre 45 000 neue Wohnheimplätze in Trägerschaft der Studentenwerke fertigzustellen und um endlich wieder eine bundesweite Versorgungsquote von 15 Prozent der Studierenden mit Wohnheimplätzen zu gewährleisten. (Beifall bei der LINKEN) Solche öffentlich geförderten Maßnahmen hätten übrigens auch enorme Entspannungseffekte auf den allgemeinen Miet- und Wohnungsmarkt. Der hat das wirklich mehr als nötig, weil die Große Koalition offensichtlich keine adäquate Antwort darauf hat, dass die Zahl der Sozialwohnungen Jahr für Jahr um Zehntausende zusammenschrumpft, weil öffentlich geförderte Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen und dann profitorientiert und zu deutlich höheren Preisen vermietet werden. Diesem Problem ist nicht ohne einen Neustart des sozialen Wohnungsbaus aus öffentlichen Mitteln und ohne eine Mietpreisbremse, die diesen Namen auch verdient, die endlich Schluss macht mit Mieterhöhungen bei Neuvermietungen, beizukommen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Linke will – das wiederhole ich gerne so lange, bis es auch bei der Regierung ankommt –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann dauern!) dass die Wohnkostenpauschale im BAföG wenigstens an die durchschnittlichen Mietkosten und dann dynamisch an die Steigerungsraten angepasst wird. Ich finde, es ist wirklich peinlich, sich derart wie die Bundesregierung für eine BAföG-Erhöhung abzufeiern, die schon weit unter dem Bedarf liegt, noch bevor sie überhaupt in Kraft tritt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen, verantwortlich ist man bekanntermaßen nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut. Fangen Sie endlich an, zu handeln, und lassen Sie nicht auch noch die Wahl des Studienorts zu einer sozialen Frage werden! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sylvia Jörrißen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sylvia Jörrißen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor ziemlich exakt einem Jahr, am 17. Oktober 2014, haben wir den Antrag der Linken in erster Lesung beraten. Wir sprechen also heute über etwas, was eigentlich gar nicht mehr aktuell ist. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wir können Zahlen draufsatteln! Das ist kein Problem!) Trotzdem ist es wichtig, dass wir darüber sprechen. Die Situation am Wohnungsmarkt ist an einigen Studienorten schwierig. Um das zu erkennen, haben wir Ihren Antrag nicht gebraucht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprechen Sie doch zum Grünen-Antrag! Der ist doch toller! – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Christian Haase [CDU/CSU]: Das ist sehr subjektiv!) Eine Wohnung am Studienort und eine gesicherte Studienfinanzierung sind Voraussetzungen für die Aufnahme eines Studiums. (Zuruf von der SPD: Gesundes Selbstbewusstsein bei den Kolleginnen und Kollegen!) – Ja. – Wir wissen, dass die Lage angespannt ist. Gerade dort, wo das bereits der Fall ist, wird sie durch den Zustrom der Flüchtlinge noch angespannter. Die Große Koalition arbeitet sehr erfolgreich an diesem Problem. Das Wohnen hat für uns eine ganz besondere Schlüsselrolle. Meine Damen und Herren, wir haben im letzten Jahr vieles umgesetzt. Ich möchte gar nicht mehr im Detail auf die Einzelheiten eingehen, wir haben das oft genug hier im Plenum debattiert. Ich erinnere nur an die Erhöhung des BAföG-Regelsatzes. Der Wohnkostenanteil darin ist überproportional erhöht worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, der liegt nun im Schnitt ungefähr 100 Euro unter dem, was Studenten an Miete zahlen!) Ich erinnere an die Einführung des Bestellerprinzips im Mietrecht. Das erspart den Studenten bares Geld, da sie in aller Regel keine Maklercourtage mehr zu tragen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich erinnere auch an die Einführung der Mietpreisbremse. Aber so, wie die Linken und auch die Grünen sie fordern, nämlich auch für Neubauten, wäre sie kontraproduktiv, da sie dann zur Investitionsbremse würde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, obwohl die Zuständigkeit für die Wohnraumförderung bei den Ländern liegt, übernimmt die unionsgeführte Bundesregierung hier Verantwortung. Mit dem Programm „Modellvorhaben nachhaltiges Wohnen für Studenten und Auszubildende“ werden 120 Millionen Euro für innovative und neue Konzepte bereitgestellt. Wir wissen, es muss jetzt schnell und unkompliziert Wohnraum geschaffen werden. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Deshalb liegt der Förderschwerpunkt bei Konzepten mit einer verkürzten Bauzeit, bei Konzepten mit einer flexiblen Nutzbarkeit und bei Konzepten, die eine Einbindung in das städtische Umfeld ermöglichen; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) denn dort, wo Wohnraum knapp ist, sind auch Grund und Boden knapp. Unser Staatssekretär hat gerade vieles zu dem Programm gesagt. Lieber Herr Pronold, ich vertraue ganz darauf, dass Sie dieses Programm jetzt auch schnell an den Start bringen. (Ulli Nissen [SPD]: Da können Sie sicher sein!) Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dieses Programm allein nicht reicht. Deshalb haben wir die Mittel für die soziale Wohnraumförderung, die wir den Ländern zur Verfügung stellen, für die Jahre 2016 bis 2019 auf über 1 Milliarde Euro aufgestockt und damit rund verdoppelt. Ihr Antrag verkennt unser föderales System. Auch wir wünschen uns eine zweckgebundene Verwendung dieser Mittel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist in der Vergangenheit in vielen Ländern nicht erfolgt. Die Länder haben dies nunmehr zugesagt und wollen endlich ihrer Verantwortung nachkommen. Wir müssen ein strenges Auge darauf richten, dass dies tatsächlich auch so umgesetzt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt zu sprechen kommen, und zwar den Umgang mit den bundeseigenen Liegenschaften. Wir lassen unsere Städte und Kommunen nicht im Regen stehen. Im Nachtragshaushalt ist vereinbart, dass die BImA solche Liegenschaften, die für die Schaffung von sozialem oder studentischem Wohnraum genutzt werden, zu vergünstigten Konditionen an die Kommunen abgibt. Für Umplanungen von leerstehenden Kasernen gibt es bereits heute erfolgreiche Beispiele, so in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen in der Studentenstadt Münster mit der York-Kaserne und der Oxford-Kaserne. Meine Damen und Herren, die Herausforderungen im Bereich des studentischen Wohnens und der Schaffung bezahlbaren Wohnraums allgemein können nur gemeinsam geschultert werden. Wir alle sind verpflichtet, an dieser Aufgabe mitzuwirken: der Bund, die Länder, die Kommunen, aber auch private Investoren. (Volkmar Vogel (Kleinsaara) [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Hierfür müssen noch zusätzliche Anreize geschaffen werden, zum Beispiel steuerliche. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Herr Pronold, ich fand es wirklich sehr amüsant, Ihre Aufzählung dessen, was diese Regierung alles macht, zu hören; aber der Mieterbund hat heute eine Pressemitteilung herausgegeben und gesagt: Die Politik in Deutschland befindet sich angesichts der angespannten Lage auf den Wohnungsmärkten im Schlaf. – Ich sage Ihnen: Diese Regierung befindet sich immer noch im Schlaf. Ich werde es in der Rede nachweisen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Regierung befindet sich im Schlaf und braucht jemanden, der sie aufweckt. Ich sage Ihnen: Diese Debatte hier hat sie ein Stück weit aufgeweckt. Deswegen ist es gut, dass diese Debatte beantragt worden ist und dass wir sie auch führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben eine brutal angespannte Wohnungsmarktsituation in den Hochschulstädten. In meiner Heimatstadt Tübingen sind die Mieten in sieben Jahren um 22 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist deutschlandweit die Studierendenzahl um 700 000 gestiegen. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sag das mal dem grünen OB!) Diese Aufgabe können eben die Universitätsstädte selber nicht mehr stemmen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen braucht es Bundesmittel. Deswegen war es so wichtig, dass wir bereits letztes Jahr ein Bundesprogramm für Wohnungsbau thematisiert haben. Dadurch sind Sie überhaupt erst auf die Idee gekommen, ein Programm aufzulegen. Wir als Opposition empfinden es als einen großen Erfolg, dass Sie 120 Millionen Euro für ein Wohnheimprogramm in Deutschland lockergemacht haben. (Klaus Mindrup [SPD]: Wir auch!) Es fehlen aber immer noch 25 000 Wohnheimplätze. Deswegen reicht es nicht, was Sie hier machen. Es reicht auch nicht aus, die soziale Wohnraumförderung auf 1 Milliarde Euro zu erhöhen. Der Städte- und Gemeindebund selbst sagt, dass wir 2 Milliarden Euro brauchen, der Mieterbund auch. Wenn ich das, was Frau Barbara Hendricks heute Mittag gesagt hat, richtig verstanden habe, dann ist es ja wohl so, dass sie selbst nicht glaubt, dass die derzeitigen Mittel für die historische Herausforderung, vor der wir auf den Wohnungsmärkten stehen, ausreicht. Deswegen: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Da stehen nämlich 2 Milliarden Euro drin. Dann bekommen wir die Lage auch besser in den Griff. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Jörrißen, die Mietpreisbremse, für die Sie sich hier jetzt loben, haben Sie von der Union verzögert und am Ende durchlöchert, und sie kam viel zu spät. Wenn wir sie ein Jahr vorher bekommen hätten, wenn Sie sie in den ersten 100 Tagen der Regierungszeit umgesetzt hätten, wären wir heute schon ein deutliches Stück weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Gleiche gilt für die Liegenschaftspolitik. Warum ist es denn erst heute möglich, dass bei Vorliegen des Kriteriums „sozialer Wohnungsbau“ Bundesliegenschaften verbilligt abgegeben werden können? Das liegt doch daran, dass sich die Union jahrelang bei dem Thema Bundesliegenschaften gesperrt hat und es erst jetzt möglich gemacht hat. Wenn wir das früher gemacht hätten, hätten wir in den letzten Jahren deutlich mehr Wohnheimplätze, aber auch mehr sozialen Wohnungsbau in die Städte gebracht. Es ist ein Skandal, dass Sie das so lange verhindert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu, dass Sie sich hier für die Erhöhung des BAföG loben, ist zu sagen: Es ist eine Erhöhung, aber es ist eine Erhöhung, die nicht reicht, und sie ist auch nicht intelligent. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sie kommt erst nächstes Jahr!) Letztlich haben Sie nämlich bei der BAföG-Mietkostenpauschale keine regionale Staffelung eingeführt. Beim Wohngeld gibt es eine Staffelung, beim BAföG nicht. Das passt systematisch nicht zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es handelt sich eben nicht um eine zielgenaue Antwort auf die Situation der Studierenden in den Hochschulstädten. Ich fordere Sie auf: Ändern Sie das! Es ist nämlich wohnungspolitisch höchst problematisch, was Sie da machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ganz toll finde ich an dieser GroKo, dass Sie sich für Dinge loben, die Sie noch gar nicht gemacht haben, (Zuruf von der CDU/CSU: So gut sind wir!) für die Sie noch nicht einmal einen Haushaltsbeschluss haben, für die Sie sozusagen höchstens der Presse Sprechblasen geben. (Ulli Nissen [SPD]: Was? Sprechblasen?) Das betrifft beispielsweise die steuerliche Förderung und die AfA. Ich sage Ihnen: Das werden Sie nicht hinkriegen. – Und Sie kriegen das deswegen nicht hin, weil Sie sich mit Ihrem Finanzministerium gar nicht einig sind. Deswegen steht auch in dem gemeinsamen Beschluss von Ministerpräsidenten und Kanzlerin nicht „steuerliche Abschreibungen“ oder „steuerliche Anreize“ drin, sondern da steht nur noch „Anreize“ drin. (Ulli Nissen [SPD]: Das ist umschrieben! – Zuruf von der LINKEN: Aha!) Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das wirklich hinbekommen, was Sie hier versprechen. Ich finde, man sollte nur Dinge versprechen, die man am Ende auch wirklich halten kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Groß [SPD]: Das machen wir!) Zum Schluss will ich sagen: Die Hochschulstädte sind ein Brennglas für die wohnungspolitische Entwicklung in Deutschland. Wir sehen ja, wie die Wohnungsmärkte aus dem Ruder geraten sind. Die Instrumente, die wir heute alle miteinander versprechen, reichen nicht aus. (Klaus Mindrup [SPD]: Völlig richtig!) Wir brauchen eine neue Systematik, wir brauchen eine neue Idee. Ich glaube, dass wir alle miteinander über eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit sprechen sollten und diese möglichst in dieser Legislaturperiode umsetzen sollten. Wir stehen nämlich vor einer historischen Aufgabe. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Yvonne Magwas, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Yvonne Magwas (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Debatte greifen wir erneut ein aktuelles Thema auf. Wir wissen, Anfang der Woche hat in vielen Bundesländern das Wintersemester begonnen. Das heißt auch, dass immer mehr junge Menschen in den Unistädten eine Unterkunft benötigen. Besonders beliebt sind Hamburg, Berlin, München. (Michaela Engelmeier [SPD]: Frankfurt!) Das verschärft die Situation auf den dort ohnehin angespannten Wohnungsmärkten noch weiter. Das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ ist uns nicht nur hinreichend bekannt, wir reagieren bereits seit Beginn der Legislaturperiode darauf. Natürlich sind besonders Studierende auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen. Doch es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir uns nur auf das Wohnen von Studierenden konzentrieren würden; denn wir alle wissen: Junge Familien, Rentner oder auch Flüchtlinge benötigen bezahlbaren Wohnraum. (Zuruf von der LINKEN: Ach was!) Deshalb gibt es auch das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen, und wir freuen uns schon, lieber Florian Pronold, auf die ersten Ergebnisse, die in den nächsten Wochen präsentiert werden sollen. (Christian Kühn (Tübingen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! Wir sind einmal gespannt, was da wirklich kommt! Wir glauben nämlich, da kommt nicht wirklich etwas raus! – Gegenruf des Abgeordneten Klaus Mindrup [SPD]: Mehr Optimismus, Christian!) Diese sind sicherlich vielschichtiger als das, was die Linken und die Grünen uns anbieten, (Christian Haase [CDU/CSU]: Noch sind sie nicht regierungsfähig!) nämlich den Wohnungsneubau vor allem staatlich zu finanzieren und staatlich zu steuern. Damit bestätigen Sie erneut, meine Damen und Herren von den Linken, dass Sie kein Verhältnis zum Steuergeld und zu generationengerechter Politik haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Union! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber obdachlose Studierende als eine schwarze Null! Das ist unglaublich!) Zukunftsgerichtete Politik sieht für uns anders aus. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wie denn? – Gegenruf der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Vor allen Dingen optimistisch!) Wir wollen unseren Kindern Chancen statt Schulden vererben. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit der Föderalismusreform tragen die Länder die Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung. Das wollten sie auch so. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wenn es nicht klappt, ist es blöd, nicht?) Damit sind auch die Länder für die Bereitstellung von ausreichend bezahlbarem Wohnraum, also auch für die Studierenden, zuständig. Aber die Länder müssen die übertragene Verantwortung auch übernehmen, und sie müssen die ihnen übertragene Verantwortung auch wirklich ernst nehmen. Aber mit Ausnahme von ein oder zwei Positivbeispielen ist das leider nicht der Fall. Die Länder verwenden die Mittel nicht, wie wir uns das wünschen, und nicht, wie sie es müssten. Die Verdoppelung der sozialen Wohnraumförderung auf 1 Milliarde Euro pro Jahr, die wir heute Morgen beschlossen haben, war – meine Vorredner haben das schon öfter gesagt – ein Meilenstein. Das ist ein starkes Zeichen für die soziale Wohnraumförderung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir als Union hätten uns gewünscht, dass die Länder künftig jährlich Bericht ablegen müssen, ob sie das Geld auch tatsächlich zweckgebunden einsetzen. (Ulli Nissen [SPD]: Frau Magwas, da können wir doch gemeinsam was dran ändern!) – Frau Nissen, wir bleiben dran, und wir appellieren auch ein weiteres Mal an die Länder, die Mittel endlich zielgerichtet dafür aufzuwenden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, anders als die Linken sind wir uns darüber im Klaren, dass staatliche Wohnraumförderung allein den Bedarf nicht decken kann. Darüber waren sich gestern im Übrigen auch die Experten im Fachgespräch zu den Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt einig, und zwar vom Mieterbund bis hin zum BFW. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat beschlossen, dass es dringend Anreize für private Investitionen in den Wohnungsbau geben muss. Steuerliche Anreize wären in der derzeitigen Situation ein starkes Zeichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung muss deshalb mit allen beteiligten Ressorts den Beschluss nun auch endlich umsetzen. Unsere Unterstützung haben sie dafür. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Mit anderen Forderungen, meine Damen und Herren von den Linken, schießen Sie deutlich über das Ziel hinaus, zum Beispiel mit der flächendeckenden Mietpreisbremse. Wir haben sie so ausgestaltet, dass zum einen Mieter entlastet werden, zum anderen aber auch der Bau von neuen Wohnungen ermöglicht und in den Bau von neuen Wohnungen investiert wird. (Volkmar Vogel (Kleinsaara) [CDU/CSU]: Die flächendeckende Mitpreisbremse hat zum Untergang der DDR beitragen!) Denn wir wissen: Der beste Mieterschutz, egal ob für Flüchtlinge, für Studierende oder auch für junge Familien, ist immer noch der Bau von neuen Wohnungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie dagegen, meine Damen und Herren von den Linken, fordern eine Investitionsbremse. So ist es. Daher kann man abschließend wieder einmal sagen: ein typischer Antrag der Opposition; denn Sie müssen die Milliardenforderungen ja auch nicht umsetzen. Wir dagegen stehen für eine ausgewogene und nachhaltige Wohnungs- und Finanzpolitik. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der Linken heute auch ab. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit beenden wir die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4512, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2870 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 3. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6336 mit dem Titel „Bund-Länder-Aktionsplan ‚Studentisches Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur‘ auflegen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie Drucksache 18/6283 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. 8 Dann kommen wir zur Überweisung. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6283 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es von Ihrer Seite dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen Drucksache 18/4329 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit (f) Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aussage unseres Antrages ist eigentlich ganz einfach: Sport und Wohnen sollen in räumlicher Nähe miteinander vereinbar sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider ist das unter den gegebenen Bedingungen in einigen Regionen Deutschlands nicht so einfach möglich; denn die Rechtslage in Bezug auf die Lärmschutzverordnung bei Sportstätten ist veraltet, uneinheitlich und undeutlich. Das Ergebnis sind verfallene Sportplätze oder Sportanlagen, die zu weit außerhalb liegen. Der DOSB beziffert den Investitionsstau bei Sportstätten im Breiten- und Spitzensport auf 42 Milliarden Euro. Dabei ist es nicht so, dass hier keiner handeln will. Selbst wenn Kommunen die Mittel aufbringen könnten, um die Sportanlagen auf Vordermann zu bringen, müssen sie befürchten, die Standorte gleich ganz zu verlieren. Am Ende also gibt es entweder moderne Sportplätze in Randlage oder wenig genutzte ältere Sportanlagen vor der eigenen Haustür. Beispiel Altanlagenbonus: Wenn sich ein Sportverein eine Sanierung seiner Sportstätte wünscht, die auch neuesten Umweltstandards genügt, dann läuft er Gefahr, dass die Genehmigung für den gesamten Betrieb auf den Prüfstand kommt. Das ist in mehrerlei Hinsicht absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Derzeit befinden wir uns in einer Grauzone. Es ist nie sicher, ab wann ein Umbau zum Wegfall des Bestandsschutzes führt. Wir fordern deshalb eine bundesweite Regelung, die endlich Klarheit schafft und es erlaubt, ökologische Verträglichkeit auch in der Stadt sicherzustellen. Ein weiterer Punkt ist die Privilegierung von Kinderlärm. Wir erinnern uns: In der letzten Wahlperiode haben wir erst klargestellt, dass Kinder natürlich den ganzen Tag auf dem Spielplatz spielen können. Aber warum sollte das bei Sportplätzen anders sein? Wir sind uns doch alle einig: Kinder und Jugendliche brauchen Bewegung, sie sollen Sport treiben und sich austoben dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Das Robert-Koch-Institut hat in einer 2014 erschienenen Studie herausgestellt, dass zwar gut drei Viertel aller Kinder und Jugendlichen regelmäßig Sport treiben und sich ausreichend bewegen, gleichzeitig aber sind nach den aktuell vorliegenden Zahlen 1,9 Millionen Kinder zwischen 3 und 17 Jahren in Deutschland übergewichtig. Das entspricht 15 Prozent. Ich sage nicht, dass das an der Lärmschutzverordnung liegt, aber wir sollten frühzeitig an den Stellschrauben drehen. Die Lärmschutzverordnung ist eine solche Stellschraube. Wenn es keinen geeigneten Sportplatz vor der Tür gibt, dann gibt es auch weniger Anreiz, vor die Tür zu gehen und Sport zu treiben. Natürlich gibt es zwei Seiten der Medaille. Die Anwohnerinnen und Anwohner haben selbstverständlich ein Recht auf Ruhe. Daher lautet unsere Forderung nicht einfach „Sport frei, und der Rest schert uns nicht“. Man muss schon unterscheiden, ob der Sportlärm von Kindern und Jugendlichen kommt, die ihre Freizeit aktiv gestalten wollen, oder von den Sportereignissen mit einem weitaus höheren Zuschaueraufkommen. Anlagen, in denen solche Veranstaltungen stattfinden, sollen gegebenenfalls zu den genehmigungsbedürftigen Anlagen gezählt werden. Für alle Beteiligten ist es zudem sinnvoll, einheitliche Prüfmethoden zu wählen. Auch dies ist bisher nicht geregelt. Das Bundesumweltministerium hatte bereits Anfang des Jahres im Sportausschuss angekündigt, dass hier etwas geändert werden soll. Bis heute ist noch nichts passiert. Warum beseitigen Sie nicht diesen Flickenteppich kommunaler Einzelregelungen und schaffen eine verlässliche gesetzliche Grundlage, die den heutigen Bedürfnissen und Anforderungen entspricht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unser Antrag soll eine Anregung sein, damit wir noch in dieser Wahlperiode endlich einer Lösung näher kommen. Ich denke, das ist in unser aller Interesse. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Karsten Möring. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Karsten Möring (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Vertreter der Vereine, die hier im Raum sein mögen! Lassen Sie mich mit einem Kompliment an die Grünen beginnen: (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Die Grünen verstehen es immer wieder, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen und damit den Eindruck zu erwecken, sie hätten ihn angeschoben oder säßen gar in der Lokomotive. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr vergiftetes Lob können Sie behalten!) Das ist auch bei diesem Antrag der Fall. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Glück! Wenn wir Sie nicht hätten!) Denn wir wissen ja alle, dass der Diskussionsprozess, der dem zugrunde liegt, schon seit einiger Zeit anhält. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass ich mich freuen würde, wenn das Ministerium alsbald seine eigenen Vorstellungen einbringen würde. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie also doch noch nicht so weit! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen wir denn? Antreiber sind wir! – Gegenruf von der CDU/CSU: Seid doch nicht so aggressiv! Ein bisschen friedlich!) – Ob Anschieber oder Antreiber, werden wir sehen. (Volkmar Vogel (Kleinsaara) [CDU/CSU]: Karsten, alles richtig gemacht!) – Ja, genau. Ich wundere mich ein bisschen über die Bereitschaft der Grünen, die in diesem Antrag zum Ausdruck kommt, Umweltstandards im Sinne eines Interessenausgleichs zu reduzieren, indem sie sagen: Wir müssen die Interessen zusammenbringen. – Bei anderen Themen würde ich mir bei den Grünen auch ein bisschen mehr Flexibilität wünschen. Das kenne ich sonst nicht von Ihnen. Ich denke an solche Dinge wie die Forderung von Teilen der Grünen, eine halbe Stunde Lärm im Jahr zu verbieten, nämlich das Silvesterfeuerwerk, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für Argumente?) und zwar wegen des Lärms, aber nicht wegen der Luftverschmutzung; das wäre ja vielleicht ein Argument gewesen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben zehn Minuten Redezeit, mehr als wir!) – Ja nun! Es gibt ein paar Dinge, die ich gerne in den zehn Minuten unterbringen möchte. Passen Sie auf! (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss nicht zehn Minuten reden! Man kann auch kürzer! – Gegenruf des Abg. Volkmar Vogel (Kleinsaara) [CDU/CSU]: Das müsst ihr aushalten!) Sport und Lärm sind leider eine untrennbare Einheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Plopp-Plopp auf dem Tennisplatz, die knallenden Skateboards, der Torjubel – Musik für die einen, nämlich diejenigen, die dabei sind, Lärm für die anderen, nämlich diejenigen, die nicht dabei sind. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Torjubel ist Musik für alle! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Das hängt davon ab! Wenn ihr bei der Eintracht einen reinkriegt, dann nicht mehr!) – Selten für den Gegner, lieber Herr Schatzmeister des DFB. Das dürfte unterschiedlich wahrgenommen werden. Gleichwohl: Als Mitglied des kürzlich hier gegründeten Bundestagsfanclubs des 1. FC-Köln „Koalition Rut-Wiess“ (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schleichwerbung!) – um das bei dieser Gelegenheit zu betonen – habe ich großes Verständnis für die Sporttreibenden und die Vereine. Auch als Leiter einer Schule mit einem benachbarten Sportplatz am Rand eines Wohngebiets weiß ich, wovon ich rede. Aber auch als Umweltpolitiker sage ich: Gerade weil der Sport trotz seines Lärms und mit seinem Lärm so bedeutend ist – Beispiele hat meine Vorrednerin genannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen –, wollen wir den Interessen des Sports so weit wie möglich, bis zu den Grenzen des Zulässigen – um es mal so zu sagen –, entgegenkommen. Was wollen wir erreichen? Natürlich wollen wir erreichen, dass das, was wir beim Kinderlärm in Bezug auf Kitas und Spielplätze beschlossen haben, auch für Sportanlagen gilt. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Im Bereich des Jugendlichensports wollen wir die Regelungen so weit wie möglich fassen. Wir kommen da wahrscheinlich in eine rechtliche Grauzone – das muss man prüfen –, aber die Zielsetzung, die wir verfolgen, ist, den Sport von Jugendlichen so weit wie möglich zu privilegieren. Unter Umständen muss man da zu differenzierten Regelungen kommen, was Spielzeiten angeht. Das werden wir sehen, wenn wir uns mit den Details befassen. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wann liegt das Gesetz denn vor?) Wir sind auch der Meinung, dass die Kommunen und die Länder Spielräume brauchen für Regelungen, die den lokalen und regionalen Verhältnissen besser angepasst sind als das, was wir von hier aus im Rahmen einer bundeseinheitlichen Regelung machen. Wenn das nicht so wäre, brauchten wir die Lärmschutzverordnung für die Sportanlagen überhaupt nicht. Aber wir haben sie, und wir brauchen sie auch. Die Sportanlagenlärmschutzverordnung ist eine Erfolgsgeschichte; denn mit ihrer Einführung 1991 kam es zu einer deutlichen Verringerung der Konflikte. Heute gibt es vielleicht hundert oder ein paar mehr Problemfälle zwischen Vereinen und Nutzern; demgegenüber stehen einige tausend Fälle, in denen es keine Probleme gibt. Aufgrund dieser Verordnung ist eine Befriedung entstanden. Deswegen sage ich: Die Verordnung ist insgesamt ein Erfolg, auch wenn sie jetzt in einigen Punkten ohne Zweifel angepasst werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Zusammenhang freue ich mich über die Vorschläge, die der DOSB und der DFB gemacht haben. Wir werden ihnen wahrscheinlich nicht in allen Punkten folgen können, aber ihre Anregung war wichtig. So konnten wir einige Punkte zusammenstellen, mit denen wir uns befassen müssen. Ich will zwei Bereiche herausgreifen, in denen es zurzeit große Probleme gibt. Das eine Problem ist der sogenannte Altanlagenbonus. Was verbirgt sich dahinter? Dahinter verbirgt sich die Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit eines neuen Genehmigungsverfahrens bei der Modernisierung oder Erweiterung eines bisherigen Sportplatzes. In der Praxis zeigt sich, dass die Verwaltungen die Sache sehr unterschiedlich handhaben, und das ist unbefriedigend. Eine sehr unterschiedliche Handhabung hat nämlich auch zur Folge, dass die Verwaltungen aus dem Bedürfnis heraus, möglichst keine Fehler zu machen, sehr restriktiv mit diesem Thema umgehen. Da gibt es Beispiele, die belegen, dass die Umwandlung eines Ascheplatzes zu einem Kunstrasenplatz zum Anlass genommen wird, ein neues Genehmigungsverfahren durchzuführen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja, das kann ja wohl nicht sein!) Das ist sinnlos. Die Anwendung der alten Regelung in Bezug auf den Altanlagenbonus macht auf jeden Fall immer dann Sinn, wenn Art und Umfang der Belastung, die von diesem Sportplatz in Form von Lärm oder Ähnlichem ausgehen, im Großen und Ganzen gleich bleiben. Wenn es grundsätzliche oder erhebliche Änderungen gibt, dann muss man über neue Genehmigungsverfahren nachdenken. Aber ohne erhebliche Änderungen ist das nicht notwendig. Weil die Verwaltung hier solche Probleme hat, sind wir für eine Klarstellung: Was ist beispielsweise unter einer erheblichen Änderung zu verstehen? Was wird durch den Altanlagenbonus begünstigt und was nicht? Das gilt dann auch umgekehrt für den Fall, dass man eine neue Genehmigung benötigt. Dann wissen alle Beteiligten, woran sie sind. Sie können sich darauf einstellen und überlegen, ob sie eine Erweiterung oder Veränderung vornehmen wollen. Das gilt beispielsweise auch, wenn Umbauten zu einer deutlich veränderten oder erhöhten Lärmbelastung führen, zum Beispiel für die Einrichtung von Skateranlagen auf bestehenden Sportplätzen; denn deren Lärmimmission ist von anderer Güte und Qualität. Das geht in Wohngebieten in der Tat wahrscheinlich nicht. Das zweite Problemfeld ist die sogenannte heranrückende Bebauung. Hierbei muss ich vielfach den Kommunalverwaltungen und den Bauplanungsbehörden den Vorwurf machen, dass sie dabei nicht sorgfältig vorgehen. Wir haben im Bundes-Immissionsschutzgesetz einen Leitgedanken formuliert, der für alle Planungsbehörden verbindlich ist – dieser Leitgedanke steht in § 1, Zweck des Gesetzes –: „dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen“. Zum Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen gehören auch Lärmemissionen, die wir bei Sportplätzen in der Regel haben. Das heißt: Wenn eine Kommunalbehörde eine heranrückende Bebauung plant, die die Lärmemissionen nicht berücksichtigt, dann ist der Bebauungsplan rechtswidrig. Aber die Krux in dieser Situation ist, dass ein solcher rechtswidriger Bebauungsplan nur in der Phase der Offenlegung, also solange er noch nicht rechtsgültig ist, angegriffen werden kann; in der Regel weiß das kein Vereinsmitglied, kein Nutzer eines Sportplatzes. In dem Moment, in dem der Bebauungsplan rechtskräftig wird, hat der Anlieger Anspruch auf die Einhaltung der Grenzwerte. Hier haben wir eine Umkehrung der Situation. Es gibt eine Fülle von Klagen oder juristischen Auseinandersetzungen, die man einem ehrenamtlichen Vereinsmitglied und dem Kassenwart des Vereins nun wirklich nicht zumuten kann; das muss klargestellt werden. Die Verantwortung tragen die Planungsbehörden. Ich habe bei einem Besuch in Düsseldorf – auch als Kölner darf man das – (Michaela Engelmeier [SPD]: Na, na! Aber nicht oft!) mit einer Reihe von Vertretern von Sportvereinen vor Ort gesprochen, die mir solche Fälle geschildert haben. Ich muss ehrlich sagen: Ich war entsetzt darüber, was einfach grob fahrlässig falsch gemacht worden ist. Es kommt hinzu, dass Konflikte, die danach auftreten, von den Kommunalverwaltungen in der Regel auf Kosten der Vereine gelöst werden, indem sie sagen: Ihr müsst euren Betrieb einschränken, damit an der Stelle XY weniger Lärmbelastung herrscht. Das alles müssen wir ändern. Wir wollen mit der Änderung ein gedeihliches Miteinander von Wohnen und Sport in unseren Städten und Gemeinden erreichen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn der Vorschlag?) Daran muss sich die neue gesetzliche Regelung messen lassen. Ich freue mich auf eine gemeinsame Kraftanstrengung, mit der wir das erreichen. Ich lade jeden ein, mitzuwirken. Wir werden im Ausschuss noch intensiver darüber reden. Zwei Sekunden Zeitüberschreitung verzeihen Sie mir bitte. – Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das wird gerne verziehen. Wenn nur alle anderen auch so pünktlich wären wie Sie! Als Nächster hat jetzt der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es um Lärmschutz, ganz emotional darum, mit Freude und Elan am Sonntag mit und ohne Bälle Sport zu treiben, so wie Sie und ich es machen, oder bei Sportveranstaltungen zu jubeln, was ich eher tue. Da die Koalition hinsichtlich der Sportstättenlärmverordnung nicht aus der Hüfte kommt, wie den Antworten auf die Fragen meiner Kollegin Kunert zu entnehmen war, danke ich den Grünen dafür, dass sie einen Antrag zur Anhebung der Geräuschgrenzwerte für Sportanlagen stellen, wie es die Linke schon in der letzten Legislaturperiode tat. (Beifall bei der LINKEN) Klar ist: Unsere Jugend bewegt sich zu wenig, und große Teile der Bevölkerung treiben zu wenig Sport. Und wann haben Schülerinnen und Schüler, Auszubildende oder Berufstätige richtig Zeit für Freizeit- und Breitensport? Am Wochenende. Aber dagegen steht die 18. Bundesimmissionsschutzverordnung, die mit ihren Lärmgrenzwerten Sportveranstaltungen und Spiele, selbst einfaches Sporttreiben wegen der für Sportanlagen unverständlich niedrigen Grenzwerte erschwert und gerade sonntags in enge Zeitfenster – von 9 bis 13 Uhr und von 15 bis 20 Uhr – gezwängt hat. Im Winterhalbjahr sind die möglichen Nutzungszeiten auf nicht extra beleuchteten Anlagen real noch viel kürzer. Wie schon 2010 schlagen wir vor, dass für den Jugend- und Freizeitsport die erlaubten Lärmgrenzwerte in sogenannten reinen Wohngebieten auf 55 Dezibel angehoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Das ist übrigens der heutige Grenzwert in allgemeinen Wohngebieten. Weiterhin fordern wir, dass dieser Grenz­wert tagsüber ohne Mittagsabsenkung gilt. Als Techniker kann ich Dezibelgrenzwerte einschätzen. Wissen Sie, was 55 Dezibel bedeuten? Ein ruhiger Bach murmelt mit 50 Dezibel im Wald. Ein Fernseher auf Zimmerlautstärke verursacht 60 Dezibel, so wie auch ein Gespräch am Kaffeetisch. Pkws dürfen mit 59 Dezibel durch reine Wohngebiete rauschen, und Militärjets dürfen mit 90 Dezibel darüber hinwegdonnern. Hunde dürfen bellen, das ist ja ihre Natur – übrigens lauter als 50 Dezibel. Frösche muss man bis 55 Dezibel ertragen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht man dann?) Selbst wenn sie mit 70 Dezibel quaken, dürfen sie meist bleiben; denn das entspricht ihrer Natur. (Beifall bei der LINKEN) Welchen sinnvollen Grund gibt es angesichts dessen für Grenzen von 50 oder gar 45 Dezibel für Sportanlagen und Freizeitsport? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keinen!) Sorgen wir für mehr Akzeptanz für Menschen, egal ob es um Ballspiele, neue Trendsportarten oder Wettkämpfe geht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen Sie den Anregungen der Grünen und den Vorschlägen der Linken. Wir sind für wohnortnahe Sportanlagen. Dann werden Jugendliche öfter zum Sportplatz gehen. Gemeinsamer Sport hilft unserer Gesundheit und unserem sozialen Zusammenhalt. Es wäre doch schön, wenn wir mehr solche Geräusche zulassen würden, oder? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gesetze sollten sich am Leben orientieren. Im November 2011 änderte der Bundestag einstimmig das Bundes-Immissionsschutzgesetz, damit sich Kinder herumtollend entwickeln können, damit nie wieder ein Gericht fröhliches Kinderlachen als Lärmstörung unterbindet. Setzen wir uns zusammen, diskutieren wir im Ausschuss, treiben wir das Ministerium, und wenn Sie von der Koalition es wollen, dann finden wir wie 2011 eine gemeinsame Lösung, damit Schilder wie „Sportplatz sonntags von 13 bis 15 Uhr geschlossen“ auf dem Müll landen. Eine Änderung der 18. Bundesimmissionsschutzverordnung hilft Jugendlichen, Sportlern, Vereinen und Kommunen, auf rechtssicherer Basis ihre Arbeit und unsere Freizeit zu organisieren. Dann fliegen mehr Bälle aus Spaß als Flaschen aus Frust. Um Ihnen die Angst zu nehmen: Auch bei erlaubten 55 Dezibel dürfen Sportlerinnen und Sportler noch immer nicht so viel Lärm verursachen wie Ihre vielgeliebten Pkws. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Ulli Nissen das Wort. (Beifall bei der SPD) Ulli Nissen (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ralph Lenkert, ich habe bei mir im Garten wütende Eichhörnchen, die pöbeln, wenn ich meine Haselnüsse selber pflücke. Ich weiß nicht, wie viele Dezibel es bei ihnen sind. Aber ich finde, das ist letztlich auch ein tolles Geräusch. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen die Probleme, die mit wachsenden Städten verbunden sind. Immer mehr Menschen leben auf gleichem Raum. Das bedeutet neben steigenden Mieten auch Nachverdichtung und engeres Zusammenwohnen. Das birgt Konfliktpotenzial. Viele Sportvereine beklagen sich, dass sie wegen Beschwerden von Anwohnern keine ausreichenden Trainings- und Spielzeiten mehr anbieten können. Für uns alle ist klar: Sport und Bewegung sind gut für die Gesundheit, für das persönliche Wohlbefinden, aber auch wichtig für das soziale Miteinander, und Sport hat ein großes Integrationspotenzial. Gemeinsamer Sport bringt Menschen zueinander. Gerade in der jetzigen Situation ist die Arbeit, die Sportvereine für die Integration leisten, sehr wichtig. Stellvertretend für viele Vereine, die hier eine tolle Arbeit leisten, möchte ich die SG Bornheim Grün-Weiß aus meinem Frankfurter Wahlkreis nennen. (Volkmar Vogel (Kleinsaara) [CDU/CSU]: Wir schließen uns dem Gruß an!) Der Verein kümmert sich unter anderem um 20 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Diese helfen am kommenden Samstag bei der Organisation und Durchführung der Feier zum 70-jährigen Jubiläum. Liebe SG Bornheim, Gratulation zum 70. Jubiläum und danke für eure großartige Arbeit! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) – Da könnt ihr Grünen und Linken auch ruhig mitklatschen. Also, ein Dank an die SG Bornheim bitte auch von euch! (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gruß an Roter Stern Leipzig!) Sport soll integrieren und nicht spalten. Deshalb ist es wichtig, dass ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen des Sports und der Wohnbevölkerung gefunden wird. Zum Sportlärm gibt es verschiedenste Diskussionsbeiträge – das ist schon erwähnt worden –, unter anderem vom Deutschen Städtetag, vom DFB und vom DOSB. Als Berichterstatterin zu diesem Themenbereich führe ich seit Monaten viele Gespräche mit Verbänden und Betroffenen. Ich möchte zwei Punkte ansprechen, die mir wichtig sind und die schon Entspannung – oder noch besser: Ruhe – bringen könnten. Die Sportanlagenlärmschutzverordnung, kurz SALVO, von 1991 regelt die Vorgaben für Sportvereine. Seitdem hat sich einiges in den Städten und in unserer Lebenswirklichkeit verändert. Ein Ansatzpunkt ist, den Altanlagenbonus zu konkretisieren. Auf Sportanlagen, die es bereits vor Inkrafttreten der SALVO gab, darf es lauter sein als auf neueren. Unklar ist aber, was passiert, wenn ein Verein seine Anlage zum Beispiel durch einen Kunstrasen modernisiert. Verliert er dadurch seinen Bonus? Hier müssen wir wirklich für Klarheit sorgen. Es ist vorhin schon angesprochen worden: Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat gute Auslegungshinweise vorgelegt, die meiner Meinung nach von uns aufgegriffen werden könnten. Denn damit erhalten Sportvereine endlich Klarheit und Sicherheit darüber, welche Modernisierungen und Änderungen an einer Sportanlage eben nicht zum Verlust des Bonus führen. Für sinnvoll halte ich auch, das Kinderlärmprivileg, das bisher nur für Kitas und Kindergärten gilt, auf den Vereinssport auszuweiten. Sport von Kindern auf Sportplätzen sollte nicht als Lärm gelten. Jetzt komme ich zu den Ruhezeiten. In Frankfurt setze ich mich wegen des Fluglärms schon lange für ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr morgens ein. Da kann ich auch bei anderen Lärmquellen nicht sagen: Das ist in Ordnung. – Ich halte eine Abendruhe ab 22 Uhr grundsätzlich für richtig. Allerdings bin ich flexibel bei den Mittagszeiten, gerade auch am Wochenende. Wer in der Stadt wohnt, der weiß, dass es dort nicht überall leise ist, und wer den Sportplatz schon sieht, wenn er sich eine Wohnung mietet, der kann sich danach nicht beschweren, dass dort auch tatsächlich Sport betrieben wird. (Matthias Schmidt (Berlin) [SPD]: Das stimmt!) Ich kann mich wirklich immer zutiefst darüber ärgern, wenn sich Menschen beschweren, obwohl sie vorher alles gesehen haben. Ich danke den Grünen für den Antrag. (Beifall des Abg. Christian Kühn (Tübingen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir werden das im Interesse der Sportlerinnen und Sportler und auch aller anderen sicherlich gemeinschaftlich auf einen guten Weg bringen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Letzte spricht jetzt Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion, zu diesem Tagesordnungspunkt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Michaela Engelmeier (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Lärm ist seit vielen Jahren ein Dauerbrenner im Sport. In den letzten Jahren kam es vermehrt zu Einschränkungen des Betriebes von Sportanlagen, nachdem sich Nachbarn und Anwohner gegen den Lärm, der von Sportanlagen ausgeht, gerichtlich zur Wehr gesetzt hatten und damit zum Teil auch erfolgreich waren. Das führte dazu, dass manche Sportanlagen nur noch sehr eingeschränkt nutzbar sind, die Kinder dauernd ermahnt werden, beim Jubel über Tore nicht zu laut zu sein, und vieles mehr. Für viele Sportvereine, Eltern und Kinder ist das eine absurde Situation. Allerdings kann man auch keine einseitige Zuschreibung von Recht und Unrecht vornehmen. Im Gegenteil: Hier steht Recht gegen Recht. Daher hat unsere Koalition dieses Thema auch im Koalitionsvertrag verankert. Wir haben uns für gute Rahmenbedingungen im Sport ausgesprochen und die Prüfung der Immissionsregelungen vereinbart. Im Wortlaut heißt es: Wir machen uns dafür stark, dass eine attraktive, ausgewogene und bedarfsorientierte Infrastruktur für den Spitzen-, Leistungs- und Breitensport erhalten bleibt. (Matthias Schmidt (Berlin) [SPD]: Eine gute Vereinbarung!) Die Interessen des Sports sind in immissionsschutzrechtlichen Konfliktlagen angemessen zu berücksichtigen. Deshalb werden wir auch eine Änderung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen prüfen. Die rechtliche Lage ist komplex und leider nicht besonders anwenderfreundlich. Es bestehen zivilrechtliche Regelungen im BGB, öffentlich-rechtliche Vorschriften wie das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die sogenannte Sportanlagenlärmschutzverordnung und die Lärmschutzverordnungen der Länder. Wann welche Gesetze zur Anwendung kommen und ob es Bundes- oder Ländersache ist, hängt vom Einzelfall ab und kann nicht pauschal beurteilt werden. Genau das ist das Problem, liebe Monika, warum euer Antrag hier ein bisschen zu kurz greift und uns in die Pflicht nimmt, einen konkreteren vorzulegen, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr könnt es noch besser machen!) und das werden wir tun. Wir werden das Bundes-Immissionsschutzgesetz ergänzen und die Sportanlagenlärmschutzverordnung sport- und kinderfreundlich weiterentwickeln – und das konkreter als in eurem Antrag, damit die Maßnahmen zügiger umgesetzt werden können. Wir wollen den Sportlärm von Kindern und Jugendlichen mit Kinderlärm gleichsetzen, also den Lärm von Kindern und Jugendlichen auf Sportanlagen privilegieren. Die Geräuscheinwirkungen durch Kinder und Jugendliche, die auf Sportanlagen aktiv sind, sollen nicht als schädliche Umwelteinflüsse eingestuft werden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Wir wollen die Zeiten modern gestalten und die Spielzeiten im Sportbetrieb flexibilisieren. Ruhe- und Spielzeiten auf Sportanlagen sollen mit Blick auf die geänderten Sport- und Freizeitgewohnheiten angepasst werden. Wir wollen die Altanlagen schützen und einen Bonus für Altanlagen schaffen. Der Schutz für eine Sportanlage, die vor 1991 gebaut wurde, bleibt erhalten, wenn Änderungen oder Modernisierungen, wie zum Beispiel die Umwandlung in einen Kunstrasenplatz, keine wesentlichen Änderungen darstellen. Ich möchte gerne mit einem Zitat von Kurt Tucholsky schließen, das auch den Sport betrifft: Im Übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot. (Heiterkeit im ganzen Hause – Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Schluss der Aussprache angelangt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4329 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Drucksache 18/5901 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur abschließenden Beendigung der verfassungswidrigen Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften Drucksache 18/3031 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6227 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ehe für gleichgeschlechtliche Paare – Der Entschließung des Bundesrates folgen Drucksachen 18/5205, 18/6379 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Änderungsantrag zu ihrem Gesetzentwurf eingebracht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen sprechen wir in Deutschland fast ausschließlich über die Frauen und Männer, die als Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kommen. Wir sagen ganz selbstverständlich – das ist auch richtig so –, dass Menschen, die aus Ländern kommen, in denen sie unterdrückt, missachtet, verfolgt, diskriminiert werden, in Deutschland einen Anspruch auf Schutz haben. Wir sagen gleichzeitig, und zwar mit voller Überzeugung, dass diese Menschen in Deutschland unser Wertegerüst, unser Grundgesetz, unsere Grundsätze und unsere Gesellschaftsordnung zu berücksichtigen und zu achten haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD]) – Danke sehr. – Zu dieser Grundordnung in Deutschland und zu unserem Wertegerüst gehört, niemanden zu diskriminieren. Dazu gehört: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Es kann nicht sein, dass man einer Frau nicht die Hand gibt. Zu diesem Grundgerüst gehört, dass in diesem Land, nicht nur durch die Entscheidung des Deutschen Bundestags und die Entscheidung der entsprechenden Gerichte, Männer mit Männern und Frauen mit Frauen zusammenleben dürfen und können und ein Teil unserer Gesellschaft sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, halte ich es für fast überflüssig, in einer solchen Diskussion zu fragen: Warum brauchen wir dann noch ein Gesetz, wenn wir von den Flüchtlingen in unserem Land verlangen, dass sie sich an unsere Rechtsordnung halten, dass niemand diskriminiert werden darf? Warum müssen wir in Deutschland dann noch ein Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir Diskriminierungen in diesem Lande aufheben? Wir müssen es machen, weil in diesem Land die Ehe zwischen Menschen gleichen Geschlechts immer noch nicht die Rechtsstellung hat, die sie eigentlich haben sollte. Gestern sagte Volker Kauder einen schönen Satz frei nach Kurt Schumacher: Politik beginnt als Erstes mit dem Erkennen der Wirklichkeit. – Die Wirklichkeit in diesem Land ist eine andere als die, die für uns vorgesehen ist. Die Wirklichkeit heißt: Männer leben mit Männern, Frauen leben mit Frauen. Schwule und Lesben haben in diesem Land die gleichen Rechte und können sie auch in Anspruch nehmen. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt nunmehr zu Recht der Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner als ein wichtiger, aber, wie ich sage, nicht letzter und endgültiger Schritt zur zweiten und dritten Beratung in diesem Hause vor. Er hat den langen Kampf – Martin Luther King würde ihn als langen Weg bezeichnen – von der Verschärfung der Vorschriften gegen Homosexuelle im Jahr 1935 über die unsäglichen Bestätigungen durch deutsche Parlamente und das deutsche Verfassungsgericht im Jahre 1959, dann über die Änderungen 1969 bis hin zum Lebenspartnerschaftsgesetz 2001 und zur Bereinigung des Rechts geführt. Ich sage: Heute ist ein guter Tag, aber noch nicht der letzte Tag in diesem Kampf. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie alle in diesem Haus an dieser Stelle um Zustimmung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner. Gleichzeitig bitte ich die lieben Kolleginnen und Kollegen der Union: Geben Sie sich einen Ruck! Anerkennen Sie die Wirklichkeit in diesem Land, sodass wir bei den dann anstehenden Beratungen über die Gesetzentwürfe des Bundesrates, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Linken und wie sie so alle vorliegen, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es liegen genug Vorschläge vor!) zu einem vernünftigen Ergebnis für die Menschen dieses Landes kommen. In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht der Kollege Harald Petzold, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Karl-Heinz Brunner, ich schätze deine Redebeiträge zu diesem Thema immer sehr, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Die sind auch gut!) aber du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Der Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, verlässt leider den Deutschen Bundestag genauso schlecht, wie er hineingegangen ist. Dabei war es eigentlich ein bekannter Sozialdemokrat, der festgestellt hat, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es hineingekommen ist. Diesen Anspruch habt ihr leider nicht eingelöst. Dabei hätte es so viel zu ändern gegeben. (Beifall bei der LINKEN) Ich will nur zwei Beispiele nennen. Das gemeinsame Adoptionsrecht ist völlig aus dem Gesetzentwurf ausgeklammert worden. Damit bleibt es dabei, dass Paare in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht gemeinsam Kinder adoptieren können. Das ist und bleibt meiner Ansicht nach eine klare Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren. (Beifall des Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dazu kann die Linke nur Nein sagen. (Beifall bei der LINKEN) Dass Sie nicht einmal den Versuch unternehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, auf die Koalitionspartnerin mehr Druck auszuüben, finde ich angesichts Ihres Wahlversprechens von „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns“ beschämend. Das ist Betrug an Ihren Wählerinnen und Wählern. (Beifall bei der LINKEN – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar 100 Prozent!) Auch die Ehe wird Paaren in eingetragenen Lebenspartnerschaften nach wie vor nicht offenstehen. Bündnis 90/Die Grünen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, den Sie leider ablehnen wollen. Darin sind all die Beispiele, die bereinigt werden müssten, aufgeführt. Die Große Koalition versucht seit der öffentlichen Anhörung zu den Gesetzentwürfen der Linken, vom Bündnis 90/Die Grünen und der Bundesregierung, ihre flügellahme Argumentation mit dem Hilfsargument zu stützen, die Anhörung habe ergeben, dass eine Grundgesetzänderung notwendig sei, um die Ehe für alle öffnen zu können. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wer sagt das? – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der Wirklichkeit haben es die Kollegen nicht so!) – Ja, genau so. Sehen Sie? – Dabei haben Sie es in der Anhörung selbst erleben können: Es waren sieben Sachverständige, von denen vier verneint haben, dass eine Grundgesetzänderung nötig ist. (Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Aber drei haben es bestätigt!) Zwei haben sich explizit dafür ausgesprochen, und die dritte hat gesagt, sie könne es sich vorstellen. Wenn ich die Grundrechenarten richtig verstanden habe, ist vier immer noch mehr als drei. Ich wäre der SPD dankbar, wenn sie dafür sorgen würde, dass die Koalitionspartnerin nicht auch noch die Unwahrheit verbreitet. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Für mich war an der Anhörung am bemerkenswertesten, dass das SPD-geführte Justizministerium einen alten Gesetzentwurf aus der Schublade gezaubert hat, mit dem schon die liberale Justizministerin Leutheusser-­Schnarrenberger 2012 gescheitert ist, und dass es nur um redaktionelle Änderungen in gerade einmal 32 Gesetzen ging. Es hat mir niemand geglaubt, als ich es angesprochen habe: Wohlgemerkt, es gibt derzeit noch etwa 150 Regelungen in über 50 Gesetzen und Verordnungen, in denen die Gleichstellung noch nicht vollzogen worden ist. Deswegen hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner geschrieben – ich finde, das ist konsequent –: Der Bundesrat hält den Gesetzentwurf jedoch nicht für ausreichend, da er die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare in wesentlichen Rechtsgebieten, wie dem Adoptionsrecht, ausspart. Solange Sie auf das Deckblatt des Gesetzentwurfs unter der Rubrik „Alternativen“ schreiben: „Keine“, kann ich deshalb nur sagen – und ich sage Ihnen das immer wieder, solange dies so ist –: Das ist eine Lüge. Denn es gibt Alternativen. Es liegen inzwischen drei Gesetzentwürfe vor: einer der Linken, einer vom Bündnis 90/Die Grünen und seit September auch einer des Bundesrates. Deswegen legen wir Ihnen heute erneut unseren Antrag vor, wenigstens die Entschließung des Bundesrates umzusetzen und endlich die rechtliche und öffentliche Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu beenden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir befassen uns heute abschließend mit zwei Gesetzentwürfen und einem Antrag. Die drei Drucksachen haben eine wesentliche Gemeinsamkeit: das Ziel, rechtliche Ungleichheiten zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft zu beseitigen. Ich sage ganz bewusst „Ziel“, weil ich überzeugt bin, dass wir auch in der CDU noch nicht am Ende der Debatte angekommen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Wir haben, wie es sich in einer Volkspartei gehört, ein breites Meinungsspektrum. Es sind nicht nur redaktionelle Änderungen, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht. Es findet eine umfassende Anpassung des Zivilrechts, des Sozialrechts und des Verfahrensrechts statt. Allerdings wurde die Frage der gemeinschaftlichen Adoption – das wird hier niemanden überraschen – ausgeklammert. Ich betone abermals: Dort, wo im Vergleich zum Gesetzentwurf der Grünen keine entsprechenden Regelungen stehen, sind diese nicht ausgelassen worden, um Ungleichbehandlungen bewusst aufrechtzuerhalten, sondern weil sie teilweise auf andere Art und Weise reguliert wurden. Das geschah teils durch Wegfall, teils durch grundlegende Überarbeitung der entsprechenden Gesetze. Dem Antrag der Linken und der Initiative des Bundesrates folgend wäre ein Bereinigungsgesetz gar nicht nötig. (Beifall des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]) Mit der Initiative wird nämlich vorgeschlagen, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. (Beifall des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]) Dazu soll eine einfachgesetzliche Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch gefunden werden, sodass die Ehe nicht nur von Personen verschiedenen, sondern auch von Personen gleichen Geschlechts geschlossen werden kann. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Genau so ist es! – Ulli Nissen [SPD]: Sehr gute Idee!) Die Initiative, meine Kolleginnen und Kollegen – hören Sie einmal zu! –, setzt aber eine wichtige Prämisse voraus, nämlich dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ohne Grundgesetzänderung zulässig wäre. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ist sie auch! – Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Ist sie auch!) Wir sind davon überzeugt, lieber Kollege Petzold, dass dies falsch ist. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Sie sind selbst davon überzeugt, dass es so ist!) Die entscheidende Frage hier lautet: Steht der verfassungsrechtliche Begriff der Ehe in Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz diesem Gesetzentwurf entgegen? Der genannte Grundrechtsartikel stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Genau! Das ist alles!) Dabei kann nicht bestritten werden, dass die Väter und Mütter der Verfassung unter Ehe die Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden haben. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Die kannten nichts anderes!) – Genau! – Eine andere Form des Zusammenlebens war zu jener Zeit nicht vorstellbar. Dieses Eheverständnis aber wurde vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen bestätigt. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn damals die Apartheid gegolten hätte, wäre es auch nicht möglich gewesen, dass Schwarze und Weiße heiraten, oder was soll der Stuss?) In seinem Urteil von 2002 definierte es die Ehe im Sinne des Grundgesetzes als – ich zitiere – „die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft“. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Das ist 13 Jahre alt!) In der Folgezeit hat das Bundesverfassungsgericht schrittweise in einer Mehrzahl von Urteilen die Lebenspartnerschaft an die Ehe angeglichen. Von seinem Eheverständnis aber ist es nicht abgerückt. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Noch nicht!) Sogar in seiner jüngsten Entscheidung zum Ehegatten­splitting im Jahre 2013 wurde die Gleichgeschlechtlichkeit der Lebenspartner als Unterschied zur Ehe erwähnt. Meine Damen und Herren, ich habe bereits erwähnt, dass das Grundgesetz die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates stellt. Diese Institutsgarantie gewährleistet neben dem Bestand der Ehe auch – und das ist entscheidend – ihre wesentlichen unantastbaren Strukturen, wozu die verschiedengeschlechtliche Verbindung zählt. Vor diesem Hintergrund sind wir als Gesetzgeber bei der rechtlichen Ausgestaltung der Ehe an die verfassungsrechtlich gesicherten Strukturprinzipien der Ehe gebunden. Über diese Grenze können wir uns nicht einfach hinwegsetzen, indem wir die Ehe im BGB neu definieren. Auch wenn wir das Leitbild der Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau achten, verkennen wir nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit. Während früher homosexuellen Paaren die gesellschaftliche Anerkennung versagt war, erfahren sie heute die gebotene Akzeptanz. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Anerkennung versagt war“? Die kamen in den Knast!) Gleichgeschlechtliche Partnerschaften gehören inzwischen zur gesellschaftlichen Realität und Normalität. Gleichgeschlechtliche Partner übernehmen genauso wie in einer Ehe dauerhaft die Verantwortung für den Partner. Sie sind einander zu Fürsorge und Unterstützung verpflichtet. Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die gesellschaftliche Akzeptanz rechtfertigt nicht ohne Weiteres die Änderung des Ehebegriffs. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie doch vor dem Aber aufgehört!) Mit der Initiative des Bundesrates macht man es sich zu einfach. Es geht hier um grundlegende Werte unserer Verfassung, die durch das einfache Recht nicht geändert werden können. Wir sind der Meinung: Nur eine Verfassungsänderung mit einer Zweidrittelmehrheit beider Kammern kann das Eheverständnis neu definieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Volker Beck ist der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich muss ja sagen: Da ich die Debatten zu diesem Thema in diesem Haus schon eine Weile führe, dachte ich: Ich kann mich nicht mehr aufregen, und ich erlebe nichts Neues mehr. Frau Sütterlin-Waack, Sie haben mich heute Abend überrascht. Das mit dem Ehebegriff im Grundgesetz war ja nun samt und sonders Stuss. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Es geht auch eine Nummer kleiner!) Teil der verfassungsrechtlichen Texte, auf die sich die Vereinigten Staaten, Frankreich oder Deutschland berufen, ist doch, dass sie in einer bestimmten historischen Situation geschrieben wurden, wie zum Beispiel die französische Déclaration des Droits de l‘Homme. Damals war man der Auffassung, dass selbstverständlich diese Menschenrechte nicht für Frauen gelten. Sie gelten heute für Frauen, ohne dass der Verfassungstext geändert wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Als Amerika die Bill of Rights in seine Verfassung geschrieben hat, war man selbstverständlich der Auffassung, dass das für Weiße gilt, aber nicht für Schwarze, weil die keine Menschen sind. Als das Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat verabschiedet wurde, war man der Auffassung, dass Homosexualität strafbar ist. Wenn es strafbar ist, können gleichgeschlechtliche Paare natürlich nicht auf einem Standesamt eine Ehe schließen; das wäre widersinnig. Aber das alles waren falsche, menschenrechtswidrige Rechtszustände. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Diese haben wir überwunden. Deshalb muss man die Begriffe der Verfassung hier in einem neuen Licht lesen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Da bin ich schon erstaunt, dass Sie offensichtlich immer noch in den 50er-Jahren geistig stehen geblieben sind und nicht akzeptieren, dass Homosexuelle die gleichen Menschenrechte haben wie Heterosexuelle. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Damit sind wir beim Kern der Debatte. Dass es Ihnen in der Koalition letztendlich um eine Fortsetzung der Schikanierung geht, sieht man an dem vorliegenden Gesetzentwurf. (Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Völliger Quatsch!) Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben versprochen: 100 Prozent Gleichstellung nur mit uns! Sie haben es sogar geschafft, in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, dass Lebenspartnerschaft und Ehe gleichgestellt werden sollen. Bloß, warum haben Sie das dann nicht in den Gesetzentwurf geschrieben? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, dass man, wenn man nicht den Schritt zur Öffnung der Ehe geht, wenigstens gleiche Rechte von Lebenspartnerschaft und Ehe vorsieht. Sie können die Differenzen auch nicht so recht begründen. Wir haben in einer Kleinen Anfrage mit 50 Fragen versucht, herauszufinden, was der Sinn der verschiedenen Unterschiede ist. (Ulli Nissen [SPD]: Kleine Anfrage mit 50 Fragen!) Dabei kam heraus: Bei manchen Sachen finden Sie das Recht nicht so aktuell und halten es eigentlich für renovierungs- und bereinigungsbedürftig. Dann wundert man sich, warum das nicht im Bereinigungsgesetz gemacht wird. Bei anderen Sachen kündigen Sie an, darüber wollten Sie – nach zwei Jahren Koalition – jetzt doch noch einmal nachdenken; beim Sprengstoffgesetz und beim Bundesvertriebenengesetz plane man etwas. Dass das Herumdoktern am Lebenspartnerschaftsgesetz keinen Sinn mehr hat, sieht man an Ihrer Antwort auf die Fragen nach dem Staatsbürgerschaftsrecht und der Niederlassungserlaubnis. Da sagen Sie nämlich, was Ihnen bei der Lebenspartnerschaft dauernd passiert: Bei der fehlenden Einbeziehung von Lebenspartnerschaften in § 51 Absatz 10 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes handelt es sich um ein redaktionelles Versehen. Dieses wird bei nächster Gelegenheit korrigiert. Die Gelegenheit wäre heute. Das haben Sie aber nicht gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn Sie die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen wollen, dann legen Sie Ihren Gesetzentwurf zu den Akten und stimmen wenigstens unserem zu. Machen Sie Schluss mit der Diskriminierung! Wir haben hier häufig über die Adoptionsfrage gestritten. Bei dieser Frage geht es eigentlich auch nur noch um eine Schikane. Selbstverständlich können Schwule und Lesben in Lebenspartnerschaften über Einzeladoption und dann über Sukzessivadoption gemeinsame Adoptiveltern werden. Warum in zwei Schritten mit zwei Verwaltungsverfahren und zwei Gutachten? Das alles kostet Geld und Zeit und ist zum Nachteil der Kinder, die ohnehin in solchen Lebenspartnerschaften aufwachsen werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Das alles geschieht nur, um eine symbolische Diskriminierung aufrechtzuerhalten. Das hält vor der Verfassung nicht stand. Ich finde es nicht anständig, dass Sie daran festhalten wollen. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Sozialdemokraten, beim Griechenland-Hilfspaket haben 60 Abgeordnete nicht mit der Koalition und der Kanzlerin gestimmt. Machen Sie nun einmal genauso viel Dampf, und zeigen Sie Mut! Stimmen Sie heute unserem Gesetzentwurf zu! Dann haben wir wenigstens beim Lebenspartnerschaftsgesetz die gleichen Rechte, und Sie können sich darauf berufen, dass Sie nur die Vorgabe des Koalitionsvertrages umgesetzt haben, die die anderen nicht umsetzen wollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Elfi Scho-Antwerpes [SPD]: Ich fühle mich gar nicht angesprochen bei der männlichen Form! Diskriminierung!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, man kann schon sagen, dass die Geschichte der Gleichstellung heute ein neues Kapitel bekommt. Wir gehen einen richtigen und wichtigen Schritt. Ich habe schon beim letzten Mal vorangestellt: Wir sind uns doch im Prinzip und vom Ergebnis her einig: Niemand soll aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist das dann so schwer?) Gerade in diesen Tagen finde ich es wichtig, dass dieses Signal auch nach außen geht, (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch wenigstens, um die Muslime zu ärgern!) in diesen Tagen, da Tausende unser Land als Zufluchtsland aufsuchen. Aber ich möchte an dieser Stelle schon davor warnen, dass wir dieses Signal mit einer eher konditionierten Diskussion verwässern; denn das schwächt das Signal nur ab. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Was soll denn das jetzt?) Ich glaube, man kann heute schon sagen, dass wir trotz aller Diskussion die Geschichte der Gleichstellung gemeinsam in diesem Land gestaltet haben – (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Die einen mehr, die anderen weniger! – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben alles abgelehnt und in Karlsruhe bekämpft, aber sonst waren Sie irgendwie dabei!) mit unterschiedlichen Positionen, mit gesellschaftspolitischen Prozessen und auch mit innerparteilichen Orientierungsphasen. Aber das werden Sie einer großen Volkspartei wie der CDU einfach zugestehen müssen, einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die unterschiedlichsten Strömungen zu vereinen. Ich behaupte heute: Der Erfolg gibt uns recht. Den Erfolg sollten wir nicht an der Bezeichnung messen, sondern an Inhalten. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade in den Umfragen sieht man das!) Das sage ich ganz bewusst in einer Zeit, in der die Diskussion in eine neue Richtung kommt, in der argumentiert wird, wir müssten die Ehe für alle öffnen, weil wir nur durch eine Öffnung der Ehe eine hundertprozentige Gleichstellung erreichen würden. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Das ist auch so!) Dann werden verschiedene Länder genannt, 20 sind es mittlerweile an der Zahl, und es wird – das empfinde ich als problematisch – der Eindruck erweckt, als wären diese Länder mustergültig und hätten eine hundertprozentige Gleichstellung. Schauen wir uns diese Länder an. Ich erinnere an meine These: Der Erfolg der Gleichstellung wird sich an Inhalten festmachen und nicht an Bezeichnungen. Bei genauerem Hinsehen stellen wir zum Beispiel fest, dass in den USA, wo 2015 der Supreme Court die Ehe für alle geöffnet hat, über die Hälfte der Bundesstaaten noch heute keinerlei Antidiskriminierungsgesetze für Homosexuelle im Arbeitsbereich haben. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, dass Sie dagegen waren in Deutschland und dass Rot-Grün das gegen Sie durchgesetzt hat?) Schauen wir nach Mexiko, wo die Ehe für alle im Jahr 2006 eingeführt wurde. Aktuelle Umfragen zeigen, dass 63 Prozent der Bevölkerung nach wie vor Homosexuelle nicht akzeptieren. Ganz dramatisch ist es in Brasilien. Seit 2013 gibt es dort in allen Bundesstaaten die Ehe für alle. Im Jahr 2002 gab es dort tragische 126 Morde an Homosexuellen. Brasilien ist noch heute an der Spitze der Länder, in denen es die meiste Gewalt gegen Homosexuelle gibt. Deswegen ist für mich die Quintessenz daraus: Der Erfolg der Gleichstellung macht sich nicht an der Bezeichnung fest. Es ist auch nicht so, wie immer argumentiert wird, dass aus Artikel 6 Grundgesetz zwingend die Öffnung der Ehe folgen würde. Artikel 6 schützt die Ehe als Keimzelle der Gesellschaft, aber eben auch als Ursprung des Lebens. (Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Das steht aber nicht im Grundgesetz! – Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Das steht aber nicht in Artikel 6!) Artikel 6 schützt die Familie als sozialen Rückzugsort der gegenseitigen Solidarität. Es ist vollkommen richtig: Eine Familie können auch gleichgeschlechtliche Partner gründen. Ich erlebe das selbst in meinem Umfeld, und ich sage Ihnen: Das sind tolle Eltern, und die können das. Aber es gibt eben diesen einen Unterschied: Ursprung des Lebens kann eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht sein. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie denn mit „Ursprung des Lebens“?) Deswegen sagt das Bundesverfassungsgericht auch – die Entscheidung ist vorhin schon von der Kollegin Sütterlin-Waack zitiert worden –, dass die Ehe als Institution eben Mann und Frau vorbehalten ist. Aus dieser Argumentation erschließt sich, dass eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre. Das sieht im Übrigen – das ist heute noch überhaupt nicht angeklungen – auch das Bundesjustizministerium so. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundesjustizminister hat das dementiert! Das war doch der Herr Lange, der alles unterschreibt, ohne zu lesen!) Herr Kollege Petzold, auch ich war in der Anhörung, und ich wollte konkret wissen, aufgrund welcher Punkte wir die Ehe für alle brauchen, weil sonst die Gleichstellung nicht gelingt. Ich habe diese Frage ausdrücklich formuliert, und ich habe auf diese Frage keine Antwort bekommen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Womöglich lag es an der Frage!) Ich nehme im Übrigen auch nicht wahr, dass sich die Bedeutung der Ehe gewandelt hat und dass es eine Entkoppelung von Ehe und Elternschaft gegeben hat. 70 Prozent der Kinder wachsen in Ehen auf. Insofern, meine Damen, meine Herren, möchte ich am Ende für eine Versachlichung der Debatte werben. Ich möchte auch für Zustimmung werben. Wir machen einen großen Schritt; wir machen einen richtigen Schritt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächste Rednerin ist Susann Rüthrich, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zwei Kinder. Ich erziehe sie gemeinsam mit meinem Mann. Wir sind nicht verheiratet. Wir können uns frei entscheiden. Wir könnten jederzeit verheiratet sein. Das unterscheidet uns von anderen Paaren, die in genau derselben Situation sind, bei denen ebenfalls Kinder leben oder leben könnten, die das ganz normale Leben miteinander teilen, die heiraten wollen, es aber nicht können, weil es zwei Männer oder zwei Frauen sind. Für mein Familienleben würde es nicht den geringsten Unterschied machen, wenn nebenan zwei Männer oder zwei Frauen als verheiratetes Paar leben. Ganz im Gegenteil: Niemand büßte etwas ein. Wenn die Ehe die Keimzelle der Gesellschaft sein soll, wenn Familien mit Kindern da sind und wenn wir Familien stärken wollen, was hindert uns dann daran, allen Menschen die Stabilität einer Ehe zu gewähren, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch den Kindern, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren leben? Wir regeln heute die weitere Angleichung der Lebenspartnerschaften an die Ehe. Das ist gut; aber es ist noch nicht das Ende des Weges. Es sind Gesetzentwürfe in der Diskussion, die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen wollen. Mit deren Annahme könnten wir uns die Debatte um die Angleichung von Ehe und Lebenspartnerschaft ersparen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]) Aber gut, es stehen Bedenken im Raum. Diese Bedenken muss ich nicht teilen. Aber es geht mir doch entschieden gegen den Strich, wenn etwa mit dem Kindeswohl gegen die Öffnung der Ehe und damit des Adoptionsrechts argumentiert wird. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn es ist auch heute so: Eine Adoption findet immer am Kindeswohl orientiert statt. Nicht die Eltern suchen sich ihr Wunschkind aus. Die künftigen Eltern haben keinen Anspruch auf ein Kind. Es gibt viel mehr adoptionswillige Eltern als Kinder, die adoptiert werden können. Natürlich prüfen die Jugendämter, welches Elternpaar für das Kind das beste und das geeignetste ist. Warum sollen das nicht zwei sorgende Frauen oder Männer sein? Es ist doch bereits jetzt so, dass Kinder in den verschiedensten Konstellationen leben: bei Mama oder Papa, bei Mama und Papa, bei zwei Mamas, bei zwei Papas. Das Entscheidende ist eben nicht die Konstellation, sondern die Fürsorge, die Liebe und die sichere Bindung, die diese Kinder bei ihren Eltern erfahren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass wir die Bedenken bald überwinden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehöre nicht zu denen, die in den Debatten zu diesem Thema schon 15-mal gesprochen haben. Ich habe eine Bitte: Lassen Sie uns diese Debatte noch zweimal führen: zur ersten Lesung des entsprechenden Gesetzentwurfes zur Öffnung der Ehe und dann zu seiner Verabschiedung. Und dann ist gut. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6227, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5901 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6366. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur abschließenden Beendigung der verfassungswidrigen Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6227, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3031 abzulehnen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6365 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade eigentlich!) Tagesordnungspunkt 14 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ehe für gleichgeschlechtliche Paare – Der Entschließung des Bundesrates folgen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6379, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5205 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption Drucksache 18/4350 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6389 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dirk Wiese, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der in Deutschland durch Korruption entstandene Schaden belief sich nach einer Studie der Johannes Kepler Universität Linz im Jahr 2012 auf rund 250 Milliarden Euro. 250 Milliarden Euro sind – veranschaulicht – ungefähr so viel wie das Bruttoinlandsprodukt der Bundesländer Hessen oder Niedersachsen. Das zeigt – auch wenn wir es gerne anders hätten –: Deutschland ist alles andere als frei von Korruption. Das untermauert auch der Korruptionsindex CPI, Corruption Perceptions Index, 2014 von Transparency International. Deutschland liegt dort nach wie vor nur auf Platz 12. Ich glaube, wir alle in diesem Hohen Hause sind da einer Meinung: Mit diesem Platz dürfen wir uns nicht zufriedengeben. Das zeigt auch: Korruption ist keine Randerscheinung. Sie betrifft nahezu alle Bereiche im privaten und im öffentlichen Sektor. Sie muss mit einem langen Atem bekämpft werden, und manchmal muss man dabei auch dicke Bretter bohren. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Bundestagsfraktion und ich kennen das sehr gut. Wir mussten in diesem Hohen Hause lange dafür streiten, dass die Abgeordnetenbestechung endlich strafrechtlich vernünftig geregelt wurde. (Beifall bei der SPD) Korruption macht heute auch vor staatlichen Grenzen nicht mehr Halt. In einer weltweit verflochtenen Wirtschaft mit einer engen Zusammenarbeit vieler Staaten auf dem Weltmarkt sind Korruptionstaten auch und gerade über Grenzen hinweg vermehrt an der Tagesordnung. Korruption gefährdet den freien und internationalen Wettbewerb und das Vertrauen in die staatlichen und internationalen Organisationen. Deshalb ist die effektive Bekämpfung grenzüberschreitender Korruption für uns von höchster Priorität. Die rot-schwarze Bundesregierung unterstützt deshalb die Schaffung internationaler Rechtsinstrumente, um der Korruption entschieden entgegenzutreten. Denn nur so, also indem wir Korruption im Keim ersticken und als Staatengemeinschaft gemeinsam und koordiniert vorgehen, können wir möglichst faire Wettbewerbsbedingungen für alle auf dem Weltmarkt schaffen. Damit steigern wir dann auch den Arbeitsschutz und verbessern die Beschäftigungsbedingungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf werden gleich mehrere internationale Vorgaben umgesetzt. Zum einen sieht der Entwurf eine Ausweitung der Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr – § 299 des Strafgesetzbuches – vor, die nach dem EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor von 2003 erforderlich ist. Zum anderen werden zur Umsetzung des Strafrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption die Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit und Bestechung auf ausländische, europäische und internationale Amtsträger erweitert und das Strafanwendungsrecht angepasst. So wird in den Straftatbestand der Geldwäsche – § 261 Strafgesetzbuch – ein Verweis auf den mit dem Gesetzentwurf neu geschaffenen § 335 a StGB „Ausländische und internationale Bedienstete“ aufgenommen werden. Dadurch wird sichergestellt, dass auch die Bestechlichkeit und Bestechung von Bediensteten und Richtern ausländischer und internationaler Behörden und Gerichte, soweit sich die Tat auf eine künftige Diensthandlung oder künftige richterliche Handlung bezieht, als Vortat der Geldwäsche erfasst wird. Damit wird auch den Vorgaben des Strafrechtsübereinkommens gegen Korruption des Europarats und des Zusatzprotokolls entsprochen und die Ratifizierung ermöglicht, so wie dies außer uns übrigens mittlerweile alle EU-Mitgliedstaaten und fast alle Mitgliedstaaten des Europarats getan haben. Zusammenfassend heißt das: Wir setzen neue Maßstäbe bei der Korruptionsbekämpfung und beenden damit den Stillstand, der in der letzten Legislaturperiode im Korruptionsstrafrecht herrschte. Lassen sich mich kurz noch einmal ein paar Worte zum Kernstück des Gesetzentwurfs sagen, der Erweiterung des Straftatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Bei der Bestechung im geschäftlichen Verkehr wird nicht ein Amtsträger bestochen, sondern ein Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens. Strafbar ist dies nach geltender Rechtslage nur, wenn mit der Bestechung eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb erkauft werden soll. Vielzitiertes Beispiel ist hier der Einkäufer eines Unternehmens, der von einem Zulieferer ein Bestechungsgeld erhält und dafür im Gegenzug diesem Zulieferer und nicht einem günstigeren Konkurrenten den Zuschlag erteilt. Mangelt es jedoch an einer Wettbewerbsverzerrung, scheidet eine Korruptionsstrafbarkeit derzeit aus. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Dieser Umstand ist erstens rechtspolitisch nicht hinnehmbar, und zweitens entspricht er auch nicht den Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses. Dieser verlangt eine ausdrückliche Strafbarkeit nach dem Geschäftsherrenmodell. Ein Beispiel ist der Qualitätsprüfer eines Unternehmens, der sich vom Zulieferer bestechen lässt und deshalb die fehlerhafte Ware nicht bemängelt. Deshalb ändern wir hier die Strafbarkeit und schließen somit diese Regelungslücke. Bei der Neufassung des § 299 des Strafgesetzbuches zeigte auch das Struck’sche Gesetz seine volle Wirkung: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde ergänzt und zum Teil neu gefasst, um insbesondere den Bedenken und der Kritik aus der Sachverständigenanhörung Rechnung zu tragen. An dieser Stelle noch einmal Dank an den Kollegen Grindel! Ich denke, hier haben wir die Sachverständigenanhörung gut ausgewertet und das gut in den Änderungsantrag eingebracht. (Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]) Wir haben dabei zum einen klargestellt, dass der bestochene Angestellte seine Pflichten verletzen muss, indem er eine Handlung vornimmt oder unterlässt. Dadurch wird verdeutlicht, dass die bloße Annahme eines Vorteils und ein darin liegender Compliance-Verstoß für die Strafbarkeit nicht ausreichen, sondern die tatsächliche Pflichtverletzung durch eine darüber hinausgehende Handlung oder Unterlassung erfolgen muss. Zum anderen soll die Strafbarkeit erfordern, dass die Tat ohne Einwilligung des Unternehmens erfolgt. Die Regelung soll die Rechtssicherheit insbesondere für Angestellte und Beauftragte erhöhen, indem sie verdeutlicht, dass bei einem transparenten und vom Unternehmen gebilligten Verhalten kein Risiko einer Strafbarkeit nach § 299 StGB besteht. Zusätzlich haben wir in Umsetzung des Koalitionsvertrags die Strafbarkeit der Selbstgeldwäsche entsprechend den Vorgaben der Financial Action Task Force erweitert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Konkret heißt das hier: Wenn ein Vortatbeteiligter einen aus seiner eigenen Straftat herrührenden Gegenstand in den Verkehr bringt und dabei dessen rechtswidrige Herkunft verschleiert, gilt der bisher bestehende umfassende persönliche Strafausschließungsgrund in § 261 StGB nicht mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir legen einen durchdachten Gesetzentwurf vor, der sich als geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Korruption in Deutschland erweisen wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Jörn Wunderlich, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun ist er endlich abschlussreif, der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption. Wir hatten schon in der vorletzten Legislatur einen fast gleichlautenden Gesetzentwurf. Der ist leider gescheitert. Dann war die Legislatur vorbei. Woran lag es? Weil da eine Regelung zur Abgeordnetenbestechung mit enthalten war. Das wollte – jetzt hätte ich fast gesagt: der schwarze Block – der schwarze Teil der rot-schwarzen Regierung natürlich nicht. – Gut. In der darauffolgenden Legislatur, unter Schwarz-Gelb, war das Thema natürlich völlig vom Tisch. Jetzt, Herr Wiese, muss ich einmal sagen: Der 2014 erlassene § 108 e zur Abgeordnetenbestechung ist eine Lachnummer. Jeder Richter freut sich darüber, weil der keine Arbeit macht; denn aufgrund dieses Paragrafen können nur saudumme Abgeordnete bestraft werden. Er greift ja nur, wenn etwas auf Weisung oder Auftrag geschieht. Nur dann, wenn einer hingeht und sagt: „Ein Lobbyist hat mir 10 000 Euro gegeben. Dafür stimme ich jetzt entsprechend ab“, macht er sich strafbar. Wenn er aber sagt: „Ich habe mir die Argumente noch einmal durchgelesen und sie mir zu eigen gemacht“, dann nicht. Also so blöd ist, glaube ich, keiner hier im Hause. Aber das nur mal am Rande. Jetzt geht es um die EU-Richtlinie, deren Umsetzung schon länger überfällig ist. Immerhin, jetzt soll es so weit sein. Gut, es hat etwas Positives – das hat auch schon mein Kollege Frank Tempel bei der ersten Lesung hier im Plenarsaal festgestellt –, dass in dem Entwurf Regelungen des EU-Bestechungsgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom Nebenstrafrecht ins Strafgesetzbuch übertragen werden. Aber – das ist auch schon angesprochen worden – die Erweiterung der Strafvorschrift des § 299 StGB durch Einführung des Geschäftsherrenmodells geht zu weit. So geht es gegenwärtig im Rahmen des § 299 noch um den Wettbewerbsschutz und nur mittelbar um Vermögensinteressen von Wettbewerbern oder Geschäftsherren. Das Beispiel mit dem Materialprüfer, das Sie genannt haben, hinkt ja ein bisschen. Dabei geht es ja darum, dass jemand etwas unternimmt bzw. unterlässt, indem er etwa für die Firma schlechteres Material einkauft. Da entsteht ja auch ein Schaden. Aber dass ein solcher Schaden entsteht, ist nach dem neuen Modell ja gar nicht mehr notwendig. Das geschützte Rechtsgut wird jetzt so geändert, dass es nicht mehr auf einen Vermögensnachteil ankommt, sondern es reicht aus, dass ein Angestellter eines Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten annimmt und dass er in Bezug auf die Dienstleistungen seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletzt. Das klingt jetzt ein bisschen kompliziert. Ich will das einmal an einem Beispiel verdeutlichen: Ein Catering-Unternehmen bekommt den Auftrag, für die Vereinsfeier eines Fußballvereins Essen zu liefern. Laut Arbeitsvertrag müssen die Mitarbeiter ihre Dienstkleidung mit dem Emblem der Firma tragen. Jetzt kommen sie da an, bauen die Tabletts mit den Schnittchen auf, und da sagt der Veranstalter: Passt einmal auf, wenn ihr unsere Fußballtrikots anzieht, dann bekommt ihr für das nächste Heimspiel Freikarten. – Dann sagen die: Klasse, das machen wir. – Damit machen sie sich strafbar, weil sie nämlich gegen die Vorschriften des Unternehmens verstoßen, und das ganz unabhängig davon, ob der Fußballverein anschließend sagt: So ein toller Laden, da bestellen wir immer wieder. – Also selbst dann, wenn es einen Vermögensvorteil für den Unternehmer gibt, würden sich die Mitarbeiter strafbar machen. Unterliegen sie der Versuchung, droht ihnen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Essen ist gefährlicher, als man denkt!) aber das alles ins Gutdünken des Arbeitgebers gestellt, weil es sich ja um ein Antragsdelikt handelt. Ich glaube nicht, dass die Staatsanwaltschaft da ein besonderes Interesse an Strafverfolgung bejahen würde. Es hängt eben vom Strafantrag des Auftraggebers ab. Das heißt, hier wird alles in die Entscheidungsgewalt der Unternehmen verlagert, ob eine Tat strafrechtlich zu belangen ist oder nicht. Das ist einfach zu unbestimmt. Da kann sich jetzt jeder sein eigenes Beispiel ausdenken. Es gibt tausend Möglichkeiten, wie man das ausgestalten kann. Das ist nach Artikel 103 Grundgesetz zu unbestimmt, und das ist nicht nachvollziehbar. Whistleblower-Schutz fehlt im Gesetz in Gänze; und damit wird eine wesentliche Vorgabe aus dem Strafrechtsübereinkommen des Europarates nicht umgesetzt, die sich aus Artikel 22 und 33 des Übereinkommens ergibt. Whistleblower sind aber unbedingt vor Strafverfolgung zu schützen; denn gerade im Bereich Korruption in Wirtschaft und Politik sind wir im Grunde auf Whistle­blower angewiesen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese müssen geschützt werden, um nachteilige Folgen für sie abzuwenden. Außerdem ist hier wieder – das muss man auch einmal feststellen – eine riesige Chance vertan worden, Korruption in den eigenen Reihen zu verhindern. Ein dringend notwendiges, verpflichtendes Lobbyregister fehlt auch. Das ist erkennbar auch nicht gewollt, wobei ein solches Register – das muss ich sagen – möglicherweise die Abgasskandale bei VW transparenter gemacht hätte und wir vielleicht heute schon wüssten, wer von der Regierung diese Schweinereien gedeckt hat. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das war ja ein müder Abgang! Ganz müder Abgang!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Reinhard Grindel von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kernpunkt des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption sollte nach dem Regierungsentwurf die Einführung des Geschäftsherrenmodells sein. Dagegen haben sich im Schrifttum und auch in unserer öffentlichen Anhörung erhebliche Bedenken ergeben – mit beachtlichen Argumenten. (Beifall des Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rechtsgut des § 299 Strafgesetzbuch war bisher der Schutz des lauteren Wettbewerbs. Bestraft wird danach, wer sich einen Vorteil dafür verschafft, dass er einen anderen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugt, also klassischerweise, wie Kollege Wiese das angesprochen hat, bei Ausschreibungen. Mit dem neuen § 299 Strafgesetzbuch sollte es nun um den Schutz der Vermögensinteressen des Unternehmens gehen. Es sollte auch ein Angestellter bestraft werden, wenn er beim Bezug von Waren und Dienstleistungen einen Vorteil dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, da er seine Pflicht gegenüber dem Unternehmen verletzt. Der reine Verstoß gegen Compliance-Vorschriften eines Unternehmens hätte also für den Angestellten strafrechtliche Konsequenzen haben können. Dagegen ist zu Recht argumentiert worden, dass es nicht sein darf, dass ein Privater, also der Unternehmer, die Reichweite einer Strafvorschrift bestimmt. Der potenzielle Bestecher kann den Pflichtenkreis des Angestellten auch möglicherweise gar nicht hinreichend kennen. Unternehmen – auch das ist in der öffentlichen Anhörung angesprochen worden – könnten zudem veranlasst sein, ihre Compliance-Vorschriften erheblich zusammenzustreichen, um sich nicht quasi selbst solche Korruptionsfälle im Haus zu schaffen, die dann zu Problemen bei der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen führen. Die Koalitionsfraktionen haben im Hinblick auf die Anregungen in der öffentlichen Anhörung deshalb – das Kompliment für die gute Zusammenarbeit gebe ich gerne an Kollege Wiese zurück – zwei gravierende Veränderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgenommen. Nach dem jetzt neuen § 299 Strafgesetzbuch reicht die reine Pflichtverletzung für die Begründung der Strafbarkeit nicht mehr aus, sondern es muss eine Handlung oder Unterlassung hinzutreten, die über die reine Pflichtverletzung hinausgeht. Das bedeutet: Die bloße Annahme des Vorteils oder das reine Verschweigen einer Zuwendung gegenüber dem Geschäftsherrn reicht nicht aus, sondern es muss ein darüber hinausgehendes Verhalten des Vorteilsnehmers erfolgen. Mit Blick auf eine Kritik der Kollegin Keul im Ausschuss will ich auch auf unsere Begründung des Änderungsantrages hinweisen, in der es ausdrücklich heißt: Ein Vorteil, dessen Annahme eine Pflichtverletzung begründet, ist nicht zugleich Gegenleistung für diese Pflichtverletzung. Nochmals: Es muss vielmehr im Rahmen der Unrechtsvereinbarung zu einer im Interesse des Vorteilsgebers liegenden gesonderten Gegenleistung des Vorteilsnehmers kommen. Wir brauchen also eine Unrechtsvereinbarung, und wir brauchen eine korrespondierende Handlung oder Unterlassung. Damit wird im Hinblick auf den alten § 299 Strafgesetzbuch, der ja tatbestandsmäßig erhalten bleibt, und im Hinblick auf die Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch der Anwendungsbereich des Geschäftsherrenmodells erheblich eingeschränkt, und das ist auch gut so. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun wissen wir, dass solche Änderungen des Strafrechts immer auch geeignet sind, für Unsicherheiten in der Rechtsanwendung zu sorgen. Deshalb haben wir aus Klarstellungsgründen eine weitere Ergänzung des Regierungsentwurfs vorgenommen: In Zukunft kann ein Angestellter den Tatbestand der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nur verwirklichen, wenn er dies ohne Einwilligung des Unternehmens tut. Wir machen deutlich, dass bei einem transparenten und vom Unternehmen gebilligten Verhalten kein Risiko einer Strafbarkeit besteht. Das entspricht auch dem Verfahren in vielen, vor allem größeren Unternehmen, wo man der Compliance- oder Personalabteilung oder seinem Vorgesetzten eine Einladung oder ein Geschenk anzeigt und sich die Annahme dann genehmigen lässt. Einer nachträglichen Genehmigung bedarf es übrigens nicht, weil es sich hier ohnehin um ein Antragsdelikt handelt. Nun ist von der Opposition im Ausschuss und auch heute wieder hier im Plenum gefragt worden: Warum verzichtet ihr nicht ganz auf das Geschäftsherrenmodell? Wer meine Rede aus der ersten Lesung nachgelesen hat, der weiß, dass ich für diese Argumentation eine gewisse Offenheit zeige. Aber wir mussten bei den Ausschussberatungen zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung eindringlich darauf verwiesen hat, dass wir aus Anlass der Übernahme von EU-Richtlinien und Beschlüssen des Europarats um diesen gesetzgeberischen Schritt nicht herumkommen, wenn wir uns nicht einem Vertragsverletzungsverfahren aussetzen wollen. Auf die Richtigkeit dieser Aussage vertrauen wir, wenngleich auch dies in unserer Anhörung vereinzelt anders beurteilt worden ist. Alles in allem – das will ich festhalten – haben wir den Tatbestand aber so klargestellt und auf den strafwürdigen Kern reduziert, dass er für die Praxis handhabbar ist und keine Verunsicherungen mit sich bringt. Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Gedanke: Antikorruptionsgesetze, Compliance-Kodex, Good-Governance-Vorschriften – alles gut und schön. Die Compliance-Regelungen von VW gelten bis heute unter Experten als absolut vorbildlich. Im Endeffekt kommt es deshalb nicht allein auf gute Vorschriften an, sondern auf gute Menschen, die sich im Wirtschaftsverkehr im Zweifel am Grundsatz ausrichten: Das tut man nicht. Und wo es zu wenige dieser guten Menschen gibt, können wir noch so viele gute Gesetze machen und werden Fehlverhalten trotzdem nicht verhindern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Katja Keul von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Hut ab, Herr Grindel: Problem erkannt, aber mit dem Änderungsantrag leider nicht behoben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie wollen heute ein Gesetz verabschieden, mit dem Sie es künftig Arbeitgebern überlassen, festzulegen, was in diesem Land strafbar ist oder nicht. Nichts anderes ist die Einführung des sogenannten Geschäftsherrenmodells. Bislang ist nach § 299 StGB strafbar, wer sich als Angestellter eines Unternehmens bestechen lässt, um andere in unlauterer Weise zu bevorteilen, und damit den Wettbewerb verzerrt. Gleiches gilt für den Bestechenden. Geschütztes Rechtsgut ist dabei der freie Wettbewerb sowie die Vermögensinteressen der Mitbewerber und des Geschäftsherrn. Wer seinem Geschäftsherrn durch ein solches Verhalten auch noch einen Vermögensnachteil verursacht, kann außerdem wegen Untreue nach § 266 StGB bestraft werden. Damit sind alle in Betracht kommenden Rechtsgüter in diesem Zusammenhang ausreichend geschützt. Künftig soll aber die Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten strafbar sein, unabhängig von einem Vermögensschaden oder einer Wettbewerbsverzerrung. Schutzgut soll laut Ihrer Gesetzesbegründung das Interesse des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten sein. Das ist doch aber eine zivilrechtliche Angelegenheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und kein strafrechtliches Schutzgut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn ich mich einer Weisung meines Arbeitgebers widersetze, muss ich als Arbeitnehmer mit einer Abmahnung rechnen, aber doch nicht mit Gefängnis. Hinzu kommt: Ob das Interesse des Geschäftsherrn schutzwürdig ist oder nicht, hängt doch wohl ganz von der Pflicht im Einzelnen ab. Wir wissen doch gar nicht, was das für Pflichten sind und ob die im Sinne des Allgemeinwohls liegen. In einem Arbeitsvertrag kann ich alles Mögliche vereinbaren. Ein Chef verlangt von seinem Arbeitnehmer, er soll die Waren nur an Leute mit rot-grünen Armbändern verkaufen. Dann kommt jemand und sagt: Ich gebe dir einen aus, wenn du mir die Ware verkaufst, auch wenn ich nur ein schwarzes Armband habe. – Das ist künftig eine Straftat. Was ist denn das für ein Unfug! Es ist unsere Aufgabe, als Gesetzgeber festzulegen, was strafbar ist und was nicht. Das erfordert schon das Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 Grundgesetz. Sie dürfen das gar nicht an Privatpersonen delegieren. Ich halte das für verfassungswidrig. Dazu werden wir auch nicht durch europarechtliche Vorgaben verpflichtet, wie Sie es in Ihrer Gesetzesbegründung behaupten. Das Geschäftsherrenmodell steht in keiner Richtlinie, sondern lediglich in einem Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2003. Deutschland hatte dieser Erklärung damals nur zugestimmt, soweit der Geltungsbereich auf Fälle der Wettbewerbsverzerrung beschränkt sei. Dieser Vorbehalt sollte ab 2005 für fünf Jahre, also bis 2010, gelten. Bis dahin wollte der Rat überprüfen, ob die Geltungsdauer dieser Erklärung verlängert werden kann. Das hat er aber nicht getan. Stattdessen wurden Rahmenbeschlüsse als legislatives EU-Instrument mit dem Lissabon-Vertrag von 2009 ganz abgeschafft. Damit trat auch Artikel 83 AEUV in Kraft, wonach eine Angleichung des Strafrechts hohen Hürden unterliegt, und das zu Recht. Mitgliedstaaten dürfen danach die Notbremse ziehen, wenn grundlegende Aspekte des nationalen Strafrechts betroffen sind. Das wäre auch in diesem Fall eindeutig das Beste gewesen, statt einmal wieder neue Straftatbestände zu schaffen, die keiner braucht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Da wird es auch nicht besser, dass Sie jetzt im Wege des Änderungsantrages auch noch die sogenannte Selbstgeldwäsche unter Strafe stellen. Sie wollen jetzt den Dieb, der das geklaute Geld ausgibt, noch einmal gesondert wegen Geldwäsche bestrafen, wenn er dabei die Herkunft des Geldes aus dem Diebstahl verschleiert. Wozu das gut sein soll, erschließt sich mir nicht. In Kurzform heißt das Gesetz jetzt: Wer die Herkunft verschleiert, macht sich strafbar, es sei denn, er ist der Täter, es sei denn, er verschleiert die Herkunft. Mit Rechtsklarheit hat das wohl wenig zu tun. Wenn Sie wirklich etwas gegen Korruption machen wollen, dann führen Sie endlich einen Whistleblower-­Schutz ein, damit kriminelle Netzwerke aufgedeckt und ermittelt werden können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Fazit: Das Geschäftsherrenmodell ist unsinnig und verfassungswidrig und wird von uns abgelehnt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption und unternehmen damit einen wichtigen Schritt bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Korruption ist ein schleichendes Gift, das nicht nur monetäre Schäden anrichtet, sondern auch das Vertrauen und das Fundament unserer Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung untergräbt. Im Vordergrund dieses Gesetzes steht der Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Ein wesentliches Element bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist der Kampf gegen Geldwäsche. Man kann zu Recht zugespitzt formulieren: Folgen Sie dem Geld, und entdecken Sie damit die kriminellen Strukturen! – Wir wollen und werden diese kriminellen Strukturen bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein wichtiger Schritt ist die Einführung der Strafbarkeit der sogenannten Selbstgeldwäsche. Es ist bislang so, dass der Täter bei einer Vortat einen persönlichen Strafausschließungsgrund hat, wenn er das Delikt der Geldwäsche begeht. Es darf allerdings keine Rolle spielen, ob das Geld, das durch die Vortat erlangt worden ist, durch Dritte oder durch den Täter selbst in den Verkehr gebracht wird. Das In-den-Verkehr-Bringen des Geldes aus der Vortat allein erfüllt den Unrechtsgehalt und schädigt unsere Wirtschaftsordnung. Deswegen hat die Geldwäsche einen eigenen Unrechtsgehalt, und deswegen müssen und dürfen wir zukünftig den Vortäter bestrafen. Das, Frau Kollegin Keul, ist ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Ich bitte, das nicht gering zu achten. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, mit ihrer Untergruppierung Financial Action Task Force hat in mehreren Berichten dringend angemahnt, die Selbstgeldwäsche in Deutschland endlich unter Strafe zu stellen. Ich bin in diesem Zusammenhang auch unserem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sehr dankbar, (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der versteht ja was vom Thema!) der bereits im Jahre 2014 dringend angemahnt hat, diese Strafbarkeitslücke zu schließen. Wir schließen Sie heute und unternehmen damit einen weiteren Schritt, der uns davor bewahrt, in ein Überwachungsverfahren der OECD zu geraten oder international auf den Finanzmärkten Reputation zu verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das bei Geldkoffern?) Wir werden, meine Damen und Herren, in den nächsten Monaten in diesem Hohen Hause auch die 4. EU-Anti-­Geldwäsche-Richtlinie besprechen und sie einer Umsetzung zuführen. Hier werden weitere Vorschriften umzusetzen sein. Es ist schwer verständlich, weshalb Banken den Strafverfolgungsbehörden Transaktionen von Geldbeträgen ab etwa 15 000 Euro melden müssen, aber es für Spielkasinos und andere Einrichtungen bislang keine korrespondierenden Vorschriften gibt. Auch das werden wir ändern. Unser Augenmerk richtet sich darauf, kriminelle Strukturen zu bekämpfen, indem wir der Spur des Geldes folgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Heute, meine Damen und Herren, liegt ein sehr ausgewogener, intensiv abgestimmter und guter Gesetzesvorschlag vor. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anders kennen wir das von dieser Koalition überhaupt nicht!) Ich kann Ihnen empfehlen, diesen Gesetzesvorschlag anzunehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6389, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4350 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts Drucksachen 18/5918, 18/6287 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6380 Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann geschieht das auch so.9 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts. Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auch Änderungen der Zivilprozessordnung und kostenrechtlicher Vorschriften. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Gesetzentwurf einschließlich der genannten Änderungen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6380, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5918 und 18/6287 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen worden mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes Drucksachen 18/5925, 18/6292 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/6383 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6388 Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auch Änderungen weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Dr. Nina Scheer von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute über das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz zu beraten und abzustimmen. Damit wird ein Vorhaben aus dem NAPE umgesetzt, mit dem in einer vereinfachten Form dargestellt werden soll, wie effizient eine Heizungsanlage ist. Wir haben zurzeit recht überschaubare Modernisierungs- und Austauschraten im Gebäudebereich; die Austauschrate von Heizungsanlagen in Gebäuden beträgt zurzeit 3 Prozent. Jetzt ist die Idee gewesen – und das ist verbrieft in diesem Gesetzentwurf –, dass man durch das Aufbringen eines Aufklebers mit der berühmten Skala und einer entsprechenden Buchstabennummerierung schon auf den ersten Blick ganz leicht erkennen kann, wie effizient bzw. wie ineffizient eine Heizungsanlage ist; denn bei einem Durchschnittsalter einer Heizungsanlage von 17 Jahren ist es opportun, den einen oder anderen Hauseigentümer oder die eine oder andere Hauseigentümerin darauf hinzuweisen, dass die Anlage nicht mehr so effizient ist und ausgetauscht werden sollte. Die Skalen kennt man schon von den Elektrogeräten. Ich denke, sie sind einfach zu überschauen und inzwischen so bekannt, dass man erwarten kann, dass schon beim ersten Blick auf die Skala der gewünschte Effekt erzielt wird. Man kann davon ausgehen, dass durch dieses Instrument die Austauschrate – der Anstieg ist zwar überschaubar, aber immerhin – auf 3,7 Prozent im Jahr erhöht wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 3,7 Prozent?) – Ja, auf 3,7 Prozent. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde, die Zahl ist immer noch sehr klein!) In Anbetracht des Aufwandes, der damit in Zusammenhang steht – es handelt sich dabei, wie gesagt, nur um das Aufbringen eines Aufklebers und das Überreichen von Informationsbroschüren durch den Schornsteinfeger –, ist das eigentlich ein ganz beträchtlicher Effekt. Die kostenfreie Erstinformation, die dem Eigentümer übergeben wird, und die ergänzenden Informationen über Investitionszuschüsse und weiter gehende Energieberatungsmöglichkeiten sind frei Haus. Es gab allerdings schon einige Kritik an dem Gesetzesvorhaben. Unter anderem haben einige Vertreter bemängelt, dass der Fokus allein auf die Heizungsanlage gerichtet wird; das sei nicht hinreichend. Gesagt wurde auch, dass die Mieter möglicherweise vernachlässigt würden; man müsse auch sie einbeziehen. Dazu möchte ich Folgendes sagen: Auf den ersten Blick kann man sagen, dass sich das charmant anhört. Man denkt spontan: Ja, vielleicht ist das zu kurz gegriffen. – Auf den zweiten Blick würde ich das aber verneinen; denn dieses Label soll nur einen Anstoß geben. Die Information ist an den Eigentümer zu richten und nicht unbedingt an den Mieter. Das Label könnte dem Mieter nämlich suggerieren, dass alles in Ordnung ist. Es könnte aber sein, dass mit den Fenstern und der sonstigen Dämmung im Haus nicht alles in Ordnung ist. Dann würde diese Information den Mieter unter Umständen fehlleiten. Das Label auf der Heizungsanlage und die begleitenden Informationen sollen eine Anstoßwirkung haben. Das ist Sinn und Zweck der Sache. Im Vergleich zum vorherigen Entwurf kam es zu einer Veränderung. Man hat sich darauf verständigt, die untersten beiden Kategorien der Skala zu streichen, weil es nur sehr wenige Anlagen gibt, die darunter fallen. Durch den Fortfall der untersten beiden Kategorien landen – das ist der Effekt – viel mehr Heizungsanlagen mit einem relativ schlechten Standard in der nunmehr untersten Kategorie der Skala. Aufgrund dieser Tatsache erreicht man durch dieses Label eine noch größere Anstoßwirkung. (Unruhe bei der CDU/CSU) – Übrigens würde ich mich freuen, wenn wir hier ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hätten. Für uns alle ist das eine späte Stunde. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte noch etwas zu dem Signal sagen, das der Schornsteinfeger aussendet. Bisher ist es so: Wenn der Schornsteinfeger dem Eigentümer sagt, dass die Heizung völlig in Ordnung ist, kann das bei dem Eigentümer durchaus den Eindruck erwecken, dass die Anlage auch effizient ist. Dieser Eindruck könnte entstehen. Man könnte glauben: Okay, mit meiner Heizungsanlage ist alles in Ordnung. – Wenn der Schornsteinfeger mit dem Label allerdings die Botschaft überbringt: „Ihre Heizungsanlage ist zwar für sich genommen in Ordnung, aber völlig ineffizient“, dann hat der Schornsteinfeger noch eine andere Botschaft im Gepäck. Vor allem suggeriert er nicht, dass alles in Ordnung sei. Die bis heute möglicherweise existierende kontraproduktive Wirkung wird damit also durchbrochen. Ich finde, auch das ist ein gewisser Charme dieses Gesetzentwurfs. Damit habe ich diesen Gesetzentwurf zur Genüge vorgestellt. Ich finde, das ist ein wenn auch überschaubarer, so doch nützlicher Schritt im Konzert der Maßnahmen zur Effizienzsteigerung, die wir brauchen und noch zu gestalten haben. Insofern bin ich guten Mutes, dass dieser Gesetzentwurf seinen Weg gehen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-Schröter das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etiketten auf Heizungen zu kleben, ist zunächst einmal richtig. Wir wollen damit den Hauseigentümern einen Denkanstoß geben. Die Menschen sollen ihre Heizung energetisch einordnen können. So weit, so gut. Dies kann einen Anstoß zu einer dringenden weiterführenden Energieberatung geben, muss es aber nicht. Damit das alles aber kein Etikettenschwindel wird, braucht es in diesem Bereich Energiesparen und Effizienz mehr; das wissen Sie auch alle. Vor allem braucht es endlich mehr Mut, meine Herren, für die Erneuerbare-Energien-Wärmewende. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Keine Diskriminierung!) – Ich traue Ihnen Mut zu; das ist doch keine Diskriminierung. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Hier müssen die Mittel des Marktanreizprogramms erhöht und verstetigt werden. Es ist schwer, Heizungslabels als kleinen Schritt in die richtige Richtung zu würdigen, weil dies gleichzeitig ein Licht darauf wirft, wie viele Schritte noch vor uns liegen und wie sehr die Bundesregierung hier stolpert. Nun ist seit dem NAPE, dem Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz, fast ein Jahr ins Land gegangen. Die Aufbruchstimmung ist verflogen. Wir warten weiterhin voller Ungeduld auf all die Ankündigungen wie etwa die „Energieeffizienzstrategie Gebäude“ oder ein Energieeffizienzgesetz. Wann kommen denn die Vorschläge, wie man die Instrumente DENEFF und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz sinnvoll zusammenführt und ganzheitliche Ansätze bei der energetischen Sanierung gesetzlich besser verankert? Darüber wird ja diskutiert. Inzwischen geht die Debatte aber weiter, und sie wird lauter. Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern: Sie haben ein neues Effizienzpaket geschnürt, um die den Kohlekraftwerken erlassenen CO2-Schulden über den Effizienzbereich zu stemmen – zusätzlich zum NAPE; denn irgendwie muss es ja kompensiert werden. Dafür stellen Sie 1,3 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Ich sage es einmal so: Das ist kein Pappenstiel. Aber schauen wir uns die Maßnahmen an, die Sie damit planen: Dabei geht es zum Beispiel um den Austausch von älteren Pumpen und eine Heizungsoptimierung. Aus unserer Sicht ist das eine klassische Ersatzhandlung: Sie tun das eine, weil Sie das andere nicht zustande bringen. Sie sollten noch entschlossener Anreize für den Wechsel auf die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmebereich setzen und beim KWK-Ziel nicht nachgeben. Im Vergleich dazu ist der Austausch der Pumpen eine Minimalmaßnahme. Sie kann zwar in der Breite wirken und spart Strom, sie kann aber gleichzeitig Chancen verbauen. Denn wenn die Hauseigentümer das Gefühl haben: „Jetzt habe ich schon etwas getan, und das relativ preiswert“, dann werden sie überlegen, ob sie sich noch eine neue Heizung kaufen; das wurde ja vorhin schon angesprochen. Folglich fassen sie die Heizung dann eben eine Weile nicht mehr an. Notwendig wäre aber eine umfassendere Sicht, die die ernsthafte Prüfung einer Umstellung auf die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmebereich einschließt. Die Leute bejahen die Energiewende; das ist mein Gefühl, und das hört man immer wieder. Aber im Energiebereich kommt nur wenig voran. Ich frage mich: Warum ist das so, und wie kann man das forcieren? Auch wenn sich die Öl- und Gaspreise nicht so entwickelt haben, wie es angenommen wurde: Ich denke schon, dass viele Leute bereit wären, hier etwas zu tun. Auch Sie müssen noch etwas tun. Die Konzepte sollten sich aber nicht auf die einzelnen Eigentümer konzentrieren. Vielmehr brauchen wir Quartierslösungen. Wir müssen noch viel mehr darüber reden, wie das geht und wie man hier vorwärtskommt. Das gibt die gesetzliche Lage aber leider nicht her. Da müssen Sie nachbessern. (Beifall bei der LINKEN) Wenn der Anteil der erneuerbaren Energien im Wärmebereich von derzeit 10 Prozent auf 14 Prozent im Jahr 2020 steigen soll, ist noch viel mehr Anstrengung erforderlich. Das müssen wir gemeinsam angehen. Im Übrigen: Ich habe einmal nachgesehen, wann bei meiner Heizung zu Hause das Etikett aufgeklebt werden muss: 2026. Das ist noch lange hin. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Hansjörg Durz von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im vergangenen Dezember hat das Kabinett den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz beschlossen und damit die Themen Energieeffizienz und Energieeinsparung deutlich stärker in den Fokus gerückt. Fördern und Fordern, Kommunikation und Beratung – mit dem NAPE verfügen wir über einen Maßnahmenkatalog, mit dem wir die von uns gesteckten Ziele im Bereich des Klimaschutzes erreichen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Damit allein erreichen Sie sie nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es könnte ruhig ein bisschen mehr sein!) – Das sehen wir dann. Durch die Zusammenschau der unterschiedlichsten Maßnahmen ist er zudem hilfreich, um sich im weiten Feld der Energieeffizienz zurechtzufinden. Er zeigt auf, wo Potenziale liegen und wie diese gehoben werden können. Es ist gut, dass das Thema Effizienz durch den NAPE stärker in den Fokus gerückt ist. Genau dieser Fokus ist auch notwendig, um der Energieeffizienz auch in der Öffentlichkeit zu dem Stellenwert zu verhelfen, den sie als zweite Säule der Energiewende verdient. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach einer entsprechenden Vorbereitungsphase befinden wir uns nun mitten in der Umsetzung des NAPE. Eine Vielzahl von Maßnahmen wurde bereits umgesetzt. Dazu zählen zum Beispiel die Weiterentwicklung der Energieberatung, die Verstetigung und Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Fortentwicklung des Marktanreizprogramms und die Umsetzung des Artikels 8 der EU-Energieeffizienz-Richtlinie. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, da gibt es gerade ein Vertragsverletzungsverfahren!) Frau Bulling-Schröter, das sind nur ein paar Maßnahmen, und uns liegt ja auch ein Zeitplan vor, bis wann die weiteren Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Sie sehen also: Hier ist sehr viel im Fluss. Mit der heutigen Verabschiedung der Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes fügen wir unserer Strategie einen weiteren Baustein hinzu. Wir sprechen häufig davon, welch hohen Anteil der Gebäudebestand mit knapp 40 Prozent für den Gesamt­energieverbrauch in Deutschland hat. Dabei liefert die Heizung wiederum den größten Beitrag innerhalb des Gebäudes. Deshalb halte ich es auch für äußerst positiv, dass wir heute die Gelegenheit haben, über genau eine solche Maßnahme zu diskutieren, die exakt diesen Bereich adressiert. Ich bin froh darüber, dass wir im Bereich der Energieeffizienz über eine konkrete Maßnahme diskutieren, die exemplarisch genau für die Art und Weise steht, wie wir uns als Union die Steigerung der Energieeffizienz vorstellen. Wir wollen die Potenziale nicht durch Zwang, sondern auf freiwilliger Basis heben: durch Information und Anreize. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Mit dem Nationalen Effizienzlabel für Heizungsaltanlagen gehen wir genau diesen Weg, indem wir den Verbraucher in den Mittelpunkt stellen. Für die Verbraucher soll mehr Transparenz entstehen, und sie sollen anhand objektiver Kriterien selber entscheiden können. Genau so wollen und werden wir zum Austausch motivieren. Fest steht: Das Potenzial zur Effizienzsteigerung im Bereich der Heizungsanlagen von Wohngebäuden ist riesig. 70 Prozent der Heizgeräte in Deutschland werden als nicht effizient eingestuft. Ein Grund dafür ist das Durchschnittsalter; wir haben es vorhin schon gehört. Es liegt bei den Geräten bei etwa 17,6 Jahren. Ein Drittel ist sogar älter als 20 Jahre. Unser erklärtes Ziel ist es, die Sanierungsrate signifikant zu erhöhen. Deshalb werden mit Start zum 1. Januar 2016 Heizkessel von Heizungsinstallateuren, Gebäudeenergieberatern oder Schornsteinfegern mit einem Aufkleber versehen, mit dessen Hilfe der Verbraucher über die Effizienz der Anlage informiert wird – und das ohne Kosten für den Verbraucher. Gekennzeichnet werden in einem ersten Schritt jene Anlagen, die älter als Baujahr 1986 sind. In den folgenden Jahren werden sukzessive auch jüngere Altersklassen in das Verfahren einbezogen, bis schließlich nach einem stetigen Prozess im Jahr 2023, also nach acht Jahren, alle knapp 13 Millionen Anlagen erfasst sind, die dann älter als 15 Jahre sind. Der Aufkleber soll den Verbraucher über den Effizienzstatus seines Heizkessels informieren und damit verdeutlichen, inwieweit aus Effizienzgesichtspunkten Handlungsbedarf besteht. Gleichzeitig erhält der Besitzer Informationen über Heizungschecks, Vor-Ort-Beratungsmöglichkeiten und mögliche Förderprogramme. Im Übrigen setzt der Aufkleber auf dem bestehenden EU-weiten Effizienzlabel für neue Heizkessel auf, das seit September 2015 gilt. Das Label ist dem Verbraucher außerdem bereits von Konsumgütern bestens bekannt. Damit erreichen wir einen hohen Wiedererkennungswert. Mit dem engen Bezug zu dem EU-Etikett für Neugeräte stellen wir außerdem eine Vergleichbarkeit von Altgeräten und Neugeräten für den Verbraucher sicher. Mit unserer Beschlussempfehlung schlagen wir zudem vor – auch das ist bereits angeklungen –, die bisherigen Effizienzklassen F und G zu streichen, da sie für die Heizungsanlagen in Deutschland quasi keine Rolle spielen werden. Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung ist das Heizungslabel dazu geeignet, die Austauschrate von Heizungsanlagen um 20 Prozent pro Jahr zu erhöhen. Das ist also wirklich ein nicht ganz unwesentlicher Schritt. Sehr geehrte Damen und Herren, für notwendige Informationen zu sorgen, ist ein Schritt. Mit dem Heizungslabel haben wir eine hervorragende Möglichkeit, den Verbraucher direkt zu sensibilisieren. Doch damit ist zunächst nur der erste Schritt getan. Der zweite muss folgen, nämlich die Sanierung anzureizen. Dazu ist die konkrete Ausgestaltung der Förderung von zentraler Bedeutung. Die Fördermittel im Bereich der Energieeffizienz wurden enorm aufgestockt. Wir nehmen in den kommenden fünf Jahren, wenn man die Maßnahmen zusammenzählt, insgesamt etwa 8 Milliarden Euro in die Hand – eine ganz beträchtliche Summe –, um ein ganzes Bündel an Maßnahmen im Bereich Energieeffizienz umzusetzen. Speziell im Bereich Heizung zählen dazu beispielsweise der Pumpentausch in Gebäuden, mit dem insbesondere durch den Einbau von modernen und hocheffizienten Pumpen Energieeinsparungen von 70 bis 80 Prozent erreicht werden können; oder das Programm zur Förderung der Heizungsoptimierung, mit dem bestehende Anlagen optimal eingestellt und somit ohne große Baumaßnahmen Effizienzsteigerungen erreicht werden; oder das Marktanreizprogramm, mit dem das Heizen mit erneuerbaren Energien gefördert wird, das bereits zum 1. April dieses Jahres modifiziert wurde und seitdem wieder sehr gut nachgefragt wird. Die Information und die Förderinstrumente helfen uns nicht nur, die Klimaziele zu erreichen, sondern werden auch einen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft leisten und sind ein enormes Konjunkturprogramm, also insgesamt eine sehr sinnvolle Maßnahme. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gleichzeitig mit dem Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz treffen wir auch eine Entscheidung im Bereich Energieleitungsbau. Künftig wird der Turnus des Netzentwicklungsplans neu gefasst und von einem jährlichen auf einen zweijährigen Zyklus umgestellt. Dadurch wird der Prozess insgesamt schlanker, besser strukturiert und verständlicher. Damit die Regelung bereits für den nächsten NEP greift und der neue Turnus bereits 2016 angewendet werden kann, muss die Änderung noch in diesem Jahr in Kraft treten. Deshalb bitte ich Sie insgesamt um Zustimmung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Dr. Julia Verlinden von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute, fast ein Jahr nachdem der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz verabschiedet wurde, über eine sogenannte Sofortmaßnahme, die hier zur Umsetzung steht. Das, finde ich, ist sehr amüsant. In dieser Sofortmaßnahme, nämlich in dem vorgelegten Gesetzentwurf, steht, dass die Bundesregierung mit diesem Aufkleber für Heizungen das Ziel verfolge, dass sich die „Inanspruchnahme einer weiter gehenden Energieberatung“ erhöhe und dass sich die Motivation der Verbraucher erhöhe, um alte, ineffiziente Heizgeräte auszutauschen. – Ja, Anreize zum Austausch von alten Heizungen fordern wir Grüne ja schon lange, um den Energieverbrauch zu verringern und um natürlich auch das Klima zu schützen. Schauen wir uns einmal genauer an, was die Bundesregierung hier vorlegt. Die Schornsteinfeger sollen je nach Energieeffizienzkategorie ein Label auf die Heizung im Keller kleben. Und sie sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher auf weiterführende Beratungsangebote aufmerksam machen. – Das war’s. Das ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Diese Maßnahme entspricht nicht den notwendigen Klimaschutz- und Energieeinsparbemühungen in Gebäuden und wird den vorhandenen Energieeffizienzpotenzialen auch nicht annähernd gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Vergleich zum Jahr 2008 will die Bundesregierung bis 2020 insgesamt 20 Prozent Energie einsparen. Geschafft sind bisher genau 6,4 Prozent. Es bleiben also gerade einmal noch fünf Jahre Zeit. Die Bundesregierung muss hier ganz schön flott noch sehr viel in Bewegung setzen, um diese Menge Energie einzusparen. Der Grund dafür ist nicht nur, dass sie es sich selbst vorgenommen hat. Vielmehr steckt die Bundesregierung mitten in einem EU-Vertragsverletzungsverfahren, weil sie die EU-Energieeffizienz-Richtlinie bisher nicht zufriedenstellend umgesetzt hat. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich weiß nicht, was Sie daran so lustig finden. Das wird für die Bundesregierung ziemlich teuer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir schaffen es!) Im Zweifel können das ziemlich hohe Strafzahlungen werden. Aber gut, Sie erklären dann den Steuerzahlern, dass Sie eben nicht nur die Energiewende riskieren, sondern eben auch die Strafzahlungen vor dem EuGH. Es ist echt tragisch, wie schwer Sie sich mit einer vernünftigen Energieeffizienzpolitik tun. Wenn dieser bunte Heizungsaufkleber seine prognostizierte Wirkung erzielt – das muss sich erst noch zeigen –, dann trägt dieses Instrument mit sage und schreibe – aufgepasst! – 0,3 Prozent zum Einsparziel bei. Das ist zwar besser als nichts, aber zu einer wirksamen Energieeffizienzpolitik, die den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, gehören weitere politische Maßnahmen. Denn durch die Etikettierung der Heizkessel werden insbesondere Vermieter überhaupt keinen Anreiz haben, alte Kessel auszutauschen. Dass die alten Heizungen viel zu viel Energie verbrauchen, ist den Vermietern egal. Denn die Heizkosten zahlen die Mieterinnen und Mieter, und diese erfahren nicht einmal – wir haben es gerade gehört –, ob ihr Vermieter eine völlig ineffiziente und veraltete Heizungsanlage im Keller stehen hat. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, das Instrument zu verbessern, indem man hier mehr Transparenz für die Mieter herstellt. Aber dem wollte die Bundesregierung nicht folgen. Das finde ich äußerst bedauerlich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum auch?) Auch eine bessere Verschränkung des neuen Instruments mit der existierenden Energieeinsparverordnung haben Sie leider nicht umgesetzt. Denn die Energieeinsparverordnung – Herr Durz hat sehr viel von Freiwilligkeit gesprochen; ich weiß nicht, ob er die Energieeinsparverordnung kennt – sieht bereits seit längerem eine Austauschpflicht für Heizkessel vor, die älter als 30 Jahre sind. Ich glaube nicht, dass es Ihnen mit der Modernisierung des Heizungsbestands so ernst ist wie uns Grünen. Denn wir Grünen wollen einen wirksamen Instrumentenmix für die Gebäudesanierung. Dazu gehört aus unserer Sicht vor allem eine massive Förderung von Quartierssanierungen dort, wo viele einkommensschwache Haushalte zur Miete wohnen. Denn wir wollen nicht, dass diese Menschen den stetig steigenden Heizkosten quasi ausgeliefert sind. Und für Hauseigentümer und -eigentümerinnen eignet sich eine ausführliche, qualitativ hochwertige Beratung wie ein individueller Gebäudesanierungsfahrplan deutlich besser zur Planung der Erneuerung der Heizungsanlage als ein Aufkleber. Kommen Sie endlich in die Puschen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Es wäre doch beschämend, wenn wir beim Thema Gebäudesanierung weiter nur in kleinen Tippelschritten vorankommen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6383, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5925 und 18/6292 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 Drucksachen 18/5927, 18/6288 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/6385 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.10 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6385, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/5927 und 18/6288 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen worden. Das passiert ja auch nicht so häufig. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes Drucksache 18/5759 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/6233 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.11 Dann kommen wir jetzt gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6233, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5759 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes Drucksache 18/6186 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6390 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.12 Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6390, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6186 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5579 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6369 Buchstabe a Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.13 Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5579 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen worden. Über die Buchstaben b und c der Beschlussempfehlung wurde bereits unter Tagesordnungspunkt 31 b abgestimmt. Es gibt – weil es Verwunderung gab – nur eine zweite Lesung, da es sich um ein Vertragsgesetz handelt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes Drucksache 18/6164 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.14 Hier wird interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/6164 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz – APAReG) Drucksache 18/6282 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind.15 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6282 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. Oktober 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. (Schluss: 21.55 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.10.2015 Becker, Dirk SPD 15.10.2015 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 15.10.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 15.10.2015 Gambke, Dr. Thomas BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.10.2015 Gleicke, Iris SPD 15.10.2015 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 15.10.2015 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 15.10.2015 Henke, Rudolf CDU/CSU 15.10.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 15.10.2015 Kolbe, Daniela SPD 15.10.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.10.2015 Nord, Thomas DIE LINKE 15.10.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 15.10.2015 Pilger, Detlev SPD 15.10.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 15.10.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 15.10.2015 Wicklein, Andrea SPD 15.10.2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 15.10.2015 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 15.10.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Sven-Christian Kindler, Peter Meiwald, Monika Lazar, Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer und Stephan Kühn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Immer mehr Menschen verlassen weltweit aus größter Not ihre Heimat und flüchten. Sie fliehen vor Gewalt, Terror, Krieg und Verfolgung. Den Menschen, die nach Europa und Deutschland fliehen, wollen wir mit offenen Armen begegnen. Sie haben ein Recht auf Schutz und ein menschenwürdiges Leben. Wir sind einerseits erschüttert über die gewalttätigen Übergriffe auf Geflüchtete in Deutschland. Immer wieder brennen geplante oder bereits bewohnte Flüchtlingsunterkünfte. Bereits jetzt gab es dieses Jahr über 500 Angriffe auf Unterkünfte. Andererseits freuen wir uns über die große Willkommenskultur, die wir auf Bahnhöfen, in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in den Städten und Gemeinden erleben. Viele zehntausend Menschen leisten tagtäglich ehrenamtlich unglaublich viel für eine gelebte Willkommenskultur in Deutschland. Sie zeigen immer und immer wieder aufs Neue ihre Solidarität mit den Geflüchteten. Diesen Menschen gilt unser Dank und unsere Anerkennung. Es wäre jetzt Aufgabe der Bundesregierung, sich dieser Hilfsbereitschaft mit deutlichen Verbesserungen im Asylrecht anzuschließen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendige finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Vernünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Standards flexibilisiert wird, auch wenn sich diese Standardsenkung nicht verstetigen und auf andere Bereiche ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten unter engen Voraussetzungen einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten können. Dies ist allerdings mit seinen Einschränkungen alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine geringfügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist. Dem stehen die härtesten Asylrechtsverschärfungen seit 20 Jahren gegenüber. Diese Verschärfungen lehnen wir ab. Wir wollen sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht durch Beschluss dem Bundesrat zur Annahme vorlegen. Wir hatten auf ihren Inhalt im parlamentarischen Verfahren keinerlei Einfluss. Die Verantwortung für diese zum Teil verfassungs- und europarechtswidrigen Verschärfungen des Flüchtlingsrechts trägt allein die Koalitionsmehrheit, die sie zum Preis für die dringend notwendige Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme erklärt hat. Der Gesetzentwurf geht bei den Verschärfungen sogar über die Vereinbarungen der Ministerpräsidentenkonferenz hinaus. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist eine Mogelpackung. Es enthält zahlreiche Abschreckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine einzige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich geweigert, eine Regelung zur pauschalen Anerkennung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzuschlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauernde Verfahren entworfen. Und sie hat die grüne Forderung nach einer Aufhebung der obligatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2a AsylVfG zurückgewiesen. Stattdessen werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Senegal und Ghana zu sicheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI und Journalistinnen in den Staaten des Westbalkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Ghana immer noch unter Strafe stehen. Auch die allgemeine Sicherheitslage in den Westbalkanstaaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einem Grundpfeiler des Asylrechts. Die Anträge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang unmissverständlich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz haben in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung gerügt, dieser missachte insoweit die Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie). Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten mit diesem Gesetzentwurf nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und der Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten integrations- und flüchtlingspolitisch für kontraproduktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesregierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird allein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus den Erstaufnahmeeinrichtungen verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu günstigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Verwandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“. Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen gehen die Residenzpflicht, ein absolutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleistungsprinzip wird zwingend für den notwendigen Bedarf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie zum Beispiel Zigaretten oder Fahrkarten sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Wir haben uns immer für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes eingesetzt. Mit dem vorliegenden Gesetzespaket wird das Asylbewerberleistungsgesetz massiv verschärft. Verfassungswidrig ist die Herabsenkung von Leistungen unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums durch die pauschale Leistungsanspruchseinschränkung für bestimmte Gruppen. Das kann mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang gebracht werden. Aus der Menschenwürde folgt nämlich, dass das einheitliche, das physische und soziokulturelle Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit zu gewährleisten ist. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar. Eine bundesweite Gesundheitskarte wird es durch diesen Gesetzentwurf auch künftig nicht geben. Wie bisher dürfen die Länder sie ausstellen, sie muss aber fortan den Vermerk enthalten, dass sie nur zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz berechtigt. Damit wird das erfolgreiche Modell 3 von Bremen, Hamburg und NRW in Frage gestellt. Geflüchtete bleiben Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und dadurch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Diese Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwilliger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enormen Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Handlungsspielraum der Landesregierungen bei Abschiebungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorübergehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dürfen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärztekammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, allerdings nur bestimmte ausländische Patienten behandeln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Regelsystem der Gesundheitsversorgung droht verwehrt zu werden. Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integrationskursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teilnahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder daran, dass die Kurszulassung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt. Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylangelegenheiten, trotz fortbestehender Beschränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglichkeiten hergestellt werden. So lange die Berufung in Asylsachen so selten zugelassen wird, so lange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwendig wäre, nicht herausbilden können. Selbst wenn die geringen Spielräume, die den Ländern noch bleiben, von Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung genutzt werden: In Ländern wie Bayern und Sachsen wird keine Regelung zugunsten der Geflüchteten ausgelegt. Trotz der lange überfälligen finanziellen Zusagen für Länder und Kommunen können wir in der Summe angesichts dieser massiven Verschlechterungen und Asylrechtseinschränkungen für Geflüchtete nur zu dem Schluss kommen, dieses Gesetz abzulehnen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Maria Klein-Schmeink und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Die Bundesregierung hatte lange Zeit die wachsenden Flüchtlingszahlen ignoriert und keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, weder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen. Länder und Kommunen wurden allein gelassen. Von daher begrüßen wir es ausdrücklich, dass nun durch zähe und lange Verhandlungen der Bundesländer einige lang überfällige und vielfach geforderte Maßnahmen umgesetzt werden. An erster Stelle steht dabei die strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten der Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge. Insgesamt sollen Länder und Kommunen um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden. Zudem werden Mittel zur Verfügung gestellt, die für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und für den Ausbau der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Ein erster Schritt ist auch, dass der Bund die Mittel für die soziale Wohnraumförderung um 500 Millionen Euro auf eine Milliarde in den nächsten vier Jahren erhöht. Diese Summe ist eine erste Finanzspritze. Wichtig ist auch, dass der Bund den Zugang zu Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung und zu Integrationskursen für viele Flüchtlinge verbessert. Mit all diesen Maßnahmen übernimmt der Bund endlich Verantwortung. Das Verhandlungsergebnis zwischen Bundesregierung und Bundesländern ist aber auch ein bitterer Kompromiss. Denn er enthält eine Reihe von Gesetzesverschärfungen, die mit einer menschenrechtsorientierten Flüchtlingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind und zudem widersinnige Integrationshemmnisse aufbauen. Dazu zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erstaufnahmeeinrichtungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“. Diese Gesetzesverschär­fungen werden wir bei Einzelabstimmungen namentlich ablehnen. Am Ende müssen wir uns aber auch zum Gesamtpaket verhalten, und diese Entscheidung fällt uns extrem schwer. Zustimmen können wir dem Gesetzentwurf aufgrund der Verschärfungen auf keinen Fall. Den Gesetzentwurf können wir aber auch nicht ablehnen, denn als langjährige Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker wissen wir, wie sehr die Kommunen auf die finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Aus diesen Gründen werden wir uns bei der Abstimmung über das Gesamtpaket zwangsläufig enthalten. Namentlich abgelehnt haben wir die Leistungskürzungen unter das Niveau des soziokulturellen Existenzminimums, die folglich nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (inklusive Heizung) sowie Körper- und Gesundheitspflege enthalten. Das ist nicht akzeptabel, denn alle Menschen, die hier leben, haben ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Deshalb sind wir auch der Meinung, dass diese Leistungseinschränkungen verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig sind. Auch die geforderte Umwandung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen ist weder humanitär noch sozialpolitisch vertretbar. Sie überfrachten zudem die Aufnahmeeinrichtungen mit noch mehr Bürokratie. Ablehnen werden wir auch, dass Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden. Für uns ist das ein Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einen Grundpfeiler des Asylrechts. Das trifft insbesondere die Roma, denn sie werden in den Staaten des Westbalkans weiterhin diskriminiert. Und schlussendlich hat der Bundestag erst im Sommer den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Für die Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten gibt es zudem weitere Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte. Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und des Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“ können zukünftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Damit entsteht keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Deshalb werden wir auch diese Verschärfungen namentlich ablehnen. Wir kritisieren auch die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht. Vor allem aber bleibt auch die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen rechtlich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkrankung beschränkt. Das widerspricht nicht nur dem humanitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Versorgung, es führt häufig auch zu nachfolgenden bedeutend aufwendigeren Behandlungen und höheren Kosten. Geflüchtete bleiben somit Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Option, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben. Es bleibt auch unklar, ob vergleichbare Rahmenvereinbarungen in den anderen Bundesländern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um Flüchtlinge handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hochproblematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis. Ein letzter Gedanke ist uns abschließend noch wichtig. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mitgliedern der sie tragenden Parteien, insbesondere von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen. Das lenkt von den wirklichen Problemen ab. Vor allem kann dies die gelebte Solidarität der Bevölkerung erschüttern und gleichzeitig all jene, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, bestärken. Das sehen wir mit großer Sorge, und das geht uns auch unter die Haut. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci und Dr. ­Dorothea Schlegel (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Das vorliegende Gesetz ist ein tragfähiger Kompromiss, der unser Asylsystem insgesamt verbessern wird. Es enthält jedoch auch die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten gemäß Artikel 16 Absatz 3 Grundgesetz. Dieser Regelung kann ich nur als Teil des vorliegenden Gesamtpakets zustimmen. Als für sich stehende Änderung müssten wir sie ablehnen. Das Grundrecht auf Asyl wird nicht dadurch besser, dass wir es einschränken. Im Parlamentarischen Rat gab es 1948 heftige Diskussionen um die Aufnahme eines Grundrechts auf Asyl. Aus den Erfahrungen deutscher Flüchtlinge, unter ihnen Willy Brandt, sollte eine Lehre gezogen werden: Nie wieder Abhängigkeit vom guten Willen eines Grenzbeamten, sondern ein Rechtsanspruch. Es ist schon sehr bemerkenswert, dass ein Land, das am Boden lag, einen Satz in das Grundgesetz geschrieben hat, dass jeder Mensch hier ein Recht auf Asyl hat, der politisch verfolgt wird. Es ist noch bemerkenswerter, dass die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union über das Asylrecht für politisch Verfolgte hinausgegangen sind und sich auf gemeinsame Normen für den Schutz von Flüchtlingen geeinigt haben. Vor diesem Hintergrund haben wir die Debatte zu führen. Nach dem Asylverfahrensgesetz handelt es sich bei den sicheren Herkunftsstaaten um solche Staaten, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Diese Vermutung besteht, solange ein Mensch aus einem solchen Staat nicht glaubhaft Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung doch verfolgt wird. Als sichere Herkunftsstaaten gelten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die in Anlage II des Asylverfahrensgesetzes bezeichneten Staaten. Das Recht, Schutz in Deutschland zu suchen, besteht auch für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten. Im Falle eines Asylantrages einer Person aus einem sicheren Herkunftsstaat ist der Antrag im ordentlichen Asylverfahren zu bearbeiten. Die Verlängerung der Liste sicherer Herkunftsstaaten hat auf die Asylantragszahlen somit keinen Einfluss. Die Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten wird Menschen aus diesen Staaten nicht davon abhalten, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen. Diese Idee ist keine Lösung für die aktuellen Herausforderungen, sondern reine Symbolpolitik. Das zeigt die Erfahrung: Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina gelten seit November 2014 als sichere Herkunftsstaaten. Trotzdem wurden bis September 2015 rund 24 700 Asylanträge aus EjR Mazedonien und Serbien gestellt. Ein positiver Effekt ist somit nicht erkennbar. Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Antragszahlen aus EjR Mazedonien und Serbien sogar deutlich gestiegen (um 84,8 Prozent bzw. um 28,8 Prozent). Auch wird die Verfahrensdauer für Anträge von Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten kaum beeinflusst. Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigen, dass die Verfahren für Anträge von Menschen aus Albanien und Montenegro durchschnittlich deutlich kürzer sind (1,8 bzw. 3,1 Monate) als die Verfahren von Menschen aus den sicheren Herkunftsstaaten Serbien (4,2 Monate) sowie Bosnien und Herzegowina (4,4 Monate). Das zeigt, dass eine erstrebenswerte Verkürzung der Asylverfahren auch ohne das Mittel der sicheren Herkunftsstaaten möglich ist. Positive Effekte sind also nicht zu erkennen. Negative Effekte sind zu befürchten: Erstens kann die Einstufung eines Staates als sicher­er Herkunftsstaat die Beurteilung des Antrages eines Schutzsuchenden aus diesem Staat negativ beeinflussen. Es ist mindestens zu erwarten, dass die Sachbearbeitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in dem Wissen, dass ein Mensch aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, den Antrag anders beurteilt als den Antrag eines aus einem anderen Staat kommenden Menschen. Dadurch besteht die Gefahr, dass tatsächliche Schutzgründe nicht erkannt werden könnten. Es ist doch erstaunlich, dass die Schutzquote für Menschen zum Beispiel aus dem Kosovo in Frankreich im Jahr 2014 knapp 19 Prozent betrug, während in Deutschland lediglich knapp ein halbes Prozent der Menschen aus dem Kosovo Schutz erhielt. Auch in vielen anderen Staaten der Europäischen Union und der Schweiz sind die Schutzquoten für Flüchtlinge aus Staaten des westlichen Balkans weit höher als in Deutschland. Zweitens ist die Einstufung der Staaten des westlichen Balkans ein falsches Signal an diese Staaten. Die Europäische Union gerät in den Beitrittsverhandlungen in den Themenbereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechteschutz in die Defensive, wenn sie diesen Staaten einen Persilschein als sichere Herkunftsstaaten ausstellt. Drittens erweckt die andauernde Diskussion über sichere Herkunftsstaaten den Anschein, dieses Mittel sei eine einfache und schnelle Lösung. Die Menschen in Deutschland erwarten wirksame und nachhaltige Lösungen. Am nachhaltigsten wäre die Beseitigung der Fluchtursachen. Nachhaltig wäre ein solidarisches Asylsystem der Europäischen Union. Nachhaltig wäre auch ein widerstandsfähiges und effizientes Asylsystem in Deutschland. Leider bindet die Diskussion über sichere Herkunftsstaaten wichtige Ressourcen, um diese Themen voranzutreiben. Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer ist keine Antwort auf die drängenden Fragen von Migration und Flucht. Aus diesen Gründen können wir dem Gesetzentwurf nur mit Verweis auf diese Erklärung zustimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Uwe Kekeritz und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendige finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Vernünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Standards flexibilisiert wird, auch wenn sich diese Standardsenkung nicht verstetigen und auf andere Bereiche ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten, wenn auch unter engen Voraussetzungen, einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten können, was mit seinen Einschränkungen jedoch alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine geringfügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist. Trotz dieser positiven Aspekte können wir dem Gesetzespaket nicht zustimmen. Schon der Titel ist eine Mogelpackung. Das Gesetz enthält zahlreiche Abschreckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine einzige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich geweigert, eine Regelung zur pauschalen Anerkennung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzuschlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauernde Verfahren entworfen. Und sie hat die Forderung nach einer Aufhebung der obligatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2 a AsylVfG zurückgewiesen. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mitgliedern der sie tragenden Parteien, vor allem von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen, die von den wirklichen Problemen ablenken und dazu führen können, dass die gelebte Solidarität der Bevölkerung untergraben wird und Verbrecher, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, sich bestärkt fühlen. Diesen Geist atmet zum Teil auch das Asylverfahrensvereinfachungsgesetz. Das sehen wir mit großer Sorge. Die mit dem Gesetz eingeführte Dreiklassenunterteilung von AsylbewerberInnen, Flüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, solchen mit „guter Bleibeperspektive“ und dem Rest, lehnen wir ab. Schikanen wie zusätzliche Leistungskürzungen und eine Umwandlung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen sind nicht nur humanitär, menschenrechtlich und sozialpolitisch unvertretbar, sie wirken in der gegenwärtigen Situation auch als geistiger Brandsatz und überfrachten, statt zu entlasten, die Aufnahmeeinrichtungen mit Bürokratie. Schon die bestehenden Leistungseinschränkungen für Geflüchtete im Asylbewerberleistungsgesetz und bei den Gesundheitsleistungen sind für uns in keiner Weise akzeptabel. Und gehören abgeschafft. Alle Menschen, die hier leben, haben in unseren Augen ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Leistungseinschränkungen und -ausschlüsse, sei es bei der Grundsicherung oder bei den Gesundheitsleistungen, fördern nur die Entstehung von Elendsquartieren, ausbeuterischer Schwarzarbeit, und sie produzieren, gerade im Gesundheitsbereich, Folgekosten, die sehr teuer werden können. Zudem sind wir der Überzeugung, dass die Leistungseinschränkungen verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig sind. Darin haben uns auch die Stellungnahmen der evangelischen und katholischen Kirche und weiterer Sachverständiger in der Anhörung zu dem vorliegenden Gesetz bestärkt. So sollen mit den Leistungskürzungen und der Umwandlung von Geld- in Sachleistungen laut dem Gesetzentwurf „Fehlanreize“ beseitigt werden. Dies sind in unseren Augen migrationspolitische Erwägungen, die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 15.08.2012 als möglicher Grund für Leistungseinschränkungen ausgeschlossen wurden (Randnummer 121). Wir sind auch der Auffassung, dass jegliche Leistungskürzungen unter das Niveau des soziokulturellen Existenzminimums und damit folglich erst recht Leistungen, die nicht einmal das physische Existenzminimum absichern, sondern nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (inklusive Heizung) sowie Körper- und Gesundheitspflege enthalten, verfassungsrechtlich nicht zu halten sind. Und humanitär sowieso nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in dem oben genannten Urteil bei einem „nur kurzen“ Aufenthalt einen „möglicherweise spezifisch niedrige(ren) Bedarf“ (Randnummer 119) als bei längerfristig Aufenthaltsberechtigten nicht in jedem Fall ausgeschlossen, jedoch würde das Gericht nach unserer Kenntnis empirische Belege für den niedrigeren Bedarf verlangen. Zudem eröffnet der Gesetzentwurf auch de facto Leistungskürzungen bei mehr als nur kurzen Aufenthalten, schon allein, weil die Leistungskürzungen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen immer wieder verlängert werden sollen. Das Gleiche gilt für die Möglichkeit der Erbringung der Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe in Form von Sachleistungen oder Wertgutscheinen statt finanzieller Leistungen. Sachleistungen und Wertgutscheine verhindern gerade, dass individuell unterschiedlich hohe existenzielle Bedarfe von den Leistungsbeziehenden im Rahmen einer pauschalierten Leistung ausgeglichen werden können. Deshalb gehen wir auch hier weder von verfassungsrechtlich haltbaren noch humanitär hinnehmbaren Leistungsunterdeckungen unter das soziokulturelle Existenzminimum aus. Völlig abstrus erscheint uns auch, dass infolge der Änderungsanträge nun zwar die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen in Aufnahmeeinrichtungen daran geknüpft wird, dass nur ein vertretbarer Verwaltungsaufwand vorliegt, eine solche Prüfung jedoch in Gemeinschaftsunterkünften nicht notwendig ist. Die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen bleibt rechtlich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkrankung beschränkt. Das widerspricht nicht nur dem humanitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Versorgung, es führt häufig auch zu einer Chronifizierung und nachfolgenden bedeutend aufwendigeren Behandlungen und, wie Studien zeigen, zu höheren Kosten. Geflüchtete bleiben somit Patienten dritter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Option, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben, die in weiten Teilen eine Versorgung vorsieht, die der gesetzlich Versicherter entspricht. Es bleibt auch unklar, ob vergleichbare Rahmenvereinbarungen in den anderen Bundesländern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um einen Flüchtling handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hochproblematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis. Hinzu kommt, dass ein Flickenteppich von Regelungen entstehen wird, der für die Flüchtlinge bei einem Ortswechsel problematisch und für die Krankenkassen aufwendig ist. Notwendig wäre bundeseinheitlich die Einbeziehung der Geflüchteten in die gesetzliche Krankenversicherung, wie dies für Flüchtlinge ab 15 Monaten bereits heute gilt. Die Kosten sollten durch den Bund getragen werden. In die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Senegal und Ghana zu sicheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI und JournalistInnen in den Staaten des Westbalkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Ghana immer noch unter Strafe stehen. Auch die allgemeine Sicherheitslage in den Westbalkanstaaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einen Grundpfeiler des Asylrechts. Die Anträge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang unmissverständlich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofs­konferenz haben in ihren Stellungnahmen insoweit die Missachtung der Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) gerügt. Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und des Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten integrations- und flüchtlingspolitisch für kontraproduktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesregierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird allein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus der Erstaufnahmeeinrichtung verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu günstigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Verwandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“. Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen gehen die Residenzpflicht, ein absolutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleistungsprinzip wird zwingend für den notwendigen Bedarf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie zum Beispiel Fahrkarten – sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet – oder Zigaretten. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und dadurch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Diese Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwilliger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enormen Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Handlungsspielraum der Landesregierungen bei Abschiebungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorübergehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dürfen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärztekammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, allerdings nur bestimmte ausländische Patienten behandeln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Regelsystem der Gesundheitsversorgung droht, verwehrt zu werden. Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integrationskursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teilnahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder daran, dass die Kurszulassung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt. Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylangelegenheiten, trotz fortbestehender Beschränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglichkeiten hergestellt werden. Solange die Berufung in Asylsachen so selten zugelassen wird, so lange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwendig wäre, nicht herausbilden können. Wir setzen uns weiterhin für eine gerechte und solidarische Lastenteilung innerhalb der EU, für gleichberechtigte Mindestsicherungs- und Gesundheitsleistungen für Geflüchtete in Deutschland ein. Das Asylbewerberleistungsgesetz gehört abgeschafft und eine echte Gesundheitskarte für Geflüchtete eingeführt. Die Herausforderungen, die mit den zu uns Geflüchteten verbunden sind, müssen endlich angenommen werden. Wenn die Bundesregierung weiterhin zögert, steuern wir im kommenden Winter auf eine humanitäre Krise in Deutschland zu. Die Bundesregierung muss dringendst Maßnahmen ergreifen, um den Ländern und Kommunen zu ermöglichen, schnellstens Erstgesundheitsversorgungen und Impfungen bei allen Geflüchteten durchzuführen und dafür zu sorgen, dass die Kommunen noch vor dem Winter ausreichend Unterkünfte für Obdachlose, Geflüchtete und andere zur Verfügung stellen können. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der namentlichen Abstimmung am 15. Oktober 2015 werde ich dem oben genannten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes zustimmen. Mit allem Nachdruck weise ich aber darauf hin, dass meiner Überzeugung nach dieses Maßnahmenpaket nur ein erster – wenn auch sehr wichtiger – Schritt sein kann, um die teilweise verheerenden Auswirkungen der Flüchtlingsströme in unserem Land besser zu bewältigen. Zugleich rufe ich die Bundesregierung auf, den Weg der Restriktion von illegaler und ungesteuerter Zuwanderung beherzt weiterzugehen, um den sozialen Frieden und die politische Statik Deutschlands nicht zu gefährden. Eine ungesteuerte Zuwanderung, die sich nicht an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen unseres Landes orientiert und das Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung weitgehend ignoriert, muss unweigerlich scheitern. Marco Bülow (SPD): In einigen wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals vom UNHCR verzeichnet wurde, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesrepublik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskrise sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich. Im Sinne beispielsweise legaler Wege für Asylsuchende nach Europa und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen, wie einen Zweckwechsel für Asylsuchende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätzlich Verschärfungen ab, die einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis entgegenstehen. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankündigung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Einschränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungskürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungskonform. Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, enthalte ich mich der Stimme. Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 (1) des Grundgesetzes in Anspruch. In Abwägung der getroffenen Verbesserungen und Verschärfungen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes stimme ich mit Enthaltung. Erstens. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals von UNHCR verzeichnet wurde, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesrepublik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskrise sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich, im Sinne beispielsweise legaler Wege nach Europa für Asylsuchende und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen wie die, einen Zweckwechsel für Asylsuchende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätzlich Verschärfungen ab, die einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis entgegenstehen. Zweitens. In unter anderem folgenden wesentlichen Punkten sehe ich deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus vorgesehen. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Drittens. Hingegen verschlechtert der vorliegende Gesetzentwurf die Situation von Geflüchteten. Unter anderem folgende Neuregelungen sind für mich aus menschenrechtlichen Erwägungen heraus und aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig: Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankündigung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Einschränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind unverhältnismäßig. Ebenfalls sind die unbegründeten Leistungskürzungen inhuman und scheinen mir nicht verfassungskonform. Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): In einigen wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankündigung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Einschränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungskürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungskonform. Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, enthalte ich mich in der Gesamtabstimmung und bei den Einzelabstimmungen zu den genannten Punkten der Stimme. Hilde Mattheis (SPD): Zweifelsohne ist die politische Bewältigung des großen Zustroms an Flüchtlingen aus verschiedenen Teilen der Welt eine der größten Herausforderungen für die Bundesrepublik. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, auch durch kurzfristige, schnelle und unbürokratische Hilfe, dafür zu sorgen, dass Gemeinden, Bundesländer und andere staatliche Institutionen die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen gewährleisten können, wenn sie dazu finanziell oder strukturell nicht (mehr) in der Lage sind. Der vorliegende Gesetzesentwurf erfüllt dieses Ziel nur zum Teil. Es ist sehr zu begrüßen, dass Maßnahmen zur medizinischen Versorgung und zur Integration von Flüchtlingen ergriffen werden. Angesichts der hygienischen Mängel – insbesondere in Erstaufnahmeeinrichtungen und der Gefahr von einer schnellen Ausbreitung von Krankheiten – sind die vorgeschlagenen Verbesserungen zum Impfschutz sehr wichtig. Sie werden dazu beitragen, den Impfschutz für Flüchtlinge deutlich zu erhöhen. Ebenso sinnvoll ist es, dass Geflüchtete, die in ihren Heimatländern als Ärzte tätig waren, hier die Möglichkeit erhalten, weiter die medizinische Behandlung zu übernehmen. So kann einem drohenden Ärztemangel entgegengewirkt werden. Besonders wichtig ist für die SPD die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge, die eine sinnlose Bürokratie vermeidet und den Zugang zu medizinischer Versorgung entscheidend verbessert. Umso bedauerlicher ist es, dass es nicht gelungen ist, dieses Instrument bundesweit einzuführen, sondern einige Bundesländer bereits angekündigt haben, dass sie die Gesundheitskarte aus ideologischen Gründen nicht einführen werden. Auch der verbessere Zugang zur Sprachförderung ist zu begrüßen. Kenntnisse in der deutschen Sprache sind der Schlüssel, um eine spätere schnelle Integration in die Schule oder auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Dem gegenüber stehen die Einschränkungen des Asylrechts, die vor allem auf Druck der CDU/CSU ins Gesetz geschrieben wurden. Dabei ist insbesondere die nochmalige Ausweitung von sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, die Verlängerung des Aufenthaltes in Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monate und den Vorrang von Sach- gegenüber Geldleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen zu nennen. Die Ausweitung von sicheren Herkunftsstaaten auf weitere Länder des Westbalkans lehne ich ab. Die Bundesregierung ignoriert hier, dass diese Länder durch vielfache Diskriminierungen und Gewalt zum Beispiel gegenüber Roma nicht als sicher gelten können. Die niedrige Anerkennungsquote in Deutschland von Flüchtlingen aus diesen Ländern kann nicht als Rechtfertigung dienen, diese Länder ohne weitere Argumente als sicher einzustufen. Die Verlängerung des Aufenthaltes in Erstaufnahmeeinrichtungen wurde von der Großen Koalition in diesem Jahr auf drei Monate verkürzt. Dass diese Regelung wieder zurückgenommen werden soll, ist falsch. Aufgrund der Zustände in den Einrichtungen ist ein längerer Aufenthalt inakzeptabel. Zudem stehen die dort geltende Residenzpflicht und das Arbeitsverbot einer schnellen Integration entgegen. Geldleistungen für Asylbewerber dienen der Deckung des täglichen Bedarfs. Sie sind kein Taschengeld, und sie sind ganz sicher kein Anreiz für eine Flucht nach Deutschland. Diese so weit wie möglich in Sachleistungen umzuwandeln, wie es der Gesetzesentwurf vorschlägt, ist unpraktisch, mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden und möglicherweise nicht verfassungskonform. Keine dieser Regelungen ist in irgendeiner Art und Weise geeignet, Kommunen und Bundesländer zu entlasten, Flüchtlinge besser zu versorgen, unterzubringen oder zu integrieren, Fluchtursachen zu bekämpfen und damit sinnvoll den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Diese Regelungen werden die Situation nicht verbessern, sondern noch verschlechtern. Daher kann ich dem vorliegenden Gesetzesentwurf trotz der erreichten Verbesserungen durch die SPD nicht zustimmen. Klaus Mindrup (SPD): Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung und es kommen viele schutzsuchende Menschen nach Europa, insbesondere auch nach Deutschland. Wir wollen unserer humanitären Verantwortung gerecht werden und möglichst vielen Personen Schutz und Sicherheit bieten. Das stellt den Bund, die Länder und Kommunen und die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen. Selbstverständlich müssen wir als langfristige Maßnahmen Fluchtursachen bekämpfen und Krisenregionen stabilisieren, deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit ihren Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen wir auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europä­ischen Union. Wir sind zudem gefordert, in der momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur Schaffung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlinge und ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. September wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, das heute im Bundestag verabschiedet wird. Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Aufnahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten. Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Der Bund beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und strukturell an den Kosten der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen mit einer Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Dies war ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Michael Müller, der sich in den Verhandlungen durchsetzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusätzlich mit 350 Millionen jährlich und stellt u. a. 500 Millionen Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau und 900 Millionen frei werdende Mittel aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kinderbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bundesfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden 10 000 neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspektiven für Perspektiven für AsylbewerberInnen, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem durch die Aufstockung der Mittel für Sprachkurse, die frühe Öffnung der Integrationskurse und Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht der Gesetzentwurf Erleichterungen im Bau planungsrecht für Flüchtlingsunterkünfte vor sowie eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung von AsylbewerberInnen. Die SPDBundestagsfraktion hat sich an vielen Stellen dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf entschärft werden konnte. Viele Verschärfungen des Asylrechts konnten wir heraus verhandeln. Das erkenne ich an. Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von Regelungen, die ich sehr kritisch sehe. Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grundrecht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu einer positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderungen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschreckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration, mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bundesärztekammer. Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung der Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheitsversorgung sondern auch noch zu einem Flickenteppich – je nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive und solche ohne ist problematisch. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund , dass das Asylrecht eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus praktischen Erwägungen , dass eine Zweiklassenbehandlung von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird. Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes 1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koalitionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfallprüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt. Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarierten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr weiter gestiegen (aus Serbien bis 30.9.15: 14 390 im Vergleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis 30.9.15: 7 385 im Vergleich zu 2014: 5 614). Im europäischen Vergleich wurden nach Angaben von Pro Asyl 2014 in Frankreich 20 Prozent in Belgien 18 Prozent Schutzsuchenden aus dem „sicheren Herkunftsland“ Bosnien und Herzegowina anerkannt. Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der gesetzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „sicheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Erwachsenen unter Strafe stehen. Situation im Kosovo Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im Kosovo im Rahmen des KVOREinsatzes mit dem Auftrag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann. Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Drittstaat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem Anfang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen gestellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbeiten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung – denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück. Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Herkunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle. Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Gericht fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Organisationen und Missionen abhängig seien, nicht die Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsichere politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten. Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert. Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma, ­Ashkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heute sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zentraler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Gerichte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo gefällt. In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl 2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. Situation in Albanien Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass geschlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexualisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hinreichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6 der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95) nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde geschlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht. In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl im Jahr 2014  18 Prozent der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig eingestuft. Situation in Montenegro Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bi­sexuelle, Transgender und Intersexuelle in der Hauptstadt Podgorica laut Amnesty International allein im vergangenen Jahr 26mal angegriffen. 2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte Eine flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerzzustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeutet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung, sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchgesetzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheitswesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich nehmen. Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kranke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum Sozial­amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – medizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden. Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“ ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung – direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten Sozialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaffen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war lediglich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbehandlungen zu übernehmen. Der AOKBundesverband macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leistungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Ressourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungsscheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen EHealth-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit, mahnt der AOKBundesverband an. Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nordrhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) würden hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge, Ärztinnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergieeffekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesundheitskarte bundesweit erfolgen würde. Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesundheitskarte eine Angabe über den besonderen Status des Karteninhabers und damit über das begrenzte Leistungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes enthalten. Dies durfte die Aufrüstung der EDVSysteme, sowohl bei den Kassen als auch bei den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weiteren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt, nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren. Auch gemäß der UNKinderrechtskonvention müssen alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre), die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Krankenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversorgung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behinderter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kindern mit psychischen Störungen und Traumata. 3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeeinrichtungen Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Entscheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können. Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdehnung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch. In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstaufnahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest, und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht zumutbar. Die Unterbringungssituation – in Traglufthallen, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die psychische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen diese Regelung. Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der AsylbewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesserungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen, die jetzt wieder abgeschafft werden. Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asylsuchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar – denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vorweggenommen werden. Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg). Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevölkerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichteten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und andererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Willkommenskultur. 4. Negierung des Gender-Aspektes Für sehr problematisch halte ich die völlige Negierung des Gender-Aspektes und damit der geschlechtsspezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befragten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent sprachen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt. Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröffentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind. 5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Menschen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Menschenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichernder Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren. „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012 ausdrücklich festgestellt. 6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Behörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld, das heißt das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokulturellen Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld, Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sachleistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise oder vollständig streichen können. Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sachleistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die 90erJahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letzten Jahr werden damit zunichte gemacht. Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsuchenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleistungen“ beantragen, also für jede Sim-Karte, Briefmarke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung stellen müssen. Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder gestrichen werden wird. 7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto Abschaffung der Härtefallkommissionen Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto abgeschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsverfahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen humanitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen Lösung führen konnte. 8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren Drittstaaten Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben , nicht vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylgesetzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken. für Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Ausbeutungsverhältnisse. Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzugang zu gewähren ist. Dies gilt auch für Asylbewerberinnen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF noch nicht über den Antrag entschieden hat. Trotz der genannten kritischen Punkte komme ich zum Ergebnis, dass ich dem Gesetzentwurf zustimme, da die positiven Punkte überwiegen. Ich werde mich für die Korrektur der negativen Punkte einsetzen. Mechthild Rawert (SPD): Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung, und es kommen viele schutzsuchende Menschen nach Europa, insbesondere auch nach Deutschland. Wir wollen unserer humanitären Verantwortung gerecht werden und möglichst vielen Personen Schutz und Sicherheit bieten. Das stellt den Bund, die Länder und Kommunen und die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen. Selbstverständlich müssen wir als langfristige Maßnahmen Fluchtursachen bekämpfen und Krisenregionen stabilisieren, deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit ihren Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen wir auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Wir sind zudem gefordert, in der momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur Schaffung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlinge und ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. September wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, das heute im Bundestag verabschiedet wird. Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Aufnahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten. Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Der Bund beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und strukturell an den Kosten der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen mit einer Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Dies war ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, der sich in den Verhandlungen durchsetzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusätzlich mit 350 Millionen Euro jährlich und stellt unter anderem 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau und 900 Millionen Euro frei werdende Mittel aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kinderbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bundesfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden 10 000 neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspektiven für AsylbewerberInnen, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem durch die Aufstockung der Mittel für Sprachkurse, die frühe Öffnung der Integrationskurse und Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht der Gesetzentwurf Erleichterungen im Bauplanungsrecht für Flüchtlingsunterkünfte vor sowie eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung von AsylbewerberInnen. Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von Regelungen, die nicht auf meine Zustimmung treffen. Die SPDBundestagsfraktion hat sich an vielen Stellen dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf an einigen Punkten entschärft werden konnte. Viele Verschärfungen des Asylrechts konnten wir herausverhandeln. Das erkenne ich an. Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grundrecht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu einer positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderungen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschreckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration, mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bundesärztekammer. Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung der Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheitsversorgung, sondern auch noch zu einem Flickenteppich – je nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive und solche ohne ist problematisch. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund, dass das Asylrecht eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus praktischen Erwägungen, dass eine Zweiklassenbehandlung von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird. Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes 1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koalitionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfallprüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt. Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarierten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr weiter gestiegen (aus Serbien bis 30. September 2015: 14 390 im Vergleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis 30. September 2015: 7 385 im Vergleich zu 2014: 5 614). Im europäischen Vergleich wurden nach Angaben von Pro Asyl 2014 in Frankreich 20 Prozent und in Belgien 18 Prozent der Schutzsuchenden aus dem „sicheren Herkunftsland“ Bosnien und Herzegowina anerkannt. Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der gesetzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „sicheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Erwachsenen unter Strafe stehen. Situation im Kosovo Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im Kosovo im Rahmen des KVOREinsatzes mit dem Auftrag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann. Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Drittstaat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem Anfang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen gestellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbeiten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung – denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück. Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Herkunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle. Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Gericht fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Organisationen und Missionen abhängig seien, nicht die Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsichere politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten. Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert. Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma, Ashkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heute sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zentraler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Gerichte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo gefällt. In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl 2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent der kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. Situation in Albanien Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass geschlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexualisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hinreichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6 der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95) nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde geschlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht. In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl im Jahr 2014  18 Prozent der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig eingestuft. Situation in Montenegro Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle in der Hauptstadt Podgorica laut Amnesty International allein im vergangenen Jahr 26mal angegriffen. 2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte Eine flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerzzustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeutet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung, sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchgesetzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheitswesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich nehmen. Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kranke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum Sozial­amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – medizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden. Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“ ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung – direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten Sozialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaffen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war lediglich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbehandlungen zu übernehmen. Der AOKBundesverband macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leistungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Ressourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungsscheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen EHealth-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit, mahnt der AOKBundesverband an. Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nordrhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) würden hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge, ÄrztInnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergieeffekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesundheitskarte bundesweit erfolgen würde. Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesundheitskarte eine Angabe über den besonderen Status des Karteninhabers und damit über das begrenzte Leistungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes enthalten. Dies dürfte die Aufrüstung der EDVSysteme, sowohl bei den Kassen als auch bei den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weiteren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt, nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren. Auch gemäß der UNKinderrechtskonvention müssen alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre), die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Krankenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversorgung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behinderter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kindern mit psychischen Störungen und Traumata. 3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeeinrichtungen Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Entscheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können. Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdehnung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch. In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstaufnahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest, und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht zumutbar. Die Unterbringungssituation in –Traglufthallen, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die psychische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen diese Regelung. Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der AsylbewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesserungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen, die jetzt wieder abgeschafft werden. Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asylsuchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar – denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vorweggenommen werden. Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg). Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevölkerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichteten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und andererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Willkommenskultur. 4. Negierung des Gender-Aspektes Für sehr problematisch halte ich die völlige Negierung des Gender-Aspektes und damit der geschlechtsspezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befragten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent sprachen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt. Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröffentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind. 5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Menschen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Menschenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichernder Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren. „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012 ausdrücklich festgestellt. 6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Behörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld, d.h. das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokulturellen Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld, Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sachleistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise oder vollständig streichen können. Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sachleistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die 90erJahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letzten Jahr werden damit zunichte gemacht. Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsuchenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleistungen“ beantragen, also für jede Sim-Karte, Briefmarke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung stellen müssen. Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder gestrichen werden wird. 7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto Abschaffung der Härtefallkommissionen Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto abgeschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsverfahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen humanitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen Lösung führen konnte. 8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren Drittstaaten Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben, nicht vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylgesetzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken und fördert Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Ausbeutungsverhältnisse. Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzugang zu gewähren ist. Dies gilt auch für AsylbewerberInnen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF noch nicht über den Antrag entschieden hat. Aus diesen Gründen werde ich mit Enthaltung abstimmen. Christoph Strässer (SPD): In einigen wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in der Höhe von 350 Millionen Euro. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankündigung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Einschränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungskürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungskonform. Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, enthalte ich mich der Stimme. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der heutigen Abstimmung über das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz habe ich mich enthalten. Warum? Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, denn viele Kommunen – gerade in Bayern – stehen seit Monaten unter einer enormen finanziellen Belastung. Das hat nun auch die Bundesregierung erkannt und möchte mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz die Voraussetzungen schaffen, dass sich der Bund dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt. Das ist das Gute am Gesetzentwurf der Bundesregierung – und das will ich ganz deutlich anerkennen. In der aktuellen Situation ist zügiges und wohlüberlegtes Handeln wichtiger denn je. Der Winter steht vor der Tür, Menschen in Not brauchen ein Dach über dem Kopf und möglichst schnelle Teilhabe an Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt. All das kostet Geld. An dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe wird sich der Bund nun angemessen beteiligen. Allerdings enthält das Gesetzespaket zahlreiche asylrechtliche Verschärfungen, die mit einer menschenrechtsorientierten Flüchtlingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind. Dazu zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erstaufnahmeeinrichtungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“. Keine dieser vorgesehenen Regelungen entlastet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder trägt zur beschleunigten Bearbeitung von Asylanträgen bei. Die Reduzierung der weiterhin viel zu langen Bearbeitungszeiten – von oftmals mehreren Jahren – sind jedoch der Dreh- und Angelpunkt auch für eine wirksame Entlastung der Länder und Kommunen. Das Gesetz beschleunigt also kein Verfahren, es verlangsamt. Das muss man ganz klar so sagen. Und ich sage auch: Es widerspricht meinem Menschenbild und meiner Überzeugung als grüne Abgeordnete, dass Menschen über Monate in engen Erstaufnahmeeinrichtungen zusammengepfercht sein sollen, wo Gewalt und Konflikte viel schneller entstehen und Menschen nicht zur Ruhe kommen, die genau das am allermeisten brauchen. Zudem steht jetzt der Winter vor der Tür. Ich will – und dafür stehe ich ein – dass wir Menschen, die vor Gewalt, Krieg, Hunger und Menschenrechtsverletzungen fliehen, ein positives Ankommen in unserem Land ermöglichen. Ich unterstütze kein Gesetzespaket, das widersinnige Integrationshemmnisse aufbaut und Menschen in gute und schlechte Flüchtlinge unterscheidet. Deshalb kann ich ausdrücklich nicht zustimmen. Ich möchte das Gesetzespaket aber auch nicht vollständig ablehnen, da die Kommunen jetzt schnelle und verlässliche Finanzierung benötigen. Dieser wichtigen finanziellen Unterstützung, die im Gesetz immerhin enthalten ist, kann und möchte ich keine Absage erteilen. Deshalb habe ich in den namentlichen Einzelabstimmungen sowohl die Erweiterung der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“, die Leistungskürzungen beziehungsweise die Rückkehr zum Sachleistungsprinzip im Asylbewerberleistungsgesetz als auch die Verlängerung der Verbleibsdauer in der Erstaufnahme abgelehnt. Meine ausdrückliche Zustimmung konnte ich schließlich nur der finanziellen Entlastung für Länder und Kommunen geben, die Beachtliches leisten und Unterstützung dringend benötigen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern zeigt, dass Kriege auch außerhalb von Europa unmittelbaren Einfluss auf uns in Deutschland haben. Wir können das nicht mehr verdrängen. Darum wäre es am sinnvollsten, die Fluchtursachen, nämlich die Kriege und Bürgerkriege im Nahen Osten oder in Afrika, zu befrieden. So weit ist die Weltgemeinschaft leider noch nicht. Gerade das Verhalten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zeigt, allen Sonntagsreden zum 70jährigen Bestehen der Vereinten Nationen zum Trotz, dass die Welt noch nicht mit einer Stimme spricht. Deutschland hat eine historische Pflicht nach dem zweiten Weltkrieg wahrgenommen und ein sinnvolles Asylrecht als Grundrecht in die Verfassung aufgenommen. Denn gerade die Geschichte hat uns in Deutschland sehr deutlich gezeigt, dass Verfolgte Schutzräume brauchen. Viele Menschen kommen zu uns, weil das Leben in ihrer Heimat unmöglich geworden ist. Sie suchen Schutz und wir haben ihnen zu helfen – nicht nur nach dem Grundgesetz, sondern vor allem auch als mitfühlende Menschen. In den letzten Monaten ist die Zahl der Schutzsuchenden sprunghaft angestiegen – die Gründe und Ursachen kennen wir dagegen schon seit vielen Jahren. Viel früher hätte die Bundesregierung sich darauf vorbereiten können und müssen. Jahrelang hat sie zugeschaut, wie die Situation in Italien und Griechenland immer unerträglicher wurde. Unternommen hat sie dagegen nichts. Die Bundesregierung verweigert sich weiter praktikablen Regelungen für eine legale Zuwanderung. Damit bleibt den vielen Flüchtenden keine andere Möglichkeit, als sich eigenständig und ohne jede Kontrolle und Lenkungsmöglichkeit auf den Weg zu uns zu machen. Deswegen sind wir jetzt in dieser chaotischen Situation und haben damit Länder, Kreise und Kommunen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Weil die Bundesregierung jahrelang die Probleme ignoriert hat, ist sie jetzt gezwungen, im Eilverfahren Lösungen zu erarbeiten. Das heutige Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wird sehr viele Probleme nicht lösen können. In dieser Eile und angesichts der akuten Schwierigkeiten wird es keine grundlegende und langfristig tragfähige Lösung sein. Wir werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit schon in kurzer Zeit über weitere Maßnahmen sprechen. Trotz all dieser Punkte müssen wir jetzt etwas tun. Wir haben – weil es die Bundesregierung so eklatant versäumt hat – jetzt keine Zeit, um gründlich und in Ruhe ein Einwanderungsgesetz für die geordnete Zuwanderung oder eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen anzugehen. So, wie es jetzt in Kreisen und Kommunen aussieht, kann es nicht weitergehen. Wir können nicht dauerhaft auf Freiwilligenhilfe angewiesen sein. Wir müssen jetzt Unterkünfte schaffen, in denen Menschen auch im Winter vernünftig leben können. Wir müssen Kreise und Kommunen finanziell unterstützen, damit die Hilfe für Flüchtlinge nicht zulasten von anderen wichtigen kommunalen Aufgaben geht. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist ein Kompromiss, der zwischen Bund und Ländern ausgehandelt wurde. Es liegt in der Natur eines Kompromisses, dass er Teile enthält, die mir nicht gefallen und die ich eigentlich ablehne. Die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten ist Symbolpolitik, welche Asylverfahren nur minimal verkürzen wird. Eine Entlastung der Ämter wird damit kaum erreicht, sie werden weiter am Limit arbeiten müssen. Auch die Verlängerung der Verweildauer in einer Erstaufnahmeeinrichtung wird kaum etwas bringen, weil dahinter die Hoffnung steckt, die Flucht nach Deutschland unattraktiver zu machen. Wer viel Geld bezahlt, Haus und Hof verlässt und sich teilweise zu Fuß Tausende Kilometer auf den Weg macht, für den ist es unbedeutend, ob er drei oder sechs Monate in solch einer Einrichtung verbringen muss. Die Verlängerung der Verweildauer wird die Probleme eher verschärfen, weil Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit völlig verschiedenen Perspektiven auf engstem Raum für lange Zeit miteinander auskommen müssen. Auch der Schwenk von Geld auf Sachleistungen wird die Arbeit der Helfer vor Ort vor allem erschweren. Es ist einfacher und günstiger, Geld auszuzahlen, als bei einem individuellen Bedürfnis auf die Unterstützung von Helfern angewiesen zu sein. All diese Aspekte finde ich fragwürdig, weil sie Probleme nicht lösen können. Dennoch sind sie Teil des Kompromisses. Jeder der heute über das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz abstimmt, weiß, dass sich daran nichts mehr ändern wird. Die Landesregierungen stehen in der Pflicht, ihre Kreise und Kommunen mit den dringend benötigten finanziellen Mitteln des Bundes zu unterstützen. Sie können sich nicht einfach nur die Teile des Kompromisses auswählen, die ihnen gefallen. Stimmen sie dem Kompromiss nicht zu, gibt es auch kein Geld. Es gibt nur diesen Kompromiss oder gar nichts. So einfach und bitter ist die politische Realität, der ich mich nicht verweigern kann. Die grün getragene Landesregierung in Schleswig-Holstein hat sich auf diesen Kompromiss mit all seinen Zumutungen geeinigt, weil sie die Not vor Ort kennt. Deswegen stehe auch ich dazu. Würde ich den Kompromiss ablehnen, würde ich Kreise, Kommunen und die dort helfende Zivilgesellschaft im bürokratischen Regen stehen lassen. Das ist für mich nicht zu rechtfertigen, weil wir das Staatsversagen auf den höchsten Ebenen weiter auf die Zivilgesellschaft abwälzen würden. Eine Enthaltung ist keine neutrale Position, sondern sie heißt, dass man zu einer bestimmten Frage keine Haltung hat. Ich habe aber eine Haltung zu diesem Thema, und die ist eindeutig: Wir dürfen die handelnden Menschen vor Ort, von der Zivilgesellschaft und in den Verwaltungen, nicht mehr alleinlassen. Darum werde ich dem Kompromiss, auf den sich auch die grün mitregierten Länder geeinigt haben, zustimmen. Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) als Berichterstatter zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 6) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschließenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 14. Oktober 2015 mache ich darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Protokollerklärung der Bundesregierung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Die Bundesregierung gibt aus Anlass der Beschlussfassung des Vermittlungsausschusses zum Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes folgende Zusagen: 1. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 4 RegG) Die Bundesregierung wird unverzüglich die Länder einladen, um die Rechtsverordnung gemein-sam zu erarbeiten. Grundlage für die Gespräche zwischen Bund und Ländern ist der Beschluss der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik am 24. September 2015. Es besteht Einigkeit, dass diese Rechtsverordnung ab dem 01. Januar 2016 gelten soll. 2. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 5 RegG) Die Bundesregierung verpflichtet sich, im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwurfs zur Eisenbahnregulierung sicherzustellen, dass das Volumen der jährlichen länderspezifischen Steigerung der Infrastrukturentgelte den Anstieg nach § 5 Absatz 3 RegG nicht übersteigt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungspunkt 10) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass „wir die betriebliche Altersvorsorge stärken“ werden. Mit der Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie in deutsches Recht machen wir damit den Anfang. Im Gegensatz zu früheren Jahren ist es in der heutigen Arbeitswelt selbstverständlich, dass Beschäftigte in ihrem Erwerbsleben den Arbeitgeber wechseln. Nicht zuletzt durch die Globalisierung nimmt auch der grenzüberschreitende Arbeitgeberwechsel stetig zu. Das elementare Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU wird durch die neuen Regelungen der betrieblichen Altersvorsorge für die Beschäftigten gefördert. Wir wollen gute Bedingungen für die Beschäftigten in Deutschland nicht nur für die Zeit ihres Erwerbslebens, sondern auch für die Zeit danach schaffen. Dazu gehört auch, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer wissen sollte, dass die betriebliche und private Vorsorge wichtige Säulen der Alterssicherung sind. Die wichtigsten Bestandteile bei der deutschen Umsetzung der EU-Richtlinie sind: Die Herabsetzung des Unverfallbarkeitsalters des Beschäftigten bei Anwartschaften von 26 auf 21 Jahre. Die Unverfallbarkeitsfrist, ab der Betriebsrenten bei einem Arbeitgeberwechsel nicht mehr verfallen, wird von fünf auf drei Jahre abgesenkt. „Ruhende“ Betriebsanwartschaften von Beschäftigten, die nicht mehr bei dem Arbeitgeber tätig sind, müssen genauso wie aktive Anwartschaften behandelt werden. Der Auskunftsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird gestärkt. Diese Erneuerungen gelten sowohl für Beschäftigte, die innerhalb Deutschlands ihren Arbeitgeber wechseln, als auch für den EU-grenzüberschreitenden Arbeitgeberwechsel. Es sollte für einen Beschäftigten, der von Bayern nach Baden-Württemberg den Arbeitgeber wechselt, nichts anderes gelten als bei einem Wechsel von Deutschland nach Österreich. Im Ergebnis geht der deutsche Gesetzentwurf über die Eins-zu-Eins-Umsetzung der Richtlinie hinaus. Damit nutzen wir bewusst die Spielräume einer Richtlinie. Lassen Sie mich auf einige Detailfragen eingehen. Der Auskunftsanspruch: Jeder Beschäftigte sollte wissen, was seine Anwartschaft beinhaltet. Transparenz und eine gewisse Planungssicherheit ermöglichen es dem Arbeitnehmer, seine Altersvorsorge auf mehrere Säulen zu verteilen. Ich begrüße es, dass der Arbeitnehmer zukünftig kein „berechtigtes Interesse“ mehr vorweisen muss, um mehr Informationen über seine betriebliche Altersvorsorge zu erhalten. Damit beseitigen wir ein weiteres Hindernis der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge. Der Arbeitgeber kann die Auskunft in Textform, im Sinne des § 126 b Bürgerliches Gesetzbuch also auch per E-Mail erfüllen. Diese Möglichkeit wird für Erleichterungen in vielen Unternehmen sorgen. Mit der Herabsetzung des Lebensalters für den Erhalt der Anwartschaften und der Unverfallbarkeitsfristen verhindern wir, dass zukünftig jüngere Arbeitnehmer ihre erworbenen Anwartschaften verlieren. Auch fördern wir damit, dass sich jüngere Beschäftigte mit ihrer Altersvorsorge verstärkt auseinandersetzen. Bei den Kleinstanwartschaften erfolgt eine Eins-zu-Eins-Umsetzung der Richtlinie. Nach heutiger Gesetzeslage bedarf der Arbeitgeber nicht der Zustimmung des Arbeitnehmers, wenn er Kleinstanwartschaften abfinden möchte. Durch die Ergänzung des Betriebsrentengesetzes ändern sich bei grenzüberschreitenden Arbeitgeberwechsel nun die Ansprüche der Beschäftigten, siehe § 3 Absatz 2 Betriebsrentengesetz. Ab Inkrafttreten der Änderungen im Jahre 2018 bedarf es nun der Zustimmung des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber Anwartschaften abfinden will. Um jedoch auch die Interessen des Arbeitgebers nicht zu vernachlässigen und unnötigen jahrelangen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, muss der Arbeitnehmer eine Frist von drei Monaten wahren. Natürlich wollen wir auch verhindern, dass für die Arbeitgeber, besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen, überflüssige Bürokratie und Ausgaben entstehen. Deshalb haben wir uns für eine Umsetzungsfrist bis 2018 entschieden. Bundesministerin Andrea Nahles hat es bereits im Juli dieses Jahres umschrieben: Es handelt sich um eine schonende Umsetzung. Diese schonende Umsetzung ermöglicht den Unternehmen ausreichend Zeit, ihre Organisation an die neuen gesetzlichen Umstellungen anzupassen. Die Kernaussage lautet: Mit der Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie schaffen wir bessere Bedingungen für die Alterssicherung von Beschäftigten. Ich bin zuversichtlich, dass weitere Schritte zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge folgen werden. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die betriebliche Altersvorsorge hat sich traditionell seit ihrer Begründung im vorletzten Jahrhundert auf freiwilliges Engagement der Arbeitgeber gestützt. Im Rahmen der Rentenreform 2001 erhielt die BAV zusammen mit der privaten Altersvorsorge eine wichtige Funktion: Die auf kapitalgedeckter Finanzierung beruhenden Systeme sollten als zweite und dritte Säule der Alterssicherung den demografisch bedingten Rückgang des Leistungsniveaus in der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung als erster Säule ausgleichen. Hierfür wurde der BAV mit der Entgeltumwandlung ein Finanzierungsinstrument an die Hand gegeben, das nun auch die Arbeitnehmer strukturell einbezog. Die Einführung der Entgeltumwandlung im Jahr 1974 hat die Akzente in der betrieblichen Altersversorgung verschoben. Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf Entgeltumwandlung 2001 wurde die BAV weiter gestärkt. Laut Alterssicherungsbericht 2012 wird die BAV in 28 Prozent der Fälle ausschließlich vom Arbeitnehmer finanziert, während dieses in 44 Prozent der Fälle gemeinsam durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschieht. Knapp 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verfügen heute über eine aktive Betriebsrentenanwartschaft. Nach einer Phase des rapiden Anstiegs unmittelbar nach der Rentenreform 2001 verlangsamt sich das Wachstum allerdings seit 2009. Man muss genau hinschauen; denn die Zahlen geben nicht die erheblichen Verbreitungsunterschiede nach Betriebsgrößen, Branchen und Einkommen wieder. Ein deutliches Gefälle zeigt die Statistik bereits zwischen Großbetrieben, die eine fast hundertprozentige Durchdringung aufweisen, und KMU. Bei Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern liegt der Anteil der Beschäftigten mit einer BAV bei über 70 Prozent, bei Unternehmen zwischen 50 und 200 Beschäftigten immerhin noch bei circa 50 Prozent. Bei kleineren Betrieben sinkt der Anteil kontinuierlich ab. Zugleich deutet vieles darauf hin, dass gerade bei geringeren Einkommen die dort eigentlich besonders nötige zusätzliche Absicherung durch BAV und auch die private Vorsorge nicht hinreichend ist. Die Statistiken zeigen: Je niedriger das Einkommen, desto geringer die Absicherungsquote. Wenn aber der Ausgleich des sinkenden Niveaus in der GRV durch die zusätzlichen Säulen nicht funktioniert, wäre eine zentrale Prämisse des Rentenkonzeptes nicht erfüllt und dessen politische Legitimation erschüttert. Erforderlich sind deshalb neue und zielgerichtete Impulse für die BAV jetzt, wie sie auch im Koalitionsvertrag vereinbart sind: Die Alterssicherung steht im demografischen Wandel stabiler, wenn sie sich auf mehrere starke Säulen stützt. Deswegen werden wir die betriebliche Altersvorsorge stärken. Sie muss auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Klein- und Mittelbetrieben selbstverständlich werden. Daher wollen wir die Voraussetzungen schaffen, damit die Betriebsrenten auch in kleinen Unternehmen hohe Verbreitung finden. Hierzu werden wir prüfen, inwieweit mögliche Hemmnisse bei den kleinen und mittleren Unternehmen abgebaut werden können. Wir werden auch im europäischen Kontext darauf achten, dass die guten Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersvorsorge erhalten bleiben. Unter den beschriebenen Voraussetzungen wäre es geradezu fatal gewesen, wenn frühere Pläne der EU-Kommission aus dem Jahr 2005 für eine Portabilitätsrichtlinie realisiert worden wären. Über die jetzt gefundenen Regelungen deutlich hinausgehende Erstattungs- und Mitnahmemöglichkeiten von Anwartschaften wie die Möglichkeit der Übertragung des Kapitals auf ein neues Rentensystem oder andere Altersversorgungsmodelle, die Verpflichtung von Unternehmen zur Anpassung von Betriebsrentenanwartschaften ausgeschiedener Arbeitnehmer bis hin zur Anwendung der Richtlinie auch auf Altzusagen hatten wegen des großen Umsetzungsaufwandes zum Erlahmen vieler betrieblicher Initiativen geführt. Im Zusammenhang mit Überlegungen zum „Weißbuch Rente“ drohte vor drei Jahren weiteres Ungemach. Diese hatten die Akteure in der BAV aufgeschreckt. Die ursprünglich geplante Übertragung der für Banken und Versicherungen sinnvollen Kapitaldeckungsvorschriften auf die betriebliche Altersvorsorge hatte nach der Überzeugung von Experten die betriebliche Altersvorsorge überfordert und zu einer Erosion der zweiten Säule der Alterssicherung geführt. Unter dem Gesichtspunkt, dass Unternehmen und Pensionssicherungsverein bereits für die Einlagen haften, waren solche Anforderungen an die Kapitalrücklagen überdies vollkommen überflüssig gewesen. Mit einem Antrag in diesem Hause haben wir vor rund drei Jahren auf die Problematik aufmerksam gemacht. Es war nicht die leichteste Übung, die Pläne zu verhindern. Denn wir mussten die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, die keine BAV kennen, für deren Besonderheiten sensibilisieren. Im Ergebnis konnte also Schaden von der BAV abgewehrt werden. Mit der Umsetzung der EU­Mobilitäts-Richtlinie wird die BAV für Arbeitnehmer jetzt interessanter, weil zum Beispiel das Risiko gemindert wird, im Falle des Arbeitnehmerwechsels Ansprüche zu verlieren, ohne dass die Unternehmen überfordert werden. Das alles reicht aber noch nicht aus, um die angestrebte Absicherungsbreite zu erreichen. Weitere Schritte sind – wie dargestellt – erforderlich. Es gibt auf dem Markt eine Vielzahl guter Ideen, die sich im Ergebnis alle auch positiv auf die Angebote im Rahmen der BAV auswirken würden. Ich kenne Forderungskataloge, deren Umsetzung problemlos mit 15 Milliarden Euro oder mehr zu Buche schlagen würden. Die Kunst liegt aber auch in diesem Fall darin, einen realistischen Finanzierungsrahmen möglichst effizient einzusetzen. Mitnahmeeffekte, eine Fokussierung auf Zielgruppen mit einem bereits überdurchschnittlichen Absicherungsgrad oder gar Doppelförderungen gilt es zu vermeiden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Vergabe eines wissenschaftlichen Gutachtens „Optimierung der staatlichen Förderung der betrieblichen Altersversorgung“ durch das BMF und erhoffen uns durch dieses wertvolle Hinweise, wie wir die gesteckten Ziele erreichen können. Im Mittelpunkt der anstehenden Weiterentwicklung der BAV muss stehen, dass wieder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu der Überzeugung gelangen, dass sich die betriebliche Altersvorsorge lohnt. Dafür wird es nicht reichen, Geld in die Hand zu nehmen. Der Anspruch auf Entgeltumwandlung ist ja da. die Arbeitnehmer greifen aber oft nicht zu. Zugleich müssen auch Gegebenheiten beseitigt werden, die den Unternehmen das Leben schwermachen – ausgerechnet denen, die bereit sind, sich besonders für die BAV zu engagieren. Hier wäre eine der Realität näher kommende steuerliche Erfassung von Pensionsrückstellungen ein wichtiger Schritt. Die Vorschriften zur Bilanzierung belasten die Unternehmen gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase erheblich. Es ist ein wichtiges Signal, dass der Bundesminister der Finanzen in dieser Woche angekündigt hat, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Ralf Kapschack (SPD): Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts­Richtlinie – das hört sich nicht unbedingt an wie der Titel eines Krimis. Aber es ist wie bei manchen guten Büchern: Vom Titel darf man sich nicht abschrecken lassen. Es geht um ein hochspannendes Thema: um die Altersversorgung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Auch wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit zurzeit auf andere Themen konzentriert: Die Frage der Altersversorgung in unserem Land ist eine der Fragen, die viele Menschen umtreibt. Da erwarten sie Antworten. Wir reden heute über die betriebliche Altersversorgung. Sie hat in Deutschland lange Tradition. Bei BASF etwa ist sie älter als die gesetzliche Rentenversicherung. Eine Stärkung und größere Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge ist für uns eine wünschenswerte Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung. Da müssen wir einiges tun. Dazu dient in gewissem Umfang auch dieser Gesetzentwurf. Wesentlicher Inhalt des vorliegenden Entwurfs ist die Verringerung der Fristen, die dazu führen, dass Ansprüche an betriebliche Altersversorgung unverfallbar werden. Das kommt vor allem jungen und mobilen Arbeitskräften zugute. Zweiter Punkt: die Wahrung von Anwartschaften, wenn der Arbeitgeber gewechselt wird. Dabei sollen die ruhenden Ansprüche ausgeschiedener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht schlechter behandelt werden als die Ansprüche derjenigen, die im Unternehmen bleiben. Das ist gut so, zeigt aber gleichzeitig, dass es oft nicht ohne Weiteres möglich ist, den erworbenen Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung mitzunehmen. Auch da gibt es Handlungsbedarf. Dritter Punkt des Gesetzentwurfs ist die Regelung über Abfindungen Der vierte und letzte Punkt ist die Informationspflicht der Arbeitgeber oder Versorgungsträger darüber, wie Ansprüche erworbenen werden, wie hoch sie sind und wie sich ein Ende des Arbeitsverhältnisses auswirkt. Die meisten Arbeitgeber informieren schon heute, aber offenbar nicht alle in ausreichender Form. Deshalb ist es gut, dies klar, eindeutig und zum Nutzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu regeln. Die EU-Richtlinie will die Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern. Die Bundesregierung schlägt vor, die Vorgaben in das Betriebsrentengesetz so zu übernehmen, dass sie für alle gelten, auch beim Wechsel des Arbeitsplatzes im Inland. Das ist richtig so. Die Diskussion bietet die Gelegenheit, sich einmal anzuschauen, wie es aussieht mit der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland. Die betriebliche und tarifvertraglich abgesicherte Altersversorgung ist aus Sicht der SPD die beste Form der privaten und zugleich kollektiven Altersversorgung. Wir wollen sie stärken und durch die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit auch in Regionen und Branchen in Deutschland durchsetzen, in denen sie derzeit aufgrund der geringen Tarifbindung noch viel zu wenig genutzt wird. Nach letzten Untersuchungen haben etwa 60 Prozent der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung. Keine Überraschung ist, dass dies nach Branchen und Betriebsgrößen sehr stark variiert. In Betrieben mit mehr als 1 000 Beschäftigten gibt es nahezu für alle ein Angebot. Im Handwerk aber, mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von neun Beschäftigten, profitiert nur jeder Zehnte von betrieblicher Altersversorgung. Ich kann mir gut vorstellen, dass zum Beispiel die Frau des Firmeninhabers, des Klempnermeisters oder Tischlers, die die Lohnabrechnungen macht, sich nicht auch noch um betriebliche Altersversorgung kümmern will und kann. Aber daran darf eine zusätzliche Absicherung der Beschäftigten im Alter gerade auch im Handwerk nicht scheitern. Auch für Mittel- und Kleinbetriebe muss betriebliche Altersversorgung selbstverständlich werden. Das hat sich die Koalition auf die Fahne geschrieben. Wenn kleine Betriebe damit überfordert sind, muss es nach unserer Ansicht Branchenlösungen geben, die vor allem kleinen Unternehmen Risiko und Organisationsaufwand abnehmen. Gleichzeitig können solche Einrichtungen durch die entsprechende Größe Kostenvorteile beim Vertrieb, bei Verwaltungskosten und bei möglichen Anlagen realisieren. Das Arbeitsministerium hat dazu ja erste Ideen entwickelt. Um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker zu motivieren, eine betriebliche Altersversorgung aufzubauen, braucht es nach unserer Meinung aber auch an anderer Stelle Veränderungen. Heute muss jedem Beschäftigten auf Nachfrage ein Angebot zur betrieblichen Entgeltumwandlung gemacht werden. Die SPD will, dass in Zukunft jedes Unternehmen eine entsprechende Möglichkeit anbietet, wenn die Arbeitnehmerin, der Arbeitnehmer nicht selbst darauf verzichtet. Die Erfahrung in Nachbarländern zeigt, dass eine solche Opt-out-Regelung zu einer deutlich besseren Verbreitung führt. Herr Weiß, sie haben ja am Dienstag erzählt, dass sich die CDU auf ihrem Parteitag 2005 auch für eine Opt-out­Regelung ausgesprochen hat. Also, dann lassen sie uns doch da einmal etwas machen. Wir helfen gerne dabei, gute Beschlüsse der CDU umzusetzen. Attraktive Altersversorgung wird in Zukunft sicherlich auch ein Argument sein, um Arbeitskräfte zu binden oder neue zu gewinnen. Deshalb ist das für Unternehmen nicht nur ein Kostenfaktor. Um betriebliche Altersversorgung für Beschäftigte lukrativer zu machen, sollten die Ersparnisse der Arbeitgeber bei der Entgeltumwandlung eingebaut werden, in erster Linie, um die Leistung zu erhöhen. Aber vielleicht kann man ja auch darüber nachdenken, diese Mittel als Kompensation für die heute gültige Regelung zu nutzen, dass auf Betriebsrenten der volle Krankenkassenbeitrag zu zahlen ist. Die Anrechnung auf die Grundsicherung ist eine Hürde für Geringverdiener, sich mit betrieblicher Altersversorgung zu beschäftigen. Wenn das Geld bei Renteneintritt weg ist, warum soll man dann sparen? Hier müssen Anreize geschaffen werden. Denn gerade Geringverdiener brauchen eine zusätzliche Absicherung im Alter. Gerade sie müssen auch Zugang zu betrieblicher Altersversorgung haben. Die bisherige staatliche Förderung muss deshalb auf den Prüfstand. Es gibt also jede Menge offener Fragen. Ich freue mich auf die Ausschussberatung des Gesetzentwurfs. Das ist dann das nächste Kapital dieser spannenden Geschichte. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sieben Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger arbeiteten 2013 nicht in ihrem eigenen Land. 1,1 Millionen Beschäftigte pendelten nicht von Köln nach Bonn oder nach Berlin, sondern über Grenzen hinweg. 1,2 Millionen Menschen werden von ihrem Chef befristet ins Aus­land entsandt. Europa ist in Bewegung, und das ist gut so. Deshalb begrüßen wir jeden Schritt, der es diesen Pionierinnen und Pionieren in Europa erleichtert, sich frei zu bewegen, in einem anderen Land oder auch grenzüberschreitend zu arbeiten und damit die Idee Europa Tag ein Tag aus mit Leben zu erfüllen. Bei der Frage von Rentenanwartschaften ist es oft besonders schwierig, sie über die Grenzen hinweg mitzunehmen und am Ende die unterschiedlichen Rentenpunkte, die man mal hier und mal dort gesammelt hat, auch ausgezahlt zu bekommen. Bei Betriebsrenten ist es oft noch schwieriger. Ich danke hier vor allem dem Europäischen Gewerkschaftsbund, der sich dieses Themas schon vor zehn Jahren ange­nommen hat, in einer Zeit, als man unter Freizügigkeit noch neoliberal verstand, dass sich Konzerne, ohne Steuern zu zahlen, mit Dumpinglöhnen und ohne Sozialstandards im Ausland niederlassen können sollten. Es begann dann eine lange Geschichte des Widerstands der Arbeitgeber, aber auch von Mitgliedstaaten, die alles tun wollten, um ein Recht auf die Übertragbarkeit von Betriebsrenten zu verhindern. Noch 2007 stimmte die Große Koalition aus Deutschland gegen den Richtlinienentwurf. Sieben dürre Jahre später, im vergangen Jahr, war es dann endlich soweit: Die Mobilitätsrichtlinie erleichtert die Übertragung von Betriebsrenten von einem Job zum nächsten. Betriebsrentenanwartschaften bleiben bei einem Arbeitgeberwechsel grundsätzlich erhalten. Das alles gilt auch bei einem Arbeitgeberwechsel im Inland. Betriebsrenten gelten jetzt nach drei und nicht mehr nach fünf Beschäftigungsjahren als unverfallbar und garantiert. Für diese Garantie wird auch das Mindestalter der Beschäftigten von 25 auf 21 Jahre gesenkt. Kleinstanwartschaften dürfen nicht mehr ohne Zustimmung der Beschäftigten abgefunden werden. Dies gilt allerdings nicht bei einem Wechsel innerhalb Deutschlands. Außerdem wurden die Informationsrechte der Beschäftigten über ihre Betriebsrentenansprüche gestärkt. Das alles begrüßen wir. Das hat die Bundesregierung eins zu eins und schnell umgesetzt. Gut so! Aber lassen Sie mich zum Schluss dieses Gesetzesvorhaben noch in den größeren Kontext einordnen! László Andor hatte 2014 als amtierender EU-Sozialkommissar, die Mobilitätsrichtlinie begrüßt, da europaweit die Arbeitskräfte immer stärker auf Zusatzrenten und Zusatzpensionen angewiesen seien. Auch Herr Kollege Weiß von der Union hat jüngst im Handelsblatt gewarnt: Der Handlungsdruck sei immens ... Seit 2009 stagniert die Verbreitung der bAV. Wenn das so bleibt, müssen wir eines Tages feststellen, dass das Drei-Säulen-Modell der Altersversorgung aus im Niveau sinkender gesetzlicher Rente, Betriebs-und Riester-Rente gescheitert ist. Herr Weiß, das ist eine bemerkenswerte Einsicht. Ich prophezeie Ihnen: Weder die richtige Mobilitäts-Richtlinie noch ihr jetzt schon bei Arbeitgebern und Gewerkschaften durchgefallenes Sozialpartnermodell Betriebsrente werden die betriebliche Altersversorgung so attraktiv machen, dass die Lücke, die Sie durch die Senkung des Rentenniveaus in die gesetzliche Rente gerissen haben, ausgeglichen werden wird, ganz zu schweigen vom Totalausfall der Riesterrente. Das Drei-Säulen-Modell ist gescheitert. Stärken Sie endlich die gesetzliche Rente, und heben Sie das Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent an! Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ohne Frage: Die Betriebsrente ist längst mehr als ein personalpolitisches Instrument zur Mitarbeiterbindung. Sie übernimmt immer mehr auch eine sozialpolitische Funktion. Allerdings gilt das nur für einen ausgewählten Personenkreis. Gerade Frauen, Geringverdienerinnen und Geringverdiener, Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen und in vielen Branchen, beispielsweise im Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen, sind heute oft von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen. Im Bundessozialministerium hat man dieses Problem offensichtlich erkannt. Das ist durchaus erfreulich. Natürlich wollen auch wir die betriebliche Altersversorgung weiter fördern und zur Verbreiterung beitragen. Nur: Betriebsrenten sind – entgegen der Vorstellung der Bundesregierung – kein rentenpolitisches Allheilmittel. Wir sehen es im Koalitionsvertrag und auch in den jüngsten Aussagen von Andrea Nahles: Die Betriebsrente soll es in Zukunft richten. Sie setzt alles auf eine Karte, letztlich aber doch auf das falsche Pferd. In Zukunft müsse nach dem Willen der Bundesregierung in erster Linie die betriebliche Altersversorgung das Absinken des Rentenniveaus ausgleichen. Dies aber könnte in der Theorie nur dann gelingen, wenn tatsächlich jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer in Ost und West, in Rostock, in Leipzig oder in Dortmund, in jeder Branche und in jedem Betrieb, ob groß oder klein, Zugang zu einem Betriebsrentenangebot erhält und dieses auch annimmt. Dahin wäre es noch ein weiter Weg. Wer also die umfassende und alle einbeziehende Sicherungsfunktion des Alterssicherungssystems bewahren will, muss realistischer Weise alle drei Säulen der Alterssicherung in den Blick nehmen und besonders die gesetzliche Rente stärken. Es braucht vor diesem Hintergrund schon besonders wirksame rentenpolitische Scheuklappen, um, wie die Koalition, die beiden anderen Säulen ganz aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen. Die in ihrer bisherigen Form gescheiterte Riester-Rente? Die Bundesregierung ignoriert sie und all die offenkundigen Probleme. Wenn überhaupt: Mehr als kosmetische verbraucherpolitische Maßnahmen sind bei der dritten Säule von der Koalition bis zur Bundestagswahl nicht zu erwarten. Die Entwicklung des Rentenniveaus, besonders nach 2030? Dazu hört man von Andrea Nahles nicht mehr als betretenes Schweigen. Dabei war es gerade die geforderte private Altersvorsorge, die die Leistungseinschränkungen bei der gesetzlichen Rente ausgleichen und damit auch rechtfertigen sollte. Die Bundesregierung hat keine Antworten auf die offensichtlichen Probleme der ersten und der dritten Säule. Umso beschämender ist es, dass selbst auch bei der groß angekündigten Betriebsrentenreform keinerlei Fortschritte zu vermelden sind. Die Nahles-Rente, das „Neue Sozialpartnermodell Betriebsrente“, droht – ironischerweise – gerade am massiven Widerstand der Sozialpartner zu scheitern. Zwei Entwürfe des Sozialministeriums sind bereits durchgefallen. Selbst ein Minimalkonsens zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften steht in den Sternen. Davon abgesehen erscheint der bisherige Vorschlag des BMAS, zum Beispiel zu gemeinsamen Einrichtungen …, wenig geeignet, um tatsächlich eine fast vollständige Verbreitung der Betriebsrente erreichen zu können. Würden Sie sich ehrlich machen, müssten wir eigentlich über eine gesetzliche Lösung diskutieren, also etwa über eine mit jedem Arbeitsvertrag automatisch verbundene Betriebsrente mit einer Opt-out-Option für die Beschäftigten. Vielleicht mangelt es Ihnen an Mumm, einen solchen Vorschlag gegen die Sozialpartner durchzusetzen. Dass wir angesichts der verfahrenen und peinlichen Blockadesituation bei der Nahles-Rente überhaupt über Betriebsrenten diskutieren, ist allein der Europäischen Union zu verdanken. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung über die Europäische Mobilitäts-Richtlinie nach jahrelanger Verzögerung angehalten wird, endlich zu handeln. Die Richtlinie erleichtert es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, betrieblich für das Alter vorzusorgen. Gerade Jüngere werden davon profitieren, dass sie auch schon Anfang 20 wirksame Versorgungsanwartschaften aufbauen können, auch dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz innerhalb der Europäischen Union wechseln. Ebenso sind die im Gesetzentwurf vorgesehene Dynamisierung der Anwartschaften von ehemaligen Beschäftigten sowie die Verkürzung der Unverfallbarkeitsfristen von fünf auf drei Jahre ein Schritt in die richtige Richtung. Letztlich ist aber auch klar: Zu mehr, als die europäische Minimalforderung umzusetzen, scheint die Koalition nicht fähig. Was das für die konfliktträchtige Auseinandersetzung um die Nahles-Rente bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts (Tagesordnungspunkt 17) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich freue mich, dass ich zur heutigen Debatte zum Unterhaltsrecht nicht nur als Jurist, sondern insbesondere auch als Familienpolitiker die Gelegenheit habe, mich an der Diskussion zu beteiligen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts haben wir die rechtlichen Grundlagen im Hinblick auf den Mindestunterhalt, das vereinfachte Verfahren im Kinderunterhaltsgesetz und die Regelungen im Auslandsunterhaltsgesetz überarbeitet und angepasst. Erstens. Schaffung einer neuen Bezugsgröße für den Mindestunterhalt von Kindern Wir haben uns innerhalb der Koalition zum einen darauf verständigt, eine neue Bezugsgröße für den Mindestunterhalt von Kindern zu schaffen. Der in § 1612 a BGB geregelte Mindestunterhalt soll sich künftig nicht mehr an den steuerrechtlich geprägten Kinderfreibetrag anlehnen, sondern das steuerfrei zu stellende sächliche Existenzminimum minderjähriger Kinder soll Anknüpfungspunkt für die künftige Berechnung sein (§ 1612 a Satz 2 BGB). Zwar orientieren sich die derzeit noch geltenden Regelungen auch am entsprechenden Existenzminimumssatz, allerdings ist es diesbezüglich zu Abweichungen zwischen der Höhe des Mindestunterhalts und des Existenzminimums minderjähriger Kinder gekommen, die wir mit der im vorliegenden Entwurf vorgeschlagenen Regelung nunmehr ausräumen. Seit der Unterhaltsrechtsreform aus dem Jahr 2008 war der Mindestunterhalt zentraler Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Unterhalts für minderjährige Kinder. Der Umfang und die Höhe des Existenzminimums von Kindern werden künftig alle zwei Jahre auf Basis des Existenzminimumsberichts der Bundesregierung im Rahmen einer Rechtsverordnung –erstmals am 1. Januar 2016 –durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz festgelegt. Durch diesen regelmäßigen Anpassungszyklus stellen wir sicher, dass nachteilige Folgen für Familien durch eine verzögerte Anpassung oder eine Unterschreitung des Steuerfreibetrages/Mindestunterhaltes unterhalb des sächlichen Existenzminimums künftig vermieden werden und es zu einer schnelleren Anpassung des Mindestunterhalts für minderjährige Kinder kommt. Situationen wie die in diesem Jahr, wo die Freibetragsanhebung zu Beginn des Jahres nicht rechtzeitig erfolgt ist und der Mindestunterhalt für die Kinder in der ersten Jahreshälfte das Existenzminimum nicht voll gedeckt hatte, werden durch die neue Regelung in Zukunft vermieden. Zweitens. Neuordnung des vereinfachten Verfahrens beim Kindesunterhalt: Neben dem regulären Unterhaltsverfahren besteht die Möglichkeit, zur Existenzsicherung vom Unterhaltsverpflichteten beim Familiengericht im Rahmen des sogenannten vereinfachten Verfahrens nach §§ 249 – 260 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) noch schneller, benutzerfreundlicher und effizienter Unterhalt für ein minderjähriges Kind vollstreckungsfähig festsetzen zu lassen. Das vereinfachte Verfahren nach den §§ 249 ff. FamFG hat sich nach seiner Einführung durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder aus dem Jahr 1998 als ein zügiges und einfaches Unterhaltsfestsetzungsverfahren zur Existenzsicherung minderjähriger Kinder etabliert und auch bewährt. Um ein Beispiel zu nennen: Im Jahr 2013 sind von fast 76 000 erledigten Kindesunterhaltsverfahren knapp 28 000 – also etwa 36 Prozent – im vereinfachten Verfahren beantragt worden. Aus diesen Gründen wollen wir an diesem Verfahren auch grundsätzlich festhalten und lediglich in einigen Bereichen noch passgenau nachjustieren. Insbesondere die nach der Kindesunterhalt-Formularverordnung (KindUFV) vorgeschriebene Benutzung eines bundeseinheitlichen Formulars zur Beantragung des Unterhalts hat sich in der Praxis als zu kompliziert und anwenderunfreundlich erwiesen. Unserer Intention, dem Kind schnellstmöglich die dringend benötigte finanzielle Unterstützung so schnell und so unkompliziert wie möglich zur Verfügung zu stellen, konnten wir mit diesem Verfahren nicht immer nachkommen. Diesbezügliche Anträge und Einwendungen waren bislang stets formulargebunden. Aus der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Antragsteller zum überwiegenden Teil Behörden sind (Jugendamt, örtliche Sozialbehörden), die im Rahmen der Beistandschaft und in Fällen des Anspruchsübergangs nach dem Unterhaltsvorschussgesetz das Verfahren nutzen und für die kein Formularzwang besteht (§ 1 II KindUFV). Sie stehen Elternteilen als Antragsgegner gegenüber, die hingegen stets zur Verwendung des sogenannten Einwendungsformulars verpflichtet sind. Gerade aber für den (nicht anwaltlich vertretenen) Antragsgegner gestaltete es sich im Rahmen dieses Verfahrens schwierig, seine Einwendungen zu erheben und seine Rechte geltend zu machen. Auch im Hinblick auf die Verfahren mit Auslandsbezug hat sich das vereinfachte Verfahren, insbesondere in Bezug auf den Übersetzungsaufwand der Formulare, ebenfalls als nicht praxistauglich erwiesen. Im Rahmen der Beantragung des Kindesunterhaltes im vereinfachten Verfahren wollen wir durch entsprechende Änderungen im Bereich des Kindesunterhaltsgesetzes, der Kinderunterhalts- Formularverordnung und des Gesetzes über Gerichtskosten in Familiensachen dafür Sorge tragen, dass sich das Verfahren nunmehr effizienter und benutzerfreundlicher gestaltet. Aus diesem Grund soll unter anderem im FamFG der sogenannte „Formularzwang“ entfallen, Regelungen zu den Einwendungen des Antragsgegners und zum Übergang in das streitige Verfahren geändert werden. Der Bundesrat hat sich im Hinblick auf die Abschaffung des verpflichtend zu nutzenden Einwendungsformulars und dem damit einhergehenden geringeren Übersetzungsaufwand dafür ausgesprochen, die Verfahren mit Auslandsbezug nicht aus dem Anwendungsbereich für das vereinfachte Verfahren herauszunehmen. Den Forderungen des Bundesrates tragen wir mit unserem diesbezüglichen Änderungsantrag nunmehr Rechnung – das vereinfachte Verfahren soll auch in Auslandsfällen weiter angewandt werden können. Drittens. Änderung des Auslandsunterhaltsgesetzes Ferner enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung in Bezug auf das Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) – welches die grenzüberschreitende Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen regelt – einige Anpassungen, die infolge einer Entscheidung des EuGH zur örtlichen Zuständigkeit der deutschen Familiengerichte in Unterhaltssachen notwendig geworden sind. Zudem führen wir eine gesetzliche Gebührenregelung für die Einreichung einer Schutzschrift zum elektronischen Schutzschriftenregister ein. Ich denke, dass es uns mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf nicht nur gelungen ist, das Unterhaltsverfahren zu entbürokratisieren, praxistauglicher und anwenderfreundlicher zu gestalten, sondern – und das sage ich gerade als Familienpolitiker – Regelungen Eingang in das Unterhaltsrecht gefunden haben, die dem Kindeswohl noch besser entsprechen und den betroffenen Familien zu Gute kommen. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): In abschließender Beratung debattieren wir heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung, in dem es hauptsächlich um Änderungen im Unterhaltsrecht und im Unterhaltsverfahrensrecht sowie um einige kleine marginale Änderungen in der ZPO geht. Wir haben es hier im Unterhaltsrecht nicht mit dem von manchen geforderten großen Wurf zu tun, dennoch beschließen wir wichtige Dinge. Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es im Wesentlichen um zwei Punkte: Erstens um den Mindestunterhalt für minderjährige Kinder, also um das Geld, welches Kinder von Ihren Eltern nach der Trennung oder Scheidung erhalten. Ein Elternteil leistet in der Regel den Unterhalt in Form von Betreuung, der andere zahlt. Das sind zurzeit für die Kleinsten bis 5 Jahre 236 Euro, für die 6- bis 11-Jährigen 284 Euro, für die 12- bis 17-Jährigen 348 Euro und für Jugendliche ab 18 Jahren 320 Euro, immer ohne das Kindergeld. Wie errechnet man nun diesen Mindestunterhalt? Der Mindestunterhalt richtet sich aktuell noch nach dem doppelten Freibetrag für das sachliche Existenzminimum eines Kindes, dem sogenannten Kinderfreibetrag. Derzeit ist der Mindestunterhalt also vom Einkommenssteuergesetz abhängig. Dies wurde von der Praxis vielfach kritisiert. Die Anknüpfung an das Einkommensteuergesetz hat aufgrund verschiedener steuerlicher Verhältnisse der beteiligten Eltern zu Abweichungen des Mindestunterhalts vom Existenzminimum geführt. Der Gesetzentwurf will nun den Mindestunterhalt an das sachliche Existenzminimum minderjähriger Kinder anknüpfen, und zwar unabhängig von den steuerlichen Verhältnissen der Eltern. Alle zwei Jahre wird dann die Höhe des Mindestunterhalts per Verordnung des BMJV auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung festgelegt, beginnend mit dem 1. Januar 2016. Die Änderung soll eine Unterdeckung des sachlichen Existenzminimums, wie in der Vergangenheit vorgekommen, verhindern. Also, meine Damen und Herren, eine gute Regelung im Sinne der Kinder. Zweitens ändert der Gesetzentwurf das sogenannte vereinfachte Verfahren zur Festsetzung der Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder. Im Prinzip hat sich dieses Verfahren bewährt. Dies belegen auch die entsprechenden Zahlen. Es ist auch sinnvoll, dass Gläubiger von Kindesunterhaltsansprüchen diese leichter geltend machen können als im streitigen Verfahren und damit das Existenzminimum minderjähriger Kinder schneller und einfacher gesichert wird. Der 20. Deutsche Familiengerichtstag hat am 20. September 2013 Vorschläge zur Fortentwicklung des Verfahrens vorgelegt, die weitgehend im vorliegenden Gesetzentwurf umgesetzt wurden. Der Begriff des vereinfachten Verfahrens ist vielleicht etwas irreführend. Es gilt als kompliziert und stark formalisiert. Deshalb ist eine Fortentwicklung nötig. In der anwaltlichen Praxis kommt das Verfahren kaum vor. Ich habe es in meiner familienanwaltlichen Tätigkeit sehr selten verwendet. Es hat sich gezeigt, dass das vereinfachte Verfahren auf Seiten des Antragstellers von lediglich einer relativen kleinen Anzahl normaler Menschen, der Gesetzentwurf spricht von Naturalbeteiligten, genutzt wird. Ganz im Gegensatz zu den Behörden und Ämtern, diese benutzen das formalisierte Verfahren gern zur Durchsetzung von Rückforderungsansprüchen im Rahmen des Unterhaltsvorschusses. Rechtliche Laien als Antragsteller taten sich mit den wenig anwenderfreundlichen Formularen schwer. Mit rechtlich geschulten und erfahrenen Behördenmitarbeitern auf der Antragsgegnerseite blieb von der viel zitierten Waffengleichheit im Verfahren nicht viel übrig. Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen machen das Verfahren praktikabler, leichter zugänglich und effizienter. Hervorzuheben ist hierbei die geplante Abschaffung des Formularzwangs bei Einwendungen des Antragsgegners Im Änderungsantrag sind nun die Einzelheiten zur Vorlagepflicht von Unterlagen, die die Erfüllung des Anspruchs nachweisen sollen, verändert worden. Dabei sind meines Erachtens die Anforderungen der Praxis gut umgesetzt worden. Weiterhin war zunächst geplant, Verfahren mit Auslandbezug wegen hoher Kosten und hohen Zeitaufwands vom Verfahren auszunehmen. Nach der Stellungnahme des Bundesrates bleibt alles beim Alten. Auch Auslandsverfahren können im vereinfachten Verfahren geltend gemacht werden. In der Praxis werden fast alle Kinderunterhaltsverfahren mit Auslandsbezug im vereinfachten Verfahren erledigt. Das sollten wir so beibehalten. Nicht mit Bezug zum Unterhaltsrecht wurde im Änderungsantrag außerdem eine kleine Änderung in der ZPO auf den ursprünglichen Gesetzentwurf aufgesattelt. Diese setzt die gerichtliche Gebühr für das Schutzschriftenregister in Höhe von 83 Euro fest. Der Bundesrat hat sich darauf verständigt, dass das Land Hessen das Register führen soll. Es dient dazu, Schutzschriften – das sind vorsorglich eingereichte Schriftsätze in Erwartung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – aufzunehmen. Also, in der Form des Änderungsantrags ist eine deutliche Verbesserung der rechtlichen Lage zu erkennen, und darum sollte es uns bei unserer Arbeit ja immer gehen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Sonja Stetten (SPD): Trennt sich ein Paar, geht es bei den Streitigkeiten, die vor Gericht ausgetragen werden, fast immer ums Geld oder um die Kinder. Egal wie die Streitigkeiten ausgehen, die gemeinsamen Kinder haben darunter am meisten zu leiden. Das Unterhaltsrecht regelt theoretisch sehr genau die finanziellen Ansprüche der Kinder im Fall einer Trennung der Eltern. Mit dem Mindestunterhalt soll sichergestellt werden, dass der Lebensbedarf des Kindes gedeckt wird. Dass die Eltern hier in der Verantwortung stehen und dazu verpflichtet sind, den Lebensbedarf ihrer Kinder finanziell abzusichern, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber leider oft nicht! Wir wissen aus der Praxis, dass es genügend Fälle gibt, in denen ein Elternteil versucht, sich vor den Unterhaltszahlungen zu drücken. Zum Beispiel indem das eigene Einkommen klein gerechnet oder die Zahlungen einfach nicht getätigt werden. Die dem Kind zustehenden Unterhaltsansprüche müssen ermittelt und festgelegt werden, um dann durchgesetzt werden zu können. Das ist alles nicht immer ganz einfach. Damit es zumindest etwas einfacher wird, bringen wir heute einige Änderungen auf dem Gebiet des Unterhalts- und des Unterhaltsverfahrensrechts auf den Weg. Nicht nur die Familienrechtler waren zunächst einmal sehr froh, als das Vereinfachte Unterhaltsverfahren 1998 eingeführt wurde. Allerdings war die Enttäuschung dann wiederum ebenfalls sehr groß, als man die Flut von auszufüllenden Anträgen und Einwendungen auf dem Schreibtisch hatte. Für die Jugendämter mag dies tatsachlich eine „Vereinfachung“ gewesen sein. Für die Anwälte und vor allem aber auch die jeweiligen Unterhaltsgläubiger war es das nicht. Aus dem Vereinfachten Unterhaltsverfahren wurde ein „erschwertes“ und oft genug wegen der formalen Zwänge sogar ein „verschlepptes“ Unterhaltsverfahren. Die Praxis, sprich, Richter, Anwalte und Jugendämter, aber vor allem auch betroffene Elternteile, werden daher die geplanten Änderungen mit Sicherheit begrüßen. In dem geplanten Gesetz geht es allerdings nicht nur um das vereinfachte Unterhaltsverfahren. Auch der Mindestunterhalt wird künftig auf andere Füße gestellt. Es ist gut, dass der Mindestunterhalt zukünftig nicht mehr am einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum, sondern am sachlichen Existenzminimum minderjähriger Kinder ausgerichtet wird. Die Höhe des Mindestunterhalts soll in einer vom Ministerium zu erlassenden Rechtsverordnung festgelegt werden. Entsprechend dem Rhythmus der Existenzminimumberichte der Bundesregierung ist vorgesehen, den Mindestunterhalt für minderjährige Kinder alle zwei Jahre anzupassen. Die formale Anknüpfung an die steuerrechtlichen Kinderfreibeträge hat in der Praxis zu sozialen Ungerechtigkeiten geführt. So lag der Betrag nach dem Existenzminimumbericht 2014 um 6 Euro über dem geltenden Mindestunterhalt. Mit der Befugnis zur Rechtsverordnung knüpft man an die bis 2007 geltende Tradition der früheren „Regelsatzverordnung“ an. Ich möchte die heutige familienrechtliche Debatte dazu nutzen, noch etwas zum Thema moderne Familienbilder und Umsetzung entsprechender Modelle zu sagen. Junge Eltern wollen heute immer öfter viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die Elternzeit wird auch von jungen Vätern gerne und immer öfter in Anspruch genommen. Und umgekehrt wollen junge Mütter ihre beruflichen Ziele nicht mehr für die Familie aus den Augen verlieren. Die Zeiten, in denen der Vater lediglich gezahlt und sich die Mutter um die gemeinsamen Kinder gekümmert hat, sind weitestgehend vorbei. Die Zeiten haben sich geändert, haben sich zum Glück geändert. Die Kinder halten sich heute immer häufiger, auch nach Trennungen, anteilig bei beiden Elternteilen auf. Unsere heutige Rechtspraxis trägt diesen veränderten Lebenswirklichkeiten nicht Rechnung, jedenfalls nicht ausreichend. Unsere Unterhalts-, Umgangs- und Sorgerechte stammen noch aus einer Zeit, in der klassische Rollenmuster galten. Das heißt: Das Recht hinkt den Realitäten hinterher. Deshalb müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir hier Abhilfe schaffen können. Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion wird das Thema derzeit im Austausch mit Fachleuten intensiv diskutiert. Was wir heute auf jeden Fall sagen können, weil wir es aus der Praxis wissen, ist, dass sich schon heute viele Eltern für eine hälftige Betreuung und Versorgung der Kinder entscheiden. Und dabei liegen die Vorteile ja klar auf der Hand: Beide Elternteile verbringen Zeit mit den Kindern. Die Kinder haben bei Vater und Mutter ein Zuhause. Sie erleben Alltag, Freizeit und Ferien mit beiden Elternteilen. Es gibt also kein Tauziehen um den Nachwuchs, der alle Seiten belastet. Es gibt kein Elternteil, bei dem die Kinder lediglich „zu Besuch“ sind. Vater und Mutter tragen gemeinsam Verantwortung. Es liegt an unseren zunehmend flexiblen Arbeitszeiten, dass es für Familien immer mehr Möglichkeiten gibt, dieses Modell zu leben. Allerdings sind unterhaltsrechtliche, steuer- und sozialrechtliche Fragen noch überhaupt nicht geklärt. Jedenfalls kann es nicht sein, dass der gutverdienende Elternteil durch das Wechselmodell in Gänze von seiner Unterhaltspflicht befreit wird. Denn dann sind die Kinder die Leidtragenden. Und uns geht es ja vor allem um das Wohl des Kindes. Hier müssen wir für die Gerichte und Jugendämter, aber auch für die Jobcenter und Familienkassen verbindliche Regelungen schaffen. Natürlich bleibt die Frage über die Betreuung der gemeinsamen Kinder eine höchst individuelle Entscheidung. Was der Gesetzgeber aber leisten kann, ist, Impulse zu geben. Und er kann das rechtliche Handwerkszeug dahingehend andern, dass es an die realen Lebensverhältnisse in unserer modernen Gesellschaft angepasst wird. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir eine gerechte und vor allem familienfreundliche Gesetzgebung schaffen. Das kommt unseren Kindern zugute und also unserer Zukunft. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Grundsätzlich ist eine Änderung im Unterhaltsrecht zu begrüßen. Die Bundesregierung lässt hier aber eine gute Möglichkeit für eine größere Reform verstreichen. Es steht außer Frage, dass eine Anhebung des sächlichen Existenzminimums und damit zugleich eine Anpassung der Düsseldorfer Tabelle überfällig ist. Allerdings bleibt der Entwurf hinter den Erwartungen an mehr Transparenz und Konsistenz der Regelung zurück. Schön ist, dass das vereinfachte Verfahren anwenderfreundlicher gestaltet werden soll und ein Ausgleich des vorhandenen Ungleichgewichts zwischen Behörden (kein Formularzwang) und natürlichen Personen (jetzt auch ohne Formularzwang bei Geltendmachung von Einwendungen) angestrebt wird. Problematisch ist aber beim Artikel 2 des vorliegenden Gesetzes (§§ 249 ff. FamFG-E) beim Unterhaltsvorschuss die fehlende Unterrichtung des betreuenden Elternteils (in der Regel noch immer die Mutter) über den Anspruchsübergang und die Geltendmachung der Ansprüche durch das Jugendamt mit der Konsequenz, dass es zu einer mehrfachen Rechtsverfolgung und im ungünstigsten Fall auch zur doppelten und unterschiedlichen Titulierung kommen kann. Von daher hätten Informations- und Anzeigepflichten normiert werden können, um derartig mögliche Kollisionen zu vermeiden. Und auch durch die Anknüpfung des Mindestunterhalts an das sächliche Existenzminimum nach dem Existenzminimumsbericht der Bundesregierung ergibt sich das Problem, dass dieser ans SGB anknüpft und die dortigen Bedarfe zugrunde gelegt werden, die mitunter zu niedrig angesetzt sind, weil pauschalisiert, und den realen Existenzbedarf nicht abbilden. Hier hätte grundlegend über die Bedarfe neu entschieden werden müssen. Im Übrigen heißt das auch, dass der Mindestunterhalt nie höher liegen kann, als das nach dem Existenzminimumbericht errechnete sächliche Existenzminimum für Kinder, selbst wenn die steuerlichen Kinderfreibeträge wieder darüber lägen. Dies würde eine Verschlechterung für unterhaltsberechtigte Kinder gegenüber der geltenden Rechtslage darstellen. So war das beispielsweise 2012 der Fall. Der Steuerfreibetrag betrug 4 368 Euro, das sächliche Existenzminimum 4 272 Euro. Also 96 Euro unter dem Steuerbetrag. Das heißt, dass monatlich 8 Euro weniger gezahlt worden wären, wenn das jetzt vorliegende Gesetz bereits gegolten hätte. Der VAMV hat in seiner Stellungnahme vom Juli 2015 dieses Beispiel für 2012 ausführlich vorgerechnet. Diese mögliche Schlechterstellung hätte mit einem einfachen Satz als Ergänzung im Gesetz verhindert werden können. Beispiele dafür sind in den Stellungnahmen der beteiligten Verbände genannt. Außerdem stellt die Rechtsverordnung des BMJ nicht sicher, dass das durch den Existenzminimumbericht bekanntgegebene sächliche Existenzminimum für Kinder zeitnah in das Unterhaltsrecht weitergereicht wird. Insgesamt ist festzustellen, dass das Unterhaltsrecht insgesamt neu zu überdenken ist und dabei die Schnittstellen zum Steuer­ und Sozialrecht mit in den Blick genommen werden müssen. Dazu gehört auch ein Überdenken der Düsseldorfer Tabelle. Dazu ist jedoch ein großer Gesamtentwurf vonnöten. Die Bundesregierung bleibt aber mit diesem Entwurf auf halben Weg stehen. Der halbe Weg, deshalb auch nur ein halbes Ja von der Linken. Von daher werden wir uns bei diesem Gesetz enthalten. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetz soll der Mindestunterhalt in § 1612 a BGB künftig direkt an das sächliche Existenzminimum des Kindes angeknüpft werden – ohne Umweg über den steuerlichen Kinderfreibetrag. Das vermeidet Divergenzen zulasten der Kinder durch zeitliche Verzögerungen bei der Anpassung. Künftig soll also das Justizministerium beginnend mit dem 1. Januar 2016, alle zwei Jahre den Mindestunterhalt durch Rechtsverordnung festlegen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Sie wollen darüber hinaus mit Ihrem Gesetz das vereinfachte Verfahren vereinfachen. Auch das ist eine gute Idee. Der Formularzwang für die Einwendungen gegen die Festsetzung und Titulierung war und ist eine Zumutung und führt zu oft zu fehlerhaften Unterhaltstiteln. Die Abschaffung des Formularzwanges ist daher berechtigt. Entgegen dem ursprünglichen Vorschlag soll das vereinfachte Verfahren jetzt doch weiter zulässig sein, wenn der Antragsgegner im Ausland wohnt. Das ist in der Tat besser, weil am Ende dem Kind das jeweils effizientere Verfahren zur Wahl stehen sollte, und die inländischen Gerichte am Wohnort des Kindes ohnehin zuständig sind. Nicht hilfreich ist allerdings die neue Möglichkeit von Teilfestsetzungen bei entsprechender Verpflichtungserklärung des Unterhaltschuldners. Das macht das anschließende streitige Verfahren über den Restbetrag intransparenter und fehleranfälliger. Besser wäre es gewesen, im streitigen Verfahren immer den vollständigen Unterhaltsanspruch zum Streitgegenstand zu machen. Am Ende bleibt dieser kleine Makel allerdings nicht das einzig Unbefriedigende im Rahmen des Kindesunterhalts. So stellt sich zum Beispiel die grundlegende Frage, warum eigentlich sozialrechtliches, steuerrechtliches und unterhaltsrechtliches Existenzminimum eines Kindes ständig auseinanderfallen. Könnte man nicht einmal über eine unbürokratischere und einheitlichere Absicherung von Kindern in diesem Land nachdenken? Nachdem ich zehn Jahre lang als Fachanwältin für Familienrecht Unterhalt berechnet und eingeklagt hatte, musste ich feststellen, dass die Beantragung, die Anrechnung, die Rückübertragung, die Vollstreckung oder Aufrechnung mehr Aufwand verursachte, als das Kind selber jemals für sich beansprucht. Je ärmer das Kind, desto mehr Behörden beschäftigen sich mit seinem Bedarf. Nach meiner Berechnung würden wir uns und die Kinder in diesem Land erheblich besser stellen, wenn wir all die zerstückelten Teilleistungen abschaffen und stattdessen eine Kindergrundsicherung in Höhe des sächlichen Existenzminimums an alle auszahlen. Was wäre das für eine Entlastung für Jugendämter, Jobcenter, Sozialämter, Finanzämter und Familienkassen! Der steuerliche Kinderfreibetrag könnte ebenso entfallen wie der Kinderregelsatz bei Hartz IV. Die Mangelfallberechnungen würde niemand vermissen! Auch die Familiengerichte würden entlastet, weil Kindesunterhalt überhaupt nur noch oberhalb des Mindestbedarfes geltend gemacht würde. Nehmen Sie also diesen Vorschlag mit, und denken Sie einmal über einen wirklich großen Wurf nach. Ihrer Fehlerkorrektur im Kleinen stimmen wir heute trotzdem zu. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderung des Umwelt-Rechtsbefehlsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 (Tagesordnungspunkt 19) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Wir sprechen heute über wichtige Änderungen im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Was ist der Hintergrund? Mit Urteil vom 7. November hat der Europäische Gerichtshof die Klagerechte von Gemeinden und Privatpersonen sowie von anerkannten Umweltverbänden erweitert. Dieses Recht wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in nationale Gesetzgebung überführen. Gemeinden und Privatpersonen, die von den Ergebnissen einer Umweltverträglichkeitsprüfung betroffen sind, sollen künftig unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsbehelf einlegen können. Bei fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfungen wird zwischen absoluten und relativen Verfahrensfehlern unterschieden und die unterschiedlichen Fehlerfolgen klarstellend geregelt. Die dritte große Änderung ist die Beweislastumkehr bei gerügten und offensichtlichen Fehlern der Umweltverträglichkeitsprüfung. Bislang musste durch einen Kläger nachgewiesen werden, dass die Entscheidung über das Vorhaben ohne fehlerhafte UVP voraussichtlich anders ausgefallen wäre. In Zukunft muss der Vorhabenträger beweisen, dass trotz des beanstandeten Fehlers die Entscheidung gerade nicht anders ausgefallen wäre. Das Ziel dieser Gesetzgebung ist es, die Verfahrensrechte von Bürgerinnen, Bürgern, Gemeinden und anerkannten Umweltvereinigungen zu stärken. Und das ist uns mit diesem Gesetzentwurf gelungen. Jedoch wird „Altrip“ nicht die letzte Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes gewesen sein. Gemäß Beschluss der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Aarhus-Konvention sind wir dazu aufgefordert, eine Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes auch dahingehend vorzunehmen, dass Umweltverbänden die Möglichkeit eingeräumt wird, inhaltliche und verfahrensrechtliche Fehler zu rügen, unabhängig davon, ob die verletzte Vorschrift dem Umweltschutz dient. Und weiterhin sind wir aufgefordert, einen effektiven Zugang anerkannter Umweltverbände zu den nationalen Gerichten zu gewährleisten. Die Bundesregierung wird auch dieser Aufgabe verantwortungsvoll nachkommen. Und dennoch müssen wir wachsam bleiben. Umweltverbände erlangen durch diese Gesetzesvorhaben umfassende Klagerechte, die weitreichende Folgen haben können. Ich bin ein Mann der Praxis. Ich war Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens und blicke auf eine langjährige Erfahrung in der Kommunalpolitik zurück. Aus eigener Erfahrung sage ich Ihnen: Für eine Investitionsentscheidung ist nicht vorrangig die Anzahl an Klagen von Bedeutung, sondern die politische Wirkung, die das Klagerecht entfalten kann. Umso wichtiger ist es, dass wir bei den anstehenden Novellierungsvorhaben ökologische Gegebenheiten und ökonomische Erfordernisse in Einklang bringen. Deutschland steht vor großen und wichtigen Herausforderungen: Wir befinden uns in einem grundlegenden Umbau unserer Energieversorgung. Wichtige Infrastrukturprojekte wie der Leitungsausbau sollten nicht durch ausufernde Bürokratie verzögert werden. Wir dürfen den zahlreichen Investoren in unserem Land – die große Infrastrukturprojekte schultern wollen, die uns voranbringen wollen, die ihren Teil dazu leisten, dass es uns wirtschaftlich so gut geht, dass unser Konjunkturmotor läuft und dass es bei uns weiter vorwärts geht – keine weiteren Steine in Weg legen. Manch Kritiker sieht die aufgezeigten Entwicklungen im Umweltklagerecht vielleicht als weiteren Beleg für eine ausufernde Umweltbürokratie, die durch ständige Änderungen und eine kontinuierliche Fortentwicklung der Rechtsprechung den Weg durch den Dschungel der Bürokratie noch langsamer macht. Das muss man sehr differenziert bewerten: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Rechtssicherheit, wo vorher keine war. Und diese Rechtssicherheit schafft Planungssicherheit. Die Eröffnung wirksamer Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Einzelpersonen und Umweltverbände ergänzt und komplettiert die bestehenden Beteiligungsrechte in Planungs- und Zulassungsverfahren. Insbesondere auch Kommunalpolitiker werden darin eine Stärkung für die kommunale Familie, eine Stärkung für die kommunale Selbstverwaltung sehen. Gleichwohl sage ich auch hier: Es gibt auch Planungsvorhaben, die von Seiten der Kommunen zu verantworten sind. Und so laufen letztlich auch die Kommunen Gefahr, angreifbarer zu werden. Daran sieht man, wie kompliziert die Sachlage ist – in diesem sensiblen Feld der Umweltpolitik. Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen hier eine Politik machen, die einen fairen Ausgleich schafft, die Ökologie und Ökonomie verbindet. Wir wollen Verfahrensvereinfachungen. Wir wollen Klarheit und Rechtsstaatlichkeit, denn das sind wir den Menschen, den Unternehmen und unserem Land schuldig. Und dies ist bei diesem Gesetzentwurf gelungen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Dr. Matthias Miersch (SPD): Wir debattieren heute wieder einmal über eine Änderung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes. Eine Änderung, die notwendig geworden ist, weil erneut – bereits zum zweiten Mal – gegen europäisches Recht verstoßen wurde. Bemerkenswert ist dabei, dass bei der 1. Novelle zur Heilung des eingeschränkten Zugangs zu Gerichten, im sogenannten „Trianel-Urteil“, gleich aufs Neue andere EU-rechtswidrige Paragrafen in die Novelle eingebaut wurden. Dies führte zur zweiten Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) – dem sog. „Altrip-Urteil“  – und zu dem nun vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung debattieren. Für das Umweltrechtsbehelfsgesetz, das knapp neun Jahre alt ist, sind die zweimaligen Verurteilungen vor dem EuGH ein einsamer Rekord –- auf den man allerdings nicht stolz sein sollte. An dieser Stelle sollte man nicht verschweigen, dass es leider immer mal wieder vorkommt, dass EU-rechtswidrige Gesetze im Deutschen Bundestag verabschiedet werden, die nach einer Verurteilung durch den EuGH wieder korrigiert werden müssen. Dies kann daran liegen, dass die europäische Richtlinie nicht eindeutig formuliert wurde oder dass es im Umsetzungsgesetz auslegungsfähige Formulierungen gibt, die die EU-Kommission zu genaueren Prüfungen veranlassen und letztendlich zur Klageerhebung vor dem EuGH führen. Beim Umweltrechtsbehelfsgesetz ist dies jedoch eindeutig nicht der Fall. Die Anhörungen, die im parlamentarischen Verfahren zu den Gesetzentwürfen durchgeführt wurden, haben sehr deutlich gezeigt, dass alle vorgelegten Gesetzentwürfe an verschiedenen Stellen als EU-rechtswidrig eingestuft wurden. Dies waren zum Beispiel massive Bedenken wegen der Einschränkung der Beteiligungsrechte von anerkannten Umweltverbänden und von Einzelpersonen sowie wegen Einschränkungen im Rechtsschutz. Man kann also nicht von einem Versehen ausgehen, denn die Aarhus-Konvention und die sie umsetzenden Richtlinien sind eindeutig formuliert. Vielmehr spielte die „gefühlte Angst vor dem Bürger und den Umweltverbänden“ eine Rolle, die vermeintlich mit ihren Einwendungen die Verfahren verzögern und ggf. neue Prüfungen und Umplanungen verursachen und das Vorhaben insgesamt verteuern. So versucht man, mit gesetzlichen Regelungen die Bürger und Verbände möglichst weit aus den Verfahren herauszuhalten. Dies ist ein deutlicher ein Rückschritt in der Beteiligungskultur Deutschlands und wird nicht von Erfolg gekrönt sein. So widerspricht dies auch den neuen Tendenzen und Formaten einer umfassenden Bürgerbeteiligung wie wir sie zum Beispiel in der Endlager-Kommission praktizieren! Ich bin fest davon überzeugt, dass es zielführend ist, den Sachverstand von Verbänden und Bürgerinnen und Bürgern ernst zu nehmen, sich andere Lösungen vorstellen zu lassen und Alternativen zu prüfen. Denn es ist längst erwiesen, dass eine frühzeitige und umfängliche Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht zwingend zu einer Verzögerung eines Vorhabens führen muss. Dankenswerterweise wird das Bundesumweltministerium demnächst den Entwurf eines völlig überarbeiteten Umweltrechtsgesetzes vorlegen, das neu strukturiert und vor allem die durch die Aarhus-Konvention vorgegebene umfassende Beteiligung an Planungs- und Genehmigungsverfahren ernst nehmen wird. Ich hoffe sehr, dass dann die unendliche Geschichte der Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der unzureichenden Umsetzung völker- und europarechtlicher Vorgaben bei der Beteiligung von Umweltverbänden und natürlichen Personen an Planungs- und Genehmigungsverfahren ein Ende finden wird. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Da braucht es ein Urteil des obersten europäischen Gerichtshofes, um klarzustellen, dass nicht nur gegen eine fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung geklagt werden darf, sondern auch gegen eine fehlerhafte. Auch wenn es hier im Fall Altrip unter anderem um Unklarheiten über eine Übergangsfrist ging, ist die Umweltverträglichkeitsprüfung auch damals nichts Neues gewesen. Dass solche Urteile notwendig sind, zeigt klar auf, mit welcher ideologischen Missachtung mit dem Mittel der Umweltverträglichkeitsprüfung zeitweise umgegangen wird. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und vor allem auch der bessere Gerichtszugang für Betroffene wurden aus gutem Grund eingeführt: Damit Infrastrukturprojekte nicht aufs Geradewohl in die Landschaft gesetzt werden, wie es gerade am billigsten ist und Planern und Investoren am besten passt. Es gibt unzählige Beispiele über die nachhaltige Zerstörung von Natur- und Lebensraum im Interesse von Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten. Wer auf der A4 von Thüringen nach Hessen fährt, überquert die versalzene Werra und erblickt auf der linken Seite die wohl noch Jahrtausende bestehenden riesigen Mahnmale des Kalibergbaus. Oder denken wir an Staufen: Dort quillt eine ganze Stadt auf und stürzt langsam ein, weil man bei den Bohrungen für Geothermie ein Gipslager angebohrt hat. Nicht für ein sicheres Stromsystem wird derzeit in Deutschland der Übertragungsnetzausbau vorangetrieben, sondern für den freien europäischen Strommarkt. Deshalb wird technisch völlig überdimensioniert geplant. Man stelle sich vor, eine so umstrittene Leitung wie die Suedlink könnte mit einer fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung trotzdem den Planfeststellungsbeschluss erhalten, juristisch nicht anfechtbar. Das wäre so, wie wenn ein Betrüger trotz Nachweis des Betruges seine Beute weiter behalten darf. Ich will nicht erleben, wie die Bürgerinitiativen darauf reagieren würden. Es kann also nicht zu viel verlangt sein, bei großen Eingriffen in die Natur die Risiken und Nutzen für die Gesellschaft vorher sorgfältig abzuwägen. Dafür gibt es die Umweltverträglichkeitsprüfung als Minimalkonsens zwischen großen Projekten und Investitionen und den Interessen von Mensch und Umwelt, und deshalb muss jede Umweltverträglichkeitsprüfung sachlich richtig und mit größter Sorgfalt erfolgen. Sie muss sich selbstverständlich an die vorgegebenen Regularien und Verfahren halten und muss bei Verstoß gegen die Regeln anfechtbar sein. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist keine formale Hürde, auch wenn diverse Projektplaner dies gern so sehen. Für Akzeptanz in der Gesellschaft muss gewährleistet sein und bleiben, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch zwingend zum Abbruch von Projekten führen kann, wenn Schäden für Mensch und Umwelt den gesellschaftlichen Nutzen übersteigen. Die Linke begrüßt daher die grundsätzliche Klarstellung durch den Europäischen Gerichtshof, und wir stimmen der Klarstellung des Gesetzentwurfs zu. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lange bevor die Regierung tätig wurde, um die Urteile des Europäischen Gerichtshof umzusetzen, hatte die Grüne Bundestagsfraktion das Problem benannt und bereits im November 2011 einen eigenen Gesetzesentwurf, Drucksachennummer 17/7888 vorgelegt, um die fehlerhafte Umsetzung des Europäischen Rechts in Deutschland zu beseitigen. Der damals vorgelegte Gesetzentwurf der Grünen hatte für den § 4 Absatz 1, der heute von Ihnen zur Änderung vorliegt, bereits vor vier Jahren einen Vorschlag gemacht, der fast identisch mit dem nun von vorgeschlagenem ist. Auch bei der letzten Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes im Jahr 2012 hatten wir in einem Antrag den nun hier geänderten § 4 Absatz 1 kritisiert. Mit welcher Begründung hat die letzte Koalition eigentlich unsere guten Vorschläge abgelehnt, wenn Sie sie jetzt fast ebenso einbringen? Das erschließt sich mir nicht. Für mich ist klar: Der letzten Bundesregierung fehlte der Wille, die Vorgaben zu den Klagerechten von Verbänden korrekt umzusetzen. Es scheint mir, dass es der jetzigen Koalition wieder ähnlich geht, da lediglich an Details gearbeitet wird. Die eigentlich notwendige große Novelle wird aber weiter auf die lange Bank geschoben. Wovor haben Sie eigentlich Angst? Denn mit dem Zugang zum Klageweg wird für Bürgerinnen und Bürger oder Verbände lediglich die Möglichkeit eingeräumt, begangene Rechtsfehler zu heilen, wenn solche in den Planungsverfahren erfolgt sind, also eine Verletzung der Rechte erfolgte, welche wir hier im Parlament aus guten Gründen beschlossen haben. Warum wollen Sie dies nicht zulassen? Ist es denn so schlimm, wenn von uns beschlossenes Recht notfalls in Gerichten durchgesetzt wird? Oder haben Sie Angst, dass die NGOs mit diesem Recht, gegen fehlerhafte Entscheidungen vor Ort gegebenenfalls klagen zu können, Schindluder treiben? Dazu möchte ich gerne auf eine Studie verweisen von Professor Dr. Martin Führ, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule Darmstadt. Seine Erkenntnisse wurden unter anderem in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht besprochen, in einem Aufsatz mit dem Titel „Verbandsklage nach UmwRG – empirische Befunde und rechtliche Bewertung“. Von 2006 bis 2012 wurden insgesamt 58 Rechtsbehelfs-Verfahren festgestellt. Also zehn Verfahren pro Jahr in der gesamten Bundesrepublik – bei über 775 Verfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung im Jahr! Von einer Klageflut kann hier also überhaupt keine Rede sein. Verbände und Bürgerinnen scheinen mit diesen Rechten sehr behutsam umzugehen. Im Schwerpunkt richten sich die Rechtsbehelfe gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen sowie nachträgliche Anordnungen. Von den 58 identifizierten Verfahren sind 37 abgeschlossen. Eine Erfolgsbewertung dieser Verfahren ergab, dass der eingelegte Rechtsbehelf in 18 Fällen in vollem Umfang oder teilweise zulässig und begründet war. Daraus ergibt sich eine prozessuale Erfolgsquote von 48,6 Prozent der Fälle. Ergo: In nahezu der Hälfte der bisherigen Rechtsbehelfsverfahren wurde erst durch die Klage geltendes Recht durchgesetzt. Der Anteil erfolgreicher Verfahren liegt deutlich über der Erfolgsquote sonstiger verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelfe. Sie bewegt sich sogar noch oberhalb der Quote von circa 40 Prozent, die für die naturschutzrechtliche Verbandsklage ermittelt wurde. Das zeigt: Hier wird sehr verantwortungsbewusst von Seiten der Klägerinnen und Kläger mit dem Recht umgegangen. Höchste Zeit, dass Sie die entsprechenden Änderungen vornehmen. Ebenso drängt es, die angekündigte umfassende Reform des UmweltRechtsbehelfsgesetzes endlich vorzunehmen, die Sie in dem Gesetzentwurf ja auch ankündigen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Es muss uns in Zukunft – noch besser als heute – gelingen, Abfälle zu vermeiden, und wenn Abfälle entstehen, diese als Ressourcen zu begreifen. Es muss uns in Zukunft noch besser als heute gelingen, die Stoffkreisläufe zu schließen. Wir müssen den Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft weitergehen. Das ist gut für die Umwelt, das schont Ressourcen, und das ist in wirtschaftlicher Hinsicht eine Chance. Ich sage daher: Es wird mehr und mehr zu einer Notwendigkeit. Das heißt auch, dass wir dort, wo es möglich ist, gefährliche Stoffe aus den Stoffkreisläufen heraushalten. Mit dem Batteriegesetz, das wir heute verabschieden, gehen wir einen ganz konkreten Schritt in diese Richtung. Worum geht es? Im Kern geht es um zwei Dinge. Erstens: Die Verwendung von Quecksilber wird eingeschränkt. Bisher durften Knopfzellen einen noch relativ hohen Quecksilbergehalt aufweisen. Diese Ausnahme wird es künftig nicht mehr geben. Der Grenzwert wird nun verschärft. Es dürfen keine Knopfzellen mehr in Verkehr gebracht werden, die mehr als 0,0005 Gewichtsprozent Quecksilber enthalten. Zweitens: Bei Gerätebatterien, die in schnurlosen Elektrowerkzeugen eingesetzt werden, wird der maximale Cadmiumgehalt auf 0,002 Prozent begrenzt. Auch dies ist eine Verschärfung. Sie gilt ab dem 1. Januar 2017. Durch diese Neuregelungen entsteht ein Nutzen für Mensch und Umwelt. Es werden weniger Schadstoffe eingesetzt. Somit werden Gefahren und Risiken für Mensch und Umwelt während der Nutzungsphase, aber auch in der späteren Verwertungsphase vermieden. Der Batteriebereich hat durchaus eine große Bedeutung. Denn der Einsatz und die Anzahl mobiler elektronischer Geräte nehmen zu. 215 Jahre nach Erfindung der Batterie sind Batterien in vielen Bereichen heute nicht wegzudenken. Allein in Deutschland werden allein 1,28 Milliarden Knopfzellen pro Jahr hergestellt. Die Kosten, die mit der Verschärfung einhergehen, sind überschaubar: Die Knopfzellen verteuern sich dadurch um rund einen halben Cent pro Stück. Diese neuen scharfen Grenzwerte sind möglich, weil technologische Innovation stattgefunden hat. Es ist erneut ein Beispiel dafür, wie technologische Innovation ermöglicht, Umwelt und Wirtschaft vernünftig miteinander in Einklang zu bringen. Mit der Änderung des Batteriegesetzes setzen wir eine europäische Richtlinie um. Das heißt, die strengen Grenzwerte gelten in der ganzen Europäischen Union. Auch das ist eine gute und wichtige Nachricht. Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine wichtige Klarstellung vorgenommen: Bereits in Verkehr gebrachte Geräte mit Batterien, die Quecksilber und Cadmium oberhalb der zulässigen Höchstkonzentration enthalten, dürfen noch abverkauft werden, und zwar trotz der neuen Verkehrsverbote. Mit dem heutigen Gesetz wird auch die Verbraucherfreundlichkeit an kommunalen Sammelstellen erhöht: Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger werden zur kostenlosen Rücknahme von Altbatterien aus Elektro- und Elektronikaltgeräten verpflichtet. Diese verpflichtende Rücknahme gilt für jene Batterien, die der Verbraucher laut Elektrogesetz an den kommunalen Sammelstellen von Elektroaltgeräten zu trennen hat. Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger können alle anderen Batterien freiwillig zurücknehmen und damit einen weiteren Beitrag zur Erreichung steigender Sammelquoten leisten. Die durch Kommunen gesammelten Batterien werden an das gemeinsame Rücknahmesystem übergeben. Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, wird zudem geregelt, dass ein Vertreiber, der Fahrzeugbatterien per Fernkommunikation anbietet, Pfand erstatten muss, wenn die Rückgabe von Altbatterien nachgewiesen wurde. Ich bin davon überzeugt, dass das neue Gesetz vernünftig ist und positive Wirkungen entfalten wird. Ich möchte es aber auch nicht versäumen, an die Bürgerinnen und Bürger zu appellieren, ihre alten Batterien zurückzugeben. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 44 Prozent der Batterien gesammelt. Um die vorgegebene Mindestsammelquote von 45 Prozent für das kommende Jahr zu erreichen, sind also Anstrengungen notwendig. Es lohnt sich: Denn alte Batterien enthalten wichtige Wertstoffe. Michael Thews (SPD): Wir debattieren hier heute über eine Novelle des Batteriegesetzes. Aus meiner Sicht ist das Batteriegesetz eine Erfolgsgeschichte. Es ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten und hat die bis dahin geltende Batterieverordnung ersetzt. Damals wurden erstmals verbindliche Sammelziele für Geräte-Altbatterien festgelegt. Im Batteriegesetz gilt dabei, wie schon in der Batterieverordnung, grundsätzlich das Prinzip der Herstellerverantwortung. Das heißt in diesem Fall, die Hersteller sind organisatorisch und finanziell verantwortlich für das Sammeln und das Recycling der Altbatterien und Altakkumulatoren. Die Hersteller gründeten damals, gemeinsam mit dem Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie die „Stiftung Gemeinsames Rücknahmesystem Batterien“ – kurz GRS Batterien. Als non-profit-Unternehmen übernimmt die Stiftung die Herstellerverantwortung für über 2 500 Batteriehersteller und -importeure. Innerhalb weniger Jahre wurde ein funktionierendes Rücknahmesystem aufgebaut und eine sehr hohe Verwertungsquote, heute rund 100 Prozent, erreicht. Die Stiftung GRS Batterien wurde auch aufgrund dieses Erfolges vom Bundesumweltministerium als Rücknahmesystem anerkannt. Die bereits kurz nach Inkrafttreten der Batterieverordnung eintretende Steigerung der Sammlung von Altbatterien ist insbesondere auch den Kommunen zu verdanken. 2014 stammte jede vierte gesammelte Altbatterie aus kommunalen Sammelstellen. Wir alle kennen dies, die Sammelboxen für Altbatterien in Büchereien, Rathäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen. Dies waren die Anfänge der Sammlung von Altbatterien. Zusätzlich zu den Sammelstellen in öffentlichen Einrichtungen und im Gewerbe kommen noch die gesetzlich vorgeschriebenen Sammelboxen in den Verkaufsstellen des Handels. Von diesen Sammelstellen holt die Stiftung GRS die Altbatterien ab und verwertet sie. Dazu wurden Vereinbarungen, meist auf freiwilliger Basis, mit Kommunen, Handel und Gewerbe getroffen. Dies dichte Sammelnetz ist ein Grund dafür, dass die Sammelquote von 45 Prozent ab 2016 nach Angaben des Rücknahmesystems bereits 2014 übertroffen wurde. Ich meine allerdings, dass bei der Sammelquote noch eindeutig Luft nach oben ist. In diesem Abfallstrom funktionieren Vereinbarungen – im Gegensatz zu den häufigen Auseinandersetzungen bei Verpackungsabfällen – zwischen Herstellern, Handel und Kommunen besser als in anderen Abfallbereichen. Der Grund dafür liegt meiner Ansicht nach in der Organisationsart. Ein einziges, nichtprofitorientiertes Rücknahmesystem verhindert unnötigen Verwaltungsaufwand, Reibungsverluste und vereinfacht die Möglichkeit zu freiwilligen Vereinbarungen. Das Batteriegesetz ist auch deshalb eine Erfolgsgeschichte, weil das Recycling der Batterien sehr gut funktioniert. Betrachten wir mal die drei Sammelgruppen Geräte-Altbatterien, Fahrzeug-Altbatterien und Industrie-Altbatterien: Im Jahr 2013 haben, nach Zahlen des Umweltbundesamtes, die Rücknahmesysteme für Geräte-Altbatterien 18 714 Tonnen Geräte-Altbatterien – wiederaufladbare und nicht wiederaufladbare – in die stoffliche Verwertung gegeben. Damit wurde eine Verwertungsquote von 100 Prozent erreicht. Und was fast noch wichtiger ist, diese Batterien wurden auch hochwertig verwertet. Von diesen 18 714 Tonnen konnten nämlich 12 000 Tonnen Sekundärrohstoff und zwar insbesondere Zink, Stahl, Ferromangan und Blei zurückgewonnen werden. Auch das Recycling der Fahrzeug-Altbatterien funktioniert gut. 163 401 Tonnen wurden 2013 in die stoffliche Verwertung gegeben, das sind 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Verwertungsquote stieg hier von 98 Prozent auf 99 Prozent. Von den gesammelten Industrie-Altbatterien gelangte im Jahr 2013 eine Masse von 44 275 Tonnen Blei-Säure-Altbatterien in den stofflichen Verwertungsprozess. 2012 waren es noch 30 736 Tonnen. Die Verwertungsquote erreichte in 2013 und 2012 jeweils 96 Prozent.  Das heißt, dass in Deutschland fast alle gesammelten Geräte-Altbatterien zu den Verwertern gelangen und dort auch hochwertig recycelt werden. Natürlich sind Verbesserungen und Anpassungen immer notwendig, so wie die hier vorgenommenen sinnvoll und notwendig sind. Neu in der jetzt vorliegenden Novelle ist, dass die Wertstoffhöfe der öffentlich-rechtlichen Entsorger, die bisher auf freiwilliger Basis zurückgenommen haben, verpflichtet werden, Batterien und Akkus zurückzunehmen. Allerdings nur die, die die Nutzer, wenn sie ihre alten Elektrogeräte auf den Wertstoffhöfen abgeben, von diesen trennen müssen. Eine sinnvolle Änderung, weil sie verbraucherfreundlich ist, denn so kann der Verbraucher sein Elektrogerät und seine Batterie am gleichen Ort abgeben. Gute Sammelquoten können nur entstehen, wenn die Sammlung verbraucherfreundlich ist. Die zweite wichtige Änderung ist die weitere Einschränkung der Verwendung der Umweltgifte Cadmium und Quecksilber in Batterien. Gerade Quecksilber ist ein gefährliches Nervengift. Schon kleinste Mengen können das ungeborene Baby im Mutterleib schädigen. Es gibt ein grundsätzliches Verbot, Batterien, die mehr als 0,0005 Gewichtprozent Quecksilber enthalten, in Verkehr zu bringen. Die bisher geltende Ausnahme für Knopfzellen wird aufgehoben und ab 2016 wird das Verwendungsverbot von Cadmium (über 0,002 Gewichtsprozent) auch auf Gerätebatterien und -akkumulatoren von schnurlosen Elektrowerkzeugen erstreckt. Was allerdings – wie schon erwähnt – noch verbesserungswürdig ist, sind die Sammelergebnisse. Weniger als 50 Prozent der in Verkehr gebrachten Gerätebatterien finden den Weg zurück zu den Sammelstellen. Hier müssen wir besser werden. So wie wir es uns nicht leisten können, dass nicht mehr funktionsfähige Handys in den Schubladen zuhause verstauben, so müssen wir es auch erreichen, dass die Endnutzer ihre alten Batterien und Akkus aus den Schubladen und Schränken holen, und vor allen Dingen nicht mehr in die Restmülltonne werfen. Das ist auch eine Frage der Information und Motivation. Wir dürfen nicht nachlassen, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die in Deutschland ein ausgeprägtes Bewusstsein für dieses Thema haben, über die Sammlung, Trennung und Verwertung von Abfällen zu informieren. Gerade auch so positive Recyclingzahlen wie im Fall der Altbatterien und –akkus tragen dazu bei zu motivieren. Ohne die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger kommen wir beim Thema Kreislaufwirtschaft nicht weiter, deshalb ist mir dieser Punkt auch besonders wichtig. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass sich der weltweite Primärmaterialeinsatz in den letzten 30 Jahren mehr als verdoppelt hat. Er ist von circa 36 Milliarden Tonnen 1980 auf 78 Milliarden Tonnen 2011 angestiegen. Würden wir unsere heutigen Konsummuster beibehalten, würden wir nach Schätzungen der UNEP im Jahr 2050 mehr als 140 Milliarden Tonnen Mineralien, Erze, fossile Brennstoffe und Biomasse verbrauchen. Dieser Entwicklung müssen wir durch die Vervollständigung der Kreislaufwirtschaft durch Recycling und verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen entgegen arbeiten. Ralph Lenkert (DIE LINKE): In Deutschland werden jährlich über 80 000 Tonnen Batterien verkauft. Ebenfalls jährlich werden aber nur 40 Prozent der Altbatterien zum Recyceln zurückgegeben und gesammelt. Das bedeutet, dass Jahr für Jahr fast 50 000 Tonnen Altbatterien in der Natur oder in Müllverbrennungsanlagen enden. Dieses ökologische Desaster der Ressourcenvergeudung entspricht sogar den gesetzlichen Vorgaben, die eine Sammelquote von 40 Prozent vorsehen, 45 Prozent ab 2016. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nichts weiter als ein formaler, verwalterischer Akt. Die Ausnahmen für Quecksilbergehalt bei Knopfzellen werden abgeschafft, ebenso die Ausnahmen für Cadmiumgehalt bei Batterien in schnurlosen Elektrowerkzeugen. Das ist eine Eins-zu-Eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Viel wichtiger als die Pflege solcher Gesetzeswerke wäre es aber, die Einhaltung der Grenzwerte, die sie vorgeben, konsequent zu überwachen. Das Umweltbundesamt kommt in Studien regelmäßig zu dem Schluss, dass die Hälfte der Zink-Kohle-Batterien einen zu hohen Cadmiumgehalt hat. Bei anderen Batterietypen waren nicht so viele Modelle betroffen, aber dennoch gibt es durchweg Batterien mit zu hohen Schwermetallwerten in den Läden zu kaufen. Das war im Jahr 2006 so, und das war vor zwei Jahren immer noch so. Wozu haben wir dieses Gesetz eigentlich, wenn die Regeln, die dort aufgestellt werden, nicht überwacht werden und bei Verstößen keine harten Sanktionierungen folgen? Wir hätten uns gewünscht, dass die Bundesregierung ein wenig mehr Elan zeigt, wenn sie das Batteriegesetz umschreibt. Ganz im Sinne des Deutschen Ressourceneffizienzprogramms muss viel mehr Batteriemüll wieder eingesammelt werden. Das Programm führt Lithium unter den kritischen Metallen – bei primärseitiger vollständiger Importabhängigkeit und immer wieder der Frage nach der politischen Stabilität der Herkunftsländer. Wir können es uns schlicht nicht leisten, Lithium wegzuwerfen. Gleiches gilt für Nickel und Kobalt. Mit einer Sammelquote von knapp über 40 Prozent liegt Deutschland im EUVergleich gar nicht schlecht. Wir sollten uns aber gerade im Hinblick auf Ressourcenknappheit und Schwermetallausbringung in die Umwelt nicht damit begnügen, dass andere schlechter sind. Ja, in anderen Ländern ist die Sammelquote viel geringer. Aber es gibt eben auch bessere. In der Schweiz werden 70 Prozent der Altbatterien wieder eingesammelt. Dort fordert das Bundesamt für Umwelt, BAFU, sogar eine Quote von 80 Prozent. Warum ist das in Deutschland nicht möglich? In der Schweiz ist es über die Einführung einer Recyclingabgabe auf Batterien und durch den Battery-Man gelungen, den Rücklauf erheblich zu erhöhen. Ob es nun in Deutschland unbedingt ein Battery-Man sein muss, sei mal dahingestellt. Aber es wäre generell eine Aufgabe für das Umweltministerium, mehr Aufklärung und Werbung zu leisten und dafür zu sorgen, dass die Grenzwerte bei Schwermetallen eingehalten werden. Im Übrigen gibt es eine ganz einfache und unkomplizierte Methode, wie wir die Quote drastisch erhöhen können: Führen wir ein Pfandsystem auf alle Batterietypen ein, wie es bei KfZ-Batterien ja bereits praktiziert wird. Da dieser Entwurf Chancen vergibt, aber wenigstens nichts verschlechtert, enthält sich die Linke. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gesetz setzt eine Novelle des europäischen Rechts in deutsches Recht um. Das ist aus unserer Sicht in Ordnung, aber weder umweltpolitisch richtungsweisend noch etwas, wofür man sich groß loben sollte, sondern die Erledigung einer reinen Pflichtaufgabe. Unser Eindruck geht immer mehr dahin, dass vorausschauende Umweltpolitik unter dieser Regierung gar nicht mehr stattfindet. Was von der Europäischen Union kommt, wird von Ihnen murrend und viel zu spät umgesetzt, und bloß nicht mehr als das, worauf man sich in Europa bereits zwischen allen Mitgliedstaaten geeinigt hatte, obwohl die europäischen Verträge ganz klar sagen, dass die Mitgliedstaaten für einen vorsorgenden Umweltschutz über die Anforderungen in Europa hinausgehen können. Das ist sicherlich nicht überall sinnvoll, aber hier und da könnte die Große Koalition doch mal Impulse setzen, die belegen, dass Umweltschutz in Deutschland nach wie vor wichtig ist. Es ist doch hinlänglich bekannt, dass hohe Umweltanforderungen Innovationen in der Wirtschaft voranbringen. Der Schutz der natürlichen Umwelt darf nicht hinter wirtschaftlichen Zielen hinterherhinken, denn eine intakte Umwelt ist das Fundament jeden wirtschaftlichen Handelns. Die Novelle der Batterierichtlinie wurde bereits am 20. November 2013 von den Mitgliedstaaten der EU beschlossen. Da haben Sie sich ganz schön Zeit gelassen bei den an und für sich unstrittigen Änderungen, die Sie hier vornehmen. Die Verwendung von giftigem Cadmium und Quecksilber in Batterien und Akkumulatoren wird eingeschränkt. Das ist gut so und angesichts der Gefährlichkeit dieser Stoffe sicherlich angezeigt. Aber warum haben Sie hierfür bis heute benötigt? Das Verbot von Quecksilber in Knopfzellen hätte man sicher auch rascher vornehmen können. Was wir Grüne von Ihnen fordern, ist klar: Eine bessere Umweltgesetzgebung, die die Regeln für alle so verbindlich machen, dass wir aufhören unsere Umwelt zu zerstören. Alles, was wir von Ihnen bekommen, sind verspätete EU Umsetzungen und Programme oder Aktionspläne, die auf Freiwilligkeit setzen, aber weder verbindliche Regeln für alle setzen, noch wirkliche Anreize bieten. Von selber wird da sichtlich nichts besser werden. Gehen Sie die wirklich wichtigen Baustellen endlich konkret an. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes soll die Nutzung des sogenannten Ähnlichenservices gesetzlich neu geregelt werden. Bei diesem Ähnlichenservice geht es darum, dass die Registerbehörde bis zu 20 Datensätze zu Personen mit ähnlichen Personalien übermittelt, wenn sie eine Mitteilung oder ein Ersuchen einem bestimmten Datensatz nicht eindeutig zuordnen kann und dadurch eine Identitätsfeststellung durch die ersuchende Stelle nicht möglich war. Eine solche Regelung sieht die Strafprozessordnung für das staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister vor und soll nun auf das Bundeszentralregister ausgeweitet werden. Dieses war schon vor der Sommerpause mit dem Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes geschehen. Allerdings war damals ein Zugriff auf diesen Ähnlichenservice nur für das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst beabsichtigt. Die damals gewählte Formulierung hat jedoch dazu geführt, dass jede zum Zugriff auf das Bundeszentralregister berechtigte Stelle nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Inanspruchnahme des Ähnlichenservice befugt gewesen wäre. Dieses Versehen soll jetzt korrigiert werden. Insofern stellt das Änderungsgesetz eine Einschränkung des im Juli verabschiedeten Gesetzes dar. Ich will aber ausdrücklich betonen, dass ich es sehr begrüße, dass die Bundesregierung zumindest prüfen will, ob sich nicht eine Ausdehnung der zugriffsberechtigten Stellen auf weitere Sicherheitsbehörden – etwa auf die Kriminalpolizei – anbietet. Angesichts der wachsenden Zahl ausländischer Tatverdächtiger scheint die Ausdehnung auf andere Sicherheitsbehörden geradezu zwingend. Dem stehen auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegenüber, weil alle Daten, die sich nicht auf den Betreffenden beziehen, nach erfolgter Identifizierung von der ersuchenden Stelle unverzüglich zu löschen sind, und zwar von Gesetzes wegen, und wenn eine Identifizierung gar nicht möglich war, dann sind alle Daten zu löschen. Insoweit nehmen wir heute eine Einschränkung des Zugriffs auf den Ähnlichenservice vor, die durchaus in einiger Zeit schon wieder aufgehoben werden könnte, um bei der Ermittlung von Tatverdächtigen in Zukunft erfolgreicher zu sein. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Oft ist davon die Rede, dass sich Politik und Sicherheitsbehörden in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit befinden – insbesondere beim Thema Datenschutz. Es wird nur scheinbar zu einer Gratwanderung, wenn wir Gesetze beschließen oder ändern, die den Datenschutz tangieren. Datenschutz ist zu Recht ein hohes Gut, zu dem wir uns klar bekennen. Wenn wir morgen im Deutschen Bundestag die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschließen, dann tun wir dies, um den ermittelnden Behörden die notwendigen Möglichkeiten zu geben, Verbrechen zu bekämpfen und möglichst gleich zu verhindern. Die Ermittler und alle Experten – übrigens unabhängig von der Parteizugehörigkeit – sind sich einig: Sie brauchen zur Strafverfolgung, als Instrument der Aufklärung und Prävention dringend die Vorratsdatenspeicherung. Dann können sie unter anderem ganze Kinderpornografie-Ringe ausheben. Der Fall Edathy hat deutlich gezeigt, wie Fälle dieser Art aufgrund des hohen Ermittlungsaufwands und der schweren Beweislage oftmals in der Praxis enden. Es kann nicht sein, dass Ermittlungserfolge gerade im Bereich der Kinderpornografie davon abhängig sind, welcher Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten überhaupt und, wenn ja, wie lange speichert. Mindestspeicherfristen von Verbindungsdaten sind natürlich kein Allheilmittel. Damit werden sich nicht alle schweren Straftaten verhindern und aufklären lassen – leider! Aber dieses Ziel wird leider durch gar keine Ermittlungsmethode zu 100 Prozent erreicht. Die Speicherung von Verbindungsdaten ist jedoch zur Entdeckung von kriminellen Netzwerken schlichtweg notwendig und dient der Aufklärung von schwersten Straftaten. Sie ist ein Instrument von vielen – aber es wäre unverantwortlich, komplett darauf zu verzichten. Ähnlich wie bei der Speicherung von Verbindungsdaten verhält es sich auch mit dem sogenannten Ähnlichenservice im Bundeszentralregister. Dabei handelt es sich um ein Vorgehen bei Abfragen, bei denen zum Beispiel Unklarheit über den genauen Vornamen einer Person besteht. Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst können demnach, falls die Registerbehörde einer Mitteilung oder einem Ersuchen keinen eindeutigen Datensatz zuordnen kann, bis zu 20 Datensätze zu Personen mit sehr ähnlichen Personalien zur Identitätsfeststellung übermittelt bekommen. Und auch hier befinden wir uns im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit der Allgemeinheit. Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, die Abfrage so zu gestalten, dass naheliegende Ermittlungserfolge doch noch erzielt werden können. Gleichzeitig muss ein verbindlicher Rahmen dafür geschaffen werden, dass die Datenschutzinteressen des Einzelnen nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise tangiert werden. Ich freue mich sehr, dass dies mit dem vorliegenden Entwurf gelungen ist. Denn weil uns der Datenschutz so ein hohes Gut ist, beschränken wir durch das vorliegende Gesetz den Bereich der Behörden, die die „Ähnlichendatensätze“ abfragen dürfen, auf bestimmte Behörden. Die Eingrenzung dieses Berechtigtenkreises auf den Bundesnachrichtendienst, den Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst wird genau dieser sachgerechten Grundrechtsabwägung gerecht. Denn so ist sichergestellt, dass der Ähnlichenservice nur zur Verfolgung von Straftaten von herausragender Bedeutung in Anspruch genommen werden darf. Ich denke, dass dies sachgerecht ist, wenn man bedenkt, dass auch das Kriterium der Ähnlichkeit der Datensätze und die Mengenbegrenzung auf maximal 20 Sätze eine regulierende Einschränkung darstellt. Benjamin Franklin soll einmal gesagt haben: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“ Ich denke, wir haben mit vorliegendem Gesetzentwurf eine kluge und ausgewogene Lösung gefunden. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung. Dr. Johannes Fechner (SPD): Vor der Sommerpause haben wir im Rahmen der Neuregelungen zur verbesserten Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden den so genannten Ähnlichenservice für das Bundeszentralregister beschlossen. Das bedeutet, dass die Registerbehörde, die ein an sie gerichtetes Ersuchen namentlich nicht eindeutig zuordnen kann, der um Auskunft bittenden Behörde zur Identitätsfeststellung bis zu 20 Datensätze zu Personen mit ähnlichem Namen übermittelt. Eine solche Regelung macht Sinn. Denn ansonsten besteht die Gefahr, dass der Erhalt wichtiger Information an einem Tippfehler oder der falschen Schreibweise des Namens scheitert. Allerdings ist die Regelung weitreichend, denn es werden auch Daten von unbeteiligten Personen übermittelt, nur weil diese einen ähnlichen Namen haben. Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes begrenzen wir deshalb den Kreis der auskunftsberechtigten Behörden deutlich. Auskunft in Form des Ähnlichenservice dürfen danach nur Verfassungsschutzbehörden, Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst erhalten. Zudem soll die Einführung des Ähnlichenservice erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am 30. April 2018, erfolgen. Hintergrund des späteren Inkrafttretens ist, dass das zuständige Bundesamt für Justiz mehr Zeit benötigt, um die technischen Voraussetzungen für den Ähnlichenservice im Bereich des Bundeszentralregisters zu schaffen. Die heute erfolgende Beschränkung auf die Nachrichtendienste stellt eine sinnvolle Einschränkung dar. Aus Gründen des Datenschutzes muss der Ähnlichenservice restriktiv ausgestaltet werden. Jan Korte (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung hier heute vorlegt, wird für mehr Datenschutz sorgen. Das klingt erstmal positiver, als es ist: Denn mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes soll ein Datenleck gestopft werden, welches die Bundesregierung gerade erst mit dem vor kurzem verabschiedeten „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes“ aufgerissen hatte. Ein Ziel dieses Gesetzes war die Einführung des sogenannten Ähnlichenservice im Bundeszentralregister. Bislang besteht dieser Service im zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister beim Bundesamt für Justiz. Abfrageberechtigt sind die Strafverfolgungsbehörden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) dürfen ebenfalls eingeschränkt Daten wie Personendaten und aktenführende Stelle abfragen. Lässt sich eine Anfrage nicht eindeutig einem Datensatz zuordnen, werden zunächst zu 20, dann zu 50 ähnlichen Namen Datensätze übermittelt. Diese müssen von der empfangenden Stelle geprüft und gelöscht werden, wenn sich die eigentlich gesuchte Person darunter nicht befindet. Das Bundeszentralregister, in dem alle strafrechtlichen Verurteilungen der Menschen in Deutschland gespeichert werden, sieht einen solchen Ähnlichenservice bislang nicht vor. Mitarbeiter der Registerbehörden versuchen bei fehlerhaften, unvollständigen oder zweifelhaften Daten durch Rückfragen bei der abfragenden Behörde den tatsächlich gesuchten Datensatz zu finden oder gegebenenfalls zu korrigieren. Mit einer Änderung des Bundeszentralregistergesetzes im Rahmen der Verfassungsschutzreform wurde der Ähnlichenservice nun auch dort eingeführt. Dabei haben Sie von der Koalition allerdings vergessen, diesen Service auf die Geheimdienste zu begrenzen. Das nenne ich mal schlampige Gesetzgebung. Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat das zum Glück gemerkt und deshalb empfohlen, diese Änderung ganz zu streichen, was wir sehr begrüßt hätten. Hilfsweise sollte nach dem Willen des Bundesrates zumindest eine entsprechende Beschränkung auf die Dienste vorgenommen werden. Dieser Empfehlung kommt die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nun nach. Andernfalls wären sämtliche für das Bundeszentralregister abfrageberechtigten Stellen bis hin zur Jagdbehörde befugt, den neuen Ähnlichenservice im Bundeszentralregister in Anspruch zu nehmen. Die Schlamperei setzt sich allerdings auch in diesem Gesetzentwurf fort. Da wird behauptet, es handele sich um lediglich 20 „ähnliche“ Datensätze, die übermittelt werden könnten. Da haben Sie über die komplizierte Verweisungstechnik im Gesetz offenbar selber die Orientierung verloren. Denn findet sich in den 20 Datensätzen nicht die gesuchte Person, können 50 weitere Ähnlichentreffer angefordert werden! Das heißt, die Geheimdienste erhalten 70 persönliche Angaben zu Bürgerinnen und Bürgern, die rein gar nichts mit irgendwelchen verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu tun haben müssen. Und hier ist doch aus der Erfahrung der Vergangenheit wirklich Vorsicht geboten: Denn ob die eigentlich überflüssigerweise übermittelten Datensätze dann am Ende tatsächlich gelöscht werden oder nicht doch Eingang in irgendwelche Selektorenlisten finden oder zu anderen nachrichtendienstlichen Eingriffen führen, kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Ich erinnere hier an die Entführungen von Khaled elMasri und Murat Kurnaz, die auch nur irgendwie verwechselt wurden. Obwohl also der Zugang zu erheblich mehr Daten ermöglicht wird, wird das Datenschutzniveau auf dem bisherigen Umfang belassen. Nur jede zehnte Abfrage muss protokolliert werden, und das wird auch nur stichprobenartig untersucht. Für die Löschung überflüssig übermittelter Daten besteht gleich gar keine Protokollierungspflicht. Dass hier die Kontrolle erheblich gestärkt werden müsste, sieht man schon an der bisherigen Praxis der Geheimdienste: Aus einer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion geht hervor, dass allein das Bundesamt für Verfassungsschutz jährlich 1 200 bis 1 700 Ersuchen um Auskunft aus dem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister stellt. Für den MAD und den BND gibt es noch nicht einmal Angaben dazu. Bei Nutzung des Ähnlichenservice kommt man da schnell auf Zehntausende Datensätze pro Jahr, die den Diensten ohne Prüfung der Erforderlichkeit Jahr für Jahr übermittelt werden könnten. Richtig wäre deshalb gewesen, die systemfremde Einführung des Ähnlichenservice im Bundeszentralregistergesetz wieder komplett zu streichen. Dass er nun wenigstens auf die Geheimdienste beschränkt wird, für die dieses Instrument ja eigentlich nur geschaffen werden sollte, ist nicht mal ein schwacher Trost. Es zeigt die schlampige Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung und das Fehlen jeder Sensibilität im Hinblick auf den Datenschutz und seine zentralen Grundsätze wie Datensparsamkeit und Erforderlichkeit der Datenübermittlung. Ohne die jetzt vorgeschlagene Änderung der Bundesregierung bliebe es allerdings dabei, dass außer den Geheimdiensten auch weiterhin alle möglichen Behörden auf den Ähnlichenservice zugreifen können. Bei allen grundsätzlichen Bedenken wird sich Die Linke daher enthalten. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei den Geheimdiensten, also im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramts, brennt nun schon seit einigen Jahren die Hütte lichterloh. Der erste NSUUntersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages brachte unter anderem katastrophale Zustände im Verhältnis der Dienste zueinander zutage, die trotz hunderter Spitzel eine dreiköpfige rechtsextreme Mordbande mit zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern nicht zu stoppen vermochten. Derartig chaotische Verhältnisse konterkarieren die wirksame Erfüllung der Aufgaben der Dienste ganz offenkundig. Der vom Ausschuss herausgearbeitete hohe Reformbedarf im Sinne von Demokratie und Bürgerrechten wurde im Wesentlichen durch die Große Koalition bis heute ignoriert. Der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode gräbt praktisch jede Sitzungswoche neue Erkenntnisse über klar rechtswidrige Vorgänge, insbesondere bezüglich der Aktivität des Bundesnachrichtendienstes, aus, vergangene Woche etwa die offen rechtswidrigen Praktiken des BND bei den gemeinsam mit dem USMilitärdienst erfolgten Befragungen von Asylbewerbern auf deutschem Boden, die unter anderem der Erlangung von Daten zur Ziellokalisierung von USDrohnen dienten. Auch hier, mehr als zwei Jahre nach den ersten Snowden-Veröffentlichungen, sind bis heute keinerlei gesetzliche Reformen für eine Verbesserung der demokratischen Kontrolle der Dienste und für die Bürgerinnen und Bürger in Sicht, um deren Grundrechte es im Kern bei diesen Geheimdienstskandalen geht. Im Gegenteil: Befugnisse wurden und werden weiter ausgebaut und gar die Online-Massenüberwachung durch Stellenaufstockungen in einem verfassungsrechtlich hochumstrittenen Feld, in dem zukünftig ohne ausreichende Rechtsgrundlage agiert wird, in fragwürdiger Weise ermöglicht. Darüber hinaus wurde der Einsatz von rechtsextremen und nicht rechtsextremen VLeuten endgültig gesetzlich legitimiert – und zu allem sogar versucht, dass der Öffentlichkeit als das Gegenteil, nämlich als Einhegung, zu verkaufen. Mit größter Verwunderung mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Große Koalition insgesamt einen von den genannten Skandalen völlig unbeirrten Kurs des Ausbaus von Kompetenzen und Befugnissen der Geheimdienste verfolgt. Für den BND kam das in einer 300 Millionen Euro Finanzspritze zum Ausdruck, mit der unter anderem ausgerechnet der Ausbau der geheimdienstlichen Telekommunikationsüberwachung finanziert werden soll. Für das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde dies deutlich, als kürzlich ein umfangreiches Artikelgesetz zur Reform des Bundesamtes durch den Bundestag bugsiert wurde, das nicht mehr und nicht weniger als eine deutliche Aufwertung des Dienstes mit sich bringt – mehr Mittel, mehr Personal und zusätzliche Befugnisse. Als Grüne haben wir dagegen votiert. Wir wollen insbesondere den Inlandsgeheimdienst auf dem Prüfstand sehen, ihn von Grund auf reformieren und seine Befugnisse auf das bürgerrechtlich Gebotene einschränken. Schon im damaligen Entwurf für die Reform des Bundesverfassungsschutzes wollten Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, auch das Bundeszentralregister aufbohren. Nun haben wir sicherlich Probleme im Bereich der Geheimdienste, denen wir weitaus größere Bedeutung für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zumessen sollten. Doch auch der uns heute zur Abstimmung vorgelegte Ähnlichenservice wirft ein gravierendes rechtsstaatliches Problem auf: Er betrifft die geheimdienstliche Erfassung von Informationen und Daten über Personen, denen ganz überwiegend und definitiv nichts vorgeworfen werden kann. Sie haben nur eine Ähnlichkeit mit Jemandem. Der bis heute allein für das zentrale staatsanwaltliche Verfahrensregister bestehende, euphemistisch sogenannte Ähnlichenservice soll nun auf das Bundeszentralregister ausgeweitet werden. Beim Ähnlichenservice, konkret geregelt in § 8 der ZStVBetrV, wird es anfragenden Staatsanwaltschaften aus der gesamten Bundesrepublik ermöglicht, sich in Fällen nicht eindeutig zuordenbarer oder unvollständiger Datensätze für Zwecke der Identitätsprüfung bis zu 20 Datensätze von unter ähnlichen Identifizierungsdaten gespeicherten Daten übersenden zu lassen. Diese Datensätze müssen, soweit sie Nichttreffer darstellen, wegen der eindeutigen Zweckbindung unmittelbar nach Durchsicht gelöscht werden. Zugriffsberechtigt sein sollten nach Ihrem damaligen Entwurf alle in § 41 BZRG genannten Behörden, ein weiter Kranz. Ihre Idee, derart unter dem Radar der öffentlich diskutierten Reformen auch noch die Zugriffsmöglichkeiten der Geheimdienste auf amtliche Register zu erweitern, ging leider schief. Der Bundesrat hat völlig zu Recht dagegen interveniert. Die Reform wurde zunächst von den Ländern kassiert. Leider wollten die Länder den Ähnlichenservice jedoch nicht insgesamt stoppen, sondern gaben sich mit einer Beschränkung auf BND, MAD und BfV zufrieden. Der vorgelegte Entwurf dampft damit – auf Druck des Bundesrates – der Sache nach eine Vorschrift wieder ein, die bereits in dem Artikelgesetz zur unsäglichen Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes aufgekommen war. Die gesetzliche Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten auf die Datenbestände des Bundeszentralregisters stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der dort gespeicherten Personen dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss gerade für die in Strafverfahren verwickelten Personen und deren Informationen, auch und gerade nach Beendigung ihrer Strafverfahren, ein besonderes Schutzniveau für Informationen zu ihren strafrechtlichen Verurteilungen bestehen, um dem grundrechtlich anerkannten sozialen Rehabilitationsinteresse Rechnung zu tragen. Der bisherige Ähnlichenservice blieb innerhalb der staatsanwaltlichen Verfahren und beschränkte sich auf Ermittlungsverfahren. Es handelt sich dabei um einen bedeutsamen Eingriff in die Grundrechte der davon Betroffenen, weil es in der Mehrzahl völlig unbescholtene Personen durch Übermittlung von deren Daten an die Staatsanwaltschaften mit dem Risiko belastet, ungerechtfertigt in ein – weiteres – Ermittlungsverfahren zu geraten. Schon bislang musste dieses Verfahren der Datenübermittlung Unbescholtener deshalb als höchst bedenklich bewertet werden, das allenfalls mit Blick auf die Vorläufigkeit des Ermittlungsverfahrens, der möglichen Entlastungsfunktion für einzelne Tatverdächtige und aufgrund des nicht abschließenden Charakters gerechtfertigt war. Die Erweiterung des Verfahrens auf das Bundeszentralregistergesetz stellt eine von der Bundesregierung in der Sache nicht näher – auch nicht empirisch – dargelegte Erstreckung auf einen umfänglichen und besonderem gesetzlichen Schutz unterfallenden Datenbestand dar. Für diese grundrechtsrelevante Erstreckung ist die Bundesregierung darlegungspflichtig. Die nunmehr erfolgte Beschränkung ausgerechnet auf die Geheimdienste wird ebenfalls in der Sache nicht näher erläutert. Das ist für einen so grundrechtsintensiven Bereich wie die Geheimdienste erst recht nicht hinnehmbar. Zudem stellt sich die Frage, ob es nach dem sogenannten Doppeltürenmodell des Bundesverfassungsgerichts nicht zusätzlich einer hinreichend konkreten und bestimmbaren Regelung zur Inanspruchnahme durch die Dienste in den einschlägigen Geheimdienstgesetzen bedarf. Denn die von Ihrem Gesetz und den arkanen Verweisungsketten in Anspruch genommenen Bestimmungen des BZRG und der StPO betreffen automatisierte Übermittlungen, während die Erhebungsnormen des BND und des BfV allein von Einzelersuchen handeln. Auch hier gilt: Für das Gros der Datenübermittlungen fehlt es an jeglicher datenschutzrechtlicher Erforderlichkeit, da es sich – für alle Beteiligten bekannt – nur um ähnliche, aber nicht genaue Datensätze handelt. Schon das Verfahren der Auswahl der Ähnlichendaten durch die für das Bundeszentralregister zuständige Stelle wirft deshalb bislang ungeregelt gebliebene datenschutzrechtliche Fragen auf. Wir meinen: Ähnlichendaten ausgerechnet in der Hand von Geheimdiensten bergen ein besonderes Risiko für die Betroffenen: Gerade der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss hat aufgezeigt, in welchem Umfang die Dienste insbesondere von BND und BfV mit Hilfe von formalen Suchbegriffen, also Telekommunikationsmerkmalen, Rasterfahndungen auf Leitungen und in Medien durchführen. Ähnlichendaten sind eine Versuchung, diese Daten in die bestehenden Systeme einzuspielen und – entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Zweckbindung auf Identitätsfeststellung – auf mögliche Treffer in den Datenbanken hin zu überprüfen. Nach der Rechtslage wäre dies aufgrund der eindeutigen Zweckbindung allein zur Identifizierung eines unklaren Datensatzes zwar unzulässig, aber im Bereich der Signal Intelligence etwa des BND wurde in den zurückliegenden 15 Jahren in vielerlei Hinsicht offenkundig rechtswidrig gehandelt oder die bestehenden Rechtsvorschriften kreativ zu eigenen Gunsten ausgelegt. Unser Fazit zum heute vorgelegten Gesetzesvorschlag lautet deshalb: Der bisher allein für die Staatsanwaltschaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren bestehende Ähnlichenservice ist ohnehin datenrechtlich höchst fragwürdig, weil er Informationen von Unbescholtenen in laufende Ermittlungen hereingibt. Seine Ausweitung auf das BZRG – ausgerechnet auf die Geheimdienste – ist nicht nur in der Sache fahrlässig, sondern rechtlich höchst fragwürdig. Wir haben deshalb diese Erweiterung geheimdienstlicher Zugriffe auf das Bundeszentralregistergesetz bereits im Rahmen der Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes kritisiert und abgelehnt. Wir enthalten uns heute allein deshalb, weil die einen noch gravierenderen Eingriff darstellende Regelung aus dem damaligen Verfahren, also die Erstreckung des Ähnlichenservice auf alle in § 41 BZRG genannten Behörden, von Ihnen wieder – wenn auch nicht freiwillig – aufgenommen wurde. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bunderegierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Tagesordnungspunkt 22) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Das vorliegende Änderungsprotokoll soll hinsichtlich der Besteuerung von Unternehmensgewinnen die Aktualisierung des Artikel 7 des Musterabkommens für den Bereich Steuern vom Einkommen und vom Vermögen der OECD auch im Doppelbesteuerungsabkommen mit der Republik Irland nachvollziehen. Das Musterabkommen der OECD, dessen Artikel 7 seit 2010 neu gefasst wurde, sieht jetzt den sogenannten „Authorized OECD Approach – AOA“ für die Aufteilung der Gewinne zwischen einer Betriebsstätte und dem Unternehmen vor, zu dem sie gehört. Damit wird einer Vereinheitlichung der internationalen Betriebsstättenbesteuerung Rechnung getragen. Grundsätzlich sind dabei zwei Arten von Betriebsstätten zu unterscheiden; zum einen feste Geschäftseinrichtungen, über die das Unternehmen eine gewisse Verfügungsmacht hat, und zum anderen den abhängigen Vertreter mit der Vollmacht zum Abschluss von Verträgen für den Geschäftsherren. Für die angemessene Aufteilung der Gewinne zwischen dem Unternehmen und der Betriebsstätte kann man wiederum zwei Ansätze wählen. Sieht man die Betriebsstätte als Einheit, die nur mit einer eingeschränkten Selbstständigkeit ausgestattet ist, dann wird sie als Teil des Gesamtunternehmens definiert. Der Fremdvergleich ist bei dieser Auffassung nur eingeschränkt für Warentransaktionen vorgesehen, und logischerweise kann auch die Betriebsstätte dann keinen Gewinn machen, wenn das Gesamtunternehmen einen Verlust macht. Demgegenüber steht die Auffassung der uneingeschränkten Anwendung des Fremdvergleichs. Das bedeutet, dass auf alle Transaktionen innerhalb des Einheitsunternehmens der Fremdvergleich Anwendung findet und damit letztlich auch die Betriebsstätte einen Gewinn ausweisen kann, selbst wenn das Gesamtunternehmen einen Verlust macht. Die Betriebsstätte wird damit ähnlich wie ein Tochterunternehmen behandelt. Dieser zweite Ansatz der Betriebsstättenbesteuerung wird dem neuen Artikel 7 des OECD Musterabkommen zugrunde gelegt. Mit dem im alten DBA Irland enthaltenen Artikel 7 konnten weder die grenzüberschreitenden Gewinne eines Unternehmens sachgerecht aufgeteilt werden, noch konnten Gewinnverlagerungen begegnet werden. Mit der Änderung des Artikel 7 im neuen Abkommen wird jetzt die Möglichkeit geschaffen, aufgrund eines international anerkannten Fremdvergleichs die zutreffende Gewinnaufteilung zwischen Betriebsstätte und Gesamtunternehmen zu erreichen. Damit können Besteuerungslücken geschlossen werden und Besteuerungskonflikte vermieden werden. Im neuen DBA werden allerdings Lebensversicherungsgeschäfte, die vor dem 1. Januar 2001 abgeschlossen wurden, aufgrund der irischen Rechtslage zur steuerlichen Behandlung von Altverträgen in diesem Bereich unverändert nach den alten Vorschriften erfasst. Große Auswirkungen wird dies allerdings kaum entfalten, weil der Umfang eher unwesentlich ist. Neben der Änderung des Artikel 7 werden noch kleinere Änderungen erfasst wie die Vertragsstaatendefinition der Bundesrepublik und die Aktualisierung der unter das Abkommen fallenden irischen Steuern. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass Irland inzwischen nationale Maßnahmen ergriffen hat, um das Modell des sogenannten „double Irish“ für die Zukunft zu schließen. Mit dieser Gestaltung konnten amerikanische Gesellschaften ihre Gewinne fast steuerfrei über irische Tochtergesellschaften verlagern. Das ist zwar nicht unmittelbar ein Ausfluss dieses Abkommens, aber es zeigt, dass die Bemühungen der Bundesregierung zur Verhinderung von Gestaltungsmöglichkeiten mit Auslandsbezug Früchte tragen. Das Gesetz ist unproblematisch, aktualisiert ein DBA und passt es an die aktuelle Abkommenspolitik der Bundesrepublik an. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz. Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Wir haben nicht sehr oft die Gelegenheit, im Plenum über den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen zu debattieren. Insofern freue ich mich, dass die Revision des Abkommens mit Irland uns jetzt Anlass bietet, dieses Thema einmal öffentlich zu diskutieren. Doppelbesteuerungsabkommen sind für die exportori­entierte deutsche Wirtschaft von immenser Bedeutung. Mit jedem zusätzlichen Abkommen schaffen wir Rechts- und Planungssicherheit in Steuerangelegenheiten, im Übrigen nicht ausschließlich für Unternehmen, sondern auch für Arbeitnehmer, Rentner und Studenten, die sich für längere Zeit im Ausland aufhalten. Jedes Abkommen fördert und vertieft die wirtschaftlichen Beziehungen zu diesen Staaten. Wir gewährleisten mit ihnen aber vor allem eine wirksamere und zutreffendere Steuererhebung, indem wir sowohl die doppelte Besteuerung als auch die mindestens ebenso unerwünschte doppelte Nicht-Besteuerung verhindern. Mit insgesamt 85 Staaten hat die Bundesrepublik Deutschland derzeit Abkommen auf dem Gebiet der Einkommen und Vermögen, bei Erbschaften und Schenkungen und zum Austausch von Steuerinformationen, abgeschlossen. Weitere 59 Abkommen befinden sich im Verhandlungsstadium, bzw. sind bereits unterschrieben, aber noch nicht in Kraft getreten. Zunächst möchte ich an dieser Stelle einmal hervorheben, dass die Schlagzahl der Revision von bestehenden oder des Neuabschlusses von Doppelbesteuerungsabkommen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. In der Amtszeit von Wolfgang Schäuble wurden bereits mehr als doppelt so viele Abkommen geschlossen wie jeweils zuvor von seinen beiden Amtsvorgängern. Für dieses im ureigenen Interesse der Bundesrepublik stehende Engagement gebührt unser aller Dank und Anerkennung vor allem dem Bundesfinanzminister, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium und im Auswärtigen Amt. Wir debattieren hier im Deutschen Bundestag aus guten Gründen Fälle von Steuerhinterziehung, bei denen Vermögenswerte im Ausland vor den deutschen Behörden versteckt werden. Vor diesem Hintergrund ist die zunehmende Zahl von Abkommen zum Informationsaustausch – allein 14 von 31 seit 2010 – ein wichtiger Baustein, diesen Machenschaften ein Ende zu bereiten. Vor ziemlich genau einem Jahr gelang Finanzminister Schäuble das Meisterstück, bei einer Steuerkonferenz in Berlin mit über 50 Staaten den automatischen Informationsaustausch zu vereinbaren. Darunter befinden sich bekannte Steueroasen wie die Bermudas und die Cayman Islands, aber auch zur Steuervermeidung gern genutzte europäische Staaten wie Liechtenstein, Luxemburg und die Schweiz. Steuerhinterziehung wird dadurch weitestgehend unmöglich, und das ist der Erfolg dieser Bundesregierung und von Wolfgang Schäuble ganz persönlich. Doch nicht nur das Verstecken privater Vermögenswerte im Ausland ist ein Problem. Gerade international operierende Konzerne haben kreative Wege gefunden, ihre eigene Steuerlast auf ein Minimum zu reduzieren. Die Bundesregierung hat dieses Problem seit Jahren im Blick und auch entsprechende Abwehrmaßnahmen ergriffen. Erinnern möchte ich an dieser Stelle an die Zinsschranke, Regelungen zur Funktionsverlagerung, die Hinzurechnungsbesteuerung und weitere Maßnahmen, die 2008 im Zuge der Unternehmenssteuerreform auf den Weg gebracht wurden. Dazu kommen „treaty override“-Maßnahmen als Reaktion auf „treaty shopping“-Aktivitäten und Umschaltklauseln von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode für den Fall, das in dem anderen Staat keine oder eine deutlich zu geringe Besteuerung stattfindet. Doch wir leben in einer globalisierten Welt. Die besten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn international nicht an einem Strang gezogen wird. Und auch hier übernimmt die Bundesrepublik Deutschland eine Führungsrolle. Der 2012 auf OECD-Ebene unter dem Kürzel BEPS initiierte Prozess zur Verhinderung von Gewinnverlagerungs- und Steuervermeidungsstrategien wurde von der Bundesregierung maßgeblich vorangetrieben. In der vergangenen Woche wurde der Abschlussbericht mit seinem 15Punkte-Aktionsplan der Öffentlichkeit vorgestellt und von der Fachwelt auf breiter Basis gelobt. Jetzt geht es darum, dass dieser Aktionsplan in den 34 OECDMitgliedstaaten und den über 80 assoziierten Staaten möglichst ungeschmälert umgesetzt wird. Bemerkenswert dabei ist, dass einige der Maßnahmen, die wir national zur Verhinderung von Gewinnverlagerungen bereits umgesetzt haben, jetzt auch international als probates Mittel anerkannt und in den Aktionsplan aufgenommen wurden. Auch dies ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Wir aktualisieren heute im Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland im Wesentlichen den Abschnitt über Unternehmensgewinne. Ersetzt wird das bisherige quotale System durch den auf OECD-Ebene vereinbarten Fremdvergleichsgrundsatz, den sogenannten Authorised OECD Approach. Deutschland hat an der Ausarbeitung dieses Standards entscheidend mitgewirkt, und es ist gut und richtig, dass in dieser entscheidenden Frage der Unternehmensgewinne eine internationale Einigung über deren Zuordnung zu einer Betriebsstätte erzielt werden konnte. Es ist daher nur konsequent, diesen Standard auch in der Praxis umzusetzen, und das werden wir heute tun. Ich habe daher wenig Verständnis für die vonseiten der Grünen und Linken im Finanzausschuss geäußerte Kritik an dieser Vereinbarung. Wie sollen wir denn von anderen Staaten Vertragstreue und die Einhaltung internationaler Regeln fordern, wenn wir selbst nicht mit gutem Beispiel vorangehen? Zudem irren Sie sich, wenn Sie glauben, die alte Regelung wäre besser für das deutsche Steueraufkommen und die Verhinderung von Gewinnerlagerungen in das Niedrigsteuerland Irland. Wenn Sie sich einmal mit Fachleuten unterhalten, werden Sie schnell feststellen, dass dem nicht so ist. Von der Opposition kam darüber hinaus Kritik an der Tatsache, dass in diesem Abkommen mit Irland die Doppelbesteuerung durch die Freistellungsmethode verhindert werden soll, die im Übrigen ergänzt wird durch Klauseln zum Umschalten auf die Anrechnungsmethode. Sie haben vorgeschlagen, stattdessen generell auf die Anrechnungsmethode umzuschwenken, wenn möglich in sämtlichen Abkommen weltweit. Ich kann nur eindringlich davor warnen, diesen Weg tatsächlich zu gehen. Für unsere auf Export ausgerichtete deutsche Wirtschaft ist es von elementarer Bedeutung, auf ausländischen Märkten mit den dortigen Wettbewerbern zu gleichen Bedingungen konkurrieren zu können. Dies ist nur durch die Freistellungsmethode gewährleistet und Grundbedingung für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im Ausland. Ein genereller Wechsel zur Anrechnungsmethode wird nicht, wie von Ihnen behauptet, das Steueraufkommen in Deutschland erhöhen, sondern den Wirtschaftsstandort insgesamt deutlich schwächen. Wir sehen also heute am Beispiel des Doppelbesteuerungsabkommens mit Irland sehr plastisch, dass die Bundesregierung konzentriert daran arbeitet, Steuerhinterziehung, Gewinnverlagerung und schädliche Gestaltungsmaßnahmen einzudämmen. Darüber hinaus ist sie äußerst erfolgreich darin, verbindliche Standards auf internationaler Ebene zu vereinbaren. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Jetzt kommt es darauf an, dass auch internationale Partner, aber aus meiner Sicht vor allem unsere europäischen Partner, diesen Weg konsequent verfolgen, anstatt ein Unterbietungswettrennen um den geringsten Steuersatz zu veranstalten. Auch diesen Gesprächen wird sich unser Bundesfinanzminister nicht verschließen, und ich wünsche ihm und seinen Mitarbeitern dabei allen erdenklichen Erfolg. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Doppelbesteuerungsabkommen haben für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und für die Steuererhebung der Staaten eine immense Bedeutung. Es handelt sich um völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten, in denen geregelt wird, in welchem Umfang das Besteuerungsrecht einem Staat, für die in einem der beiden Vertragsstaaten erzielten Einkünfte, zusteht. Bisher sollten Doppelbesteuerungsabkommen vor allem verhindern, dass Steuerpflichtige, die in beiden Staaten Einkünfte erzielen, in beiden Staaten – also doppelt – besteuert werden. Die aggressive Steuerplanung multinationaler Konzerne, die die mangelnde Abstimmung zwischen den nationalen Steuersysteme zu ihrem Vorteil ausnutzen, hat aber die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen gelenkt: die Verhinderung der doppelten Nichtbesteuerung von Einkünften. Die heute zur Debatte stehenden Änderungen des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Irland sind gerade aufgrund der vorgesehenen Änderungen bei der Besteuerung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen interessant. Im Schwerpunkt geht es um die Anpassung der Regelungen zur Besteuerung von Betriebsstätten an den sogenannten „Authorized OECD-Approach“. Bei Betriebsstätten handelt es sich um rechtlich unselbständige Geschäftseinrichtungen, die ein deutsches Unternehmen im Ausland unterhält oder um solche Geschäftseinrichtungen, die ein im Ausland ansässiges Unternehmen in Deutschland betreibt. Bisher gibt es eine weitgehend uneinheitliche Praxis der internationalen Betriebsstättenbesteuerung. Teilweise werden indirekte Gewinnaufteilungsmethoden angewandt, die die Zuordnung von Einkünften nach pauschalen Schlüsseln vorsehen. Nach dem „Authorized OECD-Approach“ wird eine Betriebsstätte für die grenzüberschreitende Gewinnaufteilung zwischen ihr und dem Unternehmen, zu dem sie gehört, wie ein eigenständiges Unternehmen behandelt. Um dies zu ermöglichen, muss für die rechtlich unselbständige Betriebsstätte eine steuerliche Nebenrechnung erstellt werden, die inhaltlich der Bilanz eines eigenständigen Unternehmens entspricht. Dazu wir in einem ersten Schritt festgestellt, welche Funktionen die Betriebsstätte im Verhältnis zum restlichen Unternehmen durch ihr Personal tatsächlich ausübt. Davon ausgehend werden Vermögenswerte, Chancen bzw. Risiken sowie das dafür erforderliche Eigenkapital zugeordnet. In einem zweiten Schritt werden für Geschäftsfälle zwischen einem Unternehmen und seiner rechtlich unselbständigen Betriebsstätte grundsätzlich schuldrechtliche Beziehungen unterstellt. Auf diese anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind dann die Grundsätze der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien anzuwenden, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Für die Geschäftsfälle mit andern Teilen des Unternehmens werden Fremdpreise unterstellt, die zwischen fremden Dritten vereinbart worden wären. Der Betriebsstätte werden somit die Gewinne zugerechnet, die sie erzielen würde, wenn sie ein selbständiges Unternehmen wäre. Dieses Verfahren halte ich für besser, als die bisherige indirekte pauschale Aufteilung – wenn wir ehrlich sind, kennen wir nicht einmal die genauen – in der Praxis angewandten – Kriterien bzw. Parameter, nach denen die pauschale Aufteilung erfolge. Auf Basis des von der OECD entwickelten Ansatzes kann künftig nicht nur eine international einheitliche, sondern auch eine zielgenauere Gewinnermittlung erfolgen. Deutschland erhält somit bessere Möglichkeiten, die Gewinne deutscher Betriebsstätten ausländischer Unternehmen zu korrigieren und seine Besteuerungsrechte zu wahren. Wie schon angedeutet: Die Annahme, dass die bisher teilweise angewandten indirekten Gewinnaufteilungsmethoden, die auch nach dem alten DBA mit Irland zulässig waren, besser als die Gewinnaufteilung nach Fremdvergleichsgrundsätzen zur Eindämmung aggressiver Steuerplanung geeignet seien, trifft nach Auffassung der Fachleute in der Finanzverwaltung nicht zu. Dies ist auf Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Gesamtgewinns eines Unternehmens, der Festlegung eines zutreffenden pauschalen Aufteilungsmaßstabes und der Berücksichtigung von Verlusten anderer Unternehmensteile zurückzuführen. In der Vergangenheit boten die indirekten Gewinnaufteilungsmethoden offensichtlich keinen wirksamen Schutz vor den Steuergestaltungen der Unternehmen. Ich habe die Erwartung, dass das geänderte Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland aufgrund der Anwendung des Authorized OECD-Approaches zu einer besseren grenzüberschreitende Aufteilung von Besteuerungsgrundlagen zwischen Betriebsstätten und den Mutter-Unternehmen führen wird. Deshalb stimmen wir dem – Achtung: „Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen“ auch zu. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wie schön wäre es doch, wenn hehren Worten auch einmal handfeste Taten folgen würden. Alle paar Wochen gelobt der Bundesfinanzminister, dass man für mehr Steuergerechtigkeit sorgen werde, dass man Steuerumgehung bekämpfen werde, dass man es großen internationalen Konzernen wie Apple, Google und Konsorten bald unmöglich mache, ihre Gewinne ins Ausland zu verlagern, und dass man sie auf diesem Wege endlich dazu bringe, hierzulande die ihrem Gewinn tatsächlich angemessenen Steuern zu zahlen. Nur leider, leider, Sie ahnen es schon: Es folgen keine handfesten Taten. Die Beteuerungen der Bundesregierung sind mal wieder nichts als heiße Luft. Schlimmer noch, Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, machen mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf sogar eher das Gegenteil und erleichtern Steuerumgehung. Das lässt die Linke ihnen so nicht durchgehen. Folgendes haben Sie vor: Mit dem Gesetzentwurf streichen Sie eine ganz bestimmte Regelung im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Republik Irland und Deutschland. Bisher gab es nach Artikel 7 Absatz 4 des Abkommens die Möglichkeit, den Gewinn einer bestimmten Betriebsstätte durch Aufteilung der Gesamtgewinne eines Unternehmens zu ermitteln. Im Klartext heißt das Folgendes: Macht ein Unternehmen hierzulande großen Reibach, zahlt dafür hier aber kaum Steuern, weil der Hauptsitz in Irland ist, so kann man den in Deutschland anfallenden Gewinn aus dem Gesamtgewinn des Unternehmens herausrechnen und hier besteuern. Das wäre nur gerecht, denn Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet. Also, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wieso streichen Sie diese Regelung? Sie spielen Apple und Co. in die Karten und das sehenden Auges. Mit der Bekämpfung von Steuerumgehung hat das nichts zu tun. Ihr Verweis darauf, dass Sie mit dem heutigen Gesetz das Doppelbesteuerungsabkommen an den neuesten OECD-Standard anpassen, ist keine Entschuldigung und schon gar keine Verbesserung. Zwar soll auch der neue OECD-Standard auf dem Papier der Verhinderung von Steuerumgehung dienen, Sie lassen dabei aber einfach unter den Tisch fallen, dass der neue Standard innerhalb der Staatengemeinschaft hoch umstritten ist und teilweise sogar die Befürchtung besteht, dass er zusätzliche Möglichkeiten zur Gewinnverschiebung zwischen Staaten und somit zur Steuerumgehung bietet. Auch an einer anderen Stelle machen Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung einen leider alles andere als kompetenten Eindruck: Auf eine Anfrage der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen erklären Sie, dass Ihre Streichung der bisherigen Regelung nicht dazu führen würde, dass Deutschland künftig ein Instru­ment zur effektiven Besteuerung internationaler Konzerne fehlt. In derselben Anfrage erklären Sie aber auch, dass Sie überhaupt nicht wissen, ob und in wie vielen Fällen die bisherige Regelung jemals angewandt wurde. Das ist schon ein starkes Stück. Sie geben offen zu, keine Kenntnis von der möglicherweise sehr guten Wirksamkeit einer Regelung zur Bekämpfung der Steuerumgehung zu haben, schaffen Sie aber einfach ab. So macht man keine seriöse Steuerpolitik. Die Linke wird dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, denn im Gegensatz zur Bundesregierung nehmen wir den Kampf gegen Steuerumgehung ernst. Wenn Großkonzerne wie Apple und Co. hierzulande satte Gewinne einfahren, dann müssen diese auch besteuert werden. Alles andere geht zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus der Mitte der Gesellschaft, und das ist mit der Linken nicht zu machen! Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie verpassen es mit der übereilten Anpassung des Doppelbesteuerungsabkommens mit Irland, ein Zeichen gegen die Praxis internationaler Konzerne zu setzen, die in Europa Steuersonderregime nutzen, um ihre Steuerlast so weit es geht zu senken. Gerade Irland hat in der Vergangenheit durch Steuergeschenke versucht, internationale Unternehmen anzusiedeln. Zwar ist das Ende der schädlichsten Steuerpraktik vielleicht in der gesamten EU besiegelt. Der sogenannte Double Irish wurde 2014 von der irischen Regierung abgeschafft. Aber es gibt Übergangsregelungen bis ins nächste Jahrzehnt, und es wurde bereits angekündigt, dass Irland stattdessen eine Patentbox schaffen wird. Statt über das Konstrukt des Double Irish, also über zwei irische Tochterunternehmen, Gewinne nahezu unversteuert in wirkliche Steuersümpfe wie die Cayman-Islands zu schaffen, dürfen internationale Konzerne also mit Rabatten auf geistiges Eigentum rechnen. Das ist kaum besser und ebenfalls sehr gestaltungsanfällig. Auch diese Konstrukte lehnen wir als Fraktion vehement ab. Aber mit Apple und Google haben die amerikanischen Konzerne die Geschenke Irlands dankend angenommen, die bei der Praxis der legalen Steuervermeidung als negatives Musterbeispiel dienen können, und sie stehen bei weitem nicht alleine da. Durch die Änderung des bestehenden Artikel 7 im Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik mit Irland und die damit verbundene Anpassung des Artikels an das 2010 reformierte OECD-Musterabkommen gibt die Bundesregierung eine Möglichkeit aus der Hand, diesen Praktiken der internationalen Steuervermeidung Einhalt zu gebieten. Auch wenn die Bundesregierung sich auf die Implementierung internationaler Standards beruft, so muss ich mit meiner Fraktion hier feststellen, dass dieser internationale Standard an der Stelle eine Verschlechterung zum Status quo darstellt. Ich kann das sehr anschaulich machen an einem Passus, der aus dem bisher gültigen Abkommen gestrichen werden soll – ich zitiere –: „Soweit es in einem Vertragsstaat üblich ist, die einer Betriebsstätte zuzurechnenden Gewinne durch Aufteilung der Gesamtgewinne des Unternehmens auf seine einzelnen Teile zu ermitteln, schließt Absatz 2 nicht aus, dass dieser Vertragsstaat die zu besteuernden Gewinne nach der üblichen Aufteilung ermittelt; die Gewinnaufteilung muss jedoch derart sein, dass das Ergebnis mit den Grundsätzen dieses Artikels übereinstimmt.