Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 183. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Michael Schlecht und Gabriele Schmidt (Ühlingen) 17977 A Begrüßung des neuen Abgeordneten Karl-Heinz Wange 17977 B Wahl des Abgeordneten Sören Bartol als stellvertretendes Mitglied des Vermittlungsausschusses 17977 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 17977 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 23 und 35 17979 A Begrüßung des Präsidenten der Nationalversammlung der Islamischen Republik Pakistan, Herrn Sardar Ayaz Sadiq 17979 B Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 17979 C Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) 17983 C Thomas Oppermann (SPD) 17985 D Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17988 D Volker Kauder (CDU/CSU) 17991 A Niels Annen (SPD) 17993 C Florian Hahn (CDU/CSU) 17994 C Wolfgang Hellmich (SPD) 17996 A Henning Otte (CDU/CSU) 17996 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) 17997 D Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/8767 Nr. 3, 18/9097 17998 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Cornelia Möhring, Frank Tempel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (… StrÄndG) Drucksachen 18/7719, 18/9097 17998 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung Drucksachen 18/5384, 18/9097 17999 A Dr. Eva Högl (SPD) 17999 A Cornelia Möhring (DIE LINKE) 18000 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 18001 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18003 A Dr. Carola Reimann (SPD) 18004 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 18005 B Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) 18006 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18007 C Elke Ferner (SPD) 18008 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18009 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 18010 B Dr. Johannes Fechner (SPD) 18011 D Karin Maag (CDU/CSU) 18012 D Thomas Heilmann, Senator (Berlin) 18014 A Namentliche Abstimmungen 18015 B, 18015 C, 18015 C Ergebnisse 18015 D, 18018 D, 18021 D Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksache 18/9007 18025 B Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18025 C Bettina Hornhues (CDU/CSU) 18026 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) 18028 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 18028 D Maik Beermann (CDU/CSU) 18030 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 18032 B Ulrike Bahr (SPD) 18033 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18034 B Eckhard Pols (CDU/CSU) 18035 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 18035 C Sönke Rix (SPD) 18037 A Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Artikel 8 und 39 des Übereinkommens vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr Drucksache 18/8951 18038 B b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (Elektromagnetische-Verträglichkeit-Gesetz – EMVG) Drucksache 18/8960 18038 B c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/8961 18038 B d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksache 18/9034 18038 C e) Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten Drucksache 18/8888 18038 C f) Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerschlupflöcher schließen – Gewinnverlagerung durch Lizenzzahlungen einschränken Drucksache 18/9043 18038 D g) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neues Düngerecht endlich beschließen Drucksache 18/9044 18038 D Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beteiligung des Bundestages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) Drucksache 18/9038 18039 A b) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abstimmung über CETA erfordert Beteiligung von Bundestag und Bundesrat Drucksache 18/9030 18039 A Tagesordnungspunkt 39: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. November 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung Drucksachen 18/8830, 18/9068 18039 C b)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Drucksachen 18/8858, 18/9079 18039 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9082 18039 D c) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissenschaftlichen Sachverständigen im Rahmen der Evaluierung der Terrorismusbekämpfungsgesetze nach Artikel 5 des Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen Drucksache 18/9031 18040 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen jetzt angehen Drucksachen 18/8079, 18/8903 18040 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Herbert Behrens, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Stephan Kühn (Dresden) und weiterer Abgeordneter: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/8273, 18/8932 18040 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wilderei und illegalen Artenhandel stoppen Drucksachen 18/5046, 18/8942 18040 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen Wildtierhandel bekämpfen Drucksachen 18/8707, 18/8940 18040 D h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (Verordnung zu abschaltbaren Lasten – AbLaV) Drucksachen 18/8561, 18/8660 Nr. 2.2, 18/9081 18041 A i) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: Übersicht 8 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/9072 18041 B j)–t) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 342 und 343 zu Petitionen Drucksachen 18/8891, 18/8892, 18/8893, 18/8894, 18/8895, 18/8896, 18/8897, 18/8898, 18/8899, 18/8900, 18/8901 18041 B Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes Drucksachen 18/8514, 18/9067 18042 B b) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr Tierschutz ermöglichen Drucksache 18/9053 18042 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendienförderung und Studienfinanzierung stärken Drucksachen 18/4692, 18/9037 18042 D d)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 344, 345, 346, 347, 348, 349 und 350 zu Petitionen Drucksachen 18/9060, 18/9061, 18/9062, 18/9063, 18/9064, 18/9065, 18/9066 18043 A Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18043 B Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen Drucksachen 18/8556, 18/9036 (neu), 18/9080 18044 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen Drucksachen 18/7236, 18/7243, 18/9036 (neu), 18/9080 18044 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 18044 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) 18046 A Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 18047 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18048 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 18049 D Ulrike Bahr (SPD) 18051 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) 18052 C Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes Drucksachen 18/8578, 18/8958, 18/9074 18054 A Christian Schmidt, Bundesminister BMEL 18054 B Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 18055 C Willi Brase (SPD) 18056 D Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18058 A Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) 18059 B Petra Crone (SPD) 18060 A Marlene Mortler (CDU/CSU) 18060 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die NATO durch ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands ersetzen Drucksache 18/8656 18062 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Verlegung von Bundeswehr-Einheiten nach Litauen Drucksachen 18/8608, 18/8733 18062 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Christine Buchholz, Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der Türkei Drucksache 18/9028 18062 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 18062 C Henning Otte (CDU/CSU) 18063 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18065 B Niels Annen (SPD) 18066 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) 18068 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 18069 A Wilfried Lorenz (CDU/CSU) 18070 B Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates Drucksachen 18/4613, 18/9095 18072 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz-Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland Drucksachen 18/3256, 18/9077 18072 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 18072 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 18073 B Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 18074 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18076 A Dr. Johannes Fechner (SPD) 18077 A Kathrin Rösel (CDU/CSU) 18078 B Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten Drucksache 18/8245 18080 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18080 A Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 18081 C Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 18082 D Christian Flisek (SPD) 18083 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) 18085 B Marianne Schieder (SPD) 18086 B Tagesordnungspunkt 12: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksache 18/8615 18087 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksachen 18/8829, 18/8883, 18/9090 18087 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9091 18087 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern und Lohndumping bekämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Praxisnahe Förderung von Anfang an – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Integration ist gelebte Demokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt Drucksachen 18/6644, 18/7653, 18/7651, 18/9090 18087 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaffen Drucksachen 18/6198, 18/6345, 18/9101 18088 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt Drucksachen 18/6192, 18/7049, 18/9022 18088 A Aydan Özoğuz, Staatsministerin BK 18088 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 18089 B Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) 18090 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18091 C Josip Juratovic (SPD) 18092 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 18093 B Cemile Giousouf (CDU/CSU) 18093 D Katja Mast (SPD) 18095 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) 18096 A Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern Drucksache 18/8420 18098 A b) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen Drucksache 18/8889 18098 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 18098 B Xaver Jung (CDU/CSU) 18099 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18100 C Oliver Kaczmarek (SPD) 18101 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 18102 D Stefan Schwartze (SPD) 18104 A Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA Drucksachen 18/8878, 18/9035 18104 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9073 18104 D Rainer Arnold (SPD) 18105 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 18106 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 18107 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18108 A Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 18108 D Namentliche Abstimmung 18110 A Ergebnis 18115 D Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine transparente und geschlechtergerechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good Governance Drucksache 18/9042 18110 A Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18110 B Kerstin Radomski (CDU/CSU) 18111 A Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) 18112 B Ewald Schurer (SPD) 18113 B Alois Rainer (CDU/CSU) 18114 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich Drucksachen 18/8334, 18/9099 18118 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI 18118 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 18119 C Kirsten Lühmann (SPD) 18120 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18121 C Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren Drucksachen 18/7566, 18/9085 18122 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr Drucksachen 18/5406, 18/9098 18122 D c) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen Drucksache 18/9039 18123 A Heike Hänsel (DIE LINKE) 18123 A Annette Sawade (SPD) 18124 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18125 A Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte Drucksache 18/8841 18125 D Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen Drucksache 18/7904 18126 A Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben Drucksache 18/8831 18126 B Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W. Birkwald, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto Drucksache 18/9029 18126 C Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) Drucksachen 18/8332, 18/9023 18126 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften Drucksachen 18/8620, 18/9087 18127 A Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften Drucksache 18/8965 18127 B b) Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten Drucksache 18/6361 18127 B Tagesordnungspunkt 25: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern Drucksache 18/9032 18127 C b) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen Drucksache 18/9027 18127 C Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien Drucksache 18/9033 18127 D b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus konsequent bekämpfen Drucksache 18/9026 18128 A Tagesordnungspunkt 27: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG) Drucksachen 18/8487, 18/9088 18128 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9089 18128 B Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplantationsregisters Drucksachen 18/8209, 18/8557, 18/8660 Nr. 1.2, 18/9083 18128 C Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Drucksachen 18/8559, 18/9084 18128 D Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/8517, 18/9078 18129 B Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressourcenverschwendung stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten Drucksachen 18/7777, 18/7918 Nr. 1.2, 17/8965, 18/770 Nr. 27, 18/7047, 18/9094 18129 C Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Drucksachen 18/6985, 18/9092 18130 B Nächste Sitzung 18130 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 18131 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau (Drucksache 18/9086) (Tagesordnungspunkt 4) 18131 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Niema Movassat und Harald Petzold (Havelland) (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) 18131 D Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) 18132 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18132 C Mechthild Rawert (SPD) 18133 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18133 D Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Artikel 1 Nummer 9 des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung – in der Ausschussfassung, hier: die Einfügung des Paragrafen 184i Strafgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 5) 18134 C Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 343 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Tagesordnungspunkt 39 t) 18134 D Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 350 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Zusatztagesordnungspunkt 3 j) 18135 D Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Tagesordnungspunkt 18 a) 18137 A Rudolf Henke (CDU/CSU) 18137 A Mechthild Rawert (SPD) 18137 D Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke und Heike Hänsel (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen – über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen – über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen (Tagesordnungspunkt 18 a und b) 18139 B Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Martin Burkert (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Tagesordnungspunkt 22) 18140 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Tagesordnungspunkt 22) 18140 C Ulrich Lange (CDU/CSU) 18140 C Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr – des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) 18141 C Steffen Bilger (CDU/CSU) 18141 D Alexander Funk (CDU/CSU) 18142 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte (Tagesordnungspunkt 7) 18143 B Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) 18143 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 18144 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 18146 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18147 B Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 18148 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen (Tagesordnungspunkt 19) 18150 A Michael Donth (CDU/CSU) 18150 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) 18150 D Martin Burkert (SPD) 18151 C Sabine Leidig (DIE LINKE) 18152 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18153 B Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben (Tagesordnungspunkt 10) 18154 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 18154 C Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) 18155 A Detlev Pilger (SPD) 18156 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) 18156 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18158 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 18159 A Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W. Birkwald, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (Tagesordnungspunkt 21) 18159 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) 18159 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 18160 C Kerstin Griese (SPD) 18162 B Azize Tank (DIE LINKE) 18164 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18165 C Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) (Tagesordnungspunkt 16) 18166 A Ulrich Lange (CDU/CSU) 18166 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 18167 A Martin Dörmann (SPD) 18168 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 18169 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18170 A Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften (Zusatztagesordnungspunkt 5) 18170 C Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) 18170 C Gabriele Fograscher (SPD) 18172 B Jan Korte (DIE LINKE) 18173 B Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18174 A Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften – des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten (Tagesordnungspunkt 24 a und b) 18175 C Michael Hennrich (CDU/CSU) 18175 C Marlene Mortler (CDU/CSU) 18176 C Burkhard Blienert (SPD) 18177 B Hilde Mattheis (SPD) 18178 B Frank Tempel (DIE LINKE) 18179 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18179 D Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern – des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) 18181 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) 18181 D Karin Strenz (CDU/CSU) 18182 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 18183 C Katrin Kunert (DIE LINKE) 18184 B Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18185 A Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien – des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus konsequent bekämpfen (Tagesordnungspunkt 26 a und b) 18186 A Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 18186 B Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 18187 A Klaus Barthel (SPD) 18188 A Edelgard Bulmahn (SPD) 18188 D Heike Hänsel (DIE LINKE) 18189 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18190 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 27) 18191 B Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 18191 C Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU) 18192 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 18192 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 18193 D Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18194 D Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplantationsregisters (Tagesordnungspunkt 28) 18195 C Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 18195 C Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) 18196 C Sabine Dittmar (SPD) 18197 D Hilde Mattheis (SPD) 18198 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 18199 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18200 A Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 29) 18201 A Gero Storjohann (CDU/CSU) 18201 A Stefan Zierke (SPD) 18201 D Thomas Lutze (DIE LINKE) 18202 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18202 D Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 30) 18203 B Oswin Veith (CDU/CSU) 18203 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 18204 C Frank Tempel (DIE LINKE) 18205 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18206 C Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressourcenverschwendung stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten (Tagesordnungspunkt 31) 18207 A Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 18207 B Michael Thews (SPD) 18208 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 18209 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18209 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 18210 C Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 32) 18211 B Sebastian Steineke (CDU/CSU) 18211 B Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 18212 A Sonja Steffen (SPD) 18213 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 18213 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 18214 B 183. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung. Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kollegen Michael Schlecht zu seinem 65. Geburtstag gratulieren. (Beifall) Auch der Kollegin Gabriele Schmidt, die in der vergangenen Woche ihren 60. Geburtstag gefeiert hat, gratuliere ich. Beiden gelten natürlich unsere guten Wünsche für das neue Lebensjahr. (Beifall) Der Kollege Steffen Kampeter hat sein Bundestagsmandat niedergelegt. (Beifall des Abg. Niels Annen [SPD]) – Wer war das? (Heiterkeit) Für ihn ist der Kollege Karl-Heinz Wange nachgerückt. Er wird nun wirklich mit Beifall begrüßt. (Beifall) Herzlich willkommen, Herr Kollege Wange. Auf gute Zusammenarbeit! Wir müssen noch die Wahl eines Mitglieds des Ausschusses nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes, also des Vermittlungsausschusses, durchführen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Nachfolger für den Kollegen Rolf Mützenich den Kollegen Sören Bartol als stellvertretendes Mitglied dieses Gremiums zu berufen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Bartol als stellvertretendes Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt. Schließlich ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung von Bundestag und Bundesrat (siehe 182. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 38) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beteiligung des Bundestages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) Drucksache 18/9038 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abstimmung über CETA erfordert Beteiligung von Bundestag und Bundesrat Drucksache 18/9030 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 39) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/8514 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/9067 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr Tierschutz ermöglichen Drucksache 18/9053 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendienförderung und Studienfinanzierung stärken Drucksachen 18/4692, 18/9037 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 344 zu Petitionen Drucksache 18/9060 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 345 zu Petitionen Drucksache 18/9061 f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 346 zu Petitionen Drucksache 18/9062 g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 347 zu Petitionen Drucksache 18/9063 h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 348 zu Petitionen Drucksache 18/9064 i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 349 zu Petitionen Drucksache 18/9065 j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 350 zu Petitionen Drucksache 18/9066 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Buchholz, Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der Türkei Drucksache 18/9028 ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften Drucksache 18/8620 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/9087 ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jemen – Militärische Intervention stoppen – Neue Friedensverhandlungen beginnen Drucksachen 18/5380, 18/6145 ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes Drucksache 18/4624 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/9093 ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes Drucksache 18/9040 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Dr. Konstantin von Notz, Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste Drucksache 18/8163 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda ZP 10 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes Drucksache 18/9041 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 23 – hier geht es um eine Beschlussempfehlung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung bewachungsrechtlicher Vorschriften – und 35 – hier geht es um die Beschlussempfehlung zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften – sollen heute abgesetzt werden. Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 7 und 18 und die Tagesordnungspunkte 10 und 20 ihre Plätze und Debattenzeiten tauschen. Ebenfalls ihre Plätze tauschen sollen die Tagesordnungspunkte 16 und 22, allerdings unter Beibehaltung ihrer Debattenzeiten. Sind Sie mit diesen Veränderungen im Ablauf einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte schon jetzt, im Hinblick auf den Ablauf unserer Tagesordnung darauf zu achten, dass wir die vereinbarten Debattenzeiten auch konsequent einhalten. Ich bitte, den ansonsten natürlich außerordentlich sympathischen Ehrgeiz, die Debatte durch Zwischenfragen, Kurzinterventionen und andere fantasievolle Erweiterungsmöglichkeiten zu beleben, heute aus bekannten Gründen zu unterlassen. Bevor ich Tagesordnungspunkt 4 aufrufe, möchte ich auf der Ehrentribüne den Präsidenten der Nationalversammlung der Islamischen Republik Pakistan, Herrn Sardar Ayaz Sadiq, mit seiner Delegation begrüßen. (Beifall) Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, von denen Sie, lieber Herr Präsident Sadiq, einige bereits in den letzten Tagen persönlich in zahlreichen Gesprächen hier im Hause kennengelernt haben, begrüße ich Sie herzlich. Es ist uns eine große Freude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch in Deutschland zu haben. Der Bundestag misst der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern, nicht zuletzt auch zwischen unseren beiden Parlamenten, große Bedeutung zu. Wir wissen insbesondere Ihre persönliche Wertschätzung unseres Landes und der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern sehr zu würdigen. Alles Gute für Ihren Aufenthalt! Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit. (Beifall) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. – Auch dazu stelle ich Einvernehmen fest. Dann verfahren wir so. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Frau Bundeskanzlerin. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir Deutschen haben der europäischen Nachkriegsordnung ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu verdanken. Diese Ordnung gründete sich auf die Geltung des Völkerrechts, den Respekt der territorialen Integrität, die Achtung der Souveränität der Staaten und das Recht der freien Bündniswahl. Diese Prinzipien sind allen deutschen Regierungen stets zentrales Anliegen ihres Handelns gewesen. Sie finden ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Charta von Paris für ein neues Europa. In diesem Abschlussdokument des KSZE-Gipfels vom November 1990 bekennen sich die 35 Unterzeichnerstaaten einschließlich der damaligen Sowjetunion zum – ich zitiere – „Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“. Seitdem können auch die Völker Osteuropas an dem teilhaben, was für die Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Allianz von Beginn an zum konstitutiven Kanon des Bündnisses gehörte. Hierzu gehört ausdrücklich auch die Freiheit der Bündniswahl. Auf dieser Grundlage hatten sich im Jahr 1949 die ersten zwölf Staaten zusammengeschlossen, um einander Beistand zu versichern. Und mehr noch: Im Wunsch nach Frieden, Freiheit und Sicherheit verpflichteten sich diese Staaten, internationale Streitigkeiten friedlich beizulegen. Jeder der heute 28 Mitgliedstaaten konnte souverän und frei über seine Mitgliedschaft entscheiden und sich zu denselben Zielen und Werten unserer Gemeinschaft bekennen. Dies galt 1999 auch für die Aufnahme der Tschechischen Republik, Polens und Ungarns ebenso wie im Jahr 2004 für die Aufnahme Bulgariens, der drei baltischen Staaten, Rumäniens, der Slowakei und Sloweniens wie auch im Jahr 2009 für die jüngsten Aufnahmen, nämlich Albaniens und Kroatiens. Dieser Prozess der Einladung der Nordatlantischen Allianz an alle transatlantischen Partner, in freier Willensentscheidung Teil dieser Gemeinschaft zu werden, ist nicht beendet. Wir schlagen die Tür nicht zu. Ich freue mich deshalb, dass Montenegro bereits sehr bald dieser Gemeinschaft angehören wird. Meine Damen und Herren, wenn die Staats- und Regierungschefs der Allianz morgen in Warschau zusammenkommen, dann wird das in einer Phase sein, in der sich die Sicherheitslage in und um Europa signifikant verändert hat. Im Osten hat Russlands Agieren in der Ukraine-Krise unsere östlichen Alliierten zutiefst verstört. Wenn die Geltung des Rechts und die Unverletzlichkeit von Grenzen durch Worte und Taten infrage gestellt werden, dann geht natürlich Vertrauen verloren. Das hat gerade unsere Bündnispartner im Osten tief verunsichert. Sie bedürfen daher der eindeutigen Rückversicherung durch die Allianz. Aber auch südlich des Bündnisgebietes müssen wir eine dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage feststellen. Der Bürgerkrieg in Syrien, der Zerfall staatlicher Ordnung im Irak und in Libyen haben die Ausbreitung terroristischer Gruppierungen befördert. Hinzu kommt, dass kriminelle Schleuserbanden versuchen, aus dem Leid so vieler Flüchtlinge und Vertriebener Kapital zu schlagen. Das alles ist ein ganzes Bündel von Herausforderungen. Deshalb hat die Allianz bereits auf ihrem Gipfel in Wales im September 2014 erste Maßnahmen beschlossen, mit denen die Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit des Bündnisses gesteigert werden sollen. Die Summe dieser Maßnahmen – zusammengefasst unter der Überschrift „Readiness Action Plan“ – wird die Allianz schneller, reaktionsfähiger und einsatzbereiter machen, und zwar für Herausforderungen in jeder Richtung und jeder Art, das heißt in einem sogenannten 360-Grad-Ansatz. Insbesondere die neuen, sehr schnell in das gesamte Bündnisgebiet verlegbaren NATO-Eingreifkräfte, die sogenannte Very High Readiness Joint Task Force, und der Aufbau von Aufnahmestäben bei unseren östlichen NATO-Partnern sind Ausdruck unserer gelebten Bündnissolidarität. Sie sind nur zwei Beispiele dieses Maßnahmenpakets. Deutschland trägt zu diesen Maßnahmen substanziell bei. Ich bin unserem Außenminister und unserer Verteidigungsministerin wie auch der Bundeswehr für diesen Beitrag sehr dankbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Damit machen wir deutlich, dass für uns die Grundprinzipien der europäischen Sicherheitsarchitektur auch in der Zeit neuer Herausforderungen unverändert gelten. Die Bündnissolidarität aus Artikel 5 des NATO-Vertrages ist zentraler Pfeiler dieser Architektur. Diese Solidarität muss und wird auch in Zukunft sichtbar und glaubwürdig sein. Auf dem morgen beginnenden NATO-Gipfel in Warschau werden wir daher die ersten in Wales beschlossenen Anpassungsmaßnahmen des Bündnisses ergänzen. Es werden Elemente hinzukommen, mit denen die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses verstetigt und dauerhaft gesichert wird. Im Kern geht es darum, eine stärkere Präsenz der NATO in den baltischen Staaten und in Polen zu ermöglichen, also – wie es in der NATO-Sprache heißt – die sogenannte enhanced forward presence. Sie ist wichtig, weil wir im Bündnis festgestellt haben, dass es nicht allein ausreicht, Truppen schnell verlegen zu können, sondern dass es auch darum geht, bereits ausreichend vor Ort präsent zu sein. Deshalb sehen die Planungen eine multilateral zusammengesetzte Präsenz vor. Dabei wird für jedes der drei baltischen Länder und für Polen jeweils ein Alliierter die Führung übernehmen, um die Präsenz der NATO dort sicherzustellen. Dieser Ansatz schließt die Reaktion auf sogenannte hybride Bedrohungen ausdrücklich mit ein, also auch Szenarien ähnlich denen, die Russland in der Ukraine eingesetzt hat und bei denen die klassischen Grenzen zwischen Krieg und Frieden bewusst verwischt werden. Aus diesem Grund werden wir auf dem Gipfel auch Beschlüsse zur Cyberdimension fassen. Dazu werden wir uns politisch verpflichten, die nationalen Cyberabwehrfähigkeiten zu stärken und Cyber zusätzlich zu Land, Luft und See sowie Weltraum als weitere sogenannte operative Domäne zu definieren. Die Bundesverteidigungsministerin hat ja in der Organisationsstruktur der Bundeswehr bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Bei unserem Engagement leiten uns zwei zentrale Gedanken, zum einen Artikel 5 des NATO-Vertrags, in dem es heißt: Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird. Das Verständnis der Abschreckung soll von einem solchen Angriff abhalten, es soll eine bewusste Auseinandersetzung vermeiden helfen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das ist ein zutiefst defensives Konzept. (Lachen bei der LINKEN) Zum anderen orientieren wir uns an der NATO-Russland-Grundakte, in der wir uns 1997 zusammen mit Russland auf die Grundlagen unserer Zusammenarbeit verständigt haben. Damals haben wir nicht nur unsere Unterstützung für die Charta von Paris ausdrücklich erneuert, sondern uns auch zu der Absicht bekannt – ich zitiere – ... auf der Grundlage gemeinsamen Interesses, der Gegenseitigkeit und der Transparenz eine starke, stabile und dauerhafte Partnerschaft zu entwickeln. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hebt die Sanktionen auf!) Das ist Teil der NATO-Russland-Grundakte. Wir werden weiter dafür werben, die NATO-Russland-Grundakte als Basis für das Verhältnis der NATO zu Russland zu erhalten. Denn auch wenn Russland die Bestimmungen dieses Dokuments durch sein Vorgehen gegen die Ukraine verletzt, so sind in diesem Dokument doch unsere Werte und Prinzipien verankert, an denen wir unser Handeln weiter ausrichten werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das heißt also: Abschreckung und Dialog, das klare Bekenntnis zur Solidarität mit unseren Bündnispartnern gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages und die ausgestreckte Hand zum Dialog sind keine Gegensätze. Nein, das gehört untrennbar zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Darüber herrscht bei unseren Partnern im Bündnis auch Einvernehmen. Wir sind uns außerdem einig, dass dauerhafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen ist. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch!) Zentraler Ort für den Dialog der NATO mit Russland ist und bleibt der NATO-Russland-Rat. Er wurde 2002 ins Leben gerufen. Zuvor hatten die NATO und Russland im Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat zusammengearbeitet, der auf der Grundlage der 1997 unterzeichneten NATO-Russland-Grundakte gegründet worden war. Im NATO-Russland-Rat sollen die NATO und Russland zusammenkommen, um sich über gemeinsame Schritte zur Terrorbekämpfung oder zur Bedrohungsanalyse durch ballistische Raketen zu besprechen. Es ist wichtig, dass dieses Gremium genutzt wird. Ich begrüße es sehr, dass dieser Rat kürzlich wieder zu einer Sitzung zusammenkommen konnte, und möchte dem Bundesaußenminister danken, dass er sich dafür sehr stark eingesetzt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es wäre sinnvoll und gut gewesen, wenn Russland das Angebot der NATO zu einer weiteren Sitzung vor dem morgen beginnenden Gipfel angenommen hätte, weil das die Möglichkeit gegeben hätte, die abzusehenden Entscheidungen der Allianz zu erörtern und möglichen Missinterpretationen entgegenzuwirken. Eine solche Sitzung vor dem Gipfel wollte Russland jedoch nicht. Nun kann der NATO-Russland-Rat nach dem Gipfel zusammenkommen. Wir jedenfalls haben großes Interesse daran, weil wir ganz grundsätzlich an einem konstruktiven Verhältnis zwischen der NATO und Russland interessiert sind und weiter nachdrücklich hierfür werben werden. Entscheidend für die weitere Zusammenarbeit mit Russland wird natürlich auch die Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk sein. Zurzeit finden intensive Beratungen dazu statt, einschließlich der Vorbereitung der Kommunalwahlen in Donezk und Luhansk. Leider müssen wir jedoch festhalten, dass es bis heute keine belastbare Waffenruhe gibt. Deshalb haben die Bemühungen der OSZE hier absolute Priorität. Beim NATO-Gipfel wird es im Übrigen auch Treffen der NATO-Georgien-Kommission und der NATO-Ukraine-Kommission geben, letztere zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko. Von großer Bedeutung wäre es natürlich auch, wenn der NATO-Russland-Dialog zu einem ehrlichen erneuten Bemühen zwischen den Nuklearmächten USA und Russland führte, ihre Nuklearwaffen weiter zu reduzieren. Präsident Obama hat Russland bei seiner Rede hier in Berlin, am Brandenburger Tor, im Juni 2013 mutige und weitreichende Vorschläge unterbreitet. Es wäre sehr wichtig, wenn dieses Angebot aufgegriffen würde. Damit könnte auch hier der Weg zu echten Fortschritten geöffnet werden: zu einer Welt ohne Nuklearwaffen. Das wäre ein wichtiger Schritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Eine weitere große strategische Herausforderung für uns alle in Europa und damit auch für die NATO sind natürlich auch die Auswirkungen, die mit dem syrischen Bürgerkrieg, dem Staatenzerfall im Irak und in Libyen und der Ausbreitung der Terrormiliz IS verbunden sind. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Unsere Welt heute ist eine Welt in Unruhe. Der fanatische, islamistische Terrorismus des IS bedroht auch uns in Europa. Vor allem aber bringt er unendliches Leid über die Menschen in der Region. Die jüngsten verheerenden Anschläge in Bagdad und auch der Anschlag in Dhaka zeigen einmal mehr, welche Menschenverachtung diesem Terrorismus innewohnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Terrorakte in Brüssel, in Paris und wiederholt in Istanbul mahnen uns, die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ebenso entschieden wie klug zu führen. Leider weiß auch unser heutiger Gast auf der Ehrentribüne, der pakistanische Parlamentspräsident, was Terrorismus für Schrecknisse anrichten kann. Das heißt ganz konkret: Es ist eine gewaltige Aufgabe, zu Frieden, Stabilität und Prosperität in den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas und Subsahara-Afrikas beizutragen. Es ist eine Aufgabe, zu der auch die NATO ihren Beitrag leisten kann. Aber es ist keine Aufgabe, die von der NATO allein oder die nur mit militärischen Mitteln zu lösen ist. Der Einsatz der NATO kann immer nur ein Baustein sein. Genau deshalb setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Ursachen von Flucht, Vertreibung, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit wirksam zu bekämpfen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und was sind die Ursachen?) So unterstützen und stabilisieren wir die Regierung im Irak. Wir fördern die Verhandlungen des UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, und des UN-Sondergesandten für Libyen, Martin Kobler. Wir leiten die Arbeitsgruppe, die mit der Stabilisierung in der Anti-IS-Allianz befasst ist, gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Darüber hinaus legen wir nicht zuletzt angesichts des enormen Ausmaßes der Flüchtlingstragödie einen Schwerpunkt auf die humanitäre Dimension: bei der Londoner Syrien-Konferenz Anfang Februar als größter Einzelgeber wie auch beim World Humanitarian Summit Ende Mai in Istanbul, bei dem wir uns dafür eingesetzt haben, das humanitäre System neu zu gestalten. Am 20. September werden wir uns in New York auf einem von US-Präsident Obama ausgerichteten Flüchtlingsgipfel erneut dafür einsetzen, die Lage der Flüchtlinge weltweit zu verbessern. Deutschland hat für dieses Treffen die Kogastgeberrolle übernommen. Die NATO ihrerseits kann einen konkreten Beitrag leisten, indem sie zum Beispiel in der Ägäis hilft, das illegale und menschenverachtende Schleuserwesen einzudämmen. Zusätzlich zum EU-Türkei-Abkommen trägt dieser Einsatz wesentlich dazu bei, dass heute kaum noch Menschen die lebensgefährliche Fahrt über die Ägäis wagen, ihr Leben riskieren und es viel zu oft auch verlieren. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich sehr früh dafür eingesetzt, dass die Allianz sich auch auf Herausforderungen wie diese einstellt, um zu helfen, die Krisen in unserer südlichen Nachbarschaft zu überwinden. Wir haben ihn hierbei ausdrücklich unterstützt, weil die Allianz über sehr spezifische Fähigkeiten verfügt, die sie genau dafür einsetzen kann. Auch hierzu werden wir in Warschau weitere wichtige Entscheidungen treffen: Erstens. Wir werden uns auf Trainings- und Ausbildungsmaßnahmen der NATO für den Irak verständigen. Dies geht auf eine ausdrückliche Bitte des irakischen Premierministers al-Abadi zurück. Bereits seit einiger Zeit bildet die Allianz in Jordanien irakische Sicherheitskräfte aus, vor allem im Bereich der Kampfmittelräumung. Seit 2014 unterstützt Deutschland bilateral und im Rahmen der Anti-IS-Allianz die Peschmerga im Nordirak mit Waffen und Ausbildung. Ihre Erfolge gegen den IS geben uns in diesem Bemühen auch recht. Die Ausbildungsmaßnahmen der NATO sollen künftig auch im Irak durchgeführt werden, weil irakische Sicherheitskräfte, die gerade auch bei der Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete wichtige Erfolge erzielen, eine Ausbildung und Beratung näher im Lande brauchen. Zweitens. Die Staats- und Regierungschefs werden in Warschau ihre grundsätzliche Bereitschaft erklären, die Anti-IS-Koalition durch NATO-AWACS zu unterstützen. Durch NATO-AWACS können wir den Einsatz unserer Aufklärungstornados im türkischen Incirlik sinnvoll ergänzen. Während die Tornados die Stellungen und Positionen des IS aufklären, könnten die AWACS sicherstellen, dass der Luftraum ordentlich koordiniert und überwacht ist. Gerade mit Blick auf unsere Tornados liegt der Einsatz der AWACS deshalb auch in unserem eigenen Interesse; denn durch die AWACS-Luftraumaufklärung verfügten dann auch unsere Piloten über ein besseres Luftlagebild und damit über ein Mehr an Sicherheit. Sobald die Details der Einsatzplanung seitens der NATO vorliegen, wird die Bundesregierung den Bundestag hierzu wie geboten natürlich befassen. Drittens. Wir werden beim Gipfel die seit 2001 bestehende und auf Artikel 5 des NATO-Vertrages beruhende Operation Active Endeavour im Mittelmeer in eine maritime Sicherheitsoperation überführen und so vom Artikel 5 des NATO-Vertrages entkoppeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das ist wichtig, weil damit ein umfassender Einsatz zur Sicherung des Mittelmeers möglich sein wird. Dabei wird es darum gehen, ein maritimes Lagebild zu erstellen, Staaten beim Kapazitätsaufbau zu unterstützen und den Terrorismus zu bekämpfen. Ein strukturelles Element dieser Arbeiten ist immer wieder auch die Kooperation zwischen der NATO und der Europäischen Union, die übrigens bereits sehr gut bei den Aktivitäten in der Ägäis, zum Beispiel zusammen mit Frontex, stattfindet. Diese Kooperation ist uns als Bundesregierung grundsätzlich sehr wichtig. Meine Damen und Herren, bei all diesen vielfältigen Bedrohungen aus dem Süden dürfen wir nicht die Proliferation ballistischer Waffensysteme übersehen. Ein Beispiel: In eindeutigem Widerspruch zu den einschlägigen Bestimmungen des UNO-Sicherheitsrates entwickelt der Iran sein Raketenprogramm unvermindert weiter. Es ist leider keineswegs so, dass dieses Raketenprogramm durch das historische Wiener Abkommen zur Kontrolle des iranischen Nuklearprogramms beendet worden wäre. Die Staats- und Regierungschefs werden in Warschau daher auch die sogenannte Erstbefähigung der NATO-Raketenabwehr erklären, also einen weiteren wichtigen Schritt gehen, mit dem die Menschen im Bündnisgebiet noch besser geschützt werden sollen. Für uns ist äußerst wichtig – ich betone das deshalb hier auch ganz ausdrücklich –: Diese NATO-Raketenabwehr ist rein defensiv ausgerichtet. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja!) Sie ist nicht gegen Russland gerichtet. Sie beeinflusst auch nicht die strategische Balance zwischen der NATO und Russland. (Zurufe von der LINKEN) Die Bundesregierung wie auch das Bündnis haben nicht die Absicht, dies zu ändern. Unsere Hand zu Transparenz und Dialog auch über diese Maßnahmen des Bündnisses ist und bleibt ausgestreckt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, beim Gipfel in Warschau werden wir darüber hinaus auch die bestehenden Einsätze bewerten und natürlich zukünftige Aufgaben benennen. Seit 2003 ist die NATO in Afghanistan engagiert, zunächst im Rahmen von ISAF (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) und seit 2015 im Rahmen der Beratungsmission Resolute Support, an der sich derzeit 39 Nationen beteiligen. Zum einen werden wir beim Gipfel die Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte bis 2020 festschreiben können. (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Das ist außerordentlich wichtig, um die afghanischen Streitkräfte weiter zu befähigen, Sicherheitsverantwortung zu übernehmen. Zum anderen wird die Allianz ihren Willen bekräftigen, die Mission Resolute Support auch über 2016 hinaus fortzusetzen. Der amerikanische Präsident hat gestern dazu eine wichtige Erklärung abgegeben, nämlich dass auch die amerikanischen Streitkräfte mit einem Kontingent von 8 400 Soldaten weiter beteiligt sein werden. Das ist für uns von großer Wichtigkeit. Wir wollen weiter in Afghanistan engagiert bleiben, um die Menschen dort zu beschützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der LINKEN) Die Nordatlantische Allianz wird in Warschau zudem das Ziel bekräftigen, dass die Bündnispartner 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsaufgaben vorhalten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: 60 Milliarden bei uns! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Katastrophe!) Deutschland unterstützt dies schon seit vielen Jahren – ich will darauf noch einmal hinweisen, weil es ja auch aktuell wieder Diskussionen dazu gab –; das ist nicht auf diese Bundesregierung beschränkt. Deshalb haben wir im neuen Finanzplan, den das Bundeskabinett gestern beschlossen hat, eine signifikante Erhöhung von 37,1 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf rund 39 Milliarden Euro im Jahr 2017 vorgesehen. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Dieser Finanzplan sieht darüber hinaus eine weitere Steigerung des Verteidigungshaushaltes vor; denn 2018 bis 2020 haben wir insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Euro zusätzlich eingeplant. Damit ist der Ansatz zur Trendumkehr bei den Verteidigungsausgaben deutlich erkennbar, wenngleich natürlich bis zur Erreichung des 2-Prozent-Ziels noch viel zu tun bleibt. Die ganze Aufstellung der Bundeswehr spiegelt inzwischen die internationale Verantwortung Deutschlands wider. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Deutschland stellt sich gemeinsam mit seinen Partnern und Verbündeten dieser Verantwortung und den immer neuen Aufgaben, und zwar stets in dem Bewusstsein, dass militärische Mittel allein keine nachhaltigen Lösungen ermöglichen können. Immer geht es um bündnispolitische Schritte und kluge Diplomatie zugleich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Genau deshalb engagiert sich die Bundesregierung neben den Einsätzen in NATO und EU auch beim OSZE-Vorsitz in diesem Jahr, in den Nuklearverhandlungen mit dem Iran, im Normandie-Format zur Ukraine oder in der Gruppe um den UNO-Sondergesandten de Mistura. Die Nordatlantische Allianz gemeinsam mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – sie sind der Bezugsrahmen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die NATO schlägt dabei die Brücke über den Atlantik. Sie ist transatlantische Wertegemeinschaft von Europäern und Nordamerikanern. Lassen Sie mich, wenige Tage nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika den 240. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit begangen haben, anfügen: Wir danken Amerika, dass es in vielen der Einsätze die Hauptlast bei der Bewältigung der Herausforderungen trägt – sei es in Afghanistan, sei es in Syrien –, in der NATO und weit darüber hinaus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, die NATO vereint uns solidarisch in einem Bündnis mit Nachbarn, Partnern und einstigen Kriegsgegnern. Die Beschlüsse von Warschau sollen dazu dienen, die weiteren großen Herausforderungen zum Wohle der Menschen zu meistern. Lassen Sie mich abschließend ein herzliches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten richten, die in vielen dieser Einsätze ihren Dienst tun und damit unsere Sicherheit gewährleisten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt Phasen, in denen die politischen Uhren rückwärts zu gehen scheinen, unerbittlich zurück in eine Zeit, die sich eigentlich niemand zurückwünschen kann. Wer die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt, der wird das beklemmende Gefühl nicht los, dass wir heute in genau so einer Phase leben, und ich möchte mir nicht ausmalen, wie das enden kann. 75 Jahre nach Beginn des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion finden in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze wieder martialische Kriegsübungen unter deutscher Beteiligung statt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: An der Grenze zum Baltikum auch!) Die US-Atomwaffen in Deutschland werden modernisiert – nicht abgebaut, Frau Merkel: modernisiert – und Raketenbasen in ganz Europa aufgebaut. Angeblich geht es immer nur um Abschreckung, darum, Putin davon abzuhalten, ins Baltikum einzumarschieren. Es würde mich wirklich interessieren, ob diejenigen, die uns diesen Schwachsinn erzählen, auch nur eine Sekunde selber daran glauben. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Warum macht er denn dann ein großes Manöver?) Wer hat denn seine Grenzen in den letzten zwei Jahrzehnten immer weiter nach vorne geschoben? (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Russland!) Russland in Richtung NATO, oder war es nicht eher umgekehrt? (Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Russland über die Ukraine! So wird ein Schuh draus!) Die USA haben 5 Milliarden Dollar in einen Regime-Change in der Ukraine investiert. Das Ergebnis ist ein zerrissenes Land mit marodierenden faschistischen Banden und, ja, die russische Annexion der Krim, die immer als Beweis für die Aggressivität der russischen Außenpolitik herhalten muss. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Für die Friedfertigkeit bestimmt nicht!) Auch die neue Aufrüstungsspirale dient angeblich immer nur dazu, den russischen Bären im Zaum zu halten. Eine dümmere Begründung kann man sich wirklich nicht ausdenken. (Beifall bei der LINKEN) Aktuell liegen die Militärausgaben der NATO beim etwa 13-Fachen der russischen. Und jetzt brauchen wir noch mehr Aufrüstung, um die Sicherheit in Europa zu gewährleisten? Was ist denn das für ein Irrsinn! (Beifall bei der LINKEN) Trotzdem gehörten Sie, Frau Bundeskanzlerin, wieder einmal zu den ersten, die die Umsetzung des 2-Prozent-Ziels angekündigt haben. 2 Prozent, das bedeutet 25 Milliarden Euro jedes Jahr mehr für Mordwaffen, für Panzer und für Kriegsgerät, aber für gute Renten fehlt uns angeblich das Geld, und für bessere Bildung erst recht. Was sind denn das für absurde politische Prioritäten, die Sie hier setzen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. (Beifall bei der LINKEN) Der große Außenpolitiker George F. Kennan hat die NATO-Osterweiterung schon Ende der 90er als den verhängnisvollsten Fehler der US-Politik seit der Ära des Kalten Krieges bezeichnet, eben weil die Einkreisung Russlands den Weltfrieden nicht sichert, sondern gefährdet. Und trotzdem wird sie immer weiter vorangetrieben, auch mit Ihrer Unterstützung, Frau Merkel. Wir finden das unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben auf Artikel 5 des NATO-Vertrages hingewiesen. Leider haben Sie Artikel 1 nicht erwähnt, der die NATO-Mitglieder verpflichtet, sich jeglicher Drohung oder Gewaltanwendung zu enthalten. Ich glaube, es liegt auf der Hand, dass die NATO und allen voran die USA mit ihren völkerrechtswidrigen Kriegen und ihren Drohnenmorden ihren eigenen Vertrag tagtäglich mit Füßen treten. Dazu hätte ich von Ihnen auch ein Wort erwartet. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es lebe die völkerrechtliche Verlässlichkeit der Russinnen und Russen!) Ich muss schon sagen: Über die Destabilisierung des Nahen Ostens zu reden, wie Sie es eben getan haben, aber die Hauptverantwortung von NATO-Staaten und den Irakkrieg noch nicht einmal zu erwähnen, das zeugt nun wirklich von bemerkenswerter Einäugigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Die Manöver in Osteuropa, die Hochrüstung, die Raketenbasen, die Truppenstationierung: Was kann Moskau darin denn anderes sehen als Kriegsvorbereitung? Auf jeden Fall werden so die Wahrscheinlichkeit und die Möglichkeit einer militärischen Eskalation mit der Atommacht Russland beträchtlich erhöht. Der Ernstfall, für den Sie in Osteuropa so lässig proben und von dem neuerdings in Militärkreisen wieder geredet wird, als wäre er ein kalkulierbares Ereignis – Frau Merkel, ich finde es ja interessant, dass Sie sich mit Herrn Hofreiter unterhalten; aber ich würde es doch gut finden, wenn Sie meiner Rede wenigstens etwas Gehör verleihen würden. (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Vielleicht sollten Sie ihr einmal zuhören! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das liegt natürlich auch ein bisschen an Ihrer Rede! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Wir wollen lieber den Bartsch hören!) Nach einem solchen Ernstfall, für den Sie in Osteuropa so lässig proben und von dem neuerdings in Militärkreisen wieder geredet wird, als wäre er ein kalkulierbares Ereignis, würde es Europa mit seinen über 700 Millionen Einwohnern vielleicht nicht mehr geben. Das Urteil Willy Brandts, dass ein Krieg mit Russland nicht die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio ist, das gilt doch heute nicht weniger als in den 70er-Jahren. Deshalb ist es dringend an der Zeit für eine eigenständige europäische Außenpolitik in der Tradition der Entspannungspolitik und natürlich auch für die Ersetzung der US-dominierten NATO durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands. (Beifall bei der LINKEN) Schon Helmut Schmidt war der Meinung, dass heute mehr Gefahr von den USA als von Russland ausgeht. Das dürfte nach den nächsten US-Präsidentschaftswahlen, wenn im Weißen Haus entweder ein Halbverrückter oder eine Marionette der US-Rüstungslobby regiert, nicht viel anders werden. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Oje, jetzt wird es vom Niveau her langsam unerträglich!) Aber das Verhältnis zu Russland und die Kriegsgefahr sind leider nicht die einzigen Punkte, bei denen die politischen Uhren rückwärts laufen. Ich muss schon sagen: Ich finde es ebenso bezeichnend wie traurig, dass Ihre Regierungserklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates letzte Woche mal eben von der Tagesordnung abgesetzt wurde. Wegschweigen, aussitzen, bloß nicht über Veränderungen reden – das können doch nicht ernsthaft Ihre Schlussfolgerungen aus der aktuellen Krise sein. (Beifall bei der LINKEN) Der französische Ökonom Piketty hat doch recht, wenn er Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, eine wesentliche Mitverantwortung für den Brexit und den zunehmenden Nationalismus andernorts gibt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich!) Ihre ständigen Alleingänge haben den europäischen Zusammenhalt ebenso wenig gestärkt wie die Besserwisserei, mit der die deutsche Regierung versucht, ganz Europa auf die Linie der deutschen Wirtschaftspolitik zu bringen. Halten Sie doch endlich einmal inne, und überdenken Sie Ihre Politik, bevor es wirklich zu spät ist. (Beifall bei der LINKEN) Das geeinte Europa, Verständigung und Zusammenarbeit zwischen jahrhundertelang verfeindeten Völkern, ein europäisches Sozialmodell als Alternative zum entfesselten Kapitalismus, das war einmal ein großes, ich würde sagen, ein großartiges Projekt. Es geht längst nicht mehr darum, ob dieses Projekt eine Zukunft hat. Es geht darum, ob es wieder eine Gegenwart bekommt; denn die europäische Integration hat sich doch längst ins Gegenteil verkehrt, in ein Projekt zur Entfesselung der Märkte und zur Aushebelung der Demokratie, in ein Projekt, das europaweit die Prekarisierung der Arbeit und den Abbau sozialer Leistungen vorantreibt. Die Wachstumsraten sind heute in den meisten EU-Staaten niedriger und die Arbeitslosigkeit höher als vor Einführung des Binnenmarktes. Ländern, in denen jeder zweite Jugendliche keinen Job und keine Perspektive hat, werden mit kaltem Ehrgeiz Kürzungsprogramme diktiert. Dieser Ehrgeiz verlässt die EU aber sofort, wenn es zum Beispiel darum geht, den Steuertricks von Apple, Google & Co. endlich die Grundlage zu entziehen. Dabei tragen sie, weiß Gott, mehr Verantwortung für die öffentlichen Defizite als angeblich generöse Sozialprogramme. (Beifall bei der LINKEN) Überall in Europa wächst die Ungleichheit. Zwischen schamlosem Reichtum am oberen und hoffnungsloser Armut am unteren Ende lebt eine schrumpfende, abstiegsgefährdete Mittelschicht, die sich politisch im Stich gelassen fühlt. Die Zustimmung zur EU geht doch nicht deshalb zurück, weil irgendwelche Nationalisten Stimmungen schüren. Die Zustimmung geht zurück, weil die Mehrheit schlicht keinen Grund hat, sich für eine EU zu begeistern, die ihren Wohlstand verringert und ihre demokratischen Rechte aushebelt. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann müssen sie in den Mitgliedstaaten mal die richtige Politik machen! Nicht immer nur Schulden machen, sondern eine bessere Politik! Das wäre der richtige Weg! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann müssen die sozialistisch regierten Länder mal eine bessere Politik machen!) Die agilsten Gegner Europas sitzen heute in Brüssel. Es ist nicht bekannt, ob Marine Le Pen Herrn Juncker inzwischen für ihre Frexit-Kampagne als Mitarbeiter verpflichtet hat; aber er ist definitiv ihr bester Mann. Die Stimmen in Großbritannien waren kaum ausgezählt, als Herr Juncker noch einmal bekräftigte, dass das Handelsabkommen CETA ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten in Kraft gesetzt werden soll. Inzwischen hat die Kommission den Mitgliedstaaten zwar großzügig das Recht zur Ratifizierung eingeräumt; allerdings ist das wieder nur ein Täuschungsmanöver, weil sie das Abkommen vorläufig in Kraft setzen will. Ich hätte von der Bundesregierung schon gerne gehört, wie sie zu dieser erneuten Unverschämtheit unserer Brüsseler Antidemokraten steht. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ja nicht alles. Wenige Tage nach dem Brexit entschied die EU-Kommission, das mutmaßlich krebserregende Pflanzengift Glyphosat für weitere anderthalb Jahre zuzulassen. Das Defizitverfahren gegen Portugal und Spanien soll trotz Krise verschärft werden. Ignoranz gegenüber demokratischen Rechten, Einknicken gegenüber der Wirtschaftslobby und Gleichgültigkeit (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie wenden sich gegen Arbeitsplätze, Frau Wagenknecht, gegen die Wirtschaft!) gegenüber einer perspektivlosen jungen Generation: Deutlicher als mit diesen drei Entscheidungen konnte man in der kurzen Zeit seit dem Brexit wirklich nicht all das demonstrieren, was die Menschen an der EU abstößt. (Beifall bei der LINKEN) Wer nicht will, dass Europa endgültig zerfällt, der muss doch spätestens jetzt auf einen sozialen und demokratischen Neubeginn setzen, auf ein Europa, das die Menschen wieder begeistern kann und in dem Referenden nicht als Bedrohung, sondern als normaler Bestandteil der Demokratie empfunden werden. (Beifall bei der LINKEN) So ein Europa wollen zumindest wir als Linke, gerade weil wir nicht wollen, dass die Geister der Vergangenheit über unsere Zukunft bestimmen. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Wer kann da klatschen?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Thomas Oppermann das Wort. (Beifall bei der SPD) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Wagenknecht, (Ulli Nissen [SPD]: „Liebe“? Bestimmt nicht!) über Ihre Angriffe und Ihre Ausführungen zur Kriegstreiberei der NATO war ich nicht überrascht. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oberlehrer Oppermann!) Aber als Sie eben von den „Brüsseler Antidemokraten“ gesprochen haben, war es das erste Mal, dass jemand den Sprachgebrauch der AfD im Deutschen Bundestag benutzt hat. (Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist unglaublich! – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Es ist nicht demokratisch, dass CETA jetzt so in Kraft gesetzt werden soll!) Wie kommen Sie dazu, demokratisch legitimierte, demokratisch gewählte Vertreter der europäischen Völker, der Europäischen Kommission als Antidemokraten zu bezeichnen? Das zeigt ein unglaubliches Maß an politischer Desorientierung und Verwirrung auf Ihrer Seite. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wer hat denn die Kommission gewählt?) Was Sie zur Kriegstreiberei der NATO gesagt haben, hat mich nicht überrascht, aber ich finde, Sie verkennen dabei immer eines: (Zuruf von der SPD, an die Abg. Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE] gewandt: Können Sie mal zuhören? Zuhören, Frau Wagenknecht!) Eine der Lehren aus dem militärischen Größenwahn der Nazis war, dass ein demokratisches Deutschland seine Landesverteidigung, seine militärischen Angelegenheiten nicht allein nationalstaatlich organisiert, sondern in ein Bündnis aus Demokratien einbettet. Ein Bündnis aus Demokratien ist der beste Schutz für unser Land, für unsere Länder, aber auch der beste Schutz vor Kriegstreiberei. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann haben Sie – das will ich Ihnen als Drittes sagen – auch noch den Irakkrieg erwähnt. Ich will in aller Deutlichkeit daran erinnern – Sie haben es teilweise angedeutet –: Der Irakkrieg war kein Krieg der NATO, sondern er war eine Aktion der sogenannten Koalition der Willigen. Und ich muss sagen: Ich bin heute noch froh – und wir sind alle stolz darauf –, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Jaques Chirac Deutschland und Frankreich aus diesem Krieg herausgehalten haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Immerhin auch ein bisschen Beifall vom Koalitionspartner. Meine Damen und Herren, wir haben erst vor wenigen Tagen in diesem Plenum daran erinnert, dass Deutschland vor 75 Jahren ganz Osteuropa mit einem mörderischen Krieg überzogen hat. Daraus erwächst für uns eine Verantwortung gegenüber unseren Nachbarn in Osteuropa, aber ebenso gegenüber Russland. Willy Brandt ist es vor 50 Jahren mit der Einleitung der Entspannungspolitik wie keinem anderen gelungen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Übrigens: Die Einleitung der Entspannungspolitik begann auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Das zeigt, auch in schwierigen Zeiten ist Verständigung möglich. 1990 mit dem Fall des Eisernen Vorhanges hatten wir alle die Hoffnung, dass eine Epoche des Friedens und der Demokratie in Europa beginnen wird. Aber heute, ein Vierteljahrhundert später, sind konfrontative Sprache und aggressives Verhalten auf die politische Bühne zurückgekehrt. Es droht ein Rückfall in gefährliche Zeiten. Ich finde, wir müssen alles tun, um das zu verhindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit der Annexion der Krim und mit dem militärischen Eingreifen in der Ukraine hat Russland die Grenzen gewaltsam verschoben, das Völkerrecht verletzt und die europäische Friedensordnung infrage gestellt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Großangelegte russische Militärmanöver mit bis zu 100 000 Soldaten verstärken die Furcht in Polen und in den baltischen Staaten. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ist es!) Ich finde es auch nicht vertrauenserweckend, dass Putin über russische Banken überall in Europa rechtsradikale, rechtspopulistische Parteien wie den Front National finanziert. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, darauf müssen wir klare Antworten geben. Aber wenn wir auf jedes russische Manöver mit einem eigenen Manöver antworten, wenn auf jede militärische Aktion eine militärische Reaktion folgt, wenn auf jede Aufrüstung eine eigene Aufrüstung folgt, dann rutschen wir wieder in die Logik des Kalten Krieges. Ich sage, wir müssen alles daransetzen, dass wir in diese verhängnisvolle Spirale nicht wieder hineinkommen. Ein Rüstungswettlauf wäre das Letzte, was Russland und Europa gebrauchen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie das Frau Merkel, nicht uns!) Zum Glück gibt es einen großen Konsens in diesem Haus, dass ein Ausweg aus dem Konflikt in der Ukraine nicht mit militärischen, sondern nur mit diplomatischen Mitteln möglich ist. Frank-Walter Steinmeier hat völlig recht, dass man mit Truppenparaden und Manövern allein keine Sicherheit gewinnen kann. Ich bin Frank-Walter Steinmeier dankbar, dass er darauf aufmerksam gemacht hat, dass man mit militärischer Stärke allein keinen Frieden sichern kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Angesichts der globalen Krisen müssen wir die Konfrontation in Europa überwinden. Es gibt für uns Sozialdemokraten für das Verhältnis zwischen Russland und der NATO drei klare Leitlinien. Die erste ist Verteidigungsbereitschaft. An der Verteidigungsfähigkeit und dem Verteidigungswillen der NATO darf kein Zweifel bestehen. Die kollektive Verteidigung des Bündnisses ist für uns und besonders für die baltischen Länder und Polen ein Garant für Sicherheit. Deshalb unterstützen wir die Maßnahmen zur Rückversicherung, wie sie auf dem NATO-Gipfel beschlossen werden sollen. Die zweite ist Dialogfähigkeit. Wir müssen mehr miteinander und nicht mehr nur übereinander sprechen. In guten Zeiten ist das eine Selbstverständlichkeit. Aber gerade in schwierigen Zeiten ist Dialog besonders wichtig und die größte außenpolitische Herausforderung. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Deshalb haben Sie Russland vom Gipfel ausgeschlossen!) Für die nächste Zeit muss deshalb die Devise lauten: So viel Sicherheit wie nötig, aber so viel Dialog und Kooperation wie möglich. Dritte Leitlinie: Die nachhaltige Sicherheit für Europa kann es nicht ohne Russland und erst recht nicht gegen Russland geben. (Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Deshalb muss es unsere Strategie sein, Russland als einen verantwortungsvollen Partner zurückzugewinnen, Russland wieder in eine verantwortungsvolle Partnerschaft einzubinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, dass immer wieder Leute kritisiert werden, die den Dialog mit Russland fordern. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Führen Sie den doch! Machen Sie doch!) All denen, die unseren Außenminister jetzt als „Russlandversteher“ bezeichnet haben, hat Frank-Walter Steinmeier am Wochenende, wie ich finde, eine ganz eindeutige Antwort gegeben, nämlich: Wer aufhört, andere zu verstehen, wer aufhört, andere verstehen zu wollen, der sollte keine Außenpolitik betreiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich bin froh – und ich glaube, auch die ganz große Mehrheit der Deutschen ist froh –, dass Frank-Walter Steinmeier und nicht jemand anderes unser Außenminister ist. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist es jetzt schon so weit? Jetzt wird es peinlich! Das ist gar nicht nötig! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird jetzt ein bisschen viel!) – Nein, mein lieber Volker, ich glaube, du bist in Wirklichkeit auch froh, dass Frank-Walter Steinmeier unser Außenminister ist. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Thomas, ich sage: Er hat es gar nicht nötig, was hier gemacht wird!) – Nein, aber wir wissen das sehr zu schätzen, und was man zu schätzen weiß, sollte man gelegentlich auch sagen. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eher peinlich!) Wir sind für eine schrittweise Annäherung an Russland. Sanktionen sind kein Selbstzweck – die Aufhebung von Sanktionen allerdings ebenso wenig. Nur wenn Russland sein Verhalten ändert, erfüllen sie ihren Sinn. Deshalb wird es mit uns auch kein Aufweichen der Sanktionen geben, ohne dass es echte Zugeständnisse von Wladimir Putin gibt. Es gibt Hardliner, die nun sagen: Alles oder nichts! Sie fordern und erwarten, dass Russland bedingungslos in Vorleistung geht. Ich halte diesen Ansatz nicht für erfolgversprechend. Für die SPD ist klar: Wenn es bei der Umsetzung substanzielle Fortschritte gibt, dann können die Sanktionen auch schrittweise aufgehoben werden. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn die Gegenleistung stimmt!) Auch Ronald Pofalla als Vorsitzender des Petersburger Dialoges hat diese Position ausdrücklich vertreten. Ausgerechnet Ronald Pofalla! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was heißt das denn jetzt?) Eine Stimme der Vernunft im konservativen Lager! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dieser Satz von Herrn Oppermann steht jetzt im Protokoll! Das ist auch gut so!) – Ich lasse ja keine Gelegenheit aus, unseren Koalitionspartner zu loben. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, die Frau Bundeskanzlerin ist im Augenblick verhindert, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein, nein!) aber ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf den letzten Europäischen Rat zurückkommen. Ich fand es gut, dass Frankreich, Italien und Deutschland auf diesem Rat klargemacht haben: Wir brauchen beim Brexit möglichst schnell Klarheit. Europa muss sich neu orientieren. Die 27 verbleibenden Mitglieder der Europäischen Union brauchen eine Grundlage, auf der sie arbeiten können. Ich fand es auch gut, dass klargemacht wurde und dass es einen breiten Konsens in Europa gibt, dass es keine Sonderbehandlung von Großbritannien geben kann. Alle Vorteile, aber keine Pflichten: Das geht nicht, das würde nur Anreize für andere in Europa schaffen, sich selbst auch nur die Vorzüge zu sichern. Im Augenblick ist die Neigung in der EU, sich von ihr abzuwenden, gesunken. Das ist in den letzten Tagen ganz deutlich geworden und liegt vor allen Dingen daran, dass Großbritannien nach der Brexit-Bruchlandung im politischen Chaos versunken ist. Auch darüber müssen wir im Deutschen Bundestag und überall in Europa reden – übrigens nicht mit Häme, aber in aller Klarheit. Mit jedem Tag wird deutlicher: Die „Leave“-Kampagne hatte nie einen Plan für den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Sie hat den Wahlkampf mit unhaltbaren Versprechungen geführt, (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ist es!) und anschließend sind die Brexit-Ideologen in der politischen Versenkung verschwunden. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie wissen nicht, was sie tun!) Der Slogan der Brexit-Kampagne, „Take back control“, wirkt angesichts der politischen Führungslosigkeit wie blanker Hohn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es sieht so aus, als würden die Brexit-Ideologen kein einziges ihrer Versprechen halten können. Ich sage: Das würde auch in Frankreich passieren, wenn Marine le Pen gewählt würde, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und das würde auch in den Niederlanden passieren, wenn Geert Wilders die Wahlen gewinnen würde. Das würde überall in Europa passieren, wenn die Populisten die Oberhand gewinnen würden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) Boris Johnson und Nigel Farage sind angetreten, um die Geschichte zu ändern. Jetzt sind sie – leider zu spät – als politische Hochstapler und verantwortungslose Hasardeure demaskiert worden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich wünsche mir, dass wir die vielen Hochstapler in Europa rechtzeitig entlarven, bevor sie einen so großen Schaden anrichten können wie in Großbritannien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es lohnt sich auch deshalb, darüber zu reden, weil ich das Gefühl habe: Mit jedem Tag und mit jedem Blick auf das politische Chaos, das angerichtet worden ist, wächst wieder die Wertschätzung für seriöse Parteien, wächst wieder die Wertschätzung für seriöse Politik. Ich glaube, das ist gut für unsere Demokratie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das beste Mittel gegen die Feinde Europas ist aber ein besseres Europa. Die Europäische Union muss das Vertrauen der Menschen durch Handlungsfähigkeit wieder zurückgewinnen. Das geht nur, wenn wir uns auf die großen und wichtigen Fragen konzentrieren, wenn wir in den besonders notleidenden Ländern wieder für Wachstum und Beschäftigung sorgen. Dazu brauchen wir mehr Investitionen in Ausbildungsprogramme für junge Menschen, in Forschung, in Entwicklung, in eine moderne Infrastruktur, in ein europaweites Glasfasernetz für schnelles Internet. All das, Herr Schäuble, wollen wir entgegen der Darstellung, die Sie verbreitet haben, nicht mit neuen Schulden in Europa finanzieren, sondern mit regulären Staatseinnahmen. Es ist kein sinnvolles politisches Ziel, die Verschuldung in Europa auszuweiten. Es ist aber sehr wohl ein sinnvolles politisches Ziel, die finanzielle Handlungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Union wiederherzustellen. (Beifall bei der SPD – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb sage ich: Wir müssen die Steuerhinterziehung in Europa bekämpfen. Wir müssen die Steuerschlupflöcher schließen. Wir müssen die Finanztransaktionsteuer einführen. Wenn alle ihren gerechten Teil zur Finanzierung der Europäischen Union beitragen, dann brauchen wir keine neuen Schulden in Europa. Nur so, mit gerecht finanzierten Investitionen, können wir das Kernversprechen der Europäischen Union wieder erfüllen: Fortschritt, Gerechtigkeit und Demokratie für alle Menschen in Europa. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Verhältnis zu Russland ist so schlecht wie seit der Zeit des Kalten Krieges nicht mehr. Die Sorge vieler Menschen auf dem Kontinent vor einem Krieg ist so groß wie schon lange nicht mehr. Mit der Annexion der Krim und mit den Aktionen in der Ostukraine hat Russland, hat Putin die Friedensordnung in Europa auf den Kopf gestellt. Man muss ganz klar sagen: Es ist eine besondere Tragik, dass mit der Ukraine das erste Land weltweit, das freiwillig seine Atomwaffen komplett abgegeben hat, von seiner eigenen Garantiemacht überfallen worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Von einer Fraktion, die gern von sich behauptet, dass ihr Friedenspolitik wichtig wäre, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ist!) dazu nie wirklich etwas zu hören, finde ich, ehrlich gesagt, beschämend und problematisch. Dass ein Land, das, wie gesagt, freiwillig seine Atomwaffen komplett abschafft, von seiner Garantiemacht überfallen wird, ist ein solcher Rückschlag für eine vertragsbasierte Friedenspolitik, wie wir ihn lange nicht erlebt haben. Da würde ich mir vonseiten der Linksfraktion ganz klare Worte wünschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Putin ist über das Budapester Abkommen hinweggetrampelt. Er hat die Souveränität der Ukraine ignoriert, und er hat ihre territoriale Integrität ignoriert. Es ist ganz klar, dass dieses Vorgehen nicht hinnehmbar ist. Daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deshalb war die Reaktion der EU und war die Reaktion der NATO richtig und wichtig. Es war richtig und wichtig, dass die Europäische Union gemeinsam Sanktionen verhängt hat. Es ist völlig verständlich und nachvollziehbar – das darf man auch mit Blick auf die Geschichte nicht ignorieren –, dass die östlichen Staaten der NATO jetzt größere Sicherheitsbedürfnisse und Bedenken haben. Das liegt doch auf der Hand. Es ist notwendig und richtig, dass es eine Rückversicherung im Bündnis gibt und dass das Bündnis zusammenstehen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber dabei stellt sich die Frage: Was ist die richtige Antwort darauf? Ich habe gewisse Zweifel, dass der Einstieg in die Aufrüstungsspirale und Sprachlosigkeit die richtige Antwort sind. Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz – ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn einmal als friedenspolitischen Kronzeugen zitieren würde –, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sagt über beide was!) hat gesagt, dass die Gefahr so groß wie selten ist, dass die Eskalationsschritte in Richtung militärische Kampfhandlung führen werden, und er gibt einen ganz klaren Rat in Richtung NATO und Bundesregierung: Nicht draufsatteln, sondern mäßigen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, es wäre wichtig, dass die Bundesregierung diesen Rat beherzigt. Denn das ist der alte Irrweg, dass man auf ein Manöver mit dem nächsten Manöver und auf Aufrüstung auch mit Aufrüstung reagiert; das ist die Spirale des Kalten Krieges. Wir sollten eigentlich etwas aus dem Kalten Krieg gelernt haben. Da teile ich ja die Meinung von Thomas Oppermann, aber ich würde dann auch erwarten, dass ihr euch mit dieser Haltung gegenüber der Bundesregierung und der NATO durchsetzen könnt. Da werden nämlich andere Dinge diskutiert. Die Kanzlerin hat es dargestellt. Da wird diskutiert, dass die Raketenabwehr als angeblich defensives System – es wird von Russland überhaupt nicht als defensiv empfunden – weiter ausgebaut werden soll. Die Reaktion darauf zeigt sich bereits: In Kaliningrad werden jetzt auch Raketen aufgestellt. Genau das ist der Einstieg in die Rüstungsspirale. Das ist in der Vergangenheit immer mit dem Iran begründet worden. Jetzt haben wir das Abkommen mit dem Iran, aber es wird weiter daran festgehalten. Das ist genau der Irrweg, den wir eigentlich überwunden haben sollten. Ich würde von euch und auch von Herrn Steinmeier erwarten, dass ihr euch, wenn das schon erkannt wird, gegenüber der Bundesregierung entsprechend durchsetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was die Gespräche darüber angeht, dass jetzt dauerhaft NATO-Truppen in den östlichen Staaten stationiert werden sollen – wir sprechen nicht von Air Policing; das können wir absolut verstehen und halten es für richtig, sondern es geht um die dauerhafte Stationierung von Truppen –, besteht die Gefahr, dass die NATO-Russland-Grundakte auch von unserer Seite gebrochen wird. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich ganz eindeutig dagegenstellt. Denn das wäre ein weiterer Schritt in Richtung Eskalation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundeskanzlerin hat auch hier davon gesprochen, dass 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgegeben werden sollen. Das würde bedeuten, wenn wir es wirklich umsetzen, dass wir 25 Milliarden Euro mehr für Rüstung ausgeben würden. Es kann doch nicht ernsthaft die Antwort der Großen Koalition auf die globalen Herausforderungen sein, 25 Milliarden Euro mehr für Waffen ausgeben zu wollen. Ist das eine Belohnung für das, was wir bereits sehen: dass Frau von der Leyen die Bundeswehr nicht im Griff hat und dass bis jetzt viel Geld verschwendet worden ist? Das kann doch nicht ernsthaft Ihre Antwort auf die globalen Herausforderungen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es war die Rede davon, dass die NATO im Abriegeln der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei sehr erfolgreich ist und dass dort weniger Menschen sterben. Ja, das kann man, wenn man so will, als Erfolg sehen. Aber wenn man sieht, was im Mittelmeer insgesamt passiert – dass die Menschen jetzt über Ägypten fliehen, was ein weitaus gefährlicherer Weg ist und dazu führt, dass sie wesentlich länger auf dem Meer sind, sodass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass mehr Menschen ertrinken –, zeigt sich eindeutig, dass militärische Abschottung keine sinnvolle Maßnahme ist, wie man mit Geflüchteten umgeht. Auch da würde ich erwarten, dass Sie sich um die Ursachen kümmern und nicht nur auf Abschottung setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ursprünglich war ja vorgesehen, dass wir heute auch über den Brexit sowie über die Ergebnisse des Europäischen Rates diskutieren (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hätte auch Sinn gemacht!) und dass Frau Merkel in der Regierungserklärung etwas dazu sagt. Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir von ihr dazu nichts gehört haben. Von der Bundesregierung insgesamt haben wir nämlich sehr, sehr viel gehört – aber extrem viel Unterschiedliches. Europa steht vor der größten Herausforderung in seiner Geschichte. Die Europäische Union ist bedroht wie nie, und was haben wir für eine Bundesregierung? Wir haben einen Herrn Schäuble, der mehr Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaaten fordert und gleichzeitig auf die EU-Institutionen wie die Kommission eindrischt. Wenn ich mir Herrn Schäubles Bilanz bei der Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaaten anschaue, so fällt mir zum Beispiel die Finanztransaktionsteuer ein, die in der letzten Legislaturperiode vereinbart wurde. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bereits 2008!) Ich glaube, wir haben sie immer noch nicht umgesetzt. Sie sollten sich einmal an die eigene Nase fassen, Herr Schäuble, und überlegen, wie erfolgreich diese Zusammenarbeit bis jetzt ist, statt auf andere einzudreschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich mir diese Bundesregierung weiter anschaue, so haben wir dort einen Herrn Gabriel, der die EU gleich neu gründen möchte und davon spricht, dass mehr investiert wird. – Ja, das halten wir für richtig, dass mehr investiert wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Union – ich glaube, ihr seid in der gleichen Koalition; Herr Gabriel ist immerhin Vizekanzler – antwortet auf die Vorschläge des Vizekanzlers mit der Aussage: Griff in die sozialistische Mottenkiste. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kennt sich beim Sozialismus nicht so aus!) So präsentiert sich die Große Koalition. So präsentiert sich die Bundesregierung in der größten Herausforderung, vor der die Europäische Union steht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So präsentiert sich die Regierung eines der wichtigsten und mächtigsten Länder der Europäischen Union. Das kann doch nicht euer Ernst sein! (Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Und wie reagiert die Bundeskanzlerin auf das Ganze? Wie reagiert sie auf das Chaos in ihrer eigenen Regierung? Sie reagiert damit, dass sie einfach dazu schweigt. Das kann doch nicht ihr Ernst sein angesichts der historischen Aufgabe, vor der wir stehen! Das ist ein historisches Versagen dieser Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine Sorge, das wird schon gut! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir euch!) Selbstverständlich müssen wir uns intensiv damit beschäftigen, was eigentlich los ist in Europa, warum Antieuropäer und Rechtspopulisten einen solchen Zulauf erhalten: fast 50 Prozent für die FPÖ in Österreich, Le Pen führt in den Umfragen für die Präsidentschaftswahlen, und in Polen und Ungarn sind bereits Regierungen mit einem extrem seltsamen Demokratieverständnis an der Macht. Wir könnten viele weitere Länder aufzählen. Wir müssen uns überlegen, wo die Zusammenhänge sind. Natürlich hat das auch etwas mit Fehlern in nationaler und europäischer Politik zu tun. Wir halten CETA auch für grundfalsch und haben die Rechtsauffassung, dass CETA stark in die Belange der Nationalstaaten eingreift und deshalb rechtlich ein gemischtes Abkommen ist. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Aber man kann nicht davon sprechen, dass es, wenn nur das Europaparlament darüber abstimmen würde, antidemokratisch wäre. Es ist in unseren Augen eine falsche Entscheidung, dies zu tun. Aber eine falsche Entscheidung, die von einer Mehrheit gedeckt ist, ist nicht deshalb antidemokratisch, nur weil ich oder die Linksfraktion sie für falsch halten. Vielmehr muss man dann halt für andere Mehrheiten kämpfen und darf nicht davon reden, dass diese Entscheidungen antidemokratisch wären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Europa muss wieder dafür sorgen, dass es seine vier Grundversprechen erfüllt. Diese waren: Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand für alle. Wenn wir gemeinsam dafür sorgen, dann haben wir auch alle Chancen, dass die Menschen wieder der Meinung sein werden: Die Europäische Union ist eine gute Sache; die Europäische Union dient allen. Die Europäische Union ist unsere einzige Chance, bestimmte grundlegende Probleme weltweit zu lösen. Viele Nationalstaaten sind zu klein, um Herausforderungen wie der Klimakrise – Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – und den Steuerhinterziehungen transnationaler Konzerne zu begegnen. Dazu brauchen wir die Europäische Union – nicht, weil es eine Garantie dafür gibt, dass sie die richtige Politik macht, aber weil es die Chance gibt, dass sie die richtige Politik macht, wenn wir die richtigen Mehrheiten erkämpft haben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der NATO-Gipfel in dieser Woche findet in einer politisch bewegten Zeit in Europa und in der Welt statt. Der NATO-Gipfel macht auch deutlich, dass es zur Lösung der Probleme auf uns alle ankommt. In der NATO sind die Staaten Europas und andere in einem Bündnis miteinander vereint, und zwar in einem Bündnis, (Zuruf von der LINKEN: Kriegsbündnis!) das ausschließlich – ich habe Veranlassung, dies so deutlich zu sagen, nach einigen Äußerungen in den letzten Tagen – defensiv angelegt ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Da lachen ja die Hühner!) – Bei Ihnen fällt mir eigentlich nichts mehr ein nach dem, was Ihre Fraktionsvorsitzende heute abgeliefert hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie können genauso wie wir alle stolz darauf sein, dass wir in einer Demokratie leben, wo auch solche Sachen gesagt werden können, und nicht in einem Land wie Russland, wo Pressefreiheit nicht existiert und wo Menschen, die etwas sagen, was der Regierung nicht passt, verfolgt werden. (Zuruf von der LINKEN: Was? – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Soll das jetzt eine Drohung sein?) Wir dürfen stolz darauf sein, in einer solchen Demokratie zu leben. (Beifall bei der CDU/CSU) In dieser bewegten Zeit kommt es also darauf an, dieses Europa zu stärken und eine Antwort auf die Konflikte zu geben, die uns alle so beschäftigen und belasten. Ja, es ist richtig, dass dieses Bündnis, das defensiv angelegt ist, den Dialog mit denjenigen sucht, die als wichtige Mitspieler auf der politischen Bühne auftreten. Aber es kommt auch darauf an, dass man die Dinge richtig benennt. Deswegen finde ich das völlig richtig, Herr Hofreiter, was Sie heute gesagt haben und was auch im Entschließungsantrag Ihrer Fraktion steht. Aber was als Konsequenz formuliert wird, ist nicht überzeugend. Wenn ich in Ihrem Antrag den Satz lese: „Gleichzeitig muss Russland auch bereit sein, dieses Angebot anzunehmen“, dann kann ich nur sagen: Russland nimmt das eine oder andere Angebot eben nicht an. Auch darauf müssen wir eine Antwort finden. Es ist ein wenig blauäugig, zu formulieren, dass wir nicht in eine neue Spirale der Aufrüstung geraten und nicht auf jedes Manöver eine gleiche Antwort geben dürfen, und dann zu sagen: Aber Russland muss das Angebot, das wir machen, auch annehmen. – Damit Russland dieses Angebot annimmt, muss klar und deutlich gesagt werden: Wir sind nicht wehrlos, wenn Verträge mit Füßen getreten werden und wenn Länder wie die Ukraine überfallen werden. Sie haben völlig recht: Das ist noch viel schlimmer, als das Völkerrecht zu verraten, wie es die Russen getan haben. Die Russen haben den Ukrainern versichert: Wenn ihr die Atomwaffen abgebt, sind eure Grenzen sicher. – Das ist eine der großen politischen Lügen, die wir in dieser Zeit erlebt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das darf nicht einfach mit dem lapidaren Satz „Russland muss das Angebot auch annehmen“ beiseitegeschoben werden. Richtig ist – da wir nach politischen Lösungen suchen –, dass wir miteinander reden müssen. Aber dieses Miteinanderreden muss, wie es so schön heißt, auf Augenhöhe stattfinden. Dieses Miteinanderreden muss auch bedeuten, dass der andere weiß, dass der Gesprächspartner genauso stark ist wie er selber, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Kauder, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Volker Kauder (CDU/CSU): Nein. (Zurufe von der LINKEN) – Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Es muss auch möglich sein, wenn man eine Redezeit von nur zehn Minuten hat, in diesem Haus Gedanken klar zu formulieren. Sie hatten Ihre Redezeit und machen sowieso Zwischenfragen, wie es Ihnen gerade passt. (Zurufe von der LINKEN) Wir müssen klipp und klar sagen, dass wir auf Augenhöhe sein müssen, damit der andere nicht den Eindruck hat, dass er mit dem, was er schon einmal gemacht hat, nämlich andere zu überfallen, Gesprächspartnern drohen kann. Jetzt, Herr Hofreiter, kann ich nur sagen: Wir alle wollen keine Spirale der Aufrüstung. Aber ich habe damals – Sie wahrscheinlich auch – intensiv an der Debatte über den NATO-Doppelbeschluss teilgenommen. Ich weiß noch, was mir damals alles gesagt worden ist. Das Ergebnis war: Nur dadurch, dass wir die NATO-Nachrüstung beschlossen haben, wie Gorbatschow formuliert hat, war es überhaupt möglich, einen anderen Weg, nämlich einen friedlicheren Weg, zu beschreiten. Es ist eben nicht so, dass wir aus der Geschichte nicht lernen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass Helmut Schmidt dies gesehen hat, aber die SPD ihm darin nicht ganz so richtig gefolgt ist. Aber wir sollten die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Deswegen sage ich: Ja, es ist richtig, wenn die NATO demonstriert: Wir sind so stark, dass wir uns verteidigen können, aber wir sind auch so stark, dass wir den Dialog führen können. – Der Dialog mit Russland wird geführt. Auch ich hätte mich gefreut, wenn der NATO-Russland-Rat vor dem NATO-Treffen hätte stattfinden können. Die Russen wollten das nicht. Sie wollen den NATO-Russland-Rat erst nachher einberufen. Okay, aber er findet auf jeden Fall statt. Deswegen halte ich es für völlig falsch, wenn für die NATO durch Formulierungen der Eindruck erweckt wird, als ob sie Aggressionen ausübt. Die NATO ist ein defensives Bündnis, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und die Aggression kam von anderen, nicht von der NATO. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Eine Voraussetzung dafür, dass die NATO stark bleiben kann – da hat Thomas Oppermann völlig recht –, ist, dass Europa stark bleibt. Ohne ein starkes Europa und starke europäische Staaten wird die NATO ihre Aufgabe nicht erfüllen können. Es gibt tatsächlich einen Zusammenhang zwischen diesem Verteidigungsbündnis und Europa. Dass Europa stark bleibt und in Teilen wieder stark wird, hängt natürlich damit zusammen, dass Europa wirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Da zeigt doch der Blick auf unsere innenpolitische Situation: Stark im Wettbewerb kann nur ein Land sein, das sich entschließt, erstens Reformen durchzuführen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, und zweitens keine neuen Schulden zu machen. Angriffe auf unseren Bundesfinanzminister wie die, die schwarze Null sei ein Fetisch, sind absolut nicht in Ordnung. Das hat nicht Kollege Oppermann gemacht, aber aus der SPD ist das gekommen. Da kann ich nur sagen: Die schwarze Null ist kein Fetisch, sondern sie ist eine existenzielle Voraussetzung dafür, dass auch die junge Generation Chancen in diesem Land und in Europa hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Zu der Aussage „Wir wollen keine neuen Schulden machen, sondern wir wollen das in Europa anders organisieren“ kann ich nur sagen: Es war auch eine Stimme aus der SPD, die damals im Zusammenhang mit Griechenland formuliert hat, der deutsche Arbeiter könne mit seinen Steuergeldern nicht die Renten in Athen bezahlen. Auch daran muss ich einmal erinnern. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau! Richtig! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer war das noch einmal?) Deswegen rate ich dazu, alles in Ruhe miteinander zu besprechen. Jetzt kann ich noch einmal sagen, was ich schon in der letzten Debatte gesagt habe. (Zuruf des Bundesministers Sigmar Gabriel) – Nein, Herr Gabriel. Das hat nichts mit Wahlkampf zu tun, sondern mit der Realität, die ich jetzt abgebildet habe. Aber das wollen wir jetzt nicht vertiefen. Außerdem dürfen Sie von der Regierungsbank gar nicht dazwischenrufen. Wenn Sie das tun möchten, müssen Sie auf den Abgeordnetenbänken Platz nehmen. Aber lassen wir das. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Sigmar Gabriel darf alles!) Ich möchte darauf hinweisen, dass es keinen Sinn macht – lieber Thomas Oppermann, da sind wir uns ja einig –, Geld in etwas hineinzuwerfen, ohne dass man vorher die Strukturen verändert hat. Ich erläutere das einmal an einigen Beispielen. Wenn wir der jungen Generation keine berufliche Ausbildung ermöglichen und glauben, dass der Facharbeiter nichts mehr wert ist, sondern dass jeder studieren muss, dann haben wir eine Situation wie beispielsweise in Spanien. Auf eine solche Situation können wir nicht dadurch reagieren, dass wir noch mehr Geld geben. Stattdessen müssen sich Strukturen ändern, und es muss für Wachstum gesorgt werden. Nächstes Beispiel. Wir wollen in Europa bei Projekten zusammenarbeiten. Der Präsident Frankreichs hat gesagt: Bei gemeinsamen Rüstungsprojekten können wir nicht zusammenarbeiten, weil die Vorschriften in Deutschland so sind, dass wir Franzosen damit nicht leben können. – Dazu kann man sagen: Das ist okay. – Aber dann darf man nicht bejammern, dass wir keine Chance auf gemeinsame Wachstumsprojekte in der Europäischen Union haben. Auch das muss man einmal klar und deutlich sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich rate, dass wir in Europa erst einmal in aller Ruhe die Antwort aus Großbritannien abwarten, dann Gespräche führen, dass wir uns vor allem aber bewusst machen, dass wir den Weg, der bei uns zum Erfolg geführt hat, nämlich Reformen durchzuführen und Wachstumsimpulse zu setzen, auch in Europa beschreiten müssen. Wir sollten nicht auf Rezepte zurückgreifen, die sich in der Vergangenheit auch in unserem Land nicht bewährt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Richtig ist auch, dass die Zustimmung zu Europa gerade bei der jungen Generation davon abhängt, dass dieses Europa Perspektiven für sie bieten kann. Das, was wir als einen Grund für die Flucht in Afrika und anderen Regionen benennen – dass junge Menschen keine Perspektive erkennen –, das darf nicht das Ergebnis in Europa sein. Auch deswegen ist es richtig, dass wir für junge Menschen Perspektiven schaffen. Ich habe darauf hingewiesen, dass dafür Reformen notwendig sind. Gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung, die in Großbritannien getroffen worden ist, müssen wir aber auch klar und deutlich sagen – da stimme ich Thomas Oppermann zu –, was es für Konsequenzen hat, wenn man Leuten nachläuft, die populistisch sind, die, um es einmal vorsichtig zu formulieren, falsche Aussagen machen und die, was ebenfalls der Wahrheit entspricht, die Menschen anlügen. Wer Populisten nachläuft – das zeigt Großbritannien –, der schadet sich selbst, und dies müssen wir immer wieder deutlich machen. Aber dazu gehört auch, festzustellen – ich habe Veranlassung, das heute zu sagen –: In einer Koalition, in jeder Koalition gibt es bei der einen oder anderen Frage natürlich unterschiedliche Auffassungen. Das sage ich jetzt ohne Ironie – das gibt es in deiner Partei, Thomas Oppermann, und auch in meiner –: Es ist eben so, dass nicht alle Menschen die gleiche Meinung haben. Das wäre ja auch wirklich langweilig. Aber eines ist doch klar – das anzuerkennen, darum bitte ich –: Wir sollten das, was wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren in dieser Großen Koalition gemeinsam erreicht haben, was unserem Land nützt und was den Menschen nützt, jetzt nur wegen des Wahlkampfs nicht kleinreden. Es gab noch nie eine Situation in unserem Land – in Deutschland –, in unserer Zeit, in der es den Menschen so gut ging wie heute. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu können wir aus gutem Grund sagen, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: 2,5 Millionen Kinder in Armut!) um genau den Populisten entgegenzutreten: Das hat auch etwas mit unserer Politik, mit der Politik dieser Großen Koalition zu tun. Dazu sollten wir uns bekennen. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) – Damit das einmal ganz klar ist: Sie haben dazu keinen Beitrag geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb finde ich, dass wir auf das, was wir miteinander gemacht haben, was den Menschen dient und vor allem der jungen Generation in unserem Land dient – sie hat alle Chancen –, miteinander stolz sein dürfen, und dies dürfen wir auch sagen. Ja, unser Land befindet sich in einem guten Zustand. Es gibt große Herausforderungen, aber gerade weil wir wissen, was wir durch richtige Politik leisten können, sind wir zuversichtlich – auch für die Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Niels Annen ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Niels Annen (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kauder, wir sind auch zuversichtlich; darauf können Sie sich gern beziehen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Ich möchte in meiner kurzen Redezeit doch noch einmal etwas zur NATO sagen. Herr Kauder, Sie haben Helmut Schmidt genannt. Es ist immer gut, ihn in diesem Hause zu nennen, aber ich darf schon darauf hinweisen, dass es in diesem Parlament einen Grundkonsens gibt – vielleicht mit Ausnahme der Kolleginnen und Kollegen der Linken. Schon seit 1960, seit der großen Rede von Herbert Wehner, bekennt sich dieses Land zur engen Einbindung in die NATO. Ich glaube, dass uns das insgesamt, dass es unserer Sicherheit und unserer Verankerung gutgetan hat. Deswegen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, sagen wir auch vor dem NATO-Gipfel: Beides brauchen wir. Wir brauchen die Stärke des Bündnisses, ja, auch die Abschreckung, aber wir brauchen ebenfalls die Dialogbereitschaft. Dass das nicht nur eine Phrase ist, hat unser Außenminister in den letzten Monaten bewiesen. Wir handeln nach der Philosophie des Harmel-Reports. Dazu will ich hier einige Beispiele nennen. Das erste Beispiel ist die NATO-Russland-Grundakte. Sie ist ein Dokument, das wir dringender als jemals zuvor nötig haben; das hätten wir alle uns nicht träumen lassen. Wir müssen es jetzt wieder mit neuem Leben erfüllen. Deswegen haben wir eine klare Linie formuliert. Es bleibt dabei: keine permanente Stationierung substanzieller Kampftruppen in den neuen Mitgliedstaaten. Dafür hat sich die SPD eingesetzt, und es wird umgesetzt. (Beifall bei der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ferner dankbar, dass die Bundeskanzlerin das angesprochen hat – wir haben lange daran gearbeitet –: Die Operation Active Endeavour wird von Artikel 5 des Washingtoner Vertrages entkoppelt, und damit wird die Möglichkeit geschaffen, sie auf eine breitere politische Grundlage zu stellen – das richtige Signal vor den Beratungen, die jetzt in Warschau beginnen. (Beifall bei der SPD) Insgesamt ist diese Philosophie von Abschreckung und Dialog auch in dem nachlesbar, was jetzt an Gipfeldokumenten vorbereitet worden ist. Ich will aufgrund der aktuellen Spannungen, auf die hingewiesen worden ist, noch ein paar andere Punkte nennen, zum Beispiel die militärische Krisen-Kontakt-Diplomatie, wenn man das so sagen darf, also das, was man früher „Rotes Telefon“ genannt hat. Meine Damen und Herren, wir brauchen offensichtlich solche Instrumente heute wieder. Ich bin unserem Außenminister dankbar, dass diese Initiative gestartet worden ist, dass es wieder direkte Militär-zu-Militär-Kontakte gibt, um Missverständnisse zu vermeiden. Ich habe mir die Reaktivierung des NATO-Russland-Rats hier dick angestrichen, weil auch sie ganz entscheidend ist. Ich hätte mir gewünscht, dass es noch ein Treffen vor dem Gipfel gibt. Es gibt eines nach dem Gipfel; Russland hat sich mit der NATO darauf verständigt. Aber es bietet auch eine Chance der direkten Kommunikation, wenn die Beratungen abgeschlossen sind. Wir sollten uns vornehmen, das weiter fortzusetzen. Ich glaube, das kann in diesem Parlament unterstützt werden. Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir haben eine ganze Reihe von Instrumenten aus der Zeit des Kalten Krieges, die Vertrauen schaffen sollen, und wir brauchen sie heute wieder. Deswegen ist die Frage, ob man bei Manövern, bei Übungen Beobachter einlädt, keine Banalität. Wir wissen, dass die Regeln zum Teil unterlaufen werden: durch die Größe der Manöver, durch kurzfristige Ankündigungen etc. Also: Wir müssen zu dieser Kultur des Vertrauens zurückkommen. Deswegen setzen wir uns als SPD-Fraktion dafür ein, dass beispielsweise das Open-Skies-Regime auch durch einen eigenen Beitrag unterstützt wird. Ich hoffe, Frau Ministerin, dass wir das versprochene, in Aussicht gestellte Flugzeug hierfür bald bereitstellen können. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu der allgemeinen Philosophie sagen, über die ich gesprochen habe. Deutschland steht zu den Rückversicherungsmaßnahmen. In der deutschen Öffentlichkeit ist nicht immer im Detail darüber gesprochen worden, was wir alles getan haben. Air Policing, Very High Readiness Joint Task Force – wer sich solche Begriffe ausdenkt, weiß ich auch nicht so genau – und andere Maßnahmen sind ein ganz klares Commitment zur Sicherheit der baltischen Staaten. Auch der Dialog mit Russland – ich würde mir manchmal wünschen, das würde von den Kolleginnen und Kollegen in den baltischen Staaten einmal honoriert – dient der Sicherheit des Bündnisses. Deswegen ist es richtig gewesen, dass unser Außenminister das deutlich gemacht hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde, wir haben uns vor diesem Gipfel vernünftig, ausgleichend, aber auch entschlossen aufgestellt. Das wird sicherlich auch in den Beratungen deutlich werden. Dass sich das deutsche Parlament in diesem Geiste mit der NATO identifiziert, aber auch die eigenen Interessen deutlich macht, – Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Niels Annen (SPD): – das ist der richtige Weg. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche gute Beratungen in Warschau. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Florian Hahn ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gipfel in Warschau fällt in eine wahrlich turbulente Zeit. Die Herausforderungen, darunter das Verhältnis zu Russland sowie der Krisengürtel, der vom Nahen Osten bis nach Nordafrika reicht, sind gewaltig. Daneben schaffen der internationale Terrorismus, der mitten unter uns wütet, wie wir mit Blick auf den furchtbaren Anschlag in Istanbul vor wenigen Tagen einmal mehr erleben mussten, die Verbreitung ballistischer Raketen und die Bedrohung durch Cyberangriffe eine neue, komplexe Unsicherheit, in der konkrete Gegenmaßnahmen immer schwerer zu finden sind. Kurz: Die NATO befindet sich in der schwierigsten Phase seit dem Ende des Kalten Krieges. Genau aus diesem Grund muss eine zentrale Botschaft in Warschau sein, dass wir weiterhin gemeinsam auf diese Veränderungen reagieren. Das wichtigste Signal nach außen muss unsere Geschlossenheit sein. In Zeiten wie diesen, in denen wir große sicherheitspolitische Aufgaben in Angriff nehmen, müssen Allianz und Partnerschaften wachsen, an Rückgrat gewinnen – zum einen aus den pragmatischen Gründen, aus der simplen Logik, dass man gemeinsam mehr erreicht als allein, zum anderen aufgrund der schlichten Erkenntnis, dass der Rückzug, die Einigelung, der Ausruf „Das geht mich nichts an“ oder „Wir können das auch alleine“ in der heutigen Welt, bei den aktuellen Bedrohungen nicht mehr möglich sind. Das Votum der Briten für den Austritt aus der EU erscheint vor diesem Hintergrund besonders gravierend. Aber auch wenn es eine tiefe Zäsur darstellt, ist es nicht das Ende Europas und erst recht nicht das Ende unserer sicherheitspolitischen Beziehungen zu Großbritannien. Wir werden weiterhin sehr eng mit den Engländern zusammenarbeiten, gerade im Rahmen der NATO. Auch bei uns und in den anderen europäischen Ländern gibt es Stimmen, die sagen: Die Kosten einer Allianz wie der NATO sind höher als ihr Nutzen. – Teilweise wird die Idee der transatlantischen Partnerschaft rundheraus abgelehnt. Ängste vor einer zu großen Dominanz der USA oder klassischer Antiamerikanismus sind treibende Kräfte der NATO-Kritiker. Die inhaltliche und sprachliche Nähe von Frau Wagenknecht und der Linken auf der einen Seite und von Herrn Höcke, AfD, auf der anderen Seite (Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Unverschämtheit! – Zurufe von der LINKEN: Oh, oh!) finde ich in diesem Zusammenhang besonders bemerkenswert und wirklich entlarvend. (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie schieben die Flüchtlinge ab! Sie halten die Flüchtlinge ab! Sie machen die Politik! Rechte Politik machen Sie!) Dem möchte ich entgegensetzen: Die NATO ist nicht nur ein Verteidigungsbündnis, durch das sich die Mitgliedsländer gegenseitig stützen; sie ist auch eine Wertegemeinschaft freier Staaten. Gemeint ist damit, dass wir geeint sind in unseren demokratischen Prinzipien und dass freie Rede und offene Diskussion die Basis aller Bündnisbeschlüsse sind. Hier muss, wenn nötig, auch Kritik geäußert werden. So ist beispielsweise das Verhindern eines Besuchs deutscher Abgeordneter bei unseren Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Incirlik, in einem NATO-Partnerland, indiskutabel und muss bei der NATO entsprechend angesprochen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussionen über die Prioritätensetzung angesichts gleichzeitiger Unsicherheiten im Osten und im Süden waren sehr lehrreich. Wie soll die NATO reagieren, wenn die Bedrohungsempfindungen der Mitglieder divergieren? Welche unterschiedlichen Antworten sind möglich, wenn sie zeitgleich gegeben werden müssen? Mit der schnellen Einigung auf die Mission in der Ägäis – übrigens ein Beispiel dafür, dass Frau von der Leyen die Dinge sehr gut im Griff hat, lieber Herr Hofreiter – sowie auf die Unterstützung Jordaniens hat die NATO gezeigt, dass sie keinesfalls auf den Osten fixiert ist, sondern auch im Süden entschlossen reagiert. Islamistischer Terror, bei dem Gewalt zum Selbstzweck geworden ist, aber auch Staatszerfall und Flüchtlingskrise fordern uns an der Südflanke in besonderem Maße. Eine ausschließlich militärische Antwort greift zu kurz. Weitere Anpassungen unserer Instrumente zur Stabilisierung der Region und eine enge Abstimmung mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union werden notwendig sein. Mit Blick auf russische Realitäten und die Sorgen unserer Bündnispartner im Osten möchte ich auf eine Tatsache hinweisen, die in der Mitte oder im Süden Europas gelegentlich in Vergessenheit gerät: Entfernung spielt eine Rolle. So trennt der Fluss Narva nicht nur Russland und Estland, sondern ist heute auch Trennungslinie zwischen Russland und der NATO. Außerdem befindet sich hier seit dem 1. Mai 2004 eine östliche Außengrenze der Europäischen Union. Glaubt man Experten, dann kann Russland in nur 60 Stunden das Baltikum überrennen. Selbst wenn ein solches Vorgehen hochgradig irrational wäre, muss man diese Fähigkeiten beachten und das Bedrohungsgefühl in Litauen, in Lettland, in Estland oder in Polen gerade mit Blick auf die Geschichte ernst nehmen. Das hat der Kollege Hofreiter ja sehr gut dargestellt. Ich möchte betonen: Vier ständige, rotierende Kampfbataillone im Osten des Bündnisgebietes sind dringend notwendig und stehen als begrenzte Militärpräsenz im Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte. 4 000 Soldaten sind wirklich kein Grund für Moskau, sich bedroht oder eingekreist zu fühlen. Sollte das wirklich so sein, wird das dem sonstigen militärischen Selbstbewusstsein der Russischen Föderation nicht gerecht. Bei all den Diskussionen der letzten Tage sollte eines klar sein – Generalsekretär Stoltenberg betont dies zu Recht immer wieder –: Die NATO sucht keine Konfrontation mit Russland. Die NATO reagiert auf russisches Handeln mit Maß, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber reagieren müssen wir, um glaubhaft zu demonstrieren, dass Bündnissolidarität weiterhin oberste Priorität hat. Natürlich müssen dabei die Abschreckungsanstrengungen mit Augenmaß erfolgen. Leider hat Russland in der Vergangenheit klassische Instrumente der Konfliktverhütung ignoriert, wie die Absage eines Treffens des NATO-Russland-Rates noch vor dem Warschauer Gipfel zeigt. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zudem auf eines hinweisen: Die NATO veröffentlicht auf ihrer Website alle Informationen zu ihren geplanten und vergleichsweise bescheidenen Manövern. Sie hält sich damit strikt an das Wiener Dokument der OSZE zur Beobachtung und Kontrolle von Manövern. Nicht so Russland: Übungen ohne Vorwarnungen in Grenznähe, sogenannte Snap Drills, häufen sich. 2016 wurden bereits acht unerwartete russische Übungen mit massivem Truppeneinsatz durchgeführt. Solche Provokationen können zu fatalen Fehlkalkulationen führen. Wir brauchen eine umfassende Transparenz der Manöver, um das Eskalationspotenzial so weit wie möglich kleinzuhalten. Gesprächskanäle und Möglichkeiten zur Kooperation gilt es immer aufrechtzuerhalten. Es ist wichtig, dass wir nicht ausschließlich übereinander reden, sondern auch miteinander. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Florian Hahn (CDU/CSU): Wenn der Kreml Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit zeigt, dann steht die Tür weit offen. Bis dahin muss aber das Signal sein, dass wir geschlossen hinter den verteidigungspolitischen Maßnahmen der NATO stehen. Eine Doppelstrategie aus Abschreckung und ausgestreckter Hand hat sich schon in der Vergangenheit bewährt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Florian Hahn (CDU/CSU): Deutschland hat 60 Jahre lang von der NATO profitiert. Das Bündnis war ein Garant für Frieden, Freiheit, Sicherheit und territoriale Integrität. Gerade in Berlin erinnern sich viele an den Sinn und Zweck faktischer militärischer Präsenz der NATO-Verbündeten. Das sollten wir uns immer wieder vor Augen halten. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Wolfgang Hellmich das Wort. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Hellmich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eingangs möchte ich der Bundeskanzlerin für ihre Regierungserklärung danken, weil sie den Soldatinnen und Soldaten, die mit ihren in der NATO hochgeschätzten Fähigkeiten an vielfältigen Stellen – in Stettin, in Polen und in den baltischen Ländern – im Auftrag der NATO ihren Dienst leisten, klargemacht hat, dass ihr Einsatz im Rahmen eines sehr ausgewogenen Konzepts der Bundesregierung auf der einen Seite Bestandteil des diplomatischen Dialogs ist und auf der anderen Seite Bestandteil der Bemühungen, die Verteidigungsfähigkeit der Bündnispartner der NATO zu stärken, zu sichern und zu festigen. Ich glaube, das ist der nötige politische Rahmen, der deutlich macht, dass nicht nur dieses Parlament, sondern auch die Bundesregierung hinter dem steht, was unsere Soldatinnen und Soldaten dort leisten. Wir müssen im Laufe der nächsten Zeit auch für die entsprechende Ausrüstung, Versorgung und personelle Ausstattung der Bundeswehr sorgen, damit sie ihren Auftrag erfüllen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Wagenknecht, eines zu Ihnen: Sie können noch so sehr versuchen, dieses Rednerpult zur Bühne Ihrer Propaganda zu machen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass, während wir in der NATO-Parlamentarierkonferenz versucht haben, in intensiven Diskussionen mit den Delegierten, mit vielen Parlamentariern aus anderen NATO-Staaten, dafür zu sorgen, den Ansatz der Bundesregierung, die 360-Grad-Perspektive, die dort wichtig ist, in den Beschlüssen zu verankern, Ihre Delegierten es vorgezogen haben, gar nicht erst zu kommen. – Das zu der Frage, was die Realität ist und was man im politischen Alltag tut. Deshalb fällt niemand auf Ihre Propaganda herein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das heißt wohl: Wenn man keine Mehrheit hat, geht man gar nicht erst in eine Debatte mit Abgeordneten. Das ist ein sehr interessanter Ansatz. Zuallerletzt, um meine drei Minuten sinnvoll auszufüllen, eine wichtige Botschaft: Die Bundesministerin der Verteidigung kann vieles regeln, auch in der Türkei; sie kann aber nicht das Zugangsrecht für Abgeordnete regeln. Deshalb werden wir es selber versuchen. Wir haben gestern im Verteidigungsausschuss einstimmig beschlossen, im Herbst eine Delegationsreise des Ausschusses in die Türkei zu machen mit dem Besuch der NATO-Einrichtungen, mit dem Besuch unserer Soldatinnen und Soldaten und mit Gesprächen mit den türkischen Abgeordneten, um an dieser Stelle deutlich zu machen, dass unter NATO-Partnern Abgeordnete freien Zugang nicht nur zu den Standorten der Soldatinnen und Soldaten des eigenen Landes, sondern auch zu den dortigen NATO-Einrichtungen haben und auch mit Abgeordneten des türkischen Parlamentes diskutieren können. In Tirana hatten wir die Gelegenheit, mit türkischen Abgeordneten zu sprechen, die uns sagten: Wir wissen nicht, ob wir nicht vielleicht schon in zwei Wochen im Gefängnis sitzen. – Wir werden all diese Punkte thematisieren, weil sie in eine Debatte um die NATO gehören. Das werden wir als Abgeordnete in der Türkei selber machen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Henning Otte erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Henning Otte (CDU/CSU): Herr Präsident, vielen Dank. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bevorstehende NATO-Gipfel in Warschau ist die Zusammenkunft einer Verantwortungsgemeinschaft, die als festes Bündnis für Frieden, für Freiheit und für Stabilität einsteht. Gerade in dieser Zeit, in der wie in einer Zeitenwende stabil geglaubte Strukturen plötzlich instabil zu sein scheinen, in der eine russische Regierung mit einem Völkerrechtsbruch eine aggressive Politik führt, in der Staaten im Nahen und Mittleren Osten zu zerfallen drohen und in der der IS-Terror zu einer Bedrohung des Weltfriedens wird, ist es von elementarer Bedeutung, dass wir auf dem NATO-Gipfel das Signal nach außen senden, und zwar geschlossen und entschlossen: Freiheit und Sicherheit sowie die Wahrung unserer Werte innerhalb unseres Bündnisses sind für uns unantastbar. Meine Damen und Herren, mit einem Dreiklang aus Verteidigungsbereitschaft, Ertüchtigungsbereitschaft und Dialogbereitschaft gewährleisten wir die Souveränität der Mitgliedstaaten. Die Souveränität, über die Deutschland jetzt verfügt, basiert auch darauf, dass die NATO eine Säule für den ständigen Dialog auch im Kalten Krieg war und ein Pfeiler der Wiedervereinigung. Dass die Linken das komplett anders sehen, ist nur so zu begründen, dass sie mit ihrer Geschichtsdeutung ohnehin ein Problem haben. Ich kann nur sagen: Wir von der Union und auch in der Großen Koalition wollen, dass diese Stabilität und Souveränität auch für die nächste Generation erhalten bleiben. Deutschland ist bereit, dafür Verantwortung zu übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD]) Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr sind die notwendigen Voraussetzungen geschaffen worden. Wir haben ein breites Fähigkeitsspektrum, sodass wir als Rahmennation unseren Partnern anbieten können, sich anzulehnen. Wir können frühzeitig mit flexiblen Strukturen auf sich verändernde Sicherheitslagen reagieren, und wir übernehmen auch Verantwortung in Vorleistung, beispielsweise mit der sogenannten schnellen Speerspitze. Dies begleiten wir mit einer stärkeren finanziellen, personellen und auch materiellen Ausstattung; denn wir sagen: Attraktivität, Ausrüstung und Ausbildung sind die drei festen Säulen für unsere Streitkräfte innerhalb der NATO. Unsere Bundeskanzlerin hat auch deutlich gesagt, dass wir, gemessen an der NATO-Quote, bereit sein müssen, mehr zu investieren. Eine gute Investition in Sicherheit, in Freiheit ist das unverrückbare Fundament unserer Gesellschaft. Diese Freiheit ist allerdings in Gefahr, zum einen aufgrund des aggressiven Vorgehens, mit dem Grenzen in Europa wieder mit militärischen Mitteln verschoben werden, zum anderen aufgrund des Aufkommens des IS-Terrors, im Zuge dessen ganze Staaten unterhöhlt, Menschen rücksichtslos gewaltsam ermordet oder durch Terroranschläge getötet werden. Dieser doppelten sicherheitspolitischen Bedrohung müssen wir ein klares Signal entgegensetzen, und zwar durch Bündnistreue und Verlässlichkeit. Insbesondere unsere Partner in den baltischen Staaten und in Polen machen sich Sorgen um die Integrität ihres Staatsgebietes. Gerade wir in Deutschland können dies nachempfinden. Deswegen ist es gut, dass wir die NATO-Pläne in Warschau konkretisieren, dass wir mit einer Enhanced Forward Presence, einer „Vorne-Präsenz“, deutlich machen: Wir stehen füreinander ein. Warum und mit welchem Ziel? Mit dem Ziel, einem möglichen Aggressor deutlich zu machen, dass er sich, wenn er Grenzen überschreiten sollte, nicht nur mit einem Land anlegt, sondern mit allen, und mit dem klaren Ziel, dass dies möglichst nicht geschieht. Dieses Vorgehen ist in Bezug auf den Personalumfang und durch die rotierenden Formationen im Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte. Es bleibt unverrückbar, dass die NATO-Russland-Grundakte durch die Annexion der Krim gebrochen worden ist; das müssen wir immer wieder ganz deutlich herausstellen. Wir lassen unsere Verbündeten nicht allein, und wir lassen uns durch Drohungen auch nicht einschüchtern. Das ist beileibe kein Säbelrasseln, sondern Ausdruck politischer Verantwortung für Frieden und Freiheit in Deutschland und Europa. Ich danke unserer Bundeskanzlerin und unserer Bundesverteidigungsministerin, dass sie keinen Zweifel daran aufkommen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der osteuropäische NATO-Deich muss so erhöht werden, dass Aggressionen nicht überschwappen können, und er muss so stabil sein, dass auch eine Unterhöhlung durch eine hybride Kriegsführung mittels Propaganda nicht gelingen kann. Eine solche Garantiestellung darf aber keine Einbahnstraße sein. Alle osteuropäischen NATO-Partner sind aufgefordert, das Mögliche zu tun, um ihre Strukturen zu stärken. Wir wollen mit einer klaren Dialogbereitschaft und mit einer klaren abschreckenden Verteidigungsstrategie deutlich machen, dass diese Investition der beste Schutz der Sicherheit sozusagen im inneren Ring ist. Aber auch der äußere Ring muss vor dem weltweit agierenden Terrorismus geschützt werden. Terrororganisationen wie al-Qaida, al-Nusra, Boko Haram, Taliban oder eben der IS sind eine Bedrohung für den Weltfrieden. Dem stellen wir uns aus unserer Überzeugung für eine zivilisierte Welt entgegen – zur Wahrung der Menschenrechte und zum Schutz unserer Bündnispartner. Wir wollen uns Gefahren dort entgegenstellen, wo sie entstehen. Deswegen ist es gut, dass wir Länder wie Afghanistan und Irak auf ihre Einladung hin unterstützen, dass wir sie in die Lage versetzen, für Stabilität und Sicherheit im eigenen Land zu sorgen, indem wir sie im Kampf unterstützen, aber vor allem auch bei der Ausbildung, über Beratung und Ertüchtigung, immer orientiert an der jeweiligen Lage, immer orientiert am besten Einsatz der Institutionen, Vereinte Nationen, OSZE, EU oder auch NATO. Die Gleichzeitigkeit und Schnelligkeit der Krisen fordern uns. Das ist eine Herausforderung. Ebenso haben wir eine unsichtbare Herausforderung, nämlich die Gefahr im Cyberraum. Darauf wird mit dem Weißbuch aus dem Verteidigungsministerium ein deutlicher Schwerpunkt gelegt. Wir müssen uns diesen Gefahren entgegenstellen; denn Angriffe über Server in allen Teilen der Welt, deren Wirkung erst später sichtbar wird, können verheerende Konsequenzen haben. Zusammengefasst: Der NATO-Gipfel muss auf die gleichzeitigen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, Antworten finden, und zwar immer im Geiste der Kooperation, immer im Geiste der Diplomatie. Wir wollen, dass unsere Werte und Grundsätze gelebt, geschützt und auch verteidigt werden können. Freiheit kann es nur mit Sicherheit geben. Gemeinsam sind wir stark – gestern, heute und auch morgen für die nächsten Generationen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich als abschließender Redner meiner Fraktion und auch in dieser Debatte einige Aspekte beleuchten, die mir besonders wichtig sind und die in dieser Form vielleicht noch nicht angesprochen worden sind. Am heutigen Tag möchte ich in Anlehnung an einen berühmten Satz aus dem Fußball sagen: 29 Freunde müsst ihr sein. – Ich möchte damit sagen, dass die NATO ein Wertebündnis ist und dass die Parlamentarier und die Regierungen, die in der NATO zusammenarbeiten, ein Stück weit den Geist ausstrahlen sollten, den wir von unseren Soldatinnen und Soldaten erwarten, die innerhalb der NATO zusammenarbeiten, nämlich Fairness und Kameradschaftlichkeit. Artikel 3 des Washingtoner Vertrages, also des NATO-Vertrages, besagt: Gegenseitige Unterstützung ist eine der wichtigen Aufgaben des Bündnisses. Vor diesem Hintergrund waren wir ziemlich befremdet, als die türkische Regierung vor einigen Wochen zunächst den Zugang von Journalisten im Rahmen der Pressearbeit der Bundeswehr zu den deutschen Soldaten in der Türkei verhinderte und dann auch noch die Reise unseres Parlamentarischen Staatssekretärs. Das führt mich zu dem Gedanken: Vielleicht sollten wir angesichts solcher unakzeptablen Vorgänge einmal auf NATO-Ebene in aller Ruhe über eine Verfahrensordnung nachdenken, mit der geregelt wird, wie mit den Wünschen von Regierungen oder Parlamentariern, ihre eigene Truppe in einem anderen Land zu besuchen, umzugehen ist. Ich hatte gedacht, das wäre selbstverständlich. Ein Regelwerk dazu gibt es bisher nicht. Deswegen rege ich an – vielleicht nicht auf dem Gipfel, aber im NATO-Rat –, einmal darüber nachzudenken, wie man hier zu besseren Ergebnissen kommen könnte; denn es ist schlicht unakzeptabel, dass die Bürgerarmee Bundeswehr in der Türkei von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern nicht besucht werden darf. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Aspekt, auf den ich hinweisen möchte, ist: Wer rüstet hier eigentlich auf? Ich möchte an dieser Stelle in Erinnerung rufen: Es geht nicht nur um den Einmarsch Russlands auf der Krim und um die Einmischung Russlands im Osten der Ukraine, sondern es geht auch darum, dass die russische Regierung im Mai des vorletzten Jahres anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag des Kriegsendes angekündigt hat, im großen Stil den Bau einer neuen Generation von Panzern in Auftrag zu geben. Wir wissen, dass diese Panzer vermutlich eher im Westen Russlands eingesetzt werden, also westlich des Urals, und sind schon der Meinung, dass dieser Schritt eine Aufrüstung Russlands darstellt, die wir nur mit großer Sorge betrachten können. Wir haben ganz konkret mit Blick auf das, was im Westen Russlands passiert, Kenntnis von öffentlichen Ankündigungen, dass drei Divisionen umgruppiert werden. Mindestens 30 000 Soldaten werden an der Westgrenze Russlands und an der Grenze zur Ukraine verstärkt eingesetzt. Dagegen ist die Stationierung von maximal 9 000 Soldaten, die die NATO im Zuge ihres transparenten Plans zur Verstärkung der Soldaten im Osten Europas aufbaut, doch nun wirklich eine vergleichsweise milde und angemessene Reaktion. Das als Einstieg in eine Aufrüstungsspirale zu sehen, finde ich schlicht falsch. Das wird der Sache nicht gerecht. Die Bundeswehr beteiligt sich ganz konkret in Litauen mit der Übernahme der Führung über ein Bataillon. Wir sind im Übrigen auch in Polen beim Multinationalen Korps stark engagiert, um nur zwei Beispiele zu nennen. Deutschland wird seiner Bündnisverpflichtung also gerecht. Zu einem dritten Aspekt, den ich kurz ansprechen will. Es wird gelegentlich der Eindruck erweckt, auch durch Äußerungen von Politikern in Deutschland, die NATO hätte ein Defizit mit Blick auf den Dialog mit Russland. Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen. Man bietet nicht nur häufig an, den NATO-Russland-Rat einzuberufen, um mit Russland zu diskutieren – ich bin übrigens der Meinung, dass das eines Tages auch im Ministerformat geschehen kann –, sondern es gibt auch auf ganz vielen anderen Ebenen Gespräche zwischen NATO-Partnern und Russland. Das sind im Übrigen sehr konstruktive Gespräche. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass ich mich gefreut und fast ein bisschen gewundert habe, dass die neue UN-Resolution zu Libyen mit 15 : 0 durch den Sicherheitsrat gegangen ist, also ausdrücklich mit Unterstützung Russlands. Eine Sprachlosigkeit zwischen Russland und dem Westen kann ich insofern Gott sei Dank nicht erkennen. Wir sollten uns diesen Schuh auch nicht anziehen, zumal Deutschland hier eine führende Rolle innehat. Der NATO-Gipfel findet in einer schwierigen Zeit an einem bedeutenden Ort statt. Ich bin absolut sicher, dass alle Staats- und Regierungschefs diesen Gipfel sehr verantwortungsvoll nutzen werden, einerseits, um weiter Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, andererseits, um keinen Zweifel an unserer Verteidigungsfähigkeit zu lassen. Das sind wir unseren Partnern im Osten Europas schuldig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9086. Die Kollegin Beck hat mir mitgeteilt, dass sie an dieser Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung nicht teilnimmt. Sie hat eine persönliche Erklärung vorgelegt, die wir dem Protokoll beifügen.1 Ich lasse jetzt über diesen Entschließungsantrag abstimmen. Wer stimmt dem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/8767 Nr.  3 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Cornelia Möhring, Frank Tempel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (… StrÄndG) Drucksache 18/7719 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung Drucksache 18/5384 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/9097 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir später drei namentliche Abstimmungen durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig einvernehmlich. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Eva Högl für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Einen schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen heute im Deutschen Bundestag eine Reform des Sexualstrafrechts beschließen. Wir wollen mit dieser Reform endlich den Grundsatz „Nein heißt nein“ ins deutsche Strafgesetzbuch schreiben. (Beifall im ganzen Hause) Wir wollen, dass jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung künftig unter Strafe gestellt wird. Wer gegen den erkennbaren Willen eine sexuelle Handlung an einer anderen Person vornimmt, macht sich künftig strafbar. Das ist eine wirklich wegweisende Reform. Wir nennen das auch einen Paradigmenwechsel. Außerdem wollen wir die sexuelle Belästigung endlich unter Strafe stellen. Bisher ist es so, dass viele sexuelle Belästigungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle sind und nicht mit dem Strafrecht geahndet werden können. Das wollen wir ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und wir wollen bestrafen, wer sich an einer Gruppe beteiligt, wenn aus der Gruppe heraus Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen werden. Das ist eine wegweisende Reform. Wir können mit dieser Reform auch die Istanbuler Konvention ratifizieren, die 2011 unterschrieben wurde. Sie kann jetzt endlich umgesetzt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Das wurde auch Zeit!) – Das wurde auch Zeit. Eine solche Reform hat immer viele Väter und Mütter, in diesem Fall ganz besonders viele Mütter. Deswegen möchte ich an dieser Stelle den vielen danken, die an dieser Reform mitgearbeitet haben; denn so etwas ist immer Teamwork. Verbände, Vereine und Einzelpersonen haben uns ganz tatkräftig unterstützt. Ich möchte hier einige stellvertretend für viele andere herausheben. Einige von ihnen haben wir eingeladen, heute an unserer Debatte teilzunehmen. Ich begrüße sie auf der Tribüne ganz herzlich. (Beifall) Herzlichen Dank an Katja Grieger und den Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe für die profunde Analyse der Strafbarkeitslücken, die eine gute Grundlage für unsere Debatte war. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank dem Deutschen Juristinnenbund, stellvertretend Dagmar Freudenberg, dem Deutschen Institut für Menschenrechte, hier insbesondere an Heike Rabe, der Rechtsanwältin Christina Clemm, der Professorin Tatjana Hörnle, dem Professor Jörg Eisele und vielen anderen für guten juristischen Rat, für Unterstützung und für Hilfestellung bei den Formulierungen. Ich möchte mich auch ausdrücklich nicht nur beim Koalitionspartner für die guten Gespräche bedanken, sondern auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Vielen Dank für den guten Austausch, der ermöglicht, dass wir heute – mit großer Mehrheit hoffentlich – diese Reform im Deutschen Bundestag beschließen können. Auch dafür an dieser Stelle ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als erste Rednerin in dieser Debatte möchte ich, lieber Heiko Maas, auch dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zunächst einmal für den guten Gesetzentwurf, der vor einem Jahr, im Sommer 2015, vom Bundesjustizministerium vorgelegt wurde und der Strafbarkeitslücken schließen wollte, danken. Das war das Ansinnen. Damals – daran muss ich an dieser Stelle auch erinnern – war in unserer Koalition nicht mehr möglich. Damals ging schon dieser Gesetzentwurf aus dem Haus von Heiko Maas dem Koalitionspartner zu weit, weswegen er lange blockiert wurde. (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!) Jetzt haben die Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Initiative ergriffen. Es gab eine Möglichkeit, weiterzugehen. Deswegen, lieber Heiko Maas, möchte ich mich an dieser Stelle für die tolle Unterstützung bedanken. Bis zur letzten Minute hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz uns Abgeordnete mit fachlichem Rat und guten Formulierungen unterstützt. Dafür herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Kritikern. Uns wird vorgeworfen, diese Reform greife viel zu weit und produziere Beweisschwierigkeiten. Diese Argumente kennen wir schon aus der Debatte um die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Erst seit 1997 – man mag es sich kaum vorstellen – ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Ja, meine Damen und Herren, wir gehen weit. Wir verschärfen das Strafrecht, verschärfen es ganz ordentlich; denn wir wollen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ganz ausdrücklich stärken. Das tun wir auch mit den Mitteln des Strafrechts, indem wir die Täter schärfer bestrafen. (Beifall bei der SPD) Bei der sexuellen Selbstbestimmung gibt es ganz häufig Situationen, in denen nur zwei Personen beteiligt sind, und natürlich produziert das auch Beweisschwierigkeiten. Aber das ist schon jetzt so, und das wird sich durch unsere Reform nicht verändern. Ich vertraue ganz ausdrücklich auf die guten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, auf die Strafgerichte, die mit hoher Kompetenz in der Lage sind, die Aussagen gegenüberzustellen und zu bewerten und dann auch die richtigen Urteile zu sprechen. Das wird sich mit unserer Reform nur verstärken, aber keinesfalls verschlechtern. Meine Damen und Herren, wenn wir das Strafrecht reformieren, dann ist das ein wichtiger Baustein, über den wir heute beraten. Aber was wir vor allen Dingen brauchen, ist eine tatkräftige Unterstützung für Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Wir brauchen Schutz für Opfer. Wir brauchen Beratungs- und Hilfsangebote, und wir brauchen vor allen Dingen eine flächendeckende Möglichkeit der anonymen Dokumentation solcher Straftaten, damit die Opfer die Möglichkeit haben, sich in Ruhe zu überlegen, ob sie die Straftat anzeigen oder nicht. Das sind weitere wichtige Begleitmaßnahmen, die wir zusätzlich benötigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine letzte Bemerkung in Richtung des Koalitionspartners. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich schon für die guten Gespräche und die gute Verhandlung bedankt. Wir haben in dieser Legislaturperiode die Quote gemeinsam verabschiedet; das war ein langer Weg. Wir haben gute Überzeugungsarbeit geleistet, konnten sie im März verabschieden. Wir verabschieden heute die Reform des Sexualstrafrechts. Diese Reform wurde lange blockiert, jetzt haben Sie sich von uns überzeugen lassen. Das ist gut so. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist die Unwahrheit! Das stimmt ja gar nicht! Eine Frechheit! Der Herr Maas hat keinen Entwurf vorgelegt!) Ich würde gern in dieser Legislaturperiode, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einen dritten Schritt mit Ihnen gemeinsam gehen und auch die Lohngleichheit verabschieden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das darf in dieser Debatte auch gesagt werden. Dann hätten wir in dieser Koalition einen ganz wunderbaren Dreiklang aus Quote, Sexualstrafrecht und Lohngleichheit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Eva Högl. – Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite! Nächste Rednerin: Cornelia Möhring für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir hier heute den Grundsatz des „Nein heißt nein“ endlich verankern, ist tatsächlich ein großartiger Erfolg. Es ist ein Erfolg aller Fraktionen im Bundestag und besonders – das hat Kollegin Högl schon gesagt – ist es auch ein Erfolg der Frauen in Beratungsstellen und Notrufen, die mit ihren Organisationen und Verbänden seit sehr vielen Jahren dafür gekämpft haben. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Wir wissen, dass viele von ihnen heute hier sind. Ich möchte ihnen noch einmal ausdrücklich danken. Ich bin mir sicher: Ohne sie wären wir heute tatsächlich noch nicht so weit gekommen. Ich hätte vor zwei Jahren auch nicht geglaubt, dass wir es tatsächlich in dieser Legislaturperiode schaffen. Mir scheint es aber aus mehreren Gründen wichtig, hier ausdrücklich zu betonen, dass die Änderung des § 177 StGB auf ein Problem reagiert, das es schon sehr viel länger gibt als erst seit Silvester. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegin Högl hat schon an die aufrüttelnde Studie des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, bff, erinnert. In dieser Studie wurde die Notwendigkeit der Reform des Sexualstrafrechts sehr anschaulich nachgewiesen. Die Zahlen gingen vor zwei Jahren durch die Medien. Da hieß es: In den Jahren 2001 bis 2012 wurden jährlich 8 000 Vergewaltigungen angezeigt. Aus diesen 8 000 Anzeigen folgten durchschnittlich pro Jahr 1 314 Anklagen, und daraus folgten pro Jahr 986 Verurteilungen. Gemessen an der Zahl der Anzeigen liegt die Verurteilungsquote damit bei gerade einmal 8,4 Prozent. Der Anteil der Frauen, die eine erlebte Vergewaltigung nicht anzeigen, liegt nach unterschiedlichen Studien bei 84,5 bis 95 Prozent. Andersherum gesagt: Nur 5 bis 10 Prozent bringen überhaupt eine Vergewaltigung zur Anzeige, sicherlich auch deshalb, weil die meisten Vergewaltigungen bisher gar nicht als strafwürdig galten. Nun macht sich strafbar, wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt. Eine Frau muss also nicht schreien oder sich körperlich wehren. Sexuelle Handlungen gegen ihren Willen sind auf jeden Fall Unrecht. Erniedrigende Erlebnisse wie die, wenn es früher im Gerichtssaal hieß, die angezeigte Vergewaltigung sei gar keine, weil die Frau sich nicht ausreichend gewehrt hätte, sind nun hoffentlich bald Geschichte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke sagt Ja zu dem neuen Grundtatbestand „Nein heißt nein“. Die Linke wird diesem Paragrafen geschlossen zustimmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber Sie werden heute auch Regelungen auf den Weg bringen, denen wir uns als Linke nicht anschließen können. So wollen Sie sexualisierte Straftaten aus Gruppen heraus gesondert unter Strafe stellen. Gemeinschaftliche Handlungen, Mittäterschaften sind aber bereits strafrechtlich erfasst. Wenn Sie sich einmal bitte an die Debatten im Zusammenhang mit den Übergriffen in der Silvesternacht erinnern, dann wissen Sie doch um das riesige Gewicht, das rassistische Bilder und Argumentationen eingenommen haben. Dann müsste Ihnen doch klar sein, dass Sie solche Bilder, das Problem sei vor allem sexualisierte Gewalt aus migrantischen Gruppen, damit verstärken. Sie wissen aber auch, dass die überwiegende Mehrheit der Täter bei Vergewaltigungen aus dem Nahbereich kommt. Ich wiederhole: Gemeinschaftliche Handlungen, Mittäterschaften sind bereits strafrechtlich erfasst. Trotz dieser grundsätzlichen Kritik hätten wir wahrscheinlich nicht nur zum neuen § 177, dem „Nein heißt nein“, Ja gesagt, sondern zum gesamten Gesetzentwurf. Aber dann haben Sie am Montag ohne Ankündigung Änderungen eingereicht, mit denen Sie die notwendigen Veränderungen des Sexualstrafrechts mit einer erneuten Verschärfung des Aufenthaltsrechts verknüpfen. Sie sagen, Sie folgen damit der Logik Ihrer bereits im März vorgenommenen Verschärfungen im Aufenthaltsrecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wird es mitnichten besser. (Beifall bei der LINKEN) Sie lenken durch diese Verknüpfung den Blick vom Selbstbestimmungsrecht der Frau, Nein zu sagen, erneut auf den potenziellen Täter. So bedienen Sie Fremdenfeindlichkeit und instrumentalisieren unser hart erkämpftes Frauenrecht. Das ist inakzeptabel und wird von der Linken abgelehnt. (Beifall bei der LINKEN) Wir werden uns deshalb insgesamt enthalten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Cornelia Möhring. – Nächste Rednerin: Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn wir gleich die Reform des Vergewaltigungsparagrafen verabschieden, dann bringen wir eine gute und notwendige Reform ins Gesetzblatt. Wir setzen damit die Diskussion der letzten Monate um, die vor allem eins klar gezeigt hat: Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung verträgt keine Einschränkung. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Schutz darf nicht davon abhängen, dass sich das Opfer vergeblich gewehrt und weitere Risiken in Kauf genommen hat, sondern ein schlichtes „Nein“ muss reichen. Allein am erkennbaren Willen des anderen in der konkreten Situation entscheidet sich, ob eine sexuelle Handlung schön und in Ordnung ist oder eben nicht, und zwar unabhängig von irgendeiner vermeintlichen Rechtsposition, irgendeiner Erwartung, einer Gegenleistung, einer Bezahlung, unabhängig davon, ob der Wille anfänglich einmal da war und sich dann geändert hat – auch das ist jederzeit möglich –, und unabhängig von einer Erkrankung oder einer Behinderung des Opfers. Jeder, der einen Willen hat und ihn zum Ausdruck bringt, ist in Zukunft durch diesen Grundsatz geschützt: „Nein heißt nein“. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Natürlich sind auch die anderen Konstellationen im Gesetz klar erfasst. Nötigung, Gewalt, Überraschung, K.-o.-Tropfen, Klima der Gewalt, das sind die Stichworte, die hier zu nennen sind. Auch dafür gibt es passende und effektive Regelungen. Vor allem: Das Prinzip „Nein heißt nein“ bringt jetzt noch einmal ganz klar und für jeden Mann und jede Frau verständlich ins Gesetz, wo die rote Linie des strafbaren Unrechts beginnt, und es ist sehr wichtig, dass diese Botschaft durch das Strafrecht auch in die Gesellschaft hineingetragen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In der Diskussion in den vergangenen Monaten habe ich fast ausschließlich Zustimmung gehört. Hier und da gab es die besorgte Frage, wie es denn mit der Beweisbarkeit aussieht. Ich kann hier ganz klar beruhigen: Der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt weiterhin. Er ist im Strafrecht essenziell. Daran ändert sich gar nichts. Für mich war es wichtig, dass ich bei fast allen Menschen eine große Zustimmung erlebt habe. Bei vielen jungen Frauen erlebte ich auch Erstaunen, dass das nicht längst Gesetz ist. Bei älteren Frauen hörte ich manchmal – das hat mich dann auch sehr berührt – einen Unterton der persönlichen Betroffenheit und der Genugtuung. Aber auch von Männern habe ich ganz viel Zustimmung erlebt, weil es heutzutage eben auch dem Selbstverständnis der Männer entspricht, dass sexuelle Handlungen und sexuelles Erleben auf dem Willen beider Partner beruhen müssen. Hier lassen auch sie sich nichts sagen, und das entspricht auch deren Lebensgefühl und -empfinden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Dass wir das heute gesetzlich regeln, ist ein großer Erfolg der sprichwörtlich vielen Väter und diesem Fall Mütter. Auch ich möchte den Frauenverbänden danken, die uns mit ihrer Analyse der Schutzlücken hier wirklich einen entscheidenden Impuls gegeben haben. Er hat dazu geführt – das darf ich hier auch noch einmal feststellen –, dass sich die Rechtspolitiker der Union schon frühzeitig, nämlich bereits vor zwei Jahren, ganz klar dazu positioniert und gesagt haben, dass sie hier einen Reformbedarf sehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Ist gar nicht aufgefallen! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: War aber gut versteckt! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ist uns aber nicht aufgefallen!) Auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition haben das gemacht. Wir haben Pressemitteilungen herausgegeben und Pressegespräche dazu geführt. – Wenn ihr das nicht mitbekommen habt, dann ist das euer Problem. Ich kann das beweisen und belegen. Das war schon ganz früh unsere Position. Wir haben uns dann gemeinsam auf einen langen Weg gemacht, und schon ein Jahr später hat der Justizminister einen Entwurf vorgelegt, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Hört! Hört!) der uns viel Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben hat, und das Nachbessern war auch schön. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sie wollten ihn nicht! Er ging Ihnen zu weit! Ein halbes Jahr lag er im Kanzleramt! Ein halbes Jahr hat es euch nicht interessiert!) Die Fraktion hat das Thema beackert und vorangetrieben, und die Frauen-Union hat dafür gesorgt, dass die angesprochenen klaren Aussagen zu diesem Thema in die Mainzer Erklärung gekommen sind. (Ulli Nissen [SPD]: Die SPD-Frauen haben das schon zig Jahre gefordert! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum habt ihr es mit Rot-Grün nicht hingekriegt?) Wir haben den Ball dann gemeinsam mit den Frauen der Koalition aufgegriffen, und ein paar furchtlose Männer waren auch dabei. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau! Aus der CDU/CSU! – Ulli Nissen [SPD]: Viele Hundert Mütter und viele Hundert Väter!) Ich denke, das ist das Entscheidende: Wir haben jetzt eine gute Regelung vorgelegt, die auch ins Gesetzblatt kommt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Ich danke an dieser Stelle den Mitarbeitern, die uns hier sehr geholfen haben; das muss ich wirklich sagen. Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern aus dem Ministerium, die am Ende doch nicht beleidigt waren, dass wir den ursprünglichen Entwurf noch einmal grundlegend überarbeitet haben, und uns auf den letzten Metern auch noch sehr geholfen haben. Auch dafür vielen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU) Wir führen zwei neue Tatbestände ein. Wir stellen das Grapschen unter Strafe, das bisher die Erheblichkeitsschwelle des alten Vergewaltigungsparagrafen nicht überschritten hat. Der flüchtige Griff an den Po oder an die Brust wird damit sanktioniert. Auch hier ist der erkennbare Wille des Gegenübers der Maßstab. Der zweite Tatbestand stellt den Übergriff aus einer Gruppe heraus auf ein bedrängtes Opfer unter Strafe. Aus der Perspektive des Opfers ist dieser Übergriff ein ganz besonders traumatisches Erlebnis. Die Opfer schildern das Gefühl von Ohnmacht, Angst und Ekel und sagen, dass sie dieses Gefühl nicht mehr loswerden. In dieser Konstellation ist es eben typisch, dass dem Mitmacher in der dritten oder vierten Reihe nicht mehr genau nachgewiesen kann, dass er wusste, was die da vorne machen, und diesen Vorsatz in sein Handeln mit aufgenommen hat. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Problem!) Wir sind aber der Auffassung, dass derjenige, der in der dritten oder vierten Reihe durch sein Mitdrängen das Gefahrenpotenzial für das Opfer erhöht, die Verletzung des Opfers mitverursacht und sein Verhalten ein erhebliches Unrecht darstellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Deshalb halten wir es für richtig, auch daran schon anzuknüpfen und dieses Verhalten unter Strafe zu stellen. Der Täter muss diese beiden Elemente in seinen Vorsatz aufnehmen: Er muss wissen, dass er mitmacht, und er muss wissen, dass diese Gruppe Straftaten begeht. Wenn dann noch als objektive Bedingung der Strafbarkeit ein sexueller Übergriff hinzukommt, dann ist das sanktionierbar. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, Ihre Redezeit. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, die Verbindlichkeit des „Nein heißt nein“ verträgt keine Einschränkung. Das gilt auch hier. Ich denke, das ist die wichtige und gute Botschaft des heutigen Tages, nicht nur, aber vor allem für Mädchen und Frauen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Elisabeth Winkelmeier-Becker. – Nächste Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es tatsächlich geschafft: Künftig wird jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer Person unter Strafe gestellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Mit diesem neuen Grundtatbestand in § 177 StGB wird die sogenannte „Nein heißt nein“-Lösung rechtstechnisch konsequent umgesetzt. Meine Fraktion hat genau diesen Vorschlag schon im letzten Sommer in einem Gesetzentwurf eingebracht. Umso mehr freue ich mich, dass auch Sie sich letztlich auf diese Formulierung geeinigt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Bei dieser Gelegenheit will ich noch einmal betonen, dass weder die Ereignisse von Köln noch irgendwelche laufenden Strafverfahren Auslöser dieser Reform waren. Wir haben uns allesamt mit der Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte ausführlich auseinandergesetzt, die einen etwas früher, die anderen etwas später. Aber am Ende wollen wir nicht kleinlich sein: Das Ergebnis zählt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Leider haben Sie sich nicht dazu durchringen können, diesen Gesetzentwurf mit uns gemeinsam fraktionsübergreifend einzubringen. Vielleicht hätten wir Sie in diesem Zusammenhang davon überzeugen können, den überflüssigen § 184h StGB mit seiner Erheblichkeitsschwelle im vorliegenden Gesetzentwurf zu streichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Unerhebliche Handlungen können nämlich per se nicht strafbar sein. Das gilt für alle Strafrechtsgüter und damit auch für die sexuelle Selbstbestimmung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir dann noch die Strafandrohung im geplanten § 177 Absatz 1 StGB im Gesetzentwurf herabgesetzt hätten, wäre ein gesonderter Straftatbestand der sexuellen Belästigung komplett überflüssig geworden. Aber wenn das der einzige Schönheitsfehler gewesen wäre, hätten wir für heute keine getrennte Abstimmung verlangen müssen. Stattdessen haben Sie wieder einmal ein Koalitionspaket geschnürt, in dem sich die CSU mit einem ebenso populistischen wie verfassungswidrigen Straftatbestand verewigen durfte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Mit dem neu eingeführten § 184j StGB wollen Sie allen Ernstes eine Gruppenzugehörigkeit unter Strafe stellen. So etwas geht in unserer Rechtsordnung gar nicht. Das ist auch gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nach unserer Verfassung kann jede und jeder nur für seine eigene individuelle Schuld bestraft werden, sei es, weil er selbst Mittäter ist, sei es, weil er Beihilfe geleistet hat, sei es, weil er zu einer Tat angestiftet hat. Wenn all diese Voraussetzungen nicht vorliegen, können wir nicht darauf ausweichen, jemanden wegen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, also quasi wegen Sippenhaft, zu verurteilen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Daran ändert auch der geänderte Satzanfang nichts, in dem es heißt: „Wer eine Straftat dadurch fördert ...“. Auch diese Person kann nur wegen der Straftat, die sie gefördert hat, verfolgt werden, nicht wegen einer völlig anderen Straftat. (Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU]) Das Fallbeispiel, Herr Hoffmann, geht so: Eine Gruppe von Jugendlichen, zu denen zufällig Ihr 16-jähriger Sohn gehört, beschließt, einem ortsbekannten Schläger und Drogendealer einmal ordentlich die Meinung zu sagen. Sie erwischen ihn nach dem Kino mit seiner Freundin, drängen ihn in eine dunkle Ecke und drohen ihm Schläge an, wenn er noch einmal in dem Viertel auftaucht. Eine solche Bedrohung ist eindeutig eine Straftat, auch wenn Ihr Sohn irrigerweise glaubt, er sei für Frieden und Freiheit unterwegs. Dummerweise steht an diesem Abend auch ein Ihrem Sohn völlig Unbekannter in der Gruppe, der vor dem Auseinanderlaufen der Freundin des Bedrohten in den Schritt greift und an den Busen grapscht. Dumm gelaufen für Ihren Sohn; denn er wird künftig damit leben müssen, wegen einer Sexualstraftat vorbestraft zu sein. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Genau das wird nicht erfasst!) Was die Beteiligung an einer Gruppe überhaupt bedeutet, bleibt völlig nebulös. Zur Beruhigung schreiben Sie in Ihrer Gesetzesbegründung, dass reine Ansammlungen von Menschen nicht gemeint sind. Ich zitiere wörtlich aus der Gesetzesbegründung: … zum Beispiel macht sich nicht strafbar, wer in der überfüllten U-Bahn mitfährt, in der eine andere Person sexuelle Handlungen … vornimmt … Jetzt sind wir aber echt beruhigt, dass wir noch U-Bahn fahren dürfen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Mit diesen rechtsstaatlich nicht tragbaren Konstruktionen zwingen Sie uns heute zu einer getrennten Abstimmung. Montagnachmittag haben Sie uns dann noch eine Änderung des Aufenthaltsrechts untergejubelt, mit der Sie die Verschärfung der Verschärfung zur Sicherheit noch einmal verschärfen. Bei der Abschiebung Straffälliger wird jetzt auf den neuen § 177 StGB verwiesen, der aber ganz anders als der bisherige Tatbestand viel niedrigschwelligere sexuelle Handlungen erfasst und weder Gewalt noch Nötigung zur Tatbestandsvoraussetzung hat. Das ist schlicht unverhältnismäßig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie an die Redezeit! Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einem solchen Paket inklusive verfassungswidriger, populistischer Straftatbestände können wir Grünen am Ende nicht zustimmen. Viele in meiner Fraktion bedauern das sehr, zumal wir die Ersten waren, die den heutigen Vorschlag eines § 177 StGB entwickelt und eingebracht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber immerhin: Diesen Erfolg kann uns jetzt niemand mehr nehmen. Der neue § 177 StGB ist ein Meilenstein für den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in diesem Land, und darauf kommt es am Ende an. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Keul. – Nächste Rednerin: Dr. Carola Reimann für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 30 Jahren kämpfen Frauen dafür, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung besser geschützt wird. Die heutige Reform des Sexualstrafrechts mit der klaren Botschaft „Nein heißt nein“ wäre ohne dieses Engagement nicht möglich gewesen. Der Gesetzentwurf ist also nicht einfach eine schlichte Reaktion auf die Vorfälle in der Silvesternacht. Er ist vielmehr Ergebnis des beharrlichen Einsatzes vieler Frauen innerhalb, aber auch außerhalb des Parlaments. Dafür möchte ich mich bei ihnen – einige sind heute auch anwesend – herzlich bedanken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen, bereits 2011 hat Deutschland die Istanbul-Konvention unterzeichnet. Darin ist unmissverständlich festgehalten – das hat die Kollegin Högl heute Morgen schon angesprochen –, dass jegliche nicht einvernehmliche sexuelle Handlung strafbar sein soll. Andere Länder, zum Beispiel Österreich, haben diese Konvention und das Prinzip „Nein heißt nein“ bereits umgesetzt. Es wird jetzt höchste Zeit, dass auch wir diesen Paradigmenwechsel in unserem Sexualstrafrecht mit dieser Reform umsetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn es geht nicht um Lappalien oder Kavaliersdelikte. Wer mit Frauenberatungsstellen spricht, der weiß, welch schwerwiegende Folgen sexuelle Übergriffe haben. Viele Frauen haben sexualisierte Gewalt in ihrem Alltag erlebt, und sie tragen an diesen Erlebnissen oft ihr Leben lang. Das Perfide an solchen Übergriffen ist, dass sie häufig nicht, wie landläufig gedacht wird, nachts in dunklen Ecken passieren, wo ein Fremder einer Frau auflauert. Nein, Übergriffe finden oft dort statt, wo sich das ganz normale Leben abspielt – in der U-Bahn, in den Klubs oder auf Festivals –, und sie sind auf erschreckende Art und Weise Teil des Alltags. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit dieser Reform auch mit dem neuen Straftatbestand der sexuellen Belästigung eine klare Botschaft aussenden: Das sind keine Kavaliersdelikte und keine Bagatellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es sind Straftaten, die konsequent verfolgt werden müssen. Grapschen ist kein Flirten. Das muss jetzt auch der Letzte begriffen haben. (Beifall im ganzen Hause – Ulli Nissen [SPD]: Auch auf dem Oktoberfest!) Kolleginnen und Kollegen, wir wollen Frauen ermutigen, diese Straftaten auch anzuzeigen. Mich ärgert, dass in diesem Zusammenhang immer gleich die Gefahr von Falschanzeigen heraufbeschworen wird. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) Dabei liegt der Anteil gerade einmal bei 3 Prozent. Vielmehr muss uns doch beunruhigen – heute sind ja von der Kollegin auch schon Zahlen zu Verurteilungen genannt worden –, dass überhaupt nur 5 bis 10 Prozent aller strafbaren sexuellen Übergriffe angezeigt werden. Alle anderen Übergriffe bleiben für den Täter folgenlos, und das ist doch der eigentliche Skandal. (Beifall bei der SPD, bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen, auch deshalb wollen wir diese Reform auf den Weg bringen. Wir wollen eine gesellschaftliche Sensibilisierung. Wir wollen das Thema sichtbar machen und ermutigen, genauer hinzuschauen und gegen sexuelle Übergriffe vorzugehen. Wenn uns das gelingt, sind wir auf dem Weg zur Stärkung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ein gutes Stück vorangekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Carola Reimann. – Die nächste Rednerin: Halina Wawzyniak für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wäre ein richtiges Signal gewesen, wenn wir uns fraktionsübergreifend auf eine Formulierung von „Nein heißt nein“ verständigt hätten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden dieses „Nein heißt nein“ jetzt – das ist gut so – mit übergroßer Mehrheit beschließen. Ich bin mir sicher, wenn wir uns fraktionsübergreifend zusammengetan hätten, hätten wir ein Gesetz gehabt, bei dem es vorrangig um die sexuelle Selbstbestimmung geht. Was wir jetzt vorliegen haben, ist leider ein Gesetz, das in wesentlichen Teilen das Politikverständnis weißer alter Männer widerspiegelt; (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist unterirdisch, was Sie erzählen!) denn es ist offensichtlich bei der Union nicht möglich, die sexuelle Selbstbestimmung zu schützen, ohne gleichzeitig das Strafrecht auf den Kopf zu stellen und das Ausweisungsrecht auszuweiten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn Sie sich einmal die Kollegin Winkelmeier-Becker ansehen! Das ist ja wohl eine Frechheit!) Sie führen dazu, dass die Debatte um die Verankerung von „Nein heißt nein“ durch andere Debatten überlagert wird, und das ist bitter und widert mich an. (Beifall bei der LINKEN) Die kurzfristige, erst am Montag vorgelegte Änderung des Aufenthaltsrechts ist – mit Verlaub – eine miese Nummer. Vor allem Sie von der Union haben mit dieser Änderung einen Diskurs gestärkt, der unmittelbar nach den Vorfällen in Köln schon einmal lief, der dann aber so war, dass wir eine Debatte darum führen konnten, wie die sexuelle Selbstbestimmung gesichert werden kann. Jetzt müssen wir überall und immer wieder erklären, dass es gerade nicht so ist, dass die Zugezogenen für Straftaten nach dem Sexualstrafrecht besonders anfällig sind. (Beifall bei der LINKEN) Was tun Sie nun eigentlich, außer dass Sie eine Debatte vergiften? Sie haben gerade im März das Ausweisungsrecht geändert. Dort haben Sie das Strafmaß gesenkt und die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aufgenommen, sobald sie mit Gewalt begangen werden, durch Drohung mit Gefahr für Leib und Leben oder mit List – und das ist eben die überwiegende Anzahl der Straftaten, die wir bei § 177 StGB haben. Doch was tun Sie jetzt? Mit der Änderung ist es möglich, dass ein aufgedrängter Zungenkuss ein Grund sein kann, die Flüchtlingseigenschaft zu verlieren und ausgewiesen zu werden. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aufgedrängt, das finden Sie gut? Das finden Sie toll? – Ulli Nissen [SPD]: Ich möchte auch keinen aufgedrängten Zungenkuss haben! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Genau das wollen Sie, Herr Hoffmann, Sie sagen es gerade, und das ist angesichts der Tatsache Ihrer Rede im März, in der Sie lauter Einwände gegen „Nein heißt nein“ hatten – Sie erinnern sich: das war die peinliche Rede, wo die Dame die Kontrolle verliert und es dann zum Äußersten kommt –, mit Verlaub bigott. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben offensichtlich das Thema Sexualstrafrecht erst nach den Vorfällen in Köln als Thema begriffen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Murks in diesem Gesetz wird auch noch einmal beim Gruppenparagrafen deutlich; Frau Keul hat bereits darauf hingewiesen. Was passiert da jetzt eigentlich? Menschen schließen sich zusammen, wollen jemandem das Smartphone oder die Geldbörse klauen, einer aus dieser Gruppe begeht eine Sexualstraftat, und alle – alle! – aus dieser Gruppe sind wegen der Sexualstraftat bestrafbar. Das ist absurd und widerspricht dem strafrechtlichen Schuldprinzip. Es gibt noch etwas anderes. Sie erwähnen in der Begründung explizit, dass die Normen für Täterschaft, Teilnahme und Anstiftung im Gesetz hier nicht gelten sollen, sondern Beteiligung im umgangssprachlichen Sinne zu verstehen ist. Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Verweis auf die Beteiligung an einer Schlägerei – Herr Hoffmann wird später dazu noch lang und breit ausführen – funktioniert hier nicht. Bei der Beteiligung an einer Schlägerei wird die Folge dieser Handlung – Tod oder schwere Körperverletzung – bestraft. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Für jemanden, der applaudiert!) Hier haben Sie ein zusätzliches Delikt. Das stellt das Strafrecht auf den Kopf. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Es ärgert mich massiv, dass Sie die gute Initiative für ein „Nein heißt nein“ durch diese beiden Regelungen diskreditieren. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie haben das nicht verstanden!) Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung hätte etwas Besseres verdient als die Ergänzung der von Ihnen vorgeschlagenen Punkte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Halina Wawzyniak. – Nächste Rednerin: Annette Widmann-Mauz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will es uns doch antun, uns noch einmal an die Silvesternacht des letzten Jahres zu erinnern; denn ich finde, dass dies schon ein denkwürdiger Abend gewesen ist, der dem Parlament und vielen in unserem Land noch einmal ins Bewusstsein gerückt hat, dass etwas an unserem Sexualstrafrecht, wie es bis zum heutigen Tag gilt, nicht stimmen kann. (Ulrich Freese [SPD]: Der CDU! Uns war das vorher bekannt!) Frauen sind in dieser Nacht am Kölner Hauptbahnhof von ihren Freunden getrennt worden, sind betrunkenen, bekifften Männern hilflos ausgeliefert gewesen. (Ulrich Freese [SPD]: Das gab es auch vorher schon!) Sie wurden bedrängt, begrapscht und beraubt. Sie wurden vergewaltigt. (Zuruf von der LINKEN: Wie beim Oktoberfest!) Zuerst gab es noch nicht einmal viele Anzeigen, eine typische Reaktion. Eigentlich sollten sich die Täter für ihre Taten schämen und schuldig fühlen. (Ulli Nissen [SPD]: Beim Oktoberfest gibt es das jedes Jahr!) Tatsächlich fühlen sich aber die Frauen beschmutzt, und sie scheuen sich vor diesem Weg. Nicht die Informationspolitik der nordrhein-westfälischen Landesregierung und ihrer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das wahre Ausmaß dieser Nacht an den Tag gebracht. Nein, es waren die medialen Berichte. Sie waren wichtig und notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Freese [SPD]: Sie sind sich auch für nichts zu schäbig!) Es war ein kollektiver Schock, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht. Nach der ersten Phase und der Frage: „Wie konnte das eigentlich passieren?“, gab es auch rasch die bekannten Reaktionsmuster, die sich ein wenig schon in dieser Debatte widerspiegeln: Bitte keine Debattenbeiträge, die Wasser auf die Mühlen von Fremdenfeinden sind. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach nee! Dann können Sie sich hinsetzen!) Noch während die Anzeigen eingingen, hieß es auf der anderen Seite: Vorsicht! Jetzt bloß keine voreiligen Schlussfolgerungen für das Strafrecht! Es gibt auch viele Frauen, die sich an Männern durch falsche Anzeigen rächen. – Aber ist das wirklich der Kern des Problems? Nein. Jeder zu Unrecht Beschuldigte ist einer zu viel. Aber wie vielen tatsächlichen und angezeigten Vergewaltigungen stehen denn Falschbeschuldigungen gegenüber? Wir erweisen einem rechtstreuen ausländischen Mitbürger doch keinen guten Dienst, wenn wir Straftaten von Ausländern nicht ebenso benennen und ahnden, wie wir es in allen anderen Fällen – auch bei deutschen Straftätern – tun müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht nur an Silvester glaubten manche Männer, sie könnten in der ausgelassenen Stimmung Frauen ungestraft sexuell belästigen, nötigen oder gar vergewaltigen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Oktoberfest!) Auch im Karneval, bei Volksfesten oder Partys gibt es immer wieder solche Exzesse. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oktoberfest! Da hat Seehofer immer reagiert?) Aber welches Signal geben wir eigentlich, wenn wir weiterhin zulassen, dass ein gezielter Griff an die Brust oder in den Schritt im Sexualstrafrecht als „nicht erheblich“ bewertet wird, wenn Bestrafungen nur dann erfolgen können, wenn der Richter auf den Beleidigungsparagrafen ausweicht? Frauen sind kein Freiwild und sind keine reinen Objekte sexueller Begierde. Hier geht es um die Würde und die Wahrung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung gerade der Frauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Traurig, aber wahr ist auch, dass zum Handy- und Handtaschenklau das sogenannte Antanzen mittlerweile Methode hat. Täter gehen umso ungehemmter vor, je sicherer sie sich in einer Gruppe Gleichgesinnter fühlen. Von solchen Gruppen darf sich der Rechtsstaat doch nicht verhöhnen lassen. Wollen wir wirklich weiter zusehen, dass diejenigen, die mitmachen, umdrängen und so die Tat erst ermöglichen und die Situation für das Opfer verschärfen, ungeschoren davonkommen? Wer mitmacht, auch wenn er nicht selbst übergriffig wird, muss auch bestraft werden. Wer, statt sich zu distanzieren oder dem Opfer zu helfen, in der Gruppe mitmacht, der ist auch mitverantwortlich. Das Strafrecht muss hier ein Stoppschild aufstellen; denn das sagt auch etwas über die Definition von sozial adäquatem Verhalten aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir ziehen heute keine voreiligen Schlüsse. Der Gesetzentwurf des Ministeriums war zwar schon in Vorbereitung, aus unserer Sicht aber abschließend nicht geeignet, alle Schutzlücken zu schließen. Es brauchte die Unionsfrauen, es brauchte die Frauen der ASF, es brauchte die Kolleginnen der Koalitionsfraktionen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und die Männer auch!) damit es heute zu einem guten Gesetzentwurf gekommen ist. Deshalb danke ich allen, die uns dabei unterstützt haben, von der Verbandsseite über die Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten bis hin zu den Juristinnen und Juristen und den Männern, die uns an dieser Stelle unterstützt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar nicht, über was Sie abstimmen!) Wir wollen diesen Paradigmenwechsel, wir wollen ihn jetzt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Sexuelle Selbstbestimmung, Opferschutz und mehr Sicherheit – das ist das Ziel dieses Gesetzes. Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem Gesetz (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar nicht, über was Sie da abstimmen!) einen wichtigen Beitrag für ein respektvolleres und friedliches Zusammenleben in unserem Land ermöglichen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin: Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Wochen überschrieb die taz einen Artikel zum Sexualstrafrecht mit der Frage: „Wie viel wert ist ein Nein?“ Wenn wir heute den neugefassten § 177 Strafgesetzbuch beschließen, können wir diese Frage eindeutig beantworten; denn dem Nein wird endlich strafrechtliche Bedeutung beigemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ein für den Täter erkennbares Nein des Opfers, verbal oder konkludent zum Ausdruck gebracht, reicht nun aus, um einen Vergewaltiger zu bestrafen. Ein Nein ist ein Nein, ohne Wenn und Aber. Das ist ein Meilenstein, vor allen Dingen für Frauen, im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die sexuelle Selbstbestimmung; denn das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung muss nun nicht mehr aktiv verteidigt werden. Jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung ist strafbar. Damit wird mit § 177 eine gravierende Schutzlücke für die Betroffenen geschlossen. Dafür haben wir Grüne uns lange eingesetzt und gekämpft. Damit wird das Sexualstrafrecht endlich von dem Geist vieler Jahrzehnte gelöst, in dem die Rechte von Frauen als nachrangig galten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich, dass Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sich endlich dazu durchgerungen haben, diesen längst überfälligen Schritt zu gehen. Genau dies hat meine Fraktion bereits vor einem Jahr mit einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, und dies wird auch von den Linken gefordert. Ich muss Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ganz klar sagen: Es war ein Armutszeugnis, dass das Justizministerium lange überhaupt keinen Handlungsbedarf sah und dass das Bundeskanzleramt selbst den unzureichenden Gesetzentwurf von Minister Maas ein halbes Jahr lang blockierte. Das war peinlich. Da haben Sie sich weiß Gott nicht mit Ruhm bekleckert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist letztendlich zu einem großen Teil der konzertierten Aktion und dem Druck der Frauenverbände und den Gesetzentwürfen von Grünen und Linken zu verdanken, dass die Koalition nun mit ihrem Änderungsantrag den Gesetzentwurf aus dem Hause Maas im Sinne der „Nein heißt nein“-Lösung endlich verändert hat. In der letzten Debatte, die wir hier hatten – Sie werden sich alle daran erinnern –, gab es eine große Einigkeit der Frauen. Eine fraktionsübergreifende Initiative für eine „Nein heißt nein“-Lösung wäre nicht ganz abwegig gewesen. Angesichts der Bedeutung der Umsetzung der Istanbul-Konvention wäre das sicherlich ein bemerkenswertes Signal gewesen. Aber ich sage ganz klar, auch angesichts der heutigen Debatte: Über diesen Schatten sind Sie leider nicht gesprungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Neben der Reform des § 177 ist mir wichtig, zu sagen, dass wir jetzt eine Regelung zur Strafbarkeit von sexueller Belästigung haben werden. Das heißt, dass sogenanntes Angrapschen kein Kavaliersdelikt und keine Petitesse ist, das von den Gerichten bislang kaum zufriedenstellend geahndet werden konnte. Ab jetzt müssen Frauen diese Übergriffe nicht mehr hinnehmen. Das war überfällig. Dem stimmen wir Grüne ausdrücklich zu. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Anzeigen!) Was wir jedoch klar ablehnen, ist die „Strafbarkeit aus Gruppen“ heraus. Das ist – ich sage es noch einmal ganz deutlich, Frau Widmann-Mauz – reine Symbolgesetzgebung, und das ist nach Köln die Handschrift der Union. Sie setzen so das Schuldprinzip in verfassungswidriger Weise ohne Not außer Kraft, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) obwohl Sie wissen, dass beim Zusammenwirken mehrerer Personen ohnehin die Regelungen der Mittäterschaft und Teilnahme gelten. Wie Sie von der SPD da mitgehen konnten, das ist mir wirklich völlig unverständlich, abgesehen von dem bitteren Beigeschmack, den das Gesetz durch die Verschärfung der Ausweisungsregelungen bekommt. Das Strafrecht allein kann das Problem der sexualisierten Gewalt nicht lösen. Es braucht vielmehr bestmöglichen Opferschutz, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) qualifizierte Notfallversorgung inklusive anonymer Spurensicherung und der Pille danach. Es braucht gut ausgestattete Beratungsstellen – damit müssen wir uns, glaube ich, noch einmal beschäftigen – und eine geschulte Staatsanwaltschaft und Polizei. Sexismus und sexualisierte Gewalt müssen immer und überall geächtet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ein Strafrecht, das den Grundsatz „Nein heißt nein“ beinhaltet, trägt dazu bei, dass die sexuelle Selbstbestimmung in der Gesellschaft einen neuen Stellenwert erfährt. Es ist gut für jede Frau in diesem Land, dass wir diese Tür heute aufstoßen und dass wir mit diesem Gesetz endlich diesen historischen Schritt machen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulle Schauws. – Nächste Rednerin: Elke Ferner für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Elke Ferner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! „Nein heißt nein“, das setzen wir heute um. Das ist ein Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht, und es ist ein Sieg für die sexuelle Selbstbestimmung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Dafür kämpfen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit vielen Jahren zusammen mit Frauenverbänden, auch mit anderen politischen Parteien. Ich bin sehr froh, dass es zumindest für die Änderung des § 177 StGB heute eine breite Mehrheit im Bundestag geben wird. Vor fast 20 Jahren, am 15. Mai 1997, waren die Mehrheiten knapper, als es darum ging, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen. Aber auch 1997 waren es die Frauen, die fraktionsübergreifend mit großer Unterstützung aus der Zivilgesellschaft die Mehrheit im Bundestag davon überzeugen konnten, dass auch die Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]) Fast 20 Jahre später gehen wir jetzt den nächsten Schritt. Ich möchte als eine, die schon damals im Bundestag war, sagen: Das ist auch für mich heute ein sehr guter und ein sehr großer Tag. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Ich möchte mich auch noch einmal bei den Verbänden bedanken, die den Aufruf „Nein heißt nein“ initiiert und unterstützt haben: beim Deutschen Frauenrat, beim Deutschen Juristinnenbund, bei Terre de Femmes, beim bff, beim KOK, beim Deutschen Komitee für UN Women, bei der Frauenhauskoordinierung und bei der ZIF. Ohne ihre Unterstützung und ohne die Unterstützung der Sachverständigen wären wir heute nicht so weit gekommen. Deshalb noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit der Reform des Sexualstrafrechts stärken wir die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und setzen den potenziellen Tätern klare Grenzen. Der erkennbare Wille darf nicht mehr missachtet werden. Nein heißt jetzt nein. Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute vielleicht nicht der Versuchung erlegen wären, zu fragen, wer welchen Entwurf bis wann irgendwo zurückgehalten hat. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Es war schon eine göttliche Eingebung im Kanzleramt, kurz vor Weihnachten eine Verbändeanhörung zum Gesetzentwurf durchzuführen. Wir schauen jetzt wirklich in die Zukunft und sehen, was wir durch Verabschiedung dieses Entwurfs verbessern. Nicht erst seit Köln gab es sexuelle Belästigung und Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das gibt es leider in allen Schichten der Gesellschaft – in Europa und anderen Teilen der Welt – seit vielen Jahren, ja, Jahrzehnten, Jahrhunderten. (Ulrich Freese [SPD]: Wo ist denn Frau Widmann-Mauz?) Wir machen jetzt auch deutlich, dass das sogenannte Begrapschen ein Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist. Jede Frau kann jetzt selbst darüber entscheiden, ob sie einen Vorfall zur Anzeige bringt oder nicht. Ich will auch klar und deutlich sagen: Für die Opfer macht es einen Unterschied, ob sie aus einer Gerichtsverhandlung herausgehen und ihnen bescheinigt wird: „Das war gar keine Vergewaltigung, was dir da passiert ist“, oder ob der Täter nur aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden ist. Das macht einen Unterschied. Das beenden wir mit dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden. Es ist eben angesprochen worden: Straftaten aus Gruppen heraus. – Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich verstehe nicht, warum Grüne und Linke die Regelung nicht mittragen; (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser kann ich es jetzt auch nicht mehr erklären!) denn jeder in einer Gruppe hat die Möglichkeit, einzugreifen, Täter an Übergriffen zu hindern oder einfach nur wegzugehen und Hilfe zu holen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Manche sagen: Das ist nicht strafbar. – Dieser Auffassung kann man sein; ich bin aber anderer Auffassung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch nicht, warum Grüne und Linke zwar „Nein heißt nein“ unterstützen, die Folgeänderungen im Aufenthaltsrecht aber ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Ferner, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Frau Künast? Elke Ferner (SPD): Ja, gern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber bitte nur eine! Wir wollen heute zügig durchkommen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Ich achte sehr auf die Redezeit. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich an die Redezeiten zu halten. Normalerweise bin ich da etwas großzügiger. Also eine kurze Zwischenfrage. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe mich gemeldet, weil Sie, Frau Ferner, schon die Zweite sind, die damit argumentiert – Frau Widmann-Mauz hat es ähnlich formuliert –: wenn man in der Gruppe mitmacht, daran teilnimmt und sich nicht distanziert. Ich weiß nicht, wie Sie den Tatbestand verstehen. Ich und viele andere verstehen ihn so, dass es dabei darum geht, dass man Teil einer Gruppe ist, die sich verabredet, und die Straftat irgendwie fördert. „Im umgangssprachlichen Sinn“ heißt es gar; also gar nicht nach den strengen Regeln des Allgemeinen Teils des StGB. Wenn sich fünf, sechs Leute zum Beispiel auf dem Schulhof verabreden, jemandem die Jacke abzuziehen – so etwas soll es ja geben –, dann macht man sich in dieser Gruppe strafbar, wenn innerhalb dieses Gruppengeschehens eine Person ein Sexualdelikt begeht. Man muss das nicht einmal merken; man muss das nicht einmal sehen. Es wird später angezeigt. Da muss nicht einmal Vorsatz bestehen. Es geht um billigendes Inkaufnehmen. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!) Wie soll sich denn jemand von dem Delikt distanzieren, wenn zum Tatbestand nicht einmal gehört, dass man merkt, dass innerhalb des Abziehens der Jacke eine Sexualstraftat begangen wird? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist das, was uns stört. Elke Ferner (SPD): Ich zumindest lese das nicht so, dass man es nicht merken muss. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Steht explizit drin: Auf den Vorsatz kommt es nicht an!) Ich bin auch sicher, dass dann, wenn entsprechende Fälle vor Gericht kommen, auch die Umstände genau betrachtet und bewertet werden, wie immer alles im Einzelfall bewertet wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Tatbestand ist so!) Ich möchte noch kurz auf die sogenannte Verschärfung des Ausländerrechts eingehen. Wenn Sie der Auffassung sind, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kein Ausweisungsgrund sein sollen (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie sind schon drin!) – nein, sie sind nicht drin – (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) – „Nein heißt nein“ ist nicht drin –, dann sagen Sie das einfach so, und sagen Sie nicht: Es gibt sozusagen im Windschatten der Sexualstrafrechtsreform auch noch eine Verschärfung des Ausländerrechts. – Das war nicht der Fall, und das ist nicht der Fall. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) – Wir haben da einfach unterschiedliche Auffassungen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte mich zum Schluss bei allen Kollegen und Kolleginnen bedanken, auch bei denen der Oppositionsfraktionen, aber insbesondere bei der Unionsfraktion, auch bei der Frauen Union. Wir haben gezeigt: Wenn Frauen zusammen etwas bewegen wollen, dann können sie zusammen auch etwas bewegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich würde mir sehr wünschen, dass das auch beim Thema Lohngerechtigkeit der Fall ist. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Elke Ferner. – Nächster Redner in der Debatte: Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Da die Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Grünen anscheinend schon darauf brennen, dass ich noch ein bisschen Juristisches und Verfassungsrechtliches (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir wollen Ihre Fallbeispiele hören!) zu dem neuen Tatbestand „Übergriffe aus Gruppen“ sage, will ich das auch gern tun. (Beifall der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]) Da wird gesagt: Es gibt überhaupt keinen Bedarf für diese Norm, weil unsere Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme ausreichen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Meine Damen, meine Herren, wir erinnern uns an Vorfälle in Köln, in Darmstadt, in Berlin. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oktoberfest!) Das Antanzen ist eine Masche geworden, ein echtes Tatbild. Da verabreden sich Männer zu einer Gruppe. Sie gehen auf Frauen zu, separieren eine Frau, versperren ihr die Fluchtwege. Dann wird das Handy geklaut; es geht ans Geld ran, und die Frau wird begrapscht. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist strafbar!) Die Schwierigkeit in diesen Fällen ist: Mit Videomaterial, mit Augenzeugen können wir durchaus den Nachweis führen „Die betreffende Person war in der Gruppe“; Frauen schildern aber – wenn Sie sich mit den Sachverhalten beschäftigen, erfahren Sie das –, dass sie von 10 bis 15 Männern teilweise 20- bis 30-mal angefasst worden sind. Die Frau kann eben nicht mehr sagen, die Hand kam von dem, oder die Hand kam von jenem. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist jetzt schon strafbar!) Das heißt, eine Aufarbeitung der Einzelverantwortlichkeit ist nur bis zu einem gewissen Grade möglich. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt!) Deswegen wollen wir einen neuen Tatbestand. Da geht es selbstverständlich um Beweisprobleme. Aber, meine Damen, meine Herren, wir sagen: Wer sich zu einer Gruppe verabredet, um eine Frau zu bedrängen, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nein, das fragen Sie nicht!) um in dieser Situation Straftaten zu begehen, der verwirklicht eigenes Unrecht, und wer eigenes Unrecht begeht, den darf man auch bestrafen. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Eigenes Unrecht“! Wenn er nicht mal merkt, dass etwas passiert!) Der Täter verursacht eine objektiv gefährliche Situation. Er setzt nämlich einen Kausalverlauf in Gang, den er später nicht mehr beherrschen kann, und der einer gewissen Dynamik unterliegt, weil aus dem Ausgeliefertsein der Frau, aus der übermächtigen Stellung der Gruppe, der eine oder andere dann doch noch mutiger wird. Und dann kommt es zu sexuellen Übergriffen. Dann kommen die verfassungsrechtlichen Bedenken: Das verstößt gegen das Schuldprinzip. Das ist schon zunächst einmal nicht richtig, weil – ich habe es gerade aufgezeigt – der Täter eigene Schuld, eigenes Unrecht verwirklicht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ich Ihnen jetzt eine haue?) Ich empfehle Ihnen noch einmal dringend – ich habe es gestern schon im Rechtsausschuss getan, Frau Künast; offensichtlich haben Sie nicht zugehört –, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) die Rechtsprechung zu § 231 StGB zu verinnerlichen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gecheckt, dieses Beispiel!) Denn unser Gruppentatbestand ist keine freie Erfindung von der Konstruktion her, sondern es gibt im deutschen Strafrecht schon eine Norm, nämlich die Beteiligung an einer Schlägerei, bei der lediglich die Förderung einer objektiv gefährlichen Situation bestraft wird. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es aber durcheinander bei Ihnen!) Nach BGH-Rechtsprechung ist dort folgender Fall strafbar: Es steht jemand am Rande einer Schlägerei, 10, 15 Männer prügeln sich, und er applaudiert. In dieser Schlägerei verliert jemand ein Auge, ohne dass derjenige, der applaudiert, das sieht oder er das will. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er sieht doch, dass geschlagen wird!) Diese Person ist strafbar wegen dieses Förderungsbeitrags Applaus. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das richtet sich gegen dasselbe Rechtsgut!) Jetzt kommt es aber, meine Damen, meine Herren. Wer bei uns einen Verursachungsbeitrag leistet, das heißt, die Kausalkette in Gang setzt mit der Verabredung zur Gruppe, der leistet mehr als jemand, der einfach nur applaudiert. Deswegen glauben wir, dass das eine Strafbarkeit trägt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: „Glauben“, sehr schön! Zwei unterschiedliche Straftaten!) Jetzt sagen Sie; Ja, die zufällige Anwesenheit genügt. – Da wundere ich mich dann wirklich – darüber haben wir gestern ausführlich gesprochen –, es gibt nämlich sehr wohl auch eine Definition, wann eine Gruppe vorliegt. Damit Sie es nicht vergessen, will ich es noch einmal zitieren: Eine Gruppe ist eine zu bestimmten Zwecken zusammengeschlossene Anzahl von mindestens drei Personen. Das ist BGH-Rechtsprechung. Das habe ich Ihnen gestern zitiert. Es wird heute trotzdem, wider besseres Wissen, erneut in Abrede gestellt. Dann kommen diejenigen, die sagen, wir brauchen ja bei § 231 StGB eine schwere Folge; das ist ja gar nicht vergleichbar. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau so! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch nicht! Darum geht es nicht!) Da sage ich: Vorsicht vor dieser Argumentation. Zum einen ist es so, dass unser Täter ja nicht nur einen Förderbeitrag leistet, sondern einen echten Verursachungsbeitrag. Denn er verwirklicht mehr an Unrecht, er verwirklicht eigenes Unrecht. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat gar keinen Vorsatz! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Er hat keinen Vorsatz!) Der zweite Punkt, meine Damen, meine Herren: Beschäftigen Sie sich einmal mit Opfern aus der Kölner Silvesternacht. Dabei sind Frauen, die schwer traumatisiert sind, die heute in keine Menschenmenge mehr gehen können, geschweige denn in den Kölner Hauptbahnhof. Ich will Ihnen sagen: Wir stehen hinter dieser Norm, wir sind zuversichtlich, dass sie verfassungsgemäß sein wird. Zum Ausweisungsrecht will ich Ihnen nur so viel sagen: Bei uns in der Großen Koalition – dafür bin ich der Frau Ferner auch dankbar – ist es so, dass „Nein heißt nein“ auch Nein im Ausweisungsrecht bedeutet. Bei Ihnen scheint das anders zu sein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann. – Der nächste Redner ist Dr. Johannes Fechner für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wir machen diese Reform, weil es in der Vergangenheit Urteile gab, in denen auch höchste Gerichte Abwehrhandlungen des Opfers, der Frauen, gefordert haben. Die Voraussetzungen einer solchen Abwehrhandlung sahen die Gerichte als nicht gegeben an, wenn das Opfer die Gegenwehr unterließ – etwa aus Furcht vor einer Kündigung, vor strafrechtlichen Konsequenzen, aus Angst, dass der Täter die Wohnung verwüstet, oder aus Angst vor erneuter Gewalt oder weil das Opfer von der Attacke überrascht wurde und deshalb keine Gegenwehr leistete. Wohlgemerkt: Das waren höchstrichterliche Entscheidungen. Deswegen können wir die heutige Rechtslage, auf der solche Urteile basieren, nicht stehen lassen. Wir müssen die Frauen besser schützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern war es gut, dass Minister Maas schon im Juli 2015 einen sehr präzisen Gesetzentwurf präsentiert hat. Sie sehen: Die Kölner Silvesterereignisse waren für uns nicht nötig, um hier den Handlungsbedarf zu erkennen. (Beifall bei der SPD) Wäre der Entwurf nicht im Kanzleramt ein halbes Jahr blockiert worden, dann wären wir heute schon weiter. (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Nein! Im Ministerium!) Wohlgemerkt: Der Entwurf ist nicht wegen der Frage der „Nein heißt nein“-Lösung blockiert worden, sondern weil er der Union zu weit ging. Man kann den entsprechenden Schriftverkehr ja nachlesen. (Beifall bei der SPD) Im Januar 2016 saßen Herr Maas und ich mit Herrn Strobl zusammen. Wir haben ihn gefragt: Herr Strobl, machen Sie bei „Nein heißt nein“ mit? Wir sind bereit dazu, das Ministerium unterstützt es. – Herr Strobl sagte im Januar: Nein, das machen wir nicht mit. – Es war übrigens der gleiche Januar 2016, in dem Ralf Jäger und Hannelore Kraft, wie es ihre tatkräftige Art ist, (Lachen bei der CDU/CSU) die Geschehnisse analysiert und in Nordrhein-Westfalen die richtigen Konsequenzen gezogen haben; das will ich hier ausdrücklich klarstellen. (Beifall bei der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Vier Tage nicht gekümmert! Als Ministerpräsidentin! Unglaublich!) Wir erweitern nun heute den Entwurf um die „Nein heißt nein“-Lösung, weil wir zu Recht den Willen der Frau entscheiden lassen wollen. Damit schützen wir die Opfer besser. Ein Nein muss ausreichen; das wollen wir heute hier so regeln. Ich meine auch, dass wir nicht beim materiellen Strafrecht stehen bleiben, sondern noch einen Schritt weiter gehen sollten. Das Kernproblem ist ja oft, dass das Opfer aus Angst vor Rache des Täters im Prozess nicht mehr aussagt. Deswegen sollten wir im zweiten Schritt auch strafprozessuale Änderungen einführen. Auch hier hat unser äußerst aktiver Justizminister schon den Vorschlag gemacht, die Strafprozessordnung dahin gehend zu ergänzen, dass die Vernehmung des Opfers bei der Polizei, die erste Aussage auf Video festgehalten wird, wenn es um eine schwere Straftat, wie die Vergewaltigung eine ist, geht. Dann hätten wir im Prozess, wenn das Opfer aus nachvollziehbarer Angst nicht aussagen möchte, die Möglichkeit, uns direkt zu informieren, wie die erste Aussage war. Lassen Sie uns also auch den Schutz der Opfer strafprozessual absichern, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Ein Wort zu den Straftaten aus Gruppen: Ja, auch wir in der SPD wollen, dass diejenigen bestraft werden, die den Täter anfeuern oder als Teil einer menschlichen Mauer das Opfer umzingeln und so den Täter bestärken. Aber gerade weil wir eine präzise Regelung wollen, haben wir erhebliche Bedenken gegen die jetzt getroffene Formulierung. Ich will ausdrücklich klarstellen: Diese Formulierung geht auf einen Vorschlag der Union zurück. Wir hätten lieber eine Präzisierung, eine Kodifizierung des Tatbestands der Beihilfe vorgenommen, um diese Täter wirklich zu erfassen. Wir stimmen dem Gesetz heute nur deshalb zu, weil wir es insbesondere den Frauen und den Frauenverbänden nicht erklären könnten, warum wir diese Reform auf der Zielgeraden stoppen. Wir haben heute die große Chance, erhebliche Strafbarkeitslücken im Sinne eines besseren Schutzes von Frauen zu schließen. Deswegen tragen wir diese aus unserer Sicht bedenkliche Regelung bei der Formulierung der Gruppenstrafbarkeit mit. Wir werden dem Gesetzentwurf heute zustimmen, auch wenn wir das eine oder andere Argument der Opposition auch überlegt hatten. Lassen Sie uns heute diesem Gesetzentwurf so zustimmen. Wir machen ein gutes Gesetz zum Schutz der Frauen vor sexueller Gewalt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Fechner. – Wir haben jetzt noch eine Rednerin und einen Redner. Ich möchte Sie deshalb auffordern und dringend ersuchen, spannende Gespräche zwischen Herren und Damen draußen zu führen oder sich bitte hinzusetzen und der Debatte zu folgen. Das ist eine wichtige Debatte. Ich bitte Sie jetzt, der Kollegin Karin Maag, der nächsten Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion, Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karin Maag (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist höchste Zeit, dass wir uns bei Sexualstraftaten der Perspektive des Opfers nähern und das Opfer in das Zentrum rechtspolitischer Überlegungen stellen. Bisher prüfen ja die Staatsanwaltschaften und die Gerichte die Frage: Was hat das Opfer getan? Bisher muss das Opfer begründen, wie, warum und aus welchen Überlegungen heraus es sich gewehrt hat. Die Sachverständige Frau Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte hat in der Anhörung an die Notwendigkeit einer Normverdeutlichung erinnert. Unsere Gesellschaft hat es offensichtlich noch nicht verinnerlicht, dass bei Zweifeln, ob mein Pendant freiwillig kooperiert, sexuelle Kontakte schlicht zu unterlassen sind. Das ist es, worüber wir heute reden. Deshalb stellen vor allen Dingen wir Abgeordnete heute klar, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung unantastbar ist. Wer künftig gegen den erkennbaren Willen des Opfers sexuelle Handlungen am Opfer vornimmt, wird bestraft. Lieber Herr Fechner, glauben Sie es mir: Mir scheint, dass man auf eine Landesregierung, die vier Tage gar nichts bemerkt hat, wohl nicht unbedingt stolz sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!) Und angesichts der Tatsache, lieber Herr Fechner, dass der Justizminister noch 2014 erklärt hat, er sehe gar keinen Handlungsbedarf bezüglich einer Änderung des § 177 StGB, bin ich froh, dass wir Frauen – das betone ich jetzt ausdrücklich – die Sache in die Hand genommen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sie sprechen von Herrn Heilmann?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir war es ein persönliches Anliegen, dass jetzt auch Straftaten gegen Menschen mit Behinderungen besser erfasst werden. (Beifall bei Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Gerichte haben nämlich die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung von Tatopfern mit geistiger Beeinträchtigung oft unzutreffend als sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person verurteilt, obwohl das Opfer klar und deutlich eine Willensbildung gezeigt hat. Das Schlimme daran ist, dass entsprechende Straftaten gegen Behinderte bisher mit einem geringeren Strafmaß geahndet werden. Deshalb stellen wir heute auch sicher, dass sich diese Praxis nicht mehr fortsetzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, eine weitere Änderung freut mich: Wir bestrafen die Grapscher. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es geht allerdings um Taten, die juristisch gesehen die Schwelle der sexuellen Erheblichkeit noch nicht erreichen, aber natürlich das sexuelle Selbstbestimmungsrecht und die Würde von Frauen erheblich verletzen. Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von uns Frauen wird künftig deutlich besser geschützt. Bestraft wird, wer Frauen und auch Männer sexuell belästigt, das heißt, wer einem Opfer zum Beispiel an die bekleidete Brust fasst, wer es an den Geschlechtsorganen berührt, ohne dazu eingeladen zu sein – das ist der springende Punkt. Ich mache es ganz einfach: Grapschen ist kein Kavaliersdelikt. Grundsätzlich gilt: Finger weg! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Meine Damen und Herren, liebe Frau Möhring, Frau Wawzyniak, es kommt wie immer im Ausländerrecht auch beim § 177 StGB auf das Strafmaß an. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nicht in § 54 Absatz 2!) – Auf das Strafmaß kommt es in diesem Fall an. – Ich sehe auch nicht, warum sexuelle Übergriffe weniger einschneidende Folgen haben sollen als andere Straftaten. Das müssten Sie mir einmal im Privatissimum erklären. (Beifall bei der CDU/CSU) Zunehmende Probleme bereiten auch – das hat die Anhörung ergeben; der Leitende Oberstaatsanwalt Ohlenschlager hat das deutlich ausgeführt – sexuelle Handlungen aus Tätergruppen. Dazu wurde schon einiges Richtiges – Stresssituation des Opfers, das Opfer als einziger Zeuge – gesagt. Ich glaube, wir tun gut daran, festzuschreiben, dass sich künftig derjenige, der eine Straftat fördert, der gemeinsam mit anderen das Opfer bedrängt, strafbar macht. (Beifall der Abg. Katharina Landgraf [CDU/CSU] und Ulli Nissen [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auch betonen: Der Staat mischt sich auch künftig nicht in das Liebesleben seiner Bürger ein. Was beiden gefällt, bleibt erlaubt. Hinsichtlich der Sorge vor Falschanzeigen ist selbstverständlich festzuhalten, dass natürlich die strafrechtliche Beweisführung bei Sexualdelikten eine Herausforderung ist. Das haben die Sachverständigen so formuliert. Selbstverständlich gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Selbstverständlich gilt der Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Daran ändert sich auch nichts. Da braucht man keine Sorgen zu haben. Ich will am Ende meiner Rede noch eines betonen: Als Vorsitzende der Gruppe der Unionsfrauen freut es mich ganz besonders, dass wir heute im Bundestag ein ganzes Paket an Gesetzen zum Schutz vor sexueller Gewalt vor allem gegen Frauen verabschieden. Es geht heute noch um das Prostituiertenschutzgesetz, das die Menschen in der legalen Prostitution vor Gewalt, Ausbeutung und Erniedrigung schützt. Wir haben es geschafft, dass bei Handlungen gegen Frauen, indem sie etwa zur Prostitution gezwungen werden, indem sie etwa Opfer von Menschenhändlern sind, die Strafbarkeit erhöht wird, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden; dazu gehören übrigens auch Freier. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, Ihre Redezeit. Karin Maag (CDU/CSU): An dieser Stelle bedanke ich mich, liebe Frau Präsidentin, bei allen, die mitgewirkt haben. Wir Frauen haben für diesen Tag lange gekämpft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich sage es jetzt noch einmal: Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, Platz zu nehmen und ihre Gespräche einzustellen. Ansonsten rufe ich nämlich den nächsten Redner nicht auf. Dann kriegen Sie zumindest mit einem Großteil des Hauses Ärger, weil sich diese Zeitverzögerung dann fortsetzt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber der Redner kann ja nichts dafür!) Das gilt für Johannes Kahrs, das gilt auch für die Seite rechts von uns. Ich sage es noch einmal: Setzen Sie sich jetzt bitte hin! Hören Sie dem nächsten Redner zu! Ansonsten rufe ich den nächsten Redner nicht auf, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, jetzt weiter!) zumal es ein Redner ist, der einmal sehen soll, wie es im Bundestag zugeht; denn er kommt vom Bundesrat. Ich gebe dem Senator für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin, Thomas Heilmann, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thomas Heilmann, Senator (Berlin): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der namentlichen Abstimmung bin nur noch ich dran. Ich mache es kurz und verzichte auf Wiederholungen. Das Strafrecht definiert die wichtigsten Rechtsgüter in einer Gesellschaft. Heute stärkt der Deutsche Bundestag das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung. Das ist die wirklich gute Nachricht des Tages. Hinter uns liegen viele Jahre des Wandels und der Überzeugungsarbeit. Ein solches Gesetz, wie es heute zur Abstimmung vorliegt, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Sexuelle Aufdringlichkeiten galten noch nicht einmal als Kavaliersdelikt. Aber niemand hat Anlass zu Hochmut. Frau Schauws, Sie haben vor diesem Hintergrund von einem Armutszeugnis gesprochen. Ich will Sie daran erinnern, dass auch Ihre Fraktion und Ihre Partei durchaus einen Wandel im Hinblick auf zu schützende Rechtsgüter im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung hinter sich haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke an die Frage: Wie sind eigentlich Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen? (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach nee, das war jetzt unter der Gürtellinie! – Dr. Carola Reimann [SPD]: Das muss nicht sein! – Dr. Eva Högl [SPD]: Das gehört hier nicht hin!) Liebe Frau Dr. Högl und lieber Herr Dr. Fechner, einer der Gründe, warum ich heute hier rede, ist: Sie erwähnten die Meinungsäußerungen in der Union, die es natürlich gegeben hat, (Dr. Eva Högl [SPD]: Oh ja!) und lobten den Bundesminister Maas. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) Das ist aber – vorsichtig formuliert – etwas einseitig. Ich erinnere mich sehr gut an die Justizministerkonferenzen 2014 und 2015. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ich erinnere mich auch an Ihre Stellungnahme aus Berlin zu diesem Thema!) Während der Antrag von Frau Kuder aus Mecklenburg-Vorpommern von uns in Berlin immer unterstützt wurde, die damals schon sagte: „Nein heißt nein“, war die Haltung des Bundesjustizministeriums – vorsichtig formuliert – noch sehr zurückhaltend. Jedenfalls wurde damals kein Änderungsbedarf gesehen. Insofern haben wir alle gemeinsam uns bewegt; ich finde, das hat Frau Ferner auch sehr gut dargestellt. (Elke Ferner [SPD]: Wie war es denn bei Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode?) – Ich war auch damals schon Landesjustizminister bzw. Senator. Das FDP-geführte Ministerium war in der Tat der Meinung, es gebe keinen Änderungsbedarf. Auch dort hat es offensichtlich eine Änderung gegeben. Aber Sie haben ja recht, Frau Ferner, wir sollten nicht zurückblicken. Viele haben dankgesagt. Das möchte ich nicht wiederholen. Aber ich möchte Ihnen, Frau Winkelmeier-Becker und Herrn Hoffmann, sehr herzlich danken, weil auch Sie die Debatte und die Reform, die diesen Namen nun auch verdient, befördert haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein zweiter Grund, warum ich rede, betrifft die Berliner Staatsanwaltschaft und insbesondere die Berliner Gerichte. Wir haben ein sehr prominentes schwebendes Verfahren, in das wir uns nicht einmischen wollen. Liebe Frau Bundesministerin Schwesig, ich habe es sehr bedauernd zur Kenntnis genommen, dass Sie sich da parteiergreifend geäußert haben. Ich finde, ein Berliner Gericht sollte entscheiden, wie der Sachverhalt damals tatsächlich war. Es geht ja um die Beweiswürdigung, danach kommt die rechtliche Entscheidung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Letzter Punkt. Wir alle in Berlin wollen eine Kultur des Respekts. Wir wollen, dass jeder und jede selbstbestimmt, selbstbewusst und tolerant leben kann. Wir tolerieren keine Übergriffe. Die sexuelle Selbstbestimmung gehört zu den Kernwerten unserer Gesellschaft. Verstöße dagegen sind schwerwiegend. Es ist deswegen richtig, dass das Gesetz nun auch sexuelle Übergriffe als Abschiebungsgrund definiert, wenn das Strafmaß hinreichend ist. Wir kommen heute einen großen Schritt voran, aber es wird nicht der letzte sein. Wir sollten uns auch Gedanken darüber machen, wie wir die Integrität von Frauen besser schützen können, (Mechthild Rawert [SPD]: Mehr Gleichstellung!) die durch verbale Angriffe in der Öffentlichkeit zu sexualisierten Objekten gemacht werden. Auch beim Opferschutz müssen wir noch mehr tun. Es ist also gut, wenn wir unser Strafrecht kontinuierlich weiterentwickeln. Heute ist jedenfalls erst einmal ein guter Tag. Vielen Dank. Gute Abstimmung! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Senator Heilmann. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Ich bitte sehr um Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Konzentration. Das wird jetzt ein kleiner Marathon, von daher ist es ganz gut, wenn wir uns etwas konzentrieren. Zu den Abstimmungen liegen mehrere Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor.2 Zunächst geht es um den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9097, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/8210 und 18/8626 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben beantragt, über Teile des Gesetzes in zweiter Beratung getrennt abzustimmen. Wir werden dazu drei namentliche Abstimmungen durchführen. Dann gibt es eine Unterbrechung, und nach dieser Unterbrechung, während der ausgezählt wird, werden wir mit einfachen Abstimmungen fortfahren. Wir stimmen zunächst ab über Artikel 1 Nummern 6 bis 8, 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dazu namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Nein, im mittleren Gang oben rechts fehlt noch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin; vorher kann ich nicht beginnen. – Sind jetzt alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung; sie geht – ich sage es noch einmal – über Artikel 1 Nummern 6 bis 8, 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle abgestimmt? – Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch abstimmen müssen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3 Nächste Abstimmung. Wir stimmen jetzt namentlich ab über Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, und zwar nur über die Einfügung des § 184j Strafgesetzbuch. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstimmung; sie geht über Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, und zwar – ich sage es noch einmal – nur über die Einfügung des § 184j Strafgesetzbuch. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben? – Da sich niemand meldet, schließe ich jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.4 Wir kommen nun zur Abstimmung über Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die dritte namentliche Abstimmung; sie geht über Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Gibt es noch Kollegen oder Kolleginnen, die die Stimme nicht abgegeben haben, die nicht in wichtige Gespräche verwickelt wurden, die nicht rechtzeitig in den Bundestag eingelassen wurden – Sie glauben gar nicht, was es da alles an Begründungen gibt –, die den heißen Kaffee noch nicht trinken konnten? – Die Kollegen haben also abgestimmt. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. 5 Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich jetzt die Sitzung. (Unterbrechung von 12.22 bis 12.32 Uhr) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich werde Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, los!) – alles klar, Herr Kauder; net hudle –: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung; hier: Artikel 1 Nummern 6 bis 8, 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/9097: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 601. (Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten erheben sich) Artikel 1 Nummern 6 bis 8, 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ist damit einstimmig angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 599; davon ja: 599 nein: 0 enthalten: 0 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms (Beifall im ganzen Hause) Artikel 1 Nummer 9 – und zwar nur Einfügung von § 184j Strafgesetzbuch – des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/9097: abgegebene Stimmen 599. Mit Ja haben gestimmt 478, mit Nein haben gestimmt 119, Enthaltungen 2. Artikel 1 Nummer 9 ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 598; davon ja: 477 nein: 119 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein SPD Rüdiger Veit DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Marco Bülow DIE LINKE Dr. Gregor Gysi (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung – die Drucksachen bleiben dieselben –: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 480, mit Nein haben gestimmt 121. Kolleginnen und Kollegen, Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 600; davon ja: 479 nein: 121 enthalten: 0 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein SPD Marco Bülow DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, und zwar nur die Einfügung des § 184i Strafgesetzbuch. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung – hier die Einfügung des § 184i Strafgesetzbuch – ist bei einer Enthaltung angenommen.6 Wir kommen nun zu den übrigen Teilen des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch die übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf insgesamt in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Abstimmung über den von der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9097, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7719 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9097, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5384 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD. Auch damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung jetzt die weitere Beratung. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen. – Es wäre schön, wenn Sie die Plätze zügig wechseln könnten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksache 18/9007 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Zeit zu haben, sich gehetzt zu fühlen: Das ist zu einem Massenphänomen in unserer Gesellschaft geworden. Burn-out an der Uni ist ein Alltagsphänomen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fehlen immer häufiger aufgrund psychischer Erkrankungen. Die Fehltage deswegen haben sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt, und auch fast jede zweite Frühverrentung ist durch psychische Erkrankungen verursacht. Das alles sind klare Zeichen dafür, dass unserer gehetzten Gesellschaft die Puste ausgeht. Wir Grünen wollen dem nicht tatenlos zusehen. Wir machen ganz konkrete Vorschläge, wie Menschen wieder mehr Souveränität über das bekommen können, was eines ihrer wichtigsten Güter überhaupt ist, nämlich über ihre Zeit. Wir fordern die Bundesregierung auf, hier endlich aktiv zu werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Thema ist nicht neu. Allein auf der Website des Familienministeriums gibt es 116 Treffer, wenn man nach dem Begriff „Zeitpolitik“ sucht, mit vielen Verweisen auf umfassende Studien und Forschungsarbeiten. Das zeigt: Wir haben überhaupt kein Erkenntnisproblem. Aber diese Bundesregierung handelt nicht. Deshalb sagen wir Grünen: Die Menschen brauchen jetzt eine bessere Balance zwischen Beruf und Familie, (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ihnen scheint völlig entgangen zu sein, was in den letzten Jahren passiert ist!) zwischen Pflege und/oder Ehrenamt, zwischen den vielen Mosaiksteinen, die unser Leben ausmachen. Denn auch der Sankt-Nimmerleins-Tag hat nicht mehr als 24 Stunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich muss keine Prophetin sein, um davon auszugehen, dass die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen gleich das Elterngeld Plus und die Familienpflegezeit anführen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich sage Ihnen aber: Lassen Sie das lieber stecken! Das Elterngeld Plus ist ein Bürokratiemonster, (Sönke Rix [SPD]: Was? – Maik Beermann [CDU/CSU]: 6 Milliarden Euro! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dieser Staat gibt 6 Milliarden Euro für das Elterngeld aus! Reden Sie das nicht klein!) das an der Lebensrealität der meisten Familien kilometerweit vorbeigeht. Die Familienpflegezeit bleibt ein Rohrkrepierer. Sie schließt den größten Teil der Frauen vom Rechtsanspruch aus und ist für Menschen mit geringem Einkommen sowieso unerschwinglich. Deshalb sagen wir: Wir brauchen passgenaue und realitätstaugliche Instrumente, damit Arbeit gut ins Leben passt, und wir brauchen diese Instrumente jetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das eine Arbeitszeitmodell reicht schon lange nicht mehr aus, um Erwerbsarbeit und private Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Deshalb wollen wir einen Vollzeitkorridor mit Wahlarbeitszeiten schaffen. Beschäftigte sollen das Recht haben, ihren Arbeitszeitumfang im Bereich von 30 bis 40 Stunden bedarfsgerecht nach oben oder unten anpassen zu können. Mit dieser flexiblen Vollzeit schaffen wir echte Zeitsouveränität. Die Arbeitszeiten sollen endlich so beweglich werden, wie die Menschen in unserem Land es schon lange sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Denken Sie an den kleinen Handwerksbetrieb!) Es gibt aber auch Phasen im Leben, in denen mehr Flexibilität allein nicht ausreicht: wenn man Verantwortung für andere übernimmt, Kinder hat oder sich um Pflegebedürftige kümmert, übrigens auch, wenn man sich in der Mitte des Lebens nochmals beruflich umorientieren möchte oder auch muss. In diesen Phasen braucht es gezielte Unterstützung. Mit der Kinderzeit Plus, der Pflegezeit Plus und unserer Bildungszeit Plus versetzen wir Menschen auch finanziell in die Lage, in diesen Lebensphasen beruflich kürzerzutreten, und zwar ganz egal, ob sie Reinigungskraft oder Professorin sind. Mehr Zeit für Familie, mehr Zeit für Bildung muss jedem möglich sein, unabhängig vom Geldbeutel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Aspekt ist mir besonders wichtig. Es sind immer noch meistens die Frauen, die als Mütter bzw. als pflegende Angehörige zulasten ihrer eigenen Existenzsicherung beruflich zurückstecken. Hier wirkt ein sehr ungutes Zusammenspiel von althergebrachter Rollenverteilung, Minijobs, Ehegattensplitting, noch immer unzureichender Kinderbetreuung und zu wenigen Tagesbetreuungsangeboten für Pflegebedürftige. Dabei wissen wir aus Umfrage über Umfrage, Studie über Studie, dass Frauen und auch Paare so gar nicht mehr leben wollen. Eine Mehrzahl will heute nicht mehr so leben. Paare, vor allem wenn sie junge Eltern sind, wollen Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich untereinander aufteilen. Aber in ihrem Alltag können sie das nicht; sie haben nicht die Möglichkeit dazu. Das ist doch der Arbeitsauftrag an uns, liebe Kolleginnen und Kollegen: dafür zu sorgen, dass die Menschen so leben können, wie sie es selber wünschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür brauchen wir neue Instrumente wie die flexible Vollzeit oder die Kinderzeit Plus. Ich finde, es ist wirklich Zeit, dass die Bundesregierung bei diesem Thema endlich die Ärmel hochkrempelt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächste Rednerin ist Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Bettina Hornhues (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen mit ihrem Antrag ein wichtiges Thema auf die heutige Tagesordnung gesetzt haben. Als Familienpolitikerin und Berichterstatterin für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich besonders einen Blick auf den Teil des Antrags werfen, der sich mit der Zeit für die Familie beschäftigt. Es herrscht wahrscheinlich über kein Thema der Familienpolitik so viel Einigkeit wie darüber, dass wir mehr Zeit für Familien schaffen müssen, und zwar Zeit, die sich Familien selbst einteilen können, je nachdem, wie die individuellen Bedürfnisse sind. Für Mütter und Väter, die als Paar zusammenleben, stellt sich nicht nur die Frage, wie beide Elternteile, für sich betrachtet, Familie und Beruf vereinbaren. Von hohem Interesse ist für Paare mit Kindern zudem das Zusammenspiel der Partner bei der Balance zwischen Familie und Beruf. Zeitpolitik ist deshalb ein brandaktuelles Thema und wird auch in den nächsten Jahren weiterhin die größte Herausforderung in der Familienpolitik sein. Bereits vor zehn Jahren wurde mit dem Siebten Familienbericht der Bundesregierung die Zeitpolitik auf die Agenda gesetzt und läutete damit einen Wendepunkt in der Familienpolitik ein. Erstmals wurde der Zeitorganisation ein eigenes Kapitel gewidmet. Dieses beschreibt das Spannungsfeld zwischen Erwerbs- und Familienzeit. Seitdem schaffen wir mit zahlreichen familienpolitischen Maßnahmen Möglichkeiten für Familien, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Familie zu finden und damit die Vereinbarkeit zu verbessern. In dieser Legislaturperiode haben wir bereits einiges dafür getan und wichtige Ziele unseres Koalitionsvertrages umgesetzt, beispielsweise mit der Einführung des Elterngeld Plus, mit Partnerschaftsbonus und einer flexiblen Elternzeit oder mit dem Familienpflegezeitgesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Genau diese Erfolge der Großen Koalition zeigen, dass wir in den letzten drei Jahren gute Arbeit geleistet haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt gehen die Kollegen der Grünen aber einen Schritt weiter und wollen dem Kind einen neuen Namen geben. So soll aus dem Elterngeld und dem Elterngeld Plus die Kinderzeit Plus werden usw. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das leuchtet mir an dieser Stelle leider nicht ein. Warum sollen wir bewährte familienpolitische Leistungen umbenennen und es so den Eltern noch schwerer machen, zwischen den verschiedenen Antragsmöglichkeiten zu unterscheiden? Dies spart meiner Meinung nach weder Zeit noch Nerven und ist somit doch eher kontraproduktiv für einen Antrag, der unter anderem mehr Zeit für Familien fordert. Nichtsdestotrotz werden wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch weiterhin dem Wunsch der Eltern nach mehr Zeit mit der Familie nachkommen, und wir machen uns für eine zukunftsorientierte Zeitpolitik stark, aber mit anderen Schwerpunkten. (Beifall bei der CDU/CSU) Die im letzten Jahr vorgestellte Zeitverwendungsstudie des Bundesamtes für Statistik hat gezeigt, dass auf der einen Seite jeder dritte Vater und jede fünfte Mutter bemängeln, dass sie nicht ausreichend Zeit für ihre Kinder haben. Mit der Studie wurden im letzten Jahr erstmals Zahlen ermittelt, die auf die Veränderungen bei der Verwendung von Zeit eingehen. Weiter gibt die Studie darüber Aufschluss, dass sich 7 Prozent der Väter und 28 Prozent der Mütter auf der anderen Seite aber auch mehr Zeit für die Erwerbsarbeit wünschen. Das heißt, dass jede dritte Mutter gern mehr arbeiten möchte. Dies verdeutlicht sehr gut, dass die Mütter und Väter von heute eben beides wollen: arbeiten und Zeit mit den Kindern verbringen. Doch – um nochmals auf den Antrag zurückzukommen – zeigt sich hier wieder die Frage, wie wir diesen Wünschen der Mütter und Väter gerecht werden wollen. Hierbei gehen unsere politischen Vorstellungen nämlich auseinander. Fest steht, dass der Zeitabschnitt für Kinder im Lebenslauf kaum variabel ist und im Alter zwischen 25 und 40 Jahren alles zusammenkommt. Sowohl die Familienplanung steht im Vordergrund als auch die berufliche Entwicklung und die Karriereplanung. Zahlen aus dem Jahr 2014 zeigen, dass Mütter bei ihrem ersten Kind durchschnittlich 29,5 Jahre alt sind. Die Familiengründung rückt im Lebensverlauf also immer weiter nach hinten. Dies ist ein signifikanter Wandel, vergleicht man dies mit den 1950er- und 1960er-Jahren. Damals kamen fast alle Kinder in Ehen zur Welt, und der Mann war der Hauptverdiener und Ernährer der Familie. In diesem klassischen Familienmodell hat sich die Frau, die im Schnitt beim ersten Kind deutlich jünger war als heute, um Haushalt und Kinder gekümmert. Heute ist jedoch das Zweiverdienermodell meistens in den Familien zu finden, wonach sich Mütter und Väter jeweils Erwerbsarbeit und Fürsorge für die Kinder teilen. Diesem Wandel in den Lebensverläufen müssen wir Rechnung tragen. Dieser Wandel in den Familienmodellen bewirkt, dass es in der vielbesagten Rushhour des Lebens nun zu Verschärfungen kommt. Zurückzuführen ist dies hauptsächlich auf den Wandel der Arbeitswelt und auf den steigenden Anteil der erwerbstätigen Frauen in Deutschland, und dieser Wandel war – trotz aller Diskussionen – längst überfällig und ist nur zu begrüßen. (Beifall bei der CDU/CSU) Allein in den letzten Jahren, zwischen 2009 und 2013, gab es einen weiteren Anstieg um 4,2 Prozent, Tendenz weiter steigend. Weitere Studien zeigen aber auch, dass eine Erhöhung der Zeit von Vätern zu Hause nicht die Probleme lösen wird. Auch wenn sich fast 80 Prozent der Väter mehr Zeit mit ihren Kindern wünschen, ist dies nicht das Allheilmittel. Wir sollten uns schwerpunktmäßig weiter darum kümmern, die Karrierechancen der Frauen in dieser Lebensphase noch mehr zu verbessern und diejenigen Frauen zu fördern, die mehr arbeiten möchten, indem beispielsweise die typischen Frauenberufe in den sozialen Bereichen aufgewertet und besser bezahlt werden oder den Frauen der Wiedereinstieg nach der Geburt des Kindes und der Elternzeit erleichtert wird. Jungen Familien in der Phase der Familiengründung fehlen schließlich nicht nur Zeit, sondern vor allem auch Geld. Neben Geld ist aber auch eine gute Infrastruktur wichtig, um Familien zu entlasten. Bereits in den letzten Jahren haben Bund und Länder viel Geld in den Kitaausbau gesteckt; darauf sollten wir weiter aufbauen. Die aktuellen Zahlen bestätigen, dass der Ausbau der Krippenplätze in den vergangenen Jahren gut vorangekommen ist. Meiner Meinung nach müssen wir uns in den nächsten Jahren aber auch um bessere Betreuungsmöglichkeiten für Grundschulkinder kümmern. Bisher wurde dieses Thema in der politischen Diskussion leider viel zu wenig beachtet. Bis zur Einschulung wird eine gute Betreuung mit Krippe und Kindergarten mittlerweile gewährleistet. Neue Probleme tauchen aber wieder mit dem Eintritt in die Schule auf, vor allem da Betreuungsplätze in einem Hort oder in einer Ganztagsschule für Grundschulkinder in vielen Kommunen knapp sind. Hier müssen die Länder in die Verantwortung genommen werden und in die Infrastruktur investieren. Den Eltern ist nicht geholfen, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, weil ihr Kind in die Grundschule gekommen ist und nicht mehr betreut werden kann. Hier, liebe Kollegen der Grünen, könnte man dort, wo Sie an der Landesregierung beteiligt sind, viel erreichen. Aber leider passiert in den rot-grün geführten Bundesländern bisher auch auf diesem Feld viel zu wenig. Fassen wir zusammen: Mehr Zeit für Familien ist ein schönes Ziel, welches wir als Politik allerdings nicht alleine erreichen können. Vielmehr sind wir dabei auf die Unterstützung der Gesellschaft und der Arbeitgeber angewiesen. Zum Schluss möchte ich besonders den Betrieben und Unternehmen danken, die bereits in den letzten Jahren erkannt haben, dass Familienfreundlichkeit ein wichtiger Faktor der Arbeitnehmerzufriedenheit ist. Ohne sie würden unsere Maßnahmen nicht den Erfolg haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Bettina Hornhues. – Nächste Rednerin: Cornelia Möhring für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße sehr, dass wir hier über Zeit diskutieren. Das ist ein wichtiges und dringliches Thema. Wir wissen: Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leiden unter dem sogenannten Burn-out, schaffen die ständig wachsenden Anforderungen nicht mehr. Während die einen im Hamsterrad rotieren, wird ein anderer Teil in der Gesellschaft von der Arbeitswelt ausgegrenzt und darf nicht mehr teilhaben. Das kann auch nicht sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie stellen als Grüne in Ihrem Antrag die Frage, was denn nötig sei, damit Arbeit und Leben besser zueinander passen. Ich habe ein kleines Problem mit der grundsätzlichen Herangehensweise, denn das klingt ein bisschen so, als ob Sie Arbeit und Leben als Gegensätze einander gegenüberstellten, hier die Arbeit, dort das Leben. Aber Arbeit und Lebensweise gehören untrennbar zusammen, und Arbeit ist auch mehr als Erwerbsarbeit. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, das, was wir brauchen, ist doch Zeit für das ganze Leben. Wir brauchen Zeit für Erwerbsarbeit, sodass wir sie ohne Stress und gesund bleibend tun können. Wir brauchen Zeit für Sorgearbeit, das heißt für Kinderbetreuung, für die Pflege von Angehörigen, für den Haushalt. Wir brauchen Zeit, um uns weiterzuentwickeln, für Bildung, Kultur, zum Faulenzen, und wir brauchen nicht zuletzt Zeit – das sehen wir in Zeiten wie heute besser denn je – für politische Meinungsbildung und Teilhabe. Diese Verfügung über unsere eigene Zeit muss für jede und jeden gleich gelten, egal ob Mann oder Frau, arm oder reich, mit oder ohne Kinder. (Beifall bei der LINKEN) Aber leider sind wir von dieser gerechten Verteilung von Arbeit und Zeit noch weit entfernt, und von einem Zeitwohlstand können wir bei weitem noch nicht reden. Die Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass auch die reale Erwerbsarbeitszeit meist nicht mehr der gewünschten Arbeitszeit entspricht. Kurz gesagt: Väter wollen weniger erwerbsarbeiten und mehr Zeit für Familie haben, Frauen möchten gerne mehr erwerbsarbeiten, und alle möchten Zeit für alle Seiten des Lebens. Aber diese Wahlfreiheit haben sie nicht. Sie können nicht so einfach frei aushandeln, wie die Arbeit verteilt werden soll; denn wir haben nicht nur eine ungerechte Verteilung von Arbeit und Zeit, sondern auch von Einkommen, auch zwischen den Geschlechtern. Deswegen lautet in vielen Paarbeziehungen die Frage gar nicht, wer wie viele Monate Elternzeit nehmen kann, sondern sie lautet: Wie viel Gleichberechtigung können wir uns eigentlich leisten? Deshalb führt die gut gemeinte Forderung nach der Weiterentwicklung der Elternzeit nicht automatisch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir Zeit für das ganze Leben, wollen wir die Verfügung über unsere Zeit zurückgewinnen, dann müssen wir die Arbeit zwischen den Geschlechtern und zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen umverteilen – und das mit guten Löhnen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das geht am besten mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung. Weil deren Sinn und Zweck nicht darin bestehen kann, noch mehr Sorge- und Pflegearbeit in die Familien zu verlagern, damit sich Eltern und pflegende Angehörige besser im Hamsterrad platzieren können, brauchen wir unbedingt einen massiven Ausbau der sozialen Infrastruktur, also sowohl der Ganztagskinderbetreuung als auch der pflegerischen Infrastruktur. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Bettina Hornhues [CDU/CSU]) Das schafft echte Entlastung. Das wird auch entscheidend sein, wenn wir über solche Maßnahmen wie eine Pflegezeit Plus diskutieren. Wir sollten endlich das Verständnis eines Normalarbeitsverhältnisses ein für alle Mal über Bord werfen. Die Menschen wollen keine starren Vorgaben, sie wollen Flexibilität, bei der sie auch ein Wort zu sagen haben, sie wollen weder ausufernde Arbeitszeiten, die nur Stress bedeuten, noch Teilzeitstellen, von denen sie nicht leben können. Es geht also um viel mehr als um Vereinbarkeit, es geht um viel mehr als um die Weiterentwicklung verschiedener Vereinbarkeitsmaßnahmen. Aber ich freue mich auf die Diskussion auf dem Weg in eine neue Arbeitswelt und Lebensweise, für mehr Zeitwohlstand für alle. Packen wir es an. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Möhring. – Der nächste Redner: Dr. Fritz Felgentreu für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An Ton und Inhalt des Antrags der Grünen zum Thema „Zeit für mehr“ merkt man, dass wir uns so langsam dem Wahlkampf nähern. Das muss für die Qualität der parlamentarischen Debatten nicht unbedingt schlecht sein. Aber wenn wir uns Ihre Vorschläge anschauen, liebe Frau Dörner, dann wird auch klar, dass das schon relativ ehrgeizig ist, was Sie da skizzieren. Wenn Sie sich hier vorne hinstellen und sagen, das müsste alles sofort umgesetzt werden, dann kommt mir das nicht so richtig realistisch vor. Wenn Sie mit einem Gesetzentwurf angekommen wären und das Anliegen schon konkret ausgestaltet gewesen wäre, dann hätte ich dem folgen können. Aber der Arbeitsauftrag, den Sie der Regierung geben wollen, bedarf doch erheblicher Ausarbeitungen – das ist Ihnen doch selber klar –, die geraume Zeit in Anspruch nehmen. Nach meiner unmaßgeblichen parlamentarischen Erfahrung muss ich deswegen sagen: Wenn man mit so etwas im letzten Jahr einer Legislaturperiode beginnt, dann geht es in Wirklichkeit nicht darum, dass das noch in ein Gesetz mündet, sondern es geht darum, ein Thema zu besetzen, es geht darum, vor der Wahl mit den eigenen Ideen die Debatte zu bestimmen. Das ist alles völlig legitim. Aber tun Sie doch nicht so, als wollten Sie hier und heute irgendetwas ändern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion begrüßt diesen Vorstoß der Grünen sogar; denn er gibt uns die Gelegenheit, darzustellen, was wir in der Regierung erreicht haben, (Beifall der Abg. Bettina Hornhues [CDU/CSU]) um eine moderne Zeitpolitik für Familien zu gestalten, und er gibt uns auch die Gelegenheit, darzustellen, was wir in Zukunft erreichen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die drei Arbeitsfelder, die der Grünenantrag definiert, sind klar: Es geht um mehr Zeit für Kinderbetreuung in der Familie, es geht um mehr Zeit für Pflege, und es geht um mehr Zeit für Weiterbildung. Überall da soll der rechtliche Rahmen ein bisschen ausgeweitet und die Vereinbarkeit mit dem Berufsleben verbessert werden. Die SPD-Fraktion teilt diese Zeile, und deswegen sind wir stolz darauf, dass wir in der Regierung in den letzten zwei Jahren auf dem Gebiet von Betreuung und Pflege erhebliche Fortschritte gemacht haben. Wir haben einen Rechtsanspruch geschaffen, die Arbeitszeit bis zu 24 Monate auf eine Mindestarbeitszeit von 15 Stunden pro Woche zu reduzieren, um Zeit für pflegebedürftige Angehörige zu haben. Ein halbes Jahr können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Pflege freistellen lassen. Mit dem Familienpflegezeitgesetz stehen wir den Menschen in einer besonders schweren Lebensphase zur Seite. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Oft geht es ja darum, von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass jemand die Kraft und den Willen aufbringt, sich persönlich um chronisch Kranke oder sterbende Angehörige zu kümmern. Wir wollen allen, die sich dafür entscheiden, ermöglichen, dass sie diesen Liebesdienst mit dem Berufsleben in Einklang bringen können, und wir sind dabei auch ein großes Stück weitergekommen. Mindestens genauso wichtig ist für uns, dass junge Eltern Zeit haben, sich um ihre kleinen Kinder zu kümmern. Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung für Eltern, die eine Auszeit für die Babypflege nehmen. Diese Leistung ist inzwischen schon fast zehn Jahre alt, und sie ist ein Baby der SPD, auf das wir auch stolz sind. (Beifall bei der SPD) Im Unterschied zu den Grünen freuen wir uns, dass wir das Elterngeld vor über einem Jahr um das Elterngeld Plus ergänzen konnten. Durch das Elterngeld Plus können Paare jetzt auch gemeinsam für ihre kleinen Kinder sorgen, wenn sie dafür in Teilzeit arbeiten. Ganz offenkundig hat die Politik mit dem Elterngeld Plus einem echten Bedürfnis junger Eltern Rechnung getragen. Wenn man bedenkt, wie neu diese Leistung ist, dann ist es schon ein sensationeller Erfolg, dass im ersten Quartal dieses Jahres schon fast 20 Prozent der jungen Eltern Elterngeld Plus beantragt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) So schlimm kann der bürokratische Aufwand dafür also gar nicht sein. Die SPD beabsichtigt nicht, sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Eine moderne Zeitpolitik – darauf hat auch die Kollegin Hornhues hingewiesen – muss auch Familien erreichen, deren Kinder zur Schule gehen. Sie muss die vielen neuen Formen von Erwerbstätigkeit im Blick haben, die die digitale Revolution mit sich bringt. Sie muss die Ausbeutung und die Selbstausbeutung der sogenannten Soloselbstständigen zu verhindern helfen. Für all das ist nicht nur die Familienpolitik gefragt. Auch die Tarifparteien und die Sozialpartner müssen mitmachen bei der Entwicklung neuer, flexibler Arbeitszeitmodelle, die den Bedürfnissen von Familien und Alleinstehenden in einer Volkswirtschaft, die hochproduktiv ist und auch bleiben soll, gerecht werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ein Modell, das die SPD auch im edlen Wettstreit der Ideen mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von den Linken, auf jeden Fall weiterverfolgen wird, ist die Familienarbeitszeit. Wir wollen eine Unterstützung für Paare organisieren, die Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich teilen. (Beifall bei der SPD) Das alte Modell „Einer arbeitet, und in der Regel bleibt eine zu Hause“, das lehnen wir überhaupt nicht ab, und es wird auch vom Staat massiv gefördert, zum Beispiel durch Mitversicherung und Steuersplittingmodelle, über die wir auch kontrovers diskutieren. Aber ein Modell, bei dem beide gemeinsam zu zwei Dritteln arbeiten und sich zu je einem Drittel um Kinder und Haushalt kümmern, könnte sich in unserer Zeit noch mehr bewähren. Denn es ist für beide Geschlechter fair, es ist gut für die Familie, und es ist auch gut für die Wirtschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Gesetzentwurf? – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Wahlkampf für Berlin!) Über 90 Prozent der Frauen und Männer unter 40 finden, dass beide, Mütter und Väter, sich um die Kinder kümmern sollen. Dabei wollen viele Mütter gerne mehr arbeiten und Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Mit unserer Familienarbeitszeit können wir diesen Eltern helfen, ihren Wunsch zu verwirklichen. Für die Wirtschaft bedeutet Familienarbeitszeit, dass mehr Menschen arbeiten gehen können und dass den Unternehmen und der öffentlichen Hand mehr gut ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung stehen. Besonders die Mütter werden dank der Familienarbeitszeit mehr für ihre Rente vorsorgen und der Altersarmut vorbeugen können. Die Kinder profitieren davon, weil sie mit beiden Eltern mehr Zeit verbringen können. Einen wichtigen Schritt in Richtung Familienarbeitszeit sind wir mit dem Elterngeld Plus bereits gegangen. Aber genau wie das traditionelle Modell der Arbeitsteilung in Familien wird auch die Familienarbeitszeit staatliche Förderung brauchen, vor allem durch Lohnersatz, aber auch durch den weiteren Ausbau von Betreuungsangeboten; auch darauf hatte Kollegin Hornhues hingewiesen. Deshalb werden wir auch weiter daran arbeiten, dass erstklassige Kitas und Schulen mit flexiblen Betreuungsangeboten für alle Bedürfnisse zur Verfügung stehen. Das nennen wir „Familienarbeitszeit“, und da wollen wir hin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Gesetzentwurf?) Lassen Sie uns doch einfach die Zeit bis zur Bundestagswahl nutzen, um über die besten Lösungen zu streiten. Ich freue mich darauf und wünsche uns weiterhin eine gute Debatte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Zum Thema Zeit passt auch, dass Sie sich bitte an die Zeit halten. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): 14 Sekunden! Vizepräsidentin Claudia Roth: Das war jetzt ins allgemeine Rund gesprochen. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Ach so. Dann ist ja gut. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Dr. Felgentreu. – Nächster Redner: Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Maik Beermann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! George Orwell sagte einst: „Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vorbei.“ – Ich finde, das beschreibt auch deutlich, wie heute einige Situationen aussehen. Ja, wir leben in einer sehr anspruchsvollen Zeit, in der uns Smartphones in zehnminütigen Abständen auf neue Termine hinweisen, E-Mails mit Arbeitsaufträgen aufploppen, die abgearbeitet werden müssen. Ja, ich kann verstehen, dass Menschen sich gehetzt fühlen. Natürlich müssen wir diese Entwicklung sehr ernst nehmen. Wie ernst wir sie nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das möchte ich gern kurz skizzieren. Das Thema „Zukunft der Arbeit“ steht ganz oben auf der Agenda der CDU. Bereits am 15. Dezember letzten Jahres haben wir auf unserem Parteitag in Karlsruhe intensiv über das Thema „Arbeit der Zukunft – Zukunft der Arbeit“ debattiert und dazu auch ein Papier einstimmig verabschiedet. Damit haben wir auf die Veränderungen in der Arbeitswelt, so auch den Wunsch nach mehr Souveränität bei der Arbeitszeit, aus parteipolitischer Sicht bereits reagiert, und wir werden dies natürlich auch in die parlamentarische Debatte einbringen; das haben wir an der einen oder anderen Stelle auch schon getan. „Familien brauchen Zeit füreinander.“ Dieser Satz, meine Damen und Herren, stammt aus dem Koalitionsvertrag. Er macht deutlich, dass wir Familien und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Zeit ist das kostbarste Gut der Familien. Daher haben wir bereits am 11. März 2014 gemeinsam mit dem Koalitionspartner im Antrag „Mehr Zeitsouveränität“ das Thema aufgegriffen. Zeit ist eben auch eine Schlüsselressource. Aus diesem Grunde machen wir uns stark für eine moderne, lebenslauforientierte Zeitpolitik, die Frauen und Männer dabei unterstützt, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Wir wollen Familien wieder zum Taktgeber des Lebens machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Prioritäten innerhalb der Gesellschaft haben sich geändert. Eltern sagen heute: Ich würde gern auf gewisse Dinge verzichten, wenn ich mehr Zeit mit den eigenen Kindern, mit der eigenen Familie verbringen dürfte. – Darauf haben wir als Gesetzgeber auch schon reagiert. Um den Bedürfnissen von Eltern besser gerecht zu werden, haben wir – die Kollegen Hornhues und Felgentreu haben es erwähnt – das Elterngeld und dann das Elterngeld Plus eingeführt. In meinen Augen war das ein Meilenstein in der Familienpolitik. Durch diese Regelungen haben Eltern die Möglichkeit, die ersten zwei Jahre mit ihrem Kind individuell zu gestalten – ein richtiger und wichtiger Schritt in Richtung Familienzeitpolitik und somit ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn. Ich bin davon überzeugt, dass die vielen variablen und flexiblen Ausgestaltungen des Elterngelds auch ihren Anteil an der steigenden Geburtenrate haben. Wir hatten im Jahr 2015 immerhin 23 000 mehr Geburten als 2014, und 2014 hatten wir auch schon mehr als 2013. Das heißt, es bewegt sich etwas, und das ist auch gut so. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Neben Zeit brauchen Familien vor allen Dingen Sicherheit. Gerade in den ersten Monaten nach der Geburt eines Kindes hat Sicherheit, auch in Form von finanzieller Sicherheit, eine ganz besondere Bedeutung. Dass wir da die richtigen Schritte gemacht haben, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Jährlich werden aktuell 6 Milliarden Euro für das Elterngeld ausgegeben. Es wird davon auszugehen sein, dass bis zum Jahr 2020 sogar noch 1 Milliarde Euro jährlich dazukommt; dann sind wir bei 7 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist ein deutliches Zeichen. An dieser Stelle möchte ich zu bedenken geben, dass wir auch als Familienpolitiker nie aus dem Blick verlieren dürfen, dass das Geld, das wir ausgeben, erwirtschaftet werden muss. Es sind immerhin Steuergelder, die hier sicherlich eine sinnvolle Verwendung finden. Das streitet keiner ab. Aber wir haben insbesondere auch eine Verantwortung den nachfolgenden Generationen gegenüber. Daher möchte ich hier noch einmal betonen, dass wir genau aus diesem Grund keine neuen Schuldenberge anhäufen dürfen. Als verantwortungsvolle Politiker müssen wir immer zwischen dem, was wünschenswert ist, und dem, was machbar ist, unterscheiden und abwägen. Ein Dank hier auch einmal in Richtung des Bundesfinanzministers – Herr Dr. Meister, nehmen Sie ihn bitte mit –, dass es gelungen ist, auch für 2017 einen Haushalt aufzustellen, der ohne neue Schulden auskommt. Die schwarze Null steht. Und das ist ebenfalls gut so. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in dieser Legislaturperiode schon viel erreicht. Mit der Weiterentwicklung der Familienpflegezeit, die wir verbindlicher und attraktiver gestaltet haben, wird es Erwerbstätigen ermöglicht, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um Zeit für die Pflege von Angehörigen zu haben. So können die Familien die Pflege ihrer Angehörigen ganz nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen gestalten, ohne sich Gedanken machen zu müssen, dass sie durch ihre Pflegetätigkeit ihre Berufstätigkeit möglicherweise aufgeben müssen. Aktuelle Zahlen belegen, dass die Familienpflegezeit mehr und mehr angenommen wird. Denn laut Berechnungen des Familienministeriums haben seit Inkrafttreten dieser neuen Regelungen bereits 39 000 Berufstätige für die Pflege von Angehörigen eine mehrmonatige Pflegezeit in Anspruch genommen. Ich habe den allerhöchsten Respekt vor der Leistung, die pflegende Angehörige täglich erbringen. Ich selber komme aus einer Familie, in der meine Eltern meine Großeltern bis zum Lebensende zu Hause gepflegt haben. Das waren emotionale Momente, das waren schwierige Momente und anstrengende Momente. Diesen Herausforderungen muss man dann auch erst einmal gerecht werden können. Aber ich darf auch sagen, dass es meiner Schwester, meinem Bruder und mir – so gut es uns gelingen konnte – ein Bedürfnis war, unsere Eltern dabei zu unterstützen. Diese Erfahrung, die wir da gemacht haben, war wirklich sehr prägend; denn die körperliche, aber besonders auch die emotionale Belastung ist in solchen Fällen sehr hoch. Die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf stellt Betroffene täglich vor große Herausforderungen. Deshalb war diese Reform ein ganz wichtiger Schritt. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen, in Ihrem Antrag sprechen Sie von lebenslangem Lernen. Ich gebe Ihnen gern eine kleine Gedächtnisstütze. Denn am 2. Juni dieses Jahres, also vor ziemlich genau einem Monat, wurde das Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung verabschiedet. Damit wurde die Rolle von Aus- und Weiterbildung als zentrale Elemente der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland bekräftigt. Ich bin ausdrücklich für eine Intensivierung der Weiterbildungsförderung, gerade auch deshalb, weil ich selber zu jenen gehöre, die eine dreijährige Ausbildung genossen und dann eben auch von Fortbildungsmaßnahmen profitiert haben. In vielen Gesprächen in meinem Wahlkreis im niedersächsischen Nienburg und im Schaumburger Land berichten mir die Unternehmen, dass neben der Gewinnung von Fachkräften und der Personalentwicklung die Themen „Fort- und Weiterbildung“ und „Einräumen individueller Zeitfenster“ von Bedeutung sind, da diese häufig eine Berufsentscheidung junger Menschen beeinflussen. Die Ansprüche an die Beschäftigten haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Gerade die Digitalisierung beeinflusst diese Entwicklung; denn sie eröffnet eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten, die den Arbeitsalltag besser machen können und somit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch fördern. Die Digitalisierung bietet in diesem Bereich enorme Chancen. Diese Chancen gilt es in Zukunft noch besser zu nutzen und für alle zugänglich zu machen. Das Internet verändert Arbeitsorganisationen und Arbeitsbeziehungen. Aber Arbeit ist immer weniger orts- und zeitgebunden und zunehmend dezentral organisiert. Die Digitalisierung bedeutet in dieser Hinsicht einen qualitativen Sprung und führt nicht nur zu einer quantitativen Ausweitung von schon lange bekannten Arbeitsformen wie Telearbeit und Home Office. Für uns war es schon immer wichtig und richtig, Familien in ihren verschiedenen Lebensphasen und -situationen zu unterstützen. Dafür schaffen wir verlässliche Rahmenbedingungen, dabei achten wir nicht nur auf die Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit jeder einzelnen Familie, sondern bestärken diese auch. Zum Thema Selbstbestimmtheit bzw. Wahlfreiheit möchte ich an dieser Stelle noch einmal Folgendes ganz deutlich sagen: Wir von der Union werden Regelungen, die die Freiheit der Familiengestaltung beeinflussen und lediglich ein ganz bestimmtes Familienmodell fördern, ganz klar ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Für uns hat eine echte Wahlfreiheit oberste Priorität bei familienpolitischen Überlegungen. Eine starre gesetzliche Regelung, die nur ein bestimmtes Modell berücksichtigt, lehnen wir ab. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja ein Fortschritt!) Ich danke der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass sie diesen Antrag gestellt hat und mir somit die Möglichkeit gibt, in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause meine Redezeit zu nutzen, die jetzt leider abgelaufen ist, um die gute und lebensnahe Familien- und Pflegepolitik der Großen Koalition zu erörtern, unsere gute Arbeit in diesem Bereich nochmals in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen und auf das wichtige Thema der Digitalisierung hinzuweisen. Die Digitalisierung wird in der Zukunft große Herausforderungen mit sich bringen; das haben Sie in Ihrem Antrag leider komplett unterschlagen und vergessen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familien und pflegende Angehörige haben eines wirklich verdient, nämlich dass sie im Fokus unserer Gesellschaft stehen. Das soll auch so sein. Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ist daher leider abzulehnen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist doch die erste Lesung!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich mache noch einmal darauf aufmerksam: Wenn jeder, wenn er gemerkt hat, dass die Redezeit zu Ende ist, noch eine Minute länger redet, dann wird das heute Abend nichts. Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke das Wort. – Bitte schön. (Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Der holt das jetzt wieder auf!) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ich versuche, mich daran zu halten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gut. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Zeit für mehr“: Ich hätte gerne mehr Zeit zum Reden. Die allgemeinen Zeitprobleme hat die Kollegin Möhring ja hier schon erörtert. Aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Redezeit möchte ich nur auf den ersten Punkt im Antrag der Grünen eingehen. Sie fordern, dass der Anspruch auf Kinderzeit Plus, so nennen Sie es jetzt, auf 24 Monate erhöht wird – pro Elternteil 8 Monate zuzüglich 8 Monate, die die Eltern untereinander aufsplitten können. Alleinerziehende sollen die vollen 24 Monate in Anspruch nehmen können. Der Schonraum im ersten Lebensjahr soll erhalten bleiben, sodass Eltern im ersten Lebensjahr des Kindes die Möglichkeit des vollständigen Ausstiegs aus dem Berufsleben nutzen können. Kinderzeit Plus kann genommen werden, wenn der vorherige Stellenumfang um mindestens 20 Prozent reduziert wird und dabei noch mindestens die Hälfte der tariflichen oder branchenüblichen Wochenarbeitszeit umfasst. Und letztlich soll die Kinderzeit Plus unterbrochen werden und bis zum 14. Lebensjahr des Kindes – bis zur Strafmündigkeit – verlängert werden können. Das klingt alles ganz toll, auch die Überschrift „Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt“. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Schöne Forderungen, welche die Linke bereits 2009 erhoben hat! Wir wollten seinerzeit 12 Monate pro Elternteil und die vollen 24 Monate für Alleinerziehende. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Kein Stress! Erst einmal zuhören. – Diese Zeit sollte auch aufgesplittet werden können bis zum 7. Lebensjahr des Kindes, damit Eltern die Möglichkeit eröffnet wird, auch während der Einschulungsphase Elternzeit nehmen zu können. Und wissen Sie noch, was Sie dazu gesagt haben? Frau Haßelmann ist vorhin leider gegangen. Sie hat wahrscheinlich geahnt, was jetzt kommt. Denn Frau Haßelmann hat damals, ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 5. März 2009 gesagt – ich zitiere –: Jörn Wunderlich, wir sollten uns einmal anschauen, welche Auswirkungen Ihre Vorschläge voraussichtlich auf die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Einstellungspraxis der Betriebe haben werden. Mit … den anderen bereits angesprochenen Maßnahmen geben Sie in Ihrem Antrag definitiv keine Antwort auf die anstehenden Herausforderungen bei der Zeitsouveränität von Frauen und Männern. … Ihre Vorschläge werden negative Auswirkungen auf die Einstellung von Frauen in der Praxis haben. Das kann man nicht wegdiskutieren. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist unser Antrag anders gestrickt!) Alle Fraktionen im Bundestag, auch die Grünen, haben damals gegen den Antrag der Linken gestimmt. Jetzt, sieben Jahre später, kommen Sie mit nahezu gleichen Forderungen, wollen allerdings die Elternzeit nicht nur bis zum 7. Lebensjahr, so wie wir damals, sondern sogar bis zum 14. Lebensjahr ausdehnen. Was ist denn da mit den negativen Auswirkungen, die man nach Ihrer Meinung nicht wegdiskutieren kann? Aber nicht aufregen: Dass ihr euch selbst konterkariert, zeigt, dass sich inzwischen ja einiges getan hat. So können Eltern mittlerweile zwischen Elterngeld und Elterngeld Plus entscheiden. Auszeiten können bis zu 24 Monate lang sein und bis zum 8. Geburtstag des Kindes genommen werden, wobei der Arbeitgeber nicht mehr zustimmen muss. Die Elternzeit muss nur innerhalb bestimmter Fristen beim Arbeitgeber angemeldet werden, und die Elternzeit kann in drei Zeitabschnitte pro Elternteil geteilt werden. So haben Eltern schon jetzt die Möglichkeit, ihr Kind auch zu einem späteren Zeitpunkt, etwa bei Eintritt in die Schule, intensiver zu begleiten. Sie wollen diesbezüglich offenbar mit Ihrem Antrag bestehende Regelungen umbenennen, auf die Zeit vom 8. Lebensjahr bis zum 14. Lebensjahr des Kindes ausdehnen und haben Ihre nicht wegzudiskutierenden Bedenken einfach beiseitegeschoben. Oder anders ausgedrückt: Sie haben es endlich auch begriffen, wenn auch als die Letzten hier im Saal. Die seit Jahren bestehenden diesbezüglichen Forderungen meiner Fraktion sind inzwischen nahezu vollständig umgesetzt. Links wirkt eben. Es dauert ein bisschen, aber es wirkt. (Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Na, na, na!) – Doch, das ist so. Sie hätten einfach einmal in die alten Protokolle schauen und den Webauftritt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema Elterngeld Plus beachten müssen, dann hätten auch Sie Zeit für mehr. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Gute Idee! – Heiterkeit der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Mit den anderen Punkten des Antrags werde ich mich in den abschließenden Beratungen nach der Sommerpause beschäftigen. Darauf freue ich mich auch schon. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bitte ein bisschen konkreter!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt spricht die Kollegin Ulrike Bahr für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Zunächst einmal herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die uns mit ihrem Antrag die Gelegenheit geben, das wichtige Thema Zeitpolitik in der Kernzeit zu debattieren. Das freut mich wirklich sehr. In meiner Fraktion setzen wir uns seit etwa einem Jahr in einer Projektgruppe „Neue Zeiten“ intensiv mit den im Antrag thematisierten Fragen auseinander, aber darüber hinaus noch mit weiteren Aspekten. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann gibt es einen Antrag?) Manuela Schwesig fordert schon seit ihrem Amtsantritt eine Familienarbeitszeit, die Eltern unterstützen soll, auch über die Babyzeit hinaus Erwerbsarbeit und Familienarbeit partnerschaftlich zu teilen: mit hochwertigen Betreuungsangeboten, einem Anspruch auf reduzierte Arbeitszeit und mit einer Kompensation der Einkommensverluste wie beim Elterngeld Plus. Denn wir wissen: Mütter wollen vielfach mehr, Väter weniger arbeiten. Dabei muss aber unter dem Strich das Familieneinkommen stimmen. Unser Ziel ist eine lebensphasenorientierte Arbeitszeit. Dazu gehört zum Beispiel auch ein Pflegebudget. Es könnte da einspringen, wo Pflegende heute Kredite aufnehmen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Zur Finanzierung von Zeiten für Weiterbildung und persönliche Weiterentwicklung diskutieren wir ein Chancenbudget. Dafür sind viele Finanzierungsmöglichkeiten denkbar: von Zuschüssen aus einer fortentwickelten Arbeitsversicherung über selbst angesparte Zeitwertkonten der Erwerbstätigen bis hin zu Darlehen. Ich meine aber: Zeitpolitik kann sich nicht auf Lohnersatzleistungen beschränken, die ja immer zeitlich begrenzt sein müssen. Darum haben wir in unserer Projektgruppe weitere Modelle diskutiert, um Erwerbsarbeit und Familie besser in Einklang zu bringen. Ein wichtiges Instrument dafür wäre eine Wahlarbeitszeit. Viele Tarifverträge bieten den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereits Korridore für die Arbeitszeit an. Dabei gilt es, einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Erwerbstätigen und den Belangen der Betriebe zu finden. Das gelingt am besten mit Regelungen auf betrieblicher Ebene, die von den Tarifpartnern ausgehandelt werden. Für Eltern oder Pflegende in nicht tarifgebundenen Unternehmen müssen gesetzliche Auffangregelungen geschaffen werden. Einen ersten Schritt in Richtung Wahlarbeitszeit planen wir noch in dieser Legislaturperiode. Mit einem Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit holen wir Mütter und Väter aus der Teilzeitfalle. Besonders bei Frauen sehen wir immer noch viel zu häufig: Auf eine Phase familiärer Sorgetätigkeit folgt dann eine Berufstätigkeit weit unterhalb des ehemaligen Qualifikations- und Gehaltsniveaus. Dieses Schema müssen wir durchbrechen. Es führt besonders Mütter immer noch direkt in die Altersarmut. Wahlarbeitszeit und befristete Teilzeit haben den großen Vorteil, nicht nur in den Lebenssituationen anwendbar zu sein, die der Antrag der Grünen nennt, nämlich Kinder, Pflege und Weiterbildung; denn einen sehr wichtigen Bereich, für den wir dringend Zeit neben der Erwerbstätigkeit brauchen, nennt der vorliegende Antrag nicht: das bürgerschaftliche Engagement. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir alle wünschen uns eine lebendige Bürgergesellschaft, Beteiligung, gelebte Demokratie und Arbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch dafür müssen Zeit und Freiraum zur Verfügung stehen. Das scheint mir in allen politischen Parteien noch zu wenig im Blick zu sein. Dabei haben wir gerade im letzten Jahr erlebt, dass ohne das Engagement der Bürgerinnen und Bürger in Krisenzeiten kein Staat zu machen ist. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Laut dem kürzlich vorgestellten Freiwilligensurvey ist fast die Hälfte aller Berufstätigen irgendwo engagiert. Sie haben für ihr Engagement aber immer weniger Zeit. Besonders schwierig ist es darum, Menschen für ehrenamtliche Leitungsfunktionen zu gewinnen. Das liegt nicht daran, dass sich niemand mehr verpflichten möchte. Immer noch engagieren sich die meisten Menschen sehr langfristig. Es liegt daran, dass gerade Berufstätige zu wenige planbare Freiräume haben. Ich bin mir sicher: Genauso wichtig wie eine Reduzierung der Stundenzahl sind darum Regeln für eine planbare und verlässliche Arbeitszeit. Arbeit passt dann gut ins Leben, wenn Flexibilität nicht immer nur zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht. Und manchmal muss man auch die Leute vor sich selbst schützen – mit verbindlichen Ruhezeiten und Regeln für die Erreichbarkeit außerhalb der regulären Arbeitszeit. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Hört! Hört!) Dieser Ausgleich gelingt übrigens in kleinen und mittleren Unternehmen oft besser, weil man sich besser kennt. Wer Familie hat, sich kümmert, sich fortbildet, sich engagiert, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft und für jedes Unternehmen. Darum müssen wir hier gemeinsam mit den Tarifpartnern weiter an umfassenden Konzepten für mehr Zeitsouveränität arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dr. Franziska Brantner ist die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eltern wollen Zeit mit ihren Kindern, und das auch nach dem ersten Lebensjahr. Man kann ja heute viele Aufgaben effektiver und schneller erledigen; aber eine Geschichte liest sich nicht schneller vor, und auch Trösten im Eiltempo gibt es einfach nicht. Wir wollen deswegen Eltern mehr Zeit geben. Wir wollen den Bezug des Elterngeldes auf zusammen 24 Monate ausweiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber Eltern wollen Arbeit und Fürsorge auch partnerschaftlicher gestalten – das sagen alle Umfragen. Väter wären gerne dabei, wenn das Kind die ersten Worte spricht. Viele Väter würden gern mehr Elternzeit in Anspruch nehmen als die mittlerweile üblichen zwei Monate. Aber die Frage quält: Was passiert denn dann im Job? Viele Mütter möchten auch gerne mehr arbeiten. Sie wollen vor allen Dingen gerne etwas von der Hausarbeit abgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Beim Elterngeld Plus finden es viele nicht fair, dass es egal ist, ob Frau oder Mann auf eine halbe Stelle reduziert oder zum Beispiel auf 70 Prozent – das Elterngeld bekommt man in beiden Fällen nur doppelt so lange. Das ist ein finanzieller Anreiz für eine kleine Teilzeit und entspricht nicht den Wünschen der Eltern. Unsere Kinderzeit Plus bietet Antworten darauf: Erstens – Herr Wunderlich, da liegt ein Unterschied – soll eine große Teilzeit nicht mehr bestraft werden, sondern es soll gelten: Wer halbtags arbeitet, bekommt doppelt so lange Elterngeld; wer um ein Fünftel reduziert, bekommt fünfmal so lang Elterngeld – natürlich auch nur den entsprechenden Betrag. Diese große Teilzeit ist das, was in Skandinavien beide Elternteile in der Mehrheit wählen. Das wünschen sich auch die Eltern in Deutschland. Dafür wollen wir die Rahmenbedingungen setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Jeder Elternteil, Mutter und Vater, erhält acht Monate Elternzeit; weitere acht Monate können sie sich frei untereinander aufteilen. Es können auch zwei Partnerinnen bzw. Partner sein. Wir haben ja bunte Familien. Es kann auch jemand sein, der einfach zur Familie dazugehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Herr Wunderlich, jetzt komme ich zu Ihrem Punkt. Für uns ist wichtig, zu sagen: Das erste Lebensjahr des Kindes steht allen für einen kompletten Ausstieg zur Verfügung, und danach ist eine halbe Stelle als Minimum die Voraussetzung für den Bezug von Elterngeld. Dadurch wird ermöglicht – und zwar allen –, das niedrigere Gehalt bei Teilzeitbeschäftigung auf hohem Niveau finanziell abzufedern. Heute ist es so, dass es sich nur manche leisten können; diejenigen, die geringe Einkommen haben, können es sich nicht leisten. Wir möchten gerne dafür sorgen, dass die Möglichkeit, dieses Modell zu leben, nicht mehr davon abhängig ist, ob man einen sehr gut bezahlten oder einen weniger gut bezahlten Job hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Ich komme zum Unterschied zum Modell der Familienarbeitszeit von Frau Schwesig. Ihr Modell schafft ein enges Korsett. Es sieht vor, dass beide zwischen 30 und 32 Stunden pro Woche arbeiten, und zwar beide gleichzeitig. Das kriegt man im öffentlichen Dienst hin, aber ansonsten, in der freien Wirtschaft, eigentlich nirgends. Das Institut, das in Ihrem Auftrag berechnet hat, wie viele Eltern das in Anspruch nehmen würden, hat gesagt: 1 Prozent der Eltern. Das heißt, Sie machen Politik für 1 Prozent der Eltern. Wir machen Politik für alle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Wer soll das bezahlen?) Das ist moderne Familienpolitik. Sie haben die Familienpflegezeit hier heute so häufig lobend erwähnt. Wissen Sie, wie viele pflegende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sie in Anspruch nehmen? Die Zahlen von heute zeigen: Es sind 3 Prozent derjenigen, die anspruchsberechtigt sind, 39 000 in ganz Deutschland. Wenn Sie das als Erfolg verkaufen und behaupten, das sei eine Leistung, die von den Berechtigten massiv in Anspruch genommen werde, dann würde ich echt gerne wissen, wo Ihre Messlatte für Misserfolg hängt. Bei 0,2 Prozent? Die 3 Prozent zeigen eindeutig: Ihre Politik ist fehlgeleitet, das ist nicht die richtige Leistung. Wir wollen mit der Pflegezeit Plus den Pflegenden mit drei Monaten Lohnersatzleistung endlich wirklich helfen; denn das haben sie verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pflege ist selten planbar, oft muss man auf Notfälle reagieren. Wir wollen, dass sich die Pflegenden, analog zum Kinderkrankengeld und im Gegensatz zum geltenden Pflegezeitgesetz, jährlich bis zu zehn Tage freistellen lassen können. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Brantner, gestatten Sie noch kurz eine Zwischenfrage des Kollegen Pols von der CDU/CSU? Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Eckhard Pols (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Kollegin Brantner, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. Mich als selbstständiger Handwerksmeister, der ich nebenbei auch noch bin, hier im Deutschen Bundestag würde interessieren, wer Ihre wunderbare Idee von der 32-Stunden-Woche bezahlen soll. Mit Blick auf den Stundenlohn, den meine Gesellen bekommen, die 39 oder 38,5 Stunden arbeiten – sie bekommen ihn zu recht, sind ihn auch wert –, frage ich mich: Bekommen sie für 32 Stunden den gleichen Stundenlohn, oder muss ich den Stundenlohn hochfahren, damit sie am Ende auf ihr Gehalt kommen? Eine Antwort auf diese Frage sind Sie bislang schuldig geblieben. Ich warte darauf. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke, Herr Kollege Pols. Frau Brantner, ich darf Sie bitten, kurz darauf zu antworten und Ihre Antwort gleichzeitig mit einem Schlusswort zu verbinden. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich gebe mein Bestes. – Herr Pols, die 32 Stunden stammen aus dem Modell der SPD; von daher müssen Sie die SPD fragen, wenn Sie eine Antwort wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckhard Pols [CDU/CSU]: Sie haben es erwähnt!) – Ich habe erwähnt, dass wir explizit ein anderes Modell haben wollen, in dem sich die Eltern selbst aussuchen können, wie viel sie arbeiten wollen. Wir wollen keine feste Stundenzahl vorschreiben. Alles andere – das sehe ich wie Sie – macht nicht viel Sinn. Uns geht es darum, einen flexiblen Zeitrahmen zu ermöglichen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Unternehmen dafür mehr zahlen. Bei der Gestaltung wäre es gut, wenn die Unternehmen länger Zeit bekämen, um sich darauf einzustellen. Wir haben mit vielen Unternehmern und Verbänden Rücksprachen gehalten, die alle betont haben: Den Betrieben hilft eine langfristige Planungssicherheit auf hohem Niveau, und zwar nicht nur bei Teilzeit in geringem Umfang. Von daher, glaube ich, dass wir eine sehr gute Lösung gefunden haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Aber nicht bei einem Fünf-Mann-Handwerksbetrieb!) Ich komme zum Schluss. Das ist unsere Antwort: Zeit für mehr. Ich freue mich auf gute Debatten im Ausschuss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag „Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt“ berührt den Kern vieler Fragen der Menschen in unserem Land. Sie fragen sich: Wie kann ich Familie und Beruf unter einen Hut bringen? Sie fragen sich, wie sie die notwendige finanzielle Basis für ihr alltägliches Leben schaffen können. Aber der vorliegende Antrag macht deutlich, dass auch wir eine Verantwortung haben. Wir müssen uns fragen: Wie kann der Staat helfen? Was muss der Staat innerhalb seiner Verantwortung leisten? Ausgangspunkt ist unser Menschenbild und unsere Konzeption der Familie. Familien sind der Kern sozialer Beziehungen in einer Gesellschaft. Sie verdienen Anerkennung und Unterstützung, und zwar nicht im Sinne von reinen Lippenbekenntnissen, sondern im Sinne eines echten politischen Eintretens für Familie und Zusammenhalt. Ausgangspunkt ist der Schutz der Familie gemäß unserem Grundgesetz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jede Familie muss und soll selbst entscheiden können, wie sie ihr Leben gestaltet. Der Staat hat Unterstützung anzubieten, er hat Familien zu helfen, aber staatliche Hilfe darf nicht zu einer sanften Lenkung führen. Familienpolitische Leistungen sind keine Vorgabe, sondern sie sind Angebote des Staates. Das ist unser Leitbild. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir über die Angebote des Staates sprechen, dann gilt es festzuhalten, dass die Angebote für Familien in unserem Land noch nie so gut waren wie heute. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Allein das Elterngeld beziehen im Schnitt über 800 000 Familien. Unser Staat gibt 7 Milliarden Euro allein für das Elterngeld aus. Aber selbst diese großartige familienpolitische Leistung ist nur ein Bruchteil dessen, was auf allen staatlichen Ebenen für die Belange von Familien mit Kindern, aber auch für die Belange von Familien mit zum Beispiel pflegebedürftigen Eltern ausgegeben wird. Wir sollten diese Erfolge nicht kleinreden, sondern stolz sein, dass es diesem Land gelingt, dies auf die Beine zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Grünen fragen sich – das wird in ihrem Antrag deutlich –, wie mehr Zeit für eine bessere Betreuung der Kinder, wie mehr Zeit für die Familie mit der Arbeit unter einen Hut zu bringen sind. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Die Menschen sollen so leben können, wie sie es sich wünschen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Ja, das ist richtig. Das ist gelebte Freiheit. Aber dann frage ich mich, warum Sie in den letzten Jahren das Betreuungsgeld so bekämpft haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es das Gegenteil von gelebter Freiheit war!) Das Betreuungsgeld ist gelebte Wahlfreiheit für Familien. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist verfassungswidrig!) Es bietet den Familien die Chance, ihr Kind in den ersten Lebensmonaten selbst zu betreuen, so wie sie es gerne hätten. Der Staat leistet eine Kompensation für diesen Erziehungs- und Betreuungsaufwand. Das ist gelebte Freiheit. Wenn Sie den Menschen sagen, dass sie so leben sollen, wie sie es sich wünschen, dann hätten Sie nicht diesen harten Kampf gegen das Betreuungsgeld führen sollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie schon einmal wegen 100 Euro zu Hause geblieben?) Meine Damen und Herren, wir werden auch über die Kosten für die Forderungen, die Sie hier gestellt haben, reden müssen. Sie fordern einen Ausbau des Elterngeldes zu einer Kinderzeit Plus, einen Ausbau des Pflegegeldes zu einer Pflegezeit Plus und zusätzlich auch noch eine Bildungszeit Plus, sagen aber nicht, wie das Ganze finanziert werden soll. Allein die Ausdehnung des Elterngeldes würde zu Kosten in Höhe von etwa 10 bis 12 Milliarden Euro führen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Das soll und muss der Staat finanzieren. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir in den Haushaltsberatungen darlegen!) Es ist unseriös, Forderungen in den Raum zu stellen, aber keine Silbe darüber zu verlieren, wie der Staat das finanzieren soll. So können Sie nicht Politik machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die „12 Milliarden“ sind unseriös!) Der Kollege Beermann und die Kollegin Hornhues haben es zu Recht angesprochen: Der Staat muss das, was er aus guten und vernünftigen Motiven heraus verteilt, auch erwirtschaften. Wenn wir über das Erwirtschaften reden, sind zwei Dinge von wesentlicher Bewandtnis: zum einen die Frage der Steuereingänge des Staates und zum anderen die Frage, was die Menschen in diesem Land verdienen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie diesbezüglich ein Stück weit die Realität in diesem Land beschrieben hätten. Realität ist, dass wir zum ersten Mal seit 1991 eine Arbeitslosenquote von unter 6 Prozent haben, dass in vielen Bereichen Deutschlands Vollbeschäftigung herrscht, dass wir Rekordsteuereinnahmen haben und dass in letzter Zeit nicht nur die Renten, sondern auch die Löhne gestiegen sind. Man macht die beste Familienpolitik, wenn man dafür sorgt, dass die Menschen ordentlich was in der Tasche haben. Das hat diese Bundesregierung erreicht. Das hätten Sie bitte einmal erwähnen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) An dieser Stelle, da wir darüber sprechen, dass das, was verteilt werden soll, auch erwirtschaftet werden muss, geht ein Dank an unsere Unternehmen. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass diese Flexibilität, die viele Familien zu Recht erfahren, in den Unternehmen gelebt wird und dass viele Unternehmen auch jenseits der gesetzlichen Verpflichtungen bereit sind, den Lebensentwürfen ihrer Mitarbeiter gerecht zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt doch, dass die Frage des Umgangs mit Zeit und den Bedürfnissen von Familien eine Kategorie darstellt, die wir nicht verordnen können, sondern die gelebt werden muss, die einem gesellschaftlichen Geist entspringen muss, einem Geist, einem Spirit, der letztlich sagt, dass Familien mit Kindern mit das Kostbarste sind, was wir in unserem Land haben, und dass Pflegeleistungen, die Menschen gegenüber ihren Eltern erbringen, etwas Wunderbares sind, was wir nicht in Euro und Cent messen können. Ich komme auf den Beginn meiner Rede zurück. Unser Menschenbild steht im Mittelpunkt unserer Politik. Es ist die freie Entscheidung der Familien, wie sie leben wollen. Dabei werden wir sie unterstützen. Da bitte ich Sie, an unserer Seite zu sein. Aber ich bitte Sie auch, nicht Anträge zu stellen, die diese Erfolge konterkarieren und es den Familien eher erschweren. In diesem Sinne werden wir Ihren Antrag ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die erste Lesung! Den brauchen Sie nicht abzulehnen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Sönke Rix, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Schade, dass das Betreuungsgeld nun doch noch einmal Thema dieser Debatte werden musste. Natürlich muss ich als letzter Redner, wenn Sie es schon angesprochen haben, auch noch einmal darauf eingehen. Ich dachte, wir wären an dieser Stelle weiter. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich unterstelle niemandem hier, dass er das Wahlrecht infrage stellt. Aber in dem Moment, wo jemand das Betreuungsgeld wieder aufs Tableau hebt, fange ich zu überlegen an; denn das hat mit Wahlrecht nichts zu tun. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Doch! Das unterstellen Sie immer! Das ist aber falsch!) Es ist nicht nur gleichstellungspolitisch und integrationspolitisch kontraproduktiv, sondern es wäre die einzige Leistung, die wir dafür zahlen würden, dass Menschen eine Infrastruktur des Staates nicht nutzen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist doch albern; wir zahlen doch auch nicht, wenn die Menschen nicht zum Sportverein oder nicht in die Bücherei gehen. Was wollen Sie also damit erreichen? Sie wollen lenken, und damit setzen Sie die Wahlfreiheit außer Kraft. (Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen Sie! Das wollen Sie mit Ihrer 32-Stunden-Woche!) Nun zu der Frage, ob der Grünenantrag ein guter oder ein weniger guter Antrag ist. Auf jeden Fall ist er eine wunderbare Grundlage nicht nur für diese Debatte, sondern auch für die weitere Diskussion. Wenn wir überlegen, wie wir die familienpolitischen Diskussionen in den vergangenen Jahren geführt haben, dann stellen wir fest, dass wir sie in erster Linie in Richtung Ausbau von Infrastruktur geführt haben, um Betreuung zu gewährleisten. Da haben wir gemeinsam auch viele Erfolge erzielt. Nun könnten wir sagen, wir seien die Ersten gewesen, die den Ausbau der Betreuungsplätze gefordert haben. Ich aber sage: Wir haben da gemeinsam viele Erfolge erzielt. Dass wir jetzt schon weiter sind und nach der Einführung von Elternzeit, Elterngeld, Elterngeld Plus dafür sorgen wollen, dass Familien mehr Zeit beanspruchen können, ist auch ein guter gemeinsamer Schritt. Da danke ich den Grünen ganz herzlich für die Ideen, die sie in diesem Antrag aufgeschrieben haben. (Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Den Applaus nehme ich noch gerne mit. – Allerdings sagen wir auch: Man muss das, was wir auch gemeinsam geleistet haben, nicht so abwerten. Das Elterngeld Plus, die Elternzeit sowie das Elterngeld sind Riesenerfolge, und das sollte man an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen. (Beifall bei der SPD) Es sind zeitpolitische Erfolge, es sind gleichstellungspolitische Erfolge. Wir bringen mit dem Elterngeld Plus auch mehr Männer in die Elternzeit; auch diesen Erfolg sollte man hier deutlich benennen. Wir danken dem Koalitionspartner, dass er das gemeinsam mit uns auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zur Familienpflegezeit. Natürlich wäre es viel schöner, wenn wir analog zum Elterngeldmodell so etwas auch für Familienpflegezeit auf den Weg gebracht hätten. Unsere Idee war es, auch da mit einer Lohnersatzleistung heranzugehen. Zu behaupten, dass ein Modell, das für 37 000 Menschen in Kraft tritt, nicht nützlich und kein positiver Schritt sei, finde ich falsch. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 39 000!) Es ist ein guter Schritt, und wir erreichen damit mehr Vereinbarkeit von Familie und Pflege. Von daher lohnt es sich, auch das positiv zu erwähnen. (Beifall bei der SPD) Wir haben einen Konflikt in der Fragestellung: Müssen die Unternehmen und die Tarifparteien die Regelungen zur Arbeitszeit selber vornehmen oder nicht? Den Konflikt haben wir übrigens bei der Quote gehabt, den Konflikt haben wir demnächst noch einmal deutlich bei der Lohngerechtigkeit, und den Konflikt haben wir auch hier. Wir sehen doch, dass es nicht funktioniert, wenn wir nicht auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine vernünftige Familienarbeitszeit schaffen. (Beifall bei der SPD) Deshalb, liebe Union, geben Sie sich einen Schubs, und schaffen Sie solche gesetzliche Regelungen mit uns in der Koalition. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einen Fakt aber will ich zum Schluss noch einmal benennen. Wenn man durch das Internet surft, findet man von der Deutschen Bahn – dieser Betrieb ist ja unser eigener, damit mache ich keine Schleichwerbung – ein Video dazu, was sich Kinder wünschen. Erst einmal werden die Eltern gefragt, was sich wohl die Kinder wünschen. Die Eltern erzählen sehr viel über materielle Dinge oder darüber, was die Kinder vielleicht später einmal werden wollen. Die Kinder sagen, dass sie mehr Zeit mit ihren Eltern haben wollen. Nicht nur wegen der Tatsache, dass die Eltern vielleicht aufgrund eines schlechten Gewissens – das will ich nicht unterstellen; ich bin selber Vater – mehr Zeit für Familie haben wollen, sondern auch, weil Kinder mehr Zeit mit ihren Eltern haben wollen, lohnt es sich, über eine andere Zeitpolitik, eine bessere Zeitpolitik zu diskutieren. (Beifall bei der SPD) Machen wir es also nicht so, dass in erster Linie die Arbeit im Vordergrund steht, sondern machen wir es so, dass in erster Linie die Familie im Vordergrund steht. Wenn wir dann auch noch die Kinder in den Mittelpunkt stellen, dann können wir eine vernünftige Familienarbeitszeit auf den Weg bringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/9007 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zu einer ganzen Reihe von Überweisungen und Abstimmungen. Da bitte ich einfach um Konzentration. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 g sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: 38.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Artikel 8 und 39 des Übereinkommens vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr Drucksache 18/8951 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (Elektromagnetische-Verträglichkeit-Gesetz – EMVG) Drucksache 18/8960 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/8961 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksache 18/9034 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten Drucksache 18/8888 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Haushaltsausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuerschlupflöcher schließen – Gewinnverlagerung durch Lizenzzahlungen einschränken Drucksache 18/9043 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neues Düngerecht endlich beschließen Drucksache 18/9044 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beteiligung des Bundestages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) Drucksache 18/9038 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abstimmung über CETA erfordert Beteiligung von Bundestag und Bundesrat Drucksache 18/9030 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen. Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 g sowie Zusatzpunkt 2 b. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/9030, Zusatzpunkt 2 b, soll nicht an den Auswärtigen Ausschuss, jedoch zusätzlich an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen jetzt zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Zusatzpunkt 2 a. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9038 mit dem Titel „Beteiligung des Bundestages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA)“ an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 t sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 j auf. Es handelt sich hierbei um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 39 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. November 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung Drucksache 18/8830 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/9068 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9068, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8830 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 39 b: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Drucksache 18/8858 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) Drucksache 18/9079 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9082 Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9079, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8858 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 39 c: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissenschaftlichen Sachverständigen im Rahmen der Evaluierung der Terrorismusbekämpfungsgesetze nach Artikel 5 des Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen Drucksache 18/9031 Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Überweisung an den Innenausschuss. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wir kommen daher jetzt zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/9031. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 39 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen jetzt angehen Drucksachen 18/8079, 18/8903 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8903, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8079 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 39 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Herbert Behrens, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Stephan Kühn (Dresden) und weiterer Abgeordneter Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/8273, 18/8932 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8932, den Antrag auf Drucksache 18/8273 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von CDU/CSU und SPD angenommen. Damit ist der 5. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode eingesetzt. Tagesordnungspunkt 39 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wilderei und illegalen Artenhandel stoppen Drucksachen 18/5046, 18/8942 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8942, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5046 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 39 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen Wildtierhandel bekämpfen Drucksachen 18/8707, 18/8940 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8940, den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8707 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 39 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (Verordnung zu abschaltbaren Lasten – AbLaV) Drucksachen 18/8561, 18/8660 Nr. 2.2, 18/9081 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9081, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/8561 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 39 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Übersicht 8 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/9072 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 39 j bis 39 t. Tagesordnungspunkt 39 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 333 zu Petitionen Drucksache 18/8891 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 333 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 39 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 334 zu Petitionen Drucksache 18/8892 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 334 ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 39 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 335 zu Petitionen Drucksache 18/8893 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 335 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 39 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 336 zu Petitionen Drucksache 18/8894 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 336 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 39 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 337 zu Petitionen Drucksache 18/8895 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 337 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 39 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 338 zu Petitionen Drucksache 18/8896 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 338 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 39 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 339 zu Petitionen Drucksache 18/8897 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 339 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 39 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 340 zu Petitionen Drucksache 18/8898 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 340 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 39 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 341 zu Petitionen Drucksache 18/8899 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 341 ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 39 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 342 zu Petitionen Drucksache 18/8900 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 342 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 39 t: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 343 zu Petitionen Drucksache 18/8901 Ich weise darauf hin, dass hierzu eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegt.7 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 343 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung des Kollegen Wunderlich angenommen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich habe es nicht geschafft, die Übersicht durchzusehen!) – Das kann schon mal passieren. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sollte nicht!) Ich rufe den Zusatzpunkt 3 a auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/8514 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/9067 Durch diesen Gesetzentwurf erfolgt eine Änderung der Vorschriften über die Ausweisung von Gebieten mit umweltsensiblem Dauergrünland und über die Genehmigung zur Umwandlung von Dauergrünland. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9067, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8514 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Zusatzpunkt 3 b: Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr Tierschutz ermöglichen Drucksache 18/9053 Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Zusatzpunkt 3 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendienförderung und Studienfinanzierung stärken Drucksachen 18/4692, 18/9037 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9037, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4692 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkte 3 d bis 3 j. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 3 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 344 zu Petitionen Drucksache 18/9060 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 344 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 345 zu Petitionen Drucksache 18/9061 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 345 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 346 zu Petitionen Drucksache 18/9062 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 346 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 3 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 347 zu Petitionen Drucksache 18/9063 Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelübersicht kommen, erteile ich der Kollegin Corinna Rüffer das Wort zu einer ergänzenden Berichterstattung. – Bitte schön, Frau Kollegin. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich habe jetzt die Freude, für den gesamten Petitionsausschuss sprechen zu dürfen – also nicht als Vertreterin einer Fraktion – und bei dieser Gelegenheit auch ein wenig zu erhellen, worum es eigentlich geht, wenn wir hier über Sammelübersichten abstimmen. Es geht um ganz viele Menschen. Es geht um Probleme sehr konkreter Natur, und es geht darum, dass wir gemeinsam versuchen, diese zu lösen. Am Mittwoch haben wir im Ausschuss eine bestimmte Petition übereinstimmend mit hohem Votum verabschiedet und damit der Bundesregierung signalisiert, dass wir uns von ihr erhoffen, dass sie sich des Problems annimmt. Im Namen des Petitionsausschusses darf ich Ihnen, wie gesagt, das Anliegen kurz vortragen. Es geht um die Durchsetzung verbesserter Qualitätsstandards in der Versorgung von Betroffenen mit Inkontinenzhilfsmitteln. Das hört sich erst einmal nach einem Randthema an. Das ist es aber nicht, sondern es betrifft 1,5 Millionen Menschen in diesem Land, die auf entsprechende Rezepte angewiesen sind. Nach geltender Rechtslage sollte es eigentlich so sein, dass diese Menschen ausreichend mit Hilfsmitteln in guter Qualität versorgt sind; aber es häufen sich seit Jahren die Beschwerden darüber, dass dem leider nicht so ist. Bei den Patientenorganisationen häufen sich die Hilferufe. Darum geht es auch in dieser Petition, und darum haben wir uns gekümmert. Es gibt viele andere, die ebenfalls davon profitieren könnten, wenn sich die Bundesregierung dieses Anliegens annimmt. Es geht natürlich vornehmlich um alte Menschen, aber es geht auch um ganz junge Menschen mit Behinderung. Lukas Schneider wäre nichts unangenehmer, als in der Schule aufzufallen. Der 17-Jährige aus Stuttgart ist seit seiner Geburt inkontinent. Mit Windeln hatte er zu leben gelernt, nicht aber mit den neuen Einlagen, die ihm seine Versicherung seit dem vergangenen Herbst anbietet. Diese knisterten so laut, dass jeder Mitschüler sie hätte hören können – oder waren so dünn, dass er einen ganzen Koffer davon für einen Schultag benötigt hätte. Seit November zahlen seine Eltern jeden Monat 120 Euro für dickere Einlagen dazu. „Uns blieb keine andere Wahl“, sagt seine Mutter. Allerdings muss man sich diese Wahl auch leisten können. Das ist ein Zitat aus einem Spiegel-Artikel. Es ist nur ein einzelner Fall; wir hätten noch mehr konkrete Anliegen dieser Art zitieren können. Wir hoffen, dass schnell eine Lösung gefunden wird, Kontrolle stattfindet und sich die Situation der Menschen ändert. Wäre dies der Fall, könnte man sagen: Der Petitionsausschuss hat wieder einmal weitergeholfen. – Dies tut er regelmäßig: Regelmäßig werden Gesetze geändert, weil Bürgerinnen und Bürger auf Probleme hinweisen, die wir vielleicht vorher so nicht gesehen haben. Ich hoffe sehr, dass uns das weiterhin erfolgreich gelingt. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nun kommen wir zur Abstimmung über die Sammelübersicht 347 auf Drucksache 18/9063. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 347 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 348 zu Petitionen Drucksache 18/9064 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 348 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 3 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 349 zu Petitionen Drucksache 18/9065 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 349 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Zusatzpunkt 3 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 350 zu Petitionen Drucksache 18/9066 Hierzu liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.8 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 350 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit. Jetzt können Sie wieder reden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen Drucksache 18/8556 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksachen 18/9036 (neu), 18/9080 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen Drucksachen 18/7236, 18/7243, 18/9036 (neu), 18/9080 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute ist ein guter Tag für viele Frauen im Land, weil der Deutsche Bundestag wahrscheinlich – das liegt in Ihrer Hand – mehrere Gesetze verabschieden wird – er hat es jedenfalls vor –, die vor allem die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen stärken und gerade Frauen, die in schwierigen Situationen sind, besser schützen. Das war schon bei der vorangegangenen Abstimmung über die Verschärfung des Sexualstrafrechts der Fall. Ich möchte an dieser Stelle meinen Respekt und meinen Dank den Abgeordneten, insbesondere den Frauen aus allen Fraktionen, bekunden, die dafür gesorgt haben, dass eine jahrzehntelange Debatte über die bessere Anerkennung der Rechte von Frauen einen guten Abschluss gefunden hat. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz und dem Gesetz zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution, über deren Entwürfe wir heute abschließend beraten, wollen wir Frauen besser schützen, die in der Prostitution arbeiten und nicht Selbstbestimmung, sondern sehr oft Ausbeutung, Zwang und Gewalt erleben. Zu diesem Thema gibt es unterschiedliche Positionen. Gerade in der Frauenbewegung gibt es unterschiedliche Positionen zu der Frage, wie man mit Prostitution umgehen soll. Prostitution gibt es. Dabei geht es nicht allein um Frauen. Auch Männer sind in der Prostitution tätig und erleben schwierige Bedingungen. Aber überwiegend sind Frauen betroffen. Deswegen betrachten wir es oft als Frauenthema. Aber es ist, wie gesagt, auch ein Männerthema. Die Frauen und Männer im Prostitutionsgewerbe erleben die unterschiedlichsten Situationen. Es gibt Frauen, die das selbstbestimmt machen – ich selber habe mit ihnen gesprochen – und sagen: Sexarbeit ist eine Arbeit, die ich mir selber ausgesucht habe; die möchte ich machen. Dafür möchte ich nicht am Pranger stehen und schon gar nicht gegängelt werden. – Aber es gibt auch Frauen, die sich das nicht ausgesucht haben, die dazu gedrängt wurden, die sich in finanziellen Abhängigkeiten befinden, vor allem in Abhängigkeiten von Männern, die sie dazu zwingen. Nicht in jedem Fall kann man Zwangsprostitution sofort nachweisen. Es gibt ganz unterschiedliche Antworten auf diese Lebenslagen. Es gibt, kann man sagen, einen regelrechten Streit insbesondere in der Frauenbewegung. Die einen sagen: Alles verbieten! Die anderen sagen: Alles möglichst so liberal halten, wie es gerade ist! Ich glaube, dass beide Extrempositionen nicht richtig sind. Wir müssen respektieren, wenn Frauen sagen, dass sie diese Arbeit machen möchten. Dann sollten diese Frauen nicht in eine Schmuddelecke gestellt, sondern geachtet werden. Aber wir müssen auch der Tatsache ins Auge sehen, dass eine Vielzahl von Frauen und Männern in der Prostitution nicht ihre Selbstbestimmung finden, sondern Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt erleben. Wir müssen uns fragen, wenn wir ein Gesetz machen: Müssen wir mit einem Gesetz diejenigen stärken, die gut klarkommen, oder müssen wir mit einem Gesetz vor allem diejenigen schützen, die massenhaft ausgebeutet werden? Ich nehme ganz klar die Haltung ein: Ich möchte diejenigen schützen, die dort leiden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es die verantwortlichen Bundesregierungen zuvor versäumt haben, zeitgleich mit der Legalisierung in den letzten zehn Jahren Regeln aufzustellen. Warum das nicht geschehen ist, müssen sich alle fragen. Deswegen rate ich dazu, nicht mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern zu versuchen, gemeinsam zu guten Lösungen zu kommen. Das haben wir jetzt gemacht. Zwei Jahre lang wurde das Thema intensiv diskutiert. Ich freue mich – das habe ich der Beratung entnommen –, dass wir uns im Großen und Ganzen jedenfalls darüber einig sind, dass es für die Prostitutionsstätten, also für die Bordelle, klare Regeln geben muss. Denn, Frau Pantel, es ist schwerer, eine Pommesbude anzumelden – dafür gibt es Auflagen –, als ein Bordell. Es gibt keine Auflagen für den Betrieb von Bordellen. Dort können die Zuhälter mit den Frauen machen, was sie wollen. Neben der Zwangsprostitution gibt es einen großen Graubereich, und den müssen wir besser in den Griff bekommen. Deshalb ist es richtig, dass in Zukunft klare Auflagen erteilt werden, wer ein Bordell errichten kann und welche Maßnahmen zum Schutz der Frauen ergriffen werden müssen. Wer sich nicht daran hält, dem wird das Gewerbe entzogen. Das ist der richtige Weg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nun weiß ich, dass die Anmeldepflicht für alle Frauen umstritten ist. Einige sagen: Warum sollen denn die Frauen, die gut klarkommen, sich anmelden müssen und gesundheitlich beraten lassen? Noch einmal: Wir haben die Frauen im Blick, die niemals irgendwo sichtbar sind, die niemals in einer Talkshow auftreten und für sich sprechen können, die das auch nicht in Diskussionsveranstaltungen können. Wir haben die Frauen im Blick, die, wie mir eine junge Osteuropäerin geschildert hat, niemand zu Gesicht bekommen, weil der Zuhälter alles für sie tut, im negativen Sinne. Wir wollen auf diese Frauen aufmerksam werden. Wer sagt, dass Prostitution wie andere Berufe auch geachtet werden muss, dem sage ich: Dann können auch die Regeln wie für andere Berufe gelten, nämlich dass man sein Gewerbe anmeldet, dass man sich bei der Krankenversicherung anmeldet und auch Steuern zahlt. Die geringe Zahl der in Deutschland angemeldeten Prostituierten zeigt, dass da etwas schiefläuft. Deshalb ist es richtig, dass wir solche Pflichten jetzt einführen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Diese Pflichten dienen nicht der Gängelung, sondern dem Schutz der Frauen. Es soll nicht mehr so sein, dass der Zuhälter alles klärt, sondern die Frau soll das Recht haben, sich gesundheitlich beraten zu lassen. Darauf kommt es an. Mit der Anmeldepflicht setzen wir dieses Recht durch. Dann reicht es nämlich nicht, dass sich der Zuhälter um alles kümmert, sondern dann ist die Frau endlich sichtbar. Dann hat sie eine Vertrauensperson, die Ärztin oder den Arzt, und kann über ihre Situation sprechen. Das dient dem Schutz. Ich finde es richtig, dass wir das auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, in der parlamentarischen Beratung wurden Vorschläge zum Schutz der werdenden Mutter und des ungeborenen Lebens gemacht. Natürlich gibt es auch schwangere Frauen in der Prostitution. Ich begrüße Ihre Anregungen ausdrücklich und finde gut, dass diese jetzt in das Gesetz aufgenommen werden. Ich hoffe sehr, dass dieses Gesetz dazu beiträgt – wenn es umgesetzt wird und in der Praxis ankommt –, dass wir wirklich die Frauen und auch die Männer in der Prostitution, die unseren Schutz brauchen, besser schützen. Damit haben wir klare Arbeitsregeln, wie wir sie auch in allen anderen Berufen einfordern. Das dient auch dazu, der Zwangsprostitution besser vorzubeugen. Ich begrüße sehr, dass heute wahrscheinlich der Gesetzentwurf des Justizministers zu diesem Thema verabschiedet wird und damit ein klares Signal an die Freier geht: Ihr könnt nicht einfach die Augen zumachen, egal was mit der Frau ist. Wenn ein Freier sieht, dass eine Frau in einer Zwangslage ist, dann hat er eine besondere Pflicht. Das wurde übrigens auch in der Debatte zum Tagesordnungspunkt über die sexuelle Selbstbestimmung diskutiert: Wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung der Frau geht, dann geht das nicht nur die Frau etwas an, sondern auch die Männer haben Verantwortung – im positiven Sinne. Auch dafür sorgen wir mit den Gesetzen, die an diesem Tag verabschiedet werden sollen. Ich sage herzlichen Dank für die guten Beratungen. Ich freue mich, dass nach jahrelangem Stillstand beim Schutz von Prostituierten jetzt nach kontroversen Debatten ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht wird. Ich bedanke mich für die Unterstützung und setze darauf, dass wir damit Frauen und auch Männer in unserem Land besser schützen vor Ausbeutung, Gewalt und Zwang. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Cornelia Möhring, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Schwesig, wir führen hier, ehrlich gestanden, keine Debatte darüber, ob wir Prostitution gut oder schlecht finden, sondern es geht um einen Gesetzentwurf, der dieses Arbeitsfeld regeln soll. Deswegen ist es ein Problem, wenn man anfängt, darüber zu reden, ob man dieses Arbeitsfeld für richtig oder für falsch hält. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie werden heute ein Gesetz verabschieden, das seine Ziele komplett verfehlt. Es wird Prostituierten keinen Schutz bieten. Es wird Menschenhandel nicht wirksam bekämpfen, und es wird in keinster Weise die Selbstbestimmungsrechte von Prostituierten stärken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich verstehe eigentlich auch nicht wirklich, warum Sie im Zuge der Debatten, die wir hier seit zweieinhalb Jahren führen, insgesamt nichts Wesentliches dazu beigetragen haben, um genau diese Ziele zu erreichen. Sie wollen vor allem Maßnahmen einführen, die genau diese Ziele nicht erreichen. Ich habe jetzt leider zu wenig Zeit, um alle Kritikpunkte zu wiederholen. Aber ich will versuchen, einmal in Kürze am Beispiel der Beratungs- und Registrierungspflicht deutlich zu machen, was ich meine. Sie erreichen gerade diejenigen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, auch mit der Registrierungspflicht nicht, weil bei denen die Angst vor einem Zwangsouting viel zu groß ist. Wenn man einerseits weiß, wie groß die Stigmatisierung ist, dann kann man sich doch hier nicht hinstellen und sagen: Na ja, Prostitution soll behandelt werden wie jeder andere Beruf. – Das finde ich, ehrlich gestanden, ziemlich mies in der Argumentation. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gehen wir einmal ganz sachlich-fachlich an die Frage der Beratung heran. Sie wissen doch, dass ein einmaliger kurzer Kontakt zu einer Behörde weder ausreichen wird, um Menschenhandelsopfer zu erkennen, (Zuruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) noch, um so viel Vertrauen aufzubauen, dass sich Betroffene offenbaren. Das bestätigen uns alle Beratungsstellen und alle kenntnisreichen Verbände. Ich finde es wirklich ärgerlich, dass Sie nicht bereit sind, weiterzudenken, und dass Sie sich nach der Anhörung nicht die Zeit genommen haben, um das mit uns wirklich kompetent weiterzudiskutieren und andere Wege zu finden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie wirklich eine qualifizierte Beratung anbieten wollen, dann müssen doch die jetzt schon überarbeiteten Behördenmitarbeiter auch fortgebildet werden. Es kann doch nicht darum gehen, dass eine Checkliste abgehakt wird, nach dem Motto: Personalausweis und Foto liegen vor – abgehakt; Gesundheitsberatung hat stattgefunden – abgehakt; Aliasausweis ist ausgestellt – abgehakt; Zettel mit Rechten wurde verteilt – abgehakt. Das macht nun wirklich keine qualifizierte Beratung aus. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wurde im Übrigen auch in der Anhörung sehr deutlich gesagt, und zwar von einer Kollegin vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Sie hat das sehr deutlich beschrieben – Zitat –: Die Behördenangestellten müssten das Milieu sehr genau kennen, interkulturell geschult sein und insbesondere auch für Traumatisierungen sensibilisiert sein; sonst handele es sich um eine bürokratische Checkliste und kein bisschen mehr. – Genau das führen Sie jetzt ein, und das finde ich unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig sehen Sie nicht einmal Mittel für die Qualifizierungsmaßnahmen vor. Sie schlüsseln in Ihrem Gesetzentwurf den Finanzbedarf überhaupt nicht differenziert auf, sondern Sie sagen schlicht und ergreifend: 11,3 Millionen Euro Umstellungsaufwand und 13,4 Millionen Euro sogenannter jährlicher Erfüllungsaufwand. Das wird schön auf die Länder und Kommunen umgerubelt. Der Bund übernimmt generös ganze 33 000 Euro. Da besteht zusätzlich die Gefahr, dass die Verwaltungsgebühren von den Kommunen auf die Prostituierten abgewälzt werden, die sowieso wenig Geld haben. Bereiche, die für eine qualifizierte Beratung wichtig sind, haben Sie sogar ausgeklammert: Es sind keine Mittel vorgesehen für Sprachmittler oder für Dolmetscher. Für die Gesundheitsberatung veranschlagen Sie gerade einmal 4,4 Millionen Euro. Uns liegen Beispielberechnungen vor, wonach für die Umsetzung der Beratungspflicht selbst bei vorsichtiger Schätzung fast 25 Millionen Euro anzusetzen sind. Zwischen 25 Millionen Euro und 4,4 Millionen Euro besteht ein deutlicher Unterschied. Das müssten auch Sie erkennen können. Einmal ganz ehrlich: Auch der Teil, der die Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten und die Arbeitsbedingungen regelt – wir haben das hier schon eindeutig diskutiert –, ist doch nicht zu Ende gedacht. Sie legen für kleine Wohnungsbordelle die gleichen Maßstäbe wie für Großbordelle an. Aber das ist völlig undifferenziert. Im Ergebnis werden Sie damit gerade die Großbordelle stärken, und die kleinen Wohnungsbordelle gehen kaputt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gegen die Ausbeutung in der Prostitution werden Sie so nichts bewirken. Der beste Schutz besteht in der Bekämpfung der Armut, in mehr sozialer Sicherheit, in einer Stärkung der Selbstbestimmungsrechte. Aber wir können es wirklich drehen und wenden, wie wir wollen: Ihr Gesetz hält nicht, was es verspricht. Sie haben offensichtlich keinerlei Folgenabschätzung vorgenommen. Sie richten womöglich großen Schaden an. Sie fördern die Stigmatisierung. Auch wenn Ihre Ohren schon lange auf Durchzug stehen, sage ich Ihnen: Lassen Sie es! Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ – dieses Bild der drei Affen kennen Sie alle sicher, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Bundesregierung!) und nach diesem Prinzip ist man über Jahre – leider – mit den Zuständen in der Prostitution umgegangen. Wir sehen sie nicht in unserem Alltag: die vielen jungen Frauen aus Osteuropa, die hierherkommen, entweder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder als Opfer von Menschenhändlern oder auch deshalb, weil sie geschickt werden, um ihre Familie im Heimatland zu ernähren. Sie verkaufen hier ihren Körper an Männer, die sie nicht kennen. Sie sind das Opfer von Zuhältern, denen sie nicht nur ihren Pass und ihr Geld geben; sie geben dort auch ihre sexuelle Selbstbestimmung, ihre Würde, ihre Menschenwürde ab. Wir erfahren immer nur am Rande davon, dass die Zustände immer schlimmer werden, dass diese Frauen immer jünger, immer unerfahrener sind, die hierherkommen, ohne Sprachkenntnisse, und dass gleichzeitig das, was von ihnen verlangt wird, immer extremer wird: Geschlechtsverkehr ohne Kondom, Gangbang, Sexualpraktiken mit Fäkalien, Sex in der Schwangerschaft bis kurz vor der Entbindung, Gewalt. Die Zustände im Milieu sind furchtbar, und das Schlimmste daran ist, dass sich viele hier eine goldene Nase verdienen – mit diesen Frauen, die das Ganze ganz und gar nicht freiwillig machen. All diesen Zuständen gegenüber gab es in unserem Land jahrelang eine unglaubliche Ignoranz: von der Gesellschaft, von Medien und auch von der Politik. Das Prostitutionsgesetz von 2001 hat all das möglich gemacht. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie in Ihrer Regierungszeit gemacht? Sie haben nichts gemacht!) Die EU-Osterweiterung hat für das nötige „Angebot“ an Frauen gesorgt und die viel strengeren Gesetze in unseren Nachbarländern für die nötige Nachfrage von Freiern. Erst seit einigen Jahren wird hingeschaut und mit Vehemenz darauf hingewiesen, dass da einiges schiefläuft in unserem Land. Deshalb will ich an dieser Stelle gern allen danken, die sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt haben, dass wir endlich hinschauen: Hilfsorganisationen, Polizei, engagierte Polizisten, engagierte Ordnungsbehörden, Länder, Kommunen, Journalisten. Sie haben aufgeschrien und gesagt: Das kann nicht so weitergehen. Wir sind das Bordell Europas. Das darf nicht sein. Wir müssen endlich etwas dagegen tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir etwas dagegen. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz geben wir Ländern, Kommunen, Ordnungsbehörden und auch der Justiz endlich die Instrumente an die Hand, die sie brauchen, um etwas dagegen zu tun. Die zentralen Instrumente sind zum Ersten die Anmeldepflicht für die Prostituierten und zum Zweiten die Erlaubnispflicht für die Bordellbetreiber. Mit der Anmeldepflicht erreichen wir etwas ganz Wichtiges. Frau Möhring, es ist total schade und irgendwie auch schlimm, dass Sie immer noch nicht den Sinn dahinter verstanden haben. Wir sorgen mit der Anmeldepflicht dafür, dass die einzelne Frau nicht weiter in der anonymen Masse untergeht. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was glauben Sie denn, wie das funktioniert? Wie naiv!) In der Anhörung wurde das so formuliert: Ohne Anmeldung gibt es diese Frauen gar nicht; man vermisst sie nicht; sie sind die perfekte Beute der Menschenhändler. (Maik Beermann [CDU/CSU]: So ist es!) Das darf nicht sein. Deshalb sehen wir die Anmeldung vor, die diesen Frauen erstmals Kontakt außerhalb des Milieus ermöglicht. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann?) Es besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, dass sie aufgeklärt werden: über ihre Rechte, über Beratungsangebote, die es in unserem Land gibt, auch über unser Gesundheitssystem, über ihre eigene Gesundheit, über Präventions- und Schutzmöglichkeiten. Diese Beratung stärkt doch die Frauen. Das gibt ihnen die Chance auf Information. Das gibt ihnen die Chance auf Hilfe und die Chance auf Kontakt außerhalb des Milieus. Das ist eine Riesenchance für diese Frauen, und für die Zuhälter und für die Menschenhändler ist es das klare Signal: Der Staat schaut hin. Uns ist es nicht egal, ob massenweise junge Frauen, die sich hier aufhalten, ohne ihre Rechte zu kennen, ausgebeutet werden. Der Staat schaut hin. – Mit der Anmeldepflicht haben wir zum ersten Mal die Möglichkeit, zu jeder einzelnen dieser Frauen Kontakt aufzunehmen, sie ins Hellfeld zu holen und ihnen diese Beratung tatsächlich zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, dass Sie sagen: „Auf diesen Schutz können wir verzichten“, weil es eine Handvoll Sexarbeiterinnen in unserem Land gibt, denen das alles zu viel ist, denen es zu viel ist, aufs Amt zu gehen und sich anzumelden. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben überhaupt keine Zahlen! Wovon reden Sie?) Diejenige, die aus freien Stücken der Prostitution nachgeht, kann das weiterhin tun. Sie muss sich eben nur anmelden. Sie kann auch mit einem Aliasnamen agieren; sie muss ihre Identität noch nicht einmal gegenüber Polizisten und Kontrollbehörden offenbaren. Wir haben auf den Datenschutz geachtet. Die vielen Chancen, die sich für die Zwangsprostituierten daraus ergeben, gehen mit ihrem Schutz einher. Deshalb ist das genau das richtige Instrument. Das zweite Instrument – neben der Anmeldung – ist die Erlaubnispflicht. Dass jede Pommesbude besser kontrolliert wird als ein Bordell, ist mittlerweile ein geflügeltes Wort. Es beschreibt aber ganz gut, wie die Situation heute ist. Wir werden jetzt Standards schaffen: Mindestanforderungen, was die Hygiene angeht, und Schutzstandards in Bordellen. Wir lassen es nicht mehr zu, dass jeder, der einschlägig vorbestraft ist, ein Bordell eröffnen und sich mit den Körpern von Frauen eine goldene Nase verdienen kann. Es wird in Zukunft eine Zuverlässigkeitsprüfung für Bordellbetreiber geben und die Möglichkeit der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten mit harten Strafen. Wenn die Vorschriften nicht eingehalten werden, kann der eine oder andere Laden auch dichtgemacht werden. Wer sich nicht an die Regularien hält, wer Frauen in seinen Etablissements ausbeutet, muss die Konsequenzen tragen: harte Strafen und Entzug der Erlaubnis. Nur das funktioniert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit den Regelungen, die wir heute verabschieden, bieten wir den vielen Zwangsprostituierten einen besseren Schutz und geben Ländern, Kommunen und Ordnungsbehörden die Instrumente, die sie brauchen, um tatsächlich genau hinschauen zu können, damit es nicht nach dem Prinzip der drei Affen geht: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Ab heute können wir vor Ort handeln – zum Schutz von vielen Frauen in unserem Land. Ich danke Ihnen ganz herzlich und hoffe, dass wir das Gesetz heute in großer Übereinstimmung beschließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prostitution ist eine komplexe und vielfältige Branche. Es gibt Laufhäuser, kleine Bars, Kinos, Wohnungsbordelle. Es gibt Hausfrauen, die an zwei Vormittagen in der Woche als Prostituierte arbeiten. Es gibt Männer im Escortservice. Es gibt Prostituierte, die vor allem auf dem Straßenstrich arbeiten, sowie Frauen, die mit Kolleginnen in einer Wohnung sexuelle Dienste anbieten und so ihr Einkommen sichern. Und es gibt im Bereich der Prostitution Kriminalität und Ausbeutung. Wer diese bekämpfen will, muss differenzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wer das nicht macht – und das machen Sie von der Union tatsächlich nicht –, der bedient konstant nur das Klischee der Prostituierten. Sie vermischen dies wieder und wieder mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Das kann nicht zielführend sein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Sie zeichnen permanent Bilder der Gegensätze von der selbstbestimmten Edelprostituierten zur Zwangsprostituierten. Und wenn Sie über Prostituierte aus Osteuropa reden, unterstellen Sie auch gern einmal einer Mehrheit der Frauen, sie seien minderbemittelt, Analphabetinnen, schwanger, drogen- oder alkoholabhängig oder alles gleichzeitig. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie für sich die Rolle einnehmen wollen, Prostituierte zu retten. Aber was machen Sie? Sie sprechen ihnen die Entscheidung über ihren eigenen Körper und ihre Berufsentscheidung, über das, was sie tun, um ihr Geld zu verdienen, ab. Das ist weder differenziert noch eine praxistaugliche Lösung für einen besseren Schutz in einem schwierigen und sehr gefahrvollen Arbeitsbereich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so vielfältig die Branche ist, so vielfältig müssen auch die Maßnahmen sein. Runde Tische wie in NRW haben sich als erfolgreich erwiesen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ha, ha!) Sie bringen alle Akteurinnen und Akteure zusammen, sie schließen niemanden aus, und sie suchen gemeinsam nach konkreten Lösungen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Eine Genehmigungspflicht für das Prostitutionsgewerbe ist sinnvoll, weil hierdurch der Schutz von Prostituierten gewährleistet werden kann. Allerdings muss sichergestellt sein, dass auch kleine Bordelle die Auflagen erfüllen können, die eine solche Genehmigungspflicht mit sich bringt. Der Bund sollte zudem die Länder dabei unterstützen, die freiwillige Beratung auszubauen; denn hier können Menschen erreicht werden, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) hier können sie Vertrauen fassen und Unterstützung auch bei Fragen nach Alternativen zur Tätigkeit in der Prostitution finden. Das sind Maßnahmen, die funktionieren und sinnvoll sind, weil sie Menschen nicht bevormunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vorliegenden Gesetzentwurf werden diese Maßnahmen nicht aufgegriffen. Schlimmer noch: Er ist moralisierend, er setzt auf das Instrument der Kontrolle. In unserem Entschließungsantrag zum vorliegenden Gesetzentwurf haben wir unsere Kritik daran sehr deutlich gemacht. Hauptkritikpunkte sind und bleiben die Anmeldepflicht und die jährliche gesundheitliche Pflichtberatung. Sie sind kontraproduktiv. Das sind die Fakten. (Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Hallo? Warum?) Sehr deutlich formulierten das die von der SPD eingeladenen Expertinnen in der Anhörung. Was machen Sie von Union und SPD eigentlich mit den Ergebnissen der Anhörung? (Maik Beermann [CDU/CSU]: Die haben Sie wohl auch nicht!) Nachdem die Sachverständigen mehrheitlich die von uns angebrachte Kritik an der Anmelde- und Beratungspflicht unterstützt haben, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch! Wie denn? – Maik Beermann [CDU/CSU]: Waren Sie nicht da?) gehen Sie hin und lassen die Argumente der Sachverständigen unter den Tisch fallen. Werten Sie doch einmal die Ergebnisse der Sachverständigenanhörung aus! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wozu machen Sie ein parlamentarisches Verfahren mit einer Anhörung, wenn Sie am Ende nichts mit den Ergebnissen machen? (Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Haben wir! Jetzt geht es aber los!) Sehr bemerkenswert finde ich auch, dass Sie die Kritik des Bundesrates nicht beachten. Vonseiten des Bundesrates wurden ein immenser bürokratischer Aufwand und die daraus resultierenden Kosten kritisiert. Wie gehen Sie darauf ein? Sie lassen die Länder und die Kommunen mit den Kosten allein. Es ist doch jetzt schon absehbar, dass es in den Kommunen knirschen wird, wenn sie die Auflagen der Pflichtberatung erfüllen müssen. Die Kommunen müssen dann tief in die Tasche greifen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Geht es um den Schutz oder um die Kosten?) Aber genau an dieser Stelle interessiert Sie die Lage der Kommunen interessanterweise gar nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Uns interessieren die Fragen!) Man kann überhaupt nicht erkennen, dass Sie hier für einen reibungslosen Ablauf irgendetwas in Bewegung setzen wollen. Das scheint Ihnen egal zu sein. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung, wie es bei uns zugeht!) Mal ganz ehrlich: Dieses Gesetz ist ein einziger Kompromiss. Frau Schwesig, Sie halten den Frieden in der Koalition höher als den Schutz der in der Prostitution tätigen Menschen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Ja! Klar! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jetzt tun Sie ihr aber unrecht!) Dieses Gesetz bringt de facto mehr Schutzlosigkeit. Es trägt dazu bei, das Stigma von Prostituierten zu verstärken, anstatt es abzubauen. Wir haben jetzt wohl hinreichend erklärt, warum. Prostituierte werden sich nicht anmelden. Sie werden in Zukunft illegal arbeiten. (Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um die Opfer!) Im Falle von Illegalität, Bedrohung und Gewalt werden sie sich dann nicht einmal mehr bei einer Behörde melden können. So wird ihnen jeder Schutz verwehrt bleiben. Das wäre wirklich fatal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Dieses Gesetz ist frauenpolitisch ein Desaster, gesundheitspolitisch Unsinn, (Michael Brand [CDU/CSU]: Kein Wort über die Opfer!) steuerrechtlich ein schwarzes Loch und bürgerrechtlich hochbedenklich. Darum stimmen wir Grüne gegen dieses Gesetz. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Jeder macht mal Fehler!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Marcus Weinberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Frau Schauws, genau das Gegenteil ist der Fall: Dieses Gesetz ist die Antwort auf die Situation in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn ich das ergänzen darf: Heute ist ein besonderer Tag wegen der Gesetze, die wir verabschiedet haben, jetzt verabschieden und noch verabschieden werden. Es ist ein guter Tag für die Frauenpolitik in Deutschland. Ich glaube, die Große Koalition kann sagen: Wir haben hier gute Gesetze auf den Weg gebracht. Dafür wurde es höchste Zeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit diesem Prostituiertenschutzgesetz stehen wir nicht am Ende der Debatte und nicht am Ende des Kampfes gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung, sondern am Anfang. Dieses Prostituiertenschutzgesetz ist eine klare Kampfansage an Zuhälter, Ausbeuter und Frauenhändler. Das Prostitutionsgesetz bedeutete die Legalisierung der Prostitution; das ist richtig. Aber es muss die Frage gestellt werden: Wer hat davon profitiert? In erster Linie haben die Vermieter von Laufhäusern, die Bordellbetreiber und die Zuhälter profitiert. Diejenigen, die nicht profitiert haben, waren die Prostituierten. Es sind mehr geworden. Sie sind in Elendssituationen, in Armutsprostitution. Sie sind diejenigen, die dringend unsere Hilfe als Staat und dieses Prostituiertenschutzgesetz brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Möhring, ich will auch noch etwas zur Stigmatisierung sagen, weil das wieder einmal Ihr Hauptthema war. Die meisten Frauen können gar nicht stigmatisiert werden, (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) weil sie am öffentlichen Leben mittlerweile gar nicht mehr teilnehmen, weil sie nach Deutschland gekarrt werden, weil sie sich 24 Stunden in einem Zimmer aufhalten und bereitstehen müssen, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen, weil sie einen Lieferservice in Anspruch nehmen müssen und weil sie in Städte kommen, von denen sie gar nicht wissen, dass es sie überhaupt gibt. Insofern gibt es diese Stigmatisierung in der Form überhaupt nicht. Angesprochen wurden in diesem Zusammenhang bereits die datenschutzrechtlichen Aspekte bei der Anmeldung. Wir haben darauf geachtet, dass es dort nicht zur Stigmatisierung kommt. Stigmatisierung erleben wir in anderen Bereichen, und darum geht es uns. Mit der Situation der betroffenen Frauen muss Schluss sein. Einige Sätze zur Diskussionskultur: Es ist ja heutzutage Mode, dass man diese Konsensdemokratie oder Verhandlungsdemokratie in der Gesellschaft kritisiert und sagt: Wir brauchen wieder klare Ansagen und klare Linien. – Angesprochen wurden die unterschiedlichen Bewertungen der Prostitution. Dass Sozialdemokraten, Christsoziale und Christdemokraten gemeinsam ein Gesetz hinbekommen, war politisch wirklich ein hochambitioniertes Vorhaben. Die Alternative zu diesem Konsens, zu diesem gemeinsamen guten Kompromiss, wäre möglicherweise gewesen, dass wir gar kein Gesetz bekommen. (Zuruf von der LINKEN: Das wäre besser gewesen!) Dann – das kann ich nur sagen – hätten Sie die Elendssituation der Prostituierten in den nächsten Jahren weiterhin erleben müssen. Deswegen war es gut, dass wir uns auf dieses Prostitutionsschutzgesetz geeinigt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten unserem Antrag zustimmen können!) Es ist nicht so – das haben Sie uns vorgeworfen –, dass wir immer sofort das Thema „Zwangsprostitution und Menschenhandel“ im Kopf haben. Nein, die Prostitution läuft heute anders ab. Das ist nicht erfunden; das ist die Realität. Schauen Sie nach Bayern! Dort gibt es Laufhäuser im Gewerbegebiet, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? In Bayern?) In denen die Frauen 100 Euro Miete am Tag zahlen, das heißt 3 000 Euro im Monat. Bei 30 Zimmern sind das für den Vermieter 90 000 Euro im Monat. Aber für diese 100 Euro, die die Prostituierte jeden Tag zahlen muss, braucht sie mindestens zwei oder drei Freier. Ich sage Ihnen: Auch diese Form der Prostitution müssen wir jetzt abstellen. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz eröffnen wir die Möglichkeit, bei dieser Form von Mietwucher, bei dieser indirekten Fremdbestimmung einzugreifen und das Laufhaus, das Bordell dichtzumachen. Wir müssen die Prostituierten dringend vor dieser Form von Ausbeutung schützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angesprochen wurden bereits die stärkeren Kontrollen, die restriktivere Erlaubniserteilung für Betriebe, mehr Beratung, die Stärkung der Pflichten und der Rechte, Hilfsangebote und Ähnliches. Viele Punkte waren uns extrem wichtig. Ich will einige herausgreifen. Ein Thema war die Prostitution von schwangeren Frauen. Es gibt in Zukunft keine Betriebserlaubnis mehr, wenn Bordelle Flatratesex, Gangbang-Partys oder Sex mit Schwangeren anbieten. Uns war wichtig, dies endlich zu untersagen, um auch das ungeborene Leben zu schützen. Das war ein großer Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Gleiche gilt für die Bereiche Miete – das habe ich angesprochen – und Weisungsrecht. Endlich gibt es kein Weisungsrecht mehr hinsichtlich des Ob, der Art und des Ausmaßes einer sexuellen Dienstleistung. Endlich werden wir eine bessere Beratung bekommen. Endlich haben wir Beratungseinrichtungen und Gesundheitsbehörden, die auch Zutrittsrechte zu den Prostitutionsstätten bekommen. Dann noch zu Ihrer Kritik an der Anhörung. Ich weiß, wen wir als CDU/CSU eingeladen haben: Ärzte, Sozialberater, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und keine Verbandsvertreter. Das sind Menschen, die mit den Prostituierten arbeiten und die Situation der Prostituierten einschätzen können; und sie alle unterstützen dieses Gesetz. Sie haben uns gesagt: Schaut euch an, was in diesem Bereich passiert! Schaut euch an, wie die Prostituierten leben! Macht endlich etwas! Macht endlich dieses Gesetz! Das ist gut und wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie können uns vorwerfen, dass wir die großen Verbände, die sich für Prostituierte, für Sexdienstleisterinnen, einsetzen, nicht im Fokus haben bei 250 000 oder 300 000 Prostituierten, wenn ein Verband 70 oder 80 Prostituierte vertritt. Das mag vielleicht sein. Aber eines, Frau Möhring, muss ich Ihnen sagen: Sie haben sich nicht ein einziges Mal geöffnet bei der Frage: Wie ist die Situation in diesem Bereich? Sie haben ein falsches Bild, zumindest präsentieren Sie das in den Debatten. Ich hätte mir von der Opposition gewünscht, dass Sie ernsthafter mit gewissen Themen und Problemen umgehen. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Geben Sie mir mehr Redezeit! Ich erzähle Ihnen das alles!) – Von mir bekommen Sie sicher keine Redezeit. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Schade!) Ich komme zum Schluss. Es ist ein gutes Gesetz. Wir erwarten von den Ländern, dass sie es auch umsetzen. Wir wissen aus unseren Wahlkreisen, aus den Bundesländern, dass vor Ort geschaut werden muss, wie wir dieses Gesetz maximal umsetzen können. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen wir es bezahlen?) Wir werden evaluieren und auch nachsteuern. Noch einmal: Wir sind nicht am Ende des Kampfes gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung, sondern am Anfang des Kampfes gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung. Heute ist ein guter Tag für die Betroffenen und ein schlechter Tag für die Ausbeuter und Zuhälter. So soll es sein. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem guten Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Ulrike Bahr, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vor nun fast zwei Jahren war meine Kollegin Eva Högl bei mir in Augsburg zu Gast. Ihr Besuch stand unter dem Motto „Rotlicht im Fokus“. Es ging, wie unschwer zu erraten, um die aktuellen Gesetzesvorhaben zur besseren Regulierung von Prostitution sowie zur Bekämpfung von Zwangsprostitution. In dieser Woche nun finden beide Gesetzesvorhaben – das Prostituiertenschutzgesetz auf der einen und das Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels auf der anderen Seite – nach langen und intensiven Beratungen nahezu gleichzeitig einen erfolgreichen Abschluss. So setzen wir heute, fast im direkten Anschluss, ganz zentrale Vereinbarungen aus unserem Koalitionsvertrag um. Dass nach dem Prostitutionsgesetz von 2002 eine weitere Regulierung der Prostitution notwendig und damit unser gemeinsames Ziel war, darin waren wir uns von Beginn an einig. Über den Weg dorthin war die Einigkeit dann allerdings nicht immer nicht ganz so groß. Uns von der SPD-Bundestagsfraktion war dabei insbesondere der Schutz der Prostituierten wichtig. Dabei will ich eines klarstellen: Wir halten das rot-grüne Prostitutionsgesetz von 2002 nach wie vor für richtig. Oft und gern heißt es, Deutschland sei dadurch zum Bordell Europas geworden. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es ist auch so! Es ist die Wahrheit!) Fast noch lieber wird dieses Gesetz pauschal als gescheitert erklärt. Für viele ist es daher geradezu ein vermeintliches Symbol für das Leid von Zwangsprostituierten und Opfern von Menschenhandel – wie ich finde, zu Unrecht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: Geben Sie es doch mal zu!) Zum einen bringt uns diese ständige Vermischung von freiwilliger und damit legaler Prostitution mit Straftaten wie Menschenhandel nicht wirklich weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer zum anderen das Prostitutionsgesetz von damals ganz allgemein zum Sündenbock für soziale und gesellschaftliche Missstände abstempelt, der kehrt doch klammheimlich ganz grundsätzliche Fragen gesellschaftlicher Ungleichheit und Armut in einem erweiterten Europa unter den Teppich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weder die EU-Osterweiterung noch die damit verbundene Freizügigkeit wollen wir heute missen. Dennoch müssen wir uns natürlich mit den Folgewirkungen auseinandersetzen. Diese waren allerdings zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes 2002 ohne hellseherische Fähigkeiten wohl kaum abschätzbar. (Lachen des Abg. Michael Brand [CDU/CSU] – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Die Union hat damals davor gewarnt!) Wem es wirklich ernst ist mit dem Kampf gegen Armutsmigration und Armutsprostitution, der muss sich auch die Bekämpfung sozialer Ungleichheit in Europa verstärkt auf die Fahnen schreiben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie könnten auch einfach sagen, Sie haben einen Fehler gemacht, und wir ändern es jetzt! Wo ist das Problem?) Mit Blick auf die Prostitution hier in Deutschland gilt es deshalb vor allem, die Arbeitsbedingungen und den rechtlichen Rahmen so auszugestalten, dass sie keinen Missbrauch zulassen. Genau das packen wir mit diesem Gesetz nun an. Außerdem muss angesichts der vielen Schmähreden über das Prostitutionsgesetz auch eine entscheidende Nachfrage erlaubt sein: Warum ist denn dann eigentlich so lange nichts passiert in diesem Bereich? (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Gute Frage! – Gegenruf des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Weil 2007 die SPD nicht wollte!) Die Evaluation des Gesetzes von 2002 wurde im Jahr 2007 vorgelegt. Hinter uns liegen zwei Wahlperioden mit Frauenministerinnen aus den Reihen der Union. Aber scheinbar braucht es doch wieder eine SPD-Ministerin, um hier wichtige Weiterentwicklungen in Angriff zu nehmen. (Beifall bei der SPD) Das Prostitutionsgesetz war nicht der Anfang vom Ende, sondern ein zentraler Schritt für die Prostituierten, (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das war ein fataler Schritt, das Prostitutionsgesetz von 2002!) nämlich der Schritt raus aus der Sittenwidrigkeit. Wir halten es daher nicht für gescheitert, aber für ausbaufähig. Genau darum geht es bei den neuen Maßnahmen und Regelungen im Prostituiertenschutzgesetz. Wie schon 2007 in den Schlussfolgerungen der Evaluation empfohlen, wird es nun erstmals eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten geben. Wer ein Bordell betreiben will, muss ein Betriebskonzept vorlegen, die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen und bestimmte Mindeststandards einhalten. Außerdem wird es verboten, mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder gar mit Sex mit Schwangeren zu werben. Gerade diese Maßnahmen stehen ja auch keineswegs in großem Gegensatz zu den Vorstellungen der Opposition. Viele Gespräche mit Fachberatungsstellen, Frauenverbänden oder Polizei haben uns darin bestärkt, uns gegen verpflichtende Untersuchungen und ein Mindestalter von 21 Jahren auszusprechen. Unser Kompromiss in der Koalition besteht nun darin, die Anmeldung mit einer Gesundheitsberatung und eben nicht einer Untersuchung zu verknüpfen. Für junge Prostituierte zwischen 18 und 21 werden dafür kürzere Fristen vorgesehen, aber eben kein Verbot. Für uns waren das wichtige Punkte; denn wir wollten den Zugang zu Beratung und anderen Unterstützungsangeboten erweitern, anstatt ihn durch Zwangsuntersuchungen und Verbote zu verbauen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Bahr, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Ulrike Bahr (SPD): Ja, ich komme zum Schluss. – Eine Evaluation wird schließlich nach fünf Jahren zeigen, ob und inwiefern das Prostituiertenschutzgesetz alle seine Ziele erreicht und die damit verbundenen Erwartungen erfüllt hat. Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 haben wir den Weg beschritten, Prostituierten mehr einklagbare Rechte zu verschaffen. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz gehen wir 14 Jahre später diesen Weg weiter, indem wir für mehr Schutz, mehr Beratung und mehr Rechtssicherheit in der Prostitution sorgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Oft haben wir an dieser Stelle schon den Ausspruch „Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“ bemüht und damit – Frau Kollegin Bahr, passen Sie auf; ich komme jetzt zu dem Punkt, an dem Sie aufgehört haben – das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Regierung aus dem Jahr 2002 gemeint. Es ist nicht damit getan, zu sagen: Ihr habt das Gesetz nicht schnell genug geändert in den letzten Jahren. – Dadurch wäre die Fehlentwicklung, die durch das 2002 auf den Weg gebrachte Gesetz ausgelöst wurde, nicht verhindert worden. Ja, Deutschland ist 2002 durch die Legalisierung und durch die Erleichterung der Prostitution zum „Bordell Europas“ geworden. Wir wollten die Prostituierten aus dem Schmuddelmilieu holen. Damit haben wir aber etwas erreicht – ich unterstelle Ihnen keine Absicht –, was wir nicht wollten; denn die Folge war, dass Prostitution in den letzten Jahren in keinem Land so leicht durchzuführen war wie hier in Deutschland. Das ändern wir jetzt gemeinsam. Ich darf mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Team bedanken. Wir haben es uns in den letzten zwei Jahren wahrlich nicht leicht gemacht. Wir sind von einer großen Bandbreite an Prostituierten ausgegangen – ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das angesprochen haben –: die selbstbewusste 23-jährige oder 24-jährige Jurastudentin aus Deutschland, die ihre Rechte kennt und weiß, was sie mit sich und mit ihrem Körper tut, aber auch die 18-jährige Rumänin. Die Veranstaltung „Rotlicht im Fokus“ wurde erwähnt. Liebe Kollegin Pantel, auch wir sind dem Aspekt „Rotlicht im Fokus“ nachgegangen. In Vorbereitung auf dieses Gesetz sind wir auf den Straßenstrich in Berlin gegangen und haben mit Prostituierten gesprochen. – Ja, Sie müssen nicht erschrecken. Das war zur sachgerechten Aufklärung aus unserer Sicht durchaus angezeigt. – Dort haben wir mit jungen Rumäninnen und jungen Ungarinnen gesprochen, die mit der Loverboy-Methode nach Europa gelockt wurden und deren wirtschaftliche, physische und psychische Abhängigkeit – manche sind alleinerziehend und haben ein Kind, das zu Hause betreut werden muss – in Deutschland ausgenutzt wird. Für diese Frauen wollen wir die Situation verbessern. Wir geben ihnen mit dem Prostituiertenschutzgesetz die Möglichkeit, Kontakte außerhalb des Milieus aufzunehmen. Wir wollen auch, Frau Schauws, dass gerade mit zwischen 18- und 21-Jährigen jedes halbe Jahr ein Beratungsgespräch durchgeführt wird, damit diese Frauen eine Anlaufstelle außerhalb des Milieus haben, damit sie Menschen haben, denen sie sich anvertrauen können, wenn etwas passiert. Das ist wichtig, und deshalb ist der vorliegende Gesetzentwurf elementar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Ich muss noch auf ein paar Fehleinschätzungen von Ihnen zu sprechen kommen, Frau Schauws. Es ist natürlich das Vorrecht der Opposition, über ein Gesetz zu schimpfen, an dessen Entstehung sie nicht beteiligt war. Hätten Sie mitverfolgen können, wie oft wir bis in die Nacht hinein mühselige Unterredungen geführt haben, um die einzelnen Punkte, die Sie jetzt kritisieren, zu beleuchten, dann hätten Sie vielleicht eine andere Rede gehalten. Sie haben ausgeführt, durch die Anmeldepflicht würden die Frauen in die Illegalität getrieben. Die Polizei, die sich in diesem Milieu auskennt, sagt: Wo der Freier hinkommt, da kommen wir Polizisten auch hin; wir werden die Prostituierten auch in der Illegalität finden. – Ich darf Ihnen versichern: Sie brauchen keine Angst zu haben, dass die Frauen durch die Anmeldepflicht in die Illegalität getrieben werden. Unsere Polizei nutzt die zugänglichen Werbeportale und geht zu den Orten, für die Werbung betrieben wird. Ein weiterer Punkt waren die Bürokratiekosten. Ja, durch das Gesetz entsteht mehr Bürokratie, aber hauptsächlich für die Bordellbetreiber. Bisher war es in Deutschland leichter, ein Bordell zu betreiben als eine Pommesbude, wenn man die bürokratischen Regularien vergleicht. Die freiwillige Beratung, Frau Schauws, die Sie angesprochen haben, ist gut und schön; wenn es denn so einfach wäre. Aber glauben Sie, dass die 18-jährige rumänische Prostituierte, die anonym und ohne Sprachkenntnisse in Deutschland lebt und, wie der Kollege Weinberg gerade ausgeführt hat, die Örtlichkeiten oft gar nicht kennt, ohne Weiteres den Weg zu einer freiwilligen Beratung findet? Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen eine Pflichtberatung, damit sie überhaupt eine Beratungsstelle aufsuchen. Wir wollen eine Beratung, die ohne den Bordellbetreiber stattfindet. Die Anmeldung kann auch nicht anonym über ein Onlineportal erfolgen. Wir wollen die Frauen sehen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Wir wollen die Frauen sehen“? Was ist denn das für eine Aussage?) Ich will Ihnen eines sagen: Wenn uns in der Anhörung die Sachverständigen aus dem Bereich der Kriminalpolizei sagen: „Wir können nur die schützen, die wir kennen“, dann sollte uns das zu denken geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das heißt, wir müssen die Frauen aus der Anonymität, aus der Illegalität herausholen. Wenn sie die Materialien für die Anhörung gründlich durchgelesen haben, Frau Schauws, dann wissen Sie, dass laut Schätzungen die Zahl von Frauen und Männern, die in Deutschland derzeit diesem Gewerbe nachgehen, zwischen 170 000 und 700 000 variiert. Das heißt, niemand hat auch nur ansatzweise eine Ahnung, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tun immer so, als hätten Sie eine Ahnung!) wie groß die Zahl derer, die in diesem Gewerbe arbeiten, tatsächlich ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir hinschauen und Licht in dieses Dunkel, in diese Grauzone der Gesellschaft bringen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Herzlichen Dank allen, die konstruktiv mitgearbeitet haben. Herzlichen Dank den Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Das waren zwei harte Jahre. (Sönke Rix [SPD]: Ja!) Aber wir haben es geschafft. Ich bin heilfroh, dass wir jetzt ein gutes Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir den – zugegeben – guten Willen von Rot-Grün in eine gute Tat umsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen. Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.9 Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/9036 (neu) und 18/9080, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8556 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/9036 (neu) und 18/9080 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9071. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Tagesordnungspunkt 18 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Drucksachen 18/9036 (neu) und 18/9080 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7236 mit dem Titel „Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7243 mit dem Titel „Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes Drucksachen 18/8578, 18/8958 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/9074 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat Bundesminister Christian Schmidt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war beeindruckend, zu sehen, wie viele unserer Kollegen soeben zu neuen Ufern außerhalb des Plenarsaals dieses Hohen Hauses aufgebrochen sind. Ich vermute, dass sie sich die Situation in den ländlichen Räumen Deutschlands vor Ort anschauen wollen. Das ist lobenswert, und darüber freue ich mich. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Manchmal endet der Blick in den großen Agglomerationen – den Ballungsräumen –, in den Städten. Das ist falsch. Der größte Teil unseres Landes lebt und bewegt sich im ländlichen Raum – von der Fläche her 85 Prozent und von der Bevölkerung her immerhin mehr als die Hälfte. Dieser Teil unseres Landes hat einen Anspruch darauf, dass er nicht in zweiter Linie gesehen wird, dass er nicht vergessen, sondern in den Blick genommen wird und ihm die gerechte Unterstützung zuteilwird, die wir alle für ihn fordern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es gab vor vielen, vielen Jahren eine Große Koalition, die sich damit beschäftigt hat, wie man denn die Länder und den Bund gemeinsam in Verantwortung bringen könnte. Die Namen, die man damit verbindet, sind Franz Josef Strauß und Karl Schiller. Lang, lang ist’s her, aber die Wirkung ist noch da. Ich weise darauf hin – das sollten wir uns ab und zu vor Augen führen –, dass wir damals in Artikel 91a des Grundgesetzes – das steht heute noch darin und soll so bleiben – festgelegt haben: Wenn für die Gesamtheit eine Aufgabe bedeutsam und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist, dann kann und wird auch der Bund seinen Beitrag im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe – in diesem Fall „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ – wahrnehmen. Dabei bleibt es, und ich bin sehr dankbar, dass diese Gemeinschaftsaufgabe alle Föderalismusreformen überstanden hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist völlig unabweisbar, dass die Notwendigkeit der Verbesserung der Lebensverhältnisse gerade unter dem Aspekt der schwierigen demografischen Entwicklung, unter dem Aspekt der Veränderungen im ländlichen Raum insgesamt höhere Bedeutung gewonnen hat. Deswegen ist es gut, dass wir das Grundgesetz betrachtet haben. Es ist übrigens auch gut, dass wir keine Grundgesetzänderung vorgenommen haben. Wir haben das geprüft, nicht nur im Sinne von Theodor Heuss, der uns zur Sparsamkeit aufgerufen hat. Aber vor jeder Grundgesetzänderung sollten wir austesten, welche Möglichkeiten uns die jetzige grundgesetzliche Regelung bietet. Und siehe da: Es gibt Möglichkeiten, die wir noch nicht ausgeschöpft hatten und haben. Damit kann das Ziel unseres Koalitionsvertrags – gute Entwicklungschancen für den ländlichen Raum – besser erreicht werden. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei allen, die an der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs und insbesondere an der Beratung im Ausschuss mitgewirkt haben, aber auch – lassen Sie mich das sagen – für die konstruktiven Hinweise aus dem Bundesrat sehr bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird nicht nur die Landwirtschaft in den schwierigen Zeiten der angespannten Märkte modern und leistungsfähig gehalten, sondern wir haben auch eine mittel- und langfristige Stärkung der Strukturen im ländlichen Raum erreicht. Wir haben dank der Entscheidungen des Deutschen Bundestages die Mittel bereits in diesem Jahr beträchtlich aufgestockt: Wir fügen 30 Millionen Euro für investive Maßnahmen und weitere 30 Millionen Euro für neue Maßnahmen dieser neuen Gemeinschaftsaufgabe hinzu. Im Haushaltsjahr 2017 werden wir nach dem Entwurf des Bundesfinanzministers, den wir gestern im Kabinett beschlossen haben, neben den 600 Millionen Euro für klassische GAK-Aufgaben weitere 100 Millionen Euro für den Sonderrahmenplan Nationaler Hochwasserschutz und 65 Millionen Euro nach dieser Erweiterung der GAK vorsehen. Ich darf ergänzend hinzufügen, dass die Mittel für mein Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, das Leuchtturmprojekte in Bundesverantwortung mitentwickeln soll, für das kommende Haushaltsjahr von 10 Millionen auf 20 Millionen Euro aufgestockt werden. Damit schaffen wir größere Gestaltungsspielräume des Bundes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dreh- und Angelpunkt bleibt die Verbesserung der Agrarstruktur. Wir wollen sie in der GAK weitestmöglich an das Förderspektrum des ELER bzw. der ELER-Verordnung anpassen. Über diesen Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums – so heißt es in der Langform – fließen den Bundesländern jährlich bereits etwa 1,4 Milliarden Euro zu. Damit können die Länder Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums finanzieren. Ich freue mich, dass der Handlungsspielraum so weit geht, dass wir zukünftig auch Investitionen in nichtlandwirtschaftliche „Kleinstbetriebe“ fördern können, sprich den Friseurbetrieb oder den Bäcker am Dorfplatz. Ich freue mich, dass wir die Nahversorgung mit Gütern und Dienstleistungen vor Ort verbessern können, dass der ländliche Tourismus angekurbelt werden kann und dass es Unterstützung für die Umnutzung von Bausubstanz gibt, zum Beispiel als dörfliches Begegnungszentrum oder – so machen wir es jetzt in Dörfern; das ist ein weiteres Konzept – als ein Multifunktionshaus. Darüber hinaus – ich sehe den Kollegen Göppel, der sich sehr für die Landschaftspflege engagiert –, haben wir die Fördermöglichkeiten im Bereich des Klima- und Naturschutzes, des Vertragsnaturschutzes und der Landschaftspflege erweitert und manches andere mehr verbessert. Meine Damen, meine Herren, wir müssen die Abwanderung junger Menschen aus den ländlichen Räumen stoppen. Das ist die Kernaufgabe; es ist eine darüber hinausgehende Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen müssen wir alle Maßnahmen unternehmen, die die Attraktivität des ländlichen Raums steigern, ohne die Identität des ländlichen Raums infrage zu stellen. Ein letztes Wort. Ich bedanke mich im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsaufgabe bei denen, die das Geld bereitstellen. Das sind der Deutsche Bundestag und die Länder. Ich wäre insbesondere dankbar, wenn wir immer darauf achten würden – das richtet sich jetzt auch an die verehrten Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern –, dass, wenn die Maßnahmen auf den Weg gebracht werden und die Tafeln für die Bauprojekte erstellt werden, nicht vergessen wird, dass 60 Prozent der Gelder vom Bund kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Manchmal verwittern diese Schriftzeichen relativ schnell. Ich denke, wir alle haben ein Interesse daran, dass wir nicht nur Gutes gemeinsam tun, sondern es auch gemeinsam darstellen. In diesem Sinne herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Sehr geehrte Gäste! Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, einem dünn besiedelten, aber trotzdem schönen Bundesland. (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh ja! Sehr schön!) Mein Wahlkreis ist der größte Wahlkreis Deutschlands und auch der schönste Wahlkreis Deutschlands, nämlich der Müritzkreis. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Ich spreche immer vom Zweitschönsten!) Bei uns stellen sich andere Fragen als hier in Berlin. Herr Minister Schmidt hat eben bereits einiges in dieser Richtung vorgetragen. Bei uns ärgert man sich nicht darüber, dass die S-Bahn oder die U-Bahn nur im Zehnminutentakt fährt, sondern bei uns stellt sich die Frage, ob der Jugendliche mit dem Bus zum Sportklub oder ob die Oma ins Theater in die kleine anliegende Stadt kommt. Bei uns fragt sich so mancher Ortsbürgermeister, ob er die Kita oder den Supermarkt, den kleinen Laden, den er immer noch im Dorf hatte, noch halten kann oder was damit passiert. Bei uns brauchen vor allem kleine Unternehmen eine Zukunftsperspektive. Bei uns fragen sich die Menschen auch, wie man die vielen Potenziale, die es im ländlichen Raum gibt, am besten schöpft und fördert, beispielsweise im Tourismus, in der Energieproduktion oder aber auch in der nachhaltigen Landwirtschaft, zum Beispiel durch regionale Wirtschaftskreisläufe; denn viele der kleinen Städte und Gemeinden verfügen heute über individuelle Qualitäten. Dafür sind aus unserer Sicht eine wirkungsvolle, umfassende und integrierte Förderung des ländlichen Raums (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und eine Strategie über Ressortgrenzen hinweg notwendig. Dafür stehen viele Ministerien hier in Berlin in der Verantwortung, nicht nur der Landwirtschaftsminister. Ein wichtiges Instrument der Bundespolitik zur Entwicklung des ländlichen Raumes ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, über die wir hier heute debattieren wollen. Auf unsere Initiative hin gab es am Dienstag eine Anhörung zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Ich finde es schade, dass wir nicht über eine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ reden, sondern immer noch allein mit „Agrarstruktur“ und „Küstenschutz“ im Titel antreten. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diese Anhörung war wichtig; denn die Koalition zeigte vor allem Lernfähigkeit, und sie korrigierte mit einem Änderungsantrag wichtige Punkte, die auch in dieser Anhörung eine Rolle gespielt haben. Das begrüßen wir natürlich. Eine wirkliche GAK-Reform, wie im Koalitionsvertrag auch angekündigt, bleibt die Koalition aus meiner Sicht aber weiterhin schuldig. (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh!) Dort, wo eigentlich ein großer Schritt notwendig gewesen wäre, sprach der Deutsche Landkreistag von einem kleinen „Trippelschritt in die richtige Richtung“. Aber nicht nur in der Anhörung wurde erneut viel Kritik an diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung geübt, sondern auch der eigens von Herrn Minister Schmidt angeregte Sachverständigenrat fand deutliche Kritik an diesem Gesetzentwurf, vor allem wegen des begrenzten Maßnahmenspektrums, der beschränkten Gebietskulisse, der fehlenden zusätzlichen Mittel und der fehlenden Angleichung an die Fördermöglichkeiten der EU durch den ELER. Ich zitiere aus dem Bericht des Sachverständigenrates: Aus Sicht des Sachverständigenrates verfehlt der Gesetzentwurf damit die Zielsetzungen des Koalitionsvertrags und wird nicht den Herausforderungen der ländlichen Räume gerecht. Die Kritik des Sachverständigenrates benennt also wesentliche Punkte, die auch mit dem neuerlichen Antrag der Koalition leider nicht behoben werden. Das kritisieren wir unter anderem auch, vor allem die fehlende Abdeckung des gesamten ELER-Spektrums. Herr Schmidt hat eben gesagt: Wir kommen dem näher, aber wir schöpfen ihn nicht aus. – Wir ändern das Grundgesetz nicht, um eine wirkliche Reform der GAK im Sinne der ländlichen Entwicklung zu ermöglichen. Das schaffen wir damit eben nicht. Wir stellen auch die ausreichenden Mittel nicht zur Verfügung. Die Experten sagen, dass mindestens 200 Millionen Euro zusätzlich notwendig wären, um hier einen Entwicklungsschub zu erreichen. Auch wenn wir im nächsten Jahr mit 65 Millionen Euro mehr rechnen können, werden hier nur ganz kleine Impulse gesetzt. Für die ländlichen Räume werden jetzt 5 Prozent des Gesamtbudgets der GAK ausgegeben. Das, glaube ich, wird nicht reichen. (Beifall bei der LINKEN) Eine wirklich integrierte ländliche Entwicklung wird erst durch eine umfassende Reform der GAK möglich. Die Agrarstruktur, der Küstenschutz und der Umweltschutz wären dann in die ländliche Gesamtentwicklung einzugliedern. Wir fordern deshalb eine Grundgesetzänderung, um den ELER vollständig auszuschöpfen. Wir fordern vor allem, die Daseinsvorsorge für die Menschen auf dem Lande verlässlich zu fördern; denn die Wirtschaft im ländlichen Raum ist mehr als nur Agrar- und Kleinstbetriebe – vor allem in der Zukunftsperspektive. Wir fordern eine demokratische Kontrolle und Transparenz bei der Mittelverteilung durch Landes- und Bundesparlamente. Das ist bis heute nicht gegeben. Wir fordern einen eigenen Gestaltungswillen der Bundesregierung, der nicht nur die gemeinsame Agrarpolitik der EU, sondern vor allem auch die Zukunft der ländlichen Räume insgesamt im Auge behält, und wir fordern mehr Geld, mindestens die angesprochenen 200 Millionen Euro mehr, um diese Herausforderungen des ländlichen Raumes bewältigen zu können. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke sagt: Wir müssen vor allem die sozialen Auswirkungen unserer Politik im Auge behalten und diese vor allen Dingen aktiv gestalten, besonders weil wir über 85 bis 90 Prozent des Bundesgebietes reden. Sie wollen die Menschen damit vielleicht etwas stärker in den Vordergrund stellen, aber sie bleiben trotzdem abgehängt. Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt der Kollege Willi Brase. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Willi Brase (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In einer sich so schnell verändernden Welt kann nur bewahren, wer zu verändern bereit ist. Wer nicht verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte. So Gustav Heinemann. Ich finde, er hat völlig recht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen die Perspektiven und die Vielfalt der ländlichen Räume bewahren, aber auch die Chancen der Weiterentwicklung fördern. Wir haben über diese Frage im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz schon in der 17. Wahlperiode intensiv debattiert. Wir haben festgestellt: Unsere ländlichen Regionen sind vielfältig, unterschiedlich stark, mit Blick auf die Bevölkerungszahl manchmal aber auch schrumpfend; das wollen wir nicht vergessen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag verankert: Wir streben an, diese Gemeinschaftsaufgabe zu einer „Gemeinschaftsaufgabe ländliche Entwicklung“ weiterzuentwickeln. Ich glaube, dass wir mit dem Gesetzentwurf einschließlich des Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen einen richtig guten Schritt nach vorne gehen. Ich bin dankbar, dass wir nach intensiver Beschäftigung und Verhandlung ein Stück vorwärtsgekommen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der ELER und die Gemeinsame Agrarpolitik der EU zielen auf die Infrastruktur ländlicher Gebiete. Es geht um Daseinsvorsorge, das wollen wir nicht vergessen; Kollegin Bluhm, Sie haben es teilweise angesprochen. Lokale Lebensqualität wollen wir voranbringen; das haben wir im Änderungsantrag genau so formuliert. Es geht bei der Daseinsvorsorge um Lebensmittel, um Energie, um Mobilität, um kulturelle Einrichtungen, um Gesundheitsversorgung, um Brandschutz und Hilfestellung. Wir haben das im Änderungsantrag als „Basisdienstleistungen“ formuliert. Wir wollen die dörfliche Struktur und Bausubstanz erhalten. Wir wollen den ländlichen Tourismus stärken. Auch wollen wir das kulturelle Erbe von Dörfern bewahren und weiter ausbauen. Ich finde, das, was wir beschlossen und vorgelegt haben, gibt genau das wieder, was wir zur Weiterentwicklung der ländlichen Regionen brauchen. Auch unser Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat schon seit 2010 Initiativen zur Entwicklung ländlicher Regionen auf den Weg gebracht. Dabei geht es unter anderem um Zusammenarbeit, um den Aufbau von Netzwerkstrukturen und um die Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements. Wenn man das zur Kenntnis nimmt, kann man sagen: Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen unterstützen diesen Ansatz. Es geht darum, dass nicht nur das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sondern auch andere etwas auf den Weg bringen und Geld zu Verfügung stellen, damit sich die ländlichen Regionen weiterentwickeln. Ziel war und ist: Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse erreichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist schon darauf hingewiesen worden: Wir haben nach der Anhörung die vorgebrachten Argumente geprüft. Wir haben die entsprechenden Änderungen auf den Weg gebracht, auch das, was der Bundesrat in seiner ersten Befassung zum Ausdruck gebracht hat. Ich nenne das Stichwort „Gebietskulisse“. Das, was dazu ursprünglich vorgesehen war, hat sich als nicht praktikabel herausgestellt. Wir sind das vernünftig angegangen und haben es verbessert. Es geht auch um das Antragsverfahren: Die Anträge, die mehrjährig laufen, sollen nicht jedes Mal wieder neu begründet werden müssen. Es geht unter anderem auch um den Vertragsnaturschutz. Das sind einige Beispiele, worüber wir nicht nur beraten haben, sondern bei denen wir auch für eine schnelle Umsetzung gesorgt haben. Mit unserer Entschließung beschreiben wir den zukünftigen Weg der Stärkung ländlicher Regionen. Wir wollen ein ressortübergreifendes und abgestimmtes Handeln der Bundesregierung. Ich habe das eben am Beispiel des Bundesbauministeriums deutlich gemacht. Es ist gut, dass es einen entsprechenden Staatssekretärsausschuss gibt. Ich bin mir sicher: Wenn wir diese Politik weiterführen, werden wir im Rahmen eines abgestimmten Vorgehens in der Regierung die ländlichen Regionen in naher Zukunft noch stärker miteinander verbinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die finanziellen Mittel für die GAK Zug um Zug ausweiten. Wir haben lange Gespräche mit den Vertretern der Länder geführt. Es geht um die Frage: Wie gehen wir mit dem Mittelabfluss um? In verschiedenen Bundesländern gibt es Doppelhaushalte. Mein und unser Wunsch an die Haushälter ist – das müssen wir gut überlegen –, dass dieser Mittelabfluss vernünftig gestreckt wird und er auch übertragen werden kann, damit die Mittel für die GAK und für die ländlichen Regionen nicht verloren gehen. Wir möchten aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die 30 Millionen Euro, Herr Minister, die wir als Bundestag letztes Jahr zusätzlich zur Verfügung gestellt haben, aufgrund des langen Verfahrens und der späten Beschlussfassung hier im Bundestag übertragen werden, sodass sie der GAK und den ländlichen Regionen nicht verloren gehen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es geht zukünftig darum, dass wir eine intensivere Abstimmung zwischen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, der Mittelstandsförderung und dem Städtebau als ein Gesamtpaket zur Unterstützung der ländlichen Regionen betrachten und begreifen. Wer nur die GAK schaut und nur das im Blick hat, was wir in diesem Bereich an Mitteln für die ländlichen Regionen ausgeben, der greift zu kurz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir müssen das Gesamtpaket sehen, und dabei haben wir als Koalitionsfraktion einiges auf den Weg gebracht. Es geht uns als sozialdemokratische Fraktion darum, die Vielfalt der ländlichen Regionen zu erhalten. Jeder von uns weiß: Es gibt Regionen, in denen wir es sehr stark mit demografischen Problemen zu tun haben; dazu wird meine Kollegin Petra Crone etwas sagen. Wir haben aber auch Regionen, die wirtschaftlich sehr stark sind, in denen es kaum Arbeitslosigkeit gibt und die fantastische industrielle und gewerbliche Strukturen haben. Wenn ich heute wenig über die Landwirtschaft gesprochen habe, liegt das daran, dass unsere Landwirtschaft hoch konkurrenzfähig ist, sehr viel exportiert und auf höchstem Niveau arbeitet. Deshalb braucht sie manchmal etwas weniger Unterstützung. Wir müssen die Unterstützung aber zu den ländlichen Regionen umleiten, die teilweise schrumpfen. Ich denke, das ist ein richtiger Weg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Unterschiedlichkeit der ländlichen Regionen in unserem Land bewahren. Es ist gut und wichtig, allen zu helfen. Deshalb nehmen wir diese Chance an. Es ist gut, dass wir nächstes Jahr mehr Geld haben. Ich möchte wiederholen, was ich schon an anderer Stelle gesagt habe: Perspektivisch sind für die weitere Entwicklung 65 Millionen bis 100 Millionen Euro an jährlichem Zuwachs zu wenig. Aber das muss spätestens in der nächsten Legislaturperiode angegangen werden. Ich werde nicht mehr dabei sein. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich möchte mich für die präzise Einhaltung der Redezeiten bedanken. Auch das muss – gerade heute – einmal festgestellt werden. Nächster Redner ist der Kollege Markus Tressel für Bündnis 90/Die Grünen. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ländlichen Räume stehen unzweifelhaft vor großen und vielfältigen Herausforderungen. Deswegen hätten wir jetzt endlich eine kohärente Strategie für die ländlichen Räume gebraucht, die sich nicht mehr nur auf die Landwirtschaft fokussiert. Das ist der Grundfehler, den der vorliegende Gesetzentwurf leider nicht löst, obwohl Sie es in Ihrem Koalitionsvertrag anders angekündigt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen Daseinsvorsorge; wir brauchen aber auch „Dableibensvorsorge“ in unseren ländlichen Regionen. Das werden wir auf diese Art und Weise vielleicht ansatzweise hinbekommen, aber der große Wurf ist das nicht. Bei aller Wertschätzung für die Landwirtschaft sage ich, sie verliert leider an Bedeutung für die ländlichen Regionen. Seit 1993 hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mehr als halbiert, und die Bruttowertschöpfung in der Land- und Forstwirtschaft ist um knapp 20 Prozent zurückgegangen. Immer weniger Wertschöpfung und immer weniger Beschäftigung in der Landwirtschaft: Das sind die Folgen eines tiefgreifenden Strukturwandels. Aber nicht nur das macht ländlichen Regionen zu schaffen. Genauso treffen auch andere wirtschaftliche Veränderungen periphere ländliche Regionen hart, beispielsweise in den Kohleregionen – ich komme aus einer solchen Region – oder in ehemals großindustriell geprägten Regionen. Diese Regionen schrumpfen vielfach ökonomisch, und sie schrumpfen demografisch. Wir alle wissen: Wenn die jungen Leute wegziehen, werden die ohnehin schon knappen finanziellen Spielräume der Kommunen noch kleiner. Krankenhäuser werden geschlossen, Ortskerne veröden, weil sich der Einzelhandel nicht mehr rentiert, und mittelständische Unternehmen finden keine Auszubildenden und Fachkräfte mehr. Die Ungleichheit zwischen den regionalen Lebensverhältnissen nimmt zu. Deswegen können wir heute in vielen Bereichen nicht mehr von der Gleichheit der Lebensverhältnisse sprechen. Das ist eine fatale Entwicklung; es ist eine Spirale, die nach unten zieht. Hier müssen wir den Menschen vor Ort neue Perspektiven eröffnen, und die liegen bei aller Sympathie nicht nur in der Landwirtschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das im Grundgesetz formulierte Ziel einer Gemeinschaftsaufgabe heißt, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern. Das ist der Kernpunkt. Die GAK, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf heute beschließen wollen, wird in ihrer derzeitigen Form diesem Ziel nicht gerecht. Sie waren zu Beginn Ihrer Koalition der gleichen Meinung, als Sie in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz zur „Gemeinschaftsaufgabe ländliche Entwicklung“ weiterzuentwickeln, sodass sie die Herausforderungen ländlicher Räume anpacken kann. Das war und ist ein richtiger Gedanke. Drei Jahre später ist aber von diesem Vorhaben – ich sage ganz klar: leider – wenig übrig geblieben. Statt der nötigen Grundgesetzänderung, die wir als Opposition und, glaube ich, im Übrigen auch viele Bundesländer unterstützt hätten, kommt nun ein Reförmchen, das ganz klar macht: Was nicht der Landwirtschaft dient, kann nach wie vor nicht gefördert werden. Die Bundesregierung selbst hat uns noch im Mai auf eine Kleine Anfrage geantwortet – ich zitiere –: Maßnahmen, die gar keine Rückbindung an den Agrarbegriff erkennen lassen, sind auch mit der neuen GAK nicht förderfähig. Sie sagten eben, Herr Minister Schmidt, Dreh- und Angelpunkt bleibt die Agrarstruktur. Das wird, denke ich, in der Praxis Probleme geben. Es ist meines Erachtens dem Problem auch nicht angemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Erweiterung der GAK, die Sie heute vornehmen, zeigt: Sie machen im Kern weiter allein Landwirtschaftspolitik und eben keine Politik für die ländlichen Räume. Sie nannten vorhin selbst die Vielschichtigkeit der Probleme, aber Sie betreiben weiterhin allein Landwirtschaftspolitik, und damit setzen Sie den Koalitionsvertrag eben genau nicht um. Sie vertun eine große Chance, die Förderpolitik für die ländlichen Räume neu aufzustellen – im Übrigen zusammen mit der Landwirtschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kollegin Bluhm hat vorhin gesagt: Gut, dass wir die Anhörung in dieser Woche hatten. – Dort gab es deutliche Kritik der Sachverständigen, und diese hat am Schluss auch etwas bewirkt. Das ist außerordentlich lobenswert. Sie haben die allergröbsten Mängel des Gesetzentwurfes beseitigt, wie die rechtsunsichere Gebietseinschränkung, die doppelte und dreifache Bürokratie für die Länder bedeutet hätte, und Sie haben zumindest den Vertragsnaturschutz auch als Ziel der GAK formuliert. Das ist außerordentlich lobenswert. Aber ich hätte mir gewünscht, dass sich das, was Sie in Ihrer Entschließung fordern, von vornherein im Gesetzentwurf wiedergefunden hätte. Das Ziel der integrierten Entwicklung, der regionalen Wertschöpfung, der Frauenförderung, die bessere Kombinierbarkeit mit anderen Fördertöpfen – die GRW haben Sie angesprochen, Herr Kollege Brase – und die regelmäßige Evaluation der Mittelausgaben; all dies hätte ins Gesetz gehört, weil es das Gesetz besser gemacht hätte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen eine Zukunftsperspektive für die ländlichen Räume, die in ihrer Unterschiedlichkeit auch unterschiedliche Voraussetzungen haben. Diese zusätzlichen Mittel sind ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sich die Größe der Aufgabe betrachtet. Deshalb hat auch der Sachverständigenrat im Vorfeld in seiner Stellungnahme mehr Geld gefordert. Die GAK, wie sie jetzt vorliegt, beinhaltet im Kern, was ihr Name sagt: Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Die Förderung ländlicher Entwicklung bleibt in den Kinderschuhen. Das ist bedauerlich, da wäre mehr gegangen. Jetzt muss man, wenn man ehrlich ist, sehen: Wertvolle Zeit für die ländlichen Räume wird wieder verstreichen, bis wir nochmals an dieses Thema herangehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist außerordentlich schade. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Hans-Georg von der Marwitz. (Beifall bei der CDU/CSU) Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Zentrum des Gesetzentwurfes zur Reform der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz: GAK, steht ein entscheidender Paradigmenwechsel von gesellschaftlicher Bedeutung, Herr Tressel. Mit diesem Gesetz erweitern wir in den engen Grenzen des Artikels 91a im Grundgesetz den Fokus der GAK über die Landwirtschaft hinaus auf den ländlichen Raum. Wir fördern mit diesem Gesetz erstmals auch außerlandwirtschaftliche Infrastruktur – eine wichtige Maßnahme für unsere Gemeinden und Dörfer. In weiten Gebieten Deutschlands ist die Landwirtschaft längst nicht mehr der Wirtschaftsmotor Nummer eins – von den Beschäftigten auf den Feldern und in den Ställen ganz zu schweigen. Die agrarpolitischen Diskussionen der letzten Monate bieten zusätzlich reichlich Anlass, über die weitere Entwicklung der ländlichen Räume nachzudenken. Zwar prägt die Landwirtschaft optisch noch viele Regionen, doch hinter den Fassaden haben Gewerbe und Dienstleistungen die Urproduktion längst überholt. Unsere Landwirte geraten nicht nur durch die Agrarmarktkrise immer stärker unter Druck. Unabhängig davon schreitet der Strukturwandel weiter voran. Entleerte Dörfer und demografische Verwerfungen drohen. Kurzum: Teile des ländlichen Raumes stecken in der Krise – übrigens im Osten Deutschlands wesentlich offensichtlicher als im Westen. Meine Heimat Brandenburg hat einen hohen Anteil an ländlichen Regionen. Sie alle kennen meine Position, und ich werde nicht müde, auch bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, wie wichtig eine vielschichtige Agrarstruktur ist. Durch eine unbedachte Überführung alter DDR-Strukturen in die Marktwirtschaft und die Vernachlässigung der Familienbetriebe in den 90er-Jahren verschärft sich bis heute die Krise zusätzlich, gerade wenn der Markt schwächelt und geordnete Betriebsübergaben ausbleiben. Die Causa KTG sei hierfür beispielgebend erwähnt. Wir haben zwei Seiten einer Entwicklung. Die Märkte sind durch hohe Produktionsmengen deutlich übersättigt. Die deutsche Landwirtschaft ist durchrationalisiert, hochleistungsorientiert, profiliert auf dem Weltmarkt und damit ökonomisch eng mit China und Russland verzahnt. Doch die daraus resultierenden Wechselwirkungen stehen heute vielen Landwirten zum Teil im Weg. Die derzeitige Krise wird, langfristig betrachtet, tiefe Spuren in der deutschen Agrarstruktur hinterlassen. Mit einer baldigen Besserung ist derzeit nicht zu rechnen. Wir führen hier eine strukturpolitische Diskussion. Deshalb zurück zur GAK, Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Zusammen mit den Ländermitteln verteilen wir auf diesem Weg in diesem Jahr rund 1,2 Milliarden Euro, eine beachtliche Summe. Mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des GAK-Gesetzes setzen wir heute auf eine Neuorientierung, sicherlich noch in einem sehr überschaubaren Rahmen – da gebe ich Ihnen absolut recht –, aber immerhin ist es ein Anfang. Wir brauchen alternative Entwicklungen für den ländlichen Raum. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung – der Herr Minister hat das vorhin erwähnt – lebt auf dem Land. Mit der geplanten Öffnung der GAK durch die Novellierung des Gesetzes schaffen wir dafür neue Voraussetzungen. Dennoch hat für mich weiterhin Priorität: der bleibende Bezug zur Landwirtschaft in diesem Gesetz. Denn der Agrarbezug steht im Zentrum der Gemeinschaftsaufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Durch die Erhöhung der Mittel wird gleichzeitig sichergestellt, dass die Förderung der neuen Maßnahmen nicht zulasten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ geht. Mir ist wichtig, dass sich mein Berufsstand zukunftsorientiert aufstellt. Wenn nicht wir Bauern den Transformationsprozess mit beeinflussen, dann werden das andere für uns tun. Die Öffnung der GAK für andere Schwerpunkte im ländlichen Raum ist ein sprichwörtliches Wetterleuchten am Agrarhimmel. Wir tun klug daran, die Zeichen der Zeit zu deuten. (Beifall des Abg. Willi Brase [SPD]) Ich habe zu Beginn auf die derzeitige Krise verwiesen. Es ist wichtig für die Landwirte, aber auch für den gesamten ländlichen Raum, Anreize zu schaffen für unternehmerisches Engagement, für Investitionen in die Zukunft und nicht zuletzt für eine neue Definition heimatlicher Verbundenheit. Mein Appell geht deshalb an Sie alle, Verbraucher und Produzenten, Verarbeiter und den Handel: Die Bauernschaft ist kein Berufsstand wie jeder andere. Wir sorgen schließlich für das täglich Brot im Einklang mit dem geliehenen Gut unserer Kinder. Im Wohlstand mag das wenigen von Bedeutung sein. Aber die Geschichte lehrt uns: Ist ruiniert der Bauernstand, ziehen Teuerungen übers Land. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Petra Crone spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD) Petra Crone (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Erinnern Sie sich noch an den letzten Demografiegipfel vor knapp neun Monaten? Man könnte fast die Frage stellen: Gibt es den demografischen Wandel überhaupt noch? Ich sage: Ja, und wie! In der Politik gilt es, schnell zu reagieren, wenn ein Thema akut wird. Der demografische Wandel eignet sich dafür nicht. Er ist – genauso wie die Globalisierung – ein stetiger Prozess, der die Politik auch stetig fordert. Genau deshalb dürfen wir die Debatte nicht vernachlässigen, auch wenn das Thema in den letzten Monaten durch viele Ereignisse in unserer Wahrnehmung weggerutscht ist. Um die demografische Entwicklung besonders im ländlichen Raum zu gestalten, müssen wir neue Wege gehen, manche Kulisse hinter uns lassen, neue, passgenaue finden und dann auch den Mut haben, diese zu bauen. Darum finde ich es richtig klasse, dass es uns mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen gelungen ist, einen spürbaren Schritt nach vorne zu machen. (Beifall bei der SPD) Wir haben im GAK-Gesetz eine Gebietskulisse gebaut, die handhabbar ist und den Verwaltungsaufwand für die Bundesländer in Grenzen hält. Auf Wunsch des Bundesrates haben wir das Gesetz verbessert, um den demografischen Wandel in den ländlichen Regionen positiv gestalten zu können. Aber wir können auch noch mehr tun. Zwei Vorschläge: Erstens. Die SPD forderte schon 2015, der GAK eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Integration und demografischer Wandel“ zur Seite zu stellen – ohne störende Zuständigkeitsgrenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Deshalb müssen wir das Kooperationsverbot im Grundgesetz noch einmal bereden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gute Bildung für alle braucht Unterstützung und keine Schranken. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Wir plädieren für einen Demografiestrukturfonds, in den Bund und Länder gemeinsam einzahlen. Damit können wir denjenigen Kommunen und Regionen Mittel zur Verfügung stellen, die besonders vom demografischen Wandel betroffen sind. Insbesondere die strukturschwachen und ländlichen Regionen benötigen die Hilfe des Bundes, unabhängig davon, ob sie im Osten oder im Westen dieser Republik sind. (Beifall bei der SPD) Hierfür braucht es aussagekräftige Indikatoren für Demografie als Umverteilungskriterien. Diese beiden Maßnahmen müssten genauso wie die GAK in das gesamtdeutsche Fördersystem für strukturschwache Regionen ab 2020 eingebunden werden. Das hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schon auf den Weg gebracht. Es soll den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land auch nach Auslaufen des Solidarpakts 2019 stärken. Ich kann diese Forderung nur unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klar ist natürlich: Die Länder sind frühzeitig in die Planung einzubeziehen, um am Ende ein wirklich wirkungsvolles Förderregime zu haben. Ein letzter Punkt: Die große Leistung im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel findet in unseren Wahlkreisen statt. Vor Ort werden kreative, praxistaugliche Lösungen gesucht und gefunden – mithilfe vieler Männer und Frauen, die sich für das Gemeinwohl auf verschiedene Weise ehrenamtlich engagieren. Ihnen gilt mein und sicherlich auch Ihr ganz besonderer Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber unsere Kommunen benötigen zur Gestaltung des demografischen Wandels ebenso auch hauptberufliche Demografiebeauftragte. Die Regierungsfraktionen haben in den vergangenen Jahren für die Rahmenbedingungen für unsere Kommunen ganz viel getan und Gelder in Milliardenhöhe bereitgestellt. Natürlich muss die kommunale Handlungsfähigkeit auch weiterhin nachhaltig verbessert werden. Die Herausforderungen werden nicht weniger. Ich nenne nur das Stichwort „Pflege“. Mein Wunsch an die Kommunen: Betreiben Sie eine mutige Personalpolitik, die aktiv und nicht reaktiv ist, die Chancen und Potenziale des demografischen Wandels erkennt und in Köpfe, Wissen und Herzen investiert – zum Wohle unserer Kommunen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Marlene Mortler für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Marlene Mortler (CDU/CSU): Danke schön, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute viele gute Botschaften mitgebracht. Die Erste lautet: Wir stehen zu unseren Bauern und Bäuerinnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. Die GAK bleibt für unsere landwirtschaftlichen Betriebe erhalten. Drittens. Wir werden die GAK für alle Menschen im ländlichen Raum erweitern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben es mehrfach gehört: Es gibt nicht den ländlichen Raum, sondern es gibt Räume mit größeren Herausforderungen, und es gibt Räume wie den bei mir in Bayern, um München, mit ganz anderen Herausforderungen. Ich persönlich freue mich, dass uns mit diesem Gesetz der Einstieg in einen Paradigmenwechsel gelungen ist. Natürlich kann man immer mehr und mehr und mehr Geld fordern, wie dies auf der ganz linken Seite dieses Hauses geschieht. Ich danke zunächst einmal allen Kolleginnen und Kollegen, unseren Haushältern im Bund und hoffentlich auch in den Länderregierungen dafür, dass sie Geld freigemacht haben bzw. freimachen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesländer haben es nun zusammen mit dem Bund in der Hand, innerhalb des Rahmenplans ihre Maßnahmen und Prioritäten länderspezifisch und individuell zu setzen. Ich bin gespannt auf viele gute Ideen und auf die Kreativität vor Ort. An dieser Stelle erinnere ich mich an das Jahr 2010. Damals hat das Bundesministerium unserer damaligen Ressortchefin Ilse Aigner zum Erstaunen vieler als erstes Haus in Berlin das Breitbandförderprogramm auf den Weg gebracht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 10 Millionen Euro wurden dafür zur Verfügung gestellt. Heute kann man feststellen: Wir waren Vorreiter. Das Ganze hat Schule gemacht. Inzwischen führt das zuständige Ministerium fast jeden Monat Veranstaltungen durch, und es übergibt Breitbandförderbescheide. Diese Bescheide sind nahezu ein Renner, und wir waren der Auslöser – klasse! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen und wir können mit unserem neuen Ansatz nicht mit anderen Förderinstrumenten konkurrieren bzw. uns mit ihnen nicht kreuzen; wir können nicht alles fördern. Wir gehen vielmehr mit unseren Maßnahmen dorthin, wo zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ erst gar nicht hinkommt. Das heißt, wir legen eine gute Grundlage dort, wo es keine anderen Möglichkeiten für Leistungsfähigkeit und für Lebensqualität gibt. Der Minister hat es gesagt: 50 Prozent der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wohnen in Dörfern und in Städten. Diese Menschen brauchen heute und in Zukunft Perspektiven. Ich erinnere daran, dass rund 40 Prozent aller Arbeitsplätze in wissens- und innovationsintensiven Unternehmen sind, und zwar in der Fläche; viele Hidden Champions befinden sich darunter. Ich möchte abschließend noch ein paar persönliche Worte loswerden. Erst einmal sage ich ein herzliches Dankeschön an Wilhelm Brase für die gute Zusammenarbeit. (Willi Brase [SPD]: Willi!) – „Willi“, wie der Bauer Willi, jawohl. – Ich bin aus Erfahrung zutiefst überzeugt von den Menschen im ländlichen Raum, wenn es um Solidarität, Nachbarschaftshilfe, enge Netzwerke und gesellschaftliches Engagement geht. Ich bin aber auch zutiefst überzeugt vom Herzstück, von der Seele des ländlichen Raumes, nämlich von unseren Bauern und Bäuerinnen. Lieber Kollege Tressel, ich gebe Ihnen recht: Die landwirtschaftlichen Betriebe werden zwar weniger, aber die Bedeutung der Landwirtschaft, wenn es um Wertschöpfung geht, hat zugenommen, und auch die Anzahl der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft hat zugenommen – Gott sei Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Erinnern wir uns daran, dass unsere Bauern dafür sorgen, dass unser Tisch jeden Tag so vielfältig, so reichhaltig gedeckt ist. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir tut es in der Seele weh, wenn in diesen Wochen aus Unwissen, aus Halbwissen oder auch mit voller Absicht unsere Bauern als Feindbild und als Sündenbock herhalten müssen, zuletzt beim Thema Hochwasser, als man der Meinung war, nur die Landwirtschaft – der Maisanbau, die Monokultur – sei daran schuld. Ich sage: Jede Kultur ist für sich eine Monokultur, egal ob man Bioanbau oder konventionellen Anbau betreibt. Der Bäcker will vielleicht Backweizen haben, und er will kein Maismehl dazwischen haben – oder umgekehrt. Gott sei Dank leben wir in einem Land, wo wir die vier Jahreszeiten – Frühling, Sommer, Herbst und Winter – noch erleben können, und da ist das Feld unterschiedlich bestellt. Wenn in einer Zeit wie vor wenigen Wochen Sturzfluten vom Himmel herunterkommen, dann fragen diese Sturzfluten nicht: Ist hier Mais angebaut, oder ist hier gerade eine Blumenwiese angesät worden? Sturzfluten nehmen schlicht alles mit. Gehen wir also in uns, jetzt in der Sommerpause, werden wir uns bewusst, wie wichtig Landwirte und Landwirtschaft und ländlicher Raum sind, sodass wir weiter im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land kämpfen, und seien wir dankbar für jeden Bauern um die Ecke! Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9074, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/8578 und 18/8958 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9074 empfiehlt der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, eine Entschließung anzunehmen. Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9102. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie den Zusatzpunkt 4 auf: 9.   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die NATO durch ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands ersetzen Drucksache 18/8656 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Verlegung von Bundeswehr-Einheiten nach Litauen Drucksachen 18/8608, 18/8733 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Buchholz, Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der Türkei Drucksache 18/9028 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch erhebt sich keiner. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! 1955 ist die Bundesrepublik Deutschland der NATO beigetreten. 61 Jahre NATO-Mitgliedschaft – es hat noch nie in diesem Zeitraum im Bundestag eine Debatte gegeben: „Wie kann man die NATO ersetzen? Wie kann man sie abschaffen oder überwinden?“, sondern es ist immer nur diskutiert worden: Wie kann man die NATO stärken? Wie kann man rüsten? Wie kann man aufrüsten? Wie kann man NATO-Treue beweisen? – Damit wollen wir Schluss machen. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben mit unserem Antrag die Debatte eingeleitet, die NATO durch ein ziviles kollektives Sicherheitssystem in Europa zu ersetzen. Wir möchten, dass diese Debatte hier im Bundestag weitergeführt wird, dass sie vor allen Dingen in der Öffentlichkeit geführt wird. Das ist der Sinn unseres Antrags. Ich glaube nicht, dass Sie unserem Antrag zustimmen werden; (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das wird auch nicht in der Öffentlichkeit diskutiert!) es würde mich schon sehr überraschen. Aber Sie werden Ihren Kurs ändern, wenn immer mehr Menschen in diesem Land sagen: „NATO ist nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit“, wenn immer mehr Menschen sagen: „Wir wollen etwas anderes als die NATO“, wenn die Demonstrationen größer werden. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Für welche Menschen sprechen Sie denn?) Mich wundert ein bisschen, dass Sie nicht einmal auf einige Kolleginnen und Kollegen aus Ihren eigenen Reihen, die bei Ihnen zumindest früher bedeutsam waren, hören. Also, ich bin weiß Gott kein Freund mehr von Gerhard Schröder. Aber das, was er zu Russland sagt, ist vernünftig. (Niels Annen [SPD]: Keiner „mehr“?) – Ich war es einmal, ja. – Das, was er zu Russland sagt, finde ich sehr vernünftig. Ich bin kein Freund von Ischinger, obwohl er die Linke an der Sicherheitskonferenz beteiligt hat. Aber er warnt zu Recht. (Niels Annen [SPD]: Mit dem auch?) – Nein, mit dem war ich nicht befreundet. – Ich lese das, was Gernot Erler zur Sicherheit sagt. Wir diskutieren nicht in allgemeinen Zeiten über unseren Vorschlag, sondern wir diskutieren in Zeiten, in denen eine tatsächliche, akute Kriegsgefahr vorhanden ist. Und dann muss man zu mutigen, neuen Schritten kommen. Ein mutiger, neuer Schritt wäre, die NATO aufzulösen und eben durch ein solches Sicherheitssystem zu ersetzen. Das ist das, was wir Linke wollen. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen Frieden in Europa und außerhalb Europas. Aber wir machen keinen Frieden mit der NATO. Wir waren NATO-Gegner und sind es geblieben. Das unterscheidet uns zum Beispiel von den Grünen. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen in der NATO-Politik eine Kurswende. Wir wollen heraus aus der Sackgasse, wir wollen heraus aus Konfrontation, und wir schlagen dem Bundestag vor: Überlegen Sie doch einmal, welche Alternativen Sie sehen, oder wollen Sie immer weiter in die Sackgasse rennen? (Henning Otte [CDU/CSU]: Welche Sackgasse denn?) Ich nenne Ihnen ein paar Gründe. Wir können heute das nachholen, was beim Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages versäumt wurde. Der Warschauer Pakt ist aufgelöst. Die NATO muss jetzt folgen. Lange Zeit galt die NATO in Deutschland – West – als ein Garant von Sicherheit. Das war im Kalten Krieg. Dieses Bild des Garanten für Sicherheit hat die NATO spätestens mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien verloren. Das war ein völkerrechtswidriger Krieg, und diesen Krieg verantwortet die NATO. (Beifall bei der LINKEN) 1999 änderte die NATO in Washington ihre Charta und definiert sich nicht mehr nur oder vorwiegend als Verteidigungsbündnis, sondern als Bündnis zur Durchsetzung der Interessen ihrer Mitgliedstaaten. Das ist offen und vielfältig, was Interessen angeht. Nur unter dem Vorwand, dass es ein Verteidigungsbündnis ist, durfte Deutschland überhaupt der NATO beitreten. Denn das Grundgesetz verbietet die Beteiligung an Angriffskriegen, stellt sie sogar unter Strafe. Wenn also aus einem Verteidigungsbündnis ein Angriffsbündnis geworden ist, darf Deutschland nicht mehr in der NATO verbleiben, sondern muss die NATO verlassen. Das ist eine Logik der Dinge. (Beifall bei der LINKEN) Wer heute Ja sagt zur NATO, zu NATO-Einsätzen, sagt Ja zu Kriegen und damit zu Handlungen, die außerhalb des Grundgesetzes stehen. Die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen, dass die Freiheit der Bündniswahl entscheidend ist. Wenn es eine Freiheit der Bündniswahl gibt, muss es auch eine Freiheit geben, die Bündnisse zu verlassen. Sonst hat das Erste keinen Sinn. (Henning Otte [CDU/CSU]: Will aber keiner!) Dazu berufen, das zu entscheiden, wäre der Bundestag. Denken Sie einmal darüber nach! Die NATO steht im Verdacht, an illegalen Putschen in Europa beteiligt gewesen zu sein. Auch das hat Menschen in Distanz zur NATO gebracht. Ich erinnere mit dem Stichwort „Gladio“ – der Geheimarmee der NATO – an Anschläge in Italien. Ich erinnere an die Aktion Prometheus, an den Obristenputsch in Griechenland. Ich erinnere an solche Einrichtungen wie Stay-behind, also an NATO-Geheimarmeen, deren Existenz oder Nichtexistenz nie offengelegt worden ist. NATO in den einzelnen Ländern bedeutet immer eine latente Putschgefahr. Die NATO verschlingt ungeheuer hohe finanzielle Mittel. 2015 zum Beispiel beliefen sich die kollektiven Ausgaben auf 905 Milliarden Dollar. Zur Beseitigung von Hunger und extremer Armut in der Welt wurden nur 39 Milliarden bis 54 Milliarden Dollar ausgegeben. Jetzt will die NATO mit der Forderung, dass jedes Land mit Ausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zur Finanzierung der NATO beitragen soll, in die Steuerkassen greifen. Was Deutschland angeht, entspricht dies einer Steigerung von 35 Milliarden auf 60 Milliarden Euro. Das ist unverantwortlich in einer Zeit, in der in der Welt Hunger, Armut, Vertreibung, Not und Elend herrschen. Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns das Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, gegen Not und gegen Armut einsetzen. Damit leisten wir mehr für den Frieden in der Welt, als wenn wir die NATO noch weiter aufrüsten. Keinen Frieden mit der NATO, das ist es, was wir rüberbringen wollen. Wir wollen die NATO ersetzen, und es wäre schön, wenn Sie mitmachen würden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Henning Otte. (Beifall bei der CDU/CSU) Henning Otte (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir eben aus diesem Hohen Hause von diesem Rednerpult gehört haben, greift die Fundamente unserer Republik an. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Es greift die Fundamente eines erfolgreichen Verteidigungsbündnisses an, und es greift vor allem die Stabilität und den Frieden in Europa und in Deutschland an. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Gehrcke will nur spielen!) Sie sind mit Ihrer Forderung, die NATO durch ein neues kollektives System zu ersetzen, gar nicht auf den Inhalt Ihres Antrags eingegangen, nämlich die deutschen Soldaten aus der Türkei abzuziehen und keine multinationalen Truppen im Baltikum zu stationieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie verhohnepipeln damit die Sorgen der baltischen Staaten, Sie spielen dem IS in die Hände. (Zurufe von der LINKEN) Ich kann Ihnen nur sagen: Sie bedienen ein ideologisches Kalkül, das nicht dadurch besser wird, dass Sie lauter werden. Das ist schon sehr verwunderlich nach der Regierungserklärung unserer Bundeskanzlerin mit einer großen Aussprache heute Morgen. Weil Sie kein Gehör finden, weil Sie die Menschen nicht überzeugen, kommen Sie jetzt mit einem neuen Antrag. (Zuruf von der LINKEN: Sind Sie im Kalten Krieg stehen geblieben?) Diesen lehnen wir vehement und aus Überzeugung ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es hätte mich gewundert, wenn Sie zustimmen würden! – Zuruf von der LINKEN: Kalter Krieger!) Würden wir Ihrem Antrag folgen, dann würden wir Instabilität erzeugen. Dahinter steckt offensichtlich ein Kalkül, das seinen Ausdruck auch darin findet, dass Sie ein zerrüttetes Verhältnis zu den Strukturen haben. Wir leben in einem wiedervereinigten Deutschland mit friedlichen Nachbarn. Deutschland geht es gut. All das wollen Sie in Zweifel ziehen, als sei es nicht gut für unser Land und unsere Bürgerinnen und Bürger. Auch heute Morgen war dies so, als Ihre Vorsitzende hier gesprochen hat. Im Grunde genommen bedienen Sie damit eine AfD-Klientel. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sonst fällt Ihnen ja nichts mehr ein!) Ich finde sowohl Ihre Zwischenrufe als auch das Lachen, das Sie offensichtlich auf Ihren Lippen tragen, der sicherheitspolitischen Lage und der Sorge der Menschen nicht angemessen. Die Bundeskanzlerin hat heute eine Regierungserklärung zum NATO-Gipfel abgegeben. Sie wollen die NATO ersetzen. Die NATO war eine wichtige Säule für die Wiedervereinigung Deutschlands und ein Pfeiler der Dialogbereitschaft. Die NATO-Russland-Grundakte war ein gutes Modell, ein gutes Medium, um miteinander die großen Probleme dieser Welt zu lösen. Leider ist diese NATO-Russland-Grundakte einseitig aufgekündigt worden durch die Annexion der Krim. Sie sagen kein einziges Wort zu einem Verstoß gegen das Völkerrecht. Fragen Sie doch einmal die Menschen in der Ukraine, in Polen oder im Baltikum, wie es ihnen geht. Ich kann nur ganz deutlich sagen: Nachdem man die Ukraine von russischer Seite aufgefordert hatte, das atomare Verteidigungsmedium abzuschaffen, hat man die Krim offensichtlich an sich gezogen. Wir glaubten, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man in Europa mit militärischen Mitteln Grenzen verschiebt. Insofern ist es gut, dass wir hier in Deutschland Verantwortung tragen. Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Otte, darf ich kurz unterbrechen? – Das ist eine lebhafte Debatte. Selbstverständlich besteht auch der Wunsch, Zwischenfragen zu stellen. Ich hätte aber die Bitte an diejenigen Kollegen, die den dringenden Wunsch verspüren, eine Zwischenfrage zu stellen, sich zunächst einmal mit ihrem jeweiligen Parlamentarischen Geschäftsführer oder Ihrer Geschäftsführerin ins Benehmen zu setzen und zu prüfen, ob sie diesen Wunsch weiterverfolgen wollen. Herr Kollege Otte, Sie haben das Wort. Henning Otte (CDU/CSU): Ich hätte ohnehin eine Frage nicht zugelassen, weil ich eben feststellen musste, dass Sie offensichtlich Ihrer Ideologie entsprechend eine Rede gehalten haben, die auf die Anträge, die Sie hier im Deutschen Bundestag gestellt haben, gar nicht mehr eingegangen ist, sondern ausschließlich Ihre Programmatik abgebildet hat. Ich komme zum zweiten Antrag, nämlich keine deutschen Soldaten nach Litauen zu verlegen. Es geht hier darum, dass die NATO eine Initiative ergreifen will, multinationale Kräfte in Litauen, in Estland, in Lettland und in Polen zu stationieren, um die Sorgen der Menschen im Baltikum aufzunehmen. Die Sorgen sind darauf begründet, dass an der Grenze massive Truppenbewegungen auf russischer Seite vollzogen werden. Wir alle haben ja das Kalkül der hybriden Kriegsführung in der Ukraine noch in den Ohren und im Sinn. Es geht ausschließlich darum, ein Bataillon zu stationieren, das rotiert und vom Personalumfang der NATO-Russland-Akte entspricht: zwei Kompanien multinational, eine Host-Nation-, also eine einheimische, Kompanie, eine Einsatzkompanie und eine Ausbildungskompanie. Ich kann nach den Erfahrungen, die wir als friedliche Völkergemeinschaft in der Ukraine machen mussten, nur sagen: Ich halte diese Sorgen für berechtigt, und ich halte es vor allem für verantwortungsvoll und auch notwendig, den baltischen Staaten beizustehen, aus der Überzeugung der Bündnisfähigkeit, auch aus den Erfahrungen Deutschlands, als wir uns Sorgen um unser Land machten, und auch aus Überzeugung für eine friedliebende Zukunft. Hier bin ich bei Ihrem dritten Antrag, den Sie offensichtlich vergessen hatten hier vorzutragen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, lesen!) Darin fordern Sie, wir sollen die deutschen Soldaten aus der Türkei abziehen. Wir machen uns Sorgen über die innenpolitische Lage in der Türkei. Wir sprechen mit Oppositionskräften. Aber ich sage auch ganz deutlich: Wir haben ein übergeordnetes Ziel, nämlich dass wir gemeinsam gegen den unbarmherzigen IS-Terror vorgehen und dass wir gemeinsam militärisch dafür sorgen, dass sich dieses menschenverachtende System dort nicht etabliert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Wir haben auch den Anspruch, meine Damen und Herren, dass wir als Parlament unsere Soldatinnen und Soldaten dort besuchen. Das werden wir Ende September, Anfang Oktober wahrnehmen. Wir sind vor allem unserer Ministerin dankbar, dass sie spontan und resolut unsere Soldatinnen und Soldaten besucht hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und Sie?) Wir wollen Stabilität und Sicherheit in Ländern erzeugen, damit sie selbst in die Lage versetzt werden, für Sicherheit zu sorgen, (Zurufe von der LINKEN) damit sich die Menschen nicht als Flüchtlinge aufmachen müssen, damit sich die Menschen nicht in die Hände von Schlepperbanden begeben. Deswegen ist es gut, dass die NATO einen Einsatz fährt, und zwar zwischen Griechenland und der Türkei, um die Schlepperstrukturen auffliegen zu lassen, um sie auch ein wenig zu zerstören, damit Menschen nicht getrieben werden, sich in illegale Schlepperhände zu begeben. Meine Damen und Herren, denken Sie immer auch an die Terrorangriffe in der Türkei. Wir stehen ein für Bündnisfähigkeit, für Verlässlichkeit, für Frieden und Freiheit und auch für Menschlichkeit. Deswegen lehnen wir all Ihre Anträge ab. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Niema Movassat [DIE LINKE]: Also so eine unseriöse Rede!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Herrn Gehrcke und Herrn Otte hier so zuhört: Ja, das ist ja so wie früher; das ist ja déjà vu. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt offensichtlich eine Nostalgie zur Linken wie zur Rechten in diesem Haus. Beginnen wir mit der Nostalgie der Linken: raus aus der NATO, rein ins Vergnügen – das ist so etwas von 80er, dass man dagegen eigentlich gar nichts mehr sagen kann. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sag doch einmal Deine Position! Alles vergessen? – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir sind überhaupt nicht nostalgisch!) Aber eines sollten Sie sich doch klarmachen: Ein Bündnis wie die NATO ist ein Mittel auch gegen nationale Alleingänge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Um es vielleicht Wolfgang-Gehrcke-gerecht zu formulieren – der erste NATO-Generalsekretär hat das Bündnis einmal so definiert –: to keep the Russians out, to keep the Americans in, and to keep the Germans down. – Wenigstens das Letzte solltest Du doch verstehen, Wolfgang. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Über das Letzte kann man sich ja einigen!) Es kommt eine andere Geschichte hinzu – hier gleichen sich die Brüder zur Linken und die schwarzen Brüder zur Rechten –, nämlich eine mehr oder weniger klammheimliche Gleichsetzung des heutigen Russlands mit der Sowjetunion. Ich finde, darüber sollte man noch einmal nachdenken. Die alte Sowjetunion hat in ihrem Herrschaftsbereich brutal mit Panzern jeden Versuch der Demokratie niederkartätscht. Aber sie hat nicht die Nachkriegsordnung nach Jalta infrage gestellt. Was hat Russland gemacht? Es verhält sich anders. Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Vorgehen in der Ostukraine die europäische Sicherheitsarchitektur nach 1990 infrage gestellt. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht, Herr Trittin! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Geschichtsklitterung!) Russland hat das infrage gestellt, was die Sowjetunion selber vereinbart hat, und hat die eigenen Prinzipien als Garantiemacht des Budapester Abkommens mit Füßen getreten. (Rainer Arnold [SPD]: Sehr richtig!) Das ist der Grund, warum wir heute über Rückversicherung reden müssen und auch dementsprechend handeln müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Henning Otte [CDU/CSU]: Da geben wir Ihnen recht! – Zuruf von der LINKEN: Jugoslawien-Krieg!) Dann gibt es auch die Nostalgie auf der anderen Seite. Morgen beginnt ja der NATO-Gipfel in Warschau. Wenn man sich anschaut, was da vorbereitet ist, dann sieht man: Da will man mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen. Herr Stoltenberg formuliert das so: „…wir bewegen uns von der Rückversicherung zur Abschreckung.“ Er hätte auch sagen können: Wir bewegen uns zurück in den Kalten Krieg. – Wolfgang Schäuble will, anders als der Außenminister, sogar zurück zum Harmel Report von 1967. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist so was von 60er; da würde ich Ihnen empfehlen: Schauen Sie sich noch mal Eins, Zwei, Drei von Billy Wilder an. Dann wissen Sie, in welcher Zeit Sie gelandet sind. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt werden Sie klischeehaft!) Zurück in den Kalten Krieg – das kann doch nicht ernsthaft die Lösung sein. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen gesagt, dass sie die 25 Milliarden Euro, die sie nicht für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellt, in die Nachrüstung stecken möchte. Gibt es eigentlich einen Nachrüstungsbedarf? Die NATO gibt für Verteidigungsaufgaben 900 Milliarden US-Dollar aus, die Russen 90 Milliarden. Die NATO-Staaten ohne die USA geben dreimal so viel aus wie Russland. Selbst wenn man die Kategorien des Kalten Krieges zugrunde legt, gibt es keinen Nachrüstungsbedarf. Aber es ist noch viel schlimmer: Das, was da jetzt passiert, geht an den aktuellen Herausforderungen vorbei. Panzer, Herr Otte, taugen nicht zur Bewältigung einer Situation der hybriden Kriegsführung. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Taugen sowieso nichts!) Staatszerfall bekämpft man doch nicht mit einer Raketenabwehr. Und Terroristen lassen sich übrigens nicht abschrecken, Selbstmordattentäter schon gar nicht. Das alles wird nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern nur zu höheren Geldausgaben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es droht eine Eskalationsspirale. Die NATO verspricht, sie wolle Stabilität. Aber das wird es mit einem Ansatz, der sich auf Abschreckung reduziert, nicht geben. Wir brauchen eine glaubwürdige Politik des Dialogs und der Entspannung. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Und das hat nichts mit Naivität zu tun. Gerade in schwierigen Zeiten ist Dialogfähigkeit die Grundvoraussetzung für eine kluge Interessenvertretung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das widerspricht dem doch nicht!) Insofern glaube ich, es wäre klug, an der NATO-Russland-Akte festzuhalten. Das hieße, bei allen Rückversicherungsmaßnahmen keine substanziellen Truppen in Osteuropa zu stationieren. Das ist bei unseren Bündnispartnern im Osten schwer umstritten. Das hieße zum Beispiel, den Einsatz des überflüssig gewordenen Raketenschilds zu stoppen. Das hieße zum Beispiel, sich klar dafür auszusprechen, keine Waffen in Krisenregionen, auch nicht in die Ukraine, zu schicken. Und es hieße, bereit zu sein, endlich die Zusagen in der Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen statt aufzurüsten. (Henning Otte [CDU/CSU]: Was sagen Sie den Peschmerga?) Das hieße, tatsächlich einen Schritt zu machen, um die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Es wäre klug, auch die konventionelle Rüstungskontrolle wiederzubeleben. Nur so, auf einer solchen Basis und im Bündnis der NATO, kann man tatsächlich Frieden und Sicherheit in Europa sichern. Alles andere ist Nostalgie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt habe ich das so verstanden, dass du uns zustimmst!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die SPD der Kollege Niels Annen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, es ist mir schwergefallen, aber ich habe mir Ihren Antrag mal genauer angeschaut. Vielleicht sollte man sich die Zeit nehmen, sich bei den ganzen Schaumschlägereien, die Sie hier veranstalten, einmal anzuschauen, was Sie wirklich aufgeschrieben haben. Sie schreiben – Zitat –: Der entspannungspolitische Aufbruch, der sich 1990 mit dem Ende der Systemkonfrontation … verband, ist vor allem durch das Agieren der NATO-Staaten und der NATO-Administration der globalen Restauration einer militärischen Logik gewichen. (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Das erinnert mich ein bisschen an Facebook-Posts, die man ab und zu auf seiner Seite findet. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Kluge Posts!) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, Sie verlieren kein einziges Wort darüber, wer das Völkerrecht und damit, wie Kollege Trittin zu Recht gesagt hat, die Nachkriegsordnung, auf die man sich ja auch vertraglich verständigt hat, infrage gestellt hat. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sie spinnen nur an einer Legende! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Was war denn 1990?) Sie wollen uns und der Öffentlichkeit mit Ihrem Antrag weismachen, dass es sozusagen umgekehrt war, dass es quasi die NATO gewesen sei, die für die gegenwärtigen Spannungen in Europa verantwortlich sei. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Weil das wirklich absurd ist, habe ich noch eine zweite Textstelle herausgesucht. Ich zitiere: Von Afghanistan über Irak bis Libyen und der Ukraine übte die kollektive militärische Logik der Kommandostruktur der NATO auf die Bundesrepublik Deutschland regelmäßig einen Druck in Richtung Krieg und militärische Eskalation aus und nicht etwa dem entgegen. Da fragt man sich – wobei ich, wenn ich mir Sie so anschaue, den Eindruck habe, Sie glauben das wirklich –: Was bitte schön ist eigentlich die NATO-Administration – das klingt ja so ein bisschen, als ob es in Brüssel so eine Art Weißes Haus geben würde –, die diesen Druck ausübt? Meine Damen und Herren, Sie müssen es nicht richtig finden, dass wir Mitglied dieses Bündnisses sind. Es hat inzwischen auch der Letzte in diesem Haus verstanden, dass Sie aus der NATO austreten und die Organisation auflösen wollen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Das können Sie jedes Mal wiederholen. Die Botschaft ist angekommen, aber die Mehrheit ist anderer Meinung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Trotzdem werden wir es immer wieder sagen!) Trotzdem, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Linken, müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen: Es gibt nicht die NATO. Die Mitgliedstaaten bilden die NATO. Es gibt einen demokratischen Willensbildungsprozess. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sagen Sie mal den USA!) Ich kann an dieser Stelle natürlich darauf hinweisen – das tue ich übrigens auch sehr gerne –, dass es genau über die Frage der Bewaffnung und der Zurverfügungstellung von Waffen für die ukrainische Armee einen Disput gegeben hat. Das ist übrigens ein Kennzeichen einer demokratischen Diskussionskultur in einem demokratischen Bündnis. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Sehr richtig!) Ich darf Ihnen ein Geheimnis verraten: Die Position der Bundesregierung, die von meiner Fraktion immer unterstützt worden ist, nämlich keine Waffen zu liefern, sondern auf einen politischen Prozess zu setzen – den Sie übrigens abgelehnt haben –, zu dem auch die Sanktionen gehören, hat sich innerhalb der NATO durchgesetzt. Das könnten Sie ja mal zur Kenntnis nehmen, haben Sie jedoch nicht getan. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man kann diese Debatte führen. Aber es wäre angemessen gewesen, wie ich finde, die Kräfte – unseren Außenminister und die Bundeskanzlerin, die ich ausdrücklich einschließe –, die sich für die diplomatische Lösung starkgemacht haben, zu unterstützen, statt der gesamten Bundesregierung Kriegstreiberei vorzuwerfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Fraktion, die SPD-Fraktion, hat am Dienstag ein Positionspapier beschlossen, in dem wir den Grundsatz von Rückversicherung, auch Abschreckung, aber auch Dialog betonen. Das sind die Grundelemente der Politik in der NATO. Es ist richtig, dass es im Bündnis sehr unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen gibt. Die muss man nicht immer teilen. Ich halte vieles von dem, was von meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen aus dem Baltikum, manchmal auch in NATO-Foren, wahrscheinlich auch in wenigen Stunden in Warschau gesagt wird, nicht immer für plausibel. Aber klar ist doch: Auch unsere Sicherheit ist durch die Solidarität dieses Bündnisses mit garantiert worden. Das bedeutet doch: Wir müssen eine Haltung entwickeln, Sorgen und Ängste, die ja begründet sind, ernst zu nehmen, sonst wird das gesamte Bündnis nicht funktionieren. Deswegen bekennen wir uns zur Rückversicherung, aber eben auch zu dem Dialogelement; darüber haben wir heute Morgen anlässlich der Regierungserklärung ja schon diskutiert. Angesichts dessen, was Sie hier vortragen, ist es, wie ich finde, schon der richtige Ort, um darauf hinzuweisen: Sie haben die Dimension dessen, was die russische Politik in den letzten Monaten und Jahren vorangetrieben hat, mit keinem Wort erwähnt, weder in Ihrem Papier noch in Ihren Debattenbeiträgen. Die Mobilisierungsfähigkeit der russischen Armee, etwa die Fähigkeit zur schnellen Verlegung von 30 000 bis 40 000 Soldaten an die Grenze der Ukraine, und Alarmübungen der russischen Armee mit bis zu 100 000 Soldaten (Henning Otte [CDU/CSU]: Unangemeldet!) haben Sie mit keinem Wort erwähnt. Das finde ich hochinteressant für eine linke Partei. Auch das, was wir inzwischen hybride Fähigkeiten nennen, inklusive der Einmischung in einen Fall, den wir alle als den Fall des Mädchens Lisa kennen, wird von Ihnen mit keinem Wort erwähnt. Auch die Unterstützung von rechtspopulistischen, antieuropäischen und antidemokratischen Parteien und Bewegungen findet keine Erwähnung. Deswegen frage ich mich, ob wir hier letztendlich noch auf einer rationalen Ebene diskutieren oder nicht. Ich bin übrigens nach wie vor der festen Überzeugung, dass die NATO, auch wenn nicht alles, was die NATO in den letzten Jahren an Strategien formuliert und an Politik gemacht hat, immer zutreffend war, das einzige Bündnis ist, das nicht nur unsere Sicherheit gewährleistet, sondern es uns auch möglich macht, in einem demokratischen Staatenbund unsere Interessen zu vertreten, ohne dass die alten Ängste und Sorgen vor deutscher Macht oder Übermacht in Europa wieder latent artikuliert werden. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Das ist historisch wichtig!) Deswegen ist die NATO am Ende auch ein Friedensprojekt. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das, Herr Gehrcke, haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen da drüben noch nie verstanden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Ingo Gädechens spricht als Nächster für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingo Gädechens (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Niels Annen, das ist in der Tat keine rationale Ebene, auf der wir hier diskutieren. Wenn man sich die Mühe macht und sich die Anträge gründlich durchliest – ich vermute, die Kolleginnen und Kollegen von der Linken haben das nicht getan –, stellt man fest, dass es sich wahrlich um keine rationale Ebene handelt. Vielmehr drängt sich mir mehr und mehr der Eindruck auf, dass zum wiederholten Male diese Anträge nur in die linke Fraktion, in das linke Wählerklientel hineinwirken sollen. Sie von der Linken merken ja, dass es hier keine demokratisch legitimierte Mehrheit für Ihre Anträge gibt, und das wird hoffentlich auch in Zukunft so bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich sieht sinnvolle Oppositionsarbeit wahrlich anders aus. Aber gut, die Fraktion Die Linke möchte darüber diskutieren, dass Bundeswehreinheiten nicht ins Baltikum verlegt werden. Darüber hinaus möchte diese Fraktion einsam und allein so ganz nebenbei die NATO auflösen. Man könnte über diese Anträge schmunzeln, wenn es nicht so traurig wäre. (Henning Otte [CDU/CSU]: Aber wirklich!) Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik ist seit jeher eingebettet in ein System kollektiver Sicherheit. Wir agieren nie alleine, sondern immer im Einklang mit unseren Partnern. Wir organisieren unsere Sicherheit in einem gewachsenen Vertrauensverhältnis mit unseren Verbündeten in Europa und im transatlantischen Bündnis. Dieses Bündnis, welches Sie auflösen möchten, ist viel mehr als eine reine militärische Partnerschaft. Es ist eine Wertegemeinschaft, ein Pakt freier Staaten, von Demokratien, die an Rechtsstaatlichkeit und die Unverletzlichkeit der Grenzen souveräner Staaten glauben. (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ich sage nur Türkei! Tolle Demokratie! Sagen Sie mal was zur Türkei!) Anhand dieser Beschreibung sollte es Ihnen einleuchten, dass mit einem wie auch immer gearteten Bündnis mit einem Staat, der sich um diese Prinzipien nicht schert, kein System kollektiver Sicherheit aufgebaut werden kann. (Zuruf der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Ich glaube, jeder hier im Plenum – das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner deutlich gemacht – würde sich eine Entspannung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen wünschen. Eine Partnerschaft mit Russland und ein konstruktives Verhältnis sind wichtiger denn je. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Ball liegt aber im Feld der Russen und nicht auf unserer Seite. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Immer falsch!) Wir können und werden unsere Prinzipien nicht über Bord werfen. Ich kann daher die Russland- und Putin-Versteher in der Fraktion Die Linke nicht verstehen. Sie sollten mal ihre sehr selektive Wahrnehmung dessen, was gerade in Osteuropa vonstattengeht, ernsthaft überprüfen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und das, was in der Türkei vonstattengeht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, was mich an diesen Anträgen richtig ärgert, ist, wie hier ideologisch verbrämt Fakten und Tatsachen nach Belieben verdreht werden, und zwar so lange, bis es endlich in Ihre linke Weltanschauung passt. Die in Ihren Anträgen formulierten einseitigen Behauptungen sind so abenteuerlich und grotesk, dass dies nicht nur eine Beleidigung für das deutsche Parlament darstellt, sondern auch für die deutschen Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst für unser Land und damit auch für Sie verrichten, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Man muss schon sehr in seinem eigenen ideologischen Saft schmoren, um auf solch abstruse Ideen zu kommen, dass man der NATO und der Bundeswehr unterstellt, sie seien an allem Grundübel der Welt schuld, würden Völkerrecht brechen und für eine Eskalation in Osteuropa sorgen. (Zuruf von der LINKEN: Tun sie doch!) Genauso abwegig sind Ihre daraus abgeleiteten Forderungen, die nichts anderes bedeuten, als einseitig die NATO zu verlassen. Es ist aus gutem Grund – auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte – deutsche Staatsräson, keine Sonderwege zu beschreiten. Wir agieren nicht allein – ich sage es noch einmal –, sondern stets mit unseren Verbündeten, mit unseren Partnern in einem Bündnis. In einem Bündnis hat man nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Die Linke scheint das allerdings nicht zu begreifen. Meine Damen und Herren, wie eingangs gesagt, halte ich diese Debatte zu den Anträgen der Linken für überflüssig und für eine Verschwendung wertvoller Debattenzeit. Es ist nicht an der Union, den ideologisch aufgeladenen Abgeordneten der Linken im Plenum Nachhilfe in Außen- und Sicherheitspolitik zu geben. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber wir sind dafür immer dankbar!) Ich würde es ja tun, wenn ich die Hoffnung hätte, dass gute Argumente bei Ihnen auf fruchtbaren Boden fielen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Dann müssen Sie mal kommen! Wir warten darauf!) Bei Ihnen sehe ich sicherheits- und außenpolitisch nur Wüste; da wächst kein vernünftiges Pflänzchen. In diesem Sinne werden wir die Anträge auch ablehnen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist Kollege Fritz Felgentreu von der SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Diskussionen über die Rolle der NATO im Baltikum höre ich oft die Frage – ich glaube, bei der Aussprache zur Regierungserklärung heute Morgen hat sie auch Frau Wagenknecht gestellt –: Glauben Sie denn ernsthaft, dass Russland die NATO angreifen will? Diese Frage beruht auf einem großen Missverständnis; denn seriöse Verteidigungspolitik – im Unterschied auch zur Außenpolitik – fragt erst einmal nicht nach Absichten. Absichten können sich ändern. Verteidigungspolitik fragt vielmehr nach Fähigkeiten. Es sind die Fähigkeiten, anhand derer wir potenzielle Bedrohungen abschätzen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es wird nach beidem gefragt!) Wenn wir deshalb fragen „Müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Russland das Baltikum angreifen kann?“, müssen wir die Antwort geben: Ja, so ist es. Die Armee der Russländischen Föderation hat mehrfach in großen Manövern geübt, Truppen mit einer Stärke von bis zu 100 000 Soldaten schnell zum Einsatz zu bringen, und sie hat das auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu Litauen getan. Und Russland hat in der Ukraine gezeigt, dass es bereit ist, militärische Gewalt einzusetzen, um seine politischen Ziele zu erreichen, auch unter Verletzung von Verträgen, die es selber unterzeichnet hat. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Das sind schlichte Tatsachen, Tatsachen, die dazu führen, dass wir die militärische Bedrohung des Baltikums heute seriöserweise anders beurteilen müssen als vor fünf Jahren. Die NATO hat auf diese veränderte Bedrohung maßvoll, aber entschieden reagiert. Sie hat die sogenannte Speerspitze (Zuruf von der LINKEN: Speerspitze!) aufgebaut, eine schnell über weite Strecken verlegbare Kampfeinheit von 5 000 Mann. Sie führt Manöver durch, um die Einsatzbereitschaft der Bündnisarmeen zu verbessern, und sie wird auf dem Warschauer Gipfel beschließen, dass NATO-Truppen in der Stärke von 4 Bataillonen, also etwa 4 000 Soldaten rotierend – also keines davon dauerhaft –, im Baltikum Präsenz zeigen werden. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist doch ein Trick!) Diese Maßnahmen verletzen nicht den Grundlagenvertrag, der die Beziehungen der NATO zu Russland definiert. (Zuruf von der LINKEN: Allerdings!) In ihrem Gesamtumfang entsprechen sie noch nicht einmal ansatzweise der Truppenstärke und der Kampfkraft der Russländischen Armee in der Region. Aber zugleich lassen sie keine Zweifel mehr daran zu, dass ein Angriff auf das Baltikum auch ein Angriff auf das ganze Bündnis wäre. So erfüllen sie ihren verteidigungspolitischen Zweck, nämlich Rückversicherung der Bündnispartner und Abschreckung einer potenziellen Bedrohung. Ist das jetzt eine Eskalation, wie die Linke in ihrem Antrag schreibt? Jedenfalls ist es aus verteidigungspolitischer Sicht das Minimum dessen, was nötig ist, damit in einer gefährlicher gewordenen Welt die Menschen im Baltikum darauf vertrauen können, dass ihr Bündnis sie auch wirklich schützt. Die Linke fordert nun, dass sich Deutschland an dieser Gemeinschaftsaufgabe nicht beteiligen soll. Ihr Hauptargument in der Begründung ihres Antrags ist die historische Verantwortung Deutschlands für den Überfall auf die Sowjetunion vor 75 Jahren. (Zuruf von der LINKEN: Auch!) Meine Damen und Herren, ich kann die Forderung, dass wir sensibel mit der historischen Erfahrung der ehemaligen Sowjetunion umgehen, durchaus nachvollziehen. Wer Russland kennt, weiß, wie viel Raum die Erinnerung an den sogenannten Großen Vaterländischen Krieg in den Herzen der Menschen einnimmt. Auch deshalb hat die SPD-Fraktion die Bundesregierung immer darin unterstützt, am NATO-Russland-Grundlagenvertrag festzuhalten. Wir haben eine klare Haltung gegenüber der aggressiven Politik Moskaus einerseits, aber wir wollen diese klare Haltung auch immer mit der Suche nach Dialog, Vertrauensbildung und Abrüstung verbinden. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Krieg fand auf russischem, ukrainischem und belarussischem Boden statt!) Es stimmt doch, liebe Genossinnen und Genossen – – Liebe Kolleginnen und Kollegen – jetzt ist die Parteitagsrhetorik mit mir durchgegangen –, es stimmt doch, die Menschen in Russland, Weißrussland und der Ukraine sind von ihren historischen Erfahrungen geprägt. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Aber das Gleiche gilt doch auch für die Menschen in Polen, Litauen, Lettland und Estland. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, klar!) Die Menschen dort haben auch die Vorgeschichte des Überfalls auf die Sowjetunion nicht vergessen. Sie erinnern sich nur zu gut an den Hitler-Stalin-Pakt, mit dem Deutschland ihre Großeltern und Urgroßeltern 1939 dem sowjetischen Imperialismus ausgeliefert hat. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Nichts beunruhigt die Menschen dort mehr als die Vorstellung, dass sich Deutschland und Russland über ihre Köpfe hinweg die Hände reichen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sensibel mit diesen historischen Erfahrungen umzugehen, bedeutet deshalb auch, die Sorgen der kleineren Länder ernst zu nehmen, über deren Interessen wir uns im letzten Jahrhundert brutal und kaltschnäuzig hinweggesetzt haben. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Deswegen müssen wir aber keine Truppen schicken!) Dazu sind wir Deutschen umso mehr verpflichtet, weil wir heute mit ihnen verbündet sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Nicht nur aus verteidigungspolitischer Vernunft, sondern auch aus historischer Verantwortung ist es richtig, dass sich Deutschland an den geplanten Maßnahmen der NATO beteiligt. Zur guten Tradition deutscher Ostpolitik gehörte neben Dialog und Vertrauensbildung auch immer das unverrückbare Bekenntnis zum westlichen Bündnis. Die Bundesrepublik hat deutschen Sonderwegen ein für alle Mal abgeschworen. Dabei soll es auch bleiben. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Schlussredner in dieser Aussprache ist der Kollege Wilfried Lorenz für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Das, was ich zu den Anträgen zu sagen haben, kann ich – ich muss ehrlich sagen, dass ich da immer noch ein bisschen unter dem Eindruck der Rede der Fraktionsvorsitzenden der Linken stehe – (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Kann nie schaden!) eigentlich relativ schnell zusammenfassen. Insofern nur so viel zu den Anträgen: An Absurdität sind diese Texte, die in einer langen Reihe unsäglicher Elaborate stehen, kaum noch zu überbieten. Das Gleiche gilt auch für die heutige Rede der Fraktionsvorsitzenden der Linken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Arnold [SPD]) Was hat die Linke nicht schon alles gefordert? Ablehnung von Einsätzen generell – diese werden jetzt zum Teil sogar gerichtlich angefochten –, dann die Abschaffung der Bundeswehr und jetzt noch die Abschaffung der NATO. Als ob man ein Wertebündnis, in dem sich Staaten für Frieden, Freiheit und Demokratie zusammengeschlossen haben, so einfach wegwischen könnte. (Henning Otte [CDU/CSU]: Wahnsinn!) Die NATO ist eben mehr als nur ein Verteidigungsbündnis! Kann man eigentlich weiter entfernt sein von der Realität als die Autoren dieser drei Anträge, weiter entfernt sein von den immer komplexeren sicherheitspolitischen Bedrohungen, denen sich die internationale Staatengemeinschaft insgesamt und damit auch Deutschland stellen muss? Die Antwort ist für uns ziemlich klar: Natürlich nein. Politik beginnt nun einmal mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Davon sind Sie, Kolleginnen und Kollegen der Linken, Lichtjahre entfernt. Wo stehen wir wirklich? Wir haben es in Mittel- und Osteuropa mit einer konkreten Gefährdungslage zu tun, die viele in ihrer Dimension an Zeiten des letzten Jahrhunderts erinnert. Zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation – auch daran darf man einmal erinnern – kam es im europäischen Raum nicht zu militärischen Auseinandersetzungen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, Gott sei Dank! Hätten wir nicht überlebt!) Glaubwürdige Abschreckung und das Gleichgewicht der Kräfte taten ihre Wirkung. Heute werden Grenzen verletzt und Souveränitätsfragen einfach beiseitegeschoben. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Da ist die NATO beispielgebend!) Russland hat sich völkerrechtswidrig der Krim bemächtigt und eine Maschinerie hybrider Kriegsführung in noch nie dagewesenem Ausmaß in Gang gesetzt. Der Machtanspruch des Kreml, bemäntelt als Schutzanspruch, der sich auf alle russischen Landsleute über das Baltikum hinaus bis hin zu deutschstämmigen Aussiedlern bei uns erstreckt, ist noch wesentlich weniger hinzunehmen; denn dieser Anspruch birgt weiteres Gefahrenpotenzial. Bei meiner Reise nach Litauen vor nicht allzu langer Zeit, im Juni, konnte ich mich selbst davon überzeugen, dass sich die Menschen vor Ort massiv bedroht fühlen. Sie haben mit Blick auf die Grenze zu Kaliningrad auch allen Grund dazu. Es wird ja oft gesagt, Litauen habe keine Grenze zu Russland. Das mag zwar auf den südlichen Teil zutreffen, aber es hat eine Grenze zu Kaliningrad. Dazu Folgendes: Erstens. Dort befindet sich das größte russische Militärlager, und auf dem Luft- und Seeweg kann Russland in kürzester Zeit einen Personalaufwuchs durchführen, und dies wird auch permanent geübt. Zweitens. Der Kreml hat in Kaliningrad schon vor zwei Jahren mittelstreckenfähige Iskander-Raketen stationiert. Das ist, wie wir finden, ein eindeutig aggressiver Akt, der dem INF-Vertrag zuwiderlaufen dürfte. Drittens. Moskau führt – das ist schon gesagt worden – großflächig angelegte Manöver an der russischen Westgrenze durch und meldet diese nicht, wie vertraglich geregelt, bei der OSZE an. Das heißt, nicht Deutschland und nicht die NATO sind Aggressoren, von denen eine Bedrohung ausgeht. Ich finde, die chronische Wirklichkeitsverquasung bei den Kollegen der Linken ist einfach erschreckend. Die baltischen Staaten, Polen, Rumänien und Bulgarien haben sich wegen der Erfahrungen zu Sowjetzeiten freiwillig der NATO angeschlossen. Jetzt vertrauen diese Länder natürlich auf ihre Partner in der Allianz, so wie sich die Bundesrepublik Deutschland, wir also, seit Jahrzehnten auf die NATO verlassen konnte – mit all den Vorteilen, die wir haben: Frieden, Freiheit, Wohlstand. Auch souveräne Staaten wie Litauen, die dem NATO-Bündnis beigetreten sind, haben natürlich das Recht, den Schutz ihrer Partner zu erbitten. Warum sollte gerade Deutschland als Bündnispartner nicht helfen, wenn wir darum gebeten werden? Dazu sind wir, nebenbei bemerkt, gemäß dem NATO-Vertrag verpflichtet, aber wir sind aufgrund unserer eigenen Geschichte auch moralisch dazu verpflichtet. Die gleiche Bündnistreue lässt Deutschland auch der Türkei zuteilwerden. Der Warschauer Gipfel wird am Wochenende die rotierende Aufstellung multinationaler Bataillone in Estland, Litauen, Lettland und Polen beschließen. Diese verstärkte Präsenz des Bündnisses haben die genannten Staaten seit langem und mit immer deutlicherem Nachdruck eingefordert. Kollegen der Linken, finden Sie sich endlich mit den Realitäten ab (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nein, mit diesen nie!) – Sie urteilen ja schon, bevor Sie zugehört haben; das ist eine neue Logik bei Ihnen –: (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erstens. Die Bundeswehr ist fest verankert in unserer Gesellschaft. Zweitens. Die Soldatinnen und Soldaten und die Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der Bündnisse und nicht zuletzt gegen den IS-Terror finden breite Unterstützung in der deutschen Bevölkerung. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Eben nicht!) Drittens. Die Menschen haben erkannt, wie ernst die Lage ist. Nur zur Erinnerung sei einfach einmal gesagt: Seit 26 Jahren ist Deutschland wiedervereint. Die DDR existiert nicht mehr. Es gibt kein kapitalistisches System, das Sie unterwandern müssten, geschweige könnten; denn die große Mehrheit der Deutschen denkt und wählt freiheitlich-demokratisch. Was Sie hingegen fordern, bringt unserem Land nur Unsicherheit, nämlich die Auflösung der Strukturen, die die Sicherheit Deutschlands schon viele Jahre zuverlässig garantiert haben. Ich komme zum Schluss: Solange Aggressoren nur durch glaubwürdige Abschreckung in ihrem Expansionsdrang gestoppt werden können, brauchen wir die NATO in der jetzigen Form. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Lorenz, denken Sie an die vereinbarte Redezeit. Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Ja. – Herr Gehrcke, jetzt auch an Sie persönlich: Erst wenn wir in einer Welt leben, in der es keine völkerrechtswidrigen Annexionen wie die der Krim mehr gibt und niemand mehr mit Waffen oder Terror Staaten bedroht und Menschen nach dem Leben trachtet, brauchen wir keine Verteidigungsbündnisse mehr. So und nicht anders sind die Zusammenhänge. Mehr gibt es zu Ihren absurden Anträgen eigentlich nicht zu sagen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das gibt mir Hoffnung!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8656 mit dem Titel „Die NATO durch ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands ersetzen“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Verlegung von Bundeswehr-Einheiten nach Litauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8733, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8608 abzulehnen. Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 4. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9028 mit dem Titel „Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der Türkei“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und mit einer Stimme von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei sonstiger Enthaltung der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates Drucksache 18/4613 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/9095 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz-Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland Drucksache 18/3256 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/9077 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch sehe ich keinen. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Matthias Bartke für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Menschenhandel gilt als eine der schwersten Straftaten weltweit, als schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte, moderne Form der Sklaverei und äußerst gewinnbringendes Geschäft der organisierten Kriminalität. So steht es wortwörtlich im Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Bekämpfung von Menschenhandel. Dieser Satz beschreibt, weshalb wir dem Menschenhandel ohne Wenn und Aber einen Riegel vorschieben müssen. In der EU-Richtlinie von 2011 heißt es daher auch: Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels ist für die Union und die Mitgliedstaaten ein vorrangiges Ziel. Der Handlungsauftrag war damit eigentlich klar definiert – eigentlich. Denn die Richtlinie hätte bereits bis April 2013 umgesetzt werden müssen. Unsere Vorgängerregierung hat das aber nicht hinbekommen. Um es klar zu sagen: Schwarz-Gelb hat an dieser Stelle deutlich versagt. Die damalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger schlug auf den letzten Metern ihrer Amtszeit kleine Änderungen im Strafrecht vor. Ein paar Worte raus, ein paar dazu. Der Gesetzentwurf war in der Folge völlig unzureichend, um den Menschenhandel einzudämmen und Zwangsprostitution zu bekämpfen. Aus gutem Grund haben damals die rot-grün regierten Länder den Vermittlungsausschuss angerufen. Weil aber alles so kurz vor knapp war, konnte der Vermittlungsausschuss nicht mehr zusammentreten, und das Gesetz war in der Folge gescheitert. Deutschland ist nun also das letzte Land in der Europäischen Union, das die Richtlinie nicht umgesetzt hat. Ich glaube, wir können alle froh sein, dass wir diese blamable Situation nun hinter uns lassen. (Beifall bei der SPD) Die Richtlinienumsetzung ist dringend notwendig und überfällig. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht dafür vor allem die Erweiterung der Zwecke des Menschenhandels vor. Aufgenommen wurden Betteltätigkeiten und strafbare Handlungen des Opfers sowie auch die Organentnahme bei Opfern. Diese Änderungen reichen aber nicht aus, um den Menschenhandel erfolgreich zu bekämpfen. Das wurde bereits in der Anhörung in der vergangenen Legislaturperiode deutlich. Es war damals der Sachverständige Kriminalkommissar Sporer, der sich in die Rolle eines Unternehmensberaters hineinversetzte. Als solcher, sagte er, würde er einem Straftäter mit viel Geld keinesfalls zu Waffen- oder Drogenhandel raten. Das sei viel zu gefährlich. Stattdessen würde er empfehlen, in den Menschenhandel einzusteigen. Hier gebe es die geringsten Risiken, erwischt zu werden. Grund für diese zynische Einschätzung sind unsere derzeit immer noch stumpfen Gesetze, die nur schwer anwendbar sind. Bisher kann Menschenhandel fast nur dann nachgewiesen werden, wenn das Opfer eine Aussage macht. Daran ändert sich nichts, nur weil der Anwendungsbereich in Bezug auf die Zwecke des Menschenhandels geändert wird. Wir haben uns daher in der Großen Koalition mit einem Änderungsantrag auf eine grundlegende Reform geeinigt, an der wir lange gefeilt haben. Es ist eine Reform, die den Bedenken aus der Praxis Rechnung trägt. Die erdrückende Bedeutung der Opferaussage haben wir abgemildert. Der strafrechtliche Schutz vor sexueller Ausbeutung und vor Arbeitsausbeutung wird in Zukunft auf die Ausbeutung als solche fokussiert werden. Damit steht die Willensbeeinflussung des Opfers endlich nicht mehr im Mittelpunkt des Strafverfahrens. Daneben war es uns wichtig, die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus zu rücken. Wenn wir von Menschenhandel sprechen, dann fallen uns meist Frauen ein: Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden. Es gibt aber auch Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung. Uns sind Fälle aus der Landwirtschaft, der Gastronomie, dem Bau und der Fleischverarbeitung bekannt. Das BKA geht hier von einem richtig großen Dunkelfeld aus. Im Kampf gegen die Zwangsprostitution haben wir uns außerdem auf eine Freierstrafbarkeit geeinigt. Künftig macht sich ein Freier strafbar, wenn er erkennt, dass er die Dienste einer Zwangsprostituierten in Anspruch nimmt. Das ist vielleicht nicht immer offensichtlich. Es gibt jedoch genug Hinweise, die freiwillige Prostitution geradezu ausschließen. Dazu gehören zum Beispiel Verletzungen oder ein stark eingeschüchterter Zustand des Opfers. Meine Damen und Herren, keiner soll mehr die Augen verschließen dürfen, wenn klare Anzeichen von Zwangsprostitution offenkundig sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Im Nachgang zur Anhörung haben wir an unserem Antrag noch Änderungen vorgenommen. Dazu gehört die Klarstellung, dass auch die sogenannten Loverboy-Fälle von den Straftatbeständen Menschenhandel und Zwangsprostitution erfasst werden. Loverboys machen Frauen verliebt und spielen ihnen eine gemeinsame Zukunft vor. Ursprünglich kommt der Begriff daher, dass man Schulmädchen heimlich in die Prostitution schickte. Das funktioniert aber auch bei über 21-Jährigen. Denn auch die wollen sich verlieben und träumen von einer gemeinsamen Zukunft, erst recht, wenn sie aus einem armen Land kommen. Sie sind dann bereit, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun würden. Die Gefühle von Frauen werden hier rücksichtslos für Straftaten ausgenutzt. Umso wichtiger ist es, dass wir nun auch diese Fälle erfasst haben. Meine Damen und Herren, wir haben heute schon das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung und auch das Prostituiertenschutzgesetz beschlossen. Insgesamt bringen wir damit drei Gesetze auf den Weg, die vor allem für Frauen mehr Schutz und mehr Selbstbestimmung ermöglichen. Diese drei Gesetze zeigen eines deutlich: Die Große Koalition ist handlungsfähig, und sie löst die Probleme unseres Landes. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollte man fortsetzen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Ulla Jelpke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich sind wir uns einig, was den Kampf gegen den Menschenhandel angeht: Es sind schwere Verbrechen von Ausbeutung bis zur Zwangsprostitution. Das muss bekämpft werden. Aber das reicht nicht aus. Wer Menschenhandel wirklich bekämpfen will, muss unbedingt den Opfern mehr Schutz geben. Sie haben leider versäumt, in Ihrem Gesetzentwurf diesen Schutz festzuschreiben. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen von Menschenhandel, und zwar vor allem in Deutschland. Das muss man sich einmal vorstellen: Menschen werden illegal nach Deutschland gelockt und zum Beispiel in der Gastronomie, auf dem Bau, in der Pflege oder auch als Reinigungskräfte oft massiv ausgebeutet. Junge Frauen, aber auch Männer werden der Zwangsprostitution zugeführt. Wir sprechen hier von modernen Formen von Sklaverei; anders kann man das wirklich nicht nennen. Wir haben eben schon gehört, dass die Dunkelziffer in der Tat sehr hoch ist. Das BKA geht gegenwärtig davon aus, dass wir allein in Deutschland etwa 14 000 Betroffene haben. Aber die Aufklärung dieser Verbrechen ist äußerst schwierig. Das BKA selbst sagt, dass es gerade einmal in 400 Fällen ermittelt. Das heißt noch lange nicht, dass es zu einer Verurteilung kommt. Auch hier ist die Dunkelziffer wieder sehr hoch. Wir denken: Wenn man wirklich will, dass die Opfer bereit sind, Aussagen vor Gericht oder bei der Polizei zu machen, dann brauchen sie auch einen entsprechenden Schutz. Das bedeutet, sie müssen zum Beispiel ein Bleiberecht haben, damit sie das Gefühl haben, dass sie bleiben können, und damit sie keine Angst haben müssen, abgeschoben zu werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn viele Opfer, die hier sind, sind häufig von ihren Peinigern zu Straftaten verleitet worden oder haben diese begehen müssen, und viele Opfer haben einfach Angst, auszusagen, auch weil ihre Peiniger ihnen drohen, dass entweder ihnen oder ihren Familien in ihren Herkunftsländern Gewalt angetan wird. Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Vorschrift, damit diesen Opfern geholfen wird. Es ist wirklich beschämend, meine Damen und Herren – das sage ich besonders in Richtung der SPD –, dass Sie das nicht fertiggebracht haben. Immerhin haben die Grünen einen sehr guten Gesetzentwurf vorgelegt, den wir auch unterstützen werden. (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man hätte endlich einmal die Chance ergreifen müssen, den Opferschutz festzuschreiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit komme ich noch einmal zu dem Kollegen Bartke. Sie haben sich ja so schön auf die EU-Richtlinie und die Europaratskonvention bezogen. Ja, in der Tat haben Sie hier gerade nicht das umgesetzt, was diese Richtlinie bzw. Konvention vorschreibt. Die Richtlinie schreibt verbindlich vor, dass es einen Schutzstandard unabhängig davon geben muss, ob ein Opfer bereit ist, vor Gericht auszusagen. Wo steht das in Ihrem Gesetzentwurf? Es ist einfach nicht zu finden. Wenn wir erreichen wollen, dass Betroffene Aussagen machen, dann brauchen wir Schutzmaßnahmen. Man muss bei ihnen das Vertrauen wecken, dass sie hier keine Verschlechterung ihrer Situation, Abschiebung oder Ähnliches zu erwarten haben. Die Entschädigungsleistungen fehlen meines Erachtens auch. Auch das schreibt die EU-Richtlinie fest und sagt ganz deutlich, dass wir Maßnahmen in Sachen Entschädigung brauchen. Ein weiterer Punkt, der ebenfalls fehlt, ist eine unabhängige Berichterstatterstelle. Nicht einmal diese ist eingerichtet worden; nicht einmal das steht im Gesetz. Ich finde, es ist ein Armutszeugnis vor dem Hintergrund, wie Sie dieses Gesetz hochloben; denn es kann keine Frage sein, dass für Organhandel – diesen haben Sie jetzt einbezogen –, Zwangsbettelei und ähnliche Dinge Strafverfolgungsmaßnahmen notwendig sind. Aber wenn man die Strafen immer höher ansetzt und nichts für die Opfer tut, dann wird man meiner Meinung nach auch mit diesem Gesetz den Menschenhandel nicht wirklich bekämpfen können. Deshalb wird die Linke auf jeden Fall diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Zum Schluss möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen: Erst wenn die Betroffenen wirklich vor ihren Peinigern sicher sind und den notwendigen Schutz bekommen, wird man auch den Menschenhandel besser bekämpfen können. Denn ich bin mir ganz sicher: Mit höheren Strafen werden wir das niemals erreichen, sondern nur dann, wenn wir wirklich Rücksicht auf die Opfer nehmen, und das leistet das Gesetz leider nicht. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Dr. Silke Launert spricht jetzt für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie sich ein junges rumänisches Mädchen vor, irgendwo zwischen Bukarest und absoluter Perspektivlosigkeit. Sie ist kaum 20 Jahre alt, ohne Geld, ohne Job und möglicherweise sogar ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Eines Tages trifft sie auf einen jungen Mann. Er erzählt ihr von einem besseren Leben in Deutschland. Er hat ein Smartphone bei sich und zeigt ihr Bilder und Videos. Die junge Frau sieht schöne, saubere Straßen, hübsche Reihenhäuschen, volle Supermärkte, viele schöne Geschäfte mit Kleidern und Schmuck. Vielleicht hat er ihr sogar ein Geschenk mitgebracht. Er sagt, das Glück sei zum Greifen nah; sie müsse doch nur ein bisschen mutig sein und ihm vertrauen; er könne ihr Arbeit in einem Restaurant besorgen, und gemeinsam könne man ein neues Leben aufbauen. Es dauert nicht lange, und das Mädchen wird mutig. Sie verlässt ihre Heimat und folgt dem jungen Mann nach Deutschland. Zum bösen Erwachen kommt es dann, wenn sie sich in irgendeinem Bordell oder vielleicht hier in Berlin auf der Kurfürstenstraße wiederfindet. Ja, auch dort wird sie bedienen müssen, aber nicht Gäste im Restaurant, sondern 25 bis 40 Freier täglich. Ruhepausen oder Sonntage gibt es für sie nicht, auch dann nicht, wenn sie schwanger oder einfach nur krank ist. Diesen soeben beschriebenen Fall können Sie nun in verschiedenen Variationen abwandeln. Nehmen wir statt des Mädchens einen jungen Mann, der jung, kräftig, ausdauernd und hoffnungsvoll nach Deutschland kommt, um eine Arbeit auf dem Bau oder vielleicht in einer Fleischwarenfabrik zu finden, und dann merkt, dass er faktisch in einer Knechtschaft landet, und das nicht zum Mindestlohn, sondern für einen Hungerlohn. Es gibt auch Variationen mit Kindern, die – aus welchen Gründen auch immer – auf der Straße leben und schließlich in die Hände skrupelloser Menschenhändler geraten. Ihr Schicksal wird es vielleicht sein, zu betteln, möglicherweise am Brandenburger Tor Passanten anzusprechen und um etwas Geld zu bitten, natürlich nur für karitative Zwecke. Oder sie müssen stehlen. Wenn sie am Ende des Tages nicht mindestens 300 Euro zusammengestohlen haben, dann gibt es Prügel. So oder so ähnlich läuft es täglich ab, hier in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt. Ja, der Menschenhandel und die damit einhergehende systematische Ausbeutung haben sich inzwischen zu einem lukrativen, milliardenschweren Geschäft entwickelt. Das Geschäft hat Wachstumspotenzial. Die Ware Mensch wächst ja immer wieder nach. Mit dem Gesetz, dessen Entwurf wir heute verabschieden werden, versuchen wir, diesem skrupellosesten aller Geschäfte ein Ende zu setzen, einen Riegel vorzuschieben und klarzustellen: Menschen sind keine Ware. Es verbietet sich, sie zu kaufen, sie zu verkaufen oder sie in irgendeiner anderen Form auszubeuten. Jeder, der dies anders sieht und sich an diesem Geschäft beteiligt, wird mit aller Macht verfolgt und auf das Schärfste bestraft. Das vorliegende Gesetz erfasst mit seinen Vorschriften all die Fälle, die ich aufgezählt habe, inklusive des extremen Falls des Organhandels. Bestraft und erfasst von den Vorschriften wird nicht nur der Haupttäter, sondern jeder, der sich an dieser Kette beteiligt. Besonders wichtig ist mir gerade heute, wo wir das Prostituiertenschutzgesetz verabschiedet haben, den Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und die Zwangsprostitution zu stoppen, und zwar nicht nur, weil diese Form das Gros des Menschenhandels darstellt, sondern auch, weil erzwungene Prostitution das Schlimmste ist, was einem Menschen widerfahren kann. Demütigungen durch sexuelle Gewalt sind ebenso verheerend wie Folter. Man muss sich einmal vorstellen, dass das Geschäft mit der Prostitution weltweit jährlich Gewinne in Höhe von rund 91 Milliarden Euro bringt. Die Basis für dieses riesige Geschäft seien – so will uns die Lobby der Sexindustrie glauben machen – rein wirtschaftliche Beziehungen zwischen verantwortungsvollen Erwachsenen. Da gibt es die selbstständig tätige Sexarbeiterin, die mit der Prostitution einem liberalen, freien und modernen Beruf nachgeht. Daneben gibt es den Zuhälter, der natürlich kein Ausbeuter ist, sondern allenfalls Räume vermietet. Schließlich gibt es den Freier, der keine Zwangslage ausnutzt, sondern ganz gewöhnliche Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Die Wahrheit sieht aber ganz anders aus. Oder glauben Sie ernsthaft, dass die 91 Milliarden Euro jährlich wirklich in den Taschen der Sexarbeiterinnen landen? Selbstverständlich nicht. Tatsächlich steckt hinter der Sexindustrie sehr häufig der Menschenhandel, die Einschüchterung durch brutale Gewalt, Demütigung und Entwürdigung. Deshalb müssen wir in diesem Bereich genau hinsehen, und wir müssen alle in die Pflicht nehmen. Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, mit der Vorschrift über die Strafbarkeit von Freiern, die eine Zwangsprostituierte für ihre sexuelle Befriedigung ausnutzen, einen enormen Vorstoß im Kampf gegen diese Straftaten zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir setzen den Hebel nämlich genau da an, wo er eigentlich am wirkungsvollsten sein könnte: bei der Nachfrage. Das ist auch richtig so; denn es muss selbstverständlich sein, dass derjenige bestraft wird, der die Lage geknechteter Frauen ganz bewusst für seine sexuellen Zwecke missbraucht. Wenn es uns dadurch gelingt, die Nachfrage deutlich zu senken, dann entziehen wir den Drahtziehern dieses Geschäfts den Boden. Im Übrigen wäre alles andere vor dem Hintergrund der heute beschlossenen Reform mit dem Grundsatz „Nein heißt nein“ eine Farce. Niemand darf zu sexuellen Handlungen gezwungen werden, auch nicht Prostituierte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Neben dem neu eingeführten Aspekt der Freierstrafbarkeit haben wir – Sie haben es schon angesprochen – die Loverboy-Fälle mehr geregelt. Es geht da um die Fälle, in denen einem Mädchen oder einer Frau die große Liebe vorgespielt wird, um sie letztlich in der Prostitution auszunutzen. Es ist völlig richtig, dass wir da nicht mehr nach dem Alter des Mädchens oder der Frau oder danach, ob es sich um eine deutsche oder eine ausländische Frau handelt, unterscheiden. Wir machen hier keine Unterschiede; alle Fälle müssen erfasst sein. Ein wichtiges Anliegen der Union war es auch – ich halte das für eines der wichtigsten Anliegen –, die Ermittlungsbehörden mit den richtigen Instrumenten auszustatten; (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wäre der Opferschutz, zum Beispiel!) denn ohne Ergebnisse im Ermittlungsverfahren kann es keine Verurteilung geben, damit keine Abschreckung und dann natürlich keinen Schutz für die Opfer. Aber wir haben auf jeden Fall einen Erfolg erzielt. Das ist die Tatsache, dass künftig die akustische Wohnraumüberwachung bei dem Verdacht auf einen besonders schweren Fall von Menschenhandel möglich ist, zum Beispiel wenn er durch eine Bande oder gewerbsmäßig betrieben wird. Aber ich sehe auch – Sie sagen es zu Recht –: Wir brauchen da mehr Maßnahmen. Ich bedauere sehr, dass es uns nicht gelungen ist, mit der SPD noch mehr hinzubekommen, insbesondere beim Verdacht auf Zuhälterei oder Ausbeutung der Prostitution die Telekommunikationsüberwachung zu ermöglichen. Vielleicht gelingt uns das noch; denn die Praxis ist häufig so, dass man nur über die Zuhälter an die Menschenhändler, die dahinter stehen, herankommt. Erst wenn ich die Chance habe, da Informationen zu erhalten, kann ich den Menschenhändlerring auffliegen lassen. Wir hatten viele Gespräche mit dem Praktiker Herrn Sporer. Er wurde heute schon genannt. Er hat das immer gefordert. Es ist wirklich schade, dass wir das nicht geschafft haben. Ebenso bedauerlich ist, dass es mit der SPD noch nicht möglich war, die Straftatbestände „Ausbeutung von Prostituierten“ und „Zuhälterei“ zu reformieren. Das wäre erforderlich gewesen, um einen Gleichlauf zu schaffen. Aber uns ist versprochen worden, dass das noch in dieser Legislaturperiode kommt. Ich hoffe, dass das keine leeren Versprechungen waren. (Beifall bei der CDU/CSU) Stattdessen wurde ein besonderes Augenmerk auf den Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft gelegt. Völlig zu Recht besteht auch hier ein strafrechtlicher Handlungsbedarf; denn auch das geht nicht, keine Frage. Aber ich hätte mir doch gewünscht, dass man einen Unterschied zum Beispiel beim Strafrahmen macht; denn Zwangsprostitution ist auch Arbeitsausbeutung, aber sie bedeutet zusätzlich noch eine massive Verletzung des höchstpersönlichen Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung. Man ist doppelt gestraft. Ich glaube, da hätten wir Unterscheidungen treffen können. Wo wir uns einig waren – das ist versöhnlich zum Schluss –, ist, dass wir vorhaben – das unterstelle ich auch allen anderen, natürlich auch der Opposition –, alle Register zu ziehen. Wir wollen die Handlanger und die Hintermänner zu fassen bekommen. Wir wollen mehr Verurteilungen im Bereich des Menschenhandels erreichen. Wir wollen alles dafür tun, dass das Geschäft mit der Ware Mensch – egal zu welchen Zwecken: Prostitution, Arbeit, Organhandel oder Sonstiges – so unattraktiv wie möglich wird. Wenn uns das mit diesem Gesetz nicht gelingt, dann müssen wir nachbessern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter EU-Staat versuchen wir heute, die Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates von April 2011 zur Bekämpfung des Menschenhandels umzusetzen. Ich würde an dieser Stelle gern sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Aber das kann ich leider nicht. Die wenigen Verbesserungen in Ihrem Gesetzentwurf können die Mängel an anderen Stellen, vor allem die fehlenden weiteren Maßnahmen zum Opferschutz, nicht aufwiegen. Viele der grundlegenden Kritikpunkte haben sich seit der ersten Lesung in der Expertenanhörung bestätigt. Leider haben Sie so gut wie nichts davon korrigiert. Bei Ihrer Legaldefinition von Arbeitsausbeutung reicht es nach wie vor nicht aus, dass die Beschäftigten zu unwürdigen Bedingungen arbeiten. Ausbeuterische Beschäftigung soll nur vorliegen, wenn das Gewinnstreben auch noch rücksichtslos ist. Den Mehrwert dieses Tatbestandsmerkmals konnten sich auch die Experten in der öffentlichen Anhörung nicht erklären. Im Gegenteil: Die Beibehaltung des Erfordernisses von rücksichtslosem Gewinnstreben wird die Verfolgung von Menschenhandel in der Praxis erheblich erschweren. Auch die Frage, warum Sie jetzt im Gesetz durchgehend von „veranlassen“ reden statt wie bisher von „dazu bringen“, wurde nie wirklich beantwortet. Sie behaupteten, damit ein objektives Element einzuführen, das die Beweisbarkeit erleichtert. Die Expertenanhörung hat eindeutig ergeben, dass dies eine Illusion bleibt. Die Änderung der Begrifflichkeit bringt keinen Vorteil und ist eine Luftnummer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bei § 232a StGB – Schaffung des Straftatbestandes „Zwangsprostitution“ – haben Sie heute wirklich eine große Chance verpasst. Heute Vormittag haben wir im Deutschen Bundestag mit der Reform des § 177 StGB erstmals das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgut umfassend geschützt. Jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer Person ist künftig strafbar. Da kann es doch keinen Unterschied machen, ob diese Person eine Prostituierte ist oder nicht. Sie hätten die Ahndung von Zwangsprostitution im Zusammenhang mit dem Dreizehnten Abschnitt des Strafgesetzbuches – Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – regeln können und müssen; denn dabei geht es im Kern um den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und nicht, wie hier jetzt, um die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Gleiches gilt für die Einführung der Freierstrafbarkeit. In der Anhörung haben die Sachverständigen klar zum Ausdruck gebracht, dass es eines Sondertatbestandes der Freierbestrafung nicht bedürfe, wenn wir einen allgemeinen Grundtatbestand im Sexualstrafrecht schaffen würden, der sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen des Opfers sanktioniere. Stattdessen kreieren Sie einen langen und verworrenen Tatbestand, dessen diverse Voraussetzungen kaum je nachweisbar vorliegen werden. Sie wollen ein Zeichen setzen; aber dieses Zeichen funktioniert in der Sache nicht. Man nennt das auch Symbolpolitik. Es bleibt in Ihrem Entwurf auch bei dem schwer zu ertragenden Widerspruch, dass die Strafbarkeit des Freiers bei einer Anzeige von Gesetzes wegen entfällt, während bei einer Anzeige durch das Opfer die Strafbarkeit desselben nur entfallen kann, also im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt. Hier wäre doch wohl mindestens Gleichbehandlung erforderlich gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Leider ist auch der neue § 233 StGB missglückt, mit dem die Arbeitsausbeutung unter Strafe gestellt werden soll. Bisher bleibt der Arbeitsausbeuter nämlich straffrei, wenn er nicht gleichzeitig auch derjenige ist, der die andere Person dazu bringt, das Arbeitsverhältnis einzugehen. Hier könnte ich mir tatsächlich auch eine weiter gehende Strafbarkeit vorstellen. Sie haben jedoch dazu einen Tatbestand geschaffen, der für die Praxis nicht handhabbar sein wird; denn die Strafbarkeit jeglicher Arbeitsausbeutung ist daran geknüpft, dass der Ausbeuter eine persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage oder die auslandsspezifische Hilflosigkeit des Opfers kennt und – das kommt noch dazu – gesondert ausnutzt. Das wird aber gerade dann, wenn der Ausbeuter nicht gleichzeitig der Veranlasser ist, kaum je relevant werden. Nicht nur als ungeeignet, sondern schlicht als überflüssig, haben die Experten den neuen § 233a des Strafgesetzbuches mit dem schönen Titel „Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung“ bewertet. Diese Norm enthält keinerlei Mehrwert gegenüber der bereits existierenden Regelung zur Freiheitsberaubung, § 239 StGB. Um symbolhafte Überschriften zu produzieren, ist das Strafgesetzbuch nun wahrlich nicht geeignet. Unnötige Strafnormen machen das Leben nicht besser und gehören gestrichen. Auch die Gelegenheit dazu haben Sie verpasst. Das größte Manko ist allerdings, dass Sie sich mal wieder auf das Strafrecht beschränken. Die viel relevanteren Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels gehen Sie gar nicht an. Daher hat meine Fraktion einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht. Zeigen die Opfer die Menschenhändler an, müssen sie fürchten, ausgewiesen zu werden. Eine Rückkehr in ihre Heimat und ihr altes Leben ist vielen aber unmöglich. Was wir daher brauchen, ist ein Anspruch auf aufenthaltsrechtlichen Schutz für Opfer von Menschenhandel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Daneben soll ein Fonds für Härteleistungen eingerichtet werden; denn in vielen Fällen ist unser Opferentschädigungsgesetz da unzureichend. Außerdem schlagen wir die Einrichtung einer Berichterstatterstelle vor, so wie das in anderen europäischen Ländern längst geschehen ist. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland durch ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Vorreiter in Sachen „Kampf gegen Menschenhandel“ wird. Ihr heute vorliegender Entwurf bläht das Strafrecht dagegen unnötig auf und ist nicht geeignet, das eigentliche Problem zu lösen. Da bleibt uns am Ende leider nur die Ablehnung. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Menschenhandel und Ausbeutung, das gibt es nicht nur in der sogenannten Dritten Welt; leider gibt es auch in Deutschland zu viele Menschen, die ausgebeutet werden, im schlimmsten Fall sogar zur Prostitution gezwungen werden, und das ist nicht hinnehmbar. Deshalb ist das Gesetz, das wir heute beschließen, ein wichtiges Gesetz. Wir müssen die Opfer von Zwangsprostitution und Zwangsarbeit besser schützen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der Vergangenheit ist die Bestrafung der Täter allzu oft daran gescheitert, dass das Opfer aus Angst vor Repressalien oder der Rache des Täters nicht bereit war, gegen den Täter auszusagen. Der Tatbestand des Menschenhandels ist im heute noch geltenden Recht so formuliert, dass der Menschenhändler entscheidenden Einfluss auf den Willen des Opfers genommen haben muss, sich zur Prostitutionsaufnahme zu entschließen. Diesen Einfluss auf den Willen des Opfers ohne die Aussage des Opfers nachzuweisen, das war in vielen Strafprozessen das Kernproblem, und das machte eine Verurteilung oft unmöglich. Durch eine geänderte Formulierung des Tatbestandes wollen wir nun ermöglichen, dass sich der Tatrichter zukünftig auch auf andere Beweismittel stützen kann. Wenn durch Zeugenaussagen nachgewiesen ist, dass der objektive Tatbestand erfüllt ist, dass etwa die Tathandlung begangen wurde – das Anwerben einer Jugendlichen, die durch Prostitution ausgebeutet werden soll –, dann kann eine Verurteilung erfolgen, ohne dass der heute nötige Nachweis erbracht werden muss, dass gerade der Täter den Willensentschluss des Opfers hervorgerufen hat. Das ist eine wichtige Verbesserung gegenüber dem heutigen Recht. (Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert ja gerade nicht!) Der SPD war auch wichtig, dass die brutalen Straftaten des Menschenhandels und der Zwangsprostitution angemessen bestraft werden können. Auf unseren Vorschlag hin erhöhen wir deshalb das Strafmaß im Grundtatbestand von drei Monaten auf sechs Monate. Uns war weiter wichtig – Kollege Bartke hat schon darauf hingewiesen –, dass auch die sogenannten Loverboy-Fälle zweifelsfrei erfasst werden. Deswegen haben wir in der recht ausführlichen Begründung ergänzt, dass diese Masche der Zuhälter, bei der die Zuhälter den Frauen die große Liebe vorspielen, sie aus ihrem sozialen Umfeld, aus ihren familiären Bindungen lösen und dadurch eine Art psychischer Abhängigkeit schaffen, zukünftig als List im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist. Damit regeln wir genau diese perfide Masche als strafbar, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch bei uns in Deutschland gibt es Menschen, die in sklavenähnlichen Zuständen arbeiten. Da können wir nicht zuschauen. Es ist uns wichtig, dass wir Straftatbestände schaffen, wonach sich Täter strafbar machen, die in solchen Fällen die Arbeitskraft anderer Menschen ausbeuten. Wer insbesondere Jugendliche anwirbt oder nach Deutschland befördert und sie hier dadurch ausbeutet, dass sie Straftaten begehen müssen oder zum Betteln geschickt werden, anstatt in die Schule zu gehen – das sind nicht hinnehmbare Zustände –, den wollen wir ebenfalls als Täter bestrafen. Eine wichtige Regelung ist auch, dass sich zukünftig Freier strafbar machen, wenn sie die Dienste einer Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen. Dabei war uns als SPD besonders wichtig, dass wir die Kriterien, wann von der Erkennbarkeit der Zwangsprostitution auszugehen ist, in der Begründung klar formulieren. Denn wir wollen nicht, dass sich Freier einfach herausreden können mit der Begründung, sie hätten die Zwangsprostitution nicht erkennen können. (Beifall bei der SPD) Wenn eine Frau eingeschüchtert ist, wenn sie weint, sie kaum deutsch spricht, wenn der Zuhälter die Verhandlungen über Geld und Dienste führt oder wenn die Frau gar Verletzungen aufweist, dann ist für den Freier erkennbar, dass sich die Frau nicht freiwillig prostituiert, sondern dass sie gezwungen wird. Weil wir Zwangsprostitution verhindern wollen, da sie ein massiver und für die Opfer oft lebenslang traumatisierender Eingriff ist, müssen wir diese Regelungen hier heute so beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe schon heute Morgen bei der Diskussion zum Sexualstrafrecht gesagt, wir sollten uns bei einer Prüfung, ob auch die Strafprozessordnung zu ändern ist, auch fragen, ob es nicht gerade in derartigen Fällen Sinn macht, dass schon die erste polizeiliche Vernehmung des Opfers auf Video aufzuzeichnen ist. Denn dann könnten wir dieses Video im Prozess einführen, wenn die Zwangsprostituierte aus Angst vor dem Zuhälter eben nicht mehr bereit ist, Aussagen zu machen. Ich glaube, das wäre eine wichtige Ergänzung der Strafprozessordnung, die wir uns vornehmen sollten. Zu der Kritik, wir würden hier nichts für die Opfer tun im Hinblick auf die Aufenthaltserlaubnis, gestatte ich mir den Hinweis auf § 25 Absatz 4a des Aufenthaltsgesetzes. Das haben wir vor etwa einem Jahr neu geregelt, um genau Ihrem Anliegen nachzukommen. Wenn eine Zwangsprostituierte im Strafprozess aussagt, dann kann sie in Deutschland bleiben. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: In der EU-Richtlinie steht aber das Gegenteil! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das entspricht leider nicht der Richtlinie!) Sie bekommt ein Aufenthaltsrecht, und zwar nicht nur während des Prozesses, sondern es gibt auch die Möglichkeit, darüber hinaus ein Aufenthaltsrecht zu bekommen. (Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Also, Ihr berechtigtes Anliegen, Frau Kollegin Jelpke, haben wir schon vor einem Jahr berücksichtigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Nein!) Angesichts dessen, dass in Deutschland nach Schätzungen Zehntausende Zwangsprostituierte oder Menschen in sklavenähnlichen Zuständen ausgebeutet werden, können wir nicht weiter zuschauen, dann müssen wir solch ein Gesetz machen, dass es für Verurteilungen eben nicht nur auf die Opferaussage ankommt. Deshalb stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. Wir sind es den Opfern schuldig, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Rösel, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kathrin Rösel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn im Alltag über Menschenhandel geredet wird, beschreibt das oft sehr unterschiedliche Dinge. Mal ist es Prostitution, mal ist es Leiharbeit, mal ist es Menschenschmuggel, und manchmal – ja, manchmal – wird sogar der Verkauf von Fußballspielern als moderner Menschenhandel bezeichnet. Dieses Alltagsverständnis entspricht jedoch nicht dem strafrechtlichen Begriff, über den wir hier heute diskutieren. Wir reden über nicht weniger als über eines der zentralen Grundrechte, nämlich über Menschenwürde. Menschenhandel in all seinen Ausprägungen – ob er zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, zur Arbeitsausbeutung oder in anderen Formen stattfindet – stellt eine schwere Verletzung der Menschenwürde dar. (Beifall bei der CDU/CSU) Schätzungen gehen davon aus, dass im letzten Jahr weltweit rund 2,7 Millionen Menschen Opfer von Menschenhandel geworden sind. Die Menschenhändler verdienen an diesem Geschäft mehr als 30 Milliarden Euro jährlich. Das Geschäft mit der Handelsware Mensch gilt vom Gewinn her als drittwichtigste kriminelle Einkommensquelle nach dem Drogen- und Waffenhandel. Fakt ist: Menschenhandel ist vor dem Hintergrund von 400 Jahren Sklavenhandel kein neues Phänomen, aber ein Problem, das mittlerweile Ausmaße annimmt, die uns vergessen lassen, dass wir im 21. Jahrhundert leben. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Umsetzung der EU-Richtlinie, die zum Ziel hat, Menschenhandel zu verhüten und zu bekämpfen und die Opfer von Menschenhandel zu schützen, zielt nicht nur darauf ab, ebendieses Grundrecht auf Menschenwürde durchzusetzen, sondern auch darauf, die Täter noch härter zu bestrafen; eigentlich eine Sache, die uns selbstverständlich erscheint und schon längst hätte gesetzlich geregelt sein müssen. Leider ist das nicht so. Wir müssen nämlich auch darüber reden, dass der Begriff „Menschenhandel“ im Strafgesetzbuch viel weiter als bisher gefasst werden muss. Hier geht es um Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Menschenhandel zum Zweck der Bettelei und Menschenhandel zur Durchführung von Straftaten. Es geht darum, dass mit Menschen gehandelt wird, um ihnen Organe zu entnehmen, und es geht insbesondere – das ist mir ganz besonders wichtig – um den Tatbestand der Zwangsprostitution. Neu in der Gesetzesvorlage ist, dass nun auch im Strafgesetzbuch verankert wird, wenn Menschen – hier sind es zum größten Teil Frauen und Kinder – gezwungen werden, zum Betteln auszuharren oder professionell auf Diebestour zu gehen. Gut und richtig ist es ebenso, dass der neue § 232 Strafgesetzbuch nun auch den Tatbestand des Menschenhandels zum Zweck des Organhandels erfasst. Die Erweiterung um diese Straftatbestände ist meines Erachtens überfällig, und ich bin froh, dass wir heute deren Umsetzung beschließen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber nicht nur die Erweiterungen um die genannten Straftatbestände sind Inhalt der Gesetzesvorlage. Wir gehen noch viel weiter, indem wir nämlich zum einen die Gesetzeslücke auf der Nachschub- und Logistikebene des Menschenhandels schließen. Künftig wird auch das Anwerben, Befördern, Weitergeben und Beherbergen, also jede noch so gering erscheinende Form der Beteiligung am Menschenhandel, strafbar sein. Wir schaffen Instrumente, die es ermöglichen, die Täter noch härter zu bestrafen, wenn zum Beispiel die Opfer minderjährig sind oder wenn das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdet wird. Zum anderen ziehen wir auch diejenigen zur Verantwortung, die von einer offensichtlichen Zwangslage eines Menschen profitieren. Hiermit meine ich – das ist ein großer Schritt nach vorn –, dass sich Freier von Zwangsprostituierten strafbar machen. Ob es sich um Zwangsprostitution handelt, ist in den allermeisten Fällen klar erkennbar. Wer seine Augen vor offensichtlichen Anzeichen wie körperlichen Verletzungen, eingeschüchtertem Verhalten oder nicht vorhandenen Deutschkenntnissen verschließt oder wer die Dienstleistung mit einem Zuhälter anbahnt und aushandelt, gehört bestraft. Diese Strafbarkeit ist seit jeher ein wichtiges Anliegen der Union und wird nun endlich umgesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU) Allerdings soll den Freiern, die zur Aufdeckung und zur Aufklärung von Zwangsprostitution beitragen, Straffreiheit gewährt werden. Hier stellen wir den Schutz der Opfer und die Vermeidung von weiteren Straftaten über den Strafanspruch an die Freier, und das ist gut so. Was ich an dieser Stelle nicht nachvollziehen kann, ist die Kritik der Opposition, dass wir beim Opferschutz nicht weit genug gehen würden und hier hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis nochmals nachgebessert werden solle. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie müssen die EU-Richtlinie lesen! Da steht das alles drin!) Wenn Sie bei der Expertenanhörung vor einigen Wochen zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass uns allen deutlich gemacht wurde, dass dem mit der Erweiterung – Sie erwähnten es schon, Dr. Fechner – des § 25 Aufenthaltsgesetz ausreichend Rechnung getragen wird. Insofern ist diese Kritik völlig überflüssig. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben heute Vormittag den Grundsatz „Nein heißt nein“ im Strafrecht verankert. Nein heißt nein nämlich auch dann, wenn offensichtlich ist, dass eine Frau – in über 95 Prozent der Fälle sind es Frauen – sich aufgrund einer Zwangslage prostituiert. Ich bedauere es sehr, dass es aufgrund der Weigerung der SPD nicht dazu gekommen ist, heute früh im Gesetz eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung von Prostituierten zu verankern. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ohne uns gäbe es das ganze Gesetz gar nicht!) Es wurde dadurch versäumt, die Gesundheit der Prostituierten und deren Freier besser zu schützen. Ebenso hätte eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung entscheidend dazu beitragen können, dass Zwangsprostitution schneller und besser identifiziert und geahndet werden kann. Schade! Ich denke, hier wurde die Chance klar versäumt, Opfer von Misshandlungen, Zwangsprostitution und Menschenhandel noch besser zu schützen und ihnen zu helfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir mit den vorliegenden Änderungen des Strafgesetzbuches nicht nur die geforderte EU-Richtlinie umsetzen. Wir haben ein Instrument geschaffen, das es uns ermöglicht, Menschenhändler härter zu bestrafen und Opfer noch besser zu schützen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Darauf bin ich gespannt!) Daher bitte ich um Zustimmung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich nicht versäumen, der Kollegin Rösel zu ihrer ersten Rede zu gratulieren. (Beifall) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9095, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4613 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in dritter Beratung angenommen worden. Tagesordnungspunkt 20 b. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9077, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3256 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten Drucksache 18/8245 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Wissenschaft, Forschung und Lehre stecken enorme Potenziale in der Digitalisierung. Um diese Chancen nutzen zu können, bedarf es endlich eines bildungs- und forschungsfreundlichen Urheberrechts; denn bessere Forschungs- und Wissenszugänge sind wichtige Zukunftsmotoren für unsere Volkswirtschaft und Wissensökonomie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Wissenschaft und Bildung dürfen nicht durch politische Trägheit und veraltete Strukturen behindert werden. Tatsächlich passiert aber genau das. (Marianne Schieder [SPD]: Na, na!) Daher sagen wir: Der Modernisierungsstau im Urheberrecht gehört endlich überwunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Für uns alle sind Ausbildung oder Studium schon eine Weile her. Dennoch wissen wir, wie wichtig der Zugang zu digitalem Wissen bereits bei Schülerreferaten geworden ist. An den Universitäten sind digitale Semesterapparate nicht mehr wegzudenken. § 52a Urheberrechtsgesetz ermöglicht die zustimmungsfreie Nutzung von geschützten Werken per öffentlicher Zugänglichmachung für Lehr- und Forschungszwecke. Diese Regelung ist aber schwer verständlich und hat auch ihre Grenzen. Wer sich wirklich schlaumachen will, was er unter welchen Bedingungen darf oder nicht darf, scheitert oft am Dickicht von Einzelgesetzen. Was fehlt? Es fehlt also eine umfassende und klare rechtliche Regelung, die leicht verständlich und vermittelbar ist und so den Wissensfluss erleichtert. Darum geht es uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Uns auch!) Doch mit der wissenschaftsgerechten Reform des Urheberrechts quält sich die GroKo im Bund so ähnlich wie die in Berlin beim BER. (Zurufe von der SPD: Oh!) Ein ums andere Mal wird die Eröffnung versprochen, dann vertagt. Die Wissenschaftsschranke wird ein ums andere Mal hier im Bundestag angekündigt, dann tut sich wieder Jahre nichts. (Christian Flisek [SPD]: Der arme Flughafen muss für alles herhalten!) Anders als beim BER lässt sich diese Baustelle einfach fertigstellen. Folgen Sie unserem Antrag zur Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Schließlich haben Sie genau dieses Instrument im Koalitionsvertrag verankert und versprochen und erst vor einem Jahr hier im Plenum erneut angekündigt. Also legen Sie endlich los. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Wird auch kommen! Keine Angst!) Ihre eigenen Gutachter von der Expertenkommission für Forschung und Innovation bis zur BMBF-finanzierten HU-Studie attestieren Ihnen, in Forschung und Lehre sowie bei Bibliotheken, Archiven und Museen durch Ihre Untätigkeit in Sachen Wissenschaftsschranke für große Rechtsunsicherheit zu sorgen. Das muss sich endlich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das BMBF schreibt auf seiner Website: „Das Urheberrecht muss der Wissenschaft dienen“. Stimmt, liebe Ministerin Wanka; das ist aber nach wie vor nicht gesetzliche Realität. Seit über elf Jahren bleiben CDU-Wissenschaftsministerinnen Vorschläge schuldig. Damit verschleppen Sie die Probleme. Es ist höchste Zeit, bei dieser Frage dem Wissenschaftsstandort Deutschland zu dienen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke, wie wir sie wollen, würde es Lehrenden, Lernenden und Forschenden erleichtern, publizistische Werke jedweder medialer Art für den nichtgewerblichen wissenschaftlichen Gebrauch generell genehmigungsfrei und ohne Einschränkungen zu nutzen. In diesem Zuge könnte auch die Verleihung digitaler Inhalte durch wissenschaftliche Bibliotheken ermöglicht werden, und zwar unabhängig davon, von welchem Ort die Ausleihe bzw. dann die Nutzung erfolgt. Das wären wichtige Weichenstellungen für unsere Wissenschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In der letzten Wahlperiode waren wir hier schon deutlich weiter: Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hatte mit Zustimmung aller Fraktionen hier im Haus eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke gefordert. Diese und weitere Vorarbeiten gilt es doch jetzt endlich mal zu nutzen. Ergänzt werden müsste die Wissenschaftsschranke um weitere Verbesserungen, unter anderem beim Zweitveröffentlichungsrecht. Das stärkt Autorinnen und Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen, wenn sie ihre Beiträge mit Open Access publizieren wollen. Auch dazu haben wir Ihnen längst Vorschläge gemacht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Koalition scheint für einen solchen Aufbruch im Urheberrecht die Kraft zu fehlen. (Christian Flisek [SPD]: Oje!) Wir geben die Hoffnung aber nicht auf. Deshalb appelliere ich abschließend an Sie: Beenden Sie endlich die Zeit verlorener Chancen für den Innovationsstandort und für alle Lehrenden und Lernenden in Deutschland. (Marianne Schieder [SPD]: Nein, wir nutzen die Zeit für ein gutes Gesetz, nicht für einen Schnellschuss! – Christian Flisek [SPD]: So eine Rede spulen Sie jedes Mal ab!) Legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor. Wenn Sie die Zeit in der Sommerpause nutzen wollen, dann nutzen Sie sie so, dass wir im September, spätestens im Oktober über einen konkreten Gesetzentwurf von SPD und CDU/CSU diskutieren können. Ich hoffe, dass da nicht so eine Baustelle wie beim BER herauskommt, (Marianne Schieder [SPD]: Nein!) sondern dass Sie es echt noch schaffen. (Christian Flisek [SPD]: Wir haben im Urheberrecht viel geschafft! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das mit dem BER nutzt sich langsam ab!) Selbst Schwarz-Gelb hatte solch eine Wissenschafts- und Bildungsschranke schon einmal angekündigt. Das heißt, seit Jahren diskutieren wir hier herum. Wissen wächst, wenn es geteilt wird. Wir warten auf Ihren Gesetzentwurf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Dr. Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD]) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf jetzt seit knapp einem Jahr das Urheberrecht für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mitbetreuen. Ich habe gelernt, es ist – erstens – ein sehr komplexes Rechtsgebiet, und – zweitens – es gibt unzählige und meist unterschiedliche, gelegentlich auch ganz gegenläufige Interessen, die hier zusammenlaufen. Es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ... Sie auszubalancieren!) hier einen gerechten Ausgleich zu finden. Das gilt für alle Gesetzgebungsvorhaben in diesem Bereich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch für andere Bereiche!) Das ist uns beim Verwertungsgesellschaftengesetz, dem ersten großen Vorhaben, das wir kürzlich zum Abschluss gebracht haben und bei dem wir es hinbekommen haben, einen guten Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber und der Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und denen der Geräteindustrie auf der anderen Seite zu finden, gelungen. Das Gleiche gilt für das Urhebervertragsrecht, das wir gerade beraten und bei dem wir eine Balance zwischen den Interessen der Urheber auf der einen Seite und denen der Verwerter auf der anderen Seite finden werden. Und ja, das muss auch für die Bildungs- und Wissenschaftsschranke gelten, das dritte große Reformvorhaben, das in dieser Legislatur noch ansteht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann mal Tempo! Die ist bald rum!) Hier geht es darum, einen gerechten Ausgleich zwischen den Urhebern auf der einen Seite und den Nutzern geschützter wissenschaftlicher Werke auf der anderen Seite zu finden. Ich muss Ihnen, Herr Gehring, sagen: Da hilft Ihr Antrag leider nicht weiter. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es doch besser!) Es ist gut, dass Sie ihn parallel zu den Beratungen über das Urhebervertragsrecht einbringen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie lange beraten Sie denn schon? Seit Jahren!) Wir hatten gestern dazu eine öffentliche Anhörung. Gegenstand dieser Anhörung war auch ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, in dem Sie explizit schreiben, Sie wollten eine Stärkung der Rechtsstellung der Urheber und eine angemessene Vergütung sicherstellen. Das wollen wir auch. Aber, lieber Herr Gehring, wie passt das mit Ihrem heutigen Antrag zusammen? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!) Gestern setzten Sie sich für die Rechte der Urheber ein, und heute diskutieren wir hier einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, in dem die angemessene Vergütung der Urheber mit keinem Wort erwähnt wird. Sie müssen hier Farbe bekennen. Das, was Sie hier machen, passt nicht zusammen, und das werden wir Ihnen auch nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Quatsch! Das sind immer nur pauschale Vergütungen!) Ich sage ganz klar: Auch wir wollen noch in dieser Legislatur eine Wissenschaftsschranke im Urheberrecht verankern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles nur Ankündigungen!) Wir alle wissen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung, aus der Schule, aus der Universität, wie wichtig es ist, einen Zugang zu Material für Forschung und Lehre zu haben und wie sehr man dabei auf die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke angewiesen ist. Dabei hat sich durch die Digitalisierung vieles verändert, wahrscheinlich auch seit der Schulzeit von uns jüngeren Abgeordneten. All dem muss das Urheberrecht Rechnung tragen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So jung sind Sie auch nicht mehr!) Es gibt einiges zu tun. Die heutigen Regelungen sind nicht mehr praxistauglich, und sie sind für die Rechtsanwender oft nur schwer durchschaubar. Für uns ist auch klar: Natürlich muss das Urheberrecht der Wissenschaft dienen, aber das Urheberrecht muss vor allem erst einmal den Urhebern dienen; deswegen heißt es auch so. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie widersprechen dem BMBF!) Der Urheber muss weiterhin im Mittelpunkt stehen. Egal wie es verwertet wird: Es bleibt am Ende sein Werk, das auch durch das Eigentumsrecht aus Artikel 14 Grundgesetz geschützt wird. Deswegen ist es gut, dass wir uns dazu bekennen, dass der Urheber weiterhin im Mittelpunkt steht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen auch starke Wissenschaftsverlage. Sie spielen bei der Finanzierung eine wichtige Rolle, und sie spielen auch eine ganz wichtige Rolle bei der Qualitätssicherung und bei der Publikation. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen sich die Welt, wie sie Ihnen gefällt!) Für uns bedeutet das konkret: Erstens, auch im Urheberrecht gilt weiterhin die Vertragsfreiheit. Deshalb müssen angemessene Lizenzangebote weiterhin Vorrang haben. Zweitens bedeutet das für uns, dass die Regelung, die wir beschließen werden, so differenziert sein muss wie die Wissenschaftslandschaft insgesamt. Es macht einen großen Unterschied, ob ein Werk in seinen verschiedenen Stadien durch öffentliche Mittel gefördert wird oder ob wir es mit einer Visualisierung hochkomplexer naturwissenschaftlicher Vorgaben zu tun haben, die mit vielen Investitionen verbunden ist und sich am Ende amortisieren muss. Lassen Sie uns nicht vergessen: Die Änderungen der Regelungen im Urheberrecht finden in einer sehr sensiblen Zeit statt. Viele Verlage sind völlig unverschuldet durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs in eine schwierige, teilweise existenzbedrohende Situation geraten. Ich glaube, bevor wir weitere Schritte unternehmen, ist es gut, dass wir als Gesetzgeber unsere Hausaufgaben machen und an dieser Stelle Abhilfe schaffen. Ich komme zum Schluss. Wir wollen eine Wissenschaftsschranke einführen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann? Am Sankt-Nimmerleins-Tag oder wann? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles leere Ankündigungen ohne Folgen!) Ihr Antrag ist einseitig, er ist undifferenziert, und er vergisst diejenigen, die im Mittelpunkt des Urheberrechts stehen, nämlich die Urheber selbst. Das wäre der Weg in eine rein staatlich finanzierte Publikationslandschaft, die wir nicht wollen. Es ist gut, wenn wir den vorliegenden Antrag mit großer Mehrheit ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lehnen noch Ihren eigenen Koalitionsvertrag ab!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Petra, man sieht dich gar nicht richtig! – Heiterkeit) – Wichtig ist das Hören, das Sehen ist nicht so wichtig. – Ich möchte mit Blick auf den Sommer, die Urlaubszeit oder auch das Halbfinale der Fußball-EM mit folgendem Satz beginnen: „Komm, wir gehen!“ (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das sagte Estragon zu seinem Freund Wladimir. Der antwortete: „Wir können nicht.“ Darauf Estragon: „Warum nicht?“ Wladimir: „Wir warten auf Godot.“ Estragon: „Ah!“ – Theaterfreunde wissen: Das ist der Schlüsseldialog aus Samuel Becketts berühmtem Stück Warten auf Godot. Der traurige Clou ist: Das Warten bringt nichts, Godot kommt nicht. Nun weiß aber auch niemand, wer oder was Godot eigentlich ist. (Christian Flisek [SPD]: Wir wissen, dass er kommt!) Das lässt Beckett offen, und mich beschleicht nun das Gefühl: Wir wissen ziemlich genau, was Godot ist. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo? Wo?) Seit mindestens zwölf Jahren wird über die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht debattiert. Dabei geht es um den freien Zugang zu allen Werkarten zum nicht kommerziellen Zweck von Wissenschaft, Bildung und Forschung. Und Herr Heck: Immer dort, wo man eine Schranke einsetzt, gibt es pauschale Vergütungsregelungen. Das haben Sie nicht sauber dargestellt. (Beifall bei der LINKEN) Damals wurde vom Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ das Prinzip skizziert. Wir Linken haben dazu erstmals vor neun Jahren Anträge gestellt. Andere folgten und haben vergleichbare oder ähnliche Anträge gestellt. Es folgten dann Jahr um Jahr Empfehlungen, Vorschläge und Anträge. In diese lange Reihe stellt sich nun auch der völlig richtige Antrag von den Bündnisgrünen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke für die Zustimmung!) Allein, die Wissenschafts- und Bildungsschranke kommt nicht, und die Realität in Schulen und Hochschulen bleibt frustrierend. Die aktuellen Urheberrechtsregelungen sind eben keine Erleichterung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Meine Damen und Herren, Warten auf Godot gilt als Meisterstück des absurden Theaters, nicht zuletzt deshalb, weil zwischenzeitlich ein ominöser Bote Estragon und Wladimir ankündigt, Godot werde kommen. Die Große Koalition steht in Sachen Absurdität in diesen Fragen dem Theaterstück in nichts nach; (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solange er nicht gestorben ist, wartet er immer noch!) denn auch Sie kündigen nun schon zum wiederholten Mal an, die Schranke komme. (Marianne Schieder [SPD]: Sie kommt auch!) Im Koalitionsvertrag von 2013 finden wir sie, auch in der Digitalen Agenda der Bundesregierung vom Sommer 2014. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Im November 2014 haben wir hier zuletzt über diese Fragen debattiert. Damals hieß es, die Koalition sei ein Jahr nach Amtsantritt noch in intensiven Diskussionen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei sind sie geblieben!) Das ist nun allerdings auch schon wieder 20 Monate her. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Intensiv eben! Das braucht Zeit!) Zwischenzeitlich hat die Koalition einen Antrag durch den Bundestag gebracht. Was enthält er? – Man fordert die Einführung der Schranke. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir aber warten wie Estragon und Wladimir immer noch. Eigentlich kann die Bundesregierung Absurdität sogar noch besser als Beckett; denn im Gegensatz zu Godot ist längst bekannt, wie die Bildungs- und Wissenschaftsschranke ausgestaltet werden könnte. Ich erinnere an unsere letzte Debatte vor 20 Monaten, in der ich gesagt habe – es ist kuschelig, wenn man sich selbst zitiert –: Frau Professor de la Durantaye von der Humboldt-Universität zu Berlin hat im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung genau jene Regelung ausformuliert – in Ihrem Auftrag. – Wir haben alles da; wir müssen es nur beschließen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also sagen wir einmal: Der Godot der Bundesregierung hat es bis vor die Tür geschafft. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Wanka!) Lassen Sie ihn endlich rein, oder, liebe Damen und Herren von der Koalition, machen Sie sich ehrlich und erklären Sie den Menschen in Bildung, Wissenschaft und Forschung, warum Sie kein Interesse an deren Arbeitsbedingungen und ihren eigenen Versprechen gegenüber den Betroffenen haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Estragon und Wanka!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort Christian Flisek. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Estragon!) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, es ist Ihr ausdrücklicher Wunsch, dass wir heute über die Bildungs- und Wissenschaftsschranke diskutieren. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja auch richtig so!) Wir kommen diesem Wunsch natürlich sehr gerne nach. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, Herr Kollege Gehring, wenn Sie sagen, wir würden uns in dieser Koalition mit dem Urheberrecht quälen – Sie haben ein paar hinkende Vergleiche gebracht; der arme Flughafen Berlin muss ja mittlerweile für alles herhalten –, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es passt, ja!) dann sind Sie beim aktuellen Stand in Sachen Urheberrecht in dieser Legislaturperiode noch nicht angekommen. Die hinter Ihnen sitzende Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Frau Kollegin Künast, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Kollegin!) kann sich, glaube ich, über mangelnde Arbeitsbelastung in Sachen Urheberrecht in dieser Legislaturperiode nicht beschweren, weil wir nämlich einen Gesetzentwurf nach dem anderen behandeln und handwerklich sauber ein Projekt, das wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben, nach dem anderen abarbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn die Schranke?) Lieber Herr Kollege Gehring, wenn Sie sich das einmal anschauen, stellen Sie fest, dass wir einiges zu bieten haben: Wir haben das Verwertungsgesellschaftengesetz komplett neu aufgesetzt. Das war ein ziemlicher Rundumschlag. Das waren sehr intensive Diskussionen; das wird Ihnen die Kollegin Künast bestätigen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich trete jetzt aber nicht über!) Gestern fand eine öffentliche Anhörung in Sachen Urhebervertragsrecht statt. Dazu liegt ein Entwurf vor, über den sehr intensiv diskutiert wird. Aktuelle Ereignisse und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs machen den nationalen Handlungsbedarf in Sachen Urheberrecht deutlich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können doch sonst auch zwei Gesetze machen!) Wir haben jetzt ein Eckpunktepapier des Bundesjustizministers vorgelegt bekommen (Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – bleiben Sie mal ruhig – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zur Regelung der sogenannten Vogel- und Reprobel-Problematik. Herr Kollege Gehring, wenn Sie sich angesichts dessen hier hinstellen und sagen, dass man in der letzten Legislaturperiode in Sachen Urheberrecht weiter war, weiß ich nicht, aus welcher Welt Sie kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enquete-Kommission!) In der letzten Legislaturperiode ist in Sachen Urheberrecht nichts, aber auch gar nichts passiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen, dass Sie vielleicht einmal etwas weniger Aktionismus an den Tag legen sollten. Ich finde, es ist Ihr gutes Recht, einen solchen Antrag zu stellen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wartet lieber!) Aber wir gehen sauber vor; wir arbeiten die Urheberrechtsagenda handwerklich sauber ab. Herr Justizminister Maas hat deutlich gemacht, dass er einen Gesetzentwurf vorlegen wird. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn sie nicht gestorben sind ...!) Frau Ministerin Wanka ist mit entsprechenden Gutachten an die Öffentlichkeit gegangen. (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich denke, das wird sich ganz klar wie an einem roten Faden abspulen lassen. Wir werden das komplette Schrankenwesen im Wissenschafts- und Bildungsbereich aufräumen müssen. Es ist nämlich sehr unübersichtlich geworden; das hat Kollege Heck in seinem Beitrag schon angesprochen. Ich glaube, selbst Urheberrechtsexperten und insbesondere Leute, die Verantwortung im Bereich der Schulen, der Universitäten tragen, haben es mittlerweile mit einem Schrankendschungel zu tun. Es ist höchste Zeit, aufzuräumen. Das werden wir tun. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hu! – Lachen bei der CDU/CSU) – Ich verstehe gar nicht, warum Sie einen Antrag zu einer Sache stellen und sie dann so ins Lächerliche ziehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Entweder debattieren wir das hier mit dem notwendigen Ernst oder debattieren es eben nicht. Ich bin dafür, dass wir das tun. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann machen Sie das denn? Haben Sie einen Zeitplan?) In der Tat ist es so, dass diese Schranken allesamt vergütungspflichtig sein werden. Das heißt, wir haben wieder zu sehr aktuellen Themen – wie diese Vergütungen verteilt werden – einen aktuellen Link, nämlich zu der rechtspolitisch ungeheuer spannenden Debatte, wie die Verteilung zwischen Urhebern und Verlagen am Ende läuft. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und?) Das heißt, genau das, was ich gerade angesprochen habe – die BGH-Problematik durch das Vogel-Urteil und die EuGH-Problematik durch das Reprobel-Urteil –, spielt bei der Frage eine Rolle, wie wir es mit den vergütungspflichtigen Schranken halten. Wir werden da eine Lösung finden, das kann ich Ihnen garantieren. Aber wir werden nicht in Aktionismus verfallen. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch in dieser Wahlperiode?) Eines möchte ich am Ende noch sagen: Diese vergütungspflichtigen Schranken werden Vorrang vor einem Lizenzdschungel genießen; denn nur so ist den Urheberrechtspraktikern in der Bildungs- und Wissenschaftslandschaft gedient; denn nur so werden sie vertrauen können, dass wir einen gelichteten Schrankendschungel auch für sie in der Praxis handelbar machen. Nur so werden wir am Ende einen wesentlichen Schritt bei dieser komplexen Materie weiterkommen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das war ein schönes Schlusswort, Herr Flisek. Christian Flisek (SPD): Das war das Schlusswort. – Wir werden diesen Antrag heute an die Ausschüsse überweisen. Am Ende aber lautet mein Schlusswort: Das ist ein Schaufensterantrag, er ist wohlfeil. Wir werden uns, wenn der Gesetzentwurf vorliegt, intensiv über die Sache auseinandersetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch das Datum! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie mal wieder in der Opposition sind, dann stellen Sie nur noch Schaufensteranträge!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Kollege Tankred Schipanski. (Beifall bei der CDU/CSU) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist eine sehr unterhaltsame Urheberrechtsdebatte; man kann nicht sagen, dass irgendetwas trocken wäre. Frau Sitte, das war eine schöne, launige Rede; das muss man einfach sagen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Kollege Flisek hat schon, lieber Kai Gehring, sehr deutlich gemacht, dass die Koalition beim Thema Urheberrecht in drei großen Blöcken arbeitet; so möchte ich es ausdrücken. Wir haben das Verwertungsgesellschaftengesetz im ersten großen Block gehabt und sind jetzt beim Urhebervertragsrecht. Der dritte Block wird – wie angekündigt und wie es auch im Koalitionsvertrag steht – die Bildungs- und Wissenschaftsschranke sein. Nichtsdestotrotz, lieber Kai Gehring, bin ich den Grünen ausdrücklich dankbar, dass wir das heute debattieren. Wenn wir als Forschungspolitiker in den Antrag schauen, stellen wir fest, dass wir inhaltlich nicht weit voneinander entfernt sind. Man kann Ihre Ungeduld schon verstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich gestehe offen, dass ich der Meinung bin, dass das Bundesjustizministerium den Arbeitsauftrag aus dem Koalitionsvertrag ruhig etwas schneller bearbeiten könnte. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Marianne Schieder [SPD]: Das können Sie mal besprechen!) Der Gesetzentwurf, so hörte ich, liegt dem BMJV mittlerweile vor, und ich erwarte, dass er in Kürze in die Ressortabstimmung geht (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kannst du noch lange warten!) und dann zügig hier im Parlament in erster Lesung behandelt wird. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Maas und Wanka Hand in Hand!) Allerdings waren weder die Bundesregierung noch der Bundestag bei dem Thema Wissenschaftsschranke in den letzten knapp drei Jahren untätig. So hat – es wurde angesprochen – Frau Katharina de la Durantaye im Auftrag des BMBF ein vielbeachtetes Gutachten vorgelegt und damit in der Tat den fundiertesten Diskussionsvorschlag für eine Allgemeine Bildungs-, Wissenschafts- und Bibliotheksschranke eingebracht. Worum geht es bei diesem Thema? Wir wollen eine technologieoffene Regelung haben, die wir nicht nach jeder technischen Neuentwicklung wieder anpassen müssen. Wir wollen eine lesbare, verständliche Regelung aus einem Guss; das haben meine Vorredner betont. Wir wollen auch langfristige Rechtssicherheit für alle Beteiligten erreichen. Dass solche Regelungen möglich sind, zeigt im Übrigen ein völkerrechtliches Abkommen im Urheberrecht: die Berner Übereinkunft von 1886. Hier wurde der sogenannte Drei-Stufen-Test eingeführt, welcher bis heute Gültigkeit hat und Leitlinie für unsere Schrankenregelungen im Urheberrecht ist. Den sogenannten Schrankendschungel hat Kollege Flisek bereits angesprochen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Gehring auch!) Es wurde auch gesagt, dass nicht alle Wissenschaftler oder Bibliothekare auch Juristen sein müssen, um das Ganze zu verstehen. Von daher, denke ich, ist das Gutachten von Frau de la Durantaye ein sehr guter Diskussionsvorschlag. Sie arbeitet mit einer Generalklausel und dem Rechtsbegriff der Gebotenheit. Die Schranke bleibt selbstverständlich vergütungspflichtig. Das möchte ich von unserer Seite aus noch einmal ausdrücklich betonen. Meines Erachtens ist das Ziel der Neufassung dieser Schranke nicht, dass sie möglichst oft und umfassend angewendet wird. Denn dort, wo es leicht auffindbare und preislich fair gestaltete Lizenzangebote gibt, werden diese sicherlich auch in Zukunft die erste Wahl sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleichwohl brauchen wir diese Wissenschaftsschranke. Wir kennen die stark gestiegenen Preise und die Bündelung in Datenbanken, die oft dazu führen, dass wissenschaftliche Werke für unsere Hochschulbibliotheken schwerer zu lizenzieren sind. Die Hochschulbibliotheken beschweren sich über Marktversagen und punktuelle Monopolbildung durch wissenschaftliche Großverlage. Die Länder wiederum beklagen die enormen Preissteigerungen bei wissenschaftlicher Literatur. Hier kann die Wissenschaftsschranke quasi als Überdruckventil dienen. Wenn nämlich die Verlage keine angemessenen Lizenzangebote machen, hat der Wissenschaftler die alternative Möglichkeit, den Zugang zu Literatur eben über diese Schranke zu erhalten. Ohne diese Wissenschaftsschranke bekämen wir meines Erachtens einen asymmetrischen Markt. Ich darf festhalten, dass wir natürlich insbesondere die Bibliotheken nicht vergessen sollten. Auch diese sollten wir in diese neue Regelung einbeziehen. Es ist sehr wichtig, dass die Bibliotheken und Archive angemessen Berücksichtigung finden. Vielleicht – wir kennen ja den Vorschlag des BMJV noch nicht – kann man auch noch im Bibliotheksbereich die eine oder andere Anpassung in diesem Rahmen vornehmen. Ich denke an die Fernleihe, die elektronischen Archivierungsmöglichkeiten oder auch neue technische Möglichkeiten wie das Data-Mining, das wir gesetzlich natürlich noch ein ganzes Stück voranbringen müssen zum Wohle unserer Bibliotheken. Als Bildungs- und Forschungspolitiker bin ich überzeugt, dass sich Wissen und wissenschaftlicher Fortschritt möglichst schnell und unkompliziert verbreiten sollten. Das wollen wir mit einer Wissenschaftsschranke sicherstellen. Daher führen wir heute diese Debatte. Daher gibt es den Druck auf das BMJV. Ich danke ganz herzlich dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Druck? – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Marianne Schieder für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag greift ein überaus wichtiges Thema auf. Das Urheberrecht braucht in der Tat dringend eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Niemand will die Interessen der Urheberinnen und Urheber schmälern, aber der Zugang zu Wissen muss verbessert werden. Es ist in der Tat so, dass viele Nutzerinnen und Nutzer von entsprechenden Werken in ihrer täglichen Arbeit, bei der sie auf wissenschaftliche Publikationen, Bilder, Filme oder sonstige Dokumente angewiesen sind, wirklich nicht genau wissen, wie sie sich urheberrechtlich korrekt verhalten sollen. Das liegt – das kann ich nur noch einmal betonen, auch wenn es schon mehrmals gesagt worden ist – daran, dass die einschlägigen rechtlichen Regelungen im ganzen Urheberrecht verteilt sind. Das liegt auch daran, dass sie wenig praxistauglich und oftmals auch zu starr formuliert sind. Um hier für Klarheit zu sorgen, braucht es eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Das stellt niemand infrage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen deswegen eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, weil es diese neuen rechtlichen Regelungen für möglichst alle Anwendungsbereiche in Forschung, Lehre und Unterricht geben muss. Das ist in der Tat – auch da erzähle ich für Sie alle nichts Neues – eine besondere Herausforderung im Zeitalter der Digitalisierung. Es wurde schon mehrmals auf den Koalitionsvertrag hingewiesen. Ich möchte ihn zitieren. Dort heißt es: Wir werden den wichtigen Belangen von Wissenschaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung tragen und eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von den Linken, Sie können sich sicher sein: Wir halten unsere Zusagen ein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Eben! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann los! Wird langsam knapp!) Hier gilt aber in besonderem Maße die alte Lebensweisheit „Gut Ding will Weile haben“. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Urheberrecht ist ein komplexes Werk, und da hilft kein Drängeln. Es muss vielmehr vieles bedacht und ein handwerklich wirklich guter Gesetzentwurf gemacht werden. Hier gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. (Beifall des Abg. Christian Flisek [SPD]) Lieber Herr Kollege Schipanski, es muss auch manche Gegenwehr in Ihren Reihen überwunden werden. Damit erzähle ich Ihnen auch nichts Neues. Sie haben es schon erwähnt: Es gibt das Gutachten von Frau Professor de la Durantaye. Es enthält wirklich viele gute Ansätze, mit denen wir arbeiten, um daraus einen guten Gesetzentwurf zu machen. Es geht hierbei aber natürlich auch – auch damit erzähle ich kein großes Geheimnis – um das Europarecht. Von der Europäischen Kommission wurde schon mehrfach eine Reform des europäischen Urheberrechts angekündigt. Wir haben gedacht, dass wir diese Änderungen abwarten könnten, um sie in unseren Gesetzentwurf gleich mit einzuarbeiten. Es liegt aber immer noch nichts Konkretes vor. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tempus fugit!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir alle sind uns darüber einig, dass eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke notwendig ist. Wir alle sind uns aber auch darüber einig, dass niemandem mit einem übereilten Werk gedient ist, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach zwölf Jahren Debatte übereilt? Frau Schieder! Jetzt machen Sie endlich! Das ist doch alles schon formuliert! Es ist alles in der Schublade von Herrn Kauder!) sondern dass allen viel mehr damit gedient ist, wenn wir einen gut durchdachten und gut ausgearbeiteten Gesetzentwurf vorlegen; denn nur damit helfen wir den Menschen, die Werke schaffen, ebenso wie denjenigen, die sie nutzen wollen. Lieber Kai Gehring, du kannst versichert sein: Du wirst uns für den hervorragenden Gesetzentwurf, den wir vorlegen werden, loben müssen. In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/8245 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Nicht geeinigt hat man sich darauf, wo die Federführung liegen soll. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 d auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksache 18/8615 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksachen 18/8829, 18/8883 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/9090 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9091 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern und Lohndumping bekämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Praxisnahe Förderung von Anfang an – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Integration ist gelebte Demokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt Drucksachen 18/6644, 18/7653, 18/7651, 18/9090 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaffen Drucksachen 18/6198, 18/6345, 18/9101 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt Drucksachen 18/6192, 18/7049, 18/9022 Zu dem Entwurf eines Integrationsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich darf Sie nun bitten, möglichst zügig Ihre Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staatsministerin Aydan Özoğuz. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) Aydan Özoğuz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Professor Zick von der Uni Bielefeld hat heute Morgen eine Studie mit dem Titel „ZuGleich“ vorgestellt. Er hat einen Vergleich zwischen den Einstellungen der Menschen in der Zeit 2013/2014 und heute gezogen und stellt dabei fest, dass sich manche Dinge leicht verändert haben. Ein Beispiel ist, dass eine kulturell vielfältige Gesellschaft nicht mehr den gleichen Stellenwert wie vor zwei Jahren hat. Das Eigene rückt wieder stärker in den Fokus, das sogenannte Andere wird an den Rand gedrängt. Das Eigene und das Andere entfernen sich also voneinander. Professor Zick hat dabei aber auch Erfreuliches herausgefunden: Ein Großteil unserer Bevölkerung zum Beispiel – das glauben viele ja nicht – steht Flüchtlingen positiv gegenüber. Eine Mehrheit in unserer Bevölkerung begrüßt die zunehmende Vielfalt in der Bevölkerung, und die Mehrheit der Bevölkerung, und zwar mit und ohne Einwanderungsgeschichte, möchte, dass allen Menschen Teilhabe ermöglicht wird. Genau das tun wir heute mit diesem Integrationsgesetz, indem wir nämlich denjenigen Teilhabe ermöglichen, deren Asylverfahren noch laufen und die in der Vergangenheit bis zum Ende ihres Verfahrens warten mussten – das konnte lange dauern; ein Jahr oder auch zwei Jahre –, bis sie endlich einen Sprachkurs oder überhaupt etwas machen durften, obwohl sie die ganze Zeit über hier waren. Das, was wir heute machen, ist ein Riesenschritt. Ich möchte den verhandelnden Ministern sehr dafür danken und freue mich, dass der Deutsche Bundestag heute diesen Schritt gehen möchte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man muss noch einmal betonen, dass viele Fehler der Vergangenheit mit diesem Gesetz beseitigt werden und hier tatsächlich sehr genau auf die Details geschaut wurde, damit Menschen auf dem Ausbildungs- wie auf dem Arbeitsmarkt schneller Fuß fassen können. Denjenigen mit guter Bleibeperspektive wird beispielsweise der Zugang zu Fördermaßnahmen des SGB III ermöglicht, also Berufsausbildungsbeihilfe, Berufsbegleitende Hilfen oder Assistierte Ausbildung. Dass ein Duldungsanspruch für die Berufsausbildung mit der Drei-plus-zwei-Regelung geschaffen wird, erinnert mich sehr an meine Studienzeit. Damals hieß es: Ausländer sollen bitte einen Tag nach Beendigung ihres Studiums das Land verlassen. – Es hat ein paar Jahre gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es unsinnig ist, Menschen hier auszubilden und sie dann nach ihrer Ausbildung wegzuschicken. Das machen wir auch nicht mehr bei Menschen in Ausbildung, eine Situation, die mit einem Studium vergleichbar ist, sondern geben diesen Menschen sechs Monate Zeit, um eine adäquate Stelle zu finden. Hinzu kommen die hunderttausend Arbeitsgelegenheiten in Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen, damit diese Menschen schon in der Erstaufnahme einer gemeinnützigen, sinnvollen Beschäftigung nachgehen können. Dafür stellt der Bund immerhin 300 Millionen Euro bereit. Geflüchtete wollen schließlich nicht herumsitzen. Sie wollen, so schnell es geht, arbeiten, auch wenn es für sie auf dem ersten Arbeitsmarkt noch keine Perspektive gibt. Ich möchte hier einen großen Dank an die Arbeitsministerin Nahles aussprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde es auch sehr gut – darüber haben wir schon länger gesprochen –, dass wir Erstorientierungskurse für Asylbewerber, unabhängig von ihrer Bleibeperspektive, ihren Sprachkenntnissen und ihren Vermittlungsmöglichkeiten, etablieren können. Aber erlauben Sie mir, dass ich als Beauftragte hinzufüge: Es wird nicht reichen, in der zweiten Jahreshälfte zwei Modellprojekte auf den Weg zu bringen und abzufragen, welche Bundesländer mitmachen. Es sei mir erlaubt, dass ich das etwas kritisch anmerke. Gerade Bayern hat uns schon vor zwei Jahren gesagt: Das gibt es doch bei uns alles schon. Diese Projekte könnten doch sofort in anderen Bundesländern durchgeführt werden. – Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir wirklich allen einen Sprachkurs oder zumindest einen Orientierungskurs ermöglichen könnten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass das nicht so ohne Weiteres geht, liegt daran, dass wir keine gesetzliche Definition für die „gute Bleibeperspektive“ haben. Wir halten uns an die starren Schutzquoten von 50 Prozent. Es ist für keinen hier im Haus ein Geheimnis, dass zum Beispiel der Anteil der Afghanen mit 48 Prozent knapp unterhalb dieser Quote liegt und wir gleichzeitig wissen, dass viele von ihnen, wenn nicht die meisten, hierbleiben werden. An der Stelle brauchen wir endlich eine gesetzliche Definition dieser Bleibeperspektive, die sich natürlich an der Realität orientieren muss, also daran, ob jemand tatsächlich bleiben wird, damit wir all denen auch Sprachkurse, Ausbildungsangebote etc. zukommen lassen können. Ich glaube, in diesem Bereich sind noch weitere Schritte möglich, wenn das Integrationsgesetz heute beschlossen wird. Man muss ja nicht auf der Stelle stehen bleiben, wo man gerade ist. (Beifall bei der SPD) Ich möchte einen letzten Punkt erwähnen: Auch das BAföG sollte weiter geöffnet werden. Denn die Ausbildungsförderung nach SGB III sollte auch für Drittstaatsangehörige weiterhin gleich ausgestaltet sein. Es ist ein guter Tag für die Integration, weil wir aus der Vergangenheit gelernt haben. Ich hoffe, dass wir in diesem Sinne weitermachen und gute weitere Schritte ermöglichen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sagen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, das sei ein Integrationsgesetz. Ich sage Ihnen: Das ist ein Ausgrenzungsgesetz für Menschen, die bei uns Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. So werden Sie die Integration nicht bewältigen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie ignorieren praktisch komplett die Mahnungen und Hinweise der Verbände, die tatsächlich mit Flüchtlingen arbeiten. Sie unterstellen den Menschen, die zu uns kommen, fehlenden Integrationswillen. Im Wesentlichen präsentieren Sie nur Verschärfungen, Kürzungen und Sanktionen. (Daniela Kolbe [SPD]: Wo kürzen wir denn was? Das ist doch lächerlich!) Aber am schlimmsten ist: Sie geben damit der Ausländerfeindlichkeit am rechten Rand nach. Das ist genau der falsche Weg, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Frau Zimmermann, Sie wissen es doch besser! Unverschämtheit!) – Hören Sie mir zu, liebe Kollegin Mast! Dann können Sie vielleicht noch ein bisschen lernen, gerade was 1-Euro-Jobs angeht. – Integration in den Arbeitsmarkt gelingt eben nicht über 1-Euro-Jobs, und schon gar nicht über die 80-Cent-Jobs. Das zeigt die Erfahrung, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben. (Beifall bei der LINKEN) Die kommunalen Spitzenverbände haben zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass ein gewaltiger Verwaltungsaufwand auf sie zukommt, weil die Flüchtlinge 30 Euro weniger im Monat bekommen sollen. Dazu sagt die Linke: Das ist völlig unsinnig. (Beifall bei der LINKEN) Diese Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlingen bieten keine Qualifikationsmöglichkeiten. Sie sind auch nicht dazu geeignet, die deutsche Sprache zu erlernen. Wo sie innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte stattfinden, werden sie auch reguläre Beschäftigung verdrängen. Sinnvoll wären stattdessen durchgehende Einstiegsqualifizierungen mit Deutschkursen und verstärkte Anstrengungen, die Berufsabschlüsse der Flüchtlinge anzuerkennen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Bundesrat wollte, dass Flüchtlinge rasch Zugang zu Ausbildungsbeihilfe und zum Ausbildungsgeld erhalten. „Rasch“ heißt sofort und nicht erst in 15 Monaten. Das hat die Bundesregierung ebenso abgelehnt wie alle anderen vom Bundesrat vorgeschlagenen Erleichterungen zum Hochschulzugang. Das ist völlig unverständlich. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind uns alle einig: Für Integration sind Sprachkenntnisse nötig. Aber statt allen Asylsuchenden Integrations- und Sprachkurse anzubieten, bleibt das Angebot hinter dem Bedarf zurück. Wir brauchen circa 800 000 Plätze in den Integrationskursen, schätzt Pro Asyl. Es ist aber nur Geld für 300 000 Menschen da. Dabei haben wir noch nicht einmal über die Qualität der Kurse geredet. Wer keinen Platz in einem Integrationskurs findet, der gilt nach Ihrem Gesetzentwurf als integrationsunwillig und wird dann mit Sanktionen bestraft. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Wo steht denn das? – Daniela Kolbe [SPD]: Lies das Gesetz doch mal! Das stimmt doch nicht!) Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Integration zu tun. Das ist Demütigung und Angstmache. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Was ist denn das für ein Gesetz, von dem Sie da reden?) Die Linke fordert: Sanktionen für Flüchtlinge und auch für Erwerbslose in Deutschland müssen endlich abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Das ist doch Geschwätz!) Ich komme zum Schluss. Wir brauchen frühzeitige Sprachkurse, Qualifikationsangebote und sichere Bleibeperspektiven gerade für Menschen, die einen Beruf oder eine Ausbildung aufgenommen haben, und eine schnellere Anerkennung der Berufsabschlüsse. Nur so funktioniert es. Was Sie unter Fordern und Fördern verstehen, haben wir bei Hartz IV gesehen. Die Linke fordert: keine Neuauflage von Hartz IV! Wir werden das auf gar keinen Fall unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin kommt jetzt die Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Schönen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Zimmermann, vielleicht hören Sie jetzt einmal zu. Wir hatten ja in den vergangenen Wochen ausgiebige Diskussionen. Einfach mal zuhören und dann vielleicht verstehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Integrationsgesetz stellt das Fördern und Fordern in den Mittelpunkt. Es fördert die Integration und fordert sie aber auch ein, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wie bei Hartz IV!) und zwar soll Integration durch schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt sowie durch die Verbesserung und den Ausbau des Angebotes an Integrations- und Sprachkursen gelingen. Das Integrationsgesetz fordert von den Menschen, die zu uns kommen, diese Angebote aber auch anzunehmen. Das ist gut, und es ist der richtige Weg. Wichtig dabei ist: Wir wollen keine Konkurrenz zu Langzeitarbeitslosen aufbauen, und das wird auch nicht der Fall sein. Fast alle Maßnahmen, die Flüchtlingen zugutekommen, stehen auch unseren Langzeitarbeitslosen offen, und nur wenige Förderungen, die insbesondere dem Spracherwerb dienen, sind ausschließlich für Flüchtlinge. Ich möchte einige Arbeitsmarktinstrumente für Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge hervorheben: Das sind Praktika, Berufseinstiegsqualifizierungen, Lohnkostenzuschüsse, Arbeitsgelegenheiten, assistierte Ausbildung und Weiterbildungsmaßnahmen nach dem SGB III. Wenn ich mir so die Diskussionen der letzten Wochen vor Augen halte: Ja, es ist richtig: Nicht jeder ist deshalb ein guter Mensch, weil er ein Flüchtling ist. Deswegen müssen wir einfordern, dass unsere Gesetze eingehalten werden und dass das Leben in unserem Land eben nur auf der Grundlage unserer Verfassung möglich ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und ja, es ist richtig: Wir brauchen große Anstrengungen, da viele von denen, die schon hier sind oder die zu uns kommen, eine noch mangelhafte Bildung und eine geringe berufliche Qualifikation besitzen. Gut finde ich dabei, dass durch das Integrationsgesetz zahlreiche Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Diese qualifizieren die Menschen nicht, Frau Zimmermann; wir brauchen aber niederschwellige Arbeitsangebote, da auch durch Arbeit Spracherwerb leichter möglich ist, und Spracherwerb ist der zentrale Punkt für Integration. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wenn die nur ihre Heimatsprache sprechen können?) Es ist auch richtig, dass noch nicht ausreichend Sprachkurse vorhanden sind. Hier müssen wir weiterhin mit Hochdruck arbeiten, das wissen wir alle; und das geschieht aber auch. Meine Damen und Herren, wir reden und entscheiden hier über Menschen, und dies braucht Zeit, Geduld und einen kühlen Kopf. Es ist nicht nur einfach ein Schalter, der umgelegt wird, und die Welt ist wieder so, wie sie mal war – schön oder nicht. So wollen es uns allerdings einige vormachen. Daher ist es für mich einfach unerträglich, wenn man, wie auch heute schon wieder angeklungen ist, die vielen – in meiner Region würde man sagen – Rumnöler hört. Frau Zimmermann, ich sehe, Sie teilen Ihre fünf Minuten auf, damit Frau Daǧdelen gleich auch noch zwei Minuten Zeit hat – Gott sei Dank nur zwei –, um auch mal wieder rumzunölen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja wieder mal sehr feministisch!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, da freuen sich die Rechten. Immer wieder wird gesagt: Klappt doch alles nicht, alles wird falsch gemacht. – Unser Land wird schlicht schlechtgeredet und leider auch oft schlechtgeschrieben. Es gibt erhebliche Anfeindungen und Angriffe gegen Flüchtlinge und gegen ihre Unterstützer, die vielen ehrenamtlichen Menschen, denen man in unserem Land nur dankbar sein und auf die man stolz sein kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Außerdem wird zum Teil kübelweise Hass im Internet und in den sozialen Medien ausgeschüttet. In der letzten Woche war ich bei der Bundesagentur für Arbeit meines Wahlkreises. Dort werden zurzeit circa 1 000 Flüchtlinge betreut. Die Geschäftsführerin berichtete mir: Erstens. Die meisten dieser Menschen sind hoch motiviert. Zweitens. Sie wollen die deutsche Sprache schnell erlernen. Drittens. Sie wollen schnell in Arbeit kommen. Vor allem aber viertens sind sie glücklich, Krieg und Bomben entkommen zu sein und jetzt in unserem Land leben zu dürfen. Ich war, bevor ich Mitglied des Deutschen Bundestages wurde, zehn Jahre Bürgermeisterin. Als Bürgermeisterin habe ich immer wieder Kitas und Schulen schließen müssen, weil schlicht keine Kinder mehr da waren. Jetzt wird in meinem Wahlkreis – genauso wie in vielen anderen Kommunen – darüber nachgedacht und zum Teil schon geplant, neue Kitas und Schulen zu bauen. Ich finde, das sind auch mal gute Nachrichten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Klar ist: Wir können nicht alle diese Menschen aufnehmen. Wir müssen hier eine Auswahl treffen. Diejenigen, die wirklich Schutz vor Krieg suchen, sollen bleiben dürfen. Den Armutsflüchtlingen muss man in den Herkunftsländern helfen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Indem Sie Ihre Panzer da hochschicken!) Das tun wir schon seit vielen Jahren, unter anderem in der Entwicklungspolitik. Eine Begrenzung ist also zwingend notwendig. Nun sollen Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, damit die Asylverfahren schneller abgeschlossen werden können. Hier blockiert plötzlich – unverständlich – die SPD-geführte Landesregierung von NRW. Das ist mir unbegreiflich. (Katja Mast [SPD]: Und die mit CDU-Beteiligung in Baden-Württemberg!) Diese Landesregierung hat durch ihren Innenminister Jäger im Januar (Katja Mast [SPD]: CDU Baden-Württemberg!)  – das war nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln – über die Migranten aus den Maghreb-Staaten gesagt, sie seien eine Problemklientel, und hat dann einseitig einen Aufnahmestopp für diese Gruppe in NRW erklärt. Bei der Einstufung dieser Länder zu sicheren Herkunftsländern blockiert NRW nun. Ich finde, das ist grotesk und aus meiner Sicht unverantwortlich und im Übrigen gegen die Entscheidung der SPD-Bundestagsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wirken Sie noch einmal auf die Ministerpräsidentin Frau Kraft ein. (Katja Mast [SPD]: Was macht denn Herr Strobl in Baden-Württemberg? Ein bisschen billig, Frau Weiss!) Wir haben mit dem vorliegenden Integrationsgesetz ein gutes Gesetz vorgelegt. Ich freue mich, dass wir das heute zum Abschluss bringen können. Wir werden damit Erfolg haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Weiss, Sie haben recht: Nicht jeder ist ein guter Mensch, weil er ein Flüchtling ist. Ich habe sogar lernen müssen: Nicht jeder ist ein schlechter Mensch, nur weil er in der CDU ist. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Toll! Super! Ganz geile Erfahrung! Glückwunsch! Sie kriegen nachher von mir einen Bonbon!) Frau Weiss, Sie haben eine Chance vertan, auch wenn der vorliegende Gesetzentwurf einige positive Elemente enthält; das will ich gar nicht bestreiten. Aber ein Gesetz, das die Hälfte der Asylbewerber von Integrationsangeboten ausschließt, hat sein Ziel nicht erreicht. Das ist ein schlechtes Gesetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Tatsächlich sind wir im Begriff – ich zitiere die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung –, „sehenden Auges die Fehler der Vergangenheit“ zu wiederholen. Ich finde, damit hat Frau Özoǧuz ausdrücklich recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die entscheidende Frage lautet nur, warum ihr das erst jetzt auffällt. Wo war eigentlich Frau Özoǧuz bis jetzt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dem Festhalten an der diskriminierenden Einteilung der Flüchtlinge nach guter bzw. schlechter Bleibeperspektive verhindern Sie ausdrücklich die Integration von mehr als der Hälfte der Flüchtlinge. Nur weil Sie den Menschen aus Afghanistan, Somalia und dem Sudan das Label „schlechte Bleibeperspektive“ verpassen, bleibt die Vielzahl dieser Menschen hier; das wissen Sie doch auch. Das Einzige, was sich durch dieses Label verändert, ist, dass sich die Integrationschancen dieser Menschen verschlechtern, und zwar rapide. Das ist nicht nur ein Drama für die betroffenen Menschen, die im Grunde ihren Integrationsehrgeiz nicht befriedigen können – dieser verwandelt sich dann in Frustration –, sondern das treibt auch die Kosten enorm in die Höhe. Das ist besonders dramatisch, weil Sie mit dieser Politik die gesellschaftliche Unterstützung, die wir immer noch haben, aufs Spiel setzen. Sie treiben die Betroffenen in die Schwarzarbeit und in die Illegalität und schaffen damit erst die Probleme, die die AfD mit ihren rechtspopulistischen Äußerungen heraufbeschwört. Das ist schlechte Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daran werden die 100 000 Arbeitsgelegenheiten auch nichts ändern. Es ist und bleibt das falsche Instrument, weil es qua Definition arbeitsmarktfern ist. Aber ich habe in der letzten Ausschusssitzung gelernt, dass die Arbeitsmarktintegration gar nicht das Ziel ist. Sie nehmen 300 Millionen Euro in die Hand, um den Flüchtlingen die Langeweile zu vertreiben. So haben Sie das im Ausschuss erklärt. Aber die Flüchtlinge wollen keine Beschäftigungstherapie. Sie wollen etwas lernen, und sie wollen arbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit 300 Millionen Euro könnten wir Sprachkurse und Qualifizierung finanzieren. Dieses Geld wäre besser bei den Flüchtlingen angelegt, selbst wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehren. Dann könnten sie einen besseren Beitrag zum Aufbau zu Hause leisten. Das wäre tatsächlich hilfreich bei der Fluchtursachenbekämpfung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Frau Nahles, Sie haben in der Vergangenheit, wie ich finde, mit Verve und zu Recht dagegen gekämpft, dass es eine Mindestlohnabsenkung für Flüchtlinge gibt. Aber dass jetzt ausgerechnet Sie ein extra Billigangebot bei den Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge schaffen, empfinde ich als eine Schande. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da werden die 1,50 Euro, die die deutschen Langzeitarbeitslosen erhalten, für die Flüchtlinge auf 80 Cent abgesenkt. Sie schaffen ein Zweiklassensystem. Das ist hochgradig diskriminierend. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsäglich!) Ich hätte mir nie vorstellen können, dass eine sozialdemokratische Arbeitsministerin das macht. Was setzen Sie damit für ein Signal! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Zweiklassensystem setzen Sie bei den Sanktionen fort. Die Sanktionen, die Sie für die Flüchtlinge vorsehen, sind deutlich härter als das, was wir aus dem SGB-II-System kennen. Ich finde, das ist wirklich eine Schande. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Lassen Sie mich noch Folgendes sagen: Was haben eigentlich Verschärfungen im Asyl- und im Aufenthaltsrecht in einem Integrationsgesetz zu suchen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist doch Etikettenschwindel. Sie schaffen zusätzliche Unsicherheit bei den Betroffenen. Bekanntermaßen ist Unsicherheit Gift für die Integration. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das schafft Verhaltenssicherheit!) Die Integration von Hunderttausenden von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist eine riesige Herausforderung, deren Bewältigung Jahre in Anspruch nehmen wird. Wir bräuchten dafür eigentlich ein richtig konsistentes Integrationskonzept. Aber Ihr Gesetz ist vom Geist der Abschreckung und der Ausgrenzung durchzogen. Dem werden wir unsere Zustimmung jedenfalls nicht geben. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Josip Juratovic für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ein gutes Integrationsgesetz muss beide Seiten berücksichtigen: die der Flüchtlinge und Zuwanderer, die in unserer Gesellschaft ankommen und dazu faire Bedingungen erhalten müssen, und die der Mehrheitsgesellschaft, die ihre Türen verantwortungsbewusst öffnet, um ebenjene Menschen aufzunehmen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da hat er recht!) Für mich als Integrationsbeauftragten der SPD-Fraktion sind beide Seiten gleichermaßen wichtig. Das Integrationsgesetz, das SPD und Union erarbeitet haben, kommt beiden Seiten gleichermaßen entgegen. Natürlich gibt es auch öffentlich umstrittene Punkte. Es wäre auch ein Wunder, wenn es nicht so wäre; denn schließlich ist dies ein Kompromiss unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Interessen. Das gilt zum Beispiel für die Wohnsitzauflage. Manche Stimmen meinen, Flüchtlinge müssten selbst entscheiden können, wo sie ankommen. Wenn sie bei Verwandten oder ihrer Community Unterschlupf finden, sei das schon ein erster Schritt in Richtung Integration. Viele der Flüchtlinge bevorzugen als ihren neuen Lebensmittelpunkt Großstädte, weil sie meinen, sie hätten dort größere Chancen als im ländlichen Raum. Ich selbst kam mit 15 nach Deutschland in eine Kleinstadt im baden-württembergischen Ländle. Es war das Beste, was mir passieren konnte. Die Welt ist klein und überschaubar. Wenn man Anschluss sucht, sei es in einem Verein oder einer Initiative, kann man schnell in Kontakt mit Menschen kommen; man ist sofort mittendrin. Ich will nichts beschönigen: Auch in einer Dorfgemeinschaft ist man drin oder eben draußen, wenn es schlecht läuft. Aber man hat alle Chancen der Welt, schnell und direkt Teil der Gesellschaft zu werden, zumal wenn auf kommunaler Ebene ausreichend Angebote an Sprach- und Integrationskursen vorhanden sind; das Angebot solcher Kurse ist ja auch Teil des Gesetzes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch hier kommen wir mit diesem Gesetz den Bedürfnissen der Menschen entgegen. Länder und Kommunen baten dringend um gezieltere Steuerungsmöglichkeiten. Sie möchten Flüchtlinge besser versorgen, aber sich stellenweise auch entlasten. Diese Möglichkeit bekommen sie jetzt. Kolleginnen und Kollegen, das Integrationsgesetz sendet somit deutlich positive Signale in alle gesellschaftlichen Gruppen. Der Staat stellt sich seiner Verantwortung und wird den aktuellen Erfordernissen gerechter. Auch die vielen freiwilligen Helfer, die stillen Helden in unserem Land, die Flüchtlinge in so großer Zahl unterstützen, sollten sich durch das Gesetz und die institutionelle Unterstützung ermutigt und nicht alleingelassen fühlen. Doch für mich ist es auch sehr wichtig, dass sich Integration und Teilhabe nicht nur um Flüchtlinge drehen; denn Integration funktioniert nur dann, wenn sich keine Bevölkerungsgruppe benachteiligt fühlt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abschließend möchte ich betonen: Ja, das Integrationsgesetz geht in die richtige Richtung, und ich hoffe, dass es schnell umgesetzt wird. Aber unsere Gesellschaft braucht mehr, um Zuwanderung zu regeln. Deshalb ist das Integrationsgesetz erst der Anfang, dem ein Einwanderungsgesetz dringend folgen muss. (Beifall bei der SPD) Ich bitte um Zustimmung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Sevim Dağdelen das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon interessant, dass jetzt der Opposition Kritik an einem Gesetzentwurf der Regierung vorgeworfen wird. Aber ich möchte Sie von der CDU/CSU doch wirklich bitten: Hören Sie lieber den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsorganisationen zu. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jeden Sonntag höre ich der Kirche zu!) All das sind Organisationen, die dieses Gesetz massiv kritisiert haben. All das sind aber die Organisationen, die den Flüchtlingen ihre Ankunft hier so angenehm wie möglich zu organisieren versucht haben, nachdem der Bund die Länder und die Kommunen im Stich gelassen hatte, nachdem zuvor die Kanzlerin die Flüchtlinge nach Deutschland eingeladen hat. Das war doch das Problem. Diese Organisationen haben in den Kommunen die Integration möglich gemacht. Selbst Ihre Integrationsbeauftragte hat noch heute in der Presse dieses Gesetz kritisiert als ein Gesetz, das die Integration von Migrantinnen und Migranten zu beinträchtigen droht. Das ist doch ein Armutszeugnis ohnegleichen. Die Integrationsbeauftragte kritisiert ein Gesetz, das Sie Integrationsgesetz nennen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte einen zweiten Punkt anmerken. Ich finde besonders schlimm, welche Verschärfungen Sie noch in letzter Sekunde in diesem Gesetz vorgenommen haben. Im Kabinettsentwurf war vorgesehen, dass die umstrittene Zuweisung des Wohnortes dann entfallen kann, wenn ein Flüchtling einen angemessenen Wohnraum oder eine Beschäftigung woanders nachweisen kann. Die Möglichkeit, sich selbst angemessenen Wohnraum zu suchen und an diesen Ort ziehen zu dürfen, wurde per Änderungsantrag der Großen Koalition einfach mal gestrichen. Das heißt, dass die Wohnsitzauflage bestehen bleibt, selbst wenn sich die Betroffenen erfolgreich um Alternativen gekümmert haben. Da frage ich Sie: Glauben Sie wirklich, dass es die Integration fördert, wenn die Flüchtlinge nicht für sich selbst sorgen können? Ich halte es wirklich für abenteuerlich, die Eigeninitiative von Flüchtlingen dermaßen zu bestrafen. Allein schon an diesem Beispiel zeigt sich, dass es Ihnen nicht um die Integration von Flüchtlingen geht, sondern um die Gängelung von Flüchtlingen, (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja Wahnsinn!) und das finden wir inakzeptabel, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind dafür, Eigeninitiative und Integrationsbemühungen von Flüchtlingen nicht zu erschweren; anderenfalls schaffen Sie nur Ausgrenzung und Ghettoisierung. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Zwei Minuten Verwirrung!) Deshalb hat die Integrationsbeauftragte dieser Bundesregierung recht. Dies ist kein Integrationsgesetz; (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was, Frau Özoğuz?) das Gesetz wird Desintegration befördern. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion ist die Kollegin Cemile Giousouf. (Beifall bei der CDU/CSU) Cemile Giousouf (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern Sie sich noch an die Diskussionen vor einem Jahr? Da haben wir alle in unseren Fraktionen darüber diskutiert, wie wir die Kommunen unterstützen können, damit sie die Kriegsflüchtlinge versorgen können – mit einer Unterkunft, mit einer Erstaufnahme. Es ging darum, dass die Asylanträge schneller bearbeitet werden sollen. Und heute? Heute reden wir über ein Gesetz, das Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns geflohen sind, dabei helfen soll, in der Zeit, in der sie hier leben, Teil unserer Gesellschaft zu sein. In so kurzer Zeit hat unser Innenminister gemeinsam mit der Arbeitsministerin ein Gesetz auf den Weg gebracht, in dem es um Integration und Teilhabe geht. Während andere europäische Länder sich noch immer weigern, Menschen auch nur Unterschlupf zu geben, streiten wir heute darum, wie wir Bleibeberechtigte am besten und schnellsten integrieren können. Dazu möchte ich uns allen gratulieren; es zeigt doch sehr, was wir unter Verantwortung verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Heute verabschieden wir das erste Integrationsgesetz Deutschlands. Das Gesetz ist wirklich ein Meilenstein, wie die Bundeskanzlerin es gesagt hat. Dieses Gesetz zeigt, dass wir keine Zuwanderung ohne Integration mehr wollen und in diesem Land auch nicht mehr haben werden. Anerkannte Flüchtlinge unterstützen wir, aber Integration braucht eben auch Regeln. Regeln haben wir in allen gesellschaftlichen Bereichen, und deswegen brauchen wir sie auch im Bereich der Integration. Es ist ein Gesetz der Partnerschaftlichkeit. Wenn wir den Flüchtlingen sagen, dass wir auch etwas von ihnen erwarten, nehmen wir sie als eigenverantwortliche Menschen ernst. Wir beziehen sie auf Augenhöhe in unsere Gesellschaft ein, weil wir sie nicht nur paternalistisch versorgen wollen. Die Kollegen von der Opposition haben einige Punkte kritisiert. Es ist ihr Recht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Danke sehr! Sagen Sie doch mal was inhaltlich Neues!) Aber schauen wir uns die Verhältnismäßigkeit an! Sie, Frau Dağdelen, bezweifeln – das haben Sie eben noch einmal deutlich gemacht –, dass die Wohnsitzauflage die Integration überhaupt fördern könne. Experten des Sachverständigenrates sagen – also nicht nur die Politiker –: Wenn etwas Integration am meisten befördert, dann sind es Sprache und Arbeit. Deshalb ist es auch richtig, dass die Flüchtlinge dorthin ziehen, wo sie eine Arbeit bekommen, wo sie Integrationskurse bekommen und die Sprache lernen können. (Beifall bei der CDU/CSU) An einer Stelle muss ich Frau Dağdelen allerdings recht geben. Es hat auch mich etwas irritiert, heute in der Presse zu lesen, dass selbst die Staatsministerin für Integration das Gesetz kritisiert hat. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihre Koalition schon zu Ende?) In ihrer Rede hat sich das alles anders angehört. (René Röspel [SPD]: Sie will etwas, das schon gut ist, besser machen!) Ich glaube, dass es einen faden Beigeschmack bei unseren Bürgerinnen und Bürgern hinterlässt, wenn wir nicht geschlossen hinter diesem Gesetz stehen. Wir sollten nach außen die klare Botschaft senden, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) dass dieses Gesetz hilft und herausfordern kann: (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Wir fordern die Menschen auf, die Sprache zu lernen. Aber wir stellen natürlich auch die Angebote dafür zur Verfügung. Allein in diesem Jahr fließen 250 Millionen Euro zusätzlich für die Integrationskurse. Wir heben den Stundensatz für Integrationslehrer an. (Katja Mast [SPD]: Wie lange haben wir dafür gekämpft!) Wir erweitern mit dem Integrationsgesetz außerdem die Orientierungskurse von 60 auf 100 Stunden. Dabei legen wir verstärkt Wert darauf, dass unsere Grundrechte und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen besser erklärt werden. Das kommt übrigens besonders den Flüchtlingsfrauen selbst zugute. Ganz wichtig für uns: Die Hälfte der Flüchtlinge sind zwischen 18 und 27 Jahre alt. Es sind junge Menschen, die wir frühzeitig unterstützen können, einen Beruf zu erlernen. Der Arbeitsmarkt kann das auch schaffen. Im Moment haben wir in Deutschland 41 000 offene Ausbildungsplätze. Auch für Geduldete schaffen wir Rechtssicherheit. Wer eine Ausbildung beginnt, soll für die gesamte Dauer in Deutschland bleiben dürfen. Die bislang bestehende Altersgrenze zu Beginn der Ausbildung fällt weg. Da, wo die Arbeitslosigkeit niedrig ist, können die Länder entscheiden, auf die Vorrangprüfung zu verzichten – eine Forderung, die oft von Unternehmen kam. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum dann nicht vollkommen?) Nun beschweren sich die Kollegen der Grünen immer noch darüber, dass wir die berufsvorbereitenden Maßnahmen für Geduldete erst nach sechs Jahren zugänglich machen. Da frage ich mich schon bei so manchem Beitrag, ob Sie überhaupt wissen, wer Geduldete sind. Geduldete sind Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die teilweise über Jahrzehnte nicht abgeschoben werden!) Hinzu kommt: Nur 0,6 Prozent der Asylentscheidungen in diesem Jahr endeten mit einer Duldung. Über wie viele Menschen reden wir also? Wer als Geduldeter einen Ausbildungsplatz findet, hat auch Zugang zu allen Unterstützungsmaßnahmen. Nur die berufsvorbereitenden Maßnahmen haben diese Koppelung an den Arbeitsmarkt nicht, sondern finden allein bei einem Bildungsträger statt. Deshalb habe ich kein Verständnis dafür, dass Sie ein Gesetz schlechtreden, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie bei der Anhörung dabei?) das 99 Prozent der Betroffenen unterstützt, nur weil Sie meinen, dass weniger als 1 Prozent der Menschen nicht schnell genug geholfen wird. Also bei allem Respekt: Das ist einfach Quatsch. (Beifall bei der CDU/CSU) Insgesamt sieht der Finanzplan für dieses Jahr zusätzlich rund 10 Milliarden Euro für die Aufnahme der Flüchtlinge und die Bekämpfung von Fluchtursachen vor. Wer all das, was wir gemacht haben und jetzt auch vorhaben, gebetsmühlenartig schlechtredet, selbst gegen Expertenmeinungen und Erläuterungen, der betreibt das Geschäft der Angstmacher. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte?) Stellen Sie sich doch einmal hinter die Menschen dieses Landes, und stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Katja Mast das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Katja Mast (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir mehr für die Integration tun, dann tun wir das nicht nur für die Betroffenen, für die zu Integrierenden, sondern für uns alle. (Beifall bei der SPD) So hat das Johannes Rau 2001 auf den Punkt gebracht. Dieses Integrationsgesetz ist ein Zukunftsgesetz und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Zuwanderungsgesetz. (Beifall bei der SPD) Um vom Fremden zum Nachbarn, zum Kollegen, zum Vereinsmitglied zu werden, ist die Integration in Arbeit und Ausbildung der beste Weg, weil Arbeit Teilhabe ist; davon sind wir in der SPD überzeugt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht nur Sie!) Arbeit und Ausbildung sind Dreh- und Angelpunkt für alle Integrationsbereiche, für Sprache, Bildung und soziale Teilhabe. Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Gesetz herausgreifen, welches das verdeutlicht. Jeder geduldete Flüchtling kann künftig eine Ausbildung machen. Für ihn und seinen ausbildenden Betrieb ist klar, wie lange er oder sie hierbleiben darf: drei Jahre für die Ausbildung und zwei Jahre für die Weiterbeschäftigung. Das ist gut und wichtig, weil sich jetzt für den Betrieb die Ausbildung lohnt; denn die Betriebe bilden für sich selbst aus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit ist endlich Schluss mit der Unsicherheit für alle Beteiligten. Mit Ausbildungsbegleitenden Hilfen und Assistierter Ausbildung stehen Instrumente der Bundesagentur für Arbeit schneller zur Verfügung, um das Ausbildungsverhältnis zu stabilisieren. Neu ist auch, dass jetzt der Ausbildungsvertrag das Aufenthaltsrecht klärt und nicht mehr, wie bisher, das Ausländeramt. Das ist für alle Beteiligten unbürokratischer und am Ende auch besser. (Beifall bei der SPD) Bei einem Ausbildungsabbruch – das hat die SPD in den Verhandlungen durchgesetzt; darauf lege ich schon viel Wert; das haben bisher alle vergessen zu sagen –, kann künftig einmalig sechs Monate nach einem neuen Ausbildungsplatz gesucht werden. Das ist deshalb so wichtig, weil jeder vierte Ausbildungsvertrag aufgelöst wird, meist durch Abbruch. Dieses Verhältnis wollen wir nicht mit ausländerrechtlichen Fragen belasten. Insofern ist auch das ein großer Erfolg. (Beifall bei der SPD Vor dem Hintergrund, dass 70 Prozent der geflüchteten Menschen, die zu uns kommen, unter 30 Jahre alt sind, ist dieses Integrationsgesetz ein Ausbildungsförderprogramm erster Güte, und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD) Deshalb danke ich insbesondere unserer Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und ihrem Haus. Sie hat Wert darauf gelegt, dass es in Deutschland bei der Integration durch Arbeit endlich einen Meilenschritt nach vorne geht. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl! Das stimmt, Frau Özoğuz!) Warum ist das der wichtigste Schritt auf dem Weg zum Zuwanderungsgesetz? Weil zum ersten Mal beim Bleiberecht nicht mehr danach gefragt wird, wo jemand steht, sondern danach, wohin jemand will. Und das ist der Schritt in Richtung Zuwanderungsgesetz. (Beifall bei der SPD) Kurzum: Nie waren die Rahmenbedingungen für das Gelingen von Integration – vom Fremden zum Nachbarn, zum Kollegen und zum Vereinsmitglied – so gut, wie sie es mit diesem Integrationsgesetz zukünftig sein werden. Das ist ein gutes Gesetz. Geben Sie ihm Ihre Stimme! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber ein langer Werbeblock!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Andrea Lindholz von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wollen wir mit diesem Integrationsgesetz die Integration der schutzberechtigten Menschen verbindlicher gestalten. Wir verbessern mit dem Integrationsgesetz aber nur den gesetzlichen Rahmen. Den Integrationswillen des Einzelnen kann der Staat nicht ersetzen. Er lebt hier von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann. Ohne die vielen Verantwortlichen vor Ort und ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer, die heute als Lotsen den Weg in die deutsche Gesellschaft weisen, könnte die schwierige Integrationsarbeit nicht gelingen. Sie übernehmen nach wie vor Tag für Tag Verantwortung, und dafür gebührt ihnen unser Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Kollegin Zimmermann, Ihrem Vorwurf, man kümmere sich nicht um die Menschen, die hierherkommen, widersprechen die vielen Menschen, die sich tagein, tagaus darum kümmern. Dem widersprechen aber auch die Zahlen: Die Finanzminister der Länder rechnen für die Versorgung und Integration mit zusätzlichen Kosten in Höhe von jährlich mindestens 20 bis 30 Milliarden Euro. Das Bundesfinanzministerium rechnet bis 2020 mit knapp 94 Milliarden Euro. Es kann also keine Rede davon sein, dass man sich in Deutschland nicht um die Menschen kümmert. Wir legen mit diesem Gesetz den Fokus nach wie vor ganz bewusst auf die Integration der Schutzberechtigten. Rund ein Drittel der Asylbewerber wird nach wie vor abgelehnt; bei ihnen steht die Ausreise im Vordergrund. Wir erwarten in diesem Jahr 550 000 Neuanmeldungen für Integrationskurse. Im letzten Jahr waren es im Vergleich dazu 180 000. Die Bundesmittel hierfür sind auf 558 Millionen Euro verdoppelt worden. Der Zugang zu diesen Kursen kann nicht beliebig ausgeweitet werden. Wir müssen uns auf die wirklich Schutzberechtigten konzentrieren. Unsere Integrationspolitik folgt dem Prinzip des Förderns und Forderns. Wir fördern in den Bereichen Sprache, Ausbildung und Arbeit, und wir fordern die Inanspruchnahme der Integrationsangebote. Die Kurse müssen zügiger angetreten und durchgeführt werden. Wenn jemand die Integrationskurse nicht ordnungsgemäß absolviert, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir nie herausfinden!) gemeinnützige Arbeit, die ihm zumutbar ist, nicht akzeptiert oder gegen die Mitwirkungspflichten verstößt, dann können Leistungen im Einzelfall auch gekürzt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich halte das auch für richtig. Es geht darum, zu fördern, aber auch zu fordern. Flüchtlinge können sich auch nicht mehr, wie bisher, eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis ersitzen. Wir legen fest, dass Schutzberechtigte, die länger bei uns bleiben wollen, nach fünf Jahren bestimmte Sprachkenntnisse vorweisen und ihren Lebensunterhalt größtenteils selbst bestreiten müssen, bevor sie ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten. Wir verbessern auch die Steuerung der Integration. Mit der Wohnsitzauflage können die Länder anerkannten Flüchtlingen für drei Jahre einen festen Wohnsitz zuweisen. Frau Dağdelen, ich habe den Eindruck, Sie haben nicht allen Sachverständigen und auch nicht den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände zugehört. In der Anhörung haben sie diese Forderung noch einmal ganz klar formuliert. Unsere Kommunen brauchen die Wohnsitzauflage zur Steuerung. Dazu gehören Wohnen und Arbeit. Flüchtlinge müssen und sollen dahin gelotst werden, wo es Wohnraum und Arbeit gibt, um soziale Brennpunkte und Ghettobildung zu vermeiden. Selbstverständlich sind Ausnahmen möglich, zum Beispiel aus familiären Gründen oder wenn man anderswo eine Arbeit findet. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Drei-plus-zwei-Regelung kommen wir einer Forderung insbesondere der Arbeitgeber nach. Die Drei-plus-zwei-Regelung besagt, dass Betriebe mehr Rechtssicherheit erhalten, wenn sie abgelehnte Asylbewerber bei sich aufnehmen und ihnen einen Berufsausbildungsplatz bewilligen. Das ist in Bezug auf unser bisheriges migrationspolitisches Verständnis, nämlich keinen Spurwechsel zwischen der Arbeitsmigration und dem Asylsystem vorzunehmen, eine Veränderung. Wir gehen diese Veränderung mit, weil wir die Notwendigkeit sehen, für die Auszubildenden und die Betriebe mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Aber das darf keine dauerhafte Abweichung von unserem Prinzip werden. Ich halte es für erforderlich und wichtig, dass die Betriebe, die es jetzt in der Hand haben, ob ein abgelehnter Asylbewerber ein Aufenthaltsrecht bekommt, melden müssen, wenn die Ausbildung abgebrochen wird. Das haben wir geregelt. Der Abbruch der Ausbildung muss nicht unverzüglich, aber binnen sieben Tagen gemeldet werden. Mit diesen Änderungen haben wir Rechtssicherheit geschaffen. Die Union hat sich auch mit der Forderung durchgesetzt, dass, wenn konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen bevorstehen, keine Möglichkeit mehr besteht, auf diesem Weg ein Bleiberecht zu erhalten. Auch das ist wichtig und richtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie kommen dann bitte zum Schluss. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das klang aber flehentlich!) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Unser Kurs in der Asylpolitik ist damit klar: Wir fördern und fordern die Integration der Schutzberechtigten. Ein Mehr kann man sich immer wünschen. Die Innenpolitiker wünschen sich manchmal ein Weniger. Trotzdem sage ich: Es ist ein gutes Gesetz. Ich bitte Sie heute, diesem Gesetz zuzustimmen. Es enthält viele gute Ansätze. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Integrationsgesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9090, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8615 sowie den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/8829 und 18/8883 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Enthaltung bei der SPD!) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9103. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/9090 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6644 mit dem Titel „Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern und Lohndumping bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7653 mit dem Titel „Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Praxisnahe Förderung von Anfang an“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7651 mit dem Titel „Integration ist gelebte Demokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/9101. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6198 mit dem Titel „Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6345 mit dem Titel „Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/9022. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6192 mit dem Titel „Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7049 mit dem Titel „Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern Drucksache 18/8420 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen Drucksache 18/8889 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2009 haben wir uns verpflichtet, Inklusion in der gesamten Gesellschaft umzusetzen. Die Voraussetzungen dafür muss die Politik schaffen, also wir. Da haben wir noch ein großes Stück Arbeit vor uns. Wie weit wir davon noch in der Bildung entfernt sind, sollen zwei Beispiele belegen. Erstes Beispiel. Eine Familie im Harz möchte ihr zweijähriges behindertes Kind in einer Regelkita in Wohnortnähe betreuen lassen. Diese Kita ist auch aufnahmebereit. Doch das zuständige Jugendamt verweist die Familie auf eine besondere Kita am anderen Ende des Harzes. Dort sind bereits andere Kinder mit Handicaps in Betreuung. – Das ist nicht Inklusion, sondern Exklusion, Ausgrenzung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist zudem eine zusätzliche Belastung für das Kind und seine Familie. Zweites Beispiel. Ein junger Mann aus dem Süden Sachsen-Anhalts hat eine diagnostizierte Lese- und Rechtschreibstörung; die behält man sein ganzes Leben. In der Schule wurde seine besondere Situation zunächst nicht beachtet. Es kam zu einem Schulwechsel. Dort wurde dann seine Rechtschreibleistung nicht mehr bewertet. Das ist bis zur 10. Klasse möglich, und das ist auch so gehandhabt worden. Der junge Mann hat sich bis zur gymnasialen Oberstufe durchgekämpft; aber dort ging das dann nicht mehr. Das ist nicht nur in Sachsen-Anhalt so, sondern auch noch in 14 anderen Bundesländern. (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) Die Folge: Das Abitur fiel entsprechend schlechter aus, was zu unnötigen Wartesemestern bei der gewünschten Studienwahl führt. Nun frage ich Sie: Was berechtigt uns, ein Kind wegen seines Handicaps gegen den Willen der Eltern in eine deutlich weiter weg gelegene Kita zu verweisen? Was berechtigt uns, einem jungen Mann mit einer Lese- und Rechtschreibstörung den Zugang zum Studium zu erschweren? Ich sage es Ihnen: Nichts! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weil wir dieses Recht nicht haben, haben wir Ihnen heute die beiden Anträge vorgelegt. Das sind ja keine Einzelfälle; das findet immer wieder in vielfältiger Art und Weise statt. Es ist doch paradox: Wer es wegen einer irgendwie gearteten Benachteiligung schwerer hat, Bildung zu erlangen und erfolgreich zu lernen, dem baut unser Bildungssystem noch zusätzliche Hürden auf, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) entweder dadurch, dass Hilfeleistungen erst kompliziert beantragt werden müssen oder fadenscheinig verweigert werden, oder dadurch, dass die individuelle Situation gar nicht berücksichtigt wird, weil sie in keinem der Sozialgesetzbücher vorkommt. Wer Inklusion will, der muss sie im gesamten Bildungsbereich durchsetzen, der muss einen uneingeschränkten und gleichberechtigten Zugang zu Bildung für alle – ohne Ausnahme – gewährleisten, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und ich sage „gewährleisten“, nicht „gnädigerweise“ oder, wie es so schön im Verwaltungsdeutsch heißt, „nach pflichtgemäßem Ermessen gewähren“. Es geht nicht um Ermessen, es geht um einen Rechtsanspruch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für das Gewährleisten sind wir alle zuständig, nicht nur die Länder, nicht nur die Kommunen, sondern auch der Bund. Darum umfasst unser Forderungskatalog in beiden Anträgen Forderungen an alle drei Ebenen. Wir brauchen überall inklusive Kitas und inklusive Schulen; den Rahmen dafür müssen wir schaffen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir benötigen Inklusion auch im politischen Handeln. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Darum fordern wir zum wiederholten Male, die gemeinsame Verantwortung für Bildung von Bund, Ländern und Kommunen endlich im Grundgesetz festzulegen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen vor wenigen Wochen mit dem Berufsbildungsbericht schon einmal einen solchen Antrag vorgelegt. Sie werden gemerkt haben, dass sie teilweise wortgleich sind; das ist Absicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!) Es ging damals um die berufliche Bildung. Es gibt aber auch Unterschiede, die sich durch die speziellen Bildungsbereiche ergeben. Heute nun folgen der zweite und der dritte Streich, und ich verspreche Ihnen: Nach der Sommerpause kommt der vierte Streich, nämlich zur Hochschulbildung. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und zwar auch wortgleich! – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das war eine Drohung!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Xaver Jung hat als Nächstes das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Xaver Jung (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben viele Einzelbeispiele gehört zu inzwischen drei Anträgen – einen werden Sie noch vorlegen – mit der Überschrift „Inklusive Bildung für alle“. Sie plädieren inhaltlich für ein ganzheitliches Konzept. Warum also vier verschiedene Anträge? Das erschließt sich mir nicht. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch besser!) Wenn man die vorliegenden Anträge liest, stößt man schnell auf Widersprüche. Sie begründen die Anträge ausschließlich mit den Ausführungen der UN-Behindertenrechtskonvention. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Überhaupt nicht!) Als verantwortliche Politiker müssen wir aber vor allem das Kindeswohl und somit die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler im Blick haben. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo ist da der Unterschied? Wo ist der Widerspruch?) Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist aber nicht Auslöser dieses Umdenkens, sondern das erste Ergebnis. In der Folge ist Inklusion nicht die Umsetzung dieser Konvention, sondern die bedarfsgerechte Berücksichtigung von gesellschaftlich anerkannten Bedürfnissen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wenn es denn mal so wäre! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Konvention ist geltendes Recht!) Dieser strukturelle Wandel hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, die Sie in Ihrem Antrag schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Auch das stimmt nicht!) Unsere Bildungseinrichtungen befinden sich gegenwärtig in einer Phase des Übergangs, wie der Bildungsbericht 2014 attestiert. In unserem Antrag zur inklusiven Bildung von vor zwei Jahren haben wir bereits entsprechende Handlungsempfehlungen abgeleitet. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Und was ist daraus geworden in den zwei Jahren?) Des Weiteren gibt es die von Ihnen geforderten verbindlichen Empfehlungen für inklusive Bildung als Leitlinien der KMK, also in dem von Ihnen geforderten Rahmen, bereits seit 2011. Einzelprobleme lassen sich mit den Maßnahmen, die Sie in Ihren Anträgen formuliert haben, leider nicht lösen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind strukturelle Probleme!) Wenn man, von der UN-Behindertenrechtskonvention ausgehend, zur Lösung der Probleme wiederum zu einer Schwächung oder gar zur Abschaffung des Gymnasiums kommt, (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie kommen Sie denn auf die Idee?) widerspricht das jedem zielorientierten Denken. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn hier gefordert? Das hat keiner gefordert! – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie kommen Sie denn darauf?) – Das steht in Ihrem Antrag. Sie haben doch drei gleichlautende Anträge hier abgegeben; Sie müssten wissen, dass das drinsteht. Oder kennen Sie Ihre Anträge nicht? (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ich kenne unsere Anträge sehr gut!) Frau Hein, Sie glauben doch nicht wirklich, dass die Abschaffung des Gymnasiums zu mehr Akzeptanz für unser gemeinsames Inklusionsanliegen führt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn gefordert? – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wir fordern Inklusion auf dem Gymnasium! Das ist doch keine Abschaffung! Wo leben Sie denn?) Damit erreichen Sie doch das Gegenteil von breiter gesellschaftlicher Akzeptanz. Das Thema wird als Vehikel missbraucht, um hier schulpolitische, systempolitische Gedanken einzuführen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hier in den ideologischen Gräben ist, wird doch gerade klar!) Ebenso wird der Begriff der Exklusion verwendet, um unser Förderschulsystem abzuwerten. Ständig taucht der Begriff der Exklusion in einer Art und Weise auf, die ich nicht teile. In unserem traditionellen Förderschulsystem werden Kinder nicht ausgegrenzt, wie Sie es formulieren; Sie haben das ja gerade wiederholt. Vielmehr erfahren Kinder mit Beeinträchtigungen bei uns bisher in zwölf differenzierten Förderschularten eine ganz besondere schulische, physiologische und besonders liebevolle Förderung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber keine Inklusion! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Regelschule nicht, oder wie? Was für ein Schwarz-Weiß-Denken!) Dieses über Jahrzehnte gewachsene System kann nur schrittweise in ein noch besseres inklusives Schulsystem überführt werden. Die notwendigen Schritte sind eingeleitet. Wir befinden uns gemeinsam mit den Ländern auf dem Weg zu mehr Inklusion. Wir haben ein großes Stück des Weges noch vor uns. Sie haben in Ihrem Antrag viele Zahlen aufgeführt. Wettbewerbe um die jeweils höchste Inklusionsquote, ohne dabei Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, machen aber keinen Sinn. Viele Bundesländer rühmen sich ihrer Quantität statt ihrer Qualität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das schadet eher dem Kindeswohl. Die sogenannte kalte Inklusion darf nicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen ausgetragen werden. (Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, lassen Sie Ihre Redezeit nicht verstreichen. Reden Sie einfach weiter. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das wäre nur ein Satz gewesen!) Xaver Jung (CDU/CSU): Ich kann nur sagen: Die Anträge, die Sie hier vorgelegt haben, bieten uns keine neuen Erkenntnisse. Sie helfen uns nicht wirklich weiter. Klassenideologische Ansätze dienen dem Ziel der Inklusion nicht, sondern schaden eher. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Xaver Jung, ich rate vor allem Ihnen: Verlassen Sie erst einmal Ihre ideologischen Gräben, dann können wir über vernünftige Bildungspolitik reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Das, was Sie hier gemacht haben, war Ideologie pur. Sie sind gar nicht auf die Rede der Kollegin von der Linken eingegangen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzte Woche habe ich in einer Tageszeitung aus NRW gelesen, dass eine junge Frau aus dem schönen Nettetal das beste Abitur ihres Schuljahrgangs absolviert hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Manche mögen jetzt fragen: Was ist daran so ungewöhnlich? Ich sage es Ihnen: Die junge Frau hat als Schülerin bis zur achten Klasse die Förderschule besucht. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da sieht man, wie eine gute Förderschule funktioniert!) Diese junge Frau hat es dank ihres eigenen Engagements, aber auch dank des Engagements ihrer Eltern und ihres Umfelds geschafft, nach der achten Klasse auf eine Gesamtschule zu wechseln; (Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Das ist doch super! Wo ist das Problem?) ein Glück für sie. Ich sage: Weil viele Kinder und Jugendliche dieses Glück nicht haben und wir ein strukturelles Bildungsproblem haben, müssen wir umsteuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb sollten Sie genau zuhören. Viele junge Menschen bekommen schlichtweg nicht die Chance, eine Regelschule zu besuchen. Aber wir sagen: Der Bildungserfolg unserer Kinder darf weder vom Glück abhängig sein noch davon, ob sie in einer Förderschule oder einer Regelschule lernen. Der Sonderstatus und die konstruierte Andersartigkeit fallen beim inklusiven Unterricht weg. Nur so können alle sich bestmöglich entwickeln und bestmöglich gefördert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Inklusion ist nicht – wie es in einem Zwischenruf von der CDU/CSU eben hieß – Gleichmacherei, sondern das Gegenteil von Gleichmacherei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Inklusion heißt nämlich: Jeder und jede wird individuell gefördert, ohne ausgeschlossen oder stigmatisiert zu werden. Nur so kann Bildungsgerechtigkeit gelingen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig! In zehn Ländern sitzen Sie mit in der Regierung! Dann macht es doch!) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich schaue in Richtung der CDU/CSU –, sollte unser aller Anliegen sein, und nicht nur in den Schulen, sondern auch in den Kitas. Der jüngste nationale Bildungsbericht hat erneut bestätigt, dass Bildungsungerechtigkeit und soziale Disparität immer noch die Achillesferse unseres Bildungssystems darstellen, obwohl kleine Fortschritte zu verzeichnen sind. Es wird weiterhin selektiert und aussortiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo? In Nordrhein-Westfalen, oder?) Wir Grüne sagen: Damit muss Schluss sein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das leidige Kooperationsverbot ist, auch wenn Sie es nicht gern hören, ein wesentliches Inklusionshemmnis – das sollten Sie endlich akzeptieren –; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) denn Inklusion kostet Geld. Hier darf sich der Bund keinen schlanken Fuß machen. Wir sehen den Bund auch in der Pflicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl, das sagen alle Bürger! Genau! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Wir brauchen endlich eine gemeinsame Bildungsstrategie für unser Land. Deshalb sagen wir: Packen Sie es an! Lassen Sie uns gemeinsam das Kooperationsverbot abschaffen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, inklusiver Unterricht muss auf variierende Lerntempos der Schülerinnen und Schüler eingehen. Das erfordert mehr Investitionen in die Bildung und neue Konzepte. Auf der Nationalen Konferenz zur inklusiven Bildung im Jahre 2013 hat Frau Ministerin Wanka in Richtung der Länder gesagt – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Jeder Cent für inklusive Bildung ist gut angelegt. – Da nehmen wir Sie beim Wort, da stimme ich Ihnen absolut zu. Das muss auch die Bundesregierung endlich beherzigen und nicht nur Sonntagsreden von sich geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie hier halten, ist eine Montagsrede!) Unterstützen Sie die Länder, damit inklusive Bildung für alle keine Illusion bleibt! Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Mit der 2009 ratifizierten UN-Konvention haben wir uns verpflichtet. Darin wird inklusives Lernen als ein Menschenrecht anerkannt. Uns ist es aber bislang nicht gelungen, das flächendeckend vollumfänglich umzusetzen. Jetzt ist es an der Zeit! Lassen Sie uns gemeinsam anpacken, statt immer noch in ideologischen Gräben – wie Sie da drüben von der CDU/CSU – zu verharren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Oliver Kaczmarek von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Oliver Kaczmarek (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal finde ich es vom Grundsatz her gut, dass wir heute die Gelegenheit haben, dieses Thema zu diskutieren. Allerdings glaube ich, dass wir in der Thematik doch schon etwas weiter sind; denn die Behindertenrechtskonvention ist seit sieben Jahren in Kraft. Kitas, Schulen und Hochschulen haben sich auf den Weg gemacht, und deshalb finde ich einige Stichpunkte grundsätzlicher Art in Ihrem Antrag, in dem es um neue Lernkulturen und meinetwegen auch um eine Enquete-Kommission geht, durchaus diskussionswürdig. Aber das hilft den Schulen, die sich schon auf den Weg gemacht haben, in ihrem Alltag im Moment recht wenig. Deswegen möchte ich drei Anmerkungen zu dem machen, was wir in der Praxis von Inklusion, die wir schon seit einigen Jahren in den Ländern beobachten können, lernen können und was wir umsetzen müssen. Die erste Anmerkung ist ganz klar: Es ist schon viel geleistet worden. Jedes dritte Kind mit Förderbedarf wird heute im gemeinsamen Unterricht in Deutschland beschult. Das ist ein Erfolg. Deswegen geht der erste Dank an diejenigen, die sich jeden Tag in ihre Klassen stellen, manchmal auch der Meinung sind, dass die Ausstattung nicht gerade optimal ist, und trotzdem jeden Tag dafür sorgen, dass Kinder gemeinsam beschult werden, dass Chancengleichheit ein Stück näher rückt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Da gibt es natürlich auch Unterschiede. Die Pionierländer wie Bremen oder Schleswig-Holstein sind schon weiter. Sie haben eine Inklusionsquote von über 60 Prozent an Schülern mit Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht. Hessen liegt als Schlusslicht bei gerade einmal gut 20 Prozent. Da gibt es unterschiedlichen Nachholbedarf. Darauf muss man differenziert eingehen. Zweite Anmerkung: Ja, wir müssen da unterstützen, wo es hakt. Wir müssen die Probleme des Alltags aufgreifen. Ich will dazu zwei Stichworte aufnehmen. Das erste Stichwort dazu, das Sie im Antrag richtigerweise nennen, ist die Barrierefreiheit. Dabei geht es um Investitionen in Schulgebäude. Das sind Zukunftsinvestitionen. Ich kann mir eigentlich kaum eine bessere Zukunftsinvestition in die Lern- und Lebensbedingungen von jungen Menschen, von Schülerinnen und Schülern vorstellen. Ich glaube, der Bund hat tatsächlich ein bisschen mitgeholfen, dass in den Ländern Spielraum dafür besteht. Ich denke zum Beispiel an die BAföG-Entlastungen. Das sind jedes Jahr knapp 1,2 Milliarden Euro, die in die Länder fließen und die die Länder – ich bin der Bundesregierung dafür dankbar, dass sie das in einer Unterrichtung klargestellt hat – genau für Bildung ausgeben. In der Unterrichtung steht, dass die Annahme gestützt wird, dass die freigewordenen Mittel den Bildungs- und Wissenschaftshaushalten der Länder zugutekommen. Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie diese absurde Diskussion über die Verwendung der BAföG-Mittel damit endlich beendet hat. Sie kommen der Bildung zugute. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, auch die Länder machen einiges. Ich will hier nur beispielhaft darauf hinweisen, dass Nordrhein-Westfalen gestern bekannt gegeben hat, dass in den nächsten vier Jahren zusammen mit der NRW.BANK jeweils eine halbe Milliarde Euro pro Jahr mobilisiert wird, um Schulgebäude in Nordrhein-Westfalen zu modernisieren. Ich glaube, das ist genau das richtige Zeichen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweites Stichwort: Ja, gute und überzeugte Lehrerinnen und Lehrer, Profis für Inklusion sind der Schlüssel für das Gelingen von inklusiver Bildung. Die Länder leisten da sicherlich ganz viel. Das jetzt im Einzelnen aufzuführen, würde zu weit führen. Ich glaube, dass auch der Bund seinen Beitrag dazu leistet. Wir haben mit der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ein Instrument in der Hand, mit dem wir Innovationen im Bildungswesen anreizen und Best Practice verbreiten wollen. Tatsächlich ist es so, dass in der ersten Förderrunde neun Projekte bewilligt worden sind, die sich direkt auf Inklusion beziehen. 51 von 59 geförderten Projekten beziehen Heterogenität im Unterricht, heterogene Lerngruppen und Inklusion ausdrücklich in ihre Konzepte ein. An dieser Stelle erhoffen wir uns auch für die zweite Förderrunde eine ganze Menge. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir mithelfen, die Lehrerausbildung zu modernisieren. Zuhören und bei den Alltagsproblemen anpacken – das ist das, was jetzt gefordert wird. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung zum Schluss. Ich sorge mich – wie viele andere auch – darum, dass sich kritische Meldungen häufen über die Frage, wie eigentlich Inklusion an Schulen umgesetzt wird und wie sich das Klima an Schulen entwickelt. Ich glaube, wir müssen auf Folgendes hinweisen: Inklusion, inklusive Bildung, das bedeutet einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft – für die Kinder mit Behinderung, weil sie mehr Chancengleichheit bekommen, aber auch für alle anderen, weil sie etwas über soziales Lernen erfahren, über Diversität in pluralistischen Gesellschaften usw. Wir müssen immer wieder die Akzeptanz aufrechterhalten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen sehen, dass es einen Mehrwert hat. Es lohnt sich, für inklusive Bildung zu kämpfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Marcus Weinberg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hein, „Schein“ hat mehr Buchstaben als „sein“. Bei Ihrem Debattenbeitrag fiel mir deutlich auf, dass Sie das eigentliche Kernthema Ihres Antrags gar nicht angesprochen haben. Wieder einmal sind es die drei Punkte: Erstens wollen Sie das föderative System auf den Kopf stellen, zweitens soll der Bund auch noch die Kitas finanzieren, und drittens wollen Sie die Elternbeiträge abschaffen. Das hat mit dem Thema inklusive Bildung und mit den Maßnahmen, die der Bund mittlerweile unternimmt, nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir haben uns hier ja schon vor vielen Jahren darüber unterhalten und haben darüber diskutiert, wie wir das sehen. Viel weiter sind Sie nicht gekommen, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie auch nicht!) und viel kreativer sind Sie auch nicht geworden. Deswegen komme ich jetzt zu dem Thema, Herr Mutlu, um das es eigentlich geht. Es ist doch unbestritten, dass die Inklusion ein Ziel ist. Aber – ich greife das auf, was Sie gesagt haben – man sollte es sorgsam tun. Das Umsteuern darf nicht dazu führen, dass man die Kinder nicht mitnimmt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie seit sieben Jahren!) Es häufen sich die Meldungen aus einzelnen Schulen, dass mittlerweile ganze Schulsysteme vor dem Kippen sind, weil sie nicht ausfinanziert sind und weil die Inklusion dort nicht funktioniert. Wir sind für die Inklusion, aber im Mittelpunkt steht das Kindeswohl. Das muss unser Leitinteresse sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Kinder in Förderschulen gut gefördert werden, dann ist das auch im Sinne der Kinder und der Eltern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber nicht im Sinne der Inklusion!) Dann kommen Sie mit Ihrem Antrag, in dem es wieder einmal heißt: Das Verbot der Bildungszusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, das Kooperationsverbot soll aufgehoben werden. Nein, das Gegenteil ist doch gut: Bund und Länder sollen kooperieren, aber die Verantwortung für das Schulsystem und für das System der Kindertagesbetreuung muss doch dort liegen, wo wir eine gewisse Historie haben, wo wir verschiedene Entwicklungen haben. Sie können die Systeme in Hamburg, Berlin und München nicht miteinander vergleichen. Deswegen sollte man den Ländern und den Kommunen die Freiheit geben, ihre Systeme weiterzuentwickeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kindertagesbetreuung ist dabei Teil der öffentlichen Fürsorge in der geteilten Verantwortung. Ein weiterer Punkt ist wieder einmal die Umverteilung vom Bund zu den Ländern. Der Kollege der SPD hat es angesprochen: Der Bund macht einiges. Ich sage das einmal in Bezug auf die Kindertagesbetreuung: Ab dem Jahr 2017 werden wir den Ländern einen Betriebskostenzuschuss von 945 Millionen Euro im Jahr zahlen, also für die originäre Aufgabe der Länder. Das tun wir, weil es wichtig ist. Wir haben 5,4 Milliarden Euro in den Ausbau der Krippenversorgung investiert, und wir haben viele Teilprogramme im Bildungsbereich und für die Kindertagesbetreuung, um die Länder zu entlasten. Eines sage ich Ihnen aber auch ganz deutlich: Das Grundsystem der föderativen Einteilung bleibt bestehen und muss auch bestehen bleiben, weil die Länder hier in der Verantwortung sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich lese Ihre Anträge aufmerksam; (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist auch gut so!) Sie haben das eben nicht so genau ausgeführt –, dass gemeinsam mit den Ländern ein Masterplan entwickelt werden soll, um mittelfristig in allen Ländern die Elternbeiträge für die Kindertagesbetreuung abzuschaffen. Der engere Zusammenhang mit der inklusiven Bildung fehlt mir momentan noch. Ich sage Ihnen eines aber auch einmal ganz deutlich: Das sehen wir anders. Erstens. Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Deswegen wollen wir den Ausbau vorantreiben. Zweitens. Danach geht es um die Qualität in den Kindertagesstätten. Drittens. Wenn dann noch Geld da ist, können wir uns über die Elternbeiträge unterhalten. Ich sage ganz deutlich: In Hamburg wurden die Elternbeiträge gestrichen. Davon profitieren die Besserverdienenden, so wie ich. Ich würde mir wünschen, die Sozialdemokraten in Hamburg würden mehr Erzieherinnen einstellen, damit sich die Qualität steigert. Das ist aber leider ausgeblieben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: In Baden-Württemberg wurde das schon zur Zeit der CDU-Regierung angegangen!) Ich kann Ihnen sagen: Für Kindertagesstätten besteht über den Grundsatz der Teilhabe hinaus ein integrativer Förderauftrag. Demnach sollen Kinder mit und ohne Behinderung grundsätzlich in den Gruppen gemeinsam gefördert werden. Sie hatten Beispiele aus dem Harz angesprochen. Ich weiß nicht, wer da aktuell regiert. Ist das vielleicht Niedersachsen? Keine Ahnung! Ich kann Ihnen nur sagen: In meinem Bundesland, in Hamburg, werden 99 Prozent der Kinder gemeinsam in Kindertagesstätten betreut. Der Bund hat darüber hinaus das Thema „inklusive Bildung“ sogar exklusiv aufgenommen. Die Programme des Bundes wurden bereits angesprochen. Ich erinnere zum Beispiel an das Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ mit über 4 000 Schwerpunkt-Kitas. Um auf das Geld zu schauen: Für dieses Programm werden im Jahr 2016  131 Millionen Euro und im Jahr 2017  278 Millionen Euro bereitgestellt. Themen dieses Programms sind nicht nur die Integration und die Sprache, sondern – oha, oha – das zweite der drei Themen dieses Programms lautet „Inklusive Pädagogik“. Ich darf aus dem Programm zitieren: Eine inklusive Pädagogik ermutigt Kinder und Erwachsene, Vorurteile, Diskriminierung und Benachteiligung kritisch zu hinterfragen sowie eigene Gedanken und Gefühle zu artikulieren. Das bedeutet, dass man sowohl den Gemeinsamkeiten und Stärken von Kindern Aufmerksamkeit schenkt als auch Vielfalt thematisiert. Auf Deutsch gesagt: Der Bund nimmt Geld in die Hand, um die inklusive Bildung über dieses Programm zu fördern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insoweit kann ich als Fazit feststellen: Die Länder sind in der Verantwortung. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Den Satz habe ich schon oft gehört!) Der Bund unterstützt die Länder gerne. Aber bitte: Ordnungspolitisch muss es noch gewisse Grundsätze in diesem Land geben. Ich sage hier ganz deutlich: Die Kindertagesstätten und der Schulbereich bleiben in der Zuständigkeit der Länder. Inklusive Bildung ja, aber es muss sorgsam umgeschichtet und umgesteuert werden, damit kein Kind auf der Strecke bleibt. Das darf uns nicht passieren. Deswegen sollten wir im Übrigen auch beide Systeme, das inklusive System und das Fördersystem, weiter schützen und stärken. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: So wird es keine Inklusion!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Stefan Schwartze von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Stefan Schwartze (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das gemeinsame Lernen und Aufwachsen von Kindern mit oder ohne eine Behinderung muss eine Selbstverständlichkeit sein. Es ist eine Chance für uns alle, Barrieren in den Köpfen zu überwinden, und eine Chance für jeden Einzelnen, seine soziale Kompetenz zu stärken. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?) Kinder selbst haben keine Barrieren. Sie sind interessiert, fragen nach und spielen miteinander. Im Umgang miteinander können wir vieles von ihnen lernen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Nicht ohne Grund sind inklusive Kitas Bestandteil des gerade vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Aktionsplans 2.0 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Entwicklungsförderung von Anfang an und die Stärkung der Qualität inklusiver frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung werden wir weiterhin in den Fokus nehmen. Doch so sehr wir uns einbringen wollen, einheitliche Standards für jedes Kind zu schaffen, und zwar unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht und wo es in Deutschland aufwächst, so sehr sind wir auf eine intensive Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen; denn die Standards sind in den Ländern äußerst unterschiedlich. Die Länder und Kommunen haben auf diesem Weg bisher Großes geleistet. Allein in Nordrhein-Westfalen sind seit 2010 mehr als 600 000 Kitaplätze geschaffen worden. Hier gab es nach der schwarz-gelben Landesregierung sehr viel aufzuholen. (Beifall bei der SPD – Xaver Jung [CDU/CSU]: Die waren ja auch Jahrhunderte dran!) Doch wir haben in Deutschland mit Blick auf die unterschiedlichen Betreuungsstandards weiterhin einen Flickenteppich. Diese Unterschiede kann niemand wirklich wollen. Ich bin sicher, dass es hier im Haus eine breite Mehrheit für die Einführung eines Bundesqualitätsgesetzes gibt. (Beifall der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Mit ihrem Qualitätsdialog ist Manuela Schwesig auf dem richtigen Weg. Nur in einem Dialog mit den Ländern können wir vergleichbare Bildungschancen und einheitliche Qualität liefern. Dabei ist klar: Bessere Personalschlüssel, Barrierefreiheit und Weiterbildung gibt es für Bund, Länder und Kommunen nicht umsonst. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Noch nie hat der Bund so viel Geld für den Kitaausbau gegeben und wird das auch in Zukunft tun: bis 2014 insgesamt 5,4 Milliarden Euro. Seit 2015 liegen wir bei einer jährlichen Unterstützung für die Betriebs- und Personalkosten von 845 Millionen Euro. Im dritten Investitionsprogramm geben wir eine weitere Milliarde für den Kitaausbau. 2017 und 2018 werden wir noch einmal jeweils 100 Millionen Euro für die Betriebskosten bereitstellen. Auch die freiwerdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld stehen den Ländern zur Verfügung. Das, was der Bund hier macht, ist eine wirkliche Kraftanstrengung, mit der wir die Länder strukturell und finanziell unterstützen. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Daran werden wir weiter arbeiten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/8420 und 18/8889 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA Drucksachen 18/8878, 18/9035 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9073 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]) Rainer Arnold (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alles, was wir hier entscheiden, tun wir in dem Bewusstsein: Das, was wir leisten können, ist nur ein Heftpflaster; nicht mehr und nicht weniger, angesichts eines Staates, der mehr und mehr zerfällt, angesichts einer Regierung, deren Vertreter es schon an der nächsten Straßenecke mit Milizen zu tun haben, die in diesem Land ganz andere Dinge durchsetzen wollen. Die Bildung der Einheitsregierung in Libyen ist zwar ein kleiner, aber wichtiger Schritt zu mehr Stabilität. Wir wissen, wir werden Geduld brauchen, bis sich diese Regierung in Libyen wieder durchsetzen kann und die Kontrolle über das Land erhält. Ich sage das deshalb am Anfang, weil wir wissen: Das Allerwichtigste zur Bewältigung dieser Situation ist, dass dieses Land Libyen nicht weiter zerfällt, sondern wieder auf einen stabilisierenden Pfad zurückgeführt wird. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Martin Kobler, leistet mit seiner Kompetenz, aber auch mit seinem diplomatischen Geschick Herausragendes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich denke, er legt mit seiner Arbeit in der Staatengemeinschaft für unser Land Ehre ein. Deshalb ist es Unsinn, wenn die Linken immer wieder behaupten, es gäbe eine Militarisierung der Außenpolitik. Allein dieses Beispiel zeigt doch: Diplomatie ist das Allerwichtigste und das Allererste. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Humanitäre Hilfe, die in Libyen so dringend gebraucht wird, ist das zweite Wichtige. Deutschland bringt dafür dieses Jahr über 20 Millionen Euro auf. Als Drittes ist aber leider auch wahr, wichtig und notwendig: Dem furchtbaren Terror des „Islamischen Staates“ muss man sich auch mit Waffen entgegenstellen, damit am Ende nicht die Brutalsten obsiegen. Es ist also kein Entweder-oder; es gibt auch keinen Königsweg, sondern alle drei Bereiche – das Humanitäre, das Militärische und die Diplomatie – zusammen sind ein Dreiklang, der eine Chance auf eine Veränderung und Verbesserung der Situation bietet. Dabei geht es nicht nur um die Situation der Menschen in Libyen; es geht auch um unsere eigenen Sicherheitsinteressen. Wir dürfen nicht zulassen, dass der IS sich weiter in diesem zerfallenen Land ohne Rechtlichkeit breitmacht. Es hat etwas mit unseren Sicherheitsinteressen zu tun, wenn der IS, der im Irak und in Syrien unter Druck ist, jetzt die Chance nutzt, das Vakuum in Libyen auszunutzen. Der Antrag der Bundesregierung zur Erweiterung der Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia um drei zusätzliche Aufgaben ist deshalb richtig, weil das auch in unserem Interesse ist und aus humanitären Gründen richtig ist. Die drei Erweiterungen sind erstens: Es wird in Zukunft ein libyscher Küstenschutz ausgebildet. Es liegt in der Tradition, Ausbildung in fernen Ländern zu leisten, damit diese Länder sich am Ende selbst helfen können und nachhaltig für ihre eigene Sicherheit sorgen können. Es gibt also so etwas wie ein schwimmendes Klassenzimmer und wahrscheinlich auch Auszubildende in sicheren Staaten. Das Zweite ist ebenso richtig: Man muss den Schmuggel von Waffen nach Libyen stoppen. In Libyen gibt es über 20 Millionen Waffen. Wir wissen zwar, dass die meisten über die Landgrenze kommen. Aber das ist noch lange kein Grund, auf See dem Waffenschmuggel zuzuschauen. Deshalb ist es richtig, dass das Waffenembargo der Vereinten Nationen beim Schmuggel von Waffen durchgesetzt werden muss, damit man nicht mehr darauf warten muss, bis der jeweilige Flaggenstaat der Schiffe das akzeptiert. Es ist interessant, Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Sie finden sonst das meiste gut, was die Russen tun. Finden Sie es doch hier auch einmal gut! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Russland hat dem nämlich zugestimmt. Darüber sind wir sehr froh, und das zeigt, dass wir Russland als Partner zur Bewältigung der großen Probleme in der Welt brauchen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Mission, die sich auch an Land noch ein Stück weit ausdehnt – an der 2 000 Kilometer langen Küste –, ist auch deshalb wichtig, weil es um die Rettung von Menschenleben geht. Über 18 000 in Seenot geratene Flüchtlinge, von üblen Schleuserbanden auf Schlauchboote gesetzt – mit Millionengewinnen für die kriminellen Banden –, wurden in der Zeit, seit die Operation Sophia läuft, gerettet. Ich glaube, wer dies nicht schätzt, geht zynisch mit den Belangen der Menschen um. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich weiß sehr wohl: Die Rettung der Schiffsbrüchigen ist am Ende auch ein Teil des Geschäftsmodells der Schleuser. Sie schicken die Menschen los, nach dem Motto „Da draußen ist ein Schiff der Streitkräfte, das euch retten wird“, und trotzdem tun wir das, und wir müssen es tun, weil es rechtlich und humanitär geboten ist. Aber gleichzeitig dürfen wir nicht zuschauen, wie das Schleuserunwesen weiter zunimmt. Deshalb muss auch auf See, wo es derzeit möglich ist, außerhalb der 12-Meilen-Zone, das Schleuserunwesen bekämpft werden. Ich sagte schon: Wir brauchen eine libysche Regierung, die wieder Staatlichkeit durchsetzt und verhindert, dass die Menschen überhaupt auf diese Boote geführt werden. Über 200 000 Menschen warten auf eine Überfahrt nach Europa. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wem zerreißt es nicht das Herz, wenn er die Bilder der Schiffsbrüchigen sieht? Die Zahl von 2 500 ertrunkenen Menschen allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres – es sind übrigens mehr als im letzten Jahr – darf uns nicht ruhen lassen. Diese Menschen sind auch Opfer des fundamentalistischen islamistischen Terrors. Sie sind Opfer von kriminellen, mafiösen Schleuserbanden und -strukturen, aber sie sind zuletzt auch Opfer von Industriestaaten und befreundeten Ländern, auch in der Europäischen Union, die nicht bereit sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen und den fairen Anteil von Menschen aufzunehmen, der dem entspricht, was diese Staaten leisten könnten. Auch dies gehört leider zur Wirklichkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vor diesem Hintergrund, werte Kolleginnen und Kollegen, ist doch klar: Wir können und dürfen all dieses Leid nicht verdrängen, deshalb müssen und werden wir diesem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Recht herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Infolge des NATO-Krieges gegen Libyen herrschen in dem Land am südlichen Ufer des Mittelmeeres inzwischen islamistische Terrorbanden und Warlords, die einen erbitterten Bürgerkrieg um die Ressourcen des Landes führen. Jetzt weiten Sie den Bundeswehreinsatz, die Mission EUNAVFOR MED, aus, sodass unserer Ansicht nach dieser Bürgerkrieg in Libyen weiter internationalisiert wird. Ziel der Mission soll es auch sein, Einheiten von Polizei und Armee der nichtgewählten Übergangsregierung zu bewaffnen und auszubilden. Wie sieht eigentlich die bisherige Praxis der militärischen Migrationsabwehr – sprich: der Flüchtlingsabwehr – aus? Amnesty International gibt der libyschen Küstenwache, die jetzt noch enger mit der Europäischen Union kooperieren soll, eine Mitschuld an den furchtbaren Leiden der Flüchtlinge. Seit Ende Mai haben sie 3 000 Menschen aus dem Meer gezogen und wieder in die Lager gebracht, von denen es 24 irreguläre in dem Land gibt, die vorwiegend von bewaffneten Banden, auch Islamisten, kontrolliert werden. – So der Bericht der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International. Mit Ihrer militarisierten Flüchtlingsabwehr und der Kooperation mit Antidemokraten und üblen Schergen in Libyen tragen Sie zu einer massiven Verschlechterung der Lage der Menschen bei. (Beifall bei der LINKEN) Die deutsche Bundesregierung wie auch die deutschen Soldaten tragen somit Mitverantwortung für die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen und für Verbrechen an der Bevölkerung in Libyen – so die Menschenrechtsorganisationen. Ich finde, das ist inakzeptabel, und das ist schändlich. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja ungeheuerlich! Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf!) Ich frage Sie auch: In welche Bürgerkriege möchten Sie sich eigentlich noch einmischen? Wurde dazu die Bundeswehr einmal aufgestellt, um Truppen zu entsenden, die durch Waffenhilfe und -ausbildung weltweit Bürgerkriegsparteien ertüchtigen sollen? Ist das Aufrüsten von Verbrechern in Libyen für Sie Teil der Territorialverteidigung, etwa Deutschlands? Was Sie hier schaffen, ist wiederum ein neues Frankensteinmonster, das Sie in Zukunft eben nicht mehr hegen und bekämpfen können; (Beifall bei der LINKEN) denn wie wollen Sie kontrollieren, in welche Hände Ihre Waffen, die Sie bei der Ausbildung ausgeben werden, eigentlich gelangen? (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer will ihnen denn Waffen geben?) Wie wollen Sie garantieren, dass Ihre ausgebildeten Menschen nicht zu den feindlich gesonnenen islamistischen Terrorbanden überlaufen werden? Sie können es nicht garantieren. (Beifall bei der LINKEN) Sie können nicht ausschließen, dass Sie sich an der Ausbildung derjenigen beteiligen, die sich im Grunde genommen dann gegen Sie richten werden; das wissen Sie auch. Das Einzige, das sicher ist, ist, dass Sie den Bürgerkrieg in Libyen damit natürlich weiter anheizen werden, wenn Sie dort Menschen bewaffnen und ausbilden. (Beifall bei der LINKEN) Das ist für uns völlig inakzeptabel, und es ist eine abenteuerliche Außenpolitik. Deshalb fordern wir Sie auf, die Bundeswehr dort abzuziehen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und die Menschen ertrinken zu lassen!) Wenn Sie tatsächlich eine Seenotrettung wollen, dann machen Sie doch eine zivile Seenotrettung. (Beifall bei der LINKEN) Warum schicken Sie Kriegsschiffe zu den Flüchtlingen und keine Fähren? Der Kommandant der Fregatte „Karlsruhe“, Christian Clausing, der selbst an dieser Mission beteiligt gewesen ist, hat gesagt: Kriegsschiffe sind für Seenotrettung nicht optimiert. Ich finde, eine militärische Flüchtlingsabwehr genauso wie eine Kriegsbeteiligung (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So, jetzt zum Ende kommen!) in Libyen durch Ausbildung und Bewaffnung von Schurken und Schergen stellen einen Bruch unseres Grundgesetz dar und sind auch nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Deshalb lehnen wir diesen Bundeswehreinsatz ab. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja eine Überraschung! – Rainer Arnold [SPD]: Haben Sie eine Idee, was man tun muss?) Wir hoffen, dass bei Ihnen irgendwann Vernunft einkehrt und Sie weiter nicht irgendwelche Islamisten ausbilden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Bei uns herrscht Vernunft!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Da beide Redner, wenn auch nur leicht, ihre Redezeit überschritten haben, appelliere ich nun noch einmal, die Redezeit einzuhalten. Ich werde hier ab 21 Uhr nicht alleine die Abstimmungen leisten können. Sie müssen dann schon dabei sein. Ich erwarte, dass jeder anschließend hier ist. Sie alle wissen, worum es geht. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hammelsprung!) Der Kollege Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion hat das Wort und wird zeigen, dass das geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Ich weiß nicht. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe Ihnen gerne ein bisschen von meiner Redezeit ab, wenn es dem Fortkommen im Bundestag dient. Wir, die CDU/CSU, unterstützen die Ausweitung der Mission Sophia. Wir haben heute den ganzen Tag über die schwarze Seite der Linken erlebt, heute früh beginnend mit einer Rede der Fraktionsvorsitzenden. Selbst Russland trägt die Unterstellungen, die wir gerade gehört haben, nicht mit; denn wir haben mit Blick auf Libyen eine Resolution der Vereinten Nationen, die von Russland unterstützt wird. Das, was wir bei Libyen erreicht haben, wünschen wir uns auch für Syrien. Die dunkle Seite der Linken, die uns heute in düsteren Farben vorgeführt wurde, verkennt vollkommen, worum es geht. Der Einsatz Sophia ist eingebettet in ein strategisches Konzept der Vereinten Nationen, das alles bietet, was wir brauchen: erstens eine Resolution der Vereinten Nationen und zweitens regionale Partner, die mithelfen und stabilisieren. Ich möchte ausdrücklich – das hat schon Kollege Arnold getan – das Engagement des Sonderbeauftragten Martin Kobler würdigen. Er hat es durch unermüdlichen Einsatz über viele Monate geschafft, die Konfliktparteien in Libyen weitestgehend zu einigen. Ein großes Kompliment aus diesem Hause an Martin Kobler! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Des Weiteren ist es gelungen, dass sich Marokko intensiv am Shikrat-Prozess beteiligt hat. Außerdem unterstützt Tunesien, das die europäischen Werte ausdrücklich teilt und verteidigt und massiv unter dem Terror leidet, die europäische Grenzsicherungsmission. Ich will die drei Schritte aufzeigen, die für unsere politische Arbeit wichtig sind. Erstens. Die Ausweitung von Sophia bedeutet, dass wir gemeinsam mit den Vereinten Nationen versuchen, das Waffenembargo durchzusetzen. Ich gestehe den Grünen zu, dass wir Lücken haben. Das betrifft die Landgrenzen im Süden, wo der Großteil des Waffenschmuggels stattfindet. Aber wir müssen beginnen und dürfen kein Vakuum hinterlassen. Dass man mit der zivilen Seeschifffahrt kein Waffenembargo durchsetzen kann, dürfte jedem einleuchten, nur nicht der Linken. Der zweite Schritt, der erforderlich ist, ist die Bildung einer libyschen Zentralregierung. Diese wird, wenn es mehrheitlich gewünscht wird, dafür sorgen, dass die europäische Mission im Auftrag der Vereinten Nationen bis an die Küste geht. Ein weiterer Schritt wäre, dass die Mission Sophia dem Einsammeln von Kleinwaffen dient. 6 Millionen Einwohner, 20 Millionen Kleinwaffen – hier sind wir gefordert. Die Europäische Union hat Erfahrungen in Bosnien und im Kosovo gesammelt. Wir wissen, wie das geht, (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das glaube ich!) und kennen auch die Tücken. Der dritte Schritt ist dann, dass die europäische Mission, wenn die Einladung durch die libysche Zentralregierung erfolgt, Grenzsicherungskräfte in Libyen ausbildet und möglicherweise auch attestiert. Wenn das erreicht ist, haben wir innerhalb Libyens eine Grundstabilität, aber noch lange nicht die Sicherheit, die wir brauchen, um das durchzusetzen, was wir letztlich wünschen, nämlich eine starke Regierung und eine wieder aufwachsende Zivilgesellschaft, die sich um Bildung, Ausbildung und Aussöhnung im eigenen Land kümmern kann. Ich nenne als weiteren Punkt die Durchsetzung der Menschenrechte, die zwingend erforderlich ist. Aber es bedarf dieses schrittweisen Ansatzes. Ein Letztes: Vergangenes Jahr, im November, hatten wir den EU-Afrika-Gipfel. Auf diesem La-Valletta-Gipfel wurde sehr deutlich, wohin die Reise geht. Es geht um die Unterstützung der Afrikanischen Union, auch der Arabischen Liga, zumindest der Maghreb-Staaten, damit wir eine Marktöffnung erreichen und eine Aussöhnung innerhalb der Zivilgesellschaften hinbekommen. Ferner müssen die Themen Bildung und Tagesstrukturen in aufzubauenden Flüchtlingslagern wieder auf die Tagesordnung. All das zusammen ist das Konzept, das die Europäische Union gemeinsam mit den Vereinten Nationen und den regionalen Partnern im Wesentlichen mitgestaltet. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle deutlich unterstreichen: Unsere Marine leistet im Verbund mit den anderen europäischen Staaten Außergewöhnliches. Unser Dank gilt der deutschen Marine. Wir müssen aber auch durch öffentliche Information unserer Bevölkerung erklären, dass diese Soldaten einen sinnvollen Dienst leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesem Sinne wünsche ich uns eine weitere Debatte. Die CDU/CSU unterstützt die Ausweitung des Mandats. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Franziska Brantner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Machen wir uns zu Libyen nichts vor: Die nationale Einheit ist weit entfernt, auch wenn dazu erste Schritte vollzogen worden sind. Diverse Milizen kämpfen um die Vorherrschaft, die Terrorbanden des IS treiben ihr Unwesen. Rund eine halbe Million Geflüchtete harren unter furchtbaren Bedingungen aus. Auch wenn man die Mission kritisiert – ich finde, es gibt sehr berechtigte Kritik an dieser Mission –: Ich muss deutlich sagen, dass im Rahmen der Operation Sophia – das ist übrigens ein schöner Name – bisher an die 15 000 Menschenleben gerettet worden sind. Dafür gebührt unseren und den anderen europäischen Soldatinnen und Soldaten unser Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ja, Herr Arnold, Schlepper sind keine Waisenknaben, und, ja, man muss auch Menschenhandel bekämpfen. Aber wir meinen, dieser muss polizeilich bekämpft werden und nicht militärisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Es gibt aber auf hoher See keine Polizei!) Es ist doch so, liebe Kolleginnen und Kollegen: Marineverbände bügeln das Versagen der Europäer aus, auf die Flüchtlingskrise eine gemeinsame, faire, solidarische und humane Antwort zu finden. Sie bügeln das Versagen aus. Die Seenotrettung ist der positive Nebeneffekt eines Kurses, der stets nur die Abschottung zum Ziel hatte und bei dem die zivilen Ansätze keine Rolle spielen. Es ist ein positiver Nebeneffekt, aber ein Nebeneffekt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, Libyen braucht unsere Hilfe, gerade vor dem Hintergrund der Militärintervention vor fünf Jahren und gerade vor dem Hintergrund, dass man die Libyer damals alleine gelassen hat. Das war eine verantwortungslose Politik, und daraus müssen wir heute lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir bezweifeln aber, dass EUNAVFOR MED – das ist der nicht so schöne Name für diese Mission – wirklich einen Beitrag zur Stabilisierung leisten kann. Was Libyen braucht, sind rechtsstaatliche Strukturen, Bildung und ein Gesundheitswesen. Das ist es, was wir jetzt in Libyen brauchen. Was ist die Antwort der europäischen Mission? Eine Küstenwache, die uns „hilft“. Das ist keine richtige Antwort auf die große Herausforderung in Libyen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie müssen das Gesamtpaket sehen!) Zur Ausbildung der libyschen Küstenwache: Wer soll denn eigentlich ausgebildet werden? Welcher Rechtsrahmen gilt für die Küstenwache? Kann die fragile Einheitsregierung hier überhaupt eine Kontrolle ausüben? Werden diese Einheiten den Schutz von Flüchtlingsrechten gewährleisten? Es gibt so viele Fragen. Wir haben dazu eine Kleine Anfrage mit sehr vielen Fragen an die Bundesregierung gestellt. Haben wir brauchbare Antworten bekommen? Fehlanzeige. Es gab keine Antworten auf diese sehr relevanten Fragen, in denen es darum ging, was diese Mission genau tun wird. Es gab eine Frage, bei der darauf verwiesen wurde, dass sich entsprechende Informationen in einem Dokument in der Geheimschutzstelle befinden würden. Bis heute war das Papier immer noch nicht zugänglich und nicht einzusehen. Dabei stimmen wir heute über dieses Mandat ab. Das hat überhaupt nichts mehr mit Transparenz und Verantwortung zu tun, sondern es ist einfach Ausdruck des Durchpeitschens eines Mandats, bei dem es sehr viele offene Fragen gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne haben einen eigenen Antrag eingebracht. Wir sind für die legale Einreise Schutzsuchender, für eine echte europäische Mare-Nostrum-Mission. Wir sind für eine verbesserte Zusammenarbeit der EU-Staaten im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Menschenhandel auch auf hoher See. Wir sind für eine Stärkung der UN in Libyen und für einen echten Einsatz Deutschlands und der EU, für eine Stärkung der Einheitsregierung im zivilen Bereich im Hinblick auf Bildung, Gesundheit, Rechtsstaatlichkeit. Die Bundesregierung hätte bei der Mandatsänderung und bei der Mandatserweiterung die Chance gehabt, das Mandat auf die Füße zu stellen. Sie hat diese Chance vertan. Das ist schade. Deswegen können wir diesem Antrag nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Dr. Brandl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz auf meine Vorrednerin, Frau Brantner, antworten. Frau Brantner, in diesen Tagen diskutieren wir in Europa viel darüber, was die zukünftigen Aufgaben der Europäischen Union sein sollten. Wenn Sie die Menschen in Europa fragen, dann stellen Sie fest, dass sie vor allem bezüglich einer Aufgabe eine klare Meinung haben: 87 Prozent der Menschen in Europa sagen, Europa müsse seine Außengrenzen schützen. Das ist eine zentrale Herausforderung für Europa. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schützen die Grenzen Deutschlands auch nicht militärisch!) Wenn wir innerhalb Europas das Grundrecht der Reisefreiheit, das Grundrecht der Niederlassungsfreiheit erhalten wollen, dann brauchen wir dafür sichere Außengrenzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich leistet EUNAVFOR MED einen Beitrag dazu. Das ist auch kein Nebeneffekt. Aber es ist nicht der einzige Beitrag, den EUNAVFOR MED leistet. EUNAVFOR MED leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Region. Wir dürfen bei der Frage der Sicherung der Außengrenzen nicht nur auf Brüssel zeigen und sagen: Liebes Europa, mach mal. Vielmehr ist gerade die Sicherung von Seegrenzen nur in einem gemeinschaftlichen Ansatz möglich. Brüssel allein hat gar nicht die Ressourcen und die Möglichkeiten dazu. Um Seegrenzen wirklich zu schützen, ist es wichtig, dass man auf der anderen Seite einen stabilen Partner hat. Im Mittelmeer haben wir das Problem, dass wir auf der anderen Seite keinen stabilen Partner haben. Dort sind vielmehr instabile Länder, zum Beispiel Libyen oder eine Reihe anderer Staaten in Nord- und Westafrika. Deswegen ist es eine zentrale Herausforderung nicht nur, aber auch für den Schutz der Außengrenzen, die Länder in der Region Nordafrika zu stabilisieren. Die EU leistet dazu gemeinsam mit der UN einen Beitrag mit einer ganzen Reihe von Missionen, zum Beispiel in Libyen, in Mali, in Niger, in Zentralafrika und in Somalia. Deutschland unterstützt alle diese Missionen bzw. hat alle diese Missionen schon in der Vergangenheit unterstützt. Ich betone das deshalb, weil nach dieser Debatte nicht der Eindruck erweckt werden soll, dass EUNAVFOR MED Operation Sophia die Lösung ist. EUNAVFOR MED ist ein kleiner Beitrag in einem Gesamtansatz, den die Europäische Union in dieser Richtung fährt. Die Aufgabe von EUNAVFOR MED ist es, aufzuklären. Die Aufgabe von EUNAVFOR MED ist es, Schleuserstrukturen zu bekämpfen. Die Aufgabe von EUNAVFOR MED wird es in Zukunft sein, die libysche Küstenwache mit auszubilden und den Waffenschmuggel zu bekämpfen. EUNAVFOR MED rettet auch Flüchtlinge. Es ist fast schon erschreckend, zu sehen, wie viele Flüchtlinge dort unterwegs sind. Man muss fast täglich im BMVg nachfragen, um die aktuelle Zahl zu erfahren. Wir haben am Dienstag im Verteidigungsausschuss das Mandat besprochen. Zeitgleich zu unseren Beratungen hat der Tender „Werra“ 656 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. In der Zwischenzeit – das ist die aktuellste Zahl – sind es bereits über 19 000 Flüchtlinge, die durch EUNAVFOR MED gerettet worden sind. Wir wissen natürlich, dass wir durch diese Mission, durch das Retten der Flüchtlinge zum Teil das Geschäft der Schleuser noch profitabler machen. Deswegen ist es richtig, dass bei der jetzigen Mission entschieden worden ist, nicht ganz in die Nähe der libyschen Küste zu fahren, sondern in internationalen Hoheitsgewässern zu bleiben, um es den Schleusern nicht noch einfacher zu machen. Es ist genauso richtig, die Küstenwache auszubilden, damit die Soldaten, die Polizisten dort in Libyen in die Lage versetzt werden, ihre Küste selbst zu schützen. Es ist richtig, gegen den Waffenschmuggel vorzugehen und damit dem IS und anderen Terrororganisationen die Nachschubwege trockenzulegen. Meine Damen und Herren, wir zeigen nicht nur auf Brüssel im Sinne des Forderns, sondern wir leisten auch einen aktiven Beitrag, heute auch mit diesem Mandat, und ich bitte Sie um Zustimmung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EUNAVFOR MED Operation Sophia. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9035, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/8878 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze an den Urnen einzunehmen. Bitte zügig! – Ich sehe, dass einige Plätze noch nicht besetzt sind. Wenn man jetzt noch nicht den Platz gefunden hat, an dem man Verantwortung hat, ist das nicht zügig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sind die Plätze jetzt besetzt? – Das ist noch nicht der Fall. Liebe Kollegen, ich kann die Abstimmung nicht eröffnen, solange die Urnen nicht besetzt sind. Herr Neu, können Sie bitte einmal an die Urne dort gehen? Es fehlt immer noch ein Schriftführer von der Opposition. – Danke. Sind jetzt alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann kann ich die Abstimmung eröffnen. Gibt es jemanden in diesem Haus, der noch nicht abgestimmt hat? – Liebe Kollegen da hinten, es gibt auch noch andere Urnen. Man muss bloß ein kleines Stückchen laufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe niemanden mehr, der noch abstimmen muss. Deshalb schließe ich jetzt die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.10 Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9069. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie da mittendrin stehen, kann ich nicht sehen, wie das Abstimmungsverhältnis ist. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke abgelehnt worden bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine transparente und geschlechtergerechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good Governance Drucksache 18/9042 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der Aussprache hat Ekin Deligöz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etwas mehr als ein Drittel der Abgeordneten im Bundestag sind Frauen, und in vielen Bereichen gibt es inzwischen Frauen in Führungspositionen. Wir haben die Gleichstellung in der Verfassung verankert, wir haben viele Einzelgesetze, die dazu führen, dass Frauen gefördert werden. Eigentlich könnten wir doch sagen, in Sachen Gleichstellung haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Das haben wir aber nicht. Denn die Wirklichkeit schaut komplett anders aus. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, Frauen sind in den Aufsichtsräten und Vorständen noch lange nicht egalitär vertreten. Es ist eine sehr mühsame Entwicklung. Frauen sind immer noch diejenigen, die in dieser Gesellschaft den Mammutanteil an unbezahlter Arbeit leisten – sei es die Pflege, sei es die Kindererziehung, sei es die Familienarbeit. Erst wenn wir diese Entwicklungen transparent machen, erkennen wir, welche Ungerechtigkeiten wir in dieser Gesellschaft haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Darum geht es. Ein Instrument, um diese Ungerechtigkeit zu verdeutlichen, ist der Weg über Klarheit und Transparenz in den öffentlichen Finanzen. Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel. In Berlin wurde festgestellt, dass weibliche Sachbearbeiterinnen pflegebedürftigen Männern im Durchschnitt höhere Leistungen zuerkennen als ebenso pflegebedürftigen Frauen, weil sie den Frauen mehr Eigenständigkeit zumuten. Das zeigt eines in der Analyse: dass gesellschaftliche Wertvorstellungen, Rollenbilder, Machtstrukturen in unseren Köpfen gerade dann eine Rolle spielen, wenn es um Finanzen geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch die Haushalts- und Finanzpolitik ist nicht davor gefeit. Deshalb lohnt sich diese Analyse. Das Instrument, diese Analyse nach vorn zu bringen, nennt sich Gender Budgeting. Es ist die Analyse von öffentlichen Haushalten nach Geschlechteraspekten. Gender Budgeting heißt nicht nur Good Governance, gute Regierungsführung, sondern sagt, was mit Steuergeldern in dieser Gesellschaft eigentlich passiert. Gerade weil es so ein transparentes System ist, haben die Österreicher es in ihre Verfassung aufgenommen. Gerade weil es Transparenz und Akzeptanz schafft, verwendet die EU es beim Europäischen Sozialfonds. Auch Berlin und Bremen haben gute Erfahrungen damit gemacht, viele Kommunen übernehmen es. Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Alle, die dahinter eine Art feministischen Kampfbegriff vermuten, frage ich: Was genau soll denn bitte falsch daran sein, sich für Gerechtigkeit und Gleichstellung in diesem Land einzusetzen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das sollte kein Kampf sein. Vielmehr sollte es in diesem Land selbstverständlich sein, und für diese Selbstverständlichkeit stehen wir jetzt ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Denjenigen, die sagen: „Jetzt wird jeder Cent genau hälftig aufgeteilt“, sage ich: Darum geht es nicht. Es geht nicht um Gleichmacherei und nicht darum, dass immer ganz genauso viel Geld für Männer wie für Frauen ausgegeben wird, sondern es geht um Gerechtigkeit. Es geht darum, die Konsequenzen der Entscheidungen, die wir getroffen haben, zu sehen und zu überlegen, wie wir verantwortungsvoll mit Geld umgehen können. Ein letztes Argument: Es wird immer wieder behauptet, in unserem jetzigen kameralistischen System sei Gender Budgeting nicht machbar. Doch, es ist machbar. Dafür brauchen wir keine große Haushaltsreform, sondern dafür brauchen wir Mut und den Willen, genau hinzuschauen, wofür wir eigentlich unsere Steuermittel ausgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Transparenz – das ist nämlich das, was im Ergebnis dabei herauskommt – führt auch immer zu besserer Akzeptanz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Akzeptanz wiederum steht dafür, dass wir die Demokratie in diesem Land voranbringen, Demokratie, die einstehen muss für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, aber auch für die stärkere Akzeptanz bei der Verwendung von Steuermitteln. Das ist unser Auftrag, für den wir heute einstehen. Ideen dazu gibt es genug. Wir haben sie alle aufgeschrieben. Lassen Sie uns diese Diskussion starten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Kerstin Radomski von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kerstin Radomski (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Forderung nach einem sogenannten geschlechtergleichen Haushaltsplan. Wie bereits dargelegt wurde, sollen mit dem Gender Budgeting zusätzliche Maßnahmen in den Prozess der Aufstellung unseres Haushaltsplans aufgenommen werden, durch die eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter erreichen werden soll. Was heißt das konkret? Bei jeder monetären Ausgabe im Rahmen des Haushaltsentwurfes von über 328 Milliarden Euro soll überprüft werden, ob diese Ausgabe Männern und Frauen gleichermaßen zugutekommt. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber anders im Antrag! Das stimmt ja nicht!) Weil der Staat kein Geschlecht bevorzugen darf, müsste es im Fall einer nicht gleich hohen Ausgabe für beide Geschlechter zu einer Umverteilung kommen. Wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in Ihrem Antrag ganz richtig betonen, ist nach Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes alles staatliche Handeln der Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichtet. Die jüngere Generation hat das große Glück, mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgewachsen zu sein. Wir nehmen dies heute als selbstverständlich hin. Schließlich dürfen Frauen in Deutschland seit nunmehr 97 Jahren wählen gehen. Im zunehmend globalisierten 21. Jahrhundert werden wir allerdings tagtäglich auch mit Gesellschaftssystemen konfrontiert, in denen der Frau wichtige Rechte auf Gleichstellung weiterhin nicht gewährt werden. Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind viele Dinge, die uns als selbstverständlich erscheinen, noch lange nicht so etabliert, wie es manchmal den Anschein hat. Noch bis ins Jahr 1958 hinein konnte ein Ehemann in der jungen Bundesrepublik das Dienstverhältnis seiner Frau kündigen. Bis 1962 durfte eine Frau ohne die Zustimmung ihres Mannes kein eigenes Bankkonto eröffnen, und erst weitere sieben Jahre später wurde eine verheiratete Frau als geschäftsfähig angesehen. Wir vergessen oft, dass vollkommene Gleichberechtigung ein langwieriger und anhaltender Prozess ist. Es ist erreicht, dass nach § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien die Gleichstellung von Mann und Frau als Leitprinzip politischen, normgebenden und verwaltenden Handelns der Bundesregierung etabliert ist. Natürlich ist es lobenswert, das Thema Gleichstellung ins Gedächtnis zu rufen. Aber wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben dies nie aus den Augen verloren und im Parlament auch in den letzten Jahren weiter begleitet. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen, Herr Kindler. Das von der CDU und CSU eingeführte Elterngeld ist beispielsweise als Ersatzleistung für das wegfallende Erwerbseinkommen gedacht. Dabei lautet das Ziel, beiden Elternteilen eine bessere Beteiligung an der Erziehung der Kinder zu ermöglichen. 10 Millionen Menschen – Mütter und Väter – profitieren von der Erhöhung der Rentenpunkte für die Erziehungszeit von Kindern, die vor 1992 geboren sind. Auf unsere Mütterrente sind wir als CDU/CSU-Fraktion zu Recht stolz. (Beifall bei der CDU/CSU) Vor dem Gesetz sind wir alle gleich, aber als Individuen doch grundsätzlich verschieden. Wir alle erhalten eine schulische Ausbildung in den gleichen Fächern, und doch entscheidet sich ein Mann vielleicht, Krankenpfleger zu werden, und eine Frau studiert Ingenieurwesen, was früher jeweils selten der Fall war. Die meisten von uns erwerben im selben Alter den Führerschein, und trotzdem fahren nicht alle gleich gerne Auto. Es gibt diverse Studien, die aufzeigen, dass Männer lieber Auto fahren und es viele Frauen gibt, die den ÖPNV bevorzugen. Jetzt stellen wir uns bitte einmal vor, wie das Gender Budgeting in der Praxis aussehen würde: Ist eine Investition in die Sanierung einer Bundesstraße eine männliche oder eine weibliche Bevorteilung? (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einfach können Sie es sich nicht machen! Das ist doch ein bisschen zu billig jetzt! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mit ein bisschen mehr Sachlichkeit? – Zuruf von der CDU/CSU: Weiblich: die Straße!) In der Konsequenz, dass viele Männer offenbar eher für das Autofahren zu begeistern sind als Frauen, stünde hier womöglich ein klares „männlich“. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Straße ist weiblich!) Aber ganz ehrlich und plump gesagt: Ist eine Frau diskriminiert, wenn unsere Straßen gut saniert sind? Wohl nicht. Auch wenn sie nicht gerne hinter dem Steuer sitzt, profitiert sie trotzdem von der Sanierung der Straßen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Radomski, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen, trotz der netten Beispiele. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bitte!) Kerstin Radomski (CDU/CSU): Ja, mache ich. – Anstatt die Gesellschaft zu zerteilen, sollten wir uns daran erinnern, dass wir alle gleichberechtigte Menschen sind. Ich möchte noch einen finanziellen Aspekt ansprechen. Natürlich hat auch die Machbarkeitsstudie gezeigt, die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde, dass wir im Ergebnis mehr Stellen brauchen und damit Geld. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Sie müssen wirklich zum Schluss kommen. Kerstin Radomski (CDU/CSU): Ich bringe den Satz zu Ende. – Ich würde Sie bitten, dieses Geld lieber in Infrastruktur, Bildung, Kitas und Generationengerechtigkeit zu stecken. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal die Bitte: Das war jetzt über eine Minute zusätzliche Redezeit. Ich muss nicht darauf hinweisen, was es bedeutet, wenn jeder eine Minute zusätzlich redet. Dann sitzen wir hier noch um elf. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist denen, die jetzt reden, aber egal!) Deshalb bitte ich wirklich, die Redezeit einzuhalten. Dr. Gesine Lötzsch hat als nächste Rednerin das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein transparenter und geschlechtergerechter Haushalt ist wichtig und richtig. Eigentlich ist es erstaunlich und schade, dass wir überhaupt darüber reden müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Herren von der Union, Sie müssen doch keine Angst haben, dass es Ihnen schlechter gehen wird. Bei diesem Antrag – die Kollegin hat es ja dargestellt – geht es doch erst einmal um Transparenz. Ihnen wird doch noch gar nichts weggenommen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Es wäre doch viel zu schade, meine Damen und Herren, wenn Finanzminister und Regierungsfraktionen ausdrücklich nicht wissen wollen, wie viel Geld aus dem Bundeshaushalt bei Männern und Frauen ankommt. Warum eigentlich? Fürchten Sie etwa die Ergebnisse? (Zurufe von der CDU/CSU) Wir Linke hatten bereits im Frühjahr 2014 das Thema im Haushaltsausschuss auf die Tagesordnung gesetzt. Leider war das Desinteresse bei der Koalition groß. Der damalige Finanzstaatssekretär meinte sogar noch, dass der Haushalt doch nichts mit der Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter zu tun habe. Welche Fehleinschätzung! Wir wissen ja: Um vernünftige Politik zu machen, brauchen wir das Geld an der richtigen Stelle. Dafür werden wir uns als Linke immer einsetzen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wir können ja einmal ein paar Beispiele – die Kollegin Deligöz hat das ja schon gemacht; ich werde noch welche hinzufügen – durchdeklinieren. Mich interessiert zum Beispiel brennend die Frage, wie die Personalmittel in den Bundesministerien auf Frauen und Männer verteilt sind. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe dazu eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Ich bin sehr gespannt auf die Antwort. Ich kann mir nämlich vorstellen, dass das Personalbudget sehr unterschiedlich verteilt ist, und sicher nicht nur im Verteidigungsministerium zuungunsten der Frauen, meine Damen und Herren. Oder wir können uns die Bundessubventionen unter dem Aspekt der Verteilung zwischen Männern und Frauen anschauen. Werden Männer von der Bundesregierung mehr subventioniert als Frauen? Ich nenne Ihnen einmal ein aktuelles Beispiel: die Subventionierung des Kaufs von Elektroautos. Stellen Sie sich mal ehrlich die Frage: Geht es da wirklich um die Energiewende, oder geht es doch eher um Männerträume? Meine Damen und Herren, ich sage: Es geht um Männerträume. (Beifall bei der LINKEN – Alois Rainer [CDU/CSU]: Nein, danke! Elektroauto bestimmt nicht! Kein Traum von mir!) Warum wurde zum Beispiel der Frauenbetrieb Schlecker nicht gerettet, dafür aber Schrottbanken, die in der Mehrheit von Männern geführt werden? Auch das ist eine berechtigte Frage, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Und wenn Wirtschaftsminister Gabriel immer wieder mehr Waffen exportiert, dann ist doch die interessante Frage: Wer ist eigentlich für die Herstellung dieser Waffen verantwortlich, wer sitzt da in den Führungspositionen, Männer oder Frauen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nächster Punkt. Schauen wir uns die Steuerpolitik an. Wie sieht es da aus? Gibt es vielleicht noch keine gerechte Vermögensteuer, weil sich die großen Vermögen zumeist in den Händen von Männern befinden? Ich finde, das sind alles interessante Fragen. Ich denke, niemand wird verstehen, wenn die Koalition – Frau Radomski hat das ja für die CDU/CSU schon vorgetragen – sie nicht beantworten will. Es gibt zu diesem Thema viele gute Erfahrungen in Österreich, in Skandinavien, aber auch in Berlin. Der Berliner Senat hatte 2002 auf Vorschlag der Linken als erstes Bundesland das Gender Budgeting eingeführt. Man kann sich ja ausnahmsweise einmal an Berlin orientieren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Berlin hat ja kein Geld!) Mein Vorschlag an die Frauen im Bundestag: Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, sollten wir gemeinsam die uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mittel nutzen, um die nötigen Informationen auch so herauszufinden und um in der Verteilungsfrage mehr Transparenz herzustellen. Ich habe bereits damit angefangen, und ich denke, es wäre gut, wenn viele mitmachen – aus allen Fraktionen. Herzlichen Dank. – Ich habe zehn Sekunden Redezeit gespart. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. Ja, Sie haben einige Sekunden eingespart. – Als nächster Redner hat Ewald Schurer das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ewald Schurer (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Keinesfalls ist Gender Budgeting ein Kampfbegriff, den man, liebe Kollegin Ekin Deligöz, negativ bewerten muss. Es gibt schon Haushaltsansätze, zum Beispiel im Berliner Senat, bei denen man damit arbeitet. Es gibt auch viele Länder, zum Beispiel skandinavische Länder und Österreich, die man in diesem Zusammenhang als positive Beispiele erwähnen kann. Insofern sehe ich den Diskussionsprozess als sehr produktiv an. Unabhängig von der philosophischen Frage, ob wir den Haushalt eher geschlechterneutral sehen oder eben auch in der Dimension weiblich/männlich bewerten sollten, möchte ich darauf hinweisen, dass von der aktuellen Regierung Frauenpolitik betrieben wird. Es ist zwar beschämend, dass wir die Bestimmungen für mehr Schutz für Frauen vor sexuellen Übergriffen erst heute beschlossen haben – es war ein langer Prozess, und das Thema ist lange Zeit tabuisiert worden –; aber immerhin haben wir heute vor dem Hintergrund jüngster schlimmer Ereignisse, die krimineller Natur waren, Konsequenzen gezogen. Auch das ist konkrete Frauenpolitik, die hier heute im Parlament beschlossen worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf hinweisen, dass diese Regierung zum Beispiel im April 2015 das Bundesgleichstellungsgesetz auf den Weg gebracht hat. Das ist noch kein Durchbruch für die gesamte Wirtschaft; aber bei börsennotierten Unternehmen werden nun immerhin 30 Prozent der Spitzenposten für Frauen reserviert. Das ist ein Anfang, aber noch nicht der Durchbruch. Auch das sind Errungenschaften konkreter Frauenpolitik, die von dieser Koalition gemeinsam erreicht worden sind. (Beifall bei der SPD) Wir haben dann Mitte 2015 das Elterngeld Plus eingeführt. Auch das ist ein gesellschaftlicher Fortschritt, weil damit für Väter und Mütter gemeinsam Spielräume im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erzielt werden sollen. Auch das, liebe Ekin, werte Kolleginnen und Kollegen, ist ein konkreter Fortschritt. Es ist gendermäßig eine politisch richtige Maßnahme, die wir in dieser Großen Koalition durchgesetzt haben. (Beifall bei der SPD) Für uns Sozialdemokraten war im Kampf um den Mindestlohn auch die Dimension von großer Bedeutung, dass der Mindestlohn zu zwei Dritteln, sogar fast 70 Prozent, die weibliche Hälfte der Bevölkerung betrifft, weil in unserer Gesellschaft vor allen Dingen Frauen in den Berufen tätig sind, in denen entgegen allem Verständnis vom Wert der Arbeit bisher zum Teil so wenig gezahlt worden ist, dass man davon überhaupt nicht leben konnte. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war also beim Projekt Mindestlohn auch die Dimension, die Frauen besserzustellen, von herausragender Bedeutung. (Beifall bei der SPD) Ich muss ganz ehrlich sagen: Ein schwerwiegender Punkt fehlt noch; er ist noch nicht angesprochen worden. Wir Sozialdemokraten, also Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – ganz ernsthaft akzentuiert –, wollen im Zuge des Projektes, künftig Lohngerechtigkeit herzustellen, weitere Fortschritte erzielen. Lohngerechtigkeit ist eine Dimension, die bei einem Mann, einem Vater wie mir – ich habe vier Kinder, darunter drei Töchter –, einen Emanzipationsprozess auslöst. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) – Das meine ich mit großer Ernsthaftigkeit. – Es ist für mich nach wie vor beschämend, dass Frauen in unserer Gesellschaft für ihre Arbeit, statistisch gesehen, 21 Prozent niedrigere Reallöhne bekommen. Selbst, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Jobs strukturell vergleicht und die Billigjobs, die es leider in unserer Gesellschaft im schlecht bezahlten Dienstleistungsbereich gibt und die oft von Frauen ausgeführt werden oder werden müssen, abzieht, ist es immer noch so: Frauen verdienen in strukturell vergleichbaren Berufen immer noch 10 Prozent weniger als die männliche Hälfte. Das kann man so nicht lassen. Ich blicke an dieser Stelle mit gewinnendem Blick in Richtung Kolleginnen und Kollegen der Union. (Beifall bei der SPD) Das Lohngerechtigkeitsgesetz liegt seit Dezember 2015 im Kanzleramt. Ich kann mir in meiner Fantasie einfach nicht vorstellen, werte Kollegen von der Union, auch auf der Regierungsbank, dass eine Bundeskanzlerin so einem klugen Lohngerechtigkeitsgesetz letztendlich nicht den Zuschlag geben will. (Beifall bei der SPD) Das ist sowohl makroökonomisch wie auch individuell schädlich; denn Frauen haben mindestens den gleichen Wert in der Arbeitswelt und sollten deshalb unter Lohngerechtigkeitsgesichtspunkten so bezahlt werden wie Männer und umgekehrt. Das ist für mich ein großer Ruf. Ekin Deligöz hat mit ihrem guten und wichtigen Antrag mir dazu geholfen, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt denn die SPD dann zu?) das innerhalb der Koalition formulieren zu dürfen. Ich glaube, es kommt bei den geschätzten Freundinnen und Freunden des Koalitionspartners, nicht nur bei den Frauen der Union, auch gut an. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ihr dem Antrag zu, Ewald?) – Lieber Kollege Kindler, jetzt nicht schreien, dazu haben wir im Haushaltsausschuss wieder Zeit, wo Sie Ihre Thesen wieder kräftig vier-, fünfmal wiederholen; das ist auch legitim, damit ich es auch immer verstehe. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nein, da arbeiten wir ganz ruhig, sachlich und konzentriert! Da wird nicht geschrien!) Vor diesem Hintergrund sage ich: Ich würde die Diskussion über Gender Budgeting weiterführen wollen. (Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es sind Ansätze vorhanden, die zumindest in der SPD Widerhall finden. Wir brauchen allerdings ein gemeinsames Konzept; das müssen wir am heutigen Tag nicht übers Knie brechen. Wir brauchen also eine Diskussion über ein gemeinsames Konzept. Ich finde auch die Ansätze interessant wie auch die Philosophie, die dahinter steht, nämlich Haushaltsmittel, wie Frau Kollegin Lötzsch gesagt hat, in Bezug auf die Kategorien „weiblich“ und „männlich“ in Bereichen wie der Personalausstattung genau zu untersuchen. All das sind interessante Aspekte. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden dieses Thema weiter verfolgen. Zum Schluss kann ich ganz klar sagen: Die Förderung von Frauenpolitik und der Genderprozess insgesamt betreffen einen Bereich, in dem der männliche Teil der Welt in der Tat noch lernen muss. Ich bin mir sicher, dass in allen Parteien Sensibilisierungsprozesse notwendig sind. Erst wenn die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zur Selbstverständlichkeit wird, sie also im ökonomischen wie im sonstigen gesellschaftlichen Prozess nicht mehr diskutiert werden muss, sondern real vorhanden ist, sind wir politisch am Ziel. In diesem Sinne wünsche ich mir weitere Fortschritte in diesem Prozess. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich habe gerade gedacht: Viele Töchter wünsche ich mir – für die Kollegen. Alois Rainer hat als letzter Redner das Wort in dieser Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Gleichstellung ist nicht zwingend ein haushaltspolitisches Thema, dennoch ist es ein Thema, das wir alle miteinander sehr ernst nehmen sollten und auch wollen. So liegt unserer Gleichstellungspolitik der Ansatz zugrunde, dass wir in einer freien Gesellschaft leben, in der sich jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht frei entfalten und entwickeln kann. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wäre schön!) – Immer schon. – Trotzdem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es in einigen Bereichen immer noch strukturelle Probleme gibt. Die Gleichstellungspolitik der Union besteht im Kern darin, strukturelle Benachteiligungen, die aufgrund des Geschlechts bestehen, zu beseitigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesem Sinne wurden gezielt Maßnahmen eingeleitet und Gesetze verabschiedet, um die Gleichstellung von Frauen und Männern erreichen, zum Beispiel das Elterngeldgesetz für beide Elternteile, das Pflegezeitgesetz, gesetzliche Regelungen für mehr Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und in der Bundestagsverwaltung, zur Mütterrente – das wurde schon angesprochen – und vieles andere mehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren Antragsteller, mit Ihrem Antrag fordern Sie unter anderem: erstens die verbindliche Aufnahme von Gender Budgeting als Prinzip der Haushaltsführung in die Bundeshaushaltsordnung als zweijähriges Pilotprojekt, zweitens die Einrichtung einer interministeriellen Gender-Budgeting-Steuerungsgruppe, um die Umsetzung im Bundeshaushalt zu koordinieren. Drittens wollen Sie auch noch, dass dem Bundestag darüber hinaus ein jährlicher Gender-Budgeting-Bericht vorgelegt wird. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch sehr gut!) Dazu sage ich nur: Danke schön. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das verstehen auch die Bürger nicht!) Meine Damen und Herren, aus unserer und aus meiner Sicht ist die Implementierung von Gender Budgeting im Bundeshaushalt kein geeignetes Instrument, um die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bundeshaushalt beschreibt den finanziellen Rahmen der einzelnen Fachbereiche, legt ihn gesetzlich fest und ermächtigt die jeweils zuständigen Ressorts zur Leistung der hierfür erforderlichen Ausgaben. Die Umsetzung derartiger gleichstellungspolitischer Ansätze gehört dorthin, wo sie inhaltlich angebracht ist, und zwar in die Verantwortung der einzelnen Ressorts und Fachbereiche. Die Bundesministerien sind nach § 2 ihrer Gemeinsamen Geschäftsordnung bereits in der Pflicht, in ihrem jeweiligen Fachbereich die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip bei allen Maßnahmen zu fördern. Sollte es sich hierbei um Maßnahmen mit finanziellen Auswirkungen handeln, ist das bereits jetzt Teil der Facharbeit der verschiedenen Ressorts – und das ist gut so; da sind wir dabei. Außerdem sehe ich in Ihren Vorschlägen einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand, ohne dass man dem eigentlichen Ziel näherkommen würde. Ich sehe Gender Budgeting im Rahmen des Bundeshaushalts nicht als geeignetes Instrument an, um die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen. (Zurufe von der LINKEN) – Ich sage das gerne ein zweites Mal, damit das auch die Herren der Linken kapieren. Außerdem ist es nicht zutreffend, dass die Bundesregierung rechtlich verpflichtet ist, Gender Budgeting umzusetzen. Weder völkerrechtlich noch aus der von der EU verabschiedeten Erklärung aus dem Jahr 2005 ergibt sich ein verpflichtender Rechtsakt für die europäischen Mitgliedstaaten. Wenn Österreich, skandinavische Staaten und einige Städte in Deutschland das machen, dann ist das deren Vergnügen. Wir müssen ja nicht alles machen, was die anderen Staaten machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Europäische Union – ganz aktuell – wäre auch zu einem derartigen Eingriff in die Haushaltsautonomie ihrer Mitgliedstaaten nicht befugt. Sie, meine Damen und Herren, versuchen, mit diesem Antrag ein Thema in der Bundeshaushaltsordnung zu verankern, das aus meiner Sicht rein gar nichts mit der Haushaltspolitik im eigentlichen Sinn zu tun hat. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hat mit Geld zu tun!) Das sind gleichstellungspolitische Anliegen, und die gehören, wie schon angesprochen, in die jeweiligen Fachressorts. Deshalb kann ich und können wir dem Antrag nichts abgewinnen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss dieser Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/9042 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so geschehen. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich gern das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA“ auf den Drucksachen 18/8878 und 18/9035 bekannt geben: Abgegeben wurden 569 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 457, mit Nein haben gestimmt 111, und eine Kollegin oder ein Kollege hat sich enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen worden. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 569; davon ja: 457 nein: 111 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Cansel Kiziltepe Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich Drucksache 18/8334 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/9099 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Ferlemann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute eines der wichtigsten Gesetze in dieser Legislaturperiode – jedenfalls im Eisenbahnsektor –, das sogenannte Eisenbahnregulierungsgesetz. Was verbirgt sich dahinter? Eisenbahn ist ein komplexes und kompliziertes System. Bei Eisenbahn gibt es auf der einen Seite Netze, auf denen gefahren wird, und auf der anderen Seite Betriebe, die auf den Netzen fahren. Europa hat sich dazu entschieden, eine Trennung zwischen Netzbetrieb und Fahrbetrieb vorzuschlagen. Wir haben uns als Bundesrepublik Deutschland viele Jahre dagegen gewehrt, dass das auch für Deutschland verpflichtend gilt, und haben durchgesetzt, dass die Eisenbahn auch nach unserem Modell – also einen integrierten Konzern zu fahren, der Netz und Betrieb vereint – betrieben werden kann. Dafür aber, dass man ein integriertes System fahren kann, braucht man eine gute Regulierung. Das sieht das europäische Recht so vor und sieht es auch zu Recht vor. Es wird also ein Markt simuliert, den es so nicht gibt, damit man Wettbewerb darstellen und zu gerechten Trassenpreisen, Trassengebühren kommen kann. Man kann es für die Öffentlichkeit so erklären: Das ist praktisch eine Maut auf der Schiene. Die haben wir in Deutschland schon viele Jahre, und die Frage ist: Wie wird sie gerecht – in welcher Höhe und mit welchem Zuwachs – festgesetzt? Dafür braucht es einen unabhängigen Regulierer, der diese Preise ohne politische Vorgabe und Einflussnahme nach bestimmten Kriterien festsetzen kann. Den haben wir in der Bundesnetzagentur gefunden, die diese Aufgabe unserer Auffassung nach schon jetzt in großen Teilen sehr gut erledigt, aber mit diesem Gesetz noch einmal deutlich gestärkt wird und ihrer Aufgabe, wie wir meinen, gut nachkommen wird. Sie ist unabhängig und kann von daher die Preise marktgerecht festsetzen. Das wiederum wird dazu führen, dass das Angebot auf der Schiene leichter zu fahren sein wird. Damit werden wir mehr Verkehr auf die Schiene bekommen, was Ziel der Bahnreform ist, und vor allem mehr Wettbewerb auf der Schiene haben, was für das System insgesamt auch nur wünschenswert und richtig ist. Dafür, dass wir das hinbekommen, brauchen wir aber eine Regulierung. Wir haben uns für die Entgeltregelung entschieden. Das heißt, die Regulierung wird, bevor die Trassen vergeben werden, die Preise festsetzen, sodass jedes Unternehmen, das Trassen erwerben will, weiß, zu welchen Kosten über diese Trassen gefahren werden kann. Das ist der Charme der Lösung, die wir gemeinsam gefunden haben. Ich bin meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr dankbar, die in den vergangenen Wochen und Monaten dieses Gesetzgebungsverfahren sehr intensiv begleitet haben, allen mit Rat und Tat zur Seite standen und, glaube ich, dem Deutschen Bundestag nicht nur einen guten Gesetzentwurf, sondern vor allem auch gute Ergänzungen formuliert haben. Ich danke insbesondere den beiden Koalitionsfraktionen, die in mühevoller Kleinarbeit noch viele Punkte eingebracht haben. Allerdings ist ein Punkt dabei, den wir kritisch beleuchten müssen. Da geht es darum, wie die Länder ihren Einfluss beim Nahverkehr geltend gemacht haben. Die Länder wollen, dass der Zuwachs der Trassenpreise im Nahverkehr auf die 1,8 Prozent begrenzt wird, die wir über die Regionalisierungsmittel maximal als Zuwachs jedes Jahr finanzieren. Das sind in diesem Jahr 8,2 Milliarden Euro, eine sagenhafte Summe, die es für das Schienenwesen im Nahverkehr noch nie gab. Ich bin Ihnen allen sehr dankbar, dass Sie das Schienenwesen in Deutschland so unterstützen. Aber wir haben in der Regulierung festgelegt, dass diese 1,8 Prozent Maximum sein müssen – das kann man verstehen –, damit der Zuwachs an Mitteln nicht überschritten wird, was ansonsten dazu führte, dass weniger Verkehr gefahren würde, weil mehr für die Trassenpreise aufzuwenden wäre. Was wir heute allerdings beschließen werden, ist, dass diese 1,8 Prozent auch dann genommen werden, wenn der Regulierer sogar unter der Summe bleibt. Das ist so gewollt und okay; wir werden das so nachvollziehen; denn die Regierung hat ja den Auftrag, das umzusetzen, was das Parlament beschließt. Ich vermute, dass das zugunsten des Fernverkehrs und des Güterverkehrs läuft; denn ich glaube, dass wir bei der Regulierung unter den 1,8 Prozent bleiben können, wodurch wir dann höhere Einnahmen aus dem Nahverkehr haben, die zugunsten von Fernverkehr und Güterverkehr umgelenkt werden können. Mithin ist der Sinn der Demonstrationen in dieser Woche überflüssig geworden, weil genau das Gegenteil von dem eintritt, von dem die Demonstranten ausgegangen sind. Insofern können wir, wie ich glaube, einen sehr guten Gesetzentwurf vorlegen. Heute ist hier im Bundestag ein sehr guter Tag für das Eisenbahnwesen in Deutschland. Ich hoffe, dass der Bundesrat morgen so klug ist, diesem Gesetz zuzustimmen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wettbewerb im Eisenbahnwesen funktioniert nicht. In den 90erJahren wollten die Privatisierer mehr Konkurrenz für die Bahn und dadurch günstigere Preise und besseren Service erreichen. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Im Nahverkehr gibt es jetzt zwar einen Zuwachs an Nahverkehrsleistungen, die Fahrgastzahlen steigen und auch das Angebot ist attraktiver geworden. Doch dieser Erfolg ist weniger dem Wettbewerb geschuldet als vielmehr der vernünftigen Ausstattung durch die Regionalisierungsmittel. Im Fernverkehr sieht es anders aus. Er soll eigenwirtschaftlich organisiert sein. Hinsichtlich Wettbewerb ist aber völlige Fehlanzeige festzustellen. Im Güterverkehr haben die Bahnen, die nicht zur DB gehören, inzwischen ein Drittel Marktanteil. Doch der Wettbewerb dort findet oft auf dem Rücken der Beschäftigten und zulasten der Sicherheit statt. Die Privatisierer haben ihre Ziele weit verfehlt. Jetzt versucht die Regierung, mit einem aufwendigen Regionalisierungsgesetz der Probleme Herr zu werden. Dafür taugt allerdings dieser Gesetzentwurf nicht. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert ein klares Bekenntnis zur Bahn und entsprechende Gesetze, die einen gut funktionierenden Eisenbahnverkehr garantieren, der die Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt stellt. (Beifall bei der LINKEN) Öffentliche Bahnunternehmen, die nicht als oberstem Ziel der Gewinnmaximierung unterworfen sind und auf Zusammenarbeit statt auf Konkurrenz aufbauen, sind nötig. Jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit dem Spruch, dass wir die alte Bahn wiederhaben wollen. Nein, darum geht es nicht. Die Linke will eine moderne Bahn. Wir wissen aus europäischen Vergleichen, dass es sie gibt. (Beifall bei der LINKEN) Der Blick in den Südwesten, in die Schweiz zeigt, dass dort mit einem intelligenten Steuerungssystem eine Bahn im öffentlichen Bereich in der Lage ist, den Verkehr vernünftig zu organisieren. (Beifall bei der LINKEN) Vom Fernverkehr bis zum regionalen Busverkehr gibt es dort quasi ein Verkehrsangebot aus einer Hand, weil der öffentliche Verkehr öffentlich organisiert ist – zum Wohle der Nutzerinnen und Nutzer. Der Erfolg gibt diesen Steuerungsmaßnahmen ja auch recht. In der Schweiz fahren viel, viel mehr Menschen mit der Bahn als in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen uns von dort Anregungen holen und das Konzept auf die Eisenbahn in Deutschland übertragen. Das wäre eine richtig gute Maßnahme. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung geht aber in der Tat einen anderen Weg; wir haben es gerade gehört. Eine Anreizfinanzierung soll dazu beitragen, dass das Infrastrukturunternehmen die Gelder, die es bekommt, so einsetzt, wie es erforderlich ist. Wir haben bei der Bahn gesehen, dass die Zuschüsse auf einmal in der Bilanz auftauchten; denn man musste gegenüber der Bundesregierung nachweisen, dass man Profite machen kann. Die Probleme löst man also nicht auf diese Art und Weise. Darum ist es nötig, dass wir ähnlich wie in der Schweiz Kostenrahmen festlegen. Wir müssen festlegen, welche Leistungen wir für welche Kosten haben wollen. Das ist das Beispiel der Schweizer Bahn. Das kann ein Vorbild für uns sein. (Beifall bei der LINKEN) Zu den Trassenpreisen: Die Preise für die Nutzung des Schienennetzes steigen für die privaten Unternehmen, aber auch für das Unternehmen Deutsche Bahn AG, weil sie privatwirtschaftlich organisiert ist und Profite bringen soll. Wenn wir im Nahverkehr eine Deckelung bei maximal 1,8 Prozent haben, dann werden – das haben die Demonstranten hier in Berlin am Montag nachgewiesen – die überschießenden Kosten zulasten des Fernverkehrs gehen. Das fürchten die Kolleginnen und Kollegen. Diese Befürchtungen sind nicht ausgeräumt. Darum brauchen wir ein konsequentes Vorgehen bei den Preisen. Es wäre möglich, dass wir die Trassenpreise auf die sogenannten Grenzkosten reduzieren. Die Fixkosten blieben beim Bund, und es würde ein vernünftiges Infrastrukturnetz garantiert, was in der Lage wäre, die Verkehrsleistungen auch zu bewältigen. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen eine vernünftige, eine kundenorientierte Eisenbahnpolitik. Die ist mit dem vorgelegten Regulierungsgesetz überhaupt nicht hinzubekommen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Kirsten Lühmann von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Der Güterverkehr auf der Schiene ist zwischen 2010 und 2015 um 6,5 Prozent gestiegen. Ich bin mir sicher: Alle, die hier im Raum sind, hätten sich gewünscht, das wäre noch mehr gewesen, aber es ist immerhin eine Steigerung. Im Personennahverkehr gab es von 2010 bis 2015 sogar eine Steigerung um 9 Prozent. Jährlich werden in Deutschland 2,5 Milliarden Menschen im Nahverkehr der Bahn transportiert. Das ist ein Erfolgsmodell. Wir stellen aber fest: Die Netzkapazitäten setzen dem Anstieg Grenzen. Deshalb hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode insgesamt 35 Milliarden Euro ausgegeben, um das Netz zu ertüchtigen, und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD) Trotzdem gibt es einen Punkt, der insbesondere für die Länder sehr wichtig ist, nämlich die Trassenpreisbremse, um dem weiteren Zuwachs der Trassenpreise entgegenzuwirken. Die Trassenpreise steigen jährlich nämlich wesentlich stärker als die Teuerungsrate. Das ist auch eines der Themen des hier vorliegenden Gesetzentwurfs. Wir setzen mit diesem Gesetzentwurf zum einen EU-Regeln um, zum anderen geht es uns aber auch noch um zwei weitere Ziele, nämlich zum Ersten um die Trassenpreisbremse und zum Zweiten um mehr Transparenz bei der Preisgestaltung von Netz und Station. Das ist schwierig genug; denn wir müssen die Interessen und Möglichkeiten unterschiedlichster Akteure zusammenbringen: von Bund und Ländern – die Länder haben zum Beispiel 57 Änderungsvorschläge gemacht, von denen wir sehr viele angenommen haben –, aber auch von nicht bundeseigenen Eisenbahnen, wie zum Beispiel der Niederrheinischen Verkehrsbetriebe aus Moers mit einem Schienennetz von 26 Kilometern und der Deutschen Bahn AG mit einem Schienennetz von weit über 30 000 Kilometern. Zusätzlich haben wir noch einen Auftrag der Ministerpräsidenten und -präsidentinnen und der Kanzlerin bekommen. Sie haben nämlich beschlossen – der Staatssekretär hat es schon gesagt –, die Regionalisierungsmittel deutlich anzuheben. Den Ländern wurde dabei zugesichert – und zwar von der Kanzlerin –, dass das Geld für die dringend benötigten Mehrbestellungen nicht durch die überproportional steigenden Trassenpreise aufgefressen und die Trassenpreissteigerung auf 1,8 Prozent im Jahr begrenzt wird. Das hatten wir umzusetzen. Der Auftrag war klar: EU-Richtlinie umsetzen, Transparenz schaffen, Trassenpreisanstieg dämpfen, genug Geld für die Deutsche Bahn AG zum Betrieb ihrer Schienen besorgen und eine Deckelung der Trassenpreise im Nahverkehr. Die Lösung liegt jetzt vor Ihnen. Erstens. Wir haben die Rolle der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde ausgeweitet. Sie kann jetzt die Angemessenheit der Preise besser prüfen. Zweitens. Wir haben einen Produktivitätsfaktor eingeführt, der die Trassenpreiserhöhungen dämpfen soll. Drittens. Wir haben den diskriminierungsfreien Zugang zu den Schienennetzen verbessert. Viertens. Wir haben den Auftrag der Länder und der Kanzlerin in § 37 des Gesetzentwurfs umgesetzt und die Trassenpreisbremse geregelt. Wir hatten nur ein kleines Problem: Es war juristisch nötig, dass wir die Defizite an anderer Stelle ausgleichen oder zumindest die Möglichkeit dazu schaffen. Wir haben uns entschieden, das im Bereich des Fernverkehrs zu tun. Uns allen ist aber klar: Dazu soll es nicht kommen. Dank der Beteiligung aller haben wir eine Lösung gefunden, die die Erhöhung der Trassenpreise im Fernverkehr und als Folge daraus die Erhöhung der Ticketpreise im Fernverkehr nicht zum Tragen kommen lässt. Erstens. Wir haben eine Evaluierung in 2019 beschlossen, damit die Folgen der Erhöhung der Regionalisierungsmittel, der Mehrbestellungen und der Trassenpreisbremse aufgearbeitet werden. Dieses Ergebnis soll dann in die Verhandlungen zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III im selben Jahr einfließen. (Gustav Herzog [SPD]: Gute Regelung!) Zweitens. Mit dem Inkrafttreten der LuFV III am 1. Januar 2020 haben wir die Möglichkeit gestrichen, dass ein mögliches Delta auf den Bereich des Fernverkehrs übertragen wird. Das heißt, bis dahin müssen wir andere Lösungen finden. Drittens. Die Länder haben für 2017 beschlossen, die volle Erhöhung der Trassenpreise, also 2,4 Prozent mehr, zu zahlen, und sie sind damit einverstanden, dass die Deckelung erst 2018 beginnt. Jetzt haben wir folgende Situation: Die Beschäftigten der Deutschen Bahn haben Befürchtungen, die wir sehr ernst nehmen  – insbesondere auch unser Kollege Martin Burkert von der entsprechenden Gewerkschaft –, (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Oh!) dass es durch die Mindereinnahmen in 2018 und 2019 möglicherweise zu Entlassungen kommt. Ich danke dem Bahnchef, Dr. Grube, sehr herzlich dafür, dass er diese Befürchtungen aufgenommen hat und heute die Belegschaft über Inhalt und Folgen dieses Gesetzes informiert hat. Ich zitiere aus dem Brief von Herrn Grube einen Satz: Wichtig ist uns, zu betonen, dass die Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelungen auf unser wirtschaftliches Ergebnis insgesamt beherrschbar bleiben und keine negativen Folgen für die Beschäftigten zu erwarten sind. Ein ganz wichtiges Schreiben. (Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Klare Aussage!) Unser Fazit: Dies ist ein schwieriger Gesetzesprozess, der aufgrund des unbedingten Einigungswillens aller Beteiligten erst möglich wurde – ein Gesetz für mehr Transparenz – ein Gesetz für die Stabilisierung der Trassenpreise und ein Gesetz ohne negative Auswirkungen auf die Qualität des Schienenverkehrs und auf die Beschäftigten. Liebe Kollegen und Kolleginnen, im Jahr 2019 werden wir uns, so der Wählende es will, hier alle wiedertreffen, die Evaluation auswerten und über die LuFV III beraten. Ich freue mich darauf. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Matthias Gastel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht überziehen!) Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben auf den Gesetzentwurf zur Umsetzung einer EU-Richtlinie lange gewartet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden weite Teile dieser Richtlinie nur als Mindestanforderungen übernommen. Zu den wesentlichen Änderungen gegenüber dem Status quo gehören erstens die prinzipielle Einführung einer Anreizregulierung für die Trassenpreise und zweitens die Tatsache, dass die Bundesnetzagentur die Trassenpreise der Infrastrukturunternehmen prüfen muss, bevor diese in Kraft treten können. Das sind zweifelsfrei Vorteile und Fortschritte gegenüber dem Status quo, die wir der EU-Kommission zu verdanken haben und die wir als Grüne ausdrücklich unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dennoch bleibt festzustellen: Der Gesetzentwurf greift in vielen Punkten zu kurz. In Deutschland sind Netz und Betrieb nicht voneinander getrennt. Dem Wettbewerb ist das nicht dienlich. Für einen fairen Wettbewerb brauchen wir daher eine konsequente gesetzliche Regulierung. Nur wenn der Wettbewerb auf der Schiene funktioniert, kann auch der Wettbewerb zwischen Schiene und Straße funktionieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesrechnungshof ist nicht der Einzige, der bezweifelt, dass mit diesem Regulierungsgesetz das Wettbewerbsziel nicht erreicht wird. Zu diesem Ziel würde ganz wesentlich die Bildung der Trassenpreise nach dem Grenzkostenprinzip beitragen, so wie es die EU im Regelfall vorsieht. Doch CDU/CSU und SPD nehmen lieber den Ausnahmefall und machen diesen dann in Deutschland zur Regel. Offensichtlich hat ihnen für eine wirkliche Reform zugunsten von mehr Verkehr auf der Schiene der Mut gefehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir begrüßen die Initiative der Länder und insbesondere die Einigkeit der grün-regierten oder grün-mitregierten Länder ausdrücklich. Zumindest der Anstieg des Trassenpreises im Nahverkehr konnte damit gebremst werden. Festzuhalten ist, dass grün-regierte Länder wie ein Korrektiv zur Großen Koalition im Bund wirken. Es sieht nach einer mehrheitlichen Zustimmung der Länder aus, aber nicht aus Begeisterung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern schlicht deswegen, weil dieses ERegG besser ist als gar keine Regulierung und gar kein neues Gesetz. Vor allem aber brauchen die Länder Sicherheit darüber, wie groß die Kaufkraft ihrer Regionalisierungsmittel ist, damit sie ihre Regionalverkehre bestellen können. Wir als Bundestagsfraktion haben aber über den Regionalverkehr hinaus eine andere Brille aufzusetzen, um zu beobachten, was sich im Schienengüterverkehr und im Fernverkehr tut. Hier ist das Problem im Zusammenhang mit der Trassenpreisbremse eben nicht sauber gelöst. Die Einnahmeausfälle, die entstehen, werden von irgendjemandem ausgeglichen werden müssen. Dafür bleiben eben nur noch Güterverkehr und Fernverkehr übrig. Das kann für beide Segmente problematisch werden. Zwar wird in dem Änderungsantrag der Großen Koalition ein Bericht der Bundesnetzagentur versprochen. Aber was dann passiert und welche Folgen der Bericht hat, ist im Moment noch offen. Genauso ungeklärt ist auch, ob die gesamte Infrastruktur der Anreizregulierung unterliegen wird. Auch hierzu hat sich der Bundesrechnungshof kritisch geäußert. Unter dem extremen Zeitdruck, unter dem wir uns mit diesem Gesetzentwurf und dem vorgestern Nachmittag eingereichten Änderungsantrag der Großen Koalition befassen müssen, lassen sich diese und viele weitere offene Fragen nicht sicher klären. Die von den Ländern erzwungene Trassenpreisbremse ist bei dem Vollkostenprinzip, das zur Anwendung kommen soll, richtig. Sie ist eine Chance für mehr Regionalverkehr. Bei vielen anderen Punkten – von der Anreizregulierung bis hin zur Billigkeitskontrolle vor den Zivilgerichten – lässt der Gesetzentwurf aber viele Chancen ungenutzt. So regiert das Prinzip Hoffnung. Nach so langer Zeit, die Sie hatten, um einen guten Gesetzentwurf vorzulegen, ist das ziemlich traurig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Der Kollege Ulrich Lange hat seine Rede zu Protokoll gegeben.11 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben keine Zwischenfrage des Kollegen Martin Burkert zugelassen. Ich habe auch bei den vorherigen Debatten keine Zwischenfragen zugelassen. Ich werde das auch in der kommenden Debatte nicht tun. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Warum nicht?) Ich bitte um Verständnis. Wir haben miteinander vereinbart, dass wir heute keine Zwischenfragen zulassen. Das haben auch meine Kolleginnen und Kollegen nicht getan. Wir müssen einigermaßen im Zeitplan bleiben. Deshalb bitte ich dafür um Verständnis. Es liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu dieser Abstimmung vor.12 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9099, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8334 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen worden bei Gegenstimmen der Opposition und eines Mitglieds der SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 a bis 17 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren Drucksachen 18/7566, 18/9085 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr Drucksachen 18/5406, 18/9098 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen Drucksache 18/9039 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen worden, und ich kann die Aussprache eröffnen. Ich weise darauf hin, dass die beiden Kollegen Alexander Funk und Steffen Bilger ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.13 (Beifall bei der CDU/CSU) Damit rufe ich jetzt als erste Rednerin Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke auf. Sie hat das Wort. (Beifall bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Frau Leidig will Fußball gucken!) Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nein, ich kann Ihnen mitteilen: Meine Kollegin Sabine Leidig ist leider krank – sogar schwer krank –; deswegen habe ich heute sehr gerne für sie diese Rede übernommen. Es ist nämlich sehr wichtig, dass wir über dieses Thema sprechen. Denn diese Woche wurde in der Stuttgarter Zeitung eine Zahl mit enormer Sprengkraft veröffentlicht. Jetzt steht nämlich fest, wovor die Bewegung gegen das Großprojekt Stuttgart 21 bereits seit Jahren gewarnt hat, und sie hat das auch vorgerechnet, nämlich die nächste Kostenexplosion bei diesem Wahnsinnsprojekt. (Michael Donth [CDU/CSU]: Wieso steht es fest?) Der Bundesrechnungshof geht bei den Kosten von neuen Zahlen aus. Er rechnet mit bis zu 10 Milliarden Euro Kosten für dieses unglaubliche und unnütze Projekt. Das ist eine Bankrotterklärung für all diejenigen, die immer noch dieses Projekt unterstützen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Genau deswegen fordern wir den Ausstieg aus Stuttgart 21. Er ist immer noch möglich. (Beifall bei der LINKEN) Ich will Ihnen deutlich machen, dass dieses Projekt wirklich ein Fass ohne Boden ist. Entweder hat die Bahn den Überblick über ihre eigenen Berechnungen verloren, oder sie lügt hier, dass sich die Balken biegen. Wir haben 1997 mit dem Projekt angefangen. Damals wurde gesagt: Das Projekt kostet 2 Milliarden D-Mark. Dann stieg es etwas an auf schlappe 4,5 Milliarden D-Mark bei der Volksabstimmung – ein Kostendeckel. Im März 2013 lagen wir dann bei 6,8 Milliarden Euro, und mittlerweile rechnet der Bundesrechnungshof mit 10 Milliarden Euro. Das ist eine Verzehnfachung gegenüber dem Ausgangswert. Dagegen ist sogar der Berliner Flughafen in der Kostensteigerung ein regelrechtes Schnäppchen. So wird hier gerechnet, und das ist unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Sagt die Stuttgarter Zeitung!) Einen Profiteur gibt es dabei aber ganz bestimmt. Es gibt mehrere, aber einer saß eine Weile im Bundeskanzleramt: Ronald Pofalla, der dieses Projekt 2013 als Vertrauter von Angela Merkel beim Aufsichtsrat noch durchgedrückt hat, obwohl damals schon die Berechnungen davor gewarnt haben, das Projekt weiterzubetreiben. Er hat es durchgedrückt. Mittlerweile sitzt er im Bahnvorstand mit einem schönen Gehalt von über einer halben Million Euro. Ja, herzlichen Glückwunsch, Herr Pofalla! Für Sie hat sich dieses Projekt gelohnt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt in ganz Europa mittlerweile keinen vergleichbaren Großstadthauptbahnhof, der eine derart schräge Planung hat. Zum Beispiel geht es technisch gesehen ja auch um eine Gleisneigung von 25 Promille. Diese liegt beim Fünffachen des eigentlich Zulässigen. So etwas gibt es eigentlich überhaupt nicht. Die Fachleute greifen sich an den Kopf, wie man so eine Planung überhaupt machen kann. (Lachen des Abg. Michael Donth [CDU/CSU]) Dazu kommt – das ist eigentlich der größte Skandal –, dass es auch noch mit einem Kapazitätsabbau verbunden ist, also mehr Geld für weniger Leistung. Das ist wirklich ein Schildbürgerstreich ohnegleichen, und genau deshalb müssen wir dieses Projekt stoppen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!) Es ist auch das Projekt von Angela Merkel. Sie hat, wie gesagt, persönlich mitveranlasst, dass weitergebaut wird, und deshalb ist auch sie und die Bundesregierung verantwortlich für diese Misswirtschaft, diese Fehlkalkulation und den Missbrauch von Steuergeldern. (Zuruf von der LINKEN: Genau! – Zuruf von der SPD: Quatsch!) Den Grünen kann ich nur sagen: Beenden Sie endlich diese blödsinnig-kritische Begleitung dieses Projektes! Stoppen Sie es in Baden-Württemberg! Die Volksabstimmung ist schon lange obsolet. (Beifall bei der LINKEN) Wir werden jedenfalls am 16. Juli für ein Ende des Projekts in Stuttgart demonstrieren. Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen. Stoppt Stuttgart 21! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Annette Sawade von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Annette Sawade (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen auf den Tribünen! In 13 Minuten ist Anpfiff, und ich wünsche unserer Mannschaft vollen Erfolg! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber ich sage dazu: Es ist nicht der Abpfiff für Stuttgart 21 – (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) auch das in Richtung der Linken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Am 25. Februar debattierten wir hier schon einmal über das Projekt Stuttgart 21. Ausstieg: ja oder nein? Kosten: realistisch oder illusorisch? Aber mir ist vor allem auch in Erinnerung – und das war in der jetzigen Debatte auch wieder der Fall –: Polemik oder Sachlichkeit? Ich bin ehrlicherweise für Sachlichkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Um es vorwegzusagen: Stuttgart 21 wird gebaut, und es geht voran; denn es ist nun einmal beschlossen, und es wird an diesem Bahnhof nicht fahrlässig mit der Sicherheit der Fahrgäste umgegangen, auch wenn Frontal 21 etwas anderes suggerieren wollte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir hatten hier im Haus eine Anhörung zur Gleisneigung. Das Fazit war eindeutig: Die Eisenbahnbetriebsordnung muss nicht geändert werden; Professor Fengler brachte es auf den Punkt – ich zitiere –: Die Eisenbahn ist, verglichen mit dem Straßenverkehr, ein um Größenordnungen sichereres, trotzdem sehr leistungsfähiges und zudem noch umweltfreundlicheres Verkehrsmittel. Es sollte vermieden werden, dieses Verkehrsmittel … durch verschärfte Anforderungen, die wenig nützen, da der Sicherheitsgewinn nur marginal ist, noch teurer zu machen. Wir wollen alle mehr Verkehr auf die Schiene. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Heute wird deutlich sichtbar: In Stuttgart sowie zwischen Wendlingen und Ulm wird gebaut. Von rund 59 Kilometern sind bereits 16 Kilometer Tunnel ausgehoben. Auf der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm sind es 31 Kilometer von rund 62; übrigens sind dort seit Februar 3,5 Kilometer dazugekommen. Fertig ist seit März 2016 die Unterquerung des Neckars, und das Eisenbahn-Bundesamt hat gerade die Bodenplatte freigegeben, damit sie gebaut werden kann. Ja, das Gelände um Stuttgart 21 ist eine Riesengrube; das stimmt. Jeder wünscht sich ein Ende dieser Baustelle, aber ein Ende im Sinne einer Fertigstellung. Was passiert denn bei dem von Ihnen gewünschten Stopp? Die Tunnel müssten wieder zugemacht werden, die Gruben gefüllt und komplett neu geplant werden. Oder was wollen Sie tun: wie vorgeschlagen einen zentralen Omnibusbahnhof oder ein Eventcenter mit Swimmingpool – eine Grube wäre ja vorhanden – errichten? Nein, natürlich nicht! Wir wollen einen guten Bahnhof und eine Erweiterung des Stadtzentrums, das diesen Namen auch verdient. Das Rosenstein-Viertel ist eine Projektionsfläche für Bürgerbeteiligung. 2 Quadratkilometer Fläche statt Gleisbett! Deshalb sind Worte wie Desaster, Stopp, Ausstieg, Schaden, wie sie im Antrag der Linken zu lesen sind, fehl am Platz. Natürlich gehören Fragen der Sicherheit, der Feinplanung und der Kostenentwicklung offen besprochen. Aber Vermutungen wie „Ich glaube das nicht“ oder „Das funktioniert nicht“ helfen nicht weiter. Vom steten Wiederholen allein werden Chaosvermutungen nicht besser oder überzeugender. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mittlerweile arbeiten sowohl der Verkehrsminister Baden-Württembergs, Winfried Hermann, und der Oberbürgermeister von Stuttgart, Fritz Kuhn – beide sind Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen –, konstruktiv an der Entwicklung des Projekts mit. Oberbürgermeister Kuhn sagte noch vor ein paar Tagen: Die Bahn muss es pünktlich schaffen. – Daran sind auch wir interessiert. – Die Stadt hat ein Interesse daran, dass dies gelingt. Wir beteiligen uns jederzeit an Gesprächen, die zum Ziel haben, den Kosten- und Zeitrahmen einzuhalten. In den letzten Wochen war Stuttgart 21 wieder stärker im Fokus der Öffentlichkeit; wir alle kennen die entsprechenden Berichte. Aber wir reden erst darüber, wenn wir die Fakten kennen. Wir fordern, die Fakten auf den Tisch zu legen. Wenn aber der SWR die Stuttgarter Zeitung zitiert und diese wiederum den SWR, dann sind das für uns keine ausreichenden Argumente. Wir wollen die Fakten sehen. Diese werden kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Am 6. September findet erneut eine Aufsichtsratssitzung statt, in der externe Gutachten vorgelegt werden. Der Prüfbericht des Bundesrechnungshofs und die Stellungnahme des Verkehrsministeriums liegen bislang nicht vor. Wir sagen heute noch nichts dazu, weil wir die Fakten noch nicht kennen. Vermuten wollen wir nicht. Lassen Sie uns also bitte nicht vorschnell irgendwelche Schlüsse ziehen, die nicht richtig wären. Ruhe und Besonnenheit müssen einkehren. Ständige Spekulationen, Mutmaßungen und Szenarien bringen uns wahrlich nicht weiter. Was sagt ein Sprichwort aus Sambia: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Matthias Gastel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat als nächster Redner das Wort. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als dieser Tagesordnungspunkt für heute aufgesetzt wurde, konnten wir noch nicht wissen, welche Aktualität dieses Thema durch einen möglichen Bericht des Bundesrechnungshofs, wonach vielleicht die Kosten auf knapp 10 Milliarden Euro gestiegen sind, bekommen wird. Ich gehe noch einmal zurück. Dieses Projekt hat mit dem Versprechen begonnen: Es kostet nichts. Wir verkaufen oben die Grundstücke und bauen dann einen Tunnel darunter. Alle profitieren. – Dann sind die Kosten gestiegen. Aktuell liegen sie offiziell bei 6,5 Milliarden Euro. Nun ist die Rede von knapp 10 Milliarden Euro. Es wird immer deutlicher, dass die Kosten künstlich und aus politischen Gründen niedrig gehalten wurden, um die Mehrheit im Parlament zu sichern und die gesellschaftlichen Widerstände möglichst kleinzuhalten. Die DB hat schlecht geplant. Die DB rechnet schlecht. Die DB informiert schlecht. Die Projektpartner dürfen bezahlen, bekommen aber nicht die notwendigen Informationen bzw. erfahren aus der Zeitung, was mit diesem Projekt los ist. Der Bau von Stuttgart 21 erfolgte sozusagen im Blindflug. Man weiß nicht, wohin sich die Kosten entwickeln. Man weiß nicht, wann dieses Projekt fertig wird. Man weiß noch nicht einmal, ob es am Ende ein Bahnhof ist oder ob tatsächlich eher ein Haltepunkt in Betrieb gehen wird. Wir wissen nicht, welche Kapazitäten nachher zur Verfügung stehen. Am Ende – das ist sicher – bekommen wir wenig Bahnhof für viel Geld. Deswegen haben wir für die heutige Debatte einen Antrag vorgelegt. Wir fordern Transparenz bei den Kosten. Wir wollen, dass die Stellungnahmen des Bundesrechnungshofs, wenn sie fertiggeschrieben sind, umgehend vorgelegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wir wollen, dass offengelegt wird, wie viele Mittel aus der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die eigentlich für Ersatzmaßnahmen, also für den Erhalt der vorhandenen Substanz, vorgesehen sind, in den Neubau von Stuttgart 21 gesteckt werden. Wir wollen wissen, welche Kosten mit Modifizierungen des Projektes, beispielsweise Kombibahnhof, verbunden wären, und wir wollen, dass die Bundesregierung Verantwortung für den bundeseigenen Konzern übernimmt. Es kann nicht sein, dass die Schulden immer weiter steigen und am Ende das Geld für die notwendigen Investitionen in das Netz und in neues Wagenmaterial fehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Es war ein Riesenfehler, dass nicht allerspätestens im Jahr 2013 beim letzten Kostenanstieg dieses Projekt gestoppt wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Bund war es, der auf den Weiterbau gedrängt hat. Deswegen drängen wir jetzt darauf, dass der Bund endlich bereit ist, seine Verantwortung zu übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit und um konzentriertes Mitmachen. Wir haben zehn Abstimmungen, die auch strittig sind, und wir haben fünf Überweisungen. Ich werde versuchen, das jetzt konzentriert und zügig zu machen, und bitte Sie, mitzumachen. Zunächst komme ich zum Tagesordnungspunkt 17 a. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9085, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7566 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 17 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9098, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5406 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 17 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/9039 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte Drucksache 18/8841 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die mehrseitige Vereinbarung ist offen für die Zeichnung durch weitere Staaten. Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.14 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8841 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen Drucksache 18/7904 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.15 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7904 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben Drucksache 18/8831 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Sportausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe.16 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8831 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so geschehen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W. Birkwald, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto Drucksache 18/9029 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden.17 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/9029 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) Drucksache 18/8332 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/9023 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Auch damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe.18 Wir kommen dann zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9023, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8332 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9070. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften Drucksache 18/8620 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/9087 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.19 Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9087, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8620 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften Drucksache 18/8965 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten Drucksache 18/6361 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden.20 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/8965 und 18/6361 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entschädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern Drucksache 18/9032 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen Drucksache 18/9027 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.21 Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9032 mit dem Titel „Entschädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9027 mit dem Titel „Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien Drucksache 18/9033 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus konsequent bekämpfen Drucksache 18/9026 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.22 Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/9033 mit dem Titel „Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9026 mit dem Titel „Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus konsequent bekämpfen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG) Drucksache 18/8487 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/9088 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9089 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.23 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9088, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8487 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplantationsregisters Drucksachen 18/8209, 18/8557, 18/8660 Nr  1.2 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/9083 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.24 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9083, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/8209 und 18/8557 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Drucksache 18/8559 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/9084 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.25 Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9084, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8559 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/8517 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/9078 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.26 Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9078, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8517 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ressourcenverschwendung stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten Drucksachen 18/7777, 18/7918 Nr. 1.2, 17/8965, 18/770 Nr. 27, 18/7047, 18/9094 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.27 Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/9094. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 18/7777 über das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm II eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 18/8965 über das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Was ist denn jetzt mit der Fraktion Die Linke? (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir haben zugestimmt!) – Ja, weil da hinten eine Enthaltung war. Habe ich das richtig gesehen? – Gut. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und eines Abgeordneten der Fraktion Die Linke angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7047 mit dem Titel „Ressourcenverschwendung stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei – – (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten die Kenntnisnahme! – Gegenruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das hatten wir gerade!) – Über die Kenntnisnahme hatten wir eben abgestimmt. Jetzt stimmen wir über die Ausschussempfehlung, nicht jedoch über den Antrag der Grünen ab. Dies sage ich zur Klarstellung angesichts der Irritationen bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich wiederhole die Abstimmung. Unter Buchstabe c der Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7047 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlussempfehlung zu? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Drucksache 18/6985 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/9092 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. 28 (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gern können wir auch reden!) – Lieber Kollege, lassen Sie uns doch fortfahren. Wir kommen zur Abstimmung – nicht zur Debatte. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9092, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6985 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9092 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich bei Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 8. Juli 2016, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen jetzt viel Spaß, entweder beim Zuschauen des Fußballspiels, das hoffentlich richtig spannend ist, oder bei einer anderen schönen Nutzung dieses Abends. (Schluss: 21.18 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 07.07.2016 Barley, Dr. Katarina SPD 07.07.2016 Böhmer, Dr. Maria CDU/CSU 07.07.2016 Dehm, Dr. Diether DIE LINKE 07.07.2016 Gunkel, Wolfgang SPD 07.07.2016 Hintze, Peter CDU/CSU 07.07.2016 Höger, Inge DIE LINKE 07.07.2016 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 07.07.2016 Kudla, Bettina CDU/CSU 07.07.2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 07.07.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 07.07.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.07.2016 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 07.07.2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 07.07.2016 Pflugradt, Jeannine SPD 07.07.2016 Poschmann, Sabine SPD 07.07.2016 Schäfer (Bochum), Axel SPD 07.07.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 07.07.2016 Tank, Azize DIE LINKE 07.07.2016 Wicklein, Andrea SPD 07.07.2016 Zimmermann, Pia DIE LINKE 07.07.2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau (Drucksache 18/9086) (Tagesordnungspunkt 4) Ich nehme an der Abstimmung nicht teil. Wer das Agieren der NATO bewerten will, muss einen Blick auf den Charakter des Regimes Putin werfen. Das System Putin ist eine Mischung aus KGB/FSB-Strukturen mit Oligarchen und kriminellen Methoden. Der Staat ist auf dieses Herrschaftsmodell vollkommen ausgerichtet. Nichts muss dieses Regime mehr fürchten als Demokratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Um jeglichen demokratischen Widerstand im Lande zu ersticken, braucht das Regime „Feinde“ im Ausland und erklärt jegliche demokratische Bewegung im Inneren als feindlich. Deswegen kann das Regime am Frieden draußen kein Interesse haben. Es braucht Konflikte, um durch Propaganda nach innen sein Regime aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang müssen auch die Vorgänge in der Ukraine bewertet werden. Der Kreml wünscht weder den demokratischen und ökonomischen Erfolg der Ukraine noch echten Frieden an seinen Grenzen. Eine erfolgreiche Ukraine könnte der Anstoß für eine ähnliche demokratische Entwicklung in der Russischen Föderation werden. Die Ausrichtung der Fähigkeiten der NATO muss diese Analyse mit einbeziehen. Das schließt den geduldigen und zähen Dialog mit dem Regime im Kreml nicht aus, sondern er bleibt unverzichtbar. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Niema Movassat und Harald Petzold (Havelland) (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) Der Bundestag stimmt heute über eine Reform des Sexualstrafrechts ab, durch die drei Änderungen im Strafgesetzbuch (StGB) und eine Änderung im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorgenommen werden. Die einzelnen Regelungen sind sehr unterschiedlich zu bewerten. Daher haben wir getrennte Abstimmungen beantragt und unterschiedlich abgestimmt. Kurz zusammengefasst: Wir haben heute den Regelungen für sexuelle Selbstbestimmung zugestimmt (Artikel 1, Nummer 6: § 177 StGB-E und Artikel 1, Nummer 9: § 184i StGB-E) und die Sippenhaft (Artikel 1, Nummer 9: § 184j StGB-E) und eine weitere Erleichterung von Abschiebungen (Artikel 2, Nummer 3: AufenthG) abgelehnt. In der Abstimmung des gesamten Gesetzes führt dies zu einer Enthaltung. Zugestimmt haben wir mit großer Freude der gesetzlichen Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt nein“, die seit vielen Jahren von zahlreichen Frauen, ihren Verbänden und Organisationen und inzwischen auch Abgeordneten aller Fraktionen gefordert worden war. Er bedeutet, dass nun nicht mehr mit Zwang ein entgegenstehender Wille gebrochen werden muss, sondern die Äußerung des entgegenstehenden Willens – in welcher Form auch immer – ausreicht. Diese Formulierung hatten wir deshalb auch in einem eigenen Gesetzentwurf aus dem Februar vorgeschlagen (BT-Drucksache 18/7719). Das ist ein Paradigmenwechsel und ein wichtiger Fortschritt, da der Grundsatz das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als solches als Wert anerkennt und nicht mehr an der Intensität der Gewalt misst. Zugestimmt haben wir auch der häufig als Grapsch-Paragraf bezeichneten Regelung, die künftig Belästigungen durch sexuell bestimmte Berührungen unter Strafe stellt und damit Taten erfassen soll, die bisher durch die sogenannte Erheblichkeitsgrenze nicht durch das Strafgesetzbuch erfasst werden. Dort steht nämlich (§ 184h Nummer 1), dass überhaupt nur solche sexuellen Handlungen Beachtung finden, die „von einiger Erheblichkeit“ sind. Da das Strafrecht unbedingt weiter als Ultima Ratio gelten sollte, wäre eine Streichung dieser Erheblichkeitsgrenze ausreichend gewesen, um sexuelle Belästigungen zu erfassen, ohne jedoch dabei Tür und Tor für die Strafbarkeit sozial angemessenen Verhaltens zu öffnen. Diese Lösung hätten wir daher bevorzugt. Die Regelung der Großen Koalition ist fachpolitisch problematisch, stößt jedoch letztlich in dieselbe Richtung, sodass wir auch dieser Regelung zugestimmt haben. Abgelehnt haben wir die pauschale Verurteilung der Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus sexuelle Übergriffe stattfinden. Im besten Fall ändert sich durch diese Neuregelung zwar nichts, da sie nicht über die bereits erfassten Strafverschärfungen wegen gemeinschaftlichen Handelns hinaus angewendet wird. Im schlimmsten Fall wird jedoch eine beliebige Anzahl an Personen in Sippenhaft genommen. Denn es entfällt bei dieser Regelung ein konstitutives Moment einer Straftat: der Vorsatz des Täters. Im Effekt kann dann ein sexueller Übergriff durch eine Person allen anderen aus dieser Gruppe zugerechnet werden, auch wenn sie nicht einmal davon wussten. Der Boden des seriösen Strafrechts wird verlassen. Noch gefährlicher wird es sogar, wenn die Koalition festhält, dass die Beteiligung an einer Gruppe nur „umgangssprachlich“ zu verstehen sei. Rechtsunsicherheit ist vorprogrammiert. Abgelehnt haben wir außerdem die weitere Verschärfung des Ausweisungsrechts. Bereits im März wurde im Zuge der Köln-Debatte das Aufenthaltsgesetz geändert und so Abschiebungen von straffällig gewordenen Ausländern erleichtert. Durch die Aufnahme des neuen § 177 wird dies fortgeschrieben. Wir lehnen die Doppelbestrafung durch Strafrecht und Ausländerrecht grundsätzlich und entschieden ab. Darüber hinaus lehnen wir den damit vermittelten Gedanken ab, dass insbesondere Menschen, die unter das Ausländerrecht fallen, solche Straftaten verüben. Diese letzte Regelung hat uns trotz der bedeutsamen Verankerung des Prinzips „Nein heißt nein“ – für das wir selbst engagiert gekämpft haben – zu einer Enthaltung zum Gesamtgesetz bewogen. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der heute zur Abstimmung gestellten Reform des Sexualstrafrechts und damit der Umsetzung der Istanbul-Konvention – alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen müssen unter Strafe gestellt werden – findet endlich ein Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht statt. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird konsequent im Strafgesetzbuch umgesetzt: Nein heißt zukünftig endlich nein. Jede Form der sexualisierten Gewalt ist abzulehnen, und jeder Vorfall ist einer zu viel. Umso schlimmer, wenn sexualisierte Gewalt, wenn eine Vergewaltigung nicht als solche geahndet werden kann; damit wird nun endlich Schluss sein. Dass das deutsche Sexualstrafrecht Lücken aufweist und eine Reform des § 177 StGB – Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung sowie Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen – notwendig ist, war lange klar; nichtsdestotrotz brauchte die nun zur Abstimmung stehende Reform immensen öffentlichen und politischen Druck. Hinter dem heutigen Erfolg steht ein langer Kampf der Frauenverbände, Politik und Öffentlichkeit von den Schutzlücken im Gesetz zu überzeugen. Die grüne Bundestagsfraktion hat diesen Prozess von Anfang an unterstützt und bereits 2014 mit parlamentarischen Initiativen und Fachgesprächen und 2015 mit einem Gesetzentwurf Druck auf die Bundesregierung ausgeübt. Noch im Sommer 2015 wurde vonseiten des Justizministers kein Handlungsbedarf gesehen. Erst eine Fallsammlung der Frauenverbände brachte Bewegung in die Positionierung des Justizministeriums. Leider gab es weiterhin innerhalb der Bundesregierung großen Widerstand gegen eine umfangreiche Reform des Sexualstrafrechts. Ende 2015 war fast ein Scheitern der Reform zu befürchten. Erst die schrecklichen Vorfälle der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof brachten Bewegung in die vorher festgefahrene Debatte zur Sexualstrafrechtsreform. Der von der Bundesregierung im März vorgelegte Gesetzentwurf setzte jedoch zunächst die Forderung „Nein ist Nein“ weiterhin nicht konsequent um. Auf Druck der Frauenverbände, der Opposition und einer mittlerweile in dieser Frage politisierten Öffentlichkeit haben Union und SPD den ursprünglichen Gesetzentwurf von Justizminister Maas faktisch komplett über den Haufen geworfen und durch einen Änderungsantrag ersetzt, mit dem der § 177 umfassend reformiert und „Nein heißt nein“ konsequent in Gesetzesform gegossen wird. Dabei bediente sich die Koalition konkret den Vorarbeiten der grünen Bundestagsfraktion. Dass im Zuge der Reform des § 177 nun ein neuer Tatbestand, der Straftaten aus Gruppen speziell unter Strafe stellt, hinzugefügt werden soll, lehne ich ab. Für Handlungen im Zusammenwirken mit anderen gibt es ausreichende gesetzliche Regelungen mit Blick auf Mittäterschaft und die Teilnahme an einer Straftat – ein scharfes Schwert, das ein hohes Strafmaß erlaubt. Es widerspricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen, die Beteiligung aus einer Gruppe heraus unabhängig vom Tatvorsatz unter Strafe zu stellen. Es ist mehr als ärgerlich, dass Union und SPD die richtige und überfällige Reform des § 177, für die viele Frauen und auch wir Grüne über Jahre gekämpft haben, nun in einem Gesetzentwurf mit einer verfassungswidrigen, populistischen Einfügung eines neuen Straftatbestandes und zudem mit einer Verschärfung im Bereich des Aufenthaltsrechts zusammenfügt. Angesichts dieser Verquickung ist mir eine Zustimmung zum Gesetzentwurf in Gänze nicht möglich. Mechthild Rawert (SPD): Als Mitglied für Deutschland im parlamentarischen Netzwerk „Gewaltfreies Leben für Frauen“ und als Mitglied im Ausschuss Gleichstellung und Nichtdiskriminierung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ist mir die Ratifizierung des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, kurz Istanbul-Konvention, ein gewichtiges Anliegen. Die Istanbul-Konvention schafft als völkerrechtlicher Vertrag in Europa verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt. Gewalt gegen Frauen soll umfassend verhütet, bekämpft und bestraft werden. Dieses Übereinkommen stellt somit einen Meilenstein in der Bekämpfung aller Arten von Gewalt gegen Frauen dar. Ratifizierung der Istanbul-Konvention: Deutschland hat das Übereinkommen am Tag der Verabschiedung gezeichnet und somit anerkannt. Es wurde die Absicht erklärt, mit Ratifizierung beizutreten. Das Übereinkommen ist mittlerweile mehr als „nur“ ein politisches Dokument. Die Istanbul-Konvention ist seit dem 1. August 2014 in Kraft – noch nicht aber in Deutschland. Die Ratifizierung Deutschlands steht noch aus, da die gesetzgeberische Anpassung des nationalen Rechtes noch nicht abgeschlossen ist. Das wollen wir ändern: Mit der Novellierung des Sexualstrafrechts gemäß der Devise „Nein heißt nein“ beseitigen wir einen Hinderungsgrund für die Ratifizierungsmöglichkeit. Notwendiger Paradigmenwechsel: Mit der Novellierung des Sexualstrafrechts schließen wir die erkannten Schutzlücken und schaffen zugleich auch den erforderlichen Paradigmenwechsel: Durch die Einführung der sogenannten Nichteinverständnislösung – Nein-heißt-nein-Lösung – kommt es in zukünftigen Strafverfahren nicht mehr auf das Verhalten des Opfers an. Bislang musste ein Opfer sich – körperlich – verteidigen oder dies zumindest aktiv versucht haben. In der Folge blieben viele – eigentlich strafwürdige – Taten oftmals straflos. Eine weitere gravierende Folge: Nur ein sehr geringer Teil der zumeist weiblichen Opfer hat die Taten überhaupt angezeigt. Aus der Praxis der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe wissen wir, dass Opfer nach einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung oftmals die Schuld bei sich selbst suchen. Mit der Nein-heißt-nein-Lösung wird die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ins Zentrum gerückt. Für die künftig anerkannte Strafbarkeit reicht es aus, dass der Wille des Opfers erkennbar ist und sich der Täter über den erkennbaren Willen hinwegsetzt. Das Opfer kann den Willen durch verbale Äußerung oder auch durch konkludentes Handeln wie Weinen zum Ausdruck bringen. Damit ist der subjektive Tatbestand erfüllt, wenn der Täter trotz erkennbar entgegenstehendem Willen die sexuellen Handlungen vornimmt. Ambivalentes Verhalten des Opfers wird jedoch nicht von der neuen Strafnorm erfasst. Menschen mit Behinderung erfahren Gleichstellung: Menschen, die wegen „einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder körperlich zum Widerstand unfähig“ sind, fielen bislang als Opfer nicht unter den § 177 StGB, sondern unter die Strafnorm des § 179 – Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen. Auch diese „Sonderbehandlung“, die von vielen als Diskriminierung empfunden wurde, entfällt mit der Novellierung des Sexualstrafrechts. Ich begrüße auch diese Neuregelung ausdrücklich. Der neue § 177 StGB umfasst zukünftig alle Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen. Sexuelle Belästigung wird Straftatbestand: Neu geschaffen wird mit der Novellierung des Sexualstrafrechts auch der Straftatbestand der sexuellen Belästigung. Bislang konnten nur Strafanträge wegen Beleidigung auf sexueller Grundlage gestellt werden. Dabei mussten die Übergriffe die sogenannte Erheblichkeitsschwelle überwunden haben, damit die Strafanträge Aussicht auf Erfolg haben konnten. Der Griff an die Genitalien oberhalb der Kleidung – Grapschen – wurden ebenso wie Küsse in den Nacken oder auf die Haare etc. nicht erfasst. Mit dem neu geschaffenen § 184i, Absatz 1 macht sich zukünftig strafbar, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt. Mit dieser Sexualstrafrechtsreform wird im deutschen Recht mehr Gleichstellung zwischen den Geschlechtern geschaffen. Dies begrüße ich sehr. Ich stimme der Novellierung zu. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja zum „Nein ist ein Nein“. Deshalb habe ich heute für die Änderung der Strafbarkeit der Vergewaltigung gestimmt. Wer gegen den erkennbaren Willen einer Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wird wegen Vergewaltigung bestraft. Es soll nicht mehr darauf ankommen, dass Gewalt angewandt oder aktiv Gegenwehr nachgewiesen wird. Diese Änderung des § 177 StGB hätte es schon vor einem Jahr geben können. Die Grünen hatten den Gesetzentwurf dafür vorgelegt. Aber die Union wollte nicht. Jetzt hat die Bundesregierung endlich ein weitgehend mit diesem Entwurf übereinstimmendes Gesetz eingebracht. Da war das Ja in der namentlichen Abstimmung klar. Die weiteren Neuerungen in dem Gesetz habe ich abgelehnt. Neu eingeführt werden soll der Straftatbestand „sexuelle Belästigung“. Die Regelung ist zu unbestimmt. Es fehlt die Bedingung, dass der „erkennbare Wille des Opfers“ entgegenstehen muss. Strafbar werden soll die körperliche Berührung einer Person „in sexuell bestimmter Weise“, wenn sie sie belästigt. Nach dem Gesetzeswortlaut könnte das auf jede noch so leichte Berührung mit Hand oder Finger am Arm oder der Hand der anderen Person zutreffen. In der Begründung zum Gesetz wird dann zwar ausgeführt, welche Arten von Berührungen unter anderem umfasst sein sollen: „Küssen des Mundes, des Halses, ‚Begrapschen‘ des Gesäßes“. Diese Präzisierung gehört aber direkt in den Gesetzestext. Nicht unter diesen Tatbestand fallen sollen „bloße Ärgernisse, Ungehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten wie zum Beispiel das einfache In-den-Arm-Nehmen oder der schlichte Kuss auf die Wange“. All diese Begrenzungen gehören aber in den Wortlaut des Gesetzestextes, für die Rechtsanwender ist allein dieser Text maßgeblich. Es kann keine sexuellen Berührungen geben, die nicht auch gleichzeitig sexuelle Handlungen sind. Stimmiger und bestimmter wäre daher, die Worte „von einiger Erheblichkeit“ bei der gesetzlichen Definition von sexuellen Handlungen in § 184h StGB zu streichen, um auch weniger schwerwiegende sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen. Die Schwere der Rechtsgutsverletzung müsste dann bei den Strafrahmen berücksichtigt werden. Eine solche Regelung würde auch den Bestimmtheitsgrundsatz nicht verletzen. Ebenso abgelehnt habe ich die neue Strafbarkeit der Förderung einer Straftat durch die bloße Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus ein Sexualdelikt begangen wird. Schon die Formulierung ist so verquast, dass man kaum versteht, was strafbar sein soll. Jedenfalls nicht eine konkrete Beteiligung an einer Straftat, sondern allein die Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus ein anderer eine Sexualtat begeht. Dabei kommt es nicht auf seine individuelle Kenntnis und Schuld an – es muss für ihn noch nicht einmal vorhersehbar gewesen sein, dass ein Sexualdelikt durch eine andere Person aus der Gruppe begangen würde. Er muss von einer Sexualtat nicht mal etwas wissen. Er muss lediglich billigend in Kauf genommen haben, dass aus der Gruppe heraus irgendjemand irgendeine Straftat begeht. So wird dann jedem Gruppenbeteiligten die Begehung eines Sexualdelikts zugerechnet, auch wenn die Gruppe sich ursprünglich zu anderen Zwecken – zum Beispiel zur Begehung von Diebstählen oder Beleidigungen – zusammengefunden hatte. Der Täterkreis einer Gruppe ist auch zahlenmäßig unbegrenzt. Auch der Gruppenbeteiligte kann bestraft werden, der sich in zweiter, dritter Reihe aufhält oder noch weiter hinten und von einem Sexualdelikt nichts mitbekommt, weil es auf eine konkrete Unterstützungshandlung etwa durch Beihilfe oder Anstiftung gar nicht ankommt. In der Gesetzesbegründung steht: „Die Beteiligung ist nicht im Sinne der §§ 25 bis 27 StGB zu verstehen, sondern im umgangssprachlichen Sinn. Es wird kein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken verlangt.“ Hier wird eine völlig neue Form der Tatbeteiligung geschaffen, die in Widerspruch zum Schuldprinzip steht und verfassungsrechtlich nicht haltbar ist. Diese neue Vorschrift ist auch überflüssig. Handlungen im Zusammenwirken mit anderen werden schon jetzt über die Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme erfasst, die gemeinschaftliche Begehung einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung ist zusätzlich über den § 177 Absatz 6 Nummer 2 abgedeckt und mit hoher Strafe bedroht. Ad-hoc-Gesetzgebung als Reaktion auf die Kölner Silvesternacht, um Beweisschwierigkeiten zu beheben, die auch auf ein Versagen der Sicherheitskräfte zurückzuführen sind, und um die Öffentlichkeit zu beruhigen, ist eben der falsche Ansatz. Tauglich und rechtsstaatlich ist die Vorschrift nicht. Daher habe ich zu diesem Teil des Gesetzentwurfes mit Nein gestimmt und mich insgesamt enthalten. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Artikel 1 Nummer 9 des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung – in der Ausschussfassung, hier: die Einfügung des Paragrafen 184i Strafgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 5) Ich habe heute bei der Abstimmung über die Einfügung eines Paragrafen 184i StGB mit Nein gestimmt. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 343 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Tagesordnungspunkt 39 t) Dem ablehnenden Abschluss der Petitionen können wir nicht zustimmen, da die darin geäußerten Kritikpunkte aus unserer Sicht auch nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) am 18. Dezember 2015 Bestand haben. Jede Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen und personenbeziehbaren Daten stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Es ist dabei unerheblich, ob die Speicherung bei staatlichen Stellen oder durch gesetzliche Verpflichtung bei privaten Stellen stattfindet. Um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, wurden im Datenschutzrecht wesentliche Grundsätze entwickelt: der Erlaubnisvorbehalt für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten; Datensparsamkeit und Datenvermeidbarkeit, Zweckbindung erhobener Daten; Erforderlichkeit für den zu erreichenden Zweck; Transparenz darüber, wo welche Daten gespeichert sind. Durch eine Vorratsdatenspeicherung werden diese Grundsätze und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Daten werden ohne jeden konkreten Anlass und in großen Massen gespeichert. Nur ein Bruchteil der gespeicherten Daten wird für den Zweck der angestrebten Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten abgerufen werden. Die Vorratsdatenspeicherung kann nicht allein aus der Perspektive des Bedarfs der Sicherheitsbehörden an Daten zur Verbrechensaufklärung oder der Gefahrenabwehr betrachtet werden. Der Gesetzgeber steht auch in der Pflicht, die grundrechtlichen und gesellschaftspolitischen Folgen einer solchen Speicherpflicht in den Blick zu nehmen. Verspüren die Bürgerinnen und Bürger angesichts immer neuer Speicherpflichten, erweiterter Zugriffsmöglichkeiten von Behörden auf vorhandene Daten, das massenhafte Ausspähen von Daten durch eigene und fremde Nachrichtendienste, Daten- und Identitätsdiebstahl im Internet eine zunehmende Verunsicherung, so liegt darin auch eine Gefahr für die Demokratie. Die Befürchtung, wonach die VDS gegen Verfassungs- und EU-Recht verstoße, konnte nicht ausgeräumt werden. Außerdem ist bis zum heutigen Tag nicht erkennbar, geschweige denn in irgendeiner Form empirisch belegt, dass alternative Ermittlungsmethoden signifikante Nachteile für die Strafverfolgung nach sich zögen. In der am 21. September 2015 zu der Thematik im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages durchgeführten öffentlichen Anhörung mussten auch die von der Koalition benannten Sachverständigen einräumen, aussagekräftige Statistiken nicht liefern zu können. Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe. Laut einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechensbekämpfung praktisch gar nicht aus, und auch seit dem Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheitslücken nachweisbar. Sie wies außerdem darauf hin, dass der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministerium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste enthält. Staatliche Stellen dürften selbst „Früchte illegaler Datensammlung“ verwerten. Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei. Er verwies außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamtrechnung. Diese sei vor dem Hintergrund neuer Überwachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten. Starostik wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Bereich noch viele andere Datensammlungen von erheblichem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls zugreifen könne. Entsprechend seien die Risiken einer Profilbildung enorm gewachsen. Als problematisch erweist sich auch, dass sich die Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess im Detail keinerlei Gedanken zur konkreten Umsetzung des Gesetzes in puncto Datensicherheit gemacht hatte und lediglich darauf verwies, dass die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) entsprechende Verfahren „nach dem Stand der Technik“ im Benehmen mit dem BSI und der Bundesdatenschutzbeauftragten festlegen werde. Der kürzlich von der Bundesnetzagentur vorgelegte Entwurf zum „Katalog von technischen Vorkehrungen und sonstigen Maßnahmen“, der die Anforderungen an die im vergangenen Jahr beschlossene Vorratsdatenspeicherung nun konkretisiert und dessen Vorschriften spätestens am 1. Juli 2017 von den Providern umgesetzt sein müssen, könnte für viele betroffene Unternehmen den finanziellen Ruin bedeuten. Denn für eine entsprechende technische Umsetzung müssten zunächst vollkommen neue Systeme entwickelt werden. Zudem haben sich Hersteller bereits dahingehend geäußert, dass sie vorerst keine entsprechenden neuen Systeme entwickeln werden – weil noch nicht sicher ist, ob die Vorratsdatenspeicherung dieses Mal vor Gerichten Bestand hat. Die Linke hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung einer VDS deutlich gemacht. Sie ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar. Das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ verstößt aus unserer Sicht in den zentralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gegen die Grundrechte. Die Petitionen wären ein guter Anlass gewesen, das hinter der VDS stehende Sicherheitskonzept der Massenüberwachung zu überdenken, im Bundestag breit über eine bürgerrechtliche Kehrtwende in der Innenpolitik zu debattieren und das von weiten Teilen der Bevölkerung als nicht verfassungskonform eingeschätzte Gesetz vor entsprechenden Urteilen in Karlsruhe und Luxemburg zurückzunehmen. Der negative Abschluss aller Petitionen stellt somit eine vertane Chance dar. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 350 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Zusatztagesordnungspunkt 3 j) Zwar besteht hinsichtlich der Aufforderung an die Bundesregierung, sich für eine Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) einzusetzen, inzwischen kein Handlungsbedarf mehr, dennoch können wir dem ablehnenden Abschluss der Petitionen nicht zustimmen, da die darin geäußerten Kritikpunkte aus unserer Sicht auch nach Aufhebung der EU-Richtlinie aufgrund des Inkrafttretens des neuen Gesetzes zur VDS in Deutschland am 18. Dezember 2015 Bestand haben. Jede Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen und personenbeziehbaren Daten stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Es ist dabei unerheblich, ob die Speicherung bei staatlichen Stellen oder durch gesetzliche Verpflichtung bei privaten Stellen stattfindet. Um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, wurden im Datenschutzrecht wesentliche Grundsätze entwickelt: der Erlaubnisvorbehalt für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten; Datensparsamkeit und Datenvermeidbarkeit, Zweckbindung erhobener Daten; Erforderlichkeit für den zu erreichenden Zweck; Transparenz darüber, wo welche Daten gespeichert sind. Durch eine VDS werden diese Grundsätze und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Daten werden ohne jeden konkreten Anlass und in großen Massen gespeichert. Nur ein Bruchteil der gespeicherten Daten wird für den Zweck der angestrebten Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten abgerufen werden. Die VDS kann nicht allein aus der Perspektive des Bedarfs der Sicherheitsbehörden an Daten zur Verbrechensaufklärung oder der Gefahrenabwehr betrachtet werden. Der Gesetzgeber steht auch in der Pflicht, die grundrechtlichen und gesellschaftspolitischen Folgen einer solchen Speicherpflicht in den Blick zu nehmen. Verspüren die Bürgerinnen und Bürger angesichts immer neuer Speicherpflichten, erweiterter Zugriffsmöglichkeiten von Behörden auf vorhandene Daten, das massenhafte Ausspähen von Daten durch eigene und fremde Nachrichtendienste, Daten- und Identitätsdiebstahl im Internet eine zunehmende Verunsicherung, so liegt darin auch eine Gefahr für die Demokratie. Die Befürchtung, wonach die VDS, mit ihrer derart weitreichenden Registrierung sensibler Informationen, Datenmissbrauch und -pannen begünstige, konnte nicht ausgeräumt werden. Gleiches gilt für die prognostizierte Gefahr, dass sich aufgrund der VDS die Bürger beobachtet und kontrolliert fühlen und unter einer Art Generalverdacht stünden. Insbesondere jedoch die Gefahr, dass aufgrund des erheblichen Interesses an den gesammelten Daten die ursprünglich gesetzten Grenzen für die Verwendung der Daten zunehmend aufgeweicht werden, hat sich mittlerweile bestätigt: Bereits wenige Tage vor Inkrafttreten der VDS unternahm die CSU bereits einen ersten Vorstoß zur Ausweitung des Gesetzes. Am 15. Dezember 2015 beschloss die Landesregierung in Bayern ein neues Verfassungsschutzgesetz, das dem Geheimdienst ermöglicht, die bei der VDS gespeicherten Informationen anzuzapfen. Diese Möglichkeit hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Gesetzgebungsprozess stets öffentlich verneint. Außerdem ist bis zum heutigen Tag nicht erkennbar, geschweige denn in irgendeiner Form empirisch belegt, dass alternative Ermittlungsmethoden signifikante Nachteile für die Strafverfolgung nach sich zögen. In der am 21. September 2015 zu der Thematik im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags durchgeführten öffentlichen Anhörung mussten auch die von der Koalition benannten Sachverständigen einräumen, aussagekräftige Statistiken nicht liefern zu können. Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe. Laut einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechensbekämpfung praktisch gar nicht aus, und auch seit dem Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheitslücken nachweisbar. Sie wies außerdem darauf hin, dass der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministerium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste enthält. Staatliche Stellen dürften selbst „Früchte illegaler Datensammlung“ verwerten. Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei. Er verwies außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamtrechnung. Diese sei vor dem Hintergrund neuer Überwachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten. Starostik wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Bereich noch viele andere Datensammlungen von erheblichem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls zugreifen könne. Entsprechend seien die Risiken einer Profilbildung enorm gewachsen. Als problematisch erweist sich auch, dass sich die Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess im Detail keinerlei Gedanken zur konkreten Umsetzung des Gesetzes in puncto Datensicherheit gemacht hatte und lediglich darauf verwies, dass die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) entsprechende Verfahren „nach dem Stand der Technik“ im Benehmen mit dem BSI und der Bundesdatenschutzbeauftragten festlegen werde. Der kürzlich von der Bundesagentur vorgelegte Entwurf zum „Katalog von technischen Vorkehrungen und sonstigen Maßnahmen“, der die Anforderungen an die im vergangenen Jahr beschlossene Vorratsdatenspeicherung nun konkretisiert und dessen Vorschriften spätestens am 1. Juli 2017 von den Providern umgesetzt sein müssen, könnte für viele betroffene Unternehmen den finanziellen Ruin bedeuten. Denn für eine entsprechende technische Umsetzung müssten zunächst vollkommen neue Systeme entwickelt werden. Zudem haben sich Hersteller bereits dahin gehend geäußert, dass sie vorerst keine entsprechenden neuen Systeme entwickeln werden – weil noch nicht sicher ist, ob die Vorratsdatenspeicherung dieses Mal vor Gerichten Bestand hat. Die Linke hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung einer VDS deutlich gemacht. Sie ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar. Das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ verstößt aus unserer Sicht in den zentralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gegen die Grundrechte. Die Petitionen, von denen die größte von 64 704 Mitzeichnern unterstützt wurde, wären ein guter Anlass gewesen, das hinter der VDS stehende Sicherheitskonzept der Massenüberwachung zu überdenken, im Bundestag breit über eine bürgerrechtliche Kehrtwende in der Innenpolitik zu debattieren und das von weiten Teilen der Bevölkerung als nicht verfassungskonform eingeschätzte Gesetz vor entsprechenden Urteilen in Karlsruhe und Luxemburg zurückzunehmen. Der negative Abschluss aller Petitionen stellt somit eine vertane Chance dar. Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Tagesordnungspunkt 18 a) Rudolf Henke (CDU/CSU): Der Deutsche Bundestag stimmt heute über das von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen ab. Grundsätzlich begrüße ich diesen Schritt, da die Evaluation des im Jahre 2001 durch den Deutschen Bundestag beschlossenen Prostitutionsgesetzes und der damit verbundene Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2007 dessen Defizite deutlich gemacht haben. Im Einklang mit den Koalitionsfraktionen stimme ich dem Gesetz zu. Gleichwohl sehe ich einen Aspekt des Gesetzes sehr skeptisch, da er nach meiner Auffassung im Gegensatz zu dem sonst von der Bundesregierung verfolgten Ansatz steht, Aufklärungsangebote über sexuell übertragbare Infektionen (STI) etc. anonym und niederschwellig anzubieten: die verpflichtende gesundheitliche Beratung nach dem neuen § 10. Das Gesetz besagt in diesem Paragrafen, dass „eine gesundheitliche Beratung durch eine für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zuständige Behörde angeboten“ werden soll, lässt den Bundesländern jedoch das Recht offen, auch eine andere Behörde für die Durchführung dieser Beratung zu bestimmen. In der Strategie der Bundesregierung zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, die das Vorgehen in diesem Bereich bis zum Jahre 2030 skizziert und auch Bezug auf die gängige Praxis nimmt, ist festgehalten, dass „spezifische niedrigschwellige und anonyme Beratungs- und Testangebote insbesondere durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst und freie Träger angeboten werden“. Auch das Infektionsschutzgesetz definiert in § 19 die Aufgaben des Gesundheitsamtes folgendermaßen: „Das Gesundheitsamt bietet bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten und Tuberkulose Beratung und Untersuchung an … Die Angebote können bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten anonym in Anspruch genommen werden, soweit hierdurch die Geltendmachung von Kostenerstattungsansprüchen … nicht gefährdet wird.“ Es ist nicht zu erwarten, dass die verpflichtende gesundheitliche Beratung, die das Gesetz nun für Prostituierte verbindlich vorsieht, von einer anderen Institution als dem Öffentlichen Gesundheitsdienst durchgeführt wird. Falls sich diese Annahme bestätigt, wäre ein und dieselbe Institution gleichzeitig sowohl für ein niederschwelliges und anonymes Angebot zuständig als auch für eine verpflichtende Beratung mit Erfassung personenbezogener Daten. Im Falle des Verstoßes gegen die Beratungspflicht können Bußgelder verhängt werden. Nach vielen Gesprächen mit Vertretern der unterschiedlichsten Gesundheitsämter und Personen, die in der Aufklärungsarbeit tätig sind, komme ich zu der Einschätzung, dass diese Regelung das bestehende anonym wahrnehmbare Hilfsangebot des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Frage stellt. Deshalb plädiere ich dafür, die jetzt beschlossene Regelung und den Zusammenhang zur anonymen Beratung durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst frühzeitig zu evaluieren und falls notwendig Änderungen vorzunehmen, um die erfolgreichen Initiativen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht zu gefährden. Im Übrigen müssen die Länder eine ausreichende personelle Ausstattung der mit der Pflichtberatung beauftragten Behörden sicherstellen. Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme dem obigen Gesetzentwurf aus unten aufgeführten Gründen nicht zu. Die SPD-Bundestagsfraktion will den Schutz der in der legalen Prostitution arbeitenden Frauen, Männer, Transmenschen in Deutschland verbessern. Dabei ist die Einschätzung über ihre Lage schwierig, da statistische Daten über eine Anzahl ebenso fehlen wie Erhebungen über die Art ihrer Beschäftigung (unter anderem in einem Prostitutionsbetrieb, mit welcher Rechtstellung innerhalb des Betriebs, auf der Straße etc.; nebenbei, gelegentlich oder für einen kurzen Lebensabschnitt tätig etc.). Fachberatungsstellen schätzen, dass insgesamt mehr als die Hälfte aller Sexarbeitenden ausländischer Herkunft, zumeist aus Osteuropa, sind. Diese Ausgangslage erschwert ein Gesetz zum Schutz der in der Prostitution Tätigen, welches ihren unterschiedlichen – auch aufenthaltsrechtlichen – Lebenslagen gerecht wird. Lange wurde in der Koalition um die Ausgestaltung des Gesetzes gestritten. Unbestritten war relativ schnell, die Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen in den Prostitutionsbetrieben festzulegen und eine Erlaubnispflicht zum Betreiben von Prostitutionsstätten zu formulieren sowie Kontrollrechte mit Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen. Dies stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Sexarbeitenden und beendet menschenunwürdige Geschäftsmodelle. Aus der CDU/CSU-Fraktion kamen aber auch Forderungen wie Erhöhung des Mindestalters oberhalb der Volljährigkeitsgrenze und verpflichtende gesundheitliche Untersuchungen. Ich begrüße, dass sich diese Forderungen nicht durchgesetzt haben. Gesundheitspolitische Erwägungen: Gesundheitspolitische Maßnahmen und gesetzliche Regelungen müssen sowohl praxistauglich sein als auch in den gesundheitspolitischen Kanon passen. Gerade in der Gesundheitspolitik gilt es, die Selbstbestimmung des Menschen zu achten und zu stärken. Deshalb hat der Deutsche Bundestag 2001 beim Übergang vom Seuchenschutzgesetz zum Infektionsschutzgesetz auch einen Paradigmenwechsel vollzogen: Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) wurde „beauftragt“ die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, selbst- und eigenverantwortlich mit der eigenen Gesundheit umzugehen. Der ÖGD hat nun die Aufgabe zu informieren und zu beraten. Im sensiblen Themenfeld sexuell übertragbarer Krankheiten ist mit § 19 Infektionsschutzgesetz ausdrücklich die anonyme Beratung zugelassen. Im vorliegenden Gesetzentwurf ist im § 10 „Gesundheitliche Beratung“ festgeschrieben, dass Personen, die als Sexarbeitende tätig sind oder eine solche Tätigkeit aufnehmen wollen, eine gesundheitliche Beratung durch eine für den ÖGD zuständige Behörde angeboten wird. Gesundheitliche Beratungsangebote für Menschen in der Prostitution sind grundsätzlich begrüßenswert. Aus meinem Wahlkreis Berlin-Tempelhof-Schöneberg, in dem ein europaweit bekannter Straßenstrich seit mehr als hundert Jahren besteht, weiß ich, dass dort tätige Sexarbeitende sehr gern die freiwilligen und teilweise auch anonymen gesundheitlichen Beratungen und Hilfen annehmen – das Angebot deckt nicht die Nachfrage, sodass sogar Wartezeiten entstehen. Es wäre wünschenswert, diese freiwilligen Angebote durch das Gesetz auszubauen. Stattdessen ist das bereitzustellende Beratungsangebot des ÖGD für die Sexarbeitenden verpflichtend. Zur Ausübung der Tätigkeit Prostitution muss künftig eine Registrierung erfolgen. Diese Anmeldung kann nur mittels Nachweis einer Bescheinigung über eine gesundheitliche Beratung erfolgen. Die gesundheitliche Beratung ist somit eine „Zwangsberatung“. Ich stimme mit den Fachberatungsstellen und Verbänden wie zum Beispiel der Deutschen Aidshilfe überein, dass eine Zwangsberatung kontraproduktiv ist. Gesundheitliche Beratungen sind nur „erfolgreich“, wenn die zu Beratenden offen für eine Beratung sind. Als Sozialpädagogin und Diplom-Pädagogin kenne ich die Grundsätze erfolgreicher Beratung: Der Beratungsbedarf hat von der zu beratenden Person auszugehen. Mit den erzwungenen Beratungen für die Anmeldung und die Beratungswiederholungen nach zwölf Monaten bzw. sechs Monaten für die unter 21Jährigen, die weiterhin in der Prostitution arbeiten wollen, werden Ressourcen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Ärztinnen und Ärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gebunden – geschweige denn, dass sie alleine für die „Zwangsberatung“ in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Das Fachpersonal steht für den „echten“ Beratungsbedarf dann nicht mehr zur Verfügung. Es ist zu befürchten, dass das jahrelang durch den ÖGD aufgebaute Vertrauen verloren geht und Sexarbeitende mit gesundheitlichen Problemen oder Beratungsbedarf nicht mehr zum ÖGD gehen. Laut Erläuterungen zum § 10 des Gesetzentwurfes sollen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Ärztinnen und Ärzte neben der gesundheitlichen Beratung dazu beitragen, Menschenhandel und Zwangsprostitution einzudämmen. Sie sollen eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, die es den Sexarbeitenden ermöglicht, sich zu öffnen, wenn sie Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution sind. Doch Menschenhandelsopfer und Zwangsprostituierte werden von den Zuhältern und Menschenhändlern unter Druck gesetzt, damit sie sich nicht als Opfer zu erkennen geben. Zudem werden Folgen des Erkennens einer Zwangslage von Sexarbeitenden für die Bediensteten des ÖGD nicht definiert. Sie können lediglich den Beratungsschein verweigern. Dadurch wird eine Anmeldung unmöglich. Was geschieht dann aber den Opfern von Zwangsprostitution und Menschenhandel? Wie sollen sie erreichbar bleiben für Hilfseinrichtungen bzw. Polizei und Staatsanwaltschaft? Die Zuhälterinnen und Zuhälter und Menschenhändlerinnen und Menschenhändler werden nicht zusehen, bis der ÖGD eine Lösung gefunden hat. Aus der fachlichen Sicht der Großstadtgesundheitsämter und des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD) – vergleiche ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf – entspricht eine Anmelde- und Beratungspflicht nicht der Zielsetzung des Schutzes von in der Prostitution tätigen Personen. Sie stellen in ihrer Stellungnahme als Fazit fest: „Die vorgesehene Anmelde- und Beratungspflicht für Sexarbeitende stellt einen erheblichen Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar. Sie ist in hohem Maße stigmatisierend und ungeeignet, mögliche Opfer von Menschenhandel und Gewalt zu identifizieren und zu schützen. Eine Mitwirkung von Gesundheitsämtern bei der Umsetzung des Entwurfs stimmt nicht mit den geltenden Rechtsnormen überein, da sie im Widerspruch zum bewährten IfSG steht. Sie gefährdet zudem die Erfolge der auf Vertrauen beruhenden Präventionsarbeit der Gesundheitsämter.“ Finanzierung: Die Kosten zur Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfes werden bis auf einen kleinen Bruchteil von 33 000 Euro für die Evaluation des Gesetzes den Bundesländern auferlegt. Die Bundesregierung schätzt die Kosten für den einmaligen Umstellungsaufwand für die Verwaltung auf etwa 11 Millionen Euro und den jährlichen Aufwand auf etwa 13 Millionen Euro – davon sollen allein einmalig 6 Millionen und jährlich 7 Millionen Euro auf den ÖGD entfallen. Die realen Kosten sind lediglich geschätzt, da es keine belastbaren Zahlen/Statistiken über die Anzahl der Sexarbeitenden gibt. Die Bundesregierung hat aus den unterschiedlichen vorliegenden Schätzungen, die von 150 000 bis 700 000 Sexarbeitenden reichen, die Schätzung des Runden Tisches Prostitution NRW genommen und hochgerechnet, sodass zur Berechnungsgrundlage 200 000 Sexarbeitende und eine jährliche Fluktuation von 50 000 zustande kam. Daher kommt der Bundesrat – zu Recht – zu folgender Einschätzung. Dieser stellte fest, „dass die Kosten, die mit dem Gesetzentwurf für die Haushalte der Länder und Kommunen verbunden sein werden, im Gesetzentwurf nur unzureichend spezifiziert und ausgewiesen sind. In der Berechnung des Erfüllungsaufwandes der Verwaltung sind beispielsweise die Mehrkosten für Widerspruchsverfahren oder für Übersetzungen und Sprachmittlung nicht enthalten. Soweit in der Berechnung zu einzelnen Vorgaben des Gesetzentwurfs Kostenangaben zum einmaligen Umstellungsaufwand und zum dauerhaften jährlichen Aufwand gemacht werden, ist teilweise nicht erkennbar, auf welchen Berechnungsparametern (zum Beispiel Aufwand je Fall) diese beruhen. Daher ist die Berechnung nicht nachvollziehbar und prüfbar.“ Nachfragen in Berlin haben ergeben: Die Zahl der notwendigen Zwangsberatungen wird bundesweit auf 450 000 geschätzt, was einem zusätzlichen Personalaufwand von „mehreren Dutzend“ entspräche. Hinzu kommen begleitende Kosten wie Dolmetscherinnen und Dolmetscher mit medizinischer Fachkenntnis. Diese kosten 45 Euro die Stunde. Der Finanzierungsaufwand für die Länder wird also sehr viel höher liegen als im Gesetzentwurf angegeben. Die Länder haben für ihre Haushalte keine valide Datenlage. In meinem Bundesland Berlin ist zudem der Beschluss von Doppelhaushalten üblich. Der Haushalt für 2016/2017 wurde pünktlich beschlossen. Das Prostitutionsschutzgesetz soll zum 1. Juli 2017 in Kraft treten. Das Land Berlin hat keine Chance – nach einer eigenen validen Berechnung und damit auch Personalgestaltung –, die entstehenden Kosten im Haushalt einzuplanen. Datenschutz: Prostitution in Deutschland ist nach wie vor mit einem Stigma belegt. Die Ministerialbeamtin Claudia Zimmermann-Schwartz aus dem Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen geht zu Recht davon aus: „Die gesetzliche Vorgabe, sowohl die Anmeldebescheinigung als auch die Bescheinigung über die erfolgte Gesundheitsberatung mit sich zu führen, erhöht die Gefahr eines unfreiwilligen Outings sowie die Erpressbarkeit durch Kunden, die sich die Bescheinigungen vorlegen lassen können und damit persönliche Daten in Erfahrung bringen.“ Die Regelung stellt damit ein datenschutzrechtliches Problem dar. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke und Heike Hänsel (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen – über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen, – über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken und – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Wir haben zu allen Gesetzentwürfen, Anträgen und Entschließungen betreffend Prostitution mit Nein gestimmt, auch zu dem von unserer eigenen Fraktion vorgelegten Dokument. Wir sind für eine freie, lustvolle Sexualität. Gekaufter Sex hat damit nichts zu tun. Er unterwirft vielmehr den Körper der sich Prostituierenden der willfährigen Verfügung durch den Käufer. Prostitution ist das Gegenteil von sexueller Selbstbestimmung. Prostitution ist organisierte Gewalt gegen Frauen und auch Männer. Die erdrückende Mehrheit der Prostituierten wird regelmäßig sexuell und psychisch missbraucht, sie wird von Freiern und Zuhältern vergewaltigt, körperlich angegriffen, geschlagen, sie lebt unter ständiger Androhung von Gewalt. Prostitution und Menschenhandel gehen Hand in Hand. In der Europäischen Union sind über 60 Prozent des Menschenhandels auf sexuelle Ausbeutung gerichtet – und hier werden Milliarden Euro verdient: vom organisierten Verbrechen, nicht von den Prostituierten. Die kommen vielmehr aus und bleiben letztlich in Armut. Prostitution in Deutschland ist ein rassistisches Ausbeutungsverhältnis. Etwa zwei Drittel der sich Prostituierenden hierzulande kommen aus Osteuropa, namentlich aus Bulgarien und Rumänien. Auch unter den legalen Bedingungen wird Prostitution ständig und fortschreitend entwertet in einem Preis- und Leistungswettbewerb nach unten. Prostitution wird zum Akkord und Akkord ist bekanntlich Mord. Prostitution ist ein zutiefst hierarchisches Verhältnis, in dem nicht die Arbeitskraft der sich Prostituierenden benutzt – und verbraucht – wird, sondern ihr Körper und ihre Seele als Ganzes. Prostitution als solche widerspricht allen Kriterien, die an „normale Arbeit“ angelegt werden, wie: der körperlichen Unversehrtheit, Würde, Selbstbestimmung. Der Gesetzentwurf der Koalition bedeutet eine weitere Stigmatisierung und Entrechtung der Prostituierten. Das ist der falsche Weg. Wir brauchen keine schärferen Gesetze, sondern eine breite Diskussion in der Gesellschaft, wie wir uns einem Leben ohne Prostitution annähern können. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Martin Burkert (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Tagesordnungspunkt 22) Ich stimme gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschussfassung – Drucksachen 18/9099, 18/8334. Aus § 37 (2) in Verbindung mit den Sätzen 4 und 5 von § 36 (2) des vorliegenden Gesetzentwurfs resultieren meiner Einschätzung nach untragbare Mehrbelastungen für den Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) in Deutschland. Demnach sollen Kostensteigerungen bei der Eisenbahninfrastruktur für den Schienenpersonennahverkehr, welche die Rate von jährlich 1,8 Prozent übersteigen, dem SPFV zusätzlich zu den von ihm selbst zu tragenden Kosten und Kostensteigerungen aufgebürdet werden. Die Arbeitnehmer/innen des Sektors müssen deshalb fürchten, hiervon in der Konsequenz negativ betroffen zu sein. In der gegenwärtig und noch bis Ende 2019 gültigen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II) zwischen dem Bund und der DB AG wurden jährliche Steigerungsraten der Trassenpreise von 2,4 Prozent zugrunde gelegt. Wenn diese Einnahmen nicht erreicht werden, bleibt nur die Möglichkeit, Unterhalt und Erneuerung der Eisenbahninfrastruktur erneut zu vernachlässigen oder die zwischen Bund und DB AG vereinbarten Dividendenzahlungen durch Verschuldung zu finanzieren. Damit würde das Gesetz zulasten Dritter gehen – in diesem Fall der DB AG. Die im vorliegenden Gesetzentwurf verankerte Begrenzung der Trassen- und Stationspreise des Schienenpersonennahverkehrs kann auf eine Mehrbelastung des Fernverkehrs in Höhe von rund 25 Millionen Euro im Fahrplanjahr 2018 hinauslaufen. 2019 wären es bereits rund 50 Millionen Euro. Bis zum Jahr 2030 entstünde kumuliert eine Zusatzbelastung von bis zu 2,3 Milliarden Euro. Die zugehörige Befristung der Regelung auf drei Jahre bedeutet keine Entschärfung des Problems. Wie der 19. Deutsche Bundestag damit umgehen wird, bleibt völlig offen. Für die im SPFV notwendigen Investitionen bedarf es aber langfristig sicherer Rahmenbedingungen, welche für die nächsten Jahre nicht gegeben wären. Es ist mir wichtig, zu erklären, dass im vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich an vielen Stellen sinnvolle Regelungen erreicht werden konnten, die grundsätzlich zu begrüßen sind. Das beschriebene Risiko für den Schienensektor, welches aus den gesetzlichen Regelungen in § 36 und § 37 resultiert, ist meiner Meinung nach allerdings nicht hinnehmbar. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Tagesordnungspunkt 22) Ulrich Lange (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat es sich lange verhalten wie mit der Bahn selbst: Man wusste nicht, ob es pünktlich ankommen wird. Aber wir haben gründlich und zuverlässig geliefert. Mit diesem Gesetzentwurf verbessern wir Wettbewerb und Effizienz. Wir stärken damit den Verkehrsträger Schiene. Das ist nicht nur für uns in Deutschland wichtig, sondern für ganz Europa, denn wir alle wissen, dass der Schienenverkehr inzwischen ein wichtiges europäisches Transportmittel ist. Für einen funktionierenden und fairen Wettbewerb sind wir daher umso mehr auf klare und transparente Regelungen angewiesen. Hierfür wird das Eisenbahnregulierungsgesetz – das im Zentrum des vorliegenden Entwurfs steht – den richtigen Rahmen bilden. Es war wahrlich kein einfaches Gesetzesvorhaben. Der Bundesrat hatte weit über 50 Änderungswünsche. Viele davon wurden aufgegriffen, es wurden zahlreiche Gespräche geführt, hitzige Diskussionen ausgetragen und dann in den allermeisten Fällen auch Lösungen gefunden. Der umfangreiche Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sorgt hier noch einmal für weitere Verbesserungen. Lassen Sie mich vorab aber eines zu der schrägen medialen Debatte sagen, die gerade in den letzten Tagen hochkochte und sich um die theoretische Gefahr drehte, der Fernverkehr könne durch steigende Trassenpreise ausgedünnt werden. Ich möchte da nur an eines erinnern, das in der Diskussion zu kurz kommt: Noch nie gab es so viel Geld für die Schiene. Mit der LuFV II stehen für die Jahre 2015 bis 2019 insgesamt mindestens 28 Milliarden Euro für die Schieneninfrastruktur zur Verfügung. Das ist Rekord. Die Investitionen aus dem Verkehrshaushalt steigen bis 2018 auf 5,6 Milliarden Euro an und liegen damit um 1 Milliarde Euro höher als 2015. Die Regionalisierungsmittel werden auf 8,2 Milliarden Euro erhöht. Die Bundesmittel, die für die Bahn bereitgestellt werden, die Gelder, die in die Schieneninfrastruktur fließen, sind in allen Bereichen gestiegen. Davon profitiert natürlich auch der Fernverkehr. Damit stehen die Bahn und auch der Fernverkehr so gut da wie lange nicht. Darüber sollten sich doch alle, die hier lautstark protestieren, einmal Gedanken machen! Aber kommen wir doch einmal auf den Inhalt des Gesetzes zur Eisenbahnregulierung. Da geht es nämlich um viel mehr. Da geht es um: diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur, Regulierung der Nutzungsentgelte, die Stärkung der Bundesnetzagentur. Dabei setzen wir EU-Recht um, das vorsieht, dem Betreiber der Schienenwege, Anreize zur Senkung der lnfrastrukturkosten und der Trassenentgelte zu geben. Es wird daher künftig eine Entgeltgenehmigung für die Trassenentgelte durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) geben. Das heißt, die BNetzA wird die Trassenpreise genehmigen, bevor sie erhoben werden. Zudem können Anreize auch über vertragliche Vereinbarungen zur lnfrastrukturfinanzierung geschaffen werden. Ich nenne nur das Stichwort „LuFV“. Besonders freue ich mich, dass jetzt durch unser Gesetz die Rechte der Bundesnetzagentur erheblich gestärkt werden, unter anderem durch die eben angesprochene Genehmigung der Nutzungsentgelte, aber auch durch die Einrichtung von Beschlusskammern. Hier wird die Regulierung der Eisenbahnen endlich an die Regulierung in den Bereichen Telekommunikation, Post und Energie angeglichen. Das war überfällig. Auch durch die Übertragung der Überwachung der Vorschriften über Struktur der Unternehmen und Unabhängigkeit der Infrastruktur vom Eisenbahn-Bundesamt auf die Bundesnetzagentur wird diese deutlich gestärkt. Kernthema für die Länder war natürlich der§ 37, das heißt die Sonderregelung für SPNV-Entgelte, der eben auch für die anfangs erwähnte Diskussion in den Medien gesorgt hat. Die Sorge der Länder war, dass die Trassenpreise über die Dynamisierungsrate bei den Regionalisierungsmitteln hinaus steigen könnten. Das haben wir aufgegriffen und diese Sorge durch eine Kopplung von Entgeltsteigerung an Regionalisierungsmittelsteigerung entkräftet. Ein nachträglich aufgenommener Evaluationsmechanismus gibt dem Bundestag zudem jetzt die Möglichkeit, bei Fehlentwicklungen, gegenzusteuern. Damit wird noch deutlicher, dass keine Gefahr einer Ausdünnung des Fernverkehrs aus diesem Grunde besteht. Das Konzept der Bahn jedenfalls sieht vielmehr eine Ausweitung des Fernverkehrs vor. Steigender Bahnverkehr führt zudem zu steigenden Trasseneinnahmen. Und die Bahn konnte zuletzt einen Zuwachs im Fernverkehr von rund 10 Prozent verzeichnen. Für 2016 rechnet die Bahn mit 132 Millionen Reisenden im Fernverkehr. Daher freue ich mich, dass wir auch beim § 37 letztlich zu einer für alle Seiten zufriedenstellenden Lösung gekommen sind. Die Beteiligten wissen selbst am besten, dass das in der Tat nicht so einfach war. Insgesamt haben wir ein gutes und schlüssiges Gesetz vorliegen. Es ist wichtig, dass wir mit der Eisenbahnregulierung heute zu einer Gesamtlösung kommen. Nicht nur, weil Brüssel das von uns zu Recht erwartet, um unser integriertes Modell weiter betreiben zu können, sondern auch, weil wir diese Regulierung brauchen, um Wettbewerb und Effizienz auf der Schiene zu verbessern. Ich danke den Verkehrspolitikern der Koalition für die gute und sachliche Zusammenarbeit bei diesem umfangreichen Projekt. Ich bin der Meinung, es hat sich gelohnt. Der Verkehrsträger Schiene wird weiter gestärkt. Das ist für die Mobilität in Deutschland und Europa das richtige Signal. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr – des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) Steffen Bilger (CDU/CSU): Es ist nun vier Monate her, seitdem wir uns das letzte Mal im Plenum mit dem Antrag der Fraktion Die Linke zu Stuttgart 21 befasst haben. Vier Monate, in denen die Baustelle große Fortschritte gemacht hat. Aber offensichtlich nicht genug Zeit für die Gegner des Projekts, um neben Gerüchten neue Fakten zu präsentieren. Nun liegt uns auch noch ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vor. Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie sollten sich endlich klar werden, was Sie wollen. Hinter uns liegen konstruktive Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg, bei denen wir viele Stunden um den Umgang mit Stuttgart 21 gerungen haben. Mit Verlaub: Ihr Antrag passt nicht zu unserer Vereinbarung, in der wir uns gemeinsam zur Unterstützung der planmäßigen und zügigen Umsetzung des Projekts verpflichten. Sie beschreiben Probleme, als würden Sie sich über jedes einzelne davon freuen. Zudem konnten Sie sich im Ausschuss noch nicht einmal zur Ablehnung des Linken-Antrags, der den Ausstieg aus Stuttgart 21 fordert, durchringen. Dabei hat der baden-württembergische Verkehrsminister erst kürzlich einen Ausstieg aus dem Projekt kategorisch abgelehnt mit den Worten „seitdem (also seit dem Volksentscheid von 2011) ist das für jeden in der Regierung Pflicht, das Projekt zu begleiten und zu befördern“. So sehen wir das auch, und ich würde mich freuen, wenn Sie im Bundestag ebenfalls dementsprechend handeln würden. So langsam frage ich mich ja auch, warum wir eigentlich die Anhörungen im Verkehrsausschuss durchführen, wenn dort, zumindest von der Opposition, anscheinend keiner zuhört. Es ist doch jetzt gerade einmal zwei Wochen her, dass Dr. Grube und seine Vorstandskollegen im Ausschuss sehr ausgiebig Auskunft zum Stand und zur weiteren Entwicklung von Stuttgart 21 gegeben haben, einschließlich zu den Kosten des Projekts. Halten wir uns doch mal an die Fakten. Ja, es gibt mögliche Kostensteigerungen bei dem Projekt, das hat die Bahn auch zugestanden. Aber erstens gibt es genau für diese Fälle den Risikopuffer von über 500 Millionen Euro, zweitens – wenn man sich die Gründe für die bekannten Kostensteigerungen ansieht, dann sind lediglich die Hälfte dieser Mehrkosten baubedingt – Mittel für einen verbesserten Brandschutz und die nötigen baulichen Änderungen durch die Besonderheiten des Untergrunds. Es ist richtig, dass die Bahn diese Änderungen jetzt vornimmt, denn ich möchte später niemandem erklären müssen, dass wir beim Brandschutz nicht die neuesten Erkenntnisse berücksichtigt haben, nur um ein paar Millionen zu sparen. Die andere Hälfte entstammt in Teilen aus Mehrkosten für den Artenschutz. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie, liebe Oppositionsvertreter, etwas gegen diese Ausgaben haben können. Auch ich bin Verfechter eines weitreichenden Naturschutzes. Aber wenn ich mir die Situation bei Stuttgart 21 anschaue, dann stellt sich mir schon die Frage, ob das alles noch verhältnismäßig ist: 10 000 Eidechsen, die allesamt umgesiedelt und anschließend 30 Jahre lang beaufsichtigt werden müssen. Kostenpunkt: 8 600 Euro pro Eidechse. Ganz zu schweigen von den Kosten für den Schutz von Bäumen und Juchtenkäfern, um deren Wohlergehen sich an anderer Stelle in Stuttgart keiner so viele Gedanken macht. Natürlich geht es beim Risiko weiterer Mehrkosten nicht nur um Brandschutz und Eidechsen, sondern auch um ganz andere Themen. Das nehmen wir sehr ernst, und deshalb finde ich es auch gut, dass erst vor wenigen Tagen im Lenkungskreis ja Maßnahmen besprochen wurden, wie die Kostenrisiken reduziert werden können. Wir alle sollten die Projektpartner dabei bestmöglich unterstützen und unseren Beitrag leisten, dass das Projekt zügig weiter vorangeht. Der Antrag der Fraktion Die Linke stützt sich auf zwei Gutachten von „unabhängigen Experten“, die Ausbaukosten von mindestens 10 Milliarden bis hin zu 15,5 Milliarden Euro prognostiziert haben. Nun gibt es Gerüchte um einen Bericht des Bundesrechnungshofs, der angeblich auch von weiteren Kostensteigerungen ausgeht. Ist Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich auch etwas aufgefallen? Es gibt Gesetzmäßigkeiten bei Stuttgart-21-Debatten im Bundestag. Eine ist, dass jedes Mal am Tag vor unserer Debatte hier im Hohen Hause in irgendeiner Zeitung, zumeist in der Stuttgarter Zeitung, ein Bericht mit neuen Horrormeldungen zu Stuttgart 21 erscheint. Ich finde diese Art der Pressearbeit so langsam ermüdend. Keine Frage: Jeder Euro Kostensteigerung ist äußerst ärgerlich. Dabei sollten aber auch die anderen Aspekte rund um Stuttgart 21 nicht zu kurz kommen. Ich möchte Ihnen daher noch ein paar andere Zahlen präsentieren: 7,7 Prozent! Um so viel legten die Mieten in Stuttgart 2015, 2016 zu. Ein neuer Rekordwert, was aber nur insoweit bedeutsam ist, als dass jährliche Mietpreissteigerungen von 7 Prozent in Stuttgart normal geworden sind. 13,84 Euro pro Quadratmeter! Das ist die durchschnittliche Kaltmiete, die für Wohnen in Stuttgart zu entrichten ist. Das stellt viele Familien, gerade mit geringeren Einkommen, vor ganz erhebliche Probleme, Probleme, die mit Stuttgart 21 zumindest abgemildert werden. 109 Hektar, das ist der Raum, der durch Stuttgart 21 frei wird. 11 000 Menschen können dort Wohnraum finden, mitten in der Innenstadt. Eine dringend benötigte Entlastung der angespannten Wohnraumsituation. Und es ist ja nicht nur der Wohnraum, der entsteht. 20 Prozent dieser Fläche sind für Grünflächen reserviert, ein riesiger Gewinn an Lebensqualität. 24 000 Arbeitsplätze werden auf dem Areal entstehen. Und das beinhaltet nicht einmal die Arbeitsplätze, die durch das Bauvorhaben geschaffen und gesichert wurden und werden. Ich finde es schon einigermaßen seltsam, dass ausgerechnet eine Partei, die sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, gegen ein solches Projekt ist. Ich möchte abschließend auch noch mal zurückkommen auf die Volksabstimmung über Stuttgart 21. Die Grünen möchte ich daran erinnern, was wir im Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg festgehalten haben: „Das Ergebnis der Volksabstimmung aus dem Jahr 2011 ist für uns bindend.“ Auch angesichts dieser Formulierung fand ich es sehr irritierend, dass ausgerechnet Sie am Mittwoch davon sprachen, 2013 hätte der Ausstieg aus Stuttgart 21 erfolgen müssen. Bitte klären Sie endlich Ihre Position zu dem Projekt. 58,8 Prozent sind jedenfalls nach wie vor ein eindeutiges Votum für Stuttgart 21. Die Wähler haben anscheinend sehr viel besser verstanden, was ein Hochtechnologieland wie Deutschland braucht. Und dabei sollten wir es auch belassen. Alexander Funk (CDU/CSU): Der Antrag der Fraktion Die Linke ist absurd, unseriös und unverschämt. Daher werden wir ihn ablehnen. Eigentlich ist damit alles Wesentliche gesagt. Ich werde dennoch ein paar wenige Ausführungen dazu machen: Warum ist der Antrag absurd? Sie fordern die Bundesregierung auf, sie solle das Gutachten des Rechnungshofes dem Bundestag zugänglich machen. Ich darf Sie daran erinnern, dass der Rechnungshof aufgrund von Artikel 114 GG als eine unabhängige, selbstständige und weisungsfreie externe Finanzkontrolle des Bundes errichtet wurde. Er ist nicht der Bundesregierung unterstellt und entscheidet selbst, welche Prüfergebnisse er veröffentlicht. Nach meinem Kenntnisstand ist die Prüfung des Rechnungshofes noch nicht abgeschlossen, und daher ist uns das Gutachten noch nicht zugestellt worden. Nun die Bundesregierung aufzufordern, dieses nicht fertige Gutachten zu veröffentlichen, ist absurd. Warum ist ihr Antrag unseriös? Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Herr Dr. Grube, hat dem Verkehrsausschuss zwei Stunden lang Rede und Antwort gestanden. Er informierte, dass die Bahn weiterhin das Ziel verfolge, den Bahnhof für unter 6 Milliarden Euro zu bauen. Allerdings wies er auf neue, von außen verursachte Kostenrisiken hin. Dies könne dazu führen, dass sich die Fertigstellung um zwei Jahre verzögert und mögliche Mehrkosten in Höhe von 600 Millionen Euro entstehen könnten. Deutlich längere Planungsverfahren, ein verbesserter Lärmschutz und zusätzlicher Aufwand für Artenschutz sind hier die Hauptgründe. Der Konzern werde aber gegensteuern und versuchen, dieses „Worst-Case-Szenario“ abzuwenden. Aber selbst wenn alle Kostenrisiken eintreten würden, würde der Bahnhof unterhalb des bewilligten Finanzierungsrahmens in Höhe von 6,526 Milliarden Euro fertiggestellt. Wenn Sie von der Linkspartei dann hier im Deutschen Bundestag einen Antrag stellen und Kosten in Höhe von 9,8 Milliarden Euro unterstellen, ist das schlicht unseriös. Ja, ich sage sogar: unverschämt. Denn letztlich unterstellen Sie damit Herrn Dr. Grube, dass er entweder keine Ahnung hat oder das Parlament falsch informiert. Beides weise ich entschieden zurück, wie wir auch ihren Antrag entschieden ablehnen werden. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte (Tagesordnungspunkt 7) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Mit der Vereinbarung eines internationalen Informationsaustausches von Steuer- und Unternehmensdaten reagiert die Staatengemeinschaft auf die Beobachtung der vergangenen Jahre, wonach Großkonzerne wie Facebook, Google und Starbucks durch Ausnutzung unterschiedlicher Steuersysteme ihre Steuerlast auf ein Minimum senken konnten. Verantwortlich für diesen Missstand waren vor allem unzureichende Informationen der Steuerbehörden über Auslandssachverhalte. Der Informationsaustausch ist deshalb zentraler Teil des Programmes gegen „Die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ (Base Erosion and Profit Shifting – kurz BEPS), das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits im Jahr 2012 auf Ebene der G 20 und der OECD mitinitiiert hatte. Anfang Oktober 2015 wurden in Lima die Abschlussberichte zu BEPS vorgestellt mit 15 konkreten Aktionspunkten gegen internationale Steuervermeidung. Das Paket wurde am 15./16. November 2015 von den Regierungschefs der G 20 gebilligt. Mittlerweile haben sich 62 Staaten angeschlossen, auf die 90 Prozent der Weltwirtschaft entfallen. Aktionspunkt 13 des BEPS-Programmes sieht die Einführung eines verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs der Steuerbehörden über länderbezogene Berichte von Unternehmen, das sogenannte Country-by-Country Reporting, vor. Die Steuerverwaltungen sollen damit Informationen über die globale Aufteilung der Erträge und die entrichteten Steuern sowie über weitere Indikatoren der Wirtschaftstätigkeit von international tätigen Unternehmen erhalten. Für den internationalen Austausch wurde auf OECD-Ebene eine „Mehrseitige Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte“ erarbeitet, die am 27. Januar 2016 von insgesamt 32 Staaten unterzeichnet wurde. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Bundestag dieser völkerrechtlichen Vereinbarung zustimmen. Ich möchte hier auf einen zentralen Bestandteil dieser Vereinbarung eingehen. Gemäß § 5 der Mehrseitigen Vereinbarung soll der Datenaustausch zwischen den zuständigen Behörden nur unter Berücksichtigung umfangreicher datenschutzrechtlicher Vorgaben automatisch erfolgen. Die Daten werden nur den Steuerbehörden übermittelt und nicht veröffentlicht. Die G 20 und OECD haben dabei aus wohlerwogenen Gründen auf ein öffentliches Country-by-Country Reporting verzichtet. Auf europäischer Ebene liegen nun aber – parallel – zwei Regelungsvorschläge der Kommission für die Umsetzung des Country-by-Country Reportings vor: erstens für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung KOM(2016) 25 und zweitens für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie im Hinblick auf die Offenlegung von Ertragsteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassungen KOM(2016) 198/2. Der erste Vorschlag sieht wie Punkt 13 des BEPS-Aktionsplans vor, dass die relevanten Daten nur unter den Finanzbehörden ausgetauscht werden. Der zweite Vorschlag zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie soll darüber hinausgehend eine Publizität des Country-by-Country Reportings gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit erreichen. Der gewählte Regelungsweg über die Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie lässt dabei den Eindruck zu, dass das für Ertragsteuerfragen notwendige Einstimmigkeitserfordernis im Rat umgangen werden soll. Die Einflussmöglichkeiten von Deutschland sind damit bei den Beratungen erheblich gemindert. Hier appelliere ich ausdrücklich an das Rechtsverständnis des Bundesjustizministers: Das Rügen der Rechtsgrundlage im Rat sollte nicht davon abhängig gemacht werden, wie man politisch zu dem Vorhaben steht. Das Recht und daraus folgende Zuständigkeiten, aber auch Kompetenzgrenzen müssen unabhängig davon gelten. Europa braucht gerade jetzt das Vertrauen der Bevölkerung und der nationalen Parlamente. Solches schafft die Kommission nicht, wenn sie versucht, die Kompetenzen in ihrem Sinne auszulegen bzw. – um es klar zu sagen – zu überdehnen. Der europäischen Integration droht auch dadurch weiterer Akzeptanzverlust. Gegen das Vorhaben der EU-Kommission spricht rechtlich aber noch mehr: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll der Bundestag einem völkerrechtlichen Vertrag zustimmen, mit dem wir einen vertraulichen Informationsaustausch mit anderen Staaten vereinbart haben. Diesen völkerrechtlichen Vertrag müssten wir mit der Umsetzung des folgenden widersinnigen Vorschlages der Kommission aber brechen. Dem muss unser Justizminister entschieden entgegentreten! Gegen den Vorschlag KOM(2016) 198/2 sprechen aber nicht nur rechtliche Bedenken. Auch politisch ist der Vorschlag KOM(2016) 198/2 ungeeignet zur Erreichung des erklärten Ziels „Herstellung von Steuergerechtigkeit“. Ein öffentliches Country-by-Country Reporting in Europa könnte sogar den Erfolg des gesamten BEPS-Projektes gefährden. Bei einem öffentlichen Country-by-Country Reporting gäbe es für Drittstaaten keinen Grund mehr, den europäischen Staaten ihrerseits entsprechende Daten zu übermitteln. Das Pfand, mit dem man die Kooperation anderer Staaten erreichen könnte, würde leichtfertig ohne Gegenleistung aus der Hand gegeben. Ziel des Handelns auf europäischer Ebene muss deshalb die inhaltlich gleiche Umsetzung der OECD/G-20-BEPS-Empfehlungen sein. Für die deutschen Unternehmen wäre die Umsetzung des Vorschlags KOM(2016) 198/2 mit erheblichen Risiken verbunden. Die öffentliche Berichterstattung dürfte schützenswerte Interessen der betroffenen Unternehmen verletzen. Im Besonderen ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht hinreichend gewährt, da durch die Veröffentlichungen Rückschlüsse auf Unternehmensstrukturen und Margen möglich wären. Das kann Wettbewerbsnachteile herbeiführen. Das unbedingte öffentliche Country-by-Country Reporting würde weiter dazu führen, dass mit dem BEPS-Aktionsplan verbundene Verwendungsbeschränkungen nicht greifen würden. So dürfen gemäß § 5 der Mehrseitigen Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden Verrechnungspreisanpassungen auf Basis der ausgetauschten Informationen nicht vorgenommen werden. Werden die Country-by-Country Reporting-Daten nun ohne diese Maßgabe an Drittstaaten geliefert, droht den Unternehmen vielfältig Doppelbesteuerung und damit verbunden Wettbewerbsverzerrung. Hinzu kommt – absehbar – ein massiver Verlust an Steuersubstrat für Bund und Länder. Insgesamt würde ein öffentliches Country-by-Country Reporting deshalb mehr schaden als nutzen. Zur Durchsetzung des maßgeblichen Ziels, Eindämmung von Steuervermeidungspraktiken, ist es ausreichend und letztlich zielgerichteter, nicht wahllos die Öffentlichkeit, sondern die Steuerverwaltungen derjenigen Staaten, die sich am Austausch beteiligen, zu informieren. Ich bitte daher die Bundesregierung, sich geschlossen für ein kompetenzrechtlich einwandfreies, den völkerrechtlichen Vereinbarungen entsprechendes und in der Sache zielführendes Country-by-Country Reporting auf europäischer Ebene einzusetzen und dem Vorschlag KOM(2016) 198/2 entgegenzutreten. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Mit dem Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung über den Austausch länderbezogener Berichte – das fängt schon recht sperrig an – beraten wir die Umsetzung des sogenannten Country-by-Country Reporting. Heute geht es in einem ersten Schritt um das Vertragsgesetz, mit dem der Bundestag dem völkerrechtlichen Vertrag über den Austausch länderbezogener Berichte seine Zustimmung gibt. Im Kern geht es beim Country-by-Country Reporting um multinationale Unternehmen. Sie sollen künftig Land für Land offenlegen müssen, in welcher Höhe Erträge erwirtschaftet werden und welche Steuern sie in welcher Höhe in den einzelnen Ländern bezahlen. Dies ist ein Teil des Anti-BEPS-Projektes, mit dem wir auf OECD-Ebene Base Erosion und Profit Shifting – zu Deutsch: Gewinnverkürzung und -verlagerung – bekämpfen wollen. Das Country-by-Country Reporting ist also ein weiterer Schritt bei der Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. Veröffentlichungen von LuxLeaks bis Panama Papers haben uns gezeigt, mit welcher Kreativität und teilweise mit welcher kriminellen Energie Privatpersonen, Konzerne und nicht selten auch Unternehmen, von denen wir das überhaupt nicht erwartet hätten, vorgehen, um sich ihren Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens zu sparen. Die öffentliche Infrastruktur wird gleichwohl gern in Anspruch genommen. Das nenne ich „Sparen“ auf dem Rücken der anderen. Insbesondere multinationale Konzerne verschieben Gewinne in Staaten mit sehr niedrigen oder Null-Steuersätzen. Die Fälle von Amazon, Starbucks, Ikea oder Google sind uns allen noch sehr präsent. Ist es nicht auffällig, dass viele Unternehmen, die uns im Kontext von Steuern spontan einfallen, ihren Sitz nicht in Deutschland haben? Steuervermeidung durch Verlagerung von Unternehmensgewinnen der Konzerne schadet nicht nur den Staaten, also allen Bürgern; sie schadet insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ihre Gewinne fair versteuern, nicht künstlich auf die Bahamas verschieben können, stattdessen in ihrem Ansässigkeitsstaat Steuern zahlen. Das Wichtigste aber ist: Eine Situation, in der jeder Bäckermeister mehr Steuern bezahlt als ein multinationaler Konzern, ist schlicht ungerecht, und sie gefährdet das Vertrauen der ehrlichen Steuerzahler in die Ausgewogenheit und Gerechtigkeit unseres Steuersystems. Nur zur Erinnerung: Wann immer jemand eine Steuer umgeht oder hinterzieht, erwartet er, dass seine Nachbarn mehr bezahlen, um das Gemeinwesen zu finanzieren. Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ist deshalb ein Kernanliegen sozialdemokratischer Finanzpolitik. Das Anti-BEPS-Projekt ist dabei von großer Bedeutung; denn damit sollen eine Reihe von Instrumenten zum Einsatz kommen, die Steuervermeidung erschweren. Dazu gehören die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, die Eindämmung hybrider Gestaltungen – damit meinen wir das Ausnutzen von unterschiedlichen Regelungen für die steuerliche Einordnung bestimmter Gesellschaftsformen – oder die Verhinderung von Abkommensmissbrauch. Besonders wichtig sind auch die Arbeiten gegen schädlichen Steuerwettbewerb. Dabei stehen natürlich Patentboxen besonders im Fokus, aber auch wechselseitige Informationen über Tax Rulings spielen eine Rolle. Insgesamt wollen wir mit der Umsetzung des Anti-BEPS-Projektes drei Ziele erreichen: Umfang und Ort der Besteuerung sollen stärker an den Ort der Wertschöpfung gebunden werden, Informationsdefizite der Finanzverwaltungen wollen wir reduzieren und das Zusammenwirken der unterschiedlichen Steuersysteme verbessern. In diesem Zusammenhang soll das Country-by-Country Reporting die Dokumentationspflichten multinationaler Konzerne vereinheitlichen und den Finanzverwaltungen zusätzliche Informationen an die Hand geben. Das Zauberwort heißt also Transparenz. Dabei geht es sowohl um die Dokumentation von Verrechnungspreisen als auch um den Austausch länderbezogener Berichte zwischen den teilnehmenden Staaten. Damit soll den Steuerbehörden die Prüfung erleichtert werden, ob der zu besteuernde Gewinn im Verhältnis zu den ökonomischen Aktivitäten der betreffenden Unternehmenseinheit steht. Für all jene, deren Kennzahlen und Steuererklärung plausibel sind, dürfte das kein Problem darstellen. Alle anderen haben sich überflüssigerweise ein Problem geschaffen. So weit, so sinnvoll. Allerdings werden wir uns in den Beratungen mit folgenden Fragen besonders genau befassen müssen: Welche Daten müssen ausgetauscht werden? Wer hat Zugriff auf diese Daten? Mit welchen ökonomischen und fiskalischen Wirkungen, auch Ausweichreaktionen, müssen wir rechnen? Im Hinblick auf die erste Frage werden wir uns anschauen, welche Informationen auf Basis des völkerrechtlichen Vertrages zu Umsatz, Gewinn, Steuerzahlungen und wirtschaftlicher Aktivität in einem Dokument zusammengefasst werden und inwieweit sie die gesamte Konzernstruktur erfassen. Diese Daten müssen dann länderweise zusammengestellt werden. Wichtig wird dabei, dass wir auch Berichte von jenen ausländischen Unternehmen bekommen, die in Deutschland Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten haben. Im Zentrum der weiteren Debatten wird die zweite Frage stehen: Wer soll Zugriff auf die bereitgestellten Daten haben? Lediglich die Steuerbehörden, verwaltungsintern? Oder sollen die Daten auch interessierten NGOs und Fachjournalisten und damit der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen? Die Mehrseitige Vereinbarung vom 27. Januar 2016 sieht einen Austausch der länderbezogenen Berichte nur zwischen den zuständigen Behörden vor. Einfach ein öffentliches Country-by-Country Reporting zu fordern, klingt gut, ist aber gemäß den vertraglichen Vereinbarungen nicht ohne Weiteres möglich. Im Rahmen der Rechnungslegungsvorschriften wäre aber eine Veröffentlichung der Informationen in noch aggregierterer Form durchaus denkbar. Oxfam hat mir dazu gestern die Ergebnisse einer Umfrage geschickt, der zufolge über 80 Prozent der Befragten eine transparente Unternehmensbesteuerung fordern. Ob die Befragten deswegen auch für eine Veröffentlichung der Daten sind, bleibt offen. Dennoch ist die allgemeine Forderung nach mehr Transparenz bei der Unternehmensbesteuerung natürlich richtig. Allerdings müssen wir uns schon etwas genauer anschauen, welche Wirkungen eine Veröffentlichung von Daten aus dem Country-by-Country Reporting gegenwärtig hat. Insbesondere aufseiten unseres Koalitionspartners wird diese Debatte gelegentlich etwas alarmistisch geführt. Da wird zum Beispiel geschrieben, die Veröffentlichung dieser Daten würde Rückschlüsse auf Geschäftsgeheimnisse erlauben und damit unseren Unternehmen schaden. Das ist die Sprache der Lobbyisten. Da wäre es schon interessant, zu erfahren, welche Sorgen da konkret bestehen. Schließlich reden wir über stark aggregierte Daten zu Umsatz, wirtschaftlicher Aktivität usw. Diese müssen zum überwiegenden Teil bereits heute veröffentlicht werden. Inwiefern dies neue Rückschlüsse auf Geschäftsgeheimnisse erlauben soll, ist daher nicht plausibel. Ein anderes Argument betrifft die Sorge, dass deutsches Steuersubstrat durch Veränderung der Besteuerungsrechte gefährdet sein könnte, wenn Daten aus dem Country-by-Country Reporting veröffentlicht werden. Dem lassen sich gleich mehrere Punkte entgegenhalten. Einerseits besteht auch bei einem ausschließlichen Austausch zwischen Steuerbehörden die Möglichkeit von Abwehrmaßnahmen und der Verschiebung der Steuerzahlungen, wenn sich aufgrund der länderbezogenen Berichterstattung Hinweise auf unerwünschte Steuergestaltungen ergeben sollten. Andererseits haben die OECD-Empfehlungen generell das Ziel, Steueraufkommen durch die Bekämpfung von Gewinnverlagerung und Gewinnkürzung für die Staatengemeinschaft insgesamt zu erhöhen und nicht lediglich umzuverteilen. Vielleicht ergibt sich eine länderspezifische steuerliche Umverteilung – aber dann von einem größeren Steuerkuchen. Oft wird immer wieder angeführt, dass es bei einem öffentlichen Country-by-Country Reporting für Drittstaaten keinen Anreiz mehr gäbe, den europäischen Staaten ihrerseits entsprechende Daten zu übermitteln; denn sie hätten alle Informationen schon ohne Gegenleistung. Diesen Punkt gilt es genau zu prüfen. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die 31 Staaten, die die Mehrseitige Vereinbarung über das Country-by-Country Reporting unterzeichnet haben, bei einer Veröffentlichung der Daten im Rahmen der Rechnungslegung ihren vertraglichen Pflichten nicht nachkommen werden. Die USA sind der Vereinbarung noch nicht beigetreten. Die US-Regierung hat aber ihre Absicht erklärt, die Vereinbarung im Laufe des Jahres zu unterzeichnen; ich bin gespannt. Wie schon angedeutet, werden wir uns außerdem darum kümmern müssen, dass wir in jedem Fall Berichte von Konzernen bekommen, die zwar ihren Stammsitz außerhalb Europas haben, die aber hier über eine Tochtergesellschaft oder eine Betriebsstätte verfügen. Ein letzter Punkt betrifft die Befürchtung, dass die mit dem BEPS-Aktionsplan verbundenen Beschränkungen hinsichtlich der Verwendung der Daten nicht mehr greifen könnten. So dürfen nach der Mehrseitigen Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden Verrechnungspreisanpassungen auf Basis der ausgetauschten Informationen nicht vorgenommen werden. Wegen der hohen Aggregation der Daten ist es aber ohnehin kaum möglich, dass diese Daten der Anlass für unmittelbare Anpassungen der Verrechnungspreise sein könnten. Die im Rahmen des Country-by-Country Reporting ausgetauschten Informationen können und sollen allerdings Anlass für konkrete Betriebsprüfungen sein, in deren Folge es dann zu Verrechnungspreisanpassungen kommen kann. Insgesamt zeigt sich, dass die Argumente gegen eine Veröffentlichung der Daten aus dem Country-by-Country Reporting auf lange Sicht nicht stichhaltig sind, aber gleichwohl sorgfältig abgewogen werden müssen. Auf der anderen Seite würde eine Veröffentlichung Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, zu beurteilen, welche Unternehmen wo Steuern zahlen, und damit einen Beitrag zur Allgemeinheit leisten. Darüber hinaus würde sie Entwicklungsländern helfen, für deren Staatshaushalte die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer häufig von sehr großer Bedeutung sind. Deren Finanzbehörden würden öffentliche Daten erheblich weiterhelfen. In diesem Spannungsfeld werden wir überlegen, den Datenaustausch im Rahmen der Mehrseitigen Vereinbarung auf die Steuerbehörden zu beschränken und gleichzeitig ein Dokument zu entwickeln, das gegebenenfalls noch stärker aggregierte Daten enthält, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Denn grundsätzlich können wir uns langfristig eine Veröffentlichung der Daten vorstellen, sofern zwischen den teilnehmenden Staaten ein gewisses Maß an Standards gewahrt ist. Dabei geht es um die Qualität der Daten, Datenschutz und Datensicherheit und die Administration in der Steuerverwaltung. In dieser Richtung müssen wir weiterarbeiten, gerade auch im Austausch mit den europäischen Institutionen, die in dieser Hinsicht schon einige Vorschläge entwickelt haben. Denn klar ist: Wir wollen weder Geschäftsgeheimnisse veröffentlichen noch deutsches Steuersubstrat gefährden. Aber wir wollen Steuervermeidung multinationaler Konzerne bekämpfen, und dafür ist das Country-by-Country Reporting mit dem richtigen Maß an Transparenz ein wichtiges Instrument. Nun wünsche ich Ihnen allen eine gute sitzungsfreie Zeit, erfolgreiche Arbeit in den Wahlkreisen und einige schöne Urlaubstage. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Grundsätzlich finden wir als Linke es dringend geboten, der grenzüberschreitenden Steuervermeidung durch multinationale Konzerne entgegenzuwirken. Gerade multinationale Unternehmen haben im Vergleich zu hauptsächlich national tätigen Unternehmen ihre Steuerlast dadurch teils erheblich senken können. Dies können sie, indem sie durch geschickte Gestaltungen Gewinne in Staaten verschieben, die besonders günstige Besteuerungskonditionen bieten. Mit dem BEPS-Projekt wurden von der OECD im Auftrag der G-20-Staaten Lösungen entwickelt, um Defizite der internationalen Besteuerungsregeln zu verringern. Ein sogenannter Aktionspunkt, auf den man sich im Rahmen von BEPS geeinigt hat, ist der Austausch länderbezogener Berichte zwischen den teilnehmenden Staaten, Country-by-Country Reporting. Jeder Vertragsstaat fordert diese zunächst von den auf seinem Gebiet ansässigen Konzernobergesellschaften ein. Anschließend werden diese den anderen Vertragsstaaten, in denen Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten des jeweiligen Konzerns vorliegen, übermittelt. Durch den Austausch von länderbezogenen Berichten zwischen den Staaten erhalten die betroffenen Steuerverwaltungen Informationen über die globale Aufteilung der Erträge und die entrichteten Steuern sowie über weitere Indikatoren der Wirtschaftstätigkeiten der größten international tätigen Unternehmen. Die Finanzverwaltungen sollen also die erforderlichen Informationen erhalten, und multinationale Unternehmen sollen ihren Dokumentationspflichten nach einem einheitlichen Standard nachkommen. Dies klingt alles schon mal sehr gut. Denn Transparenz ist Grundvoraussetzung, um Steuervermeidung zu erkennen. Die Steuerbehörden eines Landes stehen oft auf verlorenem Posten, wenn es darum geht, zu erkennen, welche Transaktionen ein dort ansässiger Konzern mit Konzernablegern in anderen Staaten tätigt und wie die dortigen Steuerbehörden diese Aktivitäten behandeln. Das ganze Projekt wird umso besser gelingen, desto mehr Länder daran teilnehmen und teilnehmen können. Und in der Tat stellt der vorliegende Gesetzentwurf, der die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands zum Austausch länderbezogener Berichte zwischen den Vertragsstaaten beinhaltet, einen Fortschritt dar. Dennoch gibt es aus linker Sicht drei Dinge zu kritisieren: Erstens ist in der mehrseitigen Vereinbarung nur vorgesehen, dass die entsprechenden Daten zwischen den Steuerverwaltungen ausgetauscht werden. Die Daten sollen in keiner Weise öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht einmal in anonymisierter und aggregierter Form, nicht einmal Daten, die handelsrechtlich oder nach den Bilanzierungsvorschriften bereits öffentlich sind. Dies ist uns ganz klar zu wenig Transparenz. Die Bundesregierung flüchtet vor dieser Kritik, indem sie mantraartig etwas von Steuergeheimnis murmelt. Doch in Wirklichkeit fürchtet sie Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft und möchte daher die Exportwirtschaft schützen. Es ist schade, dass bei der internationalen Bekämpfung von Steuervermeidung die Bundesregierung hier schon an ihre national motivierten Grenzen stößt! Sie sollten auch im Hinterkopf haben, dass die Erfolge bei LuxLeaks oder PanamaLeaks nur dadurch zustande kamen, weil durch die Veröffentlichung ein öffentlicher Druck entstand, weil Whistleblower Alarm geschlagen haben. Gerade der kritische Blick der Öffentlichkeit, das wachsame Auge zivilgesellschaftlicher Organisationen würde es Unternehmen enorm erschweren, weiterhin Steuern zu hinterziehen. Zweitens ist die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit zu kritisieren: Die Vertragspartner müssen also qualitativ gleiche Daten wie Deutschland liefern, sie müssen die gleichen Maßstäbe bei der Vertraulichkeit der Daten erfüllen usw. Konkret heißt das: Die anderen Staaten, die gerne mitmachen möchten, müssen unsere Bedingungen erfüllen, um dann zum Beispiel länderbezogene Berichte von großen ausländischen Konzernen zu erhalten, die in ihrem Land durch Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten tätig sind. Viele Länder, gerade des globalen Südens, haben aber noch keine gut ausgebauten Steuerverwaltungen. Deswegen fällt es ihnen auch schwer, alle Daten in der gewünschten aufbereiteten Form zu liefern. Die Folge ist, dass viele Staaten einfach ausgeschlossen werden. Ihnen geht dadurch viel Geld durch die Lappen, weil sie weiterhin stark von Steuervermeidung und dem trickreichen Spiel der multinationalen Unternehmen betroffen sind. Hier sollten Sie sich lieber wieder an den Grundsatz erinnern: Je mehr Länder mitmachen, desto besser wird es sein. Drittens und abschließend muss man sich vor Augen halten, dass die harten Bedingungen für Datenzusammenstellung und Vertraulichkeit bzw. Datenschutz, die andere Staaten erfüllen müssen, den gleichen Hintergrund haben wie das krampfhafte Verharren auf Nichtveröffentlichung der Daten. Auch hier sieht die Bundesregierung das Damoklesschwert des Wettbewerbsnachteils für die deutsche Wirtschaft. Wieder zeigt sich: Deutsche Exportwirtschaft geht vor Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Es herrscht die Angst vor, dass es zu viel Transparenz gibt, dass andere Staaten sehen, wie viel mehr an Steuern ihnen von einem deutschen Unternehmen zustünden und sie diese womöglich noch einfordern könnten. Abschließend kann ich Sie von der Regierungsbank nur ermuntern, mehr Transparenz zu wagen. Scheuen Sie nicht den wachsamen Blick der Öffentlichkeit, und schwächen Sie nicht die Schlagkraft dieses Projektes zur internationalen Bekämpfung von Steuervermeidung, indem Sie die Interessen der deutschen Exportwirtschaft über alles stellen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung den Aktionspunkt 13 der OECD/G-20-Empfehlungen im Kampf gegen Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen um. Konkret geht es um den Austausch von Daten zwischen den zuständigen Steuerbehörden des jeweiligen Landes mit dem Ziel, das Informationsdefizit der Finanzverwaltungen zu reduzieren und Steuervermeidungsstrategien aufzudecken. Der Austausch länderbezogener Berichte – das sogenannte Country-by-Country Reporting – hat zu einer sehr kontroversen Debatte geführt. Im Kern geht es um die Frage, ob multinationale Konzerne gegenüber der Öffentlichkeit Informationen über ihre wirtschaftlichen Aktivitäten und ihren Beitrag für das Gemeinwohl offenlegen sollten. Dahinter steht der Vorwurf, dass sich multinational agierende Unternehmen unter Ausnutzung nationaler Besteuerungsregeln in einzelnen Ländern einer Besteuerung weitestgehend entziehen. Viele Unternehmen bestreiten das – sicher teilweise auch zu Recht. Deshalb sind allzu platte Äußerungen zu diesem Thema – und die reichen leider bis zum Bundesminister für Wirtschaft – fehl am Platze. Gerade in einer Zeit, in der mit dem Brexit das Klagen über Populismus groß ist, muss das Thema differenziert angegangen werden. Zum einen geht es darum, dass die nationalen Steuerbehörden mehr Transparenz über die relevanten Steuerdaten multinationaler Unternehmen bekommen. In diesem Zusammenhang ist es richtig, dass die OECD sich darauf verständigt hat, dass die Daten nicht unmittelbar zur Steuererhebung verwendet werden sollen. Denn dies würde mittelbar zu Doppelbesteuerungsfällen führen. Aber die Transparenz ist eben wichtig, um sogenannte weiße Einkünfte aufzudecken, das heißt Fälle zu identifizieren, die zur doppelten Nichtbesteuerung führen. Es ist in diesem Zusammenhang übrigens sehr kritisch, dass kein verbindlicher Streitbeilegungsmechanismus vereinbart werden konnte. Es wird sehr genau zu beobachten sein, ob dies nicht zu gravierenden Nachteilen für die Unternehmen führen wird. Eine Stärkung internationaler, zum Beispiel bei der WTO angesiedelter Streitbeilegungsmechanismen wäre ein wichtiger Schritt gewesen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass es nicht nur einige kleine Staaten gibt, deren Geschäftsmodell schlicht Steuerdumping heißt, sondern auch einzelne OECD-Staaten – allen voran die USA mit dem Bundesstaat Delaware, aber auch England mit der bereits eingeführten Lizenzbox und einem aktuell angekündigten Niedrigsteuerregime – Steuerhinterziehungs- und Steuervermeidungsstrategien befördern. Zum anderen, und das ist ein genauso wichtiges Ziel, geht es darum, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen: Vertrauen, das verloren gegangen ist mit den Berichten über US-Konzerne, die mehr als 1,6 Billionen Dollar unversteuerter Gewinne in Steueroasen horten und damit keinen oder nur einen geringen Beitrag zur öffentlichen Daseinsvorsorge leisten in den Ländern, in denen sie mit dem Verkauf ihrer Produkte hohe Gewinne realisieren; Vertrauen, das verloren gegangen ist durch Berichte über die PanamaPapers und LuxLeaks, durch Berichte über Steuerbetrug in Milliardenhöhe durch Umsatzsteuerkartelle und Cum/Ex- und Cum/cum-Geschäfte; Vertrauen, das verloren gegangen ist durch die Berichte über die sogenannte Code-of-Conduct-Gruppe des Europäischen Rats, die ja als Gegenmaßnahme zur Steuergestaltung internationaler Unternehmen schon Ende des letzten Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde, aber bis heute keinerlei Gegenmaßnahmen zu den Steuergestaltungsstrategien dieser Unternehmen bewirkt hat. Es waren mutige Whistleblower, es waren einzelne Wissenschaftler, und es waren investigative Journalisten, welche die immensen Steuerhinterziehungs- und Steuervermeidungsstrategien einzelner Unternehmen für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht haben. Und deshalb muss die Strategie gegen diese schädlichen Steuerpraktiken unbedingt eine Transparenz für die Öffentlichkeit einschließen, denn andernfalls wird eine faire Besteuerung von multinationalen Unternehmen nicht zu erreichen sein. Wenn wir also über länderbezogene Berichterstattung multinationaler Konzerne reden, müssen wir beide Ebenen im Blick haben: zum einen die notwendige Transparenz für die Steuerbehörden mit dem Ziel, sowohl Doppelbesteuerung der Unternehmen zu vermeiden als auch die doppelte Nichtbesteuerung zu unterbinden, und zum anderen die Transparenz für die Öffentlichkeit, um Druck auf die Parlamente und Regierungen auszuüben, gegen Steuerhinterziehung und Steuergestaltung multinationaler Konzerne vorzugehen und damit Wettbewerbsnachteile für vorwiegend national agierende Unternehmen – das sind in der Regel Handwerksbetriebe sowie kleine und mittlere Unternehmen – endlich wirksam zu bekämpfen. Und da haben sowohl multinationale Unternehmen als auch der Gesetzgeber die Verantwortung, durch proaktives Vorgehen einen Beitrag zu leisten und nicht, wie aktuell leider festzustellen ist, als Blockierer und Bremser aufzutreten. Die Einlassungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Michael Meister, BMF, zu diesem Thema im Finanzausschuss in dieser Woche ließen deutlich erkennen, dass die Bundesregierung in keiner Weise die Verantwortung auch nur begriffen hat, die sie in diesem Zusammenhang hat. Ein Rückzug auf die Umsetzung des OECD-Prozesses ist keinesfalls ausreichend, um das geschilderte Problem anzugehen. Es geht eben nicht nur um die Frage der fairen Besteuerung, sondern auch um die gesellschaftliche Akzeptanz der Globalisierung. Angesichts des Brexit muss sich jeder in seiner Verantwortung fragen, wie er mit der Situation umgeht. Die Haltung, dass die Öffentlichkeit nicht fähig ist, mit Transparenz umzugehen, kann zu dramatischen Fehlentwicklungen führen, wie wir jetzt mit dem Referendum der Briten erfahren haben. Wir brauchen Transparenz über die wirtschaftlichen Aktivitäten von großen, multinationalen Konzernen für die Öffentlichkeit. Die Polemik gegen länderbezogene Offenlegungspflichten muss endlich aufhören. Denn die gegen länderbezogene Offenlegungspflichten vorgetragenen Argumente sind haltlos und können nur vorgebracht werden, weil mit Unkenntnis der Öffentlichkeit gerechnet werden kann. Beklagt wird zum Beispiel der zu hohe Bürokratieaufwand. Doch jedes international tätige Unternehmen erstellt bereits jetzt eine länderbezogene Berichterstattung, die im Einzelnen viel detaillierter ist als die jetzt geforderte – und das sage ich mit meiner jahrelangen Erfahrung im Management eines international tätigen Unternehmens. Haltlos ist auch die Kritik an der Offenlegung wertschöpfungsbasierter Daten, denn die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Daten entsprechen ja gerade nicht den kritischen, steuerrelevanten Informationen, die zwischen den Finanzbehörden ausgetauscht werden sollen. Im Gegenteil, diese Daten sind so allgemein, dass daraus keinesfalls wettbewerbsrelevante Informationen öffentlich werden. Ferner sind diese Daten bereits jetzt teilweise in den Jahresabschlüssen nach IFRS oder US-GAAP verfügbar, aber eben nicht in einer für die Öffentlichkeit transparenten, verständlichen und übersichtlichen Darstellung. Es ist an der Zeit, die Debatte endlich ehrlich und mit einem klaren Ziel zu führen: mehr Vertrauen durch mehr Transparenz schaffen. Daran müssen international tätige Unternehmen genauso ein Interesse haben wie die sie vertretenden Verbände und natürlich die einzelnen Nationalstaaten. Die Bundesregierung muss endlich begreifen: Es geht darum, die Situation als Chance zu begreifen und sich konstruktiv in den Prozess für mehr Transparenz einzubringen. Die Europäische Kommission hat das verstanden, das signalisieren ihre Vorschläge. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihre Blockadehaltung zum öffentlichen Country-by-Country Reporting endlich aufgibt. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass multinationale Unternehmen im Vergleich zu vorwiegend national tätigen Unternehmen die unterschiedlichen Steuersysteme der Staaten ausnutzen, um Einkünfte in den Staaten entstehen zu lassen, die besonders günstige Besteuerungskonditionen bieten. Die entstandenen Steuervermeidungsmöglichkeiten für bestimmte, vor allem multinationale Unternehmen, sind beträchtlich. Steuergerechtigkeit und die Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind jedoch unabdingbare Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen und einen handlungsfähigen Staat. Die Steuervermeidungsmöglichkeiten internationaler Unternehmen beeinträchtigen überdies die Wettbewerbsfähigkeit von nur lokal tätigen Unternehmen, die solche Steuergestaltungen nicht nutzen können. Es ist daher ein großer Erfolg unserer Politik, dass sich 44 Staaten – darunter am 27. Januar 2016 die Bundesrepublik Deutschland – völkerrechtlich zur Mehrseitigen Vereinbarung über einen gemeinsam mit der OECD und den G-20-Staaten entwickelten Standard zur Übermittlung länderbezogener Berichte, den sogenannten Country-by-Country Reports, verpflichtet haben, dass also 44 Staaten diesen Standard umsetzen und die Country-by-Country Reports austauschen werden. Durch den jährlichen Austausch länderbezogener Berichte erhalten die Steuerverwaltungen Informationen über die globale Aufteilung der Erträge und die entrichteten Steuern sowie über weitere Indikatoren der Wirtschaftstätigkeit der größten international tätigen Unternehmen. Dadurch können steuerrelevante Risiken besser abgeschätzt werden. Der grenzüberschreitende Steuerbetrug und die grenzüberschreitende Steuerhinterziehung haben die einzelnen Staaten in den zurückliegenden Jahren vor erhebliche und von den einzelnen Ländern nicht mehr allein zu bewältigende Herausforderungen gestellt. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Steuerbehörden ist daher unerlässlich, um die ordnungsgemäße Ermittlung der Steuerpflicht zu gewährleisten und damit internationale Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Dabei kommt insbesondere der Schaffung von Transparenz in Steuerangelegenheiten und dem automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden eine entscheidende Rolle zu. Das ist ein neues wichtiges Instrument im Bereich der internationalen Amtshilfe. Wir schaffen hierdurch mehr Transparenz und mehr Fairness für unsere globalisierte Welt im 21. Jahrhundert. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen des vorgesehenen Informationsaustauschs weiter dafür einsetzen, dass eine möglichst große Anzahl von Staaten an diesem Informationsaustausch teilnimmt. Nur so ist es möglich, weltweit einen einheitlichen internationalen Standard für einen fairen internationalen Steuerwettbewerb zu schaffen. Steuerhinterziehung und Steuervermeidung können letztlich nur auf globaler Ebene wirkungsvoll bekämpft werden. Durch das Vertragsgesetz soll dieses Abkommen die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erhalten. Nicht zuletzt unsere Bemühungen im Rahmen des G-20-Prozesses haben dazu geführt, dass es zu einer beschleunigten Umsetzung des bei der OECD entwickelten einheitlichen Standards für Besteuerungszwecke gekommen ist. Die Bundesregierung wird sich für eine rasche Entwicklung von wirksamen Einzelregelungen auf der Grundlage der Mehrseitigen Vereinbarung einsetzen. Hierzu zählen auch das noch von der Bundesregierung einzubringende Gesetz zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilfe-Richtlinie und weitere Maßnahmen gegen Gewinnverkürzung und -verlagerung. Ich möchte nicht verhehlen, dass der vorgegebene Zeitplan – wonach Daten für das Jahr 2016 schon ab Mitte 2018 ausgetauscht werden sollen – sowohl in rechtlicher als auch in technischer Hinsicht sehr ambitioniert ist. Das Bundesministerium der Finanzen arbeitet daher in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für Steuern mit Hochdruck an der rechtzeitigen technischen Implementierung des automatischen Austauschs länderbezogener Berichte. Wir sind jedoch davon überzeugt, die vorgegebenen Anforderungen zeitgerecht umzusetzen. Dies gilt auch für die Umsetzung durch die von dem vorliegenden Gesetz verpflichteten Unternehmen. An dieser Stelle möchte ich zwei wichtige inhaltliche Aspekte des Abkommens hervorheben: den Datenschutz und das Prinzip der Gegenseitigkeit des Informationsaustauschs. Der Schutz der im Rahmen des automatischen Austauschs von länderbezogenen Berichten zu übermittelnden Daten war von Beginn an ein wesentliches Anliegen der Bundesregierung. Sowohl bei den Beratungen auf OECD-Ebene als auch im Rahmen der Arbeiten zur Erstellung des vorliegenden Gesetzentwurfs wurde dafür Sorge getragen, dass die Sicherheit und der Schutz dieser personenbezogenen Daten gewährleistet werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die zusätzlich am 27. Januar 2016 abgegebenen umfangreichen Erklärungen zu Verwendungsbeschränkungen und Datenschutzbestimmungen gewährleistet, dass Informationen, die ein anderer Staat von der Bundesrepublik Deutschland erhält, dem gleichen datensicherheitsrechtlichen Schutz unterliegen wie die von anderen Staaten erhaltenen Informationen in der Bundesrepublik Deutschland. Zudem stellt die Erklärung klar, dass die von der Bundesrepublik Deutschland übersandten Daten nicht für Zwecke verwandt werden dürfen, die gegen den „Ordre public“ der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Die Verwendungsbeschränkungen und Datenschutzbestimmungen der Mehrseitigen Vereinbarung garantieren aus Sicht des Bundesministeriums der Finanzen darüber hinaus die Effizienz des Datenaustauschs als Instrument für mehr internationale Steuergerechtigkeit. Sie stellen die aus unserer Sicht notwendige Gegenseitigkeit beim Informationsaustausch sicher. Dieses Verständnis bedingt auch die bekannte kritische Haltung des Bundesministeriums der Finanzen gegenüber dem KOM-Vorschlag zur Änderung der Bilanzrichtlinie, die ich hier gern näher erläutern möchte: Durch eine Veröffentlichungspflicht von steuerlichen Informationen im Rahmen der Bilanzrichtlinie können aus Sicht der beteiligten Unternehmen Geschäftsgeheimnisse offenbart werden. Dies kann auch aus Sicht der Steuerverwaltung – jedenfalls in einzelnen Fällen – nicht ausgeschlossen werden. Für die betroffenen deutschen Unternehmen könnten im Verhältnis sowohl zu Unternehmen aus Drittstaaten als auch zu EU-Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile entstehen. Der Anreiz für Drittstaaten, im Verhältnis zu EU-Staaten an dem System des Informationsaustauschs nach dem Modell der G 20/OECD teilzunehmen, wäre extrem gering, wenn die gewünschten Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen zu beschaffen sind (einseitige „Transparenz“ nur für Unternehmen in der EU). Die Verwendungsbeschränkungen und Datenschutzbestimmungen der Mehrseitigen Vereinbarung gelten nicht für die Veröffentlichung im Rahmen der EU-Bilanzrichtlinie, das heißt, die öffentlich zugänglichen Informationen können unbeschränkt für alle erdenklichen Zwecke genutzt werden, zum Beispiel für Ergebniskorrekturen oder für die Anwendung von pauschalen Gewinnaufteilungsmethoden zulasten der Unternehmen und zulasten des deutschen Steueraufkommens. Die EU hat mit der Änderung der Amtshilferichtlinie vom 25. Mai 2016 den G 20/OECD-Ansatz übernommen und damit auch die zwischen den Staaten vereinbarte völkervertragsrechtliche Mehrseitige Vereinbarung in europäisches Recht übertragen. Sie hat sich damit faktisch und rechtlich zu dem G 20/OECD-Ansatz bekannt, der die Vertraulichkeit und die Verwendungsbeschränkungen enthält. Die EU-Staaten haben einstimmig mit der Änderung der Amtshilferichtlinie vom 25. Mai 2016 das G 20/OECD-Modell in europäisches Recht übertragen. Aus der Sicht eines Mitgliedstaats wie Deutschland, einem Unterzeichnerstaat der Mehrseitigen Vereinbarung, ist deshalb nach Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen die Zustimmung zu dem Vorschlag der EU zur Rechnungslegung, der keine Vertraulichkeit und keine Verwendungsbeschränkungen enthält, kaum mit der völkervertragsrechtlich eingegangenen Verpflichtung, das G 20/OECD-Modell umzusetzen, zu vereinbaren. Die geplante EU-Bilanzrichtlinie hätte nicht nur Auswirkungen innerhalb der EU, sondern würde auch den weltweiten Erfolg des mit der Mehrseitigen Vereinbarung verfolgten Zwecks hochgradig gefährden und kann zu einer erheblichen Schädigung des Wirtschaftsstandorts Deutschland mit gravierenden Steuermindereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden und zu dem Verlust von Arbeitsplätzen führen. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Vertragsgesetz, mit dem wir einen großen Schritt in der Bekämpfung von grenzüberschreitendem Steuerbetrug und grenzüberschreitender Steuerhinterziehung möglich machen. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen (Tagesordnungspunkt 19) Michael Donth (CDU/CSU): Als ich meinem 15jährigen Sohn Matthias sagte, dass ich heute zu einem Nachtzug-Antrag der Linken reden darf, sagte er: Schon wieder, das hast du doch schon mal! Warum denn das? – Er hatte recht – und ich konnte seine Frage eigentlich auch nicht beantworten. Und als ich ihm dann noch sagte, dass die Debatte um 21 Uhr stattfinden wird, während Deutschland gegen Frankreich im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft spielt, war er entsetzt und meinte: Die spinnen wohl. – Da habe ich ihm natürlich heftigst widersprochen. Aber, wie gesagt, warum wir heute erneut eine nächtliche Debatte zu den Nachtzügen führen müssen, ist für mich eigentlich nicht verständlich. Denn es hat sich seit der letzten Debatte zu diesem Thema vor knapp zwei Jahren nichts geändert, was Anlass zu einer erneuten Diskussion geben könnte. Nach Artikel 87e des Grundgesetzes hat der Bund insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Das ist mit dem angepassten Verkehrsangebot der Bahn gewährleistet. Bei 30 Millionen Euro Verlust der Bahn im Nachtzugsegment im vergangenen Jahr ist es eine logische Konsequenz, das Angebot anzupassen. Es gibt keinen Grund, in die Streckenentscheidungen der DB AG einzugreifen. Überdies ist es dem Bund als Eigentümer nach dem Aktiengesetz ja auch gar nicht erlaubt, in unternehmerische Entscheidungen unmittelbar und im Detail Einfluss zu nehmen. Von daher ist es auch nicht rechtens, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, in Ihrem Antrag die Bundesregierung auffordern, der Bahn ein neues Nachtzugkonzept aufzuzwingen. Und Sie gehen ja noch weiter. Sie wollen durch die Hintertür, über das Vehikel Nachtzug, die alte, staatlich subventionierte Deutsche Reichsbahn wieder einführen. Das steht so in Ihrem Antrag. Sie wollen eigenwirtschaftliche, also auf eigene Rechnung durchgeführte, Verkehre durch subventionierte Verkehre im Fernverkehr ersetzen. Und wenn wir schon dabei sind: Sie loben, dass es andere Unternehmen wohl schaffen, das Produkt Nachtzug erfolgreich zu verkaufen, wie die ÖBB mit der Linie Hamburg–Wien und Düsseldorf–Wien. Und eine halbe Seite später schreiben Sie selbst, dass Österreich alle Fernverkehrszüge staatlich subventioniert. Das zeigt das Dilemma: Nachtzüge fahren nur dann erfolgreich, wenn der Steuerzahler die Reisevorlieben der nostalgischen Nachtzugfans bezuschusst. Selbst die SNCF stellt ihre Nachtzüge ein, weil der Staat sie nicht mehr subventionieren will. Die Deutsche Bahn ist in dem Bereich durchaus offen und hat eine Weiterentwicklung des Angebots geprüft und verschiedene Nachtzugwagenkonzepte pilotiert. Zusätzlich wurden Kundenbefragungen durchgeführt. Dabei kam heraus, dass diese Konzepte bei den Kunden zwar gut ankommen, sie aber überhaupt nicht bereit wären, dafür den Preis zu bezahlen, den die Bahn verlangen müsste, um diese Investition zu bezahlen. Auch Nachtzugkunden sind preissensibel. Sie kennen ja die Preise für Hotels, Hochgeschwindigkeitszüge, Fernbusse, Mitfahrzentralen oder auch Billigflüge. Es ist verständlich, dass die Mehrzahl der Reisenden lieber auf diese Angebote zurückgreift als auf lange Nachtzugreisen. (Die ehemalige Nachtzugstrecke Frankfurt–Paris beispielsweise dauert heute mit dem ICE nur noch 3 ¾ Stunden.) Im Verkehrsausschuss hat die Bahn letzten Monat erklärt, dass sie in Zukunft statt der Nachtzüge mehr ICEs nachts einsetzen will, weil dieses schnelle Angebot gut angenommen wird. Sollte man Ihrer Argumentation folgen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, indem man die Verbindungen mit Zuschüssen am Leben erhält, kann man vielleicht ihren Tod hinauszögern oder verhindern. Man kann auf diese Weise aber keine Gesundung von Eisenbahnunternehmen einleiten. Um gesund zu sein, muss ein Unternehmen seine Kräfte sammeln, nicht zerstreuen. Und es muss vor allem Geld verdienen können, und darf es nicht zum Fenster hinauswerfen – auch nicht zum Nachtzugfenster. Daher ist es richtig, dass die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunternehmen mit neuen Produkten auf den Markt reagiert, und unrentable Produkte aufs Abstellgleis setzt. Denn nur ein gesundes Unternehmen kann langfristig gute Arbeitsplätze bieten und gute Angebote machen. Daher lehnen wir Ihren Antrag ab! Daniela Ludwig (CDU/CSU): Das Reiseverhalten der Deutschen hat sich über die letzten Jahre hinweg verändert. Immer mehr Reisende nutzen die günstigen Möglichkeiten, die von Billigfliegern und Mietwagen geboten werden, und legen die Reise zum Urlaubsziel nicht mehr im Auto oder im Zug zurück. Das einst durchaus reizvolle Angebot, sich gemütlich abends in den Zug zu setzen und am nächsten Morgen am Ziel zu sein, hat nach und nach an Attraktivität eingebüßt. In ihrem Antrag kritisiert nun die Fraktion Die Linke den Rückzug der Deutschen Bahn AG aus dem Nachtzugverkehr. Ähnliches haben Sie bereits in vorangegangen Anträgen getan, und der Verkehrsausschuss hat sich auch in einer Anhörung im vergangenen Jahr dem Thema eingehend gewidmet. Letztendlich wurden Ihre Anträge jedoch abgelehnt. Ich denke, wir sollten hier einmal grundsätzlich das Verhältnis von Bund und Bahn klären. Denn der Bund ist zwar Eigentümer der Deutschen Bahn, aber die Bahn ist als Wirtschaftsunternehmen in Form einer Aktiengesellschaft dem Aktiengesetz unterworfen. Das bedeutet, dass der Bund keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Deutschen Bahn im operativen Geschäft hat. Wir können als Bundestag nicht einfach gegen die geltenden gesetzlichen Vorgaben handeln, nur weil Ihnen eine unternehmerische Entscheidung der Deutschen Bahn nicht passt. Da können Sie noch so viele Anträge im Bundestag stellen, die Gesetze gelten auch weiterhin. Und das ist auch gut so. Denn auch das Angebot oder eben das Einstellen der Nachtzüge ist eine solche unternehmerische Entscheidung. Der Nachtzugverkehr ist seit Jahren defizitär, die Züge nicht gut genug gebucht. Die Kosten dagegen sind hoch. Sicherlich, eine Reise im Nachtzug kann reizvoll sein, und ich möchte gar nicht abstreiten, dass viele mit dem Nachtzug noch schöne Erinnerungen an vergangene Urlaube verbinden. Doch schöne Erinnerungen sind eben nicht alles – die Deutsche Bahn muss sich den veränderten Verkehrsbedürfnissen der Menschen stellen. Wie viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, haben denn in den letzten Jahre noch Nachtzüge genutzt, um aus dem Wahlkreis zur Sitzungswoche in Berlin zu kommen oder um einen gemeinsamen Urlaub mit der Familie zu verbringen? Wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen auch, muss die Deutsche Bahn sich in ihrer Ausrichtung und ihrem Angebot am Kundenverhalten und der Nachfrage orientieren. Wenn diese sich ändert, muss die Bahn reagieren. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass das Grundgesetz die Forderung enthält, dass der Bund auch im Bahnfernverkehr gemeinwirtschaftliche Angebote zu gewährleisten hat und sich nicht auf die Vorhaltung der Infrastruktur beschränken darf. Das heißt aber nicht, dass die Deutsche Bahn Nachtzüge einzusetzen hat, vor allem wenn diese nicht ausreichend nachgefragt werden. Darüber hinaus arbeitet die Deutsche Bahn an einem Konzept, um den bisherigen Nachtzugverkehr zu ersetzen. Bereits jetzt verkehren auf den deutschen Schienen zahlreiche Nacht-ICE, die ein Angebot auch in den Nachtstunden sicherstellen. Nach Informationen der DB soll dieses Grundangebot in den Sommermonaten außerdem durch zusätzliche ICE-Züge ergänzt werden. Die Deutsche Bahn wird insofern auch weiterhin Angebote schaffen, wo sie gefragt sind. Im Übrigen steht der Markt des Nachtzuggeschäftes ja auch für Mitbewerber offen. Wenn es denn so lukrativ ist, wie Sie hier darstellen, wird sich sicherlich ein Unternehmen finden, das in das Geschäft einsteigen wird. Insofern bin ich mir sicher, dass wir auch weiterhin genug Möglichkeiten haben, auf der Schiene von A nach B zu kommen, sei es am Tag oder in der Nacht. Diese Möglichkeiten bestehen aber auch ohne Ihren Antrag. Martin Burkert (SPD): Grundsätzlich möchte ich voranstellen, dass eine Befassung mit der Thematik der Nachtreisezüge im Bundestag sehr sinnvoll ist. Das geschieht aber bereits ausführlich. Als SPD-Bundestagsfraktion begleiten wir genau dieses Thema schon sehr lange und kontinuierlich, und auch im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur hatten wir das Thema mehrfach auf der Tagesordnung. Wir haben in der Großen Koalition bereits wichtige Schritte zur Stärkung des Schienensektors erreicht und werden uns auch weiterhin dafür einsetzen, die Schiene als nachhaltigen Verkehrsträger zu fördern. Das Thema „Nachtreisezug“ ist uns in diesem Zusammenhang ebenfalls ein wichtiges Anliegen. Die grundlegenden Rahmenbedingungen für den Nachtreiseverkehr als „rollendes Hotel auf Schienen“ haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Während zum Beispiel Flug- und Hotelkosten vergleichbar stark gesunken sind, konnte der Nachtzug mit hohen Betriebskosten, seinen Strukturen und der harten Fernreisebuskonkurrenz einfach nicht mitziehen. Im europäischen Vergleich haben sich entsprechend viele Bahnunternehmen vom klassischen Nachtzug verabschieden müssen. Zuletzt zu sehen auch in Frankreich. Das Nachtzuggeschäft macht in der Bilanz der Deutschen Bahn AG einen Umsatz von knapp 90 Millionen Euro pro Jahr aus – allerdings beträgt der Anteil der Nachtverkehre in der DB lediglich 1 Prozent des gesamten Fernverkehrs. Unterm Strich steht bei der Sparte ein jährliches Defizit von ungefähr 30 Millionen Euro – eine Summe, die den derzeit angeschlagenen Konzern leider weiter belastet. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass dieses Ergebnis einem wirtschaftlichen Betrieb der Nachtzugsparte derzeit und in der jetzigen Form entgegensteht. Wir erleben derzeit, dass sich viele Menschen mit großem Engagement für die Nachtzüge einsetzen. Ich selbst habe eine Petition mit fast 30 000 Unterschriften entgegengenommen. Die Deutsche Bahn arbeitet auch aus diesem Grund an einem tragfähigen Betriebskonzept, um Nachtreiseverkehre in Deutschland in verschiedensten Formen weiterhin zu ermöglichen, den eigenen Geschäftsbereich aber gleichzeitig wieder wirtschaftlich ausgestalten zu können. Wie bereits vielfach in der Presse zu lesen war, wird hierzu auch mit anderen Unternehmen verhandelt, um eigene Betriebsstärken mit Angeboten anderer Anbieter zu kombinieren, Kompetenzen zu bündeln und so einen guten Angebotsumfang zu realisieren. So steht im Raum, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, das die bisherigen Nachtzugverbindungen inklusive der gefahrenen Zugkilometer in Deutschland auch zukünftig abdecken wird. Anders als die DB AG kann die ÖBB, die bereits heute in Deutschland Nachtzüge fährt, 20 Prozent ihres gesamten Fernreisesegments mit Nachtzügen wirtschaftlich betreiben und deshalb die nötigen Kapazitäten vorhalten. Das hat mit der besonderen Unternehmensstruktur und den örtlichen Begebenheiten in Österreich zu tun. Die DB AG fährt bereits heute auch nachts mit normalen ICEs in Deutschland. Diese Nacht-ICEs sind sehr gut nachgefragt und können, unter Einbindung von Nachtreiseangeboten anderer Unternehmen, möglicherweise eine sinnvolle Angebotsergänzung darstellen. Den besonderen Qualitätsansprüchen der Kunden gilt es im Segment allerdings Rechnung zu tragen. Eines sage ich aber ganz deutlich: Ein Betriebskonzept auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf es natürlich nicht geben. Die Attraktivität und Angebotsbreite des Schienensektors an sich sind zudem weitere wichtige Säulen, die es grundsätzlich zu stärken gilt. Ich sage deshalb ganz klar, dass Kundenansprüche, Wirtschaftlichkeit und die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Einklang gebracht werden müssen. Ich bin aber zuversichtlich, dass man hier sinnvolle Lösungen finden kann. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie sich die Planungen und Verhandlungen der Deutschen Bahn AG hierzu gestalten. Mit diesem Antrag der Fraktion Die Linke allerdings schon jetzt voreilige Schlüsse zu ziehen, halten wir für falsch. Deshalb kann vonseiten meiner Fraktion diesem Antrag nicht zugestimmt werden. Sabine Leidig (DIE LINKE): Das Thema Nachtzüge ist wie üblich zu einer Zeit aufgesetzt, an dem in früheren Zeiten schon alle Nachtzüge im Land unterwegs waren – als es sie noch gab. Inzwischen ist das Netz auf ein paar wenige Züge zusammengeschrumpft, die die Deutsche Bahn AG lieber heute als morgen auch noch stilllegen würde. Spätestens im Dezember soll endgültig Schluss für die letzten Nacht- und Autozüge sein, so die Ankündigung der DB AG. Die Debattenzeit illustriert leider die Bedeutung, die das Thema für den Bundestag hat; wir als Opposition müssen es immer wieder hier einbringen, damit überhaupt eine Debatte stattfindet. Dabei sind die Nachtzüge die einzige Option für ein klimafreundliches Reisen auf weiten Strecken, auf denen sonst in der Regel geflogen wird. Normalerweise sagt man, dass die längere Reisezeit mit dem Zug ein Nachteil der Bahn sei. Mit dem Nachtzug wird genau dies aber zur Stärke der Bahn: Denn nur mit ihm kann man bequem schlafend reisen und am nächsten Morgen pünktlich zum Frühstück in einer anderen Stadt ankommen. Hunderttausende von Kundinnen und Kunden wissen dies weiterhin zu schätzen. Obwohl die DB AG in den letzten Jahren so gut wie nichts mehr in die Sparte investiert hat, sind die Züge noch immer gut gebucht. Trotzdem will die DB AG sie nicht mehr weiter betreiben, und mir ist immer noch nicht klar, warum eigentlich. Warum wirft man mit Gewalt Kundinnen und Kunden heraus, die doch offensichtlich Bahn fahren wollen, die nun aber gar kein brauchbares Angebot mehr vorfinden? Denn auf solchen Strecken am Tag zu reisen und mehrmals umsteigen zu müssen, das ist für den weit überwiegenden Teil der Fahrgäste keine Alternative, sondern sie setzen sich dann auch ins Flugzeug. Bis zum Januar 2015 sagte die DB AG immer: Die Nachtzüge werden nicht mehr nachgefragt, die Kundschaft läuft davon. – Bei der immer weiteren Verschlechterung des Angebots – man denke nur an die Streichung der Bordrestaurants, in denen man früher noch essen und ein Glas Wein trinken konnte, bevor man es sich im Schlafwagenabteil gemütlich gemacht hat – wäre das gar nicht einmal verwunderlich; es war aber schlichtweg falsch. In der Anhörung im Verkehrsausschuss am 14. Januar 2015 musste der damalige DB-Vorstand Homburg zugeben, dass die Züge nach wie vor gut gebucht sind. Im Klartext: Die DB AG hatte vorher gelogen, das muss man einmal ganz klar so benennen. Seitdem bleibt die zweite Argumentationslinie der DB AG: Die Züge seien unwirtschaftlich. Gestern titelte die Stuttgarter Zeitung: „Österreichische Bahn rettet deutsche Nachtzüge“. Tatsächlich wird schon länger gemunkelt, dass die ÖBB einige Nachtzugstrecken übernehmen wolle. Da drängt sich aber doch die Frage auf: Was können die Österreicher, was die Deutschen nicht können? Wie kann es sein, dass in Österreich der Nachtzuganteil ausgebaut wird und inzwischen bei knapp 20 Prozent liegt – während der DB AG nicht anderes einfällt als der Ausstieg? Und das, obwohl es in der Anhörung am 14. Januar 2015 sogar noch die Zusage gegeben hatte, dass ein neues tragfähiges Konzept für diese Sparte entwickelt würde. Und es war der jetzige österreichische Bundeskanzler, der noch bei der ÖBB-Bilanzpressekonferenz im März sagte: Diese Züge rechnen sich. – Warum schaffen es die ÖBB offensichtlich, Nachtzüge erfolgreich und wirtschaftlich zu betreiben? Wir sagen: Wenn die ÖBB einige Nachtzüge weiter betreiben, ist das natürlich besser als nichts. Vermutlich werden die ÖBB auch einiges mehr an Energie und Ideen in diese Sparte stecken als die DB AG in den letzten Jahren – die Ausschreibung neuer Wagen deutet schon in eine sehr gute Richtung. Aber die ÖBB werden wohl nicht das gesamte Netz übernehmen, und somit fehlen immer noch viele Verbindungen im Netz von Deutschland in die Nachbarländer. Und wir sollten die DB AG als Bundesunternehmen hier nicht aus der Verantwortung lassen: In einem zusammenwachsenden Europa brauchen wir aber diese Verbindungen. Europa wächst doch nicht nur in der Luft zusammen, sondern es sollte vor allem auch auf der Schiene zusammenwachsen! Für ein gesamteuropäisches Netz gibt es seit etwa einem Monat ein Konzept: Den „LunaLiner“. Da haben sich Bahnexperten unabhängig von der DB AG zusammengesetzt und überlegt, wie ein gesamteuropäisches Netz von Nachtzügen eigentlich aussehen müsste. Dieses System ist vertaktet geplant, sodass sich die Züge in bestimmten Bahnhöfen treffen und Wagen austauschen können. Damit könnte man sehr viele Direktverbindungen quer durch Europa im Schlaf anbieten. Das Konzept ist eine Grundlage für eine überfällige Debatte über die Zukunft der Nachtzüge. Das kann sicherlich nicht die DB AG alleine schaffen, aber dann benötigen wir einen europäischen Zusammenschluss der Bahnen, der ein solches Netz gemeinschaftlich betreibt. Das ist alles andere als Traumtänzerei: So etwas gab es schon. Die „Compagnie Internationale des Wagons-Lits“ hat früher ein großes Nachtzugnetz in ganz Europa betrieben – vor dem Zweiten Weltkrieg mit über 2 000 Wagen und Verbindungen durch ganz Europa bis nach Istanbul. Und wir wissen doch alle, dass es mit dem klimaschädlichen Flugverkehr so nicht weitergehen kann, wir brauchen so etwas also wieder, wenn wir auch in Zukunft in Europa mobil bleiben wollen! Vor einigen Wochen sagte DB-Chef Grube der FAZ auf die Nachfrage nach den Nachtzügen, wir sollten uns überraschen lassen, das Aus des Nachtzugs sei noch nicht besiegelt. Wir warten bis heute auf diese Überraschung. Aber die Zeit drängt extrem: Denn innerhalb der DB AG werden die Beschäftigen der Nachtzugsparte schon jetzt in andere Bereiche abgeworben. Schon jetzt gibt es einen massiven Personalmangel. Züge, die eigentlich mit vier Mitarbeitern besetzt sein müssten, fahren teilweise nur noch mit zwei Mitarbeitern. Die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen befinden sich im Dauerstress. Weil sie sich für ihre Züge einsetzen und noch an eine Zukunft glauben, versuchen sie, den Betrieb aufrechtzuerhalten, obwohl es eigentlich kaum noch geht. In der Nacht von letztem Samstag auf Sonntag gab es dann schon den ersten Ausfall: Für den vollbesetzten Autozug von Lörrach nach Hamburg war kein Zugführer greifbar. Der Lokführer weigerte sich zu Recht, den Zug regelwidrig ohne Zugführer zu fahren; die Folge: Der Zug stand drei Stunden in Karlsruhe, bis endlich ein Ersatzzugführer gefunden war. Da muss man sich schon fragen: Fährt die DB AG die Züge bewusst vor die Wand, um neuen Anbietern das Leben möglichst schwer zu machen? Legt sie alles darauf an, dass die Züge schon vor dem Sommer endgültig kaputt gemacht werden? Die Reden von neuen Konzepten sind doch dann nur Lippenbekenntnisse, wenn es bald schon keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr gibt, mit denen man so etwas überhaupt umsetzen könnte, und wenn die Kundschaft vergrault wird. Wir brauchen die Nachtzüge weiter; sie sind sinnvoll, und sie werden nachgefragt. Und wenn man es richtig macht, dann lassen sie sich auch wirtschaftlich betreiben, da habe ich keinen Zweifel. Daher fordere ich Sie alle auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir endlich eine Grundlage dafür haben, die DB AG in diesem Bereich zu ihrem grundgesetzlichen Auftrag zu zwingen: nämlich ein vernünftiges Verkehrsangebot auch auf Fernreisen in die Nachbarländer zu machen. Gerade findet parallel bekanntlich das EM-Spiel Frankreich – Deutschland statt. Die nächste EM in vier Jahren wird in 13 Städten Europas stattfinden. Bis dahin brauchen wir wieder ein funktionierendes europäisches Nachtzugnetz – nicht nur für Fußballfans, sondern auch für Familien, Geschäftsreisende und alle, die bequem reisen wollen. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir befinden uns in bahnpolitisch bewegten Zeiten. Heute stand schon das Eisenbahnregulierungsgesetz auf der Tagesordnung, das Thema Stuttgart 21 schlägt in diesen Tagen wieder Wellen, und auch die Nachtzüge als wichtiger Bestandteil einer klimafreundlichen Mobilität stehen bei der Deutschen Bahn aktuell zur Debatte. Nun haben wir einen Antrag der Linksfraktion zu den Nachtzügen auf dem Tisch – und ja, auch uns beschäftigt die Zukunft des Nachtzugverkehrs. Wenn man die aktuelle Berichterstattung über die Nachtzüge verfolgt, gibt es hier aktuell wenig Licht und viel Schatten. Die Entwicklung des Nachtzugsgeschäfts der Deutschen Bahn bereitet auch uns Grünen seit einigen Jahren einige Sorgenfalten. Schon im Dezember 2014 wurde das Nachtzugnetz der Deutschen Bahn deutlich geschrumpft. Man denke nur an die Abbestellung der CityNightLine-Züge zwischen Berlin und Paris, zwischen Hamburg und Amsterdam oder auch zwischen Prag, Dresden, Berlin und Kopenhagen. Doch jenseits der Entwicklung einzelner Nachtzuglinien sehen wir Grüne ein viel grundsätzlicheres Problem beim Schienenverkehr. Während sich die Bahnreform von 1994 im Schienenpersonennahverkehr in vielen Bereichen durchaus bewährt hat, sieht es im Fernverkehr und eben auch im Nachtreiseverkehr überhaupt nicht gut aus. Der Artikel 87 Absatz 4 Grundgesetz sagt hierzu klar und eindeutig: „Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Der verfassungsmäßige Auftrag des Bundes ist klar: Nicht nur beim Aus- und Neubau der Schienenwege hat der Bund eine Gemeinwohlverpflichtung, sondern eben auch bei den Mobilitätsangeboten im Fernverkehr. Nur fehlt seit mehr als 20 Jahren dieses in Artikel 87e erwähnte Bundesgesetz. Dieses fehlende Bundesgesetz ist auch die Ursache dafür, dass die Bahnreform beim Schienenfernverkehr noch immer kaum Früchte trägt. So stagniert die Nachfrage im Schienenpersonenfernverkehr in Deutschland seit über 20 Jahren bei etwa 400 Personenkilometern pro Kopf, während in der gleichen Zeit erfolgreiche Länder wie Schweden oder die Schweiz die Nachfrage im Fernverkehr bis zu 65 Prozent steigern konnten. In der Schweiz reden wir über 1 600 Personenkilometer pro Kopf im Jahr, also über die vierfache Verkehrsleistung. Auch in Schweden liegt die Verkehrsleistung mit 600 Personenkilometern pro Kopf und Jahr noch immer noch 50 Prozent über dem deutschen Wert im Fernverkehr. In Schweden wurde die Verkehrsleistung seit 1994 immerhin um 35 Prozent gesteigert, während Deutschland auf gleichbleibendem Niveau arbeitet. Das alles wirkt sich natürlich auch auf das Nachtzuggeschäft aus. Dort, wo schon das Fernzuggeschäft kaum Performance entwickelt, wird auch ein gutes Nachtzuggeschäft nur noch wenig ausrichten. Daher sind die im Antrag angesprochenen Punkte zwar durchaus wichtig, aber es ist nicht Aufgabe des Bundes, einzelne Nachtzuglinien zwischen bestimmten Städten einzurichten oder die Trassenentgelte im Nachtzugverkehr festzulegen. An dieser Stelle muss ich die Deutsche Bahn sogar einmal in Schutz nehmen: Die DB Netz AG sieht ja mit dem neuen marktsegmentorientierten Trassenpreissystem ganz klar ein eigenes Marktsegment für die Nachtzüge vor, bei dem diese zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens ein spürbar niedrigeres Trassenentgelt zahlen sollen als der Schienenfernverkehr tagsüber. Primär muss es Aufgabe der Politik sein, gute Rahmenbedingungen für den Schienenfernverkehr insgesamt und für den Nachtzugverkehr im Besonderen zu schaffen. Dafür muss man bei der Bahnreform von 1994 nachsteuern, gute Ansätze weiter vorantreiben und auch den Fernverkehr als Wettbewerbsmarkt entwickeln wollen. Wir brauchen praktisch eine Bahnreform 2.0. Für eine solche Bahnreform 2.0 spricht, dass wir die erfolgreichen Elemente der ersten Bahnreform nun auch konsequent für den vom Grundgesetz geforderten zweiten Schritt übernehmen und dort, wo jetzt schon Nachbesserungsbedarf da ist, gezielt nachsteuern. Wir erfinden nicht das Rad völlig neu, sondern schaffen für den Fern- und Nachtzugverkehr die Instrumente, die wir schon aus dem Nahverkehr kennen. Dazu gehört, dass wir endlich die unsinnige Marktabgrenzung zwischen Personennahverkehr und -fernverkehr in Deutschland aufheben und den sich gut bewährten Ansatz der Aufgabenträgerschaft auch für den Fernverkehr anwenden. Zugleich würden wir mit einem Fernverkehrssicherstellungsgesetz auch den Nachtzugverkehr in die Offensive bringen. Seien wir doch ehrlich, die derzeitigen Debatten um den Nachtzug sind viel zu defensiv, viel zu sehr von Rückzugsgefechten geprägt. Mit einem Fernverkehrssicherstellungsgesetz, wie es einige Länder vorantreiben, würde dagegen der Fernverkehr insgesamt und auch der Nachtzugverkehr im Besonderen wieder in die Offensive kommen. Uns Grünen ist wichtig, dass wir auch das Nachtzugangebot jenseits der Deutschen Bahn AG in den Blick nehmen. Da gibt es durchaus erfreuliche Entwicklungen zu verzeichnen. So wollen die Österreichischen Bundesbahnen große Teile des Nachtzugangebotes der Deutschen Bahn übernehmen und auch im Autoreisezugbereich aufsatteln. Unser Ziel sollte sein, im Fernverkehrsmarkt richtigen Open Access und damit wirklichen Wettbewerb auf der Schiene zu ermöglichen. Damit käme die Deutsche Bahn schneller in die Gänge, ein breiteres Angebot und besseren Service zu liefern. So kämen wir als Bund weg von der bis heute fehlenden Fernverkehrsstrategie in Deutschland hin zu einem Wettlauf um das beste Angebot und um die beste Servicequalität. Dann würde die Deutsche Bahn wieder mehr Nachtzugangebote auf die Schiene setzen. Lassen Sie uns daher die Debatte richtig führen, nicht im Klein-Klein um einzelne Nachtzuglinien, sondern um den im Grundgesetz verbrieften Gemeinwohlauftrag des Bundes im Fern- und Nachtzugverkehr und um die richtigen Rahmenbedingungen für wirklichen Wettbewerb auf der langen Strecke. Dafür ist uns der vorliegende Antrag zu kurz gesprungen, da er noch viele Fragen offen lässt. Lassen Sie uns den Fern- und Nachtzugverkehr strategisch neu aufstellen, mit Trassenpreisen auf Grenzkostenniveau über einen Deutschlandtakt bis hin zum Open Access für richtigen Wettbewerb auch bei Fern- und Nachtzugangeboten. Die heutige Debatte kann dazu ein guter Auftakt sein. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben (Tagesordnungspunkt 10) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Der heutige Tag steht im Zeichen des zweiten Halbfinalspiels der Europameisterschaft in Frankreich. Um 21.00 Uhr werden die Nationalmannschaften von Deutschland und Frankreich gegeneinander antreten. Tausende von Fans werden im Stadion ihr Team anfeuern. Ein Millionenpublikum wird vor dem heimischen Fernseher oder beim Public Viewing das Spiel verfolgen. Wir erwarten einen schönen Fußballabend mit einem positiven Ausgang für die favorisierte Mannschaft. Was hat das nun mit der heutigen Plenardebatte zu tun? Wir gehen mit größter Selbstverständlichkeit davon aus, dass jeder Spieler den größtmöglichen Einsatz für seine Mannschaft gibt. Der Sport vermittelt positive Werte wie Leistungsbereitschaft, Toleranz und Teamgeist. Der Sportwettbewerb lebt aber auch von klaren Regeln. Die Einhaltung dieser Regeln fassen wir allgemein als Fairness auf. Wir gehen heute Abend mit guten Gründen von einem fairen Spiel aus. Es gibt Regelverstöße, die schnell geahndet werden können. Ich denke an ein Foulspiel im Fußball, welches einen Freistoß zur Konsequenz hat. Es gibt aber Regelverstöße, die eine größere Tragweite haben und auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Ich spreche hier von der Manipulation von Sportwettbewerben durch Spieler und Trainer. Leider handelt es sich nicht um ein abstraktes Bedrohungsszenario. Der Wettskandal im Jahre 2005 mit manipulierten Spielen rund um den Schiedsrichter Robert Hoyzer erschütterte nicht nur die Fußballwelt. Das Vertrauen in die Leistung der Schiedsrichter und die Integrität des professionellen Fußballs wurde infrage gestellt. Es ist unzweifelhaft, dass Manipulationen von Sportwettbewerben und der Sportwettbetrug die Integrität des Sports erheblich beeinflussen. Die Integrität des Sports beruht in der Unverfälschtheit und Authentizität sportlicher Wettbewerbe. Der Imageschaden spiegelt sich schließlich in einer Verletzung von fremden Vermögen und Gewinnausfällen wider. Ehrliche Sportvereine und Veranstalter erleiden einen Rückgang von Eintritts- und Sponsorengeldern. Redliche Sponsoren werden zu Unrecht in den Zusammenhang von Spielmanipulationen gebracht. Anbietern von Sportwetten und Wettteilnehmern werden die Gewinne vorenthalten. Bei einem erheblichen sozialschädigenden Verhalten ist stets das Strafrecht auf den Plan gerufen. Als Ultima Ratio hat das Strafrecht schwere Verfehlungen zu ahnden. Die Manipulation von Sportwettbewerben und der Sportwettbetrug stellt eindeutig ein erhebliches strafrechtliches Unrecht dar. Bisher war eine Vielzahl von Fällen durch den Straftatbestand des Betruges bereits erfasst. In der richterlichen Praxis bestehen aber Nachweisprobleme für die konkreten Vermögenseinbußen. Die Spielmanipulation erfüllt derzeit keinen spezifischen Straftatbestand. Dennoch ergibt sich die Strafbarkeit aus einer Beihilfehandlung zum Betrug durch Sportwetten. In den Ausschusssitzungen wird über die derzeitigen Lücken in der Strafbarkeit, aber auch über die Lücken der Nachweisbarkeit von strafbarem Verhalten zu sprechen sein. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die geschützten Rechtsgüter gelegt werden. Ist tatsächlich die Integrität des Sports das schützenswerte Rechtsgut, oder lässt sich der strafrechtliche Schutz letztendlich doch auf das Vermögen zurückführen? Wir sollten auch über die konkrete Definition der Manipulation sprechen. Wo sind die Grenzen zu ziehen? Es stellt sich ebenfalls die Frage, ob die Manipulation auf den Berufssport begrenzt sein soll. Gehen wir mit diesen Fragen in die Ausschussberatung! Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Fast genau zwölf Jahre ist es her – am 21. August 2004 –, als ein Aufeinandertreffen zwischen dem damaligen Drittligisten SC Paderborn und dem Bundesligisten Hamburger SV im DFB-Pokal unrühmliche Geschichte schrieb: Es war der markanteste Fall des Wettskandals um den ehemaligen deutschen Fußballschiedsrichter Robert Hoyzer. Der HSV verlor nach einer 2:0-Führung noch mit 2:4, und Hoyzer hatte großen Anteil daran. Im Zuge des Bekanntwerdens des Skandals im Jahr 2005 gab Hoyzer zu, Spiele der 2. Fußball-Bundesliga, des DFB-Pokals und der Fußball-Regionalliga verschoben zu haben, dass die erwünschten Ergebnisse – auf die zuvor gewettet wurde – herauskamen. Berichten zufolge hatte Hoyzer zudem regelmäßig Kontakt zur kroatischen Mafia. Der Fußball-Wettskandal 2005 gilt bis heute als die größte Affäre im deutschen Fußball seit dem Bundesliga-Skandal in der Saison 1970/71. Wir diskutieren heute den vorliegenden Gesetzentwurf, der zwei neue Straftatbestände schafft, die beide Manipulationsabreden im Sport betreffen. Diese gesetzlichen Regelungen finden ihren Niederschlag im § 265c StGB als Sportwettbetrug, wenn sie einen Bezug zu Sportwetten haben, und in § 265d StGB, wenn sie keinen Bezug zu Sportwetten haben, aber dennoch berufssportliche Wettbewerbe betreffen. Damit setzt der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber das um, wozu im Mai 2013 die Sportminister der 5. UNESCO-Weltkonferenz in Berlin die Mitgliedstaaten aufgerufen haben: nämlich etwas gegen die Manipulation von Sportwetten zu tun. Zum anderen wird das umgesetzt, was der Europarat am 9. Juli 2014 den Vertragsstaaten vorgegeben hat, nämlich die Manipulation von Sportwetten unter Strafe zu stellen. Dieses Übereinkommen des Europarats hat Deutschland am 18. September 2014 unterschrieben. Drittens setzen wir um, was wir in unserer Koalitionsvereinbarung beschlossen haben, nämlich nicht nur gegen Doping, sondern auch gegen die Manipulation von sportlichen Wettbewerben und Sportwettbetrug vorzugehen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es vor allem der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu verdanken ist, dass nicht nur der Sportwettbetrug, sondern auch die Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben, die keinen Bezug zu Sportwetten haben, unter Strafe gestellt wird. Nachdem das Justizministerium anfänglich irrigerweise dafür keine Notwendigkeit gesehen hat, bin ich froh, dass ein solcher Straftatbestand jetzt doch Eingang in das Strafgesetzbuch finden wird. Ein Verweis auf die Möglichkeit verbandsinterner Sanktionsmöglichkeiten in solchen Fällen wäre nicht ausreichend gewesen, weil das Unwerturteil geringer als bei einer strafrechtlichen Verurteilung gewesen wäre. Zudem hätte es sich nicht an Dritte, sondern nur an Verbandsmitglieder gerichtet, und es wäre nicht ausreichend tauglich gewesen, weil es den Sportverbänden an ausreichenden Eingriffsbefugnissen und Aufklärungsmöglichkeiten gemangelt hätte. Die rechtspolitische Rechtfertigung solcher neuen Straftatbestände ergibt sich zunächst aus der unstrittig vorliegenden herausragenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Sports in Deutschland und der Welt. Der Sport vermittelt positive Werte wie Leistungsbereitschaft, Fairness, Toleranz und Teamgeist, schafft Vorbilder für junge Menschen und lehrt, mit Sieg und Niederlage umzugehen. Ebenso ist er ein enormer Faktor im Wirtschaftsleben, weil hohe Umsätze und hohe Gewinne erzielt sowie Arbeitsplätze und steuerliche Einnahmen des Staates dadurch generiert werden. Dies ist allerdings nur deshalb möglich, weil der Sport einen besonderen Reiz auf Menschen ausübt und weil das Ergebnis und der Verlauf von sportlichen Wettbewerben nicht voraussehbar sind. Dies macht gerade die besondere Attraktivität des Sports aus. Dies alles ist durch Sportwettbetrug und Manipulation von sportlichen Wettbewerben gefährdet. Dadurch wird die Integrität des Sports und das Vermögen anderer geschädigt. Die Glaubwürdigkeit und die Authentizität des sportlichen Wettbewerbs werden untergraben, und der Sport wird in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Relevanz gefährdet. Deshalb muss der Sport gerade mit den Mitteln des Strafrechts geschützt werden, weil zudem noch bedeutende Vermögensinteressen vieler gefährdet sind. Anbieter von Sportwetten, Wettteilnehmer, ehrliche Sportler, Sportvereine, Veranstalter und Sponsoren sind betroffen. Die bisher bestehenden Strafrechtsnormen greifen zu kurz: Das hat sich dadurch bewahrheitet, weil bisher eine strafrechtliche Verfolgung von Manipulationsabreden im Sport nur unzureichend möglich war. Insbesondere bestanden im Einzelfällen Anwendungs- oder Nachweisschwierigkeiten: beispielsweise die konkrete Feststellung der Wettsetzung oder der konkrete Vermögensschaden beim Wettbetrug. Außerdem wurde in diesen Fällen das kriminelle Verhalten der Sportler und der Unrechtsgehalt ihrer Tat nicht ausreichend strafrechtlich geahndet, weil sie nur als Beihelfer zum Betrug zu bestrafen waren. Bei der Fallvariante von Spielmanipulationen ohne Wettbezug war § 263 StGB bisher nicht anwendbar, und § 299 StGB war deshalb nicht einschlägig, weil ein Bezug von Waren oder Dienstleistungen nicht vorlag. Daher besteht gesetzgeberischer Regelungsbedarf. Dieser ergibt sich auch daraus, dass es sich bei diesen Manipulationsabreden im Sport nicht mehr um Einzelfälle handelt, sondern um ein immer stärker auftretendes Phänomen, wie sich aus Presseberichten, wissenschaftlichen Veröffentlichungen und empirischen Untersuchungen ergibt. Deshalb ist in Zukunft in diesen Fällen der Staatsanwalt berufen und die staatlichen Gerichte gefordert. Ebenso wichtig ist, dass gesetzliche Regelungen geschaffen werden, um bei dieser Kriminalitätsform den Strafverfolgungsbehörden die Befugnis zur Überwachung der Telekommunikation zu geben und verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen. Abschließend bin ich sehr zufrieden, dass wir in dieser Wahlperiode nach der Verabschiedung des Anti-Doping-Gesetzes im November 2015 nunmehr mit diesem Gesetzentwurf unsere Forderung aus der Koalitionsvereinbarung vom 27. November 2013 umgesetzt haben, nämlich weitergehende strafrechtliche Regelungen auch im Kampf gegen Spielmanipulationen zu schaffen. Damit setzen wir ein deutliches Signal für einen sauberen und fairen Sport und machen deutlich, dass Manipulation und Betrug im Sport keinen Platz haben. Detlev Pilger (SPD): Wir haben mit diesem Gesetz einen großen Schritt geschafft. Es ist ein sehr, sehr gutes Gesetz geworden, das Strafbarkeitslücken schließt und einem tatsächlichen Bedürfnis in der Strafverfolgung gerecht wird. Natürlich waren auch vor diesem Gesetz Verurteilungen im Bereich der Spielmanipulation möglich, aber es war schwer, diese nachzuweisen und sie unter die vorhandenen Gesetze des Strafgesetzbuches zu subsumieren. Das Phänomen des Sportwettbetruges ist vielleicht nicht neu im Sport, aber mit der zunehmenden Globalisierung und Digitalisierung hat es eine beunruhigende Zunahme erfahren. Nun haben wir ein Gesetz, das genau auf das zu missbilligende Verhalten abzielt und den speziellen Schwierigkeiten im Rahmen der Spielmanipulation angepasst ist. Sportwettbetrug und Manipulationen von Sportwettbewerben werden in Zukunft einfacher strafrechtlich zu verfolgen sein, weil konkrete Täterkreise und konkrete Verhaltensweisen unter dieses Gesetz gefasst werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Spielmanipulation kommen wir somit unserem erklärten Ziel für einen sauberen, fairen und ehrlichen Sport immer näher. Diese Erleichterung für die Strafverfolgungsbehörden ist natürlich ein wichtiger Schritt gewesen, aber wichtiger ist das Signal, das mit diesem Gesetz gesendet wird: Sportwettbetrug und Manipulationen von Sportwettbewerben widersprechen der Integrität des Sportes und führen zu einem Bild in der Öffentlichkeit, das dem organisierten Sport unwürdig ist. Dieses Gesetz ist eine logische Weiterführung unseres erklärten Zieles, einen sauberen Sport zu schaffen, der für Kinder und Jugendliche eine Vorbildfunktion einnehmen kann. Wir haben mit dem Anti-Doping-Gesetz bereits ein deutliches Zeichen gegen unfaire Praktiken im Sport gesetzt. Dieses Gesetz zur Spielmanipulation vervollständigt unsere Absichten. Wir haben in den vergangenen Jahren viel damit zu kämpfen gehabt, dass der Sport an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Wir haben mit Dopingskandalen weltweit zu kämpfen, mit undurchsichtigen Methoden bei der Vergabe von Großsportveranstaltungen, bei der Bekämpfung von Sportwettbetrügereien weltweit. Wir haben beobachten müssen, wie die Umwelt belastet und zerstört wurde, um den Bau von überdimensionierten Sportstätten zu gewährleisten. Wie Löhne von den Ärmsten der Armen nicht ausgezahlt wurden. Wir haben einen Skandal in unserem Land zur WM 2006 gehabt, der gerade erst aufgeklärt wird und erschreckende Praktiken aufgezeigt hat. Skrupellosigkeit und Gier scheinen bei Sportfunktionären nicht selten zu sein. Natürlich betrifft das nicht alle Beteiligten, aber genau deshalb müssen wir diejenigen, die für Fairness eintreten, besser schützen! Wir müssen dem Sport seine Glaubwürdigkeit zurückgeben. Das muss in erster Linie natürlich auch der organisierte Sport selbst machen, aber wir als Gesetzgeber sind in der Pflicht, einen Rahmen zu setzen, in dem sich engagierte und faire Sportlerinnen und Sportler und Sportbegeisterte derart bewegen können, dass sie sich sicher und geschützt fühlen. Aber wir haben nicht nur die Pflicht zur Sicherung eines fairen und sauberen Sportes, wir haben auch die Pflicht, das Potenzial von Sport in der Integrationsdebatte ernst zu nehmen und dieses für uns zu nutzen. Was Sport bei der Integration von Kindern ausmachen kann, habe ich lange selber am eigenen Leib erlebt. Ich war schon mein Leben lang im Fußballbereich aktiv. Ich habe mit Kindern und Jugendlichen aus der ganzen Welt gekickt und gelernt, dass es auf dem Platz keine Unterschiede gibt. Ich habe gesehen, wie der Fußball für Kinder aus sozial schwachen Familien meist als einzige Vorbildfunktion agiert hat und die Kinder dazu bekommen hat, Verantwortung zu übernehmen und Teamgeist zu entwickeln. Wenn diese Kinder und Jugendlichen sich anschauen, wie der Sport heute immer wieder den Stempel der Korruption und Manipulation aufgedrückt bekommt und diese Menschen nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden, dann muss es uns nicht wundern, wenn auch unsere Kinder und Jugendlichen ihr Vertrauen in den Sport verlieren. Wir dürfen dieses Risiko nicht eingehen, weil mit der Integrationsdebatte eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe vor uns liegt, die ohne den Sport nicht zu schaffen ist. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Nach dem Anti-Doping-Gesetz soll nun auch ein Gesetz gegen Wettbetrug und Manipulation im Sport vom Bundestag verabschiedet werden. Das ist auf den ersten Blick gut und sinnvoll, denn wer sollte etwas dagegen haben, dass Betrug bei Sportwetten sowie die Bestechung von Sportlern oder Schieds- und Kampfrichtern bestraft wird. Schaut man sich nun aber die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen genauer an, so stellen sich gleich mehrere Fragen. Ich kann hier nur einige nennen: Reichen die derzeit geltenden strafrechtlichen Regelungen wirklich nicht aus, um Schuldige zu belangen? Warum soll nur die Manipulation in berufssportlichen Wettbewerben strafbar sein? Was geschieht zum Beispiel, wenn beim Fußball Spiele im Amateurbereich gekauft werden, die am Ende aber über den Aufstieg in den professionellen Bereich entscheiden? In wie vielen und welchen Sportarten gibt es überhaupt echte Profis? Ist es nicht so, dass selbst die Spitzenathleten in vielen Sportarten nicht davon leben können und zusätzliche Unterstützung benötigen? Soll dort dann straffrei manipuliert werden dürfen? Will die Koalition also ein Gesetz, das nur für eine Minderheit der Sportdisziplinen überhaupt Anwendung findet, also für die Profibereiche beim Fußball, Handball, Volleyball, Eishockey, Tennis, Boxen und dem Radsport? Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes, die Integrität des Sportes mit allen verfügbaren Mitteln zu schützen, klingt natürlich gut, und dass die Politik hier hinsichtlich der Zukunft des Sports in der Verantwortung steht, ist auch für die Linke unstrittig. Der Deutsche Olympische Sportbund nahm auf Vorschlag seines Präsidiums in der Mitgliederversammlung am 7. Dezember 2013 eine Erklärung mit dem Titel „Die Integrität des sportlichen Wettbewerbs sichern – Doping und Wettbetrug konsequent bekämpfen“ an. Darin wird auf zunehmende Probleme der organisierten Kriminalität auf dem globalen Sportwetten-Markt verwiesen, denen der Sport national wie auch international konsequent entgegentreten muss. Und der DOSB kündigte an, was er diesbezüglich tun wolle. Inzwischen sind wir fast drei Jahre weiter, und die Situation in diesem Bereich hat sich nicht wirklich verbessert. In der Debatte um das Anti-Doping-Gesetz im vergangenen Jahr schlug ich vor, im Rahmen dieses Gesetzes auch Fragen des Wettbetrugs und der Manipulation von Sportwettbewerben mit zu regeln. Ich habe dabei die Schaffung eines neuen Straftatbestandes „Sportbetrug“ angeregt, der für ganz unterschiedliche Bereiche, aber eben auch für Sportwetten und Spielmanipulationen zur Anwendung kommen könnte, und eben nicht nur im Profibereich. Dies wurde von der Koalition leider abgelehnt. Jetzt präsentiert uns die Bundesregierung nun also einen eigenständigen Gesetzentwurf. Schon nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs gab es sehr kritische Stellungnahmen, zum Beispiel vom Deutschen Richterbund und vom Deutschen Anwaltsverein. Ich denke, man muss sich mit diesen Einwänden ernsthaft auseinandersetzen, zumal sich der nun vorliegende Gesetzentwurf wirklich nur marginal von seinen Vorläufern unterscheidet. In der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes vom Januar 2016 heißt es klipp und klar (Zitat): Der Deutsche Richterbund lehnt die Einführung eines Straftatbestandes des Sportwettbetruges und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe ab. Er fordert den Gesetzgeber auf, das Gesetzesvorhaben nicht weiter zu verfolgen … Die neuen Tatbestände der §§ 265c ff. StGB-E sollen die „Integrität des Sports“ und das Vermögen von Wettteilnehmern und Anbietern von Sportwetten schützen. Bei der „Integrität des Sports“ handelt es sich um kein Rechtsgut, welches strafrechtlichen Schutz beanspruchen könnte. Der Versuch des Gesetzgebers, die „Integrität des Sports“ über das Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport und über die hier neu zu schaffenden Straftatbestände erst als Rechtsgut zu erschaffen, um Verletzungen dieses Rechtsguts dann strafrechtlich schützen zu können, ist abzulehnen. Die Integrität des Sports, dessen Werte und gesellschaftliche Funktion muss sich der Sport selbst erarbeiten. Sie kann nicht durch den Gesetzgeber als existent postuliert und durch Strafverfolgung gesichert werden. Und weiter heiß es beim Richterbund: Mit der geplanten Strafbarkeit von Wettbetrug und Manipulation von Veranstaltungen des „organisierten Sports“ bzw. von „hochklassigen Veranstaltungen“ sollen Tatbestände für sportliche Ereignisse geschaffen werden, welche‚ infolge der Professionalisierung, Medialisierung und Kommerzialisierung … zu einem herausragenden wirtschaftlichen Faktor“ geworden sind. Dieser Wertung sportlicher Großereignisse als Wirtschaftsfaktor ist zuzustimmen. Daher sind auf diese Veranstaltungen uneingeschränkt die Regeln wirtschaftlichen Handelns, einschließlich des Verbotes von Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB, anzuwenden. Darüber hinausgehende Sonderstraftatbestände sind nicht erforderlich.“ – So das Fazit des Richterbundes. Ähnlich lautet die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, der den Referentenentwurf ebenso deutlich ablehnt. Diskussionsbedarf sehe ich auch bei der mit diesem Gesetz verbundenen Ausweitung verdeckter Ermittlungsmaßnahmen wie der Telefonüberwachung. Ein weiteres Problem sind fehlende Definitionen zentraler Begriffe. Sport wird, wie bereits im Anti-Doping-Gesetz, nicht definiert. Was ein berufssportlicher Wettbewerb ist, bleibt weitgehend offen, ebenso, was strafrechtlich als wettkampfwidrig anzusehen ist. Dr. Peter Schneiderhan, Oberstaatsanwalt in Stuttgart und Mitglied im Präsidium des Deutschen Richterbundes, betont in seinem Beitrag: „Die ‚Integrität des Sports‘ als ein Schutzgut ist eine Forderung an den Sport, welche dieser selbst einlösen muss. Sie kann nicht vom Gesetzgeber mit der Feststellung, der Sport sei Träger von positiven Werten, wie Leistungsbereitschaft, Fairness, Toleranz und Teamgeist postuliert werden. So sehr die Einhaltung dieser Werte zu fordern ist, sind sie in dieser Unverbindlichkeit keine Rechtsgüter, die strafrechtlich geschützt werden könnten. Es ist offen, welchen Sport der Gesetzgeber schützen will. Daher ist das Gesetz überflüssig.“ Für Transparency International Deutschland e. V. war bei der Beurteilung entscheidend, ob die geplanten Regelungen geeignet erscheinen, Sportwettbetrug und Manipulationen von Sportwettbewerben effektiv einzudämmen. Die Organisation kommt zu folgenden Schluss: „Das in der Überschrift formulierte Ziel der ‚Strafbarkeit von Sportwettbetrug‘ wird so jedenfalls nicht oder zumindest nicht vollständig erreicht. Hierfür ist der Referentenentwurf zu eng gefasst und nur auf den Vermögensschutz konzentriert.“ Viel wichtiger wäre es aus der Sicht von Transparancy, endlich die überfällige angemessene und rechtssichere Regulierung des Sportwettmarktes anzugehen, die bekanntlich jedoch nicht in der Zuständigkeit des Bundes liegt. Berechtigt sind aus Sicht der Linken auch die Einwendungen des Nationalen Normenkontrollrates, der eine Evaluierungsfrist im Gesetz einfordert. Mein Resümee: Nicht alles, was in bester Absicht vorgelegt wird und auf dem ersten Blick gut aussieht, ist letztlich wirklich geeignet. Der Diskussionsbedarf zu diesem Gesetzentwurf, auch mit den Vertretern des Sports und den Juristen, ist offensichtlich. Die Linke wird sich hierbei gern einbringen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute Abend spielen Frankreich und Deutschland gegeneinander im Halbfinale der Fußballeuropameisterschaft. Und wenn ich mir das Spiel ansehe, dann könnte ich da ganz unterschiedliche Dinge sehen: Ich könnte zweiundzwanzig Sportler auf einem Feld sehen, die in zwei Teams gegeneinander antreten, um auszuspielen, welches das bessere ist. Ich könnte 67 000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Marseiller Stadion sehen, die die Teams begeistert anfeuern, und einen Schiedsrichter mit seinen Assistenten, die das Spiel leiten und darauf achten, dass alle Regeln eingehalten werden. Ich könnte da auch eine Hochglanz-Veranstaltung der UEFA sehen, eines Verbands, dessen Funktionäre in fragwürdige Deals verwickelt sind und die mit der EM Milliarden verdienen. Ich könnte auch ein Land sehen, in dem wegen der EM höchste Sicherheitsvorkehrungen gelten, die die Bürgerrechte der Einwohnerinnen und Einwohner massiv einschränken. Ich könnte mich fragen, wie viele der Spieler mit verbotenen Mitteln oder Methoden nachhelfen, um ihre Leistung zu verbessern. Und schließlich: Ist das Spiel überhaupt fair? Manipuliert ein Spieler, ein Trainer, ein Schiedsrichter, um sich selbst und andere daran zu bereichern? Bereicherung – Das ist es, worum es im Sport immer mehr geht, egal ob durch Korruption, Doping oder eben Wettbetrug. Geld und Gier machen den sauberen Sport kaputt. Verbände sind oft ratlos. Manche Verbandsspitzen mischen teilweise und möglicherweise – man weiß es nicht – in verschiedenen dunklen Machenschaften mit, und der Gesetzgeber soll und will es nun offenbar nun regeln. Und so legen Sie, liebe Bundesregierung, uns diesen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches, zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben vor. Bei genauer Betrachtung muss ich aber eines konstatieren: Sie haben nicht ganz verstanden, wo das Problem liegt, wie es bekämpft werden kann, und hoffen, dass niemand merkt, dass Sie mit dieser Aktion nur Scheinlösungen präsentieren und am Ziel völlig vorbei schießen. Zum einen – das wissen Sie selbst – ist Sportwettbetrug bereits heute schon strafbar. Unter anderem § 263 zu Betrug und § 299 zur Bestechlichkeit und Bestechung im Strafgesetzbuch erlauben heute schon die Strafverfolgung bei Sportwettbetrug und Spielmanipulation. Die Gesetzeslücke, von der Sie sprechen, gibt es in der Weise gar nicht. Ihr Entwurf führt zu nichts anderem als unnötiger Beschäftigungstherapie für Ermittlerinnen, Ermittler und Justiz. Aber nicht nur das: Der Gesetzentwurf strotzt nur so von Unklarheiten und unscharfen oder gar nicht definierten Begriffen, Normen und Tatbeständen, die vermutlich auch kaum zu beweisen sind. Muss nun beim nächsten Foul der Staatsanwalt ermitteln? Aus Ihrem Gesetz geht es nicht hervor. Und was sind für Sie denn „Einnahmen von erheblichem Umfang“? Einerseits wollen Sie mit diesem Gesetz angeblich alle möglichen Verstöße und Personengruppen umfassen, andererseits gibt es doch wieder seltsame Ausnahmen und riesige Lücken. Ich könnte hier auf zahlreiche Details eingehen, aber dafür reicht leider meine Redezeit nicht. Deshalb will ich nur ein Beispiel nennen: Eine Verabredung zum Unentschieden bei einem Wettkampf bliebe gemäß diesem Entwurf straffrei, weil das ja nicht zugunsten des Wettbewerbsgegners wäre. Das ist schlicht absurd. Weiterhin fußt das Gesetz teilweise auf falschen Annahmen. So setzen Sie zum Beispiel voraus, dass Sportlerinnen und Sportler bei jedem Wettbewerb stets alle Kräfte dafür aufbringen wollen, um zu gewinnen. Dabei kann es durchaus sein, dass eine Sportlerin in einem Vorrundenspiel ihre Kräfte für die nächste Runde schont, wenn sie bereits qualifiziert ist. So tat es auch unser Jogi Löw strategisch bei der WM 2014 in Brasilien oder der laufenden EM in Frankreich. Wir sagen: Dieser Entwurf ist nicht praxistauglich! Und ob all das daran liegt, dass Sie all die Mängel übersehen haben, oder daran, dass Sie das Gesetz – so wirkt es zumindest – mal eben so „dahingerotzt“ haben, sei dahingestellt. In jedem Fall macht es Ihr Anliegen, die Integrität des Sports zu schützen, fragwürdig. Mit unserer Kritik sind wir im Übrigen in guter Gesellschaft, denn sämtliche Rechtsexpertinnen und -experten teilen unsere Auffassung. Der Richterbund, die Anwaltskammer und viele andere kritisieren und lehnen Ihren Gesetzesentwurf zu Recht ab. Daher appelliere ich erneut an Ihre Vernunft. Wenn Sie das Gesetz einfach nicht verabschieden, richten Sie den geringsten Schaden an. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: In Frankreich findet die Fußball-EM statt, und wir spüren in diesen Tagen wieder, welch enorme Bedeutung der Sport in unserer Gesellschaft hat: Am Samstagabend saßen allein in Deutschland mehr als 30 Millionen Menschen vor dem Fernseher und haben den Sieg der deutschen Mannschaft gesehen. Auch wirtschaftlich ist der Sport ein bedeutender Faktor, dies zeigen aktuelle Zahlen aus der Welt des Fußballs. Für die Übertragungsrechte ihrer Spiele kassiert die Bundesliga im kommenden Jahr eine neue Rekordsumme: 4,6 Milliarden Euro. Aber das Leben lehrt uns: Wo Ruhm und Reichtum winken, sind Betrug und Bestechung niemals weit. Das gilt auch für den Sport. Im vergangenen Jahr haben wir deshalb das Anti-Doping-Gesetz beschlossen. Wir haben damit vor allem die Leistungssteigerung mit pharmazeutischen Mitteln unter Strafe gestellt. Wenn wir jetzt gegen Wettbetrug und die Spielmanipulation vorgehen, dann bekämpfen wir das negative Doping mit Geld, die Leistungsminderung durch Bestechung. Doping und Bestechung haben den gleichen Unrechtsgehalt: Sie manipulieren den Wettkampf, sie betrügen Zuschauer und Mitspieler, sie richten wirtschaftlichen Schaden an, aber vor allem untergraben sie die Werte, für die der Sport trotz der Kommerzialisierung nach wie vor steht: die Leistungsbereitschaft, den Teamgeist und die Fairness. Das Anti-Doping-Gesetz war der erste Schritt; mit der Strafbarkeit von Sportwettbetrug und Spielmanipulation gehen wir jetzt den zweiten. Unser Ziel bleibt unverändert: Wir wollen einen sauberen Sport, und zwar ohne Betrug und ohne Bestechung! In den 70er-Jahren wurde die Fußball-Bundesliga von einem großen Bestechungsskandal erschüttert: Über 50 Spieler, Trainer und Funktionäre bestachen oder wurden damals bestochen, 8 Spiele wurden verschoben. Der Klassenerhalt und der Abstieg in die 2. Liga waren manipuliert. Trotzdem konnte damals keiner der Betrüger von der Justiz zur Verantwortung gezogen werden. Ihr Verhalten war weder als „Betrug“ noch als „Bestechung im geschäftlichen Verkehr“ strafbar – und so ist das heute. Ich meine: Diese Straflosigkeit wird der Bedeutung des Sports und den finanziellen Schäden, die angerichtet werden, nicht gerecht. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Justiz zwar Ladendiebe und Schwarzfahrer verfolgt, aber machtlos ist, wenn es um Millionenbetrug geht. Das ist nicht gerecht, das muss das Rechtsbewusstsein der ehrlichen Menschen schwer erschüttern, und deshalb ist es an der Zeit, diesen Zustand endlich zu ändern! Änderungen brauchen wir auch, wenn es um Sportwetten geht. Auch hier ist der Fußball leidgeprüft. Vor einigen Jahren wurde ein Berliner Schiedsrichter bestochen; wir haben damals gesehen, wie das Wettgeschäft zu einem Berührungspunkt von Sport und organisierter Kriminalität wurde. Seither ist der Wettmarkt weiter gewachsen. Im letzten Jahr lagen die Umsätze der Sportwetten allein in Deutschland bei 4,8 Milliarden Euro. Die Anreize zur Manipulation sind dadurch noch größer geworden. In Zukunft steht die Korruption im Profisport unter Strafe. Sportler und Trainer, Manager und Sportdirektoren, Schieds-, Kampf- und Wertungsrichter – sie alle machen sich künftig strafbar, wenn sie sich bestechen lassen, um die Ergebnisse eines Wettkampfes zu manipulieren. Bei der Wettkampf-Manipulation beschränken wir uns auf den Profisport, beim Wettbetrug reicht das aber nicht aus – man kann auch auf die Spiele der Amateure in den unteren Ligen viel Geld setzen. Wir schützen deshalb künftig alle Wettbewerbe des organisierten Sports vor Betrügereien im Zusammenhang mit Sportwetten. Gerade beim Wettbetrug haben wir es oft mit organisierter Kriminalität zu tun. Wir formulieren deshalb nicht nur einen neuen Straftatbestand. Wir geben Justiz und Polizei auch die nötigen Ermittlungsinstrumente, damit sie an die Hintermänner herankommen: Wenn Wettbetrug erwerbs- oder bandenmäßig begangen wird, wenn also ein besonders schwerer Fall vorliegt, dann – und nur dann – dürfen die Ermittler künftig auch die Telekommunikation überwachen. Wir senden mit den neuen Straftatbeständen eine ganz klare Botschaft aus: Wer bei Sportwetten betrügt, wer bei Wettkämpfen manipuliert, wer besticht oder sich bestechen lässt, der handelt kriminell! Wir wollen einen sauberen Sport! Und wir lassen nicht zu, dass Betrüger den Sport kaputt machen! Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W. Birkwald, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (Tagesordnungspunkt 21) Matthäus Strebl (CDU/CSU): „Wir sind uns der historischen Verantwortung für die Überlebenden des Holocaust, die in der NS-Zeit unsägliches Leid erlebt haben, bewusst.“ Diesen Satz haben wir im Koalitionsvertrag manifestiert, und das halte ich für richtig. Die Bundesrepublik Deutschland steht zu der Verantwortung für die Opfer der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. Bereits 2002 wurde das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, kurz gesagt das Ghettorentengesetz, vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Es war ein wichtiges Zeichen an die Menschen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet haben. Sie haben gearbeitet, um der Deportation und dem Tod zu entgehen. Dabei geht es in erster Linie nicht um finanzielle Leistungen, vielmehr um ein Zeichen der Anerkennung für die geleistete Arbeit in lebensunwürdigen und grausamen Zeiten. Ich halte es für richtig, zu sagen, dass es sich um ein Gesetz mit erheblicher Symbolkraft handelt. Im letzten Jahr hat die Bundesrepublik Deutschland mit Polen ein Abkommen zu Beschäftigten in polnischen Ghettos geschlossen. Das Abkommen ermöglicht die Zahlung einer deutschen Rente aufgrund von Beschäftigungen in einem Ghetto auch an Personen, die in der Republik Polen leben. Hier war eine Einigung zwingend eilbedürftig, denn die Rentenempfänger sind inzwischen hochbetagt. Lassen Sie mich noch einige Sätze zum deutschen Rentenrecht sagen: Deutsche Rentenansprüche für ehemalige Beschäftigte in einem Ghetto sind an Bedingungen geknüpft: Die Betroffenen müssen Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne des deutschen Bundesentschädigungsgesetzes sein, sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das sich in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereiches befand, und eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt haben. Eine weitere Voraussetzung für einen deutschen Rentenanspruch ist außerdem, dass die Wartezeit (Mindestversicherungszeit) erfüllt ist. Diese Zeit beträgt fünf Jahre. Diese fünf Jahre können entweder aus Beitragszeiten oder Ersatzzeiten bestehen. Beitragszeiten sind die Monate, für die Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt sind bzw. als gezahlt gelten. Wurde also eine Beschäftigung in einem Ghetto während der NS-Zeit ausgeübt, gelten die Beiträge für diese Zeit als gezahlt und werden als Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto anerkannt. Ersatzzeiten sind Zeiten ohne Beitragsleistung, weil der Versicherte daran gehindert war, Beiträge zu zahlen. Dies gilt besonders für Menschen, die politische Haft in der DDR, in Kriegsgefangenschaft oder NS-Verfolgung erleiden mussten. Auch müssen die Bezieher der Renten, unabhängig ob sie durch Beitragszeiten oder Ersatzzeiten einen Anspruch haben, zum damaligen Zeitpunkt mindestens 14 Jahre alt gewesen sein. Dies ist nachvollziehbar, da Kinder vor dem 14. Lebensjahr grundsätzlich keiner rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Würde man hier für die arbeitenden Kinder in den Ghettos eine Ausnahmeregelung im Ghettorentengesetz schaffen, würde dies zu einer Ungleichbehandlung gegenüber anderen Verfolgten führen. Dies halte ich unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit auch für schwierig. Für die jeweiligen Betroffenen besteht jedoch die Möglichkeit der Anerkennungsleistung und die Zahlung von freiwilligen Beiträgen. Auf diese Optionen hat die Bundesregierung die Opferverbände verwiesen. Dies ergibt sich auch aus der Antwort einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke zu diesem Thema vom Anfang dieses Jahres. Zwar sind die Rentenansprüche nach dem Ghettorentengesetz besonderen Umständen geschuldet, aber es sollte keine besondere Rentenform mit dem Gesetz geschaffen werden. Dies entsprach nicht der Intention des Gesetzgebers. Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) aus dem Jahre 2002 hat der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass die in einem Ghetto ausgeübte Tätigkeit rentenrechtlich als Beitragszeit berücksichtigt werden kann. Dieses Gesetz war und ist ein wichtiger Beitrag, um den Menschen, die die Nazi-Machthaber in Ghettos zwangen und ihrem Kampf ums Überleben gerecht werden zu können. Durch eine Gesetzesänderung im Juli 2014 hat der Deutsche Bundestag dann nach langen Verhandlungen auch eine rückwirkende Auszahlung von Ghettorenten ab 1997 ermöglicht und hat diese Gesetzesänderung ohne Gegenstimmen beschlossen. Darin ist vorgesehen, dass für die bisherigen Ghettorenten keine vierjährige Rückwirkungsfrist gilt und sie bereits mit dem Stichtag 1997 neu berechnet werden. Die Betroffenen erhalten ein Wahlrecht zwischen einem früheren Rentenbeginn, verbunden mit einer Rentennachzahlung und einer abgesenkten Monatsrente, und einer höheren bisherigen Rente ohne weitere Nachzahlung. Dieses Wahlrecht wurde eingeführt, da viele derzeitige Renten durch Zuschläge für die spätere Auszahlung erhöht werden, sodass die Bezieher gegebenenfalls ohne Neuberechnung bessergestellt sind. Mit der Neufeststellung kann nun jeder prüfen, ob für ihn die niedrigere Rente ohne Zuschläge ab 1997 und entsprechende Nachzahlungen für die verlorenen Zeiten günstiger sind oder eine monatlich höhere Rente ab dem späteren Zeitpunkt. Nach derzeitigem Stand ist die Umsetzung des ZRBG-Änderungsgesetzes bei den Rentenversicherungsträgern nahezu abgeschlossen. Insgesamt wurden 32 600 Fälle überprüft. In 23 300 Fällen wurde im Ergebnis dieser Prüfung die Rente rückwirkend zu einem früheren Rentenbeginn berechnet und eine Nachzahlung ausbezahlt. In 4 800 Fällen wurde eine Neufeststellung nicht gewünscht oder beantragt. In 3 600 Fällen besteht kein Anspruch nach dem ZRBG-Änderungsgesetz, bzw. es gibt keine Nachzahlung, weil zum Beispiel das 65. Lebensjahr erst nach 1997 vollendet wurde. Und etwa 900 Fälle sind noch offen. Des Weiteren haben wir mit dem am 1. Juni 2015 in Kraft getretenen Abkommen zwischen Deutschland und Polen ermöglicht, dass Ghettorenten auch an Personen ausbezahlt werden, die in der Republik Polen leben. Bisher war dies in den Abkommen zwischen Deutschland und Polen nicht vorgesehen. Ab 2015 können also auch in Polen lebende ehemalige Ghettobeschäftigte deutsche Rentenleistungen für die Arbeit erhalten, die sie in einem Ghetto geleistet haben. Die Erweiterung der Auszahlung der Ghettorenten auch nach Polen wurde im Eilverfahren im Deutschen Bundestag beschlossen. Nun fordert Die Linke noch weitere Änderungen an dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. So soll die 60monatige Wartezeit, die Voraussetzung für eine Rentenleistung der gesetzlichen Rentenversicherung ist, bei allen Personen, die in einem Ghetto beschäftigt waren, fingiert werden, sofern sie nicht bereits durch andere Zeiten erreicht werden konnte. Insbesondere davon betroffen seien Kinder – vor allem Sinti und Roma –, die zwar in einem Ghetto Arbeit geleistet hätten, aber dann mangels weiterer anrechenbarer Zeiten nicht auf die Mindestwartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung kommen. Bereits im Januar dieses Jahres hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt. Es kommt zu dem Schluss, dass das Ziel des ZRBG, nämlich die während einer Beschäftigung in einem Ghetto entstandene Beitragszeit für einen Rentenanspruch wirksam werden zu lassen, insbesondere auch in Bezug auf die Zahlung der Rente ins Ausland, erreicht worden sei. Zu keiner Zeit sei es vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, mit dem ZRBG eine Rente „eigener Art“ zu schaffen, für die eine Mindestanzahl an Beiträgen nicht erforderlich ist. Das ZRBG ist zu verstehen als eine Ergänzung der allgemeinen Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf den gezahlten Beiträgen basiert und daher grundsätzlich an eine versicherungspflichtige Beschäftigung anknüpft. Das gelte auch für die in diesem System enthaltenen Elemente der Wiedergutmachung, wie die Anerkennung von Beitragszeiten unter erleichterten Bedingungen (Ghettobeitragszeiten) oder den Ersatz von Beitragsverlusten aufgrund bestimmter außergewöhnlicher Ereignisse wie NS-Verfolgung, Vertreibung oder politische Haft in der DDR durch Ersatzzeiten. Diese Funktion des ZRBG wurde auch mehrfach von der Rechtsprechung, unter anderem vom Bundessozialgericht im Jahre 2009, so bestätigt. Für die meisten Berechtigten nach dem ZRBG sind zudem neben den in Deutschland anerkannten Beitrags- und Ersatzzeiten auch die nach über- und zwischenstaatlichen Abkommen im Ausland zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen, sodass es in der Regel zu einer Auszahlung der Renten kommt. Zudem besteht die Möglichkeit, durch individuelle Nachzahlungen die 60monatige Wartefrist zu erreichen. Aufgrund der Nachzahlungsansprüche muss der Betroffene hierzu in der Regel keinerlei eigene Zahlungen leisten. Denn im Zuge der Zahlbarmachung erfolgt in der Praxis direkt eine Verrechnung durch die Rentenversicherung zwischen den zusätzlich aufzustockenden Beiträgen und den rückwirkenden Rentenzahlungen für die 60 Monate. Um die Renten zahlbar zu machen, ist eine Wartezeitfiktion also überhaupt nicht notwendig, Auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, das Die Linke in ihrem Antrag heranzieht, kommt zu dem Schluss, dass – und da muss man die Ausarbeitung bis zum Ende gelesen haben – „die weitere Privilegierung von Berechtigten nach dem ZRBG durch die Einführung einer Regelung zur Wartezeitfiktion wohl eher nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Allerdings ist mit der weit über einen Nachteilsausgleich hinausgehenden Zahlung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto bereits an die Grenze dessen gegangen worden, was aus systematischen Gründen im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung noch vertretbar ist.“ Ein weiterer Handlungsbedarf wird hier also gerade nicht gesehen. Und er kann auch nicht damit begründet werden – so tut es aber Die Linke –, dass beim ZRBG bereits bei der Vierjahresfrist nach dem SGB eine Ausnahme gemacht worden ist. Denn eine Ausnahme kann niemals die Rechtfertigung einer weiteren Ausnahme sein, umso mehr, wenn der Ansatzpunkt ein ganz anderer ist. Der Wissenschaftliche Dienst erklärt weiter, dass „der Umstand, dass nicht in jedem Fall aus einer nach dem ZRBG anzuerkennenden Beschäftigung eine Rentenzahlung erfolgt, eine zwangsläufige Folge der generellen Einbeziehung der Beschäftigung in einem Ghetto in die gesetzliche Rentenversicherung ist, die zur pauschalen Risikovermeidung eine Mindestversicherungszeit vorsieht.“ Auch liegt kein Bedarf für eine Sonderreglung als Ausnahme zu § 250 SGB VI vor. Denn es besteht kein rentenrechtlicher Widerspruch zwischen der Anerkennung einer Ghettobeitragszeit nach dem ZRBG vor dem 14. Lebensjahr und der Nichtanerkennung einer Ersatzzeit vor dem 14. Lebensjahr. Während der Beschäftigung in einem Ghetto nach dem ZRBG bestand dem Grunde nach Versicherungspflicht aufgrund dieser Beschäftigung und es wurden Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt bzw. diese gelten als gezahlt. Für die Zeit dieser Beschäftigung wird daher eine Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt. Ersatzzeiten, wie sie in § 250 SGB IV geregelt sind, kommen hingegen für Zeiten der NS-Verfolgung in Betracht, in denen gerade keine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurde. Sie dienen dazu, Beiträge aufgrund einer Beschäftigung für Zeiten zu ersetzen, in denen Versicherte aus nicht in ihrer Person liegenden Gründen an der Beitragszahlung gehindert waren, weil durch die mit diesen Zeiten verbundenen außergewöhnlichen Umstände eine Beitragsleistung nicht zu erwarten war. Solche außergewöhnlichen Umstände (Ersatzzeitentatbestände gemäß § 250 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) sind zum Beispiel Freiheitsentzug bei NS-Verfolgten, Vertreibung oder politische Haft in der DDR. Ersatzzeiten werden nur für Zeiträume nach dem 14. Lebensjahr anerkannt, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass vor dem 14. Lebensjahr Beitragsverluste durch Ersatzzeitentatbestände nicht eintreten. Die Altersgrenze von 14 Jahren gilt also für sämtliche Ersatzzeitentatbestände gleichermaßen. Eine Regelung, wonach Ersatzzeiten für ehemalige Ghettobeschäftigte bereits vor dem 14. Lebensjahr anerkannt würden, für andere Personen mit Ersatzzeittatbeständen, unter ihnen ebenfalls NS-Verfolgte, jedoch nicht, würde zu Gerechtigkeitslücken führen und erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Im Übrigen würde eine solche Regelung Sinn und Zweck von Ersatzzeiten entgegenstehen, die einen durch außergewöhnliche Umstände hervorgerufenen Beitragsverlust ausgleichen sollen. Zudem ist die Anerkennung von Arbeitszeiten im Ghetto vor dem 14. Lebensjahr als Ersatzzeiten auch nicht notwendig. Denn die Rentenversicherung geht bei ihrer Prüfung sowieso davon aus, dass es für die Anerkennung von Ghettobeitragszeiten keine starre Altersgrenze gibt. Ob eine versicherungspflichtige Zeit vorliegt, wird generell und unabhängig vom Alter nach den Maßstäben, die für Erwachsene gelten, individuell geprüft. Bei positivem Nachweis werden auch Zeiten vor dem 14. Lebensjahr anerkannt und können, wenn die Mindestwartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung von 60 Monaten dadurch noch nicht erreicht ist und auch nicht durch weitere Beitragszahlungen im Ausland erreicht worden ist, durch zusätzliche Beitragszahlungen zahlbar gemacht werden. Wichtig ist hier aufgrund des geringen Alters allerdings die Abgrenzung zwischen Zwangsarbeit und Beschäftigung, für die dann aber wiederum Entschädigungsleistungen gelten. Unabhängig von den bereits aufgeführten Leistungen bestehen außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zudem Entschädigungsleistungen, die die Bundesrepublik Deutschland abhängig vom individuellen Verfolgungsschicksal an NS-Verfolgte in aller Welt erbringt. So wurde im Jahr 2007 die Richtlinie der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit im Ghetto erlassen. Nach der sogenannten Anerkennungsrichtlinie sollten explizit Lebenssachverhalte erfasst werden, die durch das ZRBG nicht berücksichtigt sind. Die Voraussetzungen für den Erhalt der einmaligen Wiedergutmachungsleistung von 2 000 Euro nach der Anerkennungsrichtlinie wurden im Vergleich zum ZRBG erleichtert. Die Anerkennungsleistung nach der Richtlinie dürfte bei den in Rede stehenden Fällen unter Vorliegen aller anderen Voraussetzungen zur Auszahlung kommen können. Im Ergebnis ist eine Neuregelung des ZRBG durch eine Wartezeitenfiktion in mehrfacher Hinsicht weder notwendig noch sinnvoll. Mit der letzten Neuregelung, die ich dargestellt habe, haben wir eine insgesamt befriedigende Regelung zum Thema Ghettorenten geschaffen. Es gibt keinen sachlichen Grund, etwas zu ändern. Kerstin Griese (SPD): Nachdem wir zu Beginn dieser Legislatur im Jahr 2014 mit dem Ghettorentenänderungsgesetz eine überfällige Verbesserung für Ghettorentenberechtigte geschaffen haben und im Dezember 2014 mit einer Ergänzung des deutsch-polnischen Sozialabkommens auch für die bislang nicht berechtigten in Polen lebenden Ghettoarbeiterinnen und -arbeiter den Zugang zu Ghettorenten ermöglicht haben, legt die Fraktion Die Linke nun einen Antrag auf eine weitere Änderung des Ghettorentengesetzes vor, um eine weitere Personengruppe, die bisher nicht oder nur teilweise am Ghettorentenrecht partizipieren kann, in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufzunehmen. Im Koalitionsvertrag der SPD mit der CDU/CSU haben wir festgehalten: Wir sind uns der historischen Verantwortung für die Überlebenden des Holocaust, die in der NS-Zeit unsägliches Leid erlebt haben, bewusst. Wir wollen daher, dass den berechtigten Interessen der Holocaust-Überlebenden nach einer angemessenen Entschädigung für die in einem Ghetto geleistete Arbeit Rechnung getragen wird. Die Umsetzung dieses Vorsatzes haben wir als eines der ersten Gesetzesvorhaben im Bereich Arbeit und Soziales im Frühjahr 2014 in Angriff genommen, und darüber bin ich sehr froh, denn es geht um hochbetagte Menschen, die in der NS-Zeit gelitten haben. Mit dem Ghettorentengesetz von 2002 wollten wir als Gesetzgeber den Menschen, die in der NS-Zeit unter schlimmen Bedingungen und zu Hungerlöhnen in den von den Nazis errichteten Ghettos gearbeitet haben bzw. arbeiten mussten, ein wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen. Viele Menschen haben in den Ghettos geschuftet, ihre Arbeitskraft wurde ausgenutzt, ihr Leben sollte keine Zukunft haben, aber perfiderweise wurden trotzdem für sie Rentenbeiträge abgeführt. Die Betroffenen selbst haben jahrzehntelang gefordert, für ihre Arbeit in den Ghettos eine reguläre Rente und eben nicht eine Entschädigung zu bekommen. Denn sie haben das, was sie dort unter Zwangsbedingungen, eingesperrt im Ghetto, erlitten haben, dennoch als Arbeit empfunden. Als der Bundestag das Ghettorentengesetz 2002 beschlossen hatte, war für niemanden von uns abzusehen, dass die Anträge in den folgenden Jahren zu 90 Prozent abgelehnt werden würden. Diese hohe Ablehnungsrate wurde erst mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes 2009 geändert; danach wurde immerhin die Hälfte aller bislang abgelehnten Anträge rückwirkend bewilligt. Aber die Renten wurden auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichtes von 2009 nur vier Jahre rückwirkend ausgezahlt. Das liegt an unserem Sozialrecht, das eine Rückwirkungsfrist von vier Jahren festschreibt. Die vielen hochaltrigen Betroffenen, die vor Jahren schon in Vertrauen auf unsere Gesetzgebung ihre Anträge eingereicht hatten, waren verständlicherweise empört über diese als Unrecht empfundene Frist, die ihnen verdiente Ansprüche vorenthielt. Auch die dafür speziell geschaffene Möglichkeit, einen Ausgleich durch Zuschläge zu erhalten, hat das Gerechtigkeitsbedürfnis der Opfer nicht befriedigt. Sie wollen ihr gutes Recht, nämlich die Ghettorenten ab 1997, wie sie ihnen mit dem Gesetz versprochen worden waren. Es ging und geht den Opfern um Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit, für die sie eine Rente erhalten wollten. Diese Möglichkeit haben wir 2014 mit dem Ghettorentenänderungsgesetz geschaffen, indem wir die zurückwirkende Vierjahresfrist aufgegeben haben. Wir haben außerdem die Optionsmöglichkeit eingeführt, die es jedem ermöglicht, zwischen einer rückwirkenden Zahlung ab 1997 ohne Zuschläge oder einer Zahlung mit Zuschlägen ab 2005 zu wählen. Mit der generellen Streichung der Antragsfrist, die am 30. Juni 2003 lag, ist es außerdem weiter möglich, Rentenanträge zu stellen und eine Rente ab 1997 zu bekommen. Und wir wissen, dass es immer noch Überlebende gibt, die erst jetzt einen Antrag stellen. Diese Änderungen sind von den Opfern des NS-Terrors sehr begrüßt worden. Der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann, sagte: „Das Leid, das diese Menschen erfahren haben, lässt sich mit nachträglich gezahlter Rente nicht wiedergutmachen.“ Bisher aber seien die früheren Ghettoarbeiter mit bürokratischen Vorschriften abgekanzelt worden. Jetzt würden sie endlich ernst genommen und würdig behandelt. Die neue Rentenregelung sei eine Geste der Menschlichkeit. Ähnliche Stimmen hörten wir auch aus Israel, wo die Änderung mit großem Wohlwollen aufgenommen wurde. Heute, im Juli 2016, ist die Abarbeitung der Anträge bei den Rentenversicherungsträgern nahezu abgeschlossen, insgesamt wurden 32 600 Fälle überprüft. In 23 000 Fällen wurde im Ergebnis der Prüfung die Rente rückwirkend zu einem früheren Rentenbeginn – frühestens ab dem 01. Juli 1997 – neu berechnet und Nachzahlungen wurden ausgezahlt. In 17 600 dieser Fälle erfolgte diese Neuberechnung auf Antrag der Berechtigten. Die verbleibenden 9 300 Fälle verteilen sich wie folgt: bei 3 600 gibt es keinen Anspruch nach dem ZRBG-Änderungsgesetz oder keine Nachzahlung, weil das 65. Lebensjahr erst nach Juli 1997 erreicht wurde, bei 4 800 Fällen gab es keine Neufeststellung, weil diese ausdrücklich nicht gewünscht worden war oder es keinen Rücklauf zu den Informationsschreiben der Deutschen Rentenversicherung gegeben hat. Nur noch 900 Fälle sind offen. Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Rentenversicherung und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sehr herzlich für diese wichtige Arbeit und das große Engagement. Alle Betroffenen wurden in ihrer Landessprache angeschrieben, jeder Fall wurde individuell geprüft und behandelt. Herzlichen Dank, dass Sie so schnell schon fast allen Berechtigten helfen konnten! Für die in Polen lebenden Holocaust-Überlebenden, die in den Ghettos der Nationalsozialisten gearbeitet haben – viele von ihnen aufgrund der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg – galt aufgrund des deutsch-polnischen Sozialabkommens von 1975 das Ghettorentenrecht nicht. Das lag daran, dass bis zur Änderung in diesem Abkommen geregelt war, dass der Wohnsitzstaat eine Rente auch aus den Zeiten zahlen muss, die im anderen Staat zurückgelegt wurden. Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto, die durch das Ghettorentengesetz abgedeckt sind, gelten als in Deutschland zurückgelegt. Deshalb durfte bisher für in Polen lebende Ghettobeschäftigte auch keine Ghettorente aus Deutschland geleistet werden. Eine Änderung dieses Abkommens ist 2014 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem polnischen Arbeitsministerium gemeinsam erarbeitet worden. Damit sind seitdem auch in Polen lebende Ghettobeschäftigte berechtigt, Leistungen der Ghettorenten aus Deutschland zu erhalten. Seit Mitte Dezember 2014 gibt es das „Gesetz zu dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zum Export besonderer Leistungen für berechtigte Personen, die im Hoheitsgebiet der Republik Polen wohnhaft sind“ in deutscher und polnischer Sprache. Nun legt die Fraktion Die Linke einen weiteren Antrag vor, in dem sie die besondere Benachteiligung der osteuropäischen Sinti und Roma auch nach Kriegsende bis heute thematisiert. Diese zahlenmäßig recht kleine Gruppe von einigen 100 Personen kann aufgrund ihrer speziellen, durch zum Teil lebenslange Ausgrenzung aus der regulären Arbeitswelt bestimmte Lebenssituation nicht die für den Bezug von Ghettorenten notwendige Beitragszeit von fünf Jahren nachweisen. Um eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erhalten zu können, müssen aber mindestens fünf Jahre an deutschen Beitragszeiten oder Ersatzzeiten vorliegen. Wurde eine Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt, wurden Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt bzw. gelten als gezahlt. Für die Zeit dieser Beschäftigung wird daher eine Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem ZRBG (Ghettorentenbeitragszeit) anerkannt, und die meisten kommen zusammen mit anderen Arbeitszeiten auf mindestens fünf Jahre. Die Fraktion die Linke führt in ihrem Antrag aus, dass vor allem Sinti und Roma, die in Ghettos arbeiteten, nach Kriegsende große Probleme beim Nachweis von Zeiten der Erwerbsarbeit haben; häufig hätten sie Nachweise nicht angefordert oder nicht aufgehoben, und weil sie oftmals nicht lesen könnten, könnten sie die notwendigen Nachweise nicht nachträglich anfordern. Das ist natürlich in der Tat eine sehr schwierige Situation. Aber sie kann nicht durch eine Änderung am Ghettorentengesetz gelöst werden. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, dass im Ghettorentengesetz eine Fiktion einer subsidiären, lückenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit eingeführt wird. Dadurch soll sich für alle ehemaligen Ghettobeschäftigten unabhängig von späteren, in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Beitragszeiten ein gesetzlicher Rentenanspruch begründen. Das ist ein sicher gutgemeinter, aber keineswegs gut gemachter Vorschlag; denn das Ghettorentengesetz hat die gesetzliche Ausdehnungsmöglichkeiten schon sehr strapaziert, aber mit den Beitragszeiten, die für den Erhalt einer Ghettorente notwendig sind, doch eine Lösung geboten, wie der Bezug von Ghettorenten im deutschen Rentensystem möglich gemacht werden kann. Eine Einführung einer Wartezeitfiktion, so stellt ein aktuelles Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages fest, „wäre aber mit den Prinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung unvereinbar.“ Ich verstehe den Wunsch der Fraktion Die Linke, den vielfach marginalisierten Sinti und Roma, die zeit ihres Lebens unter Verfolgung und Ausgrenzung gelitten haben, eine Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht zu bieten. Der Weg über das Ghettorentenrecht ist dabei aber nicht zielführend. Ich schlage vor, dass wir genauer prüfen, wie über andere Wege, etwa über die bestehenden Härtefallfonds für NS-Verfolgte der Länder oder nach der Anerkennungsrichtlinie von 2007 Entschädigungen für diejenigen, die nicht ghettorentenberechtigt sind, Entschädigungen möglich sind. Azize Tank (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir eine Schutzlücke des ZRGB schließen. Es war der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, mit dem 2002 verabschiedeten ZRBG alle NS-Verfolgten, die in einem von Deutschen eingerichteten Ghetto, auf Grund eines eigenen Willensentschlusses entgeltlich beschäftigt waren, in die deutsche Rentenversicherung einzubeziehen. Es war auch der ausdrücklich erklärte politische Wille aller Mitglieder des Deutschen Bundestages, mit dem ZRBG zugunsten von Verfolgten, die alle bereits das für die Regelaltersrente geltende Alter von 65 Jahren – teils erheblich – überschritten haben, im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Neuland zu betreten, wobei von bestimmten Grundsätzen im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten abgewichen werden sollte. Dies schlug sich in dem damaligen Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und dem Entwurf der PDS nieder. In den ersten Jahren nach Verabschiedung des ZRBG ist es aufgrund einer restriktiven Auslegung wesentlicher Begriffe dieses Gesetzes, wie „Ghetto“, „Beschäftigung“, „eigener Willensentschluss“ und „Entgelt“ – durch die Verwaltung und die Sozialgerichte – zu zahlreichen Verwerfungen gekommen, weshalb zunächst fast 90 Prozent aller Anträge auf Ghettorente der Überlebenden abgelehnt wurden. Bei der Verabschiedung des ZRBG sind offensichtlich eine Reihe möglicher Problemlagen nicht sichtbar geworden. Der Deutsche Bundestag war jedoch bislang stets bemüht, sie zu lösen, nachdem diese durch Überlebende, engagierte Historiker und mutige Sozialrichter erkannt und aufgezeigt wurden. So geschehen, bei der rückwirkenden Zahlbarmachung von Ghettorenten durch Nichtanwendung von § 44 SGB X auf Zeiten nach dem ZRBG oder beim Abschluss des deutsch-polnischen Abkommens vom 5. Dezember 2014, welches die bisherige Diskriminierung von Ghettobeschäftigten mit Wohnsitz in Polen beseitigte. Dabei haben alle Fraktionen des Bundestages immer gemeinsam an einer einvernehmlichen Lösung der Probleme zusammengearbeitet. Dafür möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, namentlich auch Frau Staatsekretärin Gabrielle Lösekrug-Möller von der SPD bedanken. Lassen Sie uns deshalb auch im vorliegenden Fall einvernehmlich eine gravierende Gerechtigkeitslücke bei den Ghettorenten schließen. Zahlreiche Kinder, die nachweislich und unstrittig Beschäftigungszeiten in deutschen Ghettos zurückgelegt haben, erhalten noch immer keine Ghettorente. Es ist dabei kein Geheimnis, dass allein aus ZRBG-Beitragszeiten nie eine Rente in der deutschen Rentenversicherung erworben werden kann. Bei der Verkündung des ZRBG war dies aber offenbar nicht allen bewusst, obwohl bekannt ist, dass kaum ein Ghetto länger als vier Jahre existierte. Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste – WD 1 – 3000 – 025/16 – bestätigte kürzlich, dass unumstritten „die meisten Ghettos zwischen Herbst 1939 und Sommer/Herbst 1943 existierten“, also höchstens 48 Monate. Doch ein Anspruch auf eine Ghettorente wird erst bei einer 60monatigen Wartezeit begründet. Diese kann nur mit Beitragszeiten und gegebenenfalls mit Ersatzzeiten – unter anderem wegen NS-Verfolgung – erfüllt werden. Selbst der Höchstumfang an ZRBG-Beitragszeiten reicht dafür nicht aus. Erwachsene Personen können zwar, um die Wartezeit zu erreichen, etwaige Lücken in ihren Beitragszeiten dadurch auffüllen, dass sie ihre verfolgungsbedingte Zeit als Ersatzzeiten anrechnen lassen. Doch diese Verfolgungszeit kann erst dann angerechnet werden, wenn die betroffene Person bereits das 14. Lebensjahr vollendet hat. Überlebenden der Shoah, die im Ghetto beschäftigt waren, weisen darauf seit Jahren hin. Der Verband der Jüdischen Glaubensgemeinden der Republik Polen und die Vereinigung der Roma haben sich zuletzt am 27. Januar 2016 vom Gelände des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau mit einem bewegenden Appell diesbezüglich an die deutsche Bundesregierung gewandt. Der Bevollmächtigte der Jüdischen Gemeinde, Herr Marian Kalwary, unterstrich, dass die bestehende Situation eine fehlende Konsequenz an den Tag lege, der Logik und dem Sinn und Zweck des ZRBG widerspreche. Sie führt in der Praxis, insbesondere bei Kindern, zu ungerechten und sachfremden Ergebnissen: Ein Geschwisterpaar, das im gleichen Betrieb im Ghetto beschäftigt war und sich später gemeinsam vor der Verfolgung durch die deutschen Nazis verstecken musste, wird je nach Alter unterschiedlich behandelt. Ein Junge der das 14. Lebensjahr vollendet hat, erhält eine Ghettorente, aber seine 10jährige Schwester, die mit ihm im Ghetto beschäftigt war und das gleiche Verfolgungsschicksal teilte, nicht. Dieses Ergebnis war dem Gesetzgeber des 2002 verabschiedeten ZRBG vermutlich nicht erkennbar, aber auf jeden Fall nicht gewollt. In Wirklichkeit können ZRBG-Beschäftigungszeiten Rechte auf eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung nie allein begründen, sondern sie allenfalls in Verbindung mit anderweitig erlangten Beitragszeiten mitbegründen oder durch andere Beitragszeiten begründete Rechte erhöhen. Was aber, wenn diese anderweitigen Beitragszeiten gar nicht erworben werden konnten? Dann ist die Wartezeit nicht erfüllt und eine Ghettorente bleibt verwehrt. Das ist der Fall bei ehemaligen Ghettobeschäftigten, die zu Mehrfachdiskriminierten in Osteuropa gehören, wie Sinti und Roma, die selbst nach der Befreiung kaum Zugang zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erhielten. Auch jüdische Überlebende wurden nach der Befreiung antisemitischen Übergriffen und Ausgrenzung ausgesetzt, was die Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Arbeitsbeziehungen verhinderte oder verzögerte. Vor ähnlichen Problemen sehen sich Jüdinnen und Juden gestellt, die in einem Land leben, mit dem die Bundesrepublik kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, und somit ausländische Versicherungszeiten in Deutschland nicht angerechnet werden können, um eine Ghettorente zu begründen. Kinder, die im Ghetto beschäftigt waren, dürfen heute beim Zugang zur Ghettorente nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil sie erst aufgrund von NS-Verfolgungsmaßnahmen überhaupt eine Beschäftigung aufnehmen mussten, um zu überleben, obwohl Kinderarbeit grundsätzlich verboten war. Die Anerkennung einer subsidiären, lückenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit im ZRBG ist notwendig und machbar, um diese eklatante Leerstelle des ZRBG zu schließen. Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kommen in einem Gutachten – WD 6 – 3000 – 049/16 – unter Würdigung aller denkbaren Gegengründe zu Recht zu dem Fazit, dass eine Wartezeitenfiktion im Einklang mit dem Grundgesetz stehen würde. Dadurch könnte für alle ehemaligen Ghettobeschäftigten unabhängig von späteren, in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Beitragszeiten und von der Anrechnung von Ersatzzeiten, ein gesetzlicher Rentenanspruch begründet werden. Der vorliegende Gesetzesentwurf lässt somit den Vorrang anderer Zeiten unangetastet. Die subsidiäre Anerkennung der Wartezeiten greift erst dann und nur dann, wenn die ZRBG-Zeiten nicht mit anderen Beitrags- und Ersatzzeiten belegt sind. Die Wartezeitenfiktion würde lediglich zur Anwendung gelangen, um bestehende Lücken zu füllen, wenn zuvor bereits zweifelsfrei Ghettozeiten nachgewiesen wurden, diese Beitragszeiten jedoch auch zusammen mit anderen Beitrags- oder Ersatzzeiten nicht ausreichen, um einen Anspruch auf Ghettorente zu begründen. Eine solche Regelung ist auch gerecht, denn sie hat keinen Einfluss auf die Höhe der Ghettorente, sondern begründet lediglich einen möglichen Anspruch auf Ghettorente, deren Höhe von den tatsächlich im Ghetto individuell erlangten Entgelten abhängt. Seit 1999 hat die bestehende BSG-Rechtsprechung geklärt, dass im Zuge der Wiedergutmachung von NS-Unrecht bei Beschäftigungszeiten keine Lebensalters-Untergrenze von 14 Jahren zugrunde zu legen ist. Deshalb steht Kinderarbeit der Annahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich nicht entgegen. Es ist bekannt, dass der persönliche Anwendungsbereich des ZRBG sich auf jene Personen beschränkt, die zum Zeitpunkt der Verkündung des ZRBG im Jahre 2002 noch lebten und zuvor, zumeist zwischen dem 1. September 1939 und 1. September 1943, Ghettoarbeit verrichtet haben. Wer sollte also in den Genuss dieser Leistungen kommen? Nehmen wir endlich zur Kenntnis, was bislang nicht ausgesprochen wurde: Das ZRBG betrifft Menschen, die zur Zeit der Ghettoarbeit typischerweise Kinder und Jugendliche, allenfalls Heranwachsende sein konnten. Wenn das ZRBG Ghettorenten für Verfolgte vorsieht, die während der Ghettobeschäftigung vor allem Minderjährige sein mussten, dann müssen wir die bestehende Schutzlücke für genau diese Personen auch schließen, um den historischen Realitäten der Ghettobeschäftigung gerecht zu werden. Wir können diese Tatsache nicht unberücksichtigt lassen. Der bestehende Widerspruch kann durch die Anerkennung einer subsidiären, lückenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit im ZRBG behoben werden. Damit wäre eine wichtige Gerechtigkeitslücke bei der Wiedergutmachung von NS-Verfolgung behoben. Ich bitte im Namen der überlebenden Kinder, die in deutschen Ghettos unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten, um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf über die Fraktionsgrenzen hinweg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich aus einem Auszug einer Analyse des Historikers Michael Alberti beginnen, der sehr eindeutig die Situation der Ghettobeschäftigten in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs beschreibt: „In Łódź konnte der Judenrat also nur versuchen, die Produktion in das Ghetto hereinzuholen. Damit verfolgte er wie alle Judenräte Osteuropas während des Zweiten Weltkrieges eine Doppelstrategie. Zum einen wollte er die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Ghettobewohner wiederherstellen und zum anderen kam für ihn Ende 1941 mit dem Beginn der Massenvergasungen im Vernichtungslager Kulmhof der Kampf um das physische Überleben der Ghettoinsassen hinzu. Das einzige Mittel für eine mögliche Rettung war ‚die den deutschen Kriegsanstrengungen zur Verfügung gestellte Arbeitsleistung‘. Bevor dies jedoch das alles beherrschende Motiv der Judenräte wurde, wollten sie den deutschen Besatzern in erster Linie demonstrieren, dass die Juden zu produktiver Arbeit bereit waren.“ (Michael Alberti 2006: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945, Seite 228 f.) Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Ghettos unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft entziehen sich heute nahezu der Vorstellungskraft. Es war in vielen Fällen nichts anderes als die Angst vor dem Tod, die die Ghettobewohnerinnen und -bewohner in Osteuropa, dem Balkan und dem Baltikum dazu zwang, eine Arbeit aufzunehmen. Mit dem „Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto“ (ZRBG) hat die damalige rot-grüne Koalition im Jahr 2002 der historischen Verantwortung Deutschlands Rechnung getragen und den Versuch unternommen, eine Lücke im Entschädigungsrecht zu schließen. Einstimmig wurde das Gesetz damals beschlossen. Seitdem gelten nach § 2 ZRBG für die Beschäftigten in einem Ghetto Rentenbeiträge als gezahlt. Anfangs blieben die Resultate hinter den Erwartungen allerdings deutlich zurück. Nur einem Bruchteil der vonseiten der Betroffenen gestellten Anträge wurde entsprochen, rund 90 Prozent wurden abgelehnt. Es brauchte Jahre und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und weitere gesetzgeberische Maßnahmen, auch noch in dieser Legislatur, um die Verwaltungspraxis weniger restriktiv auszugestalten. Es war ein langer Weg, und – das müssen wir nach eineinhalb Jahrzehnten leider nach wie vor feststellen – wir sind noch nicht am Ende angelangt. Das ZRBG folgt einer Entschädigungslogik, bleibt aber in einem entscheidenden Punkt den systematisch fast konträren Grundsätzen der Rentenversicherung verhaftet. Wer trotz faktischer Zwangsarbeit in einem Ghetto die im Rentenrecht übliche Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt, hat nach §§ 50 Absatz 1 Nummer 1, 51 Absatz 1 und 4 SGB VI keinerlei Ansprüche auf eine Rente auf Basis der Arbeit in einem der sogenannten jüdischen Wohnbezirke. Dies entspricht zwar dem rentenrechtlichen Prinzip, zur pauschalen Risikovermeidung für einen Rentenanspruch bestimmte Mindestversicherungszeiten vorzusehen, läuft aber gleichzeitig dem in diesem Fall als höherwertig zu wertenden Ziel entgegen, die Betroffenen zumindest symbolisch zu entschädigen. Der Antrag der Linken geht daher durchaus in die richtige Richtung. Die vorgeschlagene Wartezeitfiktion – jeder und jede ehemals in einem Ghetto Beschäftigte erhält einen Rentenanspruch – kann einen gangbaren Weg darstellen. Jedenfalls bleibt uns angesichts des Alters der noch etwa 2 000 Betroffenen nicht viel Zeit. Gemeinsam ist doch allen Fraktionen das Verständnis für die Situation der Betroffenen. Wir alle sollten uns gemeinsam in den Beratungen im Ausschuss ernsthaft um eine schnellstmögliche Lösung bemühen – schließlich war und ist die Zahlbarmachung der Renten für ehemalige Ghettobeschäftigte letztlich doch allen Fraktionen des Deutschen Bundestags ein Anliegen. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) (Tagesordnungspunkt 16) Ulrich Lange (CDU/CSU): Diese Koalition bringt den Breitbandausbau ein deutliches Stück voran. Vieles von dem, was Experten hierzu fordern, ist angeschoben oder wird schon umgesetzt. Mit dem hier heute abschließend zur Beratung vorliegenden DigiNetz-Gesetz werden auch auf Gesetzesebene – im wahrsten Sinne des Wortes – noch einmal alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Breitbandausbau effektiver auszugestalten. Was ist der Hebel? Gerade das Aufgraben des Bodens, der Straßen kostet beim Breitbandausbau einen Hauptteil des Geldes – rund 80 Prozent der Kosten. Wenn die Telekommunikationsanbieter für den Ausbau andere Netzinfrastrukturen mitnutzen können, reduzieren sich die Ausbaukosten. Das heißt, man kann mit der gleichen Summe ein größeres Gebiet ausbauen. Clevere Telekommunikationsanbieter können deutlich Ausbaukosten sparen und zukünftig mehr Bürger per Glasfaser an das Internet anschließen. Dazu erhalten die Telekommunikationsanbieter einen Rechtsanspruch, beispielsweise bestehende Strom- oder Abwassernetze zum Breitbandausbau mit zu nutzen. Wir haben in den parlamentarischen Beratungen dem Gesetz noch weitere Instrumente hinzugefügt, die eine gute Basis gerade für den Glasfaserausbau in den Häusern bieten werden. Wie auch vom Bundesrat gefordert, sollen beim Neubau von Mehrfamilienhäusern und größeren Wohneinheiten verpflichtend Leerrohre mitverlegt werden. Damit können beim späteren Anschluss des Hauses gleich Glasfaserleitungen bis in die Wohnung verlegt werden. Insgesamt handelt es sich dabei um eine Regelung mit Augenmaß. Denn diese Ausbauverpflichtung gilt im Wesentlichen für größere Wohnanlagen und Mehrfamilienhäuser. In Einfamilienhäusern ist die Verlegung von Leerrohren empfehlenswert und eine Investition in die Zukunft – aber das bleibt weiterhin freiwillig. Außerdem haben wir für die Telekommunikationsunternehmen, die erstmals in den Ausbau der Infrastruktur in Häusern investieren, gute Rahmenbedingungen geschaffen. Dazu gehört, dass der Gebäudeeigentümer vom investierenden Telekommunikationsanbieter später keine zusätzlichen Entgelte für die Nutzung der in den Häusern verlegten Leitungen verlangen kann. Schließlich werden wir mit dem DigiNetz-Gesetz die oberirdische Verlegung von Glasfaserleitungen in einem eng begrenzten Umfang erleichtern. Es bleibt bei dem bisherigen Grundsatz, dass die Kommune bei der Frage „ober- oder unterirdische Verlegung“ von Telekommunikationsleitungen entscheidet und dabei die städtebaulichen Belange relevant sind. Damit wird es auch weiterhin in der Regel zu einer unterirdischen Verlegung kommen. Es soll aber auch möglich sein, dass vereinzelt stehende Gebäude und Gebäudeansammlungen zukünftig in Ausnahmefällen oberirdisch erschlossen werden können. Ganz wichtig ist dabei aber: Die Entscheidungskompetenz dazu bleibt vor Ort. Außerdem sorgt das DigiNetzG für mehr Transparenz. Denn die Telekommunikationsanbieter müssen wissen, wo welche Leitungen von anderen Netzbetreibern liegen. Nur dann können sie ihre Netzausbauplanung effizienter gestalten und somit mit dem gleichen Mitteleinsatz mehr Fläche erschließen. Bei Streit zwischen den Anbietern wird die Bundesnetzagentur in die Lage versetzt, für eine schnelle und verbindliche Klärung zu sorgen. Bei Straßenbauarbeiten werden zukünftig Glasfaserleitungen mitverlegt, so wie es die Koalition im Rahmen unseres Entschließungsantrags zum Breitbandausbau zu Beginn der Legislaturperiode bereits angeregt hatte. Das ist bisweilen alles sehr kleinteilig. Aber das sind genau die Stellschrauben, die jetzt angezogen werden müssen, damit wir weiterhin ein hohes Ausbautempo halten. Außerdem können dadurch die Weichen für den Glasfaserausbau der nächsten Jahre gestellt werden. Neben diesen konkreten Regelungen zur Ausbauerleichterung können darüber hinaus die Auswirkung des erfolgreich angelaufenen Bundesförderprogramms zum Breitbandausbau nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat in Abstimmung mit den Ländern dafür gesorgt, dass Deutschland europaweit als Erster die bisherigen Rundfunkfrequenzen, die sogenannte Digitale Dividende II, versteigern konnte. Die damit eingenommenen 1,3 Milliarden Euro sind nicht im allgemeinen Haushalt verschwunden, sondern werden konsequent für den Breitbandausbau eingesetzt. Außerdem kamen über das Zukunftsinvestitionsprogramm noch 1,4 Milliarden Euro aus dem allgemeinen Haushalt hinzu. Und nun werden mit dem Haushalt 2017 aller Voraussicht nach nochmals 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Damit stellt die Koalition – erstmalig – rund 4 Milliarden Euro für den Breitbandausbau zur Verfügung. Hieran sieht man sehr gut, dass diese Koalition zukunftsgerichtet in die Infrastruktur unseres Landes investiert. Wie genau wir damit den Bedarf des Landes treffen, sieht man daran, dass bereits über 600 Bescheide auf Beratungsleistungen und 55 Bescheide für den tatsächlichen Netzausbau vergeben werden konnten. Fachleute werden mit ihrer Beratungsleistung den Kommunen bei der Planung von neuen Ausbauprojekten helfen. Wir können daher schon jetzt sehr gut prognostizieren, dass auch in den nächsten Jahren eine ganze Reihe an Förderanträgen zum Infrastrukturausbau zu erwarten ist, die dann in konkrete weitere Ausbauprojekte münden. Das macht die Netze fit für die Gigabit-Gesellschaft, das ist zukunftsgerichtete Infrastrukturpolitik; das ist aktive Wohlstandspolitik für unser Land und unsere Bürger. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Eine umfassende, aktive und mutige politische Begleitung der Digitalisierung unseres Landes ist maßgeblich dafür, dass wir im globalen Standortwettbewerb um wirtschaftliches Wachstum, Innovationen, aber auch um die besten Köpfe aus Wissenschaft und Wirtschaft bestehen können. Das Gesetz zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze – DigiNetzG –, das wir heute beschließen, ist dazu ein wichtiger Baustein: Mit dem Gesetz legen wir die Grundlage dafür, dass immer dann, wenn in Deutschland gebaut wird, wenn Neubauten entstehen oder bestehende Bauten umfassend saniert werden, wenn Straßen aufgerissen oder erneuert werden, gleichzeitig die Grundlage dafür gelegt wird, dass unser Land zügig beim Ausbau von leistungsfähigem Breitbandinternet vorankommt. Das ist ein großer Erfolg für diese Koalition und für die von ihr getragene Bundesregierung. Und das ist zudem ein wichtiges Signal für alle Telekommunikationsanbieter in Deutschland, jetzt mutig weiter in den Breitbandausbau für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu investieren. Denn das sei an dieser Stelle auch einmal deutlich gesagt: Der Breitbandausbau ist die Aufgabe der Unternehmen. Das ist in Artikel 87 des Grundgesetzes festgelegt, und zwar aus gutem Grund. Denn in den Zeiten, als wir mit der Bundespost die Telekommunikation staatlich organisiert haben, war nichts besser. Ich erinnere nur an den Mondscheintarif. Aber es ist unsere Aufgabe als Staat, für die Unternehmen die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, und genau das machen wir heute mit diesem Gesetz. Diese Koalition hat in dieser Legislaturperiode auch zahlreiche weitere Erfolge erreicht, um die Digitalisierung voranzubringen. Dafür gilt auch der Bundesregierung unser Dank; denn die Bundesregierung hat sich das Thema Digitalisierung in den vergangenen Monaten als Schwerpunktthema über alle Ressortgrenzen hinweg gesetzt. Das begrüße ich ausdrücklich, und ich hoffe zudem, dass sich diese Schwerpunktsetzung auch bis zum Ende der Legislaturperiode, aber insbesondere auch darüber hinaus, fortsetzt. Einige Erfolge für die Digitalisierung unseres Landes möchte ich hier noch einmal nennen; denn der richtige und wichtige Netzausbau ist ein Baustein einer ganzen Reihe von Weichenstellungen, mit der wir die Digitalisierung vorantreiben und die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Beginnen wir in Europa: Mit der Netzneutralitätsverordnung haben wir auf europäischer Ebene endlich eine Regelung erreicht, die einerseits den freien Datenverkehr sicherstellt, zudem aber auch Investitionen in Innovationen ermöglicht. So werden einheitliche Rahmenbedingungen für den europäischen digitalen Markt sichergestellt, die in ganz Europa Wachstum für die Digitalwirtschaft ermöglicht. Aus dem gleichen Grund ist es übrigens zu begrüßen, dass die europäische Datenschutz-Grundverordnung nun einheitliche Datenschutzregeln in Europa vorsieht. Insbesondere junge, innovative Start-ups finden so die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen in ganz Europa vor. In Deutschland sind nun im Rahmen der Digitalen Dividende II die Frequenzen im Bereich von 700 Megahertz für das schnelle mobile Breitband bereitgestellt worden. Hiermit sind wir in Europa an der Spitze. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Standard sich auch europaweit durchsetzen kann. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat zum wohl ersten Mal in der Geschichte unseres Landes ein Breitbandförderprogramm in Deutschland initiiert. Aufgelegt mit einem ursprünglichen Volumen von 2,7 Milliarden Euro wird der Ausbau von schnellem Internet in der Breite gefördert. Auch hier verdient die Bundesregierung eindeutiges Lob für ihre zügige Arbeit bei der Erteilung der Förderbescheide. In der letzten Woche wurde nun bekannt, dass das Bundesförderprogramm für den Breitbandausbau um weitere 1,3 Milliarden Euro auf nun 4 Milliarden Euro aufgestockt wird. Dies zeigt einmal mehr, dass die Digitalisierung auf der Prioritätenliste der Bundesregierung ganz oben steht. Denn dadurch wird der Anspruch, flächendeckend schnelles Internet in Deutschland zur Verfügung zu stellen, auch finanziell weiter unterlegt. Das ist, wie ich finde, ein weiteres starkes Zeichen für den Innovations- und Zukunftsstandort Deutschland. Ein weiterer wichtiger Schritt im Rahmen der Digitalisierung war die Novellierung des Telemediengesetzes. Mit der Ausweitung der Haftungsprivilegierung auf WLAN-Anbieter und der Abschaffung der Störerhaftung haben wir Rechtssicherheit für WLAN-Anbieter hergestellt. Damit haben wir die Grundlage für den weiteren Ausbau freier WLAN-Netze geschaffen – gleich ob gewerblich, nebengewerblich oder privat. Damit werden zum Beispiel auch für viele Unternehmen, wie Restaurants, Cafés und Hotels, Chancen für die Gewinnung neuer und Bindung bisheriger Kunden erhöht. Mit dem DigiNetz-Gesetz stellen wir nun sicher, dass überall dort, wo Bauvorhaben durchgeführt, Häuser renoviert, Straßen geöffnet oder Neubaugebiete erschlossen werden, die Grundlagen für ein leistungsfähiges Breitbandinternet geschaffen werden. Im Ergebnis wird das den Breitbandausbau in Deutschland nicht nur kostengünstiger machen, sondern auch erheblich beschleunigen. Daneben stellen wir auch sicher, dass der Ausbau der Infrastruktur nicht einfach an der Bordsteinkante endet: Für den zügigeren Glasfaserausbau in großen Wohnungseinheiten können mit den neuen Regelungen die Telekommunikationsanbieter gegenüber den Gebäudeeigentümern zudem einfacher den Ausbau bis zur Wohnung des Endkunden durchsetzen. Mit dem Gesetz fördern wir aber auch die neue Mobilfunktechnik der fünften Generation: den Mobilfunkstandard 5G. Voraussetzung dafür wird unter anderem eine Vielzahl von Sendemöglichkeiten in sehr kurzen Abständen sein, um die für Anwendungen wie das automatisierte Fahren oder die Telemedizin erforderliche Taktilität zu gewährleisten. Mit dem DigiNetz-Gesetz vereinfachen wir nun diesen Ausbau, indem zukünftig Laternen oder Ampeln als Standorte für Mobilfunksender mitgenutzt werden können. Das senkt einerseits die Ausbaukosten für hochmoderne, engmaschige 5G-Netze und schafft andererseits eine gute Basis für den Ausbau dieser neuen Technologie in der Fläche. Der weitere Ausbau der digitalen Netzinfrastruktur in Deutschland ist die Grundlage für die wirtschafts-, aber auch gesellschaftspolitisch dringend notwendige weitere Digitalisierung unseres Landes. Er bleibt eine Herausforderung für Wirtschaft und Politik. Mit dem DigiNetz-Gesetz kommen wir hierbei einen bedeutenden Schritt voran. Martin Dörmann (SPD): Das heute zu verabschiedende DigiNetz-Gesetz ist ein wichtiger Schritt für den flächendeckenden Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen in Deutschland. Vorgesehen sind beispielsweise eine verbesserte Mitnutzung bestehender Infrastrukturen durch TK-Netzbetreiber und die verpflichtende Mitverlegung von Leerrohren und Glasfaser bei öffentlichen Baumaßnahmen. Das alles wird signifikant die Kosten senken und einen wesentlichen Beitrag für einen schnelleren Breitbandausbau leisten, insbesondere auch von Glasfaserleitungen. Die Koalition hat hiermit erneut bewiesen, dass sie nicht nur Konzepte vorlegt, sondern diese Schritt für Schritt umsetzt. Ich will an weitere Bausteine erinnern: Mit unserem Breitbandkonzept „Schnelles Internet für alle“ haben wir zu Beginn der Legislatur den Weg vorgezeichnet. Vergangenes Jahr haben wir nach einem „nationalen Konsens“ mit der Versteigerung der Frequenzen im Bereich der „Digitalen Dividende II“ nicht nur erhebliche Einnahmen für Bund und Länder generiert. Bei der Neuvergabe der Frequenzen für mobiles Breitband wurde eine fast flächendeckende LTE-Versorgungsauflage für die Mobilfunkbetreiber verankert. Erstmals konnte mit diesen Einnahmen sowie weiteren Mitteln aus dem Bundeshaushalt ein milliardenschweres Breitbandförderprogramm auf den Weg gebracht werden. Dieses ist so erfolgreich angelaufen, dass bis Ende des Jahres alle Mittel vergeben sein werden und man sich bereits jetzt Gedanken über eine Fortsetzung machen sollte. Übrigens gehen über 70 Prozent der Fördermittel in FTTB-Glasfaserprojekte und in sehr ländliche Gebiete. Für jeden Euro öffentlicher Förderung werden zusätzlich private Investitionen in Höhe von 2 Euro ausgelöst. Bei 2,7 Milliarden Euro Fördermitteln in Bund und Ländern sind Gesamtinvestitionen von rund 8 Milliarden Euro für den Breitbandausbau zu erwarten. Mit dem DigiNetz-Gesetz wird nun ein weiterer Baustein unserer Strategie für einen beschleunigten Breitbandausbau gesetzt: Kostensenkung und verbesserte Synergien. Dieser Bereich ist extrem wichtig, da grob geschätzt bis zu 80 Prozent der Ausbaukosten auf Hoch- und Tiefbauarbeiten entfallen, die insbesondere in dünn besiedelten Regionen überproportional hoch sind. Sie sind dort der Grund für Wirtschaftlichkeitslücken, die Investitionen verhindern können. Das DigiNetz-Gesetz wird diese Kosten nun spürbar senken. Bezogen auf die Gesamtinvestitionen für den Breitbandausbau rechnet die Bundesregierung mit einem Einsparpotenzial von über 20 Prozent. Damit wird nicht nur der Netzausbau für Investoren attraktiver, sondern es werden auch die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher sinken. Wie wird dies erreicht? Der Kern des Gesetzentwurfs sind umfassende entgeltliche Mitnutzungsansprüche der TK-Netzbetreiber an bestehenden Infrastrukturen aller Art. Nun werden im Grunde alle Hohlräume und Trägerinfrastrukturen für eine Mitnutzung durch Telekommunikationsanbieter zulässig. Diese Mitnutzung kann auch verweigert werden, etwa bei Anhaltspunkten für Gefährdungen für Gesundheit oder Sicherheit. Auch bei schon bestehender Glasfaserinfrastruktur kann Mitnutzung abgelehnt werden, um Überbau und Entwertung von hochwertigen Investitionen zu verhindern. Außerdem sollen bei allen öffentlich finanzierten Baumaßnahmen bedarfsgerecht Leerrohre und unbeschaltete Glasfaser mitverlegt werden. Bei Neubaugebieten soll dies immer der Fall sein. Dies macht eine spätere Anbindung an die Hochleistungsnetze sehr viel einfacher und kostengünstiger. Gegenstand des Gesetzes ist auch ein transparenteres Informationssystem. Die Bundesnetzagentur wird mit 29 neuen Planstellen als nationale Informations- und Streitbeilegungsstelle fungieren und regulatorisch die neuen Maßnahmen begleiten. Das schafft zügige Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Im parlamentarischen Verfahren haben wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einmal qualitativ deutlich verbessert. Hierbei wurden Anregungen des Bundesrats und aus der Branche aufgegriffen und umgesetzt. Entgegen dem ersten Ansatz werden Bauordnungsvorschriften und Genehmigungsfristen nun bundesseitig einheitlich geregelt. Außerdem werden Ampelanlagen und Laternenmasten als Trägerstrukturen mitnutzbar, zum Beispiel für zukünftige 5G-Mobilfunksender und automatisiertes Fahren. Zudem haben wir erhebliche Präzisierungen zur Versorgung am und im Gebäude eingebracht. Das DigiNetz-Gesetz ist ein komplexes Maßnahmenpaket. An mehreren Stellen sind wir über die Vorgaben der EU-Transparenzverordnung hinausgegangen, die es umzusetzen galt. Wir sind sicher, dass die kostendämpfende Wirkung schnell spürbar sein wird. Hochleistungsfähige Technologien wie Glasfaser werden besonders gestärkt. Das ist nicht nur eine Einzahlung auf unser ehrgeiziges Zwischenziel von flächendeckend mindestens 50 Mbit/s bis 2018. Es ist auch die Voraussetzung für den weiteren Weg in die Gigabit-Gesellschaft. Zusammengefasst: Nachdem wir bereits erfolgreich die „Digitale Dividende II“ gehoben und ein umfassendes Breitbandförderprogramm auf den Weg gebracht haben, setzen wir mit dem DigiNetz-Gesetz einen weiteren Meilenstein unserer Breitbandstrategie um. Es wird deutlich: Wir erarbeiten nicht nur gute Konzepte, wir setzen sie auch konsequent um! Herbert Behrens (DIE LINKE): Der angekündigte Weg in die Gigabit-Gesellschaft bleibt holprig. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf werden zwar wichtige Dinge geregelt, die den Ausbau von Glasfasernetzen erleichtern können. Doch er bleibt weit hinter dem zurück, was wirklich einen flächendeckenden Glasfaserausbau voranbringen würde. Schnelles Internet für alle und überall muss das Ziel sein. Doch hier haben wir es nur mit einem Schrittchen auf diesem Weg zu tun. Und es war mühsam, dieses Schrittchen überhaupt zu machen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf musste massiv nachgebessert werden, um dem Ziel näher zu kommen, mehr Glasfaser mit weniger Kosten auf den Weg zu bringen. Das ist gut, und Die Linke erkennt an, dass es eine Reihe von Verbesserungen gegeben hat, die vom Bundesrat und von den Fachverbänden eingebracht worden sind. So soll zum Beispiel in Ausnahmefällen auch eine oberirdische Verlegung von Glasfaserkabeln möglich werden. Die Genehmigungsfristen für die Mitverlegung von Kabeln bei Baumaßnahmen an den Straßen werden verkürzt. Genehmigungsverfahren werden gestrafft, damit der Ausbau des schnellen Glasfasernetzes nicht behindert wird. Außerdem wird es Betreibern öffentlicher Versorgungsnetze erlaubt, Einnahmen, die sie für die Mitnutzung ihrer Infrastruktur erhalten, einzubehalten. Auch wenn die Einnahmen über die Kosten hinausgehen, sind sie nicht dem Netzbetrieb zuzurechnen. So können sie das Netz ohne Nachteile vermarkten. All das bringt uns ein Stück in Sachen Glasfaserausbau voran. Es reicht aber nicht für unsere Zustimmung zum Gesetz, die Linksfraktion wird sich enthalten. Denn es bleiben neu geschaffene Unwägbarkeiten, die einem Ausbau und Aufbau digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze entgegenstehen. Das DigiNetz-Gesetz macht keinerlei Vorgaben bezüglich der Entgelte für die Mitnutzung von Infrastrukturen wie zum Beispiel Versorgungsleitungen oder Leerrohren. Das soll der Markt regeln, wie so oft, wenn wir hier im Deutschen Bundestag Gesetze beschließen. Die Netzbetreiber brauchen aber verlässliche Angaben über Aufwand und Kosten beim Netzausbau, wenn auch die Infrastrukturbesitzer verpflichtet werden, ihre Struktur zur Verfügung zu stellen. Da kann schon mal um den besten Preis gepokert werden. Das aber führt nicht zur Beschleunigung, sondern eher zu Zeitverzug und Planungsunsicherheit. Wir sind auch nicht überzeugt davon, dass die Bundesnetzagentur zusätzlich zu ihren vielfältigen Aufgaben für die Streitbeilegung zuständig gemacht werden soll. Es werden zwar 29 neue Stellen eingerichtet, die die neuen Aufgaben bewältigen sollen. Die Bundesnetzagentur verfügt auch über das Fachwissen im Bereich der Telekommunikation, aber in Hinblick auf Straßen, Abwasserkanäle und Gasleitungen ist das nicht sicher. Und dann zügig und kompetent Entscheidungen bei Konflikten zu finden, ist ausgesprochen schwierig. Nun ist das DigiNetz-Gesetz ja eine notwendige Umsetzung einer EU-Richtlinie. Übrigens aus dem Jahr 2014 mit der Maßgabe, dass sie zum 1. Januar 2016 in nationales Recht umgesetzt sein sollte. So weit zum Thema schnelle Entscheidung für ein schnelles Netz. Aber es ist eben auch eine Kostensenkungsrichtlinie. Und an dieser Stelle bleibt das größte Fragezeichen bei dem ganzen Projekt. Das Einsparpotenzial soll 25 Prozent der Gesamtkosten eines bundesweiten Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze betragen, erwartet die Bundesregierung. 20 Milliarden Euro sollen es in den nächsten drei Jahren sein. 25 Prozent entsprechen 20 Milliarden. Das bedeutet, dass Investitionen in Höhe von 80 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren in den Glasfaserausbau gesteckt werden sollen. Woher soll das Geld kommen, wer sind die Investoren? Dazu gibt es keine Aussagen des Ministers für Verkehr und digitale Infrastruktur. Nicht nur die Linksfraktion zweifelt dieses großmündige Versprechen an. Der Bundesverband Glasfaseranschluss (BUGLAS) bezeichnete diese hohen Erwartungen in einer Pressemitteilung als „deutlich zu hoch gegriffen“. Zwar begrüßt der Verband viele der geplanten Maßnahmen, stellt aber infrage, ob der Breitbandausbau dadurch tatsächlich „erheblich vergünstigt und vor allem beschleunigt“ werden könne. In der Anhörung zum Gesetz im Ausschuss wiederholte der Verbandsvertreter diese Position mit etwas anderen Worten. Es bleibt dabei, Kosten können nur eingespart werden, wenn Kosten entstehen. Darum fordert die Linksfraktion im Bundestag mehr Investitionen für ein schnelles zukunftsfähiges Internet. Die Bundesregierung ist dazu aber nicht bereit oder in der Lage. Damit muss Schluss sein. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor drei Tagen wurde eine neue Studie des WIK-Instituts mit dem Namen „Treiber für den Ausbau hochbitratiger Infrastrukturen“ herausgegeben. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Breitbandnachfrage bereits heute in Teilen ein Niveau erreicht hat, das über Netze, aufgepimpte Kupfernetze, nicht mehr befriedigt werden kann. Und: Dieser Trend werde sich in Zukunft weiter beschleunigen. Das WIK prognostiziert, dass in neun Jahren über 75 Prozent der Haushalte Bandbreiten von mindestens 500 Mbit/s im Down- und 300 Mbit/s im Upload nachfragen werden. Diese Geschwindigkeiten erreichen Sie nicht über Kupfer und Vectoring, und deshalb müssen wir jetzt alle Schalter umlegen auf den Ausbau zukunftsfähiger Glasfasernetze. Das DigiNetz-Gesetz ist dafür ein nötiger Zwischenschritt. Das hat die EU-Kommission richtig erkannt, als sie die Richtlinie festlegte, die Sie heute umsetzen wollen. Eine bessere Koordinierung von Bauarbeiten ist nötig, die Zeiten, dass eine Straße zweimal aufgerissen wird – einmal für eine Wasserleitung und später noch mal für das Glasfaserkabel –, sollten passé sein. Aus unserer Sicht ist aber die Umsetzung suboptimal. Die Interessen der Versorgungsunternehmen, die ja den Zugang zu ihren Leerrohren gewähren müssen, bleiben zu sehr außen vor. Wenn in Zukunft zum Beispiel Reparaturarbeiten teurer werden, weil man auf mitverlegte Telekommunikationsleitungen Rücksicht nehmen muss, darf das nicht zulasten der Kommunen gehen. Mehrkosten müssen von denen übernommen werden, die sie verursachen. Wir sehen es als Mangel an, dass Sie nicht klar die Kosten für Länder, Kommunen und Versorgungsunternehmen spezifizieren. Die Mitverlegung darf nicht einseitig zu deren Lasten gehen, die Telekommunikationsunternehmen müssen ausdrücklich zum Ersatz sämtlicher Erschwerniskosten verpflichtet werden, die im Zusammenhang mit Mitnutzungen entstehen. Die voraussichtlich ohnehin geringe Wirkung des Gesetzesvorhabens wird noch dadurch geschmälert, dass die Bundesregierung eine lange Liste von Gründen aufgenommen hat, aus denen der Anspruch auf Mitnutzung bereits vorhandener Infrastruktur versagt werden kann. Und noch ein Manko: Die Bundesregierung übertreibt bei den zu erwartenden Einsparungen enorm, auch wenn wir sie schon mehrfach darauf hingewiesen haben. Denn man kann natürlich nicht überall, wo gebaut wird, einfach Glasfaser mitverlegen. Die Netzbetreiber machen eine eigene Netzplanung und können sich nicht immer danach richten, wo zufällig schon Rohre liegen. Das Sparpotenzial ist also von vornherein begrenzt. Insofern ist dieses Gesetz zwar ein Schritt in die richtige Richtung, es ersetzt aber keineswegs eine vernünftige Förderstrategie für den Breitbandausbau. Und an der fehlt es in Deutschland. Bei der Vorstellung der WIK-Studie am Montag forderte der VATM-Präsident Martin Kind, es müssten sich „alle zusammensetzen und einen Masterplan entwickeln“. Denn trotz Netzallianz und Bundesminister für Digitale Infrastruktur haben wir einen solchen Masterplan nicht. Wir haben ein Breitbandziel, das schon heute überholt ist. Wir haben ein Förderprogramm, das genau dieses kurzsichtige Ziel zu erreichen sucht. Aber wir haben keinen Masterplan zum Gigabitausbau. Ich frage mich, ob wir eigentlich noch von bestimmten Geschwindigkeiten als Zielmarken reden sollten. 50 Mbit, 100 Mbit, 200 Mbit … Wir sind doch hier nicht bei Ebay. Stattdessen sollte der Staat eine Leitmission vorgeben und die dann konsequent verfolgen. Die Mission Possible muss aus unserer Sicht sein: Wir wollen Hochgeschwindigkeitsnetze, und wir brauchen sie. Und alles andere sortieren wir unter diesem Ziel ein, auch das Breitbandförderprogramm. Damit kommen wir im Endeffekt deutlich weiter als mit dem bisherigen Stückwerk. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften (Zusatztagesordnungspunkt 5) Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Heute sprechen wir in der 2./3. Lesung über die erste Änderung des Bundesmeldegesetzes. Mit dieser Änderung reagieren wir zügig und zeitnah auf die praktischen Erfahrungen, die wir in den vergangenen Monaten seit der Einführung sammeln konnten. Wir sind also nah dran an der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger. Schon jetzt möchte ich mich herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten in diesem Prozess bedanken. Während unserer Zusammenarbeit wurde noch einmal deutlich, dass es durch die Bank kaum Einwände an der Verbesserung des bestehenden Bundesmeldegesetzes gibt. So konnten wir viele Punkte weiter ausführen und abstimmen. Im Großen und Ganzen hat sich gezeigt, dass wir die anstehenden Änderungen gemeinsam gut vorbereitet haben. Wir bewegen uns in einer sich stetig wandelnden Informationsgesellschaft. Viele wichtige Entscheidungen unserer Behörden basieren auf dem zuverlässigen Austausch und Abruf von Informationen. Im Laufe der Zeit haben wir deshalb die Übermittlungsmöglichkeiten dieser Meldedaten erheblich ausgeweitet. Ich möchte das noch einmal betonen: Es geht um die Übermittlungsmöglichkeiten, nicht um die Ausweitung oder um die Anhäufung von Daten. Mittlerweile stellen unsere Meldebehörden ihre Daten für viele Fachverfahren zur Verfügung. Die Arbeit von Behörden wie beispielweise den Statistik-, Ausländer- und Ausweisbehörden sowie Schul- und Gesundheitsämtern wäre ohne die bereitgestellten Daten kaum vorstellbar. Besonders im Hinblick auf unsere Sicherheitsbehörden wird deutlich, wie wichtig der schnelle und zuverlässige Austausch von Informationen ist. Ich werde nicht müde, dies immer wieder zu betonen. Wir müssen in unserer Gesellschaft, die so abhängig von sensiblen Daten ist, aber auch unheimlich vorsichtig sein, wenn es um unsere persönlichsten Daten geht. Den Wandel mit dem Umgang unserer Daten kann man schon an einem einfachen Beispiel erkennen: Früher musste man im dörflichen, aber auch im städtischen Bereich viele Kilometer fahren, um dringend benötigte Dokumente zu beantragen. Heute ist das nicht mehr notwendig. Wir haben heute die Möglichkeit, an fast jeder Verwaltungsstelle unsere Dokumente zu beantragen und abzuholen. Die Voraussetzung für ein solch modernes Meldewesen ist, dass wir mit einem einheitlichen System arbeiten und die Daten untereinander verständlich ausgetauscht werden können. Auch beim Datenaustausch war es bisher oft problematisch. Nicht selten hat eine Behörde ein anderes System und ein anderes Datenformat benutzt als eine andere Behörde. Das hat zu unheimlichen Schwierigkeiten geführt. Verschiedene Systeme passen eben nicht aufeinander: Die Leidtragenden sind dann vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Am Ende des vergangenen Jahres ist dann das Bundesmeldegesetz in Kraft getreten. Das passierte ohne das große Buhei, das so oft bei anderen Themen gemacht wird, obwohl wir alle davon betroffen sind. Und das Thema geht jeden von uns an. Wir haben es uns trotzdem nicht leicht gemacht und haben bei diesem wichtigen Gesetz lange um einen Kompromiss gerungen, weil wir die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen wollten. Gleichwohl müssen wir aber auch die Interessen der Unternehmen im Auge haben. Hier geht es selbstverständlich eher um die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Arbeitsprozesse. Und natürlich haben auch die Verwaltungen Interessen, an denen wir nicht vorbeigehen dürfen, wenn es darum geht, ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. Wir haben also alle Betroffenen mit ins Boot genommen und alle Interessen berücksichtigt. Aber was wollen wir? Wir wollen viele der bestehenden Abläufe vereinheitlichen, vereinfachen und digitalisieren. Wir wollen einen hohen Standard, kurze Wege und ein modernes Meldegesetz schaffen. Dazu gehörte auch die Zusammenführung des Melderechtsrahmengesetzes mit den Landesmeldegesetzen. Daten und Datenspeicherung, Schutzrechte, Meldepflichten, Datenübermittlungen zwischen öffentlichen Stellen, Melderegisterauskünfte, Zeugenschutz und Ordnungswidrigkeiten laufen nun unter einem bundeseinheitlichen Melderecht für alle Bürger. Dank der Einführung des Bundesmeldegesetzes sind wir unseren Zielen einen großen Schritt näher gekommen. Wir haben sie noch nicht ganz erreicht, das sage ich ganz ehrlich. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Die Verfahrenswege für alle Beteiligten sind kürzer geworden, insbesondere für Bürgerinnen und Bürger. Hier gewinnen wir Bürgernähe durch technische Entwicklung. Das Gleiche trifft auch auf die Meldebehörden zu. Diesen wird durch das Gesetz ermöglicht, effizienter miteinander zu kommunizieren. Profiteure sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen die Entbürokratisierung für alle Beteiligten vorantreiben, um ihnen das Leben zu erleichtern. Und genau das schaffen wir mit diesem Gesetz. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das bisherige Bundesmeldegesetz noch durch weitere Regelungen vereinfacht werden kann: In Zukunft sorgen wir dafür, dass die Abmeldepflicht für Personen, die ins Ausland ziehen, erleichtert wird. Der Vermieter, der bisher den Auszug seines Mieters schriftlich bestätigt hat, wird von dieser Mitwirkung befreit. Die Abmeldung in diesem Fall kann elektronisch bei der Meldebehörde vom Mieter selbst unternommen werden. Das ist eine unheimliche Erleichterung für die Vermieter, die nicht mehr dem Verzogenen hinterherlaufen müssen. Schon lange sind wir der Überzeugung, dass viele Abläufe und Abfragen auf elektronischem Wege erfolgen können. Dies ist ein richtungsweisender Schritt in eine sich stetig mehr digitalisierende Gesellschaft. Wir müssen dabei natürlich auch bedenken, dass die Wege sicher sein müssen. Dieser Grundsatz gilt: Wir müssen alles können, aber wir müssen nicht alles machen, nur weil wir es können. Sensible Daten müssen sensibel gehandhabt werden. Sicherheit hat hier den Vorrang vor der Einfachheit. Wir haben es aber jetzt geschafft, beide Aspekte zusammenzubringen. Das möchte ich an dieser Stelle betonen. Durch die Einführung der elektronischen Abmeldung wird die jährliche Bearbeitungszeit um rund 100 000 Stunden reduziert. Um sich das mal konkret vor Augen zu führen, möchte ich Ihnen das anhand eines Beispiels verdeutlichen. Die Zahlen aus dem letzten Jahr haben gezeigt, dass es durchschnittlich 700 000 Auswanderungen gab. Bei unserer Berechnung gehen wir davon aus, dass zwar nicht sofort alle von der elektronischen Abmeldung Gebrauch machen, mit etwa der Hälfte können wir aber durchaus rechnen. Für den konkreten Einzelfall sieht das Ganze dann so aus: Bisher hat die Abmeldung einen Zeitaufwand von knapp 23 Minuten gekostet. Davon fallen im Schnitt 15 Minuten auf die Wegezeit und weitere acht Minuten für die eigentliche Bearbeitungszeit an. Jetzt, da wir künftig die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung haben, entfallen die Wegezeit und ein Teil der Bearbeitungszeit. Wir stimmen heute für ein standardisiertes Verfahren, das den gesamten Abmeldungsprozess auf bis zu zwei Minuten verkürzt. Pro Fall sprechen wir also von einem entscheidenden Zeitgewinn von circa 21 Minuten. Mit unserer heutigen Entscheidung, auf die Mitwirkungspflicht des Vermieters bei der Abmeldung zu verzichten, sparen wir knapp 1,184 Millionen Euro pro Jahr an Bürokratiekosten ein. Das ist der finanzielle Aspekt, nicht zu vergessen, dass die Vermieter und Mieter mit dieser Lösung vermutlich sehr zufrieden sein werden. Wir sorgen in Zukunft dafür, dass Behördengänge weiter vereinfacht werden. Deshalb wollen wir heute beschließen, dass die bisher allein zuständigen Landesbehörden andere Behörden für einfache Melderechtsauskünfte bestimmen können. Wir sorgen in Zukunft dafür, dass das Geschlecht wieder in der Melderegisterauskunft eingeführt wird. In unserer vielfältigen Gesellschaft ist es Realität, dass Meldebehörden zunehmend Schwierigkeiten haben, Namen unterschiedlichster Herkunft dem richtigen Geschlecht zuzuordnen. Die Ableitung des Geschlechtes aufgrund des Namens ist in vielen Fällen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich und deshalb in den Datenbanken häufig falsch hinterlegt. Jeder von uns kennt doch eine Joyce oder einen Joyce, eine Jules oder einen Jules, eine Robin oder einen Robin. Es gibt dafür ja sogar einen schönen Ausdruck: Unisex-Namen. Selbst mein Mitarbeiter aus Dortmund, er heißt Salih, wird oft als Frau angeschrieben. Aus diesem ganz pragmatischen Grund soll das Geschlecht wieder als Suchmerkmal in den Datenbanken eingeführt werden. Das Thema der inneren Sicherheit habe ich bereits angesprochen und betone noch einmal: Das Bundesmeldegesetz ist ein weiteres Mittel in einem Strauß von vielen Möglichkeiten. Das Meldewesen gewinnt auch im Sicherheitsbereich immer mehr an Bedeutung. Gerne erinnere ich an dieser Stelle an die richtige Entscheidung, den Ersatz-Personalausweis einzuführen. Er verhindert die Ausreise von Personen, die unsere innere und äußere Sicherheit durch die Vorbereitung von schweren Gewalttaten in Terrorcamps im Ausland gefährden. Die Ausreise war damals für Gefährder trotz Passentzug mit ihrem Personalausweis möglich. Der Ersatz-Personalausweis hat das nahezu unmöglich gemacht. Für unsere Sicherheit ist es unerlässlich, dass die Information über den Reisepassentzug und die Ausstellung des Ersatz-Personalausweises im Meldewesen hinterlegt ist. Eine weitere Anpassung des Bundesmeldegesetzes ist durch die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft notwendig geworden. Kinder ausländischer Eltern können durch die Geburt hier in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Für sie entfällt die Optionspflicht. Die Standesämter übermitteln den Meldebehörden den Erwerb dieses Ius-Soli-Titels. Für die Durchführung des Optionsverfahrens müssen die Meldebehörden und die Staatsangehörigkeitsbehörden zusammenarbeiten und die Möglichkeit haben, sich bestimmte Daten zu übermitteln. Sie haben nun die Möglichkeit, die Angaben zur Staatsangehörigkeit der gemeldeten Personen zu prüfen. Die Änderung des Bundesmeldegesetzes ist vernünftig, notwendig und gelungen. Aus diesem Grunde bitte ich um Ihre Zustimmung. Gabriele Fograscher (SPD): Der 28. Juni 2012 war, genau wie heute, der Donnerstag der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause. Am 28. Juni 2012 fand das Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft statt, in dem Deutschland auf Italien traf. Auch heute spielt Deutschland wieder im Europameisterschaftshalbfinale, diesmal gegen Frankreich. Am 28. Juni 2012 stand die 2./3. Lesung des Bundesmeldegesetzes auf der Tagesordnung des Plenums, genau wie heute. Damals ging es um eine große Reform. Meine Fraktion und ich hatten bereits vor der abschließenden Beratung vor der Verschlechterung des Datenschutzes gewarnt. Die damals schwarz-gelbe Bundesregierung hat das nicht interessiert und das Gesetz mit ihrer Mehrheit, die damals aufgrund des Fußballspiels aus wenigen Abgeordneten bestand, verabschiedet. Ergebnis: Das Gesetz landete im Vermittlungsausschuss. Was war passiert? In letzter Minute hat die damalige schwarz-gelbe Regierungskoalition einen Änderungsantrag im Innenausschuss vorgelegt, der die positiven Ansätze des ursprünglichen Gesetzentwurfes ins Gegenteil verkehrte. Auch wenn das Melderecht ein sehr technisches Gesetz ist, so kommt jede Bürgerin und jeder Bürger mehrfach in seinem Leben damit in Berührung. Das Melderecht verpflichtet jeden Bürger und jede Bürgerin, bestimmte Daten an die Meldebehörden zu geben. Dazu gehören der Familienname, frühere Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Adresse und andere Daten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sicher sein, dass ihre Daten bei den Meldebehörden gut und sicher aufgehoben sind und nicht unbegründet an Dritte weitergegeben, dort gespeichert und gegebenenfalls weiterverwendet werden. Mit dem damaligen Änderungsantrag wurden hinsichtlich der Verwendung von Daten aus Melderegisterauskünften die geplanten Regelungen zur Zweckbindung sowie zum Widerspruch gegen die Verwendung für Werbung und Adresshandel völlig ausgehebelt. Es wurde eine Einwilligungslösung durchgesetzt, die dann aber auf Druck der SPD im Vermittlungsausschuss wieder rückgängig gemacht wurde. Wir als Gesetzgeber und als Staat müssen besonders sensibel mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger umgehen. Wir sollten sie besonders sicher verwenden. Wir sollten sorgsam mit ihnen umgehen. Wir dürfen eine Weitergabe nur dann zulassen, wenn sie notwendig und ausreichend begründet ist. Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen auf einen sensiblen Umgang mit ihren Daten und können das auch vom Staat erwarten. Deshalb war und ist es richtig, dass die von schwarz-gelb gewollte Aufweichung des Datenschutzes nicht in Kraft getreten ist. Heute geht es um wenige Änderungen und Anpassungen im Melderecht. Nachdem 16 unterschiedliche Melderechte aus den Bundesländern zusammengeführt wurden, trat das Bundesmeldegesetz zum 1. November 2015 in Kraft. Nun hat die Praxis gezeigt, dass an einigen Stellen nachjustiert werden muss. Die Bestätigung des Wohnungsgebers bei Auszug wird abgeschafft, und die Abmeldung beim Umzug ins Ausland kann elektronisch erfolgen. Des Weiteren vollziehen wir inzwischen erfolgte Gesetzesänderungen im Melderecht nach. Die Einführung des Ersatzpersonalausweises im Personalausweisgesetz und die Neuregelung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht müssen auch im Melderecht umgesetzt werden. Für die Länder wird es möglich, nicht nur die oberste Landesbehörde, sondern auch eine andere Behörde als Zulassungsbehörde für privatrechtlich betriebene Portale zur Durchführung einfacher Melderegisterauskünfte über das Internet zu bestimmen. Das Bundesamt für Justiz soll in den Katalog der Behörden des § 34 Absatz 4 Satz 1 aufgenommen werden, die grundsätzlich Daten bei den Meldebehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben abfragen können. Das Datum „Geschlecht“ wird als zusätzliches Datum bei der Registrierung festgelegt. Der Grund dafür ist, dass es aufgrund der steigenden Anzahl ausländischer Namen immer schwieriger ist, das Geschlecht des Meldepflichtigen zu erkennen. Ich hatte bei dieser Änderung Nachteile für Transsexuelle befürchtet. Doch es ändert sich rechtlich nichts für diese Personengruppe. Wegen der bestehenden Auskunftssperren wird über diese Personen bereits jetzt und auch in Zukunft keine automatisierte Behördenauskunft gemäß § 38 BMG erteilt. Nur soweit wegen besonderer Gründe des öffentlichen Interesses eine Offenlegung erforderlich ist, kann im manuellen Verfahren Auskunft über das Geschlecht erteilt werden. Damit wird dem besonderen Schutzbedarf Rechnung getragen. Mit dem Änderungsantrag, den wir als Koalitionsfraktionen in die Ausschussberatung eingebracht haben, werden Anregungen des Bundesrates aufgegriffen und umgesetzt. Bei der erweiterten Meldebescheinigung nach § 18 Absatz 2 BMG kann die betroffene Person die zu bescheinigenden Daten grundsätzlich selbst auswählen. Die Änderung zu § 49 Absatz 4 BMG konkretisiert die Voraussetzungen für die Erteilung einer automatisierten Melderegisterauskunft. Geschlecht und Familienstand werden nicht als Identifizierungsdaten anerkannt. Diese Änderung soll zum 1. Mai 2017 in Kraft treten. Wir halten diese Ergänzungen für praktikabel, und sie gestalten das Bundesmeldegesetz bürgerfreundlicher. Ich bitte um Zustimmung. Jan Korte (DIE LINKE): Einmal ist etwas mehr als ein halbes Jahr nötig, dieses Gesetz erneut nachzubessern. Wenn Sie Ihr damaliges Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens handwerklich vernünftig gemacht hätten, hätten Sie uns allen sehr geholfen. Aber gegen Änderungen und tatsächliche Verbesserungen haben weder ich noch meine Fraktion etwas einzuwenden. Nur das, was Sie hier vorgelegt haben, ist leider auch nur wieder ein Rumdoktern und geht überhaupt nicht weit genug. Anstatt die Mitwirkungspflichten der Vermieter bei An- und Abmeldung in § 19 in Gänze zu streichen, sieht Ihr Gesetzentwurf nur die Streichung der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers vor, wenn der Mieter ins Ausland verzieht. Warum nur dann? Warum nicht auch bei der Anmeldung oder dem Auszug im Inland? Die unverhältnismäßige Hotelmeldepflicht, die nichts anderes als eine umfangreiche, verdachtslose Datenerhebung auf Vorrat ist, wird erst gar nicht angetastet, und das, obwohl nach wie vor nicht erkennbar ist, was diese Meldepflicht bringt, außer unbeachtete Datenbergen bei den Meldebehörden. Stattdessen soll bei der automatisierten Melderegisterauskunft das Geschlecht wieder als Suchkriterium aufgenommen werden. Während überall auf der Welt darüber nachgedacht wird, das Geschlecht aus Datenerhebungen und sogar aus Ausweisdokumenten zu streichen, soll es hierzulande nach kürzester Zeit erneut eingeführt werden. Das könnte man vielleicht noch unter kurios abbuchen, aber leider konnte mir niemand auch nur halbwegs nachvollziehbar begründen, warum dies nun passiert. Und leider haben wir auch heute wieder nicht die Möglichkeit zu einer echten Debatte, sonst könnten Sie mir vielleicht folgende Fragen beantworten: Warum hat sich im letzten Jahr bei der automatisierten Melderegisterauskunft nach § 38 Absatz 1 BMG die Erteilungsquote deutlich verschlechtert, weil die abfragenden Stellen das Geschlecht nicht angeben dürfen? Sie begründen das damit, dass bei ausländischen Namen die Rücklaufquote sonst niedriger sei als erwünscht. Wenn wir eine echte Debatte hätten, könnten Sie mir vielleicht sagen, in welcher Höhe sich die Rücklaufquote bzw. die Fehlquote so bewegen, bezogen auf deutsche bzw. europäische und nichteuropäische Vornamen, und ob hier nicht das größere Problem die unterschiedliche Transkription arabischer Namen wäre. Im Vorblatt des Gesetzentwurfes heißt es etwas nebulös: Die „Ableitung des Geschlechts des Meldepflichtigen aus ausländischen Vornamen“ sei „nicht immer eindeutig möglich“. In der Begründung wird darauf verwiesen, dass das Geschlecht als Merkmal weiterhin nur abgerufen werden dürfe, wenn es erforderlich sei, beispielsweise bei „geschlechtsspezifischen Schutzmaßnahmen“, und die Aufgabenerfüllung ohne Kenntnis des Geschlechts unmöglich oder wesentlich erschwert wäre. Das verstehe ich nicht, denn an sämtliche Sicherheitsbehörden darf ja ohnehin auch im automatisierten Verfahren das Geschlecht beauskunftet werden (§ 38 Absatz 3). Es wäre schön gewesen in den Beratungen von Ihnen vielleicht mal ein Beispiel für typische Fallkonstellationen zu erfahren. Mit dem Änderungsantrag werden Vorschläge des Bundesrates aufgenommen, die zum einen eine selbst gewählte Auswahl der erweiterten Melderegisterauskunft für die Vorlage bei anderen öffentlichen Stellen oder im privaten Bereich ermöglicht und zum anderen die automatisierte Abfrage von Melderegisterauskünften so gestaltet, dass eine massenhafte Ausforschung von Daten verhindert werden soll. Das ist positiv, genauso wie der Punkt, dass der bedingte Sperrvermerk nicht allein für Personen, sondern auch für Adressen gelten soll. Diese Punkte sind vernünftig. Aber meiner Fraktion reichen diese wenigen Änderungen eben nicht aus. Wir werden uns daher enthalten und hoffen, dass das Bundesmeldegesetz bei der nächsten Änderung gründlich und nach bürgerrechtlichen Kriterien reformiert wird. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Melderecht erreichte 2012 politische Skandalhöhe, als die schwarz-gelbe Koalition vor nahezu leeren Rängen zeitgleich zu einem WM-Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft versuchte, klammheimlich die weitgehende Kommerzialisierung wichtiger Teile der behördlichen Meldedatenbestände für die deutsche Wirtschaft durchzuwinken. Es war und bleibt bemerkenswert töricht, dass eine vormals in überwiegend föderaler Verantwortung behandelte Materie damals auf solche Weise im Bundestag missachtet wurde. Heute laufen wir mit der Reform des Melderechts erneut parallel zu einem Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Auch wenn der vorliegende Entwurf keine mit 2012 vergleichbaren Regelungen enthält, ist diese Parallelität schon erstaunlich. Wir Grüne waren es, die damals im Vermittlungsverfahren des Bundesrates dafür gesorgt haben, dass statt der bloßen Widerspruchslösung wieder eine die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wahrende Lösung, nämlich die Einwilligungslösung, ins Gesetz kam. Der Vorgang damals sollte uns alle gelehrt haben, dass Entscheidungen zum Melderecht von datenschutzpolitisch großer Tragweite sein können. Es sollte eigentlich allen die Augen dafür geöffnet haben, welche Sprengkraft der fehlgeleitete Umgang mit Datenbeständen haben kann, welche gleich die Gesamtheit der über 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bürger betreffen. Die Begehrlichkeiten nahezu aller Ressorts, ihre Vorhaben, Behörden und Projekte mit dem Datenbestand der Landesmelderegister zu verkoppeln, wirft schwierigste datenschutzrechtliche Fragen auf. Verfassungsrechtlich sind wir seit dem Volkszählungsurteil und zu Recht gebunden, kein nationales Bevölkerungsregister zu errichten. Doch mit der – ich betone – dringend notwendigen und von allen Merkel-Regierungen bislang weitgehend verschlafenen Digitalisierung der Verwaltung verwirklichen sich die Risiken für Persönlichkeitsrechte und Datenschutz in undifferenzierten Vernetzungen und nicht hinreichend bestimmten Befugnissen im Umgang mit den zunehmend verkoppelten Datenbeständen. Gegen unseren Widerstand und unsere Stimmen nahm die letzte Merkel-Regierung in der Reform von 2013 weitere sowohl bürokratische als auch die Rechte der Bürgerinnen und Bürger missachtende Regelungen in das Melderecht auf. Hervorzuheben sind etwa die Hotelmeldepflicht sowie die Mitwirkungspflicht des Vermieters bei An- und Abmeldung von Mieterinnen und Mietern. Um eines noch einmal klar zu sagen: Wir leugnen nicht, dass das Melderecht eine immer größere Bedeutung für die Informationsordnung gewonnen hat, nicht allein für die Verwaltung, sondern auch für die Wirtschaft. Man muss das Bundesmelderecht nicht gleich zum informationellen Rückgrat einer modernen bürgerorientierten Verwaltung stilisieren: Der damit geschaffene Eindruck ist ja auch aus den oben genannten Gründen verfassungsrechtlich fragwürdig. Denn es bleibt dabei, dass unsere Verwaltung grundsätzlich einer informationellen Gewaltenteilung unterliegt. Gleichwohl müssen wir die gewachsene Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten und damit der Vernetzung der Meldedatenbestände mit anderen öffentlichen Stellen und Entscheidungsprozessen anerkennen und deren Nutzung in die notwendigen gesetzgeberischen Abwägungen einbeziehen. Ein aktuelles Beispiel sind die umfangreichen Abruf- und Einmeldemöglichkeiten seitens aller mit Flüchtlingsfragen befassten Behörden nach dem sogenannten Datenaustauschverbesserungsgesetz. Während dieses Gesetz aus rein datenschutzpolitischer Sicht eine ganze Reihe fragwürdiger Regelungen enthält, zeigt sie doch zugleich auch die Bedeutung des Meldedatensystems. Die mithilfe der Auskunftspflicht von Bürgerinnen und Bürgern gewonnenen Meldedaten werden genutzt, um sehr unterschiedliche staatliche Aufgaben zu erleichtern, zu optimieren und zu ermöglichen. Durch die Vernetzung der Behörden wird es möglich, Aufgaben zu erledigen, ohne die betroffenen Bürgerinnen und Bürger für die Durchführung der jeweiligen Aufgaben erneut in Anspruch nehmen zu müssen. Diese Effizienz, Kosteneinsparung und Bürgerfreundlichkeit ist natürlich ein Riesengewinn, der mittlerweile von vielen als selbstverständlich erachtet wird und beispielsweise im Umgang mit den zu uns Geflüchteten auch einen wichtigen Faktor darstellt, um eine rasche Integration zu ermöglichen. Gleichwohl kann und wird es mit dem Melderecht auch zukünftig keinen multifunktionalen Informationspool geben dürfen, bei dem sich die Behörden oder auch die Wirtschaft nach Belieben und weitgehend ohne Beteiligung der Betroffenen selbst bedienen können. Doch zurück zum heute vorliegenden Gesetzentwurf: Die Hotelmeldepflicht ist ein Element unnötiger Verpolizeilichung des Melderechts. Für ihre Erforderlichkeit im verfassungsrechtlich gebotenen Sinne ist nichts dargetan, sie war jahrelang durch Rot-Grün zutreffend abgeschafft, ihre Wiedereinführung 2013 war unnötig. Wir bedauern, dass sie auch in dieser Reform durch die Große Koalition nicht zurückgenommen wird. Diese Rücknahme wäre die Mindestvoraussetzung dafür, dass die Große Koalition heute ihren Entwurf als Entbürokratisierung bezeichnen dürfte. Bei der Abschaffung der persönlichen Pflicht zur Abmeldung bei Wegzug ins Ausland hat die Große Koalition dagegen wohl einen Schritt in die richtige Richtung getan. Sie sollten sich dafür jedoch nicht allzu sehr abfeiern, denn die Pflicht bleibt ja im Grundsatz bestehen, sie kann nur zukünftig elektronisch erfolgen. Angesichts der fehlenden Akzeptanz und der unzureichenden Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bei der Nutzung entsprechender Möglichkeiten wie De-Mail oder des elektronischen Personalausweises – also überwiegend der Versäumnisse der Merkel-Vorgängerregierungen beim E-Government – dürfte sich der Ertrag dieser Regelung in engen Grenzen halten. Noch schlimmer sieht es bei der Mitwirkungspflicht des Vermieters bei An- und Abmeldungen aus: Weil die letzte Merkel-Reform des Melderechts aufgrund der langen Umsetzungsfrist von zwei Jahren – die technischen Möglichkeiten in Bund und Land waren der Grund – erst im vergangenen Jahr in Kraft trat, haben wir für die heute zu beschließende Abschaffung der Vermieterbestätigung der Abmeldung eine gesetzliche Regelung, die lediglich wenige Monate Lebensdauer erreichte. Wir haben Sie damals deutlich davor gewarnt, die 2002 abgeschaffte Mitwirkungspflicht der Vermieter wieder einzuführen. Auch die SPD hat übrigens noch bis 2013 in der letzten Reform davor gewarnt. Doch die höhere Einsicht und Lernfähigkeit, auf die Kollege Krings uns zur Begründung im Innenausschuss verwies, bleibt leider lückenhaft. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Mitwirkungspflicht der Vermieter weiterhin, und zwar für die Anmeldung, gilt? Diese von Bürokratie und Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen geprägte Regelung ist überflüssig, sie verhindert auch keine Scheinanmeldungen, den Nachweis entsprechender Wirkungen bleiben sie ohnehin schuldig. Wir fordern Sie daher auf, ihre halbe Rolle rückwärts zu vervollständigen. Gegen viele der Einzelregelungen in diesem Gesetzentwurf, das möchten wir betonen, bleibt im Einzelnen wenig einzuwenden. Wir begrüßen es vielmehr, dass die Vorschläge des Bundesrates aufgenommen werden, wie etwa bei der Erteilung der Meldebescheinigung oder bei der Melderegisterauskunft, die tatsächlich auch die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im ausgewogenen Blick behalten. Nicht zuletzt deswegen lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht in Gänze ab. Zentral bleibt hingegen aus unserer Sicht, die Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des Melderechts zu betonen und damit stets auch ein wenig bekannter zu machen. Lassen Sie uns, gemeinsam mit den übrigens auch von der Bundesregierung in voller Absicht und seit Jahren völlig unterbesetzt gehaltenen Datenschutzbehörden die Bürgerinnen und Bürger auf ihre eigenen Betroffenenrechte und Gestaltungsmöglichkeiten im Melderecht immer wieder hinweisen. Nur so können sie weiterhin Widerspruchsrechte geltend machen und sich gegen die ungewünschte Zusendung von Wahlwerbebriefen oder gegen die Adressweitergabe an Adressbuchverlage wehren. Es ist richtig und wichtig, dass die Weitergabe von Meldedaten für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels weiterhin nur mit Einwilligung möglich ist. Eine solche Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Schließlich können alle Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer gebührenfreien Selbstauskunft gegenüber der Meldebehörde erfahren, welche Daten über sie konkret gespeichert sind, woher diese Daten stammen und wer die Empfänger regelmäßiger Datenübermittlungen sind. Auch die Nutzung dieser Betroffenenrechte trägt mit dazu bei, dass die Melderegister auch zukünftig keine uferlosen Allzweckdatenbanken werden. Unsere Informationsordnung und damit auch die Verwaltung werden sich in den nächsten Jahren weiter massiv verändern. Das Element des Melderechts in seinem Verhältnis und im Kontext zu anderen vernetzten Datenbeständen muss zum Schutz der Grundrechte und der informationellen Selbstbestimmung daher weiterhin einer besonderen Beobachtungspflicht unseres Hauses unterliegen – das gilt natürlich gänzlich unabhängig von EM-Spielplänen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften – des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Michael Hennrich (CDU/CSU): Heute debattieren wir im Rahmen des zugrundeliegenden Gesetzes über Änderungen im Betäubungsmittelgesetz, in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und in der Betäubungsmittel-Außenhandelsverordnung. Mit dem Entwurf der Bundesregierung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften soll die betäubungsmittelrechtliche Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln, wie getrockneten Blüten und Extrakten, in standardisierter Qualität geschaffen werden. Denn es gibt leider eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, denen nach entsprechender Indikationsstellung Therapiealternativen zur Behandlung fehlen. Für diese und nur für diese Patienten wollen wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern, um ihnen durch den qualitätsgesicherten und gleichsam legalen Zugang zu medizinischen Cannabisarzneimitteln Therapiealternativen zu ermöglichen. Für eine angemessene und ausreichende Versorgung dieser Patienten mit derartigen Arzneimitteln soll der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken grundsätzlich ermöglicht werden. Dazu soll im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine sogenannte Cannabisagentur eingerichtet werden, die den voraussichtlichen Bedarf an Medizinalhanf ausschreibt, Verträge über die Belieferung an Anbauer vergibt und die gesamte Ernte erwirbt. Die Anbauer werden dabei selbstverständlich verpflichtet, die gesamte Ernte abzuliefern. Die von Bundesgesundheitsminister Gröhe vorgeschlagene Änderung des Betäubungsmittelrechts ist dabei der richtige Weg. Denn wir wollen einen sicheren und kontrollierten Zugang der Betroffenen unter staatlicher Kontrolle. Eine umfassende Kontrolle des Anbaus und der Erwerbskette setze ich voraus. Alle Beteiligten werden die betäubungsmittel- und arzneimittelrechtlichen Vorschriften einhalten. Zudem wollen wir nicht, dass mit etwaigen Abfallprodukten wie auch mit den angebauten Erzeugnissen selbst illegaler Handel betrieben werden kann. Des Weiteren ist geplant, für gesetzlich Versicherte in eng begrenzten Fällen einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten, Extrakten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon zu schaffen. Die Krankenkassen werden für diese Fälle künftig die anfallenden Kosten übernehmen. Dadurch wird kein Patient, der darauf angewiesen ist bzw. für den Cannabisarzneimittel eine wichtige bzw. alternativlose Therapieoption darstellen und dieses indiziert worden ist, mehr in die Illegalität gedrängt. Bis Ende 2018 soll dann auch mit der Leistungsübernahme durch Krankenkassen eine Teilnahme des Patienten an einer entsprechenden Begleitforschung gekoppelt sein, um die Erforschung der Wirksamkeit von Cannabis zu medizinischen Zwecken voranzubringen und wichtige Evidenz zu generieren. Mit den geplanten Maßnahmen wird gleichzeitig ein nicht zielführender Eigenanbau von Cannabis zur Selbsttherapie vermieden. Denn der von Grünen und Linken propagierte Eigenanbau ist wegen der Unbestimmbarkeit des THC-Gehalts gefährlich und aus unserer Sicht ein Einfallstor für den Cannabismissbrauch. Somit erfolgt auch eine deutliche Trennung des weiterhin verbotenen und sanktionierten Umgangs mit Cannabis zu Genuss- und Rauschzwecken auf der einen und einer zukünftig ausschließlich erlaubten medizinisch-therapeutischen Anwendung von Cannabis auf der anderen Seite. Denn Cannabis ist und bleibt eine Substanz, die bei falscher Anwendung nicht nur berauschend wirken kann, sondern auch erhebliche Gefahren birgt und bei der oftmals die Risiken durch die Konsumenten unterschätzt werden. Und hier, verehrte Kollegen von den Grünen und Linken, bitte ich doch darum, die pharmakologische Therapie und Zulassung eines Arzneimittels nicht ideologisch zu vermengen mit einem wie auch immer formulierten Grundrecht auf Cannabiskonsum oder der Vorenthaltung eines Medikaments durch die oben beschriebenen Voraussetzungen. Würden wir hier von einem herkömmlichen chemisch erzeugten Arzneimittel sprechen, würden Sie die Forderung, dass es jeder in heimischer Küche nachmischen dürfen solle, ja vermutlich auch nicht stellen. Wir gehen diese Thematik ganz nüchtern an, wie bei jedem anderen Medikament auch, bei dem Zulassung, Herstellung, In-Vertrieb-Bringen und Verordnung klaren Regeln unterworfen sind. Der Vorteil für die Patientinnen und Patienten liegt auf der Hand; denn die bisher erforderliche Beantragung patientenindividueller Ausnahmeerlaubnisse beim BfArM zum Erwerb von Cannabisblüten und -extrakten aus Apotheken wird entbehrlich und die Kosten werden regelmäßig erstattet. Zudem erhöhen wir die Arzneimittelsicherheit, da der Zugang für die genannten Gruppen erleichtert wird und sich niemand mehr illegal angebaute Produkte mit nicht klar dosierbarem THC-Gehalt und ohne ärztliche Aufsicht zuführen braucht. Und mit diesem Gesetzentwurf begegnen wir endlich der Kritik der Legalisierungsbefürworter, welche die positiven Wirkungen von Cannabis gebetsmühlenartig wiederholen und das Argument der medizinisch darauf angewiesenen Patienten wie eine Monstranz vor sich hertragen. Denn genau dieser einzig positive Aspekt der Substanz THC bzw. Cannabis wird damit gesetzlich geregelt, und alle anderen Verwendungsmöglichkeiten können damit eindeutig dem Drogenmissbrauch zugeordnet werden. Ich hoffe, dass wir durch diese klar strukturierte Regulierung die Debatte in diesem Punkt versachlichen können, und bin gleichsam froh, dass wir Patienten und Patientinnen, für die Cannabisarzneimittel wirklich eine wichtige Therapiealternative und Erleichterung ihres Lebens bedeuten, helfen können. Marlene Mortler (CDU/CSU): Was wir auf internationalem Parkett fordern, das gilt selbstverständlich auch bei uns zu Hause: Im Mittelpunkt der Drogenpolitik der Bundesregierung stehen nicht Zeitgeist, Vorurteile oder Ideologien. Worum es uns geht, das ist der Mensch und seine Gesundheit! Die Gesundheit der Menschen ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Cannabispolitik. Genau deshalb sage ich „Nein“ zum Freizeitkonsum von Cannabis. Es gibt keinen Grund, der Freizeitdroge Cannabis die Absolution zu erteilen. Es gibt nur eine Gesundheit. Dass auch andere Substanzen gesundheitsschädlich sind, ist kein Argument gegen, sondern ein Argument für einen streng geregelten und kontrollierten Umgang mit Cannabis. Viel zu viele Menschen greifen bereits jetzt zum Joint – trotz der bekannten gesundheitlichen Risiken, trotz des Verbots. Die WHO hat gerade in einer Metastudie den Forschungsstand zu Cannabis zusammengetragen. Das Ergebnis: Der Konsum der Droge Cannabis kann zu einem Rückzug aus dem alltäglichen Leben, zu Depressionen, zu Psychosen und Wahnvorstellungen ganz besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen. Und wir wissen: Dort, wo Erwachsene legal an Cannabis als Genussmittel kommen, steigt auch der Konsum unter Jugendlichen. Also: Keine Legalisierung zu Freizeitzwecken! Cannabis hat jedoch zwei Seiten. Es ist eine Substanz, die Menschen auch helfen kann. Cannabis ist ein Betäubungsmittel, das – um es in der Fachsprache zu sagen – auch über ein medizinisch-therapeutisches Potenzial verfügt. Den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen, heißt deshalb für mich auch, den Zugang zu Cannabis für all diejenigen zu erleichtern, denen Cannabis – und kein anderes Medikament – anhaltend helfen kann. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass Ärztinnen und Ärzte künftig Cannabis an schwer erkrankte Patientinnen und Patienten verschreiben dürfen, und zwar – das ist für mich von entscheidender Bedeutung – Cannabis, das wie andere Medikamente und Medizinprodukte qualitätsgeprüft ist. Der Gesetzentwurf sieht unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen vor. Verschreibbar, qualitätsgeprüft und erstattungsfähig – um diesen Dreiklang geht es. Und dieser Dreiklang ist ein großer Schritt nach vorn. Es ist ja nicht so, dass Patientinnen und Patienten heute gar nicht an Cannabis kämen. Doch sind die Hürden viel zu hoch. Heute ist Cannabis in Form getrockneter Blüten nur mit einer Ausnahmeerlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erhältlich. Bisher hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 780 Patientinnen und Patienten eine entsprechende Ausnahmeerlaubnis erteilt. Das Problem, auf das auch ich immer wieder von Betroffenen angesprochen wurde, sind die hohen Kosten: 500, zum Teil auch 1 000 Euro im Monat für medizinischen Cannabis sind für einen schwerkranken Patienten einfach zu viel: Eben dies müssen wir im Interesse schwerkranker Menschen ändern, die in ihrer Not keine Alternative sehen und denen Cannabis – dies ist ebenfalls wichtig – auch nach Einschätzung der behandelnden Ärzte wirklich helfen kann. Für eine Cannabispolitik, die den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt stellt, hat sich Minister Gröhe, dem ich für seinen Mut und sein Engagement in dieser Sache sehr herzlich danke, von Beginn dieser Legislaturperiode an eingesetzt. Ich bitte Sie alle um eine wohlwollende Beratung und eine schnelle Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes. Und noch etwas: Ich bitte Sie alle, diese Beratungen nicht für Grundsatzdiskussionen über Cannabis zu nutzen. Worum es hier geht, ist schnelle und wirksame Hilfe für Menschen in Not, die allesamt hoffen, dass das Gesetz „Cannabis als Medizin“ besser heute als morgen in Kraft treten kann. Burkhard Blienert (SPD): Mit dem heutigen Gesetzentwurf folgt die Bundesregierung der aktuellen Rechtsprechung. Die Gerichte hatten bekanntermaßen den Gesetzgeber quasi zum Handeln genötigt. Eine gefühlte Ewigkeit hat es für viele Betroffene gedauert, bis nun nach der Ankündigung der Drogenbeauftragten endlich der Gesetzentwurf vorliegt. Nun hat der Gesetzentwurf das Parlament erreicht. Mit ihm soll gewährleistet werden, dass Patienten, die auf die Heilkräfte der Hanfpflanze angewiesen sind, endlich diese Arznei unter bestimmten Aspekten verschrieben und erstattet bekommen. Wir vollziehen somit einen wichtigen und richtigen Schritt. Allerdings, und das darf nicht verschwiegen werden: Ein wesentlicher Knackpunkt bei Cannabis als Medizin besteht natürlich darin, dass uns viele Studien zur Wirkungsweise und möglichen Anwendungsgebieten noch nicht vollumfänglich vorliegen. Es fehlt in manchen Bereichen die Evidenz. Hier haben wir einen klaren Nachholbedarf. Ich bin an dieser Stelle aber froh, dass das Ministerium mittlerweile Abstand von seinen ersten Überlegungen genommen hat, eine verpflichtende Begleitforschung im Gesetz zu verankern. Sie sollte ursprünglich ja die Bedingung für die Kostenerstattung sein. Die jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene anonymisierte Begleiterhebung sehe ich als gangbaren Weg, mehr Evidenz zu erhalten, ohne Patienten zu Versuchskaninchen zu machen. In Hinblick auf die bald beginnenden Haushaltsberatungen sollten wir allerdings prüfen, ob die für die Erhebung angedachten Mittel ausreichend sind; aber dies werden wir an anderer Stelle nochmals thematisieren müssen. Wir sollten zu Cannabis als Medizin unbedingt Grundlagenforschung finanzieren! Mit diesem Gesetzgebungsverfahren wird sich nun jedenfalls endlich auf die Erkenntnisse jahrhundertealter Erfahrungen besonnen. Die Heilkräfte der Hanfpflanze sind schon seit der Frühgeschichte bekannt, in unserer Gesellschaft aber als Medizin weitestgehend außen vor gelassen worden. Aktuell darf Cannabis nur in sehr engen Grenzen verschrieben werden, erstattet wird der Medizinalhanf nur in wenigen Fällen bei Fertigarzneien. De facto existieren rund 779 Sondergenehmigungen, die im Wesentlichen bei fünf Diagnosen, wie chronischen Schmerzen, multipler Sklerose, Tourette-Syndrom, depressiven Störungen und ADHS, eine Verschreibung von Cannabisblüten erlauben. Und das vor dem Hintergrund, dass Experten darauf immer wieder hinweisen, dass der Einsatz von Cannabis als Medizin zwar kein Wundermittel ist, aber doch einer weitaus größeren Personenanzahl helfen würde. Deutschland betritt somit im Jahre 2016 mit der Einbringung dieses Gesetzentwurfes auf dem Gebiet der Cannabismedizin für sich gesprochen Neuland. Nunmehr soll ein Suchtstoff, der als Genussmittel illegal ist und dessen Anbau, Vertrieb und Besitz aktuell laut Betäubungsmittelrecht strafrechtlich sanktioniert wird, als Medizin unter bestimmten Aspekten legalisiert werden. Zentrale Herausforderung ist somit: Wie können die Beschaffung und der Vertrieb realisiert und organisiert werden? Natürlich gibt es auf dem Markt ausreichend Interessenten, die nur auf das finale Go warten und sofort mit der Cannabisproduktion in Deutschland starten wollen. Nach internationalen Abkommen bedarf es allerdings einer staatlichen Koordinierung. Die Beschaffung und der Vertrieb sollen daher nun über eine sogenannte Cannabisagentur, die dem BfArM angegliedert ist, erfolgen; der Eigenanbau damit verhindert werden. So weit, so gut. Es besteht große Einigkeit darüber, dass sich im Bereich „Cannabis als Medizin“ etwas ändern muss. Nun müssen wir im parlamentarischen Beratungsverfahren klären, an welchen Stellen der Gesetzentwurf noch Schwachstellen aufweist, an welchen Stellen noch Beratungsbedarfe bestehen. Ich will mich im Folgenden auf drei wesentliche Aspekte hierbei beschränken. Aspekt Therapiefreiheit: Derzeit ist geplant, dass chronisch kranke Menschen, bei denen keine Alternativbehandlung angeschlagen hat, infolge des Gesetzes nun Medizinalhanf beziehen können. Wer es verschrieben bekommen soll, obliegt dem behandelnden Arzt. Allerdings muss dieser, laut dem Entwurf, zunächst dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen nachweisen, dass der Patient tatsächlich austherapiert ist. Konkret bedeutet dies, dass jeder Erkrankte zunächst nachweislich alle Therapiestufen durchlaufen muss. Wir sollten hier nochmals prüfen, ob dies wirklich der einzig machbare Weg ist. Aspekt Kostenerstattung: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen, wie soeben beschrieben, prüft, ob der Patient austherapiert ist und infolgedessen die Kosten für Medizinalhanf erstattet bekommt. Auch hier wäre im parlamentarischen Verfahren zu prüfen, welche Auswirkungen diese Regelung haben könnte. Aspekt Verkehrstüchtigkeit: Im Gesetzentwurf lässt sich noch keine Regelung bezüglich der Fahrtüchtigkeit von Patienten, die Cannabisblüten verordnet bekommen haben, finden. Es ist interessant, wie hier verfahren werden soll. Nichtdestotrotz weist dieses Gesetzesvorhaben eindeutig in die richtige Richtung. Es greift die juristische und vor allem auch die medizinische Notwendigkeit zum Handeln auf. Drei Viertel der deutschen Bevölkerung befürworten, dass es Cannabis auf Rezept gibt. Einen Satz noch zu den immer viel diskutierten Kosten. Die Fachleute können aktuell nicht einschätzen, wie sich die Patientenzahlen nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen entwickeln werden. Allerdings, wenn man die Zahlen auch aus anderen Ländern zu Rate zieht, ist ein Anstieg zu vermuten. Der Gesetzentwurf selber geht von einem Entlastungsvolumen für die Patientinnen und Patienten von rund 1,7 Millionen Euro aus. Monatlich wären bis zu 1 800 Euro pro Patient wohl zu veranschlagen. Der Deutsche Hanfverband weist in diesem Zuge darauf hin, dass die Kosten für Fertigarzneien um ein Vielfaches höher lägen. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen, für mich steht der Patient im Mittelpunkt, und daher hat zu gelten: Jeder, dem diese Arznei hilft, muss diese auch ohne großen Geldbeutel einfach auf Rezept verschrieben und erstattet bekommen. Ich will im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens erreichen, dass der Zugang zu Cannabis als Medizin problemlos gewährleistet ist, das heißt ohne Versorgungslücken, ohne Qualitätsrisiken bei der Cannabisarznei und ohne Mangel an verschreibungsberechtigten Ärzten. Ich bin daher, wie eingangs dargelegt, zufrieden, dass wir nun diesen wichtigen Schritt zu Cannabis als Medizin angehen. Ich freue mich auf die Beratungen und bin zuversichtlich, dass wir zu einem guten Gesetz für alle Seiten gelangen werden. Hilde Mattheis (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften wird die Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln hergestellt. Damit helfen wir Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, für die es keine Therapiealternative gibt. Sie leiden unter schweren Schmerzen durch Krankheiten wie multiple Sklerose, epileptische Anfälle oder seltene andere Nervenerkrankungen. Arzneimittel auf Cannabisbasis können diesen Patientinnen und Patienten Linderung verschaffen. Derzeit verfügen 779 Patientinnen und Patienten über eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie. Allerdings müssen sie bislang die Kosten dafür selbst tragen; es gibt bisher keinen generellen Erstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse. Im Durchschnitt fallen monatliche Kosten von 540 Euro an, bei einigen Patientinnen und Patienten können es jedoch bis zu 1 800 Euro im Monat sein. Neben dieser Kostenbelastung plagt diesen Personenkreis die ständige Befürchtung, dass ihr Medikament nicht beschafft werden kann. Häufig treten Lieferengpässe auf, eine kontinuierliche Versorgung kann nicht immer gewährleistet werden. Für die betroffenen Menschen sind diese Umstände fatal. Lassen Sie mich das Schicksal dieser Betroffenen an einem Beispiel aus meinem Nachbarwahlkreis in Bayern schildern. Der junge Mann leidet an einer unheilbaren seltenen Nervenkrankheit, ist ständigen Schmerzen ausgesetzt. Er ist auf ein schmerzlinderndes Medikament angewiesen. Ausschließlich ein Medikament auf Cannabisbasis hilft. Alle anderen Medikamente wie zum Beispiel Morphium helfen kaum oder gar nicht und sind mit unzumutbaren Nebenwirkungen wie einer dramatischen Gewichtsabnahme verbunden. Es ist für diesen Menschen wie für alle anderen in vergleichbarer Situation eine echte Steigerung der Lebensqualität, wenn er einigermaßen schmerzfrei leben kann. Dieser junge Mann hat versucht, seine Versorgungssicherheit durch den Eigenanbau von Cannabispflanzen zu erreichen. Er ist vor einigen Wochen rechtskräftig wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelstrafrecht verurteilt worden. Mit diesem Gesetz wird er in Zukunft nicht nur die Kostenübernahme garantiert bekommen und nicht in die Illegalität abgedrängt werden. Er wird auch eine höhere Versorgungssicherheit haben. Menschen mit solchen Erkrankungen sind meist noch, wie auch in dem von mir geschilderten Fall, nicht besonders vermögend, oft sogar arbeits- und mittellos. Die enormen Arzneimittelkosten haben sie oft noch in die Verschuldung getrieben. Wir verbessern also auch die Lebensumstände; wir gewährleisten mit diesem Gesetz eine umfassende medizinische Versorgung. Jenseits von ideologischen Scheuklappen wird Linderung möglich. Auch wenn es sich derzeit um eine kleine Anzahl von Patientinnen und Patienten handelt, die Cannabisblüten und Cannabisextrakte auf ärztliche Verschreibung in Apotheken zur Schmerzlinderung nutzen, so bedeutet es doch für den Einzelfall eine enorme Erleichterung. Alle, die ohne solche Schmerzen leben dürfen, können sicher nur ahnen, wie lebenserleichternd das ist. Zukünftig werden neben den bisher zugelassenen Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis auch getrocknete Cannabisblüten und Cannabisextrakte verkehrs- und verschreibungsfähig. Durch eine anonyme Begleiterhebung sollen umfassende Kenntnisse über die therapeutischen Ergebnisse einer Anwendung von Cannabis als Medizinprodukt gewonnen werden. Für die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in kontrollierter Qualität soll der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland unter Beachtung der völkerrechtlich bindenden Vorgaben des VN-Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe ermöglicht werden. Diese Aufgaben soll einer Cannabisagentur übertragen werden. Bis der staatlich kontrollierte Anbau in Deutschland, der eine Cannabisagentur voraussetzt, erfolgen kann, wird die Versorgung mit Medizinalhanf über Importe gedeckt werden. Im weiteren parlamentarischen Verfahren werden wir unter anderem beraten, wie sichergestellt werden kann, dass eine Versorgung auch in ländlichen Regionen gewährleistet ist, wie dorthin Lieferengpässe verhindert werden können und somit ein deutlich verbesserter Zugang zu Cannabisarzneimitteln zum Wohle der Patientinnen und Patienten erfolgen kann. Ich bin sehr froh, dass wir für diesen Patientinnen- und Patientenkreis heute eine aus meiner Sicht überfällige Entscheidung auf den Weg bringen. Frank Tempel (DIE LINKE): Opposition und Patienten erkämpfen Verbesserungen bei Cannabismedizin. Grundsätzlich sind die von der Bundesregierung angestrebten Änderungen zur medizinischen Versorgung mit Cannabis richtig. Sie bedeuten eine Erleichterung für viele schwerstkranke Menschen. Ganz entschieden muss ich jedoch dem Eindruck widersprechen, die Bundesregierung hätte zum Wohl der Patientinnen und Patienten gehandelt. Das hat sie ausdrücklich nicht. Ganz im Gegenteil: Über Jahre hat die Bundesregierung die medizinische Versorgung mit Cannabis aus ideologischen Gründen verhindert. Man muss sich das vor Augen halten: Ein an multipler Sklerose schwersterkrankter Patient muss sich trotz seiner Krankheit über Jahre hinweg durch alle Instanzen bis zum Oberverwaltungsgericht klagen. Erst dann bekommt er das Recht auf eine angemessene medizinische Versorgung zugesprochen. Das war im Mai dieses Jahres. Und weil die Krankenkassen kein Cannabis erstatten, bekommt er sogar das Recht auf Eigenanbau zugesprochen. Erst verweigert ihm die Politik jede Hilfe. Dann ist sie nicht mal in der Lage, die Patienten ausreichend mit einem Medikament zu versorgen. Das ist komplette Politikverweigerung auf dem Rücken kranker Menschen. Erst als sich eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten ihr Recht vor den Gerichten auf eine angemessene medizinische Versorgung erstreiten mussten, sah sich die Bundesregierung zum Handeln genötigt. Und auch hierbei ließ sie sich jede Menge Zeit. Zur Erinnerung: Bereits im Februar 2015 versprach die Bundesdrogenbeauftragte die Kostenübernahme von Cannabis durch die Krankenkassen ab dem Jahr 2016. Doch der Kabinettsbeschluss ließ bis Mai dieses Jahres auf sich warten. Auf meine Nachfrage konnte die Bundesregierung nicht mal die sachlichen Gründe für die Verzögerung benennen. Auch das ist eine Form der Politikverweigerung. In der Zwischenzeit schrieben mir verzweifelte Menschen, denen die Bundesregierung ihre lebensnotwendige Medizin vorenthielt. Diese Menschen konnten sich die teure Cannabismedizin schlichtweg nicht leisten. Ihnen blieben nur zwei schlechte Möglichkeiten: entweder die Inkaufnahme der unerträglichen Schmerzen oder die Gefahr der Kriminalisierung durch die verbotene Versorgung über den Schwarzmarkt. Doch zum Glück hat Die Linke ihre Aufgabe als Oppositionsführerin erfüllt: Erst als der Bundesrat auf Initiative Thüringens unter dem Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow im letzten Jahr Druck machte, kam der Kabinettsbeschluss der Bundesregierung zustande. Erst als wir unseren Antrag zur medizinischen Verwendung von Cannabis im Bundestag eingebracht haben, kam Bewegung ins Spiel. Sie von der Unionsfraktion lesen unsere Anträge nicht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsministerium tun das offensichtlich schon. Und offensichtlich hielten sie unsere Kernforderungen für so richtig, dass sie diese einfach übernommen haben: Dazu zählen zum Beispiel: die Kostenerstattung von Cannabismedizin durch die Krankenkassen, die Möglichkeit, Cannabismedizin auch im Urlaub im EU-Ausland mitführen zu dürfen, und dazu zählt die Einrichtung einer Cannabisagentur. Das ist tatsächlich ein Meilenstein: Nur mithilfe dieser Agentur kann in Deutschland überhaupt auf legalem Weg Cannabis zu medizinischen Zwecken angebaut werden. Und nur so lassen sich die Lieferengpässe in der Versorgung vermeiden, welche Die Linke mit einer Kleinen Anfrage aufgedeckt hat. Auch wenn die erkämpften Verbesserungen jetzt auf den Weg gebracht werden, an Ihrer Verweigerungshaltung hat sich nichts verändert. Regelmäßig haben Sie die Anträge meiner Fraktion in den Haushaltsberatungen abgelehnt. Darin wollten wir die Forschung für Cannabismedizin ausbauen. Nun fehlen die entsprechenden Studien. Und auch diesen Mangel müssen nun die Patientinnen und Patienten ausbaden. Cannabismedizin bekommt erst derjenige erstattet, der sich für die Begleitforschung zwangsrekrutieren lässt. Das ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Medizin. Im Übrigen wird Ihnen jeder Mediziner sagen, dass 850 000 Euro für eine 60-monatige Begleitforschung vorne und hinten nicht reichen. Deswegen gebe ich Ihnen zum Abschluss noch einen Tipp: Wenn Sie schon nicht auf mich hören wollen, fragen Sie wenigstens ihren Arzt oder Apotheker. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hat sich viel Zeit gelassen, um endlich zu erkennen, dass die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, nicht länger ignoriert werden können. Ich setze mich bereits seit fast zehn Jahren dafür ein, dass der Zugang zu Cannabis als Medizin für betroffene Patientinnen und Patienten auch in Deutschland endlich ermöglicht wird. Denn Fakt ist: Deutschland hinkt mächtig hinterher und hat schwerkranken Patientinnen und Patienten jahrelang dicke Steine in den Weg gelegt. In mehreren US-Bundesstaaten, in Kanada, den Niederlanden und Israel ist die medizinische Verwendung von Cannabis längst möglich. In anderen Ländern wie Spanien oder Belgien müssen Patientinnen und Patienten, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, keine Strafverfolgung fürchten. Patientinnen und Patienten, die aus medizinischen Gründen auf Cannabis angewiesen sind, leiden unter schweren chronischen Erkrankungen, die teilweise tödlich verlaufen. Standardtherapien haben bei betroffenen Patientinnen und Patienten entweder versagt oder gehen mit so starken Nebenwirkungen einher, dass der gesundheitliche Zustand verschlechtert wird. Patientinnen und Patienten, denen Cannabis hilft, wurden erfolglos therapiert und finden Linderung ihrer Symptome nur in der Behandlung mit cannabishaltigen Medikamenten oder getrockneten Cannabisblüten. Die Cannabistherapie bedeutet bessere Lebensqualität. Schon aus moralischen Gründen darf schwer erkrankten Patientinnen und Patienten ohne Behandlungsalternativen eine adäquate Therapie mit Cannabis nicht verweigert werden. Das wird auch durch mehrere Gerichtsbeschlüsse deutlich. Darüber hinaus stellt sich jedoch auch die Frage der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung. Denn betroffenen Patientinnen und Patienten steht, bis auf wenige Ausnahmen, keine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu. Cannabis-Patientinnen und -Patienten leiden nicht nur an ihrer Erkrankung, sondern werden im Falle der mühsam erwirkten Ausnahmegenehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit den enormen Behandlungskosten von bis zu 1 500 Euro im Monat konfrontiert. Das übersteigt in vielen Fällen die finanziellen Möglichkeiten der häufig arbeitsunfähigen Patientinnen und Patienten. Wer die hohen Kosten nicht selbst aufbringen kann, um Medizinalhanf in der Apotheke zu beziehen, sieht sich gezwungen, das günstigere, aber unkontrollierte und verunreinigte Cannabis vom Schwarzmarkt zu beziehen oder Cannabis selbst anzubauen. Die Folge sind Strafverfahren, die nur unter der Auflage eingestellt werden, zukünftig kein Cannabis mehr zu konsumieren. Da viele Patientinnen und Patienten auf eine regelmäßige Einnahme von Cannabis angewiesen sind, werden sie zudem als Wiederholungstäterinnen und -täter oder wegen des Besitzes nicht geringer Mengen zu empfindlichen Geld- oder Haftstrafen verurteilt. Damit werden ausgerechnet jene Menschen der Strafverfolgung ausgesetzt, die aufgrund ihrer teilweise schweren Erkrankung ohnehin körperlich und seelisch erheblich belastet sind. Darum habe ich bereits 2007 gefordert, dass die strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, besitzen oder anbauen, beendet wird. Des Weiteren habe ich mich dafür eingesetzt, dass arzneimittelrechtlich zugelassene Cannabisextrakte wie Dronabinol verschreibungsfähig werden. Die damalige Regierungskoalition von Union und SPD ignorierte die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten und sah keinen Handlungsbedarf. 2011 forderten wir Grünen die Bundesregierung erneut auf, den straffreien Zugang zu Cannabis als Medizin für Patientinnen und Patienten, die Cannabis auf ärztliche Empfehlung hin nutzen, zu ermöglichen. Zudem sollte die zulassungsüberschreitende Verschreibung, der Off-Label-Use, von bereits zugelassenen Fertigarzneimitteln auf der Basis von Cannabis erleichtert werden und dadurch eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen erfolgen. Auch damals lehnte die Regierung von Union und FDP unseren Antrag ab, obwohl sich auch zu jenem Zeitpunkt die Situation von betroffenen Patientinnen und Patienten keineswegs gebessert hatte. Experten in der Anhörung des Gesundheitsausschusses haben sich schon vor vielen Jahren für eine Möglichkeit zur medizinischen Verwendung von Cannabis ausgesprochen. Sie haben auch nicht die Wirksamkeit von Cannabis für bestimmte Indikationen in Abrede gestellt. Und sie haben ein durch den medizinischen Cannabisgebrauch resultierendes Gesundheitsrisiko einer Abhängigkeitsentwicklung für vernachlässigbar erklärt. Dass die Bundesregierung jetzt ihre Meinung geändert hat und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hat, zeigt, dass sich die Bundesregierung dem langjährigen Einsatz betroffener Patientinnen und Patienten für ihre Belange, Gerichtsurteilen zu Cannabis als Medizin und dem zunehmendem politischen Druck auch von uns Grünen nicht länger entziehen und entgegenstellen kann. Die Bundesregierung geht das Thema medizinisches Cannabis jedoch immer noch mit Scheuklappen an. Ihr Vorschlag verbessert die Behandlungssituation von Betroffenen nur minimal. Die Zahl der beantragten Ausnahmegenehmigungen zeigt: Immer mehr Patientinnen und Patienten sind auf Cannabis als Medizin angewiesen, um ihre Symptome zu lindern. Die Zahl der genehmigten Anträge ist von 2011 mit 38 ausgestellten Ausnahmegenehmigungen auf aktuelle 779 Ausnahmegenehmigungen gestiegen. Cannabishaltige Medikamente und getrocknete Cannabisblüten sollen aber weiterhin nur dann verschrieben werden dürfen, wenn die Betroffenen alle anderen Behandlungsmöglichkeiten erfolglos und oft mit schwerwiegenden Nebenwirkungen ausprobiert haben. Zudem soll die Krankenkasse erst dann zahlen, wenn sich die Betroffenen für eine Begleiterhebung zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung legt damit Schwerkranken auf der Suche nach Hilfe weiterhin dicke Steine in den Weg. Die verpflichtende Begleiterhebung ist eine Farce. Das wird auch in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage „Versorgung mit Cannabis als Medizin“ deutlich. Denn die Bundesregierung geht selbst davon aus, dass die Ergebnisse der Begleiterhebung kaum Aussagekraft haben werden. Dass Patientinnen und Patienten dennoch daran teilnehmen müssen, um ihre Therapiekosten erstattet zu bekommen, grenzt an Nötigung. Die Bindung der Kostenerstattung an die Teilnahme an der Begleiterhebung ist ein Novum, das den betroffenen Patientinnen und Patienten die Selbstbestimmung nimmt. Denn indirekt Zwang auf schwerkranke Patientinnen und Patienten auszuüben, ist schäbig, als ob es nicht auch freiwillige Lösungen gäbe. Anstatt fragwürdiger und erzwungener Begleiterhebungen sollte die Bundesregierung lieber solide Forschungsvorhaben zur Wirksamkeit von Cannabis als Medizin fördern. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen bereits heute, dass Cannabis bei schweren Erkrankungen wie HIV, multipler Sklerose, chronischen Schmerzen, Epilepsie oder Krebs Linderung bewirken kann. So ist ein therapeutischer Effekt im Hinblick auf Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit oder Angstzustände bei Tumorpatientinnen und -patienten belegt. Erkenntnisse zur Wirksamkeit gibt es auch bei der Spastik bei Multiple-Sklerose-Patientinnen und -Patienten, erhöhtem Augeninnendruck, Tourette-Syndrom oder bei starken Schmerzen unterschiedlichster Ursachen. Grundsätzlich ist die Erforschung von Cannabis als Medizin zu begrüßen. Denn tatsächlich ist die Erforschung von Cannabis als Medizin noch nicht abgeschlossen, auch weil sie jahrelang durch restriktive Gesetze behindert wurde. Die fehlenden Daten bedeuten jedoch nicht, dass Cannabis nicht wirkt. Nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch Ärztinnen und Ärzte haben gute Erfahrungen mit dem Einsatz von medizinischem Cannabis gemacht. Wie dringend notwendig diese Forschungsförderung ist, zeigt sich auch an einem anderen Aspekt: Die gesetzlichen Krankenkassen haben bereits angezweifelt, ob sie die Kosten für Medizinalhanf erstatten müssen, da die Wirksamkeit dieser Therapie nicht in jedem Fall bewiesen ist. Die Versorgung mit medizinischem Cannabis steht damit schon jetzt auf wackligen Beinen. Die Prüfung der Anträge auf Kostenerstattung bei betroffenen Patientinnen und Patienten soll der Medizinische Dienst der Krankenkassen vornehmen, der bislang noch keine Erfahrung mit dem Einsatz von Cannabis als Medizin und einer Nutzen-Schaden-Abwägung im Vergleich zu anerkannten medizinischen Verfahren hat. Es wird sich zeigen, wie restriktiv der Medizinische Dienst der Krankenkassen die Regelungen im Gesetzentwurf auslegen wird, insbesondere wenn es um die Fragen geht, was eine schwerwiegende Erkrankung ist und wann ein Mensch als erfolglos therapiert gilt. Im Zweifelsfall müssten betroffene Patientinnen und Patienten weiter die hohen Kosten selbst aufbringen oder vor Gericht ihr Recht erstreiten. Das ist für schwerkranke Menschen unzumutbar. Wir werben sehr dafür, dass für betroffene Patientinnen und Patienten endlich eine Regelung geschaffen wird, die eine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen verbindlich macht und garantiert. Diesbezüglich hat auch das Bundesverwaltungsgericht jüngst entschieden, dass der Eigenanbau von Cannabis als Medizin für betroffene Patientinnen und Patienten, die an einer schweren Erkrankung leiden und denen zur Behandlung der Krankheit keine gleich wirksame und erschwingliche Therapiealternative zur Verfügung steht, erlaubt ist. Die Leipziger Richter begründeten in ihrem Urteil, dass in solchen Fällen der Eigenanbau betäubungsmittelrechtlich im öffentlichen Interesse liegt. Wenn es keine anderweitigen Versagensgründe gibt, sei die Erlaubnis zwingend. Denn erkrankte Menschen könnten sich hier auf ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit berufen. Auch wenn die Bundesregierung die Möglichkeit des Eigenanbaus in ihrem Gesetzentwurf aus ordnungs- und sicherheitspolitischen Gründen ausschließt, kann sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht ignorieren. Schwerkranke Patientinnen und Patienten können nicht länger warten, bis der Gesetzentwurf beschlossen wurde und vielleicht erst in ein paar Jahren genug Medizinalhanf zur Verfügung steht, der aus der Apotheke bezogen werden kann. Denn schon heute gibt es Lieferengpässe, sodass die Apotheken die Versorgung mit Cannabis als Medizin nicht immer gewährleisten können. Mindestens bis dahin muss auch der Eigenanbau genehmigt werden. Und hier würde die Bundesregierung endlich gut daran tun, die Strafverfolgung von Inhabern einer Sondererlaubnis für Eigenanbau von Cannabis zu beenden. Die Strafverfolgung von Menschen, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, ist skandalös und inhuman. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern – des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Ingo Gädechens (CDU/CSU): In einem fraktionsübergreifenden Antrag wollen wir heute die Entschädigung von Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA weiter verbessern. Viele Soldaten haben während ihrer Dienstzeit an militärischen Radaranlagen – aufgrund von Mängeln bei den Sicherheitsvorkehrungen – gesundheitliche Schäden davongetragen. Der Union war es immer wichtig, dass diese Kameradinnen und Kameraden möglichst unbürokratisch entschädigt werden, denn sie haben im Dienst für unser Land zum Teil erhebliche Beeinträchtigungen und Krankheiten davongetragen, die ihre heutige Lebensqualität deutlich einschränken. Das Bundesministerium der Verteidigung war und ist daher in der Fürsorgepflicht, dieser Personengruppe eine angemessene Wiedergutmachung nach dem Wehrdienstbeschädigungsverfahren zukommen zu lassen. Und auch unter dem Druck aus dem parlamentarischen Raum ist das Bundesministerium in den vergangenen Jahren tätig geworden und ist seiner Verpflichtung nachgekommen. Dafür gilt mein herzlicher Dank. Es wäre zu wünschen gewesen, dass das ein oder andere Verfahren in der Vergangenheit zügiger zum Abschluss gekommen wäre, aber auch hier sind in der Zwischenzeit deutliche Fortschritte gemacht worden. Fortschritte in der Entschädigungspraxis konnten in der Vergangenheit auch durch ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren erreicht werden: Da aufgrund bereits vernichteter Dokumentationsunterlagen eine lückenlose Nachweis- und Beweisführung in vielen Fällen nicht mehr möglich ist, war es richtig, ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren anzusetzen, bei dem eine qualifizierte Erkrankung und eine qualifizierte Tätigkeit an den Radaranlagen geprüft wurden. Dieses vereinfachte Verfahren hat sich bewährt und dazu geführt, dass viele Betroffene in den letzten Jahren entschädigt werden konnten. Vor dem Hintergrund, dass seit dem Bericht der Radarkommission vom 2. Juli 2003 neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Tragen kommen, war es richtig, dass das Bundesministerium der Verteidigung eine erneute wissenschaftliche Überprüfung von Krankheitsbildern in Auftrag gegeben hat. Die Meineke-Kommission hat am 19. Februar 2016 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Dieser hat ausführlich die aktuellen wissenschaftlichen, medizinischen und strahlenbiologischen Erkenntnisse dargestellt und klare Empfehlungen im Umgang mit der Radarproblematik ausgesprochen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat zu diesem Bericht ebenfalls eine umfassende Stellungnahme vorgelegt, die den Empfehlungen der Meineke-Kommission damit weitestgehend folgt. Für die Unionsfraktion ist wichtig, dass Entschädigungen für Krankheitsbilder auf Grundlage der Wehrdienstbeschädigungsverfahren nur gewährt werden, solange eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als Radarsoldat stehen. Eine gewisse Plausibilität muss gegeben sein, alles andere wäre Willkür. Deshalb ist für die Union klar, dass auch weiterhin ein eindeutiger Zusammenhang einer qualifizierenden Erkrankung und einer qualifizierenden Tätigkeit vorhanden sein muss, um eine faire Entschädigung zu ermöglichen. Der Deutsche Bundestag hat ein vitales Interesse daran, dass der betroffene Personenkreis schnell und unbürokratisch entschädigt wird. Daher muss das BMVg ausreichend Personal im Bundesamt für Personalmanagement vorhalten, welches die Radarfälle bearbeitet. Auch die zügige Anerkennung von weiteren Krankheitsbildern und Symptomen als qualifizierte Erkrankungen ist anzumahnen – sofern hierfür eine fundierte wissenschaftliche Basis gegeben ist. Der Bundestag wird die Umsetzung der im Antrag genannten Punkte genau überprüfen und erwartet hierzu vom BMVg einen Zwischenbericht bis Ende Oktober. Die Entschädigungspraxis des Bundesministeriums der Verteidigung und die in den letzten Jahren bereits deutlich beschleunigten Verwaltungsverfahren werden mit diesem Antrag in aller Deutlichkeit anerkannt und gelobt. Der hier vorliegende Antrag stellt somit keine grundsätzliche Kritik am Vorgehen des Bundesministeriums der Verteidigung dar. Vielmehr fordert dieser das BMVg dazu auf, am Ball zu bleiben und die Empfehlungen der Meineke-Kommission zügig umzusetzen. Karin Strenz (CDU/CSU): Ich habe vor wenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag zum zweiten Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR gesprochen. Auf der Grundlage des Staatsplan 1425 wurden die damaligen Leistungssportler unwissentlich gedopt, die gesundheitlichen Auswirkungen machten sich jedoch erst viel später bemerkbar. Viele Opfer leiden heute massiv unter diesen Spätfolgen, deswegen war es unsere Pflicht, eben diesen Menschen unter die Arme zu greifen. Kommen wir zu unserem heutigen Thema: Nicht anders ist es mit den Opfern, die durch schädliche Strahlung an militärischen Radargeräten heute mit erheblich gesundheitlichen Folgen zu kämpfen haben. Über die Gefahren hat damals wie schon beim Doping keiner gesprochen – der Mensch hatte zu funktionieren und seine Aufgaben zu erfüllen. Krebs, Tumore, Amputationen, Fehlbildungen menschlicher Organe und Glieder, um nur einige unglaublich tragische Beispiele zu nennen, sind die schreckliche Bilanz. Die massiven Schäden durch eben diese militärischen Radaranlagen haben eine nicht genau zu identifizierende Anzahl von Soldaten, aber auch zivilen Angestellten der Bundeswehr sowie der NVA erlitten, die im Zeitraum ab den 50er-Jahren bis in die 80er-Jahre hinein ihren Dienst an den Geräten leisteten. Dabei waren die Opfer zum Teil Röntgenstrahlung und Mikrowellenstrahlung ausgesetzt. Ein Großteil dieser Menschen entwickelte die schon angesprochenen Erkrankungen, die mit der Röntgenstrahlung zweifelsfrei in Verbindung gebracht werden können. Dieses heikle Thema zieht sich nun schon einige Jahre durch die parlamentarischen Gremien. Ein Rückblick: Was ist bisher geschehen? Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 2002 das Bundesministerium der Verteidigung aufgefordert, eine Kommission mit unabhängigen Experten einzurichten. Ziel war es, die Frage nach der Gefährdung durch Strahlung in Einrichtungen der Bundeswehr und NVA näher zu beleuchten. In diesem Zusammenhang wurde schließlich 2003 ein Bericht erstellt. Dieser umfasst einen Kriterienkatalog, der als Maßstab dafür dient, welche Erkrankungen auf Radarstrahlen zurückzuführen seien. Zudem haben wir mit der Unterzeichnung des Treuhandvertrages zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Soldatenhilfswerk der Bundeswehr e.V. am 22. Mai 2012 unter der Trägerschaft des Soldatenhilfswerks der Bundeswehr e.V. die „Treuhänderische Stiftung zur Unterstützung besonderer Härtefälle in der Bundeswehr und der ehemaligen NVA – kurz: Härtefallstiftung – zu dem Zweck errichtet, insbesondere krankheitsbedingt entstandene Härten abzumildern. Um auch auf aktuelle Ergebnisse zurückgreifen zu können, wurde Anfang des Jahres 2015 ein Symposium mit Experten unter der Leitung von Professor Dr. Meineke abgehalten. Die Expertengruppe um Professor Meineke hat uns wertvolle Anregungen für die zielgerichtete Fortentwicklung und Beschleunigung des Verwaltungshandelns und konstruktive Lösungswege für die Entschädigung gegeben. Ein zentraler Punkt war die Empfehlung von vereinfachten Kriterien und Beweiserleichterungen für die Anerkennung von Versorgungsanträgen. An dieser Stelle möchte ich der Expertengruppe für ihre fachliche Arbeit herzlich danken. Im Vorfeld dieses Symposiums habe ich die zuständigen Berichterstatter der Fraktionen, Mitglieder des „Bund zur Unterstützung Radarstrahlengeschädigter Deutschland e.V.“ und die Vertreter aus dem Verteidigungsministerium zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Dieses Gespräch war in meinen Augen absolut wichtig – eine gemeinsame Runde mit den Betroffenen sowie Entscheidungsträgern hilft uns, die Dinge gemeinsam weiter anzupacken. Es ist wichtig, an einem Strang zu ziehen. Heute nun gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Wir Parlamentarier sind mit diesem Antrag darum bemüht, den Fortschritt in der Entschädigungspraxis weitergehend zu unterstützen sowie mit zusätzlichen Forderungen den Opfern zügig unter die Arme zu greifen. Im Folgenden möchte ich näher auf unseren neuen Antrag eingehen. So setzen wir uns für mehr Personal im Bundesamt für das Personalmamagement der Bundeswehr ein, welches die Radarfälle bearbeitet. Ziel ist es, die Verfahrensdauern zu verkürzen. Viele Betroffene sind im Alter bereits weit vorangeschritten, deswegen ist es auch notwendig, keine wertvolle Zeit zu verlieren. Neben der 1:1-Umsetzung der Entscheidungen der Radarkommission aus dem Jahre 2003 fordern wir heute zugleich umgehend die Berücksichtigung der Empfehlungen des Expertenberichts der Meineke-Kommission im Sinne der Stellungnahme des BMVg. Weiterhin möchten wir die Zusammenarbeit mit der bereits angesprochenen Härtefall-Stiftung weiter intensivieren. Dazu gehört in unseren Augen eine zusätzliche Ausstattung hinsichtlich der Mittel aus dem Einzelplan 14. Für eine hinreichende und zielführende Bearbeitung der Anträge erachten wir es zudem als unabdingbar, die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Forschung und Lehre zu beobachten und die gesicherten Erkenntnisse in der künftigen Verwaltungspraxis zu berücksichtigen. Ein weiterer Punkt, der in unserem Antrag volle Beachtung findet, ist die Vorlegung eines Zwischenberichts zum Stand der Umsetzung an den Verteidigungsausschuss bis Ende Oktober 2016. Die Evaluierung, die Grundlage stellt eben dieser Bericht, ist extrem wichtig. Dies trifft generell auf jeden verabschiedeten Antrag zu, aber aufgrund der enormen Wichtigkeit dieses sensiblen Bereichs müssen wir hier umso mehr hinschauen. Es ist oberste Prämisse, dass möglichst viele Menschen, die mit den gesundheitlichen Einschränkungen und Folgeerkrankungen zu kämpfen haben, berücksichtigt werden. Wir alle können sicher sein, dass in der Bundeswehrverwaltung weiterhin intensiv an der Optimierung der Verfahren gearbeitet wird und die Radarfälle oberste Priorität haben. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Auf den ersten Blick geht es bei der Radarstrahlenproblematik um Zahlen, Statistiken und Fakten. Es geht um Entschädigungsverfahren, Gerichtsfälle, Strahlenexposition, Millisievert und Krankheitsbilder. Diese Rahmendaten lassen nur erahnen, dass dahinter Menschen stecken – Hunderte ehemalige Soldaten, eingesetzt in Flugzeugen, auf Schiffen und Panzern In der Zeit von 1960 bis 1985 waren sie als Radartechniker und Unterstützungspersonal mit Radargeräten im Kontakt, bei der Bundeswehr und bei der NVA. Die dadurch entstandenen Krankheiten, allen voran Krebs, haben ihre Leben schwer gezeichnet oder ihnen gar ein Ende gesetzt. Sie kämpfen seit geschlagenen 16 Jahren um eine ordentliche Anerkennung und Entschädigung. Man rechnet damit, dass 240 von ihnen bereits verstorben sind. Das Perfide daran: Bis in der 1990er-Jahre hinein bestritt die Bundeswehr noch einen Zusammenhang zwischen Radarstrahlungen und Erkrankungen. Was heute jedes Kind weiß, konnten die Soldaten damals nur ahnen. Dennoch wäre es kindlich zu glauben, dass eine Entschädigung damit geregelt wäre. Bis heute müssen die meist älteren Geschädigten ihre Ansprüche in einem äußerst komplexen und langen Verfahren stellen. Dabei müssen meist sie beweisen, dass sie an einem Radargerät tätig waren. Angesichts einer lückenhaften Dokumentation innerhalb der verschiedenen Wehrbereichsverwaltungen oft ein Ding der Unmöglichkeit. Dies mündet dann oft in unzähligen Gerichtsverfahren, die erst in jüngster Vergangenheit zugunsten der Geschädigten ausgingen. Man könnte an dieser Stelle die bisherige Chronik der Radarsoldaten bis ins letzte Detail wiederholen und versuchen aufzuklären sowie einzelne Schicksale zu beleuchten. Aber Tatsache ist: Dieses Thema stellt einen schwarzen Fleck in der Geschichte der Bundeswehr dar. Der Bundeswehrverwaltung wurde von den Gerichten mehr als einmal vorgehalten, wie schlecht die Zusammenarbeit funktioniert. Das Bundesministerium wies jede Verantwortung für diese Misere von sich, jeder politische Vorstoß wurde als Affront interpretiert, politische Verhandlungen wurden als unnötig abgetan. Manchmal hatte man gar den Eindruck, es wird auf Zeit gespielt – das Problem Radarsoldat würde sich selbst lösen. Im Angesicht des menschlichen Leids eine zynische Ungeheuerlichkeit. Der nun vorliegende Antrag wird diesen Makel nicht bereinigen können. Aber er geht ganz konkrete Schritte voran und leistet einen entscheidenden Beitrag zur Anerkennung des Schadens. Er versucht da Fehler auszubügeln, wo es hakt. Und er ist ein klares Signal an die Soldatinnen und Soldaten: Dies ist unsere Parlamentsarmee, wir kümmern uns um euch! Erstens beruhen Wehrdienstbeschädigungsverfahren bislang auf einer vom Deutschen Bundestag 2002 eingesetzten Expertenkommission, die nur bösartige, sogenannte maligne Tumore und Katarakte als qualifizierende Erkrankungen anerkennt. Nun sollen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse mit in die Entscheidung fließen. Klar ist zum Beispiel, dass ab sofort auch gutartige Tumore berücksichtigt werden. Zweitens mussten Geschädigte in der Vergangenheit selbst den Kausalzusammenhang zwischen Radargerät und Erkrankung nachweisen. Nun erfolgt eine Beweiserleichterung auch in der sogenannten Phase zwei zugunsten des Antragstellers. Drittens wird das Personal zur Bearbeitung von Radarfällen aufgestockt. Viertens wird die Härtefallstiftung besser ausgestattet und einbezogen. Sie springt immer dann ein, wenn selbst die Entschädigungsanträge zu keinem Ergebnis führen. Sie steht für mich dafür, dass die Menschen mehr verdient haben als pure Bürokratie und Verwaltungsakte entlang starrer Vorgaben. Fünftens wird auch endlich für eine Studie zu möglichen Genschädigungen von Nachkommen von Radartechnikern grünes Licht gegeben. Fehler der Vergangenheit wie die fehlende Anerkennung von Radarstrahlenschädigungen werden wir niemals ganz wegbekommen. Aber wir können daran arbeiten. Dass dies mit dem vorliegenden Antrag nicht fraktionsübergreifend funktioniert, empfinde ich persönlich als überaus peinlich. In Richtung der Fraktion CDU/CSU: Mir ist es egal, ob neben SPD auf dem Briefkopf auch die Fraktion der Linken steht. Das ändert nichts am Inhalt, sehr wohl aber das Signal an die Soldatinnen und Soldaten: Wir, das Parlament, stehen hinter euch. Wir unterstützen euch, wenn es darauf ankommt. Die Bundeswehr besteht meines Erachtens aus mehr als Panzern, Flugzeugen, Schiffen und Material. Sie besteht aus Menschen. Katrin Kunert (DIE LINKE): Radarstrahlenopfer: Zeit zum Handeln statt zum Aussitzen! – Seit Jahrzehnten führen viele ehemalige Bundeswehr- und NVA-Angehörige einen engagierten, aber häufig vergeblichen Kampf um Anerkennung und Entschädigung für ihre im Dienst erlittenen schweren Gesundheitsschäden. Oft geht es dabei um Krebserkrankungen als Folge von radioaktiver Strahlung an Radargeräten, an denen die Betroffenen gearbeitet haben. Die Ministerialbürokratie des Verteidigungsministeriums wirft ihnen ständig Knüppel zwischen die Beine und befürchtet offenbar einen Dammbruch, wenn zu viele von ihnen recht bekämen. Dazu ist es bislang nicht gekommen, da viele der todkranken ehemaligen Soldaten im Laufe der sich endlos hinschleppenden Verfahren versterben. Die Bundesregierung musste auf schriftliche Nachfrage einräumen, dass seit 2003 von 748 Antragstellern nachweislich mindestens 117 verstorben sind. – So darf mit schwerstkranken Menschen nicht umgegangen werden. Ich bin mir sicher: Wären nur ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee der DDR betroffen, hätte die Bundesregierung das Problem längst gelöst. Das geht aber nicht, eben weil ehemalige Bundeswehrangehörige genauso betroffen sind. Das zeigt, es gab zu jener Zeit in den Streitkräften auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ein zu gering ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein im Umgang mit ionisierender Strahlung an Radargeräten. Aus diesem Grund müssen auch die Betroffenen gleich behandelt werden ─ egal in welcher Armee sie früher gedient haben. Sehr spät, immerhin 13 Jahre nach dem Bericht der Radarkommission, hat sich die Bundesregierung nunmehr selbst eingestanden, dass sie das Problem nicht länger aussitzen kann. Die Bundeswehr schadet ihrem Image, solange sie den Dienstversehrten die kalte Schulter zeigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn endet eben nicht am Kasernentor. Die Koalition hätte die Gelegenheit nutzen können, um die Opposition mit ins Boot zu holen. Es wäre zweifellos im Interesse der Sache gewesen, wenn sich der gesamte Bundestag in die Verantwortung hätte nehmen lassen. Die Linke ist dazu bereit gewesen. Stattdessen wurde auf alleiniges Betreiben der CDU/CSU-Fraktionsspitze die Linke von dem interfraktionellen Antrag nachträglich ausgeschlossen. Sie zeigen damit, dass es ihnen nicht um die Sache geht, sondern um Parteiideologie. Es überrascht deshalb nicht, dass sie den Tagesordnungspunkt zu später mitternächtlicher Stunde aufgesetzt haben, um die Angelegenheit möglichst geräuschlos ohne öffentliche Debatte durchzuwinken. Sie werden dies wahrscheinlich gar nicht erwarten: Ich bedanke mich dennoch an dieser Stelle ausdrücklich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern aller Fraktionen für die gute Zusammenarbeit. An ihnen hat es nicht gelegen, sondern an der Fraktionsführung der CDU/CSU. Die Linke musste deshalb einen eigenen Antrag vorlegen, der einige weitergehende Verbesserungen für die Betroffenen enthält. Bei dem interfraktionellen Antrag werden wir uns enthalten. Wir unterstützen die Forderung des Bundes zur Unterstützung Radarstrahlengeschädigter nach Einrichtung eines unabhängigen Expertengremiums, das in strittigen Einzelfällen vermitteln soll. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Blockadepolitik des Verteidigungsministeriums sind die Befürchtungen der Betroffenen nur allzu berechtigt, dass anderenfalls die Auszahlung von Entschädigungen weiterhin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben wird. Das ist nicht hinnehmbar. Vor diesem Hintergrund: Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser. Das zeigt auch die Vorgeschichte des interfraktionellen Antrags: Das Verteidigungsministerium hat im Februar 2015 ein Fachsymposium mit von ihm selbst benannten Expertinnen und Experten durchgeführt, was durchaus symptomatisch für das Vorgehen der Bundesregierung ist. Doch selbst die eigenen Expertinnen und Experten haben der Bundesregierung bescheinigt, dass künftig alle gutartigen Tumore in den Katalog der erstattungsfähigen Erkrankungen aufgenommen werden müssen. Nur deshalb hat sie ihren Widerstand dagegen aufgegeben. Es ist gut, dass sie wenigstens darauf gehört hat. Die Linke ist darüber hinaus der Meinung, dass auch Soldaten, die in Kontakt mit radiumhaltiger Leuchtfarbe Ra-226 gestanden haben und erkrankt sind, generell entschädigt werden sollten. Grundsätzlich wollen wir, dass alle chronischen Erkrankungen, die auf ionisierende Strahlung zurückgeführt werden können, vom Gesetzgeber als entschädigungsfähig anerkannt werden, sofern die betroffenen Antragsteller im Rahmen ihrer Dienstausübung an entsprechenden Geräten gearbeitet haben. Damit würden keineswegs die Schleusen geöffnet, der Personenkreis bliebe überschaubar. Wir wollen den Radargeschädigten unbürokratisch helfen, weil viele von ihnen den ursächlichen Zusammenhang heute oft nicht mehr lückenlos belegen können. Wegen der lange Zeit unterschätzten Gefahr, die von den damaligen Radargeräten ausging, gab es keine hinreichenden Dokumentationspflichten. Das darf den heute Erkrankten jedoch nicht zum Nachteil gereichen. So weit geht der interfraktionelle Antrag nicht. Er enthält zwar einige substanzielle Verbesserungen für die Betroffenen. Wir werden dennoch die Umsetzungsmaßnahmen aufmerksam verfolgen und die Bundesregierung an ihren konkreten Taten messen. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir heute die Entschädigung für Radargeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA verbessern, dann war dies ein langwieriger und steiniger Weg. Die Art und Weise, in der das Bundesverteidigungsministerium bisher mit den Radargeschädigten umgegangen ist, entspricht so gar nicht dem hehren Leitbild, demzufolge die Bundeswehr ihre Soldatinnen und Soldaten umfassend umsorgt, im Gegenteil. Menschen, die durch den Dienst in den Streitkräften ihre Gesundheit verloren haben, wurden jahrelang zu lästigen Bittstellern degradiert. Soldaten, die auf die Loyalität und Treue ihres Dienstherrn vertraut haben, wurden in diesem Vertrauen bitter enttäuscht. Deshalb bin ich froh, dass es uns in langen Verhandlungen gelungen ist, uns auf einige zentrale Verbesserungen für die Radargeschädigten zu verständigen. Aber ich will Ihnen nicht verhehlen: Ich habe mich in diesem Prozess mehr als einmal für unseren Staat geschämt! Seit 15 Jahren wissen wir nun: Soldaten der beiden deutschen Armeen waren bis in die 1980er-Jahre unwissend ionisierender Strahlung ausgesetzt und sind teilweise schwer erkrankt. Die Reaktion der Politik auf Bekanntwerden der ersten Fälle erfolgte relativ fix: Schon 2002 wurde eine Kommission eingesetzt, die Zusammenhänge zwischen Radarstrahlung und Erkrankungen untersuchte. 2003 wurde vorgeschlagen, für bestimmte Erkrankungen Wehrdienstbeschädigungen anzuerkennen. Viele Betroffene warteten aber vergebens auf Unterstützung. Einige werfen der Bundesregierung vor, sie spiele auf Zeit und verzögere Verfahren, bis die Opfer nicht mehr klagen können oder wollen. In der Tat sind der Verwaltung einige Vorwürfe zu machen: da wurden wissenschaftliche Gutachten zum Zusammenhang zwischen Strahlung und konkreten Erkrankungen ignoriert; da wurden Entschädigungsanträge mit dem Argument abgelehnt, die Opfer könnten ja den Vollbeweis zur Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung erbringen; wohlwissend, dass hierzu die nötigen „Beweise“ rein faktisch gar nicht mehr erbracht werden können; da dauerte es Jahre, bis das BMVg Stellungnahmen abgab und da zogen sich Gerichtsverfahren über zehn und mehr Jahre hin. Ein Richter stellte sogar unumwunden fest, dass die Bundeswehrverwaltung um argumentative Tricks und Kniffe nicht verlegen war, wenn es darum ging, berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren. Man mag zur Bundeswehr und zur NVA stehen wie man will. Aber wenn Menschen im Auftrag des Staates handeln und dabei ihre Gesundheit verlieren, dann muss der Staat hinterher doch den Anstand haben, diese Menschen angemessen zu entschädigen und sie zu unterstützen, wo immer sie Hilfe brauchen! Die Bundeswehrverwaltung hat viele geschädigte Soldaten über ein Jahrzehnt hingehalten und mit einer verletzenden Arroganz einfach abgewimmelt. Gleichzeitig versucht das Verteidigungsministerium in teuren PR-Kampagnen alle Welt davon zu überzeugen, wie unglaublich attraktiv die Bundeswehr als Arbeitgeber ist. Leider zeugt auch die Entstehungsgeschichte unseres gemeinsamen Antrags davon, dass das Wohlergehen der geschädigten Soldaten nicht bei allen Abgeordneten oberste Priorität genießt. Meine Fraktion hat in dieser Legislaturperiode allerlei schriftliche Fragen und Kleine Anfragen zur Entschädigungspraxis gestellt. Letztes Jahr haben wir im Verteidigungsausschuss einen Antrag eingebracht, der deutlich weitreichendere Forderungen zum Umgang mit den Radargeschädigten enthielt. Nach einigen Verzögerungen vonseiten des Ministeriums und nach einigem rein parteipolitisch motivierten Geplänkel vonseiten der Union steht heute immerhin ein interfraktioneller Antrag. Dieser Antrag ist ein Kompromiss. Wir Grünen wären gerne weiter gegangen, aber entscheidend ist: Der Antrag verbessert die Lage der betroffenen Soldaten: Gutartige Tumoren werden als mögliche Erkrankungen in den Entschädigungskatalog aufgenommen, das Bundesministerium will die abgelehnten Fälle von Amts wegen neu und rasch prüfen. Mögliche Genschäden durch Radarstrahlung werden endlich untersucht. Ich hoffe, dass auch andere Erkrankungen künftig schneller überprüft werden, sobald es Anzeichen auf Zusammenhänge zu Radarstrahlung gibt. Die Deutsche Härtefallstiftung wird aufgestockt, insbesondere auch, um Bedürftigen, die keinen Anspruch auf eine Rentenversorgung bekommen, unterstützen zu können. Wie gesagt: Der Antrag verbessert die Lage der Betroffenen und ist im Sinne aller Fraktionen. Reichlich albern und kaum zu verstehen ist deshalb, warum die Union sich hier gegen eine Mitzeichnung der Linken gewehrt hat. Das ist eine vertane Chance, klarzumachen, dass das Parlament hier mit einer Stimme spricht. Ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen hätte auch den Alternativantrag der Linken überflüssig gemacht. Der ist inhaltlich sehr gut. Denn er besteht zur einen Hälfte aus wortgleichen Formulierungen und Forderungen, die wir Grüne bereits in unserem Antrag als Drucksache 18/6649 in den Bundestag eingebracht hatten, und zur anderen Hälfte aus den Punkten des interfraktionellen Antrags, den wir heute abstimmen. Aber formal, sehr geehrte Abgeordnete der Linken, empfehle ich, zumindest eine gewisse Schonfrist vergehen zu lassen, bevor man Anträge von Bündnis 90/Die Grünen umetikettiert und seine eigene Unterschrift darunter setzt. Entscheidend aber ist, wie zügig und ordentlich die Entscheidungen jetzt umgesetzt werden. Wir Grüne werden der Bundesregierung weiterhin streng auf die Finger schauen, wenn es um den Umgang mit geschädigten Soldatinnen und Soldaten geht. Wir werden weiterhin unbequeme Fragen stellen. Und wir werden uns weiterhin für Verbesserungen einsetzen und auf eine unbürokratische und großzügige Entschädigungspraxis drängen. Denn die Frage, wie die Bundeswehr mit Menschen umgeht, die im Dienst gesundheitliche Schäden erlitten haben, wird uns aufgrund der Auslandseinsätze künftig sehr viel häufiger beschäftigen als bisher. Und wir alle sollten unser Bestes tun, damit sich ein solches moralisches Versagen wie im Falle der Radargeschädigten in der Bundeswehr nicht mehr wiederholt! Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien – des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus konsequent bekämpfen (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt in Kolumbien dauert nun bereits seit über 50 Jahren an. Ein Zeitraum, der gleich mehrere Generationen umfasst, die nie etwas anderes kennengelernt haben, als Krieg und Gewalt. Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos war 15 Jahre alt, als der Konflikt ausbrach. Bei der Unterzeichnung des unbefristeten Waffenstillstandes vor zwei Wochen sagte er: „Wir haben nicht die geringste Erinnerung daran, was es heißt, in Frieden zu leben“. Bei derartigen Konflikten sinken die Chancen für einen stabilen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden mit jedem Jahr und jedem Opfer weiter. Nach einem halben Jahrhundert der bewaffneten Auseinandersetzung und nachdem 225 000 Menschen in diesem Krieg ihr Leben verlieren mussten, ist ein Friedensabkommen eine unglaublich große diplomatische Leistung. Es beinhaltet die langersehnte Aussicht auf Frieden für die kommende Generation. Der besondere Einsatz der Regierungen Kubas und Norwegens sowie die Unterstützung der kolumbianischen Bischofskonferenz haben maßgeblich zum Erfolg der Friedensverhandlungen beigetragen und werden im vorliegenden Antrag auch entsprechend gewürdigt. Für diese positive Entwicklung ist die kolumbianische Bevölkerung sicher ebenfalls sehr dankbar, sie wird nunmehr hoffentlich einer Zeit des Friedens und des Wohlstands entgegenblicken können. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. Mehr als 6 Millionen Kolumbianer leben als Binnenflüchtlinge im eigenen Land. Viele Gebiete werden durch die vielfach ausgebrachten Landminen noch für Jahre unbewohnbar bleiben. Noch lange Zeit nach dem Waffenstillstand und einem abzuschließenden Friedensabkommen werden diese geächteten Kriegsmittel vermutlich Ursache für steigende Opferzahlen sein, bedenkt man, dass bis Ende 2014 in Kolumbien 11 000 Menschen durch Minen verletzt wurden oder ihr Leben verloren. Nach den physischen Hinterlassenschaften des Krieges werden es die seelischen Verletzungen sein, welche der Heilung bedürfen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis ein Frieden auf dem Papier auch in den Köpfen der Menschen ankommt. Im Antrag fordern wir die Bundesregierung demnach auch auf, „die deutschen Erfahrungen im Umgang mit der Aufarbeitung der Geschichte des Konflikts, der Versöhnung und der Erinnerungskultur in diesen Prozess einzubringen“. Bei einer solchen Nachbereitung bewaffneter Konflikte haben sich die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sowie die zivile Krisenprävention als nachhaltige Instrumente erwiesen. Das Goethe-Institut in Bogotá und die durch das Goethe-Institut geförderten Kulturgesellschaften in Colombo, Cartagena und Medellín waren und bleiben Schutzräume der Begegnung und des Austauschs. Durch das geplante Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut in Bogotá wird dieses Angebot sinnvoll erweitert. Auch eine Ausbildung an den aus Mitteln der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik geförderten Schulen in Kolumbien wird dazu beitragen, die wehrlosesten Opfer dieses Konflikts, die zwangsrekrutierten Kinder- und Jugendsoldaten, in die Gesellschaft zu reintegrieren. Der jungen Generation Kolumbiens, insbesondere in den Konfliktgebieten in den ländlichen Regionen, muss eine Zukunftsperspektive geboten werden, um zu verhindern, dass sie den Verlockungen krimineller Banden erliegen. Deren Erstarken muss deshalb im Zuge einer Demobilisierung der Guerillagruppen unbedingt verhindert werden. Auch die Resozialisierung älterer Guerillakämpfer ist eine wichtige Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden. Ohne wirtschaftliche und soziale Partizipation wird der Weg der Gewalt und der Kriminalität für sie eine Alternative zu Armut und Hunger bleiben. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Bundesminister Gerd Müller haben deshalb ein Beratungsprogramm für nachhaltige Arbeitsplätze und Einkommen in den ländlichen Regionen Meta und Norte de Santander geschaffen, die besonders vom Konflikt betroffen waren. Unter anderem werden dort regionale Bauernmärkte gefördert, um in den schwer zugänglichen Regionen lokale Absatzplattformen zu schaffen. All diese Maßnahmen werden hoffentlich dabei helfen, dass aus dem Waffenstillstand ein echter und dauerhafter Frieden wird. Mag dieser Antrag auch nur ein kleiner Schritt auf diesem Weg sein: Deutschland kann dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Seit vier Jahren laufen die offiziellen Gespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) zur Beendigung des bereits seit Jahrzehnten andauernden innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes. Über 225 000 Menschen verloren im Verlauf dieses Konflikts ihr Leben, 6,5 Millionen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land. Insgesamt 8,5 Millionen Kolumbianer waren und sind direkt vom Konflikt betroffen, als Opfer von Verschleppungen, Entführungen und sexualisierter Gewalt.  Mit dem erst vor zwei Wochen geschlossenen Waffenstillstand mit der FARC wurde ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur Schaffung eines stabilen und dauerhaften Friedens im Land erreicht. Diese Entwicklungen sind vor allem auch ein Lichtblick für die Bevölkerung Kolumbiens, die seit über 50 Jahren unter den schrecklichen Auswirkungen des Konflikts leiden musste. Deutschland und Kolumbien pflegen seit langem enge politische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen. Im Februar 2015 konnte ich Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seiner Reise nach Kolumbien begleiten. Unser Kollege Tom Koenigs wurde im Nachgang zu unserer gemeinsamen Reise zum Beauftragten zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien bestellt. Wir danken Tom Koenigs für seine Arbeit und wünschen ihm weiterhin viel Kraft und Erfolg. Auch zahlreiche deutsche Nichtregierungsorganisationen, vor allem unsere politischen Stiftungen wie die Konrad-Adenauer-Stiftung, leisten seit Jahrzehnten einen ebenso wichtigen wie unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Demokratie und Entwicklung in Kolumbien. Dies wurde auch im Gespräch mit einer breit aufgestellten Delegation der kolumbianischen Zivilgesellschaft deutlich, das ich in Berlin vor wenigen Wochen führen konnte, an dem auch der Erzbischof von Cali teilnahm. Die geplante Einrichtung eines Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstituts in Bogotá (DKFI), das den laufenden Friedensprozess auf der Ebene von Forschung und Lehre begleiten wird, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigen Aufarbeitung des Konfliktes. Als Deutsche können wir dabei unsere eigenen Erfahrungen im Umgang mit der Aufarbeitung einer schwierigen Geschichte teilen, um auf diese Weise die Aussöhnung in Kolumbien zu unterstützen. Trotz aller Hoffnung und positiven Entwicklungen gilt: Kolumbien hat noch einen weiten Weg hin zu einem stabilen Frieden vor sich. Dem Gewaltverzicht muss eine dauerhafte Aufarbeitung des Konfliktes folgen, vor allem aber die politische Lösung der Konfliktursachen in einem demokratischen Prozess.  Die kolumbianische Gesellschaft muss selbst zu einem inneren Frieden finden. Ein mögliches Abkommen braucht daher eine möglichst breite Zustimmung in der Bevölkerung, beim Militär und bei den wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Eliten. Die Zustimmung wird sich nicht nur im Ergebnis eines zu entscheidenden Referendums über einen zukünftigen Friedensvertrag widerspiegeln, sondern auch in der praktischen Umsetzung beweisen müssen. Dazu gehört auch die Frage der strafrechtlichen Aufarbeitung als eine der größten Herausforderungen. Im Rahmen unseres Besuchs, vor allem bei dem Gespräch in einem Resozialisierungszentrum für ehemalige Guerilleros, wurde deutlich, dass viele Menschen in diesem Konflikt Täter und Opfer zugleich waren.  Besonders beeindruckt hat mich der aufwühlende Bericht einer jungen Frau, die als Jugendliche von der FARC unter Todesandrohung aus ihrem Elternhaus zwangsrekrutiert wurde. Wir sprachen mit Menschen, die auf verschiedenen Seiten gekämpft haben – und doch oftmals das gleiche Schicksal teilten. Deutlich wurde, wie wichtig die friedliche Wiedereingliederung ehemaliger FARC-Guerilla und anderer Gruppen für einen dauerhaften Frieden im Land ist. Im Sinne der „Transitional Justice“, bei der nicht die Bestrafung, sondern die Wiederherstellung der Würde der Opfer im Mittelpunkt steht, müssen alle Fakten offengelegt werden und die Täter dazu gebracht werden, ihre Verbrechen anzuerkennen. Nur dadurch kann der Konflikt dauerhaft aufgearbeitet werden, und es kann eine Chance auf Versöhnung geben. Eine besondere Herausforderung bei der Konsolidierung des Friedens wird künftig die Schaffung eines sicheren Lebensumfelds in den Konfliktregionen sein. In großen Teilen der von der FARC kontrollierten Territorien ist der Staat kaum oder fast gar nicht präsent. Es muss verhindert werden, dass ein Machtvakuum vorrangig um kriminelle Strukturen herum errichtet wird. Um der Bevölkerung zukünftig legale Erwerbsmöglichkeiten zu bieten, ist eine Politik der integrierten landwirtschaftlichen Entwicklung unerlässlich – auch zur Bekämpfung des Drogenanbaus. Der Versöhnungsprozess bietet auch die große Chance, mit positiven Nachrichten aus Kolumbien neue Möglichkeiten für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu eröffnen. Dadurch können neue Lebenschancen in einem Land mit viel Potenzial ermöglicht werden, auch durch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland und dem Engagement deutscher Unternehmen in Kolumbien. Mit unserem fraktionsübergreifenden Antrag unterstützen wir als Parlament Deutscher Bundestag ausdrücklich den Friedensprozess in Kolumbien. Wir wünschen uns von allen politischen Kräften Kolumbiens und der Gesellschaft des Landes einen konstruktiven Beitrag zur Beendigung der Gewalt und eine aktive Unterstützung des Friedensprozess. Klaus Barthel (SPD): Kolumbien steht am Scheideweg. Die Zahlen der Toten, Vertriebenen, Traumatisierten, Geflohenen, Verschwundenen, die über 50 Jahre Bürgerkrieg verursacht haben, dürften im Zuge der jetzt beginnenden Aufarbeitung eher nach oben korrigiert werden. Nicht eingerechnet sind wohl bisher die Opfer, die „im Windschatten“ dieses Konfliktes zu beklagen sind, die Ermordeten, Verschwundenen, Eingeschüchterten, Vergewaltigten. Auch bedingt durch den gewaltsamen Konflikt, leidet Kolumbien unter dem teilweisen Fehlen von Rechtsstaatlichkeit, staatlicher Handlungsfähigkeit und Institutionalität, eines wirksamen Gewaltmonopols sowie einer unabhängigen und funktionsfähigen Justiz. Gleichzeitig hat Kolumbien enorme Potenziale in vielerlei Hinsicht. Denkt man sich Bürgerkrieg und Gewalt weg, nähme nur die Ressourcen, die der Binnenkonflikt kostet, und den Verlust an Wachstum, an Produktivität, an Konsum- und Investitionsmöglichkeiten, Kolumbien gehörte zu den reichsten Ländern der Welt. Dennoch ist der Weg zum Frieden noch mit vielen Hürden und Schlaglöchern versehen. Die eigentliche Arbeit beginnt mit dem Friedensschluss. Andere Redner werden das auch verdeutlichen, der Antrag der Koalition benennt es, auch der Antrag der Linksfraktion. Uns allen muss klar sein: Es gibt jetzt keine Sieger und Besiegten. Alle müssen sich aufeinander zubewegen und erkennen: Bei einem Friedensprozess wird es mittel- und langfristig Gewinnerinnen und Gewinner in großer Zahl geben. Wenn der Frieden scheitert, werden Kolumbien insgesamt und die Mehrheit der Bevölkerung verlieren. Dennoch besteht Gefahr von derjenigen mächtigen Minderheit, die von Armut, Gewalt, Krieg und Unterdrückung profitiert. Deshalb ist es so wichtig, dass es heute vom Deutschen Bundestag ein gemeinsames klares Signal gibt: Diejenigen Kräfte in Kolumbien, die den Friedensprozess torpedieren wollen, können von keiner Seite aus befreundeten Ländern mit Sympathie oder Unterstützung rechnen. Der Deutsche Bundestag schließt sich auch der konsensuellen Position des US-Kongresses an. Deshalb bin ich sehr froh, dass heute Koalition und Opposition gemeinsam abstimmen. Einmal mehr stellt sich damit auch die Frage, weshalb die Linksfraktion grundsätzlich von der Erarbeitung solcher Anträge ausgeschlossen bleiben muss. Auch wir brauchen hier eine neue Kultur der Zusammenarbeit – auch bei fortbestehenden Meinungsunterschieden. Die Komplexität des langjährigen Konfliktes hat auch zur Folge, dass seine Aufarbeitung schon deshalb sorgfältig, differenziert und längerfristig angegangen bzw. fortgesetzt werden muss, weil es einfache Täterinnen/Täter-Opfer-Rollenzuweisungen kaum geben kann. Dies gilt sowohl für die einzelnen Menschen, die auf der einen oder anderen Seite gekämpft haben, als auch für Organisationen und Institutionen, seien es Polizei und Militär, Paramilitärs, FARC, politisch Verantwortliche oder die Kirche. Das heißt nicht, dass alle gleich schuldig sind, Verantwortung verwischt werden kann oder eine Generalamnestie angemessen ist. Es heißt aber, dass sorgfältige Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Versöhnung im Vordergrund stehen müssen, aber Schuldige bestraft werden, auch abhängig davon, was sie zur Aufarbeitung beitragen. Dies muss aber in Kolumbien selbst durch den Friedensvertrag geregelt und rechtsstaatlich abgesichert werden. Unser Beschlussvorschlag versteht sich daher auch als Unterstützung für die Aktivitäten der Bundesregierung in Kolumbien, die demonstrativ und praktisch den Friedensprozess unterstützt. Dies drückt sich auch in der Ernennung des Sonderbeauftragten Tom Koenigs aus, für dessen Arbeit und Engagement wir uns ausdrücklich bedanken. Gleichzeitig – und das findet bisher zu wenig Aufmerksamkeit – braucht Kolumbien eine langfristige Strategie, um den Ursachenkern des Gewaltkonfliktes bekämpfen zu können: die enorme, weltweit im Spitzenfeld liegende Ungleichheit an Vermögen, Grundbesitz und Einkommen. Der Frieden ist kein Eliteprojekt. Deshalb braucht er nicht nur die passive Duldung der Bevölkerung, sondern die aktive Teilnahme der bisher wirtschaftlich abgehängten Bevölkerungsmehrheit. Deshalb regen wir die Ingangsetzung und Institutionalisierung eines breiten gesellschaftlichen Dialoges an, um Landnutzungs- und -besitzkonflikte zu entschärfen, um Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zu schützen und zu stärken und um alle Teile der Bevölkerung am potenziell enormen Reichtum des Landes teilhaben zu lassen. Dazu gehört auch eine Steuerpolitik, die an den Spitzeneinkommen und Vermögen anknüpft, anstatt nur am Rohstoffabbau und Verbrauchsbesteuerung. Die EU und Deutschland tragen dabei Mitverantwortung. So ist in der Präambel und in einigen Passagen des Freihandelsabkommens der EU mit Kolumbien und Peru eindeutig ein solcher Dialog angelegt, und es sind auch Gremien dafür vorgesehen. Wir fordern Bundesregierung und EU-Kommission dazu auf, den Ankündigungen, die es vor Abschluss des Abkommens in dieser Hinsicht gab, jetzt Taten folgen zu lassen. Ich erinnere daran, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion wegen der Unverbindlichkeit der Nachhaltigkeitsaspekte dieses Freihandelsabkommen abgelehnt haben. Derzeit können wir nicht einmal im Ansatz erkennen, dass wenigstens diese unverbindlichen Deklarationen und Gremien überhaupt im Land bekannt sind, geschweige denn daran angeknüpft wird. Auch deshalb müssen wir im Sinne des Friedensprozesses unsere Verantwortung wahrnehmen, wo immer dies möglich ist. Hier steht auch unsere Handelspolitik auf dem Prüfstand. Edelgard Bulmahn (SPD): 52 Jahre hat der bewaffnete Konflikt in Kolumbien angedauert. Er hat unendlich großes Leid über die Bevölkerung gebracht – durch Menschenrechtsverletzungen, Terrorakte und Aktivitäten unterschiedlicher bewaffneter Gruppen. Rund 8,5 Millionen Menschen wurden Opfer von Gewalt, systematischer Vertreibung, Verschleppung, Entführung und Zwangsrekrutierung. 6,5 Millionen Menschen wurden zu Vertriebenen im eigenen Land. Etwa 225 000 Menschen, darunter besonders Frauen, Afrokolumbianer und Indigene, wurden getötet. In diesen Tagen stehen wir nun endlich kurz vor dem Abschluss eines umfassenden Friedensvertrages zwischen der kolumbianischen Regierung und der Rebellengruppe FARC. In den vergangenen Jahren wurden zwischen Regierung und FARC vier Kapitel dieses Vertrages verhandelt. Einigungen konnten bereits zwischen 2013 bis 2015 zu den Kapiteln Landreform, politische Teilhabe, Drogenanbau und Übergangsjustiz/Opferentschädigung erzielt werden. Die Verhandlungen zum fünften und schwierigsten Kapitel „Beendigung des bewaffneten Konflikts“ zogen sich jedoch hin, bis vor zwei Wochen. Am 23. Juni verkündeten der kolumbianische Präsident Santos und FARC-Chef Timoschenko im Beisein von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und anderen hochrangigen internationalen Vertretern die Einigung auf einen Waffenstillstand, die Niederlegung der Waffen durch die FARC und die Reintegration der FARC-Kämpfer in die kolumbianische Gesellschaft. Präsident Santos hat erklärt, dass er nach der Einigung beim Schlusskapitel nun eine Unterzeichnung des gesamten Friedensvertrags bis zum 20. Juli anstrebt. Dieser Abschluss des Friedensprozess stellt – und wir hoffen, es kommt so – eine historische Zäsur dar und eine riesige Chance für die kolumbianische Gesellschaft nach fünf Jahrzehnten der Gewalt, wenngleich ein Friedensschluss mit der letzten verbleibenden Rebellengruppe ELN noch aussteht. Zugleich aber steht Kolumbien vor der enormen Herausforderung, den Friedensvertrag umzusetzen. Die Chancen für eine friedliche Entwicklung zu nutzen und den Vertrag mit Leben zu füllen, ist die eigentliche Aufgabe, vor der nicht nur die kolumbianische Regierung, sondern vor allem auch die gespaltene kolumbianische Gesellschaft steht. Der uns vorliegende Antrag greift aus unserer Sicht alle wichtigen Aspekte der politischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen, vor denen Kolumbien steht, auf. Deutschland möchte als Partner der kolumbianischen Gesellschaft auf dem Weg in eine friedliche und ökonomisch prosperierende wie ökologisch nachhaltige Zukunft zur Seite stehen. Dieser Antrag ist ein Angebot, die Umsetzung des Friedensvertrages zu unterstützen. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auf einen besonderen Punkt aufmerksam machen, denn auf die wichtige Rolle der Kirche bei den Vermittlungsbemühungen ist an anderer Stelle bereits hingewiesen worden. Hier und heute sei auch das Verdienst der kolumbianischen Frauen für den Frieden gewürdigt! Die kolumbianischen Frauen haben auf mehrfache Weise unter dem Konflikt gelitten, als Opfer von Gewalt und zugleich als besonders Betroffene, die soziale und ökonomische Lasten des Konflikts tragen mussten. Jene Frauen wie die, die vor 20 Jahren die Frauenrechtsorganisation Ruta Pacifica de las Mujeres gegründet und sich entschieden haben, sich gegen Krieg, Terror, sexuelle Gewalt und Ausbeutung zur Wehr zu setzen, haben einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung des Friedensprozesses und des Friedensschlusses geleistet. Durch friedlichen Protest und die Herstellung von Öffentlichkeit haben sie sich ganz entscheidend um die Delegitimierung des Konfliktes verdient gemacht. Das Engagement und die Beharrlichkeit dieser vielen mutigen Frauen waren mitentscheidend dafür, dass es überhaupt zu diesem Friedensprozess kommen konnte. Umso mehr gilt es hier zu betonen: Die für den Frieden engagierten Frauen dürfen nicht in eine Beobachterrolle gedrängt werden. Die Einbeziehung der Frauenrechtsorganisationen wird auch für die Umsetzung des Vertrages elementar sein, um die langfristige Befriedung der Konfliktakteure und um die Überwindung der Spaltung der kolumbianischen Gesellschaft zu erreichen. Sie sollten daher auch bei der Implementierung der Friedensvereinbarung und einzelner Maßnahmen eine wichtige Rolle spielen. Nicht zuletzt darauf müssen wir unser Augenmerk und unsere Anstrengungen richten, wenn wir uns für Kolumbien eine friedliche Zukunft wünschen und an dieser auch mitwirken wollen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Wir erleben eine historische und hoffnungsvolle Zeit in Kolumbien. Der längste interne bewaffnete Konflikt weltweit soll nach mehr als 50 Jahren beigelegt werden; die Waffen sollen schweigen. Nach der Unterzeichnung eines bilateralen Waffenstillstandes zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerillaorganisation FARC-EP am 23. Juni 2016 in Havanna bereitet sich die kolumbianische Gesellschaft auf die Phase der Waffenniederlegung vor. Der Humus für einen nachhaltigen Frieden ist die kolumbianische Zivilgesellschaft. Aber trotz der Fortschritte bei den Friedensverhandlungen in Havanna, die erst durch die Unterstützung der Regierungen der Republik Kubas und Norwegen als Garanten möglich geworden sind, häufen sich jedoch Übergriffe gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Gewerkschafter sowie Landrechts-, Friedens- und Umweltaktivistinnen und -aktivisten. Es sind vor allem paramilitärische Gruppen, die soziale Bewegungen, Menschenrechtsaktivisten und Kleinbauern terrorisieren. Seit Beginn der Friedensverhandlungen gab es 1 868 Übergriffe jeglicher Art, wie versuchter Mord, telefonische und schriftliche Todesdrohungen und illegale geheimdienstliche Beschattung. In der gleichen Zeit wurden zudem 287 Menschen ermordet. Allein für 2015 sind 682 Übergriffe und 63 Morde registriert worden. Die Zunahme der paramilitärischen Aktivitäten durch Gruppierungen wie Los Urabenos, Aguilas Negras und Clan Usuga gefährden das Leben der Kolumbianerinnen und Kolumbianer und eine friedliche Entwicklung nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens in Kolumbien. Der Paramilitarismus ist ein nach wie vor integraler Bestandteil des Staates und dient der Durchsetzung eines neoliberalen Wirtschaftsmodells. So spielen paramilitärische Gruppen bei der illegalen Aneignung von Land und Vertreibung von Kleinbauern für große Agrarunternehmen eine entscheidende Rolle. Ebenso bei der Verfolgung und Ermordung von Gewerkschaftern, wodurch der Kampf um Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte massiv geschwächt wird. Durch den Einsatz von sexualisierter Gewalt gegen Frauen und brutalem Terror, wie zum Beispiel in den sogenannten „casas de pique“ in Buenaventura, sollen ganze Regionen ihrem Einfluss unterworfen werden. Nach wie vor sind Teile der politischen und wirtschaftlichen Eliten in Kolumbien in paramilitärische Strukturen verstrickt, die aufgedeckt und zerschlagen werden müssen, um zu einem nachhaltigen und gerechten Frieden in Kolumbien beizutragen. Nach den Wahlen zum kolumbianischen Senat 2010 waren nach Angaben von Beobachtern 25 der 102 Senatoren direkt in den Paramilitarismus verstrickt, heute wird der Partei Centro Democrático des ehemaligen Präsidenten und jetzigen Senators Alvaro Uribe unter anderem Wahlkampffinanzierung aus paramilitärischen Quellen vorgeworfen. Wenn der Friedensschluss in Kolumbien nachhaltig umgesetzt werden soll, muss der erstarkende Paramilitarismus konsequent bekämpft werden. Dafür muss die Bundesregierung ihren Druck auf die kolumbianische Regierung erhöhen. 97 Prozent Straflosigkeit sind inakzeptabel. Auch deutsche Unternehmen, die Geschäfte machen mit Unternehmen in Kolumbien, die Paramilitärs finanzieren, zum Beispiel im Bereich des Steinkohleabbaus, müssen zur Verantwortung gezogen werden. Wir fordern auch, Menschenrechtsstandards in das EU-Abkommen mit Kolumbien aufzunehmen, die Sanktionen ermöglichen bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Die Sicherheitsgarantien für alle, die in Kolumbien politisch aktiv werden wollen, müssen ernsthaft und nachhaltig umgesetzt werden. Es kann nicht sein, dass jede/r, der/die für soziale Gerechtigkeit in Kolumbien kämpft, sofort Todesdrohungen erhält. Dies betrifft auch die zukünftigen politischen Akteure der demobilisierten FARC. Zu tief sitzen die Erinnerungen an den Genozid an der linken Partei Union Patriotica, die faktisch durch die Ermordung Tausender Mitglieder ausgelöscht wurde. Ebenso erging es den ehemaligen Kämpfern der Guerilla M-19. Viele von ihnen wurden später ermordet. Auch der Staat seinerseits kriminalisiert durch Strafanzeigen und strafrechtliche Verfahren, auf Grundlage zweifelhafter Beweise und Zeugen, Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Menschenrechtsorganisationen und linke, oppositionelle Politikerinnen und Politiker. Die bekanntesten Fälle betreffen die Politiker Piedad Córdoba und Iván Cepeda Castro, den Soziologen Miguel Ángel Beltrán, den Menschenrechtsverteidiger David Rabelo, den Gewerkschafter Hubert Ballesteros und Feliciano Valencia, Kämpfer für die indigenen Rechte. Diese politisch motivierten Verfahren müssen eingestellt und Verurteilungen neu untersucht werden. Die Bundesregierung kann mit der finanziellen Unterstützung von Friedensorganisationen die Zivilgesellschaft stärken. Es gibt viele gute Initiativen, die Friedens- und Widerstandsgemeinden, eine Friedensuniversität von Justicia y Paz und eine unabhängige Kommission zur Überwachung der Nichtwiederholung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Friedensorganisationen müssen auf alle Fälle in die Projektplanungen einbezogen werden. Im Rahmen der EZ muss aber auch ausgeschlossen werden, dass die geplante wirtschaftliche Entwicklung der ehemaligen Konfliktregionen zu neuen Konflikten bei Landbesitz und Rohstoffabbau führt. Für eine friedliche Entwicklung in Kolumbien ist es notwendig, dass ein Polizeigesetz für Friedenszeiten verabschiedet wird und nicht, wie gerade, ein Gesetz mit Sondervollmachten für Festnahmen und Hausdurchsuchungen ohne Gerichtsbeschluss im Kongress verabschiedet wird. Die Militärdoktrin der nationalen Sicherheit in Kolumbien muss ad acta gelegt werden, und die Zahl der über 500 000 Soldatinnen und Soldaten muss deutlich reduziert werden. Von der Einbindung in die GSVP-Missionen der EU wie Atalanta oder EUAM in der Ukraine und der Kooperationsvereinbarung mit der NATO halten wir nichts. Das ist nicht für den Frieden förderlich und muss beendet werden. Noch ein Wort zum Antrag der Bundesregierung und der Grünen: Sehr gerne hätten wir an diesem gemeinsamen Antrag mitgearbeitet. Die Fraktion Die Linke war nicht gefragt worden. Diese Politik der Ausgrenzung ist kurzsichtig und kontraproduktiv. Trotzdem werden wir den Antrag unterstützen, um ein gemeinsames Zeichen nach Kolumbien zu schicken: Frieden ist möglich! Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 1974 war ich zum ersten Mal in Kolumbien. Auf Reisen per Bus, zu Pferd und zu Fuß habe ich die wunderbare Landschaft, die Herzlichkeit der Menschen und den Reichtum der Kultur des Landes kennengelernt. Ich bin ein Freund Kolumbiens geblieben und zu einem großen Bewunderer vor allem der kolumbianischen Literatur geworden. Ende der 1970er-Jahre erreichte der bewaffnete Kampf zwischen der kolumbianischen Regierung und den bewaffneten Gruppen furchtbare Höhepunkte. Beide Seiten zogen die Zivilbevölkerung mehr und mehr in den Krieg mit hinein, mit schrecklichen Folgen. Heute, 40 Jahre später, nach 6,5 Millionen Binnenvertriebenen und über 340 000 Toten, hat Kolumbien endlich eine realistische Perspektive auf einen dauerhaften und stabilen Frieden. Dies ist eine historische Chance, zu der alle gesellschaftlichen Gruppen im Land und alle Freunde Kolumbiens ihren Beitrag leisten sollten. Seit fünf Jahren verhandeln die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla. Sie haben viel erreicht: die Vereinbarungen zur Landentwicklung, zur politischen Beteiligung, zur Bekämpfung der Drogenkriminalität sowie die Einigung auf eine Sondergerichtsbarkeit für den Frieden zur Aufarbeitung der vielen grausigen Verbrechen in diesem Krieg und auf eine Wahrheitskommission. Mit der Unterzeichnung des bilateralen Waffenstillstands wurde jetzt der letzte entscheidende Durchbruch erzielt. Dieser Weg hat beiden Seiten einen großen Friedenswillen und viel Kompromissbereitschaft abverlangt. Ich beglückwünsche Präsident Santos, Comandante Timoschenko und die beiden Verhandlungsteams für ihren Mut und ihre Entschlossenheit und versichere, dass wir den Friedensprozess weiter mit allen Kräften unterstützen werden. Deutschland hat besondere Beziehungen zu Kolumbien. Die wichtigsten sind kultureller, wissenschaftlicher und persönlicher Art. Deutschland hat mit Kolumbien keine koloniale, keine postkoloniale und auch keine neoliberale Beziehung, sondern eine kollegiale. Bester Ausdruck dafür sind die 160 Abkommen zwischen deutschen und kolumbianischen Universitäten sowie Tausende Studierende, die von Kolumbien nach Deutschland und von Deutschland nach Kolumbien gehen, um unsere gemeinsame Zukunft zu schaffen. Frieden durch Beteiligung, Integration, Verhandlungen und demokratische Reformen – das ist der Weg, den Kolumbien geht; das ist der Weg der Krisenprävention und Krisenbehandlung, den Deutschland unterstützt. Für diesen Weg brauchen wir beide, Deutschland und Kolumbien, Entschlossenheit zum Frieden und Mut zu Ergebnissen ohne Sieger und Besiegte. Friedensgespräche müssen auf Augenhöhe geführt werden und die Vereinbarungen langfristig und verlässlich sein. Dieser Weg ist auch unser Weg. Mehr Demokratie zu wagen, wie es Kolumbien tut, ist eine Herausforderung und ein Risiko. Aber es kann gelingen, wenn Politik statt auf Schuldzuweisungen auf Versöhnung setzt. Das Verhandlungsergebnis zur Sonderjustiz für den Frieden bedeutet weder Vergessen noch Straflosigkeit. Es bedeutet Wahrheit, Ermittlung und Aufklärung unter Einbeziehung der Opfer und unter Mitarbeit der Täter. Es geht auch um Wahrhaftigkeit. Die Verhandlungsergebnisse zur juristischen Aufarbeitung gehen weiter als in den früheren Friedensprozessen in Lateinamerika. Auch der Frieden hat seine Konjunktur. Für den Frieden mit der FARC haben sich Norwegen, Kuba, Venezuela und Chile engagiert. Die Vereinigten Staaten spielten eine wichtige Rolle. Für den Frieden mit der ELN, wo die öffentlichen Verhandlungen noch ausstehen, können sich noch weitere Staaten engagieren, auch Deutschland. Ohne den Frieden mit der letzten Guerilla-Gruppe bleibt der Prozess unvollkommen und birgt neue Gefahren. Die Zeit für den Frieden mit der ELN ist jetzt. Der heute vorliegende Antrag soll die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kolumbien parlamentarisch und demokratisch besiegeln und unsere Unterstützung für den Friedensprozess langfristig sichern. Das ist im Interesse Deutschlands und Kolumbiens und aller Freundinnen und Freunde des Landes. Wir haben ein Interesse an Kultur und demokratischer Politik, an Kooperation im Klimaschutz und an einer Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften sowie der Parlamente und Regierungen hier und dort. Kolumbien ist dabei, ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes aufzuschlagen. Wir sind stolz, dabei zu sein. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Wie schon in der ersten Lesung angekündigt, können wir heute ein Gesetz zur Optimierung der Meldeverfahren in der sozialen Sicherung verabschieden, von dem wirklich alle Beteiligten profitieren: die Bürger, die Arbeitgeber und die Sozialversicherungsträger. Es wird besser. Es wird einfacher. Und es wird günstiger. Von welchem anderen Gesetz kann man das schon behaupten? Durch die gemeinsame, verschlüsselte Datenübertragungsbasis haben sich seit dem Jahr 2006 große Potenziale der Entbürokratisierung ergeben. Alle Verfahrensbeteiligten – also sowohl Arbeitgeber, Softwareunternehmen und Sozialversicherungsträger – sehen das System grundsätzlich als durchdacht, sicher und sparsam an. Trotzdem gibt es natürlich auch hier noch Optimierungspotenziale. Das hatte die schwarz-gelbe Koalition erkannt und im Jahr 2011 das Projekt „Optimiertes Meldeverfahren in der sozialen Sicherung“ (OMS) gestartet. Nun können wir die Früchte dieser Arbeit ernten. Und der Baum, an dem diese Früchte hängen, ist groß. Denn bei dem Meldeverfahren handelt es sich um das größte und komplexeste Massenverfahren zur Weitergabe von Informationen von den Arbeitgebern an öffentliche Stellen in Deutschland. Die potenzielle Ernte ist also ebenfalls groß. Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir nun erst einmal die aus dem vergangenen Jahr übrig gebliebenen Verbesserungsvorschläge aus dem OMS-Projekt umsetzen. Damit wird es pro Jahr immerhin weitere 43 Millionen Euro weniger Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft geben. Zu den Maßnahmen gehören zum Beispiel der Einsatz einer maschinenlesbaren Verschlüsselung der Daten auf dem Sozialversicherungsausweis oder auch die Umsetzung einer automatisierten Übertragung der Anträge und Bescheinigungen über die Fortgeltung des Versicherungsschutzes im Ausland. Das hört sich alles sehr kleinteilig an – fast nach mehr Bürokratie als nach weniger. Aber es sind genau diese Feinjustierungen, die im Endeffekt weniger Aufwand bedeuten. Auch die weiteren gesetzlichen Änderungen, die mit dem vorliegenden Gesetz vorgenommen werden, sind keine Revolutionen. Sie bringen aber dort kleine Veränderungen, wo sie nötig sind. Stellvertretend sei die Regelung genannt, die es Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern ermöglicht, einen begrenzten Teil des Deckungskapitals für Altersrückstellungen von Dienstordnungsangestellten in Aktien anzulegen. Mit den Regelungen fahren wir also erst einmal eine vergleichbar kleine Ernte vom Bürokratiebaum ein. Die Entbürokratisierung bleibt als Prozess aber am Laufen. Und das ist eminent wichtig für uns. Denn wir wollen, dass wir weiterhin einen starken und wettbewerbsfähigen Mittelstand haben, dass wir dadurch regelmäßige Rekordmeldungen vom Arbeitsmarkt bekommen, ja, dass wir unseren Wohlstand in Deutschland erhalten. Die größere Ernte wird sicher das angekündigte zweite Bürokratieentlastungsgesetz einfahren. Und auch bei der Evaluation des Mindestlohngesetzes wird man die Notwendigkeit einiger Aufzeichnungs- und Nachweispflichten in Frage stellen können. Viel Spielraum also noch, um alles ein klein wenig einfacher zu machen. Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU): Im Laufe des bisherigen Beratungsverfahrens wurden weitere Anregungen aus den Ressorts an das Bundesarbeitsministerium herangetragen. Diese und die Stellungnahme des Bundesrates wurden aufgenommen, sodass wir heute auch über weitere Änderungen abstimmen werden. Zunächst einmal möchte ich aber, bevor ich die Ergänzungen näher erläutere, den wesentlichen Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes wieder ins Gedächtnis rufen. Wir geben der Praxis eine rechtliche Grundlage und sorgen mit dem Gesetz für Rechtssicherheit in den Meldeverfahren. Damit werden insbesondere die Arbeitgeber und die Wirtschaft finanziell, aber auch was den zeitlichen Aufwand betrifft, spürbar entlastet. Die neuen Regelungen bilden die Praxis ab und optimieren dadurch Meldeverfahren in der sozialen Sicherung. Die damit einhergehende Senkung von Bürokratiekosten und Entlastung der Arbeitgeber beläuft sich auf rund 43,5 Millionen Euro. Aber nicht nur die Wirtschaft profitiert von den Erleichterungen und der Vereinfachung von technischen und organisatorischen Abläufen, sondern auch der einzelne Bürger. Gutes darf auch wiederholt werden: Wir reduzieren den Aufwand der Bürgerinnen und Bürger unter anderem durch die Möglichkeit des elektronischen Abrufs von Bescheinigungen direkt vom Arbeitgeber durch die Träger der Unfallversicherung um rund eine Stunde im Einzelfall. So werden auch die Sozialversicherungsträger durch qualitätsverbessernde Maßnahmen um 3,4 Millionen Euro jährlich entlastet. Den Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern wird künftig die Aktienanlage eines begrenzten Teils des Deckungskapitals (10 Prozent) für Altersrückstellungen von Dienstordnungsangestellten ermöglicht. Den Unmut der Opposition in Bezug auf diese Änderung vermag ich nicht nachzuvollziehen. Denn die zusätzliche Anlageform bietet künftig auch den Krankenkassen die Möglichkeit, bei dem sehr langfristig zu bildenden Deckungskapital für Altersrückstellungen höhere Erträge zu erzielen und das Anlageportfolio stärker zu diversifizieren. Das Risiko soll gerade durch die Begrenzung der Aktienanlage auf 10 Prozent überschaubar bleiben. Dem in § 80 Absatz 1 SGB IV geregelten Grundsatz der Anlagesicherheit wird dadurch Rechnung getragen, dass die Anlage in Aktien nur unter bestimmten Einschränkungen möglich ist und somit grundsätzlich bestehende Verlustrisiken begrenzt werden. Fehlentscheidungen des Anlagemanagements können durch Vorgaben zur Ausgestaltung (passiv, indexorientiert) sowie zur Anlage in Euro-denominierten Aktien verringert und Währungsrisiken minimiert werden. Abschließend möchte ich auf die eingangs erwähnten Vorschläge, die Eingang in das vorliegende sogenannte Omnibusgesetz gefunden haben, zu sprechen kommen. Die Dienstunfallfürsorge für Beamtinnen und Beamten unter anderem des BMAS, BSG, BAG, die bisher von den jeweiligen Dienstherren eigenverantwortlich durchgeführt wurde, wird auf die Unfallversicherung Bund und Bahn übertragen. Das befristete Modellprojekt hat den Zweck, vorhandene und bewährte Verfahren zu nutzen und dadurch für optimale fachliche Steuerung der Unfallfürsorgeleistungen für Beamtinnen und Beamte zu sorgen. Um die Bildung von Altersrückstellungen bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau zu vereinheitlichen, soll außerdem die Anlagemöglichkeit in Aktien auch in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung und der Alterssicherung der Landwirte eröffnet werden. Weitere Änderungen betreffen das Arbeitszeitgesetz und das Jugendarbeitsschutzgesetz. Beide dienen der Umsetzung der EU-Binnenschifffahrtsrichtlinie. Die Umsetzung der gemachten Vorschläge zur qualitativen Verbesserung von Verfahren mündet in der Fortschreibung der gesetzlichen Grundlagen. Im Vordergrund steht dabei die mittelständische Wirtschaft, die deutlich von Bürokratie entlastet wird. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Heute beraten wir abschließend einen eher technischen Gesetzentwurf zur Änderung des Vierten Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze. Dieses Gesetz wird keine Schlagzeilen machen. Es ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig gerade auch die weniger beachtete Parlamentsarbeit ist; denn wir verringern mit dem 6. SGB IV-Änderungsgesetz vor allem Bürokratie und damit verbunden Zeit und Kosten, indem wir die elektronischen Meldeverfahren in der Sozialversicherung vereinfachen und verbessern. Davon profitieren sowohl die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch die Verwaltung und natürlich die Bürgerinnen und Bürger. Die Bedeutung der Meldeverfahren verdeutlicht vor allem eine Zahl: Jährlich finden etwa 400 Millionen Meldevorgänge zu den Sozialleistungsträgern und zurück statt vor allem Anmeldungen, Abmeldungen und monatliche Beitragsmeldungen bei den Kranken- und Unfallkassen, bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung und bei der Pflegeversicherung. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe der Bundesregierung sowie der Sozialversicherungs- und Sozialleistungsträger, die Funktionsfähigkeit dieses Systems regelmäßig zu verbessern und dem technischen Fortschritt anzupassen. Das digitale Zeitalter bietet hier wunderbare Möglichkeiten. Im Bruchteil von Sekunden können Mitteilungen und Nachrichten ganz ohne Papier rund um den Globus und natürlich auch innerhalb Deutschlands hin- und hergeschickt werden. Das spart Kosten, Zeit und Nerven und ist somit von Vorteil für alle Beteiligten. Weniger Bürokratie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Eine verlässliche und leistungsfähige öffentliche Verwaltung ist ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland. Auch dadurch werden letztendlich Arbeitsplätze geschaffen und gesichert. Viele Änderungen gehen auf das Projekt „Optimiertes Meldeverfahren in der sozialen Sicherung“, kurz OMS genannt, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zurück. Daran beteiligt waren alle, die Daten ermitteln, prüfen und übertragen: von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie Fachleuten der Sozialversicherungsträger über Datenschutz- und Datensicherheitsexpertinnen und -experten bis zu Softwareentwicklerinnen und -entwicklern. Diese Fachleute haben zwei Jahre lang aus ihrer Praxiserfahrung heraus gemeinsam an Verbesserungsvorschlägen gefeilt. Diese enge Zusammenarbeit in diesem Bereich ist deshalb so wichtig, da es sich fast ausschließlich um sensible Daten handelt, die versandt, bearbeitet und gespeichert werden. Softwareentwicklerinnen und -entwickler mögen für Verwaltungsvorgänge rasch eine effektive technische Lösung zur Hand haben. Diese muss aber zum Beispiel auch den Ansprüchen des Datenschutzes entsprechen. Deshalb ist es gut, wenn alle Beteiligten von Anfang an eng zusammenarbeiten, um praxistaugliche, kostensenkende und zeitsparende Lösungen auf den Tisch legen zu können. Das hat mit der Projektgruppe, wie man sieht, gut geklappt. Bereits im letzten Jahr haben wir einige ihrer Vorschläge mit dem 5. SGB IV-Änderungsgesetz erfolgreich umgesetzt. Diesen Weg gehen wir jetzt weiter, indem wir uns andere zwischenzeitlich ausgearbeitete Verbesserungsvorschläge der Fachleute vornehmen. Hier ein paar Beispiele aus dem Gesetzentwurf: Wir führen die maschinenlesbare Verschlüsselung der Daten auf dem Sozialversicherungsausweis ein. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Sozialversicherungsträger können zukünftig automatisch mit den richtigen Sozialversicherungsnummern arbeiten und ersparen sich aufwendige Fehlerkorrekturen. Außerdem schaffen wir die Möglichkeit zur elektronischen Beantragung und schnellen elektronischen Zusendung der A1-Bescheinigungen. Diese Bescheinigungen sind nötig, um den Versicherungsschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sichern, wenn sie vorübergehend für Arbeitseinsätze ins Ausland entsandt werden. Derzeit müssen dafür noch Antragsformulare aus Papier umständlich und zeitraubend hin- und hergeschickt werden – und die Bescheinigung selbst natürlich auch. Auch die Übermittlung von Entgeltbescheinigungsdaten vereinfachen wir. Zudem wird eine Informationsplattform im Internet eingerichtet. Dort können Unternehmerinnen und Unternehmer zukünftig schnell an die wichtigsten Informationen zu allen sozialversicherungsrechtlichen Fragen herankommen, die die Melde- und Beitragsverfahren ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen. Das wird viele Nachfragen ersparen – sowohl für die Unternehmen als auch für die Sozialversicherungen. Außerdem greifen wir Anregungen aus der Praxis auf. So wird zum Beispiel der Anwendungsbereich der Entgeltbescheinigung auf die Besoldungsnachweise für Beamte, Richter und Soldaten ausgedehnt. Die Entlastungen durch das 6. SGB IV-Änderungsgesetz für die Bürgerinnen und Bürger, für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und auch für die Sozialversicherungsträger sind enorm. So werden die Unternehmen etwa 43,5 Millionen Euro jährlich an Bürokratiekosten sparen. Bei der Verwaltung werden es jährlich etwa 3,4 Millionen Euro sein. Und bei den Bürgerinnen und Bürgern liegt der Zeitgewinn bei etwa 315 000 Stunden pro Jahr. Damit geben wir uns aber nicht zufrieden. Vielmehr suchen wir weiter nach Vereinfachungs- und Verbesserungsmöglichkeiten. Bereits durch unseren Änderungsantrag, den wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf den parlamentarischen Weg geschickt haben, setzen wir weitere sinnvolle Maßnahmen um, vor allem Vorschläge des Bundesrates und aus der Praxis. Beispielsweise wird das Inkrafttreten der Änderungen am eAntrag, also am automatisierten Verfahren zur Aufnahme von Leistungsanträgen bei Versicherungsämtern und Gemeindebehörden, wie vom Bundesrat gefordert, vorverlegt. Oder die Erfassung des Ausstellungsdatums beim zukünftigen maschinenlesbaren Sozialversicherungsausweis: Es hat sich bei dessen Erprobung herausgestellt, dass es sinnvoll ist, auch das Ausstellungsdatum zu erfassen, um die Nutzung mehrerer Ausweise durch eine Person auszuschließen. Außerdem werden wir auf Anregung des Bundesrechnungshofes die erlassenen Bußgeldbescheide zu den Verletzungen der Melde- und Aufzeichnungspflichten in die Betriebsprüfungsdatei der Rentenversicherungsträger aufnehmen. Dies wird zukünftige Prüfungen vereinfachen. Mit dem 6. SGB IV-Änderungsgesetz werden aber auch ein paar Dinge umgesetzt, die nichts mit den Meldeverfahren zu tun haben. Beispielsweise schaffen wir die Voraussetzungen zur Umsetzung der EU-Binnenschifffahrtsrichtlinie in nationales Recht. Durch die Richtlinie werden die Schutzstandards erhöht, unter anderem durch eine Aufzeichnungspflicht der Arbeits- und Ruhezeiten. Ebenso wird den Krankenkassen, Unfallversicherungsträgern und der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zukünftig die Anlage von 10 Prozent ihrer Altersrücklagen in Aktien erlaubt. Dies wird teilweise als zu risikoreich kritisiert. Auch ich war erst skeptisch. Allerdings steht die Anlagesicherheit klar im Vordergrund, da nur weniger risikobehaftete Aktien aus dem Euro-Raum erlaubt werden und sich die Anlagevorschriften am Versorgungsfonds des Bundes orientieren. Daher ist es vertretbar, jetzt in Niedrigzinszeiten diese klar begrenzte Aktienanlagemöglichkeit zugunsten einer möglichen höheren Rendite und der Einsparung von Beitragsgeldern zum Nutzen aller zu schaffen. Der Abbau von Bürokratie und bessere Rechtsetzung sind erklärte Ziele dieser Bundesregierung. Viele reden nur davon. Wir setzen sie auch um! Durch den vorliegenden Entwurf des 6. SGB IV-Änderungsgesetzes gewinnen alle: Bürgerinnen und Bürger, Betriebe und die Verwaltung. Deshalb freue ich mich auch auf weitere dieser sperrigen und wenig spektakulären Gesetzentwürfe, die wir dann hier zum Nutzen aller beschließen können. Bürokratieabbau ist nämlich nie erledigt und stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Mit dem 6. SGB IV-Änderungsgesetz und weiteren Gesetzesänderungen aus völlig wesensfremden Bereichen haben Sie uns heute hier wieder einen echten „Omnibus“ aufgetischt. Nein, hier geht es nicht um ein Beförderungsmittel, sondern schlicht um die Tatsache, dass Sie zusätzlich mit dem im Ausschuss für Arbeit und Soziales eingebrachten Änderungsantrag weitere „Passagiere“ an Bord genommen haben. Dabei handelt es sich bei einigen um blinde Passagiere, die es bei einer separaten Gesetzgebung niemals an Bord des eigentlichen Gesetzvorhabens, nämlich der Optimierung des Meldeverfahrens in der sozialen Sicherung, geschafft hätten. Da in der ersten Beratung am 2. Juni bereits das Wesentliche zu den Inhalten gesagt wurde, konzentriere ich mich deshalb auf die zentralen Punkte Ihres Änderungsantrages, die mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales heute noch in das Gesetz einfließen sollen. So wollen Sie die Dienstunfallfürsorge für Beamtinnen und Beamte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, also des BMAS, und dessen nachgelagerten Behörden auf die „Unfallversicherung Bund und Bahn“ übertragen, zunächst in einem Modellprojekt bis 2020. Sie begründen dies mit den einheitlichen Grundsätzen und der ganzheitlichen Versorgung durch die Unfallkasse, die das BMAS nutzen will. Daran ist zunächst nichts auszusetzen, solange das BMAS dann auch für die Kosten aufkommt, die der Unfallversicherung Bund und Bahn entstehen. Das haben Sie, verehrte Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller, in der gestrigen Ausschusssitzung mündlich zugesagt. Ich gehe davon aus, dass es bei dieser Zusage auch für die Zukunft bleiben wird. Mit der geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes wollen Sie zudem bestehende bessere tarif- und arbeitsrechtliche Regelungen für die Beschäftigten in der Binnenschifffahrt in Deutschland per Rechtsverordnung öffnen, und das, obwohl die EU-Sozialpartner unter Billigung der Kommission bei der Binnenschifffahrtsrichtlinie festgelegt hatten, dass trotz einheitlicher Regelungen in der EU bessere nationale Regelungen bestehen bleiben sollen. Zugleich wollen Sie aber wiederum den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einräumen, per Tarifvertrag von der Rechtsverordnung abzuweichen. Uns ist nach wie vor nicht ganz klar, wozu die Regelung notwendig ist, wenn die Sozialpartner mit der auf der EU-Ebene gefundenen Regelung voll und ganz zufrieden sind. Bereits in der ersten Beratung hatte ich die geplanten Änderungen bei den Anlagemöglichkeiten für die Altersrückstellungen der gesetzlichen Kranken- und Unfallkassen kritisiert. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, bis zu 10 Prozent der Altersrückstellungen in Aktien anlegen zu dürfen. Mit dem Änderungsantrag werden nun auch die Altersrückstellungen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung erfasst. Nach Angaben des Bundesversicherungsamts addieren sich die Altersrückstellungen allein der Krankenkassen auf 4,7 Milliarden Euro, von denen künftig also bis zu 470 Millionen Euro in Aktien angelegt werden dürfen. Die SPD-Kollegin Hiller-Ohm sagte in der Ausschussberatung, dass, ich zitiere aus der Beschlussfassung des Ausschusses, „bei der Anlagemöglichkeit von Altersrücklagen in Aktien ebenfalls sichernde Maßnahmen getroffen worden seien, indem hochspekulative Aktien ausgeschlossen würden und das Anlagekapital auf zehn Prozent begrenzt werde“. Diese Passage finden Sie auf Seite 12 der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9088. Der zuständige Referatsleiter im BMAS antwortete jedoch auf meine Frage, ob perspektivisch der Aktienanteil ausgeweitet werden solle, dass dies zumindest für den Versorgungsfonds des Bundes, den es seit 2007 für Bundesbeamte und -beamtinnen gibt, geplant sei. Insofern scheint mir die Gefahr sehr groß zu sein, dass der erlaubte Aktienanteil kurz nach der Einführung auch für die Altersrückstellungen der gesetzlichen Kranken- und Unfallkassen verdoppelt werden wird. Dies steht zu befürchten, und diesen Wunsch hatte der GKV-Spitzenverband in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf ja bereits geäußert. Im Übrigen: Der Bundesrat sieht das genauso wie wir Linken. Er moniert, dass es sich bei den Altersrückstellungen um Beitragsgelder, also um Geld aller GKV-Versicherten, handelt. Dabei ist in § 80 SGB IV gesetzlich klipp und klar definiert, dass der Grundsatz der Anlagensicherheit Vorrang gegenüber der Erzielung eines angemessenen Ertrages hat. Diesen Grundsatz wollen Sie nun aushebeln. Das halte ich für falsch. Ich bin mir sicher, dass die geplante weitere Ausweitung des Aktienportfolios auf großes Interesse des Bundesrates stoßen wird. Bei einigen Regelungen in diesem Gesetzvorhaben ist der Änderungsbedarf nicht zu erkennen. Insgesamt hält die Fraktion Die Linke die Inhalte des Gesetzpaketes jedoch trotz der problematischen Punkte überwiegend für akzeptabel. Deshalb werden wir uns insgesamt enthalten. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bereits seit 2011 führt das BMAS nun schon das OMS-Projekt, das optimierte Meldeverfahren in der sozialen Sicherung, durch. Technische und organisatorische Abläufe sollen verbessert werden. Die Datenermittlung zwischen Arbeitgebern und öffentlichen Stellen hinsichtlich der automatisierten Meldungen im Bereich der sozialen Sicherung steht im Zentrum dieses Gesetzentwurfs. Optimierungspotenziale sollten in dieser umfassenden Untersuchung der bestehenden Meldeverfahren gefunden werden. Das kennen Sie ja von uns Grünen: Verbesserungen in Form von Maßnahmen, die die Entbürokratisierung voranbringen, begrüßen wir grundsätzlich. Hoffen wir, dass dieses Gesetz, so es dann in Kraft getreten sein wird, auch hält, was es verspricht und was die Damen und Herren der Koalitionsfraktionen schon in der ersten Lesung hier im Plenum anzupreisen sich nicht gescheut haben, Bürokratieabbau, den alle spüren: die Arbeitgeber, aber auch die Arbeitnehmer. Der „Erfüllungsaufwand“ reduziere sich demnach für die Bürgerinnen und Bürger um mindestens 315 000 Stunden. Bei mehr als 40 Millionen Beschäftigten und über 400 Millionen Meldevorgängen pro Jahr hoffen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger das auch wirklich spüren. Dann weiter: Das Verfahren solle besser, einfacher und günstiger werden. Solange Ihnen hierbei auch immer der Schutz sensibler Daten der Versicherten – Stichwort Datenschutz – ein wichtiges, ja ein ganz zentrales Anliegen bleibt, begrüßen wir auch das als positive Entwicklung. Dass es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weitere 43 Millionen Euro weniger Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft geben wird, ist ebenfalls zu hoffen. Nun habe ich Ihnen einige Hoffnungen mit auf den Weg gegeben, die Sie aus der Koalition ja auch mit dem vorliegenden und heute zu beschließenden Gesetzentwurf verbinden. Das klingt viel, es sind aber nur tatsächlich relativ kleine Schritte, aber Schritte in die richtige Richtung. Aber leider gehen Sie an einer Stelle in die falsche Richtung und haben eine Forderung des Bundesrates nicht umgesetzt. Bereits in der ersten Lesung hatte ich an dieser Stelle angemerkt, dass die Möglichkeit der Krankenversicherung und der Unfallversicherung, ihre Rücklagen in Aktien anzulegen, zumindest gründlich zu hinterfragen sei und aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden sollte. Das sieht die Bundesregierung anders, wie sie in ihrer Gegendarstellung zur Stellungnahme des Bundesrates darlegt. Im parlamentarischen Verfahren ist das durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sogar noch ausgeweitet worden. Das ist bedauerlich und überhaupt nicht nachvollziehbar. Wenn nicht nur die Oppositionsparteien, sondern auch der Bundesrat, der zu Recht auch wie ein Kontrollorgan unserer Gewaltenteilung agiert, hier berechtigte Skepsis anmeldet, so sollte auch die Bundesregierung gelegentlich über Ihren Schatten springen und sich die geäußerten Sorgen anhören und in diesem Fall am besten sogar „erhören“. Der Wunsch des Bundesrates war hier, die geplanten Änderungen aufgrund der auseinandergehenden Meinungen im Rahmen eines separaten Gesetzentwurfs ausführlicher zu diskutieren. Der Unwillen scheint hier aber größer zu sein als das Bedürfnis, einen wirklich guten Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Wie schon bei der ersten Lesung hier im Plenum kann ich mich nur gut und gerne wiederholen, wenn ich sage: Dieser Gesetzentwurf ist kein großer Wurf, er dreht ein wenig an vorhandenen Stellschrauben, die vielleicht Verbesserungen im Sinne von Entbürokratisierungstendenzen und Vereinfachungen mit sich bringen. Deswegen werden wir uns diesem Gesetzentwurf auch nicht versperren, sondern hier zustimmen. Nichtsdestotrotz, und auch das wiederhole ich gerne erneut an dieser Stelle, lassen Sie uns endlich die großen Projekte innerhalb der sozialen Sicherung angehen: die Bürgerversicherung zum Beispiel oder auch eine Grundsicherungsreform, die hält, was sie verspricht, und sowohl angstfreie Existenzsicherung als auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich macht. Dafür mache ich mich, gemeinsam mit meiner Fraktion stark. Wenn Sie an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind, dürfen Sie sehr gerne auf uns zukommen. Dann machen wir gemeinsam den großen Wurf. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplantationsregisters (Tagesordnungspunkt 28) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Als die ersten erfolgreichen Nierentransplantationen in den 50er-Jahren des vergangen Jahrhunderts stattgefunden haben, hätte wohl keiner der Ärzte gedacht, dass gerade die parallele Entwicklung der Computer und damit der Datenverarbeitung einmal das Potential bieten würde, die medizinische Fachkunde erheblich zu optimieren, um nicht zu sagen: zu überlagern. Heute hängt der Erfolg einer Transplantation zu einem wesentlichen Teil von der Verfügbarkeit, Vollständigkeit und Richtigkeit der entsprechenden relevanten Daten ab. Bislang kommt dem Verein der Eurotransplant hier die Schlüsselrolle zu. Eurotransplant umfasst acht Länder mit 135 Millionen Menschen. Je besser die Datenlage ist, die Spender und Empfänger innerhalb dieser Gruppe abstimmt, umso besser sind die Erfolge der Transplantationen. Eine umfassende Datenbank ermöglicht zudem Studien, die zum langfristen Erfolg einer Transplantation beitragen werden. Mit dem Transplantationsregistergesetz trägt Deutschland seinen Teil zur Verbesserung des bestehenden Systems bei. Voraussetzung für eine Organspende ist der Hirntod. Diese Diagnose ist in Deutschland aus ethischen Gründen zwingende Voraussetzung für eine Organspende, um auch nur den geringsten Anschein zu vermeiden, dass die ärztliche Reanimation möglicherweise aus Gründen einer Organspende nicht optimal ausgeführt worden ist. Dies ist zum Beispiel im europäischen Ausland anders, wie etwa in der Niederlanden, die nach einem strengen Verfahren auch bei Herz-Kreislauf-Versagen eine Organspende zulassen. Dies erhöht die Zahl der zur Verfügung stehenden Organe deutlich. Eine solche Ausweitung ist aber nach einhelliger Meinung in Deutschland nicht denkbar. Betrachtet man die Situation in Deutschland, dann sterben von den 900 000 Todesfällen im Jahr etwa 400 000 Menschen im Krankenhaus. Von diesen werden 4 000 als hirntot diagnostiziert. 2012 wurden davon ein Viertel tatsächlich Organspender. Hier spielten die Unversehrtheit der Organe und die Spendenbereitschaft die letzte entscheidende Rolle. Auf die Spendensituation haben aber auch andere Faktoren Einfluss. Der Hirntod ist eine häufige Folge von Verkehrsunfällen, insbesondere bei Motorradunfällen, die in den USA viel häufiger auftreten als in Deutschland. Der Straßenverkehr ist in Deutschland deutlich sicherer, und die Teilnehmer sind besser geschützt. Neben der subjektiven Spendebereitschaft begrenzt dies die Anzahl der zur Verfügung stehenden Organe zusätzlich. Diese Erkenntnisse belegen aber für die medizinische Forschung und den Gesetzgeber die Notwendigkeit, dass wir die Organspende in mehrfacher Hinsicht optimieren müssen: Je schneller nach der Ersatzdiagnose der Patient, insbesondere bei der Nierenspende, mit dem neuen Organ versorgt werden kann, desto besser sind seine langfristigen Überlebenserwartungen. Je höher der Grad der Übereinstimmungsparameter ist, desto geringer ist die Gefahr der Abstoßung des Organs. Und je geringer die Notwendigkeit einer Zweit- oder Drittversorgung ist, desto weniger Organe müssen zur Verfügung stehen. Gleichwohl ist aber die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch Spenden nach Versterben endlich, zumal auch immer die Frage des Alters des Spenders eine Rolle spielt. Wir müssen uns daher maßgeblich auf die Datenoptimierung konzentrieren, um den vorstehenden drei Anforderungen besser gerecht zu werden. Damit kann der Bedarf an Spenderorganen aber nicht nur durch die Organspende nach Hirntod erfolgen, sondern auch die Lebendspende muss in den Fokus rücken. Eine umfassende Datenbank unterstützt auch diese Form der Organspende. Der Wissensgewinn kommt einer optimalen Abstimmung sowie Vor- und Nachsorge der Organspendeempfänger zugute. Je qualitativ und quantitativ länger ein Empfänger mit seinem Spenderorgan lebt, umso erfolgreicher ist unser System der Organtransplantation. Mit unserem Transplantationsregistergesetz setzten wir an einer bisher vernachlässigten, aber essentiell wichtigen Stellschraube an – dem Erkenntnisgewinn durch umfassende Daten. Stehen der Forschung Langzeitdaten über den Verlauf von Organspenden zu Verfügung, kann entscheidendes medizinisches Wissen gewonnen werden, das zur Verbesserung der Lebensdauer von Organspenden beiträgt. So sehr wir natürlich ein nachvollziehbares Interesse daran haben, durch die besondere Behandlungsmethode Leben zu retten, darf aber nicht vergessen werden, dass im Prozess der Datenerhebung und der Datenverarbeitung auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tangiert ist. Schon bei der Frage der Organspendebereitschaft ergibt sich die Kollision zwischen einer ausdrücklichen Einwilligung und einer vermuteten Einwilligung mit dem Recht zum Widerspruch, wie dies in Österreich praktiziert wird. Aber auch nach erfolgter Spende und Transplantation stellt sich eine Grundrechtskollision zwischen dem Datengebrauch und dem Lebensschutz sowohl beim Lebendspender als auch Organempfänger. All diese muss nun im Gesetz beachtet und vor allem der wissentliche Mehrwert im Interesse der Patienten zeitnah evaluiert werden. Die Entscheidung zur begrenzten Aufnahme der Altdaten ab dem Jahre 2006 war eine sinnvolle und wirkungsvolle Maßnahme, um den wissentlichen Gewinn in Ansehung der relativ überschaubaren Fälle größtmöglich zu gestalten. Das Transplantationsregister schafft hierfür eine verlässliche Datengrundlage. Die erhobenen Daten von der Organentnahme bis hin zur Nachbetreuung des Transplantierten werden darin gebündelt. Mit dem Organspenderegister werden zudem die Wartelistenkriterien sowie die Verteilung der Spenderorgane weiterentwickelt. Das Gesetz wird deshalb ein weiterer Schritt in eine hochwertige Versorgung sein. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Der heutige Tag ist ein guter Tag für die Transplantationsmedizin und die Organspende in Deutschland. Seit langem schon wird darauf hingewiesen, dass es in Deutschland keine einheitliche, integrierte Datenerhebung des gesamten Transplantationsverlaufs gibt. Bislang war es hierzulande Praxis, dass anfallende Daten in mehreren Institutionen und nach unterschiedlichen Vorgaben erhoben wurden, ohne miteinander verknüpft zu sein. Durch diese fehlenden Verknüpfungen war die Möglichkeit versperrt, systematische Erkenntnisse über wichtige Fragen des Transplantationswesens zu erhalten. Diesen Zustand beenden wir mit der Einführung eines bundesweiten Transplantationsregisters. Mit dem heutigen Beschluss geht ein durchaus aufwändiges Gesetzgebungsverfahren zu Ende. Aus meiner Sicht war es ein Musterbeispiel dafür, wie das BMG, der Bundestag, vor allem aber auch die vielen im Transplantationswesen Tätigen an einem Strang gezogen haben, um zu einem für alle Beteiligten guten Ergebnis zu kommen. Es ist ja nicht immer so, dass sich Politik und Fachwelt derart einig über ein Vorgehen sind, das ja durchaus einen sensiblen Bereich berührt. Es ist mir daher ein Anliegen, neben der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz und ihrem Team im BMG gerade auch den vielen Beteiligten der Selbstverwaltung, vieler Verbände sowie der Wissenschaft ein herzliches Wort des Dankes auszusprechen. Neben der handwerklichen Arbeit beim Stricken des Gesetzes ist viel Leidenschaft für die Sache deutlich geworden. Beispielhaft möchte ich hier Herrn Dr. Leber vom GKV-Spitzenverband, aber auch die Vertreter der Bundesärztekammer wie Herrn Professor Otto und Herrn Dr. Middel sowie Herrn Dr. Rahmel von der DSO nennen, die mit viel Herzblut und fachlicher Expertise für die Anliegen der Transplantationsmedizin und die Organspende eingetreten sind und sich um das Thema verdient gemacht haben. Mit dem Transplantationsregister schaffen wir eine verlässliche Datengrundlage, die alle bundesweit erhobenen Daten von der Organentnahme bis hin zur Nachbetreuung nach einer Transplantation bündelt. Dadurch verbessern wir nicht nur die Datengrundlage für die transplantationsmedizinische Versorgung, sondern wir erhöhen gleichzeitig die Transparenz im gesamten System. Auch die Patientensicherheit in Deutschland wird dadurch erhöht. Vor allen Dingen können die Kriterien zur Organspende weiterentwickelt werden. Denn das Register wird fundierte Informationen darüber liefern, zu welchem Organempfänger ein Spenderorgan am ehesten passt. Es wird auch für die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht mehr notwendig sein, auf Daten aus dem Ausland zurückzugreifen, in denen unsere landesspezifischen Gegebenheiten nur unzureichend abgebildet werden können. Darauf sind wir aus der Wissenschaft sowie aus der Transplantationsmedizin mehrfach hingewiesen worden. Ich freue mich, dass sich diese Problematik in Zukunft so nicht mehr stellen wird. Auch für die Gewinnung von Erkenntnissen über die Qualität der Transplantationszentren wird es zukünftig stärke Hinweise geben. So werden die Zentren in die Lage versetzt, ihre Qualität noch weiter zu verbessern. Es war ein wichtiges Anliegen vieler Aktiver, zu besseren Erkenntnissen zu gelangen im Bereich der Nierenersatztherapie. Um die Qualität der Behandlung beurteilen zu können, ist der Behandlungsverlauf in einer Gesamtbewertung zu berücksichtigten. Dies war bislang nicht möglich, da die Sicherung der Qualität bei der Dialyse und der Transplantation getrennt voneinander ablaufen. Mit dem Beschluss des GBA, ein sektorenübergreifendes Qualitätssicherungsverfahren zur Nierenersatztherapie bei chronischem Nierenversagen auf den Weg zu bringen, und dem gleichzeitigen Beschluss im Transplantationsregistergesetz, eine verpflichtende Lieferung der Daten aus der Qualitätssicherung an das Transplantationsregister zu verankern, wird die Sache rund. Es wird die benötigte Vernetzung entstehen, was aus fachlicher Sicht sehr zu begrüßen ist. Ich hoffe, dass die dazu noch notwendigen Arbeiten schnell abgeschlossen werden können. Ich möchte die Gelegenheit noch einmal an dieser Stelle nutzen und um eine zügige Durchführung aller noch nötigen Arbeiten bitten, da die Daten zur Nierenersatztherapie dringend gebraucht werden. Ich denke, was die organisatorische Ausgestaltung des Registers betrifft, hat vor und während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens überwiegend Einmütigkeit geherrscht. Weitaus schwieriger waren da schon die Fragen des Datenschutzes. Das Gesetz räumt dem Datenschutz und insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen sehr hohen Stellenwert ein. Ich gebe zu, dass ich ähnlich wie Bundesrat und viele Sachverständige im Rahmen der Anhörung lieber auf das Einwilligungserfordernis verzichtet hätte. Aus fachlicher Sicht ist, so denke ich, sehr deutlich geworden, dass eine Datenvollständigkeit von großer Bedeutung für die Qualität und Aussagekraft des Registers insgesamt ist. Diese Vollständigkeit zu erreichen, muss trotz der jetzt vereinbarten Einwilligungslösung das Ziel bleiben. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere was die Frage der Bestimmtheit bei einem derzeit nicht und vor allen Dingen nicht durch den Gesetzgeber festgelegten Datensatz betrifft, sind jedoch nachvollziehbar. Nachvollziehbar ist gleichsam das Anliegen der Bundesregierung, der informationellen Selbstbestimmung als hohem verfassungsrechtlichem Schutzgut einen besonderen Status zuzumessen. Ich sage aber auch: Im Sinne der vielen Menschen, die auf ein funktionierendes System der Organspende angewiesen sind, brauchen wir ein Transplantationsregister, das valide Daten sicherstellt. Vom Grundsatz der Datenvollständigkeit darf nicht abgegangen werden. Insofern haben es die Koalitionsfraktionen für einen gangbaren Kompromiss gehalten, zunächst einmal auf das Prinzip der Freiwilligkeit zu setzen, in der Hoffnung, dass die Betroffenen aus Einsicht in eine Bereitstellung von Daten einwilligen, die im weiteren selbstverständlich anonymisiert werden. Wir vertrauen auf die Experten, die davon ausgehen, dass nach einem verpflichtenden Beratungsgespräch mit keiner umfassenden Ablehnung zu rechnen ist. Wir haben diesbezüglich vereinbart, dass im Gesetz eine Berichtspflicht mit kurzer Frist verankert wird, in deren Rahmen die Vollständigkeit der Daten in den Blick genommen wird. Sollte es hier nicht zu der erhofften Beteiligung kommen, muss dieses Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden. Mit der Einwilligung in dieses Vorgehen verbinde ich die klare Erwartung im Sinne der Sache, dass das Thema erneut aufgerufen wird, sollten die Erwartungen in puncto Datenvollständigkeit nicht eintreffen. Ich habe mir den Stichtag für den Bericht bereits im Kalender vorgemerkt. Ich freue mich, dass es im Zuge der parlamentarischen Beratungen gelungen ist, die verbindliche Lieferung der sogenannten Altdaten an die Transplantationsregisterstelle in das Gesetz aufzunehmen. Der Transplantationsregisterstelle wird die Aufgabe übertragen, diese Daten zu speichern und den im Gesetz benannten Stellen zur Verfügung zu stellen. Dadurch können wir sicherstellen, dass bereits in der Aufbauphase des Registers Arbeitshypothesen erstellt werden können. Mir war es wichtig, dass gerade die Kliniker so schnell wie möglich mit dem Register arbeiten können. Dies wurde ja auch in der Fachwelt so gesehen. Wichtig ist auch noch einmal die Klarstellung im Gesetz, dass die Erfassung von Daten mit der Aufnahme in die Warteliste beginnt. Mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist der Startschuss für die Einrichtung des Registers gegeben. Ich hoffe nun auf eine zügige Durchführung der notwendigen Aufbauarbeiten der Selbstverwaltungspartner, insbesondere auch beim Erstellen des einheitlichen Datensatzes. Insbesondere hoffe ich, dass sich die Einschätzungen verschiedener Akteure bezüglich der Datenvollständigkeit bewahrheiten werden. Denn unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass dem heutigen Tag noch viele weitere gute Tage für die Transplantationsmedizin folgen werden. Sabine Dittmar (SPD): Nach jahrelangen Diskussionen über die Notwendigkeit eines Transplantationsregisters bringen wir ein solches zentrales Register heute endlich auf den Weg. Dabei freut es mich besonders, dass es uns gelungen ist, auch die vorhandenen Altdaten in das Register zu überführen und somit weiterhin nutzbar zu machen. Neue Daten werden künftig einheitlich und zentral gespeichert. Alle Daten, die ab 2006 gewonnen wurden, werden davon getrennt gespeichert, stehen aber zur Auswertung zur Verfügung. Und Daten, die noch weiter in der Vergangenheit gewonnen wurden, werden an die Vertrauensstelle übermittelt. Es ist auch ein Erfolg, dass die Datensätze nunmehr auf Vollständigkeit hin überprüft werden und dass die Daten von all denjenigen Patientinnen und Patienten erfasst werden, die auf der Warteliste stehen und auf ein passendes Spenderorgan hoffen. Aus diesem neuen, zentralen und umfassenden Datenschatz erhoffe ich mir wertvolle Informationen für die weitere Transplantationsmedizin. Wie ich schon anlässlich der 1. Lesung betont habe, so ist es für die Patientensicherheit und für die Prozessstruktur unerlässlich, dass im Transplantationsregister einheitliche Daten erfasst und auswertet werden. Nur so lassen sich die Ergebnisse in den einzelnen Transplantationszentren objektiv vergleichen und daraus wertvolle Informationen ableiten über Qualität, Erfolgsaussichten und Risiken von Transplantationen. Ich persönlich verbinde mit dem zentralen Transplantationsregister die Hoffnung, dass wir endlich valide und evidenzbasierte Informationen über die Allokationskriterien erhalten, die für eine Aufnahme auf die Wartelisten entscheidend sind. Bislang ist die Dringlichkeit der entscheidende Faktor für die Warteliste. Anhand der neuen Daten wird zu diskutieren sein, wie die Kriterien bedarfs- und erfolgsorientiert weiterentwickelt werden können. Das vorliegende Gesetz zum Transplantationsregister ist aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ein wichtiger Schritt. Doch noch viel wichtiger als dieses Register ist es, dass sich ein jeder ganz persönlich mit der Frage auseinandersetzt, ob er im Ernstfall für eine Organspende zur Verfügung steht. Geben Sie sich einen Ruck und beschäftigen Sie sich in einer ruhigen Minute mit dieser wichtigen Frage. Ganz egal, ob man zu der Erkenntnis kommt, sich dafür oder dagegen zu entscheiden: Sie nehmen Ihren Angehörigen eine schwere Entscheidung ab, wenn Sie sich selbst – im Idealfall natürlich für eine Organspende – entscheiden und Ihren Willen zu Papier bringen. Organspende schenkt Leben! Denken Sie daran, dass Sie selbst jederzeit auch in die Situation kommen können, eine lebensrettende Spende zu benötigen, und es leider oftmals viel zu lange dauert, bis ein passendes Spenderorgan gefunden werden kann. Ich appelliere daher an jeden Einzelnen, einen Organspendeausweis auszufüllen und ihn bei sich zu tragen. Hilde Mattheis (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz zur Errichtung eines Transplantationsregisters gehen wir einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Organspende in Deutschland. Rund 10 000 Menschen warten derzeit auf ein Spendeorgan. Gleichzeitig wurden 2015 nur rund 3 000 Organe transplantiert – ein neuer Tiefstand, da die Zahl in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken ist. Diese Zahlen machen uns klar, dass wir in Deutschland ein Problem mit der Akzeptanz unseres bisherigen Transplantationssystems haben. Nach dem sogenannten Transplantationsskandal im Jahr 2012 bestand und besteht Einigkeit darüber, dass alles getan werden muss, um das Vertrauen in die Organspende wiederherzustellen. Dieses Gesetz ist dafür ein Baustein. Wir vollziehen damit einen Schritt, der in vielen Ländern Europas Standard ist, da es dort ein Transplantationsregister bereits gibt. Ziel des Gesetzes ist es, ein zentrales Register zu schaffen, indem wir die Daten von Organspendern und Lebendspendern sowie Organempfängern bzw. Daten über die Organe selbst speichern. Diese Erfassung läuft derzeit dezentral nach unterschiedlichen Kriterien und Standards. Von einer Zentralisierung versprechen wir uns vor allem mehr Wissen. Wir wissen zu wenig, wie die Transplantationszentren arbeiten, ob die bestehenden Regeln zur Organspende ausreichen und ob sie den Prozess erschweren oder erleichtern. Um diese Wissenslücke zu beheben, braucht es dieses zentrale Register. Wir erreichen damit eine sehr viel größere Transparenz und Klarheit darüber, was, wie, wo in Deutschland transplantiert wird. Transparenz ist genau eine der wesentlichen Forderungen, die zu Recht nach dem Missbrauch in der Organspende aufgestellt wurden. Es ist daher erfreulich, dass fast alle beteiligten Verbände die Gesetzesinitiative der Koalition begrüßen. Das bisherige Transplantationsverfahren ist unserer Meinung nach fehleranfällig; denn natürlich kann es bei dem oftmals sehr zeitintensiven Prozess einer Organspende zu menschlichen Fehlern kommen. Das geplante Transplantationsregister soll nun alle transplantationsmedzinischen Daten bundesweit zusammenführen. Dazu wird ein bundesweit einheitlicher Datensatz vereinbart, der in Zukunft dann an allen Krankenhäusern und für alle Beteiligten am Spendeverfahren, seien es die Krankenhäuser, Transplantationszentren, die Verbände der Krankenkassen oder die Deutsche Stiftung Organspende, so angewandt wird. Wir erwarten uns davon eine deutlich geringere Fehlerquote und eine verbesserte Dokumentation der Organspende in Deutschland. Zudem werden den betroffenen Stellen bessere und schneller verfügbare Informationen über Wartelisten vorliegen, so dass die Hoffnung besteht, den Betroffenen schneller und unkomplizierter helfen zu können. Selbstverständlich gibt es bei diesem Transfer von Daten auch den Datenschutz zu beachten. Im Beratungsverlauf wurde noch einmal klargestellt, dass bei Spendern ein sogenannter postmortaler Würdeschutz gegeben ist und daher Daten nicht ohne jegliche Hürde weitergegeben dürfen. Gleichzeitig gab es Bedenken über möglicherweise unvollständige Datensätze bzw. Datenerfassung, wenn nicht automatisch alle notwendigen Daten gespeichert würden. Bei kleinen Fallzahlen – und 3 000 gespendete Organe sind im statistischen Bereich keine hohen Werte – können schon wenige Abweichungen bzw. Datenmängel zu Verfälschungen in der Statistik führen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die potenziellen Spender freiwillig angeben können, ihre Daten für das Register bereitzustellen. Damit sollen rechtliche Vorgaben zum Datenschutz und zur informationellen Selbstbestimmung gewahrt bleiben. Es wurde in der Anhörung deutlich, dass es keinen ersichtlichen Grund gibt, dass potenzielle Spender einer Übermittlung von transplantationsmedizinischen Daten widersprechen, da diese nicht einem kommerziellen Zweck oder Ähnlichem dienen, sondern, wie gesagt, zum Beispiel einem Patienten auf einer Warteliste schneller mitgeteilt werden kann, dass ein Organ bereitsteht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen, die selbst spenden, der Datenaufnahme und -übertragung widersprechen, wenn nachvollziehbare Gründe angegeben werden. Eine weitere offene Frage war die Übermittlung sogenannter Altdaten, also schon erfasster Daten seit 2006 bis heute, über die Spender, Empfänger, Organe usw. Hier stellte sich das Problem, dass diese Datensätze nach sehr unterschiedlichen Kriterien erhoben wurden, zum Teil unvollständig oder fehlerhaft sind und damit eine bloße Übertragung das neu aufzubauende Register verfälschen würde. Gleichzeitig ist für eine Vervollständigung des Registers aber auch der Satz an Altdaten wichtig und notwendig. Mit diesen Daten ist nämlich zum Beispiel erkennbar, wie viele Personen noch auf Wartelisten für ein Organ sind. Und wir sind uns auch darüber einig, dass die Frage einer Transplantation nicht erst mit dem zur Verfügung stehenden Organ beginnt, sondern mit dem Eintrag in eine Warteliste. Es ist wichtig, dass die Patienten, die auf solchen Listen stehen, mit in dem Register erfasst werden; denn dies zeigt natürlich in sehr eindrücklicher Weise auf, wie hoch der Bedarf an Organen in Deutschland ist und wie niedrig im Vergleich dazu die Zahl der möglichen Spender. Wir haben deshalb im Gesetzgebungsverfahren nachgebessert und bestimmt, dass diese Altdaten an die Transplantationsregisterstelle überwiesen und dort gespeichert werden. Durch die Einbeziehung der zu schaffenden Vertrauensstelle haben wir auch hier ein hohes Datenschutzniveau sichergestellt. Auch bei diesen Altdaten wird es nicht möglich sein, den Personenbezug zum damaligen Spender bzw. Empfänger wiederherzustellen, so dass Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben. Eine Vermischung von Alt- und Neudaten, also jenen Daten, die ab Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden, wird es nicht geben. Wir haben festgelegt, dass die Altdaten als ein unveränderlicher Datenbestand abgespeichert werden. Somit stehen sie einerseits zur Verfügung, andererseits haben wir technisch eine Trennung zwischen den verschiedenen Datensätzen. Das ist die sauberste Lösung. Die SPD hat sich dafür eingesetzt, dass wir den Aufbau und die Funktionsweise des Registers evaluieren. So können wir prüfen, ob die jetzt gefundenen Lösungen zur Datenschutzeinwilligung und zu Altdaten auch tragen. Das ist sehr wichtig, um sicherzustellen, dass in Zukunft das geplante Transplantationsregister so funktioniert, wie wir uns das vorstellen und die Transplantationsverbände es erwarten. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive und zielorientierte Arbeit an diesem Gesetz bedanken. Ich bin sicher: Es ist ein gutes Gesetz und wird helfen, Transplantationen hierzulande einfacher, besser und transparenter zu machen. Wir sind es den vielen potenziellen Spenderinnen und Spendern, die auf ihrem Spenderausweis ein „Ja“ angekreuzt haben, schuldig, dass im Notfall mit ihrem Körper so umgegangen wird, wie sie sich das vorstellen, und den Menschen geholfen wird, die dringend ein Organ benötigen. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz dazu beitragen wird, wieder Vertrauen in die Organspende zu stiften. Daran sollten wir alle mitarbeiten. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem Vorhaben eines öffentlichen Registers, das sämtliche Daten rund um Organspende und Transplantation erfasst, greift die Bundesregierung endlich eine Forderung der Linken auf. Wir erinnern uns: 2012 erschütterte ein Transplantationsskandal die Republik. Mediziner in verschiedenen Kliniken hatten Patientendaten manipuliert, um die eigenen Patienten in der Warteliste für ein Spenderorgan weiter vorne zu platzieren. Bereits am 31. Januar 2013 hat meine Fraktion in einem Antrag auf Bundestagsdrucksache 17/12225 ein umfassendes Register für Transplantationen gefordert, um so die medizinische Versorgung zu verbessern, Transparenz und Vertrauen zu erhöhen sowie Fehlverhalten zu bekämpfen. Im Sommer vor drei Jahren haben wir dann in einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen nochmals eine einheitliche und umfassende Datenerhebung im gesamten Prozess der Transplantationsmedizin gefordert. Vor diesem Hintergrund will ich erläutern, warum der Gesetzentwurf der Bundesregierung für Die Linke dennoch nicht zustimmungsfähig ist. Erstens sind wir der Auffassung, dass ein solches Register zwingend in die öffentliche Hand gehört. Genau dieselben Organisationen mit der Errichtung zu beauftragen, die sich bisher als unfähig oder unwillig erwiesen haben, wirkliche Transparenz in der Transplantationsmedizin herzustellen – also Bundesärztekammer, die Krankenhausgesellschaften und die Krankenkassen –, das ist nicht geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende wiederherzustellen. Zweitens sollen wieder einmal ausschließlich die gesetzlich Versicherten dieses Register finanzieren. Zu Beginn dieser Wahlperiode hat die Regierungskoalition aus Union und SPD die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen zulasten der Beschäftigten und zugunsten der Unternehmen verändert. Alle künftigen Kostensteigerungen zahlen nun die Versicherten allein. Das führt bei der Bundesregierung nun schon wieder zu einer unglaublichen Großzügigkeit auf Kosten der Beitragszahler. Wieder einmal verlagern Sie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die eigentlich aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren wäre, auf die Krankenkassen. Und die Privatversicherungen dürfen, müssen aber nicht mitfinanzieren. Das nenne ich Klientelpolitik der allerfeinsten Sorte. Drittens gibt es Zweifel, ob Ihnen die Balance zwischen Datenschutz und Datenvollständigkeit mit diesem Gesetz gelungen ist. In der Anhörung haben verschiedene Sachverständige darauf hingewiesen, dass der Nutzen eines solchen Registers sehr von der Vollständigkeit der erhobenen Daten abhängt. Dass die Patientinnen und Patienten in die Speicherung ihrer Daten ausdrücklich einwilligen müssen, kann in diesem speziellen Fall dazu führen, dass die Daten nicht repräsentativ genug sind. Auch könnten einzelne Transplanteure oder Zentren mögliches Fehlverhalten dadurch verschleiern, dass diese Einwilligung einfach nicht eingeholt wird und die Daten nicht übermittelt werden. Wäre Ihnen der Schutz der sensiblen Patientendaten wirklich so wichtig, dann müssten Sie vor allem die Bundesdatenschutzbehörde für die zusätzlichen Aufgaben mit zusätzlichen Planstellen ausstatten, aber das unterlassen Sie. Datenschutz ohne Datenschützer ist nur ein Potemkin’sches Dorf, eine schöne Fassade mit nichts dahinter. Trotz dieser Kritikpunkte hätten wir diesem Gesetz eventuell zustimmen können, hätten Sie es nicht noch missbraucht, um mit einem Änderungsantrag schnell noch eine üble Verschlimmbesserung des Pflegestärkungsgesetzes II durchzuschleusen. Demnächst sollen die Pflegekassen zur Hälfte auch die medizinische Behandlungspflege von Intensivpflegepatienten in der häuslichen Pflege übernehmen. Die Linke fordert, gemeinsam mit Verbänden, Gewerkschaften und Interessenvertretungen der Betroffenen, dass medizinische Behandlungskosten für alle Patientinnen und Patienten in voller Höhe von den Krankenkassen getragen werden müssen – unabhängig davon, ob der Patient auch noch Pflegebedarf hat, unabhängig davon, ob er oder sie zu Hause lebt, im Heim wohnt oder im Krankenhaus liegt. Weil ja die Pflegeversicherung immer nur einen Teil der Kosten trägt, drohen mit dieser Regelung gerade für die schwer Kranken, die zum Beispiel 24 Stunden am Tag beatmet werden müssen, hohe Eigenanteile. Oder die Kosten werden auf die Sozialhilfeträger, also auf die Kommunen, verlagert. Das machen wir nicht mit! Weil wir diese spezielle Regelung vehement ablehnen, können wir auch dem Gesetz zur Errichtung eines Transplantationsregisters nicht zustimmen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Errichtung eines Transplantationsregisters, über die der Deutsche Bundestag heute entscheiden wird, ist eine Konsequenz aus den Skandalen, die die Transplantationsmedizin in den letzten Jahren hierzulande erschüttert haben. Es war der Wunsch aller damals im Bundestag vertretenen Fraktionen, ein solches Register zu schaffen. Umso bedauerlicher ist es, dass die gemeinsame Arbeit in dieser Legislaturperiode keine Fortsetzung erfahren hat. Es ist schon erstaunlich, wie die Bundesregierung bei der Diskussion ihres Gesetzentwurfes nonchalant über fast alle geäußerten Bedenken hinweggeht. Änderungsvorschläge wurden kaum übernommen. Das ist schade, denn einige der von der Bundesregierung vorgesehenen Regelungen können die Akzeptanz und Aussagekraft des Registers erheblich gefährden. Meine Fraktion hätte dem Gesetzentwurf gern zugestimmt, aber aufgrund der Bedenken, die ich Ihnen im Folgenden erörtern werde, werden wir uns enthalten. Erstens: Nahezu sämtlich Verbände und Akteure im Transplantationsgeschehen haben darauf hingewiesen, dass es sinnvoll sein kann, die Einwilligung in die Transplantation selbst mit der Einwilligung in die Datenübertragung an das Register zu verknüpfen. Nur so kann angesichts der geringen Fallzahlen in der Transplantationsmedizin ein aussagekräftiger Datenbestand erreicht werden. Und nur so kann vermieden werden, dass sich Einrichtungen, die schlechte Qualität abliefern oder Daten manipulieren, zukünftig einer Kontrolle entziehen. Aufgegriffen haben Sie diese Bedenken nicht. Ebenso wenig haben Sie die sinnvolle Forderung nach einem Dialyseregister aufgegriffen, um auch in diesem Bereich für mehr Transparenz zu sorgen. Wir wissen also gar nicht, wie aussagekräftig und repräsentativ das Register, das wir heute beschließen, mal sein wird. Zweitens: Wir legen in diesem Land zu Recht sehr viel Wert auf eine unabhängige Forschung, auch im Bereich der medizinischen Wissenschaft. Im vorliegenden Gesetzentwurf räumen Sie nun den Spitzenverbänden im Gesundheitswesen die Befugnis ein, über die Herausgabe bestimmter Daten zu Forschungszwecken entscheiden zu dürfen. Damit entscheiden diese Akteure faktisch über die Durchführung bestimmter Forschungsvorhaben. Sie können bis heute nicht begründen, warum diese Akteure und nicht eine neutrale Instanz oder das Register selbst über die Herausgabe entscheiden sollen. Sie schaffen damit einen Präzedenzfall, der sich negativ auf die Forschungsfreiheit auswirken kann. Und sie tun auch den Verbänden keinen Gefallen damit, wenn diese zukünftig in den Verdacht geraten, Forschungsvorhaben zu unterdrücken, weil sie ihren fachpolitischen Interessen möglicherweise widersprechen. Drittens: Auf unsere Nachfrage hin erklärte die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in einem Schreiben an den Gesundheitsausschuss, dass der Gesetzentwurf den postmortalen Persönlichkeitsschutz von verstorbenen Organspendern und -empfängern nicht ausreichend berücksichtigt. So müsse beispielsweise der Gesetzgeber den zu übermittelnden Datensatz für postmortale Spender – zumindest in seinen wesentlichen Zügen – selbst festlegen. Damit verbunden ist ein weiteres Problem Ihres Gesetzentwurfs: Wie bei anderen Vorhaben auch überlassen Sie mal wieder der Selbstverwaltung die wesentliche Ausgestaltung der Regelungen – ohne sich darum zu kümmern, ob dies rechtlich zulässig ist oder die betroffenen Verbände auch über ausreichende personelle und zeitliche Ressourcen dafür verfügen. Sie entziehen sich damit wieder mal Ihrem Gestaltungsauftrag. Auffällig in diesem Zusammenhang ist auch, dass das Transplantationsregister ausweislich des Gesetzes aus Mitteln der GKV finanziert werden soll. Bei den klinischen Krebsregistern ist das anders; dort ist das Mitspracherecht der PKV mit einem finanziellen Beitrag verknüpft. Im vorliegenden Entwurf hingegen räumen Sie der PKV bedingungslos weitgehende Mitspracherechte bei der Ausgestaltung des Transplantationsregisters ein und verzichten damit ohne Not auf einen wesentlichen Anreiz für die PKV, sich auch an der Finanzierung des Registers zu beteiligen. Warum, können Sie bis heute nicht erklären. Die Legitimation und Akzeptanz der Organspende hat in den letzten Jahren in Deutschland erheblich gelitten. Allein durch Plakatkampagnen wird man dieses Vertrauen nicht wieder herstellen können. Ein aussagekräftiges und nicht interessengeleitetes Register ist ein wesentlicher Baustein dafür, die Organspende in Deutschland wieder auf die Beine zu bringen. Ein Register hingegen, das Lücken und Raum für interessengeleitete Entscheidungen lässt, wird dies nicht schaffen. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 29) Gero Storjohann (CDU/CSU): Lange Wartezeiten bei Behörden sind inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr. Da drängt sich mir die Frage auf: Ist das Verfahren in der Form wirklich notwendig und lässt es sich nicht vereinfachen und somit für eine Entlastung der entsprechenden Stellen sorgen? Seit dem 1. Januar 2015 ist es möglich, ein Kraftfahrzeug per Mausklick vom heimischen Computer abzumelden. Um nun dem Bürger die Fahrzeugzulassung ebenso zu ermöglichen, werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Damit wird dem Bürger neben dem herkömmlichen Verfahren bei der Zulassungsbehörde ein internetbasiertes Verfahren zur Wahl gestellt. Dazu wird die Ermächtigung zur Regelung der zulassungsinternen Verfahren komplettiert, also die Umsetzung der internetbasierten Wiederzulassung außer Betrieb gesetzter Fahrzeuge auf denselben Halter im selben Zulassungsbezirk. Das ist die sogenannte zweite Stufe des Projektes i-Kfz und der entscheidende und notwendige Schritt vor der endgültigen Implementierung der sogenannten dritten Stufe: der internetbasierten Fahrzeugzulassung. Für die Umsetzung sind daher organisatorische, technische und rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, damit dieses Verfahren dann in den jeweiligen Portalen der Kommunen angeboten werden kann. Dazu sind Komponenten zu entwickeln und zu nutzen, die eine elektronische internetbasierte Abwicklung des Verfahrens ermöglichen. Mit diesen Komponenten können die verschiedenen Fahrzeugzulassungsvorgänge abgebildet werden, um Bürgerinnen und Bürgern oder auch Unternehmen die Durchführung ihrer Fahrzeugzulassung ohne Gang zur Zulassungsbehörde zu ermöglichen. Das soll zudem als vollständig automatisierter Verwaltungsakt ermöglicht werden, um eine vollständig digitalisierte und elektronische Abwicklung der Fahrzeugzulassung zu ermöglichen. Das begrüße ich, trägt es doch sehr zur Entlastung der Verwaltung bei, und auch die Nutzer profitieren von dem zusätzlichen Verfahren, denn hierdurch lässt sich eine sofortige Teilnahme am Straßenverkehr im Anschluss an den Zulassungsvorgang verwirklichen. Ferner werden durch den Gesetzentwurf die nötigen Speicher- und Übermittlungsvorschriften geschaffen, um die Daten über Hauptuntersuchungen und Sicherheitsüberprüfungen der durchführenden Stellen im Zentralen Fahrzeugregister beim Kraftfahrt-Bundesamt speichern zu können. Das ist notwendig, um die zweite Stufe des Projektes i-Kfz sowie die Richtlinie 2014/45/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 umsetzen zu können. Diese stellt die regelmäßige technische Überwachung von Kraftfahrzeugen sicher. Ein weiteres Novum, das in diesem Entwurf steckt, ist eine Ermächtigungsgrundlage für den Bund, die zur Entlastung der Polizei führt. Seit Jahren nimmt die Zahl der sogenannten Großraum- und Schwertransporte im deutschen Straßennetz massiv zu. Die Wirtschaft hat die Fertigungslinien in vielen Fällen in einer Weise angepasst, dass große Bauteile in einer Fabrik gefertigt werden, um diese dann mit Großraum- und Schwertransporten zu den entsprechenden Verarbeitungs- oder Baustellen zu liefern. Besonders signifikant ist – durch die Energiewende – der Transport von Bauteilen für Windkraftanlagen. Zugleich hat sich die Verkehrsdichte deutlich erhöht, und die gesamten Rahmenumstände der Infrastruktur, insbesondere die Brückenstabilität, haben sich im Laufe der Jahre spürbar verschlechtert. Dies alles führt dazu, dass bei entsprechenden Erlaubnissen und Genehmigungen von Großraum- und Schwertransporten in vielen Fällen als Auflage die Begleitung durch Polizeikräfte angeordnet wird. Dieses Aufgabenfeld bindet eine Vielzahl von Ressourcen bei Polizeidienststellen, die anderweitig dringender benötigt werden. Eine Möglichkeit ist es, durch den Einsatz von Verfügungshelfern die Polizeikräfte bei der Begleitung zu entlasten. Dazu muss aber eine bundeseinheitliche Regelung getroffen werden, da es sonst zu Komplikationen bei länderübergreifenden Transporten kommt. Mit dieser Vorschrift kann das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eine Verordnung schaffen, damit bundesweit gleichartige Rahmenbedingungen geschaffen werden. Somit sorgen wir auch hier für Erleichterung in den ausführenden Organen der Bundesrepublik Deutschland. Weiterhin beinhaltet dieser Entwurf redaktionelle Änderungen zur fristgerechten Umsetzung europarechtlicher Vorschriften in nationales Recht. Dabei wird der grenzüberschreitende Austausch von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte mittels dieser Anpassungen erleichtert. Im Fahrerlaubnisrecht sind durch zahlreiche Überarbeitungen die Begrifflichkeiten hinsichtlich inländischer und ausländischer Fahrerlaubnisse uneinheitlich. Dies gilt es für eine klare und einfache Rechtsanwendung zu bereinigen. In diesem Entwurf werden diese Begrifflichkeiten systematisch vereinheitlicht. Insgesamt lässt sich also sagen, dass uns mit diesem Gesetzentwurf eine bundeseinheitliche Regelung gelungen ist, die der Mobilität der Bürger der Bundesrepublik Deutschland zuträglich ist und der Verkehrssicherheit aller dient. Daher ist dieses Vorhaben zu unterstützen und dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in geänderter Fassung zuzustimmen. Stefan Zierke (SPD): Heute stimmen wir über das Sechste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze in zweiter und dritter Beratung ab. Ich möchte an dieser Stelle nicht vertiefend auf die vielen einzelnen Punkte dieses Artikelgesetzes eingehen, die im Großen und Ganzen Ermächtigungsgrundlagen, Klarstellungen und rechtsförmliche Anpassungen von insgesamt vier Gesetzen betreffen. Vielmehr möchte ich auf die positive Anpassung bei der Begleitung von Großraum- und Schwertransportern eingehen: In unserem gemeinsamen Änderungsantrag haben wir die Regelung eingebracht, dass zukünftig Beliehene oder Verwaltungshelfer Großraum- und Schwertransporte begleiten können. Damit kann unsere Polizei von dieser Aufgabe entlastet werden. Ähnlich kennen wir es ja vom TÜV oder von Toll Collect, die eng definierte hoheitliche Aufgaben übernehmen und damit die Verwaltung entlasten. Bislang wurden die Schwertransporte regelmäßig von Polizistinnen und Polizisten begleitet, die beispielsweise an Landesgrenzen aufgrund von Zuständigkeiten gewechselt werden mussten. Teilweise geschieht dies bei längeren Strecken mehrmals. Dies kostet Zeit, stört oft den Verkehrsfluss und ist ineffizient. Ebenso kam es häufiger vor, dass Beamte während der polizeilichen Transportbegleitung aufgrund von Noteinsätzen abgezogen werden mussten. Somit musste die polizeiliche Begleitung unterbrochen werden und konnte erst nach Beendigung des Noteinsatzes fortgesetzt werden. Diesen misslichen Umstand ändern wir jetzt. Darüber hinaus nimmt die Zahl der Großraum- und Schwertransporte im deutschen Straßenverkehr seit vielen Jahren kontinuierlich zu. Dabei denke ich insbesondere an den Transport von Windkraftanlangen, Booten und Fertighäusern. Die meisten Autofahrer kennen diese spektakulären Transporte von Landstraßen und Autobahnen. Sicherlich ist die Begleitung durch die Polizei aus sicherheitspolitischen Gesichtspunkten keine zu unterschätzende Aufgabe, aber durchaus auch eine, die durch entsprechend qualifizierte und überprüfte beliehene Aufgabenträger oder Verwaltungshelfer sehr gut übernommen werden kann. Diese Möglichkeit schaffen wir hiermit. Die zukünftigen Aufgabenträger können, ähnlich wie die Polizei, verkehrsrechtliche Anordnungen treffen. Der Bund regelt damit die Rahmenbedingungen. Die zuständigen Landesbehörden übernehmen zukünftig nach diesen Regeln die Beleihung und Beauftragung. Alles in allem werden wir die Polizeikräfte in den Ländern entlasten. Deswegen stimmen wir zu. Thomas Lutze (DIE LINKE): Im Ausschuss einen Änderungsantrag vorzulegen, der fast so lang ist wie der vorliegende Gesetzentwurf selbst ist, verbietet sich eigentlich. Leider scheint sich diese Arbeitsweise langsam einzuschleifen – bei der Reform der Erbschaftssteuer war es nicht anders. Hier allerdings ist es noch schlimmer; denn Sie fassen mit Änderungsanträgen plötzlich Sachverhalte an, von denen in der ersten Lesung noch gar keine Rede war. Damit beschneiden Sie die Rechte der Opposition. Kommen wir zu den einzelnen inhaltlichen Punkten: Es ist nicht verständlich, dass im elektronischen Fahreignungsregister neben den Identifizierungsmerkmalen nun auch noch Zulassungsmerkmale gesammelt werden sollen – im Zusammenhang mit einer internetbasierten Zulassung datenschutzrechtlich mehr als bedenklich, vor allem, wenn diese internetbasierte Zulassung nun auch noch privatisiert werden soll und damit private Unternehmen Zugriff auf diese Daten erhalten. In der ursprünglichen Fassung war der Gesetzentwurf übrigens unbedenklich, und meine Fraktion hätte ihm zugestimmt. Aber mit der Privatisierung der Begleitung von Groß- und Schwertransporten und der Privatisierung der internetbasierten Zulassung haben Sie dem Gesetzentwurf aus ideologischen Gründen einen marktradikalen Anstrich verpasst, der völlig unnötig ist, zumal der Rest dann per Verordnung geregelt werden soll und der Bundestag dann nichts mehr zu sagen hätte. Auch wir sehen ein, dass die Polizei Besseres zu tun hat, als privaten Transportunternehmen Geleitschutz zu geben. Allerdings sollten bei der Privatisierung dieser öffentlichen Dienstleistung für private Unternehmen die anfallenden Kosten der Begleitung dann auch komplett privat getragen werden. Es kann nicht sein, dass private Unternehmen ein privates Unternehmen für eine Dienstleistung beauftragen und der Staat dieses Geschäft dann bezuschusst. Und außerdem sehe ich bereits jetzt, dass diese Entlastung der Polizei demnächst als Begründung für den nächsten Personalabbau herhalten muss. Bei der Reform der MPU-Gutachten haben Sie mit der Entgeltordnung eine richtige Regelung getroffen, die in der Zukunft viel Schindluder verhindern wird. Warum Sie aber nicht auch gleichzeitig verbindliche Qualitätsstandards einführen, erschließt sich mir nicht. Ich komme zum Fazit: Sie haben diesen eigentlich notwendigen und richtigen Gesetzentwurf im letzten Moment in einem Maße verschlechtert, dass sich meine Fraktion enthalten muss. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und dem entsprechenden Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sollen die Voraussetzungen für die zweite und dritte Stufe der internetbasierten Fahrzeugzulassung geschaffen werden. Weiterhin erfordern europäische Regelungen sowie die notwendigen Verwaltungsabläufe im Zulassungsverfahren Anpassungen weiterer damit in Verbindung stehender Gesetze. Damit hält in diesem Bereich der Verwaltung E-Government Einzug. Endlich wird der ein oder andere sagen. Endlich können Wartezeiten und Wege zu den Zulassungsstellen entfallen und Behördengänge auch in diesem Bereich vom Sofa aus geregelt werden. Auch die Automatisierung des Fahreignungsregisters ist grundsätzlich zu begrüßen. Doch gutes E-Government setzt hohe Anforderungen an den Datenschutz voraus. Deshalb lohnt sich ein genauerer Blick auf die beabsichtigten Regelungen. Insbesondere bei der geplanten vollelektronischen Führung des Fahreignungsregisters wird mit besonders sensiblen personenbezogenen Daten umgegangen. Datenschutzrechtlich muss immer der Maßstab des Erforderlichkeits- und Zweckbindungsgrundsatzes im Umgang mit den Informationen angelegt werden. Nicht erforderliche Daten sind umgehend zu löschen oder zu sperren. Eine Umfunktionierung zu allgemeinen Sicherheitszwecken muss ausgeschlossen werden. Hier bestehen aber Zweifel hinsichtlich der Erweiterung der gespeicherten Daten beim Verfahren der Direkteinstellung nach § 30a des Gesetzentwurfs. Danach können Protokolldaten über Zugriffe und neu aufgenommene Daten 6 Monate gespeichert werden. Begründet wird die Frist mit der Möglichkeit der Kontrolle durch die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit. Gleichzeitig bedeutet diese lange Frist auch erhebliches Risiko für Bürger, weil Zugriffe durch Sicherheitsbehörden über den gesamten Zeitraum möglich sind. Näheres bestimmt leider kein Gesetz, sondern eine interne Vorschrift des Kraftfahrt-Bundesamtes. Das ist uns als hinreichende Rechtsgrundlage angesichts der Sensibilität der Datenbestände allerdings zu wenig, da hier beispielsweise auch Daten zu Straftatbeständen abgelegt werden. Vorsicht ist aus unserer Sicht auch deshalb geboten, weil die konkrete Ausgestaltung eben an einer Verordnung hängt, auf die wir hier keinen weiteren Einfluss haben. Richtig hingegen ist die mit dem Änderungsantrag vorgeschlagene Ermächtigungsgrundlage, mit der die bisher verpflichtende Polizeibegleitung von Großraum- und Schwertransporten auf Dritte übertragen werden können. Private Spezialunternehmen können auf diese Weise zur Entlastung der Polizei beitragen, die derzeit mit rund 300 000 Sondertransporten belastet ist. Die Polizei kann dann ihre knappen Ressourcen wieder verstärkt für die Verkehrsüberwachung und damit zur Verbesserung der Verkehrssicherheit einsetzen. Allerdings ist dies eine Ausnahme. Grundsätzlich darf die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben nicht schleichend auf Private übertragen werden. Wir werden uns zu Ihrem Gesetzentwurf wegen der geschilderten datenschutzrechtlichen Bedenken jedenfalls enthalten. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 30) Oswin Veith (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf einen modernen und familienfreundlichen öffentlichen Dienst verständigt. Modern heißt, sich an Lebenswirklichkeiten und neue Entwicklungen anzupassen. Nur so können auch zukünftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für den öffentlichen Dienst begeistert werden. Für junge Arbeitskräfte sind Arbeitsplätze in der Regel am interessantesten, wenn Familie und Beruf besonders gut zu vereinbaren sind. In Gesprächen mit jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird mir dies immer wieder deutlich gemacht. Besonders häufig höre ich dabei den Wunsch nach flexibler Arbeitszeitgestaltung im Falle von Nachwuchs oder Pflegefällen in der Familie. Neben der beruflichen Selbstverwirklichung liegt vielen auch ihre Familie am Herzen, und Familien sind nun einmal Mittelpunkt und Anker zugleich. Für einen zukunftsorientierten öffentlichen Dienst bedeutet dies, dass die Vereinbarkeit der Lebensbereiche Arbeit und Familie auch zukünftig eines der wichtigsten Themen bei der Gewinnung von Arbeitnehmern sein wird. Und gerade in diesem Punkt können wir mit der Privatwirtschaft durchaus konkurrieren. Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für die Beamtinnen und Beamten des Bundes und die Soldatinnen und Soldaten legen wir daher einen weiteren Baustein, um den öffentlichen Dienst attraktiver und vor allem familienfreundlicher zu machen. 2013 hatten wir mit den Regelungen zur Familienpflegezeit für die Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten und Soldatinnen und Soldaten begonnen und schufen die Möglichkeit, Familienpflegezeit für pflegebedürftige nahe Angehörige zu beantragen. Ähnliches hatten wir zuvor für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geregelt. Mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetz gehen wir noch einen Schritt weiter. Für die Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten sowie Soldatinnen und Soldaten wird es künftig einen Rechtsanspruch auf Familien- und Pflegezeit geben. Etwas Vergleichbares haben wir ebenfalls für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft und Tarifbeschäftigte Ende 2014 beschlossen. Nun erfolgt auch in diesem Fall die entsprechende Übertragung auf die Beamtinnen und Beamten und Soldatinnen und Soldaten. Ich halte das für einen sehr konsequenten Schritt, der nicht zuletzt für mehr Vertrauen und Sicherheit bei den Bundesbeamten sorgen wird. Verringert der oder die Betroffene aufgrund einer Pflegesituation innerhalb der Familie die Arbeitszeit, wird ein Vorschuss gewährt, welcher die entstehenden Gehaltseinbußen abfedern soll und anschließend mit den Bezügen verrechnet wird. Die wöchentliche Arbeitszeit muss mindestens 15 Stunden betragen. Die Verkürzung der Arbeitszeit kann bis maximal 24 Monate gewährt werden. Zudem wollen wir den Wechsel in eine andere Laufbahn flexibler gestalten. Um den Wechsel in eine höhere Laufbahn oder eine andere Laufbahn derselben oder höheren Laufbahngruppe zu erleichtern, werden wir vorübergehend das Nebeneinander zweier Beamtenverhältnisse ermöglichen. Bei einem Wechsel musste der Betroffene bislang aus dem bestehenden Beamtenverhältnis entlassen werden. Dies führte immer dann zu erheblichen Unsicherheiten bei den Beamten, wenn der Wechsel in eine höhere Laufbahn die Ableistung eines Vorbereitungsdienstes oder einer Probezeit erfordert. Nun ruht das bestehende Beamtenverhältnis für die Dauer des Vorbereitungsdienstes oder der Probezeit. Gleichzeitig enthält der Gesetzentwurf einen Anspruch gegen den Dienstherren auf Schmerzensgeld im Falle einer Verletzung durch Dritte während des Dienstes. Immer häufiger werden Beamtinnen und Beamte sowie Soldatinnen und Soldaten Opfer von Gewalttaten, aus denen Schmerzensgeldansprüche entstehen. Der Bund nimmt seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten sehr ernst und hat sich daher entschlossen, bei Schmerzensgeldansprüchen, die eine unbillige Härte darstellen, die Ansprüche gegenüber den Beamtinnen und Beamten, Soldatinnen und Soldaten zu begleichen. Bei erheblichen Schmerzensgeldansprüchen bleiben die Betroffenen nicht auf ihren Ansprüchen sitzen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Gewalt gegen Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte halte ich diese Regelung für unabdinglich, absolut korrekt und notwendig. Unsere Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten setzen sich tagtäglich für das Wohl und die Sicherheit unserer Bürger ein. Da ist es nur billig und gerecht, ihnen im Falle von Schmerzensgeldansprüchen, welche nicht durchsetzbar sind, unterstützend zur Seite zu stehen. Künftig gilt: Hat der geschädigte Beamte oder die geschädigte Beamtin einen titulierten Schmerzensgeldanspruch, kann diesen aber nicht gegen einen zahlungsunfähigen Schädiger durchsetzen, besteht die Möglichkeit, den Anspruch auf Zahlung des Schmerzensgeldes gegen den Dienstherren zu richten. Wie bereits erwähnt, muss es sich um einen Schmerzensgeldanspruch handeln, dessen Nichtdurchsetzbarkeit eine unbillige Härte darstellt. Erst dann soll der Dienstherr den Anspruch übernehmen. Der Begriff der unbilligen Härte – in der Rechtssprache nennt man das einen unbestimmten Rechtsbegriff – muss hierbei noch mit Leben gefüllt werden. Ob ein Schmerzensgeldanspruch eine unbillige Härte darstellt, hängt von der Höhe des Schmerzensgeldanspruchs ab. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah dabei vor, eine unbillige Härte ab einem Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 500 Euro anzunehmen. Alle darunter liegenden Ansprüche stellen demnach keine unbillige Härte dar. Dies erschien aus meiner Sicht und vor dem Hintergrund, dass Schmerzensgeldansprüche meist auch mit seelischen Beeinträchtigungen einhergehen, als sehr hoch gegriffen. Im Gespräch mit dem Bundesinnenministerium konnten wir den Betrag um die Hälfte herabsetzen, sodass eine unbillige Härte nun ab einem Anspruch in Höhe von 250 Euro angenommen wird. Bei einem Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 250 Euro und höher ist von einer erheblichen Verletzung des Beamten auszugehen. Vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht für die Beamten halte ich es für richtig, hier nicht allzu hoch anzusetzen und freue mich darüber, dass das Innenministerium in diesem Punkt unserer Ansicht gefolgt ist und den ursprünglichen Betrag entsprechend herabgesetzt hat. Die öffentlichen Dienstleistungen – und zwar nicht nur im Bereich der inneren Sicherheit – haben in Deutschland eine hohe Qualität, und unsere Sicherheitskräfte genießen ein hohes Ansehen. Wir sind es ihnen schuldig, ihnen bei erheblichen Eingriffen in ihre eigene Unversehrtheit zur Seite zu stehen. Damit schaffen wir Vertrauen und sichern zugleich die Einsatzbereitschaft und die Verlässlichkeit unserer Sicherheitsbehörden. Neben der Absicherung bei Schmerzensgeldansprüchen wird mit dem Gesetzentwurf viel für die Familienfreundlichkeit des öffentlichen Dienstes getan. Und genau dort liegt ein entscheidender Vorteil des öffentlichen Dienstes gegenüber der Privatwirtschaft. Der Bund als Dienstherr bietet seinen Bediensteten eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Nicht zuletzt profitieren davon die Bürgerinnen und Bürger. Denn wer bei persönlichen Sorgen und Nöten oder auch im Falle des freudigen Ereignisses der Geburt eines Kindes zusammen mit seinem Arbeitgeber eine Lösung finden kann, ist auch ein motivierter Arbeitnehmer. Und genau das bieten wir unseren Beamtinnen und Beamten, den Soldatinnen und Soldaten. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt eine Reihe von Gerechtigkeitslücken bei der Familienpflegezeit und Pflegezeit, sowie bei der Schädigung im Dienst durch Private, sodass ich für Ihre Zustimmung werbe. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): „Gewalt am Arbeitsplatz“ ist ein Thema, das mehr und mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, darunter in besonderem Maße Beamtinnen und Beamte. Vor wenigen Tagen hatte ich genau dazu ein Gespräch mit der dbb-Jugend. Hier konnte ich aus erster Hand erfahren, dass die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst immer häufiger darunter leiden. Beschimpfungen, Beleidigungen und auch körperliche Gewalt gehören dazu. Die Folgen der Gewalt sind vielfältig: psychische Traumata, körperliche Einschränkungen, Verdienstausfall, Rehabilitation, Versetzungen und Beeinträchtigungen der weiteren Arbeit können dazu gehören. Inzwischen müssen wir auch noch schwerere Folgen in unsere Betrachtung miteinbeziehen. Wir alle haben noch den schockierenden Fall in Rothenburg von 2014 vor Augen, wo ein Jobcentergutachter erstochen wurde. Nehmen wir ein weniger spektakuläres, aber alltäglicheres Beispiel: Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit wird in Ausübung ihres Dienstes beleidigt und tätlich angegriffen. Sie erleidet dabei körperliche und psychische Blessuren und fällt im Dienst einige Zeit aus. In einem zivilrechtlichen Prozess muss sie sich mühsam Schmerzensgeldansprüche erstreiten und dann – ist der Täter mittellos. Das ist kein Einzelfall, den ich hier beschreibe. Doch warum erzähle ich das? Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz, das unter anderem genau diesen Punkt aufgreift. Bislang blieben Beamtinnen und Beamten, die in Ausübung ihres Dienstes Opfer von Gewalt wurden und ihre Schmerzensgeldansprüche nicht durchsetzen konnten, weil der Schädiger mittellos ist, auf ihren Ansprüchen sitzen. Für Betroffene war das nach dem Gewalterlebnis mit einer weiteren Demütigung verbunden. Mit der Gesetzesänderung wird ihnen künftig geholfen. Diese nicht vollstreckbaren Ansprüche werden fortan vom Dienstherrn übernommen, das heißt die Geschädigten erhalten das Schmerzensgeld auch in Fällen, wo beim Beklagten kein Geld zu holen ist. Damit wollen wir sicherstellen, dass die Geschädigten nicht ein zweites Mal zum Opfer werden, sondern ihren gerichtlich erstrittenen Anspruch auch durchsetzen können. Das ist nicht nur finanziell, sondern vor allen Dingen auch moralisch von Bedeutung und soll einen Beitrag zur Anerkennung der Beschäftigten leisten. Allerdings soll diese Regelung nur oberhalb einer Bagatellgrenze Anwendung finden. Der Regierungsentwurf sah hier zunächst eine Grenze von 500 Euro vor. Wir haben in Gesprächen mit dem Koalitionspartner durchgesetzt, dass diese Grenze auf 250 Euro reduziert wird. Damit profitieren deutlich mehr Beschäftigte von dieser Leistung, und das ist gut so. Doch das Gesetz hat noch weitaus mehr zu bieten. Im Kern des Gesetzes steht die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Viele kennen das aus eigenen Erfahrungen in der Familie oder bei Freunden: ein Pflegefall wirft das gesamte Familienleben durcheinander. Schnell stellt sich die Frage: Wer kann die Pflege eines Angehörigen übernehmen? Wer reduziert seine Arbeitsstunden, und in welcher Konstellation kann man sich das leisten? Diese Situation, die viele Beschäftigte betrifft, soll mit dem Gesetz verbessert werden. Wir haben bereits mit dem Pflegezeitgesetz und dem Familienpflegezeitgesetz die Freistellungsmöglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert, wenn plötzlich eine Pflegesituation eintritt. Seit dem 1. Januar 2015 haben sie einen Anspruch auf vollständige oder teilweise Freistellung und auf finanzielle Förderung. Finanzielle Notsituationen können mit Hilfe des Pflegeunterstützungsgeldes überbrückt werden. Das brachte eine deutliche Verbesserung für pflegende und erwerbstätige Beschäftigte mit sich. Diese Vorteile sollen mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf auf Beamtinnen und Beamte und Soldatinnen und Soldaten übertragen werden. Dieser Schritt war notwendig, denn auch hier pflegen und betreuen viele Menschen ihre Angehörigen parallel zu ihrer Berufstätigkeit. Auch hier wird der Bedarf an pflegenden Angehörigen im Zuge der demografischen Entwicklung deutlich steigen und die Erwerbstätigen verstärkt vor Herausforderungen stellen. Mit dem Gesetzentwurf schaffen wir auch für diese große und wichtige Beschäftigtengruppe einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit. Künftig haben sie einen Anspruch auf Familienpflegezeit von bis zu 24 Monaten bei einer verbleibenden Arbeitszeit von 15 Stunden pro Woche. Darüber hinaus können sie Pflegezeit beanspruchen bei bis zu 6 Monaten vollständiger oder teilweiser Freistellung. Damit sind Freiräume verbunden, die die Situation für den Einzelnen verbessern. Bei einer plötzlich eintretenden Pflegesituation wird das auch hier die Situation spürbar erleichtern. Hinzu kommt eine finanzielle Förderung, die als Überbrückungsleistung den Lebensunterhalt für die Betroffenen sichert. Das Gesetz überträgt damit die Erleichterungen auf die Gruppe der Beamtinnen und Beamte sowie Soldatinnen und Soldaten, die als wichtige Säulen in unserer Gesellschaft viel Verantwortung übernehmen. Wir haben mit dem Gesetzentwurf noch weitere Regelungen in den Blick genommen. Künftig wird es möglich sein, vorübergehend zwei Beamtenverhältnisse, das auf Lebenszeit und das auf Widerruf oder Probe, nebeneinander zu haben. Mit dieser Neuerung reagieren wir auf die beruflichen Veränderungswünsche der Menschen und erleichtern ihnen den Wechsel in eine neue oder höhere Laufbahn. Eine kleine Änderung, die die Flexibilität stärkt und den öffentlichen Dienst attraktiver macht. Auch konkretisieren wir mit dem Gesetz die Beihilfeverordnung und nehmen Anpassungen an EU-Normen vor. Es ist ein Gesetzentwurf, der verschiedene Aspekte aufgreift. Sie alle zielen in eine Richtung: Es geht uns um eine Verbesserung der Situation von Beamtinnen und Beamten und Soldatinnen und Soldaten. Jeden Tag stehen sie mit ihrer beruflichen Tätigkeit im Dienst von Staat und Gesellschaft. Mit diesem Gesetz wollen wir dieser hohen Verantwortung Rechnung tragen. Frank Tempel (DIE LINKE): Den öffentlichen Dienst aufwerten durch bessere Pflegeregelungen! Es sind zwei gesellschaftliche Entwicklungen zu beobachten, die den öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik an den Rand der Leistungsfähigkeit führen können. Das ist das Herunterfahren der öffentlichen Daseinsvorsorge durch Stellenabbau bei gleichzeitigem Aufgabenaufwuchs sowie die demografische Entwicklung. Beide Phänomene verstärken sich gegenseitig und führen dazu, dass staatliche Aufgaben in schlechterer Qualität oder nicht mehr ausreichend angeboten werden und die Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich steigt. Der Ruf des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber hat auf diese Weise massiv gelitten, und insbesondere Fachkräfte mit Spezialkenntnissen werden händeringend gesucht. Die Bundesregierung erkennt zumindest die Bedrohung des Fachkräftemangels für die Arbeitsfähigkeit des öffentlichen Dienstes an und versucht seit einigen Jahren, in kleinen Schritten gegenzusteuern. Über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber wiederhergestellt werden, um einen Gegenpol zu höheren Gehaltsangeboten aus der Privatwirtschaft zu schaffen. Oft bin ich im Gespräch mit Beamtinnen und Beamten und deren Verbänden. Eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird deutlich angezweifelt. Ich schlage der Regierungskoalition vor: Wenn Sie schon keine Zeit haben, mit den Beamtinnen und Beamtinnen zu reden und deren Probleme aufzunehmen, machen Sie doch einfach eine Befragung. Sie werden interessante Dinge zu hören bekommen. Auch das vorliegende Gesetz mit seinen Regelungen zu besseren Pflegemöglichkeiten für Beamtinnen und Beamte reiht sich in die Bemühungen ein. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Wie wir aber schon in der ersten Lesung dargestellt haben: Es ist die richtige Richtung, aber viel zu kurz gesprungen. Die Überalterung in der Gesellschaft erzeugt auch einen höheren Pflegebedarf. Pflege ist aber unserer festen Überzeugung nach keine private Angelegenheit, die innerhalb des Familienverbandes zu organisieren und zu finanzieren ist. Pflege ist eine gesamtgesellschaftlich notwendige Aufgabe, deren Lasten solidarisch aufgeteilt und gemeinschaftlich getragen werden müssen. Die Entscheidung, ob familiär gepflegt werden soll, muss frei von sozialen oder materiellen Zwängen und ohne zeitlichen Druck erfolgen können. Sie hingegen genehmigen zum Beispiel nur zehn Tage Arbeitsfreistellungen, die genutzt werden sollen, um den Übergang des Angehörigen in die Pflege zu organisieren. In welcher Welt leben Sie eigentlich? Fragen Sie mal Betroffene, was für einen realen organisatorischen und bürokratischen Aufwand dies darstellt. Auch die Notwendigkeit der Zustimmung des Arbeitgebers ist ein völlig falsches Signal an die Beamtinnen und Beamten. Ursache für das gebremste Agieren der Bundesregierung ist das Mantra der Kostenneutralität. Ohne mehr Geld werden die Folgen des demografischen Wandels und der steigenden Aufgabenvielfalt des öffentlichen Dienstes nicht in den Griff zu bekommen sein. Was ist bezüglich der Pflege zu tun? Wir befürworten erstens einen Rechtsanspruch auf bezahlte Freistellung für die Dauer von bis zu sechs Wochen zur Organisation der neu eingetretenen Pflegesituation und der ersten pflegerischen Versorgung von Angehörigen oder nahestehenden Personen. Wir fordern weiterhin einen Rechtsanspruch auf sechsmonatige Beurlaubung zur Pflege, welcher auch für die Begleitung in der letzten Lebensphase besteht. Wir fordern drittens, die Möglichkeit der selbstbestimmten Entscheidung des zu pflegenden Menschen zu schaffen, von wem sie oder er als „nahem Angehörigen“ gepflegt werden möchte, auch ohne verwandtschaftliche Beziehungen. Die Definition „nahe Angehörige“ ist weitergehend an die realen Lebensverhältnisse der Pflegenden und der zu Pflegenden anzupassen. Viertens fordern wir analog zum Deutschen Gewerkschaftsbund, dass bei Härtefällen großzügige Teilerlasse ermöglicht werden. Es ist niemanden geholfen, wenn Beamtinnen und Beamte gerade in niederen Gehaltsgruppen aufgrund von finanzieller Überlastung verarmen oder die Pflege unmöglich wird, weil die Pflegenden die Aufgabe aus finanziellen Gründen nicht mehr wahrnehmen können. Auch bei diesem Gesetz gilt: Sie werden schon deutlichere Angebote unterbreiten müssen, um den Ruf des öffentlichen Dienstes als Ort eines familienfreundlichen Lebensarbeitszeitmanagements, der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, der umfassenden Mitbestimmung und von exzellenten Weiterbildungsmöglichkeiten zu etablieren. Dies und eine Ausbildungs- und Einstellungsoffensive mit breiten Einstellungskorridoren sind die Mittel der Wahl, um den öffentlichen Dienst mittelfristig einsatzfähig und die Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle Lesungen zu diesem Gesetz gehen zu Protokoll, offenbar ist die Bundesregierung selbst nicht allzu stolz darauf. Selbstverständlich haben auch Beamtinnen und Beamte, Soldatinnen und Soldaten Angehörige, die pflegebedürftig werden können. Und viele von ihnen wollen sich um diese Angehörigen kümmern. Das gilt aber auch für Selbstständige und Soloselbstständige, das gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen Betrieben. Und die bleiben nach wie vor ausgeschlossen. Schon das ursprüngliche Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ist ein Flop. Dass es jetzt wirkungsgleich auf Beamte und Soldaten übertragen wird, macht es nicht besser. Pflegende Angehörige brauchen keine Auszeit, die sie sich selbst finanzieren müssen. Sie brauchen eine Entgeltersatzleistung, damit sie sich ohne weitere Sorgen darum kümmern können, was für die pflegebedürftige Person wichtig und notwendig ist. Und sie brauchen die Möglichkeit, sich spontan freinehmen zu können, wenn der Pflegebedürftige gestürzt ist, wenn ein Arztbesuch oder ein Krankenhausaufenthalt ansteht, ebenfalls mit Entgeltersatzleistung, und das jedes Jahr wie beim Kinderkrankengeld. Um Pflege und Beruf dauerhaft miteinander vereinbaren zu können, ist vor allem eine verlässliche Infrastruktur wichtig. Denn wenn der Anspruch auf Familienpflegezeit endet, endet nicht automatisch auch die Pflegebedürftigkeit. Worauf können Menschen sich verlassen? Auf ambulante Dienste, auf Tages- und Nachtpflege, auf ehrenamtliche Betreuungsangebote. Und es darf kein sich ewig wiederholender, nicht zu bewältigender Aufwand sein, diese Angebote zusammenzustellen. Darum ist auch eine gute, unabhängige und individuelle Beratung von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen nötig: Was wünscht der Pflegebedürftige, was braucht er, welche Angebote gibt es? Was brauchen die Angehörigen? Wir wollen, dass die Beratung auf die Menschen zugeht, wenn das notwendig ist, dass sie sie aufsucht. Jeder Pflegebedürftige soll Anspruch auf einen individuellen Case Manager haben, der sich im Dschungel der Angebote zurechtfindet und genau die Angebote zusammenstellt, die dem Pflegebedürftigen und seinen Angehörigen nutzen. Und wir wollen auch für die Angehörigen Beratung, und zwar nicht nur darüber, was der Pflegebedürftige braucht, sondern auch darüber, wo sie selbst Hilfe finden können, wenn sie an ihre Grenzen kommen. Mit einem persönlichen Pflegebudget hätten Pflegebedürftige und auch ihre Angehörigen mehr Freiheit: Sie könnten sich die Leistungen einkaufen, die sie wirklich haben wollen, die sie entlasten. Es müsste nicht mehr jeden Tag das gleiche Programm ablaufen. Man könnte auch mal spazierengehen, einkaufen und dafür einmal weniger duschen. Der persönliche Case Manager würde darauf achten, dass die notwendigen Pflegeleistungen eingekauft werden. Die beste Beratung hilft freilich nichts, wenn es keine Angebote gibt. Wenn die Beratung vor Ort angesiedelt ist, wenn die Menschen unabhängig und individuell nach ihren tatsächlichen Bedürfnissen beraten werden, dann fällt auch ins Auge, was fehlt, welche Angebote noch notwendig wären. Neue, spezifische und bedarfsgerechte Angebote können so angestoßen werden. Grundsätzlich muss die pflegerische Infrastruktur ausgebaut werden. Die starren Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Pflege müssen fallen. Wir brauchen: mehr Angebote der Tages- und Nachtpflege, am liebsten mit Hol- und Bringdienst, mehr Angebote der Kurzzeit- und Verhinderungspflege, Möglichkeiten für Angehörige, mit dem Pflegebedürftigen in Urlaub zu fahren – mit professioneller Unterstützung, damit sich beide erholen können. Bessere Beratung, mehr Freiheit bei der Auswahl der Leistungen, Ausbau der Angebote und ein Pflege- und Hilfe-Mix zwischen professioneller stationärer bzw. teilstationärer und ambulanter Pflege, Haushaltshilfe, Angehörigenpflege, Betreuung sowie ehrenamtlichen und nachbarschaftlichen Hilfen – so können Angehörige unterstützt werden. Darum werden bei unserer grünen PflegezeitPlus die flankierenden Maßnahmen immer mitgedacht. Denn einfach einen Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung ins Gesetz zu schreiben, bringt gar nichts. Das werden leider auch die Beamten und Soldaten zu spüren bekommen, wenn sie demnächst auch in den Genuss dieses Gesetzes kommen. Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressourcenverschwendung stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten (Tagesordnungspunkt 31) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir debattieren heute das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm, kurz ProgRess. Wir debattieren heute erneut deswegen, weil das erste Programm „zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen“ aus dem Jahr 2012 nun fortgeschrieben wurde. Dies ist ein Erfolg des Parlaments. Vor genau vier Jahren haben wir die Bundesregierung in einem Antrag aufgefordert, alle vier Jahre über die Entwicklung der Ressourceneffizienz in Deutschland zu berichten. Die Bundesregierung hat nun mit ProgRess II geliefert. Schon das erste Ressourceneffizienzprogramm war ein Erfolg. Deutschland hat im Jahr 2012 als einer der ersten Staaten überhaupt ein solches Programm verabschiedet. Auch die Zahlen zeigen: Die Rohstoffproduktivität entwickelt sich in die angestrebte Richtung. Das Wirtschaftswachstum wurde vom Rohstoffeinsatz ein gutes Stück weit entkoppelt. Aber: Die bereits erzielten Steigerungsraten der Rohstoffproduktivität reichen nicht aus, um das gesetzte Ziel bis 2020 zu erreichen. Das Ziel war die Verdoppelung der Rohstoffproduktivität vom Jahr 1994 bis 2020. Aktuell liegen wir bei einer Steigerung von knapp 50 Prozent. Das haben wir erreicht. Dieser Erfolg zeigt aber auch, dass noch viel Potenzial für Verbesserung besteht. ProgRess will dieses Potenzial nutzbar machen. Worum geht es bei ProgRess? Die effiziente Nutzung von Rohstoffen ist aus zwei Gründen für uns elementar. Erstens haben wir als rohstoffarmes Land gar keine andere Möglichkeit, als mit den endlichen Ressourcen intelligent umzugehen. Dazu gehört, Ressourcen und Material sparsam einzusetzen. Dazu gehört auch, die Wirtschaftskreisläufe nachhaltig zu gestalten. Dafür müssen wir noch mehr bereits genutzte Stoffe wiederverwenden oder, wo das nicht möglich ist, Stoffe wiederverwerten. Zum anderen übersteigt die immer stärkere Nutzung natürlicher Ressourcen die Regenerationsfähigkeit unserer natürlichen Umwelt. Es geht darum, auch nachfolgenden Generationen ausreichend natürliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Und schließlich: Nur durch einen effizienten Schutz unserer Ressourcen durch eine zeitgemäße Umweltpolitik leisten wir einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz. Die Ziele sind klar: Es gilt, den Materialeinsatz zu verringern, Ressourcen sparsam und effizient zu verwenden sowie Stoffkreisläufe zu schließen. Diese Herausforderungen meistern wir nicht nebenbei. Die Wirtschaft wird weiterhin ihren Beitrag dazu leisten, den Einsatz ihrer Ressourcen immer effizienter zu gestalten. Wir sind aber überzeugt: Am Ende überwiegen die ökologischen und auch ökonomischen Vorteile. Um diese Vorteile zu erreichen, hat die Bundesregierung mit dem zweiten Programm zur Ressourceneffizienz einen sinnvollen Maßnahmenkatalog vorgelegt. Gleichwohl setzen wir darüber hinaus in unserem Antrag, den wir heute zur Abstimmung stellen, einige wichtige Schwerpunkte. Ich will nur ein paar Punkte nennen: Wir fordern eine umfassende nationale Forschungs- und Innovationsförderstrategie für neue Ressourcentechnologien. Dazu wollen wir durch technologieoffene Forschungs- und Entwicklungsprogramme insbesondere kleine und mittlere Unternehmen unterstützen, ressourcenschonende Techniken einzusetzen. Zweitens: Es ist uns besonders wichtig, Angebote zur betrieblichen Ressourceneffizienzberatung weiterzuentwickeln und auszubauen. Damit soll besonders in kleinen und mittelständischen Unternehmen das Bewusstsein für den effizienten Umgang mit Ressourcen gefördert werden. Als Berichterstatter für Kreislaufwirtschaft schaue ich mir regelmäßig verschiedene Unternehmen an. Dabei beeindruckt mich jedes Mal, wie viele Unternehmen ihre Prozesse Jahr für Jahr effizienter und intelligenter ausgestalten. Gleichzeitig ist ebenso klar: Für die Zukunft ist dafür noch mehr Potenzial vorhanden. Mit unserem Antrag unterstützen wir kleine und mittelständische Unternehmen, dieses Potenzial noch besser zu nutzen, um ihre Ressourcen noch effizienter einzusetzen. Drittens: Ökobilanzen. Hierbei müssen wir die methodischen Voraussetzungen verbessern, um anhand von Ökobilanzen bei der Analyse von Ressourcenverbräuchen bestimmter Produktgruppen den gesamten Lebenszyklus zu bewerten. Viertens setzen wir uns dafür ein, dass bei der Anwendung der Ökodesignrichtlinie nicht nur der Energieverbrauch berücksichtigt wird, sondern ebenso der Ressourcenverbrauch. Natürlich bleibt der Energieverbrauch insbesondere für den Klimaschutz eine wichtige Kenngröße. Gleichzeitig müssen wir verstärkt auch den Verbrauch der eingesetzten Ressourcen in den Blick nehmen. Fünftens fordern wir eine deutliche Ausweitung der Produktverantwortung. Diese ist in unseren Augen ein zentrales Instrument zur Vermeidung von Abfällen. Warum? Wer Produkte in Verkehr bringt, soll für deren spätere Entsorgung am Ende des Lebenszyklus Verantwortung übernehmen. Dieses Prinzip sorgt dafür, dass die Entsorgungskosten Teil des Produktpreises werden. Die Entsorgung wird also beim Kauf der Produkte mitbezahlt und nicht erst über Gebühren bei der Abfallentsorgung finanziert. Sechstens wollen wir das Thema Ressourceneffizienz noch stärker auf die internationale Ebene heben. Es ist klar, dass wir langfristig nur erfolgreich sind, wenn wir unsere Maßnahmen auch international vorantreiben. Möglichkeiten dafür bieten sowohl das Kreislaufwirtschaftspaket der EU-Kommission als auch die deutsche Präsidentschaft der G20 im kommenden Jahr. Und schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, dem Bundestag in vier Jahren erneut über die Entwicklungen der im Programm geforderten Maßnahmen zu berichten. Denn eines ist klar: Ressourceneffizienz ist ein langfristiger Prozess, den wir kontinuierlich gestalten und begleiten müssen. Michael Thews (SPD): Es ist eine Tatsache: Die Ressourcen auf unserem Planeten sind endlich. Insbesondere Rohstoffe, Fläche, Boden und Wasser stehen uns und folgenden Generationen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Wenn wir mit unserem Ressourcenverbrauch so weitermachen wie bisher, dann würden wir im Jahr 2030 die Ressourcen von zwei Planeten verbrauchen. Diese Tatsache müssen wir uns alle immer und immer wieder bewusst machen und als große Herausforderung unserer Zeit verstehen. Deshalb begrüße ich das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm ProgRess und seine erste Fortschreibung ausdrücklich. Ich freue mich, dass es Gegenstand der heutigen Plenardebatte ist. Ressourceneffizienz, also die Verringerung des Rohstoff- und Materialverbrauchs, ist unabdingbar für den Umwelt- und Klimaschutz und muss für uns alle selbstverständlich werden. ProgRess I und II sehen ein Bündel von Maßnahmen und Instrumenten zur Steigerung der Ressourceneffizienz vor. Hierzu zählen Forschung und Innovation, Bildung, Beratung, Schaffung von Marktanreizen und Information. ProgRess lenkt außerdem immer wieder den Fokus auf das Thema, mit dem sich inzwischen auch viele junge Firmen beschäftigen, zum Beispiel unter dem Motto des Cradle to Cradle – oder deutsch „von der Wiege zur Wiege“ –, also des geschlossenen Kreislaufs der Produkte. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir anlässlich der Ausschussbefassung einen Entschließungsantrag vorgelegt, mit dem wir das Engagement der Bundesregierung in Sachen ProgRess würdigen und weitere, über ProgRess II hinausgehende wichtige Forderungen benennen und vorantreiben wollen. Lassen Sie mich ein paar mir besonders wichtig erscheinende Punkte aus unserem Antrag herausgreifen. Wir wollen die betriebliche Ressourceneffizienzberatung, die derzeit insbesondere vom Zentrum Ressourceneffizienz beim VDI durchgeführt wird, ausbauen und fortentwickeln. Diese Beratung soll in den Unternehmen das Bewusstsein für den effizienten Umgang mit Ressourcen fördern. Nach den Ergebnissen einer Studie von 2015 bekräftigen 73 Prozent der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe, dass sie noch Möglichkeiten für die Steigerung der Ressourceneffizienz in ihrer Branche sehen. Hier ist noch viel Potenzial. Die erfolgreiche Arbeit des VDI muss weitergeführt und ausgebaut werden. Darüber hinaus fordern wir, sich dafür einzusetzen, dass bei der Anwendung der Ökodesign-Richtlinie neben der Betrachtung des Energieverbrauchs künftig auch der Ressourcenverbrauch stärker berücksichtigt wird. Ich denke, wenn wir den Gedanken der Ressourceneffizienz in Produktions- und Vorbereitungsprozessen stärker verankern wollen, müssen wir auf europäischer Ebene ansetzen und können keinen reinen deutschen Sonderweg einschlagen. Ich bin davon überzeugt, dass die Ökodesign-Richtlinie das richtige Instrument ist, und finde, ihr Anwendungsbereich sollte schrittweise auf weitere Produktgruppen – neben den energieverbrauchsrelevanten – erweitert werden. Ein dritter Punkt aus unserem Antrag liegt mir am Herzen, und zwar die stärkere Berücksichtigung der Ressourceneffizienz bei der öffentlichen Beschaffung. Denn wir brauchen natürlich auch marktwirtschaftliche Anreize für die Herstellung von ressourceneffizienten Produkten, zum Beispiel von Produkten aus Recyclingmaterialien. Der Bund sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen, indem Ressourceneffizienz in die Leistungsbeschreibungen des Bundes bei Ausschreibungen Eingang findet. Ein Beispiel könnte die Verwendung von Beton mit rezyklierten Gesteinskörnungen, sogenannter RC-Beton, bei Bauvorhaben sein. Ressourceneffizienz sollte zu einem Markenzeichen und Standortvorteil für Deutschland werden! Ralph Lenkert (DIE LINKE): Der Rohstoffhunger der führenden Industriestaaten ist eine Ursache für globale Umweltzerstörung, soziale Verwerfungen und regionale Kriege und Konflikte. Die globalisierte, auf Produktionswachstum fixierte Marktwirtschaft führt zum Raubbau an unserem Planeten und mittelfristig in die Sackgasse. Ein Ressourceneffizienzprogramm könnte zumindest den Schwerpunkt weg vom quantitativen hin zum qualitativen Wachstum verlagern. Das erste Ressourceneffizienzprogramm ProgRess I verfehlt diesen Anspruch. Auf 124 Seiten wiederholen sich Phrasen, Worthülsen, hehre Ziele – alles blumig formuliert. Dies wurde kombiniert mit folgenlosen Absichtserklärungen. Die halbwegs verwertbare Essenz des gesamten Papieres ließe sich auf 5 Prozent, also auf sechs Seiten unterbringen. Das wäre schon mal eine erfolgreiche Effizienzmaßnahme. Wir alle müssten weniger lesen, es spart Papier oder Datenvolumen. Bei genauerer Prüfung dieses Rests stellt man jedoch leider fest, dass die Bundesregierung glaubt, das Problem des auf Verschwendung basierenden Wirtschaftens und Konsumierens ließe sich allein durch Subventionsprogramme für die freie Wirtschaft, Forschungsförderung oder mit unverbindlichen Absichtserklärungen im Tenor von „müsste, könnte, wäre schön, werden wir prüfen“ lösen. Den Grundansatz der Ressourcenstrategie, das Wirtschaftswachstum vom Ressourceneinsatz zu entkoppeln, unterstützt die Linke. Die Analyse der Fortschreibung des Programms – ProgRess II – macht jedoch deutlich, dass dieses Ziel bisher verfehlt wird. Damit steigender sozialer Ungleichheit, wachsender Umweltzerstörung und dem schleichenden Klimawandel wirkungsvoll begegnet werden kann, muss das Mantra des stetigen Wirtschaftswachstums kritisch hinterfragt werden. Wachstum um des Wachstums willen ist die Philosophie einer Krebszelle. Da die Linke für eine gesunde Gesellschaft eintritt, muss die bisherige nur auf Mengenwachstum ausgerichtete Wirtschaft verändert werden. Allein das Ziel, dass der Ressourcenverbrauch langsamer als die Wirtschaftsleistung steigt, reicht nicht – vor allem, weil dies bisher größtenteils durch die Verlagerung ressourcenintensiver Wirtschaftsbereiche ins Ausland erreicht wurde. TTIP, CETA und andere Freihandelsabkommen, die von dieser Bundesregierung gewollt werden, decken den Widerspruch auf zwischen den real existierenden globalneoliberalen Wirtschaftskreisläufen, die sich jeder Reglementierung entziehen wollen, und dem Regierungshandeln und den schönen Zielen in Sonntagsreden und ProgRess-Programmen. Nichtsdestotrotz bringt die Fortschreibung des Programms ProgRess II qualitative Verbesserungen beim Bekämpfen einiger Symptome. Die Ökodesign-Richtlinie, Effizienzberatungen, Ziele im Kreislaufwirtschaftsgesetz und Impulssetzung zur Ressourcenschonung unterstützt die Linke. Leider handelt die Bundesregierung im Tagesgeschäft entgegengesetzt. Die Ökodesign-Richtlinie beschränkt sich auf die Leistung von Staubsaugermotoren, statt das Verhältnis von eingesetzter Energie zum notwendigen Saugergebnis zu bewerten. Wenn Hersteller dann die Motorleistung verringern und zum Erhalt der Saugkraft die Arbeitsbreite an der Saugdüse reduzieren, dann verlängert sich die Arbeitszeit. Die eingesetzte Energie bleibt gleich: 1 200 Watt bei einer Stunde Arbeitszeit ergeben genauso viel wie 600 Watt bei zwei Stunden Arbeitszeit, nämlich 1,2 Kilowattstunden. Aber ich verliere eine Stunde Freizeit. So geht es nicht. Uns als erfolgreiche Ressourcenschonung die Einführung freiwilliger Abgaben auf Plastetüten verkaufen zu wollen, ist zwar nicht falsch, aber angesichts des Ausmaßes des deutschen Ressourcenverbrauches schon peinlich. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz wird entgegen den formulierten Zielen novelliert; so wurde der Passus aus dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz, nach dem Akkus in elektrischen Geräten nicht fest verbaut werden durften, gestrichen. Jetzt dürfen sie wieder fest eingebaut werden, und Verbraucher- und Umweltschützer sind fassungslos, ein Bärendienst für den Ressourcenschutz. Der Arbeitsentwurf des Wertstoffgesetzes zerstört regionale Kreisläufe und dehnt das transportintensive Ablasshandelprinzip der Dualen Systeme auf Wertstoffe im Haushaltsabfall aus. Damit entgehen den kommunalen Abfallentsorgern Einnahmen, was unweigerlich zur Erhöhung der Abfallgebühren führt. Die Linke nimmt Ressourcenschutz und Ressourceneffizienz ernst, deshalb betrachten wir die gegenwärtige konsumorientierte Lebens- und Wirtschaftsweise kritisch. Als erste Schritte zu einer ressourcenschonenden Gesellschaft schlägt die Linke folgende Maßnahmen vor: erstens Pfandpflicht auf Elektrogeräte, zweitens Mindestnutzungsdauern von technischen Produkten, drittens Einführung einer Ressourcenverbrauchsabgabe, viertens sozial-ökologische Ausrichtung der Abfallwirtschaft, fünftens ein weitgehendes Verbot von Plastetüten, sechstens Pfandpflicht für Einweggeschirr, wie beispielsweise To-go-Becher. Liebe Koalition, stecken Sie weniger Kraft in blumige Formulierungen in Ressourceneffizienzprogrammen. Investieren Sie stattdessen in Maßnahmen, wie von der Linken vorgeschlagen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir alle wissen: Der Ressourcenverbrauch in Deutschland muss gesenkt werden. Auch und gerade hierzulande verbrauchen wir mehr Ressourcen, als unser Planet hergibt. Wir leben auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder sowie vieler Menschen in den Rohstofflieferländern des globalen Südens. Auch die Bundesregierung teilt diese Einsicht. Doch jetzt muss entschlossenes Handeln folgen. Damit tut sich die Bundesregierung schwer: Das Ressourceneffizienzprogramm ist bei weitem nicht ambitioniert genug. Die Ziele sind viel zu vorsichtig formuliert. Kein Wunder, denn ProgRess II enthält zu wenige konkrete, mit Finanzmitteln hinterlegte Maßnahmen dafür, den Ressourcenverbrauch insgesamt zu drosseln, zu einer richtigen Kreislaufwirtschaft zu kommen und insgesamt eine Lebens- und Wirtschaftsweise zu entwickeln, die enkeltauglich ist. ProgRess II hat das Ziel, den Trend der Gesamtrohstoffproduktivität fortzusetzen. Bis zum Jahr 2030 soll die Effizienz der Rohstoffnutzung um 30 Prozent gegenüber 2010 steigen. Das ist gut, doch es genügt nicht. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass über die Steigerung der Rohstoffproduktivität hinaus auch der absolute Ressourcenverbrauch gesenkt wird? Das ist dringend nötig; denn würden alle Menschen der Erde so leben wie wir in Deutschland, bräuchten wir 2,6 Planeten. Doch Suffizienzmaßnahmen scheint die Bundesregierung zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Der vorgestern von der Koalition eingebrachte Entschließungsantrag zu ProgRess II liest sich stellenweise wie ein Antrag der Opposition und bringt viele gute Vorschläge ein. Warum hat die Bundesregierung sie nicht einfach selbst umgesetzt? Zum Beispiel in puncto Produktverantwortung: Beim Wertstoffgesetz hat die Bundesregierung immer noch die Chance, die Produktverantwortung im Sinne einer echten Kreislaufwirtschaft auf stoffgleiche Nichtverpackungen auszuweiten, stattdessen aber scheint sie nicht nur das bisherige, ineffektive System der geteilten Verantwortlichkeit mit großer Rechtsunsicherheit für die Kommunen weiter zementieren zu wollen. Nein, auch die nachweislich ressourcenschonende Mehrwegquote für Getränkeverpackungen soll auf diesem Weg stillschweigend beerdigt werden. Unterdessen steigt der Plastikmüllberg weiter an. Deutschland ist jetzt schon Europameister im Produzieren von Verpackungsmüll – insgesamt und auch pro Kopf. Alleine die Menge von Kunststoffverpackungen hat in Deutschland seit 2009 um fast ein Drittel zugenommen. Hier wird deutlich: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Ressourcenschutz klafft in Deutschland immer noch eine große Lücke. Wir Grüne zeigen in unserem Antrag „Ressourcenverschwendung stoppen“ deshalb konkrete Maßnahmen auf, wie wir den absoluten Ressourcenverbrauch in Deutschland signifikant senken können. Die im Bürgerratschlag der Bundesregierung formulierten Forderungen aus der Zivilgesellschaft bieten gute Anhaltspunkte und machen deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger hier bereits weiter sind als die Politiker der großen Koalition. Die Bürgerinnen und Bürger hatten sogar vorgeschlagen, eine Primärrohstoffsteuer zu erheben. Im ProgRess-II-Entwurf fehlen ökonomische Anreize für Ressourcenschutz praktisch vollständig. Zudem sprachen sich die Beteiligten am Bürgerratschlag zu ProgRess II dafür aus, den Verbrauch von Plastiktüten drastisch zu reduzieren, Einwegverpackungen einzusparen, den geplanten Verschleiß von Produkten zu bekämpfen und öffentliche Verkehrsmittel und Carsharing zu fördern. Das sind alles sehr sinnvolle Forderungen. Doch diese Dinge kommen nicht von selber. Nur ein einfacher Appell an die Bürger zum nachhaltigen Konsum wird der Verantwortung der Bundesregierung in keiner Weise gerecht. Die Bundesregierung muss sich als Vorreiter und nicht als Bremser für mehr Ressourcenschutz positionieren. Ressourcenpolitik sollte als Zentrum des politischen Handelns betrachtet werden und nicht immer nur als Anhängsel zum Beispiel der Energieeffizienzpolitik. Hierfür muss ein klarer Rahmen gesetzt und Regeln verbindlich festgeschrieben werden. Deshalb: Ein Ressourcenschutzgesetz als Baustein für eine enkeltaugliche Politik muss her, in dem dann zum Beispiel auch klare Vorgaben für das öffentliche Beschaffungswesen und die zukunftsfähige Ausgestaltung von Ausschreibungen geregelt werden. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Ein schonender und gleichzeitig effizienter Umgang mit natürlichen Ressourcen ist eine Schlüsselkompetenz zukunftsfähiger Gesellschaften. Deutschland hat die besten Voraussetzungen, bei diesem notwendigen Wandel zu einer ressourceneffizienten Wirtschaftsweise voranzugehen und zu einer der weltweit ressourceneffizientesten Volkswirtschaften zu werden. Diesen Prozess wollen wir mit dem Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen – kurz ProgRess – unterstützen. Mit ProgRess strebt die Bundesregierung an, Wirtschaftswachstum und Wohlstand möglichst weitgehend vom Ressourceneinsatz zu entkoppeln und damit Umweltbelastungen zu reduzieren. Ziel ist es dabei, die Inanspruchnahme von Rohstoffen weiter zu reduzieren. Gleichzeitig soll aber auch zur Sicherheit der Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft und zur Minderung von zu starken Preisschwankungen an den Rohstoffmärkten beigetragen werden. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag alle vier Jahre über die Ressourceneffizienz in Deutschland zu berichten, die Fortschritte zu bewerten und das Programm fortzuentwickeln. Mit ProgRess II, das Ihnen nun vorliegt, haben wir das im März des Jahres getan. Ich freue mich, wenn Sie heute durch einen Beschluss die Bedeutung des Themas für den Bundestag erneut unterstreichen, und bedanke mich bei den Fraktionen für die Debatten und die hervorragende Arbeit, die diese Beschlussempfehlung möglich gemacht haben. Das Programm gibt in seinem Berichtsteil einen Überblick über die Umsetzung in den Jahren 2012 bis 2015 und benennt die wesentlichen Aktivitäten. Die Rohstoffproduktivität entwickelt sich insgesamt in die gewünschte Richtung, und die verwendeten Indikatoren deuten darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum tendenziell vom Rohstoffeinsatz entkoppelt wurde. Das Programm hat sehr dazu beigetragen, den Blick auf die Ressourcennutzung zu lenken, und es hat eine Vielzahl von Aktivitäten auf allen Ebenen ausgelöst. Auch international gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung, nicht zuletzt durch deutsche Initiative auf G7-Ebene. Bei der Weiterentwicklung des Programms im zweiten Teil haben wir auf den Erfahrungen der letzten Jahre aufgebaut. Die Indikatoren und Ziele wurden überprüft und ergänzt. Für den neuen, methodisch verbesserten Indikator „Gesamtrohstoffproduktivität“ haben wir uns als Ziel eine Steigerung um 30 Prozent bis 2030 gegenüber 2010 vorgenommen. Struktur und Themenfelder wurden im Wesentlichen beibehalten. Die Aspekte „Nachhaltiges Bauen und nachhaltige Stadtentwicklung“ sowie die „Ressourceneffizienz von Produkten der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)“ wurden durch eigenständige Kapitel stärker einbezogen. Wo sinnvoll, sollen bei den Maßnahmen verstärkt Energie- und Materialströme gemeinsam betrachtet werden. Wir haben mit dem Deutschen Ressourceneffizienzprogramm viel erreicht. Ressourcenschutz muss im Alltag gelebt und durchgesetzt werden, und zwar auf allen Ebenen. Ich bitte Sie daher, unsere Arbeit mit ProgRess und seine Fortentwicklung weiter zu unterstützen. Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 32) Sebastian Steineke (CDU/CSU): Lassen Sie mich eines vorwegnehmen: Sachverständige sind für die Aufklärung komplizierter Sachverhalte im Gerichtsprozess ein wichtiger Baustein und daher unverzichtbar. Die Richterinnen und Richter sind zuweilen auf ihre Expertise angewiesen, um bei ihrer Entscheidungsfindung eine objektive Sicht der für sie oftmals fachfremden Dinge zu bekommen. Der öffentlichen Berichterstattung ist immer häufiger zu entnehmen, dass die Unabhängigkeit und Neutralität von gerichtlich bestellten Sachverständigen von den Bürgerinnen und Bürgern teilweise infrage gestellt werden. Zudem wird die Qualität gerichtlicher Gutachten regelmäßig angezweifelt. Diese Sorgen nehmen wir als Koalition ernst. Daher setzen wir nun eine auf Betreiben von CDU und CSU im Koalitionsvertrag verankerte Vorgabe mit diesem Gesetz um. Was ändern wir nun im Einzelnen? Künftig müssen Sachverständige in allen Stadien des Gerichtsverfahrens prüfen, ob sie mit der Übernahme oder Durchführung des Auftrags in einem Interessenkonflikt stehen. Denkbar ist dies, wenn ein Sachverständiger zum Beispiel einer Prozesspartei persönlich sehr nahe steht oder bereits mehrfach für eine Seite tätig geworden ist. Eine solche Regelung hat natürlich keinen Wert, wenn sie nicht sanktionsbewehrt ist. Auf Initiative der Union haben wir daher in dem Gesetz bei Verletzung der Offenlegungspflicht durch den Sachverständigen die mögliche Verhängung eines Ordnungsgeldes durch das Gericht geregelt. Zudem verliert der Sachverständige seinen Vergütungsanspruch, wenn er gegen die Eigenüberprüfung verstößt. Weiterhin wird die Möglichkeit einer Anhörung durch das Gericht vor Ernennung des Sachverständigen eingeführt. Bislang stützte sich die Anhörung in der gerichtlichen Praxis auf den allgemeinen Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Ein Überprüfungs- und Fragerecht der Parteien konnte bis dato erst im Rahmen eines Termins zur mündlichen Anhörung des bereits bestellten Sachverständigen zur Darlegung seines Gutachtens nach § 411 Absatz 3 Zivilprozessordnung ausgeübt werden. Um das Verfahren jedoch nicht unnötig zu verzögern, liegt eine Anhörung im Ermessen des Gerichtes. Eine Flexibilität des Gerichtes war uns als Union hierbei wichtig, da wir mit dem Gesetz auch dem Ziel einer Effektivierung und Beschleunigung der Zivilprozesse Rechnung tragen wollen. Ein weiterer Punkt ist die nunmehr obligatorische Fristsetzung für die Abgabe eines Gutachtens durch das Gericht. Was in der Praxis bereits in mehr als der Hälfte der amts- und landgerichtlichen Zivilverfahren erster Instanz üblich und bislang als Sollregelung in der Zivilprozessordnung verankert war, wird nun gesetzlich festgeschrieben. Kommt der Sachverständige innerhalb dieser Frist seiner Pflicht zur Abgabe des Gutachtens nicht nach, soll das Gericht ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 3 000 Euro verhängen. Bislang war eine entsprechende Sanktion entsprechend Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch nur bis zu 1 000 Euro möglich. Bei der Fristsetzung wird das Gericht in der Praxis natürlich weiterhin die Arbeitsbelastung des Beauftragten und den zu erwartenden Umfang des Gutachtens berücksichtigen. Auch die Nachfristsetzung gemäß § 224 Absatz 2 Zivilprozessordnung bleibt auf begründeten Antrag des Sachverständigen weiterhin möglich. Bei der Beratung dieses Gesetzes war uns wichtig, dass wir einen vernünftigen Interessenausgleich erreicht haben. Sachverständige dürfen durch die Neuregelungen nicht davon abgeschreckt werden, zukünftig gerichtliche Aufträge anzunehmen. In einigen, vor allem ländlichen, Regionen ist die Zahl an geeigneten verfügbaren Sachverständigen leider immer noch sehr gering. Auf der anderen Seite müssen wir dennoch dafür sorgen, dass die Unabhängigkeit und Neutralität gewährleistet werden und sich dadurch auch die Gutachtenqualität erhöht. Dies sind wir im Übrigen auch den vielen gut und redlich arbeitenden Gutachtern schuldig. Ich denke, das haben wir mit der Vorlage sehr gut hinbekommen. Die Neutralität und Unabhängigkeit von Sachverständigen ist ein wichtiges Gut, um das Vertrauen der Menschen in unseren Rechtsstaat zu stärken und die Akzeptanz von Gerichtsentscheidungen zu gewährleisten. Mit dieser Gesetzesänderung schaffen wir eine größere Transparenz beim Auswahlverfahren durch das Gericht und stärken die Beteiligungsrechte der einzelnen Parteien. Insofern sind wir nun ein gutes Stück weiter. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unseren Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung danken, die uns noch viele wertvolle Hinweise aus der Praxis an die Hand gegeben haben. Dies hat uns in den weiteren Beratungen deutlich geholfen. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir debattieren hier heute in 2./3. Lesung einen Gesetzentwurf, der sich mit der Qualität von Sachverständigengutachten in Familiensachen befasst. Bei der Frage, wo Kinder nach der Trennung ihrer Eltern behüteter aufwachsen, eine bessere Zukunft haben, bedienen sich Richter oft des Sachverstandes von Fachleuten im Rahmen eines Sachverständigengutachtens, welches dann zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht wird. Bislang müssen diese Sachverständigen keine Qualifikation nachweisen. Dieses ändern wir jetzt mit dem vorliegenden Gesetz. Sie müssen zukünftig zumindest über eine psychologische, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation verfügen. Da bei Gutachten in Kindschaftssachen die Diagnostik und nicht die Therapie im Vordergrund steht, haben wir in der parlamentarischen Befassung noch ausführlich über einen Zusatz für Pädagogen und Sozialpädagogen diskutiert. Diese Berufsgruppen sollen nun über ausreichende diagnostische und analytische Kenntnisse durch anerkannte Zusatzqualifikationen verfügen. So stellen wir sicher, dass Sachverständige Gutachten von hoher Qualität erstellen, die dann dazu führen, dass Richter die beste Entscheidung zum Wohle der Kinder fällen. Damit möchte ich einen anderen, aber genauso wichtigen Aspekt ansprechen. Um die Qualität der familiengerichtlichen Verfahren weiter zu stärken, ist es nicht ausreichend, nur das Sachverständigenrecht zu reformieren. Es ist auch notwendig, die gesetzlichen Eingangsvoraussetzungen für eine Tätigkeit als Familienrichter zu erhöhen. Denn es ist die Aufgabe der Richterschaft, qualifizierte Sachverständige auszuwählen, die richtigen Fragen zu stellen und vor allem das Gutachten auf seine Verwertbarkeit hin zu überprüfen. Ich möchte aber auch nicht missverstanden werden. Ich sehe grundsätzlich die familienrechtlichen Verfahren in kompetenten Händen. Die Praxis zeigt aber auch, dass teilweise junge Richter als Familienrichter eingesetzt werden, die die erforderlichen familienrechtlichen Kenntnisse, insbesondere Grundkenntnisse des Kindschaftssrechts, anfangs nicht beherrschen und sie erst mit der Berufserfahrung erwerben. Deswegen sehen wir an dieser Stelle einen weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf, der in unserem Entschließungsantrag zum Tragen kommt. In dem Gesetzespaket ist auch eine Neuregelung des § 145 Absatz 3 FamFG zu finden. Dabei geht es um die Möglichkeit der Anschlussbeschwerde von Ehegatten, wenn ein Versorgungsträger im Rahmen des Versorgungsausgleiches durch das Gericht zum Beispiel vergessen wurde, also nicht am Verfahren beteiligt wurde. Falls durch die nachträgliche Auskunft das Gesamtkonstrukt im Scheidungsverbund, oft bestehend aus Versorgungsausgleich, Zugewinnausgleich und Unterhalt, ins Wanken gerät, können nun auch die Eheleute sich der Beschwerde des Versorgungsträgers anschließen. Aber, und das ist wichtig, der Scheidungsausspruch wird dadurch nicht berührt. Die Scheidung bleibt rechtskräftig und kann nicht im Rahmen dieser Art von Beschwerde angegriffen werden. Damit begegnen wir einem Problem, das gelegentlich zu Doppelehen geführt hat. Insofern ist auch dieses ein Element zur Klarstellung im Familienrecht. Darüber hinaus führen wir mit dem Gesetz einen neuen Rechtsbehelf ein, mit dem Beteiligte in bestimmten kindschaftsrechtlichen Verfahren gegen unbegründete Verfahrensverzögerungen vorgehen können. Für den ersten Regierungsentwurf war ein relativ kompliziertes Konstrukt gewählt worden, welches in der öffentlichen Anhörung bei den Sachverständigen wenig Zustimmung fand. Daraufhin haben sich die maßgeblich Beteiligten unter Hinzuziehung der Sachverständigen zusammengesetzt, ein verbessertes Mittel der Rüge und Beschwerde entwickelt, die den Voraussetzungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte standhält. Wir haben nun in Kindschaftssachen eine präventive und kompensatorische Rügemöglichkeit. Ich will nicht verhehlen, dass mir die Begriffe Beschleunigungsrüge und Beschleunigungsbeschwerde nicht gefallen, weil wir natürlich nicht die Beschleunigung rügen. Leider hat keiner der von mir unterbreiteten Vorschläge die Zustimmung des Ministeriums gefunden, sodass wir zunächst bei dem etwas unglücklichen Begriff der Beschleunigungsrüge bleiben. Verbesserungsvorschläge werden hier jedoch gerne entgegengenommen. Abschließend enthält der Entwurf noch eine Änderung zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit bei Entschädigungsklagen und es ist wichtig, darauf hinzuweisen. In der letzten Legislaturperiode ist die Entschädigungsklage eingeführt worden. Man wollte – so ergibt es sich aus der Gesetzesbegründung –, dass die Entschädigungsklagen in allen Gerichtsbarkeiten in Abhängigkeit zu der vorherigen Gebührenzahlung stehen. Dieses ist nicht geschehen. In zivilgerichtlichen Verfahren wird die eingegangene Klage zunächst nur anhängig und erst mit Zustellung nach Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses rechtshängig. In sozial-, verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahren ist die Klage bereits mit ihrem Eingang bei Gericht rechtshängig. Das Verfahren muss also ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich betrieben werden. Dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Anwendung des Gesetzes zufolge kommt es dadurch aber zu großer Unsicherheit, welche Rechtsfolgen sich für die Rechtshängigkeit ergeben, wenn der Gerichtskostenvorschuss für die Entschädigungsklage – auch nach gerichtlicher Fristsetzung – nicht einbezahlt wurde. Dieser Unsicherheit wollen wir begegnen und dem ursprünglichen Ansinnen des Gesetzgebers nachkommen und nun in allen Gerichtszweigen dafür sorgen, dass Entschädigungsklagen bei allen Gerichten erst rechtshängig werden, wenn die Klage nach Zahlung des Vorschusses zugestellt worden ist. Alles in allem also eine Verbesserung der Rechtssituation, und darum sollte es ja immer gehen. Sonja Steffen (SPD): Die meisten Menschen erleben in ihrem Leben eher selten Gerichtsverfahren. Aber wenn es denn dazu kommt, dann wollen sie ein faires Verfahren, neutrale Richter und Richterinnen, rechtliches Gehör und vor allem einen gerechten und zügigen Abschluss des Verfahrens. Andererseits wissen wir aber auch, dass es im Laufe eines Gerichtsverfahrens oftmals eines Gutachtens bedarf, weil der juristische Sachverstand der Richterinnen und Richter nicht ausreicht, um sich ein Urteil zu bilden. Ob dies technische, bauliche oder aber auch familiäre Angelegenheiten betrifft: Es ist gut und wichtig, dass unser Rechtssystem die Beteiligung von Sachverständigen ermöglicht. Und wir sind uns alle einig, dass wir über ausgezeichnete Expertinnen und Experten verfügen, die Gerichtsverfahren mit ihrem Sachverstand bereichern. Notwendigerweise ist es aber auch so, dass sich Verfahren durch die Erstellung von Sachverständigengutachten verlängern, insbesondere weil sie sorgfältig erarbeitet werden müssen. Und wir müssen auch feststellen, dass der Ausgang der meisten Verfahren entscheidend von dem Ergebnis des Gutachtens abhängt. Daher kommt dem Gutachten entscheidende Bedeutung zu! In der Vergangenheit gab es höchstinstanzliche Entscheidungen und Berichte von Betroffenen, die an der einen oder anderen Stelle Mängel am Sachverständigenrecht festgestellt haben. Vor allem den familienrechtlichen Prozessen, deren Ausgang über familiäre Schicksale entscheidet, gilt unser besonderes Augenmerk. In der Regel hängt für alle Prozessbeteiligten sehr viel von dem Ausgang des Prozesses ab. Insbesondere Kinder leiden neben der Trennung der Eltern unter den Strapazen, die ein gerichtlicher Prozess mit sich bringt. Eine Beschleunigung der Prozesse kann die Belastung verringern und bringt vor allem den Kindern schneller die erwünschte Klarheit. Durch das hier in 2. und 3. Lesung beschlossene Gesetz zum Sachverständigenrecht werden Gerichtsprozesse beschleunigt und gleichzeitig die Qualität der Gutachten sichergestellt. Durch die neuen Instrumente zur Sicherstellung der Neutralität der Sachverständigen werden Anfechtungsgründe verhindert und fairere Gerichtsverfahren ermöglicht. Die aktuelle Praxis zeigt, dass bei Fristversäumnissen durch die Sachverständigen in der Regel keine Ordnungsgelder verhängt werden. Durch die in dem Gesetz beschlossenen Fristsetzungen und Beschleunigungsrügen werden deshalb schuldhaft versäumte Fristen mit einem Ordnungsgeld von bis zu 3 000 Euro bestraft. Den Richtern und Richterinnen bleibt jedoch weiterhin die Möglichkeit, durch Fristverlängerungen möglichem Mehraufwand oder anderen Gründen für eine Verzögerung Rechnung zu tragen. Die Verhängung des Ordnungsgeldes soll daher die Ausnahme bleiben. Ich gehe deshalb nicht davon aus, dass, wie von einigen Seiten befürchtet, Prozesse in die Länge gezogen werden, da sich zukünftig keine Sachverständigen mehr bereit erklären, ein Gutachten zu erstellen. Vielmehr wird sich für die meisten Sachverständigen gar nichts ändern, weil sie schon jetzt ihre Gutachten mit der nötigen Sorgfalt, aber auch zügig erstellen. Die in diesem Gesetz außerdem verankerten Mindestqualifikationsanforderungen für Sachverständige in Familienrechtsprozessen sorgen für eine höhere Qualität der Gutachten. Damit wird nicht nur sichergestellt, dass die Richterinnen und Richter die notwendigen Grundlagen zur Verfügung gestellt bekommen, um die für das Kindeswohl beste Entscheidung zu treffen, sondern auch, dass die Anfechtbarkeit und mögliche Aufhebung der Urteile durch mangelhafte Gutachten eingeschränkt wird. Belastungen für die betroffenen Familien werden somit reduziert. Dass Pädagogen und Sozialpädagogen ihre Qualifikation durch Zusatzqualifikationen nachweisen müssen, wird der Vielfalt der Berufsgruppen gerecht und bietet den Prozessbeteiligten weitere Rechtssicherheit. Aus unserem Entschließungsantrag wird deutlich, dass uns die Qualitätsverbesserung in Familienrechtsprozessen weiterhin ein wichtiges Anliegen ist und es Zeit ist, dass die Länder gemeinsam mit der Bundesregierung ein Gesetz erarbeiten, in dem auch besondere Eingangsvoraussetzungen für Familienrichterinnen und Familienrichter eingeführt werden. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass eine Großzahl der Prozesse durch qualifizierte und engagierte Familienrichterinnen und Familienrichter geführt werden, die den komplexen Herausforderungen des Rechtsgebietes gerecht werden. Dies durch eine obligatorische Weiterbildung zum Standard zu machen, sollte unser nächstes Ziel sein. Schließlich haben wir durch die Einführung eines neuen Verfahrensinstrumentes dafür gesorgt, dass zukünftig gerade in Kindschaftssachen ein beschleunigtes Verfahren durchgesetzt werden kann. Die Beschleunigungsrüge und die Beschleunigungsbeschwerde bieten hier die richtigen Ansätze. Zum Schluss lässt sich sagen, dass es uns mit diesem Gesetz durch gemeinsame Arbeit von Ministerium, Abgeordneten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Arbeitsgruppen, der Ausschüsse und MdB-Büros gelungen ist, einen weiteren Punkt des Koalitionsvertrages zu erfüllen. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Liebe Leser, ich möchte mich zunächst vollinhaltlich auf meine erste Protokollrede zu diesem Gesetz beziehen, soweit sich durch Änderungsbeschlüsse nichts Neues ergeben hat. Zu den Neuerungen lässt sich Folgendes feststellen: Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktion ist positiv zu beurteilen, da er die Bundesregierung auffordert, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, mit welchem angemessene Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter eingeführt werden. Dies ist im Rahmen der Anhörung zu diesem Gesetz von etlichen Sachverständigen gefordert worden. Die gleiche Forderung, nur konkreter ausgestaltet, findet sich im Entschließungsantrag meiner Fraktion. Überdies auch noch Forderungen an die Qualität von Gutachten. Gleichwohl wurde bereits im Ausschuss unser Entschließungsantrag abgelehnt, wohl auch aus dem Grund, dass Die Linke es nicht gutheißen kann, wenn die Rechtshängigkeit von Klagen vor den Sozialgerichten, den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden soll. Anstatt die Ursachen der vermehrten Klagen vor den Sozialgerichten anzugehen, baut der Staat hier Hürden für Klagen auf, um sich vor Ansprüchen gegen sich selbst zu schützen. Dies muss man unter anderem im Zusammenhang mit dem Pflegestärkungsgesetz und dem Bundesteilhabegesetz sehen, wo mit einer Vielzahl von Klagen der Betroffenen zu rechnen ist und diese ganz offensichtlich mit der Kostendrohung abgewehrt werden sollen. Da hier wieder durch ein sogenanntes Omnibusverfahren durch den Änderungsantrag ganz erhebliche Änderungen in anderen Gesetzen erfolgen sollen zum Schutze der Finanzminister und zum Nachteil der betroffenen Bevölkerung, kann Die Linke dieses Gesetz auch bei den vorhandenen positiven Effekten nur ablehnen. Deshalb wird dieses Gesetz auch wieder zu nachtschlafender Zeit ohne mündliche Aussprache „durchgewunken“, in der Hoffnung, dass es zunächst keinem weiter auffällt. Aus diesem Grunde halte ich auch von den sogenannten „Protokollreden“ gar nichts. Selbst die Mitglieder der einzelnen Fraktionen wissen im Zweifel nicht, warum sie bei einem Gesetz entsprechend abstimmen, da sie das Für und Wider zu dem entsprechenden Gesetz erst nach der Abstimmung im Protokoll nachlesen können. Und das Argument, dass in solchen Fällen nur die Fachpolitiker anwesend sind, welche wissen, worum es geht, führt geradezu zwingend zur Nichtbeschlussfähigkeit des Bundestages, womit eine Vielzahl von Gesetzen nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sein dürften. Aus diesem Grunde sollten die „Reden zu Protokoll“ grundsätzlich abgeschafft werden, die Dauer der Plenarsitzungen auf ein zeitlich erträgliches Maß beschränkt werden und, da die Parlamentarier sich nicht in der Produktion von Papieren einschränken können, die Zahl der Sitzungswochen in Berlin erhöht werden. Insoweit kann ich mich nur der Forderung des Bundestagspräsidenten Lammert anschließen, die Zahl der Sitzungswochen anzuheben, um der Zahl der Drucksachen Herr zu werden. Protokollreden sind aus parlamentarischer Sicht, um es mit H.-P. Kerkelings Worten zu sagen, „Hurz“. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt haben Sie sich also tatsächlich entschieden, mit dem Gesetz über die Sachverständigen auch noch die Omnibusgesetze, zu denen es keine erste Lesung gegeben hat, im Wege des Änderungsantrages hier zur Abstimmung aufzusetzen. Das ist wirklich mehr als bedauerlich, da die Expertenanhörung überdeutlich gemacht hat, wie groß der Änderungsbedarf zur Verzögerungsrüge bei überlangen Verfahren geraten war. Als Folge dieser Anhörung hätte es nur eine Schlussfolgerung geben dürfen: Beide Gesetzesvorschläge wieder trennen und die Verzögerungsrüge nochmal in neuer Form und in einem ordentlichen Verfahren ins Parlament einbringen. Dann hätten Sie heute von uns auch eine Zustimmung zur Regelung über die Sachverständigen bekommen können. Die Änderungen sowohl in der ZPO als auch gerade im familiengerichtlichen Verfahren hatten wir bereits in der ersten Lesung grundsätzlich begrüßt. Das Ordnungsgeld bei verspäteter Erstellung eines Gutachtens ist jetzt nicht mehr obligatorisch, und die Vernehmung des Kindes sowohl als Zeuge als auch als Beteiligter ausgeschlossen. Beide Änderungen halte ich für sinnvoll. In der Anhörung hatten die Experten die pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation als Voraussetzung überwiegend kritisch gesehen. Das haben Sie jetzt ergänzt um eine weitere diagnostische und analytische Zusatzqualifikation. Ich könnte mir zwar nach wie vor noch höhere Anforderungen an die Sachverständigen in Kindschaftsverfahren vorstellen, aber jetzt kann man mit den verbesserten Anforderungen erstmal sehen, wie sich diese bewähren. Bleibt noch die Frage offen, warum wir den § 163 FamFG nur auf Kindschaftssachen nicht auch auf Vormundschaften und Pflegschaften anwenden? Insgesamt ist die Regelung in jedem Fall ein Fortschritt zu dem bisherigen Zustand und verdient unsere Zustimmung. Schwieriger wird es mit dem Omnibusgesetz zur Verzögerungsrüge, die jetzt plötzlich Beschleunigungsrüge heißen soll. Sie mussten hier endlich was vorlegen, weil sie von europäischer Seite unter Druck stehen. Ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren mit erster und zweiter Lesung hätte aber durchaus nicht geschadet. Ihr erster Entwurf eines Änderungsantrages ist in der Expertenanhörung schlicht durchgefallen, ein bürokratisches Monster, das die Verfahren eher weiter verzögert als beschleunigt hätte. Nach dieser Anhörung hätten sie den Omnibus auf jeden Fall abkoppeln und ein ordentliches Verfahren durchführen müssen. Auf jeden Fall sieht die neue Konstruktion wesentlich übersichtlicher aus als die bisherige – das war ja auch nicht schwierig. Sie haben jetzt zu Recht auf die unsägliche Differenzierung zwischen einfacher und qualifizierter Rüge verzichtet. Insgesamt hat der jetzige Vorschlag sehr viel Ähnlichkeit mit dem Vorschlag des von uns Grünen benannten Sachverständigen. Eine weitere Änderung betrifft die Rechtshängigkeit von Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer vor öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, also Sozialgericht, Verwaltungsgericht und Finanzgericht. Für diese Entschädigungsklagen wollen Sie mit dem Grundsatz brechen, dass Klagen vor öffentlichen Gerichtsbarkeiten schon mit Einreichung der Klage und nicht erst mit Zahlung des Gerichtskostenvorschusses anhängig werden. Dieser Grundsatz hat aber im öffentlichen Recht durchaus seine Berechtigung, weil der Bürger sich hier, anders als in der Zivilgerichtsbarkeit, in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Staat befindet, und zwar im doppelten Sinne. Anders als in der Zivilgerichtbarkeit richtet sich hier nicht erst die Entschädigungsklage gegen eine staatliche Institution, sondern bereits das ursprüngliche Klagebegehren des Bürgers. Wenn hier in Ihrer Begründung von Gleichbehandlung die Rede ist, dann müssen Sie schon Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Es geht eben gerade nicht um Gleichbehandlung mit der Zivilgerichtsbarkeit, sondern mit allen anderen Klagen, die gegen den Staat als solches gerichtet sind. Und da gilt eben, dass die Klagen der Bürgerinnen und Bürger rechtshängig werden, unabhängig von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses. Das ist gegenüber dem Staat auf der Gegenseite auch richtig so und muss auch für Entschädigungsklagen seine Geltung haben. Diese Gesetzesänderungen lehnen wir daher ab. Insgesamt bleibt uns so leider nur die Enthaltung, auch wenn wir der Änderung bei den Sachverständigen gerne zugestimmt hätten. 1)  Anlage 2 2)  Anlagen 3 und 4 3)  Ergebnis Seite 18015 D 4)  Ergebnis Seite 18018 D 5)  Ergebnis Seite 18021 D 6)  Anlage 5 7)  Anlage 6 8)  Anlage 7 9)  Anlagen 8 und 9 10)  Ergebnis Seite 18115 D 11)  Anlage 11 12)  Anlage 10 13)  Anlage 12 14)  Anlage 13 15)  Anlage 14 16)  Anlage 15 17)  Anlage 16 18)  Anlage 17 19)  Anlage 18 20)  Anlage 19 21)  Anlage 20 22)  Anlage 21 23)  Anlage 22 24)  Anlage 23 25)  Anlage 24 26)  Anlage 25 27)  Anlage 26 28)  Anlage 27 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 183. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 183. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016 V Plenarprotokoll 18/183