“ Statt wie bisher Gewinnaufteilung, also Unitary Taxation, als Grundlage der Besteuerung für Betriebsstätten zu nutzen, wird das Fremdvergleichsprinzip in dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland implementiert, und das ist sehr viel anfälliger für schädliche Steuervermeidungsmethoden. Die Bundesregierung und die Große Koalition nehmen also deutschen Steuerbehörden aktiv ein Mittel, mit denen sie negative Steuergestaltungen verhindern könnten. Die Reden der Minister Schäuble und Gabriel für den Kampf gegen internationale Steuervermeidung sind damit reine Sonntagsreden und als Schönfärberei entlarvt. Die Bundesregierung muss sich an ihrem Handeln messen lassen, und hier versagt sie. Wir lehnen die geplante Änderung am Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland ab. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes (Tagesordnungspunkt 23) Alois Rainer (CDU/CSU): Mit der vorliegenden Gesetzesänderung zum Ersten Gesetz zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes gehen wir auf die Verordnungen 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 21. November 2012 ein. Im Einzelnen sind die Qualität und die Vielfalt der Erzeugung in der Landwirtschaft, der Fischerei und der Aquakulturen der Europäischen Union in ihrer jeweiligen Art und Stärke zu erhalten und der Wettbewerbsvorteil der Union weiter auszubauen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher insbesondere in Deutschland zum einen über die Qualität von Produkten informiert werden möchten und zum anderen zunehmend Qualitätserzeugnisse sowie traditionelle Erzeugnisse verlangen. Dadurch entsteht eine Nachfrage nach Agrarerzeugnissen oder Lebensmitteln mit bestimmbaren besonderen Merkmalen, insbesondere solchen, die eine Verbindung zu ihrem geografischen Ursprungs aufweisen. Erzeuger können nur dann weiterhin hochwertige Produkte und Qualitätserzeugnisse herstellen, wenn sie dafür entsprechend und angemessen entlohnt werden. Deshalb ist gerade mit Blick auf „Labellisierung“ im Markt wichtig, dass die Erzeugnisse auf dem Markt sachgemäß kenntlich gemacht werden. Käufer und Verbraucher sollten sich im Rahmen eines fairen Wettbewerbs über die Merkmale ihres Erzeugnisses informieren können. Ein wesentliches Ziel des Gesetzes ist, die Erzeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln dabei zu unterstützen, Käufer und Verbraucher über die Produkteigenschaften und Bewirtschaftungsmerkmale dieser Erzeugnisse und Lebensmittel zu unterrichten. So sind Schwäbische Spätzle, Nürnberger Lebkuchen, Allgäuer Emmentaler oder Thüringer Rostbratwurst nicht nur weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt, sie sind darüber hinaus auch besonders geschützt. Geografische Angaben und Ursprungsbezeichnungen sowie auch garantiert traditionelle Spezialitäten für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel können durch EU-Recht geschützt werden. Die EU-Gütezeichen „g.U.“ (geschützte Ursprungsbezeichnung), „g.g.A.“ (geschützte geografische Angabe) und „g.t.S.“ (garantiert traditionelle Spezialität) wurden von der EU im Jahre 1992 als System zum Schutz und zur Förderung traditioneller und regionaler Lebensmittelerzeugnisse eingeführt. Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes setzt die EU-rechtlichen Bestimmungen über Qualitätsregelungen in nationales Recht um. Speziell wird das Verfahren für das Gütezeichen „geschützte traditionelle Spezialität – g.t.S.“ entsprechend der EU-Vorgaben angepasst, wonach, wie gerade geschildert, für den Produktionsprozess entscheidend ist, dass dem traditionellen Rezept oder Herstellungsverfahren gefolgt wird. Damit ist es möglich, eine Sanktionierung bei Verstößen gegen den Schutzbereich der garantiert traditionellen Spezialität umzusetzen. Dies ist insbesondere auch dann gegeben, wenn ein Hersteller vor der erstmaligen Vermarktung das Produkt nicht auf die Einhaltung der Produktspezifikation hat überprüfen lassen. Weiter soll der neue Begriff „Bergerzeugnis“ eingeführt werden. Mit Verwendung dieser Qualitätsangabe dürfen nur Erzeugnisse verwendet werden, bei denen sowohl Rohstoffe als auch Futter für die Nutztiere überwiegend aus Berggebieten stammen. Und im Falle von Verarbeitungserzeugnissen muss auch die Verarbeitung in Berggebieten erfolgen. Carola Stauche (CDU/CSU): Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes. Dabei geht es darum, das bestehende nationale Recht an novelliertes EU-Recht anzupassen. Denn in der EU-Verordnung Nummer 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel wurde das Recht der traditionellen Spezialitäten neu geregelt und die bestehende Verordnung aus dem Jahre 2006 aufgehoben. Entsprechend wurden auch die Umsetzung und Durchführung auf EU-Ebene neu geregelt. Es handelt sich bei dieser Rechtsanpassung zu den garantiert traditionellen Spezialitäten jedoch nicht etwa um Schutzvorschriften für Allgäuer Emmentaler oder Thüringer Rostbratwurst. Diese sind nämlich über die Herkunftsangaben „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und „geschützte geografische Angabe“ abgesichert. Im vorliegenden Entwurf geht es hingegen vor allem um die „garantiert traditionellen Spezialitäten“. Dieses Qualitätssiegel ergibt sich aus der traditionellen Zusammensetzung bzw. dem traditionellem Herstellungsverfahren eines Produktes und ist nicht an eine bestimmte Region oder einen bestimmten Ort gebunden. Der heute diskutierte Gesetzentwurf befasst sich vor allem mit dem Antrags- und Einspruchsverfahren und dem Verbot der widerrechtlichen Nutzung eines geschützten Namens. In Deutschland haben wir jedoch bisher kein Produkt, das nach diesem EU-Standard geschützt ist, da bei uns ausschließlich die geografischen Herkunftsangaben genutzt werden. Wichtiger ist daher die Einführung des neuen Qualitätsbegriffs „Bergerzeugnis“. Hierin sind klare Regeln vorgesehen, wann ein Produkt als „Bergerzeugnis“ vermarktet werden kann. Die wesentliche Produktion muss in Berggebieten stattfinden: Berggebiete in diesem Sinne sind nach EU-Definition Gebiete, in denen aufgrund von Höhen- bzw. Hanglage und kurzer Vegetationszeit Landwirtschaft nur unter erschwerten Bedingungen praktiziert werden kann. In Deutschland gehören mehr als 400 000 Hektar Fläche zu den benachteiligten Berggebieten. Erzeugnisse tierischen Ursprungs können künftig als „Bergerzeugnis“ vermarktet werden, wenn die betreffenden Tiere mindestens in den letzten beiden Dritteln ihrer Lebenszeit in den genannten Berggebieten aufgezogen und die Erzeugnisse in Berggebieten verarbeitet werden. Spezielle Regelungen sind vorgesehen für Wandertiere und Futtermittel. Imkereierzeugnisse dürfen als Bergerzeugnis bezeichnet werden, wenn die Bienen Nektar und Pollen ausschließlich in Berggebieten gesammelt haben. Verfütterter Zucker muss nicht aus Berggebieten stammen. Gegenteiliges wäre auch nicht zu realisieren, da Zuckerproduktion in Berggebieten nicht vorhanden ist. „Bergerzeugnis“ und „garantiert traditionelle Spezialität“, „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und „geschützte geografische Spezialität“: All diese Gütesiegel haben den Sinn, gewachsene Traditionen in der Lebensmittelherstellung zu fördern, traditionelle Qualität zu schützen und Vermarktungsmöglichkeiten zu fördern. Ich bin der Meinung, dass hier ein bewährtes Konzept sinnvoll weiterentwickelt wird und unsere erfolgreiche und verdienstvolle Land- und Ernährungswirtschaft auch weiterhin nach Kräften unterstützt wird. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Der Qualitätsanspruch von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei frischen und verarbeiteten Lebensmitteln ist in den letzten Jahren merklich gestiegen. Immer mehr Menschen wollen wissen, woher die Produkte stammen, für die sie im Supermarkt ihr Geld ausgeben. Sie wollen wissen, wo sie erzeugt und wie sie hergestellt wurden. Das gilt für ausgewiesene Lebensmittelspezialitäten umso mehr. Das wachsende Informationsbedürfnis der Verbraucherinnen und Verbraucher hat dazu geführt, dass wir es heute im Verbraucheralltag mit einer Fülle von Labels und Auszeichnungen zu tun haben. Das Internetportal der Verbraucherinitiative „Label-Online“ hat in der Kategorie „Essen und Trinken“ inzwischen 160 verschiedene Kennzeichnungen gesammelt und bewertet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Labellandschaft nun eine weitere Produktkennzeichnung hinzugefügt: das Qualitätsmerkmal „Bergerzeugnis“. So hat es die EU in ihrer neuen Verordnung über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel vorgesehen. Mit dem Begriff „Bergerzeugnis“ dürfen damit künftig nur noch solche Lebensmittel beworben werden, die den in der Verordnung gesetzlich definierten Anforderungen entsprechen. Ich begrüße es außerordentlich, dass die Bergwirtschaft durch diese neue Regelung die Möglichkeit erhält, Verbraucherinnen und Verbraucher auf die besondere regionale Herkunft ihrer Erzeugnisse hinzuweisen. Bergbauern und Verarbeiter in Bergregionen stellen ihre Produkte oft unter beschwerlichen Bedingungen und zu vergleichsweise hohen Produktionskosten her. Mit der Einführung des neuen Qualitätsbegriffs können sie ihre Produkte nun gezielt bewerben und Vermarktungslücken besser nutzen. Als Verbraucherpolitikerin ist es mir bei neuen Kennzeichnungen aber immer auch wichtig, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern bewusst ist, welche Bedeutung sich hinter dem Begriff tatsächlich verbirgt. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, die zentralen Definitionskriterien hier wiederzugeben. Für Eier und Milch darf die Bezeichnung „Bergerzeugnis“ dann genutzt werden, wenn die Tiere, von denen sie stammen, in Berggebieten gehalten werden und ihr Futter überwiegend in den Bergen angebaut wurde – bei Legehennen zu mindestens 50 Prozent, bei Milchkühen zu mindestens 60 Prozent. Beim Fleisch müssen die Tiere die letzten zwei Drittel ihres Lebens in Berggebieten verbracht haben. Für Wanderherden gelten Ausnahmen. Der erlaubte Anteil des zugekauften Futters variiert dabei zwischen 40 Prozent bei Rindern und 75 Prozent bei Schweinen. Verarbeitete Erzeugnisse dürfen „Bergerzeugnisse“ heißen, sofern nicht mehr als 50 Prozent der Zutaten sowie Kräuter, Gewürze und Zucker außerhalb von Berggebieten stammen. Die Verarbeitung von Milch und Fleisch von Berggebieten kann auch in bis zu 30 Kilometer Umgebung der Berggebiete erfolgen. Es steht außer Frage, dass klar definierte Begrifflichkeiten und unabhängig geprüfte Label den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine wichtige Orientierungshilfe bieten. Gute Beispiele hierfür sind das EU-Biosiegel oder die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung. Wie wichtig geschützte Angaben zur Herkunft auch für die Landwirtschaft sind, zeigte sich nicht zuletzt in der aktuellen Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA mit den USA und Kanada. Wenn wir allein auf niedrige Preise setzen, um konkurrenzfähig zu bleiben, werden wir mit unseren landwirtschaftlichen Produkten im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können. Es ist die hohe Qualität, die Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit mit Produkten europäischer Herkunft verbinden, die die Position unserer Landwirtschaft auf dem Weltmarkt stark macht. Bereits 1992 hat die EU mit der Einführung der drei EU-Gütesiegel zur geschützten Ursprungsbezeichnung, zur geschützten geografischen Angabe und zur garantiert traditionellen Spezialität diesem Gedanken Rechnung getragen. Die Idee, die hinter diesen Gütesiegeln steht, ist so löblich wie die Idee, einen neuen Qualitätsbegriffs zu entwickeln: Die Erzeuger sollen bei der regionalen Vermarktung ihrer Produkte unterstützt werden. An dem Ergebnis könnten wir aber noch ein wenig arbeiten. Der Erfolg von Herkunftslabeln und Qualitätssiegeln muss sich in der Praxis daran messen lassen, ob die Erwartungen, die sie bei Verbraucherinnen und Verbrauchern erzeugen, der Realität standhalten. Aus Erzeugersicht sind die Glaubwürdigkeit und der Bekanntheitsgrad ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die EU-Gütezeichen sind indes nur einer kleinen Minderheit bekannt. Einer Studie der Georg-August-Universität Göttingen zufolge haben nur 15,7 Prozent der Befragten das Siegel zur geschützten geografischen Angabe – das meist genutzte unter den drei Siegeln – überhaupt schon einmal auf einem Lebensmittel bemerkt. Angaben zur Bedeutung des Zeichens konnten lediglich knapp 12 Prozent der Befragten machen. Das Gütezeichen zu traditionellen Spezialitäten besitzt in Deutschland scheinbar sogar so wenig Attraktivität, dass es hierzulande bislang für kein Produkt beantragt wurde. Auch hinsichtlich ihrer Aussagekraft zeigen die Gütesiegel Schwächen auf. Über die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher meint, dass für die Thüringer Rostbratwurst nur Fleisch verarbeitet werden darf, das aus Thüringen kommt. Ebenso unbefriedigend fällt das Ergebnis der Umfrage im Hinblick auf den Schwarzwälder Schinken aus. Hier glauben 56 Prozent der Menschen, dass das Fleisch für den Schinken von Tieren aus dem Schwarzwald kommen muss.  Die Zukunft wird zeigen, wie sich der nun zusätzlich zu den EU-Gütezeichen eingeführte Qualitätsbegriff „Bergerzeugnis“ in der Praxis bewährt und ob er von der Wirtschaft und den Verbraucherinnen und Verbrauchern angenommen wird. Karin Binder (DIE LINKE): Informationen über die Herkunft von Lebensmitteln sind für die Verbraucherinnen und Verbraucher von hoher Bedeutung. Kundinnen und Kunden sind gern bereit, 20 Prozent mehr für Produkte aus regionaler Erzeugung zu zahlen. Oder sie knüpfen bestimmte Erwartungen an Spezialitäten, die aus einer bestimmten Region kommen oder nach traditionellem Rezept hergestellt wurden. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen damit das regionale Handwerk, die Kleinbauern und die Lebensmittelvielfalt stärken und eben nicht den Einheitsbrei der Lebensmittel-Industrie. Leider kann das Lebensmittelspezialitätengesetz, das jetzt auf Grund einer entsprechenden EU-Verordnung geändert werden soll, diesem Anspruch nicht gerecht werden. Es trägt sogar zur Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Beispiel Schwarzwälder Schinken: Trotz der Angabe „geschützte geografische Angabe“ mit blauem Logo kommt der Schinken in der Regel nicht aus dem Schwarzwald. Nur jede zehnte der Schweinekeulen kommt überhaupt aus Baden-Württemberg. 90 Prozent des Fleisches werden möglichst billig auf dem Weltmarkt zusammengekauft. Das Produkt darf sich dennoch Schwarzwälder Schinken nennen, weil die globalen Schweinekeulen im Ländle geräuchert und verpackt werden. Dabei soll das Ziel des Gesetzes im Sinne der EU-Vorgaben sein, „fairen Wettbewerb für Landwirte und Erzeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln mit wertsteigernden Merkmalen und Eigenschaften“ sowie zuverlässige Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten. Ich sage: Wer Schweinekeulen global zusammenkauft, um sie im Schwarzwald zu räuchern, nützt weder den heimischen Landwirten noch einem fairen Wettbewerb und damit auch nicht den Verbrauchern. Das ist reine Profitmacherei. Immerhin gibt es das Logo der „geschützten Ursprungsbezeichnung“, das sich von dem oben genannten Logo lediglich in der Farbe unterscheidet. Ich frage mich, wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa diesen Unterschied kennen. Die geschützte Ursprungsbezeichnung mit dem roten Logo garantiert, dass die Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung eines Erzeugnisses in einem bestimmten geografischen Gebiet nach festgelegten Verfahren erfolgt und sämtliche Produktionsschritte in dem betreffenden Gebiet erfolgen müssen. Das trifft zum Beispiel auf den Allgäuer Emmentaler zu. Aber nicht auf einen Holsteiner Tilsiter Käse, dessen blaues Logo ahnen lässt, dass die Milch sonstwo herkommt, aber nicht von der norddeutschen Küste. Dann gibt es noch die „garantiert traditionelle Spezialität“, ein drittes Logo, auch dies in Blau, jedoch schlichter gestaltet. Hierbei wird lediglich ein traditionelles Rezept gekennzeichnet, beispielsweise für Mozzarella. Diese Beispiele zeigen die gesetzlich zulässige Verwirrung. Hinzu kommt die gezielte Werbung mit ähnlich klingenden, aber ungeschützten Begriffen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher an der Nase herumzuführen. Ich frage Sie: wer hat beim Einkaufen die Zeit und die Möglichkeit, sich in die Tiefen einer EU-Verordnung einzulesen, bevor er oder sie ins Käseregal greift? Neu hinzugekommen ist jetzt der Begriff „Bergerzeugnis“. So etwas kann sinnvoll sein; denn bestimmte Lebensmittel erhalten ihren typischen oder auch besonders intensiven Geschmack eben aus den Bergregionen. Doch auch bei diesen Fleisch- und Milchprodukten müssen Verbraucherinnen und Verbraucher Abstriche machen: Die meisten Tiere verbringen nur einen Teil ihres Lebens am Berg, und auch das Viehfutter stammt meist nur anteilig aus der Bergregion. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist diese Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes kaum ein Gewinn. Auch kleine Landwirtschaftsbetriebe oder das örtliche Lebensmittelhandwerk werden damit nicht wirklich gestärkt. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich bei der EU dafür einzusetzen, das irreführende blaue Logo der vermeintlich „geschützten geografischen Angabe“ abzuschaffen. Angaben wie „Regional“ müssen endlich gesetzlich geschützt werden, so wie es bei „Bio“ längst der Fall ist. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verbraucherinnen und Verbraucher vertrauen immer stärker auf frische Lebensmittel, die vor ihrer Haustür wachsen, entstehen und verarbeitet werden: Die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln steigt stetig. Davon können Betriebe bäuerlicher Landwirtschaft, lokale Verarbeiter, das Lebensmittelhandwerk und Versorger vor Ort profitieren. Gleichzeitig erhalten Wertschöpfungsketten vom Hof auf unsere Teller die Vielfalt traditioneller Produkte, aber auch Arbeitsplätze auf dem Land. Es ist unsere Aufgabe, hier die richtigen Weichen zu stellen, um diesen Trend zu stärken. Wenn wir im Supermarkt klar erkennen können, woher unser Essen kommt, können wir Politik mit dem Einkaufswagen machen. Denn wenn wir uns für Lebensmittel aus der Region entscheiden, bleibt unser Geld in der Region. Die europäische Verordnung über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel schlägt hier einen ganz richtigen Weg ein: Sie regelt den Herkunftsschutz und die Kennzeichnung traditioneller Spezialitäten in der EU. Falls Sie jetzt kein Siegel vor Augen haben, geht es Ihnen wie den meisten Menschen in Deutschland. Denn die Kennzeichnung „geschützte Ursprungsbezeichnung“, „geschützte geografische Angabe“ oder auch „garantiert traditionelle Spezialität“ werden hierzulande kaum verwendet. Nur elf Produkte, hauptsächlich Käse, Fleisch und Wein, sind in Deutschland geschützten Ursprungs. Kein einziges Lebensmittel trägt das Gütezeichen „garantiert traditionelle Spezialität“ – und um genau das geht es bei der heutigen Anpassung des Lebensmittelspezialitätengesetzes an EU-Recht. Wieso wird denn das europäische Gütezeichen „garantiert traditionelle Spezialität“ in Deutschland nicht verwendet? Zunächst einmal: Weil es niemand kennt. Den Erzeugern und Produzenten bringt es rein gar nichts, mit einem hierzulande unbekannten Siegel zu werben. Die Verbraucherinnen und Verbraucher übersehen es im Supermarkt schlicht und ergreifend. Aber auch wenn sie das runde gelb-blaue Siegel erkennen sollten: Die „geschützte traditionelle Spezialität“ hält nicht, was sie verspricht. Sie umfasst nämlich nur die Zusammensetzung des Produkts, also die Rezeptur, die Herstellungs- oder Verarbeitungsverfahren – nicht aber den Herkunftsort. So sind zum Beispiel die Pizza Napoletana oder der Serrano-Schinken geschützt, müssen aber nicht notwendigerweise aus Italien oder Spanien stammen. Um regionale Wertschöpfung zu stärken, ist aber eine konsequente und für die Verbraucherinnen und Verbraucher leicht verständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln Grundvoraussetzung. Diese Kennzeichnung muss sowohl die Herstellungsweise der Produkte umfassen, also beispielsweise traditionelle handwerkliche Verfahren oder Rezepturen, wie auch die Erzeugung, Produktion und sogar die Futtermittel. Das Lebensmittelspezialitätengesetz allein kann das nicht leisten. Hier muss die Bundesregierung endlich tätig werden: mit einer bundesweiten Regionalkennzeichnung, die verpflichtend kenntlich macht, was mit dem Werbeslogan „aus der Region“ gemeint ist. Nur so können wir nichtssagende Industriesiegel loswerden. Gleichzeitig brauchen wir bessere Förderung und Beratung, um den vielen Regionalinitiativen den Rücken zu stärken. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und im Rahmen eines Bundesprogrammes Regionalvermarktung müssen wir den Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe stärken. Nur so können wir die Vielfalt des traditionellen Essens vor Ort erhalten und kleineren landwirtschaftlichen Betrieben und dem Lebensmittelhandwerk eine Zukunft aufzeigen. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz-APAReG) (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Erstens. Die EUKommission hat im Jahr 2010 unter dem Eindruck der Finanzkrise und im Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierungsreform ein Grünbuch zur Aufarbeitung der Rolle der Abschlussprüfer in der Finanzmarktkrise erarbeitet. Auf diesem Grünbuch aufbauend hat sie eine Richtlinie und eine Verordnung vorgeschlagen, die am 16. April 2014 durch das Europäische Parlament und den Rat erlassen wurden. Zweitens. Ziel dieser Regelungsvorschläge ist eine Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfungen sowie eine Steigerung der Aussagekraft des Prüfungsergebnisses. Darüber hinaus soll der wesentlich von großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bediente Markt der Abschlussprüfungen bei Unternehmen von öffentlichem Interesse auch für „kleinere“ Abschlussprüfer geöffnet werden. Als CDU/CSUBundestagsfraktion begrüßen wir diese Ziele ausdrücklich. Sie stärken den Wettbewerb. Der Jahresabschluss ist die wichtigste Informationsquelle für ein Unternehmen. Die Dokumentation der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zum Bilanzstichtag ist Basis für Planungen und künftige Entscheidungen des Unternehmens und der Anteilseigner. Weiterhin wird das Ergebnis des Jahresabschlusses von Banken und anderen Gläubigern als Kriterium für eine Kreditvergabe herangezogen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Jahresabschluss ordnungsgemäß geprüft wird. Heute geht es um die Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der EUVorschriften. Dazu hat das Bundeswirtschaftsministerium das Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz, kurz das APAReG, vorgelegt. Drittens. Was sind die wichtigsten Inhalte dieses Gesetzes? Die einschneidendste Veränderung durch das APAReG betrifft wohl die Abschlussprüferaufsichtskommission, kurz APAK. Durch die Einrichtung der APAK im Jahr 2004 wurden Abschlussprüfer, die gesetzlich vorgeschriebene Abschlussprüfungen vornehmen, unter eine letztverantwortliche, berufsstandsunabhängige Aufsicht gestellt. Die Aufsicht soll die Qualität, Unabhängigkeit und Integrität des Prüferberufes stärken. Diese Ziele hat die APAK in den letzten zehn Jahren erreicht. Die APAK genießt international im Kreise der Aufsichtsbehörden über Abschlussprüfer einen sehr guten Ruf. Bei einem Gespräch in der letzten Woche haben mir Vertreter der kanadischen Wirtschaftsprüferaufsicht die gute Reputation der APAK bestätigt. Im Zuge der Reform der Aufsicht durch das APAReG soll die Leistungsfähigkeit der APAK erhalten bleiben. Aufgrund der EU-Vorschriften muss aber die Struktur der APAK geändert werden. Bisher handelt es sich bei der APAK um eine nicht rechtsfähige Personengemeinschaft eigener Art. Die EU-Vorschriften sehen im Bereich der Inspektionen eine berufsstandsunabhängige Behörde vor. Die APAK kann diese Aufgaben aufgrund ihrer Rechtsform daher zukünftig nicht mehr wahrnehmen. Sie wird durch das APAReG aufgelöst. Ihre Aufgaben werden auf die neu zu schaffende Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz APAS, übertragen. Als zweiter zentraler Punkt soll durch das APAReG die Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer in der Wirtschaftsprüferkammer, der WPK, soweit wie möglich erhalten bleiben. Das ist gut. Die berufsständische Selbstverwaltung entlastet den Staat und ist Ausprägung des Selbstverständnisses der Freien Berufe. Wir sehen die Selbstverwaltung als ein wichtiges Element einer freiheitlichen Ordnungspolitik an. Weiterhin soll die präventive Berufsaufsicht neu geordnet werden. Es werden Regelungen zur Abgrenzung und Abstimmung von Inspektionen und Qualitätskontrolle geschaffen. Darüber hinaus wird es bezogen auf die Ermittlungsergebnisse der Qualitätskontrolle zukünftig kein allgemeines Verwertungsverbot mehr für die Berufsaufsicht durch die WPK geben. Das APAReG enthält zudem neue bzw. strengere berufsrechtliche Regelungen, zum Beispiel betreffend das Qualitätssicherungssystem, die Unabhängigkeitsanforderungen und die Dokumentationspflichten. Außerdem werden durch das APAReG die Berufsaufsicht und das berufsgerichtliche Verfahren neu geregelt. Die Zuständigkeit der WPK und des BAFA für berufsaufsichtliche Maßnahmen wird auf schwere Berufspflichtverletzungen erstreckt. Die Rechtsschutzmöglichkeiten der Berufsangehörigen werden ausgeweitet. Des Weiteren wird das System der Teilnahmebescheinigung abgeschafft. Das entspricht den Forderungen vieler kleiner und mittlerer Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Nach dem Regierungsentwurf soll es durch ein Anzeige- und Registrierungsverfahren ersetzt werden. Darüber hinaus wird der Kontrollzyklus im Rahmen der Qualitätskontrolle allgemein und im Rahmen der Inspektionen für Prüferpraxen, die kleine und mittlere Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, auf sechs Jahre verlängert. Schließlich wird für die vereidigten Buchprüfer eine verkürzte Prüfung zum Wirtschaftsprüfer eingeführt. Viertens. Ich denke, dass es sich beim APAReG um eine solide Umsetzung der europäischen Vorgaben handelt. Doch nach der Maßgabe: „Es verlässt kein Gesetz den Bundestag, wie es hereinkommt“, werden wir uns im parlamentarischen Verfahren einige Punkte noch genauer anschauen. Beispielhaft seien folgende erwähnt: Erstens die Registrierungspflicht, die im Regierungsentwurf anstatt einer Teilnahmebescheinigung vorgesehen ist. Durch eine solche Registrierungspflicht wird möglicherweise erneut Bürokratie aufgebaut, die mit der Abschaffung der Teilnahmebescheinigung wegfallen sollte. Zweitens die Intensität der Qualitätskontrollprüfungen. Es ist für uns wichtig, dass sich diese am Umfang der Geschäftstätigkeit der Praxen orientiert. Es muss sichergestellt sein, dass kleine und mittlere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicht durch umfassende Qualitätskontrollprüfungen überfordert werden. Drittens die Aufsicht über die Qualitätskontrollprüfer durch die APAS. Eine solche Regelung ist in der Richtlinie nicht vorgesehen und kann zu mehr Bürokratie bei den Qualitätskontrollprüfern führen. Fünftens. Insgesamt soll durch das APAReG das Vertrauen in den wichtigen Berufsstand der Abschlussprüfer nach der Finanzkrise weiter gestärkt werden. Der Großteil der Wirtschaftsprüfer prüft sehr gewissenhaft, und das Amt genießt in Deutschland ein hohes Ansehen. Damit das so bleibt, möchte ich hier aber auch an den Berufsstand selbst appellieren: Bitte verlieren Sie sich nicht in internen Streitigkeiten. Diese können dem gesamten Berufsstand und damit auch Ihnen selbst schaden. Lassen Sie uns das APAReG gemeinsam so abschließen, dass es die EUZiele ausreichend berücksichtigt und den Berufsstand insgesamt stärkt. Wichtig für uns ist eine Eins-zu-Eins Umsetzung der Richtlinie, die Gewährleistung einer funktionierenden Selbstverwaltung des Berufsstandes und eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung der Regelungen. Dazu müssen die Stellschrauben im APAReG an einigen Stellen nochmals justiert werden. Matthias Ilgen (SPD): Infolge der EUAbschlussprüferreform aus dem Jahr 2014 muss bis Juni 2016 die geänderte Abschlussprüferrichtlinie ins deutsche Recht umgesetzt werden. Am 1. Juli 2015 hat die Bundesregierung dazu den Entwurf eines Abschlussprüferaufsichtsreformgesetzes – im Folgenden kurz APAReG – beschlossen. Dieses müssen wir nun im Bundestag debattieren. Der Entwurf sieht im Prinzip die „Eins zu eins“-Umsetzung der europäischen Vorgaben vor und zielt darauf ab, die Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer weitestgehend zu erhalten. Dennoch stehen erhebliche Umstrukturierungen bevor. Kernelement der Reform ist die Übertragung von Aufgaben der Abschlussprüferaufsichtskommission und der Wirtschaftsprüferkammer auf eine neue Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. So werden die derzeit national und international anerkannte Aufsichtstätigkeit der APAK sowie einzelne Aufgaben der Berufsaufsicht der WPK in eine eigenständige Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überführt. Zwar erfüllt die APAK bereits jetzt die EUAnforderungen an Qualifikation und Unabhängigkeit von Leitung und Mitarbeitern. Sie kann aber die Aufgaben aufgrund ihrer Rechtsform und Struktur zukünftig nicht mehr wahrnehmen. Die APAK ist ehrenamtlich tätig, hat keine Rechtspersönlichkeit und bedient sich zur Erfüllung ihrer derzeitigen Aufgaben der Mitarbeiter der WPK. Zukünftig ist dies aufgrund der EUVorgaben nicht mehr möglich; die berufsstandsunabhängige Aufsicht muss selbst operativ Aufgaben durch eigene Mitarbeiter wahrnehmen und Verwaltungsakte erlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Eingliederung der APAS als eigenständige Stelle in das BAFA können bestehende Verwaltungsstrukturen im Sinne der Wirtschaftlichkeit genutzt werden. Gleichzeitig werden durch die Eigenständigkeit der Stelle die EUAnforderungen an die Qualifikation und Letztverantwortung der Leitung erfüllt sowie die Sichtbarkeit und der Erhalt der „Marke“ APAK/APAS als national und international hoch anerkannte berufsstandsunabhängige Aufsicht gesichert. Die Kontinuität der bisherigen Aufsicht wird insbesondere durch eine weitestmögliche gesetzliche Übernahme des vorhandenen hochqualifizierten Personals gewährleistet. Ein zweiter wichtiger Bestandteil des APAReG ist der weitestmögliche Erhalt der beruflichen Selbstverwaltung. Die berufliche Selbstverwaltung hat sich bei den Wirtschafsprüfern – wie auch bei anderen Freien Berufen – als effektiv und bürokratiearm erwiesen und damit bewährt. Bereits in den europäischen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Selbstverwaltung des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer in die staatliche Aufsichtsaufgabe eingebunden werden kann. Soweit es europarechtlich zulässig ist, wird daher im Wege einer Mitgliedstaatenoption ein Teil der Aufgaben – unter der Letztverantwortung der APAS – auf die bestehende Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer in der WPK gesetzlich übertragen. Nicht zuletzt sieht der Gesetzentwurf – entsprechend den europäischen Vorgaben – in zahlreichen Punkten neue oder strengere berufsrechtliche Regelungen, etwa zum Qualitätssicherungs-System, zu den Unabhängigkeitsanforderungen an Abschlussprüfer und zu Dokumentationspflichten vor. Zu den Verschärfungen im Berufsrecht gehören die zwingend vorgegebene Sanktionierung von Berufsgesellschaften, die Veröffentlichung von Sanktionen und die Berücksichtigung von bei der Qualitätskontrolle festgestellten Berufspflichtverletzungen im Berufsaufsichts-verfahren. Zulässige Erleichterungen insbesondere im Rahmen der Qualitätskontrolle und für mittlere und kleinere Prüferpraxen werden zur Vermeidung übermäßiger bürokratischer Belastungen umgesetzt. Der Entwurf enthält darüber hinaus eine Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfung. Die Neuordnung des berufsaufsichtlichen Verfahrens soll einer einheitlichen und zügigen Sanktionierung von Berufspflichtverstößen und Ausweitung des gerichtlichen Rechtsschutzes dienen. Zusätzlich wird für die vereidigten Buchprüfer die Möglichkeit einer verkürzten Prüfung zum Wirtschaftsprüfer wieder eingeführt. Wie in jedem Gesetzgebungsverfahren haben auch beim APAReG die interessierten Kreise Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und diese in zahlreichen Gesprächen und einem regen Postverkehr gegenüber mir und meinen Berichterstatter-Kollegen genutzt. Leider kam es diesbezüglich wiederholt zu inhaltlich falschen und unsachlichen Beiträgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir nicht so hinnehmen. Genauso wie das BMWi verfolgen wir die andauernden und zum Teil äußerst unsachlichen und persönlich diffamierenden Auseinandersetzungen innerhalb des Berufstands der Wirtschaftsprüfer mit Sorge. Im Rahmen der Rechtsaufsicht über die WPK und die APAK habe ich – oft gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Matthias Heider – stets und umfangreich den Dialog mit allen Vertretern des Berufsstands gesucht, insbesondere auch mit Verbandsmitgliedern der mittelständischen Wirtschaftsprüfung. Dabei haben wir bei allen Beteiligten für sachorientierte Lösungen und eine konstruktive, zukunftsgerichtete Zusammenarbeit geworben. Wir erreichen mit diesem Gesetzentwurf, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Interesse der EUReform insbesondere auch für die APAS und die WPK zu stärken. Für mich steht fest: Eine Schwächung und Beschädigung der Abschlussprüferaufsicht hätte auch eine Schwächung der Finanzmarktaufsicht zur Folge und könnte die Finanzmarktstabilität und damit das Vertrauen der Unternehmen, Investoren und internationalen Finanzmärkte in das deutsche Aufsichtssystem gefährden – und damit letztendlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden. Hieran ist uns wirklich nicht gelegen. Klaus Ernst (DIE LINKE): Uns liegt heute das Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz, APAReG, zur ersten Lesung vor, mit dem europäische Verordnungen für Abschlussprüfer und Prüfer von Unternehmen von öffentlichem Interesse, PIE, umgesetzt werden sollen. Wir halten Reformen in diesem Bereich für überfällig. Wir wissen, dass es bei vielen Wirtschaftsprüfern in Deutschland brodelt und es in ihren berufsständischen Organisationen nicht zum Besten steht. Auch halten wir die Aufsichtsstrukturen in der heutigen Form für ungeeignet, die Rechtsaufsicht durch die zuständigen Behörden für vollkommen zahnlose Tiger. Sie werden den Aufgaben in keinster Weise gerecht. Seit Jahren kommt Kritik aus dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer selbst. Strukturell ist der Prüfermarkt hochgradig konzentriert: 90 Prozent der 160 Unternehmen aus DAX, MDAX, TecDAX und SDAX werden von den großen vier Gesellschaften betreut. Betreut heißt bis heute gleichzeitig beraten und geprüft! Das ist keine Frage der Kompetenz, auch die EU-Kommission drängt seit Jahren vergeblich auf eine strikte Trennung von Beratung und Prüfung sowie effektive Kontrolle und Aufsicht. Das APAReG jedoch stellt diese Kardinalfehler nicht ab. Stattdessen werden bestehende Überregulierungen im Berufsrecht beibehalten und selbständige Wirtschaftsprüfer und kleine, mittelständische Prüfgesellschaften behindert. Für sie werden die Qualifizierungsanforderungen und andere bürokratische Hürden sogar erhöht. Hier zeigt sich konkret, was die immer in Sonntagsreden betonte mittelstandsfreundliche Politik der CDU/CSU im Alltag heißt. Ähnlich trist sieht es bei der SPD aus: Sie versucht nicht einmal, die massiven Ungleichgewichte zwischen den Big 4 und dem Rest abzubauen und die vermachteten Märkte aufzubrechen. Die Große Koalition will sich ganz offensichtlich nicht mit PwC, KPMG, Deloitte und Ernst &Young anlegen. Warum auch? Deren Vertreter haben leichten Zugang in die Ministerien, schreiben indirekt an Gesetzen mit oder werden als Berater bestellt. Aber nicht nur in diesem Punkt versagt die Bundesregierung mit dem APAReG. Medienberichte über Lobbyarbeit und Kungelrunden, wie sie zuletzt das HANDELSBLATT im Zusammenhang von Luxleaks im Juni 2015 beschrieben hat, sind eine Sache. Eine andere Sache ist die massive Kritik aus dem Berufsstand selbst und die unzureichende Lösung des massiven Streits durch die ministerielle Rechtsaufsicht. Sie wird von vielen Wirtschaftsprüfern längst nicht mehr als unabhängig Kontrolle und möglicher Mediator wahrgenommen. Da hilft es überhaupt nicht weiter, die Problematik als die Angelegenheit einer kleinen Krawalltruppe frustrierter Wirtschaftsprüfer abzutun, die mit haltlosen Unterstellungen Stimmung machen will. Denn wie spätestens seit 2007 klar geworden sein sollte, sind trotz bester Prüfberichte und formal korrekter Bilanzprüfung reihenweise Banken, Versicherungen und Unternehmen über Nacht insolvent geworden. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mussten für dieses Versagen von Wirtschaftsprüfer tief in die Tasche greifen. Selbstverständlich trägt der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer nicht allein die Schuld an zurückliegenden Bilanzskandalen und der Krise 2007/08. Viele in Wirtschaft und Politik haben gleichermaßen versagt. Genau deshalb muss an vielen unterschiedlichen Stellen mit verschiedenen Instrumenten angesetzt werden. Nur so kann verhindert werden, dass dies noch einmal geschieht. Dafür aber müssen die richtigen Prioritäten gesetzt und Probleme schonungslos benannt werden. Hier liegt das Grundproblem des vorliegenden APAReG. Es sollen zwar die Qualität der Prüfungen und die Kontrolle verbessert werden. Aber wo liegen die Qualitäts- und Kontrollprobleme, und wer wird angesprochen? An allen großen Bilanzskandalen sind stets die großen Prüfungsgesellschaften mitbeteiligt gewesen. Falsche oder zu gute Testate pflastern den Weg bis in die Insolvenz! Aktuell wird die Kompetenzfrage auch im VW Skandal zu stellen sein. Denn auch hier gab es bis vor wenige Wochen nur beste Testate der bestellten Prüfgesellschaft, obwohl auch ihr die Risiken und der mögliche Betrug lange bekannt gewesen sein dürften. Am Ende werden viele Testate keinen Pfifferling wert sein, und die Zeche müssen die Beschäftigten, die Steuerzahler und Kommunen zahlen. Eine in der Breite schlechte Qualität der Wirtschaftsprüfung der klein- und mittelständischen privaten wie öffentlichen Unternehmen gibt es dagegen nicht! Ähnlich sieht es auch die EUKommission, deren Vorgaben im APAReG nicht wirklich umgesetzt werden. Man konzentriert sich lieber auf die rein formelle Qualität der Prüfung und formuliert eine Reform zugunsten der Big 4. Es ist für uns nicht schlüssig, warum sich künftig alle Abschlussprüfungen an den Anforderungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse, PIE, orientieren sollten. Der Aufwand für kleine und mittlere Praxen sowie die weitere Standardisierung der Prüfung sind unverhältnismäßig. Befördert wird damit der weitere Verdrängungswettbewerb zugunsten weniger Prüfungs- und Beratungsgesellschaften. Das wiederum erschwert die Qualitätssicherung und deren Kontrolle. Teure Zertifizierungen, hoher bürokratischer Aufwand und der starke Bezug auf abzuhakende Checklisten stehen einer vernünftigen unabhängigen Prüfung entgegen. Wir begrüßen die Integration der Abschlussprüferaufsichtskommission, APAK, in das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA. Die Beschränkung der Kontrolle des Bundes auf eine bloße Rechtsaufsicht allerdings widerspricht dem Demokratieprinzip. Zentral bleibt für uns, die bestehenden Interessenkonflikte transparent und offen darzulegen und abzustellen. Wir können die Kritik vieler Wirtschaftsprüfer verstehen, die uns in den letzten Wochen zum APAReG erreicht hat. Manches teilen wir ausdrücklich, insbesondere bei den berufsständischen Organisationen, den Kontroll­gremien und vor allem der ministeriellen Rechtsaufsicht. Die Bundesregierung aber schweigt zu diesen Problemen. Wir hoffen, dass in der kommenden Anhörung im Wirtschaftsausschuss zum APAReG einige Regeln zurückgenommen werden, sodass kleine und mittelständische Prüfgesellschaften gefördert werden und der Gesetzgeber endlich die wirklichen Probleme wahrnimmt und angeht. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn der Legislatur hat sich diese Koalition lautstark zu dem Ziel des Bürokratieabbaus insbesondere im Hinblick auf die Vorgaben der EU bekannt. Außerdem soll gerade die mittelständische Industrie gefördert und von Vorgaben entlastet werden. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Reform der Abschlussprüferaufsicht können diese beiden – sehr wichtigen – Ziele nur ansatzweise umgesetzt werden. Gerade kleine und mittlere Wirtschaftsprüferkanzleien müssen nach dem Entwurf der Bundesregierung mit deutlich mehr Vorgaben rechnen, als sie die EU verlangt. Von einer Eins-zu-Eins-Umsetzung ist der Koalitionsentwurf weit entfernt, obwohl exakt dies im Koalitionsvertrag geschrieben steht: „Wir wollen EUVorgaben ‚eins zu eins‘ umsetzen“, heißt es dort. Insbesondere die geplanten Änderungen an der Organisation der Kammer werfen die Frage auf, warum das Bundeswirtschaftsministerium derart in die Struktur der Kammer eingreift und dort die Machtverhältnisse deutlich in Richtung Präsident und Präsidium verschiebt. Der Kammerpräsident soll nach dem Regierungsentwurf Organstellung erhalten, und die Mitglieder des Präsidiums für den Beirat der Kammer sollen stimmberechtigt werden. Dadurch ändern sich dort die Mehrheitsverhältnisse der berufspolitischen Lager, und allein deswegen ist dieser Eingriff keine Kleinigkeit. Hier wird im Gesetzgebungsverfahren zu klären sein, ob diese Maßnahmen, die weit über die EU-Vorgaben hinausgehen, zu rechtfertigen sind. Damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt: Im Laufe des Gesetzgebungsprozesses zur Reform der Abschlussprüferaufsicht, aber auch zur Reform der Wirtschaftsprüferordnung, die parallel läuft, hat sich herausgestellt, dass die berufspolitischen Lager sehr zerstritten sind. Ein Streitpunkt war und ist noch immer die Vergütung der Mitglieder der Abschlussprüferaufsichtskommission. Bedingt durch eine hohe Intransparenz und Vorwürfe der Befangenheit stehen sich hier die Parteien mit deutlich unterschiedlichen Positionen gegenüber. Was an dieser Stelle die einzige Lösung sein kann, ist mehr Transparenz. Nach dem Regierungsentwurf ist für die neu einzurichtende Abschlussprüferaufsichtsstelle, APAS, für bestimmte Angestellte eine Entlohnung außerhalb des TVöD vorgesehen, um genug geeignetes Fachpersonal zu finden. Dies ist im Prinzip nicht anzugreifen, aber es muss sichergestellt sein, dass sich die Vergütungen im Rahmen halten, und dazu bedarf es einer angemessenen parlamentarischen Kontrolle. Dies gilt sowohl für das Gesamtbudget der APAS wie auch für die Vergütung der neuen Leitung der APAS. Budget und Gehaltsrahmen der Vorstände müssen für das Parlament, aber auch die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein und dürfen keinerlei Geheimhaltung unterliegen. Das Versteckspiel, das das Bundeswirtschaftsministerium aktuell in Bezug auf die Vergütung der Abschlussprüferaufsichtskommission gezeigt hat, ist kleinkariert und hat nur Vermutungen ins Kraut schießen lassen, dass die Vergütungen und Entschädigungen nicht angemessen sind. Wer etwas versteckt, darf sich über Kritik nicht beschweren. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, ist die Qualitätskontrolle der Wirtschaftsprüfung. Diese Qualitätskontrolle und daraus abgeleitet die Qualitätsprüfung für die Abschlussprüfung ist ein entscheidendes Ziel der Reform, gerade im Hinblick auf Wirtschaftsprüfungsleistungen, die angesichts teilweise dramatischen Managementversagens – zu erwähnen ist hier etwa die Insolvenz der Sächsischen Landesbank – sicher hinterfragt werden müssen. Für die Prüfungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse ist weiterhin die Abschlussprüferaufsicht zuständig. Hier stellt sich für mich die Frage: Wie kann wirksamer verhindert werden, dass es zu zweifelhaften Prüfergebnissen wie zur Zeit der Finanzkrise kommen kann? Damals wurden uneingeschränkte Testate ausgestellt trotz der Risiken, die in bestimmten Bankenbilanzen lauerten. Parallel dazu kann man sich auch fragen, ob bei der Überprüfung der VW-Bilanzen nicht schon eher auf das Risiko manipulierter oder zumindest überhöhter Abgaswerte hingewiesen hätte werden müssen. Schon 2014 gab es erste Hinweise und Ermittlungen seitens der USBehörden. Aber diese Fälle zeigen die Bedeutung einer funktionierenden Aufsicht, insbesondere über die Prüfgesellschaften von Unternehmen mit sogenanntem öffentlichem Interesse. Ob die geplanten Veränderungen bei der Qualitätsprüfung kleinerer Prüfgesellschaften sinnvoll sind, muss sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses noch klären. Die möglichen Sanktionen sollen ausgeweitet und die Kontrolle verschärft werden. Ob dies unter dem Gesichtspunkt des Bürokratieabbaus und der Verhältnismäßigkeit geboten ist, erscheint zumindest zweifelhaft. Zweifelhaft ist auch die Angliederung der Aufsicht an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. In der Vergangenheit hat dieses Amt keinerlei Erfahrung in der Berufsaufsicht sammeln können, und auch im Sinne der Transparenz erscheint die Schaffung einer eigenständigen Behörde sinnvoller. Das Anhängen an das BAFA scheint mehr die Flucht des Bundeswirtschaftsministeriums vor der Verantwortung zu sein und erschwert zudem eine wirksame parlamentarische Kontrolle. Durch erstens mehr Transparenz und zweitens der Stärkung der Kompetenzen des Parlaments und seiner Mitglieder wäre die neue Aufsicht durchaus ein Fortschritt. Dies ist bisher durch den Regierungsentwurf nicht ersichtlich. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist gefordert, im weiteren Verfahren die offenen Fragen zu klären. Auch und besonders vor der Maßgabe, dass es sich um einen gespaltenen Berufsstand mit einer hohen Markt- und Machtkonzentration handelt, wird meine Fraktion genau darauf achten, wie die Reform der Abschlussprüferaufsicht am Ende aussehen wird. 1)  Anlagen 2) Ergebnis Seite 12595 3)  Ergebnis Seite 12598 4)  Ergebnis Seite 12601 5)  Ergebnis Seite 12604 6)  Ergebnis Seite 12609 7)  Anlage 7 8)  Anlage 8 9)  Anlage 9 10)  Anlage 10 11)  Anlage 11 12)  Anlage 12 13)  Anlage 13 14)  Anlage 14 15)  Anlage 15 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 V Plenarprotokoll 18/130