Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 209. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Charles M. Huber 20815 A Begrüßung des neuen Abgeordneten Dr. Mathias Edwin Höschel 20815 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 20815 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 15, 33 g, 34 a und 34 b 20817 A Tagesordnungspunkt 3: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Drucksache 18/10469 20817 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Drucksachen 18/10353, 18/10482, 18/10671 20817 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10672 20817 C Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) 20817 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 20819 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) 20820 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20822 A Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi 20823 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 20825 C Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 20826 A Ute Vogt (SPD) 20827 C Steffen Kanitz (CDU/CSU) 20828 C Namentliche Abstimmung 20830 B Ergebnis 20832 C Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kinder und Familien von Armut befreien – Aktionsplan gegen Kinderarmut Drucksache 18/10628 20830 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 20831 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 20835 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 20837 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 20837 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20838 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 20839 A Eckhard Pols (CDU/CSU) 20840 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 20842 A Gülistan Yüksel (SPD) 20843 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20844 C Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 20845 D Ulrike Bahr (SPD) 20847 B Martin Patzelt (CDU/CSU) 20848 B Sönke Rix (SPD) 20850 A Tagesordnungspunkt 5: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2304 (2016) vom 12. August 2016 Drucksachen 18/10188, 18/10547 20851 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10548 20851 B Christoph Strässer (SPD) 20851 C Christine Buchholz (DIE LINKE) 20852 D Christoph Strässer (SPD) 20853 C Christine Buchholz (DIE LINKE) 20853 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 20854 A Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20854 D Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 20855 D Namentliche Abstimmung 20856 D Ergebnis 20858 D Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296 (2016) vom 29. Juni 2016 Drucksachen 18/10189, 18/10549 20857 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10550 20857 A Jürgen Coße (SPD) 20857 A Christine Buchholz (DIE LINKE) 20861 B Volker Mosblech (CDU/CSU) 20862 B Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20863 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 20864 A Namentliche Abstimmung 20864 D Ergebnis 20869 A Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Caren Lay, Herbert Behrens, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung Drucksache 18/9125 20865 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung Drucksache 18/10606 20865 B c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer Drucksache 18/10607 20865 B d) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Brennstofflieferungen für belgische Atomkraftwerke stoppen Drucksache 18/9676 20865 C e) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekommunalisierung unterstützen Drucksache 18/10282 20865 C f) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Regionale Wirtschaftspolitik – Ein integriertes Fördersystem für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland schaffen Drucksache 18/10636 20865 C Tagesordnungspunkt 34: c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten Drucksachen 18/589, 18/5434 20866 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen der Kommission für zwei Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten (C(2016) 3751, C(2016) 3752) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Schutz vor Hormongiften verbessern – Die Kriterien für endokrine Disruptoren müssen dem Vorsorgeprinzip entsprechen Drucksachen 18/10382, 18/10659 20866 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Sechste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/10346, 18/10444 Nr. 2.2, 18/10662 20866 D f) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: Übersicht 9 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/10652 20866 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvE 3/16 und 2 BvR 1823/16 Drucksache 18/10653 20867 A h)–m) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 388, 389, 390, 391, 392 und 393 zu Petitionen Drucksachen 18/10486, 18/10487, 18/10488, 18/10489, 18/10490, 18/10491 20867 B Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481 20867 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Christian Kühn (Tübingen), Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Feinstaubemissionen aus Baumaschinen reduzieren Drucksachen 18/3554, 18/4399 20868 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Paus, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Atomkosten verursachergerecht anlasten – Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anheben Drucksachen 18/10034, 18/10545 20868 B d)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 394, 395, 396, 397, 398 und 399 zu Petitionen Drucksachen 18/10644, 18/10645, 18/10646, 18/10647, 18/10648, 18/10649 20868 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein Andrej Hunko (DIE LINKE) 20872 A Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 20873 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20874 C Thomas Hitschler (SPD) 20875 C Michael Vietz (CDU/CSU) 20877 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) 20878 A Doris Barnett (SPD) 20879 C Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20880 C Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 20881 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 20882 D Florian Hahn (CDU/CSU) 20883 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 20885 A Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes Drucksachen 18/10378, 18/10670 20885 D Caren Marks, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ 20886 A Katrin Werner (DIE LINKE) 20886 C Maik Beermann (CDU/CSU) 20887 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20889 C Ursula Schulte (SPD) 20890 C Paul Lehrieder (CDU/CSU) 20892 A Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Tabea Rößner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich Landesverrats – Pressefreiheit und Journalistinnen und Journalisten besser schützen Drucksache 18/10036 20894 B b) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Katja Keul, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich Landesverrats – Stellung des Generalbundesanwaltes rechtsstaatlich reformieren Drucksache 18/10037 20894 B c) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Halina Wawzyniak, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Journalistinnen und Journalisten sowie Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber vor Strafverfolgung schützen und Unabhängigkeit der Justiz sicherstellen Drucksache 18/5839 20894 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20894 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 20895 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 20897 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 20898 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 20900 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20900 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 20901 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20902 C Dr. Matthias Bartke (SPD) 20903 C Tagesordnungspunkt 9: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksachen 18/10347, 18/10638 (neu) 20904 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10657 20904 C Niels Annen (SPD) 20904 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 20906 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 20907 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20908 A Lars Klingbeil (SPD) 20909 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20910 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20911 C Christine Buchholz (DIE LINKE) 20912 D Lars Klingbeil (SPD) 20913 B Thorsten Frei (CDU/CSU) 20913 C Julia Obermeier (CDU/CSU) 20915 A Namentliche Abstimmung 20915 D Ergebnis 20917 D Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit in der Pflege – Personalbemessung in der Altenpflege einführen Drucksache 18/9122 20916 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege Drucksachen 18/7568, 18/10664 20916 B Pia Zimmermann (DIE LINKE) 20916 C Erwin Rüddel (CDU/CSU) 20920 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20921 D Marina Kermer (SPD) 20922 D Lothar Riebsamen (CDU/CSU) 20924 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) 20924 C Mechthild Rawert (SPD) 20925 D Erich Irlstorfer (CDU/CSU) 20927 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung Drucksachen 18/9958, 18/10655 20928 B Uwe Feiler (CDU/CSU) 20928 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) 20930 A Ingrid Arndt-Brauer (SPD) 20931 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20932 B Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) 20933 B Dr. Jens Zimmermann (SPD) 20934 C Namentliche Abstimmung 20935 B Ergebnis 20937 C Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu möglichen Gefährdungen des gleichberechtigten Einflusses aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf die politische Willensbildung und zu weiteren Punkten des Gemeinnützigkeits- und Vereinsrechts Drucksachen 18/8331, 18/9573 20935 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20935 D Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) 20940 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20940 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 20941 B Frank Junge (SPD) 20942 A Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) 20942 D Svenja Stadler (SPD) 20943 C Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) Drucksache 18/10500 20944 C Jens Spahn, Parl. Staatssekretär BMF 20944 C Roland Claus (DIE LINKE) 20945 C Johannes Kahrs (SPD) 20946 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20947 C Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) 20949 A Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 20950 B Alois Rainer (CDU/CSU) 20951 B Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Längere Lebensdauer für technische Geräte Drucksachen 18/9179, 18/10666 20952 A Michael Thews (SPD) 20952 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 20953 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 20954 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20955 A Josef Göppel (CDU/CSU) 20956 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102 Nr. 18, 18/10667 20957 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betrug mit manipulierten Registrierkassen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschreibungsregeln für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umsatzsteuerbetrug bekämpfen Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667 20957 C Uwe Feiler (CDU/CSU) 20957 D Richard Pitterle (DIE LINKE) 20958 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 20959 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20961 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) 20962 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen Drucksache 18/10639 20964 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20964 B Johannes Selle (CDU/CSU) 20965 A Niema Movassat (DIE LINKE) 20966 A Manfred Zöllmer (SPD) 20966 D Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 20968 B Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung Drucksachen 18/8625, 18/10637 20969 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Urheberinnen und Urheber stärken – Urhebervertragsrecht reformieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637 20969 C Christian Flisek (SPD) 20969 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 20970 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 20971 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20972 D Siegmund Ehrmann (SPD) 20974 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 20974 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen Drucksache 18/10629 20976 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen Drucksachen 18/9946, 18/10654 20976 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444 Nr. 1.10, 18/10668 20976 D Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes Drucksachen 18/10009, 18/10542 20977 B Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes Drucksachen 18/10456, 18/10661 20977 C Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes Drucksachen 18/10026, 18/10663 20977 D Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Bewirtschaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) Drucksachen 18/10345, 18/10444 Nr. 2.1, 18/10656 20978 A Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen Drucksache 18/10651 20978 B Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken Drucksache 18/10632 20978 C Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) Drucksache 18/10605 20978 D b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken Drucksache 18/10630 20978 D Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) Drucksache 18/10144 20979 A Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG) Drucksache 18/10631 20979 C Nächste Sitzung 20979 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 20981 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer, Ulrike Bahr, Lothar Binding (Heidelberg), Bernhard Daldrup, Dr. Ute Finckh-Krämer, Bettina Hagedorn, Frank Junge, Gabriele Katzmarek, Hiltrud Lotze, Dr. Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Bettina Müller, Christian Petry, Susann Rüthrich, Johann Saathoff, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Ewald Schurer, Norbert Spinrath und Dagmar Ziegler (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) 20981 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bärbel Höhn, Harald Ebner, Matthias Gastel, Oliver Krischer, Steffi Lemke und Tabea Rößner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) 20982 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Peter Meiwald und Sven-Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) 20983 C Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) 20984 C Heike Baehrens (SPD) 20984 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) 20985 B Marco Bülow (SPD) 20985 C Michael Donth (CDU/CSU) 20986 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 20986 B Ronja Kemmer (CDU/CSU) 20987 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20987 C Ulli Nissen (SPD) 20988 A Josef Rief (CDU/CSU) 20989 A Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) 20989 A Anlage 6 Erklärung der Abgeordneten Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Entschließung unter Buchstabe c der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) 20989 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Katja Dörner, Katja Keul und Claudia Roth (Augsburg) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) 20989 C Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annalena Baerbock und Luise Amtsberg (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) 20990 A Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese und Ute Vogt (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) 20991 B Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) 20991 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) 20991 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20991 C Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen (Zusatztagesordnungspunkt 4 a) 20992 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen (Tagesordnungspunkt 18) 20993 D Robert Hochbaum (CDU/CSU) 20993 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 20994 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 20995 B Andrej Hunko (DIE LINKE) 20996 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20996 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen (Zusatztagesordnungspunkt 6) 20997 C Kathrin Rösel (CDU/CSU) 20997 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 20998 B Dirk Wiese (SPD) 20999 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 21000 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21000 D Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Zusatztagesordnungspunkt 7) 21001 C Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 21001 C Florian Post (SPD) 21002 D Johann Saathoff (SPD) 21003 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 21004 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21004 D Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Barbara Lanzinger (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Zusatztagesordnungspunkt 7) 21005 C Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 17) 21006 A Julia Obermeier (CDU/CSU) 21006 A Bernd Siebert (CDU/CSU) 21006 C Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 21007 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) 21008 A Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21008 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) 21009 C Cajus Caesar (CDU/CSU) 21009 C Alois Gerig (CDU/CSU) 21010 D Petra Crone (SPD) 21011 D Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 21012 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21013 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) 21014 B Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 21014 B Michael Thews (SPD) 21015 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 21015 C Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21016 A Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 21016 D Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Bewirtschaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) (Tagesordnungspunkt 21) 21017 C Artur Auernhammer (CDU/CSU) 21017 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 21019 B Michael Thews (SPD) 21019 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 21021 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21021 C Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen (Tagesordnungspunkt 22) 21022 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) 21022 B Tobias Zech (CDU/CSU) 21023 D Stefan Rebmann (SPD) 21024 C Niema Movassat (DIE LINKE) 21025 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21025 D Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken (Tagesordnungspunkt 23) 21027 B Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 21027 B Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 21028 A Dr. Daniela De Ridder (SPD) 21028 D Nicole Gohlke (DIE LINKE) 21030 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21030 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) – des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) 21031 C Reiner Meier (CDU/CSU) 21031 C Hilde Mattheis (SPD) 21032 B Harald Weinberg (DIE LINKE) 21033 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21034 A Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG 21035 A Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 25) 21036 B Detlef Seif (CDU/CSU) 21036 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 21038 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 21038 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 21039 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21040 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 21041 A Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG) (Tagesordnungspunkt 26) 21041 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) 21042 A Tobias Zech (CDU/CSU) 21043 B Bernd Rützel (SPD) 21043 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) 21044 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21045 A 209. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2016 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kollegen Charles Huber nachträglich zu seinem 60. Geburtstag gratulieren und ihm im Namen des ganzen Hauses alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr mit auf den Weg geben. (Beifall) Für den verstorbenen Kollegen Peter Hintze ist der Kollege Dr. Mathias Edwin Höschel als Mitglied des Bundestages nachgerückt. Ich möchte ihn herzlich begrüßen. (Beifall) Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit! Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Herausforderungen für die internationale Politik nach den Terroranschlägen in Kairo, Istanbul und weiteren Orten vom vergangenen Wochenende (siehe 208. Sitzung) ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 34) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Christian Kühn (Tübingen), Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Feinstaubemissionen aus Baumaschinen reduzieren Drucksachen 18/3554, 18/4399 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Paus, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Atomkosten verursachergerecht anlasten – Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anheben Drucksachen 18/10034, 18/10545 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 394 zu Petitionen Drucksache 18/10644 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 395 zu Petitionen Drucksache 18/10645 f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 396 zu Petitionen Drucksache 18/10646 g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 397 zu Petitionen Drucksache 18/10647 h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 398 zu Petitionen Drucksache 18/10648 i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 399 zu Petitionen Drucksache 18/10649 ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein ZP 4   a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102 Nr. 18 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/10667 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Betrug mit manipulierten Registrierkassen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschreibungsregeln für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsatzsteuerbetrug bekämpfen Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667 ZP 5   a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung Drucksache 18/8625 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/10637 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Urheberinnen und Urheber stärken – Urhebervertragsrecht reformieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637 ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen Drucksache 18/9946 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/10654 ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444 Nr. 1.10 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/10668 ZP 8 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Menschenrechte Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland (Berichtszeitraum Januar 2015 bis Juli 2016) Drucksache 18/10615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 9 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Menschenrechte Jahresbericht 2015 Drucksache 18/10616 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien ZP 10 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zum CDU-Parteitagsbeschluss zur Wiedereinführung des Optionszwangs Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 15 – da geht es um den Sportbericht der Bundesregierung – soll abgesetzt und stattdessen der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen auf der Drucksache 18/9535 in Verbindung mit den Anträgen auf den Drucksachen 18/7879 und 18/1968 abschließend beraten werden – mit einer Debattenzeit von 25 Minuten. Des Weiteren sollen die jeweils ohne Debatte vorgesehenen Tagesordnungspunkte 33 g – hier geht es um den Antrag „50 Jahre UN-Menschenrechtspakte“ –, 34 a – ein Gesetzentwurf zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes – und 34 b – hier geht es um den Entwurf eines Energiestatistikgesetzes – heute abgesetzt werden. Schließlich kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs, mit denen Sie offenkundig rundum glücklich sind. Jedenfalls regt sich kein erkennbarer Widerstand. Dann haben wir das so vereinbart und behandeln die Tagesordnung wie gerade verändert. Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Drucksache 18/10469 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Drucksachen 18/10353, 18/10482 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/10671 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10672 Über den gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Für die Debatte ist eine Aussprachezeit von 60 Minuten vorgesehen. – Auch das findet offensichtlich Einverständnis. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Montag dieser Woche haben wir in einem Pressegespräch gemeinsam die Grundzüge dieses Gesetzes vorgestellt, und zwar Georg Nüßlein, Oliver Krischer, Hubertus Heil und ich. Hinter uns hingen die Logos von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und natürlich auch der CDU/CSU. Das war für mich – ich muss das zugeben – in gewisser Weise schon ein ungewohntes Gefühl. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ging! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es überlebt! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es hat nicht wehgetan, oder?) Denn was eine solche Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen angeht, muss ich eingestehen: Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, dass wir das schon einmal gemacht haben. Aber es hat geklappt, und es war auch sinnvoll; denn besondere Herausforderungen verlangen auch besondere Maßnahmen, und diese besonderen Maßnahmen haben wir getroffen. Ich finde, dass wir das sogar insgesamt ziemlich gut gemacht haben; denn die Kernpunkte dieses Gesetzespaketes sind schon schwierig genug gewesen. Wir haben gemeinsam ausgehandelt: Erstens. Die Betreiber der Kernkraftwerke bleiben für die Stilllegung und den sicheren Rückbau zur grünen Wiese in der Verantwortung. Sie müssen das bezahlen. Sie haben dafür Rückstellungen in einer Größenordnung von 17,8 Milliarden Euro gebildet, und sie sind anschließend auch in der Verantwortung, die Reste, den Abfall, zu verpacken: sowohl den schwach- und mittelradioaktiven als auch den hochradioaktiven Abfall. Die berühmten Castoren und Polluxe werden doch wieder zum Einsatz kommen. Zweitens. Für die Zwischen- und Endlagerung übertragen die Energieversorger die Finanzmittel auf einen Fonds des Bundesfinanzministers. Hierfür sind 17,389 Milliarden Euro zurückgestellt worden, in den Bilanzen nachweisbar. Die Kommissionsarbeit hat gezeigt, dass diese Rückstellungen relativ konservativ gerechnet sind. Sie sind eher hoch angesetzt und dementsprechend ausreichend. Daraufhin haben wir in der Kommission aber beschlossen, dass zusätzlich ein Risikozuschlag in einer Größenordnung von 35 Prozent kommt, sodass die Unternehmen insgesamt einen Betrag von rund 23,5 Milliarden Euro an den Bundesfinanzminister überweisen werden, und zwar in relativ kurzer Zeit. Wir gehen davon aus, dass die Notifizierung des Gesetzes schnell geht und dass wir etwa April in der Lage sein werden, das Gesetz fertig zu haben. In dem Moment werden die Unternehmen diesen Betrag überweisen. Die Gutachter der Bundesregierung, die das neutral beobachtet haben, haben uns bestätigt, dass diese Zahlung auch in der Höhe gerechtfertigt ist und vor allen Dingen ausreichend ist für die längerfristige Sicherstellung der Lagerung. Im Gegenzug werden die Betreiber von einer weiteren Nachschusspflicht freigestellt. Ich halte diesen Ansatz für richtig. Das Verursacherprinzip, wie es bisher zum Beispiel im Atomgesetz in § 9a Absatz 1 festgelegt ist, wird strikt umgesetzt. Es ist zukunftsfest durch diesen Risikozuschlag, den wir eingerechnet haben. Die langfristig erforderlichen Mittel für Zwischen- und Endlagerung liegen zukünftig nicht mehr bei den Unternehmen, sondern beim Staat. Wenn die Unternehmen beispielsweise veräußert würden, bestünde die Gefahr, dass nicht mehr über diese Mittel verfügt werden könnte. Umgekehrt gewinnen die Energieversorger Planungssicherheit. So können sie ihre fortbestehenden Rückbauverpflichtungen erfüllen; denn sie müssen ja noch zusätzlich die Kernkraftwerke abbauen. Das letzte Kernkraftwerk wird 2022 vom Netz gehen. Wir gehen davon aus, dass bis 2026, vielleicht auch bis 2028, die meisten Kernkraftwerke abgebaut sein werden. Am wichtigsten ist für mich die dritte zentrale Weichenstellung des Gesetzes: Die operative finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung ist dann beim Bund. Meine Damen und Herren, diese guten Ergebnisse, die wir in den Verhandlungen erzielt haben, sind nicht vom Himmel gefallen. Das war auch alles andere als einfach. Ein paar Erfolgsfaktoren möchte ich hervorheben. Da ist zunächst diese Kommission, die die Gesetzgebungsarbeiten vorbereitet hat. Ich finde, dass unser Chef des Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier, bei der Zusammensetzung dieser Kommission einen guten Job gemacht hat, auch wenn ich im ersten Moment geschluckt habe, als ich gehört habe, wer alles mit dabei ist. (Ute Vogt [SPD]: Wir auch!) Ich möchte den drei Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole von Beust und Matthias Platzeck danken, die die Kommission vernünftig geleitet haben. Ihre Arbeit hat dazu geführt, dass wir diese Ergebnisse heute haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Den Applaus ist das wirklich wert, Herr Trittin. – Gleichzeitig möchte ich mich bei den Mitarbeitern bedanken, die wirklich sehr viel arbeiten mussten, auch in den letzten Wochen. Das ist nicht selbstverständlich. Hier sind sehr viele Überstunden geleistet worden – in meinem Büro von Herrn Dr. Pohl oder in deinem Büro, Hubertus Heil, von Herrn Langenbruch; viele haben daran mitgearbeitet. Auch das Ministerium unter Federführung von Herrn Herdan hat uns dabei geholfen, dass wir die Ergebnisse heute haben. Entscheidend war: Wir haben die Kommissionsarbeit im parlamentarischen Verfahren nicht für die Wiederholung der Schlachten der Vergangenheit genutzt, sondern im Gegenteil konstruktiv miteinander zusammengearbeitet und die Sache wirklich sachlich richtig umgesetzt. Meine Damen und Herren, diese sachlich-konstruktive, verantwortungsvolle Haltung muss auch die weiteren Umsetzungsschritte prägen. Mit dem Gesetzgebungsverfahren ist zwar ein wichtiger Schritt getan, aber weitere Schritte müssen folgen: Erstens haben wir die Erwartung, dass die Bundesregierung den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Energieversorgern, den wir vereinbart haben, so schnell wie möglich auch abschließt. Das muss zügig geschehen. Zweitens setzen wir darauf, dass die Unternehmen und die Bundesregierung eine gütliche Verständigung bei den noch offenen Rechtsstreitigkeiten finden werden. Auch das ist positiv: Es gab 31 Verfahren; bis auf zwei sind alle diese Verfahren jetzt rechtssicher beendet, und die Unternehmen haben uns schriftlich bestätigt, dass sie die Klagen zurückziehen werden. Drittens. Der wichtigste Punkt ist: „Verantwortungsvoll, zügig und sachorientiert“ muss auch das Motto bei der Realisierung der Zwischen- und Endlagerung sein. Durch das heute vorliegende Gesetz hat es der Staat in Zukunft allein in der Hand, mit den Geldern für die Zwischen- und Endlager effizient zu wirtschaften. Hier gibt es jetzt auch keine Ausreden mehr. Der BMF ist gefordert, und es ist meiner Meinung nach nötig, dass wir diese Verfahren auch so schnell wie möglich umsetzen; denn je schneller wir eine Lösung für ein Endlager finden, desto sicherer ist, dass die Gelder, die jetzt in den Fonds kommen, auch ausreichen. Wenn wir aber glauben, wir könnten in jedem Bundesland einmal so eine kleine Probebohrung machen, einen Bohrlochtourismus erzeugend, dann würde es natürlich schwierig werden. Das darf nicht geschehen. Die Politik muss hier auch den Mut zur Entscheidung haben. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber am Ende!) Ich erwarte, dass sich die zukünftigen Bundestage sehr intensiv mit dem Thema beschäftigen und dafür sorgen werden, dass schnell eine Endlagermöglichkeit gefunden wird. Ich will das einmal an dem Beispiel Finnland deutlich machen: Dort hat man zwei Jahre gebraucht, um einen Standort zu finden, und vor einigen Wochen hat man mit der Realisierung dieses Standortes begonnen. 2023 soll alles fertig sein. Ein solch zügiges Verfahren bei uns würde dazu führen, dass der Bundesfinanzminister am Ende des Tages Geld aus diesem Fonds übrig behalten würde. Die ewige Diskussion um Schacht Konrad muss endlich beendet werden; denn die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, die ja nicht nur aus den Kernkraftwerken, sondern auch aus medizinischen Anlagen kommen, müssen so schnell wie möglich dorthin verbracht werden. Deswegen erwarte ich auch, dass sich zukünftige Regierungen daran messen lassen müssen, dass sie das schnell hinbekommen. Anders darf es nicht gehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich weiß, dass das ein komplexes Verfahren ist. Dieses komplexe Verfahren, das wir jetzt angehen, kann aber auch ein Muster für uns sein, auf das wir uns bei allen in Zukunft anstehenden technologisch schwierigen Grundsatzfragen einigen; denn ob es uns gefällt oder nicht: Jeder technische Fortschritt – von der Digitalisierung bis zur Biotechnologie, vom autonomen Fahren bis zu den Fragen einer modernen Landwirtschaft, die mit der wachsenden Weltbevölkerung Schritt halten muss – geht auch immer mit Risiken einher. Alle diese Herausforderungen verlangen die Balance aus Sicherheit und technologischen Chancen. Alle diese Themen verbieten ein Spiel mit Ängsten, das wir in diesem Hause und vor allen Dingen auch bei den NGOs schon häufiger erleben durften. Das darf nicht der Fall sein. Mit dem Kernenergiepaket, das wir heute verabschieden, haben wir gezeigt, dass das geht, und wir sollten uns solch schwierige Debatten auch in Zukunft auf diese Art vornehmen. Ich möchte mich noch einmal bei allen bedanken, freue mich, dass wir das heute verabschieden können, und wünsche allen Kolleginnen und Kollegen eine friedliche Weihnachtszeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Wenn man seine Rede so beendet, kann man immer auf Beifall hoffen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hubertus Zdebel ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Atomkonzerne nichts mehr verdienen können oder wenn hohe Kosten drohen, muss der Staat ran. Nach diesem ewig gleichen Prinzip wollen nun im großen Schulterschluss CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Verstaatlichung der gesamten Atommüllentsorgung besiegeln und dabei den Steuerzahlern die wesentlichen Risiken aufbürden. Das macht die Linke nicht mit. (Beifall bei der LINKEN – Ute Vogt [SPD]: Wie? Ihr wollt keine Verstaatlichung? – Gustav Herzog [SPD]: Revolutionär! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Linke will die Atomrisiken lieber privat haben!) CDU/CSU und SPD sowie – unter Trittin als Umweltminister – die Grünen hatten Jahrzehnte Zeit, die Probleme bei der Organisation und Finanzierung der Atommülllagerung zu regeln. Das haben sie – freundlich formuliert – verpennt, als die Milliardengewinne für die Atomkonzerne noch sprudelten. Lassen Sie mich kurz aus einer Studie im Auftrag der Grünen aus dem Jahre 2010 zitieren – nachzulesen auf der Homepage von Bärbel Höhn –: Insgesamt machten die drei Konzerne E.ON, RWE und EnBW im Jahr 2009 einen Gewinn von mehr als 23 Milliarden Euro, seit 2002 von über 100 Milliarden Seit dem Jahr 2002 haben sich die Gewinne vervierfacht. Und für 2010 deutet sich ein weiteres Rekordjahr an ... Das zeigt deutlich: Die Konzerne haben Milliardengewinne gemacht. Jetzt sagen Sie, man müsse sofort handeln; wenn man jetzt nichts tue, sei das Geld weg. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld ist schon weg!) Hätten Sie mal eher gehandelt! (Beifall bei der LINKEN) Sicherlich – das räumen wir ein, und das sehen wir auch; wir sind ja keine Surrealos – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber Irrealos!) stecken die Konzerne in einer schweren Strukturkrise. Aber sie sind weiterhin potent genug, um den Umbau in Richtung erneuerbare Energien zu schultern. Auf den Weg haben sie sich jetzt auch gemacht. Gucken Sie sich die Fernsehwerbung von Eon und RWE an! Da ist nicht mehr von Atom und Kohle, sondern nur noch von erneuerbaren Energien die Rede. (Christine Lambrecht [SPD]: Das ist doch gut so! Das ist das, was wir wollen! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn haben?) Sie werden ihre Marktmacht darauf verwenden, das auszunutzen. Deswegen bestehen wir Linken darauf, dass die Verursacher dauerhaft in der weiteren atomaren Haftung bleiben und für den atomaren Dreck geradestehen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Stattdessen sollen die Konzerne nach dem Willen einer supergroßen Koalition aus CDU/CSU, SPD und Grünen für einen Schnäppchenpreis von 23 Milliarden Euro von sämtlicher Verantwortung für die finanziellen Risiken des Atommüllerbes befreit werden. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Unerträglich!) Das ist skandalös! (Beifall bei der LINKEN) In Wirklichkeit zahlen die Konzerne diese 23 Milliarden Euro nämlich gar nicht, sondern eigentlich nur 17 Milliarden Euro. Denn der vermeintlich so hart abgerungene Risikoaufschlag von 6 Milliarden Euro, der der Öffentlichkeit als Erfolg verkauft wird, wird bei den Konzernen durch den von Ihnen gewollten Wegfall der Brennelementesteuer zum Jahresende eingespart. Damit gleicht sich das de facto wieder aus. Das sind Taschenspielertricks, die mit uns Linken nicht zu machen sind. (Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzentwurf der drei Fraktionen sieht ferner eine Aufhebung des Verursacherprinzips durch die Festlegung eines für den Steuerzahler höchst riskanten Festpreises für die Entsorgungskosten vor. Die dem zugrundeliegenden Kostenschätzungen sind auf Sand gebaut. Nach allen Erfahrungen werden die Kosten der Entsorgung deutlich steigen. Ob die prognostizierte langfristige 4prozentige Verzinsung der in den Fonds einzuzahlenden 23 Milliarden Euro tatsächlich eintritt, weiß zum jetzigen Zeitpunkt niemand. Eine Nachschusspflicht der AKW-Betreiber ist im Gesetzentwurf nicht vorgesehen: einmal zahlen, und der Atommüll ist aus den Bilanzen der Konzerne verschwunden. (Ulrich Freese [SPD]: Das stimmt ja nicht!) Zusätzlich will sich die Super-GroKo jetzt auch noch auf eine Ermächtigung der Bundesregierung zum Abschluss eines zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Vertrags mit den Konzernen einlassen, mit dem sich diese sozusagen für die Ewigkeit vor künftigen Neuregelungen schützen wollen. Erschreckend, dass sich die Grünen darauf einlassen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jürgen Trittin sagt: Die Chancen, dass dieses Modell funktioniert, stehen fifty-fifty. – Mit anderen Worten: Sie wollen uns zu einem Flug einladen, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent in einer Bruchlandung enden wird, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat er nicht gesagt! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein anderes Modell!) einer Bruchlandung, deren Folgen die Bürger dieses Landes ausbaden müssen. Diese Einladung zum Harakiri lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Stattdessen fordern wir schon seit Jahren die längst überfällige Neuordnung der bisherigen Praxis der Entsorgungsrückstellungen. Sie setzen weiter quasi auf diese betriebswirtschaftliche Rückstellungspolitik. Wir wollen sie durch eine Rücklagenpolitik ersetzen. Nur Rücklagen schaffen in den Unternehmen eine hinreichende liquide Finanzierungsmasse. Das ist jahrzehntelang versäumt worden, und deswegen haben wir jetzt den Salat. Ferner fordern wir die schnellstmögliche gesetzliche Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds, in den die verantwortlichen Unternehmen sofort 24 Milliarden Euro einzuzahlen haben. Ebenso braucht es ein wirksames Nachhaftungsgesetz, aber vor allen Dingen eine weitere Nachschusspflicht für die Atomkonzerne, wenn die eingezahlten Beträge nicht ausreichen. (Beifall bei der LINKEN) Sie können heute in namentlicher Abstimmung deutlich machen, was Sie von diesem Gesetzentwurf der Super-GroKo halten. Im Übrigen möchte ich Ihnen sagen: Der Umgang mit der Linken in diesem ganzen Verfahren war skandalös und schäbig. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: War sachgerecht!) Sie haben uns von Anfang an aus der KFK herausgehalten. Das sagt sehr viel über Ihr Demokratieverständnis aus. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus Heil das Wort. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kaum eine gesellschaftliche Debatte hat unser Land so sehr gespalten wie die Auseinandersetzung über die Atomkraft – über 45 Jahre, beginnend mit den Protesten in Wyhl am Kaiserstuhl 1973/74 bis in die frühen 2000er-Jahre. Am Ende dieser Debatte, in der übrigens jede demokratische Partei in diesem Haus eine eigene Geschichte hat, haben wir einen Konsens darüber, dass die weitere Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar ist. Einige Parteien sind früher darauf gekommen: am ehesten die Grünen mit ihrer Gründung 1980, die SPD mit ihrem Parteitagsbeschluss 1986 – übrigens beides nach furchtbaren Unfällen in Harrisburg und Tschernobyl –, CDU, CSU und FDP nach 2011 und, ich glaube, die Linke 1989/90. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist gut, dass wir inzwischen diesen Ausstiegskonsens miteinander erzielt haben – „viel zu spät“, werden viele sagen –, aber es ist auch richtig, dass wir uns verantwortlich verhalten und jetzt einen – auch finanziellen – Entsorgungskonsens zustande bringen. Das ist ein wichtiger Tag. Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und auch meiner Fraktion, dass das miteinander gelungen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) An diesem Tag möchte ich an die frühen Mahner erinnern, zum Beispiel an Erhard Eppler, der letzte Woche seinen 90. Geburtstag gefeiert hat. Er hat schon in den frühen 70er-Jahren auf die Risiken von Atomkraft hingewiesen. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass technischer und wissenschaftlicher Fortschritt immer mit Risiken verbunden ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Aber es ist richtig, dass wir als Staat in der Bewertung zu der Überzeugung gekommen sind, dass es unkalkulierbare Risiken gibt. Ein zentrales Argument neben der Frage der Sicherheit von Atomkraftwerken ist die Tatsache, dass wir bisher nirgendwo auf der Welt eine Lösung für den Umgang mit den atomaren Altlasten dieses Zeitalters gefunden haben. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir uns in unserer Generation auf diesen Weg machen. Das vorliegende Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag und morgen hoffentlich auch im Bundesrat verabschieden werden, sorgt für Klarheit, was die Finanzierung dieses Abwickelns der Altlasten des atomaren Zeitalters betrifft. Es geht um eine klare Arbeits- und Kostenverteilung im Umgang mit dem Erbe des Atomzeitalters. Im Kern geht es um zwei Bereiche: Erstens geht es um die Neuordnung der Verantwortlichkeiten für atomare Abfälle. Die Betreiber der Kernkraftwerke, meine Damen und Herren, bleiben auch in Zukunft für die Abwicklung und Finanzierung der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung von atomaren Abfällen voll verantwortlich. Übrigens gibt es dafür auch eine Nachhaftung. Es gilt der Grundsatz, dass Eltern für ihre Kinder haften und umgekehrt. Das heißt, bei Zahlungsunfähigkeit der Kernkraftwerksbetreiber müssen deren Mutterunternehmen die Kosten für Rückbau und Entsorgung tragen. Zweitens – das ist richtig – übernimmt der Bund die Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung. Allerdings werden dafür die Energieversorgungsunternehmen, die in der Vergangenheit von der Nutzung der Atomkraft profitiert haben, haften müssen. Sie müssen 17,3 Milliarden Euro plus einen Risikoaufschlag von 6,1 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das sind insgesamt rund 23 Milliarden Euro. Ich will deutlich sagen, was der Hintergrund dieser Operation ist: Wir wollen, dass der Staat – wir sind gegenüber den Steuerzahlern in der Verantwortung – diese Mittel sichert, und zwar für alle Zeit, meine Damen und Herren. Angesichts der Lage von Energieversorgungsunternehmen, die zu lange auf Atomkraft und zu wenig auf erneuerbare Energien gesetzt und selbst Fehler gemacht haben, die allerdings auch von veränderten politischen Rahmenbedingungen im Rahmen der Energiewende betroffen sind, ist nicht für alle Zeit gesichert, dass dieses Geld wirklich da ist. Deshalb ist es richtig, dass wir es in einen staatlichen Fonds einzahlen. Damit haben wir das Geld ein für alle Mal sicher. Das nenne ich verantwortliche Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese gesellschaftliche Debatte muss als gesellschaftlicher Großkonflikt beendet werden, weil wir alle Kräfte dieses Landes brauchen, um den Weg der Energiewende fortzusetzen und diese Wende erfolgreich zu gestalten. Wenn man gesellschaftlichen Konsens und Frieden haben will, gehört dazu auch, dass wir Rechtsfrieden schaffen. Rechtsfrieden ist im Zuge dieses Verfahrens schon in vielerlei Hinsicht erreicht worden. Wir begrüßen, dass die Energieversorgungsunternehmen beabsichtigen, die moratoriums- und entsorgungsbezogenen Klagen zurückzunehmen. Aber auch der Deutsche Bundestag setzt mit der Entschließung, die SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen heute mit dem Gesetzentwurf auf den Weg bringen, ein klares Signal. Wir erwarten, dass im Zuge der Verhandlungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag auch die letzten beiden Klagen zurückgezogen werden. Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich sage das ganz deutlich: Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden. Das betrifft diejenigen, die Atomkraftgegner waren und sind, und auch die früheren Befürworter der Atomkraft. Es gibt kein Nachtreten. Auch die Verlierer dieses Konflikts sollten diesen Konflikt rechtlich beenden. Ich habe das vorhin gesagt: Dieser Gesetzentwurf ist gelungen, weil viele daran gearbeitet haben. Eine Reihe von Leuten wurde bereits gelobt, zum Beispiel in der ersten Lesung die Kommissionsvorsitzenden sowie viele Kollegen und Mitarbeiter. Ich möchte zum Schluss den beiden Ministerien, dem federführenden Bundeswirtschaftsministerium, aber auch dem Bundesumweltministerium, ganz herzlich für die Arbeit danken, neben der Ministerin und dem Minister sowie den Staatssekretären namentlich Herrn Abteilungsleiter Herdan aus dem Bundeswirtschaftsministerium – er sitzt auf der Regierungsbank – und Herrn Cloosters aus dem Bundesumweltministerium. Das war kompetente Beratung. Das war gute Unterstützung der Kommission, aber auch der Parlamentarier. So muss das sein, wenn wir gute Gesetze machen wollen. Das ist ein ausgezeichnetes Gesetz. Wir übernehmen Verantwortung in unserer Generation für die Abwicklung der atomaren Lasten. Deshalb ist es ein richtiger Schritt, dass wir das heute beschließen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sylvia Kotting-Uhl ist nun die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ein Gesetz, das zu spät kommt, erfüllt seinen Zweck nur noch zum Teil. Privatisierte Gewinne, sozialisierte Kosten – das ist der rote Faden in der Geschichte der Atomkraft. Heute stehen wir als Gesetzgeber vor dem Dilemma, ein Gesetz machen zu müssen, das diesen roten Faden weiterzuspinnen scheint. Ich kann jeden verstehen, den das erst einmal empört. Auch mich empört es, den Energiekonzernen finanzielle Risiken abzunehmen. Aber so richtig Empörung oft ist, sie ist nicht die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers. Unsere erste und vornehmste Aufgabe ist, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deshalb der Atomausstieg, deshalb Planungen zu einer sorgfältigen Endlagersuche. Das ist etwas ganz anderes als Bohrlochtourismus, Herr Fuchs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Bei der Sicherung des Verursacherprinzips kann es in dieser Situation des Zuspätkommens nur noch um Schadensbegrenzung gehen, darum, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler davor zu bewahren, vollständig für die Hinterlassenschaften der Atomkraftnutzung zahlen zu müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Genau das hatten die Energiekonzerne im Sinn, als sie anfingen, ihre Unternehmen aufzuspalten. Es war gut, dass der Wirtschaftsminister beschlossen hat, dem einen Riegel vorzuschieben. Es war gut, dass er eine heterogen zusammengesetzte Finanzierungskommission beauftragt hat, zu retten, was zu retten ist. Schlecht war, eine der Fraktionen im Bundestag nicht einzubinden und damit auf die Chance eines vom gesamten Parlament getragenen Gesetzes zu verzichten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Rot-Rot-Grün wird sowieso nichts!) Die Empfehlungen der KFK folgen dem Leitsatz „Retten, was zu retten ist“. Der Gesetzentwurf danach hatte allerdings Mängel. Ich will hier ausdrücklich meinen Kollegen Jürgen Trittin und Oliver Krischer danken, die in Verhandlungen dafür gesorgt haben, dass sich die Empfehlungen der KFK tatsächlich ohne Abstriche im Gesetz wiederfinden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Fifty-fifty“ bezog sich übrigens, Hubertus Zdebel, auf die Chance, dass die Konzerne überhaupt noch existieren, wenn eine Nachhaftung greifen würde. Deshalb der Risikoaufschlag stattdessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Kollegen haben auch dafür gesorgt, dass das Kuratorium des einzurichtenden öffentlichen Fonds nicht nur aus Ministerialen besteht, sondern in gleicher Anzahl aus Abgeordneten. Es wäre vollkommen absurd gewesen, einen Fonds, der – wenn er nicht mehr in der Lage ist, die gestellten Aufgaben zu finanzieren – durch Steuergelder ersetzt werden muss, jeglicher Kontrolle des Parlaments zu entziehen. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier werden auch darauf achten, dass die Gelder des Fonds nachhaltig angelegt werden und nicht in Fallen von Carbon Bubble und Ähnlichem landen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die große Hürde für die Akzeptanz dieses Gesetzes waren und sind die Klagen der Atomkonzerne gegen den Staat. Es sah anfangs nicht so aus, dass ein Rückzug von Klagen jenseits der entsorgungsrelevanten, der von der KFK ausdrücklich empfohlen wurde, in den Verhandlungen eine Rolle spielen sollte. Ich bin sehr froh, dass ausgehend von Forderungen aus meiner Fraktion diese Thematik eine solche Dynamik entwickelt hat. Der Staat hätte sich lächerlich gemacht, den Konzernen das Kostensteigerungsrisiko bei Zwischen- und Endlagerung abzunehmen und sich gleichzeitig mit 30 Klagen vor Gericht zerren zu lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Konsens braucht Rechtsfrieden. Diese Formel hat sich im Laufe der Debatte im Parlament durchgesetzt, und das war gut so. Je breiter die Mehrheit für eine solche Formel ist, umso größer die Chance, dass sie diejenigen erreicht, denen sie gilt. Sie hat diejenigen erreicht. Die Konzerne geben ihre Atomklagen bis auf zwei auf. Das ist ein guter Erfolg, und das zeigt, dass die Konzerne anfangen, zu begreifen, woher der Wind weht und dass ihre maßlosen Ansprüche auf Widerstand in Politik und Gesellschaft stoßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Andererseits wissen alle, die rechnen können, dass der quantitativ umfangreiche Rückzug dieser Klagen qualitativ bescheiden ist. Die beiden Klagen mit relevantem Finanzvolumen bleiben bestehen: die Klagen gegen die Brennelementesteuer und die Klage von Vattenfall in Washington. Sollten diese beiden Klagen erfolgreich sein, hätte sich der Staat immer noch lächerlich gemacht. Im Worst Case würden sich die Konzerne mit diesen beiden Klagen die Hälfte ihrer Einzahlungen in den Entsorgungsfonds wieder zurückholen. Der Auftrag an die Bundesregierung ist von daher ganz eindeutig: Sorgen Sie dafür, dass diese beiden Klagen vom Tisch kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben viel Rückenwind, nicht nur die Unterstützung des Parlaments: Ich denke, hier ist auch die Linke dabei. Sie haben breite Unterstützung in der Bevölkerung, der solches Gebaren der Energiekonzerne schon lange auf die Nerven geht, und Sie haben die Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts. Selten war ein Urteil dieser höchsten Instanz eine solche Klatsche für die klageführenden Akteure. Das Bundesverfassungsgericht hat am 6. Dezember seine weitgehende Ablehnung der Klage der EVU gegen den Atomausstieg 2011 damit begründet, dass es dem Gesetzgeber jederzeit zusteht, eine Hochrisikotechnologie neu zu bewerten und entsprechend gesetzlich zu handeln. Damit dürfte auch die Verfassungsklage gegen die Brennelementesteuer keine guten Karten haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) wobei ich an dieser Stelle betonen will, dass meine Fraktion nicht nur die Erhebung der Brennelementesteuer für rechtens hält, sondern auch deren Fortsetzung, solange ein AKW läuft. Sie haben heute im Laufe des Tages noch die Möglichkeit, dem zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die zweite finanzrelevante Klage von Vattenfall ist die vor dem internationalen Schiedsgericht. Unsere Haltung zu solchen Schiedsgerichten, Stichwort TTIP, kennen Sie. Die Vattenfall-Klage zeigt, wie recht wir da haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass ein Gericht, das nur dazu da ist, Investitionen von Unternehmen zu schützen, sich die Rechtsauffassung unseres obersten Gerichts zu eigen macht, darf man bezweifeln. Politisch hat Vattenfall nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber keinerlei Legitimation mehr zu weiterer Klage. Das Bundesverfassungsgericht hat Vattenfall den gleichen Rechtsschutz gewährt wie den deutschen Unternehmen. Das wird auch der schwedische Staat zur Kenntnis nehmen. Der unionsgeführte Teil der Bundesregierung ist es übrigens nicht nur dem versprochenen Rechtsfrieden schuldig, für die Rücknahme dieser Klage zu sorgen, sondern auch sich selbst; denn besonders lächerlich würden sich bei erfolgreicher Klage in Washington die Union und die Kanzlerin machen, deren Hin und Her beim Atomausstieg 2010/2011 solche Klagen überhaupt erst ermöglicht hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie wissen und bauen darauf, dass Kritik und Widerstand gegen das heutige Gesetz bei uns Grünen abgeladen werden. Das war nicht der letzte Grund für die Regierung, Jürgen Trittin an verantwortungsvoller Stelle in die Kommission einzubinden. Ich bin Jürgen Trittin ausgesprochen dankbar, dass er in diesem Wissen das Angebot angenommen hat. Das Ergebnis würde ansonsten schlechter aussehen. Ich bin ihm aber auch dankbar, weil er mit Übernahme einer der Vorsitzenden-Positionen der KFK gezeigt hat, was grüne Leitlinie ist: Ja, wir sind die Anti-AKW-Partei, von Anfang an und immer noch. Aber unsere Leitlinie war nie Widerstand; unsere Leitlinie war immer Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aus Verantwortung waren und sind wir gegen Atomkraft. Aus Verantwortung suchen wir jetzt am absehbaren Ende der Nutzung der Atomkraft nach Lösungen für die langfristigen Probleme, die uns nach Abschalten der Atomkraftwerke bleiben. Aus Verantwortung werden wir uns in den Wind stellen gegen den erwartbaren Widerstand gegen dieses Gesetz. Denn vielleicht besser als andere wissen wir: In Atomthemen gibt es nur selten die Superlösung, sondern meist nur das Bestmögliche in einer schlechten Gemengelage. Das leistet dieser Gesetzentwurf, und deshalb stimmt meine Fraktion ihm zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung hat nun der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In spätestens sechs Jahren wird das letzte Kernkraftwerk in Deutschland vom Netz gehen. Damit geht das wirtschaftlich und gesellschaftlich umstrittenste Kapitel der deutschen Energieversorgung zu Ende. Begonnen hat die Kernkraft mit großen Hoffnungen. Noch in den 1950er-Jahren gingen viele davon aus, dass Atomstrom so billig sein würde, dass man die Zähler für den Strom abschaffen könne. Das Versprechen war verlockend; die Energiefrage schien gelöst. Wir alle wissen: Es ist völlig anders gekommen. Heute ist der Bau von Atomkraftwerken die teuerste Form, mit der man die Stromproduktion organisieren kann. Ich persönlich habe den Vertretern der Kernenergie in den letzten Jahren immer gesagt, dass man gar nicht aus Umweltgründen dagegen sein müsse; schon ökonomischer Verstand reiche aus, nicht in Kernenergie zu investieren. Wir sehen, dass die Briten ihre neuen Kernkraftwerke, weil sie sich nicht um Erneuerbare und andere Fragen gekümmert haben, nur mittels öffentlicher Subventionen finanzieren können. Das hochgerühmte finnische Kernkraftwerk – eigentlich das einzige, das wirklich neu gebaut wird – ist mit einer Zeitverzögerung von zehn Jahren unterwegs. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben sie mit dem Flughafen in Berlin gemeinsam! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der ist nur nicht so gefährlich!) Was die Baukostenschätzungen angeht, traut sich keiner mehr so richtig, sie öffentlich bekannt zu geben. Das heißt, auch das Argument, es gebe in der Welt eine Renaissance der Kernenergie, war immer falsch. Es gab immer mehr Kraftwerke, die abgeschaltet werden, als solche, die neu gebaut werden, und zwar nicht, weil die Atomkraftgegner überall in der Welt in der Mehrheit waren, sondern weil Kernenergie schlicht die unwirtschaftlichste Form ist, Strom zu erzeugen. Klar ist: Keine Technologie hat unser Land so gespalten wie die Kernenergie. In Wackersdorf und Gorleben, an Bahngleisen und unter Polizeihubschraubern wurde auch die demokratische Kultur dieses Landes sehr auf die Probe gestellt. Gegen die Atomkraft formierte sich die längste und intensivste Protestkampagne in der bundesdeutschen Geschichte. Der Aufkleber mit der lachenden roten Sonne auf gelbem Grund wurde zum Symbol für Generationen. „Atomkraft? Nein danke“ hieß die Botschaft. Wenn wir heute diesen Gesetzentwurf beraten, dann kann man neben allen Debatten, die man darüber führen kann, vielleicht auch einmal sagen, dass dieses Symbol zum Wegweiser für eine erfolgreiche Energiepolitik geworden ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus dem Kampf gegen die Kernenergie ist in Deutschland die Energiewende entstanden. Sie war am Anfang ja nicht mit dem Thema Klimawandel verbunden, sondern sie war die Alternative zum Ausstieg aus der Atomenergie. Heute wird Strom aus Sonne und Wind gemacht. Ohne ein unkalkulierbares Unfallrisiko und vor allen Dingen ohne Abfälle, die über Jahrtausende strahlen. Ich selber wohne in einer Region, in der es ein ungewolltes und ein von uns gewolltes Atomendlager gibt. Wir haben es genehmigt. Ich selbst habe als junger Mensch anfänglich gegen dieses Endlager Schacht Konrad demonstriert. Später, als Umweltminister, musste ich es aufgrund der vorliegenden Argumente dann genehmigen. Ich habe mich immer geweigert, mit den Vertretern der Atomenergie zu diskutieren, solange sie nicht bereit waren, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft selbst für ein Endlager zu sorgen, und ich fand an der Debatte immer komisch, dass die größten Befürworter der Atomenergie immer die größten Gegner waren, wenn es darum ging, dass man bei ihnen zu Hause mal im Ton oder im Granit untersucht, ob es dort nicht alternative Endlager geben könnte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie können mir also glauben: Ich weiß ein bisschen, wovon ich rede. Es ist nur dem langen Atem der Protestbewegung zu verdanken, dass wir wenigstens die unbegrenzte weitere Produktion von Atommüll in Deutschland beenden. Ich hoffe übrigens, dass dieses Land den Mut hat – egal wie viele Standorte wir untersuchen –, am Ende den Atommüll, den jedenfalls meine Generation nicht produzieren wollte, in diesem Land verantwortlich zu entsorgen, und nicht irgendwann auf die Idee kommt, ihn zu unkontrollierten Standards in andere Teile der Welt zu exportieren. Das darf nicht das Ergebnis sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Tat: Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der letzten Woche den Schutz von Leben und Gesundheit als legitimen Grund für den Ausstieg eingestuft und damit all jenen zu einem „Ritterschlag“ verholfen, wie die Süddeutsche Zeitung es formuliert hat, die sich für ein Leben ohne Atomkraft über Jahrzehnte eingesetzt haben. 2011, nach Fukushima, ist daraus dann tatsächlich ein übergreifender politischer und gesellschaftlicher Konsens geworden. Aber wie genau die immanenten und sehr großen Folgekosten der Kernenergie getragen werden, darüber wurde weiter hart verhandelt; denn Atomkraftwerke sind teuer im Bau, billig im Betrieb, teuer im Abriss und noch teurer, wenn der Atommüll endgelagert werden soll – eine Jahrhundertaufgabe. Ich bin froh, dass es gelungen ist, eine Verständigung darüber zu erzielen, wie wir die nukleare Entsorgung in Zukunft finanzieren. Das ist der eigentliche Schlussakt des Atomausstiegs. Einen Konsens für ein Endlager werden wir aber erst noch herbeiführen müssen. Wir beraten heute keinen Regierungsentwurf. Es waren die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die ihn gemeinsam eingebracht haben. Das zeigt auch, dass es doch einen ganz großen Konsens gibt, mit diesem umstrittenen Kapitel bundesdeutscher Energiegeschichte endlich Schluss zu machen bzw. es zu beenden. Die wichtigsten Regelungen hat eine eigens dafür eingesetzte überparteiliche Kommission erarbeitet und einstimmig beschlossen. Auch ich möchte mich stellvertretend bei den Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole von Beust und Matthias Platzeck dafür bedanken. Lieber Jürgen Trittin, wenn man aktiver Politiker ist, geht man mit dem Vorsitz in solchen Kommissionen auch politische Risiken ein. Ich finde, dich zeichnet aus, dass du dieses Risiko aus Verantwortungsgefühl eingegangen bist, weil du als einer der Gegner der Atomenergie am Ende auch dafür sorgen willst, dass verantwortliche Ergebnisse beim Ausstieg zustande kommen. Herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kommission hat die Grundlage für den Rechtsfrieden gelegt, den wir für den langen Weg aus der Atomwirtschaft benötigen. Dass die Grünen sagen: „Die Bundesregierung soll mal schnell dafür sorgen, dass die Konzerne ihre letzten zwei Klagen zurückziehen“, ist nachvollziehbar. Aber bei detaillierter Kenntnis des Rechtsstaates weiß man, dass das nur schwer von uns herbeizuführen ist. Trotzdem ist die Aufforderung natürlich richtig, weil auch das, was es jetzt noch an Klagen gibt, in der Sache eigentlich nicht in Ordnung ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist übrigens auch eine wesentliche Voraussetzung für das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Die Kommission hat aus meiner Sicht einen überzeugenden Vorschlag gemacht. Das Gesetz sieht vor, dass die Unternehmen auch künftig finanziell und organisatorisch für den Rückbau der Kraftwerke und die Konditionierung der radioaktiven Abfälle verantwortlich sind. Die Rückstellungen hierfür werden jedoch wesentlich transparenter sein als bisher. Die Bundesregierung wird dem Bundestag jährlich dazu berichten. Die langfristige Konzernhaftung haben wir in unserem Gesetzentwurf unter das Motto „Eltern haften für ihre Kinder“ gestellt, weil wir gemerkt haben, dass der Versuch von Ausgründungen dazu führen sollte, sich der langfristigen Haftung zu entziehen. Das bedeutet: Die Haftung besteht jetzt unabhängig von den konkreten konzerninternen Strukturen und deren Veränderungen. Auf der anderen Seite wird zum 1. Juli 2017 ein staatlicher Fonds seine Arbeit aufnehmen, um die Zwischen- und Endlagerung zu finanzieren. Die Betreiber der Kernkraftwerke überweisen zu diesem Datum rund 17 Milliarden Euro an den Fonds. Sie können zudem gegen die Zahlung eines Risikoaufschlags von rund 6 Milliarden Euro die Haftung für Zins- und Kostenrisiken endgültig loswerden. Das wird öffentlich debattiert. Ich habe noch keinen richtigen Alternativvorschlag in der Öffentlichkeit gesehen, der besser ist als der, den die Kommission erarbeitet hat, und „wishful thinking“ bringt uns weder bei der Energiewende noch beim Ausstieg weiter. Deswegen finde ich: Solange nichts Besseres auf dem Tisch ist, ist das, was die Kommission erarbeitet hat, ein kluger Vorschlag. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzesvorhaben haben wir die Chance, nach dem Konsens über den Ausstieg nun einen Konsens über die Finanzierung der Folgelasten der Kernenergie zu beschließen und dann – das ist nicht einfach – auch einen Konsens für die Endlagerung herbeizuführen. Noch einmal: Einfach weitermachen und darauf setzen, dass irgendwann irgendwer uns Angebote macht, in den Weiten seines eigenen Landes zu völlig anderen Sicherheitsbedingungen deutschen Atommüll endzulagern, darf für dieses Land nicht die Alternative sein. Nachdem wir diesen Weg geschafft haben, gibt es Grund zu Optimismus, auch den letzten Weg noch zu schaffen. Am Ende liegt es daran, dass viele Menschen in diesem Land, zum Teil über Generationen hinweg, den Mut nicht aufgegeben haben, für einen Ausstieg aus dieser gefährlichen Technologie zu kämpfen. Wir sind, finde ich, durch sie sehr weit gekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Atomkonzerne werden mit einem goldenen Handschlag aus der Verantwortung entlassen, zwar nicht für Rückbau und Stilllegung – dafür müssen sie aufkommen, aber das ist kalkulierbar –, aber für den viel größeren Posten, den es zu bezahlen gilt: die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls. Die Kosten hierfür können nicht seriös beziffert werden. Sie fallen erst in den kommenden 20, 30, 40 Jahren an. Wenn Herr Gabriel sagt, das umstrittene Kapitel „Atomkraft“ geht zu Ende, dann muss ich sagen: noch lange, lange nicht. Die Kosten werden steigen. Das kann man sich heute vielleicht noch gar nicht vorstellen. Jetzt sind 23 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Allein wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass es sich so verhält wie beim Berliner Flughafen – eine Verfünffachung der Kosten –, dann wären wir bei 115 Milliarden Euro. Davon lägen dann 92 Milliarden Euro bei uns, bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Herr Fuchs will jetzt sparen. Er wünscht sich, dass es mit der Endlagersuche schnell geht; „Bohrlochtourismus“ war hier ein Stichwort. Ich sage: Das ist verantwortungslos; denn wir brauchen die sicherste Lösung. (Beifall bei der LINKEN) Ich befasse mich hier im Bundestag seit 20 Jahren mit dieser Thematik. Ich kann nur sagen: Da geht nichts schnell. Wir müssen verantwortungsvoll handeln, es müssen viele Gespräche geführt werden. Es muss die sicherste Lösung für viele, viele Jahre gefunden werden. (Beifall bei der LINKEN) Es ärgert mich, dass jetzt so getan wird, als habe man den Konzernen einiges abverlangt. Wer in diesem Saal über 40 Jahre alt ist, muss es eigentlich besser wissen: Die Atomkonzerne haben mit der Atomkraft Milliarden und Abermilliarden verdient. Seit dem Jahr 2000 sind allein von Eon und RWE Dividenden in Höhe von 50 Milliarden Euro an Aktionäre ausgeschüttet worden. Glauben Sie doch nicht, dass die Menschen es nicht mitbekommen, dass dort so viele Profite gemacht wurden. Die Antiatominitiativen weisen seit über 20 Jahren auf das Problem der Rückstellungen hin. Auch Rot-Grün hat dieses Problem seinerzeit nicht geregelt. Hier hätten wir mitgestimmt, und wir hätten damals die Mehrheit gehabt. (Beifall bei der LINKEN) Und jetzt hört man vonseiten der Union: Die Konzerne darf man nicht über Gebühr belasten, weil sie aufgrund der Energiewende schon so schlecht dastehen. – Ich muss sagen, jetzt kommen mir die Tränen. Man erlässt ihnen dann noch die Brennelementesteuer – 6 Milliarden Euro sind ja auch nur Peanuts. Wenn es dann ums Geld der Steuerzahler und vor allem der künftigen Generationen, unserer Kinder und Enkel, geht, dann sind Sie auf einmal großzügig. Ich kann nur sagen: Die Linke lehnt diesen New Green Deal ab. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Georg Nüßlein hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es stimmt natürlich schon: Gemeinsam mit dem noch ausstehenden Endlagersuchgesetz ist das heute der Schlusspunkt einer lange währenden, heftigen, strittigen Debatte, die wir hier im Bundestag, aber auch außerhalb politisch geführt haben. Ich meine, das passt gut in die Vorweihnachtszeit. Ich will auch unterstreichen, dass meiner festen Überzeugung nach eine Kommission noch nie so erfolgreich war und so viel Sinn gemacht hat wie diese Kommission. Das muss man in aller Klarheit sagen, auch wenn ich dem Kollegen Fuchs insofern recht gebe, als auch ich ursprünglich mit Blick auf die Besetzung meine Bedenken hatte. Aber ich habe gehofft, dass es uns hilft, dass die Einigung am Schluss tatsächlich gesellschaftlich fundiert und der Konsens breit genug ist. Nach dem, was die Kollegin Bulling-Schröter gerade hier von sich gegeben hat, bin ich mir nicht mehr so sicher. Dass die Linke an der Stelle ausschert, ist klar; das war uns von vornherein klar. Deshalb haben wir sie auch nicht mittun lassen; das muss man in der Klarheit auch mal sagen. Wir von der Union machen nichts mit ganz rechts, und wir machen auch nichts mit ganz links, und zwar aus gutem Grund. Das muss man an dieser Stelle mal deutlich machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie sind doch selber ganz rechts!) Wenn ich mir anhöre, was hier in der Debatte von der linken Seite bisher an Unqualifiziertem und Populistischem gekommen ist, dann will ich schon sagen, dass das ziemlich verantwortungslos ist. Den Vergleich mit dem Flughafen, Frau Bulling-Schröter, würde ich mir angesichts der eigenen Verantwortung der Linken an dieser Stelle noch mal gut überlegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Nun gab es etliche Kollegen, die hier die Chronologie der Kernkraftgegnerschaft vorgebracht haben, von Gewinnern und Verlierern gesprochen haben. Ich will an dem Siegestaumel gar nicht rühren, weil ich glaube, dass er uns zum Teil zu diesem Konsens verholfen hat, so wie es auch der Kollege Trittin ganz maßgeblich getan hat, den ich aber an dieser Stelle nicht noch mal loben möchte, weil ich glaube, dass ihm das Lob von unserer Seite in den eigenen Reihen schadet. Aber er hat es klasse gemacht; das muss man schon ganz deutlich sagen. Diesen Konsens, meine Damen und Herren, sollten wir in Zukunft natürlich auch bei der Endlagerfrage suchen, deren Lösung – da hat der Bundeswirtschaftsminister vollständig recht – schwer genug wird, aber auch bei der Frage der Energiewende. Wir von der Union haben ja nicht aus Lobbyismuserwägungen so lange an der Kernenergie festgehalten, sondern deshalb, weil uns klar war, dass diese Energiewende mehr kostet als eine Kugel Eis. Die Kosten der Energiewende werden uns noch manchen Schweißtropfen auf die Stirn treiben. Wir werden uns noch an mancher Stelle überlegen müssen, wie wir damit umgehen, insbesondere dann, wenn wir sehen, wie schwer sich unsere Industrie, unser Gewerbe mittlerweile tut und wie sehr die EU geneigt ist, uns politisch ständig in den Arm zu fallen. Nichtsdestotrotz: Wir haben an dieser Stelle das Verursacherprinzip, Frau Kotting-Uhl, klar gewahrt. Ich habe eigentlich gedacht, dass wenigstens das jetzt nach dem Kompromiss nicht mehr umstritten ist. Bei der Debatte um die Kernenergie wurde immer so getan, als ob das, was im Atomrecht klar geregelt ist, dass nämlich die Endlagerung zulasten der Verursacher geht, gar nicht zutreffen würde. Heute stellen wir fest: Erstens ist es so, und zweitens schaffen wir die Regeln dafür, dass die Endlagerung in Zukunft ökonomisch gesichert und frei von privatwirtschaftlichen Risiken ist. Ich hätte erwartet, dass Sie das an der Stelle formulieren. 23,3 Milliarden Euro sind kein Schnäppchen. Denn 23,3 Milliarden Euro zahlen zu müssen, das ist kein Weihnachtsgeschenk, auch nicht für die Konzerne, die angesichts der weggebrochenen Geschäftsmodelle mittlerweile schwer gebeutelt sind. Das muss man ganz klar sagen. Und Herr Zdebel: Das Geld ist nicht weg – das stimmt so nicht –, sondern es wird gezahlt. Sie haben gesagt, die Forderung der Linken sei es, statt auf Rückstellungen auf Rücklagen zu setzen. Na ja, bilanziell ist das schon ein gewisser Unterschied: Das eine ist Fremdkapital, das andere ist Eigenkapital. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Schulden sind das!) Nur: Angelegt, Herr Zdebel, wird das Geld trotzdem auf der Aktivseite. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Erst mal auf der Passivseite! Das wissen Sie doch ganz genau!) Das heißt, es wird damit nicht abgesichert, und es ändert sich also nichts. Ich bitte Sie, ein bisschen nachzudenken, wenn Sie über solche bilanziellen Zusammenhänge reden. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das hat ihm aber jemand von den Attac-Leuten aufgeschrieben!) Das Einzige, was sich ändern würde, wäre die steuerliche Konsequenz, aber sonst ändert sich gar nichts. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Doch!) Sicher sind die Gelder nicht, ob das jetzt Eigenkapital oder Fremdkapital ist. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Zweckgebunden eingestellt wäre es gesichert gewesen!) Wenn ein Unternehmen pleitegeht, ist das Eigenkapital genauso weg wie das Fremdkapital, das am Schluss nicht mehr bedient wird. Das mag im Sozialismus anders sein, aber in unserer Wirtschaft ist das so. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Das ist doch billig!) An dieser Stelle hat der Staat einen Auftrag, nämlich das Geld, das wir bekommen, ordentlich anzulegen, gerne auch nachhaltig. Wir müssen es jedenfalls so anlegen, dass gute Renditen erwirtschaftet werden. Außerdem haben wir den Auftrag, politische Kosten zu vermeiden – das ist das einzige Risiko, das wir den Konzernen an dieser Stelle abnehmen –, die zu produzieren wir bei jeder Gelegenheit geneigt sind, insbesondere auch im Endlagersuchprozess. Darüber sollten wir bei den anstehenden Entscheidungen genau nachdenken. Das heißt erstens: Der Schacht Konrad muss schnellstmöglich in Betrieb gehen, und der Rückbau der Kernkraftwerke muss zügig vorangebracht werden. Das heißt zweitens: Wir müssen vermeiden, dass die Standortzwischenlager Endlager werden, jedenfalls gefühlt Endlager werden. Denn eines ist klar: Mit dem Abschalten der Kernkraftwerke wird sich die Haltung der Bevölkerung noch einmal deutlich ändern. Bisher haben die Menschen am Standort die Zwischenlagerung hingenommen, aber sie werden sie in der Sekunde, in der es dort keine Arbeitsplätze mehr gibt und nichts mehr betrieben wird, nicht mehr so akzeptieren. Deshalb müssen wir den Menschen ganz klar sagen: Der Staat wird dafür sorgen, dass die Zwischenlager nicht zum Endlager deklariert werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das heißt aber auch: Wir müssen zügig weitere Schritte bei der Suche nach einem Endlager machen, und zwar unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Sicherheit. Und bevor jetzt Frau Kotting-Uhl wieder eine Zwischenfrage stellt, sage ich Ihnen ganz klar: Ich halte von der Einbeziehung von Kristallin als Wirtsgestein gar nichts – und das hat gar nichts mit meiner Herkunft zu tun; Sie können mir höchstens vorhalten, dass ich als Bayer ein bisschen besser weiß, wie die Geologie dort aussieht –; denn Kristallin ist zerklüftet, und das ist ein geologisches Faktum, an dem wir nicht rütteln können. Ich halte die Bewertung der geologischen Barriere, der die Hauptlast bei der Isolation der Abfälle zukommt, für wichtig, und deshalb halte ich das Konzept des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs für planbarer, verständlicher und nachvollziehbarer. Daran sollte man sich orientieren. Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich, sich mit einem ebenfalls von Kollegen Trittin eingerichteten „Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte“, kurz AK End, auseinanderzusetzen. Im Jahr 2002 hat dieser AK End das genauso unter dem Aspekt der Sicherheit definiert. Sie behaupten, ich würde manchmal Ideologie und Geologie verwechseln, aber das würde dann ja für den AK End, den Sie selber eingerichtet haben, auch gelten. Das glaube ich nun nicht, meine Damen und Herren. Denken wir also darüber nach, wie wir den Menschen vermitteln können, dass wir ein sicheres Endlager suchen. Wir tun das, ohne politische Kosten zu produzieren, die am Schluss tatsächlich der Steuerzahler zu tragen hätte. Wir tun das mit Blick darauf, dass auch die Zeit eine Rolle spielt. Deswegen wollen wir den Prozess in absehbarer Zeit einer Lösung zuführen. In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit und wünsche eine schöne Weihnachtszeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Ute Vogt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ute Vogt (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nüßlein, jetzt, da in diesem Raum so viel Einigkeit beim Thema „Abwicklung der Atomenergie“ herrscht, dachte ich gerade: Ich hätte mir gewünscht, Sie wären in der Endlagerkommission gewesen. Vielleicht hätte das für Sie die gleiche heilende Wirkung gehabt, wie die Mitgliedschaft in der KFK für Herrn Fuchs und für Sie hatte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Für die Endlagerkommission!) Wenn wir unsere Arbeit vernünftig zu Ende führen wollen, wenn wir nicht nur heute diesen Gesetzentwurf verabschieden wollen, sondern auch die Suche nach einem möglichst sicheren Endlager erfolgreich zu Ende führen wollen, dann dürfen sich einzelne Bundesländer bei dieser Suche nicht von vornherein herausziehen. Herr Nüßlein, das haben Sie mit Ihren Ausführungen zum Thema Kristallin gerade versucht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Wir haben klare Kriterien. Alle 16 Bundesländer haben gesagt: Es wird ohne eine Vorfestlegung gesucht, und es wird in drei verschiedenen Gesteinsarten gesucht. Da machen Sie jetzt bitte keine Ausnahme. Lassen Sie das doch einmal so stehen, und lassen Sie die Harmonie wirken. Arbeiten wir gemeinsam daran, dass, nachdem die finanzielle Lastenverteilung jetzt geklärt ist, am Ende auch die Verteilung der Gefahrenlasten geklärt wird, und zwar in der Einigkeit, die heute herrscht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir werden diese Endlagersuche nicht durchhalten, wenn Einzelne schon jetzt beginnen, sich abzusetzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt will ich etwas Versöhnliches sagen: Herr Kollege Fuchs, am meisten habe ich mich heute über Ihre Rede gefreut, auch wenn Sie mir damit ein bisschen Arbeit machen. Ich muss nämlich meine Reden zu Hause umschreiben. Bisher waren Zitate aus Ihren Reden immer ein Beleg dafür, dass die Union es mit dem Atomausstieg gar nicht so ernst meint. Mit Ihrer heutigen Rede haben Sie aber, wie ich finde, ein klares Bekenntnis dafür abgegeben, dass das Atomzeitalter endgültig durch ist. Dafür herzlichen Dank! (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie schaden dem Kollegen Fuchs! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Besser zuhören!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleiben noch ein paar Baustellen. Die Endlagersuche habe ich schon genannt. Die Bundesregierung muss nun an dem öffentlich-rechtlichen Vertrag arbeiten. Auch unsere Fraktion erwartet, dass die Klage von Vattenfall vor dem Schiedsgericht zurückgenommen wird, und wir erwarten, dass die Klage gegen die Kernbrennstoffsteuer zurückgenommen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, wo wir jetzt alles so schön geregelt haben, auch in Bezug auf die Abwicklung der Finanzierungslasten, wäre es doch wichtig, die Kernbrennstoffsteuer zu entfristen, auch mit Blick auf eine harmonische und anständige Lastenverteilung. Wir wollten das schon im Koalitionsvertrag festlegen. (Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD]) Damals hat das noch nicht geklappt. Vielleicht haben Sie heute ein Einsehen und sagen: Okay. Dann hätten wir einen Haken daran gemacht. Dann wäre die Einigkeit in diesem Hause vollkommen. In diesem Sinne sage ich: Ich freue mich über den heute vorliegenden Gesetzentwurf. Wir sind mit der Arbeit aber noch lange nicht am Ende. Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner ist der Kollege Steffen Kanitz von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Legislaturperiode kann in die Geschichtsbücher eingehen als eine Periode, in der wir, nachdem wir 2011 den Ausstieg beschlossen haben, auch den finanziellen und organisatorischen Rahmen für den Ausstieg besprochen haben. Es ist gut, dass die KFK nach sehr kurzer Zeit zu einem Abschluss gekommen ist. Wir haben in der KFK den finanziellen Rahmen für den Ausstieg gesetzt und gleichzeitig in der Endlagerkommission mit Blick auf den organisatorischen Rahmen ein sehr gutes Ergebnis gefunden. Lieber Kollege Zdebel, ich kann Ihnen Folgendes sagen: Sie waren als Vertreter der Linken Mitglied der Endlagerkommission. Am Ende des Tages haben Sie sich dem Kommissionsbericht widersetzt. Sie haben dagegen gesprochen, trotz aller Angebote, die wir, die Vertreter von Grünen, CDU, SPD, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, Ihnen gemacht haben. Das zeigt doch, dass Sie am Ende nicht an einem Konsens interessiert sind, sondern dagegen sind. Demokratie heißt aber, auch Abstriche zu machen und die eigene Meinung nicht als absolut anzusehen. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Sie wissen ganz genau, warum wir ein Sondervotum gemacht haben!) Es geht darum, mit anderen demokratischen Parteien einen Konsens zu finden. Insofern war es richtig, dass Sie in der KFK nicht dabei waren. Wir haben im Rahmen der KFK einen guten Beschluss gefasst. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Gorleben! Asse!) Das Bundesverfassungsgericht hat am 6. Dezember ein Urteil gefasst, das genau zur rechten Zeit kommt. Es bestätigt uns in dem Ansinnen, dass der Ausstieg verfassungskonform war, aber es sagt uns als Gesetzgeber eben auch, dass wir solche Entscheidungen nicht im rechtsfreien Raum treffen können. Investitionen brauchen Planungssicherheit. Deswegen kann dieses Urteil für uns auch Leitlinie für die Bewertung zukünftiger Technologien zur Erzeugung von Energie sein. Es wird uns auch in der Hinsicht Leitlinie sein, dass wir bei unseren Entscheidungen berücksichtigen müssen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen sie auf Unternehmen haben. Über das Verursacherprinzip ist schon viel gesprochen worden und wurde auch im Vorfeld der heutigen Debatte viel diskutiert. Verursacherprinzip bedeutet, dass die Energieversorgungsunternehmen für die durch sie verursachten Kosten finanziell einstehen. Das sind die Kosten für den Rückbau, für die Stilllegung, für die Verpackung der Abfälle, für die Zwischen- und auch die Endlagerung. Diese sind ja durch die Rückstellungen gedeckt. So haben das auch externe Wirtschaftsprüfer und die KFK-Kommission beschieden. Zusätzlich vereinbaren wir einen Risikopuffer von 6 Milliarden Euro, für den die Konzerne aufkommen müssen. Wer sich die Bilanzen anschaut, wer sich Bilanzpressekonferenzen der Versorger anschaut, der weiß, dass 6 Milliarden Euro eine ganze Menge Geld sind. Das bringt einzelne Unternehmen an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Das Verursacherprinzip gilt aber eben auch nicht schrankenlos. Das ist wichtig. Die Energieversorgungsunternehmen können nicht für jede willkürliche Handlung der Politik zur Rechenschaft gezogen werden. Deswegen sieht das Atomgesetz eine klare Beschränkung auf den notwendigen Aufwand vor. Ich kann nur an alle appellieren – ich gehe davon aus, dass wir uns gleich dafür beglückwünschen können –, dass wir diesen KFK-Beschluss bzw. den Gesetzentwurf heute verabschieden. Denn wollen wir ernsthaft die Debatte führen, ob ein sicheres Endlager oder ein bestmögliches Endlager zum notwendigen Aufwand gehört? Diese Debatte wollen wir doch nicht ernsthaft führen. Wir sind mit dem KFK-Gesetz um eine gerichtliche Auseinandersetzung um die Frage, was eigentlich notwendiger Aufwand ist und was die Konzerne am Ende von diesen Sonderschleifen, die wir drehen – sie sind gesellschaftspolitisch vernünftig und notwendig; das ist gar nicht der Punkt –, mitfinanzieren müssen, herumgekommen. Insofern ist es ein guter Beschluss. (Beifall bei der CDU/CSU) Über die Haftung der Kommunen wurde in den vergangenen Tagen noch einmal heiß diskutiert. RWE und EnBW haben kommunale Anteilseigner. Die Frage war, inwiefern sie enthaftet werden oder nicht. Ich glaube, man muss da eines sagen: Ohne das Gesetz ist es so, dass die Konzerne und auch die Energieversorgungsunternehmen bis zu dem Zeitpunkt haften, zu dem wir ein Endlager haben, also gebaut haben, befüllt haben, versiegelt haben. Das dauert mindestens bis zum Jahr 2100; davon können wir jedenfalls ausgehen. Nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf enthaften wir die Konzerne und damit auch die Anteilseigner für den Bereich der Zwischen- und Endlagerung ab dem Zeitpunkt, zu dem sie den gesamten Anteil zuzüglich des Risikozuschlages in den Fonds eingezahlt haben. Wir können im Moment davon ausgehen, dass das bis spätestens Juli 2017 der Fall ist. Es ist also eine gute Lösung für die Kommunen. Auch hier zeigen wir, dass wir ein Herz für die kommunale Seite haben. Ich möchte eine Spezialproblematik ansprechen, über die wir uns in Zukunft noch einmal verständigen müssen. Das ist das Thema Deponie und sofortiger Rückbau. Wir vereinbaren mit dem KFK-Gesetz, dass wir gemeinsam die Verpflichtung haben, die Kernkraftwerke sofort zurückzubauen. In der Vergangenheit gab es auch die Möglichkeit, Kernkraftwerke für eine gewisse Zeit einzumotten, die Radioaktivität abklingen zu lassen und dann nach einem Zeitraum von beispielsweise 25 Jahren erst in den Rückbau einzusteigen. Wir wissen allerdings nicht, ob wir in 25 Jahren noch über das notwendige Fachpersonal verfügen, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu bewerkstelligen. Insofern ist es richtig, dass wir uns für den sofortigen Rückbau als einzige Option aussprechen. Das heißt aber auch, dass wir Entsorgungswege für die konventionellen Abfälle offenhalten müssen. 95 Prozent der Abfälle von Kernkraftwerken sind konventionelle Abfälle, die dann im Straßenbau verwendet werden oder, wenn es sich um ganz leicht kontaminierte Abfälle handelt, auf Deponien gebracht werden. Was heißt „ganz leicht kontaminiert“? Wir haben in Deutschland im Strahlenschutz einen 10-Mikrosievert-Grenzwert vereinbart, der nicht überschritten werden darf. Einmal zur Einordnung: Wenn Sie nach San Francisco fliegen, dann bekommen Sie eine Strahlung von etwa 110 Mikrosievert. Wenn Sie eine normale Röntgenaufnahme Ihres Brustkorbs machen lassen, dann liegen Sie bei 200 Mikrosievert. Es handelt sich also nicht ansatzweise um gefährliche Abfälle. Ich bitte alle darum, unsere Lokalpolitiker, die Bürgermeister, bei der Aufklärung vor Ort sehr zu unterstützen und nicht Gefahren herbeizureden, die nicht existieren. Wir müssen da Transparenz schaffen, damit uns die Menschen auch vertrauen. Dazu gibt es vor Ort viele gute Initiativen, beispielsweise Messwerte online einzustellen, sodass alles nachvollzogen werden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich will noch ganz kurz zu Ihrem Entschließungsantrag Stellung nehmen, den Sie zu dem Gesetzentwurf einbringen. Diesen Antrag können wir selbstverständlich nur ablehnen. Sie gaukeln in Ihrem Antrag den Bürgern mehr Sicherheit dadurch vor, dass Sie den Energieversorgungsunternehmen vermeintlich 23,5 Milliarden Euro nehmen – übrigens, folgende Anmerkung sei mir schon erlaubt: so ganz schlecht können wir ja nicht verhandelt haben, wenn Sie diese 23,5 Milliarden Euro schon einmal einstreichen wollen –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Das waren die Rücklagen! Das habe ich doch gesagt!) zusätzlich aber die Unternehmen unbegrenzt haften lassen wollen. Das ist ja in etwa so, als würden Sie einen Bauern enteignen und ihn dann dafür verantwortlich machen, dass in 50 Jahren die Ernte nicht so gut ausfällt, wie Sie sich das vorher vorgestellt haben. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein; das können wir nicht mitmachen. Deswegen müssen wir das ablehnen. Wir bringen mit dem KFK-Gesetz endlich Handlungs- und Finanzierungsverantwortung zusammen; dies haben Kollege Fuchs und Kollege Nüßlein ja auch ausgeführt. Davon erhoffen wir uns erhebliche Beschleunigungspotenziale. Sie suggerieren mit Ihrem Antrag mehr Sicherheit. Sie schaffen aber mehr Unsicherheit: für die Beschäftigten, weil diese nicht wissen, wie lange sie eigentlich gemäß Ihrem Antrag noch zuständig sind; für die Eigentümer, weil sie nicht wissen, wann sie enthaftet werden und ab wann sie die notwendigen Gelder auch für andere alternative Technologien zur Verfügung stellen können. Sie schaffen aber mit Sicherheit eines, nämlich dass wir in Deutschland kein Endlager finden. Das wollen wir nicht; wir wollen ein Endlager in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage zum Abschluss, was wir meines Erachtens nicht machen dürfen. Sie schreiben in Ihrem Antrag von Bad Banks der Energieversorgungsunternehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie diffamieren damit diese technologisch hoch anspruchsvolle Aufgabe, Rückbau zu betreiben. Wir müssen doch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Konzerne und ihrer Tochtergesellschaften, die für Rückbau zuständig sind, dankbar sein, dass sie sich dieser Aufgabe annehmen. Wir sollten sie nicht beschimpfen. Wir brauchen ganz im Gegenteil eine groß angelegte Werbekampagne, adressiert an junge Leute, sich dieser Aufgabe zu verschreiben. Wir sind im Bereich Rückbau Technologieführer. Ich war vor kurzem auf einer Konferenz in Wien, wo wir über dieses Thema gesprochen und diskutiert haben. Dort hat sich bestätigt: Deutschland ist Technologieführer in diesem Bereich. Und mein Wunsch ist es, dass wir das auch bleiben und unsere Kompetenz, unser Know-how, auch unseren internationalen Partnern zur Verfügung stellen, um den Rückbau auch dort verantwortungsvoll und sicher zu gestalten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich bitte um Zustimmung zu unserem wirklich guten Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung. Hierzu liegen zahlreiche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir wie immer dem Protokoll beifügen werden.1 Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10671, den Gesetzentwurf der genannten Fraktionen in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken sowie einer Gegenstimme aus den Reihen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Hierzu hat die Fraktion Die Linke namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, ob sie jeweils ordnungsgemäß besetzt sind. – Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal anwesend, das seine Stimme oder, besser gesagt, seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Nun können wir diesen Abstimmungsvorgang, glaube ich, abschließen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und teile Ihnen das Ergebnis später mit.2 Ich bitte Sie, jetzt Platz zu nehmen, damit wir noch eine Reihe ergänzender Abstimmungen durchführen können. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses auf der Drucksache 18/10671 fort. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit angenommen.3 Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10673. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Antragsteller stimmen ihrem Antrag zu. Wer stimmt dagegen? – Das ist offensichtlich der Rest. Damit ist der Antrag abgelehnt. Wir kommen noch einmal zurück zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/10671. Hier wird unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung empfohlen, den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung für erledigt zu erklären. Das sind die alten Drucksachen 18/10353 und 18/10482. Hat jemand gegen diese Beschlussempfehlung Einwände oder möchte sich der Stimme enthalten? – Nein, dann ist das einvernehmlich so beschlossen. Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kinder und Familien von Armut befreien – Aktionsplan gegen Kinderarmut Drucksache 18/10628 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weihnachten steht vor der Tür. Wir freuen uns auf Weihnachten, auf die Tage im Kreise unserer Kinder und Enkelkinder. Wir erfreuen uns an ihren glänzenden Augen, wenn sie die Geschenke auspacken. Für mehr als 2 Millionen Kinder gilt das nicht. Sie leben in Armut und spüren besonders an Weihnachten, was Armut bedeutet. Geschenke, so es sie überhaupt gibt, fallen bescheiden aus. Für die Einladung der Großeltern reicht das Geld nicht, und zu oft wird sogar auf den Weihnachtsbaum verzichtet. Im Regelsatz sind solche Kosten nicht vorgesehen. Wie fühlen sich wohl Eltern, die Jahr für Jahr erklären, dass es nur ein ganz kleines Geschenk geben wird, weil sie kein Geld haben? Glück haben da die Kinder, die von den Tafeln einen Schokoladenweihnachtsmann bekommen. Aber auch da reicht es längst nicht mehr für alle Kinder; denn sie sind auch bei den Tafeln Mangelware. Kinderarmut ist und bleibt der größte Skandal in diesem eigentlich so reichen Land, und das nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern im ganzen Jahr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Tafeln leisten Großes. Sie unterstützen regelmäßig über 1,5 Millionen Menschen, darunter 500 000 Kinder und Jugendliche. An dieser Stelle möchte ich allen freiwilligen Helferinnen und Helfern Dank sagen, die die Menschen mit Trost und dem Allernötigsten versorgen. (Beifall bei der LINKEN) Eigentlich wäre es die Aufgabe der Politik, diese Zustände zu beenden, und zwar so schnell wie möglich. Wie kann es sein, dass Sie zuschauen, wie in einem der reichsten Länder Hunderttausende Menschen von Lebensmittelspenden abhängig sind? Ich bin empört darüber, dass Sie uns Jahr für Jahr an dieser Stelle das Gleiche sagen und nichts ändern. Im Gegenteil: Die Armut nimmt weiter zu in unserem Land. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Ursache, meine Damen und Herren, ist Ihre Verarmungspolitik der letzten Jahre, die auch immer mehr Kinder in diesen Armutsstrudel reißt. Das ist der eigentliche Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Und kommen Sie nicht wieder damit, dass wir nur über Einzelfälle reden. Jedes siebte Kind lebt in Deutschland von Hartz IV. Spätestens seit Hartz IV weiß doch jeder in diesem Land, dass die Spaltung zwischen Arm und Reich zunimmt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Seit 2014 nimmt die Zahl deutlich ab! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lesen Sie, was die OECD dazu sagt!) Und was mich daran besonders entsetzt, ist, dass die Sozialdemokraten alles wissen, aber nichts verändern. Machen Sie endlich Ihren Fehler von damals rückgängig. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin viel unterwegs bei den Tafeln. Wenn ich sehe, wie die Mütter mit ihren Kindern in der Schlange stehen, dann kommen mir vor Wut die Tränen. Die Leute fragen mich: Wie soll die Zukunft meiner Kinder aussehen? Warum muss ich hier stehen, obwohl ich zwei Jobs habe? – Trotz der zwei Jobs reicht es oftmals nicht. Darauf gibt es nur eine Antwort: Alle Kinder brauchen eine faire Zukunftsperspektive. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben und ihre Familien ernähren können. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen. Erstens. Die Bundesregierung muss dringend ein Konzept gegen Kinder- und Jugendarmut vorlegen. Zweitens. Die sozialen Leistungen müssen Armut verhindern und Teilhabe ermöglichen. Drittens. Die Regelsätze für Kinder müssen erhöht werden. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Eine Kindergrundsicherung muss eingeführt werden. Die prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit, Teilzeit und Minijobs muss zurückgedrängt werden, und der Mindestlohn muss rauf auf 12 Euro; (Beifall bei der LINKEN) denn die Armut der Kinder beruht immer auf der Armut der Eltern. Dem Befristungsirrsinn muss endlich Einhalt geboten werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die Unternehmer möglichst enteignen, oder?) Gerade für junge Familien ist diese Ungewissheit zermürbend. Sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mann, mann! Sozialistische Mottenkiste!) Das sind die Lösungen, die greifen würden und die wir auch brauchen. Sehr geehrte Damen und Herren, Kinderarmut muss endlich der Vergangenheit angehören. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leider ist das aber nicht der Fall. Wenn die Kanzlerin hier an diesem Pult sagt: „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut“, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann hat sie recht!) dann ist das angesichts der 2 Millionen Kinder in Armut zynisch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Die Armut ist da. Sie kann sich nicht verstecken; Sie können sie auch nicht wegdiskutieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hören Sie mal mit Ihrem sozialistischen Erfolgsprogramm für die Wirtschaft auf! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entspannen Sie sich mal! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn Sie dazwischenrufen, darf ich das auch! Entspannen Sie sich mal!) Sie schauen aber einfach nur weg; Sie wollen sie nicht sehen. Wer so redet wie die Kanzlerin, der ist unfähig, die Lage dieser Kinder zu verbessern. (Beifall bei der LINKEN) Soziale Gerechtigkeit wird nur mit einer starken Linken erreicht. Wir brauchen einen starken Sozialstaat, auf den sich die Menschen in Notsituationen verlassen können, der sie nicht zu Bettlern und Bittstellern degradiert und der ihnen vor allen Dingen nicht die Würde nimmt. Sozial geht anders! Dafür steht die Linke. Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich Marcus Weinberg als nächstem Redner das Wort erteile, will ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung bekannt geben: abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 516, mit Nein haben gestimmt 58. 7 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 516 nein: 58 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Nicole Maisch Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Lothar Riebsamen Waldemar Westermayer DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Brigitte Pothmer Enthalten SPD Marco Bülow Gabriele Groneberg BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sven-Christian Kindler Peter Meiwald Hans-Christian Ströbele Dr. Julia Verlinden Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Nun hat Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Zimmermann, ja, es gibt Kinderarmut in Deutschland, und das wird hier auch keiner verschweigen, relativieren, in irgendeiner Art und Weise kleinreden oder verhehlen. Die Bekämpfung der Kinderarmut ist eine unserer ersten Aufgaben hier im Parlament. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Machen Sie mal!) Wenn wir sie ernsthaft bekämpfen wollen – das ist mein erster wichtiger Punkt –, dann müssen wir diese Ernsthaftigkeit auch unterstreichen. Mit dem, was Sie in Ihren Anträgen fordern, tun Sie aber nichts anderes, als Wolken hin- und herzuschieben. Es sind keine konkreten Aussagen, sondern Sie fordern einfach nur Geld, ohne auf die Finanzierung einzugehen, und das werden wir in dieser Weise natürlich nicht mitmachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema hat die Große Koalition in den letzten Jahren bei sehr vielen Schritten bewiesen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Die Armut nimmt zu!) Es geht dabei natürlich darum, zu überlegen, wie wir die Kinderarmut tatsächlich bekämpfen können; damit bin ich beim zweiten wichtigen Punkt. Die Kinderarmut ist kein familienpolitisches, kein sozialpolitisches und kein finanzpolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem. Deswegen muss man auf allen Ebenen und gemeinsam mit allen Ressorts Strategien für die Bekämpfung der Kinderarmut entwickeln. Bei meinem dritten Punkt ist das Einvernehmen, glaube ich, bald vorbei: Das beste Mittel gegen arme Kinder sind starke Eltern, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und das beste Konzept gegen Kinderarmut ist eine stabile Erwerbstätigkeit der Eltern. Durch Erwerbstätigkeit sichern sich die Eltern ein eigenes Einkommen. Sie schaffen damit nicht nur materielle Sicherheit, sondern sie erlangen dadurch auch ein Selbstwertgefühl. Wir haben hier lange und häufig über die berühmte Frage diskutiert, ob der Bund neue Ranzen für Kinder aus armen Familien finanzieren soll. Aber Kinder wollen, dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen zu kaufen, weil es das Selbstwertgefühl der Kinder stärkt, dass ihre Eltern dazu in der Lage sind. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch mal was dafür!) Deswegen kommt für uns eine gute Wirtschaftspolitik in diesem Land zuallererst. Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Wir haben die Arbeitslosenquote von nahezu 12 Prozent in 2005 auf inzwischen 6 Prozent halbiert. Das ist das Ergebnis guter Wirtschaftspolitik. Sie ist gut für die Familien und für die Kinder. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt aber bei den armen Kindern nicht an!) Die Kinder können nicht für sich selber sorgen. Das ist eine andere Ideologie. (Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Keine Zwischenfrage, Sie haben gerade geredet. Das tut mir leid, Frau Zimmermann. – Es gibt bei uns einen anderen Überbau als bei Ihnen. Wir sagen ganz deutlich: Als Erstes müssen die Eltern und damit die Familie gestärkt werden. Dann erst kann und muss der Staat selbstverständlich unterstützend eingreifen. Aber der Staat ist kein Ersatz für Eltern. Ich glaube, diese Mitverantwortung der Eltern muss der Alleinverantwortung des Staates – das ist Ihr Ansatz – entgegengestellt werden. Das ist der Unterschied zwischen uns. Eine gut funktionierende Wirtschaft und eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik sind zum einen die Voraussetzung dafür, dass wir Arbeit für Eltern schaffen, und zum anderen die Voraussetzung dafür, dass der Staat Steuereinnahmen generiert. Wir haben vor wenigen Wochen über unseren Familienhaushalt diskutiert. Ich sage Ihnen eines – das nervt Sie, aber ich führe es trotzdem an –: Grundvoraussetzung für alles ist, dass wir keine neuen Schulden machen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer sagt denn, dass die Regierung neue Schulden machen soll? Das ist doch Unsinn!) Damit erhalten wir uns die Spielräume und die Gestaltungsräume, um als Staat dort eingreifen zu können, wo Kinder Unterstützung brauchen, weil es die Eltern nicht mehr schaffen, in einer schwierigen Situation Verantwortung zu übernehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das heißt, wir schaffen Spielraum für Investitionen in Familie. Der Familienetat in der Größenordnung von 9,5 Milliarden Euro hat sich im Vergleich zu 2005 verdoppelt, während die Arbeitslosenquote halbiert wurde. Das ist ein Zeichen einer stabilen und guten Politik. Ich glaube, dass die Große Koalition in den letzten drei Jahren daran im Wesentlichen mitgewirkt hat; denn es ist natürlich unseren Arbeitnehmern, dem Mittelstand und den Unternehmen zu verdanken, dass die Wirtschaftsdaten gut und stabil sind. Aber auch die politischen Rahmenbedingungen wurden richtig gesetzt. Nun gucken wir uns einmal Ihren Antrag an. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Weinberg, lassen Sie auch Zwischenfragen zu? Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Von den Linken nicht, da Frau Zimmermann gerade geredet hat; tut mir leid. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: „Von den Linken nicht!“ Was soll das denn? Das ist nicht souverän!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Okay. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Der erste Punkt ist die Kindergrundsicherung, die in Ihrem Antrag gefordert wird. Diese halten wir für nicht zielführend, für nicht sinnvoll, und wir lehnen sie ab. Warum? Weil wir die Familie als Ganzes sehen. Die Lebenslage eines Kindes ist untrennbar mit der Lebenslage und der Einkommenssituation der Eltern verbunden. Nur wenn die finanzielle Situation der ganzen Familie stabil ist, ist auch die finanzielle Situation eines Kindes stabil. Das heißt, eine finanzielle Leistung nur für das Kind, wenn es den Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht, ist schlichtweg der falsche Weg. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie es nicht verstanden! Das ist das Problem!) Wer meint, dass sich mit der Einführung einer Kindergrundsicherung in dieser Form die Entwicklungschancen von Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abkoppeln lassen, der irrt. Wir als Große Koalition haben einiges gemacht. Man muss aber vernünftig sein und genau überlegen: Was kann man finanzieren? Was kann man wie machen? Ein sicherlich wichtiger Baustein, mit dem Kinder vor Armut in der Familie geschützt werden sollen, ist der Kinderzuschlag, eine unserer erfolgreichsten Maßnahmen. Zum 1. Juli 2016 wurde dieser Zuschlag um 20 Euro auf 160 Euro monatlich erhöht. Über 80 Prozent der Menschen sprechen von einer verbesserten Einkommenssituation. Sie haben in Ihrem Antrag das Thema Alleinerziehende richtig formuliert, das findet dort großen Widerhall. Aber auch dazu will ich – ich kann mich kurz fassen und nur etwas auflisten – einiges sagen. Viele Maßnahmen der Großen Koalition, gerade in den letzten Jahre, kommen den Alleinerziehenden zugute: der Ausbau der Kindertagesbetreuung, ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, die Erhöhung des Entlastungsbeitrags für Alleinerziehende um 600 Euro. All das sind gute Bausteine gewesen, um die Situation der Alleinerziehenden zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich greife einen anderen Punkt auf. Sie fordern in Ihrem Antrag den Aufbau einer sozialen Infrastruktur. Damit tun Sie so, als wenn es sie nicht gäbe. Wir stellen Ihrer Forderung nach einem Aufbau einer sozialen Infrastruktur den Ausbau der Betreuungsangebote entgegen. Ich frage einmal: Wer hat in den letzten Jahren für den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gesorgt? Wer hat dafür gesorgt, dass wir als Bund, obwohl diese Aufgabe gar nicht in unserer Verantwortung liegt, den Ländern 6 Milliarden Euro für den Ausbau der Kitaplätze zur Verfügung stellen? Wer stellt den Ländern mittlerweile jährlich 945 Millionen Euro zur Finanzierung der Betriebskosten der Kindertagesstätten bereit? All das hat der Bund gemacht, das haben wir in der Großen Koalition gemacht. Das heißt, wir haben deutlich Schwerpunkte gesetzt, auch mit einzelnen Programmen. Ich erinnere an das Programm „Sprach-Kitas“. Denn gerade die Frage der sozialen Herkunft, der Sozialstruktur und auch der Herkunft im Sinne von Migration ist ein wichtiges Thema. Insoweit haben wir mit Programmen wie den Sprach-Kitas oder dem „Haus der kleinen Forscher“ genau an diesen Stellen angesetzt, und das war richtig so. Ja, Bildung ist ein Schwerpunkt. Auch hier muss man deutlich konstatieren: Die Große Koalition hat den Haushalt für Bildung und Forschung insbesondere im Bereich Bildung noch einmal deutlich erhöht. Über 17,5 Milliarden Euro werden im nächsten Jahr investiert. Kommen wir zu Ihren Forderungen. Ich sprach vorhin vom Wolken-Hin-und-Herschieben. Man muss ernsthaft sein und auch die Finanzierung ernsthaft klären. Sie wollen das Kindergeld von jetzt 190 auf 328 Euro im Monat erhöhen. Wir wissen: 1 Euro mehr kostet ungefähr 180 Millionen Euro. Hochgerechnet sind das zwischen 20 Milliarden und 25 Milliarden Euro jährlich. Sie haben eine Gegenfinanzierung vorgeschlagen, die allerdings relativ bescheiden ist. Dazu schreiben Sie in Ihrem Antrag nur, dass die Freibeträge zur Gegenfinanzierung herangezogen werden sollen. Das kann man aber so nicht rechnen. Wir alle in diesem Haus beschweren uns über Populismus und darüber, dass wir in der Politik nicht mehr ernst genommen werden. Nein, wir werden nicht mehr ernst genommen, wenn wir Vorschläge machen, die nicht umzusetzen sind. Es gibt zwei Möglichkeiten. Sie werden, falls Sie regieren – der Wähler möge uns davor beschützen –, entweder Ihre eigenen Forderungen wieder abräumen müssen, oder Sie werden dieses Land in den Bankrott stürzen. Ernsthaft über Kinderarmut zu diskutieren, ist das eine. Aber Vorschläge zu machen, die zu finanzieren sind und die auch längerfristig und nachhaltig wirken, ist das andere, und da liegen Sie mit Ihrem Antrag komplett falsch. Wir als Union werden weiter über die Schnittstellenproblematik diskutieren. Dabei geht es um die Frage, wie wir die Leistungen effizienter und zielgenauer steuern können. Wir werden in den nächsten Jahren über verschiedene Themen sprechen müssen. Ein Stichwort ist die Arbeitszeit. Denn ich finde, dass man sich damit befassen muss, wie man das Recht der Eltern mit einem geringen Einkommen, die von Armut betroffen sind, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, umsetzen kann. Alle diese Themen werden wir als Große Koalition in den nächsten Monaten und als Union in den nächsten Jahren weiter auf die Agenda setzen. Trotzdem gilt der Grundsatz: Wir müssen die Eltern in die Lage versetzen, dass sie sich um ihre Kinder kümmern können. Der Staat unterstützt gerne, aber der Staat kann das nicht ersetzen. Ich glaube auch mit Blick auf die Zahlen, dass es in den letzten Jahren etwas besser geworden ist. Trotzdem bleibt es ein großer Auftrag für uns in der Politik, das Thema Kinderarmut auf die Agenda zu setzen. Wir werden das vehement tun, auch in den nächsten Monaten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Hein das Wort. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich würde Herrn Weinberg gerne eine Frage stellen. Denn auch unsere Rednerin hat darauf hingewiesen, dass die Kinderarmut eine Folge von Elternarmut ist. Sie haben in eine ähnliche Richtung argumentiert, und ich gebe zu, ich verstehe nicht, warum Sie allein die Tatsache, dass mehr Menschen in Arbeit gekommen sind – auch in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – als Erfolg werten und dabei völlig ausblenden, dass die Bedingungen, unter denen sie in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sind, so lausig sind, dass sie ihren Kindern kein ordentliches Weihnachten gönnen und ihnen keine oder nicht die Wünsche erfüllen können, die sie wie andere Altersgenossen haben, mit denen sie gemeinsam spielen. Sie werden dadurch zurückgesetzt, und das entmutigt. Wenn wir schon darüber reden, dass Eltern gestärkt werden müssen, dann müssen sie auch in ihrem Einkommen gestärkt werden, und dazu gehört eine ordentliche Lohnpolitik. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kurze Erwiderung, Herr Kollege Weinberg. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Kurze Erwiderung. – Gerne noch einmal: Wir hatten 2005 in diesem Land eine Situation, in der wir auch auf dem Arbeitsmarkt Veränderungen vornehmen mussten, damit die Menschen endlich wieder in Arbeit kommen. Erstens. Das haben wir geschafft. Zweitens darf ich daran erinnern, dass die Große Koalition lange diskutiert und einen Mindestlohn eingeführt hat. Jetzt fordern Sie, dass der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht wird. Demnächst werden es wahrscheinlich 15, 17 und 22 Euro werden. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das wird es auch alles geben! Das erleben Sie noch!) Wenn wir tatsächlich die wirtschaftliche Stabilität in diesem Land erhalten wollen, dann sollten wir endlich mit solchen utopischen Forderungen, die die Wirtschaft blockieren und den Mittelstand gefährden, aufhören. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt: Ja, wir als Staat müssen tatsächlich die Einkommenssituation der Eltern weiter im Blick behalten und dort, wo Kinder in Armut leben, Unterstützung leisten. Das ist unsere Aufgabe. Aber noch einmal: Die Reihung muss eine andere sein. Wenn Sie die Prioritäten nur auf das Ausschütten von Geld und finanzielle Leistungen setzen, dann ist das eine falsche Prioritätensetzung. Kinderarmut ist ein Thema, das Kultur, Bildung, Sozialpolitik und Familienpolitik betrifft. Genau diese Mischung muss bei der Bekämpfung der Kinderarmut Geltung haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In zwei aufeinanderfolgenden Sitzungswochen diskutieren wir über die Frage, wie wir Kinderarmut bekämpfen, wie wir gegen Kinderarmut gut vorgehen können: in der letzten Woche auf Initiative meiner Fraktion, in dieser Woche auf Initiative der Linken. Das ist sehr angemessen; denn Kinderarmut ist ein großes Problem in unserer Gesellschaft. Die Bekämpfung von Kinderarmut ist leider eine Leerstelle dieser Bundesregierung. Ich finde, dass sich das dringend ändern muss. Wir müssen Kinderarmut endlich konsequent beseitigen und Familien endlich gerecht unterstützen. Das hat nichts, lieber Herr Weinberg, mit der Alleinverantwortung des Staats zu tun. Das ist ein ideologischer Vorwurf; das ist wirklich Unsinn. Wir müssen diese Herausforderung jetzt konkret angehen. Ihre Rede hat sehr gut gezeigt, dass Sie sich vor den konkreten Problemen wegducken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Unser Land ist ein Land mit zwei Gesichtern. Die Kanzlerin wurde eben zitiert; das will ich auch tun. Sie hat gesagt: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor.“ Im Durchschnitt mag das auch stimmen. Aber auf einen erheblichen Teil der Menschen trifft das nicht zu. Rund ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind arm; diese Zahl wurde schon genannt. Was bedeutet das in einem reichen Land wie unserem? Das bedeutet für viele: ohne Frühstück in die Schule, keine Musikschule, kein Kino, von Urlaub ganz zu schweigen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Daran ist doch nicht die Regierung schuld!) Im Kern bedeutet das also, nicht teilhaben zu können an unserer Gesellschaft, an einem ganz normalen Leben. Man gehört nicht dazu. Das dürfen wir doch nicht akzeptieren. Die betroffenen Kinder wissen Bescheid. World Vision hat für seinen Kinderreport Sechs- bis Elfjährige befragt, die zum von Armut betroffenen Fünftel der Gesellschaft gehören. Sechs- und Siebenjährige in unserer Gesellschaft sagen über sich selber, dass sie nicht dazugehören und dass sie keine Chance für ihre Zukunft haben. Kinder haben ein sehr genaues Gespür dafür. Wir dürfen doch nicht akzeptieren – darin müssen wir uns alle einig sein –, dass Kinder in unserer Gesellschaft keine Chance auf Teilhabe haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir fragen uns derzeit besonders intensiv, was unsere Gesellschaft zusammenhält und was wir für den Zusammenhalt der Gesellschaft tun können. Wir fragen uns, was aktuell diese tiefen Gräben in unser Zusammenleben reißt. Es gibt natürlich keine einfache Antwort. Aber die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen, die keine Chance haben, dazuzugehören, ist vielleicht ein Teil der Antwort. Auch deshalb dürfen wir Kinderarmut auf keinen Fall akzeptieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn es darum geht, Armut entgegenzuwirken, sind Investitionen in Chancengleichheit, das heißt in Kitas und Schulen, und eine gute materielle Absicherung von Kindern und Familien zwei Seiten einer Medaille; das darf man auf keinen Fall gegeneinanderstellen. Mir ist es sehr wichtig, zu betonen: Wir brauchen gute Kitas, wir brauchen gute Schulen, und wir brauchen eine gute materielle Absicherung der Familien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grüne setzen uns schon lange für ein Kitaqualitätsgesetz ein. Wir setzen uns für mehr Ganztagsschulen ein. Das ist zwar wichtig, aber nur eine Seite der Medaille. Was die materielle Absicherung angeht: Es ist doch ein Skandal, dass das Existenzminimum vieler Kinder und Jugendlicher in Deutschland weiterhin nicht gedeckt ist. Kinder werden noch immer wie kleine Erwachsene mit entsprechend abgeleiteten Ansprüchen behandelt. Wir finden, dass das ein Ende haben muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt weitere Ungerechtigkeiten in unserer Familienförderung sozusagen am anderen Ende der Skala. Es kann doch nicht sein, dass Familien mit einem besonders hohen Einkommen durch Kinderfreibeträge mehr von der staatlichen Unterstützung profitieren als Familien mit kleinen oder normalen Einkommen. Das ist total ungerecht. Deshalb wollen wir eine Kindergrundsicherung, die sicherstellt, dass Kinderarmut wirksam bekämpft wird und das Matthäus-Prinzip unserer Familienförderung nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ tatsächlich beendet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Abschließend will ich noch ein paar Worte zum Unterhaltsvorschuss sagen; denn er steht in einem sehr engen Zusammenhang mit dem Thema Kinderarmut. Ich will ganz klar sagen: Wir teilen das Anliegen der Bundesregierung voll und ganz, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. Das ist überfällig und bringt eine wichtige und richtige Entlastung für Alleinerziehende. Aber ich will auch sagen: Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass ein vom Kabinett beschlossener Gesetzentwurf nicht ins Plenum eingebracht werden konnte, weil die Bundesländer Sturm laufen. Das tun sie tatsächlich durchaus zu Recht. Wie kann ein Kabinett einen Gesetzentwurf beschließen, wenn die Finanzierung der Leistung überhaupt nicht geklärt ist? Ich finde das unseriös und auch unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt erleben wir ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern. Das ist eine Politik auf dem Rücken der Alleinerziehenden. Ich finde, das ist wirklich bitter. Wir als Grüne wollen, dass das beendet wird. Wir brauchen eine Lösung für die Finanzierungsfrage. Die kann nicht darin bestehen, den Vorrang von Unterhaltsvorschuss und SGB-II-Leistungen einfach umzudrehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir als grüne Bundestagsfraktion haben in den Haushaltsberatungen deutlich gemacht, dass man die Mehrkosten gut im Bundeshaushalt darstellen kann. Unsere Aufforderung an die Bundesregierung ist, dem zu entsprechen und das nachzuvollziehen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Fritz Felgentreu. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den beiden umfangreichen Anträgen der Linken und der Grünen zum Thema Kinderarmut, die jetzt im Bundestag diskutiert werden, sind wir schon erkennbar im Wahlkampf angekommen. (Widerspruch bei der LINKEN) Unter anderen Umständen verzichtet auch die Opposition nicht auf den Anspruch, dass das ganze Haus ihre Anträge beschließen könnte. Aber bei Ihnen, liebe Frau Kollegin Zimmermann, soll der Bundestag jetzt einen Satz wie den folgenden beschließen – ich zitiere –: Die laufende Wahlperiode ist … eine verlorene Zeit für den Kampf gegen Kinderarmut … Das ist nicht nur sachlich völlig verfehlt – dazu komme ich gleich –, es zeigt eben auch, dass dieser Antrag vor allen Dingen Ihrer Kampagnenfähigkeit dienen soll, aber nicht der politischen Gestaltung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Ihr seid nicht regierungsfähig!) Wissen Sie, ich kann als Mitglied einer Koalitionsfraktion sogar ganz gut damit leben, dass Sie so etwas in einer Debatte vortragen – ein bisschen Juckpulver gehört schon dazu –, aber Sie können doch selbst nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die SPD-Fraktion einer solchen Formulierung auch noch ihre Zustimmung gibt. Nein, meine Damen und Herren, der Linken geht es hier nicht um Lösungen, sondern es geht darum, die Unterschiede zu betonen. Das ist auch legitim. Im Wahlkampf geht das gar nicht anders. Aber es muss hier im Deutschen Bundestag dann auch genau so diskutiert werden. Lassen Sie uns zunächst das Grundproblem betrachten. Schon das Wort „Kinderarmut“ beinhaltet einen Vorwurf. Wer Kinderarmut zulasse, so der unausgesprochene Hintergedanke, der versündige sich, der werde dem moralischen Anspruch an Politik nicht gerecht. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Richtig!) Ich finde: Schon hier ist Aufklärung notwendig. Wenn ich das Wort „Kinderarmut“ höre, dann steht vor meinem geistigen Auge – gerade jetzt in der Weihnachtszeit – so etwas wie Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern, das Mädchen aus Die Sterntaler oder die Kinder aus Zilles Mein Milljöh. Aber über diese Art von Kinderarmut sprechen wir hier nicht. Es ist ein großer Fortschritt, dass es diese Art von Kinderarmut in Deutschland nicht mehr gibt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Kinderarmut im Sinne des Linken-Antrags ist zunächst einmal auch eine statistische Größe. Arm sind im Sinne einer relativen Definition von Armut Menschen – also auch Kinder –, denen monatlich weniger als die Hälfte des Durchschnitts zur Verfügung steht. Mit so wenig Geld auskommen zu müssen, ist zwar nicht existenzbedrohend, aber es ist sehr schwer – gar keine Frage. Es ist auch überhaupt gar keine Frage, dass es Aufgabe der Politik ist, Kindern und Jugendlichen zur Seite zu stehen, damit sie die Armutszone wieder verlassen können. Aber so zu tun, als wären diese Kinder dem Staat und dieser Regierung gleichgültig, ist reine Stimmungsmache. Das geht an der Realität vorbei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Auch die Antwort der Linken geht an der Realität vorbei; denn Ihnen fällt zuallererst eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes ein. Dabei wissen Sie genauso gut wie ich, Frau Kollegin Zimmermann und auch Frau Kollegin Dörner, dass das Kindergeld allenfalls einen kleinen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten kann und dass es von allen staatlichen Instrumenten, um Kinder und Familien zu fördern, eines der am wenigsten wirksamen ist. Eine jahrzehntelange Politik, das Kindergeld auszubauen, mündet seit Jahren unverändert in der doppelten Kinderarmut: Wir sind ein Land, das arm an Kindern ist und in dem zugleich ein großer Anteil der Kinder, die da sind, unterhalb der Armutsgrenze lebt. Nein, meine Damen und Herren, dieses Denken setzt von vornherein auf das falsche Instrument. Das Kindergeld ist wirklich eine gute Sache. Es hilft vielen Familien, besser über die Runden zu kommen, aber es ist nicht geeignet, um gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren. (Beifall bei der SPD) Das einzige nachhaltige, das mit Abstand beste Mittel gegen die Armut von Kindern ist die Arbeit ihrer Eltern, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) also das Mittel, das Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnen. Es hat auch etwas mit Haltung zu tun, dass wir diesen Punkt immer wieder betonen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass die Menschen Arbeit haben, und zwar gute Arbeit, Arbeit, von deren Ertrag sie ihre Familien ernähren und ihre Kinder großziehen können. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 43 Millionen Menschen in Deutschland, die arbeiten, und wir haben trotzdem Kinderarmut!) – Stellen Sie doch eine Zwischenfrage; dann können wir das in Ruhe diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie mal einen Antrag, dann können wir diskutieren!) Deshalb hat unsere Regierung auch bei der Bekämpfung von Kinderarmut immer auf Instrumente gesetzt, die es Eltern leichter machen, durch Arbeit für ihre Familie zu sorgen. Wir haben das Elterngeld Plus eingeführt, das Teilzeitarbeit unterstützt. Wir haben den Kinderzuschlag erhöht, damit Familien nicht in Abhängigkeit vom Jobcenter geraten. Wir haben die steuerliche Entlastung Alleinerziehender um 50 Prozent erhöht. Wir werden den Unterhaltsvorschuss ausweiten, der viele Familien mit niedrigen Einkommen vor demselben Schicksal bewahrt. Damit auch die Kinder armer Leute bessere Chancen auf Bildung und Aufstieg durch Arbeit haben, setzen wir seit dem ersten Tag dieser Koalition ganz konsequent auf den Ausbau von Betreuung und Bildung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir haben milliardenschwere Investitionsprogramme für die Kinderbetreuung aufgelegt. Erst gestern haben wir ein weiteres Programm für 100 000 Kinder beschlossen, und dank diesem Kabinettsbeschluss werden auch die drei- bis sechsjährigen Kinder einbezogen. Wir haben 2 Milliarden Euro, die für das Betreuungsgeld vorgesehen waren, an die Länder umgeleitet, damit sie ihre Betreuungsangebote ausbauen können. Allein im Jahr 2017 wird der Bund eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden Euro für frühe Bildung ausgeben. Mit der verabredeten Grundgesetzänderung werden wir diesen Weg konsequent fortsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn in Zukunft wird auch der Bund zum Ausbau von Schule und Bildung beitragen können. Meine Damen und Herren, nur dieser Ansatz kann letztlich die Forderung umsetzen, dass uns jedes Kind gleich viel wert sein soll. Wir sind überzeugt davon – da unterscheiden wir uns im Ansatz von den Kollegen der Union –, dass wir Kinder und Familien in Deutschland am besten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen fördern, und zwar durch solche, die jedem Kind offenstehen, ganz unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern. Darauf kommt es an; in diese Richtung wollen wir gehen. Als Abgeordneter aus Berlin-Neukölln füge ich hinzu: Um den Kindern Chancen zu eröffnen, deren Elternhäuser es allein nicht schaffen, müssen wir gerade in den härtesten Kiezen, da, wo die meisten armen Kinder leben, damit anfangen. Das ist dann gelebte Solidarität mit den Kindern armer Leute (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und eine nachhaltige Politik, damit sich Armut eben nicht von Generation zu Generation vererbt, wie wir es teilweise erlebt haben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eckhard Pols ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Eckhard Pols (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gesellschaftliche Teilhabe, soziale Absicherung, Gesundheit und Bildung, das sind alles Rechte eines jeden Kindes, die sich unter anderem aus der UN-Kinderrechtskonvention ergeben. Vertragsstaaten und damit auch unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, sind verpflichtet, die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Verwirklichung dieser Rechte zu schaffen. Die soziale Absicherung in der Bundesrepublik Deutschland ist – das möchte ich meinen Ausführungen voranstellen – auf einem sehr hohen Niveau, und im weltweiten Vergleich stehen wir gerade dank unserer unionsgeführten Bundesregierung gut da. Natürlich gibt es auch bei uns noch Armutsgefährdung. Wir müssen alles tun, um diese zu bekämpfen. Dies schließt auch die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe explizit ein und beschränkt sich nicht, wie oft suggeriert, auf das zum Überleben Notwendige. Klar ist: Armutsgefährdung und Kinderarmut haben ihre Ursache zumeist in der Familienarmut. Kinder sind langfristig armutsgefährdet, wenn sie in einem von Armut gefährdeten Haushalt leben. Ursache hierfür ist logischerweise das Einkommen der Eltern. Eines der besten Programme gegen Kinderarmut ist die von der Bundesregierung getragene Wirtschaftspolitik, die Menschen in Arbeit bringt und Familienteilhabe in allen Bereichen ermöglicht. Sozialleistungstransfers schützen sowohl von Armut betroffene Familien als auch armutsgefährdete Familien. Die Instrumente des Sozialstaats werden ständig weiterentwickelt und aktuellen Gegebenheiten angepasst. Was den speziellen Schutz von Kindern angeht, betrifft dies Kinderregelsätze und das Bildungs- und Teilhabepaket. Im Blick behalten müssen wir immer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und besonders auch die Kinder von Alleinerziehenden. Oft erhalten Alleinerziehende den ihnen zustehenden Unterhalt nicht, da der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommt. Um dies zu kompensieren, gibt es den Unterhaltsvorschuss; wir haben das schon gehört. Er bietet durch eine vorübergehende Überbrückung eine unmittelbare Unterstützung für Alleinerziehende und ihre Kinder. Um dieses Instrument noch wirksamer werden zu lassen, steht für mich fest: Die Altersgrenze von zwölf Jahren muss abgeschafft werden, ebenso die maximale Bezugsdauer von 72 Monaten, die nicht sachgerecht ist. Klar ist aber auch: Die Rückholquote bei den säumigen Zahlern muss dringend erhöht werden. Insbesondere (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In Bremen!) in den Bundesländern, in denen Grüne und Linke in Regierungsverantwortung stehen, sehen wir hier noch einen eindeutigen Nachholbedarf. Die Ausgangsbedingungen von Armut wie fehlende Teilhabemöglichkeiten und Bildungschancen führen in einen Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist. Kinder, die in Armut oder Armutsgefährdung aufwachsen, bleiben aufgrund ihrer geringen Teilhabe- und Bildungschancen in ihrem späteren Leben oft selbst arm. Für Kinder ist die Armut oder Armutsgefährdung ihrer Eltern somit in doppelter Weise ein nicht tragbares Hemmnis. Armut hat – das ist nicht neu – negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und wirkt sich damit negativ auf die Lebensqualität und auch auf die Lebenserwartungen aus. Ich möchte aber eines klarstellen: Das von Ihnen suggerierte Wachsen der Armut findet so nicht statt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das!) Bezüglich der Armut in Deutschland ist aber auch klar: Die Zahl der Erwerbstätigen, die Arbeitslosengeld II beziehen, liegt heute etwa genauso hoch wie noch vor einem Jahr. Schauen wir zehn Jahre zurück – das hat der Kollege Weinberg auch schon gemacht –, so stellen wir fest, dass mehr Menschen Hartz IV erhielten als heute, nämlich 5,4 Millionen. Das widerspricht der vielfach verbreiteten Wahrnehmung, dass ein Teil der Bevölkerung abgehängt wird. Auch spricht es eindeutig gegen eine Ausweitung der sogenannten sozialen Kluft zwischen Arm und Reich. Auf der einen Seite stehen gleich einem Mantra wiederholte Äußerungen in den Talkshows, auf der anderen Seite haben wir verlässliche Zahlen des Statistischen Bundesamtes, nach denen die Gefahr, in Armut und soziale Ausgrenzung zu geraten, nicht zunimmt – im Gegenteil. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei den Kindern sagt das das Statistische Bundesamt! Bei den Kindern nimmt es zu!) Beachten wir doch bitte eine ganz simple Tatsache: Ein steigendes Normaleinkommen steigert zwangsläufig die Armutsgrenze. Es ist zu bedenken, dass dem vielfach angeführten Armutsbegriff der Statistiker der Vergleich mit dem Normaleinkommen zugrunde liegt. Gemessen werden also nicht die notwendige Entbehrung oder gar das Elend, sondern die Distanz zum Median, dem mittleren Einkommen der Bevölkerung. Steigt dieses mittlere Einkommen, so zieht auch die Grenze für das statistische Armutsrisiko nach. Dieses statistische Armutsrisiko ging in den vergangenen Jahren mal nach oben und mal nach unten. Ein klarer Trend lässt sich jedoch nicht erkennen. So ist dieses statistische Armutsrisiko 2015 zum Beispiel ebenso hoch oder so niedrig wie 2008. In Deutschland galt seit 2015 jeder als materiell armutsgefährdet, der als Single über weniger als 1033 Euro im Monat verfügte, was zum Beispiel für das Gros der Studierenden zutraf. Noch 2014 setzte die Armutsgefährdung erst bei weniger als 987 Euro ein. Nehmen wir als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren: Diese war 2015 per definitionem dann von Armut bedroht, wenn sie weniger als 2170 Euro monatlich zur Verfügung hatte. Wie wir bereits festgestellt haben, dürfte sich in diesem Jahr die Grenze der Armutsgefährdung wegen der deutlich gestiegenen Einkommen weiter erhöht haben. Arm im traditionellen Sinne waren 2015 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 4,4 Prozent der Bevölkerung. Damit sprechen wir über einen deutlich geringeren Wert als 2014, als es noch über 5 Prozent der Einwohner waren. Armut im traditionellen Sinn bemisst sich an der materiellen Entbehrung. Dies kann bedeuten, dass man die Wohnung nicht ausreichend heizen kann, Reparaturen von Alltagsgegenständen nicht möglich sind oder dass das Einkommen nicht ausreicht, um jährlich eine Woche in Urlaub zu fahren. In Deutschland ist vor allem die Situation von Kindern und Jugendlichen besser als im europäischen Schnitt. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: 3,4 Millionen Kinder!) Das hat eine aktuelle Auswertung der europäischen Statistikbehörde Eurostat ergeben. Diese gute Momentaufnahme ist für die Bundesregierung natürlich kein Grund, sich auszuruhen. Jedes armutsgefährdete Kind ist eines zu viel, und wir dürfen kein Kind zurücklassen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das tun Sie aber!) Ich möchte auf eine Passage Ihres Antrages eingehen, der übrigens in dieser Fassung etwas spät kam. Wenn Sie das, was dort steht, wirklich meinen und umsetzen wollen, dann kann ich nur sagen: Frohe Weihnachten! Sie zeigen beispielhaft unter den Punkten 5 a) und 5 i) Ihres Antrages, dass Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, jeglicher wirtschaftlicher Sachverstand fehlt. Diese Forderungen behindern und gefährden massiv den Mittelstand und somit Hunderttausende inhabergeführte Familienbetriebe im Handwerk und im Handel. Mit Ihren Forderungen erreichen Sie nicht mehr Beschäftigung und somit auch nicht mehr Wohlstand, sondern Sie sorgen für das Gegenteil: Die Gründerquote – der Wille, eine Firma zu gründen – geht zurück. Ein Nebeneffekt Ihrer Forderungen wäre, dass sich Unternehmer überlegen, überhaupt noch junge Frauen einzustellen. Das machen wir als Union nicht mit. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Dörner, noch ein Wort zu Ihrem Beispiel mit dem Schulbrot. Ich finde die Argumentation völlig daneben. Jeder Vater, jede Mutter kann morgens seinem Kind ein Schulbrot schmieren. Das hat mit Geld oder materiellen Dingen nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Es müssen die Eltern eben aufstehen und das Brot schmieren. Das mache ich auch, wenn ich zu Hause bin. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich doch einmal in der Realität um!) Dann schmiere ich meinen Kindern das Schulbrot und schneide den Apfel durch. Das können andere Eltern auch machen. Dieses Beispiel hier anzuführen, Frau Dörner, finde ich völlig daneben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie doch einmal in die Schulen! Gucken Sie sich die Kinder an!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Herr Felgentreu, liebe Kollegen Weinberg und Pols, ich schätze Sie sehr, aber das, was Sie hier abgeliefert haben, ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Wir diskutieren fast jede Woche über Kinderarmut. Wir können das bis zu den Bundestagswahlen auch so weiterführen. Vielleicht ändert sich dann etwas. Sie stellen sich hier aber immer wieder hin, um zu sagen: Seit 2005 ist die Arbeitslosigkeit halbiert worden, (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das stimmt!) es sind immer mehr Menschen in Beschäftigung. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Sie blenden Fakten aus!) Warum ist Kinderarmut in dieser Zeit nicht zurückgegangen, sondern angestiegen? Warum ist Kinderarmut in Familien so verfestigt, dass sie sich vererbt? Wenn in Regionen Ostdeutschlands und in vielen Regionen Westdeutschlands jeder Dritte für unter 10 Euro in der Stunde arbeitet, wenn es Regionen, ganze Kreise in Deutschland gibt, wo jeder Zweite zum Mindestlohn arbeitet: Dann wissen Sie ganz genau, dass der Abbau der Arbeitslosigkeit nicht reicht, um die materielle Armut in den Familien zu reduzieren. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das reicht nicht, sondern Sie müssen die Familien finanziell stärken, weil sie von ihrem Arbeitseinkommen nicht leben können, weil niedrige Löhne gezahlt werden. Ich will Ihnen deutlich sagen: Wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro jetzt großzügigerweise um 0,34 Cent steigt, dann können Sie Ihre Argumentation nicht mehr halten und sagen: Die Leute brauchen nur irgendeine Arbeit, dann geht die Kinderarmut schon zurück. – Sie geht eben nicht zurück, egal was seit 2005 passiert ist. Sie haben nichts konkret getan, um Kinderarmut zu reduzieren. Wenn Sie etwas getan hätten, dann müssten Sie aufgrund der Bilanz, dass sie heute genauso hoch ist wie 2005, zu der Erkenntnis kommen, dass Sie vollständig versagt haben. Das wäre die Konsequenz. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat bei der Bekämpfung von Kinderarmut aber nicht versagt. Die Wahrheit ist: Es hat Sie nicht interessiert. Deswegen haben Sie keine ernsthaften Maßnahmen unternommen, um sie zu reduzieren, weil es keinen Willen gegeben hat, Kinderarmut ernsthaft zu bekämpfen. Im Koalitionsvertrag wird sie mit keinem Satz erwähnt. An keiner einzigen Stelle steht: Wir wollen Kinderarmut bekämpfen. Dafür haben wir folgende Vorschläge: eins, zwei, drei. – Diese Vorschläge haben Sie nicht. Diese Vorschläge haben die Grünen und die Linken auf den Tisch gelegt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in unserem Antrag im Wesentlichen drei Säulen formuliert, wie wir Kinderarmut reduzieren wollen. Erstens. Wir wollen mehr Geld in die Familien geben. Wir wissen, dass die Arbeit, die die Familien jetzt haben – wir fordern auch höhere Mindestlöhne als Sie –, ihnen kein ausreichendes Einkommen verschafft. Wir wissen aber auch, dass eine Familie, die ein gutes durchschnittliches Einkommen hat, wenn das erste, zweite oder dritte Kind geboren wird, aufgrund der Kosten, die dann entstehen und die in dieser Gesellschaft so hoch sind, armutsgefährdet ist. Es ist ein völliger Unterschied, ob Sie ein Paar ohne Kinder haben, das vom Ehegattensplitting besonders profitiert, dem es wirtschaftlich gut geht, das nicht armutsgefährdet ist, oder ein Paar, das das dritte Kind bekommen hat. Dieses Paar ist dann armutsgefährdet, weil Sie zu wenig Geld in die Familien geben und weil Kosten durch Kinder häufig sehr hoch sind. Das heißt, das Kindergeld soll auf 328 Euro steigen – das ist keine Mondzahl –, (Beifall bei der LINKEN) statt 192 Euro für das erste und zweite Kind, die es ab 2017 gibt, was Sie beschlossen haben. 328 Euro entsprechen der steuerlichen Entlastung, die Spitzenverdiener aus dem Kinderfreibetrag erhalten. Ihnen ist nicht jedes Kind gleich viel wert. Denn es gibt Familien wie meine Familie, mit einem guten Einkommen und zwei Kindern, die vom Kinderfreibetrag in Höhe von 328 Euro pro Kind profitieren, und es gibt Durchschnittsverdienerfamilien – da reden wir noch nicht einmal von armen Familien –, die 192 Euro pro Kind bekommen. Diese Kinder sind Ihnen nicht gleich viel wert. Sie belasten insbesondere geringe und durchschnittliche Einkommen und entlasten Spitzenverdiener. Diese Ungerechtigkeit gehört beseitigt. (Beifall bei der LINKEN) Zum Unterhaltsvorschuss ist viel gesagt worden. Alle hier im Haus wollen inzwischen den Unterhaltsvorschuss ausweiten. Wir wissen, dass wir damit viele Menschen aus dem Hartz-IV-System herausbekommen können, dass sie dann Leistungen bekommen können, die deutlich unbürokratischer vergeben werden und deren Bezug nicht mit Sanktionen belegt werden kann. Aber dann tun Sie es endlich auch, und beenden Sie das Schwarzer-Peter-Spiel mit den Ländern! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn die Bundesregierung einen Vorschlag machen würde und sagen würde: „Wir übernehmen die Kosten der Ausweitung des Unterhaltsvorschusses“, dann würde es im Bundesrat kein Bundesland geben, das mit Nein stimmt. Das wissen Sie. Was Sie beim Unterhaltsvorschuss fabriziert haben, ist, kurz vor Weihnachten auf dem Rücken der Familien Politik zu machen, und das ist inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zweitens. Wir wollen Leistungen bündeln und Familienstellen einrichten. Da werden Sie jetzt wieder sagen: Das sind bürokratische Monstren. – Ich sage Ihnen: Es ist eine bürokratische Überforderung für Familien, dass sie erst zum Arbeitsamt gehen und Kindergeld beantragen müssen, dass sie dann zum Jobcenter gehen müssen, um die Aufstockungsleistungen zu beantragen, dass sie dann zum nächsten Amt, danach zur Kommune gehen müssen, um Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu beantragen. Nein, das wollen wir in einem Antrag, an einer Stelle bündeln, um es niedrigschwellig zu gestalten und es den Familien zu erleichtern, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen. Denn wir wissen, dass es heute viele Menschen gibt, die Leistungen nicht in Anspruch nehmen und auch deswegen arm sind. Diese Hürden wollen wir über die Einrichtung von Familienstellen in den Kommunen abbauen, bei denen die Menschen ihren Anspruch auf Leistungen unbürokratisch verwirklichen können. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Wir wollen den Ausbau der Kinder- und Jugendhilfe, und wir wollen auch den Ausbau von Teilhabeleistungen und infrastrukturellen Leistungen. Ob Bibliotheken, Schwimmbäder, Sporteinrichtungen, Musikschulen oder Freizeit- und Kultureinrichtungen – alle Kinder sollten die Möglichkeit haben, diese Einrichtungen zu besuchen und zu nutzen. Deswegen wollen wir den Zugang gebührenfrei, niedrigschwellig und barrierefrei gestalten, damit es zu keiner Diskriminierung der Kinder, die arme Eltern haben, in armen Familien leben und sich den Bibliotheksbesuch oder den Kinobesuch möglicherweise nicht leisten können, gegenüber den Kindern kommt, die in Familien mit gutem Einkommen leben. Wir wollen diese Kinder gleichstellen, damit die Armut für sie wenigstens nicht mehr spürbar ist. (Beifall bei der LINKEN) Also: Es reicht nicht, Kinderarmut zu beklagen, so wie Sie das in jeder Rede hier tun. Lassen Sie uns Kinderarmut endlich reduzieren! Damit können wir heute unmittelbar anfangen. Diesen Schritt sollten wir endlich tun, damit wir den Zynismus Ihrer Reden in Zukunft nicht mehr ertragen müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Gülistan Yüksel spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD) Gülistan Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sitzen alle hier, um Politik für die Gegenwart und Zukunft Deutschlands zu machen. Wir verfolgen dabei unterschiedliche Schwerpunkte und Ansichtsweisen. Wir diskutieren und streiten demokratisch, und das ist gut so. Es gibt allerdings auch Themen, bei denen wir deutlich größere Einigkeit zeigen, und auch das ist gut so – so etwa beim gemeinsamen Anliegen, Kinder und Familien aus Armut zu befreien. Wir haben hier einen sehr umfassenden Antrag mit vielen guten Wünschen vorliegen. Ich erkenne an, dass Sie auch mit dieser parlamentarischen Initiative eine richtige Debatte zur richtigen Zeit anstoßen. Kein Kind, keine Familie sollte in Deutschland arm sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Kindern geht es gut. Sie können Zeit im Kreise ihrer Familie verbringen, können ein breites Freizeitangebot genießen, leben gesund. Es gibt aber auch viele Kinder in Deutschland, denen es weniger gut geht, die in Armut leben und sich eben nicht so entwickeln können, wie es jedes Kind verdient. Und das, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht zulassen. Kinderarmut darf es in Deutschland nicht geben, und sie darf sich auf gar keinen Fall verfestigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir dürfen kein einziges Kind zurücklassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder, die in Armut leben, haben weniger Chancen in der Kita, der Schule und beim Berufseinstieg. Kinderarmut ist nicht nur eine Beeinträchtigung in der aktuellen Lebenslage, sondern beeinträchtigt auch das Entwicklungspotenzial für das ganze Leben. Deshalb müssen wir einerseits für beste Bildungsangebote von Anfang an sorgen, und andererseits müssen wir sicherstellen, dass die Eltern stark sind. Zentral dafür sind existenzsichernde Jobs, eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie passende Familienbildungsangebote. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlament haben viele wichtige Grundsteine dafür gelegt. Wir haben in die Qualität und in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert. Dabei möchte ich insbesondere Programme wie „KitaPlus“ und „Sprach-Kitas“ erwähnen. Kinder sollen dadurch bereits im frühen Alter beste Startbedingungen erhalten. Wir unterstützen auch finanziell: Ich möchte beispielhaft das Elterngeld, das Kindergeld und den Kindergeldzuschlag nennen, Geld, das direkt bei Familien und Kindern ankommt. Wichtig ist auch die Reform des Unterhaltsvorschusses, weil gerade Kinder in Alleinerziehenden-Haushalten oft von Armut betroffen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Kinderarmut sprechen, dann müssen wir auch auf die Ausbildungskosten eingehen. Für den sozialen Aufstieg von Familien und Kindern ist das ein sehr wichtiger Pfeiler. Wir haben daher mit der BAföG-Reform spürbare Leistungsverbesserungen geschaffen, und das für noch mehr Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende. Umso mehr finde ich es sehr schade und einen sozialen Rückschritt, wenn, wie aktuell in NRW, über die Wiedereinführung der Studiengebühren gesprochen wird; aber das nur am Rande. (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in unseren Kindern steckt nicht weniger als die Zukunft. Sie werden Pfleger, Facharbeiter, Erzieher, Lehrer oder Wissenschaftlerin, Künstlerin oder Ärztin. Ja, sie werden auch Politikerinnen und Politiker der Zukunft sein. Kurzum: Sie werden die Gesellschaft gestalten. In ihnen steckt das noch unentdeckte Potenzial unserer Gesellschaft, und wir müssen noch einiges gegen Armut tun, damit sich das Potenzial eines jeden Menschen entfalten kann. Der Antrag der Linken geht in die richtige Richtung. Schon in der letzten Sitzungswoche haben wir auf Antrag der Grünen über Armut gesprochen; auch dieser Antrag geht in die richtige Richtung. So wäre es sinnvoll, einen gemeinsamen Aktionsplan von Bund, Ländern und Kommunen gegen Armut aufzulegen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Sehr guter Vorschlag! Den nehmen wir auf!) Auch eine kinder- und familienfreundliche Arbeitswelt würde Armut entgegenwirken. Angesichts so mancher guter Ansätze, die wir heute von verschiedenen Rednern gehört haben, freue ich mich auf die weiteren Beratungen und lade Sie alle herzlich ein, uns auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit zu begleiten; denn Entscheidungen, die wir heute treffen, werden schon in wenigen Jahren Wirkung entfalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dafür sorgen, dass unsere Kinder in Vielfalt aufwachsen können. Lassen Sie uns das kommende Jahr gemeinsam zum Jahr für das Wohl von Familien und insbesondere von Kindern machen. Jetzt wünsche ich Ihnen allen schöne Festtage und einen guten Start in ein friedliches Jahr 2017. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Yüksel hat gerade gesagt: Wir dürfen kein Kind in Deutschland zurücklassen. – Das ist sehr richtig, aber wir lassen Kinder in Deutschland zurück, und das nicht nur in Einzelfällen, sondern in ganz vielen Fällen. Man muss es so deutlich sagen: Das ist ein Skandal. Wir müssen die Verringerung der Kinderarmut in Deutschland endlich als oberste Priorität unserer Arbeit benennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Werfen wir einen Blick auf die Zahlen. Fast 2 Millionen Kinder beziehen Hartz-IV-Leistungen, und diese Zahl ist weitgehend konstant, trotz guter ökonomischer Situation. Bei der aktuellen Regelsatzberechnung hat die Bundesregierung übrigens die Ausgaben für Weihnachtsbaum und Adventsschmuck herausgenommen. Auch durch so etwas lassen wir Kinder zurück. 2,5 Millionen Kinder in Deutschland leben unter der Armutsgrenze, wobei hier der gesamte Haushalt, also auch das Einkommen der Eltern, berücksichtigt werden muss. Die Aussagekraft dieser Zahl ist eben infrage gestellt worden, und sie ist als rein statistische Größe bezeichnet worden. Ich würde im Gegensatz dazu sogar noch weitergehen: Wenn man sich die Armutsgrenze genau betrachtet, sieht man, dass Kinderarmut unterschätzt wird. Für einen alleinstehenden Erwachsenen liegt die Armutsgrenze – das ist eben schon gesagt worden – bei 1 033 Euro, für ein Kind bei 310 Euro. Das sächliche Existenzminimum liegt in Deutschland ab dem 1. Januar 2017 bei 393 Euro. Armut von Kindern wird, wenn die EU-Definition von Armut herangezogen wird, unterschätzt. Wahrscheinlich – auch das muss man deutlich sagen – sind sogar mehr als die 2,5 Millionen Kinder von Armut betroffen. Kinderarmut ist in Deutschland ein Skandal, und so muss man das benennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Heute geht es vor allen Dingen um den Antrag der Linken. Wenn man den Antrag der Linken mit dem Antrag der Grünen, über den wir in der letzten Sitzungswoche debattiert haben, vergleicht, kann man die unterschiedlichen Ansätze von Linken und Grünen sehr gut erkennen. Die Linken nehmen das jetzige System der Familienförderung, nehmen einfach eine Schippe mit ganz viel Geld und schütten noch mehr Geld rein. Wir gucken uns das System genau an. In Deutschland wird ja viel Geld für Familienleistungen ausgegeben. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das erkennt ihr wenigstens an! Das ist ja schon mal was!) Wir gucken, wie man das Geld effektiver, sinnvoller, effizienter einsetzen kann, um Kinderarmut zu beseitigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei muss man in erster Linie das Ehegattensplitting in den Blick nehmen. Das taucht in dem Antrag der Linken interessanterweise überhaupt nicht auf. Wir geben viel Geld für das Ehegattensplitting aus. Damit werden einerseits Familien gefördert, andererseits aber auch viele Paare, die keine Kinder haben. Umgekehrt werden Familien, die eine Förderung nötig hätten, nicht gefördert, weil die Eltern nicht verheiratet sind oder weil es sich um Alleinerziehende handelt. Deswegen sagen wir als Grüne: Wir müssen umsteuern, von der Förderung der Ehe hin zur Förderung der Kinder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen fordern wir eine einheitliche, eine einkommensunabhängige Leistung, die endlich Schluss macht mit der Ungerechtigkeit – das hat meine Kollegin Katja Dörner auch schon angesprochen –, dass wir als Bundestagsabgeordnete mehr herausbekommen als ein Normalverdiener. Wir brauchen eine einheitliche Leistung, die mindestens so hoch ist wie die Steuerersparnis, die uns gewährt wird. Am besten wäre es, wenn sie so hoch wie der höchste Regelsatz für Kinder wäre. Das wäre eine Basis. Das verknüpfen wir, wie gesagt, mit der Reform des Ehegattensplittings. Wir wollen, dass neu verheiratete Paare diese Kindergrundsicherung erhalten und die Partner individuell besteuert werden, das Ehegattensplitting also nicht mehr zur Anwendung kommt. Paare, die bereits verheiratet sind und das Ehegattensplitting nutzen, sollten in das neue System wechseln können. Uns ist wichtig, dass mit dieser Reform Familien nicht schlechtergestellt werden, sondern möglichst alle Familien bessergestellt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt im Antrag der Linken, der mich erstaunt hat, betrifft die Reform des Kinderzuschlags. Der Kinderzuschlag ist ein unglaublich bürokratisches Monstrum. Er sorgt für sehr viel Bürokratie, und das Geld kommt nicht bei den Kindern an. Doch was sagen die Linken dazu? Die Linken wollen ihn massiv ausweiten. Der Kinderzuschlag soll bis zu 300 Euro betragen. Dadurch würde der bürokratische Aufwand noch sehr viel größer. Das würde massenhaft Geld kosten, aber das Geld würde nicht unbedingt bei den Kindern, die es am nötigsten brauchen, ankommen. Das ist nicht der Weg, den wir Grüne gehen wollen. Der Kinderzuschlag gehört grundlegend reformiert. Eigentlich gehört er in der Form, in der er jetzt besteht, abgeschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Er ist im Übrigen durch die Grünen mit eingeführt worden!) – Er ist von den Grünen mit eingeführt worden; das ist richtig. Die Grundidee ist ja eigentlich nicht schlecht; (Sönke Rix [SPD]: Aha!) aber so, wie er gemacht worden ist – das muss man im Nachhinein sagen –, funktioniert er nicht. (Sönke Rix [SPD]: Nicht alles gleich abschaffen, sondern verbessern!) Deswegen schlagen wir einen einkommensabhängigen Zuschlag für alle Kinder vor, damit das sächliche Existenzminimum für alle unbürokratisch garantiert wird. Wir wollen nicht den bürokratischen Kinderzuschlag, sondern entweder einen einkommensabhängigen Zuschlag zum Kindergeld oder – in dem neuen System – einen einkommensabhängigen Zuschlag zur Kindergrundsicherung. So können wir gewährleisten, dass die Leistungen dort ankommen, wo sie gebraucht werden. So kann endlich das Existenzminimum aller Kinder in Deutschland garantiert werden. Wenn der politische Wille dafür da wäre, könnten wir Kinderarmut drastisch reduzieren, vielleicht sogar beseitigen. Das muss doch Aufgabe für uns alle sein. Ich fordere insbesondere die SPD und die Union auf, endlich etwas dafür zu tun. Vorschläge von den Linken und von uns liegen vor. Die Vorschläge der Linken sehen wir als teilweise problematisch an; aber von Ihnen kommt überhaupt nichts. Die Bekämpfung der Kinderarmut sollte oberste Priorität haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können das, und wir sollten das endlich tun. Keine Ausreden mehr! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Dr. Silke Launert spricht jetzt für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Viele von Ihnen sind Eltern und sind wahrscheinlich wie ich seit einiger Zeit damit beschäftigt, den Weihnachtswunschzettel ihrer Kinder abzuarbeiten. Das machen wir gerne; denn wir wollen unseren Kindern nächste Woche an Heiligabend mit kleinen und größeren Geschenken eine Freude machen. Sie sollen strahlen, wenn sie den Puppenwagen, den Kaufladen oder vielleicht ein paar neue Skier auspacken. Doch was ist, wenn das Geld dafür nicht reicht, wenn nicht genug da ist, um ein etwas größeres Geschenk zu kaufen? Natürlich hat mancher nicht so viel Geld zur Verfügung, aber ein kleines Geschenk ist immer möglich. Diese Sozialsicherung haben wir. Es ist schon schwer – ich stelle mir dieses Gefühl als Mutter vor –, wenn man die Wünsche der Kinder nicht erfüllen kann und man weiß, dass die Freunde der Kinder sie erfüllt bekommen. Tatsächlich gibt es diese Fälle. Daher muss man sich diese auch anschauen. Das ist völlig richtig. Dabei ist die Frage nach dem Weihnachtsgeschenk sicherlich nicht das größte Problem. Jahr für Jahr kommen neue Statistiken heraus, die belegen, wie viele Kinder in Deutschland arm sind oder von Armut bedroht sind, wobei über die Details diskutiert und gestritten werden kann. Mal sind es ein paar Prozent mehr, mal ein paar Prozent weniger. Auch regional gesehen gibt es große Unterschiede. In Bayern gibt es übrigens bundesweit gesehen am wenigsten Kinder, die armutsgefährdet sind oder in Armut leben. In Bremerhaven gibt es die meisten. Zuletzt hat die Bertelsmann-Stiftung neue Zahlen geliefert. Demnach sind deutschlandweit fast 2 Millionen Kinder auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Das größte Armutsrisiko – wir haben es heute schon mehrfach gehört – haben den Daten zufolge Kinder von Alleinerziehenden und Kinder aus Familien mit mehr als zwei Kindern. Das hat allerdings nichts mit der Familie als solcher zu tun, sondern mit dem ökonomischen Hintergrund dieser Familien. Die Folgen von Kinderarmut wurden heute schon mehrfach angesprochen: Sie sind bitter und ziehen sich durch das ganze Leben. Kinder aus armen Verhältnissen haben in der Regel schlechtere Bildungschancen, was sich auf ihr späteres Erwerbsleben auswirkt. Man kann also sagen, dass Armut sozusagen vererbt wird. Auswirkungen hat die Armut auch auf die Gesundheit. Man glaubt nicht, was der Zustand der Zähne, das Ernährungsverhalten, mögliche Schlafstörungen oder auch die Körperhaltung von Kindern über ihr Leben alles preisgeben können. Schließlich ist es auch so, dass Kinder aus armen Familien häufiger an psychischen Krankheiten leiden. Auch der Sport kommt bei ihnen häufig zu kurz. Nachweislich sitzen Kinder aus sozial schwachen Familien häufiger vor dem Computer oder Fernseher. Ich möchte trotzdem etwas anmerken. Mehrfach wurde hier gesagt, dass Kinder kein Frühstück bekommen oder kein warmes Essen. Tatsache ist, dass das Geld für das Frühstück, für Brot und Butter, in den Sätzen enthalten ist. (Zurufe von der LINKEN) Ich selbst bin nicht in finanziell starken Verhältnissen groß geworden, aber meine Mutter hat immer dafür gesorgt, dass wir all das, was wirklich wichtig ist – dazu gehört auch Zeit mit den Kindern –, hatten. Es hat uns an nichts gefehlt. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist mit Käse?) – Auch einen Käse von Aldi kann man sich noch leisten; glauben Sie mir. Man braucht ihn auch nicht jeden Tag auf dem Frühstücksbrot. Fakt ist: Wie gesund Kinder in Deutschland leben, hängt auch von den finanziellen Verhältnissen der Eltern ab. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach!) Deshalb ist das Anliegen richtig. Wir müssen es aufgreifen und etwas tun. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Machen Sie mal!) Ich weiß, dass wir gerade in der aktuellen Situation besonders Flüchtlingskinder vor Augen haben – sie brauchen natürlich unsere Hilfe –, aber wir dürfen darüber nicht diejenigen Kinder vergessen, deren soziale Situation nicht gleich so offensichtlich ist. Armut ist oft unsichtbar. Wer will schon offen zeigen, dass er mittellos ist? Lieber wird am Ende des Monats vielleicht das Geld für das Frühstück im Hort vergessen, oder ein Ausflug wird nicht mitgemacht, weil man zufällig keine Zeit hat. Niemand will zugeben, dass er sich das, was für viele selbstverständlich ist, nicht leisten kann. Wir alle tragen gemeinsam die Verantwortung für unsere Kinder; denn sie sind unsere Zukunft. Insofern stimme ich mit Ihnen überein. Wir alle müssen investieren und schauen, wie wir es schaffen, Chancengleichheit – und nicht materielle Gleichheit – zu schaffen. In der laufenden Wahlperiode haben wir einiges getan – das wurde schon dargelegt –: Der Familienetat für 2017 wurde auf 9,2 Milliarden Euro aufgestockt, so viel wie noch nie zuvor. Es gab eine Erhöhung des Kinderzuschlages. Wir haben bei Alleinerziehenden den Entlastungsbetrag um 600 Euro erhöht, und jetzt gehen wir den Unterhaltsvorschuss an. Ich freue mich sehr, dass wir hier einig sind, und ich bedauere es ebenso wie Sie, dass Frau Schwesig dies leider durchgeboxt hat, ohne vorher die Finanzierung sicherzustellen und die Länder und die Kommunen mit ins Boot zu holen. (Sönke Rix [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Jetzt werden wir es sicherlich noch hinbekommen. Geben Sie uns halt noch die paar Monate Zeit. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Ihr Ministerpräsident hat zugestimmt!) Das ist doch ein Kampf um nichts. (Sönke Rix [SPD]: Herr Seehofer ist wahrscheinlich mit der Pistole bedroht worden, oder was?) Damit werden wir jetzt ungefähr 100 000 Kindern zusätzlich helfen, und es wird auch Kinder aus der Armut bringen. Wichtig ist die gute Infrastruktur; auch das wurde schon angesprochen. Aber jetzt lassen Sie mich trotzdem etwas zu diesem Antrag sagen: Die Intention ist richtig, die Mittel sind falsch. Die Grünen haben es erkannt. Der Fehler besteht darin, einfach ganz viel Geld reinzukippen und reinzukippen. Letztlich ist es, wenn man sich das Ganze durchliest, eine Zusammenfassung aller Forderungen der Linken, also: nicht nur Verdoppelung des Kindergeldes und Erhöhung des Kinderzuschlags, sondern auch kostenfreie Kinderbetreuung, kostenfreie Hobbys, Zugang zu allem, ein Rundum-sorglos-Paket bei der Beantragung aller sozialen Leistungen, Sicherstellen, dass auch ja niemand irgendeine Leistung des Staates verschenkt, Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, (Beifall bei der LINKEN) gebührenfreier Zugang zum öffentlichen Nahverkehr, sanktionsfreies Hartz-IV-System, (Beifall bei der LINKEN) Erhöhung der Hartz-IV-Beträge, Anspruch auf Ausbildung, Verpflichtung aller Unternehmen, Leute auszubilden, (Beifall bei der LINKEN) Erhöhung des BAföG; Punkt, Punkt, Punkt. Es handelt sich hier um ein Wunschpaket der Linken nach dem Motto „Wünsch dir was“. Sie haben natürlich keine Angaben dazu gemacht, was es kostet, keine Angaben zur Gegenfinanzierung. Ich weiß es nicht: Sind es 100 Milliarden, die Sie hier wollen, wenn man alles durchrechnet? Sie haben ja keine einzige Zahl genannt. Vorhin haben wir bei einem Kollegen allein beim Kindergeld die Hochrechnung von 20 Milliarden Euro gehört. Entweder gilt „Wünsch dir was“, oder das Motto ist: Wir drucken einfach mal, wir lassen einfach mal die Gelddruckpresse loslaufen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Geht mal an die Reichen ran!) Diesen Wunschzettel wird das Christkind zu Weihnachten nicht erfüllen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die SPD. (Beifall bei der SPD) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Artikel zum Thema frühe Hilfen; er ist mit „Die drei K’s“ überschrieben. Es geht jetzt ganz bestimmt nicht um Kinder, Küche, Kirche; vielmehr heißt der ganze Titel „Die drei K’s: Kinderarmut – Kinderschutz – Kommunen“. Wenn es um Kinderarmut geht, bleiben zwangsläufig Diskussionen zu Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von monetären Leistungen nicht aus. Geld ist wichtig, um die Existenz zu sichern, keine Frage. Aber was ich für mindestens ebenso wichtig halte, ist die soziale Infrastruktur; denn sie ist die zentrale Grundlage. Sie kann Chancen und damit auch Wege aus der Armut eröffnen. Sie kann Chancen aber auch verwehren, nämlich dann, wenn sie fehlt oder zu wenig zielgerichtet ist. Die maßgebliche Infrastruktur, wenn Kinder, Jugendliche und ihre Familien im Fokus stehen, ist für mich die Kinder- und Jugendhilfe, auch wenn die Kinder- und Jugendhilfe in Ihrem Antrag vielleicht nicht ganz so präsent ist wie Ihre Vorschläge zu konkreten Geldleistungen oder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Müssen Sie mal lesen! Das steht alles drin!) Mir ist es in dieser Debatte aber wichtig, auch noch einmal ganz genau auf die Kinder und Jugendlichen selbst zu schauen, für die Sie hier einen sehr umfangreichen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung vorschlagen. Bei der Kinder- und Jugendhilfe scheinen Sie vor allem in Sonderprogrammen absolute Allheilmittel zu sehen. Das klingt für mich aber zu sehr nach der berühmt-berüchtigten Gießkanne. Wir alle wissen, dass Armut in der Kindheit ein großes Entwicklungsrisiko darstellt. Armut kann sich verfestigen und damit den Lebenslauf nachhaltig prägen. Armut kann sich damit auch vererben. Umso wichtiger ist es, präventive Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe weiter auszubauen – da gebe ich Ihnen recht –, aber eben zielgerichtet. Das wiederum geht nun einmal nur im engen Schulterschluss mit den Kommunen; denn die Kommunen sind es, die die Kinder- und Jugendhilfe verantworten. Diese wichtige, weil zentrale, Rolle der Kommunen kommt mir in Ihrem Antrag zu kurz. Deshalb noch einmal zurück zu „Kinderarmut – Kinderschutz – Kommunen“: Armut hat viele Gesichter, enttäuschte, traurige, zornige, weinende; denn zur materiellen Armut gesellen sich in vielen Fällen Bildungsferne, ein Mangel an Teilhabemöglichkeiten, beispielsweise in Sportvereinen oder im Musikunterricht, und leider oft auch gesundheitliche Probleme. Dass das alles vom Geldbeutel der Eltern abhängt, ist ungerecht; ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Genau hier müssen wir handeln; das ist keine Frage. Armut existiert aber nicht im luftleeren Raum, sondern innerhalb von Wohnquartieren und Stadtvierteln – mal deutlicher, mal weniger offensichtlich. Deshalb brauchen wir auch ressortübergreifende Ansätze. Ein gutes Beispiel ist das Bundesprogramm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“, das die SPD-Ministerinnen Manuela Schwesig und Barbara Hendricks in dieser Legislaturperiode gemeinsam neu auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der SPD) In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, führen Sie zu Recht diejenigen an, die von den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe nicht erreicht werden. Genau hier setzt „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ an: in der direkten Wohn- und Lebenswelt der Kinder und ihrer Familien. Dass wir das überaus erfolgreiche Städtebauprogramm „Soziale Stadt“ mit niedrigschwelligen sozialpädagogischen und gezielten Förderangeboten für junge Menschen hiermit zusammengeführt haben, halte ich für ganz zentral und wegweisend. In diesem Modellprojekt sind die Kommunen nicht nur mit im Boot, sondern sie, die Experten vor Ort, bestimmen auch, welche Angebote am besten zu den Gegebenheiten der jungen Menschen dort passen. Es gibt auch andere Beispiele. In meiner Heimatstadt Augsburg gibt es den Verein „Kinderchancen“. Hier richtet sich die Förderung zunächst, im ersten Schritt, ganz gezielt an den Bedürfnissen der Kinder aus. Natürlich gibt es auch Unterstützung für die Eltern, beispielsweise wenn es um komplizierte Anträge geht; aber im Mittelpunkt steht das Kind. So ermöglichen wir Sport- oder Musikunterricht, organisieren Nachhilfe oder auch Sprachförderung, und das alles so unbürokratisch wie möglich und mit der Unterstützung eines breiten Netzwerks vor Ort. Dazu gehören Ämter, Kitas, Schulen, Ehrenamtliche, Sozialpartner usw. Unser Ansatz ist die Hilfe zur Selbsthilfe; denn das Ziel dieses Projekts besteht nicht nur darin, große und kleine Steine, die die gesellschaftliche Teilhabe behindern, aus dem Weg zu räumen – das kann zum Beispiel das erste Paar Sportschuhe sein –, sondern uns geht es auch darum, Kinder und Familien eine bestimmte Zeit zu begleiten, um sie im Hinblick auf ihre individuellen Fähigkeiten zu stärken, damit dieses Wissen um die eigenen Stärken zum Fundament eines selbstbestimmten Lebenswegs wird. Auch das ist Armutsprävention. (Beifall bei der SPD) Natürlich sind hier auch SGB-VIII-Leistungen wie die aufsuchenden Angebote Früher Hilfen, Erziehungsberatung, Familienberatung und Jugendsozialarbeit ganz wichtige, wesentliche Elemente. Alle, die in der Kinder- und Jugendhilfe engagiert sind, wissen: Jeder Euro zählt. Umso wichtiger ist es, dass wir zielgerichtete Hilfsangebote schaffen und sie weiterentwickeln. Das funktioniert nicht starr mit Weisungen von oben nach unten, sondern nur gemeinsam mit den Kommunen und den Akteuren vor Ort. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Martin Patzelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Martin Patzelt (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste in unserem Haus! Über die Relativität des Armutsbegriffes möchte ich mich nicht mehr äußern; das haben meine Vorredner zur Genüge getan. (Zuruf von der LINKEN: Aber nicht gut!) – Das ist Ihre Meinung. – Ich möchte auch nicht über die Armut an sich reden. Ich will aber bei all dem, was ich Ihnen jetzt sagen werde, betonen: Natürlich bin ich davon überzeugt, dass ein Minimum an materieller Ausstattung nötig ist, um ein menschenwürdiges Leben zu führen – genau darüber entscheidet in Deutschland aber nicht nur der Bundestag, sondern auch das oberste Gericht –, und dieses Geld reicht nicht. Wenn Eltern im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten, der Angebote, die ihnen gemacht werden, und vor allen Dingen der Kompetenz, die sie haben, zusätzliche Hilfsangebote suchen und nutzen – ein Beispiel ist die Tafel –, dann geschieht das, weil sie die Grundleistungen, die sie bekommen, um leben zu können und das Frühstücksbrot für ihre Kinder finanzieren zu können, optimieren. Und wenn sie in Secondhandläden einkaufen – auch einmal ein Paar teure Skier und Markenklamotten –, dann tun sie das, weil sie ihr – zugegebenermaßen niedriges – Einkommen optimieren wollen. Daraus zu schließen, dass sie in lebensbedrohlicher Not sind, ist einfach falsch, sondern ihnen gelingt es, zu optimieren. Wissen Sie, wenn ich am Wochenende mal einkaufen gehe und an der Kasse im Supermarkt stehe und sehe, was mir bekannte Menschen – ich war einmal Bürgermeister der Stadt; man kennt sich – in ihren Einkaufskörben haben, dann überkommt mich bitter, dass sie das wenige Geld, das sie haben, für Artikel ausgeben, die nicht nachhaltig sind, die bald kaputt sind und ihren Kindern nicht lange Freude machen werden. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Finden Sie das nicht zynisch?) Was will ich damit sagen? Ich will sagen, dass wir nicht nur eine Armut an materieller Ausstattung unserer Familien haben. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Unglaublich!) Die haben wir; das ist unbestritten. Ich will nicht missverstanden werden. Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, was die Regierungskoalition und auch die CDU/CSU in den vergangenen Jahren, auch in den Jahren vor dieser Koalition, an wirklich entscheidenden und nachhaltigen finanziellen Förderungen auf den Weg gebracht haben. Finanzielle Förderung scheint immer das Einzige zu sein, was wir anzubieten haben, wenn es um Nöte in der Gesellschaft geht. Lassen Sie mich auf eine Armut hinweisen, die Kinder auch haben. Das ist die Armut an Selbstbewusstsein. Von Ihnen wird dann immer gleich gesagt: Ja, wenn sie mehr hätten, ein neues Handy oder eine bessere Schultasche und bessere Kleidung, dann wäre ihr Selbstbewusstsein sofort aufgewertet. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist doch eine Spirale. (Zuruf der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In dem Moment, in dem sie das Neueste haben, haben die anderen schon wieder etwas Neueres. Das ist eine Spirale, die in die Irre führt, weil unsere Kinder diesem Trend – diesem Trend, dem wir alle mehr oder weniger folgen – immer nachlaufen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht um das Glück von Kindern. Es geht nicht darum, immer mehr zu haben. Die Armutsgrenze wird sich doch ständig verändern. Warum haben wir wieder mehr Armut nach der Statistik? Weil das allgemeine Einkommen gestiegen ist. Immer wenn das allgemeine Einkommen steigt, wird natürlich sofort die Zahl der Armen größer, weil wir nicht schnell genug nachkommen, die entsprechenden Anpassungen der unterschiedlichen Leistungen im Parlament vorzunehmen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt so nicht!) Dieser Zusammenhang ist von meinen Vorrednern deutlich gemacht worden. Ich möchte den Kindern, für die ich auch als Mitglied des Familienausschusses Verantwortung habe – es sind die Kinder unseres Landes –, helfen, dass sie einen sicheren Selbststand haben, einen Selbststand, der nicht nur davon abhängt, welche materielle Ausstattung sie haben. Sie sollen Wissen erwerben können, sich kulturell engagieren können, konfliktfähig sein. Ich habe in den letzten Tagen in der Presse wieder gelesen, was auf unseren Schulhöfen los ist, dass immer mehr Sozialarbeiter und Psychologen eingestellt werden müssen, weil die Kinder in einer Weise miteinander umgehen, dass die Lehrer es nicht mehr schaffen, die Konflikte zu regeln. (Zuruf von der LINKEN: Warum ist das denn so?) Es geht um die Kompetenzen der Kinder, ihre Ausstattung mit Empathie, die Erfahrungen, die sie in ihrem Leben machen, und ihre Lebensräume. Wie machen wir denn Urlaub? Wir packen sie in die Kiste und fahren Hunderte von Kilometern mit ihnen an einen Urlaubsort, statt den Nahraum um unseren Wohnort, unser Land zu erkunden. Ich kenne viele Kinder, die nicht einmal ihre nähere Heimat kennen. Wir glauben, wir müssen ihnen immer mehr und mehr geben, statt die Welt, in der sie leben, mit den Mitteln, die wir haben, auszugestalten. Ich sage das aus eigener Erfahrung. Ich habe mit Kollegen im Vorgriff auf diese Debatte gesprochen. Ein Kollege sagte mir gestern: Ich war zwar arm; aber ich konnte mich wenigstens ausschlafen. – Ich komme jeden Tag mit der U-Bahn und sehe, wie die Mütter die Kinderwagen in die U- und S-Bahnen zwängen. Sie haben kaum Platz, auch wegen der vielen Fahrräder, und es ist kalt und nass. Dann denke ich: Ein reiches Land; aber die Kinder können nicht einmal ausschlafen. – Und wenn sich Frauen in dieser sensiblen Phase des Lebens entscheiden, die Infrastrukturangebote noch nicht wahrzunehmen und zu Hause zu bleiben, und die Fraktion von CDU/CSU sagt, diesen Frauen ein Betreuungsgeld zu zahlen, damit wir ihnen eine Anerkennung für diese gesellschaftliche Leistung geben, dann wird das ideologisch verfemt, dann ist das eine Herdprämie. (Zuruf von der LINKEN) – Ich sage das nicht aus parteipolitischen Gründen. Ich sage das, weil ich ernste Sorge habe, wenn wir weiter so mit unseren Kindern umgehen, wenn wir sie in einer sensiblen Phase hemmungslos der öffentlichen Erziehung ausliefern, wenn wir sie nicht mehr ausstatten mit der Nähe von Eltern, die ihnen Märchen vorlesen, die noch nicht kaputt sind vom Karrierekampf und vom Kampf um noch mehr Geld, das sie verdienen können für ihre persönliche Entwicklung. Das alles ist wichtig und richtig; verstehen Sie mich nicht falsch. Aber wer sich für Kinder entscheidet, der muss wissen, dass diese Kinder die Eltern brauchen, dass sie Zeit mit ihnen brauchen, Empathie, Zuwendung und Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe mich einmal damit beschäftigt, welche Jugendlichen eigentlich in rechten und linken extremistischen Gruppen landen. Zum großen Teil sind das heimatlose junge Menschen, die eine Ersatzfamilie suchen und in dieser strengen und für uns alle fast unerträglichen wertbildenden Gruppe dann ein Stück weit ein Ersatzzuhause finden. Warum ist das so? Weil sie dieses Zuhause in ihrer Kindheit nicht erleben konnten, weil wir außenorientiert sind und sagen: Wir müssen mehr Knete machen! Wir müssen Karriere machen! – Wer sich für Kinder entscheidet, der sollte einberechnen, dass das für bestimmte Zeiten ein Stückchen Karriere kosten kann. Wir haben in unserem Parlament, in der Regierung und in der Wirtschaft viele Kinderreiche. Die Managerin der Berliner Verkehrsbetriebe hat, glaube ich, sieben Kinder. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Patzelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sabine Zimmermann? Martin Patzelt (CDU/CSU): Nein, danke. Ich möchte in meinen Gedanken jetzt nicht unterbrochen werden. – Es gibt genug Beispiele von Frauen, die sogar überdurchschnittlich viele Kinder hatten, bei ihren Kindern geblieben sind und sie mit hoher Kompetenz ins Leben geführt haben. Denken Sie doch selber daran: Wir Älteren kommen nicht alle aus vermögenden Haushalten. Ich komme aus einer armen Familie und verschiedene Kolleginnen und Kollegen auch, wie sie mir gesagt haben – Marcus Weinberg gerade eben. Wenn es wirklich so wäre, dass alles am Geld liegt, dann wären wir nicht hier gelandet. Viele aus armen Verhältnissen wären dann nicht in der Wissenschaft, der Kultur oder der Kunst gelandet. Ich möchte nur eines anmahnen, nämlich dass wir miteinander den Blick weiten und sagen: Es liegt nicht alles am Geld. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden mit Geld nicht alles erreichen, was wir brauchen, damit diese Gesellschaft Zukunft und Bestand hat. Ich bin ganz nah bei einigen Vorschlägen, die Sie in Ihrer Vorlage gemacht haben, vor allen Dingen auch bei den strukturellen Vorschlägen der Grünen. Ja, wir brauchen eine gute Infrastruktur. Ich weiß, ich bin ein bisschen weg vom Fenster; aber ich würde sogar eine Schuluniform fordern. In meinem Wahlkreis gibt es ein Spitzengymnasium. Dort haben sich die Eltern für eine Schuluniform entschieden. Warum? Weil sie die Stigmatisierung der Kinder untereinander, die auf dem Schulhof „Assi, Assi!“ schreien, vermeiden wollten. Wenn wir in diese Strukturen investieren, für Lehrbuchfreiheit sorgen und bestimmte Ausstattungsgrade für die Schulen fordern wollen, weil wir hier in einer Gemeinschaft lernen und leben, dann haben wir ein weites Feld der Gestaltung vor uns. Darauf freue ich mich. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Debatte spricht der Kollege Sönke Rix für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sönke Rix (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal: Ich habe gerade das Wort „Karrierekampf“ gehört. Natürlich gibt es in manchen Familien auch Väter oder Mütter, denen die Karriere das Wichtigste ist; aber bei den Allermeisten ist dieser sogenannte Karrierekampf der Kampf ums Überleben, sage ich einmal etwas überspitzt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist der Kampf, um die finanzielle Versorgung der Familie zu sichern. Um heutzutage die Familie vernünftig ausstatten zu können, muss man teilweise mehreren Jobs nachgehen und müssen Vater und Mutter arbeiten. Es geht hier also nicht in erster Linie um einen Karrierekampf, sondern darum, dass die Menschen arbeiten müssen. Daneben geht es auch darum, dass sie arbeiten wollen. Wir können nicht wollen, dass jemand, der seiner Arbeit nachgehen möchte, während er Familie hat, seine Familie vernachlässigen muss. Das ist auf keinen Fall so. Familie und Beruf müssen miteinander vereinbar sein, und das sollte Ziel unserer Politik sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bringe morgens meinen Sohn zur Grundschule. Dort gibt es neuerdings ein Müsli-Buffet, damit sich die Kinder, die von zu Hause kein Frühstücksbrot mitbekommen oder mitbekommen können, morgens erst einmal mit einem Müsli versorgen können. Ich danke in erster Linie denjenigen, die dieses Problem erkannt haben und sich vor Ort darum kümmern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihnen gilt unser Dank. Leider ist es notwendig, dass es so etwas gibt. Es ist wichtig, die Zivilgesellschaft zu stärken, um auch präventiv gegen die Kinderarmut vorzugehen. Es wurden in der Debatte schon mehrere Gründe für Kinderarmut genannt; wir streiten darüber, ab wann Kinderarmut vorliegt und was das Wichtigste zur Bekämpfung von Kinderarmut ist. Ich glaube aber, wir sollten das nicht gegeneinander ausspielen: Die Situation der Eltern, die berufstätig sind, ist von Bedeutung. Arbeit ist mit der wichtigste Faktor, wenn es darum geht, dass die Familien Geld haben und für ihren Unterhalt sorgen können. Deshalb ist es auch wichtig, dass Arbeit gut bezahlt wird. Es waren wir in der Großen Koalition, die den Mindestlohn eingeführt haben, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und den Niedriglohnsektor!) und es waren wir diejenigen, die die Tarifbindung gestärkt haben. Das dient besseren Löhnen, besserer Bezahlung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch die Regulierung von prekären Arbeitsverhältnissen haben wir uns auf die Fahne geschrieben. Nicht umsonst haben wir bei Werkverträgen und Zeitarbeit eine stärkere Regulierung beschlossen. Auch das dient dazu, Familien finanziell besser abzusichern, damit gute Arbeit auch gut bezahlt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben noch einiges auf der Tagesordnung, was dazu beiträgt, Familien finanziell besserzustellen. Dabei geht es um die Situation von Frauen in Arbeit. Wir haben noch zwei Gesetzentwürfe – das sage ich in Richtung des Koalitionspartners – in der Schwebe. Zum einen geht es um die Pflegeberufe. Wir wollen die Pflegeberufe aufwerten. In diesen Berufen sind überwiegend Frauen tätig, die schlecht bezahlt werden. Sie erhalten keine vernünftige Anerkennung. Deshalb brauchen wir hier dringend eine Reform. Der erste Schritt wäre, die Generalistik in der Pflege einzuführen. Ich bitte Sie darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir diesen ersten Schritt gehen. (Beifall bei der SPD) Zum anderen geht es um die Frage der Lohngerechtigkeit. Frauen sollen generell besser bezahlt werden, und diese Vorgabe soll gesetzlich festgeschrieben werden. Das Lohngerechtigkeitsgesetz wird noch im Kabinett beraten; wir hoffen, dass es bald ins Parlament eingebracht wird. Es dient dazu, dass Frauen bei gleicher Arbeit das Gleiche verdienen wie ihre Kollegen. Wo Ungerechtigkeit herrscht, müssen wir dagegen angehen können; aber dazu muss die Ungerechtigkeit bekannt sein. Deshalb brauchen wir mehr Transparenz, und deshalb brauchen wir das Lohngerechtigkeitsgesetz. (Beifall bei der SPD) Vorhin wurde der Satz geprägt: Armut wird vererbt. Ich weiß nicht genau, wer das gesagt hat; ich habe das so mitgenommen. Man muss aber auch einmal deutlich sagen: Auch Reichtum wird vererbt. (Beifall bei der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich sage nur: Vermögensteuer! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Erbschaftsteuer!) Wir haben es bei der Vorstellung des Armuts- und Reichtumsbericht mitbekommen: Die großen Vermögen sind nicht so sehr durch Arbeit entstanden, sondern mehr durch Erbschaften oder durch Maximierung von Kapitalgewinnen. Deshalb halten wir es als Sozialdemokraten durchaus für richtig, auch in der Steuerpolitik mehr Gerechtigkeit walten zu lassen. Ich bin ganz dicht bei Ihnen, wenn Sie sagen: Das Ehegattensplitting ist nicht das, was wir uns unter Familienförderung vorstellen. Wir wollen weniger die Förderung der Ehe, sondern mehr die Förderung der Familie. – Das wollen wir auch steuerpolitisch festhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Unterhaltsvorschuss. Die Debatte darüber haben wir letzte Sitzungswoche schon geführt; wir werden sie wahrscheinlich noch häufiger führen. Ich will aber etwas zur Ausgangslage sagen: Es waren die Ministerpräsidenten aller Länder – auch die Ministerpräsidenten von Thüringen und Baden-Württemberg, schwarz-grüne Regierungen, rot-grüne Regierungen, Große Koalitionen –, die 16 : 0 beschlossen haben, dass zum 1. Januar 2017 die Regelungen zum Unterhaltsvorschuss ausgeweitet werden sollen. Die Ministerpräsidenten haben diesen Beschluss gefasst – nicht Frau Schwesig hat diesen Vorschlag übereilt eingebracht –, die Ministerpräsidenten haben dieses Versprechen gegeben. (Beifall bei der SPD) Wir sind diejenigen, die jetzt daran mitwirken sollen, dass das Versprechen auch eingehalten wird. Ein Wort noch in Richtung Hessen. Der Äußerung von Volker Bouffier, mit der Ausweitung könne man bis 2020 warten, kann ich nur entgegenhalten: Es geht nicht an, innerhalb von ein paar Monaten das eigene Versprechen zu brechen. (Beifall bei der SPD) Damit ist niemandem geholfen, weder den Alleinerziehenden noch der Glaubwürdigkeit von Politik. Dieser Unterhaltsvorschuss muss so schnell wie möglich kommen. Deshalb bitte ich alle hier im Raum, mit unseren Ministerpräsidenten, egal welcher Farbe, zu reden und zu sagen: Wenn ihr ein Versprechen gebt, dann seht auch zu, dass ihr euch auf die Finanzierung einigt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Widerspruch sehe ich keinen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 5 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2304 (2016) vom 12. August 2016 Drucksachen 18/10188, 18/10547 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10548 Über die Beschlussempfehlung werden wir, wie üblich bei Einsätzen der Bundeswehr, später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch sehe ich keinen. Dann ist auch dieses so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Christoph Strässer für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat in Genf zum 26. Mal ein Sonderausschuss des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur Situation im Südsudan getagt. Zum 26. Mal! Der aus meiner Sicht wichtigste unter den Rednerinnen und Rednern ist der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für die Verhinderung von Genozid, Herr Adama Dieng. Er hat die Weltgemeinschaft eindringlichst aufgefordert, nicht wegzusehen, sondern dabei mitzumachen, den Menschen zu helfen, und sagte in diesem Zusammenhang: Es bereitet sich etwas vor, was wir sehen, was wir wissen: ein Genozid anhand ethnischer Leitlinien. – Worüber wir heute diskutieren, ist aus meiner Sicht ein kleiner Beitrag, um das zu verhindern, um hinzusehen und Lösungen zu präsentieren; aber es ist selbstverständlich nicht der einzige. Für diejenigen, die es noch nicht wissen, möchte ich die Dimensionen des Mandates UNMISS noch einmal ganz kurz darstellen, weil sich dann vielleicht das eine oder andere, was wir gleich hören werden, relativiert. Das UNMISS-Mandat existiert seit 2011 und soll zur Stabilisierung im Südsudan, dem jüngsten Staat Afrikas, beitragen. Es umfasst mittlerweile eine Obergrenze von 17 000 Soldatinnen und Soldaten. Es ist in diesem Jahr erweitert worden, weil man erkannt hat, dass das Mandat den Schutz von Zivilisten, zu dem es erteilt worden war, nicht ausreichend gewährleistet hat. Im Rahmen dieses Mandates mit einer Obergrenze – ich wiederhole – von insgesamt 17 000 Soldatinnen und Soldaten diskutieren wir heute über den Einsatz der Bundeswehr. Die Obergrenze für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten ist auf 50 festgelegt – 50 von 17 000 Soldatinnen und Soldaten in diesem Mandat. Den vorliegenden Zahlen zufolge sind gegenwärtig 16 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Südsudan und machen dort eine gute und wichtige Arbeit, für die ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die zentrale Aufgabe besteht im Schutz von Zivilisten. Die Zahlen, die uns derzeit vorliegen, sind alarmierend. UNMISS hat sechs sogenannte Schutzzonen eingerichtet, in denen circa 200 000 Zivilisten untergebracht sind. Der Schutz der Zivilbevölkerung in diesem Bereich ist durch niemand anderen gewährleistet als durch die Präsenz von UNMISS. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung von einem Besuch in einem der Flüchtlingslager in der Hauptstadt Juba berichten. Im Jahr 2015 begannen Zivilisten sich auch in der Hauptstadt nicht mehr sicher zu fühlen und sind zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen in Einrichtungen der dort stationierten Kräfte geflohen. Wir haben mit ihnen wie auch mit Vertretern der Zivilorganisationen, die dort gearbeitet haben, sprechen können und sie gefragt, warum sie das machen und wann sie die Einrichtungen wieder verlassen. Die Antwort war völlig klar: Wir gehen aus dieser Schutzeinrichtung nicht mehr raus, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir in dem bewaffneten Konflikt getötet werden. – Meine Damen und Herren, wer den Leuten diesen Schutz versagt, den sie brauchen, der vergeht sich ein Stück weit an den Grundsätzen der Humanität, die wir als internationale Gemeinschaft auch in diesem Bereich zu verantworten haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die uns vorliegenden Zahlen sind abenteuerlich; sie sind unerträglich. In diesem jungen Land sind 1,8 Millionen Menschen intern vertrieben. 1,2 Millionen waren allein in diesem Jahr auf der Flucht und bilden zurzeit – auch das sollten wir in der Öffentlichkeit darstellen – die größte Migrations- und Fluchtbewegung weltweit. 3 500 Menschen verlassen pro Tag das Land. Wir werden heute auch über den Einsatz in Darfur, dem zweiten Krisenherd in der Region, diskutieren. In diese seit 2003 krisenbehaftete Region fliehen jeden Tag Menschen aus dem Südsudan. Das sollte uns zu denken geben, was die Situation der Menschen dort angeht. Die humanitäre Situation ist desaströs. Viele Bereiche in dem sich ausweitenden Bürgerkrieg sind nicht mehr durch humanitäre Hilfe zu erreichen. Das heißt, die Menschen sind in Gefahr, eine Hungersnot zu erleiden und nicht mehr versorgt werden zu können. In dieser Situation reden wir über UNMISS. Wir haben in diesem Jahr auch ganz schlimme Botschaften erfahren. Im Juli dieses Jahres wurde UNMISS beschuldigt – darüber gab es auch eine Diskussion in den Vereinten Nationen –, seiner Aufgabe nicht nachzukommen. Dazu hat es eine Untersuchungskommission gegeben. Die Vorwürfe wurden leider Gottes bestätigt. Zum ersten Mal in der Geschichte von UNMISS hat es daraufhin Konsequenzen gegeben. Diese Konsequenzen belasten zum Teil die UNO. Der Leiter der Einrichtung, die kritisiert wurde, weil sie keinen Schutz gewährleistet hat, wurde entlassen; er war ein kenianischer Soldat. Die Folge war zunächst einmal, dass Kenia aufgrund dieser Entscheidung seine Bereitschaft, an UNMISS mitzuwirken, aufgekündigt hat. Das alles sind Dinge, die wir zur Kenntnis nehmen. Darüber muss auch im Kontext geredet werden. Was ist aber die Konsequenz angesichts der geübten Kritik? Ich habe darauf eigentlich nur eine Antwort. Fast alle internationalen Beobachter sagen genauso wie diejenigen, die im Land arbeiten, dass UNMISS alleine zwar die Probleme im Südsudan nicht lösen kann, dass aber ohne UNMISS die Probleme deutlich größer wären. Ich möchte auf eine Veröffentlichung der Friedrich-Ebert-Stiftung aus diesem Monat – damit ist einiger Unsinn getrieben worden; einer der betreffenden Kollegen kann nicht mehr in Juba arbeiten und befindet sich mittlerweile in Kampala in Uganda – verweisen. Ich zitiere nur die Überschrift – das ist die offizielle Auffassung –: UNMISS alleine reicht nicht, doch ohne UNMISS geht es nicht. – Wenn wir diese Auffassung ernst nehmen, dann müssen wir darüber diskutieren, ob das, was UNMISS im Augenblick macht, ausreicht oder ob wir UNMISS durch eine größere Bereitschaft, zu helfen, stärken sollten. Wir sollten auch politische Lösungen in Angriff nehmen: Gibt es einen regionalen Friedensprozess? Reicht es, wenn die beiden alten Herren, Herr Salva Kiir und Herr Riek Machar, miteinander etwas verabreden, an das sich noch nicht mal ihre Gefolgsleute halten? Reicht es, dass die EU ein Waffenembargo ausgesprochen hat, oder müssen wir angesichts der in diesem Land ohnehin viel zu hohen Anzahl an Waffen nicht endlich ein Waffenembargo auf UNO-Ebene beschließen? – Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen. Für die SPD-Fraktion ist völlig klar: Es braucht ein deutliches Signal, dass wir UNMISS stärken wollen. Wir wollen, dass UNMISS ihren Aufgaben gerecht wird. Deshalb bitten wir Sie, der Fortsetzung dieses Mandats zuzustimmen. Aufgrund der letzten Diskussion über Kinderarmut möchte ich noch ein persönliches Wort sagen. Am Ende dieser Sitzungswoche werden wir uns ein fröhliches und friedliches Weihnachtsfest wünschen; das ist für uns selbstverständlich. Ich würde mich sehr freuen, wenn es uns gelänge, den Kindern im Südsudan und anderswo nicht nur ein friedliches Weihnachtsfest, sondern irgendwann einmal auch ein Leben in Frieden und Freiheit zu bescheren. Danke schön. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahr 2011 spaltete sich der ölreiche Süden vom Norden des Sudans ab. Alle Parteien – CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne – begrüßten dies damals. Abgeordnete der Union nannten das hier im Bundestag einen großen Erfolg. Die Linke war die einzige Partei, die damals vor den Konsequenzen gewarnt hatte. Ein unabhängiger Staat, an deren Spitze eine korrupte Elite steht, die noch dazu in sich verfeindet ist, würde der Bevölkerung nicht die erhoffte Verbesserung ihrer Lage bringen. Diese Vorhersage hat sich dramatisch bestätigt. Seit nunmehr drei Jahren tobt zwischen dem Präsidenten Salva Kiir und seinem ehemaligen Stellvertreter Riek Machar ein blutiger Bürgerkrieg mit Zehntausenden Toten. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Nach Angaben des Welternährungsprogramms ist mehr als ein Drittel der Bevölkerung des Südsudans vom Hunger bedroht. Dabei gab es bereits bei der Staatsgründung vor fünf Jahren eine internationale Militärpräsenz einschließlich der Bundeswehr. Es zeigt sich heute, dass diese Truppenpräsenz nichts, aber auch gar nichts zu Frieden und Entwicklung im Südsudan beigetragen hat. (Beifall bei der LINKEN) Das Elend der Bevölkerung des Südsudan steht im krassen Kontrast zum potenziellen Reichtum des Landes. Der Südsudan hat die drittgrößten Ölreserven in Afrika. Genau deshalb war der Westen damals für die Abspaltung des Südens. Im Kern ging es immer darum, den wachsenden Einfluss Chinas einzudämmen und eine dem Westen genehme Regierung zu errichten. Wozu das führt, kritisiert nicht nur die Linke. Es tut mir leid, Herr Strässer, ich kann es Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb im August dieses Jahres: Es war der Westen, vor allem die USA, aber auch Deutschland, ohne die es den Südsudan als eigenen Staat gar nicht geben würde. … Über Kriegsverbrechen der Eliten im Süden wurde deswegen großzügig hinweggesehen, und so endete die Staatsgründung in einem völligen Desaster. (Christoph Strässer [SPD]: Das ist aber nur die eine Hälfte des Zitats!) Ja, der Westen und die Bundesregierungen der letzten Jahre tragen eine Mitschuld an der Entwicklung im Südsudan. Darüber täuschen Sie heute hier hinweg. (Beifall bei der LINKEN) Das Versprechen, mit deutschen und anderen internationalen Soldaten die notleidende Bevölkerung im Südsudan zu schützen, haben Sie nicht eingelöst. UNMISS steht auch nach der geplanten Aufstockung um 4 000 Soldaten vor einem Dilemma. Entweder bleiben die UN-Soldaten angesichts von Gewalttaten passiv, oder sie lassen sich auf einen Krieg mit der südsudanesischen Armee oder den Milizen ein. Nichts von beidem trägt zum Frieden im Südsudan bei. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Buchholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Strässer? Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich bin gleich fertig. Er kann zum Ende dann gerne seine Frage stellen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Dann gibt es nur noch die Möglichkeit der Kurzintervention. (Christoph Strässer [SPD]: Ist mir auch lieber!) Christine Buchholz (DIE LINKE): Helfen würde, wenn die Kriegsfürsten Kiir und Machar endlich am Kauf von Waffen gehindert würden, helfen würde, wenn die Bundesregierung auf die Nachbarländer des Südsudan wie Uganda einwirken würde, ihre militärische Intervention zu stoppen, und helfen würde auch, wenn Sie sich auf die Unterstützung ziviler Notmaßnahmen konzentrieren würden. Das genau passiert nicht. Die Linke stimmt der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Südsudan nicht zu. (Beifall bei der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Strässer, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu einer Kurzintervention von Ihrem Platz aus. Christoph Strässer (SPD): Schönen Dank. (Das Mikrofon schaltet sich nicht sofort ein – Zurufe von der SPD: Knöpfchen drücken!) – Ich mache zum ersten Mal eine Kurzintervention, zum ersten Mal nach 14 Jahren. – Ich bin schon ein bisschen irritiert über Ihre Äußerungen, weil Sie zum großen Teil darauf rekurrieren, dass die Gründung des Staates Südsudan ein Fehler und von außen beeinflusst war. Ich darf einfach einmal daran erinnern, dass die Auseinandersetzungen im früheren Gesamtstaat Sudan im Jahre 1956 begonnen haben und dass es bis zum Jahre 2005, also bis zum Abschluss des umfassenden Friedensabkommens, bis auf elf Jahre Bürgerkrieg gegeben hat. Viele Bemühungen sind nicht vom Westen ausgegangen, sondern von innersudanesischen Gruppen. Man ging davon aus, dass es nach dem Abschluss des Friedensvertrages zu einer Lösung kommt. Den Bürgerinnen und Bürgern des Südsudan ist die Frage gestellt worden, was sie wollen. Wenn man sich hierhinstellt und sagt, die Gründung des Südsudan sei eine Geburt des imperialistischen Westens, dann ist das ein Schlag ins Gesicht von 99 Prozent der Südsudanesinnen und Südsudanesen, die diese Unabhängigkeit ganz eindeutig gewollt haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Buchholz, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu erwidern. Christine Buchholz (DIE LINKE): Vielen Dank. – Wir Linke haben immer die Hoffnung der Menschen im Südsudan auf eine bessere und friedlichere Entwicklung unterstützt. Aber das Dilemma ist doch, dass durch die Art der Staatsgründung, die massiv vom Westen unterstützt wurde – das sagt auch die Friedrich-Ebert-Stiftung –, genau diese Hoffnungen nicht erfüllt wurden. Jetzt gibt es eine korrupte Regierung unter Salva Kiir, die sich einen blutigen Bürgerkrieg mit dem ehemaligen Stellvertreter Riek Machar liefert. Es hat sich gezeigt, dass diese Staatsgründung, weil sie nämlich nicht an den Interessen und Hoffnungen der Menschen ausgerichtet war, in ein totales Desaster geführt hat. Das ist die Realität. Das müssen auch Sie heute konstatieren. Deswegen hat die Bundesregierung damals eine Mitverantwortung an der jetzigen Entwicklung im Südsudan. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: So viel zur Souveränität des Volkes aus Sicht der Linken!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Elisabeth Motschmann. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Lage im Südsudan ist nach wie vor dramatisch – Kollege Strässer hat es beschrieben –, man kann auch sagen: katastrophal. Die Gewaltausbrüche haben nicht abgenommen, eher noch zugenommen. Aufgrund dieser Tatsache müssen wir überlegen: Wie gehen wir mit diesem Staat weiter um? Gehen wir den Weg zum Frieden mit diesem Staat, oder lassen wir es sein? Die Linke kommt zu dem Entschluss: Wir lassen es sein. – Das halte ich für komplett falsch, Frau Buchholz, weil Sie damit die Menschen alleinlassen. Sie lassen die Kinder, die Mütter, die Alten, die Kranken, sie alle allein. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das behaupten Sie! Das ist eine infame Unterstellung!) Sie sagen: Das ist mir doch egal. Lasst 4,8 Millionen Menschen hungern. Lasst zu, dass sie vertrieben werden. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist eine infame Unterstellung!) Lasst zu, dass 1 Million Menschen in Nachbarstaaten fliehen. – Immerhin suchen über 200 000 Menschen in den Einrichtungen von UNMISS Schutz – 200 000 Menschen –, und Sie sagen: Das ist mir egal. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist eine Lüge! Sie haben nicht zugehört, Frau Motschmann!) – Nein. Ich höre sehr genau zu, Frau Buchholz. Darauf können Sie sich verlassen. Die Vereinten Nationen warnen vor einem bevorstehenden Völkermord. Im Global Peace Index liegt dieser Staat tatsächlich nur knapp vor Syrien. Dennoch sagen Sie: Wir sollten da herausgehen. – Dies können wir nicht teilen. Wenn Sie sagen: „Wir wollen humanitäre Hilfe“, dann frage ich: Das ist zwar richtig und wichtig, aber wie wollen Sie humanitär helfen, wenn es nicht mindestens Zonen gibt, die gesichert sind und in denen humanitäre Helfer überhaupt arbeiten können? Sie können doch keine humanitären Helfer dahin schicken, wenn Sie sie dramatisch gefährden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Richtig ist, dass Fehler gemacht wurden – auch darauf ist hingewiesen worden – und dass aus den Fehlern dieser Mission auch Konsequenzen gezogen werden müssen, um die Situation zu verbessern. Die Vorwürfe, die man den Vereinten Nationen gemacht hat, wiegen natürlich schwer. Sie haben die Zivilisten eben nicht hinreichend geschützt; an diesem Punkt bin ich bei Ihnen. Nur, was ist die Konsequenz daraus? Dass man versucht, Fehler zu vermeiden, Fehler zu korrigieren, dass man sie transparent, eindeutig und ehrlich offenlegt. Das ist geschehen, und das wird auch weiterhin geschehen. Man hat von Führungsschwäche gesprochen. Man hat gesagt, dass Teile der Einsätze chaotisch und wirkungslos gewesen sind. Man hat Konsequenzen gezogen. Man hat Abläufe und Befehlsketten korrigiert. Man hat Verantwortlichkeiten geändert und die Mission besser organisiert. All das trägt dazu bei, dass die Arbeit dieser Mission wichtig ist und wichtig bleibt. Selbst wenn daran im Augenblick nur 15 oder 16 Bundeswehrsoldaten beteiligt sind: Sie leisten einen wichtigen Staatsdienst zur Steuerung der Mission. Auch ich möchte mich ausdrücklich bei denjenigen Soldatinnen und Soldaten bedanken, die in dieser nachweislich schwierigen Situation im Einsatz sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht noch ein Letztes. Wir reden im Augenblick sehr viel über Verlässlichkeit von Außen- und Sicherheitspolitik, weil wir natürlich die Sorge haben, dass sie künftig bedroht sein könnte. Gerade deshalb sage ich auch an dieser Stelle: Wir sollten verlässlich sein. Wir sollten bei den Menschen bleiben. Wir sollten ihnen helfen, und wir sollten uns nicht selber vorwerfen, dass wir am Ende noch daran schuld sind, dass diese Staatsgründung zustande gekommen ist und dass es den Menschen da jetzt so schlecht geht. Das ist wirklich abwegig, Frau Buchholz, und es ist falsch. Deshalb bitte ich am Ende: Lassen Sie uns dieses Mandat fortsetzen und den Soldatinnen und Soldaten jede Unterstützung geben, die nötig ist, in der Hoffnung, dass es diesem Volk irgendwann besser geht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Redner ist der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Meine Fraktion hat dieser notwendigen UN-Mission im Südsudan immer zugestimmt, und das werden wir auch diesmal tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber wir alle haben großen Grund zur Sorge. Es ist nicht gelungen, die Lage dort zu stabilisieren. Im Gegenteil: Sie spitzt sich gerade dramatisch zu. Die Berichte über den Terror gegen die Zivilbevölkerung, über Morde und Massenvergewaltigungen, die uns derzeit erreichen, machen fassungslos. Beide Konfliktparteien, sowohl das Lager von Präsident Kiir als auch das Lager des früheren Vizepräsidenten Machar, haben sich schwere Kriegsverbrechen zuschulden kommen lassen. Insbesondere diese beiden Anführer gehören vor ein internationales Strafgericht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erst vor kurzem warnte der Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord Adama Dieng: Die Machthaber instrumentalisieren ethnische Unterschiede für ihre politische Hetze gegeneinander. Der Südsudan droht in Gewalt zu versinken. Es gibt das Potenzial für einen Genozid. – Diese Warnung ist sehr ernst zu nehmen. Es muss vor allem verhindert werden, dass in dieser aufgeheizten Lage noch mehr Waffen in das Land gelangen. Das sagen uns auch alle Organisationen, die dort tätig sind. Die Bundesregierung sollte sich sehr energisch dafür einsetzen, dass der UN-Sicherheitsrat endlich ein Waffenembargo für den Südsudan beschließt und sich um die Durchsetzung kümmert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]) Das gehört ins Zentrum der internationalen Politik für die Region. Die katastrophale humanitäre Notsituation besteht fort. Die Hilfsorganisationen vor Ort brauchen dafür ausreichende und langfristig zugesagte Mittel. Die internationale Gemeinschaft darf hier nicht wieder versagen. Es ist wie jedes Jahr: Zum Jahresende ist nur knapp die Hälfte der Mittel, die gebraucht werden und zugesagt waren, eingegangen. Es ist schrecklich, dass wir das jedes Jahr wieder diskutieren müssen. Es ist wieder so. Deshalb begrüßen wir es sehr, dass Deutschland die humanitären Mittel für den Südsudan noch einmal kräftig erhöht hat. Dafür haben Sie unsere volle Unterstützung. Das ist notwendig und richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Genauso notwendig ist auch die weitere Unterstützung der Blauhelme von UNMISS. Wir wissen: In diesem riesigen Gebiet würden auch 20 000 Blauhelme die Menschen nicht umfassend vor dem Gräuel des Bürgerkriegs schützen können. Trotzdem – da möchte ich an den Kollegen Strässer anknüpfen – müssen wir dringend über eine qualitative Aufstockung und Verbesserung dieser UN-Mission reden. Sie reicht so, wie sie ist, einfach nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Kollegin Buchholz, auch wenn Sie meinen, in der Vergangenheit seien Fehler gemacht worden, was ich, so wie Sie es sagen, überhaupt nicht teile: Was wollen Sie denn jetzt machen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ihre Antwort ist doch offensichtlich: nicht aufstocken, nicht verstärkt dort reingehen, sondern rausgehen. – Was soll denn dann passieren? Was ist das für eine Haltung? Unabhängig davon, wie Sie zur Entstehung dieses Konfliktes stehen, müssen Sie doch jetzt eine Antwort geben. Das haben Sie in Ihrer Rede überhaupt nicht getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) Das finde ich wirklich nicht in Ordnung. Wir wissen, dass diese Mission erhebliche interne Probleme hat. Erst kürzlich hat ein UN-Bericht den UNMISS-Soldaten schweres Versagen beim Schutz von Zivilisten vorgeworfen. Aber gut ist: Die UN hat darauf unmittelbar reagiert und den verantwortlichen kenianischen Kommandeur abberufen. Trotz solcher schwerer Fehler gilt: Für Hunderttausende bietet UNMISS die einzige Zuflucht und Rettung. Eine Schwächung oder gar ein Abzug von UNMISS wäre für all diese Menschen eine Katastrophe – bei allen Unzulänglichkeiten der Mission. Deshalb wird meine Fraktion auch diesmal diesem Mandat zustimmen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache spricht der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen in diesem Haus und in diesen Tagen oft über Flüchtlinge aus Afrika. Wir denken dabei an diejenigen, die in Italien oder in Libyen ankommen. Im Südsudan sind im Moment 1,8 Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. 1,3 Millionen Menschen haben in den letzten Jahren das Land verlassen, allein 400 000 seit Juli. Meine Damen und Herren, von denen kommt kaum einer in Libyen oder Italien an, weil ihnen schlichtweg das Geld dafür fehlt. Die Menschen fliehen in die Nachbarländer. Sie fliehen nach Äthiopien, nach Uganda oder in den Sudan und verschärfen dort die humanitär prekäre Situation weiter. Wir lesen über diese Menschen wenig, weil es im Südsudan kaum internationale Presse gibt. Das Land ist in vielen Bereichen gar nicht oder nur schwer zugänglich. Trotzdem – das zeigt die Debatte hier im Bundestag – vergessen wir in Deutschland vonseiten des Bundestages und der Bundesregierung dieses Land nicht. Ja, Deutschland war daran beteiligt, dass es 2011 eine friedliche Loslösung vom Sudan gab, dass dieser seit den 50er-Jahren anhaltende Konflikt zwischen Afrikanern und Arabern zu einem friedlichen Ende geführt hat. Meine Damen und Herren, ich war ein Jahr später, im Jahr 2012, dort. In allen Gesprächen, die ich dort geführt habe, spürte man den Stolz der Menschen auf ihr neues Land, darauf, was sie mit dem Referendum erreicht haben. Man spürte auch eine Aufbruchstimmung, dieses Land mitzugestalten. Es war ein Riesenschritt vorwärts, aber seit 2013 gibt es fast nur noch Rückschritte. Es ist der Regierung trotz der großen internationalen Hilfe nicht gelungen, einen Mechanismus zu finden, wie sie friedlich und fair Macht und Ressourcen in dem Land verteilt. So hat der Konflikt zwischen dem Präsidenten Salva Kiir und dem Vizepräsidenten Riek Machar in einem neuen Bürgerkrieg zwischen Dinka und Nuer geendet. Dieser Konflikt ist Fluchtursache Nummer eins. Meine Vorredner haben die Gewalt, insbesondere die Gewalt gegen Frauen, die in diesem Bürgerkrieg angewendet wird, zum Teil schon beschrieben. Ich will einen humanitären Aspekt hinzufügen. Allein durch die Konflikthandlungen sind ungefähr 50 Prozent der Ernte ausgefallen. Die Landwirte können ihre Felder nicht mehr bestellen. Es findet kaum noch nationaler Handel statt, weil die Menschen Angst haben, dass Nahrungsmitteltransporte überfallen werden. Ein Drittel der Menschen des Südsudans leidet an Hunger. Das sind ungefähr 3,7 Millionen Menschen. Meine Damen und Herren, das ist eine Aufgabe für die internationale Gemeinschaft. Diese internationale Gemeinschaft hat diese Aufgabe auch angenommen. Es gibt für den Südsudan ein UN-Mandat. Das gibt es für viele andere Konfliktregionen – es ist über Syrien gesprochen worden – nicht. Der Rahmen ist vorhanden. Das Problem ist nur, dass die UN, insbesondere die UN-Missionen im Südsudan, diesen Rahmen nicht ausfüllt und bei der Auftragserfüllung in den letzten Monaten katastrophal versagt hat. Der Schutz der Zivilbevölkerung, der an erster Stelle steht, wurde nicht erfüllt. Zum Teil haben Angehörige der UN-Mission zugesehen, wie vor ihren Augen Frauen vergewaltigt worden sind. Damit haben sie natürlich Vertrauen verspielt: vor Ort und auch in der Weltbevölkerung. Es gibt zwei Dinge, die zu tun sind. Erstens: UNMISS effizienter aufstellen, sodass sie ihren Auftrag erfüllen kann, Schutz der Zivilbevölkerung, Stopp der Gewalt und Zugang zu humanitärer Hilfe ermöglichen. Zweitens. Es muss die Regierung unter Salva Kiir davon überzeugt werden, dass sie nur mit einem Ende der Gewalt und einem Unterbrechen der Gewaltspirale dafür sorgen kann, dass ihr Land wieder auf den Pfad der Stabilisierung kommt. Deutschland beteiligt sich daran im Rahmen von UNMISS, mit den Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten und zivilen Helfern. Es ist ein wichtiger Auftrag; denn diese Soldatinnen und Soldaten, diese Polizisten, diese Menschen sind auch Auge und Ohr vor Ort: Sie berichten uns aus einem Land, in dem es kaum internationale Presse gibt, aus dem es kaum ein Flüchtling zu uns schafft, und sorgen auch dafür, dass wir ein eigenes Lagebild bekommen, anhand dessen wir unsere Hilfe abstimmen können. Meine Damen und Herren, wir haben das Land von Anfang an mit entsprechenden Mandaten unterstützt. Wir sollten ihm auch in einer schwierigen Phase die Treue halten. Ich bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan, UNMISS. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10547, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10188 anzunehmen. Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Auf der Seite der Regierungsbank fehlt noch die Opposition, was irgendwie logisch klingt, aber trotzdem jetzt korrigiert werden muss. – Auf der Bundesratsseite fehlt auch noch jemand. – Damit sind jetzt alle Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme abgeben möchten, dies aber noch nicht getan haben? – Ich darf darauf verweisen, dass es hier vorne Abstimmungsurnen gibt, wo man noch nicht anstehen muss. Wer jetzt seine Stimme noch nicht abgegeben hat, der möge das anzeigen. – Ich sehe niemanden, der das anzeigt, und schließe damit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.4 Wir werden nach dem nächsten Tagesordnungspunkt in circa 25 Minuten erneut eine namentliche Abstimmung durchführen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296 (2016) vom 29. Juni 2016 Drucksachen 18/10189, 18/10549 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10550 Über diese Beschlussempfehlung – das habe ich schon angekündigt – werden wir später namentlich abstimmen. Ich bitte, zum Zweck der Beratungen die Plätze einzunehmen und die Gespräche auf die hinteren Bereiche zu konzentrieren. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch erhebt sich keiner. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Jürgen Coße für die SPD. (Beifall bei der SPD) Jürgen Coße (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist meine erste Rede als Abgeordneter des Deutschen Bundestages. (Beifall) Es ist für mich ein Privileg und eine Herausforderung zugleich, eine Herausforderung vor allem deswegen, weil ich vor vier Monaten noch nicht über eine deutsche Beteiligung an Friedensmissionen zu entscheiden hatte. Hier geht es um eine gemeinsame Friedensmission von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union, kurz UNAMID. Und egal was wir gleich hören werden: Niemand meiner Kolleginnen und Kollegen macht sich die Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten oder Polizisten im Ausland leicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber was ist unsere Herausforderung hier im Vergleich zum Überlebenskampf, den viele Menschen weltweit täglich führen? So auch die Menschen im Westen des Sudan. Die 300 000 Todesopfer des Konflikts in Darfur haben diesen Kampf bereits verloren. Die 2,6 Millionen Binnenvertriebenen führen diesen Kampf immer noch. Wie sich dieser Überlebenskampf anfühlt, beschreibt ein Binnenvertriebener in Darfur so: Niemand auf der Welt kümmert es, ob wir überleben, außer Gott und manchmal UNAMID. Das Zitat beschreibt zum einen, wie weit der Konflikt dem Radar der Weltöffentlichkeit entrückt ist, und zum anderen zeigt es, dass die Blauhelme Zivilisten schützen, aber leider nicht immer und überall; denn diese Friedensmission hat mit besonders schwierigen Bedingungen zu kämpfen. Sie ist eine gemeinsame Aufgabe für die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen. Das heißt, sie muss drei stark gegensätzliche Interessenlagen unter einem Dach vereinen: die des UNO-Sicherheitsrates, die der Afrikanischen Union und die der sudanesischen Regierung. Die sudanesische Regierung hat die Friedensmission nur widerwillig auf chinesischen Druck hin akzeptiert und tut weiterhin alles, um sie aus dem Land zu drängen. Dafür ist die Verweigerung von Visa nur das harmloseste Mittel; denn die regierungstreuen Milizen greifen nicht nur Zivilisten, sondern auch Blauhelme an. Unter diesen Bedingungen müssen die knapp 17 000 Soldaten und Polizisten ein Gebiet von der Größe Frankreichs beschützen. Zum Vergleich: Im winzigen Kosovo waren es bis zu 40 000 gut ausgebildete Soldaten. Dazu kommt, dass das Gelände in Darfur bergig ist und kaum ausgebaute Straßen vorhanden sind. Unter diesen äußerst schwierigen Voraussetzungen hat die Friedensmission UNAMID Beachtliches geleistet. Zentral gelegene Lager für Binnenvertriebene können die Blauhelme sehr wohl schützen. Gerade die 2 400 ruandischen Soldaten in der Mission haben oft ihr eigenes Leben riskiert, um Zivilisten gegen Angriffe zu verteidigen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, UNAMID rettet Menschenleben in Darfur! Wir haben großen Respekt vor der schwierigen Aufgabe dieser Männer und Frauen in Uniform. Die neun deutschen Soldaten, eine Frau und acht Männer, und die vier Landespolizisten leisten unter schwierigen Bedingungen sehr gute Arbeit. Dafür herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie uns aber den Blick etwas weiter fassen: Es brodelt überall am Großen Horn von Afrika: In Somalia und im Südsudan – wir haben es eben gehört – herrschen bewaffnete Konflikte. Es gibt den Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea. Und der Krieg im Jemen ist nur 30 Kilometer von Dschibuti und Eritrea entfernt. Die Golfmonarchien haben die strategische Bedeutung des Horns von Afrika erkannt. Ja, sie nutzen Eritrea als Militärbasis in ihrem Kampf gegen die Huthi-Rebellen im Jemen. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Und dafür kriegen sie Waffen aus Deutschland!) Wir sollten Eritrea aber nicht Saudi-Arabien und Co. überlassen. Was dabei herauskommen kann, kann man an Somalia beispielhaft sehen. Der große Einfluss der saudisch geprägten wahhabitischen Prediger in Somalia hat erst den Boden für al-Schabab bereitet. Auch China ist in der Region wirtschaftlich stark aktiv, und Menschenrechte spielen dabei sicherlich keine Rolle. Die angespannte Situation am Horn von Afrika könnte sich weiter verschärfen; denn mittlerweile werden durch den Klimawandel noch häufigere und längere Dürreperioden erwartet. Welchen Sprengstoff das birgt, zeigt die gegenwärtige Situation in Äthiopien. Die Unruhen in Äthiopien mögen hauptsächlich ethnisch motiviert sein – und sie sind absolut zu verurteilen –, aber extreme Wasserknappheit und Ernteausfälle verstärken diesen Konflikt. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss uns klar sein: Die Industrieländer sind vorrangig für den Klimawandel verantwortlich. Deswegen tragen wir auch eine große Verantwortung, die Folgen dieses Wandels zu lindern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch beim Kampf gegen den Klimawandel selbst dürfen wir nicht zurückstecken, gerade auch deswegen nicht, weil Donald Trump nicht nur die internationalen Beziehungen, sondern auch das Klima unnötig anheizen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da Wassermangel Konflikte verschärft, ist der Kampf gegen den Klimawandel gelebte Krisenprävention. Ja, auch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Darfur begannen als Konflikt zwischen Viehzüchtern und Bauern um knapper werdende Wasserressourcen. Die Bundesregierung trägt der großen Bedeutung von Krisenprävention generell Rechnung. So hat Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt die Abteilung S für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge eingerichtet. Sein unermüdliches Engagement an vielen Krisenherden der Welt verdient unsere volle Unterstützung. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dieses Engagement soll durch die Leitlinien der Bundesregierung für Krisenmanagement, Konfliktbewältigung und Friedensförderung weiter verstärkt werden. Ja, am besten ist es, wenn Konflikte gar nicht erst entstehen. Aktive Krisenprävention ist angesagt. Sie ist jede Mühe unsererseits wert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wenn es aber, wie in Darfur, nicht gelingt, den Konflikt im Vorfeld zu entschärfen, dürfen wir doch nicht nur zuschauen; denn wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. Nichts tun würde bedeuten, dass wir der sudanesischen Regierung und den anderen Konfliktparteien freie Hand lassen beim Plündern, Vertreiben und Töten von Zivilisten. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir dort diese Friedensmission. Deswegen müssen wir uns daran beteiligen. Meine Fraktion stimmt dem Antrag der Bundesregierung zu, weil wir nicht zuschauen, sondern mithelfen wollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Coße, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Im Namen der Kolleginnen und Kollegen gratuliere ich Ihnen dazu. (Beifall) Zwischenzeitlich liegt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS)“ vor: abgegebene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 530, mit Nein haben gestimmt 59, Enthaltung 1. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 590; davon ja: 530 nein: 59 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein SPD Christian Petry DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Enthalten SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Wir fahren jetzt fort in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 6. Ich erteile das Wort der Kollegin Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 2003 herrscht Krieg in Darfur im Westen Sudans. Präsident Umar al-Baschir versucht mit allen Mitteln, Kontrolle über die Provinz zu erlangen und Widerstand zu unterdrücken. Laut UN sind dort 2,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Im letzten Jahr sind noch einmal 200 000 Menschen dazugekommen, die vor den Angriffen der sudanesischen Armee aus den in Darfur gelegenen Marra-Bergen flohen. Die Armee hat dabei laut Amnesty International Giftgas eingesetzt. Über 200 Menschen starben. Amnesty beruft sich auf Telefonate mit 56 Überlebenden und dokumentiert 32 Fälle, in denen die sudanesische Armee drei verschiedene chemische Waffen eingesetzt haben soll. Die Bundesregierung sagt, diese Vorwürfe von Amnesty seien nicht plausibel. Ich finde es schon auffällig, dass die Bundesregierung dazu, auch auf Nachfragen im Verteidigungsausschuss, nichts sagen kann oder will. Mein Eindruck ist: Hinter diesem Schweigen steckt eine Verschiebung der Prioritäten Ihrer Sudan-Politik. Unter deutscher Führung hat die EU im März dieses Jahres ein 40 Millionen Euro teures Programm beschlossen, in dessen Rahmen unter anderem sudanesische Grenztruppen ausgebildet werden sollen, um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aufzuhalten. Wir erinnern uns: Als vor Jahren der Einsatz der Bundeswehr in Darfur gerechtfertigt wurde, da brandmarkte die Bundesregierung den sudanesischen Präsidenten Baschir noch als einen Kriegsverbrecher – zu Recht. Doch wenn es um Flüchtlingsabwehr geht, strebt die Bundesregierung plötzlich eine Zusammenarbeit mit ihm an. Das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schon wieder!) Auch heute, so scheint es mir, geht es tatsächlich wieder um etwas anderes als um das, was Sie proklamieren. Der Einsatz in Darfur ist nur ein weiterer Baustein auf dem Weg, die Bundeswehr zu einer Armee im internationalen Dauereinsatz zu machen. Es geht darum, deutschen Wirtschaftsinteressen auf der internationalen Bühne Geltung zu verschaffen. Und das lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: „Skandal“!) Die sudanesische Bevölkerung braucht keine deutschen Soldaten, sie braucht auch kein UNAMID, um für ihre Rechte zu kämpfen. Im November hat ein großes Bündnis von Oppositionellen einen beeindruckenden Dreitagestreik organisiert, um gegen massive Preissteigerungen bei Benzin und Grundnahrungsmitteln zu protestieren. Weite Teile der Hauptstadt Khartoum wurden lahmgelegt. Die Opposition schlägt gleichzeitig die Brücke zu den Menschen, die vom Regime in Darfur unterdrückt werden. Der Aktivist und Filmemacher Ahmed Mahmoud sagte dazu: Die Regierung findet genug Geld, um den Krieg gegen das Volk der Nuba zu finanzieren, gegen das Volk in Darfur. Sie bombardieren sie fast jeden Tag. Wo kommt das Geld her? Wo kommen die absurd hohen Gehälter der Abgeordneten im Parlament, wo kommt das Geld für die Armee und für den Geheimdienst her? Diese Ressourcen werden im Grunde Tag für Tag dem Volk gestohlen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: „Skandal“!) Mahmoud kündigte an: Der Protest wird weitergehen. Das ist die Hoffnung für die Menschen im Sudan – nicht die UN-Militärmission, die seit neun Jahren andauert, keinen Frieden gebracht hat und pro Jahr fast 1 Milliarde Euro verschlingt, und auch nicht die Stabsoffiziere der Bundeswehr, die die Bundesregierung nach Darfur entsendet. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Volker Mosblech. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Mosblech (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt in der Region Darfur bleibt auch nach jahrelangen Friedensbemühungen eine humanitäre Tragödie und ein Brennpunkt auf dem afrikanischen Kontinent. Entführungen, Morde, Vergewaltigungen und Hungersnöte sind Alltag für viele Menschen in der westlichen Region des Sudan. Der innerstaatliche und innerethnische Konflikt hat unermessliches Leid über die Völker gebracht und wird auch zukünftig die prekäre Lage von Millionen von Menschen verschärfen. Die Rede ist von 2,6 Millionen Binnenvertriebenen, von über 5,8 Millionen Menschen, die allein in Darfur auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, und von 2 Millionen Kindern unter fünf Jahren, die akut unterernährt sind. Ein Ende ist in diesem tragischen Konflikt leider nicht in Sicht. Einzelne Konfliktparteien stellen sich quer, Feuerpausen werden nicht mitgetragen, und Friedensgespräche werden boykottiert. Man könnte angesichts dieser Tragik die Hoffnung in das Land und die dortigen Entwicklungen verlieren. Für uns ist das leicht gesagt; doch die Menschen vor Ort haben keine andere Wahl als Hoffnung: Hoffnung auf eine bessere Zukunft, Hoffnung auf ein Leben in Frieden, Hoffnung, dass das Leid ein Ende hat. Wie können wir zusammen mit unseren internationalen Partnern diesem Wunsch Rechnung tragen? Für außenstehende Betrachter sind die Entwicklungen im Sudan schwer verständlich, da sich hier ein hochkomplexes Spannungsfeld zwischen Ethnien, Milizen und politischen Akteuren auftut. Speziell in Darfur wird Politik zu oft mit der Waffe in der Hand gemacht, und zu oft ist letztendlich die unschuldige Bevölkerung das leidtragende Opfer in dem Ganzen. Die Gewalt richtet sich aber auch gegen die internationalen Hilfskräfte, wie die Entführungen von Entwicklungshelfern und die Angriffe gegen Personal der Vereinten Nationen immer wieder zeigen. Ein international begleiteter Friedensprozess kann angesichts dieser explosiven Gemengelange nur erfolgreich sein, wenn er robust abgesichert und militärisch unterstützt wird. Hier nehmen die Soldatinnen und Soldaten von UNAMID eine unverzichtbare Rolle zur Verbesserung der Sicherheitslage und somit zur Begleitung des Friedensprozesses in Darfur wahr. UNAMID ist nicht Teil des Konfliktes, sondern Teil seiner Lösung. Die hybride Truppe der UN und der AU hat einen ordnenden Charakter und bringt eine gewisse Stabilität in das vorherrschende Chaos. Sie ist nötig, um den Menschen Hoffnung zu geben. Sie ist nötig, um den Schutz der Bevölkerung und den Schutz der internationalen Helfer zu gewährleisten, damit mittel- bis langfristig eine Basis für fruchtbare Friedensverhandlungen geschaffen werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jedem in diesem Haus ist bewusst, dass militärische Mittel allein diesen Konflikt nicht lösen können. Diesem Faktor begegnen wir daher mit einem stärker vernetzten Ansatz aus militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten. Deutschland beteiligt sich neben dem Beitrag für UNAMID aktiv in Mediation und Rechtsstaatsberatung sowie finanziell im Jahr 2016 mit insgesamt 27 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserem anhaltenden Engagement im Sudan senden wir ein deutliches Zeichen der Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit deutscher Außenpolitik. Wer Frieden für Darfur möchte, muss auch bereit sein, die Konsequenzen, die mit dieser Forderung einhergehen, zu tragen. Ideologische Grabenkämpfe auf dem Rücken unserer Soldatinnen und Soldaten helfen niemandem, insbesondere nicht denjenigen, deren Leben vom Schutz durch die UNAMID-Soldaten abhängt. Die CDU/CSU-Fraktion trägt diese Verantwortung und spricht sich für eine Verlängerung des UNAMID-Mandates aus. Es ist wichtig, dass wir hier im Deutschen Bundestag ein Signal der Geschlossenheit senden und mit einer breiten Mehrheit die Bundeswehr beauftragten, auch weiterhin Bestandteil von UNAMID zu bleiben. Mit der Verabschiedung des heutigen Mandats können 50 Soldatinnen und Soldaten für Führungs- und Verbindungsaufgaben sowie Beratungs- und Unterstützungsaufgaben eingesetzt werden. Als einziger europäischer Staat werden wir uns auch weiterhin verlässlich an der hybriden Mission der AU und der UN beteiligen und den Friedensprozess von Darfur begleiten. Deutschland unterstützt die Mission mit derzeit acht Soldatinnen und Soldaten sowie drei Polizisten. Ihnen und all denjenigen, die im Auslandseinsatz für Deutschland waren und sind, möchte ich heute meinen allerherzlichsten Dank übermitteln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie können sich sicher sein, dass der überwiegende Teil dieses Hohen Hauses Ihren Einsatz für unser Land schätzt und stolz auf Sie ist. Allen Männern und Frauen der Bundeswehr im In- und Ausland wünsche ich ein frohes, besinnliches Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr wie auch Ihnen, meinen lieben Kolleginnen und Kollegen, den Damen und Herren auf den Emporen und natürlich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Hauses. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Frithjof Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit über 13 Jahren steht der Krieg in Darfur auch für Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und ethnische Säuberungen. Einer der Hauptverantwortlichen für den Krieg und für diese Verbrechen ist der sudanesische Präsident al-Baschir. Es ist ein politischer Skandal, dass er sich bis heute dem internationalen Haftbefehl gegen ihn entziehen konnte. Die Wirkung dieser Straffreiheit ist verheerend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Jetzt hat der schmutzige Krieg in Darfur einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Die Berichte von Amnesty International über einen Giftgaseinsatz in Darfur sind schockierend. Die Bundesregierung bezieht dazu nur sehr einsilbig Stellung. Das hat in meiner Fraktion große Verwunderung ausgelöst. Wenn Sie Zweifel an den Amnesty-Berichten haben, dann hätten Sie sich doch zumindest für eine Aufklärung der Ereignisse einsetzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Notwendig wäre eine umfassende Untersuchung durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Die Bundesregierung tut aber bisher gar nichts, um eine solche Untersuchung anzustoßen. Das ist nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Friedensprozess für Darfur hat bisher kaum Fortschritte gemacht. Aber jetzt gibt es kleine Ansätze für eine positive Entwicklung: Im Oktober dieses Jahres haben die sudanesische Regierung und zwei Rebellengruppen einen Waffenstillstand geschlossen. Es gibt eine unterzeichnete Roadmap für neue Friedensverhandlungen. – Das ist ein Hoffnungsschimmer für die Region. Die Bundesregierung sollte diesen Prozess intensiv begleiten und energisch unterstützen. Es muss auch international diplomatischer Druck für den Fortgang des Friedensprozesses aufgebaut werden. Doch anstatt das jetzt wirkungsvoll zu tun, plant die Bundesregierung seit kurzem eine sogenannte Kooperation mit der sudanesischen Regierung in Flüchtlingsfragen. Khartoum soll Geld und Sicherheitstechnik erhalten, um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aufzuhalten. Was ist das für ein politisches Signal in dieser Situation? Diese Kooperation wäre doch fast wie eine Einladung an al-Baschir, mit seiner menschenverachtenden Politik einfach weiterzumachen. Er bleibt ja nicht nur ungestraft; er wird durch diese Politik als Partner wieder hoffähig gemacht. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Stoppen Sie diese unseligen Pläne! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Trotz vieler Rückschläge hat UNAMID in den vergangenen Jahren eine sehr wichtige Arbeit geleistet. Die Mission hat die Versorgung vieler Menschen mit dem Nötigsten sichergestellt, Hunderttausenden Schutz geboten und wenigstens teilweise Stabilität in der Region hergestellt. Eine Schwächung oder gar Beendigung der Mission hätte katastrophale Folgen für die Menschen vor Ort. Das wäre übrigens auch ein politischer Sieg der verbrecherischen Politik der Machthaber in Khartoum. Das darf auf gar keinen Fall passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Für uns Grüne bleibt UNAMID ein zentraler Faktor der Nothilfe für die Menschen in Darfur und auch zur Stabilisierung der gesamten Region. Deshalb werden wir diesem Mandat auch diesmal zustimmen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Dr. Bernd Fabritius für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Konflikt in der Region Darfur geht in sein 14. Jahr. Zwischenzeitlichen Beruhigungsphasen folgte immer wieder ein Aufflammen der Kämpfe. Zuletzt kam es im Frühjahr 2016 erneut zu intensiven Kampfhandlungen mit allen negativen Begleiterscheinungen. Ohne die UNAMID-Mission bliebe allerdings die Bevölkerung ohne Schutz vor Gewalt, Verfolgung und Verbrechen. Dass wir heute den deutschen Beitrag zu dieser Mission verlängern, halte ich deshalb für unsere Pflicht. Die anhaltend schlechte Lage der Menschenrechte und die katastrophale humanitäre Lage, die heute zu Recht bereits betont wurde, unter der Millionen Menschen, insbesondere Kinder und Frauen, leiden, machen die UNAMID-Mission umso wichtiger. Dass man dabei, Herr Kollege Dr. Schmidt, gezwungenermaßen und punktuell auch mit einer Regierung interagieren muss, die diese Lage mitverantwortet und die zu Recht scharf kritisiert wird, ist doch kein Grund, die Mission an sich infrage zu stellen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er ja nicht gesagt!) – Es ist richtig, er hat das nicht gesagt. Ich verlagere nur die Betonung. Wir besprechen das nachher, Frau Kollegin. UNAMID steht jedenfalls – und dem wird nicht widersprochen werden können – aufseiten der Zivilbevölkerung. Sie richtet Schutzzonen ein und sichert diese. UNAMID erleichtert die Leistung humanitärer Hilfe, die ebenfalls der Zivilbevölkerung zugutekommt. Wir mögen in diesem Haus unterschiedliche Auffassungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Allgemeinen haben. Der humanitäre und protektive Charakter der UNAMID-Mission, über die wir heute sprechen, sollte allerdings, liebe Frau Kollegin Buchholz, diese Differenzen ausräumen. Die blauen Helme der UNAMID-Soldaten bedeuten für die sudanesische Zivilbevölkerung Schutz und Unterstützung. Deswegen sollte der Deutsche Bundestag sich heute geschlossen hinter diesen Einsatz stellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aktuell zeichnen sich wieder hoffnungsvolle Signale für einen Frieden im Sudan und in der Region Darfur ab. Im März hat die Afrikanische Union mit der sudanesischen Regierung eine Roadmap verhandelt, welche zu einem Ende der Kampfhandlungen, zur Schaffung von Zugängen für humanitäre Hilfe und zu einer erneuten Annäherung der Konfliktparteien führen soll. Im August wurde die Roadmap auch von Teilen der Oppositionsgruppen unterzeichnet. Es wäre natürlich naiv, zu glauben, dass damit nun ein Frieden in greifbare Nähe gerückt wäre. Ein wenig Optimismus darf und muss aber gerade auch im Interesse der sudanesischen Bevölkerung erlaubt sein. Die humanitäre Hilfe und der Schutz, der durch UNAMID ermöglicht wird, verschaffen Erleichterung und geben Hoffnung. Wenn wir nicht optimistisch auf die kleinen Fortschritte blicken würden, die auch durch die UNAMID-Mission zustande kommen, dann würden wir den persönlichen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, der Polizisten und zivilen Experten vor Ort kleinreden. Und das wäre nicht angemessen. Erst Anfang November wurden erneut Waffenstillstände durch die Regierung sowie zwei Oppositionsparteien verkündet. Es sind die Phasen der relativen Ruhe, in denen die UNAMID-Mission ihrem Auftrag zu – ich zitiere – „Vermittlungsbemühungen in Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zur Bekämpfung ihrer tieferen Ursachen“, verstärkt nachkommen kann. Solche Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind es, die zu einem dauerhaften Frieden führen können. Wir begrüßen deshalb die Bemühungen eines nationalen Dialoges der sudanesischen Regierung, auch wenn dieser durch das Fernbleiben relevanter Volksgruppen und Oppositionskräfte bisher nur geringe Wirkung entfaltet. Meine Damen und Herren, es ist ein grauenhafter Konflikt, über den wir heute sprechen: 300 000 Tote und Millionen Binnenvertriebene. Ich stimme zu, dieser Konflikt ist nur politisch zu lösen. Für dieses Ziel wird auch die UNAMID-Mission als Teil eines umfassenden Beitrags der Bundesrepublik Deutschland zur Beendigung des Konflikts gebraucht. Der Beitrag umfasst neben der Beteiligung an UNAMID die Hilfe der Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit durch Verfassungsberatung und Demokratieförderung sowie die Unterstützung des Auswärtigen Amtes bei der regionalen Rüstungskontrolle zur besseren Überwachung der Waffenbestände. Wir tun – zusammenfassend – viel Gutes, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. Den Soldatinnen und Soldaten, die weltweit die heute geschilderten Ziele verfolgen, danke ich ganz herzlich. Ich wünsche ihnen und ihren Familien frohe Weihnachten, genau wie Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen im Bundestag. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10549, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10189 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, und nutze die Zeit für den Hinweis, dass gültige Abstimmungskarten nicht nur bei der Abstimmungsurne an der Regierungsbank, sondern auch bei allen anderen hier im Saal befindlichen Abstimmungsurnen abgegeben werden können. Sind jetzt alle Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es noch jemanden hier im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Caren Lay, Herbert Behrens, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung Drucksache 18/9125 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Haushaltsausschuss (f) Federführung strittig b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung Drucksache 18/10606 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer Drucksache 18/10607 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Brennstofflieferungen für belgische Atomkraftwerke stoppen Drucksache 18/9676 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekommunalisierung unterstützen Drucksache 18/10282 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Federführung strittig f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Regionale Wirtschaftspolitik – Ein integriertes Fördersystem für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland schaffen Drucksache 18/10636 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Dazu übergebe ich an meine Kollegin Edelgard Bulmahn. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den genannten Tagesordnungspunkten handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu zwei Überweisungen, bei denen die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt 33 a. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9125 zur Änderung der Abgabenordnung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Haushaltsausschuss. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim Haushaltsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken abgelehnt worden. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag von CDU/CSU und SPD abstimmen, also Federführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 33 e. Auch hier ist die Federführung strittig. Der Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10282 mit dem Titel „Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekommunalisierung unterstützen“ soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Innenausschuss. Ich lasse auch hier zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist auch dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, Federführung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen. Das sind die Tagesordnungspunkte 33 b bis 33 d sowie der Tagesordnungspunkt 33 f. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 c bis 34 m sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 i auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 34 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten Drucksachen 18/589, 18/5434 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5434, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/589 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen der Kommission für zwei Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten (C(2016) 3751, C(2016) 3752) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Schutz vor Hormongiften verbessern – Die Kriterien für endokrine Disruptoren müssen dem Vorsorgeprinzip entsprechen Drucksachen 18/10382, 18/10659 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10659, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10382 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Sechste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/10346, 18/10444 Nr. 2.2, 18/10662 Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/10346 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/10652 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvE 3/16 und 2 BvR 1823/16 Drucksache 18/10653 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 34 h bis 34 m. Tagesordnungspunkt 34 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 388 zu Petitionen Drucksache 18/10486 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 388 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 389 zu Petitionen Drucksache 18/10487 Wer stimmt hierfür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist auch die Sammelübersicht 389 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 390 zu Petitionen Drucksache 18/10488 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 390 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 391 zu Petitionen Drucksache 18/10489 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 391 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 392 zu Petitionen Drucksache 18/10490 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 392 mit den Stimmen der Koalition und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 34 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 393 zu Petitionen Drucksache 18/10491 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 393 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Zusatzpunkt 2 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3277 mit dem Titel „Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2879 mit dem Titel „Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Zusatzpunkt 2 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Christian Kühn (Tübingen), Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Feinstaubemissionen aus Baumaschinen reduzieren Drucksachen 18/3554, 18/4399 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4399, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3554 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Zusatzpunkt 2 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Paus, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Atomkosten verursachergerecht anlasten – Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anheben Drucksachen 18/10034, 18/10545 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10545, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10034 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen nun zu den Zusatzpunkten 2 d bis 2 i. Es handelt sich um weitere Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 2 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 394 zu Petitionen Drucksache 18/10644 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Zusatzpunkt 2 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 395 zu Petitionen Drucksache 18/10645 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Zusatzpunkt 2 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 396 zu Petitionen Drucksache 18/10646 Wer stimmt dafür? – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Zusatzpunkt 2 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 397 zu Petitionen Drucksache 18/10647 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Zusatzpunkt 2 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 398 zu Petitionen Drucksache 18/10648 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Zusatzpunkt 2 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 399 zu Petitionen Drucksache 18/10649 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Bevor ich den Zusatzpunkt „Aktuelle Stunde“ aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung vortragen. Abgegeben wurden 587 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 526 Kolleginnen und Kollegen. Mit Nein haben gestimmt 60 Kolleginnen und Kollegen. Ein Abgeordneter hat sich enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 587; davon ja: 526 nein: 60 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein SPD Christian Petry DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Enthalten SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein Für die Diskussion liegt mir die Rednerliste schon vor. Damit kann ich die Aussprache eröffnen. Als erster Redner hat Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg über Ramstein als Relaisstation. Vor zwei Wochen hat hier in der Fragestunde die Bundesregierung zum ersten Mal nach vielen Jahren eingeräumt, dass Ramstein eine solche Relaisstation ist. Jahrelang haben Sie die Öffentlichkeit und dieses Parlament getäuscht. Das lassen wir nicht durchgehen. (Beifall bei der LINKEN) Von Kontrollstationen in den USA wird die Kommunikation über ein Glasfaserkabel nach Ramstein geleitet und von dort via Satellit in die Einsatzgebiete. Bereits im April 2010 wurde das Verteidigungsministerium von der US-Regierung über den Bau einer hierfür notwendigen – Zitat – „Drohnen-SATCOM-Relais-Einrichtung“ in Ramstein unterrichtet. Seitdem haben zahlreiche Journalisten, Abgeordnete – Herr Ströbele, Herr Movassat, Herr Alexander Neu, Gregor Gysi und auch meine Wenigkeit – immer wieder nachgefragt. Anwälte, Menschenrechtsaktivisten, ehemalige Drohnenpiloten, sogar ein Untersuchungsausschuss des Bundestages haben das Thema aufgegriffen und die Rolle Ramsteins als unverzichtbare Relaisstation bestätigt. Dreieinhalb Jahre lang antwortete die Bundesregierung, ihr lägen dazu keine Erkenntnisse vor. Über Jahre wurde diese Formel wiederholt oder einfach die Fragestellung verdreht. Im April 2014 sagte schließlich der ehemalige US-Drohnenpilot Brandon Bryant hier im Untersuchungsausschuss aus und berichtete von seinen über 1 000 Einsätzen, die über Ramstein gingen. Erst danach schickte die Bundesregierung einen Fragenkatalog an die US-Botschaft. Mit dessen Beantwortung werde in wenigen Wochen gerechnet, erklärte mir damals Staatssekretärin Professor Maria Böhmer. Damit begann das Kasperletheater. Es wurde immer wieder gefragt, und es wurde immer wieder gesagt: Ja, wir haben die US-Seite nachdrücklich, eindringlich usw. darauf hingewiesen. – Aber es kam bis zur letzten Sitzungswoche keine Antwort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung höhlt die parlamentarische Kontrolle aus. Wir wurden mit halbseidenen Antworten verhöhnt. Dieser Umgang mit dem Fragerecht der Abgeordneten ist völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es sind auch derartige Vorgänge, die das Vertrauen in die Demokratie untergraben. Das darf nicht sein. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit der Duldung des Drohnenkriegs über Ramstein bricht die Bundesregierung nicht nur das Grundgesetz, sondern auch Völkerrecht und die universellen Menschenrechte. Ich meine damit nicht nur die gezielten Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren. Mit ihrer gesamten militärischen Drohnenpolitik der letzten zehn Jahre hat die US-Regierung die Kriegsführung nicht nur räumlich, sondern auch völkerrechtlich entgrenzt. Der Einsatz der US-Kampfdrohnen erfolge als militärische Gewalt und sei damit auf Basis von Recht und Gesetz, schreibt das Auswärtige Amt; alles andere seien Einzelfälle, für die wir zuerst Belege bringen sollten. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Florian Hahn [CDU/CSU]: Doch!) die gezielten Hinrichtungen sind keine Einzelfälle. Wir können davon fast täglich in den Medien lesen. Es ist die Bundesregierung, die uns beweisen muss, dass die Tötungen ohne Gerichtsverfahren über eine Relaisstation in Ramstein keine Beteiligung an einer völkerrechtlichen Straftat darstellen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung darf die Militäroperationen von deutschem Territorium aus nicht erlauben, erst recht nicht, wenn diese im Verdacht stehen, mit tausendfachen illegalen Hinrichtungen völkerrechtswidrig zu sein. Das NATO-Truppenstatut ist kein Freibrief für das US-Militär. Auch die Bundesregierung hat nach dem Abkommen Rechte und Pflichten, etwa zur Überprüfung der rechtmäßigen Nutzung der überlassenen Standorte. Kein Gesetz, keine Konvention der Welt gestattet die Führung von Todeslisten und die Hinrichtung ohne vorheriges Gerichtsverfahren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das Stationierungsabkommen mit den USA und der NATO für die Air Base Ramstein muss deshalb gekündigt werden. (Beifall bei der LINKEN) Statt jetzt selbst in den Drohnenkrieg einzusteigen, wie es die Bundesregierung mit der eigenen Anschaffung von Kampfdrohnen des Typs Heron TP plant, wären internationale Initiativen zur Ächtung oder wenigstens zur Einhegung des wuchernden Einsatzes von Kampfdrohnen notwendig. Ich war letzte Woche bei der UNO in New York. Ich habe mich da erkundigt, wie der Stand der Debatte ist. Es gibt sehr wohl Initiativen, leider ohne Aktivitäten von deutscher Seite. Das ist sehr traurig. Setzen Sie sich endlich für eine Drohnenkonvention ein! Verzichten Sie auf die deutschen Kampfdrohnenpläne, und schließen Sie Ramstein für den US-Drohnenkrieg! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben auf der Tagesordnung sicherlich eine der schwierigsten politischen und militärischen Fragen, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine rechtliche Frage!) was ethische Aspekte angeht. Zu meinem Vorredner möchte ich nur sagen: Dieses Thema eignet sich nicht zu der Simplifizierung, die Sie gerade hier angewandt haben. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) – Ich meine, Antiamerikanismus geht bei Ihnen immer. Aber das wird mit uns nicht zu machen sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hallo! Hallo! Aufwachen! Wer ist da zum Präsidenten gewählt worden? – Mann, ist das peinlich!) Antiamerikanismus ist noch keine Politik. Schauen Sie sich die Thematik doch bitte einmal in aller Ruhe an. Wir haben ja festgestellt, dass Sie hier die Forderung erhoben haben, dass man alle vertraglichen Übereinkünfte, was Ramstein betrifft, kündigen sollte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Möglicherweise schlagen Sie uns als Nächstes – auch das gehört zu Ihrer Agenda – vor, dass wir aus der NATO austreten (Zuruf von der LINKEN: Ja!) und das Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika beenden. Ich stelle hier nur in den Raum: Wer meint, so verantwortliche Außen- und Sicherheitspolitik in der nächsten Legislaturperiode gestalten zu können, wird garantiert die Sicherheit und die Freiheit Deutschlands gefährden, (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Aufs Spiel setzen!) und davor können wir nur warnen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Es geht um Ramstein! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Reden Sie mal zum Thema!) Das Thema ist komplex, und es ist schwierig. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem sind Sie bisher aber nicht gerecht geworden!) – Entschuldigung, ich muss ja erst einmal auf das antworten, Herr Kollege Trittin, was seitens der Linksfraktion hier bisher holzschnittartig vorgetragen wurde. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war hoch differenziert!) Ich finde, wir müssen erstens zwischen dem technischen Fluggerät Drohne und zweitens seinem konkreten Einsatz unterscheiden. Sie haben hier gerade eben im Übrigen Aufklärungsdrohnen und Kampfdrohnen, die also zur Bekämpfung geeignet sind, in einem Atemzug genannt. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Nein!) – Sie haben eben ein konkretes Gerät genannt. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Heron TP ist eine Kampfdrohne!) Dazu sage ich Ihnen: Die Aufklärungsdrohnen, die beispielsweise unsere Soldatinnen und Soldaten einsetzen, schützen Menschenleben und sorgen dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten einen sichereren Einsatz durchführen können. Deswegen ist das zunächst einmal ein richtiger, guter und militärisch zu rechtfertigender Einsatz von Drohnen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Lenken Sie nicht ab! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um die geht es nicht! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal über Ramstein!) Die klassische völkerrechtliche Unterscheidung, die uns natürlich leitet und die das humanitäre Völkerrecht, das Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts kodifiziert wurde, geprägt hat, nämlich die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten, bei der man sich dann darauf verlassen kann, dass in dieser Auseinandersetzung die Kombattanten auch wirklich Uniform tragen und als solche erkennbar sind, gilt eben leider in den asymmetrischen Auseinandersetzungen, die wir mit al-Qaida, mit ISIS und anderen Extremisten in dieser Welt zu führen haben, nicht mehr. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Die darf man wegbomben, ja?) Das muss man zur Kenntnis nehmen, und darauf müssen wir uns in Zukunft auch einstellen. Selbstverständlich ist es völkerrechtlich, kriegsvölkerrechtlich zulässig, in militärischen Auseinandersetzungen dieser Art auch Kampfdrohnen einzusetzen. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Ja, aber nicht im Jemen oder in Pakistan!) – Das mag umstritten sein. Das haben wir auch hier im Deutschen Bundestag schon für die deutsche Bundeswehr miteinander diskutiert. Darüber muss man sich politisch auseinandersetzen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist eine rechtliche Frage!) Jeder, der den Einsatz von Drohnen verneint, verlangt ja nur, dass ein Pilot im Flugzeug sitzt und sich einer entsprechenden Lebensgefahr aussetzt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ob die zu Hause sitzen oder irgendwo, die werden abgeschossen!) Wir halten unter diesen Aspekten den Einsatz von Kampfdrohnen prinzipiell für zulässig, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die gezielten Hinrichtungen?) und ich warne davor, von vornherein den Einsatz dieser militärischen Mittel hier zu verteufeln Wenn wir diese Auseinandersetzung gewinnen wollen und wenn wir dabei möglichst wenige Leben von Soldatinnen und Soldaten gefährden wollen, dann muss man (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Möglichst viele Zivilisten!) sich diese technischen Möglichkeiten offenhalten. Nun kommen wir sicherlich – das will ich Ihnen ohne Weiteres zugestehen – zu den schwierigen Punkten des Drohneneinsatzes, der von den Vereinigten Staaten von Amerika, übrigens unter Präsident Obama, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das macht es nicht besser!) offenkundig in einem Umfang vermehrt worden ist, wie wir das nicht erwartet haben. Das steht in einem bemerkenswerten Gegensatz dazu, dass nahezu die gesamte Weltöffentlichkeit bedauert, dass dieser Präsident nun nicht weiter im Amt ist und nicht von einer Parteifreundin sozusagen beerbt wird. Er hat auch hier in Deutschland noch einmal diesen Einsatz von Kampfdrohnen gerechtfertigt, und es ging kein Aufschrei der Empörung durch Deutschland. Nein, dieser Präsident hat eine große Unterstützung dafür erhalten. Die Bundesregierung hat – das möchte ich abschließend sagen, Frau Präsidentin – ganz klar festgehalten: Es gibt keine aktive deutsche Beteiligung an derartigen gezielten Tötungen, etwa in Form von Racheakten, ohne dass es ein entsprechendes Gerichtsverfahren gegeben hat. – Auch wir sind natürlich dieser Auffassung und würden uns militärisch nie an so etwas beteiligen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ramstein ist aber in Deutschland!) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen bündnisfähig bleiben, und wir brauchen die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Rahmen der NATO selbstverständlich auch weiterhin. Das sollten wir durch diese Fragen nicht erschüttern lassen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wadephul, über Ramstein haben Sie nun keinen Satz verloren, nicht einmal ein Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Ramstein und AFRICOM, das ist aber heute das Thema. Es geht hier heute bei dem Tagesordnungspunkt „Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein“ nicht nur darum, dass gezielte Hinrichtungen ohne jedes Gerichtsurteil mit unseren Werten, wie sie im Grundgesetz verankert sind, mit der Unantastbarkeit der Würde des Menschen, mit dem Recht auf Leben und mit dem Verbot der Todesstrafe nicht zu vereinbaren sind. Das passt überhaupt nicht zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Sie können zwar sagen: Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus sind auch besondere Maßnahmen erforderlich. – Die grundsätzliche Frage ist jedoch: Geht das auch so weit, dass wir – so wie das jetzt praktiziert worden ist – solche gezielten Tötungen zulassen, ihnen zustimmen oder sie über unser Gebiet abwickeln lassen, wenn sie in Gebieten stattfinden, wo überhaupt kein Krieg herrscht, wenn sie sich gegen Personen richten, die zu Hause sitzen, die irgendwo auf dem Feld arbeiten, die in einem Jeep oder in einem Lastwagen – nicht in einem Militärfahrzeug – durch die Gegend fahren? Gilt das dann auch? Das kann nicht sein, wenn unsere Werte, die wir verteidigen wollen, gerade auch in diesem Krieg, in dieser Auseinandersetzung, gewahrt werden sollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht heute speziell in dieser Aktuellen Stunde darum: Was hat die Bundesrepublik Deutschland mit diesen Drohneneinsätzen zu tun, die wahrscheinlich von US-Präsident Obama oder von der US-Administration befohlen worden sind? Was hat die Bundesregierung damit zu tun? Was haben also wir damit zu tun? Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn es stimmt, dass die Drohnen über Ramstein an ihr Ziel gelenkt werden und dann auf den Auslöser für die Rakete gedrückt wird, dann ist die Bundesrepublik Deutschland mitverantwortlich und mitschuldig. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb hat die Bundesregierung all die Jahre auf solche Fragen immer geantwortet: Wir wissen nicht, was sie da machen. Wir gehen davon aus, dass sie sich an Gesetz und Recht halten, auch in Deutschland. Das steht in den Vereinbarungen. Das steht in den Verträgen. – Haben sie das wirklich gemacht? Hat sich die Bundesregierung bei den Amerikanern kundig gemacht? Hat sie das gemacht, was wir gemacht haben? Wir sind nach Ramstein gefahren und haben den kommandierenden General gefragt: Was machen Sie eigentlich? Was läuft über Ramstein mit den Drohnen? – Er hat uns genau dasselbe wie Obama gesagt: Wir lassen keine Drohnen in Deutschland starten. Wir befehligen sie auch nicht in Ramstein. – Nun hat niemand behauptet, dass sie Drohnen in Deutschland starten. Das würde überhaupt keinen Sinn machen. Denn sie könnten gar nicht so weit fliegen, um in Afrika eingesetzt zu werden. Etwas anderes ist auch nie behauptet worden. Es ist die Frage: Wird die Relaisstation in Ramstein genutzt? Jetzt haben wir hier eine völlig neue Situation, weil wir vom Außenministerium gehört haben: All das, was bisher vermutet wurde, was in der Zeit und im Spiegel stand, bestätigt, dass Relaisstationen die Befehle an die Einsatzorte der Drohnen weitertragen, und das läuft über Ramstein. Der Zeuge Brandon Bryant hat im Untersuchungsausschuss ausgesagt – er war fünf Jahre lang Drohnenpilot und an unzähligen Tötungen beteiligt –: Vor jedem Einsatz haben wir in Ramstein angerufen. Wir hatten an unserem Telefon eine Wahlwiederholungstaste, auf die wir gedrückt haben, um eine Verbindung mit Ramstein zu bekommen. Erst wenn Ramstein „okay“ gesagt hat, dann haben wir losgelegt und dann gingen die Befehle aus der Wüste in den USA über Glasfaser nach Europa und von dort über die Relaisstation zu den Satelliten. – Das hat er ausgesagt. Er hat etwas Weiteres ausgesagt: Die Bundesregierung war davon unterrichtet. – Das ist ihm immer wieder von seinen Offizieren, seinen Vorgesetzten versichert worden. Der Bundesregierung sind die Papiere darüber ausgehändigt worden. Sie wusste das alles. Die Bundesregierung hat uns hier im Bundestag die Unwahrheit gesagt. Sie hat nicht zu dem gestanden, was sie wusste. Das können wir nicht hinnehmen. Wir müssen unsere Rechte einklagen. Wir müssen die Rechte der Öffentlichkeit in Deutschland einklagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir verlangen Wahrheit und Klarheit. Nur dann kann die Bundesregierung wieder glaubwürdig werden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie ist glaubwürdig!) Deshalb habe ich Strafanzeige gegen die Verantwortlichen in Deutschland und in den USA erstattet aufgrund der klaren Aussage, dass Deutschland bei den Drohnenangriffen dabei ist. Ich sage – und kann es nur unterstützen –: Das darf nicht länger geduldet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie können nicht noch drei Jahre verhandeln, sondern es muss beendet werden. Nach den Auskünften, die die USA Deutschland gegeben haben, muss jetzt Schluss sein. Man muss den USA sagen: Diese ganze Tätigkeit muss sofort eingestellt werden. Die Relaisstationen dort müssen geschlossen werden. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es dürfen keine Tötungsbefehle über Deutschland, über Ramstein gegeben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Thomas Hitschler hat als nächster Redner das Wort. Thomas Hitschler (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur Weihnachten steht vor der Tür, sondern auch Silvester rückt immer näher – und damit zahlreiche Wiederholungen des Klassikers Dinner for One. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das wird dem Ernst der Lage nicht gerecht!) Ähnlich wie der Butler James in diesem zeitlosen Sketch frage ich mich angesichts dieser Aktuellen Stunde: „The same procedure as last year?“ Wir alle kennen das Stück, und wir alle wissen, dass es eigentlich nichts wirklich Neues gibt. Aber wenn der Linkspartei für die Aktuelle Stunde nichts Aktuelleres einfällt, schauen wir es uns eben noch einmal an. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Linkspartei gibt es seit 2007 nicht mehr! Jetzt ist es Die Linke!) Das immer gleiche Stück der Linkspartei handelt von den bösen Amerikanern und von der deutschen Beteiligung an Völkerrechtsverletzungen. Im Gegensatz zu Dinner for One, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir es hier aber mit einem sehr ernsten Stoff zu tun. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ah! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dem werden Sie auch nicht gerecht!) Es geht um nicht weniger als Leben und Tod. Daher halte ich es für geboten, diese Debatte zu versachlichen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha!) Das offizielle Thema dieser Aktuellen Stunde ist die Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein. Aber seien wir ehrlich: Tatsächlich wollen Sie doch alte Forderungen und Vorwürfe wieder aufwärmen. Ihre Forderung lautet, den Stützpunkt Ramstein unverzüglich zu schließen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu haben Sie einen Antrag gestellt, den wir im Januar, soweit ich das richtig im Kopf habe, noch einmal besprechen werden. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Immer und immer wieder!) Ihr zusätzlicher Vorwurf lautet, die Bundesregierung beteilige sich an völkerrechtswidrigen, extralegalen Tötungen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja!) Beides, liebe Kolleginnen und Kollegen, halte ich für falsch. Ich sage Ihnen auch gerne, wieso ich das für falsch halte: Erstens. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Welt will ich erst einmal eines unterstreichen: Eine gute Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bleibt für die Bundesrepublik sicherheitspolitisch von extrem hoher Bedeutung. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Deshalb beteiligen Sie sich am Drohnenkrieg?) Die Westbindung und die Mitgliedschaft in der NATO sind seit Jahrzehnten Grundpfeiler der Sicherheit und des Friedens in Deutschland. Dies in der aktuellen Weltlage aufzukündigen, wäre politisch eine absolute Geisterfahrt – unverantwortlich und mit uns auch nicht zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Teil dieser Zusammenarbeit sind auch die US-amerikanischen Stützpunkte auf deutschem Boden wie der in Ramstein. Zweitens. Als Pfälzer muss ich Ihnen eines deutlich sagen: Ramstein zu schließen, so wie Sie es fordern, wäre ein herber Schlag für die ganze Region. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Die Militärgemeinde Kaiserslautern erzeugt eine jährliche Gesamtwertschöpfung für die regionale Wirtschaft (Niema Movassat [DIE LINKE]: Ah, es geht um Geld! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach so!) von über 2 Milliarden US-Dollar. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Für Geld gehen Sie über Leichen, oder was? – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist echt peinlich!) Die US-Streitkräfte sind einer der größten Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz. Gute Zusammenarbeit und regionale wirtschaftliche Interessen bedeuten aber nicht – jetzt kommt der Punkt, ab dem Sie mir zuhören sollten –, dass wir völlig unkritisch miteinander umgehen müssen oder dass wir alles gutheißen müssen, was die andere Seite tut. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich lehne extralegale gezielte Tötungen absolut ab. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN) Das ist auch die Position der Bundesregierung; so steht es schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag. Dort ist auch festgehalten, dass sich Deutschland für eine völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme einsetzt. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Extralegale Tötungen außerhalb bewaffneter Konflikte sollten weltweit geächtet werden – mein Kollege Karl-Heinz Brunner wird dazu gleich noch etwas sagen –, aber so weit sind wir leider noch nicht. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Ach so!) Die völkerrechtliche Bewertung des Drohnenkriegs gestaltet sich wesentlich schwieriger, als es die Vorwürfe der Linkspartei suggerieren. Drohnenangriffe weichen das Völkerrecht auf. Das wird mit allem Recht kritisiert. Aber per se völkerrechtswidrig sind sie eben nicht. Deutschland hat den USA in völkerrechtlichen Verträgen wie dem NATO-Truppenstatut die Nutzung der Air Base in Ramstein eingeräumt. Die USA sind dort weder Besatzer noch gibt es ein Sonderrecht. Der Stützpunkt bleibt auf deutschem Boden, und dort gilt deutsches Recht. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Um die zugesicherte Nutzung der Air Base zu verweigern, müsste man hieb- und stichfest nachweisen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) – deshalb warten wir das Gerichtsurteil ab –, dass sich die USA dort nicht an deutsches Recht halten, Herr Ströbele. Die Vereinigten Staaten haben der Bundesregierung jedoch wiederholt zugesichert, dass sie deutsches Recht beachten. (Zuruf von der LINKEN: Die hören uns auch nicht ab! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das ist gelogen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie mit dem Spionieren unter Freunden!) Die Bundesregierung kommt ihrem grundgesetzlichen Auftrag nach, wenn sie die USA darauf hinweist, dass die Air Base Ramstein nur in rechtskonformer Weise genutzt werden darf – so lautet das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das aktuelle Geltung hat, Kolleginnen und Kollegen. Von Ramstein aus werden keine Drohnen gestartet und gesteuert (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Nebelwerfer!) – ich bin sehr dankbar, Herr Ströbele, dass Sie das vorhin gesagt haben –; das hat auch die amerikanische Regierung immer wieder betont. Die USA nutzen den Stützpunkt Ramstein nach den derzeitigen Kenntnissen im Rahmen des deutschen Rechts. Die von der Linkspartei konstruierte deutsche Beteiligung am US-Drohnenkrieg besteht also im Grunde darin, eine rechtskonforme Nutzung der Air Base Ramstein nicht zu verweigern. (Zurufe von der LINKEN) Das ist am Ende ein rechtlich dünner Vorwurf mit sehr wenig Neuigkeitswert, liebe Kolleginnen und Kollegen. Um es mit den Worten der 90-jährigen Miss Sophie zu sagen: The same procedure as every year. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das war aber ganz schwach! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Peinlich!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Michael Vietz hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Vietz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir geht es heute nicht darum, ob sich Deutschland direkt oder indirekt über den Standort Ramstein an militärischen Einsätzen beteiligt. Es geht mir auch nicht um den Einsatz von Drohnen im Allgemeinen oder im Speziellen. Vielmehr geht es mir darum, wie wir mit unserem langjährigen Bündnispartner USA umgehen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Deutschland ist keine Insel. Wir können uns nicht von der Welt abkoppeln. Wir stehen Schulter an Schulter mit unseren Verbündeten und Partnern für unsere gemeinsamen Werte, was wir mit den heutigen Mandatsbeschlüssen erneut unterstrichen haben. Sicherlich: Es gilt dabei, die notwendige Balance zu halten. Bei Erhalt und Verteidigung unserer Werte verlieren wir unsere Grundsätze nicht aus den Augen. Die Einhaltung des Völkerrechts sowie der in unserem Land geltenden Gesetze sind selbstverständlich. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Grundgesetz zum Beispiel!) – Genau. – Fakt ist: Die amerikanische Militärpräsenz in Deutschland ist ein Zeichen der Bündnissolidarität innerhalb der NATO. Sie liegt auch in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Ramstein ist der größte Militärflugplatz außerhalb Amerikas. Hier laufen entscheidende Funktionen zusammen. Dazu gehört unter anderem die NATO-Kommandobehörde zur Führung von Luftstreitkräften. Aber auch humanitäre Einsätze, zum Beispiel die Bekämpfung der Ebolakrise, wurden und werden hier koordiniert. Die Rolle von Ramstein beim Einsatz von Drohnen wird vonseiten der Bundesregierung in einem beharrlichen Dialog mit Washington diskutiert; beharrlich heißt übrigens: nicht schreien, kreischen und Ähnliches. Wir wissen, dass Drohnen in Ramstein weder starten noch landen oder gesteuert werden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nie jemand behauptet! Die können da gar nicht starten!) Daran hat sich bis jetzt auch nichts geändert. Und auch die Nutzung als Relaisstation für Steuerungsdaten fällt meines Erachtens nicht in diesen Bereich; Sie haben selber in Ihren Beiträgen unterstrichen, dass das nicht wirklich eine neue Erkenntnis, eine neue Datenlage ist. Dies ist in meinen Augen auch nicht als Beteiligung unseres Landes an Einsätzen, egal welcher Art, zu werten. Die Herleitung, dass wir Verantwortung und Kontrolle über die über Ramstein weitergeleiteten Daten übernehmen müssen, weil wir das Gelände zur Verfügung stellen, halte ich schlichtweg für abwegig. Wichtig ist der regelmäßige, konstruktive Dialog. Gegenseitiges Vertrauen ist unabdingbar. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Deshalb ist Herr Ströbele hier doch angelogen worden!) Würde dieses Misstrauen, das wir gegenüber einem unserer Verbündeten hier regelmäßig äußern, nur zur Hälfte gegenüber anderen Akteuren der Weltpolitik geäußert, wäre der eine oder andere hier in diesem Haus glaubwürdiger. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Dieses Vertrauen erreichen wir sicher nicht, wenn wir Reflexen von Misstrauen und Kontrollfantasien nachgehen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das beweist uns die NSA tagtäglich, das Vertrauen der Amerikaner in uns!) – Im Kindergarten habe ich gelernt: Wer am meisten und am lautesten schreit, hat am Ende nicht immer recht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht immer, aber manchmal!) Zu unterstellen, dass in Ramstein umfangreich gegen geltendes Recht verstoßen wird, führt nicht weiter. Es gilt das humanitäre Völkerrecht, das – wir haben es schon gehört – den Einsatz von Drohnen nicht verbietet, sondern beschränkt. Dabei ist eine pauschale Betrachtung ausgeschlossen. Es wird grundsätzlich jeder einzelne Fall geprüft. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch!) Uns allen ist klar, dass die sicherheitspolitische Lage täglich neue Herausforderungen für uns bereithält. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus gehört mittlerweile zu unserem Alltag; diese wird übrigens durch die Relaisstation Ramstein auch nicht größer. Allein aufgrund unserer Werte und Grundsätze stehen wir seit vielen Jahren im Fadenkreuz von Daesh, al-Qaida und anderen. Der Dialog über Ziele und Mittel militärischer Aktivitäten ist ebenso wichtig wie der Dialog über Einhaltung von Recht und Gesetz. Beides macht die Bundesregierung mit unseren Partnern, auch wenn die Antworten manchmal auf sich warten lassen, auch wenn manchmal nachgehakt werden muss. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Vertrauen ist gut!) Die technische Möglichkeit allein – ich weiß, Sie zitieren gerne Lenin –, Ramstein als Relaisstation zu nutzen, hat keinerlei Auswirkungen auf uns. Unsere Partner wissen um unsere Vorbehalte und berücksichtigen diese. Manchmal lohnt es sich, einfach weiter in Vertrauen zu investieren, solange man keine wirklich belastbaren Beweise für das Gegenteil hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich sehr interessant, wie insbesondere die Vertreter der Großen Koalition in diesem Hohen Hause damit umgehen, dass wir jetzt seit 14 Tagen wissen, dass in Ramstein das Grundgesetz gebrochen wird. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) Es ist wirklich unwürdig, Herr Wadephul und Herr Hitschler, dass Sie uns, wenn wir dieses Thema hier ansprechen – man muss es in einer Aktuellen Stunde ansprechen –, Antiamerikanismus vorwerfen. Es gibt kein anderes Land auf der Erde, das den Drohnenkrieg von deutschem Boden aus organisiert. Deshalb können wir in diesem Fall nur die Amerikaner ansprechen. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Dann sagen Sie gleich mal was zu Aleppo und den Russen! Was passiert in Aleppo? Dazu keine Aktuelle Stunde! Ausgeblendet!) Das ist auch nichts Neues, Herr Hitschler – genauso wenig, wie Dinner for One zu Silvester etwas Neues ist –; denn wir wissen seit zwei Wochen von Herrn Roth, der das hier in einer Regierungsbefragung zugestanden hat, dass die Relaisstation eine wichtige Rolle spielt. Seitdem müssen wir diesem Thema nachgehen, weil die Bundesregierung uns offensichtlich entweder jahrelang belogen hat oder nur auf das vertraut hat, was die amerikanische Regierung gesagt hat. Jetzt wissen wir es offiziell, und deswegen können wir nicht mehr schweigen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Wadephul und Herr Hitschler, lassen Sie uns das mal einordnen. Worum geht es hier? (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Ordnen Sie das selbst mal ein! Was passiert in Aleppo?) Es geht um den Kampf gegen den Terror. Wir als Linke sagen es nicht zum ersten Mal – das sage ich hier ganz deutlich –: Man kann Terrorismus nicht mit Terror bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Aber auch nicht mit einem Stuhlkreis!) Doch was passiert? Dem Drohnenkrieg, der auch von Ramstein aus gesteuert wird, sind mittlerweile schon über 5 000 Zivilisten zum Opfer gefallen. Nicht nur das, was in Paris oder New York passiert ist, ist Terrorismus. Es ist auch Terrorismus, wenn unschuldige Menschen im Jemen umgebracht werden. Auch das ist Terrorismus. (Beifall bei der LINKEN) Weil Sie sagten, es sei alles in Ordnung, zitiere ich aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages: Unstreitig ist dagegen, dass Deutschland völkerrechtswidrige Militäroperationen (oder gar Kriegsverbrechen), die durch ausländische Staaten von deutschem Territorium aus durchgeführt werden, nicht dulden darf. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Die völkerrechtswidrige „Exekution“ eines Terrorverdächtigen durch Kampfdrohnen außerhalb eines bewaffneten Konflikts kann daher, wenn die Bundesregierung davon weiß und nicht dagegen protestiert, eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt darstellen. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt: Wir wissen jetzt durch Staatsminister Roth, was von Ramstein aus passiert. Wer dagegen nichts tut, beteiligt sich daran, verübt Beihilfe zum Mord. – Das muss so deutlich ausgesprochen werden. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Das tut weh, nicht wahr? Das tut weh!) Deshalb muss man es deutlich sagen: Auch wenn es sich um einen US-Militärstützpunkt handelt und Sie vielleicht glauben, dass wir aufgrund unserer Bündnistreue die Augen verschließen müssen vor dem, was die Amerikaner tun, können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Herr Hitschler, ich würde mich freuen, wenn Sie und Ihre Partei sich an Willy Brandt erinnern würden, der mal gesagt hat: „Vom deutschen Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.“ Ramstein liegt auf deutschem Boden. Bei Ihrer Rede müsste sich Willy Brandt eigentlich im Grabe umdrehen. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Hitschler [SPD]: Sie brauchen nicht Willy Brandt zu zitieren!) Ich glaube, seit den NSA-Aktionen, aber spätestens jetzt können wir nicht einfach mehr auf das vertrauen, was uns Obama oder andere Mitglieder der US-Regierung jeden Tag sagen, nämlich dass man sich an deutsches Recht halte. Spätestens jetzt muss man doch klar sagen: Offensichtlich machen die Amerikaner auf deutschem Boden und unter den Augen der deutschen Bürger so lange weiter, wie man sie lässt. Nicht nur aufgrund des Abhörskandals, sondern auch aufgrund der Situation in Ramstein wissen wir, dass es nicht ausreicht, wenn uns die US-Regierung sagt, sie halte sich an unser Grundgesetz. Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, was im Grundgesetz drinsteht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Aussage kann der Bundesregierung doch nicht ausreichen, um die Augen zu verschließen. Es ist an der Zeit, deutlich zu machen, dass wir diesen Drohneneinsatz über die Relaisstation in Ramstein ablehnen. Das bedeutet auch, dass die Bundesregierung alles tun muss, um zu überprüfen, was in Ramstein passiert. Wenn es überprüft ist und festgestellt wurde, was dort passiert, müssen die Aktionen, die von der Relaisstation ausgehen, auch gestoppt werden. Das ist das Mindeste, was man von der Bundesregierung erwarten kann, wenn sie sich ans Grundgesetz halten will. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass wir hier im Bundestag darüber reden. (Thomas Hitschler [SPD]: Es geht im Januar weiter!) Noch einmal: Das, was Herr Staatsminister Roth gesagt hat, war nicht irgendwann an Silvester bei Dinner for One, sondern das war vor 14 Tagen. Wir haben seit 14 Tagen eine ganz neue Sachlage. Deshalb wird uns das Thema auch ins neue Jahr begleiten. Wir als Linke werden die Aktivitäten des Aktionsbündnisses „Stopp Ramstein“ unterstützen, (Beifall bei der LINKEN) das auch im nächsten Jahr wieder mit Tausenden in der Westpfalz – ich komme von dort; ich wohne etwa 5 Kilometer von Ramstein entfernt – protestieren wird. Wir wollen, dass sich Deutschland nicht am Drohnenkrieg beteiligt. Wir wollen, dass sich Deutschland nicht am Krieg gegen den Terror beteiligt, wo unschuldige Menschen ums Leben kommen, wo gemordet wird. Wir wollen, dass die Relaisstation in Ramstein tatsächlich geschlossen wird. Deshalb unterstützen wir das Aktionsbündnis „Stopp Ramstein“. Ich hoffe, dass nicht nur die Grünen, sondern auch andere irgendwann wieder einmal sagen: So geht es nicht, was da passiert. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Doris Barnett hat als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doris Barnett (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, wir sind uns zumindest darin einig, dass wir seit 70 Jahren ein robustes transatlantisches Verhältnis zwischen Deutschland und den USA haben. Und das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Das hat uns geholfen, 70 Jahre in Frieden zu leben, und es hat uns auch auf dem Weg zur Wiedervereinigung geholfen. Hätten wir dieses Verhältnis nicht, hätten wir – das hätten Sie gern gemacht – die Amerikaner rausgeschmissen, weiß ich nicht, ob wir heute hier stehen würden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN) Natürlich hat dieses transatlantische Verhältnis auch Höhen und Tiefen erlebt. Natürlich gab es Präsidenten mit ganz unterschiedlichen Ansätzen, wie der Friede in der Welt verwirklicht werden kann. Natürlich lässt sich darüber streiten. Wir werden wahrscheinlich auch mit dem neuen Präsidenten darüber streiten, was der richtige Weg sein wird. Darüber kann man reden. Es gibt ja auch verschiedene Auffassungen. Ich möchte daran erinnern, dass wir 2002 mit Kanzler Schröder jemanden hatten, der sich gewehrt hat, der gesagt hat: Den Weg, den Amerika vorgibt, gehen wir nicht mit. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das wäre doch jetzt auch an der Zeit!) Wir sind nicht mit in den Irak gezogen. Das zeigt, wie robust unser Verhältnis zu Amerika ist. Denn dieses Verhältnis hat eben auch diese unterschiedliche Meinung ausgehalten. Eine emanzipierte Partnerschaft muss so etwas auch aushalten. Ich bin froh, dass wir nie ernsthafte Verwerfungen haben. Die Welt von heute ist in der Tat viel komplizierter geworden. Das Schlimme ist: Wir wissen heute gar nicht mehr, wer morgen Freund oder Feind ist. Oder wollen Sie behaupten, dass Sie das wissen? (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Aber wir wissen, dass Amerika unser Freund ist und unser Verbündeter bleibt. Nichts zu tun, was Sie praktisch vorschlagen, ist für mich keine Option. Gerade jetzt brauchen wir wieder stabile transatlantische Beziehungen und auch ein stabiles Bündnis. Denken Sie doch einmal daran, was in den letzten Tagen in Syrien geschehen ist. Wurden dort nicht auch viele zivile unschuldige Menschen umgebracht? (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und viele Terroristen!) Mir ist wichtig, dass wir zusammenarbeiten. Wir müssen auch einander vertrauen. Denn wenn wir anfangen, dem anderen gegenüber misstrauisch zu werden, dann fliegt uns das Bündnis um die Ohren. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zu Ramstein!) Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist kein eindimensionales. Es ist nicht auf die militärische Zusammenarbeit beschränkt. Diese ist nur eine Facette unserer wirklich robusten Zusammenarbeit auf ganz, ganz vielen Gebieten. Aber die militärische Zusammenarbeit ist nicht unwichtig. Darauf, dass die Amerikaner für uns die Kastanien aus dem Feuer holen – das sage ich Ihnen auch einmal –, haben wir uns jahrzehntelang ausgeruht. Jetzt sind wir am Ende der Couch-Potato-Ära angelangt. (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Das heißt, dass wir selbst wieder viel mehr Verantwortung übernehmen müssen in einem sicherheitspolitisch verantwortlichen Europa, das sich anscheinend erst bildet. Noch sind alle zögerlich und warten nur darauf – ich darf an die Zeit des Balkankriegs erinnern; es war schändlich, was sich Europa da geleistet hat –, (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) dass die Amerikaner eingreifen. Ich kann es nur noch einmal sagen: Wir sind froh, dass wir solch ein Bündnis haben. Aber wir müssen feststellen, dass wir uns aufgrund unserer Verantwortung auch neue Wege überlegen müssen. Wir in Deutschland haben einen eigenen Weg für Konfliktlösungen eingeschlagen. Er ist zwar langwierig und zäh und erleidet auch hin und wieder Rückschläge; aber am Ende der vielen kleinen Schritte zeigt sich doch Erfolg. Wir gehen mit unserem Außenminister den Weg des Gesprächs, des Dialogs, der Diplomatie und auch – das ist neu – den Weg der parlamentarischen Diplomatie. Das ist eine neue, große Herausforderung, gerade an uns Abgeordnete selbst. Helfen wir, die Feuer auszutreten, bevor es zum Brand kommt! Verstärken wir den Dialog mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Welt! Nehmen wir Partei für unsere Kollegen dort, wo sie bedroht werden! (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt zum Thema! Was ist in Ramstein los?) Werden wir laut, wo Menschenleben auf dem Spiel stehen, und zwar nicht nur, wenn unser Partner angeblich an allem schuld ist! Es gibt auch andere Schuldige. Mit unserem Partner USA können wir reden, wir können mit ihm diskutieren, und wir können streiten; denn wir vertreten immerhin dieselben Werte auf der Welt, auch wenn wir bei den Zielrichtungen verschiedene Wege gehen und darüber auch weiterhin reden und im Gespräch bleiben müssen. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass wir jetzt noch bessere Möglichkeiten bekommen, als Abgeordnete mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den USA zu reden. Wir haben das Deutsche Haus in New York, und auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents in Kalifornien haben wir die Villa Aurora und jetzt auch noch das Thomas-Mann-Haus. All diese Einrichtungen können und sollten wir für diesen notwendigen Dialog nutzen. (Zurufe von der LINKEN) Lassen Sie uns nicht wegen einer Relaisstation streiten, sondern nehmen wir den Dialog auf! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jürgen Trittin hat als nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegen von der Großen Koalition scheinen die Waffengattung verwechselt zu haben. Wir reden hier darüber, ob in völkerrechtswidriger oder fragwürdiger Art und Weise auf deutschem Boden der Einsatz von Drohnen ermöglicht wird. Das ist das Thema, nicht aber die Frage: Wie werfe ich im Interesse von Rheinland-Pfalz und mit Blick auf die Standortbedingungen und die Gemeinden dort möglichst viele Nebelgranaten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die zweite Nebelgranate, die Sie geworfen haben, ist die Frage der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Frau Barnett, ich bin zutiefst überzeugt, dass wir mit den USA gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte tragen, übrigens auch in schwierigen Zeiten. Aber gerade da muss man sagen: Es ist falsch verstandene Freundschaft, wenn diese Zusammenarbeit und diese Freundschaft nicht auf dem Boden des Rechts und des Völkerrechts stattfinden. Dann ist es nicht Freundschaft, sondern falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben das Beispiel selbst genannt. Ich lasse mir doch nicht nachsagen, ich sei ein Antiamerikaner gewesen, als eine Bundesregierung, der ich angehört habe, Folgendes gesagt hat: Das, was die US-Regierung im Irak macht, ist völkerrechtswidrig. Da machen wir nicht nur nicht mit, sondern da sorgen wir dafür, dass es eine Mehrheit im Sicherheitsrat dagegen gibt. – Das war keine Absage an unsere transatlantische Beziehung. Also lassen Sie diese Diskussion bitte im Schrank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir reden hier über die Frage: Wie ist es ermöglicht worden, von deutschem Boden aus in völkerrechtswidriger Art und Weise Drohnen einzusetzen? Ich dachte, da hätten wir einen Konsens. Ich habe die Äußerungen aus dem Auswärtigen Amt und die Papiere dazu gesehen. Sie mögen mir politisch nicht passen; aber die offizielle Auffassung ist: Der Einsatz von Kampfdrohnen ist nicht in jedem Fall völkerrechtswidrig. Er ist gebunden an die Voraussetzung, dass es sich um einen bewaffneten Konflikt handelt. – Wenn wir uns die veröffentlichten Daten der Amerikaner anschauen, dann stellen wir fest: Die Drohnen werden außerhalb von bewaffneten Konflikten eingesetzt. Sie werden also auch nach der Rechtsauffassung, die Sie dargelegt haben, in völkerrechtswidriger Art und Weise eingesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Das muss doch jetzt eine Handlung zur Folge haben. Wir können doch nicht mit angucken, wie das, worauf wir alle uns immer berufen haben, nämlich dass im Kampf gegen den Terrorismus sich nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts am Ende durchsetzen wird, von einem unserer Bündnispartner in dieser Art und Weise mit Füßen getreten wird, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und dies umso mehr, als es mehr als Evidenzen gibt, dass die Führung dieses Krieges ohne die Logistik über Ramstein nicht möglich ist; sie wird dafür genutzt. Wenn sie dafür genutzt wird, dann müssen Sie als Ausfluss Ihrer eigenen Rechtsauffassung alles dafür tun, dass das nicht mehr geschieht, weil Sie sich sonst an dieser Sache mitschuldig machen. Das ist der Kern des Problems. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will, damit das nicht zu einer rein juristischen Debatte wird, noch eine Sache hinzufügen. Herr Vietz, Sie haben gesagt, die terroristische Bedrohung werde nicht größer. Doch! Schauen Sie sich an, wie viele Menschen, wie viele Unbeteiligte gestorben sind – da kann man die Zahlen der USA oder die Zahlen von NGOs nehmen; das ist egal –, und schauen Sie sich an, was in Pakistan, in Somalia und mitten in Afrika – in Ländern, denen niemand den Krieg erklärt hat – passiert. Diese Drohnenangriffe, bei denen so viele Zivilisten getötet werden, entwickeln sich für terroristische Wortführer und Hetzer zur Rekrutierungserzählung. Diese Angriffe führen dazu, dass sich in diesen asymmetrischen Konflikten mehr Menschen auf die Seite des Terrors stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deswegen meine dringende Aufforderung an Sie: Tun Sie alles, damit das beendet wird! Das ist nicht nur im Sinne des Völkerrechts – wir dürfen keine völkerrechtswidrigen Operationen von unserem Grund aus erlauben –, (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) sondern auch in unserem Sicherheitsinteresse. Denn was dadurch passiert, ist, dass der Terror auf der Welt mehr Zulauf bekommt. Deswegen: Beenden Sie das! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Anita Schäfer hat als nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Abgeordnete für Ramstein bin ich mit der Art vertraut, mit der die Linke die diskutierte Funktion des Stützpunktes bei amerikanischen Drohneneinsätzen immer mal wieder öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen versucht. So haben die Kollegen Sahra Wagenknecht und Alexander Ulrich im letzten Sommer vor den Toren der Basis demonstriert, (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Es waren noch mehr! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Genau! Richtig so!) nachdem sie angeblich keine Antwort auf ein Schreiben bekommen hatten, wonach sie sich auf dem Gelände über die Rolle Ramsteins bei Drohneneinsätzen informieren wollten. Zu dieser Zeit war allerdings bereits ein Besuch des Verteidigungsausschusses geplant, der wenig später, im Oktober dieses Jahres, stattfand; aber das war vielleicht nicht schlagzeilenträchtig genug. Herr Dr. Neu, auch Sie waren ja mit dem Verteidigungsausschuss in Ramstein zugegen und wurden aufgeklärt. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ich bin häufiger da!) Die Anziehungskraft Ramsteins für Proteste ist überhaupt bemerkenswert. Dagegen hat es zum Beispiel lange gedauert, bis es erst kürzlich die erste vergleichsweise bescheidene Demonstration gegen den Syrien-Krieg vor der russischen Botschaft gegeben hat. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Waren Sie denn dort?) Ich habe den Verdacht: Bestünde die Vermutung, dass die Bombardierung Aleppos über Deutschland unterstützt würde, wäre das Schweigen ohrenbetäubend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor diesem Hintergrund muss man auch den Titel dieser Aktuellen Stunde betrachten: Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein. Dazu möchte ich feststellen: Es gibt erstens keinen völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg und zweitens keine deutsche Beteiligung daran. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Es gibt auch keine Drohnen, oder? – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, ja! Das ist postfaktisch, was Sie da sagen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das ist doch abenteuerlich! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Da sagen Sie aber die Unwahrheit!) Wenn Sie schon von einem Krieg, also einem bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts, ausgehen, ist der Einsatz von Drohnen darin nicht völkerrechtswidrig. Auch ein unbemanntes Waffensystem ist nur ein Waffensystem wie andere auch. Natürlich kann es – genau wie andere Waffensysteme – auf völkerrechtswidrige Weise eingesetzt werden. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das wird es ja auch!) Aber die Amerikaner selbst haben im Sommer dieses Jahres die Regeln veröffentlicht, nach denen sie Ziele für Drohnenangriffe auswählen und diese angreifen, einschließlich der Berücksichtigung rechtlicher Grundlagen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die haben ja auch immer gesagt, dass sie die Kanzlerin nicht abhören! – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und das glauben Sie? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die machen Sie sich zu eigen, Frau Schäfer? – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Sonst würde ich es nicht sagen. Man kann immer überprüfen, ob ein einzelner Angriff den Regeln des Völkerrechts entsprochen hat, einschließlich der Frage, ob er tatsächlich im Rahmen eines bewaffneten Konflikts stattgefunden hat. Aber noch einmal: Der Einsatz von Drohnen an sich ist eben nicht völkerrechtswidrig. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Es kommt auf den Zweck an!) Auch die Weiterleitung von Daten über Ramstein stellt keine deutsche Beteiligung dar. Nur weil Daten durch Deutschland fließen, ist Deutschland nicht an der Operation beteiligt, für die sie verwendet werden, noch berührt das unbedingt deutsches Recht. Andernfalls müssten wir uns in unserer vernetzten Welt mit allen Vorgängen befassen, bei denen das Internet eine Rolle spielt und Daten über deutsche Knotenpunkte fließen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das wär mal was!) – Das wäre was. – Sie wissen natürlich auch, dass zwei verschiedene Gerichte einschließlich des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Jahr verneint haben, dass die Bundesregierung zur Überwachung der Völkerrechtskonformität von Drohneneinsätzen verpflichtet ist, die möglicherweise über Ramstein gesteuert werden. Beide haben sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezogen, wonach der Regierung bei der Erfüllung ihrer Pflicht zum Schutz des Lebens auf dem Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik ein weiter Entscheidungsspielraum zusteht. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Aber keine Rechtsbrüche!) Allerdings hat diese Koalition im Koalitionsvertrag klargestellt, dass wir extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen kategorisch ablehnen, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann machen Sie doch was!) wobei sich das zunächst auf jetzige und künftige deutsche Politik bezieht, aber natürlich eine grundsätzliche Haltung ist. Aber unsere amerikanischen Partner sind dem Völkerrecht ebenso verpflichtet wie wir, (Zurufe von der LINKEN) und sie haben wiederholt versichert, bei der Nutzung ihrer Einrichtungen in Ramstein deutsches und internationales Recht zu achten, (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) wie es ja unter engen Verbündeten auch selbstverständlich ist. Uns verbinden schließlich Jahrzehnte vertrauensvoller Zusammenarbeit für die gemeinsame Sicherheit, und ich denke, das können Sie nicht abstreiten. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Doch! NSA!) Natürlich wird die Linke weiter von Völkerrechtswidrigkeit und deutscher Beteiligung reden. Nur: Richtiger wird es nicht. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Hitschler [SPD]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Dr. Brunner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute in der Aktuellen Stunde des Bundestags über das amerikanische Drohnenprogramm sprechen, dann sollten wir dies beim Namen nennen und nicht Ramstein als Medium nutzen für Dinge wie den Austritt aus der NATO, den Austritt aus Bündnissen und die Aufkündigung der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Wir sollten das nicht „Ramstein“ nennen. Um was geht es denn heute? Was haben wir heute diskutiert? Was bewegt uns heute? Es bewegen uns die extralegalen gezielten Tötungen von Menschen, Tötungen außerhalb von Regionen bewaffneter Konflikte, Tötungen außerhalb von Rechtsstaatlichkeit, außerhalb des Kriegsvölkerrechts. Dabei geht es um Unrecht, um Unrecht in der Form, dass der Verdacht, sich in terroristischen Organisationen zu engagieren, als ausreichend angesehen wird, und vor allem um Unrecht, bei dem häufig – ja, sogar sehr oft – Zivilisten betroffen sind. Das ist Unrecht. Das muss unter Freunden, auch den amerikanischen, ganz klar und deutlich gesagt werden. Das ist normal. Deshalb hat die Bundesregierung dieses Thema – und hier sind wir wieder bei Ramstein – wiederholt und beharrlich und nicht nur, weil im Koalitionsvertrag steht: Extralegale Tötungen sind ausgeschlossen, gegenüber den US-amerikanischen Behörden auch angesprochen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Oh!) Ende August, verehrte Kolleginnen und Kollegen auch von den Linken, wurden die neuen Informationen seitens der Amerikaner übermittelt. Sie wurden unmittelbar auch an die Obleute weitergegeben, sodass diese informiert und umfassend in Kenntnis gesetzt sind. Es ist nicht meine Aufgabe als Abgeordneter, aber bei ordnungsgemäßer Information weiß man dies: Die deutsche Regierung fordert weiterhin die Einhaltung deutschen Rechts, unseres Grundgesetzes, in Ramstein ein. Die Vereinigten Staaten haben, zumindest bis zum heutigen Zeitpunkt, erklärt, dass sie deutsches Recht in Deutschland auch anwenden, und das ist für uns Grundlage. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das stimmt doch gar nicht! Das ist doch unwahr!) Damit wären wir beim Thema Ramstein. Ich möchte aber sagen: Das größte Problem der Logik des US-Drohnenprogramms und der sogenannten Targeted Killings ist nicht der Ort – Ramstein –, von wo sie gesteuert werden, sondern das ist die Tatsache, dass sich das Relais überall auf dieser Welt befinden kann. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist eine Ausrede!) Ist es heute nicht Ramstein, so ist es übermorgen Timbuktu oder irgendein anderer Ort dieser Welt. (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Meine Kolleginnen und Kollegen, legen Sie sich nicht auf Ramstein fest. Das Problem ist die räumliche und zeitliche Entgrenzung von Kriegen, der permanente Selbstverteidigungsfall im Kampf gegen den Terrorismus und das Schaffen gefährlicher Präzedenzfälle der Kriegsführung für künftige Generationen. Deshalb haben wir als SPD-Mitglieder des Unterausschusses Abrüstung bereits im vergangenen Sommer ein Positionspapier erarbeitet, das fordert, dass die Praxis der extralegalen Tötungen nicht nur beseitigt, sondern durch das deutsche Parlament, den obersten Souverän, auch geächtet wird, damit das Thema in die internationale Debatte eingespeist wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich habe die Bitte, dass Sie sich unserem Papier möglichst schnell anschließen, damit wir in die entsprechenden Diskussionen auf internationaler Ebene, in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen, eintreten können, um extralegale Tötungen auch weltweit zu ächten. (Beifall des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE]) Es geht nicht primär um Ramstein und um die Frage, die wir hier im Hause diskutieren, sondern es geht letztendlich um Recht, Anstand und Menschenwürde; denn werden Drohnen, gleich welcher Art, gesteuert und außerhalb von Kriegsgebieten eingesetzt, bedeutet dies nicht nur traumatisierte Opfer und dauernd in Angst lebende Menschen, sondern auch einen ständigen Bruch unseres Völkerrechts. Ich glaube, dass Drohnen niemals Kriege befrieden und dass sie auch niemals zur Selbstverteidigung im Sinne von Artikel 51 der UN-Charta genutzt werden können und dürfen. Das wäre nämlich falsch. Damit würden wir nur der Logik der Terroristen folgen. Deshalb werbe ich dafür, dass wir in diesem Hohen Hause als hoher Souverän extralegale Tötungen noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam ächten und dies in den internationalen Prozess einspeisen, womit wir sie an der Wurzel bekämpfen und wir nicht an den Symptomen herumdoktern würden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was wollen Sie konkret?) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Florian Hahn hat als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon der Titel Ihrer Aktuellen Stunde – ursprünglich lautete er sogar „Beteiligung am völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg“ – zeigt, worauf es Ihnen ankommt, nämlich auf das Kochen einer großen, trüben Drohnensuppe, in der alles mit allem vermischt wird – Hauptsache, am Ende riecht es übel und die USA sind an allem schuld. In Ihrer schlichten Weltsicht gilt: Drohne plus USA ist gleich böse. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie sind schuld und verantwortlich!) Es geht Ihnen eigentlich nicht um Ramstein oder Drohnen, sondern um Antiamerikanismus pur, und es geht Ihnen nicht um das Recht – weder um das deutsche noch um das Völkerrecht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von was reden Sie da?) Genau dieser Ansatz ist aber fatal. Das Völkerrecht ist eines der Fundamente der freiheitlichen Weltordnung, ein Maßstab, auf den sich alle geeinigt haben. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) Es ist Ausdruck der kondensierten Erfahrungen aus Jahrhunderten von Krieg und Elend. Mit dem pauschalisierten, instrumentalisierten, ja, schlampigen Gebrauch entwerten Sie diese fundamentalen Normen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir halten fest: Herr Hahn findet Rassismus gut und Sexismus gut! Das ist so unterirdisch!) Wir müssen präzisieren und den Einzelfall genau betrachten. Daher darf eben nicht alles, was mit Drohnen zu tun hat, in einen Topf geworfen werden. Auf Differenzierung dürfen wir nicht verzichten. Was steht also in Rede? Eine angebliche deutsche Beteiligung am US-Drohnenkrieg. Die Bundesregierung und die Vorredner der Koalition haben darauf hingewiesen: Die USA haben wiederholt bestätigt, dass Drohneneinsätze der von Ihnen beschriebenen Art von Ramstein weder gestartet noch gesteuert werden. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Behauptet auch niemand!) Allerdings nutzen die USA bei den Drohneneinsätzen von anderen Einsatzorten aus unter anderem auch die Relaisstation in Ramstein zum Datentransfer und gegebenenfalls für bestimmte Planungs-, Überwachungs- und Auswertungsaufgaben. Zu Einzelfragen solcher Einsätze ist die Bundesregierung mit der US-Regierung im intensiven Gespräch. Die USA haben zugesichert, dass die Aktivitäten der US-Militärbasis in Deutschland in Übereinstimmung mit geltendem Recht erfolgen. Bis zur näheren Klärung vertrauen wir auf diese Zusicherung. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! Darauf dürfen wir nicht vertrauen!) Gespräche und Vertrauen sind der einzig richtige Weg, wie man mit dem engsten Verbündeten umgeht, der uns 70 Jahre lang geholfen hat, unsere Freiheit zu bewahren. Die Tatsache, dass die USA die amerikanische Militärinfrastruktur in Deutschland zum Datentransfer für Drohnenoperationen nutzen, ist allein ohnehin kein Grund für Kritik. Einsätze unbewaffneter oder bewaffneter Drohnen sind eben nicht per se rechtswidrig. Bei Einsätzen in bewaffneten Konflikten müssen wir vielmehr sauber unterscheiden. Wie jede Waffe, zum Beispiel ein Schweizer Taschenmesser, kann auch eine bewaffnete Drohne rechtswidrig eingesetzt werden: bei Angriffen auf unzulässige Ziele, unter Vernachlässigung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder zur ungerechtfertigten Tötung außerhalb bewaffneter Konflikte. Sie kann aber auch rechtmäßig angewendet werden: im Kriegsgebiet gegen militärische Gegner, ohne unnötiges Leiden zu verursachen oder Zivilisten zu treffen. Auch eine Drohne kann differenzierend nur gegen Kombattanten eingesetzt werden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Zivilisten sind denn dabei umgebracht worden?) Sie kann das Exzessverbot wesentlich besser beachten als andere Waffensysteme. Drohnen haben zudem die Möglichkeit, stundenlang über dem Einsatzgebiet zu fliegen und mit Kameras die Umstände vor Ort genau zu beobachten. Erst wenn klar ist, dass sich nur Militärisches im Zielgebiet befindet, kann der Einsatzbefehl gegeben werden. Das macht Drohnen gegenüber Kampfflugzeugen oder Artillerie deutlich überlegen. Durch präzisere Luftschläge sinkt das Risiko für die Zivilbevölkerung. Auch die gezielte Tötung bestimmter Personen kann in bewaffneten Konflikten rechtmäßig sein. Es bleibt also die entscheidende Frage zu klären, welche Art von Einsätzen in Rede steht. Drohneneinsätze pauschal zu verurteilen, ist absurd. Sie sollten noch einmal die Entwicklung der amerikanischen Drohneneinsätze genau betrachten. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Tun wir doch!) Ihr Bild entspricht schon lange nicht mehr der Realität. Die Zahl der Drohnenangriffe ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, ebenso wie die Zahl ziviler Opfer. Das zeigen die vorliegenden Daten, und das bestätigen auch NGOs. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegenteil ist richtig!) Die USA haben sich unter Präsident Obama entschieden, den Einsatz von Drohnen zunehmend strikteren, am Völkerrecht ausgerichteten Regeln zu unterwerfen und transparenter zu machen. Die neuen Grundsätze der USA für den Drohneneinsatz sind allgemein zugänglich. Sie sollten sie noch einmal intensiv lesen. Wenn es also um die Bereitstellung militärischer Infrastruktur in Deutschland geht, so sollten wir den USA klarmachen: Wir sind dazu bereit, wenn es um völkerrechtskonforme Einsätze geht. Ich sehe die Bundesregierung hier auf einem guten Weg. Abschließend möchte ich Ihnen noch sagen: Die Vorstellung, man könne dem Terror nur mit einem Stuhlkreis und ohne Gewalt begegnen, ist aus meiner Sicht reichlich naiv und gefährlich. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat das jemand gesagt? – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das sagt niemand!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Roderich Kiesewetter hat jetzt als Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser doch sehr ernsthaft geführten Debatte liegen mir drei Dinge am Herzen, die es zur weiteren Einordnung des Themas anzusprechen gilt. – Es ist erstaunlich, dass Sie jetzt verstummen, Sie haben ja recht laut begonnen auf der linken Seite. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir hören Ihnen zu!) – Das freut mich, das ist auch notwendig. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir machen nur Zwischenrufe, wenn es nötig ist!) Es ist nichts Neues, worüber wir heute sprechen. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Für die Bundesregierung ist es neu!) Die Antworten der Bundesregierung, die sie in der Fragestunde vor 14 Tagen gegeben hat, sind auch für das Parlament nichts Neues. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum darf der Roth dann heute nicht reden? Er hat einen Maulkorb!) Erster Aspekt. Im August hat die Bundesregierung Informationen der Vereinigten Staaten von Amerika erhalten und die Obleute des Auswärtigen Ausschusses unmittelbar im September informiert. – Völlig richtig, zeitnah und angemessen. Nur: Wieso kam es dazu? (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Weil wir nachgefragt haben!) Das ist dem jahrelangen Engagement der Bundesregierung über mehrere Legislaturperioden hinweg zu verdanken, die auf die Amerikaner eingewirkt hat, Informationen über diese Thematik weiterzugeben. Ein zweiter Aspekt ist für mich ganz entscheidend. Genau am 1. Juli dieses Jahres hat der US-Präsident eine Weisung erlassen, in der er deutlich macht, wie im Drohnenkrieg künftig vorzugehen ist. Zugleich hat er einen Bericht angefordert, der nun jedes Jahr im Frühjahr die Öffentlichkeit, aber auch den amerikanischen Senat und den Kongress über die zivilen Opfer des Drohnenkrieges bzw. über die entstandenen Kollateralschäden informieren soll. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Monitoring!) Die US-Regierung hat diesen Bericht gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen entwickelt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Amerikanische NGOs!) Ich denke, auch das ist der internationalen Diplomatie und dem Wirken der Bundesregierung in einem gewissen Maße zu verdanken. Das sollten wir honorieren. Ein dritter Aspekt. Unsere Bundeskanzlerin hat am 9. November dieses Jahres unmittelbar nach den Wahlen dem neuen, designierten US-Präsidenten nicht nur gratuliert, sondern sehr klar die Wertebasis angesprochen, auf der die US- und deutsche Partnerschaft beruht. Diese Partnerschaft ist nicht nur für Deutschland, sondern gewiss auch für die USA unverzichtbar. Sie gründet auf den Menschenrechten und auf gegenseitiger Wertschätzung. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Die Opfer freuen sich über diese Aussage!) Wesentlich ist hierbei, dass die Bundeskanzlerin genau darauf verwiesen hat, und wir werden auch als Koalition die neue US-Regierung an dem messen, was die alte Administration entschieden hat. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass die USA – weil sie in ihrer Politik des Ausgleichs auch weltweite Unterstützung benötigen – in Zukunft sehr große Aufmerksamkeit für dieses sensible Thema aufbringen werden. Lassen Sie mich deshalb abschließend darauf verweisen, dass die USA im Jahr 2007 die Einsatzregeln des Drohnenkrieges aufgrund der Ereignisse in Afghanistan erheblich verschärft haben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es sind immer mehr geworden! Es sind inzwischen zehnmal so viele wie am Anfang!) Sie von der Opposition sollten sich lieber darüber informieren, statt ständig Ihr Schema zu wiederholen. Das wird dadurch nicht besser, lieber Herr Ströbele. Da wir heute über unsere Alliierten in Deutschland sprechen, möchte ich an dieser Stelle auch sehr klar den US-amerikanischen Soldaten und ihren Angehörigen in Deutschland Danke sagen, dass sie fern der Heimat einen guten und notwendigen Dienst für die Sicherheit leisten, der nicht immer einfach ist, auch nicht in Ramstein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aktuelle Stunde. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes Drucksache 18/10378 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/10670 Zu diesem Gesetzentwurf liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Debatte. Als erste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Marks das Wort. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich zügig zu setzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Caren Marks, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Contergan steht für einen der schlimmsten Medizinskandale in der Bundesrepublik. Durch dieses thalidomidhaltige Schlafmittel, nicht geprüft auf seine Auswirkungen auf Föten, sind Kinder mit unterschiedlich schweren Missbildungen, vor allem an den Gliedmaßen, geboren worden. Das Leben mit diesen Schädigungen und auch die Bewältigung des Alltags sind und bleiben alles andere als leicht. Der Staat hat Verantwortung gezeigt, die Conterganstiftung eingerichtet und die ursprünglich von der Firma Grünenthal eingebrachten Mittel mehrfach aufgestockt, vor allem in den letzten Jahren durch Beschlüsse des Parlaments. Die Conterganstiftung gewährt Kapitalentschädigungen, seit 2013 deutlich verbesserte Conterganrenten und, ebenfalls seit 2013, neue Leistungen für die spezifischen Bedarfe. Das war auch dringend nötig. Denn bei Contergangeschädigten machen sich jetzt, nach über 50 Jahren, die körperlichen Überlastungen und Verschleißerscheinungen deutlich bemerkbar. Viele Contergangeschädigte haben beispielsweise Mund und Gebiss für Tätigkeiten nutzen müssen, für die wir Arme und Hände gebrauchen. Die Folge sind Schädigungen im Schulter- und Nackenbereich, aber auch starke Schmerzen und Abnutzung der Zähne. Häufig sind spezielle Therapien sowie eine kieferorthopädische Behandlung des Gebisses notwendig. Hier sollten die Leistungen für spezifische Bedarfe helfen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die diesjährige Evaluation des Gesetzes hat aufgezeigt, dass die Leistungen nicht so bei den Betroffenen ankommen wie gewünscht und auch wie nötig. Das Antragsverfahren ist zu kompliziert, und viele Bedarfe sind nicht optimal abgedeckt. Bis Ende 2015 wurden erst 5 Millionen Euro abgerufen. Es geht darum, dass die Geschädigten die Hilfen erhalten, die für sie vorgesehen sind und die sie auch brauchen. Daher freue ich mich, dass die Empfehlungen des Evaluationsberichtes umgesetzt werden. Ab dem 1. Januar 2017 wird es zu einer Pauschalierung der Leistungen für spezifische Bedarfe kommen. Die Pauschalierung folgt auch dem Wunsch der Betroffenen. Die jährlichen Pauschalen richten sich nach dem Grad der Beeinträchtigung. Damit sorgen wir für eine gerechte Verteilung der Mittel und für eine weitgehende Gleichbehandlung aller Betroffenen. Der Sockelbetrag kommt allen zugute, den geringer Geschädigten in besonderer Weise. Die Pauschalen sind so gestaltet, dass die Betroffenen sie eigenverantwortlich verwenden können. Es wird keine Einzelfallprüfung mehr geben. Das spart Bürokratie. Aber was viel wichtiger ist: Wir entlasten die Betroffenen, und die Hilfen für spezifische Bedarfe kommen umfänglich bei ihnen an. Während der Beratungen über diesen Gesetzentwurf war auch die Struktur der Stiftung ein Thema. Für eine Veränderung wollen wir uns die Zeit nehmen, die für ein solches Vorhaben notwendig ist. Als Grundlage dafür wollen wir in Abstimmung mit dem Stiftungsvorstand und dem Stiftungsrat ein Gutachten in Auftrag geben, das die Stiftungsstruktur analysiert. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei den Koalitionsfraktionen für den guten Gesetzentwurf und die notwendige Weiterentwicklung der Hilfen für Contergangeschädigte bedanken. Mein besonderer Dank geht an den Stiftungsvorstand für seine engagierte und ehrenamtliche Arbeit im Sinne der Betroffenen. Ebenfalls bedanke ich mich beim Stiftungsrat. Es ist auch dem Wirken der Stiftung zu verdanken, dass die spezifischen Bedarfe nun zu einer wirklichen Hilfe, die bei den Betroffenen ankommt, weiterentwickelt wurden. Dafür herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Katrin Werner für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Werner (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir beraten heute abschließend über den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes. Ich möchte mit einem Zitat beginnen: Der Conterganskandal ist einer der größten Gesundheitsskandale in Deutschland und hatte Auswirkungen auch auf viele andere Länder in der Europäischen Union. Ich will hier vor allem an die zahlreichen Opfer erinnern, die jetzt meist in den 50er-Jahren sind. Ein Stück weiter heißt es: Viele von ihnen wurden nach mühevollem und jahrelangem Kampf entschädigt. Andere haben bis heute nur wenig Unterstützung erfahren, und gerade diese Opfer dürfen wir nicht vergessen. (Beifall im ganzen Hause) Es steht außer Frage, dass mein Heimatland Deutschland bei der Aufarbeitung des Skandals eine nicht ganz rühmliche Rolle gespielt hat und daher auch eine Verantwortung mitträgt. Dieses Zitat stammt aus der Rede, die Ihre Kollegin Susanne Melior, meine Damen und Herren von der SPD, gestern Abend im Europäischen Parlament gehalten hat. Hier ist Europa wieder ein Stück weiter als wir in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Natürlich haben wir große Fortschritte erreicht, zum Beispiel mit der von den Betroffenen geforderten Pauschalisierung. Aber dabei wurden andere Fragen vergessen, zum Beispiel die Fragen nach den Hinterbliebenen und der Höhe der Pauschalisierung. Die nun festgelegten Beträge reichen zum Teil nicht für einen auskömmlichen Ausgleich aus. Wenn man sich etwas nicht leisten kann, braucht man eine Kapitalisierung. Angesichts des Alters der Betroffenen, die früher Kinder waren und heute an die 50 oder älter sind, stellt sich die Frage, ob sie überhaupt noch Kredite aufnehmen können. All diese Fragen sind nicht beantwortet. Angesichts der Tatsache, dass die Betroffenen am Anfang des Skandals jahrelang kämpfen mussten, ist die Einsetzung einer Historikerkommission notwendig, die diesen Skandal richtig aufarbeitet. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich vermute, dass viele von Ihnen, die sich mit diesem Thema befassen, im September den Film Der geheime Deal – Die dunkle Geschichte des Contergan-Skandals auf WDR gesehen haben. Wer den Film gesehen hat, weiß, dass noch viele Fragen offen sind. Diese sollten schleunigst beantwortet werden. Bevor man aber eine Historikerkommission einsetzt – natürlich unter Beteiligung der Betroffenen –, sollte nicht die Aufarbeitung durch eine Landesregierung, sondern eine Entschuldigung dieses Hauses an erster Stelle stehen. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Ja, der Änderungsantrag hat viel vorangebracht, und auch die Tatsache, dass die Strukturfrage getrennt behandelt wird, hat viel geändert. Wir werden uns trotzdem enthalten, weil ich glaube, dass wir an den Anfang zurückgehen müssen, um zu verstehen, woher diese geballte Ladung an Frust kommt. Erst dann kann man verstehen, warum die Arbeitsweise und die Struktur das Problem sind. Ich finde, die Strukturfrage ist nicht ganz herausgelöst worden. Wir haben zwei Entschließungsanträge eingebracht. In einem dieser Anträge gehen wir auf die Struktur ein und fordern, dass Mediatoren eingesetzt werden, um den Prozess voranzubringen. Man muss sich schon mit der Frage auseinandersetzen, wem die Stiftung gehört. Die Betroffenen haben das Gefühl, dass das ihre Stiftung ist. Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, dann sieht man, dass sich Eltern heute teilweise Vorwürfe machen, dass sie diesen Deal eingegangen sind. Insofern muss man Verständnis für den Wunsch haben, dass diese Stiftung den Betroffenen gehören soll. Wir als Vertreter von Parteien sind gewohnt, dass einem dann etwas gehört, wenn man die Mehrheit hat. Wir müssen Wege finden, wie man die Betroffenen mitnehmen und ihnen diese Mehrheit verschaffen kann. Um noch einmal auf das Europäische Parlament zurückzukommen: Die Frage hat auch eine internationale Komponente, sie ist auch europäisch. Daher fordern wir in unserem Antrag die Erstellung einer wissenschaftlichen Studie. Darin soll untersucht werden, wie man in anderen europäischen Ländern mit den Opfern tatsächlich umgeht. Immer wieder hören wir von einem jahrelangen Kampf der Menschen, die jahrelang nicht wahrgenommen werden. Sie befinden sich teilweise in einem verbitterten Modus, den man aber auch verstehen muss. Wir haben jetzt einen Schritt nach vorne gemacht, dennoch enthalten wir uns, weil uns einige Aspekte fehlen. Aber mein Appell ist, den weiteren Schritt nicht mit einer Zweijahresstudie noch weiter in die Länge zu ziehen, sondern schnell eine solche Kommission einzurichten und schnell Gespräche des Bundesgesundheitsministeriums anzuberaumen. Im Europäischen Parlament wurde gestern gesagt, dass man einen runden Tisch mit dem Gesundheitsminister anstrebt. Da kann Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen und dieses Gespräch vorantreiben. Damit kann Deutschland ein Stück Aufarbeitung leisten. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Maik Beermann hat für die CDU/CSU-Fraktion jetzt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Maik Beermann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Werner, das waren sehr versöhnliche Worte. Ich glaube, dass das ein sehr besonderes Thema ist, ein Thema, das mit vielen Emotionen verbunden ist, bei dem es sich definitiv nicht lohnt, dass Regierungsfraktionen und Opposition sich darüber streiten. Wir sollten vielmehr versuchen, das Bestmögliche auf den Weg zu bringen. Dazu habe ich die Hoffnung. In meinem Skript steht, dass ich mich freuen würde, wenn auch die Opposition zustimmt. Sie haben schon gesagt, dass es um die Struktur geht. Wenn wir noch das eine oder andere auf den Weg bringen, dann bekommen wir es vielleicht doch hin, dass wir gemeinsam einen Beschluss erwirken. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie können sich schon freuen, dass wir nicht ablehnen!) – Das finde ich auch gut, definitiv. Mit dem Wort „Contergan“ – Frau Staatssekretärin Marks hat es gesagt – verbindet jeder Einzelne von uns den größten Arzneimittelskandal in Deutschland, dessen Folgen bis heute das Leben der Betroffenen stark prägen und auch weiter prägen werden. Es handelt sich um die Kinder der Frauen, die in der Schwangerschaft ein vermeintlich unbedenkliches Medikament einnahmen und nach der Entbindung das schreckliche Ausmaß der Auswirkungen dieses Präparates auf ihre Kinder erleben mussten. Diese Kinder von damals sind heute längst selbstständige erwachsene Menschen, und für ihre Selbstständigkeit kämpfen die Betroffenen jeden einzelnen Tag. Es ist für mich persönlich unvorstellbar, mit welch einer schweren Last die Betroffenen, sowohl mit der physischen Belastung und den täglichen Hürden als auch mit den tief sitzenden psychischen und emotionalen Eindrücken, umgehen. Unvorstellbar ist auch, wie das Leben jedes Einzelnen und auch das der Angehörigen durch die Einnahme eines Medikaments, zum Teil auch nur durch eine einzige Tablette, so stark beeinflusst wurde und vor allen Dingen bis zum Lebensende beeinflusst wird. Geschädigte erzählen mir von Problemen im Alltag. Dinge, die für uns alle selbstverständlich sind, stellen für sie täglich eine große Herausforderung dar. Vielen ist nicht bewusst, dass sich die Schädigungen eben nicht nur auf die äußerlichen Bereiche beschränken lassen; nein, auch Schädigungen der inneren Organe, Gehörlosigkeit, aber auch Zeugungs- und Empfängnisunfähigkeit haben einen immensen Einfluss auf die Lebensgestaltung und die Lebensqualität. Die Betroffenen mussten für das, was sie bis heute erreicht haben, lange kämpfen. Vor diesem Hintergrund war es uns auch wichtig, das vorliegende Gesetz, das wesentliche Erleichterungen für die Betroffenen ab 2017 bringt, noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen, also zu beschließen. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch genau unsere Aufgabe. Vor 45 Jahren, genau: am 12. Dezember 1971, wurde erstmals mit dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ versucht, den Conterganskandal aufzuarbeiten. 37 Jahre später, im Jahr 2008, wurde das Errichtungsgesetz erstmals geändert. Dies wurde damals allerdings reinweg auf die Rentenerhöhung beschränkt. Durch ein Zweites Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes wurde einhergehend mit einer Reduktion der Stiftung auf ausschließlich conterganopferspezifische Leistungsempfänger eine Verkleinerung vorgenommen. Die 2013 erfolgte dritte Änderung des Conterganstiftungsgesetzes wird von den Betroffenen selbst als Paradigmenwechsel im Umgang mit den Conterganbetroffenen beschrieben. Ab dem 1. Januar 2013 wurden zusätzlich 120 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Conterganrente wurde im Höchstsatz von 1 555 Euro auf 6 912 Euro angehoben. Das ist eine Versechsfachung. Zusätzlich wurden Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe – Frau Staatssekretärin ist darauf eingegangen – in Höhe von 30 Millionen Euro jährlich bereitgestellt. Für diesen Meilenstein und diesen Einsatz möchte ich mich persönlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken, die in der letzten Wahlperiode daran gearbeitet haben. Ein herzliches Dankeschön! Das war, glaube ich, ein wichtiger und guter Schritt in Richtung der Betroffenen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit den geplanten Neuregelungen möchten wir weitere Verbesserungen für die rund 2 700 betroffenen Menschen in unserem Land erreichen. Wir setzen damit zügig die Ergebnisse der Evaluation um, die insbesondere die Effizienz des Verfahrens zur Gewährung von Leistungen für spezifische Bedarfe berücksichtigt. Ab 2017 sind die Betroffenen nicht mehr auf die Bewilligung ihrer Anträge, der ein bürokratisches und umständliches Antragsverfahren vorgeschaltet war, angewiesen. In den drei Jahren wurden von den jährlich 30 Millionen Euro, die zur Verfügung gestellt wurden, pro Jahr zum Teil nicht einmal 2,5 Millionen Euro abgerufen. Das zeigt eben auch, inwieweit dieser Änderungsbedarf vorhanden ist. Künftig werden die vorgesehenen Mittel für die Leistung, für spezifische Bedarfe unkompliziert und pauschal den Betroffenen zur Verfügung gestellt. Jeder vom Gesetz erfasste Contergangeschädigte erhält im Jahr einen Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro, unabhängig davon, wie stark seine Schädigungen nach Schadenspunkten eingestuft sind. Die darüber hinaus vorgesehenen Mittel werden nach Schadenspunkten pauschal ausgeschüttet. So beträgt die Restpauschalierung pro Jahr zwischen 876 Euro bei niedrigbepunkteten Betroffenen und 9 900 Euro bei den höchstbepunkteten. Mit der vorgesehenen Pauschalierung wird eine annähernd gerechte Verteilung zwischen den Contergangeschädigten mit geringeren und mit höheren Schadenspunkten ermöglicht. Wir wollen mit diesem Gesetz den Betroffenen Unabhängigkeit und die Möglichkeit zurückgeben, selbst zu entscheiden, welche Leistungen sie brauchen und was ihnen in ihrer ganz individuellen Situation am meisten hilft und guttut. Dass wir mit diesen Regelungen den richtigen Weg gehen, hat auch die öffentliche Anhörung Ende November gezeigt. Gleichzeitig wollen wir erreichen, dass durch die Pauschalierung freiwerdende Kapazitäten zielgenau da eingesetzt werden, wo Bedarf besteht. Die Geschäftsstelle der Conterganstiftung soll Betroffenen zukünftig zielgenau bei der Beratung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen andere Kostenträger beraten und unterstützen. Aber auch der Aufbau medizinischer Kompetenzzentren steht auf der Agenda. Die entsprechenden Anforderungsprofile für diese Kompetenzzentren sind hierbei von der Stiftung unter enger Beteiligung und Begleitung der Betroffenen zu entwickeln. Es ist auch mir persönlich wichtig, das so zu sagen. Neben diesen wichtigen Punkten haben wir uns auch der Haftungsfragen angenommen. Die Organmitglieder sind ehrenamtlich tätig; da sind geregelte Verhältnisse noch immer besonders wichtig. Mit dem von der Koalition eingebrachten Änderungsantrag setzen wir die Empfehlungen der Sachverständigen aus der öffentlichen Anhörung um; denn in dieser haben sich alle Sachverständigen klar dafür ausgesprochen, die Struktur der Anfang der 70er-Jahre gegründeten Stiftung umfassend zu evaluieren. Hier war es der ausdrückliche Wunsch, keine Schnellschüsse zu wagen, sondern sich mit Sorgfalt und Objektivität der Thematik zu widmen. Dieses auch für die Union wichtige Anliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes umfassend um. Innerhalb von zwei Jahren wird die Bundesregierung einen Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes und eine gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung vorlegen. Der Bericht soll auch eine Evaluation der Struktur der Stiftung enthalten. Wir haben uns allerdings darauf verständigt, dass dieser besondere Teil der Evaluation, Frau Schulte, möglichst noch bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode vorliegen soll. Unser aller Ziel muss sein, den Graben zwischen Ministerium, Stiftung und den Betroffenen zuzuschütten und gleichzeitig Brücken zu bauen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Schritt in genau diese Richtung, um den Geschädigten weiterhin ein selbstbestimmtes sowie verbessertes Leben zu ermöglichen. Ich gehe sehr davon aus, dass dieses Gesetz für die Betroffenen unser aller Zustimmung hier im Hohen Haus findet. Wir haben es eben schon gehört: Mit einer Enthaltung ist das, denke ich, schon einmal gar nicht so verkehrt. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Ich sage: Wir machen uns auf den Weg. Entscheidend ist, glaube ich, dass wir bei dieser sensiblen Thematik als Parlament dicht beieinanderbleiben und uns vernünftig abstimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, ein solcher Medikamentenskandal darf sich natürlich nicht wiederholen. Weil wir als Parlament hier eine wichtige staatliche Verantwortung übernommen haben, ist es auch unsere Aufgabe, genau hinzuschauen und Unterstützung anzubieten. Wenn wir uns einig sind, dass sich so etwas nicht wiederholen darf, dann möchte ich und muss ich in diesem Zusammenhang auch das Stichwort „Duogynon“ erwähnen. Lassen Sie uns auch hier etwas genauer hinschauen und den Betroffenen die vielleicht notwendige Unterstützung bei der Aufklärung anbieten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ich bin persönlich dankbar, weil auch ich etwas sehr Wichtiges von den contergangeschädigten Frauen und Männern in den letzten zweieinhalb Jahren erfahren durfte. Lassen Sie mich bitte kurz Thomas Edison zitieren: Unsere größte Schwäche ist das Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg besteht darin, immer wieder einen neuen Versuch zu wagen. Sie – ich spreche jetzt persönlich die Conterganbetroffenen an – sind wahre Kämpfer. Vor Ihrem Mut und der unerschöpflichen Kraft, die Sie immer wieder aufbringen, habe ich den allerhöchsten Respekt. (Beifall im ganzen Hause) Ich bitte um Zustimmung zu diesem Vierten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Corinna Rüffer hat als nächste Rednerin das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann an Sie, Herr Beermann, ganz gut anschließen und sagen: Wir haben eine historische Verantwortung den Contergangeschädigten gegenüber. Aus dieser Verantwortung sollte insofern Gemeinsamkeit erwachsen, als wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg dieser Opfergruppe zuwenden und für sie die bestmöglichen Lösungen finden; da stimmen wir vollkommen überein. Aber ich sage an dieser Stelle auch: Das ist leider mit diesem Gesetzentwurf – Sie merken: ich schlage einen ruhigen Ton an – nicht gelungen. Das Schlafmittel Contergan – das wissen wir – hat enormen Schaden verursacht. Über 50 Jahre waren die Opfer dieses Medikaments chronisch unterversorgt – medizinisch und sozial. Die Firma Grünenthal hat sich enorm billig aus der Verantwortung herausgekauft. Die Familien haben auf Schadensersatzansprüche verzichtet, und die Bundesrepublik Deutschland hat Verantwortung übernommen. Diese Verantwortung besteht bis heute. Ich habe es schon gesagt: Über 50 Jahre waren die Menschen unterversorgt. Erst im Jahr 2013 hat sich wirklich etwas verbessert, was die sogenannten Conterganrenten anbelangt; das haben einige Vorredner schon gesagt. Auch der Versuch, mit den spezifischen Bedarfen darüber hinaus etwas zu tun, war wohlgemeint. Dieses Parlament hat das mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf den Weg gebracht. Ich bin allen Kollegen, genau wie Sie, Herr Beermann, unendlich dankbar dafür, dass es funktioniert hat; denn es bedeutet unendliche Erleichterungen für die Lebenssituation der Betroffenen. Das sehen auch alle so. Ich glaube, der Arbeit dieses Parlaments gebührt in dieser Hinsicht ganz viel Wertschätzung. (Beifall im ganzen Hause) Wir haben gesehen – das kann passieren –, dass das, was sich das Parlament gedacht hat, nicht in aller Konsequenz gut funktioniert. Die spezifischen Bedarfe mit den Einzelfallanträgen haben zu Problemen, zu Unmut unter den Betroffenen und auch – das muss man sagen – zu einem großen Vertrauensverlust geführt. Ich bin der Meinung, dass für diesen Vertrauensverlust auch der Vorstand eine gewisse Verantwortung trägt. Er hat das Gesetz sehr streng ausgelegt. Im Zweifelsfall sind zu viele Fälle vor Gericht gelandet. Das hat bei vielen Contergangeschädigten zu dem Eindruck geführt, dass diese Stiftung nicht mehr auf ihrer Seite, sondern leider auf der anderen Seite steht. Das müssen wir unbedingt korrigieren. Das darf auf keinen Fall stehenbleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu einem ähnlichen Ergebnis ist die Evaluation und sind die Expertisen, die dazu vorgelegt worden sind, gekommen. Das Ergebnis war, dass das bisherige Antragsverfahren unzureichend, sehr kompliziert und intransparent sei. Deswegen war der Vorschlag, zu einer Pauschalierung zu kommen. Ich glaube, in diesem Haus besteht hohe Übereinstimmung, dass das der richtige Weg ist. Obwohl im Detail unterschiedliche Haltungen bestehen, hätte die Möglichkeit bestanden, mit einer breiten Mehrheit zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf zu kommen. Das war auch unter uns Berichterstattern und Berichterstatterinnen nicht das Problem. Wir haben an einigen Stellen hin und her diskutiert. Die Union hat sich schwergetan, die Pauschalierung zu akzeptieren. Im Endeffekt lag darin nicht das Problem. Aber andere Aspekte wurden unter uns nicht angesprochen, nichts ins Feld geführt. Es haben dazu auch keine Termine mehr stattgefunden. Das ist wirklich sehr schade. Leider haben Sie als Regierungsfraktionen nie angesprochen, dass Sie über die spezifischen Bedarfe hinaus beabsichtigen, die Stiftungsstruktur im Grundsatz zu verändern. Dann kam leider der Gesetzentwurf. Der ist sehr viel weiter gegangen, als es angedeutet worden ist. Darin ist die Stärkung des Stiftungsvorstandes zulasten des Stiftungsrates vorgesehen. Darin war auch ein noch stärkerer Einfluss des Ministeriums gegenüber der Stiftung vorgesehen. Es wurde in der Evaluation ganz deutlich gesagt, dass die Stellung des Familienministeriums gegenüber der Conterganstiftung ohnehin schon so stark sei, dass deren Unabhängigkeit bedroht sei. Das ist sehr deutlich. Der Gesetzentwurf geht hier in die völlig andere Richtung. Ich muss sagen, dieser Vorschlag hat uns von den Socken gehauen. Das hat vor allen Dingen auch unter den Betroffenen zu großer Verärgerung geführt, ohne dass es notwendig gewesen wäre. Die Anhörung bestätigt noch einmal unsere Haltung. Alle Sachverständigen haben davor gewarnt, die Stiftungsstruktur zu verändern, ohne sie vorher zu evaluieren. Deswegen – das will ich an dieser Stelle sagen – bin ich der Unionsfraktion und der SPD sehr dankbar, dass sie jetzt viel von dem zurücknehmen, was das Ministerium ursprünglich vorgesehen hat. Ich bitte Sie in Bezug auf die Beschlussfähigkeit – es sind Vorschläge enthalten, die wir so nicht mittragen können, deswegen haben wir einen Änderungsantrag eingebracht –: Bitte beschließen Sie das Gesetz heute nicht. Es wäre gut, wenn wir wieder zu einer Gemeinsamkeit zurückkehren könnten. Die Stiftung muss im Geist der historischen Verantwortung wirken. 1976 hat das Bundesverfassungsgericht in ebendieser Weise geurteilt. Ich glaube, dass wir dazu in der Lage sind – Zeitplan und Verfahren, in dem wir uns jetzt befinden, lassen es nicht zu –, zukünftig alles, was die Contergangeschädigten angeht, mit einer hohen Übereinstimmung zu tun. Dazu gibt es alle Möglichkeiten. Heute gelingt uns das offensichtlich nicht ganz. Aber es darf nicht so weitergehen. Wir sollten sehen, dass wir die Gemeinsamkeiten, die in diesem Hohen Haus bestehen, wieder in den Vordergrund rücken. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ursula Schulte hat als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ursula Schulte (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes hat der Bundestag im Jahr 2013 die Lebensbedingungen der Menschen mit einer Conterganschädigung erheblich verbessert. Auch das Vierte Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, das heute zur Abstimmung steht, wird positive Auswirkungen auf das Leben der circa 2 700 Contergangeschädigten und deren Familien haben; davon bin ich fest überzeugt. Wir bringen diese Änderung auf den Weg, weil wir als Staat hier in ganz besonderer Weise Verantwortung tragen; meine Vorredner haben das schon betont. Ich will diese Verantwortung des Staates kurz begründen und dafür einen Blick in die Vergangenheit werfen: Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre wurde ein Medikament mit dem Namen Contergan als rezeptfreies Schlaf- und Beruhigungsmittel verkauft. Frauen, die das Mittel während der Schwangerschaft einnahmen, haben Kinder mit schweren Fehlbildungen geboren. Viele dieser Kinder sind unmittelbar nach der Geburt oder wenig später gestorben. Diejenigen, die überlebt haben, sind heute erwachsen und haben oft einen sehr langen Leidensweg hinter sich. Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Deutschland kein nationales Medikamentenrecht; ein bundeseinheitliches Verfahren zur Medikamentenkontrolle wurde erst 1976 eingeführt. Hier liegt unsere staatliche Verantwortung begründet. Der Hauptverantwortliche – jedenfalls ist er das für mich –, die Firma Grünenthal, zahlte als Entschädigung im Rahmen eines Vergleiches 100 Millionen DMark in die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ ein. Im Gegenzug wurden weitere Ansprüche gegen den Hersteller in gesetzliche Leistungsansprüche umgewandelt. Der Staat übernahm damit die weitere Verantwortung für die geschädigten Kinder. Heutzutage – auch das muss einmal gesagt werden – könnte sich eine Firma, die ein Medikament mit dermaßen verheerenden Folgen rezeptfrei verkauft hat, nicht mehr so einfach und so günstig aus der Affäre und aus ihrer Verantwortung ziehen. Aus den Kindern sind inzwischen, wie schon erwähnt, erwachsene Menschen geworden, die trotz ihrer Behinderung versuchen, ihr Leben, so gut es eben geht, zu meistern. Dafür verdienen sie unseren Respekt. Mich haben die Betroffenen und viele andere behinderte Menschen demütig gemacht, und sie haben mich auch dankbar gemacht. Aber sie haben mir auch gezeigt, dass mit einem eisernen Willen auch als behinderter Mensch ein teilweise erfülltes Leben möglich ist. Dafür möchte ich mich herzlichen bedanken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag musste das Conterganstiftungsgesetz in der Vergangenheit bereits mehrfach korrigieren und damit an die Lebenswirklichkeit der Betroffenen anpassen. Zuletzt ist das, wie schon erwähnt, im Jahr 2013 geschehen. Das Parlament hat damals die Renten für Contergangeschädigte in der Spitze versechsfacht. Bei Schwerstgeschädigten beträgt sie jetzt etwa 7 000 Euro, vorher bekamen diese Menschen 1 100 Euro. Das ist eine mehr als deutliche Verbesserung. Hinzu kommt, dass weder das Einkommen noch das Vermögen der Betroffenen für Sozialleistungen, wie zum Beispiel persönliche Assistenz, herangezogen werden kann. Auch das ist eine Besonderheit im Conterganstiftungsgesetz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berichterstatter und auch viele andere von Ihnen wissen: Contergangeschädigte Menschen haben eine Vielzahl an Bedarfen. Diese sind, bedingt durch ihre Schädigungen, sehr unterschiedlich. Um ihren Alltag dennoch meistern zu können, benötigen sie viele Hilfsmittel. Vieles von dem, was Contergangeschädigten und auch anderen behinderten Menschen das Leben erleichtert, fällt nicht unter den eng gefassten Begriff der medizinischen Heil- und Hilfsmittel. Daher haben sich Krankenkassen und andere Kostenträger schon immer sehr schwer getan, die Kosten zu übernehmen. Oft geschah das erst nach langen Rechtsstreitigkeiten. Deswegen hat der Bundestag 2013 zusätzliche Mittel für spezifische Bedarfe zur Verfügung gestellt. Ziel der Einführung war es, wie damals betont wurde, bürokratiearm Hilfe zu leisten. Die Praxis hat aber leider gezeigt: Dieses Ziel wurde verfehlt; das bisherige Antragsverfahren ist viel zu kompliziert – meine Vorredner, auch Frau Rüffer, haben es dargestellt –, die Bewilligung der Mittel ist schwierig und führt immer wieder zu Klagen durch die Betroffenen. Viele Betroffene haben sich daher gar nicht erst auf den Weg gemacht, diese Hilfe zu beantragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute diese Gesetzesänderung beschließen – ich hoffe mal, dass die Oppositionsfraktionen da noch ihr Herz in die Hand nehmen –, beweisen wir, dass Politik lernfähig ist. Die Bereitstellung der Mittel für spezifische Bedarfe in 2013 war absolut richtig. Heute sorgen wir nur dafür, dass diese Mittel die Betroffenen auch endlich und wirklich erreichen. Wir schaffen das Antragsverfahren ab und sichern allen Beziehern von Conterganrenten einen Sockelbetrag von 4 800 Euro zu. Zusätzlich erhalten die Betroffenen, gestaffelt nach dem Grad ihrer Schädigung, bis zu 9 900 Euro im Jahr. Wir handeln so, weil wir fest daran glauben, dass die Betroffenen selbst am besten wissen, welche Hilfsmittel ihnen das Leben erleichtern. Mit dem Wegfall des Antragsverfahrens versetzen wir sie damit auch in eine selbstbestimmtere Position. Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir endlich die Haftungsregeln für den Stiftungsvorstand anpassen. Das war ein vielgeäußerter Wunsch aus dem Vorstand heraus. Außerdem haben die contergangeschädigten Mitglieder des Stiftungsrates und des Stiftungsvorstandes jetzt Anspruch auf die Erstattung notwendiger Assistenzkosten; auch das ist eine absolut richtige Veränderung im Gesetz. Wir stellen ferner sicher, dass die Conterganrenten – auch das war ein Anliegen der Betroffenen – und das Vermögen der Betroffenen auch nach dem neuen BTHG anrechnungsfrei bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, anders als die Vorredner von der Opposition bin ich der Meinung, dass eine Veränderung der Stiftungsstruktur zwingend notwendig ist, nicht zuletzt auch aufgrund der Veränderungen, die die Pauschalierung der Mittel mit sich bringen wird. Die Stiftung wird dadurch erheblich entlastet und kann sich so verstärkt um die Beratung und Unterstützung der Betroffenen kümmern. Die notwendigen Strukturänderungen werden wir heute allerdings noch nicht beschließen. Wir haben gemeinsam aus der Anhörung die Lehre gezogen, dass wir das jetzt noch nicht tun sollten. Wir bringen die Erstellung eines Evaluationsberichts auf den Weg, der möglichst noch vor Ende der Legislaturperiode vorliegen soll. Dann werden wir überlegen, was wir an der Stiftungsstruktur ändern. Damit erübrigen sich auch die entsprechenden Teile in Ihren Anträgen, die sich mit diesem Thema befassen. Die SPD-Fraktion und insbesondere ich als Berichterstatterin sind uns sicher, dass der Bericht die Notwendigkeit der Strukturveränderungen bestätigen wird; denn die Stiftung muss grundsätzlich handlungsfähig sein, und das ist sie heute, wenn man genau und ehrlich hinschaut, nicht immer. Der Stiftungsvorstand muss seine Aufgaben erfüllen können – das haben Sie nicht immer im Blick, Frau Rüffer –, der Stiftungsrat muss mitbestimmen und kontrollieren, und die Ministerien müssen ihrer Aufsichtspflicht nachkommen können. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, indem man die Betroffenen schwächt!) Diese vielfältigen Aufgaben sollten – das ist jedenfalls meine Wunschvorstellung, und ich will alles tun, damit das auch gelingt – im guten Miteinander erledigt werden. Das klingt für mich im Moment noch nach der Quadratur des Kreises. Da ich aber von der Notwendigkeit der Veränderungen überzeugt bin, setze ich darauf, dass alle Beteiligten – und ich betone: alle – aufeinander zugehen und so ihren guten Willen zeigen. Nur so können sie den Stiftungsauftrag erfüllen und den Betroffenen wirklich helfen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der vorliegende Entwurf nicht alle meine Erwartungen erfüllt, können wir, denke ich, dennoch zufrieden sein. Alle Betroffenen bekommen unbürokratisch Geld aus dem Topf für spezifische Bedarfe. Sie bekommen damit mehr Autonomie für die Gestaltung ihres Lebens. Das ist auch das Ziel, das wir gerade mit dem BTHG beschlossen haben: raus aus der Fürsorge, raus aus dem „Wir wissen schon, was gut für euch ist“, hin zu einem selbstbestimmten Leben. Das ist für uns als Politiker und für die Betroffenen ein schöner Erfolg am Ende des Jahres 2016. Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken. Ihnen allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Paul Lehrieder hat als letzter Redner in dieser Aussprache für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin Bulmahn! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Betroffene! Ich weiß aus zugesandten Mails, dass sehr viele an den Fernsehgeräten diese Debatte verfolgen, um zu erfahren: Wie geht man mit meinem Schicksal um? Die Verbesserung der Lebenssituation von contergangeschädigten Menschen liegt uns allen – ich denke, hier spreche ich fraktionsübergreifend für alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hohen Hause – besonders am Herzen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) – Also, wenn die Linke klatscht, mache ich Pause. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir können ja auch mal klatschen, oder? Wenn du etwas Richtiges sagst!) – Ja, es ist immer richtig, bei meiner Rede zu klatschen, Herr Kollege. (Ursula Schulte [SPD]: So weit geht die Liebe nicht!) Das tägliche Leben der immer älter werdenden rund 2 700 Betroffenen ist durch die thalidomidbedingten Behinderungen und deren Folge- und Spätschäden geprägt. Die früheren sogenannten Contergankinder sind mittlerweile alle etwa in meinem Alter, also Mitte/Ende 50. Ich muss zugeben, ich war wirklich beeindruckt, als mir vor zweieinhalb Wochen ein Betroffener und Sachverständiger im Anschluss an die durchgeführte Anhörung auf seinem Tablet Folgendes zeigte: Er fragte mich nach meinem exakten Geburtsdatum – ich bin 1959 geboren, genau in der Mitte der Conterganproblematik; 1957 bis 1961 gab es die meisten Conterganfälle in Deutschland –, und dann schaute er auf sein Tablet und sagte: Jawohl, lieber Ausschussvorsitzender, an deinem Geburtstag ist in Deutschland auch ein contergangeschädigtes Kind auf die Welt gekommen. – Ich habe ihn gefragt, ob er mir die Daten zu Verfügung stellen kann, aber das konnte er aus Datenschutzgründen leider nicht. Aber ich weiß, es lebt in Deutschland jemand, der auf den Tag genauso alt ist wie ich und der wegen dieses Conterganmedikaments mit Schäden geboren wurde. Ich glaube, alle, die in meiner Alterskohorte sind, die meine Konsemester sind, müssen Gott danken, wenn sie dieses Schicksal nicht erlitten haben, wenn sie durch dieses Medikament nicht geschädigt worden sind. Ich bin sehr dankbar dafür – ich spreche ganz bewusst in Richtung Regierungsbank –, dass bei diesem wichtigen Thema neben unserer Familienministerin auch der Justizminister dieser Debatte lauscht. Das zeigt, welche Bedeutung diesem Gesetz in der Gesellschaft zukommt. – Für Ihre Anwesenheit möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Frau Schwesig, ich wünschte mir, dass manch anderes Gesetzgebungsvorhaben, das wir derzeit gemeinsam in Arbeit haben, in ähnlich zügiger und konstruktiver Zusammenarbeit abgeschlossen würde, wie das bei diesem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes der Fall war. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das täuscht!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Betroffene sind darauf angewiesen, bestimmte Körperteile vermehrt einzusetzen, um ihren Alltag zu meistern. Aus diesem Grund häufen sich im Alter die Gebrechen. Die jahrzehntelangen Überlastungen durch Fehlstellungen des Körpers und Ausgleichsbewegungen wirken sich auf die Gesundheit aus. Der körperliche Verschleiß verschiedener besonders beanspruchter Gelenke verstärkt sich, wie bereits ausgeführt, mit zunehmendem Alter. Aufgrund des mit steigendem Alter der Betroffenen zunehmenden körperlichen Verschleißes ist eine zukunftsorientierte, angemessene Weiterentwicklung der Unterstützungsleistungen erforderlich. Diesem Erfordernis sind wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nachgekommen. Wir haben es uns mit der Erarbeitung eines Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes nicht leicht gemacht. Im Zuge der Vorlage des Ersten Berichts über die Auswirkungen des Conterganstiftungsgesetzes vom 1. Juni 2016 haben wir die Wirkung der Leistungsverbesserungen, die durch das dritte Änderungsgesetz eingeführt worden sind, bewertet und geprüft, wo Nachbesserungsbedarf besteht. Im Jahr 2009 wurden die Conterganrenten verdoppelt – die Vorredner haben bereits darauf hingewiesen –, und im Jahr 2013 wurden sie deutlich, bis zu einem Höchstbetrag von 7 175 Euro, erhöht. Gleichzeitig wurden die Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe eingeführt, die unabhängig vom Schädigungsgrad auf entsprechenden Antrag gewährt werden. Dafür wurde ein Topf mit insgesamt 30 Millionen Euro jährlich eingerichtet. Wir mussten allerdings feststellen – auch hierauf haben meine Vorredner bereits hingewiesen –, dass von den in Aussicht gestellten 30 Millionen Euro nur circa 2,5 Millionen Euro pro Jahr abgerufen wurden. Jetzt kann man fragen: Woran liegt das? Liegt das daran, dass die Hilfe nicht notwendig war? Das glaube ich nicht. Ich glaube, das liegt daran, dass wir die Leistungsbewilligungen relativ restriktiv gehandhabt haben. Dieser Erfahrung folgend führen wir jetzt eine Pauschalierung ein. Wir sagen: Jeder soll zu seinem Recht kommen, egal ob er in den letzten Jahren einen Antrag zu den spezifischen Bedarfen gestellt hat oder nicht. Jeder soll, insbesondere im fortgeschrittenen Alter, eine Erleichterung erhalten. Aus Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, dass viele vor einer Antragstellung zurückschreckten, nicht nur, weil sie vielleicht selber den Bedarf noch nicht einsehen wollten, sondern auch, weil sie vor dem langwierigen, aufwendigen, komplizierten Genehmigungsverfahren zurückgeschreckt sind. Sie sagten sich: Wenn ich abgelehnt werde, muss ich zum Sozialgericht gehen; doch diese Kraft habe ich nicht, das will ich mir nicht antun. – Möglicherweise ist der eine oder andere Antrag, der begründet gewesen wäre, aus diesen Gründen nicht gestellt worden. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir jetzt das komplizierte Antragsverfahren abschaffen und mit der Pauschalierung dafür sorgen, dass die Lebenssituation von möglichst vielen der 2 700 Contergangeschädigten im Alter verbessert wird. Dazu gehört vieles, zum Beispiel eine Küchenmaschine, ein Autoumbau, elektrische Jalousienheber. Ich erinnere an die berühmte Boxspringbettentscheidung. Es geht um Dinge, die jedem das Leben erleichtern, die für Menschen mit diesen Handicaps aber eine deutliche Verbesserung der Lebenssituation bedeuten, insbesondere bei zunehmendem Verschleiß des Skeletts, der körperlichen Gliedmaßen. Viele Betroffene haben – ich habe bereits darauf hingewiesen –, zum Teil aus Scheu, zum Teil aufgrund des bürokratischen Aufwands, zum Teil aber auch aus Scham, keinen Antrag gestellt. Sie scheuten den komplizierten Weg und die bürokratischen Hürden. Konkret sieht der vorliegende Gesetzentwurf nunmehr vor – ich will das noch einmal wiederholen, auch wenn der eine oder andere Kollege schon darauf hingewiesen hat –, dass die Leistungen für spezifische Bedarfe nicht länger als individuell bedarfsdeckende Leistungen gewährt werden, sondern künftig ohne gesonderten Antrag pauschal. Somit ergibt sich für alle Betroffenen ein jährlicher Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro. Hierdurch erreichen wir eine gerechtere, schnellere, unkompliziertere Verteilung. Die Contergangeschädigten sind nicht mehr Antragsteller, sind nicht mehr Bittsteller, sondern sie haben Rechte; sie haben den Anspruch darauf, dieses Geld so einzusetzen, wie sie es selbstbestimmt für richtig halten. Ich glaube, das ist eine deutliche Verbesserung. Liebe Kollegin Werner, lieber Kollege Birkwald, ich würde mir wünschen, dass Sie nach meinen Ausführungen in sich gehen und noch einmal überlegen, ob Sie nicht von Ihrer machtvollen Enthaltung abrücken und doch zustimmen können. Von einer lauten Enthaltung hier im Hause wird die Situation der Contergangeschädigten nicht verbessert. Also geben Sie Ihrem Herzen einen Ruck. Sie können das draußen bei den Geschädigten viel besser verkaufen, wenn Sie sagen: Jawohl, Lehrieder hat uns überzeugt. Wir haben dafürgestimmt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Werner [DIE LINKE]: Das können Sie schlecht verkaufen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er hat es zumindest gut versucht!) Wie schon gesagt, die Contergangeschädigten hätten es verdient. In diesem Sinne bedanke ich mich für das konstruktive, wahrlich parteiübergreifende Mitwirken an diesem Gesetzentwurf. Wir haben noch nicht alles erreicht; darauf wurde hingewiesen. Wir haben die Evaluationszeit von drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt, weil wir möglichst schnell sehen wollen, wie dieses Gesetz wirkt und was wir in den nächsten Jahren brauchen. Ich glaube, ähnlich wie in den vergangenen vier, fünf, zehn Jahren werden wir weiterhin in diesem Hohen Haus über das Thema Contergan diskutieren. Wir werden weiter hinschauen. Wir werden auch die anstehende Strukturreform – wie geht es mit der Stiftung, mit dem Stiftungsvorstand weiter? – im Blick behalten. (Katrin Werner [DIE LINKE]: Dann können wir ja zustimmen!) – Ja, da könnt ihr dann wieder zustimmen. Heute müsst ihr erst einmal dieser Verbesserung zustimmen. Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es ist noch nicht Weihnachten, Paul!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, lieber Paul Lehrieder. – Ich sage Ihnen erst einmal einen schönen guten Tag. – Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10670, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10378 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10674 vor, über den wir logischerweise zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90, die Linke. Dagegen hat die Große Koalition, also CDU/CSU und SPD, gestimmt. (Sönke Rix [SPD]: Bündnis 90/Die Grünen heißt Ihre Fraktion immer noch! Nicht so weit vorausdenken! – Gegenruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jetzt hörʼ aber auf! – Weitere Zurufe – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Also: Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dagegengestimmt haben die CDU/CSU und die SPD. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen jetzt zu Abstimmungen über zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke. Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10675. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Linke. Dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen. Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10676. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt haben CDU/CSU und die SPD. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Tabea Rößner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich Landesverrats – Pressefreiheit und Journalistinnen und Journalisten besser schützen Drucksache 18/10036 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Katja Keul, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich Landesverrats – Stellung des Generalbundesanwaltes rechtsstaatlich reformieren Drucksache 18/10037 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Halina Wawzyniak, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Journalistinnen und Journalisten sowie Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber vor Strafverfolgung schützen und Unabhängigkeit der Justiz sicherstellen Drucksache 18/5839 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Großkampftag heute! Das ist die zweite Rede!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, jetzt geht es los. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige werden sich noch erinnern: Es ist jetzt fast zwei Jahre her, da wurde in Deutschland ein Abgrund von Landesverrat geortet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und sein Präsident mussten Strafanzeige erstatten, weil in dem Netzwerk netzpolitik.org ein Verfassungsschutzpapier veröffentlicht worden ist – das war im Februar 2015 – und dann ein paar Wochen später ein zweites Papier von netzpolitik.org veröffentlicht worden ist. Da konnte die Pressefreiheit nicht so wichtig sein, sodass man da zuschlagen musste. Also, er hat Strafanzeige bei der hiesigen Staatsanwaltschaft erstattet. Die Geschichte wurde dann sehr, sehr ernst genommen und ist daraufhin eine Stufe oder zwei Stufen höher gelangt und zur Bundesanwaltschaft gegeben worden, weil doch hier möglicherweise Landesverrat begangen worden ist. Geschädigte: die Bundesrepublik Deutschland. Dann gab es eine Diskussion, bei der hin und her überlegt worden ist: Wie soll man mit der Presse umgehen? Muss man die Pressefreiheit nicht mehr sichern? Ich wollte Herrn Maas, der im Augenblick leider nicht zuhören kann, obwohl es interessant ist, daran erinnern, dass er Ende Juli 2015 angekündigt hat, dass er die Vorschriften, die die Pressefreiheit und die Arbeit von Journalisten und insbesondere den Landesverratsparagrafen betreffen, sich doch noch einmal näher angucken wollte, um zu sehen, ob man da nicht etwas machen muss. Darauf warten wir nun heute noch; jedenfalls haben wir aus dem Justizministerium nichts gehört, (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) was das denn sein könnte. Daher haben wir uns selber an die Arbeit gemacht. Wir haben nicht die Kapazitäten der großen Fraktionen und auch nicht die des Bundesjustizministeriums. Also haben wir in mühsamer Kleinarbeit versucht, einige gesetzliche Änderungen vorzuschlagen. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das merkt man erst jetzt?) Sie will ich Ihnen jetzt kurz vortragen. Als Allererstes habe ich mich erinnert, dass sich einer von zwei Leuten, die wegen Landesverrats verurteilt worden sind – einer zu sieben Jahren, einer zu acht Jahren, also doch schon zu erheblichen Strafen –, an mich gewandt und gesagt hat, er sieht überhaupt nicht ein, dass das ein Staatsgeheimnis gewesen ist; das hat er gar nicht gewusst, usw. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Überzeugend!) Ich will auf diese Fälle gar nicht näher eingehen. Daraufhin habe ich mir den Paragrafen auch noch einmal angeguckt. Es steht nämlich im Strafgesetzbuch, in § 93, ausdrücklich, was nun ein Staatsgeheimnis ist. Dort steht, alle Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind – wie groß er sein kann, 100 000 oder 10 Personen, weiß man nicht – und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, sind ein Staatsgeheimnis, und wenn man ein Staatsgeheimnis weitergibt, dann macht man sich unter bestimmten Voraussetzungen strafbar bzw. erheblich strafbar. Daraufhin haben wir gesagt: Nein, das kann so nicht gehen, das müssen wir jetzt ändern. Wir wollen, dass dieser § 93 so umformuliert wird, dass für jeden klar erkennbar ist, was ein Staatsgeheimnis ist, entweder dadurch, dass man immer einen Stempel darauf hat, oder dadurch, dass es ein Gesetz gibt, nach dem bestimmt wird: Dies ist ein Staatsgeheimnis, und das ist ein Staatsgeheimnis. Wir wollen weiter sagen – jetzt geht es um die Journalisten oder auch um die Whistleblower –: Wenn jemand nun ein solches Staatsgeheimnis kennt und überlegt, soll er es nun veröffentlichen oder nicht, soll er es weitergeben oder nicht, dann soll das in folgenden Fällen nicht strafbar sein: Wenn diese Informationen etwa Grundrechtsverletzungen beinhalten oder durch sie schwere Verbrechen aufgedeckt werden können, dann soll das eben nicht gelten. Denn dann überwiegt das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe nach außen im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger, dass diese Weitergabe unter Strafe gestellt wird. So haben wir es in unserem Gesetzesvorschlag, den wir an die Bundesregierung weitergeben, vorgesehen. Wir haben uns auch gefragt: Wie ist es eigentlich bei Journalisten, die gar nicht mal Staatsgeheimnisse veröffentlichen, sondern Informationen bekommen, etwa geleakt aus irgendwelchen Behörden, vielleicht auch aus Geheimdiensten? Sollen sie sich strafbar machen, nur weil sie solche Informationen entgegennehmen? Sollen sie die Entgegennahme vielleicht sogar ablehnen müssen, weil sie sich sonst strafbar machen? Wenn sie die entsprechenden Informationen gar veröffentlichen, sollen sie dann zusätzlich bestraft werden? Wir haben gesagt: Das kann nicht sein. Wenn ein öffentliches Interesse daran besteht, dass man so etwas veröffentlicht, dann dürfen sich diese Journalisten doch nicht strafbar machen, sondern dann müssen sie geschützt werden. Daher haben wir auch einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, wie man die aktuelle Regelung ändern kann. So geht es weiter. Wir wollen ferner, dass man als Journalist auch in Zukunft aus öffentlichen Gerichtsverhandlungen, ohne dass man sich der Gefahr aussetzt, sich strafbar zu machen, berichten kann. Wir wollen auch – das wundert sicher keinen, vor allem, weil ich hier rede –, dass Whistleblower geschützt werden. Wenn also Leute sagen: „Aufgrund eines höheren gesellschaftlichen Interesses ergibt sich bei einer Abwägung, dass die Bekanntgabe bzw. Veröffentlichung einer Information wichtiger als die Geheimhaltung ist“, dann sollten sie das, ohne sich strafbar zu machen, tun dürfen, wenn sie den Abwägungsprozess verantwortungsvoll gestalten. All das bringt uns dazu, hier einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen. Auf die Einzelheiten kann ich jetzt nicht näher eingehen; denn ich habe nicht so viel Redezeit. Unser Vorschlag lautet: Tun wir etwas für die Pressefreiheit! Sie ist eines unserer höchsten Güter. Wir wissen, dass die Pressefreiheit und die Arbeit der Journalisten als vierte Gewalt im Staate unverzichtbar sind. Wir alle leben davon, und die Demokratie lebt davon. Lassen Sie uns für deren Schutz so viel tun wie irgend möglich! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele. – Nächster Redner: Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ströbele, ich glaube, wir alle erinnern uns gut an den Fall von netzpolitik.org, an die Veröffentlichungen von Geheim eingestuften Dokumenten. Das waren ja nicht irgendwelche Dokumente; das waren ja eingestufte Dokumente – diese können nach der Geheimschutzordnung verschiedene Stufen haben –, die auch gekennzeichnet sind. Solche Dokumente liegen ja nicht als handgeschriebene Papiere auf einer Parkbank. Vielmehr war offensichtlich und klar, dass die Dokumente, die netzpolitik.org veröffentlich hat, eingestuft sind. Das war also ein Vorfall, den man als derjenige, der diese Dokumente hat, einstuft und klassifiziert, nicht einfach hinnehmen kann. Deswegen ist es auch zu einer Prüfung durch die Staatsanwaltschaft, damals durch den Generalbundesanwalt, gekommen. Ich halte diesen Vorgang für richtig. Wenn Dokumente, die eingestuft sind, den Raum der Einstufung des Dienstherrn, der sie eingestuft hat, verlassen, muss man auch dafür Sorge tragen, dass nachgeprüft wird: Wer hat die Dokumente, die eingestuft sind, nach draußen gegeben? Denn es ist nicht sinnvoll, dass Dokumente, die in amtlicher Verwahrung sind und einen Einstufungsgrad haben, nach draußen gelangen. Hier zu ermitteln, halte ich also für richtig. Der Generalbundesanwalt – wir haben in dieser Zeit ja öfter Statements von ihm gehört – hat in alle Richtungen ermittelt, zum Beispiel auch, was die Möglichkeit eines Innentäters betrifft. Es ist ja nicht zwingend, dass der Täter jemand aus dem parlamentarischen Raum gewesen sein muss; es kann ja auch ein Innentäter gewesen sein. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er hat auch gegen Journalisten ermittelt!) Dass der Blick in alle Richtungen geht, halte ich, wie gesagt, für völlig richtig. Der einzige Ansatz, den man damals hatte, waren die Journalisten, die die Informationen auf ihrer Plattform netzpolitik.org veröffentlicht haben; das ist ja logisch. Aber dass der Generalbundesanwalt eine Überprüfung anstellt, wenn amtliche Dokumente, die einen Geheimhaltungsgrad haben, in die Öffentlichkeit gelangen, ist richtig. Sonst würden wir ja – so sehe das zumindest ich – die Integrität des Staates überhaupt nicht mehr ernst nehmen, wenn alles, was eingestuft ist, einfach nach draußen gelangen kann. Deswegen war das ein richtiges Vorgehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht gegen die Journalisten!) Lieber Kollege Ströbele, in folgendem Punkt sind wir uns einig: Die Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes ist eines unserer höchsten Schutzgüter. Sie ist nicht nur ein Abwehrrecht, sondern auch ein Recht, das der Staat verbürgen soll, für das er sich also einsetzen muss. Wir haben in Deutschland eine dezidierte Rechtsprechung und Rechtspraxis, wie das Verhältnis zwischen der Pressefreiheit, wie sie in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2, erste Alternative, normiert ist, und den Schutzrechten Dritter abgewogen und austariert werden kann. Denn kein Grundrecht – das wäre wirklich ein fataler Fehler – kann absolut gesehen werden. Man darf nicht sagen – das gilt für jedes Grundrecht –: Die Pressefreiheit geht allem anderen vor. – Man muss immer einen Abwägungsprozess betreiben und ermöglichen, und es gibt Rechte Dritter, privater Dritter, und es gibt auch Rechte des Staates an seiner Integrität, was bedeutet, Veröffentlichungen zurückzuhalten, sodass Dokumente, wenn sie eingestuft sind, nicht nach draußen dringen. Sie haben gerade kurz einen Punkt Ihres Vorschlags zitiert. Ich habe ihn mir mitgenommen, damit sichergestellt ist, dass wir wirklich vom gleichen Sachverhalt reden. Sie haben gesagt: Dokumente sollen in Zukunft nur noch als Geheim und Streng Geheim eingestuft werden. So steht es in Ihrem Vorschlag. Das würde natürlich zu einer Inflation der Geheim-Einstufungen führen. Sie wissen es aus einer Vielzahl von Ausschüssen, aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium und aus Untersuchungsausschüssen: Dann, wenn es nur noch zwei Einstufungen nach der Geheimschutzordnung geben würde, würden diese auch in den Fällen genutzt, wenn Dokumente vielleicht als VS-NfD oder als VS-Vertraulich eingestuft werden könnten. Wir haben dann also nicht mehr das Spektrum, die Vielzahl der Dokumente entsprechend ihrem Inhalt einzustufen. Ich halte diesen Vorschlag für fatal. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass in Untersuchungsausschüssen fast alles als Geheim eingestuft würde. Das wollen sicherlich auch Sie nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Staatsgeheimnisse, von denen Sie ja immer reden, können auch jetzt schon von Journalisten veröffentlicht werden. Es ist ja nicht so – diesen Eindruck erwecken Sie –, dass Journalisten nicht die Möglichkeit hätten, an sensible Dokumente heranzukommen und diese dann, wenn sie wesentliche Sachverhalte, wie sie eben geschildert worden sind, beinhalten, zu veröffentlichen. Wir haben jetzt schon die Abwägung zwischen dem Veröffentlichungsinteresse auf der einen Seite – bei gravierenden Sachverhalten dürfen Journalisten veröffentlichen; sie müssen auch gar nicht ihre Quellen preisgeben – und auf der anderen Seite dem Geheimhaltungsinteresse des Staates bei entsprechend relevanten Sachverhalten. Einfach gesagt: Wenn kein hohes Veröffentlichungsinteresse vorliegt, wenn es das reine Abstellen auf eine mögliche Publikation ist, um viele Leser zu bekommen, wenn es ein reißerisches Interesse ist, dann wird dem Interesse des Staates an Geheimhaltung der Vorrang gegeben. Andererseits: Wenn die Veröffentlichungsgründe wesentlich sind, dann dürfen Journalisten veröffentlichen. Ich habe mich damals etwas geärgert, dass der Generalbundesanwalt bei seiner Prüfung ausgebremst worden ist. Ich glaube, er wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Veröffentlichung von netzpolitik.org keinen Straftatbestand erfüllt hätte. Dazu ist es ja nicht mehr gekommen, weil es eine dementsprechende Weisung gegeben hat. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Von wem kam die Weisung?) Von daher werden wir schließlich auch nicht wissen, wie sich dieser Sachverhalt beim Generalbundesanwalt weiter entwickelt hätte. Sie möchten durch Ihren Gesetzentwurf weiterhin Journalisten die Veröffentlichung ermöglichen und es nicht mehr als strafbare Handlung behandelt sehen, wenn durch Nachstellen oder Druck Erkenntnisse erlangt werden, wenn also fast ein Stalking stattfindet. Dazu muss ich ehrlich sagen: Das geht zu weit. Ich habe mit einigen Journalisten im Vorfeld der heutigen Debatte gesprochen. Seriöser Journalismus arbeitet investigativ, das ist richtig. Er setzt auch nach, er recherchiert in die Breite, aber nicht mittels Stalking, Nötigung oder schlichter Bloßstellung von Menschen. So arbeiten seriöse Journalisten nicht. Diese Tatbestände herauszunehmen und ein solches Vorgehen dann für legal zu erachten, das halte ich schon für ein schräges Verhältnis. (Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das scheint mir ein bisschen ein Schaufensterantrag zu sein. Richtig ist das nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn? Gar nichts!) Als nächsten Punkt sollte man, glaube ich, erwähnen, dass es möglich ist, an vielen Stellen mit Verschwiegenheit zu arbeiten, mit Dokumenten zu arbeiten, die eingestuft sind. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, zu sehen, dass der Staat ein Interesse an der Wahrung seiner Integrität hat und dass es auch ein Interesse der Bürgerinnen und Bürger gibt, dass Dokumente, die beim Staat liegen, verwahrt bleiben und nicht nach draußen dringen. Das muss ein Abwägungsprozess sein. Dieser Abwägungsprozess fehlt in Ihrem Antrag völlig. Sie schauen ausschließlich auf die Informationsgewinnung, auf die Journalisten, die dann, im Grunde ohne diesen Abwägungsprozess, jedwede Dokumente nach draußen geben könnten, wären sie nicht eingestuft. Wenn sie als Geheim oder als Streng Geheim eingestuft sind, dann wäre dies im Grunde auch möglich, weil der Abwägungsprozess fehlt. Das wäre ein völliges Nach-draußen-Geben von eingestuften Dokumenten, und das kann eigentlich und im Grunde auch nicht das Ziel von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken sein. Denn im Endeffekt heißt das, dass alles, was der Staat in Verwahrung und auch geschützt in Verwahrung hat, in die Öffentlichkeit gegeben werden kann. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Darum geht es überhaupt nicht, Herr Kollege. Da erzählen Sie den Leuten Unsinn!) – Ja, doch, darum geht es schon, wenn man Ihre Anschuldigungen hört. – Aufklärung heißt zum Beispiel, dass wir im parlamentarischen Raum prüfen können, aber eben nicht, dass das alles nicht mehr unter Strafe gestellt wird und jedes Dokument veröffentlicht werden kann. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das verlangt überhaupt keiner!) Das kann nicht Ziel eines klugen Antrages sein. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist auch nicht das Ziel unseres klugen Antrages, Herr Kollege! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch keiner gefordert!) – Sie können ja gleich Ihren Antrag einmal näher erklären. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten es lesen! Dann verstehen Sie es!) Wenn man beide Anträge liest – Ihren von den Linken und den von Bündnis 90/Die Grünen; ich habe ja beide mit nach vorne genommen –, dann muss man sagen, dass der Antrag der Fraktion der Linkspartei eigentlich zum Rundumschlag gegen die Sicherheitsbehörden ausholt. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Genau! Jawohl! Nicht gelesen, nur nach vorne mitgenommen!) Mehr ist es doch eigentlich gar nicht. Sie wollen im Grunde den Sicherheitsbehörden die Chance nehmen, Dokumente einzustufen – und das vor dem Hintergrund des Terrorismus, den wir zurzeit bei uns erleben. Ich habe den Antrag vor mir liegen, habe ihn gelesen und habe ihn sogar dezidiert bearbeitet. An fast jeden Absatz habe ich ein Fragezeichen geschrieben. Das sollte Ihnen zu denken geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie denn jetzt?) Zu den Grünen muss ich ganz ehrlich sagen: Sie haben nicht verstanden, was wir in den letzten Jahren zum Schutz der journalistischen Tätigkeit gemacht haben. Gerade in der letzten Legislaturperiode hat die Union – übrigens mit der FDP – die Rechte von Journalistinnen und Journalisten an vielen Stellen in der Strafprozessordnung intensiv gestärkt. Ich glaube, wir beide haben damals sogar zum Thema Geheimnisträger/Berufsgeheimnisträger geredet. Wir haben viel gemacht. Aber das, was Sie jetzt machen, dehnt die Rechte aus und führt dazu, dass die Abwägung, die beim Eingriff in die Grundrechte immer getroffen werden muss, aufgegeben wird. Es erfolgt eine einseitige Ausdehnung hin zur Veröffentlichung und Durchstecherei von Dokumenten, und der Schutz staatlicher Interessen und der Schutz Dritter werden nicht mehr beachtet. Das ist ein Ungleichgewicht, dem man so nicht zustimmen kann. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ihre Gesetzesinitiativen sind aus meiner Sicht aus rechtsstaatlichen Gründen kritisch zu bewerten. Ich kann nur empfehlen, dem so nicht zuzustimmen und noch einmal darüber nachzudenken, wie wir beim Thema Weisung klüger weiteragieren können; Sie hatten es angesprochen. Man kann sicher darüber nachdenken, ob Weisungen bei Staatsanwaltschaften schriftlich zu erfolgen haben. Alles andere ist abzulehnen. Sie empfehlen zum Beispiel, die Parlamente in einem laufenden Strafverfahren zu unterrichten. Ich wage zu bezweifeln, dass Sie als Strafverteidiger das gewollt hätten, und das würde bei den Strafverfahren im Grunde zu einem Chaos führen. Deswegen sind die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken leider nicht ausgegoren, und sie sollten hier heute abgelehnt werden. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie hier gerade tun, ist, Fakenews zu verbreiten!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Patrick Sensburg. – Der nächste Redner: Harald Petzold für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Es vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht aus Ländern wie der Türkei erfahren, dass Journalistinnen und Journalisten ihren Job verlieren oder gar verhaftet werden, weil sie Dinge öffentlich gemacht, angeprangert oder berichtet haben, die den Herrschenden in ihrem Land nicht gefallen. Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bricht die Türkei im Moment alle Rekorde, was die Inhaftierung von Journalistinnen und Journalisten anbelangt. Sie hat berichtet, dass mit Stand 13. Dezember dieses Jahres mindestens 348 Medienleute in türkischen Gefängnissen sitzen, weil sie entweder des Landesverrats, der Zusammenarbeit mit terroristischen Organisationen, deren Unterstützung oder anderer Vergehen bezichtigt werden, (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Reden Sie einmal über den Journalismus in Russland!) die dem autoritären Präsidenten Erdogan nicht gefallen. Ich kann nur fragen: Alle 348 Journalistinnen und Journalisten sollen Terroristen, Unterstützer von Terroristen oder Sympathisantinnen und Sympathisanten von Terroristen sein? Das kann nicht einmal der Präsident Erdogan wirklich glauben. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ist alles richtig, was Sie sagen! Aber wir reden gerade über die Bundesrepublik Deutschland!) Wir reagieren darauf damit, dass wir sehr besorgt sind. Mehr passiert nicht! Nun reden wir heute natürlich über Deutschland (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Eben!) – ich weiß –, und ich will natürlich auf gar keinen Fall unser Land mit der Türkei vergleichen. Gott bewahre! Aber ich finde es schon einen Skandal, dass auch bei uns Journalistinnen und Journalisten Strafandrohungen bekommen oder Gefahr laufen, wegen Landesverrats angezeigt zu werden, (Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!) wenn sie über Dinge berichten, die der Bundesregierung oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht passen; (Beifall bei der LINKEN) denn damit wird die Pressefreiheit eingeschränkt und der Demokratie geschadet. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sehr gewagt! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist aber weit hergeholt!) Der Kollege Ströbele hat uns an den Fall erinnert, der sowohl für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als auch für unseren Antrag Ausgangspunkt gewesen ist. Sie hatten alle Gelegenheit der Welt, hier tätig zu werden. Seit zwei Jahren kündigen Sie an, dass vonseiten der Großen Koalition Initiativen kommen. Aber nichts ist gekommen. Lieber Kollege Sensburg, Sie wissen doch selbst: Natürlich geht es nicht um die Frage, ob Geheimnisse oder geheime Dokumente veröffentlicht worden sind. Die beiden Blogger, Herr Markus Beckedahl und Herr André Meister, haben die Öffentlichkeit darüber informiert, welche Pläne das Bundesamt für Verfassungsschutz zum Ausbau der Internetüberwachung verfolgt. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja! Selbstlos!) Sie haben auch über Geld informiert, das wir als Haushaltsgesetzgeber dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung stellen, (Dagmar Ziegler [SPD]: Das steht doch im Haushaltsplan!) Steuergelder, mit denen genau diese Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Ich finde schon, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für Verfassungsschutz vorhat, (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben ja nur die halbe Wahrheit gesagt!) um alle Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auszuspähen, und dass dafür Steuergelder verwendet werden. Es ist meines Erachtens völlig legitim, dass dafür keine Strafmaßnahmen angeordnet werden dürfen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist Ihnen ebenso bekannt, Herr Kollege Sensburg, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Kriterien, die nicht transparent sind, die in der Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar sind und über die wir nicht entscheiden können, selbst bestimmen kann: Was ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim? Das kann diese Behörde selbst festlegen, und alles, was diesen Stempel trägt, ist der Öffentlichkeit entzogen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Sensburg? Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Selbstverständlich erlaube ich eine Zwischenfrage, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Sensburg. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Herr Kollege, Sie hatten mich eben kritisiert und gesagt, dass ich Ihren Antrag nicht richtig gelesen hätte, als ich gesagt habe: Nach Ihrem Antrag wollen Sie, dass die Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Dokumenten nicht mehr strafbar ist. Ich lese jetzt aus Ihrem Antrag vor. Unter II formulieren Sie: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der 1. Personen von der Strafverfolgung lediglich wegen der Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Dokumenten befreit, ... Ich interpretiere das so, dass Sie möchten, dass die Veröffentlichung von Dokumenten, die als Geheim eingestuft sind, nicht mehr als Straftatbestand angesehen werden soll. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Öffentlichkeit? Das ist Presse!) Ist das so? Dann hätte ich Ihren Antrag richtig verstanden, und dann bleibe ich auch bei meiner Kritik. Das trifft den Sachverhalt, den Sie gerade geschildert haben, weil diese Dokumente eingestuft waren. Der Deutsche Bundestag beschließt dies, weil er Methoden und Techniken, die in den Dokumenten erwähnt werden, nicht preisgeben will. Wenn man im Vorfeld sagt, wie man verdeckt ermitteln möchte, braucht man es ja gar nicht mehr zu machen. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Herr Kollege, Ich hatte vorhin nicht umsonst dazwischengerufen. Sie verdrehen die Dinge immer so – das ist Ihre Taktik –, dass am Ende genau das Gegenteil von dem herauskommt, was eigentlich beabsichtigt war. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Er hat den Text vorgelesen! Daran ist nichts Falsches!) Ich habe Ihnen gerade ganz deutlich gesagt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann selber festlegen: Was ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim? Alles, was diesen Stempel bekommen hat, ist der Öffentlichkeit entzogen. Ich finde, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für Verfassungsschutz mit den Steuergeldern macht, die es von uns zugewiesen bekommt und die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gezahlt worden sind. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist fadenscheinig!) – Das ist nicht fadenscheinig. – (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Doch!) Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was das Bundesamt für Verfassungsschutz mit diesen Geldern vorhat, dass es die Internetüberwachung auf die ganze Gesellschaft ausdehnen will, um so all unsere Lebensbereiche für den Geheimdienst transparent zu machen. Ich finde, es darf nicht bestraft werden, wenn solche Dinge der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Da haben Sie mich völlig richtig verstanden: Ich will, dass sowohl Journalistinnen als auch Journalisten – das steht in unserem Antrag – nicht strafrechtlich belangt werden, wenn sie der Öffentlichkeit solche Dinge bekannt machen. Auch Menschen, die solche Informationen an Journalistinnen und Journalisten weitergeben, sollen nicht bestraft werden. Wenn wir über Whistleblower reden, reden wir natürlich nicht in erster Linie über Edward Snowden. Ich finde aber, Edward Snowden ist kein Landesverräter, sondern ein mutiger Mensch; das sage ich auch über andere Whistleblower. (Beifall bei der LINKEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ein Handlanger Russlands!) Eigentlich hätte Edward Snowden den Friedensnobelpreis verdient und nicht das Exil. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es muss möglich sein, dass die Öffentlichkeit über solche Dinge informiert wird und diejenigen, die darüber informiert haben, nicht Gefahr laufen, am Ende in ihrer Freiheit eingeschränkt oder ihrer Freiheit beraubt zu werden. Ein weiterer Punkt, um den es uns in unserem Antrag geht, ist die Unabhängigkeit der Justiz. Ich erinnere an das Trauerspiel, das uns da vorgeführt wurde: Erst verlangt ein Behördenleiter, Ermittlungen wegen Landesverrats aufzunehmen. Dann werden diese Ermittlungen aufgenommen. Plötzlich merkt die Regierung, dass ihr dieses Pflaster zu heiß wird. Also fängt sie an, zurückzurudern. Der eine behauptet, er habe eine entsprechende Weisung bekommen; der andere erklärt, nie eine Weisung erteilt zu haben. Dann muss der Generalbundesanwalt sein Amt aufgeben, und am Schluss stellt er sich noch als Opfer dar. Da muss man doch das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren. – Solche Zustände können wir nicht dulden. Deswegen sagen wir: Die Staatsanwaltschaften müssen unabhängig arbeiten können – ohne Beeinflussung durch Landesjustizministerien oder durch das Bundesjustizministerium –, und der Generalbundesanwalt darf kein politischer Beamter sein. Das sind Forderungen, in denen wir mit Bündnis 90/Die Grünen übereinstimmen. Deswegen werden wir Ihren Anträgen ebenso zustimmen, wie wir unserem Antrag zustimmen. Ich finde es bedauernswert, dass es immer wieder die Oppositionsfraktionen sind, die zu solchen Themen Anträge stellen bzw. stellen müssen, weil Sie nichts unternehmen. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt nicht!) Vielleicht sollten Sie von der Großen Koalition sich einmal fragen, ob Ihnen Pressefreiheit tatsächlich so wenig wert ist, dass Sie sich im Parlament so wenig dafür engagieren. Ich kann Sie nur auffordern, unseren guten Anträgen – sowohl von Bündnis 90/Die Grünen als auch unserem Antrag – zuzustimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Harald Petzold. – Nächster Redner: Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Die Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Güter unserer Verfassung und eine entscheidende Grundlage für unsere Demokratie. Zur Pressefreiheit gehört, dass keine staatliche Stelle auch nur im Ansatz in irgendeiner Form Einfluss auf journalistische Tätigkeit nimmt. Deshalb darf nicht einmal der Anschein entstehen, eine Behörde würde Druck auf Journalisten ausüben. Wir in der SPD-Fraktion haben die Art der Strafanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz für einen Fehler gehalten. Deren Zielrichtung war formal gegen Unbekannt; tatsächlich wurden in der Anzeige Journalisten namentlich genannt, und der Verdacht war damit gegen sie gerichtet. Dabei war es offensichtlich, dass keine Strafbarkeit wegen Landesverrats vorliegt; denn es war ohne größere juristische Prüfung erkennbar, dass schon der für die Verwirklichung des Landesverrattatbestands erforderliche Vorsatz, nämlich die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik, fehlte. Ich halte fest, dass diese Anzeige in dieser Form nie hätte gestellt werden sollen und dass das Bundesinnenministerium dieser Strafanzeige niemals hätte zustimmen dürfen. Das hätte von dort gestoppt werden müssen. (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD] – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre auch richtig gewesen!) Im ersten Antrag der Grünen wird behauptet, dass Journalisten immer wieder Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt seien. Das kann ich für Deutschland jedenfalls in dem Ausmaß, wie Sie es in Ihrem Antrag darstellen, nicht feststellen. Und es wird eine präzisere Definition gefordert, was ein Staatsgeheimnis ist. Publizistische Veröffentlichungen von Staatsgeheimnissen erfüllen schon heute in der Regel nicht den Straftatbestand des Landesverrates, weil es an der Absicht fehlt, Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Das war früher anders. Nach der Spiegel-Affäre haben wir die entsprechende Vorschrift geändert. Damals hätte der einfache Dolus eventualis ausgereicht; seit 1966 bedarf es der Absicht. Wir haben also schon damals Ihrem Anliegen entsprochen. Ich finde, Ihr Vorschlag ist viel zu unbestimmt. Nach Ihrem Vorschlag soll ein Staatsgeheimnis nicht vorliegen, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden der Information „das öffentliche Interesse an deren Geheimhaltung erheblich überwiegt“. Was ist „erheblich“? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Begründung zu lesen, wäre sinnvoll!) So ungenau sollten wir keine Strafnormen formulieren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Ich finde, die Qualifizierung einer Information als Staatsgeheimnis sollte davon abhängen, ob tatsächlich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland besteht. Sie schlagen vor, dass Voraussetzung für die Strafbarkeit sein soll, dass die Information als Geheim eingestuft ist. Das könnte dazu führen, dass eine Information die äußere Sicherheit der BRD gefährdet, aber aus irgendwelchen Gründen nicht eingestuft ist. Dieses formale Kriterium halte ich deshalb für schwierig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Fechner, Entschuldigung. Erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung? Dr. Johannes Fechner (SPD): Ja klar. Natürlich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann, lieber Christian Ströbele, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie hätten weiterlesen müssen. Der Satz war noch nicht zu Ende. Sie haben zitiert bis „erheblich überwiegt“. Dann geht es weiter: ... wenn sie oder ihre Inhalte 1. gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen, 2. auf Grundrechtsverletzungen oder die Begehung schwerer Straftaten … schließen lassen, 3. gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen. Nur dann fordern wir das. (Beifall der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Das haben Sie einfach weggelassen. Sie behaupten, dass nach unserer Definition immer dann keine Staatsgeheimnisse vorliegen, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden das öffentliche Interesse an Geheimhaltung erheblich überwiegt. Wir haben die Gründe genau aufgelistet, wann keine Staatsgeheimnisse vorliegen. Dagegen können Sie doch nichts haben. Dr. Johannes Fechner (SPD): Aus meiner Sicht ist es nach wie vor zu unbestimmt. Es wird auch durch die Nachsätze, die Sie vorgetragen haben – ich habe das auch in Ihrem Antrag gelesen –, nicht besser. Sie eröffnen eine Diskussion über die Erheblichkeitsschwelle dieser wichtigen Norm. Das alles halte ich für zu unbestimmt. Deswegen bin ich von Ihrem Vorschlag nicht überzeugt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Langer Rede kurzer Sinn: Die Lehre aus der Affäre netzpolitik.org muss sein, dass Sicherheitsbehörden keine offensichtlich haltlosen Strafanzeigen gegen Journalisten stellen. Wo das geplant ist, müssen die Ministerien einschreiten und solche Anzeigen stoppen. Es darf wegen der überragenden Bedeutung der Pressefreiheit in Deutschland nicht einmal der Anschein erweckt werden, dass in Deutschland Sicherheitsbehörden durch Strafanzeigen Druck auf Journalisten ausüben. Im zweiten Antrag fordern Sie, liebe Kollegen von den Grünen, im Einzelfall das externe Weisungsrecht des Justizministers zu beschränken. Ich halte fest: Sie wollen es nicht abschaffen, wie es der Deutsche Richterbund fordert, sondern Sie wollen es beschränken, und zwar auf „evident rechtsfehlerhafte Entscheidungen“. Auch das ist aus meiner Sicht viel zu unbestimmt. Wie und nach welchen Kriterien wollen Sie das bitte bestimmen? Das Weisungsrecht ist aus meiner Sicht sinnvoll und sollte nicht abgeschafft werden. Der bekannte Rechtsanwalt Gerhard Strate hat es in einem Beitrag für die Zeitschrift für Rechtspolitik 2014, wie ich finde, sehr prägnant zusammengefasst. Er verweist zu Recht darauf, dass das Grundgesetz keine Unabhängigkeit der Justiz, sondern „nur“ die Unabhängigkeit der Richter kennt. Den Staatsanwalt zum Teil der dritten Gewalt zu erklären, wäre – so Strate – der Abschied von dem fein austarierten System unserer rechtsstaatlichen Justiz. Das externe Weisungsrecht, von dem sowieso nie Gebrauch gemacht wird – Herr Maas hat es nicht getan, Kollege Sensburg –, sollte zumindest in der Theorie bestehen. Das ist wichtig, weil ansonsten keinerlei parlamentarische Kontrolle der Ermittlungsarbeit möglich ist. Dass das erforderlich ist, hat der Fall Mollath sehr deutlich gezeigt. Letztlich gibt es Argumente für die Abschaffung des Weisungsrechts, und es gibt Argumente für die Beibehaltung. Aber nach meiner Meinung gibt es keine Argumente für Ihren Mittelweg. Ich halte es für zu schwammig und unbestimmt, zu sagen, nur bei evident bedeutsamen Fehlleistungen solle das Weisungsrecht bestehen. Da ist Rechtsunsicherheit vorprogrammiert. Zum Antrag der Linken. Er enthält die berechtigte Forderung, Hinweisgeber besser zu schützen. Ja, das stimmt. Die SPD hatte in der letzten Legislaturperiode genau zu diesem Zweck einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Auch wir wollen Hinweisgeber besser schützen. Etwa die Lebensmittelskandale in den letzten Jahren wären niemals aufgeklärt worden, wenn es nicht mutige Arbeitnehmer gegeben hätte, die sich gegen ihre Vorgesetzten gestellt und viele persönliche Nachteile in Kauf genommen hätten. Weil sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern dadurch einen großen Dienst erwiesen und dafür gesorgt haben, dass lebensgefährliche Geschäftspraktiken aufgedeckt und verhindert werden konnten, müssen wir den Schutz solcher Hinweisgeber auf jeden Fall verbessern. Da teilen wir Ihr Ziel. Die Anträge enthalten viele richtige Ansätze, etwa den besseren Schutz der Whistleblower oder die Idee, das Weisungsrecht nur schriftlich zuzulassen. Aber weil sehr viel unklar ist und weil insbesondere bei den Anträgen der Grünen die zentralen Punkte zu unbestimmt sind, habe ich erhebliche Bedenken gegen Ihre Anträge. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Johannes Fechner. – Nächster Redner: Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat haben die Ermittlungen gegen netzpolitik.org zu einer heftigen und breiten Debatte geführt. Es wurde gefragt, ob wir den Schutz der Journalisten in unserem Land verbessern müssen und ob wir nicht generell eine Reform der Tatbestände der §§ 93 ff. StGB – Geheimnisverrat und Landesverrat – brauchen. Aber der Reihe nach. Bei uns sind Journalistinnen und Journalisten zunächst einmal grundrechtlich geschützt durch Artikel 5 des Grundgesetzes. Dieses Grundrecht findet eine Schranke in den Straftatbeständen der §§ 93 ff. StGB. Interessant dabei ist: Das Schutzgut ist die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Ich finde es ein Stück weit bedenklich, dass wir heute eine rechtspolitische Debatte über die Frage führen, ob wir diese Tatbestände reformieren, und niemand von Ihnen, weder Sie, Kollege Petzold, noch Sie, Kollege Ströbele, sich einmal die Mühe gemacht hat, dieses Rechtsgut in Inhalt und Ausmaß zu beleuchten. Zwei Dinge hat netzpolitik.org damals online gestellt – ich glaube, auch da sollten wir einmal etwas konkreter werden; Sie, Herr Petzold, haben das sehr oberflächlich in den Raum gestellt –: zum einen Teile des Wirtschaftsplans des BfV, zum anderen Teile des Konzepts „Erweiterte Fachunterstützung Internet“. Ich empfehle Ihnen, zu der Bewertung des Inhalts die Ausführungen von Professor Dr. Jan-Hendrik Dietrich, Hochschule des Bundes, zu lesen. Das ist just der Gutachter, den der damalige Generalbundesanwalt als externen Gutachter beauftragt hatte. Dieses Gutachten ist sehr viel differenzierter als das interne Gutachten, das das Bundesamt für Verfassungsschutz damals in Auftrag gegeben hat. Professor Dietrich kommt – so einfach scheint es nicht zu sein, Kollege Fechner – zunächst einmal zu der Einschätzung, dass die Information über das EFI-Konzept ein Staatsgeheimnis gewesen ist, da das Konzept Rückschlüsse auf das Leistungspotenzial des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Cyberbereich zulässt. Das EFI-Konzept legt offen, welche organisatorischen und technischen Defizite im Bundesamt für Verfassungsschutz im Bereich Cyberbekämpfung vorherrschen, und beschreibt die Methoden, wie in diesem Haus Informationen gewonnen werden. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Und das darf die Öffentlichkeit nicht wissen?) Jetzt sagen Sie, die Öffentlichkeit müsse informiert werden. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Da haben sich mir die Nackenhaare aufgestellt. Kollege Petzold, wir leben im Zeitalter der Cyberkriminalität, im Zeitalter der Hackerattacken. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Eben!) Und für Sie ist es in Ordnung, dass ein Konzept offengelegt wird, das Rückschlüsse auf die Cyberkompetenz (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Auf die Defizite!) des Bundesamts für Verfassungsschutz zulässt. Auf Deutsch gesagt: Dieses Konzept zeigt, wo die Bundesrepublik Deutschland auf dem Cyberweg verwundbar ist, und das im Zeitalter der Hackerattacken. Und für Sie ist die Veröffentlichung vollkommen in Ordnung. (Zuruf von der CDU/CSU: Traurig! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten die Journalisten verurteilt werden sollen?) Ich finde es erschreckend, dass Sie tatsächlich gesetzlichen Handlungsbedarf anmahnen, sich aber mit dem Inhalt des Gutachtens offensichtlich kaum beschäftigt haben, (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) zumal – auch das muss man sagen – das Schutzgut der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der Schutz der Bundesrepublik Deutschland und seiner Behörden und Einrichtungen vor Hackerangriffen, alles andere als ein niedrigschwelliges Rechtsgut ist. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Wir dürfen das nicht erfahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz? Wo leben wir denn? – Gegenruf des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ganze Geschrei hilft gar nichts!) Ich sage Ihnen: Bei der Lektüre Ihrer Anträge nimmt man wahr, dass Sie an dieser Stelle Ihre Ideologie offensichtlich ganz nach oben stellen. Sie wollen möglichst viel Beinfreiheit für Journalisten und nehmen dafür im Notfall eine Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland in Kauf. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So ein Unsinn!) Genau deshalb werden wir diese Anträge ablehnen. Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung, in einem Zeitalter, in dem sich in jeder Lebenslage akut und spontan Informationen in die Welt hinaussenden lassen. Wenn die Information einmal in der Welt ist, sekundenschnell, ist sie ganz schwer rückholbar. Wir wollen in diesem Zeitalter keinen leichtfertigen Umgang mit Staatsgeheimnissen. Wir wollen eben nicht, dass der äußere Schutz der Bundesrepublik Deutschland zur Disposition Einzelner gestellt wird. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Hoffmann, erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage von Christian Ströbele? Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Aber mit großem Vergnügen, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, darf ich Sie so verstehen, dass Sie im Ergebnis der Meinung sind, man hätte die beiden Journalisten doch anklagen und möglicherweise verurteilen sollen? (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Genau!) So verstehe ich Sie jetzt. Sie haben offenbar noch nicht verstanden, dass das eine die Person oder die Stelle ist, die eine Information aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz nach draußen gegeben hat – darüber reden wir hier gar nicht –, das andere die Journalisten sind, die diese Information bekommen und veröffentlichen. Wir sind der Meinung, dass ein Journalist, wenn er so etwas in die Hand bekommt, gerade in einer Zeit, in der wir über die Internetüberwachung diskutieren – ich rede jetzt nicht von dem möglichen Verfassungsschützer oder wer auch immer das war –, sagen können muss: Das interessiert die Öffentlichkeit jetzt aber sehr. Also veröffentliche ich das. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Danke für die Frage. – Das ist doch genau der Punkt: In dem Moment, wo man das in die Hände eines Journalisten gibt, legt man das erhebliche Rechtsgut „äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ in die Hände eines Einzelnen und stellt es zu seiner Disposition. Ich habe eigentlich gedacht – deswegen war ich eingangs Ihrer Frage etwas irritiert –, dass Sie als Strafverteidiger sehr wohl die Frage, ob Anklage erhoben wird, ob ermittelt wird, und die Frage, ob jemand verurteilt wird, auseinanderhalten können. Ich glaube, dass es voll und ganz gerechtfertigt gewesen ist, in diesem Fall Ermittlungen einzuleiten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen die Journalisten!) Es scheint ja nicht so eindeutig gewesen zu sein, wie der Kollege Fechner vorhin geschildert hat. Immerhin hat das Bundesjustizministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben. Jeder Straftäter in Deutschland muss sich nach den Ermittlungen unter Umständen einem Strafprozess stellen, in dem es dann um die Frage geht, ob Vorsatz oder Absicht, wie es das Gesetz erfordert, vorgelegen hat. Daher verstehe ich nicht, warum wir uns diese Zeit nicht hätten nehmen sollen. (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Journalisten wägen doch ab!) Generell erlebe ich diese Debatte – da will ich ehrlich sein – als sehr ideologisch. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich persönlich behaupte, dass Sie von den Grünen und auch Sie von den Linken diese Ermittlungen nicht zum Anlass für Reformüberlegungen genommen hätten, wenn es zum Beispiel Ermittlungen gegen ein sehr konservatives Medienblatt, wie zum Beispiel den Tagesspiegel, gegeben hätte. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war gut!) Ich bin aber – auch das will ich ganz ehrlich sagen – mit der Aufarbeitung dieser Thematik im Bundesjustizministerium – insofern bin ich dankbar, dass Sie da sind, Herr Minister – nicht wirklich zufrieden. Wir täten uns in der Debatte durchaus leichter, wenn auch Sie mehr zur Aufklärung der damaligen Chronologie beitragen würden. Sie sagen: Es hat keine Weisung gegeben. Ich habe nie das Wort „Weisung“ verwandt. – Ich habe im Rechtsausschuss gefragt, ob Sie ausschließen können, dass das, was Sie gesagt haben, als Weisung hätte verstanden werden können. Dazu gab es keine Auskunft. Sie haben auch die Existenz des Aktenvermerks nicht wirklich erklären können, und sie ließen das externe Gutachten stoppen. – Das sind die Erkenntnisse, die ich eingangs skizziert habe. Auf die Frage, warum sie es an diesem Montag, am Tag der Weisung, haben stoppen lassen, sagen sie: Es war einfach keine Zeit mehr zu verlieren. – Es ärgert mich als Parlamentarier, wenn ich über das Fernsehmagazin Kontraste die Information bekomme, dass der Gutachter selbst sagt, dass das Gutachten an diesem Tag so gut wie fertig gewesen ist. Mit der Beantwortung dieser Fragen täten wir uns in der Debatte leichter. Ich will am Ende meiner Rede noch ein paar Sätze zum Schutz von Hinweisgebern verlieren; auch das ist immer wieder ein Thema in den Debatten gewesen. Ich bin schon dafür, dass wir das Ganze weitaus differenzierter sehen, als es der Kollege Petzold vorhin getan hat oder als Sie es immer tun, Kollege Ströbele. Mir ist schon wichtig, dass wir gesellschaftspolitisch den Akzent darauf setzen, dass Hinweisgeber nicht in eine Ecke mit Denunzianten gestellt werden dürfen. Ich glaube schon, dass wir uns trotz Edward Snowden die Zeit nehmen sollten, einmal zu überlegen: Wo besteht denn überhaupt Regelungsbedarf? Wie viele Regelungslücken haben wir? – Sie wissen, dass in der juristischen Debatte die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Mittelpunkt stand. Damals ging es um den berühmt gewordenen Fall der Pflegerin, die Missstände in einem Pflegeheim veröffentlicht hatte. Die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Entscheidung sind: Erstens. Es geht um Grundrechtsschutz. Es ist eine Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen der Meinungsfreiheit und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit auf der einen Seite und dem Vertraulichkeitsinteresse des Unternehmens auf der anderen Seite. Zweitens. Diese Abwägung muss im Einzelfall von einem Gericht vorgenommen werden, auch wenn wir einzelgesetzlich etwas verändern. Auch rechtliche Konsequenzen – wie eine Abfindung, die es in diesem Fall gab – müssen im Einzelfall geprüft werden; das ist heute schon so. Ich bin der Meinung, dass wir schauen müssen, wie die Strukturen in diesem Bereich, zumindest im Hinblick auf das Arbeitsrecht, sind und ob es Änderungsbedarf gibt. Ein solcher Bedarf ist jedenfalls nicht in dem Umfang, wie Sie heute hier glauben machen wollen, vorhanden. Deswegen lehnen wir Ihre Anträge ab. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Der letzte Redner in der Debatte: Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Netzpolitik.org-Affäre aus dem letzten Sommer hat uns die Spiegel-Affäre von 1962 wieder ins Gedächtnis gerufen. Beide Affären stehen für die hohe Bedeutung, die die Pressefreiheit in unserem Land hat. Die Spiegel-Affäre hat die Pressefreiheit in der Gesellschaft wirklich verankert. Die Gesellschaft hat damals begriffen, was Pressefreiheit tatsächlich bedeutet. Seither begleitet der kritische Geist der Presse die Entwicklungen in unserem Land und korrigiert sie, wo sie in die falsche Richtung laufen. Die Pressefreiheit ist damit Garant unserer Demokratie und scheint heute wichtiger denn je, nicht nur in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Spiegel-Urteil von 1966 in aller Deutlichkeit festgestellt: Die Presse … beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. Im selben Urteil hat das Bundesverfassungsgericht auch deutlich gemacht, dass „die Aufdeckung wesentlicher Schwächen … trotz der zunächst damit verbundenen … Nachteile für das Wohl der Bundesrepublik auf lange Sicht wichtiger … als die Geheimhaltung“ sein kann. Meine Damen und Herren, das ist der Hintergrund, vor dem die Netzpolitik.org-Affäre gesehen werden muss. Es war daher absolut richtig, dass das Justizministerium schon zu einem frühen Zeitpunkt der Affäre besonders sorgsame Arbeit angemahnt hat. Selbst der damalige Generalbundesanwalt Range hatte mit Blick auf die Pressefreiheit Anweisung gegeben, „mögliche Exekutivmaßnahmen“, wie er es nannte, gegen die Journalisten zu stoppen. Damit wird schon sehr deutlich, dass der Staat zu keinem Zeitpunkt kritische Berichte unterdrücken wollte oder gar unterdrückt hat. Wenn es um Ermittlungen gegen Journalisten geht, steht dieser Verdacht natürlich immer schnell im Raum, und man darf solche Bedenken auch nicht leichtfertig vom Tisch wischen. Das ist im Fall von netzpolitik.org aber ganz sicher nicht geschehen. Nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen explodierte die Berichterstattung zu diesem Thema geradezu. Medien und Presseverbände waren empört und haben sich mit den Bloggern von netzpolitik.org solidarisiert. Ich muss gestehen: Einen eingeschüchterten Eindruck hat das auf mich damals nicht gerade gemacht. Ich finde, das spricht für das Selbstbewusstsein der Presse in unserem Land, und ich sage: Richtig so! (Beifall bei der SPD) Liebe Oppositionsfraktionen, in Ihren Anträgen nehmen Sie nicht nur auf die Pressefreiheit, sondern auch auf das Weisungsrecht des Justizministers Bezug und wollen es einschränken. Ja, der Justizminister hat ein externes Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt. Im vorliegenden Fall hat er davon aber gar keinen Gebrauch gemacht. Es ist ja nun auch nicht so, dass er deswegen schalten und walten kann, wie er will. Die Dienstaufsicht ist an Recht und Gesetz gebunden. Wo das Gesetz keinen Ermessensspielraum zulässt, kommt das Weisungsrecht überhaupt nicht infrage. Justizminister Heiko Maas musste Generalbundesanwalt Range trotzdem in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Nachdem dieser ihm in einer Pressekonferenz vorgeworfen hatte, in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen, war das unvermeidlich; denn einmal abgesehen davon, dass der Generalbundesanwalt eben gerade nicht unabhängig ist, erschüttert ein solch öffentlich erhobener Vorwurf das Vertrauensverhältnis ohnegleichen. Völlig klar, dass das deutliche Konsequenzen erforderte! Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusammenhang meinen persönlichen Eindruck schildern. Im Rechtsausschuss hatten wir Herrn Range im August vergangenen Jahres ja bekanntlich geladen. Ich muss wirklich sagen: Einen solch schwachen Auftritt habe ich zuvor selten erlebt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat!) Die Süddeutsche Zeitung beschrieb Range als „rebel without a cause“. Ich finde, das trifft es ziemlich gut. Sie merken schon: Aus meiner Sicht zeichnet sich nicht der Änderungsbedarf ab, den Sie aus der Affäre gefolgert haben. Das liegt vielleicht auch daran, dass der letzte vergleichbare Fall über ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Ich finde: Dringender Handlungsbedarf sieht wirklich anders aus. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Matthias Bartke. – Damit schließe ich die spannende Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10036, 18/10037 und 18/5839 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksachen 18/10347, 18/10638 (neu) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10657 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner Niels Annen für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 5. Dezember 2001, also fast auf den Tag genau vor 15 Jahren, ging auf dem Bonner Petersberg die erste Afghanistan-Konferenz zu Ende. Einige werden sich an die Debatten noch erinnern. Es gab so etwas wie eine Aufbruchstimmung. Man darf auch nicht vergessen: Die afghanische Bevölkerung hatte damals schon auf 20 Jahre Krieg zurückgeblickt. Aber wenn wir heute über Resolute Support diskutieren und beschließen werden, dann gehört es zu unserer Verantwortung, dass wir eine ehrliche Bilanz ziehen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oh ja!) Die Erwartungen, die damals im Land herrschten, der Enthusiasmus, haben sich nicht realisieren lassen. Das ist ein Teil der Ernüchterung, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Leider prägen immer noch Gewalt und Angst vor Unsicherheit den Alltag der Menschen in Afghanistan. Auch das Thema Korruption beschäftigt unsere Kolleginnen und Kollegen im afghanischen Parlament. Es gibt in Teilen des Landes ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit. Das drückt sich in der Tatsache aus, dass Menschen Afghanistan verlassen. Ich komme aus Hamburg und vertrete einen Wahlkreis mit einer der wahrscheinlich größten afghanischen Gemeinden in Deutschland und in ganz Europa. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Der Abschiebung, ja!) Trotzdem ist es richtig – das ist auch ein Teil der Debatte, die wir führen müssen –, dass es seit 2001 wichtige Fortschritte in Afghanistan gegeben hat. Es gibt zumindest in den großen Städten freie Medien. Es gibt Debatten. Es gibt politische Demonstrationen. Das ist für uns nichts Besonderes, aber für die afghanische Kultur ist das bemerkenswert. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wahr!) Sie prägen damit auch das afghanische Gemeinschaftsgefühl, den Zusammenhalt dieser zerrissenen Gesellschaft. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Dies ist ein Teil der Realität. Deswegen möchte ich das auch ansprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will hier keinen Katalog herunterbeten, aber erwähnen muss man das schon, wenn wir über Afghanistan diskutieren. Es gibt auch Erfolge im Kampf gegen Analphabetismus, gegen Armut, gegen fehlende medizinische Versorgung. Vor allem in den großen Städten – auf dem Lande bleiben große Defizite – gibt es Zugang zu Bildung in einer Art und Weise, wie es das in der afghanischen Geschichte niemals gegeben hat. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den Rückschlägen, über die wir miteinander diskutiert haben, darf ich daran erinnern, dass wir über ein Bundestagsmandat zu entscheiden haben, dessen Charakter darin liegt, die afghanischen Sicherheitskräfte – Armee und Polizei – zu unterstützen, zu trainieren, zu beraten. Ich will auch daran erinnern, dass wir hier Menschenleben zu beklagen haben, auch von deutschen Soldatinnen und Soldaten, im Kampf gegen die Feinde der Demokratie in Afghanistan, die Taliban und andere Aufständische. Trotzdem glaube ich, dass es richtig ist, dass die Bundesregierung die afghanische Regierung, die afghanischen Akteure, die sich für eine Versöhnung einsetzen, unterstützt. Das ist der richtige Weg für Afghanistan. Nach so vielen Jahren Krieg wissen wir doch, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass es am Ende nur eine politische Lösung geben kann. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Ihr tut ja nichts!) Deswegen finde ich es erfreulich, auch wenn es nur einen kleinen Teil der Aufständischen betrifft, dass wir trotz der Schwierigkeiten, mit denen unsere Kolleginnen und Kollegen in Kabul konfrontiert sind, mit dem jüngst abgeschlossenen Abkommen mit Herrn Hekmatjar sehen, dass es eine realistische Möglichkeit gibt, Gewaltakteure in den politischen Prozess zu integrieren. Ich bin mir sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Taliban werden das, was dort vereinbart worden ist, sehr genau beobachten. Umso wichtiger ist es natürlich, dass jetzt die Versprechen, die vonseiten der afghanischen Regierung gemacht worden sind, eingehalten werden. Ich will hier an diesem Podium auch sagen: Präsident Ghani und CEO Abdullah, die beiden beherrschenden politischen Figuren des Landes, haben, nicht weil unsere Hilfen konditioniert sind – sie sind es übrigens aus gutem Grund –, sondern aus eigener Initiative, ihrer Bevölkerung große Versprechen gemacht. Ein Land, das sich im Kriegszustand befindet, kann nicht alles eins zu eins umsetzen. Aber vieles ist nicht umgesetzt worden, weil die beiden sich nicht verständigen konnten, weil die Umfelder dieser beiden wichtigen Politiker nicht zusammengearbeitet, nicht kooperiert haben. Das hat zur aktuellen Instabilität und Unsicherheit beigetragen. Wir erwarten von Präsident Ghani und von Herrn Abdullah, dass die Versprechen, die sie ihren eigenen Menschen gegeben haben, eingehalten werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dann muss sich auch jeder in Afghanistan darauf verlassen können, dass wir mithelfen – mit Resolute Support, um die Sicherheitskräfte auf ihre schwierige Aufgabe in diesem Umfeld weiter so professionell wie möglich vorzubereiten, aber eben auch mit den Zusagen, die wir in Brüssel gemacht haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum Schluss, weil das ja nun die Debatte ist, die wir hier alle miteinander führen, doch noch ein Wort zur aufgeregten Diskussion über die Abschiebungen sagen. Eines ist doch in der Tat richtig: Afghanistan ist kein sicheres Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Warum schiebt ihr ab?) Man kann zur Sicherheit in Afghanistan keine pauschale Aussage treffen. Ich kenne übrigens auch kein Gerichtsurteil, das zu einem solchen Ergebnis kommt. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber?) Ich glaube, trotzdem ist es richtig, dass es, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist, grundsätzlich die Möglichkeit gibt, Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, zurückzuschicken. Ich sage „grundsätzlich“, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr konkret wird zurückgeschickt!) weil ich das mit einem Appell verbinden möchte: Ich erwarte, dass die Gerichte, aber auch das BAMF weiterhin sehr sorgfältig jeden Einzelfall prüfen. Ich warne vor dem Populismus, den ich aus Bayern höre, wo es heißt, man könne jetzt Tausende von Menschen nach Afghanistan abschieben. Das hätte mit der Realität und übrigens auch mit der Rechtslage nichts zu tun. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Man darf niemanden nach Afghanistan abschieben!) Gerade Menschen, die hier unsere Sprache sprechen, die gut integriert sind, sollen weiter bei uns eine Perspektive haben. Also lassen Sie uns keine populistische, sondern eine an der Sache orientierte Debatte führen. Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Niels Annen. – Nächster Redner: Wolfgang Gehrcke für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Danke sehr, Frau Präsidentin. – Wir reden hier über 15 Jahre deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan. Die Kriege in Afghanistan sind sehr viel älter; das ist überhaupt keine Frage. Wir haben unendlich viele Debatten hier im Bundestag geführt – das ist richtig und wichtig –, aber ich muss ehrlich sagen: So viel Dreistigkeit wie diesmal habe ich bisher bei keiner Debatte erlebt. Das macht mich wirklich fassungslos. (Beifall bei der LINKEN) Das müssen Sie den Menschen doch mal erklären: Sie beantragen die Verlängerung des Mandates mit der Begründung, dass die Sicherheit in Afghanistan nicht gegeben ist; deshalb müsse man das Mandat der Bundeswehr verlängern. Ich halte das alles für falsch, aber das ist Ihre Begründung. Gleichzeitig schieben Sie Flüchtlinge, die hier Schutz gesucht haben – gestern waren es 34, die abgeschoben worden sind –, mit der Begründung nach Afghanistan zurück, dass es ein sicheres Herkunftsland ist. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Nicht mit der Begründung!) Das begreift keiner mehr. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit solch einer Begründung können Sie doch gar nicht abschieben. Das Triumphgeheule aus Bayern, von denjenigen, für die 34 Abschiebungen nicht auslangen, sondern es einige Tausend sein sollen, ist doch nicht zu überhören. Die Glückwunschschreiben der AfD müssen sich doch bei Ihnen stapeln, wenn Sie so vorgehen. Es ist unfassbar und völlig inakzeptabel, was Sie hier machen. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe mich über jeden gefreut, der gestern am Frankfurter Flughafen gegen die Abschiebung demonstriert hat. Ich möchte, dass die Menschen in diesem Lande für Frieden in Afghanistan, aber auch dafür, dass die afghanischen Flüchtlinge hier zu Hause sein können, auf die Straße gehen und sich einsetzen. Das ist eine vernünftige Politik, zumindest aus Sicht meiner Fraktion. Gleichzeitig bitte ich Sie, mal über die Afghanistan-Entscheidungen nachzudenken, die hier unter jeglicher Couleur, jeglichen Regierungsfarben, getroffen worden sind: Rot-Grün zu Beginn, dann Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot. Alle hier vertretenen Fraktionen außer dem gallischen Dorf der Linken (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) waren daran beteiligt. Und die Argumente sind immer schlechter geworden. Das war der Mühlstein, der die deutsche Außenpolitik immer weiter runtergerissen hat. Denken Sie an das Argument, die deutsche Sicherheit solle am Hindukusch verteidigt werden. Die deutsche Sicherheit ist nicht am Hindukusch verteidigt worden. Die Gefahren sind immer größer geworden. Ich denke an den Tötungsbefehl des Oberst Klein in Kunduz; es war ein deutscher Oberst, der einen solchen Befehl gegeben hat. Ich denke auch, Herr Außenminister, an die ganze Debatte über Murat Kurnaz. All das ist Teil der Auseinandersetzung über die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan. Ich finde, gerade Sie als sozialdemokratische Partei sollten sich von dieser Katastrophe lösen und einen anderen politischen Weg einschlagen. Das wäre vernünftig. Ansonsten geht es in der Außenpolitik immer weiter bergab. Aus diesem Dilemma kommen Sie nicht raus. Sie müssen sich so oder so entscheiden. (Beifall bei der LINKEN) Ich fordere Sie auf, darüber nachzudenken, ob sich die Mehrheit dieses Parlaments nicht bei der damaligen Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Frau Käßmann, entschuldigen muss. Der klassische Satz von Frau Käßmann: „Nichts ist gut in Afghanistan“ ist stimmig und trägt. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der ist grundfalsch!) – Dass er Ihnen nicht passt, ist mir schon klar. Sonst streiten Sie doch immer für die Kirche, Herr Kauder, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Grundfalsch!) aber wenn es mal kritisch wird, dann ist alles vorbei. Das war damals eine richtige Grundbeurteilung. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Nein, war es nicht!) Nichts ist gut in Afghanistan. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) 220 000 Menschen sind in dem Krieg umgekommen. Ist das gut? Was ist in Afghanistan nicht alles zerstört worden! Die NATO hat sich so positioniert, dass immer mehr Menschen zu den Terroristen übergelaufen sind. Heute betreiben Sie eine Politik, durch die am Ende nicht die Taliban, sondern der „Islamische Staat“ noch stärker wird. Wer mit Drohnen in Afghanistan tötet, treibt die Menschen in die Scheuer des „Islamischen Staates“. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Da können Sie doch nicht sagen, dass alles gut ist in Afghanistan oder besser geworden ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir haben nicht gesagt, dass alles gut ist!) Das alles bleibt unterm Strich stehen. Deswegen kann man Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir werden den Antrag ablehnen; das ist sowieso nicht das Problem. Aber immer mehr Menschen in unserem Lande sagen: Mit einer solchen Politik wollen wir nichts zu tun haben, und das zu Recht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke. – Nächster Redner: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Gehrcke sprach eben von Dreistigkeit mit Blick auf den vorliegenden Antrag. Dreist, Herr Kollege Gehrcke, ist, wie Sie hier Aussagen aus dem Zusammenhang reißen und Geschichte klittern, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD]) wie Sie hier eine Theologin vorführen, die Ihre Aussagen längst revidiert hat. Wir alle wissen: Die Lage in Afghanistan ist vielschichtig, aber ohne das internationale Engagement wäre Afghanistan längst zerfallen. Ich glaube, darüber sind wir uns einig. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Krieg ist verloren! Schon lange!) – Herr Ströbele, es geht hier nicht um Krieg. – Der Kollege Annen hat eben sehr klar daran erinnert, was wir im Jahr 2011 zum zweiten Mal auf einer Petersberg-Konferenz in Deutschland angesprochen, vorbereitet und in die Planung gesetzt haben, nämlich bis 2024 aus Afghanistan ein ganz normales Entwicklungsland zu machen. Merket wohl: Ein ganz normales Entwicklungsland! Afghanistan ist auf den letzten Plätzen was Sicherheit, was Korruptionsbekämpfung angeht. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie mal de Maizière sagen!) Afghanistan macht schleichende Fortschritte, aber das hat Afghanistan bisher nicht aus eigener Kraft geschafft. Dazu braucht es internationale Unterstützung. Das wirklich Dreiste an der Argumentation der Linken ist die ausschließliche Fokussierung aufs Militärische. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist doch Ihr Antrag!) Drei Punkte sind hier wichtig, die wir in der Debatte der Opposition, zumindest der Linken, entgegenhalten können. Erstens. Es geht schlichtweg darum, dass wir in der afghanischen Bevölkerung das Vertrauen in die eigenen Strukturen stärken. Das bedeutet, nach militärischen Einsätzen sofort mit humanitärer Hilfe, mit Wiederaufbau und mit einer wärmenden Hand des Staates präsent zu sein. Da geht es um Energieversorgung, um Gesundheit und um Wasser. Das leistet die Resolute Support Mission, indem sie die afghanischen Strukturen befähigt, begleitet und berät. Zweitens. Wir müssen die Eigenverantwortung Afghanistans stärken. Wenn wir über Afghanistan sprechen, müssen wir uns bewusst sein, um was für ein Land es sich handelt – dessen ist sich die Linke leider nicht bewusst –: 80 Prozent Sunniten, 19 Prozent Schiiten, rund 50 verschiedene Volksgruppen und ebenso viele Sprachen. Das zusammenzuhalten, ist eine Herkulesaufgabe. – Ich komme an einem anderen Punkt darauf zurück. Ein Blick in das Land macht deutlich – Kollege Annen hat das angesprochen –: Zwei Drittel der Bevölkerung leben in Ruhe und in Frieden und erleben eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Knapp 30 Prozent der Bevölkerung – rund 9 Millionen Einwohner – leben in umkämpften Gebieten, aber 20 Millionen nicht. Bei Abschiebungen – ich glaube, da sind wir uns alle einig – muss man sehr sorgfältig auf die Region und auf die Ethnie achten. Pauschale Abschiebungen – da sind wir uns sicherlich alle einig – sind nicht möglich – man muss die jeweilige Region Afghanistans betrachten –; aber in zwei Dritteln des Landes herrschen Frieden und Sicherheit. Das unterstreiche ich. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!) Drittens. Ein Abzug, den Teile der Opposition fordern, würde ja nicht bedeuten, dass es mit Afghanistan auf einmal aufwärtsginge. Ein Abzug hätte ganz klare Konsequenzen. Afghanistan würde, wie in der Vergangenheit, zum Spielball regionaler Mächte werden. Indien, Iran, Pakistan, China, Russland und auch die Türkei haben Interessen. Was alle eint, ist die Sorge vor Terrorismus und vor Drogenschmuggel sowie die Hoffnung auf mehr Energieversorgungssicherheit. Hier sehe ich eine Aufgabe für Deutschland. Diese haben wir in der Vergangenheit sehr intensiv wahrgenommen, und wir nehmen sie auch aktuell wahr. Über diese drei Bereiche – Bekämpfung des Terrors und der Aufständischen, Bekämpfung des Drogenanbaus und Unterbreitung von Alternativangeboten sowie Schaffung von Energieversorgungssicherheit – müssen wir mit den Regionalmächten reden. Das geht nur durch Präsenz vor Ort, durch Glaubwürdigkeit und Anwesenheit. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 15 Jahren!) Ein Letztes. Sie brauchen strategische Geduld. Wenn wir über das weitere Vorgehen sprechen, müssen wir uns den Beschluss von 2011 in Erinnerung rufen, nach dem Afghanistan bis 2024 auf das Niveau eines normalen Entwicklungslands geführt werden soll. Das bedarf eines ganzheitlichen Vorgehens. Das bedarf auch der Korruptionsbekämpfung, worauf die Amerikaner in der Resolute Support Mission ungeheuer großen Wert legen. Sie setzen diesen Anspruch drastisch durch und lösen Personal in den afghanischen Strukturen, das sich nicht an die Vorgaben hält, ab. Was wir brauchen, ist strategische Geduld. Uns sollte bei der Bemessung unseres Kräfteansatzes bewusst sein, wie stark wir das aktuelle Mandat ausnutzen. 940 der 980 Dienstposten sind besetzt. Es gibt Mandate, bei denen gerade einmal die Hälfte des angesetzten Personals im Einsatz ist, bei denen es atmende Obergrenzen gibt. Es wäre auch mit Blick auf die Belastung unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort hilfreich, lieber Herr Außenminister, über atmende Obergrenzen nachzudenken und die Truppe mit dem auszustatten, was sie benötigt. Trotz aller Fokussierung auf das Militärische: Stellen wir doch heraus, was in Afghanistan an ziviler Entwicklungszusammenarbeit geleistet wurde! Die Bundesrepublik Deutschland hat sich über das Mandat, das bei der Afghanistan-Konferenz 2011 auf dem Petersberg beschlossen wurde, hinaus verpflichtet, bis 2022  1,7 Milliarden Euro zu investieren. Andere Staaten machen es genauso. Es geht auch darum, darzustellen, was zivil geleistet wird. Ich denke, dass es eines Parlamentes würdig ist, darüber ausschussübergreifend zu sprechen und unserer Öffentlichkeit klarzumachen, dass es nicht nur um einen Militäreinsatz geht, sondern auch um eine sinnvolle Begleitung des Wiederaufbaus. In diesem Sinne darf ich, da ich sehr viel Lebenszeit mit Afghanistan verbracht habe, von dieser Stelle aus eine herzliche Ermunterung nach Afghanistan senden und unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Aufbauhelfern alles erdenklich Gute wünschen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Roderich Kiesewetter. – Nächster Redner: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es gibt Fortschritte in Afghanistan. Das erkennt man, wenn man sich die letzten 15 Jahre anschaut; das ist sicher so. Kollege Annen hat einige dieser Fortschritte genannt. Wir stehen in Afghanistan aber zurzeit vor einer riesigen Herausforderung. Es gibt an der Spitze des Staates Signale für einen Zerfall. Die Politik des Landes steckt in einer immensen Krise. Sie macht damit ganz, ganz viel kaputt. Ich war 2014 nach den Wahlen in Afghanistan. Ich habe dort viel Euphorie gesehen und eine unglaublich gute Stimmung erlebt. Ich sah Menschen mit leuchtenden Augen, die mir total stolz ihren getinteten Finger gezeigt haben, der zeigte, dass sie wählen gegangen waren. Dann haben zwei Menschen den Wahlsieg für sich proklamiert. Wir, der Westen, haben sie dann bedrängt, miteinander zu arbeiten. Sie schaffen das bis heute nicht. Das sieht die Gesellschaft. Es führt in einem Land wie Afghanistan zu einer unglaublich schlechten Stimmung, wenn nach über zwei Jahren kein Verteidigungsminister ernannt worden ist. Das ist eine Art von Tribalisierung der Politik und der Regierung an und für sich, die das Land maßgeblich kaputtmacht. Die Sicherheitslage ist höchst fragil. Ich war 2015 das nächste Mal dort. Da war die Stimmung schon gar nicht mehr so gut, weil die fünftgrößte Stadt des Landes, Kunduz, gefallen war. Innerhalb von 24 Stunden hatten die Taliban Kunduz erobert. Die Frage, die sich viele Freunde, die ich in Kabul habe, gestellt haben, war: Ist das auch in Kabul in einer solchen Geschwindigkeit möglich? Faktisch nicht, aber das zeigt, wie dramatisch sich die Stimmung verändert hatte. Die Taliban sind stark, die Friedensgespräche gibt es nicht mehr, und ISIS fasst in immer mehr Gebieten Fuß, zum Beispiel in der Provinz Nangarhar. Jeden Tag kann man in den afghanischen Zeitungen lesen, dass es dort bei Gefechten soundso viele tote Taliban und soundso viele Tote von ISIS gegeben hat. Was nicht in der Zeitung steht, ist, dass es diese Toten bei Gefechten zwischen diesen beiden Gruppen untereinander gab. Denn die afghanische Armee kann gar nicht mehr vor Ort arbeiten. Das zeigt, wie hoch dramatisch die Lage ist. Die Vorwürfe an die afghanische Armee müssen sich dabei in Grenzen halten. Ein paar Zahlen: 2015  6 637 Tote von der Armee, 12 471 Verletzte; Januar bis August 2016 über 5 500 tote und fast 10 000 verletzte Soldaten. Keine Armee der Welt würde so viele Verluste auf Dauer überleben, ohne zu desintegrieren. Genau das passiert derzeit in Afghanistan. Deswegen kommt auch der Arbeitsmarkt nicht in Schwung. Deswegen funktioniert die Wirtschaft nicht gut. Das drückt auf die Stimmung. 2015 habe ich dort junge Menschen getroffen. Sie waren hoch agil, hoch aktiv und wirklich gut ausgebildet. Sie gehörten genau der Generation an, die Afghanistan aufbauen kann und auch muss. Wir haben eine sehr lange Diskussion geführt. Dann kam es zur Frage der Migration. Eine junge, starke, mutige Frau sagte: Ich bleibe. Das ist mein Land, und ich baue es auf. – Die anderen sechs, die am Tisch saßen, haben sie ausgelacht. Das war eine tragische Sekunde für mich, aber erst recht für diese Frau. Dies macht aber auch klar, wie die Stimmung in diesem Land ist. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir die richtigen Signale setzen, dass wir den Afghaninnen und Afghanen klarmachen, dass wir ihnen beistehen, dass wir wissen, dass sie einen weiten Weg vor sich haben, und dass wir solidarisch sind. Es geht um Signale. Es geht darum, dass wir den Afghanen die richtigen Signale senden. Ich komme zu den Signalen der Bundesregierung. Erstens. Massiver Tabubruch im Oktober 2016: Der Außenminister verknüpft – das war bisher in dieser Republik zu Recht völlig verpönt – die Entwicklungszusammenarbeit unmittelbar mit der Annahme eines Rücknahmeabkommens. Das heißt, erst wenn Abschiebungen funktionieren, sind wir bereit, euch Geld zu geben. – Es gab einen guten Grund, warum genau dieselben Mitglieder der Bundesregierung, als zum Beispiel das Thema bei Marokko auf die Tagesordnung kam, gesagt haben, dass diese Verknüpfung unzulässig ist. Wir finden, dieser Tabubruch ist das falscheste Signal, das man nach Afghanistan senden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Gestern: 34 Flüchtlinge in einem Flugzeug von Frankfurt nach Kabul. Es gibt Rückführungen. Ist Afghanistan nun sicher? Wir haben gerade von allen gehört, dass dem nicht so ist. Gibt es sichere Zonen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja!) Wir fragen die ganze Zeit, wo die sicheren Zonen sind. Dann wird uns Masar-i-Scharif genannt. Es gibt einen guten Grund, warum unser Generalkonsulat nun geschlossen ist und auch nicht mehr öffnen wird. Das liegt daran, dass die Sicherheitslage hoch dramatisch ist und auch die afghanischen Sicherheitskräfte nicht imstande sind, unser Generalkonsulat zu schützen. Wie kommen Sie auf die Idee, dass sie dann imstande sind, die Zivilbevölkerung zu schützen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt ja auch freiwillige Rückführungen. Da ist es so, dass man organisieren kann, dass es ein Netzwerk gibt, dass es NGOs gibt, dass sich um die Leute gekümmert wird. Aber was hier passiert, sind Sammelabschiebungen, Sammelrückführungen mit Zielgrößen bzw. mit Fantasiegrößen; es werden Größen genannt, wie viele Menschen man zurückführen muss. Ich weiß nicht, was sich der Herr Innenminister dabei denkt. Wenn er unser Asylrecht kennen würde, würde er wissen, dass es dort um Einzelfallprüfung geht und nicht um Maßgaben, wie viele Abschiebungen man hinbekommen soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb kann ich nur appellieren: Setzen Sie die richtigen Signale. Sagen Sie den Afghaninnen und Afghanen, dass wir ihnen beistehen. Investieren Sie; ja, das müssen wir politisch machen. Die Frage, ob man das auch mit der Bundeswehr dort macht, ist bei uns heiß umstritten. Ich werde dem zustimmen, weil ich nicht das Signal senden will, dass wir die Afghaninnen und Afghanen alleine lassen wollen. Ich verstehe ausgesprochen gut, warum es bei mir in der Fraktion so viele Leute gibt, die zwar nicht gegen die Solidarität mit den Menschen in Afghanistan sind, aber gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung Afghanistan-Politik betreibt, und die dieses Mandat daher ablehnen werden. Wir sind uns vielleicht nicht immer einig in der Frage, welchen Beitrag wir für Afghanistan leisten wollen. Aber wir sind uns hundertprozentig einig, dass wir den Afghaninnen und Afghanen weiterhin beistehen sollten. Dafür müssen wir die richtigen Signale setzen. Das macht die Bundesregierung nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächster Redner: Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will denjenigen danken, die dazu beitragen, dass wir hier im Parlament eine sehr differenzierte Diskussion über Afghanistan führen. Wenn wir uns die Situation im Land scharf anschauen, dann haben wir weder das Recht, zu sagen: „Alles ist schlecht in Afghanistan“, noch können wir hier zufrieden feststellen, dass alles in Afghanistan gut ist. Wir können meines Erachtens gemeinsam festhalten, dass vieles nicht einfacher geworden ist in Afghanistan und dass der Weg unseres Engagements dort weitergehen muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen an vielen Stellen, wie fragil die sicherheitspolitische Situation ist; das ist gerade aufgezählt worden. Wir haben in den letzten 15 Jahren Fortschritte erlebt, aber leider auch Rückschläge verkraften müssen. Der Kollege Annen hat aufgezählt, dass wir viele Bereiche haben, in denen es tatsächlich besser geworden ist. Wenn ich mir die politische Debatte anschaue, das, was Parlamentarier dort wahrnehmen können, wenn ich mir das Mediensystem anschaue, wenn ich den Bildungsbereich, die Universitäten oder Frauenrechte sehe, dann müssen wir meines Erachtens festhalten: Vieles ist besser geworden, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!) und es ist auch ein Ergebnis unserer Politik, was wir in den letzten 15 Jahren dort in Afghanistan gemeinsam voranbringen konnten. Das muss man in einer solchen Situation auch einmal sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Land hat sich verändert. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Wenn ich mit Soldatinnen und Soldaten im Gespräch bin, die aus dem Afghanistan-Einsatz zurückkommen, dann höre ich dort auch differenzierte Wahrnehmungen. Es gibt diejenigen, die sagen: Ja, mein Einsatz dort hat etwas gebracht. Es gibt aber auch diejenigen, die Fragezeichen setzen. Ich finde, diese Meinungen muss es geben dürfen, und wir müssen uns sehr intensiv mit den Soldatinnen und Soldaten austauschen und auch ernst nehmen, was sie uns von dort berichten. Erinnern will ich aber daran, dass wir einen Grund hatten, weswegen wir vor 15 Jahren hier im Bundestag – einige waren schon dabei – beschlossen haben, dass wir Militär nach Afghanistan schicken. Ich will auch daran erinnern, dass wir vor 15 Jahren Verantwortung für dieses Land übernommen haben. Es wäre töricht, diese Verantwortung jetzt abrupt abzubrechen, weil es viele dort in dem Land sind, die sich auf uns verlassen können wollen, und sie dürfen wir nicht im Stich lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen werden wir das Mandat heute hier verlängern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, es mag emotional befriedigen, wenn man „Raus aus Afghanistan!“ ruft. Ich glaube aber, unserer Verantwortung, die wir als Deutschland haben, werden wir mit einem solchen Ruf bei weitem nicht gerecht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir hatten das ISAF-Mandat; am 1. Januar 2015 ist es ausgelaufen. Die Afghanen haben selbst die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen, und wir sind jetzt in einem Mandat, das von vielen NATO-Staaten getragen wird und in dessen Rahmen Deutschland einen Teil der Verantwortung in Afghanistan übernimmt. Wir tun das auf Bitte der afghanischen Regierung; das will ich hier auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Klingbeil, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Christian Ströbele? Lars Klingbeil (SPD): Ja, sehr gern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Ströbele, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich danke für die Zulassung meiner Äußerung. – Sie haben zutreffend darauf hingewiesen, dass vor 15 Jahren der Deutsche Bundestag diesen Einsatz beschlossen hat, gegen meine Auffassung. Dies ist heute die letzte Möglichkeit für mich, im Deutschen Bundestag gegen den Afghanistan-Einsatz zu stimmen. Ich will Ihnen das einmal vorhalten, weil mich vieles hier gerade wieder geärgert hat, wie bei jeder Diskussion über Afghanistan. Es wird einfach nicht die Wahrheit zur Kenntnis genommen, auch heute nicht – damals nicht und heute nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Wahrheit heute ist, dass selbst das Außenministerium davon spricht, in Afghanistan sei die Bedrohungslage insgesamt – nicht in irgendeiner Ecke – erheblich. So ist die Situation. Der Kollege Annen sagt: Wir haben dort doch eine gute Regierung, wenn auch mit manchen Mängeln behaftet. – Wir haben dort doch überhaupt keine Regierung, weil die beiden Kampfhähne den Kampf, den sie schon im Wahlkampf ausgetragen haben, fortsetzen. Der Dritte im Bunde, der Vizepräsident Dostum, ist damit beschäftigt, irgendeinen Rivalen entführen zu lassen, und duldet Vergewaltigungen durch Soldaten seiner Miliz. In Afghanistan, im Norden Afghanistans ist nichts sicher. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Doch!) Wie kann man das noch deutlicher machen als daran, dass in dem Ort, von dem wir immer gesagt haben, dass man dorthin zurückkehren könne – der Kollege Nachtwei hat mir gesagt, dorthin könne man die Leute bringen –, im Augenblick nicht einmal ein deutsches Konsulat seiner Arbeit nachgehen kann und sich vielmehr auf Militärgelände zurückziehen muss, weil die Lage dort so unsicher ist? Sie können doch nicht immer nur sagen: Wir machen so weiter. Jetzt ist, wie ich höre, von 2024 die Rede. Geht das jetzt bis 2024 so weiter? Damals hat man versucht, mir den Einsatz zu verkaufen, indem gesagt wurde: Er dauert höchstens ein Jahr. – 2001war das. (Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Joschka Fischer!) Jetzt sind wir im 15. Jahr. Das kann doch nicht wahr sein! Ich werfe der Koalition und auch dem Außenminister vor, dass sie in Afghanistan nichts tun; mir jedenfalls ist nichts bekannt. Der Außenminister ist unterwegs, wenn es um die Ukraine geht. Er ist in Syrien unterwegs. Er bemüht sich; das erkenne ich auch an. Aber warum tun Sie nichts in Afghanistan? Es gibt keine Verhandlungen mit den Taliban. Warum verhandeln Sie denn nicht? Jetzt wird gesagt, dass es eine Einigung mit Hekmatjar gibt. Aber die gab es vor fünf Jahren schon einmal. Das bringt überhaupt nichts. Vizepräsidentin Claudia Roth: Christian Ströbele, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie müssen hingehen und dort unabhängig von den Amerikanern versuchen, Gespräche in Gang zu bringen und zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Sie können das Mandat aber nicht einfach immer nur verlängern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte, Christian Ströbele! Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Amerikaner haben mit einem Drohnenabschuss den vorletzten Taliban-Führer umgebracht. Meinen Sie, da verhandeln die Taliban mit denen? Sie sind aufgerufen, das zu tun. Dafür setze ich mich ein. Ich sage: Das ist Ihre Aufgabe. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt hat Herr Klingbeil genügend Möglichkeiten, zu antworten. Lars Klingbeil (SPD): Lieber Kollege Ströbele, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, richtet sie sich eigentlich an mich. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das war aber keine Zwischenfrage!) Aber ich habe jetzt wahrgenommen: Das war eher eine Äußerung, die an den Außenminister gerichtet war. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, er kann auch eine Bemerkung machen; das ist geschäftsordnungsmäßig richtig. – Jetzt haben Sie, Herr Klingbeil, die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Lars Klingbeil (SPD): Zweiter Aspekt. Ich glaube, wir alle haben zur Kenntnis genommen, dass Sie Ihre parlamentarische Arbeit mit der Bundestagswahl beenden. Ich darf Ihnen sagen: Ich bedaure das. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist hartherzig!) Ich habe Sie als kritische Stimme immer geschätzt. Sie haben gerade gesagt, nach 15 Jahren hätten Sie jetzt die letzte Chance, mal wieder gegen das Afghanistan-Mandat zu stimmen. Ich sage Ihnen: Sie haben heute auch die Chance, (Thorsten Frei [CDU/CSU]: Zuzustimmen!) zum ersten Mal für ein gutes Afghanistan-Mandat zu stimmen. Denn ich finde, dass das, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat, dem Land sehr wohl hilft. Wenn Sie sagen, der Kollege Annen habe von Afghanistan das Bild gezeichnet, dass alles gut sei, und das Außenministerium und der Außenminister würden von Afghanistan das Bild zeichnen, dass alles gut sei, dann frage ich mich: Wo waren Sie bei den Debatten in den letzten Jahren, lieber Kollege Ströbele? Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es in Afghanistan Schwierigkeiten gibt. Sie schlagen vor: Ziehen wir die deutschen Soldatinnen und Soldaten ab, beenden wir unsere Unterstützungsleistungen, und beenden wir die Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte. – Ich sage Ihnen: Das wäre nicht verantwortungsvoll, lieber Kollege Ströbele. Deswegen ist meine Meinung: Wir können diesem Mandat heute mit Überzeugung zustimmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Frau Beck hat auch noch eine Frage!) – Es gibt noch eine Frage? (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Frau Beck hat noch eine! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut, Frau Beck! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir möchten die Präsidentin darauf aufmerksam machen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Sind Sie damit einverstanden? Lars Klingbeil (SPD): Ja, ich bin damit einverstanden. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ich wollte die Frau Präsidentin nur darauf aufmerksam machen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Präsidentin hat Augen im Kopf. Danke schön, Herr Mützenich, für diesen Hinweis. – Herr Klingbeil ist einverstanden. Dann Frau Beck, wobei wir hier jetzt keine interne grüne Debatte aufmachen sollten. Lars Klingbeil (SPD): Wäre aber auch mal ganz spannend. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich werde, wie mein Kollege Christian Ströbele, heute zum letzten Mal zu einem Mandat für Afghanistan meine Stimme abgeben. Anders als Christian Ströbele werde ich, wie in den ganzen Jahren zuvor, für dieses Mandat stimmen, weil ich es für richtig halte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei Ihnen ist es gut, dass Sie aufhören!) Auch ich möchte noch einmal den Blick auf das zurückwenden, was vor 15 Jahren gewesen ist. Vor 15 Jahren gab es ein Land, in dem kein Mädchen mehr zur Schule gehen konnte, in dem Unterricht für Mädchen, wenn überhaupt, in Kellern stattfand, in dem die durchschnittliche Geburtenzahl von Frauen bei acht Kindern lag und in dem in der Regel die Frauen bei einer der späteren Geburten ihr Leben verloren haben. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist das eine Gegenrede zu Christian Ströbele, oder was ist das hier? Das könnt ihr doch miteinander beim Parteitag ausfechten!) Es gab nämlich kein ärztliches Gesundheitswesen mehr. Das Gesundheitswesen, das von Russland, damals noch der Sowjetunion, nach Afghanistan gebracht worden war, war nämlich eines, das durch Frauen betrieben worden war. Und da Frauen das Haus nicht mehr verlassen durften, gab es auch kein Gesundheitswesen. Es gab auch keine Studenten mehr. Die hätten ein neues Gesundheitswesen, ein neues Schulwesen, ein neues Universitätswesen aufbauen können. (Zurufe von der LINKEN) All das beschreibt den Zustand vor 15 Jahren. So wurde das Land vorgefunden, und es gab viele, viele Menschen und – Christian Ströbele, ich stimme dir zu – viel zu hoch gesteckte Erwartungen. Aber: Ist die Tatsache, dass wir keine Erfahrung mit Fundamentalismus und damit, wie schwer er einzugrenzen und zu besiegen ist, hatten, ein Grund dafür, nach 15 Jahren zu sagen: „Es ist uns zu schwer, wir ziehen uns jetzt deswegen zurück und überlassen die Menschen wieder denen, (Zurufe von der LINKEN) die sich dieses Land unter Androhung von Gewalt, unter Zurückdrängung der Frauen, unter Missachtung aller Menschenrechte wieder zu eigen machen wollen“? Ich halte das nicht für eine ethisch vertretbare Konsequenz. Da wir diese Debatte schon manches Mal im Deutschen Bundestag hatten, sage ich das als eine Frau, die sehr wohl in dem Bewusstsein Politik gemacht hat, dass der deutsche Faschismus uns eine Verpflichtung auferlegt hat, nämlich da zu sein, wenn Menschen gequält und erniedrigt werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dürfte ich Sie jetzt auch bitten, zum Ende zu kommen! Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und der fundamentale Pazifismus ist nicht die einzige Antwort darauf, wie das zu geschehen hat, sondern die Antwort kann auch lauten, dass wir Menschen schützen müssen. Eben das versuchen wir in Afghanistan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist die neue Koalition! – Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz) Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte stehen bleiben, weil der Kollege Klingbeil jetzt die Möglichkeit hat, zu antworten. – Herr Klingbeil, bitte. Lars Klingbeil (SPD): Liebe Kollegin Beck, ich kann auf Sie ganz kurz antworten. Ich habe auch noch eine Redezeit von 1 Minute und 30 Sekunden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, nein, das wird um die Antwort verlängert. Lars Klingbeil (SPD): Vielen Dank. – Hätte ich gesessen, hätte ich auch geklatscht. Vielen Dank für Ihre Anmerkungen und auch für die Unterstützung des Weges, den wir in Afghanistan gehen wollen. Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal festhalten: Das Mandat auf militärische Auseinandersetzung zu reduzieren, ist falsch. Wenn wir in das Mandat hineingucken, dann sehen wir – ich will das hier explizit erwähnen und dem Außenminister Steinmeier danken –, wie viel außenpolitisches Engagement auch in unserem Afghanistan-Engagement steckt. Es sind 510 Millionen Euro, die wir jährlich in Afghanistan investieren. Das ist das Land, für das wir sozusagen das meiste ausgeben: 250 Millionen Euro für Entwicklungshilfe, 70 Millionen Euro jährlich für die Ausbildung der Polizei, 110 Millionen Euro für Stabilisierungsmaßnahmen. Also, wir sehen, es gibt ein Gesamtkonzept, das die deutsche Bundesregierung hier verfolgt. Es geht darum, Stabilität und Sicherheit in Afghanistan herzustellen, weil das der Nährboden ist, auf dem dann Demokratie und friedliche Prozesse auch in diesem Land, wie wir es uns, glaube ich, alle wünschen, weiter gedeihen und wachsen können. Zum Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich noch einmal sagen: Ich finde es gut, wenn wir hier so intensiv über Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren. Wir sollten das eigentlich viel öfter hier im Parlament tun. Wir schicken auch mit diesem Mandat wieder 980 Soldatinnen und Soldaten – das ist die Obergrenze – nach Afghanistan. Wir haben andere Auslandseinsätze, bei denen wir nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch zivilen Helfern, Entwicklungshelfern ganz viel abverlangen. Gerade jetzt, wo die Feiertage bevorstehen, wo Weihnachten bevorsteht, denken Sie einmal daran, was das für Familien bedeutet, wenn man weiß: Der Mann oder die Frau, der Vater oder die Mutter sind in Afghanistan, und man ist in diesen Tagen nicht zusammen. – Deswegen finde ich es wichtig – das möchte ich nicht nur für meine Fraktion tun, sondern, ich glaube, ich kann das für das ganze Haus tun –, all denen zu danken, die Verantwortung übernehmen, wenn wir hier Mandate beschließen. All diesen möchte ich besinnliche und hoffentlich ruhige Feiertage sowie eine gesunde Rückkehr nach Deutschland wünschen. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Lars Klingbeil. – Zu einer Kurzintervention hat Christine Buchholz das Wort. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Warum?) Christine Buchholz (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Zu den beiden Zwischenbemerkungen eben, die am Rande auch die Zerrissenheit in der grünen Außenpolitik offenbart haben, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen es uns im Gegensatz zu euch nicht einfach! Wir diskutieren! Wir hören den Leuten zu!) aber auch zu den Aussagen von Herrn Klingbeil möchte ich ganz deutlich sagen: Das Drama für die Menschen in Afghanistan, insbesondere für die Frauen in Afghanistan, die unter den Taliban gelitten haben, ist, dass die Situation dort 15 Jahre nach Beginn dieses Krieges für die große Mehrheit nicht besser geworden ist – vielleicht für einen Teil, aber nicht für die große Mehrheit. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht besser als unter den Taliban? Das ist doch absurd!) Das ist auch das, was der Kollege Ströbele hier so eindeutig gesagt hat und worauf auch Sie keine Antwort hatten, Herr Klingbeil. (Zuruf von der CDU/CSU: Einfach nur falsch!) Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele, für deine Arbeit hier im Bundestag, für deine Arbeit draußen und dafür, dass du einen Beitrag geleistet hast, dieser Meinung, die mehrheitlich in der Gesellschaft herrscht, hier eine Stimme zu geben. (Dagmar Ziegler [SPD]: Was soll das denn hier? – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ist doch keine politische Kurzintervention! Ist doch demütigend für die Linke! Demütigend!) Vielen Dank, dass du praktisch und in Solidarität mit den Menschen gearbeitet hast, die in Afghanistan gegen den Krieg und für ihre Rechte kämpfen. Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele. Das ist ein wichtiges Zeichen, das wir senden müssen, weil die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit der Situation in Afghanistan umgeht, wie sie die Situation schönredet, um jetzt Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben zu können, eine absolute Schande ist. Von daher wünsche ich mir für den nächsten Bundestag mehr Ströbeles hier. Das würde diesem Bundestag sehr gut tun. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Herr Ströbele, Sie können das ja zurückweisen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Der Kollege Klingbeil ist heute als Beantworter gefragt. Sie haben jetzt natürlich das Wort, um zu antworten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Ströbele auch! Er darf sich gegen das Lob wehren!) Lars Klingbeil (SPD): Frau Präsidentin! Ich glaube, der Redebeitrag hat ein Stück weit für sich selbst gesprochen. Ich warne davor, dass wir hier so massiv Parteipolitik machen, wie wir das gerade erlebt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich warne auch davor, dass wir so einfache Antworten auf eine so schwierige außen- und sicherheitspolitische Herausforderung geben. Ich will einmal sagen: Ich bin dankbar dafür, dass wir hier eine sehr differenzierte Diskussion geführt haben. Davon wünsche ich mir wirklich mehr hier in diesem Parlament. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der LINKEN: Tosender Applaus!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Lars Klingbeil. – Der nächste Redner in dieser turbulenten Debatte: Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bitte die anwesenden Kollegen, weiter so ruhig zuzuhören, wie es bisher auch möglich war. – Thorsten Frei, Sie haben das Wort. Bitte. Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 40 Jahre nach Ausbruch von Krieg und Bürgerkrieg in Afghanistan und ziemlich genau 15 Jahre, nachdem wir uns das erste Mal im Land engagiert haben, diskutieren wir heute über Afghanistan. Es ist ja in der Debatte schon deutlich geworden, dass in Afghanistan Licht und Schatten eng beieinander liegen. Wenn wir in einer solchen Debatte über die Verlängerung des RSM-Mandates diskutieren, dann, glaube ich, ist es richtig, auch klar zu benennen, wo die Errungenschaften und wo die Probleme dieses Einsatzes liegen. Ich könnte das wahrscheinlich nicht besser tun, als es die Frau Kollegin Beck in ihrer Kurzintervention gemacht hat. Natürlich hat sich die Gesundheitsversorgung massiv verbessert. Natürlich wurden auch die Infrastruktur und die Bildungsinfrastruktur im Land massiv verbessert. Die Erfolge sind unbestreitbar. Es ist aber auch richtig, dass wir im Bereich der Sicherheit mit Licht und Schatten zu kämpfen haben. Natürlich wissen wir, dass Aufständische Kunduz 2015 überrannt und eingenommen haben. Natürlich wissen wir, dass Aufständische ein Attentat auf unser Generalkonsulat in Masar-i-Scharif verübt haben. Natürlich kennen wir die Tatsache, dass auf eine schiitische Moschee in Kabul vor wenigen Wochen ein Attentat mit 32 Toten und 85 Verletzten verübt wurde. All das wissen wir. Wir haben aber beispielsweise auch den SIGAR-Bericht, der in diesem Sommer veröffentlicht wurde. Von daher wissen wir ganz genau, wenn wir über die Frage diskutieren, inwieweit Afghanistan sicher ist oder nicht, wie es sich tatsächlich verhält. In diesem Bericht steht klipp und klar, dass 62 Prozent der Flächen sicher sind und zwei Drittel der Menschen in Sicherheit leben. (Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Die Unterschiede zwischen den Provinzen sind natürlich groß. Von den etwa 407 Distrikten in Afghanistan sind 268 sicher. (Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) 36 sind in den Händen der Aufständischen, und 104 sind in Gefahr. (Zurufe von der LINKEN) Das ist eine Erkenntnis aus dem SIGAR-Bericht des US-Senates. Wenn Sie dem Bericht nicht glauben, dann verhilft vielleicht ein Interview des Chefs von IOM, William Lacy Swing, das er heute Morgen in den deutschen Medien gegeben hat, dazu. Er hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass weite Teile Afghanistans hinreichend sicher sind, sodass es durchaus möglich ist, nicht nur Afghanen dorthin zurückzuführen, sondern dass wir tatsächlich sagen können: Die Transition, die Übergabe der Sicherheitsverantwortung auf die Afghanen, war und ist schwierig und langwierig, aber sie ist durchaus schon ein Stück weit gelungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, tatsächlich verhält es sich doch so: Seit dem Ende von ISAF sind von 140 000 internationalen Soldaten in Afghanistan noch 13 000 da. Das bringt eine gewaltige Herausforderung für die afghanischen Sicherheitskräfte mit sich. Ich glaube, diese Zahl ist heute schon genannt worden: Im vergangenen Jahr sind 7 000 afghanische Soldaten und Polizisten gefallen, 14 000 wurden verletzt. Dass das natürlich eine Zerreißprobe für die Sicherheitskräfte in Afghanistan darstellt, ist völlig offensichtlich; das ist doch ganz klar. Genau deshalb brauchen wir neben dem bilateralen Einsatz der Amerikaner eben auch unser RSM-Mandat, auf dessen Grundlage wir die afghanischen Sicherheitsbehörden trainieren, unterstützen und ihnen assistieren können. Darum geht es. Das diskutieren wir heute im Deutschen Bundestag, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines sagen. Es ist heute Morgen in einer anderen Debatte über eine Mandatsverlängerung aus dem linken Teil des Hauses geradezu abschätzig gesagt worden: Sie wollen dort ja deutsche Interessen durchsetzen. (Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE]) Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich empfinde das nicht als schändlich. Wir sind Vertreter des deutschen Volkes und vertreten deshalb auch deutsche Interessen. (Beifall bei der CDU/CSU) In Afghanistan tun wir etwas für die afghanischen Interessen. Das ist absolut richtig. Wir dürfen nicht vergessen, dass auf der Brüsseler Konferenz erreicht werden konnte, dass der Tokio-Prozess fortgesetzt wird: 75 Staaten, 26 internationale Organisationen haben gemeinsam beschlossen, bis 2020 zusätzlich 15,2 Milliarden Euro an ziviler Hilfe für Afghanistan bereitzustellen. Übrigens ist Deutschland der zweitgrößte Geber. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, und?) Wir geben bis 2020 jedes Jahr 430 Millionen Euro für zivile Aufbauhilfe, 80 Millionen Euro jedes Jahr zur Unterstützung der Armee, 70 Millionen Euro jedes Jahr zur Unterstützung der afghanischen Polizei. Das tun wir für die afghanische Bevölkerung, um Zukunftsperspektiven zu schaffen. Das ist richtig und vernünftig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir vertreten dabei auch deutsche Interessen. Wir tun etwas, um Fluchtursachen zu bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Deswegen ist mal ein Bundespräsident zurückgetreten! Fragen Sie mal Herrn Köhler!) Wir schützen darüber hinaus – lassen Sie mich auch das an dieser Stelle sagen – unsere Interessen auch dadurch, dass wir durch mehr Sicherheit letztlich auch Zukunftsperspektiven, wirtschaftliche Perspektiven eröffnen und damit beispielsweise verhindern, dass Afghanistan weiterhin Rückzugsort für den internationalen Terrorismus ist und bleibt. Man muss sich mit Blick auf internationale Kriminalität auch vor Augen führen, dass Afghanistan der weltgrößte Produzent und Exporteur von Cannabis, von Opiaten, von Heroin ist. Allein die Taliban haben im Jahr 2009 mit Drogengeschäften 155 Millionen Euro verdient. Heute sind es 500 Millionen Euro. Genau an diesem Punkt müssen wir ansetzen. Damit dienen wir auch unseren Interessen und vertreten sie dort unmittelbar vor Ort. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb müssen wir diesen Einsatz fortsetzen. Es ist wichtig, dass wir unsere Mission weiter vorantreiben. Ich will an dieser Stelle sagen: Oberstes Gebot für uns als Deutscher Bundestag muss sein, das Mandat so auszustatten, wie es zum Schutz der deutschen Soldaten notwendig ist. Wir müssen es so ausstatten, wie es nötig ist, um den Auftrag, den wir der Bundeswehr erteilen, tatsächlich umsetzen zu können. Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht an irgendwelchen Stichtagen orientieren, sondern den Auftrag so erledigen, wie es notwendig ist. Ich wünsche mir zuletzt, dass das auch in Zukunft die Maxime der amerikanischen Politik bleibt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Thorsten Frei. – Die letzte Rednerin in der Debatte, der Sie bitte Aufmerksamkeit schenken mögen – Aufmerksamkeit geht so, dass man einfach aufhört, miteinander zu reden, und stattdessen zuhört –, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nur ein Teil von Aufmerksamkeit!) ist Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lohnt sich das deutsche Engagement in Afghanistan? (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! Nein!) Ich möchte Ihnen die Antwort der 59-jährigen Ärztin und Vorsitzenden der afghanischen Menschenrechtskommission Sima Samar geben. Für sie ist die Frage klar zu bejahen. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes habe ihr Land mit der Hilfe Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft beachtliche Fortschritte gemacht. Natürlich könne sich Afghanistan nach Jahren und Jahrzehnten des permanenten Kriegszustandes nicht über Nacht wandeln. Deshalb brauche ihr Land auch weiter internationale Hilfe. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist – das belegen auch die Wort von Sima Samar – noch lange nicht alles gut in Afghanistan. Aber es hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten vieles zum Guten hin verändert. Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen. In Afghanistan, einem der ärmsten Länder der Welt, hat sich das Pro-Kopf-Einkommen seit 2002 mehr als verdreifacht. Auch haben mehr Menschen Zugang zu Strom und sauberem Trinkwasser. Viele neue Straßen und Brücken wurden gebaut. Deutliche Fortschritte gibt es auch bei der Bildung: Besuchten 2001 nur 1 Million Kinder – ausschließlich Jungen damals – eine Schule, lernen heute 9 Millionen Kinder Lesen und Schreiben, darunter auch 3,6 Millionen Mädchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD]) Endlich können auch Frauen wieder Universitäten besuchen. Das ist sehr wohl eine deutliche Verbesserung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch haben viel mehr Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Dadurch konnte sowohl die Säuglings- als auch die Müttersterblichkeit deutlich verringert werden. Deutschland engagiert sich mit vielen Projekten an diesen Fortschritten. Dafür stellen das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie das Auswärtige Amt jedes Jahr 430 Millionen Euro zur Verfügung. Deutschland ist der zweitgrößte bilaterale Geldgeber. Dieses Geld ist auch an politische Fortschritte und Reformen der Regierung gebunden. Eines ist ja auch klar: Allein militärisch lässt sich der Konflikt in Afghanistan nicht lösen. Dauerhafter Friede ist nur auf politischem Weg und durch einen innerafghanischen Friedensprozess möglich. Hierfür setzen wir uns ein, unter anderem über die Internationale Kontaktgruppe für Afghanistan, der Deutschland vorsitzt. Die Fortschritte für die Menschen werden natürlich durch die Sicherheitslage erschwert. Der Kollege Thorsten Frei hat die Sicherheitslage hier sehr deutlich beschrieben. Afghanistan kann nur Fortschritte machen, wenn das Land auch sicherer und stabiler wird. Genau aus diesem Grund werden unsere bis zu 980 deutschen Soldatinnen und Soldaten weiterhin vor Ort gebraucht. Resolute Support ist kein Kampfeinsatz. Unsere Männer und Frauen in Uniform bilden dort aus, beraten und unterstützen die afghanischen Sicherheitskräfte. Mittlerweile gibt es 320 000 afghanische Sicherheitskräfte, die aktiver und erfolgreicher operieren. Im ganzen Jahr ist es den Taliban nicht gelungen, auch nur eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Aber die Sicherheitskräfte beklagen auch hohe Verluste. Allein von Januar bis August 2016 sind über 5 500 Angehörige der afghanischen Streitkräfte bei Kämpfen ums Leben gekommen, und fast 10 000 wurden verletzt. Hierauf gehen wir bei der Mandatsanpassung ein: Wir werden unsere afghanischen Partner durch Aufklärung unterstützen, damit sie ihre Aufgaben sicherer erfüllen können. Auch werden wir bei Bedarf Verwundetentransporte übernehmen. Ich möchte an dieser Stelle allen Angehörigen der Bundeswehr, die in Afghanistan unter teils sehr schwierigen Bedingungen ihren wichtigen Dienst leisten, ganz herzlich für ihren Einsatz danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind seit 15 Jahren in Afghanistan. Das ist eine lange Zeit, in der eine neue Generation herangewachsen ist. Aber – und das sagt auch die Menschenrechtlerin Sima Samar – die Arbeit der internationalen Gemeinschaft am Hindukusch ist noch nicht erledigt. Diese junge Generation braucht so lange unsere Unterstützung, bis sie selbst die Verantwortung für Frieden und Sicherheit in ihrem Land komplett wahrnehmen kann. Der Einsatz Resolute Support leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. Von daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Julia Obermeier. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan. Uns liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.6 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10638 (neu), den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10347 anzunehmen. Wie Sie offensichtlich schon wissen, weil Sie sich schon auf den Weg gemacht haben, stimmen wir namentlich ab. Dafür braucht es aber die berühmten Urnen und neben den Urnen die Schriftführer und Schriftführerinnen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und die Abstimmer!) – Erst einmal die Schriftführer, Herr Kauder. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Sind Kollegen und Kolleginnen im Haus, die noch nicht abgestimmt haben? – Dann nutzen Sie doch bitte auch die Urnen hier vorne bei mir; da ist es sowieso netter. Ich frage jetzt noch einmal: Gibt es einen Kollegen oder eine Kollegin, der oder die die Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich höre nichts, und wir sehen auch nichts. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie gewohnt wird Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung später bekannt gegeben.7 Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit in der Pflege – Personalbemessung in der Altenpflege einführen Drucksache 18/9122 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege Drucksachen 18/7568, 18/10664 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die noch Gespräche zu führen haben, dies außerhalb des Plenarsaals zu tun. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Pia Zimmermann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Personalmangel, Überbelastung, nicht eingehaltene Dienstpläne, schlechte Arbeitsbedingungen, miese Bezahlung – das sind fünf der Hauptkritikpunkte von Beschäftigten in der Alten- und in der Krankenpflege. Ich muss Ihnen leider hier sagen, dass das das Ergebnis Ihrer Politik ist, meine Damen und Herren von der Großen Koalition. Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde angeführt, dass seit 1993 das Leistungsspektrum in den Krankenhäusern erheblich erweitert wurde, das Fachpersonal aber nicht entsprechend aufgestockt wurde. Professor Simon hat berechnet, dass 100 000 Pflegekräfte mehr vonnöten wären, um allein diesen Anstieg des Leistungsspektrums bewältigen zu können. Auch Frau Dr. Wieteck hat Ihnen dies in der Anhörung bestätigt. Sie wies darauf hin, dass Deutschland dann zumindest ins europäische Mittel aufschließen würde. Auch in der Altenpflege muss sofort gehandelt werden; denn auch hier gefährdet der politisch in Kauf genommene Personalmangel die Gesundheit der Pflegekräfte und produziert lebensgefährliche Situationen. Es häufen sich Berichte, dass immer öfter Pflegefachleistungen von Hilfs- oder Betreuungskräften erbracht werden müssen. Sie alle wissen, dass ein neues Pflegeverständnis auch zu einem höheren Pflegeaufwand führt. Die Umsetzung der von Ihnen beschlossenen Pflegegesetze wird nur dann zu besserer Pflegequalität führen, wenn Sie auch das nötige Fachpersonal zur Verfügung stellen. Das ist unsere Forderung. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In der Altenpflege fehlen laut Verdi schon jetzt mindestens 40 000 Fachkräfte. 45 000 Betreuungskräfte, wie beschlossen, ändern daran nichts; denn Betreuung ist eine neue Leistung, und sie darf und kann nicht Pflegefachleistungen ersetzen. (Beifall bei der LINKEN) Alle Mitglieder des Gesundheitsausschusses erhielten 25 Stellungnahmen von Beschäftigten aus Krankenhäusern der ganzen Republik, und diesen Expertinnen und Experten möchte ich heute hier Raum im Parlament geben. Beschäftigte aus einem Klinikum schrieben – ich zitiere –: Egal auf welche Station Sie schauen: Es sind zu wenige Menschen da, um die Arbeit zu leisten. Zwei Pflegekräfte auf einem 50-Meter-Flur, zuständig für 42 Patienten, viele davon mit erhöhtem Pflegebedarf. Schon die grundlegende Versorgung stellt eine kaum zu leistende Herausforderung dar. ... Flüssigkeiten anreichen erfolgt zwischendurch. Infusionen – zum Teil Antibiosen – werden irgendwann angehängt. Beschäftigte aus einem weiteren Klinikum schrieben: Das Pflegestellenförderprogramm – der Bundesregierung – hat sich für uns als nutzlos erwiesen. Die in Aussicht gestellte Personalbemessung in der Altenpflege für 2020, ohne konkrete Angaben zu den Personalschlüsseln, ist eine Geringschätzung der Pflegenden! (Mechthild Rawert [SPD]: Quatsch!) Eine Mitarbeitervertretung schätzt ein: Pflegekräfte werden zwischen Selbstausbeutung und Fremdausbeutung zerrieben. Als Fremdausbeutung definiert sie „Anspruch der Dienstgeber, eine allzeit bereite Verfügungsmasse mit Arbeit auf Abruf einsetzen zu wollen, um Kosten zu sparen. Dies gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit, sondern wirkt sich sichtbar auf die Versorgung von Patienten aus.“ Meine Damen und Herren, es ist mittlerweile unübersehbar, dass Sie bei der Personalbemessung Ihre Blockadehaltung dringend zum Wohl der Beschäftigten in der Pflege, insbesondere im Krankenhaus, und vor allen Dingen der Patienten aufgeben müssen. (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen es doch alle: Es besteht gar kein Erkenntnisproblem. Wir haben es eher mit einer Handlungsverweigerung zu tun. Das Bundesgesundheitsministerium sagt selbst: Bis 2030 wird sich die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf auf 3,3 Millionen erhöhen, und dann muss man natürlich auch mehr Pflegekräfte haben; das ist doch ganz logisch. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Da haben wir doch schon längst was für getan!) – Ich sage dir die Zahlen, Mechthild, natürlich. – Dann werden etwa 500 000 Pflegekräfte fehlen. Dass Sie mit diesem Wissen Ihres eigenen Ministeriums nicht sofort handeln, das halte ich für einen politischen Skandal. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Diese Aussage ist ja auch falsch!) Konkrete und wirksame Vorschläge von uns liegen auf dem Tisch: Erstens. In den Krankenhäusern werden als Sofortmaßnahme 100 000 neue Vollzeitstellen geschaffen. Diese müssen vollständig und bedarfsgerecht außerhalb der Fallpauschalen finanziert werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Auch in der Altenpflege muss sofort gehandelt werden. Lösen Sie den Pflegevorsorgefonds auf, und wandeln Sie ihn um in einen Personalfonds. Das bringt jährlich mehr als 1 Milliarde Euro und sehr viele Vollzeitplanstellen in der Fachpflege. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Wie viele denn?) Drittens. Höhere Vergütung, selbstbestimmte fachliche Mitsprache und eine wirksame soziale Absicherung machen Pflege attraktiv. Viertens. Die Pflegevollversicherung sichert nicht nur eine gute, bedarfsdeckende Versorgung; sie verhindert vor allem, dass Menschen mit Pflegebedarf höhere Personalkosten durch weiter steigende Eigenanteile decken müssen. Letztens. Eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung, die alle Einkommen einbezieht, erweitert dafür die Finanzierungsgrundlage und macht sie vor allen Dingen gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Lehnen Sie diesen Antrag heute aus ideologischen Gründen ab, stimmen Sie gegen die Forderungen und Interessen der Pflegebeschäftigten und damit gegen eine hochwertige und sichere Versorgung der Patientinnen und Patienten und Menschen mit Pflegebedarf. Politisch und moralisch wäre das unterlassene Hilfeleistung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Ei, ei, ei! Das war ein bisschen dicke!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich darf Ihnen zwischendurch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support ... in Afghanistan“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 467, mit Nein haben gestimmt 101, Enthaltungen 9. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 467 nein: 101 enthalten: 9 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Dr. Franziska Brantner Dr. Thomas Gambke Anja Hajduk Dieter Janecek Tom Koenigs Nicole Maisch Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Manuel Sarrazin Kordula Schulz-Asche Markus Tressel Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Nein SPD Ulrike Bahr Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Michael Groß Gabriele Hiller-Ohm Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Daniela Kolbe Hilde Mattheis Markus Paschke Christian Petry Dr. Wilhelm Priesmeier Kerstin Tack Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck (Köln) Katja Dörner Katharina Dröge Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Lisa Paus Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Dr. Julia Verlinden Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Oliver Krischer Dr. Konstantin von Notz Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Nächster Redner ist der Kollege Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion lehnt die Anträge ab. Dies ist für uns zwingend, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Welch Überraschung!) weil wesentliche Tatsachen in den Anträgen keine Berücksichtigung gefunden haben. Geben Sie mir deshalb die Möglichkeit, hier einige Dinge richtig- bzw. klarzustellen. Bereits beim Pflegestärkungsgesetz I – das war noch vor der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes – haben wir für die stationäre Pflege zusätzliche Betreuungs- und Aktivierungsangebote auf den Weg gebracht. Wir haben einen neuen Schlüssel eingeführt. 45 000 zusätzliche Betreuungskräfte in stationären Einrichtungen, ich denke, das ist eine beeindruckende Zahl. Das sind mehr Kolleginnen und Kollegen in der Pflege, mehr Hände für gute Pflege. (Beifall bei der CDU/CSU) In den Vergütungsverhandlungen zwischen Pflegekassen und Pflegediensten haben wir verankert, dass die Kassen bei tarifgebundenen Einrichtungen die Tarife nicht als unwirtschaftlich einstufen dürfen. Damit stellen wir sicher, dass Tariferhöhungen wirklich bei den Beschäftigten ankommen. Vor 14 Tagen haben wir die Regelung im PSG III auch auf nichttarifgebundene Einrichtungen ausgeweitet. Das bedeutet mehr Geld für die Pflege. Ferner haben wir bereits seit Ende 2014 mit dem PSG II flächendeckend eine vereinfachte Pflegedokumentation im ambulanten und im stationären Bereich eingeführt und dabei klargestellt – das ist ganz wichtig –, dass die gewonnene zeitliche Entlastung der Pflegekräfte nicht durch Personalkürzungen wieder rückgängig gemacht werden darf. Das heißt also: mehr Zeit für Zuwendung, mehr Geld, mehr Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bereits nach geltendem Recht können in den Landesrahmenverträgen Verfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs oder zur Bemessung der Pflegezeit vereinbart werden. Bislang werden in den Ländern allerdings nur Pflegerichtwerte vereinbart. Im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind diese Rahmenverträge entsprechend anzupassen und auf die Pflegegrade hin neu auszurichten. Dies betrifft auch die Vorgaben zur Personalausstattung in zugelassenen Pflegeeinrichtungen. Die Bundesregierung ergreift eine Vielzahl von Maßnahmen, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern: Dazu gehört die Gestaltung guter Rahmenbedingungen der pflegerischen Versorgung. Wir haben bei allen unseren Gesetzen im Gesundheitsbereich darauf geachtet, dass Aspekte berücksichtigt wurden, um die Rahmenbedingungen für gute Pflege zu verbessern. Wir haben die Umsetzung der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive in der Altenpflege auf den Weg gebracht, und wir haben im Moment einen wahren Run auf die Altenpflegeausbildung. Das ist ein gutes Signal. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Entwicklung und Erprobung eines fachlich-wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur Personalbemessung in der Pflege ist auf den Weg gebracht und wird umgesetzt. Wir haben den Mindestlohn und die permanente Anpassung des Mindestlohns in der Altenpflege eingeführt. Die Aufwertung des Pflegeberufes haben wir dadurch erreicht, dass mittlerweile wissenschaftlich fundiert nicht mehr die Strukturqualität im Vordergrund steht, sondern die Ergebnisqualität. Hier werden Fachlichkeit und Kompetenz für die Pflege wertgeschätzt. Wir haben die Förderung der Vermittlung bzw. Zuwanderung von Pflegekräften aus dem Ausland intensiviert. In der Altenpflege haben wir die Welt verändert, nicht nur für die Pflegebedürftigen, sondern ganz besonders auch für die Menschen, die in der Altenpflege arbeiten. Aber wir haben auch im Krankenhausbereich wesentliche Dinge verbessert. Ich erinnere hier an das Pflegestellen-Förderprogramm, den Pflegezuschlag oder die Expertenkommission, die prüft, ob in den DRGs entsprechende Beträge für gute Pflege eingeplant sind. Wir haben das Hygiene-Förderprogramm auf den Weg gebracht. Also: Pflege steht bei uns im Mittelpunkt. Das alles zeigt deutlich, dass die Koalition die personellen Probleme im Pflegebereich nicht nur ernst nimmt, sondern auch alle Hebel in Bewegung setzt, um im Krankenhaus und in der Altenpflege mehr qualifizierte Fachkräfte für den Pflegeberuf zu gewinnen. (Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Wir alle hier im Haus wissen, dass die Gewinnung zusätzlicher Kräfte für die Pflege keine Aufgabe nur in dieser Legislaturperiode ist, sondern es wird eine stetige Aufgabe in allen zukünftigen Legislaturperioden sein. Darauf konzentrieren wir unsere Arbeit für eine gute Pflege in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass es für heutige und künftige Pflegekräfte attraktiv ist, ihrem Beruf möglichst bis zur Rente treu zu bleiben. Das ist unser Ziel, und dafür arbeiten wir in dieser Koalition intensiv und gut zusammen. (Mechthild Rawert [SPD]: Bei der Pflegeberufereform!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Maria Klein-Schmeink hat jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen zwei Anträge der Linken vor. Ich muss gestehen: Nicht alles, was in diesen beiden Anträgen steht, begeistert uns, aber es ist ganz klar: Mit dem Thema, das dort angesprochen wird, ist das richtige Thema angesprochen worden. Wir können um jede Diskussion froh sein, die wir genau darum führen; denn dass wir Veränderungen an der Pflegefront brauchen, ist völlig klar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Herr Rüddel, auch wenn Sie vonseiten der Koalition Ihre Erfolge hervorheben und hier ausbreiten, muss man sagen: Sie haben zwar einiges in der Krankenhausfinanzierung getan, (Mechthild Rawert [SPD]: Endlich!) Sie haben auch einiges in der Pflege getan, aber im Kern haben Sie diese große Problemsäule, die mit den Arbeitsbedingungen in der Pflege verbunden ist, nicht in Angriff genommen, die Situation nicht wirklich verbessert. Das lässt uns alle nicht ruhen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir darüber erneut diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Sie haben so schön angefangen!) Wenn Sie die Statistiken sehen, dann finden Sie immer wieder bestätigt: Alle Pflegekräfte – sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege – klagen darüber, dass es zu wenig Personal gibt, dass die Arbeitsverdichtung zu hoch ist, dass sie einen immensen Druck verspüren, und sie klagen über eine zu geringe Bezahlung. Das finden Sie durchgängig. Das muss uns alarmieren, weil wir wissen, dass wir einen enormen Fachkräftebedarf vor uns haben. Das sind nicht die richtigen Vorzeichen für die Pflege, und deshalb muss hier etwas passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt sagen Sie: Ja, wir haben im Krankenhausbereich ein Pflegestellenprogramm aufgelegt. – Ja, ein kleines Pflegestellenprogramm: (Mechthild Rawert [SPD]: 500 Millionen ist schon etwas! – Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: 6 000 Stellen!) 6 000 Pflegekräfte, 2,5 pro Krankenhaus. Das löst das Problem in den Krankenhäusern nicht wirklich. Das wissen Sie auch. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt eine Lücke von mindestens 50 000 Pflegekräften in den Krankenhäusern. (Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Hatten wir noch nie!) Sie haben dann ein Gutachten auf den Weg gebracht, wonach eine Personalbemessung im Krankenhausbereich entwickelt werden soll. Wann soll das vorliegen? Ende 2017. Das heißt, bestenfalls am Ende der nächsten Wahlperiode beschließen wir ein Personalbemessungsinstrument und die dazugehörigen Finanzierungen im Krankenhausbereich. (Mechthild Rawert [SPD]: Das hat bis jetzt noch keiner geschafft!) So lange darf diese Diskussion nicht weitergehen. Hier muss ein kurzfristiges Programm kommen. Hier muss etwas passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE]) Das Gleiche gilt für den Pflegebereich. Dort ist es noch viel schlimmer. Mit den neuen Pflegegraden, die richtig sind, (Hilde Mattheis [SPD]: Das hat die Kollegin das letzte Mal anders ausgeführt!) mit dem neuen Pflegebegriff, haben mindestens 200 000 Menschen ab 1. Januar 2017 neue Ansprüche. Wo sind die Maßnahmen dafür, dass wir tatsächlich das Personal haben, um genau diesen neuen Ansprüchen gerecht werden zu können? Da sehen wir gar nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sehen nicht, dass Sie tatsächlich dafür sorgen, dass es echte Anhaltszahlen im ambulanten Bereich und in der stationären Pflege gibt, sodass man sagen kann: Wir haben eine zufriedenstellende Betreuungs- und Pflegesituation. – Davon sind wir noch immer weit, weit entfernt. Da hilft auch der Verweis auf Ihr Assistenzprogramm nichts, weil es da um einen ganz anderen Ausschnitt der Pflege geht. Das wird letztendlich dazu führen, dass die Situation im Personalbereich in der Pflege so prekär bleibt wie bisher. (Mechthild Rawert [SPD]: Noch einmal: Abwarten!) Das können wir uns nicht erlauben; da müssen wir etwas tun. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir immer wieder mit Initiativen darauf hinweisen. Ich wünsche mir von Ihnen, quasi als Weihnachtsgeschenk, aber von mir aus auch gerne als Wahlkampfgeschenk – das wäre nämlich mal ein gutes –, ein Pflegestärkungsprogramm Nummer vier, in dem ganz konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation in diesem Bereich enthalten sind. So könnten wir eine gute Situation schaffen. (Erwin Rüddel [CDU/CSU]: War das jetzt ein Koalitionsangebot?) Ich rufe Sie dazu auf, diese Debatte zum Anlass zu nehmen, so etwas zu machen, von mir aus auch gern als Wahlkampfgeschenk. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Marina Kermer für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marina Kermer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Die Überschrift des heute abschließend zu beratenden Antrags lautet ja „Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“. Das ist eine gute Überschrift; denn gute Arbeit und gute Versorgung sind auch unsere Ziele, die unser Handeln in dieser Legislatur bestimmt haben – und das mit gutem Erfolg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir alle stehen in der Gesundheitspolitik vor der großen Aufgabe, die Grundlagen für gute und bedarfsgerechte Pflege für die Zukunft zu sichern. Sehen wir uns das Heute an, so wissen wir, dass es Krankenhäuser mit Not in der Pflege gibt, aber auch Häuser, in denen das nicht so ist. Sehen wir in die Zukunft, so erkennen wir, dass wir vor der Aufgabe stehen, unser Gesundheitssystem transparent und effizient zu gestalten. Die Rahmenbedingungen werden sich ändern, und an diesen müssen wir unsere Pflegeabläufe und -inhalte und bedarfsgerechte Pflegekapazitäten ausrichten. Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, dass er sich mit einer offenen Wunde befasst und auch Heilung erzielen will; aber die Medikation konzentriert sich nur auf ein Mehr an Personal, über das wir zukünftig aus bekannten Gründen nicht in großem Maße verfügen werden. Deshalb haben wir bereits im Jahr 2015 das Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet und damit dem gesamten Krankenhauswesen Handlungsräume eröffnet, die flexibel und bedarfsorientiert genutzt werden können; die Mittel wurden nicht mit der Gießkanne verteilt. Dafür haben wir als Regierungskoalition hart gestritten und erfolgreich gekämpft. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, die Grundpfeiler sind gesetzt. Krankenhäuser können sich bedarfsgerecht und damit zukunftsfest aufstellen. Die Länder können flexibel auf die Anforderungen des demografischen Wandels reagieren. Die Mittel in Höhe von 660 Millionen Euro stehen mit dem Pflegestellen-Förderprogramm bereit. Daher appelliere ich an all jene Krankenkassen und Krankenhäuser, die noch in den Budgetverhandlungen stehen: Schließen Sie diese schnellstmöglich ab; denn Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen schnelle Entlastung. Wir haben eine Expertenkommission eingesetzt. Sie soll langfristig und solide die Finanzierungsbasis für die Kosten der Pflege besser abbilden. Krankenhäuser können verlässlich und langfristig mehr Personal einstellen. Dazu haben wir den Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich auf Dauer eingeführt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber die Verteilung der Mittel erfolgt eben nicht mit der Gießkanne, sondern ist an Bedingungen geknüpft, um ausreichend Pflegekapazitäten vorhalten zu können. Angesichts der vielen Maßnahmen, die ineinandergreifen und bedarfsorientiert genutzt werden können und sollen, ist Ihre Forderung, 100 000 Pflegekräfte zusätzlich allein für die Versorgung in Krankenhäusern einzustellen, zwar nachvollziehbar, aber aus unserer Sicht nicht zielführend. Warum nicht? Wir haben Veränderungsprozesse eingeleitet, und Prozesse brauchen ihre Zeit. Die Ergebnisse bleiben also zunächst einmal abzuwarten. Und es ist nicht nur die Personaldecke, die zu kurz ist; es ist auch das Aufgabenspektrum, das sich verändert hat und sich auch weiter verändern wird. Aus diesen Gründen, sehr geehrte Damen und Herren, reicht es nicht aus, allein mehr Personal und damit mehr Geld für die Krankenhäuser bereitzustellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber das wäre schon mal was!) Wir müssen unser gesamtes Gesundheitssystem und das Zusammenwirken darin im Blick haben. Denn wir wollen unser Ziel, das Wohl der Patientinnen und Patienten, nicht aus den Augen verlieren. In der Regel, Frau Zimmermann, wird in unseren Krankenhäusern gute medizinische Versorgung geleistet, aber eben nicht in allen gleichermaßen. Das heißt im Klartext: Es werden Operationen durchgeführt, die medizinisch nicht notwendig sind. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Wie kommt das denn? Das müssen Sie auch einmal erklären!) Diese Eingriffe binden Personal und Geldmittel, die an anderer Stelle dringend benötigt werden. Deshalb wurde eine grundsätzliche Neuausrichtung der Krankenhausversorgung hin auf Qualität und Transparenz beschlossen. Patientinnen und Patienten müssen wissen, was mit ihnen passiert und warum. Mehr Qualität in der stationären Versorgung ist unsere Langzeittherapie. (Beifall bei der SPD) Das ganze Gesundheitssystem im Blick zu haben, heißt, zu verstehen, wie die Versorgungsbereiche ineinandergreifen. Deshalb dürfen wir bei aller Sorge um die Krankenhäuser die Pflegeheime nicht vergessen. Der überwiegende Teil der Pflegeleistungen wird in den Pflegeheimen erbracht. Im Jahr 2013 gab es 800 000 Pflegeheimplätze – doppelt so viele Plätze wie belegte Betten in Krankenhäusern. Deshalb haben wir am 1. Dezember das PSG III verabschiedet und damit eines der umfangreichsten Maßnahmenpakete zur Verbesserung der Pflege. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben die Rechte der zu Pflegenden verbessert, wir haben die Situation der Angehörigen gestärkt, und wir haben für bessere Bezahlung der Pflegekräfte in den Pflegeheimen gesorgt. Wir brauchen unsere Pflegekräfte. Wir können es uns nicht leisten, all Ihre Forderungen umzusetzen, weil wir schlichtweg nicht ausreichend Pflegekräfte haben (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist ja eine Begründung! Man muss doch mal irgendwo anfangen!) und weil wir nicht wollen, dass die verschiedenen Pflegebereiche zueinander in Konkurrenz treten. Auf der Strecke bleiben dabei am Ende vor allem die Patientinnen und Patienten. Wir brauchen für die Zukunft mehr Menschen, die in der Pflege arbeiten. Deshalb kann ich Sie nur einladen, an der Pflegeausbildung zu arbeiten und an der Einführung der generalistischen Pflegeausbildung mitzuwirken. (Beifall bei der SPD) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben in dieser Wahlperiode viel erreicht. In diesem Sinne wünsche ich uns allen: Frohe Weihnachten! Ich bedanke mich an dieser Stelle sehr herzlich bei all jenen, die über die Weihnachtsfeiertage andere Menschen umsorgen und pflegen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Lothar Riebsamen. (Beifall bei der CDU/CSU) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es ohne Zweifel notwendig, immer wieder über das Thema Pflege zu reden. Das zeigen schon die nackten Zahlen: 20 Millionen Menschen werden jedes Jahr in den Krankenhäusern versorgt und gepflegt – rechnerisch ein Viertel der gesamten Bevölkerung –; dazu kommen 2,7 Millionen Menschen, die in der stationären Altenpflege und der ambulanten Altenpflege versorgt werden. Deswegen ist es vor Weihnachten richtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Pflegekräften in unseren Krankenhäusern, in unseren Pflegeheimen und in den Sozialstationen ein herzliches Dankeschön zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie leisten großartige Arbeit, sie leisten qualitativ hochwertige Arbeit. Dies belegen aktuelle Patientenbefragungen, und dies belegen auch immer wieder Studien. Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn die Linke als Oppositionspartei Forderungen stellt wie die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze; denn dann kann man schnell 100 000 Pflegekräfte einstellen. Das können Sie aber auch nur fordern, weil Sie nicht in der Situation sind, das tatsächlich umsetzen zu müssen, und Sie werden auch nie in die Situation kommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich! – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) – Ich glaube nicht, dass Sie in die Situation kommen. – Aber ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie in Ihrem Antrag schreiben, dass in deutschen Krankenhäusern eine strukturell gefährliche Pflege gemacht wird. Das weise ich entschieden zurück. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das diffamiert die Pflege in unseren Krankenhäusern und auch in unseren Pflegeheimen. Ich sage Ihnen eines: Auf diese Weise gewinnen Sie nicht eine Pflegekraft dazu. (Mechthild Rawert [SPD]: Ja!) Nicht ein junger Mensch wird sich dazu entschließen, Altenpfleger oder Krankenpfleger zu werden, wenn Sie die Pflege in Deutschland auf diese Weise darstellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nun ist es ja durchaus nicht falsch, darauf hinzuweisen, dass wir vor Einführung der DRGs in den 90er-Jahren die meisten Pflegekräfte in Deutschland hatten. Damals hatten wir 350 000 Vollzeitpflegekräfte in den Krankenhäusern. Diese Zahl sank auf unter 300 000. Das hat den Krankenhäusern nicht gutgetan. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Riebsamen, die Kollegin Zimmermann würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Lassen Sie das zu? Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Ja, bitte schön. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich will auf die Ausbildung zu sprechen kommen, weil Sie einen Zusammenhang zwischen der Ausbildung und den strukturellen Problemen vor Ort hergestellt haben. Natürlich haben wir in den Häusern strukturelle Probleme. Sie müssen einmal mit den Kolleginnen reden und sie fragen, wie es ihnen geht und wie sie ihre Arbeit verrichten können. Sie müssen wissen, dass Menschen, die in der Pflege arbeiten – dazu gibt es unterschiedliche Studien –, durchschnittlich nach sieben, acht oder neun Jahren ihren Beruf wieder verlassen, weil sie die Arbeit physisch und psychisch nicht aushalten. Es gibt viele Anzeigen, dass Pflege nicht verrichtet werden konnte und dass Notfälle im Bereich der Pflege auftraten. Soll ich den Kolleginnen und Kollegen oder den Menschen, die eine Ausbildung in der Pflege beginnen, vormachen, dass alles wunderbar ist, dass alles ganz prima ist, dass es selbstverständlich verlässliche Dienstpläne gibt usw.? Soll ich den jungen Menschen vormachen, dass man den Beruf, den man erlernt hat, auch tatsächlich ausüben kann? Das macht doch keinen Sinn. Sie müssen an einer anderen Stelle ansetzen. Sie müssen den Beruf attraktiv machen. Die Menschen müssen wissen, dass sie verlässliche Dienstpläne haben, dass sie ihre Arbeit verrichten können und dass sie mit den Menschen menschenwürdig umgehen können. Ich glaube nicht, dass wir Fachkräfte gewinnen können, indem wir den Schülerinnen und Schülern die Probleme vorenthalten. Ich will Ihnen noch eine Sache sagen. Zu mir kommen oft Besuchergruppen aus Altenpflegeschulen. Ich frage mich immer wieder – das spreche ich natürlich auch an –, warum die Gruppen so klein sind. Ich höre jedes Mal, dass die meisten, wenn sie in die Praxis kommen, ihren Berufswunsch aufgeben und die Ausbildung verlassen. Ich frage Sie: Warum machen die das? Haben Sie sich darüber einmal Gedanken gemacht? Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Frau Zimmermann, ich sage Ihnen: Bleiben Sie einfach nur bei der Wahrheit. Stellen Sie nicht in den Raum, dass strukturell bedingt – so haben Sie das geschrieben; Sie sprechen nicht von Einzelfällen – eine gefährliche Pflege in den Krankenhäusern und den Pflegeheimen geleistet wird. Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das wäre ein Straftatbestand. Wenn Sie entsprechende Erkenntnisse haben, dann müssen Sie das beim Gesundheitsamt anzeigen. Das, was Sie sagen, ist einfach nicht richtig. Das kommt in Einzelfällen durchaus vor, aber eben nicht strukturell bedingt. Sie stützen sich bei Ihrer Aussage auf einen Enthüllungsjournalisten, dessen Enthüllungen vom Landgericht Hamburg kassiert wurden. Das muss man an der Stelle auch sagen. Da ist Ihnen wohl nichts Besseres eingefallen. Es gibt wirklich gute Gründe, um über die Situation in der Pflege zu reden; das habe ich eingangs gesagt. So seltsame Gründe wie die, die Sie hier in die Welt setzen, braucht man dafür nicht. (Zuruf der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE]) Ich habe mich vorhin noch vornehm ausgedrückt. Das muss ich schon sagen. Es war der adventlichen Gnade geschuldet, dass ich mich zurückhaltend ausgedrückt habe. Zu jeder anderen Jahreszeit würde ich es so formulieren: Das ist eine Frechheit gegenüber denen, die diese tolle Arbeit in den Pflegeheimen und Krankenhäusern leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie haben es nicht verstanden, und Sie werden es auch nicht verstehen!) Ich habe gesagt, dass die Krankenhäuser im Zusammenhang mit der Einführung der DRGs zu viele Pflegestellen abgebaut haben. Die Zahl der Pflegekräfte sank von 350 000 auf unter 300 000. Die Krankenhäuser haben das Problem selbst erkannt. Sie haben erkannt, dass man bei schlechter Pflege keine hohen Qualitätsstandards einhalten kann. Sie haben die Zahl der Pflegekräfte von sich aus erhöht. Aber auch seitens der Politik haben wir Maßnahmen ergriffen. Das Wichtigste, was zu Regierungszeiten der Großen Koalition und davor gemacht wurde, ist schon erwähnt worden. Das Pflegestellen-Förderprogramm von 2009 und das Pflegestellen-Förderprogramm in dieser Legislaturperiode haben dazu geführt, dass wir heute in etwa gleich viele Stellen haben wie vor Einführung der DRGs. Das war eine große Leistung. Ich möchte noch eines ergänzen, was bisher noch nicht gesagt wurde: Wenn sich nun die Länder dazu durchringen könnten, die Investitionskosten zu finanzieren, und wenn sie nicht Geld aus den Krankenhäusern abziehen würden, indem sie deren Erlöse einkassieren, wenn die Länder also ihren Verpflichtungen nachkommen würden, dann hätten die Krankenhäuser noch mehr Geld, um den berechtigten Forderungen nach mehr Pflegepersonal nachzukommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen, dass es natürlich wichtig ist, über Geld und über Stellenschlüssel zu reden. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wir sollten uns auch die Frage stellen, was wir tun können, um stationäre Pflege möglichst zu verhindern. Die Menschen möchten ihren letzten Lebensabschnitt sowieso lieber zu Hause verbringen und zu Hause sterben. Es ist auch preisgünstiger, zu Hause zu sein, als ein teures Pflegeheim zu bezahlen. Aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus. Mir geht es um etwas anderes. Mir geht es darum, dass wir, wenn wir den ambulanten Bereich stärken und wenn mehr Leute zu Hause gepflegt werden können, weniger Pflegekräfte in den Pflegeheimen brauchen; damit meine ich nicht, dass der Stellenschlüssel geändert werden soll. Die finanziellen Rahmenbedingungen haben wir mit dem Pflegestärkungsgesetz I geschaffen. Aber wenn wir die Rahmenbedingungen verbessern wollen, dann geht es nicht nur um das Geld, sondern auch darum, dass wir die Kurzzeitpflegeplätze – wir haben das Budget für den Einzelnen von 1 600 auf 3 200 Euro im Jahr verdoppelt – dann vor Ort vorhalten. Das gilt auch für die Tagespflegeplätze. Beides stützt die ambulante Versorgung, Tagespflege und Kurzzeitpflege. In der Tagespflege haben wir ein Budget von um die 20 000 Euro pro Jahr für jeden Einzelnen eingeführt. Allein die Tagespflegeplätze stehen in der benötigten Breite nicht zur Verfügung. Deswegen werden wir uns Gedanken machen müssen, wie wir das in Zukunft erreichen. Die Kostenträger sind gefordert, dieses Geld jetzt vor Ort auszugeben, den Heimträgern Angebote zu machen und Anreize zu schaffen, Kurzzeitpflegeplätze und auch Tagespflegeplätze auszuweisen, um so den ambulanten Bereich zu stärken. Das wird im nächsten Jahr, im Jahr 2017, und in den kommenden Jahren unsere Aufgabe sein. Dazu wünsche ich uns viel Erfolg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Mechthild Rawert. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Ja, es ist richtig: Wir stehen vor großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Eine davon ist der Personalnotstand in der Pflege. Wir brauchen viele Maßnahmen, um dieses Problem tatsächlich – in Anführungszeichen – in den Griff zu bekommen. Ein wesentlicher Baustein ist auf jeden Fall die Reform der Pflegeberufe. Dazu gehören die generalistische und die akademische Ausbildung; dazu gleich mehr. Vor allen Dingen haben wir eines getan: Wir haben mit den drei Pflegestärkungsgesetzen viel Wesentliches auf den Weg gebracht, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nummer vier fehlt!) damit Pflege gut geleistet wird, und zwar im Sinne der Betroffenen, der Angehörigen und der hauptberuflich Beschäftigten. (Beifall bei der SPD) Daran kann niemand zweifeln. Das tun wir auch nicht. Denn wir alle wissen, dass wir erfolgreiche und wichtige Schritte gemacht haben. Ich will sie jetzt gar nicht alle aufführen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der letzte Schritt fehlt noch!) Für die Alten- und Krankenpflege haben wir bereits Etliches dezidiert geleistet. Wir haben 2009 das Pflegestellen-Förderprogramm – es wurde schon genannt – eingeführt, welches allerdings noch darunter litt, dass es nicht zielgenau gewesen ist und vielen in der Medizin diente, was damals nicht die Intention war. Beim Pflegezuschlag von 500 Millionen Euro waren wir cleverer. Da haben wir unser Ziel politisch sehr viel genauer festgelegt. Wir haben die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege eingeführt. Wir haben das dritte Ausbildungsjahr finanziert. Wir haben die Förderung der Umschülerinnen und Umschüler für die Pflegeberufe durch die Arbeitsagenturen mit auf den Weg gebracht. Wir haben dafür gesorgt, dass für erfahrene Kräfte die Altenpflegeausbildung auf zwei Jahre verkürzt wird. Das alles sind Schritte, um dieses Berufsfeld attraktiv zu machen und vor allen Dingen auch Bildung in dieses Berufsfeld zu bringen. (Beifall bei der SPD) Gesagt, getan, gerecht – so lautet unser sozialdemokratisches Motto, und mit den verschiedensten Pflegereformen haben wir weitere Schritte getan. Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz II bereits ein Gremium beauftragt, in dreieinhalb Jahren – übrigens ein relativ kurzer Zeitraum, der sich „dummerweise“ noch bis 2020 erstreckt – ein wissenschaftlich fundiertes, also ein evaluiertes Verfahren für die Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Dies soll auch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff berücksichtigen, der allerdings erst am 1. Januar 2017 in Kraft tritt. Dass es wissenschaftlich fundiert sein soll, steht nun in beiden Anträgen der Linken. Es hieße, sich dieser Wissenschaftlichkeit zu berauben, wenn man jetzt wegen der benötigten Zeit regelrecht schimpfen würde. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Das wäre doch wirklich ein Schuss ins eigene Knie. (Beifall bei der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Wir müssen doch eine Übergangsregelung haben!) Des Weiteren werden bundeseinheitliche Standards für die Personalbemessung gefordert. Gut so! Bundesweit alleine reicht aber nicht; denn wir brauchen auch den Bezug auf die unterschiedlichsten regionalen Besonderheiten. Das ist wichtig; denn Pflege allein à la Gießkanne hilft uns auch nicht weiter. Über vieles wurde bereits im Kontext des Sechsten Pflegeberichts gesprochen; ich will darauf nicht mehr eingehen. Eines ist aber auch klar: Mehr Personal aufgrund PSG I ist in den Einrichtungen vorhanden. Die Anzahl der Betreuungskräfte hat sich deutlich erhöht. Auch sie sind im Kontext des Pflegesettings extrem wichtig. (Beifall bei der SPD) Herr Rüddel hat es erwähnt, Herr Riebsamen ebenso: Gefordert sind auch die Bundesländer. Mittlerweile gibt es – positiverweise, muss man sagen – für 2017 ja schon einzelne Personalschlüssel, die von den Vereinbarungspartnern ausgehandelt worden sind. Davon wünsche ich mir mehr. Niemand hier sagt: Ihr Bundesländer, wir legen euch hier einen Stein in den Weg. – Jedes Bundesland ist hier gefordert. (Erwin Rüddel [CDU/CSU]: Auch Thüringen!) – Auch Thüringen, Rheinland-Pfalz, Berlin, und, und, und. Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Des Weiteren haben wir über die Tarife gesprochen. Mit der Stärkung der Tarifbezahlung ist wirklich ganz Wesentliches erreicht worden. Zum Schluss möchte ich aber auf die Pflegeberufereform eingehen; denn eines ist doch klar: Qualifiziertes Personal gibt es nur durch eine gute, qualifizierte Ausbildung. Deswegen brauchen wir die generalistische Ausbildung, (Beifall bei der SPD) deswegen brauchen wir die akademischen Berufe. Wir müssen auch die zukünftige Konkurrenz zwischen den verschiedenen Branchen berücksichtigen. Nur zu jammern, hilft auch nicht. Das ist nicht attraktiv für junge Leute. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Pflegesettings der Zukunft müssen mehr Kompetenzen aufweisen. Wir alle reden über Multimorbidität, wir reden über Alter und das Älterwerden. Und wir alle wollen doch eine gute Versorgung haben. Also lasst uns auch wirklich für eine gute Versorgung eintreten! – Ich gucke einmal ganz scharf in eine bestimmte Richtung, (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind mehr Kompetenzen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Rawert. Mechthild Rawert (SPD): Ja. – Das wäre das Weihnachtsgeschenk, das wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier den Pflegekräften überreichen können: also pro Generalistik, pro akademische Ausbildung. In diesem Sinne ein frohes und gutes neues Jahr! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt das Christkind!) Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Es freut mich, dass Sie das so sehen. – Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In beiden Anträgen der Linken zur Personalsituation in der Altenpflege bzw. in der Pflege und im Gesundheitswesen allgemein wird ein Bild der Situation in deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gezeichnet, das reine Untergangsstimmung vermitteln soll. Ich kann nur sagen: Dieses Bild trifft nicht zu. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Dann nehmen Sie die Leute also nicht ernst! Das ist ja interessant! Gut zu wissen!) Es wird hier im Bundestag der Eindruck erweckt, als ob die Bundesregierung in den letzten drei Jahren keinerlei Veränderungen im Bereich der Pflege vorgenommen hätte. Sie wissen genauso gut wie wir, dass das nicht einmal im Ansatz der Realität entspricht. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Alternative erzeugt die Linke ein Traumbild mit kostenfreier Gesundheitsversorgung in Deutschland und einer Lösung der demografischen Herausforderungen im Handumdrehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Lösungsansätze der Linken lassen sich nur wie eine Rückkehr zur Planwirtschaft und zu einem Versorgungssystem à la Staatsmedizin lesen, von dem wir uns vor 27 Jahren erfreulicherweise trennen durften. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Niveaulos! – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Haben Sie unsere Anträge eigentlich gelesen?) Demnach sollen als kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Personalbesetzung in den Krankenhäusern mindestens 100 000 Vollzeitstellen im Pflegebereich geschaffen werden. Aus Ihrem Antrag geht jedoch nicht hervor, auf welcher Grundlage diese Zahl basiert. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Und Sie haben gar nichts! Sie lassen die Leute bis 2020 im Regen stehen!) Sie verfahren hier wie beim Zaubern; das ist der Punkt. Aber das ist keine seriöse Politik. (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ihnen sind die Menschen egal!) Ohne ordentliche Grundlage ist es aber hochgradig unwissenschaftlich und auch unseriös, solche Zahlen in den Raum zu stellen. In meinen Augen ist es zumindest am Rande der Unanständigkeit, wie Sie hier agieren; das möchte ich Ihnen klar sagen. Darüber hinaus, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollen hier ein wirtschaftlicher Wettbewerb und die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, beendet werden. Ich kann Ihnen nur sagen: Ohne Gewinne gibt es keine Verfügungsmasse für Investitionen. Mehr Wettbewerb führt zu mehr Qualität, auch in der Pflege. Sozialismus führt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Gesundheitsversorgung zu einer Katastrophe. Das möchte ich untermauern. (Mechthild Rawert [SPD]: Eben! Wir plädieren ja auch für die solidarische Bürgerversicherung, nicht für die sozialistische!) Ihre Vorstellungen führten damals zu maroden Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in denen es am Nötigsten fehlte. So wäre es auch heute. Wir möchten nicht, dass, wie es einmal war, Einmalhandschuhe mehrmals verwendet werden müssen und Ähnliches. Um es mit Franz Josef Strauß zu sagen: Man soll aus der Geschichte nicht lernen, um beim nächsten Mal schlauer, sondern um für immer weiser zu sein. Das ist mein Rat für Ihre zukünftige Arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sehe natürlich auch die Bundesländer in der Pflicht, die notwendigen Mittel zur Finanzierung – Lothar Riebsamen hat darauf hingewiesen – bereitzustellen. Auch hier können die nicht CSU-regierten Bundesländer, wenn sie wollen, noch viel von Bayern lernen. (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Nein danke!) Bayern liegt bei den Investitionen auch heuer wieder an der Spitze in Deutschland. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ui, ui, ui!) In Ihrer Vorstellungswelt soll die Privatisierung von Einrichtungen – wir hören das ja laufend – in Zukunft untersagt werden. Statt der bestehenden Vielfalt von privatgewerblichen, frei-gemeinnützigen und öffentlichen Trägern wollen Sie Monokulturen. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein Irrweg. Wir konnten die Anzahl der Pflegeeinrichtungen in den letzten Jahren – auch das gehört zur Wahrheit – um über 40 Prozent steigern, den Großteil davon dank immenser privater Investitionen. An dieser Stelle danke ich für diese unternehmerischen Leistungen. Ich möchte darüber hinaus noch ganz kurz auf einen weiteren Punkt eingehen – ich glaube, er gehört hierher –: Sie sprechen ja immer davon, dass Sie eine Pflegevollversicherung einführen wollen und dass Sie vom bestehenden System weg wollen. Außerdem hören wir in regelmäßigen Abständen – nicht nur von Ihnen – immer wieder etwas zum Thema Bürgerversicherung als der einzig wahren Lösung aller Probleme in der deutschen Gesundheitsversorgung. Das Positivste, das ich im Zusammenhang mit der Bürgerversicherung gehört habe, ist, dass mir gestern ein Treffen mit der Kollegin Hilde Mattheis im Jahr 2017 versprochen wurde, bei dem sie mir all diese Dinge erklären und sie entsprechend formulieren wird. Ich kann nur sagen: Die Linke ist nicht einmal in der Lage, das zu formulieren. Sie bringen nichts Fachliches, sondern reine Propaganda. Das möchte ich hier einmal festhalten. (Mechthild Rawert [SPD]: Ich gebe Ihnen gleich 18 Seiten mit! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber da steht nichts drin! Das ist es ja!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gäbe noch viel zu sagen. Frau Rawert hat mich ja geradezu herausgefordert, etwas zum Thema Pflegeberufegesetz zu sagen. Ich hebe mir das aber für 2017 auf, verehrte Kollegin. Heute kann ich nur sagen: Die strukturellen Veränderungen, die wir beschlossen haben, werden sich in den kommenden Jahren positiv auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland auswirken. Der Antrag der Linken geht an diesen Tatsachen wieder einmal vorbei und ist daher abzulehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Die Fraktionen haben vereinbart, dass die Vorlage auf Drucksache 18/9122 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 10 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10664, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7568 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung Drucksache 18/9958 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/10655 Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforderlich ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch hier höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uwe Feiler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute schließen wir das Gesetzgebungsverfahren zur Verbesserung der Bekämpfung der Schwarzarbeit ab. Die Regierungskoalition setzt damit ihr entschlossenes Vorgehen gegen Unternehmen fort, die meinen, sich durch die Beschäftigung von Schwarzarbeitern einen Vorteil verschaffen zu können, aber auch gegen Arbeitnehmer, die entweder aus freien Stücken oder aus einer Notlage heraus nicht erkennen, dass sie mit ihrem Handeln nicht nur den Sozialstaat, sondern vor allen Dingen sich selbst schädigen. In den vergangenen Monaten war ich mit mehreren Gesetzen befasst, die bezwecken, Steuerehrlichkeit zu fördern und entschieden denjenigen nachzugehen, die meinen, sich ihren Pflichten bei der Entrichtung von Steuern oder Sozialabgaben entziehen zu können. Meine Damen und Herren, von daher steht auch dieses Gesetz in einer Reihe mit einem Bündel von Maßnahmen, mit denen wir sicherstellen, dass der Ehrliche nicht der Dumme ist, sondern dass Steuer- und Abgabengerechtigkeit in diesem Land Ansprüche sind, die wir gemeinsam mit den Länderbehörden durchsetzen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heute Abend darf ich noch zur Unterbindung von Kassenmanipulationen sprechen. Ich möchte aber auch an unser Gesetzespaket zum automatisierten internationalen Informationsaustausch in Steuersachen und an die BEPS-Initiative erinnern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Maßnahmen leisten einen Beitrag dazu, dass der Staat wichtige Aufgaben wahrnehmen und vor allem finanzieren kann. In der Anhörung zum Gesetzentwurf haben wir zahlreiche Aspekte mit den Sachverständigen diskutiert. Dabei wurde übereinstimmend festgestellt, dass die Fragmentierung der Informationen mit das größte Hindernis darstellt, Schwarzarbeit noch wirksamer auf die Schliche zu kommen. Genau da setzen wir in diesem Gesetz an. Die veraltete und dezentral organisierte EDV soll durch eine integrierte einheitliche Datenbank in einem modernen IT-Verfahren ersetzt werden und den beteiligten Behörden aktuelle und vor allem umfassende Daten zur Verfügung stellen. Ein Blick in § 2 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes macht deutlich, dass es sich um eine äußerst komplexe Thematik handelt, bei deren Lösung der Zoll aufseiten des Bundes mit vielen Akteuren zusammenarbeiten muss. An dieser Stelle möchte ich mich einmal ausdrücklich für die gute Arbeit bedanken, die die Kolleginnen und Kollegen des Zolls leisten. Herr Dr. Meister, ich bitte Sie, dieses Lob und diesen Dank entsprechend weiterzugeben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden fängt bei den Landesfinanzverwaltungen an, setzt sich über die Rentenversicherungsträger, die Bundesagentur für Arbeit, die Arbeitsschutzbehörden, die Ausländerbehörden, die Handwerks- und Gewerbebehörden, die Einzugsstellen der Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften, die Unfallkassen, die Asylbehörden und die Landespolizeien fort und endet beim Bundesamt für Güterverkehr. All diese Behörden können Hinweise auf unerlaubte Beschäftigungsformen gewinnen und sollten sich meiner Meinung nach auch darüber austauschen dürfen. Hier kann ein Informationsaustausch, mit dem wir auch in anderen Bereichen gute Erfahrungen gemacht haben, nur von Vorteil sein. (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Genau!) Das schließt aber beispielsweise auch mit ein, dass die oftmals kommunalen Behörden, die sich um die handwerks- und gewerberechtlichen Bestimmungen kümmern, auch Prüfungsrechte eingeräumt bekommen, um ihren Anteil beitragen zu können. Mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass die Länder entsprechend tätig werden. Künftig können Betriebe, die gegen dieses Gesetz verstoßen, nicht nur von öffentlichen Bauaufträgen, sondern auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen ausgeschlossen werden. Seitens der Grünen wird vorgeschlagen, die Landwirtschaft in den Kreis derjenigen Branchen gemäß § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufzunehmen, die als besonders gefährdet gelten. Diesem Ansinnen vermögen wir nicht zu folgen, weil wir die ohnehin schon gebeutelte Landwirtschaft nicht noch mit weiteren Regularien überfrachten wollen. (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Das ist gut!) Davon abgesehen, dass landwirtschaftliche Betriebe zu Recht genauso wie alle anderen Betriebe Kontrollen durch den Zoll unterworfen sind, hat uns das Finanzministerium nachvollziehbar dargestellt, dass es sich hier keineswegs um eine besonders risikobehaftete Branche handelt. Auch habe es keinerlei Probleme bei Kontrollen deswegen gegeben, weil die Beschäftigten ihre Ausweise nicht mitgeführt haben. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann waren wir in zwei verschiedenen Veranstaltungen! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine Dokumentationspflicht!) Ohne eine ausreichende Personalausstattung helfen die besten Gesetze nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!) Erfreulich ist, dass wir die Stellen bei der Zollverwaltung aufgestockt haben und die Ausbildungskapazitäten entsprechend erhöht wurden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bei der Anhörung wurde mehrfach angesprochen, dass insbesondere die Kommunen im Bereich Personal mehr Unterstützung durch die Länder benötigen. Wichtig ist aber auch, dass Behörden, die Verstöße feststellen, diese auch ahnden können. Im Bereich der Sozialversicherung kann der Zoll deshalb zukünftig auch Meldeverstößen nachgehen – und sie bis zum Ermittlungsverfahren begleiten –, die er bislang an die Einzugsstelle gemäß § 112 Absatz 1 Nummer 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch abgeben musste. Er musste dann darauf vertrauen, dass man sich dort der Sache annimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Auch der Forderung, Konzessionen ausdrücklich in den Katalog von Vergabeausschüssen mit aufzunehmen, muss ich leider eine Absage erteilen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schade!) Hier wurde bewusst eine gleichlautende Formulierung des Vergabemodernisierungsgesetzes gewählt. Sollte es hier missbräuchliche Gestaltungen geben, ist es uns unbenommen, entsprechend nachzusteuern. Auf ein zeitgemäßes Level bringen wir auch den Zugriff der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Fahrzeug- und Halterdaten. Während bislang jede Frage manuell bearbeitet werden musste und Faxe quer durch die Republik verschickt wurden, sorgt der automatische Informationsaustausch künftig für schnelle und vor allem weniger personalintensive Auskünfte. Zum Ende meiner Rede darf ich noch kurz auf die Umdrucke eingehen, die an die von mir angesprochenen Themen anschließen. Demnach nehmen wir die Landesbehörden, die sich mit der für Schwarzarbeit anfälligen Branche der Personenbeförderung beschäftigen, in den Katalog der Kooperationsbehörden auf, die nicht nur den Zoll informieren, sondern von diesem auch informiert werden. Mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes tragen wir dem Umstand Rechnung, dass die Informationen über Kraftfahrzeuge und deren Halter, die nunmehr ausschließlich beim Bund liegen, auch den Landesfinanzbehörden zur Verfügung gestellt werden können. Weiterhin wird die Kraftfahrzeugsteuer ans EU-Recht angepasst. All diese Regelungen sind sinnvoll und sollten deshalb unsere Unterstützung erfahren. Bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMF bedanke ich mich für die guten Beratungen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt Jutta Krellmann. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung. Einige darin enthaltene Vorschläge sind sinnvoll und notwendig, wie die Untersuchungs-, Ausweis- und Auskunftsrechte der Landesbehörden. Aber Überwachung ist das eine, Ursachenbekämpfung ist das andere. Den Missbrauch von Minijobs und den Verfall geleisteter Arbeitszeit haben Sie nicht im Blick. Sie bleiben die Bundesregierung der verpassten Chancen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Als Gewerkschaftssekretärin und Abgeordnete der Linken bin ich für die Bekämpfung von Schwarzarbeit. (Beifall bei der LINKEN) Ich will aber auch die unsicheren und illegalen Beschäftigungsverhältnisse bekämpfen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Machen Sie die Augen auf! Ich rede von unangemeldeten sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten und Scheinselbstständigkeit. Ich rede weiter von illegaler Arbeitnehmerüberlassung, von Ausbeutung der Arbeitskraft bis hin zum Menschenhandel. Hierzu drei Beispiele. Erstens: Missbrauch von Minijobs. In der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft und in anderen Branchen wird jemand auf der Grundlage eines Minijobs für 450 Euro eingestellt. Er arbeitet aber fünf Tage die Woche, und zwar acht Stunden pro Tag. Real wird also Vollzeit oder noch mehr gearbeitet. Alles über 450 Euro hinaus wird schwarz abgerechnet. Dazu haben Sie keine Vorschläge. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Natürlich! Wir kontrollieren das doch! – Olav Gutting [CDU/CSU]: Das ist verboten!) Zweitens: Überstunden. Im letzten Jahr leisteten Beschäftigte mehr als 1 800 Millionen Überstunden außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit. 816 Millionen Stunden werden bezahlt, und 997 Millionen Stunden sind unbezahlte Stunden. Arbeitgeber bekamen also knapp 1 Milliarde Überstunden geschenkt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn! – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Das sind 500 000 Vollzeitarbeitsstellen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Skandal!) Nicht erfasste und nicht bezahlte Arbeitszeit wird so zur Schwarzarbeit. Das darf überhaupt nicht sein, das darf nicht passieren. (Beifall bei der LINKEN) Drittens: private Haushalte. Der DGB geht von 3 Millionen schwarzarbeitenden Haushaltshilfen aus. In der häuslichen Pflege arbeiten schätzungsweise mehr als 100 000 Menschen – angeblich als Selbstständige, oftmals komplett schwarz. (Zuruf von der CDU/CSU: Kennen Sie welche?) Oftmals handelt es sich um Scheinselbstständigkeit, zum Teil mit ausländischer Gewerbeanmeldung. Alle Beispiele haben eins gemeinsam: Es geht um Abrechnungs- und Sozialversicherungsbetrug an Beschäftigten, Sozialkassen und Steuerkassen – mit weitreichenden materiellen und gesellschaftlichen Folgen wie verminderte Steuereinnahmen, verminderte Sozialversicherungsabgaben und weniger Geld für die Menschen. In diesem Land verpuffen Milliarden Euro, weil einige Arbeitgeber mit krimineller Energie systematisch Belege fälschen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihren Lohn zu prellen. Politik muss die Arbeitgeber, die sich richtig und anständig verhalten, vor den Arbeitgebern schützen, die sich über illegale Beschäftigung einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, und zwar auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Skandal!) Damit bin ich auch schon beim Thema Zoll und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Wir übergeben diesen Behörden immer mehr Aufgaben. Das setzt aber eine bessere Personalausstattung voraus. Dabei reicht es nicht, nur die Planstellen aufzustocken; diese müssen auch attraktiv und sicher sein. Denn wenn die Stellen nur befristet sind, muss sich niemand wundern, wenn sich keiner darauf bewirbt. Die Bundesregierung braucht an der Stelle Fachkräfte. Diese kosten Geld, und das ist auch gut so. Das gilt im Grunde für jeden Arbeitgeber: Wer gutes Personal will, muss entsprechend für gute Arbeit sorgen. Gute Arbeit muss immer unbefristet, tariflich bezahlt und mitbestimmt sein. Das gilt auch für den Zoll und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Wir wollen, dass Minijobs der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen, und zwar ab der ersten Stunde. (Beifall bei der LINKEN) Jede Arbeit muss zeitlich erfasst und entsprechend bezahlt werden, damit Arbeit insgesamt nicht entwertet wird. Dafür steht die Linke. Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen ein wunderschönes Osterfest. (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weihnachten!) – Natürlich Weihnachtsfest. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wir wollen jetzt daraus nicht auf die Zukunftsfähigkeit schließen. – Als Nächste hat Ingrid Arndt-Brauer, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Das mit dem Osterfest war typisch; denn genauso sind Sie in Ihrer Rede manchmal völlig vom Thema abgekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir haben uns heute Abend nicht versammelt, um die Minijobs neu zu erfinden oder neu zu regeln. Man kann sich immer alles noch besser und schöner vorstellen. Wir finden aber, dass wir gute Aufzeichnungspflichten für die Minijobs gefunden haben. Sie sind auf bestimmte Bereiche begrenzt. Das heißt, nicht jeder kann einen Minijob anbieten. Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Zoll natürlich vernünftige Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeiter gewährleistet. Die Beschäftigungsverhältnisse sind normalerweise auch nicht befristet, sondern unbefristet, und mitbestimmt. Die meisten Beschäftigten beim Zoll sind verbeamtet. Deswegen möchte ich hier keinen falschen Eindruck aufkommen lassen. Der Zoll hat vielfältige Aufgaben. Ich bin Berichterstatterin für Zoll und Finanzverwaltung. Es stimmt – damit haben Sie recht –: Wir haben dem Zoll in der Vergangenheit vielfältige neue Aufgaben übertragen. Er ist zuständig für die Wareneinfuhr- und -ausfuhrkontrolle und treibt Steuern ein. Er ist für die Kontrolle von Plagiaten zuständig. Auch um Wirtschaftskriminalität und Artenschutz muss sich der Zoll kümmern, und er ist für die Kontrolle der Schwarzarbeit zuständig. Mehr als 6 700 Zöllnerinnen und Zöllner sorgen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit dafür, dass wir vernünftig gegen illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit vorgehen können. Ich denke, dieser Aufgabe kommt der Zoll gut nach. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben die Planstellen aufgestockt. Es dauert natürlich eine Weile, bis die Leute ausgebildet sind. Das ist verständlich. Aber ich bin der Meinung, dass der Zoll ein sehr attraktives Arbeitsumfeld bietet. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir da auch weiterhin erfolgreich arbeiten können. Jetzt komme ich zu unserem Gesetzentwurf. Mein Vorredner, Herr Feiler, hat das meiste schon angesprochen: Es geht wirklich darum, die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu erleichtern und effektiver zu machen. Ich denke, mit dem Gesetzentwurf haben wir eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Wir werden die Rahmenbedingungen in der Form bekämpfen, dass die illegale Beschäftigung eingedämmt wird, und zwar durch ein gewisses Entdeckungsrisiko. Wenn ein Entdeckungsrisiko besteht, dann kann man bestimmte Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr in der Form anbieten, weil dann eine herbe Strafe droht. Ich denke, dafür sind die Zollkontrollen, die immer wieder unangekündigt stattfinden, ein gutes Mittel, um das vernünftig zu regeln. (Beifall bei der SPD) Die Hilfe bei der EDV wurde schon angesprochen. Auch da ist es wichtig, dass wir das zeitgemäß reformieren und dass wir dem Zoll die Möglichkeit geben, mit Landesbehörden vernünftig zusammenzuarbeiten. Wir weiten auch die Kompetenzen des Zolls aus. Deswegen brauchen wir heute eine breite Mehrheit für diesen Gesetzentwurf. Es ist wichtig und gut, dass wir das machen. Es gibt Bereiche, die besonders anfällig und auch ein bisschen schwieriger in der Überwachung sind. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel die Landwirtschaft!) Dort brauchen wir mehr Leute und manchmal vielleicht auch eine andere Aufstellung des Zolls. Es wird weiterhin nötig sein, dass Zollbeamte in bestimmten Kontrollbereichen bewaffnet auftreten. Das ist leider so, auch wenn wir das nicht schön finden. Wenn sich die Beamten morgens entsprechend anziehen, dann kommt es vielleicht auch einmal vor, dass sie in einer Gaststätte bewaffnet kontrollieren, nicht weil Gaststätten so gefährlich sind, sondern weil eine Waffe zu ihrer Dienstuniform gehört. Darüber müssen wir uns nicht aufregen. Dies ist angemessen, damit die Beamten den Tag über vernünftig kontrollieren können, ohne einer Selbstgefährdung ausgesetzt zu sein. (Beifall bei der SPD) Es wurde schon angemerkt, dass der Bundesrat zahlreiche Verbesserungsvorschläge gemacht hat. Ich finde es sehr gut, dass alle übernommen wurden. Das zeigt: Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass der Zoll die richtige Behörde ist, um hier durchgreifend zu arbeiten, und dass alle Seiten bestrebt sind, den Zoll dabei zu unterstützen. Man kann natürlich alles verbessern und noch mehr verschärfte Kontrollen fordern. Wir haben länger darüber diskutiert. Die Grünen sehen die Landwirtschaft als problematischen Bereich. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!) Alle anderen sehen das nicht so problematisch. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden wir wiederum problematisch!) Wenn sich aber herausstellen sollte, dass im landwirtschaftlichen Bereich verstärkt Missbrauch betrieben wird, werden wir bereit sein, entsprechende Änderungen vorzunehmen. Im Moment ist das nicht notwendig. Aktuell wird regelmäßig kontrolliert. Da die Kontrolleure relativ ortsnah arbeiten, gibt es kaum Möglichkeiten, sich der Kontrolle zu entziehen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Meldepflichten!) Deswegen glauben wir, dass wir im Moment noch gut aufgestellt sind. Wenn sich hier aber etwas verändern sollte, können wir jederzeit darauf reagieren. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!) Es ist wichtig, dass es ein generelles Entdeckungsrisiko für alle Bereiche gibt, wo Missbrauch stattfinden kann. Wir brauchen also einen gut aufgestellten Zoll. Wir müssen natürlich noch alle Planstellen besetzen, für die wir Mittel eingestellt haben. Das wird noch ein bisschen dauern. Aber die entsprechende Zeit müssen wir aufbringen. Wir haben jedenfalls alle Weichen gestellt, damit der Zoll vernünftig arbeiten kann. Deswegen bin ich zuversichtlich – die Beratungen haben gezeigt, dass so gut wie alle dieser Meinung sind –, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich freue mich über die Zustimmung der Opposition und die weitere Zusammenarbeit. Wenn uns eine Verbesserung einfällt, sind wir immer bereit, sie umzusetzen. Im Moment sind wir auf einem guten Weg. Der Gesetzentwurf ist in diesem Haus auf breiter Basis zustimmungsfähig. Ich danke für die guten Beratungen, auch mit der Opposition. Ich wünsche vor allem dem Zoll viel Erfolg bei seiner Arbeit. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Beate Müller-Gemmeke. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind weit verbreitet und verursachen immense volkswirtschaftliche Schäden. So entgehen dem Staat Steuereinnahmen und den Sozialversicherungen Beiträge. Es geht hier um viele Milliarden. Vor allem sind die Beschäftigten davon betroffen. Sie arbeiten hart und bekommen dennoch zu wenig Lohn. Die Schattenwirtschaft verzerrt zudem den Wettbewerb zulasten der anständigen und verantwortungsvollen Betriebe. Das alles geht gar nicht. Deshalb müssen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung konsequent bekämpft werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Notwendig sind effektive Kontrollen. Ich selbst war einmal einen Tag mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit unterwegs. Ich war beeindruckt von der guten und sehr engagierten Arbeit. Dennoch müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Deshalb begrüßen wir Grüne den vorliegenden Gesetzentwurf. Wir hatten dazu eine wirklich interessante Anhörung mit guten Sachverständigen aus der Praxis. Auch sie unterstützen das Gesetz. Aber es gab auch dringende Appelle, den Gesetzentwurf an manchen Stellen nachzubessern. Die konkreten Vorschläge wurden aber ignoriert. Ich wünsche mir, dass die Koalitionsfraktionen solche Anhörungen etwas ernster nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Die wurden nicht ignoriert! Die wurden ausgiebig diskutiert!) Wir werden dem Gesetzentwurf zwar zustimmen. Aber auch wir sehen an vielen Stellen noch Handlungsbedarf. Deswegen haben wir drei Änderungsanträge in den Ausschüssen gestellt. Diese wurden leider abgelehnt. Ich möchte sie kurz ansprechen: Erstens. In der Landwirtschaft arbeiten viele Saisonarbeitskräfte auch aus dem Ausland. Wir sehen die Situation anders als Sie. In der Praxis sind die Mindestlohnkontrollen der FKS relativ schwierig. Deshalb wollen wir die Landwirtschaft im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz als sensible Branche mit aufnehmen. Das würde die Kontrollen erleichtern und die FKS tatsächlich stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Durch § 21 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz können schwarze Schafe von der Ausschreibung öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Hier werden jetzt neben den Bauaufträgen auch die Liefer- und Dienstleistungsaufträge aufgenommen. Das ist gut so. Aber auch Konzessionen müssten hier benannt werden; denn wir meinen: Alle Aufträge müssen gleich behandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Ganz paradox wird es, wenn es um die Straftaten geht, die zu diesem Ausschluss bei öffentlichen Ausschreibungen führen. Im Gesetz steht hier nur Sozialkassenbetrug. Bei illegaler Beschäftigung geht es aber vor allem um Betrug und Urkundenfälschung, und die ganz schlimmen Formen sind Menschenhandel und Ausbeutung der Arbeitskraft. Diese Straftatbestände stehen eben nicht im Gesetz. Deshalb haben wir beantragt, dass diese Straftaten explizit in das Gesetz aufgenommen werden; denn öffentliche Aufträge dürfen nur an verantwortungsvolle Betriebe gehen. Deshalb brauchen wir unserer Meinung nach ganz eindeutige und rechtssichere Formulierungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Anhörung wurde ein weiterer Aspekt immer wieder zu Recht kritisiert – das wurde jetzt schon angesprochen –: Effektive Kontrollen brauchen natürlich gute Rahmenbedingungen. Notwendig ist aber vor allem ausreichendes Personal. Die FKS hat aber insgesamt zu wenig Personal. Zudem sind viele Planstellen nicht besetzt, und die versprochenen 1 600 neuen Stellen für die Mindestlohnkontrolle sind auch noch nicht angekommen. Die Aufgaben der FKS nehmen immer mehr zu, und sie sind vor allem extrem anspruchsvoll. Seit Jahren wird hier der Personalmangel nur verwaltet. Das Personal reicht gerade einmal für Schwerpunktprüfungen. Das ist zu wenig. Die Kontrollen müssen auch präventiv wirken. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit braucht mehr Personal. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Anhörung hat auch gezeigt, dass sich Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung immer wieder verändern. Am Bau gibt es mittlerweile 200 000 Minijobs. Das ist absurd. Das wurde schon angesprochen. Hier wird ein legales Arbeitsverhältnis vorgetäuscht. Tatsächlich wird aber in Vollzeit gearbeitet, und die Differenz wird schwarz und bar ausgezahlt. Es gibt mittlerweile auch sehr erfolgreiche Internetportale, bei denen vermeintlich Selbstständige an Privathaushalte vermittelt werden. Die Honorare sind häufig so niedrig, dass niemand davon leben kann. Der Gesetzgeber muss auf diese Entwicklung reagieren und neue Kontrollmöglichkeiten entwickeln. Das Gesetz heute ist also nur ein erster Schritt, weitere müssen unbedingt folgen. Machen Sie sich bitte auf den Weg. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt und keine Bagatelle, sondern Wirtschaftskriminalität. Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft gehören schon immer zu den größten wirtschaftlichen Problemen unserer Volkswirtschaft. Steuer- und Sozialversicherungsbetrug schadet unserer Gemeinschaft. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Zudem führt Schwarzarbeit zu Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten der rechtschaffenden Betriebe und der Arbeitsplätze. Betriebe können gegen die illegal handelnde Konkurrenz, die oft ein günstigeres Angebot abgibt, nicht bestehen, weil die Preise der rechtschaffenden Unternehmen natürlich höher sind. Auf diese Weise werden legale Arbeitsplätze vernichtet und wird mehr Arbeitslosigkeit geschaffen. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Insgesamt kostet die Schwarzarbeit den Wirtschaftsstandort Deutschland jedes Jahr einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag. Man hat 2014 einen Schaden von etwa 800 Milliarden Euro festgestellt. Heute geht man von einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 11 Prozent im Bereich der Schattenwirtschaft aus. Man sieht, welche Dimension hier zu bekämpfen ist. Der Gemeinschaft entgehen einerseits wichtige Einnahmen wie Beiträge und Steuern; andererseits steigen die Ausgaben für Unterstützungsleistungen, weil man nicht in die Sozialversicherung einbezahlt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklung ist kein hinnehmbarer Zustand. Das ist nicht gerecht. Das ist unsozial, und das ist gegen das Gemeinwohl. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das werden wir mit der heutigen Verabschiedung dieses Gesetzes verstärkt bekämpfen. Das ist eine Tatsache. Wir bekämpfen die illegale Beschäftigung mit aller Entschiedenheit. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das reicht nicht aus!) Was erzählen Sie von den Linken denn da? Mehr als die Verschärfung von Kontrollen kann man nicht tun, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Mehr Personal! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Noch mehr Zöllner?) und das tun wir. Wir sind natürlich gegen Ihre pauschalen Verdächtigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Aber wenn Sie Weihnachten und Ostern nicht auseinanderhalten können, dann wundert mich natürlich nichts mehr. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist ziemlich unverschämt!) Das vorliegende Gesetz leistet einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Schwarzarbeit. Was wir im Koalitionsvertrag bereits angekündigt haben, setzen wir nun lösungsorientiert, praxisnah und mit Ausgewogenheit und Augenmaß um; denn das gehört dazu. Wir wollen nicht die große Keule schwingen, sondern wir wollen die Schwarzarbeit ganz gezielt bekämpfen. Daher ist es richtig, dem Zoll und den Landesbehörden mehr Rechte zu geben. Konkret: Die IT-Verfahren können mit einer einheitlichen Datenbank und einem zentralen Informationssystem verbessert werden. Wir können eine Finanzkontrolle beim Zoll mit einem automatisierten Zugriff auf das Zentrale Fahrzeugregister des Kraftfahrt-Bundesamtes vorweisen. Das sind eine enorme Vereinfachung und ein großer Fortschritt. Denn bisher musste jede Anfrage manuell bearbeitet werden. Das hat in der Praxis zu Zeitverzögerungen und Fehlern geführt. Wir haben mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit künftig für die Ahndung von Meldeverstößen nach dem Sozialgesetzbuch IV verstärkt die Möglichkeit, Ermittlungsverfahren durchzuführen. Mit dem neuen Gesetz kann die Zollverwaltung mehr Meldeverstöße ahnden, und es kann darüber hinaus Vergehen verfolgen, die bisher von den Einzugsstellen der Sozialversicherungen bearbeitet wurden. All dies ist natürlich in Verbindung mit den Prüfungsbefugnissen, die wir den zuständigen Landesbehörden einräumen, ein großer Schritt zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Die Mitarbeiter werden auch in Zukunft das Recht haben, Grundstücke zu betreten und die dort tätigen Personen zu ihrer Arbeit zu befragen. Gerade indem wir den Landesbehörden mehr Rechte einräumen, lässt sich die handwerkliche und gewerberechtliche Schwarzarbeit besser bekämpfen, weil Handwerk und Gewerbe vor Ort natürlich zusammengehören. Deswegen ist es gut, wenn die Landesbehörden hier eine rechtliche Stärkung erfahren. Zukünftig können Firmen nicht mehr nur von der Vergabe öffentlicher Bauaufträge ausgeschlossen werden, sondern auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen. Diese maßvolle Erweiterung ist notwendig; denn die Praxis zeigt, dass Schwarzarbeit zwar häufig im Baugewerbe stattfindet, dass inzwischen aber auch in der Dienstleistungsbranche illegale Beschäftigung immer häufiger vorkommt. Ich möchte zum Abschluss meiner Rede noch einen anderen Aspekt zum Ausdruck bringen. Schwarzarbeit ist vor allem auf Kostenunterschiede zwischen legaler und illegaler Arbeit zurückzuführen. Auch das gehört zur Wahrheit. Je höher die Arbeits- und vor allem Lohnzusatzkosten sind, desto mehr Anreiz besteht für Schwarzarbeit. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber das rechtfertigt das nicht!) Auch das gehört zur Wahrheit, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Es macht natürlich keinen Sinn, wie das hier vorgetragen wurde, die Belastungen immer öfter und schneller zu erhöhen. Vielmehr muss hier gemessen an den Lohnstückkosten eine Effizienz entstehen, eine Wettbewerbsfähigkeit auch im internationalen Rahmen. Insofern gehört es dazu, dass wir insbesondere die Lohnzusatzkosten stabil halten, um keinen Anreiz für Schwarzarbeit zu erzeugen. Das muss man bei diesem Thema natürlich unbedingt dazusagen und darf es nicht außen vor lassen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das hört sich nach einer Rechtfertigung an!) Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir beschließen heute ein ausgewogenes und effizienzsteigerndes Gesetz, das die Schwarzarbeit zwar nicht völlig verhindern, zumindest aber weiter einschränken wird. Zudem bin ich außerordentlich froh, dass wir im großen Einvernehmen im Finanzausschuss mit unserem Koalitionspartner und den Ländern dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Ich hoffe, dass wir in diesem Sinne auch im Jahr 2017 noch das eine oder andere Gesetz voranbringen können. Ich denke an das sogenannte Panama-Gesetz, das die Steuervermeidung internationaler Konzerne verhindern soll oder an das Gesetz gegen Kassenmanipulationen. Auch das ist ein Bereich, wo wir Flagge zeigen, dass wir einen starken Rechtsstaat wollen, der letzten Endes Illegalität und Missbrauch bekämpft. Das ist das Ziel, das wir haben und das von der Bevölkerung auch akzeptiert wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Zusammenhang mit diesem Gesetz möchte ich insbesondere unserem Berichterstatter Uwe Feiler ganz herzlich danksagen, der hervorragende Verhandlungen mit den Berichterstattern aller Fraktionen geführt hat. In diesem Sinne: Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Dr. Jens Zimmermann, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um die Debatte noch einmal zusammenzufassen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den zuständigen Behörden beim Zoll und den zuständigen Landesbehörden bessere Mittel an die Hand geben, um Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung zu bekämpfen. Wir alle wissen: Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung stellen ein Problem dar – und kein kleines. Wenn wir uns einmal Schätzungen anschauen, um welchen Betrag es sich allein in diesem Jahr handelt, dann reden wir über 300 Milliarden Euro. Das sind keine der berühmten Peanuts, von denen früher immer mal wieder gesprochen wurde. (Beifall bei der SPD) Ich will auch ganz klar sagen: Uns geht es dabei vor allem um die großen Fische. Es geht nicht um die kleine nachbarschaftliche Hilfe. Wir müssen vor allem an den Bereich heran, wo wir mit Fug und Recht von organisierter Kriminalität reden können. Wir kämpfen deswegen aber auch insgesamt auf dem Arbeitsmarkt für faire Regeln und für faire Löhne. Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode in der Koalition ja schon einiges gemacht; da kann ich dem Kollegen Michelbach nur recht geben. Schwarzarbeit ist unsozial und unfair; denn sie richtet in mehrfacher Hinsicht Schaden an. Sie ist unsozial und unfair, weil durch die Steuerhinterziehung unsere Solidargemeinschaft geschädigt wird und damit alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie Beitragszahlerinnen und Beitragszahler verhöhnt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es darf einfach nicht sein, dass am Ende des Tages der Ehrliche der Dumme ist. Dagegen müssen wir etwas tun, und das tun wir mit diesem Gesetz. Aber Schwarzarbeit ist auch aus einem anderen Grund unsozial und unfair; denn sie führt natürlich auch zu Druck auf die ehrlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die diese Abgaben zahlen und die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ordentlich anmelden. Diese werden von denen unter Wettbewerbsdruck gesetzt, die sich daran nicht halten. Auch das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf (Unruhe – Glocke der Präsidentin) leisten wir in diese Richtung einen ganz entscheidenden Beitrag; denn die zuständigen Behörden bekommen damit die notwendigen Instrumente an die Hand. Thema „IT-Ausstattung – E-Government“ ist eine ganz lange Geschichte. Wir haben in vielen Behörden, in vielen Teilen unseres Staates die große Herausforderung, mit der digitalen Entwicklung Schritt zu halten. Das machen wir mit diesem Gesetzentwurf auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass der Zoll im Bereich der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zukünftig den Zugriff auf das zentrale Fahrzeugregister bekommt. Das mag im ersten Augenblick keine riesige Veränderung sein, aber es ist ein wichtiges Instrument für die Kollegen und Kolleginnen beim Zoll, sonst ist die Arbeit frustrierend, wenn man Ermittlungsansätze hat, sie aber wegen mangelnder Fähigkeiten nicht zu Ende führen kann. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, es ist in der Debatte klar geworden: Wir haben hier einen guten Gesetzentwurf vorliegen. Die Länder haben darauf positiv reagiert. Von den Sachverständigen gab es sehr positive Rückmeldungen. Deswegen werden wir als SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf natürlich auch zustimmen. Lassen Sie mich abschließend all den Kolleginnen und Kollegen beim Zoll und den Finanzbehörden für ihre Arbeit danken. Sie sind diejenigen, die Tag für Tag unterwegs sind, um dafür zu sorgen, dass die Ehrlichen nicht die Dummen sind, meine Damen und Herren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende der Aussprache angekommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10655, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9958 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforderlich. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Gibt es noch jemanden, der im Saal anwesend und abstimmungsberechtigt ist, aber – warum auch immer – seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Wenn ja, ist ihm nicht zu helfen. Wir schließen jetzt die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.8 Ich rufe dann unseren Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zu möglichen Gefährdungen des gleichberechtigten Einflusses aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf die politische Willensbildung und zu weiteren Punkten des Gemeinnützigkeits- und Vereinsrechts Drucksachen 18/8331, 18/9573 Dazu wollen wir nach einer Vereinbarung 25 Minuten debattieren. – Das findet offenkundig allgemeine Zustimmung. Dann verfahren wir so. Ich gebe zu überlegen – ich habe das aber schon einmal vergeblich versucht –, ob man das bei den durchweg vier- und fünfminütigen Beiträgen nicht auch genauso gut vom Platz wie vom Rednerpult aus machen könnte. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das könnten wir mal machen! Das wäre doch interessant! – Frank Junge [SPD]: Heute nicht!) Aber auf gut Deutsch: It’s up to you. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Lisa Paus für die Fraktion der Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Weg war jetzt auch nicht so weit. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die Grünen hätten heute gern über die Antworten der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur möglichen Gefährdung des gleichberechtigten Einflusses aller Bürgerinnen und Bürger auf die politische Willensbildung gesprochen; aber leider hat die Bundesregierung unsere Fragen gar nicht oder nichtssagend beantwortet. Von daher gibt es eigentlich gar nicht viel zu bereden. Das passt allerdings vollkommen zur heutigen Mitteilung der Süddeutschen Zeitung, dass die Bundesregierung im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht klare Aussagen darüber, ob Menschen mit mehr Geld einen stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben als Einkommensschwache, schlichtweg gestrichen hat, obwohl genau dies das Ergebnis der von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebenen Studie gewesen ist. In der Antwort auf unsere Große Anfrage erklärte die Bundesregierung entsprechend lapidar zu einer ganzen Reihe von Fragen, wie zum Beispiel zum steuerlich geförderten Einfluss von Berufs- und Unternehmensverbänden, dass ihr dazu leider keine Erkenntnisse vorliegen. Diese Verweigerung der Diskussion über zentrale Problemlagen unserer pluralistischen Demokratie ist einfach – um nichts Schlimmeres zu sagen – eine Frechheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der konkrete Anlass unserer umfassenden Großen Anfrage war allerdings ein anderer, aber nicht weniger brisant, nämlich die Frage, ob sich der Gemeinnützigkeitsstatus einer Organisation mit politischen Aktivitäten verträgt oder nicht. Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger, als die globalisierungskritische Organisation Attac in diesem Sommer wieder einmal ihre Sommerakademie ausrichten wollte, da hatte sie ein Problem. Es gab viele Stiftungen, die Attac unterstützen wollten, aber sie durften es nicht; denn die Satzungen der Stiftungen und die Gesetzeslage besagen, dass sie nur gemeinnützige Organisationen unterstützen dürfen. Attac war aber 2014 die steuerliche Gemeinnützigkeit vom Finanzamt Frankfurt abgesprochen worden, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr sinnvoll!) weil – so argumentierte das Finanzamt – Attac zu stark politisch tätig sei (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) und damit nicht gemeinnützig sein könne. Diese Entscheidung ist nun zweieinhalb Jahre später vom Finanzgericht Kassel zurückgenommen worden, (Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!) und zwar mit Pauken und Trompeten. Das Gericht hat Attac in allen Punkten bestätigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die Richter betonten, dass politische Aktivitäten gemeinnützigen Zwecken nicht entgegenstehen. Im Gegenteil: Gemeinnützige Zwecke wie Bildung oder Förderung des demokratischen Gemeinwesens seien ohne Einfluss auf politische Willensbildung kaum zu verfolgen, so die Richter; eine wichtige Klarstellung, die wir ausdrücklich begrüßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ist also nun wieder alles okay? Ist Attac ein Einzelfall, wie die Bundesregierung meint, der politisch aufgebauscht wurde? Sind die Regeln okay? Sollten wir schlichtweg auf den Rechtstaat vertrauen? Mitnichten, liebe Bürgerinnen und Bürger. Es gibt aus unserer Sicht deutlichen Änderungsbedarf. Bei der Vorbereitung unserer Großen Anfrage hatten wir Grünen zu einem Fachgespräch eingeladen. Der Einladung sind allein 60 Vertreterinnen und Vertreter von gemeinnützigen Körperschaften gefolgt. Sie bestätigten ihre ständige Furcht, dass man ihnen die Gemeinnützigkeit entziehen könnte, wenn sie zum Beispiel eine Demonstration oder eine Kampagne zu viel wagen oder weil sich ihr konkreter Zweck nicht in dem langen, aber veralteten Zweckkatalog der Abgabenordnung wiederfindet – darunter waren so bekannte Organisationen wie Amnesty International, Brot für die Welt, Greenpeace oder die Deutsche Liga für Menschenrechte –; denn ein universeller Zweck wie der Einsatz für Menschenrechte ist eben gerade nicht in der Abgabenordnung aufgeführt. Auch der BUND in Hamburg hat inzwischen seine Gemeinnützigkeit entzogen bekommen, genauso wie die Frauenorganisation Dona Carmen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!) Viele andere Fälle werden gar nicht erst publik. Wenn sich zum Beispiel ein niedersächsischer Verein, der einen örtlichen Christopher Street Day veranstalten möchte, sieben Jahre lang beim Finanzamt um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bemüht, dann ist das öffentlich kein großes Thema, aber trotzdem nicht in Ordnung, meine Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Einen Prozess über zweieinhalb Jahre, wie Attac ihn durchlaufen musste, überleben schlichtweg die wenigsten Organisationen; denn eine solche Aberkennung hat drastische Konsequenzen. Steuernachzahlungen werden fällig, Spendenbescheinigungen müssen widerrufen werden, und nicht nur die Kooperation mit bisherigen gemeinnützigen Partnerorganisationen fällt weg, sondern auch die Antragsberechtigung für öffentliche Gelder hängt am Gemeinnützigkeitsstatus. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Es gibt gute Gründe für die Sonderregelungen im Gemeinnützigkeitsrecht, aber es gibt keinen guten Grund, der wachsenden Rechtsunsicherheit und der stark unterschiedlichen Beurteilungspraxis der Finanzämter einfach weiter zuzusehen. Die Gemeinnützigkeit muss modernisiert und konkretisiert werden. Es hätte der Bundesregierung mehr als gut angestanden, zumindest durch Lieferungen von offiziellen Daten eine breite lösungsorientierte Debatte zu ermöglichen. Wir fordern dies weiter ein. Wir werden Sie weiter antreiben. Wir lassen die Organisationen nicht im Stich. Darauf können sie sich verlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung bekannt: abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 509, mit Nein hat niemand gestimmt, enthalten haben sich 54 Kolleginnen und Kollegen. Damit hat der Gesetzentwurf die erforderliche Mehrheit erreicht. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 563; davon ja: 509 nein: 0 enthalten: 54 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Dr. Franziska Brantner Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Dr. Valerie Wilms Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Nächster Redner ist der Kollege Christian von Stetten für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten lieben Kolleginnen und Kollegen! Als ich der Tagesordnung des Deutschen Bundestages entnommen habe, dass wir uns heute kurz vor Weihnachten in einer Plenardebatte mit dem Gemeinnützigkeitsrecht und mit dem Vereinsrecht beschäftigen, habe ich mich sehr gefreut. Denn gerade in der Weihnachtszeit und kurz vor Jahresende sehen wir, zu welchen Leistungen unsere ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger, die Vereine und die gemeinnützigen Organisationen imstande sind und wie sie unser Leben dadurch bereichern. Ob im Sportverein, im Musikverein, in der Nachbarschaftshilfe, im Naturschutz, in kirchlichen Organisationen oder jetzt gerade auch in der Flüchtlingshilfe, ohne die Bürgerinnen und Bürger, welche sich unentgeltlich und ehrenamtlich diesen Aufgaben widmen, könnte der Staat nicht existieren. Deswegen können wir gar nicht oft genug Parlamentsdebatten zu diesem Thema abhalten und besonders diesem Personenkreis Anerkennung zollen. Als ich dann allerdings, Frau Paus, Ihre Große Anfrage gelesen habe, war schnell klar – das konnte jeder feststellen –, welche Zielrichtung sie hat, also was Sie eigentlich durch das öffentliche Stellen von Fragen an die Bundesregierung erreichen wollten. Ihnen ging es nicht um die Aufwertung dieser ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger, (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!) Ihnen ging es weniger um das Gemeinwohl in diesem Bereich, sondern es ging Ihnen – Sie haben das gerade noch einmal ausgeführt – um den Gemeinnützigkeitsanspruch der Organisation Attac. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Das Finanzamt Frankfurt am Main hatte im Jahr 2014 Attac den Gemeinnützigkeitsstatus entzogen. Darauf hat der Deutsche Bundestag keinen Einfluss. Das macht das zuständige Finanzamt. Die Behörden entscheiden und setzen die Beschlüsse um. Sie haben es gesagt: Wie in jedem Rechtsstaat hat auch eine Organisation – in diesem Fall Attac – die Möglichkeit, dies gerichtlich überprüfen zu lassen. Attac hat dies getan. Das Finanzgericht Kassel hat in seinem Urteil vom 10. November 2016 die Aberkennungsbescheide des Finanzamtes aufgehoben. Damit könnte man sagen: Dem Ansinnen von Bündnis 90/Die Grünen wurde zumindest in dieser juristischen Instanz entsprochen, und wir hätten uns die heutige Debatte eigentlich sparen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, bei Ihrem Vortrag ist auch deutlich geworden, dass wir in den nächsten Monaten darüber diskutieren sollten – darüber würde ich sehr viel lieber mit Ihnen reden –, wie wir die Vereine und die ehrenamtlich engagierten Bürger in unseren Wahlkreisen in Zukunft noch stärker unterstützen können. Sie wissen, wir haben in der letzten Wahlperiode im Jahr 2013 die Unterstützung der ehrenamtlich Tätigen und der Vereine massiv ausgebaut. Herr Staatssekretär Dr. Meister, wir konnten die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro erhöhen. Außerdem wurde der Ehrenamtsfreibetrag für Vorstandsmitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte und besonders engagierte Ehrenamtliche im Verein von 500 Euro auf jährlich 720 Euro angepasst. Wir haben den Vereinen mehr Rechtssicherheit gegeben, indem wir das, was früher durch Ministererlasse geregelt worden ist, ins Gesetzblatt aufgenommen haben. Wir haben die Abgabenordnung geändert. Vor allem haben wir für die Sportvereine die Umsatzsteuergrenze von 35 000 auf 45 000 Euro erhöht. Das alles sind Punkte, die unsere Vereine voranbringen. Wenn Sie von Bündnis 90/Die Grünen in der nächsten Legislaturperiode Ihre Ideologie beiseitelassen, dann könnte ich mir gut vorstellen, dass wir in der nächsten Legislaturperiode im Jahr 2018 gemeinsam die steuerlichen Rahmenbedingungen für Millionen ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger in unserem Land erneut verbessern. Das wäre wichtig und eine zusätzliche Investition in unsere Gesellschaft. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Paus möchte eine Zwischenfrage stellen, auf die der Redner offenkundig schon die ganze Zeit wartet. Bitte schön. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr von Stetten, wie Sie meiner Rede und auch der Großen Anfrage entnehmen konnten, ging es uns nicht allein um eine Organisation, sondern es ging uns tatsächlich um das ganze breite Feld der Organisationen. Uns geht es darum, dass es oftmals schwierig ist, zwischen gesellschaftlichem Engagement und politischem Engagement zu unterscheiden. Deswegen wollte ich Sie, wenn Sie da gar keinen Handlungsbedarf sehen, fragen: Wie schätzen Sie das ein, was sich im letzten Jahr zugetragen hat? Sehr, sehr viele Organisationen, Sportvereine und NGOs hatten sich bei der Unterstützung von Flüchtlingen engagiert und standen plötzlich vor dem Problem, dass sie von den Finanzämtern die Meldung bekamen, dass sie, wenn sie sich so um Flüchtlinge kümmern, ihren Gemeinnützigkeitsstatus verlieren könnten. Fanden Sie es falsch, dass damals von den Länderministern kurzfristig in einer Ausnahmeregelung reagiert worden ist, oder fanden Sie das richtig? Inwieweit sehen Sie da nicht doch Handlungsbedarf bezogen auf den allgemeinen Katalog, um solche Aktivitäten zu ermöglichen und nicht durch Rechtsunsicherheit zu erschweren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Wenn Sie da Handlungsbedarf erkannt haben, dann ist es wohl die Aufgabe Ihrer Fraktion, einen Gesetzentwurf zu formulieren – nicht nur eine Anfrage zu stellen –, der im Bundestag im Finanzausschuss diskutiert wird. Da werden wir über die Punkte, die Sie vorschlagen, diskutieren und hier darüber abstimmen. Wenn Sie da Nachholbedarf sehen, dann kann ich Sie nur auffordern: Formulieren Sie die Gesetzentwürfe und stellen Sie nicht nur Anfragen an die Bundesregierung. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten ja einmal etwas Mehrheitsfähiges hinkriegen!) Auf jeden Fall ist Weihnachten. Ich glaube, wenn wir uns darauf konzentrieren, dass wir uns um die Vereine und um die ehrenamtlich Engagierten kümmern, dann merken Sie auch, wer sich in funktionierenden Vereinen aufhält. Ich glaube, das liegt auch Ihnen am Herzen. Wenn Sie in den funktionierenden Vereinen unterwegs sind, dann spüren Sie die Wärme und sehen, dass diese Vereine mittlerweile nicht nur Turnorganisationen oder Sangesorganisationen sind. Vor allem für viele Kinder bietet die familiäre Atmosphäre schon fast eine Art Heimatersatz; für sie sind die Vereine eine Art Familienersatz geworden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt und honoriert vor allem die Integrationsleistungen, die in diesen Vereinen erbracht werden, gerade auch im Hinblick auf ausländische Jugendliche. Was hier als wesentlicher Beitrag der Vereine von Ihnen gerade noch einmal dargetan worden ist, kann von staatlicher Seite überhaupt nicht erbracht werden. Von daher wünsche ich, da meine Redezeit schon vorbei ist, Herr Präsident, uns allen eine schöne Weihnachtszeit. Ich wünsche aus konkretem Anlass besonders all denjenigen, die sich ehrenamtlich in unserem Land engagieren, eine besinnliche Weihnachtszeit. Ich meine das Folgende wirklich ernst: Wir sollten gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode noch einmal die Änderungswünsche auflisten, die bei uns für die nächsten Jahre hinsichtlich der Vereine bestehen. Damit können wir viel für die Vereine und für die Stiftungen tun. Wenn die Grünen ihren Beitrag dazu leisten, dann ist es immerhin mehr als beim letzten Ehrenamtsgesetz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, das Thema „Abgabenordnung und Gemeinnützigkeit“ klingt erst einmal ziemlich sperrig. Aber dahinter verbergen sich in der Tat wichtige Fragen: Welche Tätigkeiten schätzen wir als gemeinnützig ein? Welchen Stellenwert misst unsere Gesellschaft politischem Engagement bei? Die Abgabenordnung regelt, welche Zwecke steuerlich begünstigt werden. Dazu zählen viele verdienstvolle Tätigkeiten wie Tierschutz, Altenhilfe, Rettung aus Lebensgefahr und vieles andere mehr. Aber Tätigkeiten, die nicht so sehr kreativ und dafür mehr politisch sind, gelten als nicht gemeinnützig. Die Förderung des Friedens, der Schutz der Menschenrechte, die Förderung des informationellen Selbstbestimmungsrechts sind heute zweifellos von extrem hoher Bedeutung. Aber die Abgabenordnung erkennt sie nicht als steuerbegünstigt an. Die Bundesregierung empfiehlt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage, solche Aktivitäten – ich zitiere – unter anderen Zwecken zu subsumieren, mit anderen Worten, einfach ein bisschen zu tricksen. Aber das ist ein riskantes Spiel, wie Kollegin Paus hier schon gesagt hat, weil die Finanzämter die Gemeinnützigkeit bis zu zehn Jahre rückwirkend aberkennen können. So ging es etwa der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen. Sie veröffentlicht kritische Analysen zu den Einsätzen der Bundeswehr und anderes. Auch der Münchener Dokumentationsstelle a.i.d.a., die unbequeme Informationen zum Rechtsextremismus verbreitet, wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt. Beide konnten sich vor Gericht erfolgreich wehren. Auch hier wurde deutlich, wie das Steuerrecht zum Mittel der politischen Disziplinierung werden kann. (Beifall bei der LINKEN) Auch da sage ich ganz klar, sagt die Linke ganz klar: Nicht mit uns! Engagement gegen den Krieg und gegen Faschismus ist gemeinnützig und muss es auch bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Noch ein Beispiel: Die Abgabenordnung begünstigt die Soldaten- und die Reservistenbetreuung. Wir sagen: Es ist auch gemeinnützig, wenn man die Arbeit dieser Soldaten, sprich: das Kriegsführen, infrage stellt und sich für den Frieden einsetzt. (Beifall bei der LINKEN) Steuerlich begünstigt ist die Hilfe für Flüchtlinge – völlig zu Recht. Falsch und ungerecht ist es aber, das politische Engagement gegen Abschottung und gegen die Festung Europa nicht ebenso als gemeinnützig anzuerkennen. Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort ausdrücklich, dass Gemeinnützigkeit für Aktivitäten gilt, bei denen die Einwirkung auf die staatliche Willensbildung weit in den Hintergrund tritt. Das zeugt von einem vordemokratischen Verständnis von Politik bzw. politischer Willensbildung. Wenn die Bundesregierung den Schutz von Ehe und Familie begünstigt, nicht aber die Förderung des Schutzes gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, dann agiert sie selbst ausgesprochen politisch, um ein konservatives Familienbild zu bewahren. Das geht gar nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Die Demokratie lebt von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die dafür sorgen, dass Politik nicht nur in Parteien und Parlamenten stattfindet, sondern dass auch die Bürgerinnen und Bürger aktiv eingebunden werden. Der politische Einsatz für demokratische Ziele trägt im besten Sinne des Wortes zur Schaffung mündiger Bürgerinnen und Bürger bei. Deshalb fordern wir die Bundesregierung dringend auf, die Regeln für die Anerkennung von Gemeinnützigkeit zu überarbeiten und hier entsprechend zu handeln. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen allen ein schönes Weihnachtsfest. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frank Junge ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Frank Junge (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorausschicken, dass wohl nichts die Werte unserer Gesellschaft besser verkörpert als das gemeinnützige und ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement der Millionen Menschen in unserem Land. Dafür muss man an dieser Stelle zunächst einmal Danke sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieses Engagement stellt die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in allen Bereichen der Gesellschaft sicher. Das stärkt die Demokratie. Das erwirtschaftet einen messbaren, milliardenschweren Nutzen für die Allgemeinheit. Ich halte es deshalb für richtig, gut und wichtig, dass wir heute über das übergeordnete Thema Gemeinnützigkeitsrecht sprechen. Ich will es in zwei Punkten etwas näher beleuchten. Erstens. Bei dem jüngsten Fall Attac, der sich auch in einem Gerichtsurteil niedergeschlagen hat, geht es darum, dass es bei der Aberkennung der Gemeinnützigkeit einen Interpretationsspielraum des Finanzamtes Frankfurt gab, der im folgenden Verfahren vom Finanzgericht in Kassel einkassiert wurde. Insofern wurde dort Recht gesprochen, und zwar zugunsten von Attac. Das ist so in Ordnung. Mit dem Urteil bin ich sehr zufrieden, weil es nach meinem Dafürhalten zeigt, dass sich Attac korrekt verhalten hat. Wir wollen, dass sich gemeinnützige Organisationen politisch engagieren. Anders könnten sie ihre Satzungszwecke nicht wirksam verfolgen. Klar ist aber auch, dass das politische Handeln gemeinnütziger Organisationen kein Selbstzweck sein kann. Es muss als Mittel zum Erreichen eines anerkannten gemeinnützigen Zwecks erfolgen. Allgemeines politisches Handeln ist hingegen kein anerkannter gemeinnütziger Zweck. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]) Es ist Aufgabe der Parteien, die dem Parteiengesetz unterliegen. Eine klare Abgrenzung zwischen der zweckbestimmten politischen Partizipation, die gemeinnützig sein kann, und dem legitimierten Wirkungskreis von Parteien halte ich daher für zwingend notwendig und richtig. (Beifall bei der SPD) Darum ist das Urteil zu Attac in meinen Augen auch eine Bestätigung, dass unsere Regelungen im Gemeinnützigkeitsrecht gut und geeignet sind, die politische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger prinzipiell zu fördern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich Menschen schon freiwillig und selbstlos in gemeinnützig tätige Organisationen einbringen und unserer Demokratie und der Gesellschaft so einen unschätzbaren Nutzen erweisen, dann muss es unsere Aufgabe als Parlamentarier sein, die Rahmenbedingungen dafür so unkompliziert wie nur eben möglich zu gestalten. Unter diesem Gesichtspunkt halte ich den vorhandenen Zweckkatalog der Abgabenordnung in der Tat für schon lange nicht mehr zeitgemäß. Ihn müssen wir uns vornehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum einen müssen wir weitere und klug abgewogene Zweckbestimmungen aufnehmen. Denn es kann zum Beispiel nicht sein – da komme ich auf Ihr Beispiel zurück, Frau Jelpke –, dass sich Einrichtungen, die sich für die Rechte von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen einsetzen, andere in der Abgabenordnung gelistete Zwecke zu eigen machen müssen, weil sie für sich selbst nichts finden. Zum anderen müssen wir vorhandene Zweckbestimmungen einfach klarer und präziser formulieren, damit der Interpretationsspielraum für Finanzämter eingeschränkt wird und es über diesen Weg zu mehr Rechtssicherheit kommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns fraktionsübergreifend in Kürze annehmen; denn ich bin der festen Überzeugung, dass eine unter diesen Gesichtspunkten angepasste Abgabenordnung noch viel mehr Bürgerinnen und Bürger motiviert, sich für das Allgemeinwohl zu engagieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Frank Steffel. Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die 34 Fragen von Bündnis 90/Die Grünen gelesen und am Anfang gar nicht verstanden, worum es Ihnen eigentlich geht. Der wesentliche Teil der Fragen beschäftigt sich mit ziemlich pauschalen Verdächtigungen dahin gehend, dass es irgendeine Einflussnahme von Unternehmen oder von Bürgerinnen und Bürgern gibt, indem sie vermeintlich gemeinnützigen Organisationen Geld zur Verfügung stellen und damit offenkundig parteipolitisch missbräuchlich Ziele verfolgen. Das haben Sie hier jetzt nicht zum Mittelpunkt gemacht, aber zumindest erschließt sich nun für mich, worum es Ihnen im Wesentlichen geht. Sie wollen, dass alle politischen Vorfeldorganisationen, egal welches Ziel sie verfolgen, in Deutschland relativ pauschal die Gemeinnützigkeit zugesprochen bekommen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) Ich glaube, das kann nicht unser gemeinsames Ziel sein. Es ist so, dass sehr viele NGOs und sehr viele Organisationen im vorpolitischen und im gesellschaftlichen Raum in der Tat gemeinnütziges Engagement zeigen und sich auch für das Wohl des Gemeinwesens einsetzen, aber das kann nicht pauschal für jede Organisation gelten. Insofern bin ich dem Kollegen von den Sozialdemokraten sehr dankbar. Auch wir sind der Auffassung, dass wir uns die Abgabenordnung anschauen müssen, dass wir schauen müssen, ob da alles noch zeitgemäß ist. Das ist übrigens ein permanenter Prozess, da die Gesellschaft sich ja auch sehr dynamisch entwickelt. Aber ich will genauso klar sagen, liebe Frau Paus: Es ist nicht jede NGO, die sich politisch engagiert, nur weil sie eine Vorfeldorganisation der Grünen ist, gleich gemeinnützig. Hier muss von den Finanzämtern sehr genau hingeguckt werden. Wenn die Finanzämter eine Entscheidung treffen – und ich freue mich darüber, dass das in Deutschland offenkundig funktioniert –, dann ist es in einem Rechtsstaat normal, dass ein Gericht diese Entscheidung überprüft und in vielen, vielen Fällen dem Finanzamt sagt: Nein, ihr seid über das Ziel hinausgeschossen. – Das ist im Fall Attac und in vielen anderen Fällen so geschehen. Insofern können wir positiv feststellen: Unser Rechtsstaat funktioniert. (Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben viele Themen, um die wir uns kümmern müssen. Ich glaube, dass gerade in der Weihnachtszeit – mein Kollege von Stetten hat darauf hingewiesen – bürgerschaftliches Engagement und gemeinnütziges Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, aber natürlich auch von Organisationen und Unternehmen erwünscht sind. Ich sehe hier überhaupt keinen gesellschaftlichen Dissens darüber, dass auch Unternehmen sich bekennen und dass auch Unternehmen sich engagieren. Sie haben in einem Großteil Ihrer Fragen ja eine sehr kritische Position eingenommen. Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie deutlich gemacht hat, dass Gesicht-Zeigen und Sich-Bekennen in einem Gemeinwesen dazu gehören und dass es für die Parteien gut ist, wenn wir wissen, dass Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen sich in der Öffentlichkeit mit ihrer Meinung klar und vernehmbar artikulieren. Ich glaube, es ist zu dem Thema im Plenarsaal heute alles gesagt. Ich bin in der Tat der Auffassung, wir sollten uns im Finanzausschuss mit dem Thema noch einmal beschäftigen. Wir sollten noch einmal schauen, wo hier nachzujustieren ist, aber ich mache einen Vorschlag: Sie ersparen uns in Zukunft Anfragen mit 34 Fragen und diversen Unterpunkten, ich erspare Ihnen meine letzten zwei Minuten Redezeit. Wir haben dann gemeinsam heute etwas früher Feierabend und hoffentlich eine schöne Weihnachtszeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerne! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir einigen uns auf die zweite Hälfte!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin ist die Kollegin Svenja Stadler für die SPD. (Beifall bei der SPD) Svenja Stadler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich spreche heute zu Ihnen als engagementpolitische Sprecherin meiner Fraktion. (Zuruf von der CDU/CSU: Wow, so etwas gibt es?) – Wow, ja, bei der SPD schon; (Zuruf von der CDU/CSU: Klasse!) denn wir schätzen das Ehrenamt wert. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In meinem Wahlkreis gibt es unter anderem zwei soziale Kaufhäuser in zwei verschiedenen Orten. Beide haben denselben Träger, und beide haben dasselbe Profil und dasselbe Ziel, nämlich sie wollen bedürftigen Menschen die Möglichkeit geben, für wenig Geld etwas mehr als nur das Allernotwendigste zu kaufen. Doch eines unterscheidet die beiden Häuser: Für sie sind unterschiedliche Finanzämter zuständig. So kommt es, dass das eine alle drei Jahre um die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit fürchten muss. Bisher ist alles gut gegangen, doch wenn ich einmal über meinen Wahlkreis hinausschaue, dann sehe ich, dass das nicht überall der Fall ist. Deshalb müssen wir die Regeln für Gemeinnützigkeit in unserem Land dringend verbessern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bürgerschaftliches Engagement ist ein Grundpfeiler für eine moderne und demokratische Gesellschaft. Diejenigen, die sich freiwillig, unentgeltlich und uneigennützig für andere Menschen einsetzen, stärken unsere Demokratie besonders. (Beifall bei der SPD) Unsere demokratische Gesellschaft braucht sie, um die nötige Widerstandsfähigkeit zu entwickeln – gegen Ausgrenzung, Egoismus und Menschenfeindlichkeit, und ich werde nicht müde, das in diesem Hause immer wieder zu betonen. Doch wir müssen mehr tun, als das nur zu betonen und zu wiederholen. Wir müssen den engagierten Bürgerinnen und Bürgern die Rahmenbedingungen bieten, die sie brauchen. Dazu gehört an allererster Stelle Planungssicherheit. Um das zu erreichen, müssen wir beispielsweise dafür sorgen, dass die Zuständigkeit der einzelnen Finanzämter nicht mehr zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Auslegungen von Gemeinnützigkeit führt; (Beifall bei der SPD) denn eine Situation wie die der beschriebenen Sozialkaufhäuser in meinem Wahlkreis ist Gift für bürgerschaftliches Engagement. Sie führt zu Unsicherheit unter den Engagierten und zu Unverständnis gegenüber der Ungleichbehandlung. Im schlimmsten Fall führen Frustration und das Ohnmachtsgefühl zum Ende des Engagements. Wollen wir das? (Willi Brase [SPD]: Nein, wollen wir nicht!) Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, können nicht ohne die aktive Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen bewältigt werden. Das Gemeinnützigkeits- und Vereinsrecht muss Beteiligung ermöglichen und fördern und darf ihr keine Steine in den Weg legen. (Beifall bei der SPD) Deshalb unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts, (Beifall bei der SPD) eine Modernisierung, die den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre und Jahrzehnte auch im Steuerrecht widerspiegelt; eine Modernisierung, die anerkennt, dass Zivilgesellschaft heute mehr ist als das „Ehrenamt“ von früher; eine Modernisierung, die zur Entbürokratisierung beiträgt. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer anpackt, will auch mitbestimmen. Engagement ist mehr als nur die karitative Wohlfahrtspflege. Es ist längst Ausdruck eines aktiven Mitgestaltungsanspruchs der Zivilgesellschaft, einer Zivilgesellschaft, die aktiv zur politischen Willensbildung beiträgt, unsere Demokratie bereichert, gestaltet und stärkt. Das bürgerschaftliche Engagement befindet sich im Wandel. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Regeln, denen es unterliegt, mit diesem Wandel Schritt halten können. Reden wir nicht nur, packen wir es endlich an! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, ich hoffe, dass ich durch die Zugabe der Redezeit die Störung wiedergutgemacht habe, für die ich mich entschuldigen möchte. Zu beschließen haben wir jetzt nichts, sodass wir mit den im Protokoll festgehaltenen Reden diesen Tagesordnungspunkt für heute beenden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) Drucksache 18/10500 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch das scheint unstreitig. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Jens Spahn. Jens Spahn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausbau und die Verstetigung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen sind der Bundesregierung ein großes Anliegen, wie wir schon in den vergangenen Haushalten gezeigt haben. Das ist ein Schwerpunkt unserer Haushaltspolitik, und das drückt auch dieser Nachtragshaushalt für 2016 aus, den wir heute in erster Lesung beraten. Wir haben im Jahr 2016 bereits 31,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Straße, die Schiene, den Breitbandausbau und viele andere Dinge vorgesehen. Es gibt sogar so viel zusätzliches Geld, dass wir feststellen müssen, dass nicht das fehlende Geld der Engpass ist, wenn es darum geht, Bundesinfrastrukturprojekte voranzubringen, sondern dass die Planungsprozesse den eigentlichen Engpass darstellen. An dieser Stelle – das ist aber eine andere Debatte – müssen wir darüber reden, wie wir die Planung für Infrastrukturinvestitionen in Deutschland gestalten können. Zu diesen 31,5 Milliarden Euro, die schon für 2016 geplant waren, werden jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro zusätzlich mit diesem Nachtragshaushalt für Investitionen bereitgestellt. Das ist eine Steigerung von deutlich mehr als 10 Prozent und ist damit noch einmal ein deutliches Zeichen dafür, dass diese Koalition einen Schwerpunkt auf öffentliche Infrastrukturinvestitionen legt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Neue, das wir hier möglich machen wollen – dazu brauchen wir noch die Begleitgesetze; wir schaffen hiermit die haushaltsrechtliche Grundlage, aber es braucht noch grundgesetzliche und andere gesetzliche Änderungen –, betrifft Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur. Mit diesen 3,5 Milliarden Euro stellen wir als Bund zusätzlich zu den bereits vorhandenen 3,5 Milliarden Euro im kommunalen Investitionsförderungsfonds also insgesamt 7 Milliarden Euro für Investitionen in den Kommunen zur Verfügung. Auch das ist einmal mehr ein deutliches Zeichen – im Übrigen zusätzlich zu vielen Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten beschlossen haben – dafür, wie stark sich der Bund bei der Unterstützung der Kommunen, der Städte und Gemeinden engagiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das, wofür wir hier die haushaltsrechtliche Grundlage schaffen und die 3,5 Milliarden Euro bereitstellen, nämlich für stärkere Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur, ist Bestandteil des Bund-Länder-Kompromisses, der die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern betrifft. Natürlich kann man – das werden wir in den nächsten Monaten so miteinander tun, wie wir es in den letzten Monaten schon gemacht haben – trefflich darüber streiten, wie dieses Zusammenspiel von Bund und Ländern im Föderalismus geordnet sein soll, bei wem welche Kompetenzen liegen und welche Entscheidungen bei Kompetenzverschiebungen tatsächlich welche langfristigen Folgen haben werden. Das ist sicherlich ein Punkt, bei dem es zur Frage der Bildungsfinanzierung etwas zu debattieren gibt. An einer Stelle aber gibt es, glaube ich, keine Debatte: Der Bedarf ist objektiv da, was Investitionen in Schulen und in die Bildungsinfrastruktur vor Ort angeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Roland Claus [DIE LINKE]: Da hat er recht!) Ich jedenfalls kenne viele Eltern, hier in Berlin und anderen Städten, die sich schon die Frage stellen, warum manchmal mit viel medialer Aufmerksamkeit über geschlechterneutrale Toiletten diskutiert wird, während sie erleben müssen, dass ihren eigenen Kindern nur ziemlich desolate Schultoiletten zur Verfügung stehen. Die Folge ist, dass sich die Kinder mitunter gar nicht trauen, auf diese Toiletten zu gehen, und sie gar nicht mehr benutzen mögen. Der Zustand der Toiletten oder der Schulbauten insgesamt ist mitunter unhaltbar. Deswegen ist es gut, dass wir mit dem, was wir hier vorhaben, einen Schwerpunkt setzen. Der Bedarf jedenfalls für mehr Investitionen in Schulen und in die Bildungsinfrastruktur – jenseits aller kompetenzrechtlichen Fragen – ist vorhanden. Das bringt mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend zu der grundsätzlichen Bemerkung, dass wir – auch das ist eigentlich etwas Besonderes, wenn Sie sich anschauen, was in anderen Ländern in Europa und der Welt los ist, was die haushaltsrechtliche Ausgangslage angeht – im Jahr 2016 einen Spielraum haben, den wir nutzen können, nicht zuletzt, weil wir für unsere Schulden weniger Zinsen zahlen müssen. Wir können uns, ohne uns neu zu verschulden, 3,5 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen leisten. Wir zeigen also: Ein ausgeglichener Haushalt und zugleich Wachstumsimpulse – das ist möglich. Das zeigen wir auch mit diesem Nachtrag. Wir zeigen einmal mehr einen ausgeglichenen Haushalt. Das heißt am Ende: Wir lassen Spielraum für künftige Generationen. Ein ausgeglichener Haushalt ist möglich, und gleichzeitig kann man zusätzliche Investitionsimpulse, die im Übrigen ja auch künftigen Generationen dienen, setzen. Wir zeigen, nicht nur für Deutschland, sondern durchaus auch für andere Länder, dass beides zusammen geht. Auch das ist ein wichtiges Signal, das dieser Nachtragshaushalt sendet. In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue ich mich auf spannende parlamentarische Beratungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dann wollen wir mal gucken, ob die Spannung gleich in dieser Debatte ausbricht. (Heiterkeit) Der Erste, der das vorführen könnte, ist der Kollege Claus für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Angesichts der vorweihnachtlichen Stimmung, die im Plenarsaal Einzug gehalten hat, möchte ich Ihnen ganz besonders herzlich für Ihre Rede und überhaupt für Ihren Beitrag zum Gelingen des allfraktionellen Adventssingens am heutigen Abend im Deutschen Bundestag danken. Auch so etwas geht im Parlament. (Beifall) Als dieser Nachtragshaushalt von Bundesminister Schäuble zum ersten Mal angekündigt wurde, hat die Linke das begrüßt und gesagt: Chapeau, Herr Schäuble! Gut, dass Sie mit dem Überschuss zu Frau Wanka statt wieder zu Frau von der Leyen gegangen sind. (Beifall bei der LINKEN) Übersetzt heißt das: Besser mehr Geld für Bildung als für das Militär. Aber dann haben wir festgestellt, dass wir den Bundesfinanzminister wohl zu früh gelobt haben. Zu der Erkenntnis kam Bundesminister Schäuble nämlich nicht freiwillig, wie wir inzwischen wissen, sondern offenbar auf Druck der Länderchefs. Die Begründung Ihres Gesetzentwurfes besagt: Hier wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Bund-Länder-Vereinbarung vom 14. Oktober 2016 umgesetzt werden kann. Gemeint ist die Zukunft der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Im Klartext heißt das: Ohne diese Investitionen wäre dieser Finanzpakt mit den Ländern nicht möglich gewesen. Deshalb sollte sich der Bund nicht als Weihnachtsmann darstellen, der den Kommunen die Geschenke überbringt. Richtiger wäre es an dieser Stelle, zu sagen: Wenn wir wirklich vernünftige Investitionen in Bildung und Infrastruktur wollen, dann müsste man mit dem Kooperationsverbot Schluss machen und ein zukunftsfähiges Investitionsprogramm auflegen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Allerdings ist zu begrüßen, dass mit diesem Geld Investitionen in Schulinfrastruktur für finanzschwache Kommunen getätigt werden können. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Bitte! Das ist doch was!) Ich habe das einmal zusammengerechnet: Für Ostdeutschland sind das 675 Millionen Euro. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Einen solchen Schritt zu mehr Investitionstätigkeit begrüßen wir als Linke natürlich. (Beifall bei der LINKEN) Woher kommt das Geld? Auch das findet sich im Gesetzentwurf: Der Bund zahlt weniger Zinsen für seine Schulden als geplant. Das muss nicht immer so bleiben; darauf weisen Forschungsinstitute inzwischen hin. Deshalb wird die Linke nicht müde werden, zu fordern: Schaffen Sie endlich zukunftsfähige Politik für mehr Einnahmen! Schaffen Sie Steuergerechtigkeit! Dann haben wir auch die zukunftsfähige Möglichkeit, in Bildung zu investieren. (Beifall bei der LINKEN) Es kommt zuweilen vor, dass vor allzu viel schwarzer Null die Öffentlichkeit annimmt, der Bund habe nun keine Schulden mehr. Es sind immer noch 20 Milliarden Euro, die wir für Zinsen einstellen müssen, bzw. dafür, um die Schulden zu tilgen. Auch das darf nicht vergessen werden. Abschließend will ich noch auf einen weiteren Punkt hinweisen. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es, die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin hätten am 14. Oktober einen Beschluss gefasst. Ich frage Sie: Was ist denn das für ein Beschlussorgan, das da zusammenkommt? (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das war historisch!) Gestern hat Bundesminister Schäuble in der Regierungsbefragung gesagt: Natürlich sind noch Änderungen möglich. – Das Parlament ist aber gewählt, um gesellschaftliche Gestaltung in Gesetze zu gießen. Das Parlament ist nicht gewählt, um nur die Ergebnisse von Nachtverhandlungen von Regierungschefs abzunicken. Das verlangen Sie aber von uns, und das nehmen wir so nicht hin. Das sei Ihnen einmal gesagt. (Beifall bei der LINKEN) 17 Regierungschefs sind uns lieb und teuer. Das ist klar. Dennoch haben sie nicht das Recht, den Parlamenten vorzuschreiben, was sie zu entscheiden haben. Selbstverständlich werden auch wir heute für die Überweisung stimmen. In der abschließenden Lesung werden wir uns auch für diese Investitionen aussprechen, aber dann eine getrennte Abstimmung verlangen, weil wir nicht mit der Zustimmung für die Schulinvestitionen einem Haushalt, den wir insgesamt abgelehnt haben, auf diese Weise nachträglich zustimmen wollen. Dafür ist kein Platz. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Claus hat eben erwähnt, dass er das, was diese Große Koalition macht, unterstützt und in der Sache gut findet. (Roland Claus [DIE LINKE]: Partiell!) Das hat man nicht allzu häufig. Wir sind nicht nur auf dem richtigen Weg, sondern tun auch etwas sehr Vernünftiges. (Roland Claus [DIE LINKE]: Partiell!) Wir haben durchgesetzt, dass 3,5 Milliarden Euro mehr ausgegebenen werden – der Herr Staatssekretär hat das erwähnt – für die Bildungsinfrastruktur in den Ländern. Das ist eine echte Leistung, die sich sehen lassen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das bedeutet zwar noch kein Fallen des Kooperationsverbotes – Weihnachten fällt nun einmal nicht auf Ostern –, aber es ist immerhin schon mal ein Aufbrechen. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der SPD) – Jetzt könnte der Koalitionspartner auch einmal klatschen. Also: Halten Sie sich ran! (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die wollen nicht!) Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass unser Parteivorsitzender und Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie unsere Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen das in den Verhandlungen durchgesetzt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist ein wesentlicher Punkt guter sozialdemokratischer Politik. Im Ergebnis soll mit diesem Nachtragshaushalt erst der Anfang gemacht werden. Wir wollen Schulsanierungen in den Städten und Stadtteilen, wo es am schwierigsten ist, wo am wenigsten Geld vorhanden ist. Wenn das das Ziel ist, dann muss später auch das Ergebnis entsprechend sein. Ich habe mich sehr gefreut, dass Staatssekretär Spahn das genauso sieht. Ich bin mir sicher, dass wir das dank seiner Unterstützung und nach den salbungsvollen Worten, die er uns hat angedeihen lassen, umsetzen können. Für uns als SPD ist wichtig, dass bis 2021 die Schulen in ganz Deutschland saniert und modernisiert sind und dass es ein verlässliches Ganztagsangebot gibt. (Beifall bei der SPD) Wenn der Bund die Länder dabei unterstützen kann, dann ist das richtig, wichtig und gut. Gleichzeitig findet das Ganze – das hat der Kollege Claus zu Recht angemerkt – in einem größeren Rahmen statt. Die Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen haben begonnen. Wir werden uns noch über Infrastrukturgesellschaften für Autobahnen und vieles andere unterhalten. Aber eines muss an dieser Stelle gesagt werden: Wenn die Länder etwas mit 16 : 0 beschließen und das mit dem Bund, also mit der Bundesregierung, vereinbaren, dann ist das schön, hat aber erst einmal keinerlei Wert. Das ist ein Muster ohne Wert. Da hat die Exekutive aus den Ländern mit der Exekutiven auf Bundesebene eine Absprache getroffen; das ist schön. Aber mit der Absprache kommen sie nur so weit, wie wir im Deutschen Bundestag unsere Beschlussfassung darauf abstellen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass für uns alle immer noch das Struck’sche Gesetz gilt: Kein Gesetz verlässt den Deutschen Bundestag so, wie es in den Deutschen Bundestag hineingekommen ist. Das heißt, wenn im Februar die erste Lesung stattfindet, werden wir uns das in aller Ruhe und Gelassenheit anschauen. Es wird viele Expertengespräche und Anhörungen geben. Wir werden uns dann in den kommenden Monaten in aller Ruhe und Gelassenheit sowie mit viel Zeit und Sachverstand die einzelnen Themen vornehmen und nach und nach abhandeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir Haushälter werden das in engem Schulterschluss mit den jeweiligen Fachpolitikern machen, weil das für uns alle ein wichtiges Thema ist und weil wir Weichenstellungen für die Zukunft vornehmen. Grundgesetzänderungen macht man nicht irgendwann und irgendwie. Angesichts der geforderten Mehrheiten bekommt man das nur hin, wenn man sich einig ist. Es ist gut, dass die 3,5 Milliarden Euro, über die wir reden, in dem in Rede stehenden Paket enthalten sind, und das kann dann zusammen mit den Grundgesetzänderungen aufgerufen werden. Denn das Geld fließt ja nicht, bevor nicht die entsprechenden Gesetzesänderungen gekommen sind. Wir werden über das Gesamtpaket im Parlament diskutieren. Ich hoffe, dass wir alle die Zeit und die Ruhe haben, darüber gründlich zu diskutieren; denn wir werden später zur Verantwortung gezogen, wenn hier etwas auf die Beine gestellt wird, was nicht vernünftig und sinnvoll ist. Mir ist wichtig, dass die Große Koalition das gelassen, entspannt und mit viel inhaltlicher Vorbereitung angeht. Ich würde mich freuen, wenn sich die Opposition konstruktiv beteiligen würde. Dann könnten wir vielleicht auch vieles gemeinsam beschließen. Ich freue mich schon darauf, mit dem Kollegen Eckhardt Rehberg im engen Schulterschluss dieses zu beschließen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor der Kollege Rehberg das nun ausdrücklich bestätigen kann, hat der Kollege Sven-Christian Kindler die Gelegenheit, den Weihnachtsfrieden zu stören. Bitte schön, Herr Kollege. (Heiterkeit – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das wird er ja nicht wagen!) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie müssen nach meiner Rede bewerten, ob das eingetreten ist. Ich will mit etwas Positivem anfangen. Auch wir finden es gut, dass jetzt 3,5 Milliarden Euro für marode Schulen zur Verfügung gestellt werden. Wir unterstützen auch den kommunalen Investitionsfonds und den Finanzschlüssel, den es für die Kommunen in dieser Hinsicht gibt. Von daher begrüßen wir das. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist schon mal eine gute Rede! – Johannes Kahrs [SPD]: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung!) – Bringen wir uns einmal positiv ein. Ich hoffe, die SPD wird auch weiterhin bei meiner Rede klatschen. Man muss trotzdem ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Es war nicht die Bundesregierung, die in den Haushaltsberatungen 3,5 Milliarden Euro für marode Schulen vorgesehen hat. Wir haben das beantragt. In den Haushaltsberatungen hat die Bundesregierung noch abgelehnt, mehr für marode Schulen zur Verfügung zu stellen. Es waren nachher die Bundesländer mit ganz vielen Regierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, die in den Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen dafür gesorgt haben, dass dieses Geld jetzt fließen wird. Das begrüßen wir. Das möchte ich deutlich feststellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Welche Grünen? Die baden-württembergischen, die hessischen, die bayerischen?) Man muss auch noch einmal darstellen – auch das wurde schon gesagt –, dass das KfW-Kommunalpanel festgestellt hat, dass der Investitionsstau in den Kommunen in der Größenordnung von circa 34 Millionen Euro liegt. Da sagen wir auch klar: 3,5 Milliarden Euro können und dürfen nur der Anfang sein. Wir brauchen deutlich mehr, um bröckelnde und marode Schulen in Deutschland zu sanieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung das eigentlich nicht viel früher gemacht? Das liegt auch daran, dass gerade der Unionsteil der Bundesregierung, insbesondere Herr Schäuble, lange geleugnet hat, dass es überhaupt ein Investitionsdefizit in Deutschland gibt. Auf der Grundlage einer mangelhaften Analyse kann man aber auch keine gute Investitionsstrategie aufbauen. Wenn man sich den Haushalt anschaut, dann sieht man, dass Investitionen gesteigert wurden. Wenn es aber mehr Geld gab, war dies eher dem Prinzip Zufall zu verdanken. Wenn es niedrige Zinsen und hohe Steuereinnahmen gab, wurden Investitionsprogramme aufgelegt. Aber wenn man sich den Finanzplan anschaut, stellt man fest, dass das nicht nachhaltig und dauerhaft ist. Die Investitionsquote stürzt bis 2020 auf 8,8 Prozent ab. Wir sagen: Wir müssen dauerhaft mehr in Deutschland investieren, wir müssen eine dauerhafte und sinnvolle Investitionsstrategie für Deutschland entwickeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Investitionspolitik nach Kassenlage ist auch problematisch für die Kommunen. Wir sehen, dass die Investitionsprogramme sehr kurzfristig aufgelegt wurden, ohne Plan, ohne Strategie. Gerade für finanzschwache Kommunen ist das ein Problem, weil die eben nicht die Planungen zum Beispiel für Schulsanierungen in der Schublade haben. Um das einmal konkret zu machen: Eine komplette Schulsanierung inklusive Planung braucht bis zu fünf Jahre. Gerade finanzschwache Kommunen haben häufig nicht die Ressourcen und haben nicht die Pläne in der Schublade, um die Sanierung sofort umzusetzen. Deswegen fordern wir Sie auf: Hören Sie auf mit dieser Zickzackinvestitionspolitik. Wir brauchen eine dauerhafte und verlässliche Investitionspolitik für unsere Kommunen in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE]) Grundlegende Probleme werden mit dem Bund-Länder-Finanzkompromiss leider auch nicht angegangen. Lösungen wurden von der Bundesregierung nicht in die Verhandlungen eingebracht. Wenn wir uns strukturschwache Kommunen in Deutschland anschauen, dann sehen wir, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft. (Johannes Kahrs [SPD]: Der baden-württembergische Ministerpräsident war der größte Blockierer!) – Ich sage gleich etwas dazu, Kollege Kahrs. Nicht so aufregen! Wenn man sich anschaut, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland weiter aufgeht, die Kommunen einen Investitionsstau von 136 Milliarden Euro haben, und wenn wir sehen, dass es Kassenkredite von 50 Milliarden Euro gibt und die Soziallasten der Kommunen immer größer werden, dann sehen wir ein, dass wir strukturelle Lösungen brauchen. Wir haben vorgeschlagen, dass der Soli nicht abgeschafft wird, wie die Unionsfraktion das plant, sondern dass es eine Altschuldenhilfe für überschuldete Kommunen gibt, man den Soli erhält, neu begründet und ausrichtet und damit finanzschwache Kommunen unterstützt. Wir brauchen strukturelle und dauerhafte Lösungen, um finanzschwache Kommunen zu unterstützen. Das ist wichtig für die Kommunen und für unsere Demokratie in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Warum sind die Grünen dann dagegen?) Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wichtig ist, dass man das Kooperationsverbot endlich fallen lässt. Es ist völlig klar, dass wir mehr Bildungsinfrastruktur in Deutschland brauchen. (Johannes Kahrs [SPD]: Aber warum sind die Grünen denn dagegen?) Wir brauchen ein Kooperationsgebot, eine Abschaffung des Kooperationsverbots in Deutschland. (Johannes Kahrs [SPD]: Aber die Grünen sind doch dagegen in Baden-Württemberg!) – Ich sage Ihnen auch gerne etwas zu Baden-Württemberg und zu Herrn Kretschmann. Herr Kretschmann sperrt sich nicht dagegen, dass es mehr Geld für die Kommunen in Deutschland gibt, um das einmal klarzustellen. (Zuruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]) – Ich würde etwas ruhig sein, liebe Union und liebe SPD. – Es gibt Konflikte in allen Parteien über das Thema Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern. Ich will noch einmal daran erinnern, wer das Kooperationsverbot in die Verfassung geschrieben hat. (Johannes Kahrs [SPD]: Entschuldigung, die Grünen haben sich doch geweigert! Warum wollen Sie es denn nicht ändern?) Das waren nicht die Grünen. Kollege Kahrs, wer hat das Kooperationsverbot in die Verfassung geschrieben? Das waren die SPD-Bundestagsfraktion und die Unionsbundestagsfraktion. Ich würde lieber einmal ein bisschen Demut zeigen. Für das Kooperationsverbot in Deutschland ist die Große Koalition verantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Aber warum wollt ihr das denn nicht ändern? Ihr blockiert das doch!) – Wir wollen das ändern; ihr habt es eingeführt. Ehrlich gesagt, wünsche ich mir, dass die SPD mit uns an einem Strang zieht und hier keine billige Parteipolemik austrägt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Aber warum ist Kretschmann dagegen, dass die Länder und Kommunen Geld bekommen?) Ich finde, in dieser Frage muss sie vom hohen Ross herunterkommen. Durch die Große Koalition wurde mit dem Haushalt nicht das Problem strukturschwacher Kommunen gelöst. Es gibt keine gute Investitionsstrategie. Die Investitionen stürzen bis 2020 ab. Ich würde dazu raten, an der Lösung dieser Probleme zu arbeiten, liebe Große Koalition. Das wäre besser, als hier polemische Reden zu halten, Kollege Kahrs. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Die Grünen waren doch dagegen, dass Geld in die Kommunen kommt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kindler, da Sie mich ohne Not ausdrücklich zu einer Bewertung aufgefordert haben: Es fing weihnachtlicher an, als es geendet hat, (Heiterkeit und Beifall) was aber verfassungsrechtlich ausdrücklich zulässig ist. Jetzt ist der Kollege Rehberg an der Reihe. (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt schwebt der Weihnachtsengel ein!) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit, Kollege Claus, hier kein falscher Eindruck entsteht: Bei der Abstimmung im Bundestag in einigen Wochen wird es nicht heißen: „Das Gesetz ist in der Fassung der MPK-Beschlüsse angenommen“, sondern: „Das Gesetz ist in der Ausschussfassung angenommen.“ (Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!) Vorweg wird es gründliche Beratungen geben müssen – da stimme ich Johannes Kahrs voll zu –, weil sich gerade bei diesem Thema viele Fragen stellen: Was sind finanzschwache Kommunen? Wie ist die entsprechende Legaldefinition? Schauen Sie sich einmal die Protokollerklärung der drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen zu diesem Thema an. Diese drei Länder haben deutlich gemacht, dass Kassenkredite bei Stadtstaaten nicht vorkommen. Oder schauen Sie sich einmal die Protokollerklärung des Landes Thüringen an, formuliert in Abstimmung von Linken, SPD und Grünen. In dieser Erklärung wird – aus meiner Sicht: zu Recht – hinterfragt, ob Kassenkredite Merkmal finanzschwacher Kommunen sind. Drei Viertel der Kassenkredite in Deutschland lasten auf drei Ländern: Nordrhein-Westfalen hat 48 Prozent dieser Kredite, Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen 27 Prozent, macht insgesamt 75 Prozent. Was die Kommunalaufsicht in den einzelnen Ländern, auch in meinem Heimatland, angeht, handelt jeder Innenminister nicht zwingend nach Parteibuch, sondern nach eigenem Ego und Gustus; alle handeln also ein Stück weit anders. Sind nicht vielleicht die Steuerkraft, die Zahl der Arbeitslosen, die Höhe der Sozialausgaben, der Kosten der Unterkunft Merkmale finanzschwacher Kommunen? Wir müssen auch in Ruhe betrachten: Wir verteilen nur die 3,5 Milliarden Euro. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Auf die Länder!) An wen dieses Geld in den Ländern geht, das entscheiden die Länder. Die Länder definieren ganz unterschiedlich, was bei ihnen als finanzschwach gilt. Schaut euch einmal die Bewilligung des ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paketes an! Die darin enthaltenen Mittel sind nicht zwingend immer nur an finanzschwache Kommunen gegangen. Es gibt große Städte, die hohe Kosten der Unterkunft haben, aber auch hohe Gewerbesteuereinnahmen. Meine Sorge ist: Als das erste 3,5-Milliarden-Euro-Paket geschnürt wurde, wurde beschlossen, den Verteilungsschlüssel einmalig anzuwenden. Jetzt aber wird eine Brücke geschlagen: Artikel 104c Grundgesetz soll geändert werden, einhergehend mit der Verabschiedung eines Begleitgesetzes, sodass es zu einer Legaldefinition kommt, was finanzschwache Kommunen sind, was weiter gehende Auswirkungen hat. Insofern müssen wir uns unabhängig von Wahlterminen und Länderinteressen sehr gründlich anschauen, was wir an dieser Stelle machen; denn das hat Langzeitwirkung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, Kollege Kindler. Nötig sind Investitionen in Höhe von 136 Milliarden Euro. Ein Kollege von Ihnen hat gestern gesagt, es gebe bei Schulen einen Sanierungsstau in Höhe von 34 Milliarden Euro. Das Entlastungsvolumen der letzten sieben Jahre bei Ländern und Kommunen betrug 95 Milliarden Euro. Das diente der Finanzierung von Grundsicherung im Alter, BAföG usw. usf. Die Steuermehreinnahmen der Länder sind in den letzten Jahren höher als die des Bundes gewesen. Länder und Kommunen gemeinsam haben von 2010 bis 2016 Steuermehreinnahmen von 95 Milliarden Euro gehabt. Ich glaube, wir dürfen die Länder und Kommunen hier nicht ganz aus der Pflicht lassen. Es ist nämlich die Frage zu stellen: Was machen die mit ihren Steuermehreinnahmen? Allein das Entlastungspaket, das wir vor einigen Wochen beschlossen haben – Stichwort „Übernahme Asylkosten“ und 5Milliarden-Euro-Paket –, bedeutet 17 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre. Deswegen ist es schon berechtigt, immer wieder kritisch zu hinterfragen: Was passiert mit dem Geld, das der Bund an die Länder weiterreicht? Ich will manchen Kolleginnen und Kollegen hier einmal einen Zahn ziehen: Wer meint, dass die Umsatzsteuer der Gemeinden eins zu eins an die Kommunen geht, der irrt sich. Diese Umsatzsteuer fließt in die kommunalen Finanzausgleichssysteme. Gucken Sie sich einmal die Verbundquoten oder Gleichmäßigkeitsgrundsätze an: Da gehen teilweise über 80 Prozent in den Landeshaushalt. Das heißt, wer meint, 1 Euro der Umsatzsteuer der Gemeinden ginge komplett an die Gemeinden, liegt falsch; da kommen höchstens 20 Cent an. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das sieht Herr Liebing anders!) – Lieber Herr Rossmann, Herr Liebing sieht das überhaupt nicht anders. Ich rate jedem in unserer Debatte: Wir helfen finanzschwachen Kommunen; deswegen müssen wir gründlich beraten. Denn das, was wir heute tun, wird Langzeitwirkung haben. Wenn die Verteilsysteme einmal festgelegt sind, wird man später nicht mehr sehr dezidiert daran herangehen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen an einer Stelle aufpassen: Gucken Sie sich einmal an, was die Länder bei dem ersten 3,5Milliarden-Euro-Paket, wodurch die energetische Sanierung von Kindertagesstätten, Schulen und Berufsschulen ermöglicht wurde, gemacht haben. Ich muss Ihnen sagen: Ein Abfluss von gerade einmal 60 Prozent ist eine Katastrophe, und dieses Programm läuft schon seit über einem Jahr. Und wenn Sie sich einmal die Sektorenaufstellung angucken, sehen Sie, dass das allerwenigste in kommunale Bildungsinfrastruktur geflossen ist, obwohl es dahin hätte fließen können. Und zu dem Vorwurf, dass die Planungen lange dauern: Ja, die Planungen dauern lange, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber wenn die Not seit Jahren so groß ist, dann muss man doch die Frage stellen, warum man nicht vorausschauend geplant hat, gerade mit Blick auf unsere Schülerinnen und Schüler, unsere Kinder und Jugendlichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Frage muss man hier schon deutlich stellen. Ich stimme Johannes Kahrs vollkommen zu: Hier gilt das Struck’sche Gesetz. Wir müssen den Gesetzentwurf gründlich beraten. Das ist eines der entscheidenden Vorhaben in dieser Legislaturperiode mit Langzeitwirkung im föderalen Gefüge zwischen Bund, Ländern und Kommunen. – Lieber Kollege Kindler, der Bund ist in den letzten Jahren weit über das hinausgegangen, für das er nach dem Grundgesetz verantwortlich war. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gerne auf das zurückkommen, womit Staatssekretär Spahn eingeleitet hat: die bildungspolitische Betrachtung. 10 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind in Schulen in Deutschland – 33 000 allgemeinbildende Schulen, 8 000 berufsbildende Schulen –, und die Investitionen in den Erhalt und die Pflege der baulichen Substanz sind wesentlich von den Kommunen getragen worden. Die Investitionen liegen bei 2,9 Milliarden Euro jährlich, und zwar in allen Kommunen, auch den finanzschwachen. Der Bund ist jetzt bereit, die finanzschwachen Kommunen mit einer Summe von 3,5 Milliarden Euro über dreieinhalb Jahre zu unterstützen. Das bedeutet, dass auf die 2,9 Milliarden Euro jährlich 1 Milliarde Euro für Investitionen obendrauf kommt. Das ist für die finanzschwachen Kommunen wirklich eine große Nummer. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU]) Es wird gezielt dort angesetzt, wo die Bedarfe sind. Kollege Rehberg, ja, wir haben mit dem Kommunalinvestitionsförderungsgesetz den ersten Einstieg gemacht; aber das war an die energetische Sanierung gebunden. Was wir jetzt machen, geht weiter. Das zeugt von einer guten Qualität, die über die Länder, über Minister Gabriel, über die Bundesregierung mit in die Debatte eingebracht worden ist. Die Schulen laden zu einer hohen Identifikation mit der Kommune ein. Wir wollen eben nicht, dass hier reiche Kommunen und da arme Kommunen sind und dass man dies an der Unterschiedlichkeit ihrer Schulen erkennen kann. Das ist nicht nur wichtig für die 10 Millionen Kinder und Jugendlichen, die direkt an den Schulen sind, sowie für die Eltern und Großeltern. Es ist auch wichtig für die Kommunen, dass man an den Schulen nicht mehr merkt, ob sie arm oder reich sind, ob sie mit dem letzten Cent rechnen müssen, sondern dass dort positiv gestaltet werden kann. Noch einmal: Es ist wichtig, dass es die direkten Finanzierungen gibt, mutmaßlich bis zu einen Schlüssel von 90 Prozent vom Bund und 10 Prozent von den Ländern oder Kommunen, was eine gute Unterfütterung ist. Es ist eben etwas anderes, wenn das Geld direkt dorthin fließt – auch ab einer Summe von 40 000 Euro. Ich bin sicher: Es wird dann von den Kommunen aufgegriffen werden. Es wird auch deshalb aufgegriffen werden, weil zwingende bildungspolitische Argumente dafürsprechen. Wir wissen aus lernpsychologischen Studien, dass bessere Leistungsergebnisse erzielt werden, wenn die Schulen in Ordnung sind, wenn sie modern ausgestattet sind, wenn sie eine Wertschätzung ausdrücken. Das überträgt sich. Es gibt lernpsychologische Erkenntnisse, die besagen: Da, wo die Lichtverhältnisse, die Lernverhältnisse und die räumliche Gestaltung animierend sind, sind die Leistungen noch einmal besser. Insofern ist es wichtig, dass wir uns an den Kosten beteiligen. Wir wissen aus PISA-Studien, dass es leider einen verhängnisvollen Zusammenhang von Armut, Arbeitslosigkeit und Strukturschwäche in den Kommunen gibt mit den Rückwirkungen auf die Bildungsergebnisse. Von daher spreche ich es noch einmal an: Es ist gut, dass sich diese Große Koalition an dieser Stelle nicht nach den Paragrafen, sondern nach den Bedarfen, nicht nach dem, was war, sondern nach dem, was wir für die Zukunft gewinnen wollen, richtet. Das schließt eine gewisse Veränderung in der Verfassung ein, auch wenn wir sagen: Wir wollen das Kooperationsverbot nicht vollständig lockern, aber wir wissen einen ganz gezielten Zugang, wie wir Gutes tun können für die Bildungsrepublik Deutschland mit der Perspektive, dass es mehr Bildungsgerechtigkeit gibt. (Beifall bei der SPD) Wir freuen uns, dass zumindest der Staatssekretär – bei Herrn Rehberg klang das auch durch – heute gesagt hat: Ja, da geht auch der Koalitionspartner CDU/CSU mit. – Uns als Bildungspolitiker hat diese Debatte schon etwas erschrocken gemacht. Wir erinnern uns an eine frühere Debatte zum Thema BAföG, in der der Kollege Kaufmann ein Bombardement gegen diese Regelung angestoßen hat, was wir gar nicht verstehen konnten. Es wäre viel naheliegender gewesen, zu sagen: Donnerwetter, unser Finanzminister macht 3,5 Milliarden Euro locker für die Bildung. – Beim Kollegen Kaufmann klang das so, als ob es ein ganz großer Irrweg wäre. Heute, Herr Rehberg, musste der Kollege Liebing die gleiche Nummer singen, und zwar pro Mehrwehrtsteuerverteilung, zu der Sie gerade die Gegenargumente genannt hatten. Wir begreifen es fast nur psychologisch, dass Sie irgendwie nicht mitgehen können, weil Sie das Gefühl haben: Da ist zu viel Sozialdemokratie drin. (Beifall bei der SPD) Ja, in diesen 3,5 Milliarden Euro ist Sozialdemokratie drin; aber das muss doch nicht dazu führen, dass Sie das nur verschwiemelt darstellen. Herr Spahn, es war schon gut, dass Sie sich voll dahintergestellt haben. Sie haben damit Haltung pro Bildung, pro Investition, pro kommunale Entwicklung bewiesen. Wir sagen auch: Mit der Änderung der Verfassung sind wir noch nicht am Ende; denn Ihre Bildungsministerin hat 5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um 40 000 Schulen mit digitaler Infrastruktur auszustatten. Donnerwetter, da werden wir die Verfassung noch einmal ändern müssen. Wir verstehen in dem Zusammenhang Bund-Länder-Kommunal-Zusammenarbeit nicht, weshalb Sie sich hier so schwertun. Auf die Tatsache, dass wir es zusammen geschafft haben, 125 Millionen Euro für ein Hochbegabtenförderprogramm zwischen Bund und Ländern auf den Weg zu bringen, singt auch der konservative Teil dieses Parlaments Lobeshymnen. Das ist eine neue Form der Bund-Länder-Zusammenarbeit. Singen Sie doch auch eine Lobeshymne darauf, dass wir mehr soziale Gerechtigkeit in der Bildungspolitik schaffen. (Beifall bei der SPD) Die ganze Palette besingen wir positiv. Deshalb finden wir: Schöne Weihnacht, tolle 3,5 Milliarden Euro! Daraus kann etwas werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Alois Rainer ist für die CDU/CSU-Fraktion der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein besonders schöner Abend heute: Wir beraten in erster Lesung ein weiteres Geschenk. Ob das am Ende der Tage, lieber Kollege Claus, der Weihnachtsmann, der Nikolaus oder das Christkind für die Kommunen bringt, das sei dahingestellt. Für mich bringt der Deutsche Bundestag eine weitere Voraussetzung in die gesetzliche Beratung ein, damit die Kommunen wieder einmal ein Stück entlastet werden. Lassen Sie mich einiges dazu sagen. Ich wundere mich immer mehr – es ist schön, dass ich mich in dieser Situation wundern kann –, dass der Bund, obwohl er nicht zuständig ist, für diesen Bereich immer wieder Geld ausgibt. Dafür müssen wir – da spreche ich auch als Kommunalpolitiker – immer ein Stück weit dankbar sein. Auch wenn heute über marode Schulen, marode Schultoiletten oder über anderes gesprochen worden ist, lässt sich feststellen: Die Zuständigkeit ist klar und eindeutig geregelt: Die Zuständigkeit für Schulen und für Schulinvestitionen liegt bei den Ländern und Kommunen, nicht beim Bund. Deswegen sehe ich die Entlastung als ein großes Geschenk an. Wir haben mit 3,5 Milliarden Euro begonnen und legen jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro drauf. Das wird verteilt. Als bayerischer Abgeordneter betone ich: Bayern bekommt 8 Prozent, NRW circa 32 Prozent. In Bayern sind die meisten Schulen aber auch saniert. Ich habe in der Zeit als Bürgermeister meine Schule saniert. Wir haben in unsere Zukunft investiert, nämlich in unsere Kinder. (Zuruf des Abg. René Röspel [SPD]) Das müssten viele eben viel früher tun, statt zu jammern und ständig mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, lieber Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben einen funktionierenden Föderalismus in unserem Staat. Es ist richtig und gut, dass man, wenn es einem gut geht, ein Stück abgibt. Lassen Sie uns feststellen: Von den guten Steuereinnahmen, die wir in unserem Land haben, profitiert der Bund, profitieren die Länder und profitieren auch die Kommunen. Warum haben wir diese guten Steuereinnahmen? Weil eine gute solide Finanzpolitik gemacht wird, eine gute solide Haushaltspolitik, eine gute solide Wirtschaftspolitik. Das haben wir einer Großen Koalition zu verdanken, die dies hervorragend macht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Freunde und Kollegen der Linken dies ein Stück weit anders sehen, dann wollen wir uns hier im weihnachtlichen Frieden nicht aufregen. Ich freue mich auf alle Fälle, dass der Kommunalinvestitionsförderungsfonds um 3,5 Milliarden Euro aufgestockt wird. Wir haben jetzt einige Wochen Zeit, uns in Ruhe Gedanken zu machen, wie das Geld gerecht verteilt wird. Oft müssen Nachtragshaushalte gemacht werden, weil eine Notsituation entstanden ist. Hier ist es keine Notsituation; wir sind vielmehr in einer Luxussituation. Wir haben einen Haushalt, bei dem wir uns diese zusätzlichen 3,5 Milliarden Euro leisten können, ohne neue Schulden zu machen und ohne Steuererhöhungen anzugehen. Das ist unglaublich wichtig. Ich werde nicht müde, ständig zu sagen: Wir schaffen das ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Sinne freue ich mich, dass wir heute eine Unterstützung der Kommunen angehen. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen ein gutes Gesetz auf den Weg bringen werden. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und alles Gute im neuen Jahr. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 18/10500 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 14: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Längere Lebensdauer für technische Geräte Drucksachen 18/9179, 18/10666 Die Aussprache soll 25 Minuten dauern. – Einwände sind nicht erkennbar. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Michael Thews für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Michael Thews (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Weihnachten lässt grüßen bei diesem Antrag der Linken. Zum einen geht es um die Lebensdauer von technischen Geräten und damit um die Lebensdauer von vielen Weihnachtsgeschenken, die nächste Woche unter dem Weihnachtsbaum liegen werden. Zum anderen wirkt der Antrag ein bisschen wie ein Wunschzettel mit guten, aber auch nicht so guten Wünschen. Ich unterstütze durchaus die Forderungen in dem Antrag, die zu einer verbesserten Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, mehr Transparenz und damit zu einer aufgeklärten Verbraucherentscheidung führen. Ich halte aber die Ansätze, die eher zu einer Bevormundung führen, für problematisch. Zunächst die aus unserer Sicht vernünftigen Ansätze aus dem Antrag der Linken: Insbesondere die Einführung von Verbraucherinformationen zu Ersatzteilen und zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen halten wir für einen sehr sinnvollen Schritt. Hier gibt es auch bereits Ankündigungen auf EU-Ebene, dies im Rahmen eines Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft zu prüfen. Fehlende Ersatzteile sind ein Problem gerade auch für die Betriebe, die Reparaturen durchführen. Dabei gibt es einen momentan sehr aktuellen Ansatz gegen unsere Wegwerfgesellschaft, der sich bedauerlicherweise aber nicht im Antrag der Linken findet: die Einführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Reparaturleistungen – eine Idee, die in Schweden jetzt umgesetzt werden soll. Wahrscheinlich stand jeder von uns schon einmal vor der Entscheidung, seine defekte Waschmaschine, den DVD-Player oder andere Geräte reparieren zu lassen. Stattdessen aber hat man ein neues Gerät gekauft, weil dies unwesentlich teurer oder vielleicht sogar preiswerter war. Wenn wir dieses durchaus nachvollziehbare Verbraucherverhalten ändern wollen, dann müssen wir Reparaturdienstleistungen preiswerter machen. Das führt zwar in diesem Fall zu verminderten Steuereinnahmen, fördert aber gleichzeitig die Handwerks- und Reparaturbetriebe vor Ort. Ich halte eine solche Maßnahme auch in Deutschland für national umsetzbar und für sinnvoll. Für nicht umsetzbar halte ich dagegen die Forderung der Linken, „mit technischem Sachverstand nicht begründbare Schwachstellen oder künstlich hervorgerufene – geplante – Funktionseinbußen“, also die geplante Obsoleszenz, gesetzlich zu verbieten. Das klingt so ein bisschen nach „Wünsch dir was“. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nein! Sachverstand!) Wie genau definiert sich denn überhaupt der technische Sachverstand, wer hat ihn, und wer überprüft das Ganze? Wann ist eine Schwachstelle überhaupt begründbar? Ist der Einsatz von preiswertem Material zur Kosteneinsparung schon eine nicht begründbare Schwachstelle? Wir müssen uns vor Augen halten, dass das Umweltbundesamt in seiner Studie zur Obsoleszenz keine künstlich hervorgerufenen, geplanten Funktionseinbußen, also vom Hersteller geplante Obsoleszenz, nachweisen konnte. Ich halte es ebenso für problematisch, gesetzliche Regelungen einzufordern, mit denen Mindestanforderungen an die Produzenten für die Schaffung einer längstmöglichen Haltbarkeit von Produkten gestellt werden. Die Verpflichtung zur Herstellung von langlebigen technischen Produkten würde in vielen Fällen dazu führen, dass die Produkte teurer werden. Diesen Effekt vermute ich auch bei der Einführung einer verpflichtenden Mindestnutzungszeit. Die Anforderungen, die Verbraucherinnen und Verbraucher an Geräte stellen, sind höchst unterschiedlich: Für den einen muss es der Profi-Akkuschrauber für 200 Euro sein; dem anderen reicht vielleicht ein einfacher für 40 Euro, weil er ihn eben auch nur zweimal im Jahr benutzt. Letztendlich wollen Sie dem Verbraucher die Option nehmen, sich bewusst für ein preiswertes Gerät zu entscheiden. Ärgerlich ist natürlich, wenn man ein teures, vermeintlich hochwertiges Produkt kauft und es gerade mal die Garantiezeit überlebt. Für dieses Problem gibt es aber eine verbraucherfreundliche Lösung: Wir sollten eine Informationspflicht der Hersteller fordern, also sie verpflichten, eine Angabe zur Lebensdauer ihrer Geräte zu machen. Diese Informationen – davon bin ich überzeugt – liegen dem Hersteller vor; sie prüfen ja ihre Geräte. Eine solche Reglung ist durchaus national durchsetzbar. Auch das gehört – unter dem Begriff der Herstellergarantieaussagepflicht – zu den Kernempfehlungen des Papiers „Strategien gegen Obsoleszenz“ des Umweltbundesamtes. Der Hersteller darf dabei auch den Zeitraum null angeben; aber der Käufer wird daraus seine Konsequenzen ziehen. Dieses Instrument wäre auch insofern eine Verbesserung, als es – anders als das geltende Gewährleistungsrecht – dem Verbraucher bei Nichteinhaltung der garantierten Lebensdauer einen direkten Anspruch gegen den Hersteller gibt und nicht nur gegen den Händler. Auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher geht dagegen die Forderung der Linken nach Einführung einer Ressourcenverbrauchsabgabe für Primärrohstoffe. Sie soll vom Inverkehrbringer des Produktes gezahlt werden, um die Inanspruchnahme neuer Ressourcen deutlich zu verteuern. Wir wissen aber alle, wer sie am Ende zahlt: die Verbraucherinnen und Verbraucher. Was uns der Antrag außerdem nicht verrät: Wie soll sie berechnet werden, und wer soll sie berechnen? Wie hoch muss sie denn eigentlich sein, um eine Lenkungswirkung zu entfalten? Muss man sich dann nicht auch an den Rohstoffpreisen orientieren? Was ist bei Preisschwankungen? Hier gibt es viele Unwägbarkeiten, die aus meiner Sicht eher zu Missbrauch und Wettbewerbsverzerrungen führen können, die am Ende auf den Schultern von uns allen lasten. Einige der Forderungen des Antrags sind schon deshalb an den falschen Adressaten gerichtet, weil sie nicht oder nicht allein auf nationaler Ebene, sondern nur auf europäischer Ebene geregelt werden können. Ein Ansatzpunkt ist hier die EU-Ökodesign-Richtlinie. Deshalb haben wir in unserem Antrag zu ProgRess II darauf gedrungen, dass bei der Anwendung der Ökodesign-Richtlinie künftig auch der Ressourcenverbrauch stärker berücksichtigt wird. Auch der Anwendungsbereich der Ökodesign-Richtlinie lässt sich deutlich erweitern. Das wäre aus meiner Sicht der richtige Weg. Alles in allem ist der Antrag gut gemeint, aus den vielfältigen bereits genannten Gründen aber nicht zustimmungsfähig. Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingt, einen Antrag auf den Weg zu bringen, der darauf abzielt, unsere Ressourcen zu schonen und gleichzeitig die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken. Elemente wie eine bessere Reparierbarkeit oder die Förderung einer modularen Bauweise von elektronischen Geräten – dann tausche ich die Handykamera aus und nicht gleich das ganze Handy – könnten hier enthalten sein. Nehmen wir die Ressourcenschonung wirklich ernst, zählt hierzu unbedingt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Lebensdauer von Geräten aufgeklärt werden. So entscheiden sie entsprechend ihrem eigenen Verbraucherverhalten bewusst und können gleichzeitig einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ralph Lenkert hat nun für die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein Sohn bekommt zu Weihnachten ein neues Headset; das Mikro des alten gab zwei Monate nach Ablauf der Garantie auf. Waschmaschinen, Kaffeeautomaten, Tablets und Computer gehen zu oft kurz nach Ablauf der Gewährleistungspflicht kaputt. Dann sind wir Kunden auf die Kulanz der Händler angewiesen, müssen teure Reparaturen ertragen oder kaufen entnervt neu. Manchmal stellt der Softwarelieferant einfach den Support ein und zwingt Kunden zum Neukauf, oder er entwickelt neue Software so, dass sie auf zwei Jahre alter Hardware nicht funktioniert. Verschleißteile wie Akkus oder Autolampen können nicht oder nur teuer vom Fachmann gewechselt werden. Dann kommt auch noch die Bundesregierung und verändert die Frequenzbereiche für das frei empfangbare Fernsehen. Damit wird die bisherige Technik mit einem Schlag entwertet. Entweder kaufen Sie sich einen neuen Receiver oder neue Geräte, oder Ihr Bildschirm bleibt ab dem 29. März 2017 schwarz. Mit jedem Neukauf klingelt die Kasse bei Handel und Industrie. Deshalb halten Produkte nur eine bestimmte Zeit, werden technische Veränderungen gnadenlos in den Markt gedrückt. Verlierer sind wir Kunden und die Umwelt, und das muss sich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, sechs Jahre lang war ich Entwickler und Qualitätsmanager in der Automobilzulieferindustrie, weitere sieben Jahre plante ich Fertigungsanlagen für Objektive für Beamer. Eines war immer gleich: Die Kunden, die Händler fordern niedrigste Preise. Ihnen ist es scheinbar egal, ob Löhne sinken müssen oder Rohstoffpreise steigen. Der Zulieferer ist so gezwungen, Kosten zu senken. Er setzt billigeres und weniger Material ein, klebt Gehäuse fest, statt Deckel und Dichtung zu verschrauben. Da wird getestet, wie viel Lötzinn man einsparen kann, sodass die Lötstelle die Garantiezeit gerade noch übersteht. Dazu kommen geplante Störstellen in Geräten, Obsoleszenz genannt. Manche Störstelle ist sinnvoll, zum Beispiel eine Sollbruchstelle bei Achsfedern, damit im Falle eines Federbruchs nicht der Reifen aufgeschlitzt wird. Andere Störstellen haben nur einen Zweck: Der Kunde soll endlich neu kaufen. Uns allen ist es egal, ob der Ausfall kurz nach der Garantie durch einen eingebauten Fehler oder durch übertriebene Kostenreduktion verursacht wird. Deswegen, Herr Kollege Thews, ist es Zeitverschwendung, zu versuchen, Firmen bewusste Fehler nachzuweisen. Die Linke fordert deshalb, eine längere Lebensdauer für technische Geräte gesetzlich festzulegen. Wir drehen den Spieß um: Statt auf das Wohlwollen der Hersteller und Händler, auf freiwillige Garantien und auf Kulanz zu setzen, fordern wir, dass jedes technische Gerät eine verbindliche, einklagbare Mindestnutzungsdauer haben muss: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) für Waschmaschinen und Kühlgeräte mindestens fünf Jahre, für IT-Geräte, Mobiltelefone und Unterhaltungselektronik mindestens drei Jahre. Kühlt der Kühlschrank nach vier Jahren nicht mehr, dann wird er kostenfrei repariert, oder es gibt das Geld zurück. Wir fordern, dass insbesondere IT-Technik und Elektronikgeräte reparierbar und upgradebar sein müssen. Wir fordern, dass bei der Produktion schon an späteres Recycling gedacht wird. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) All diese Forderungen helfen übrigens auch Qualitätsherstellern im Wettbewerb gegen Billiganbieter. Unsere Vorschläge für die Zeit nach der Wahl, wenn wir die Regierung übernehmen, enthalten auch einen Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für personalintensive Dienstleistungen. Das heißt, Ihre Idee, dass Reparaturen einem niedrigeren Mehrwertsteuersatz unterliegen sollten, hatten wir schon vor Jahren. Ersparen wir den Bürgerinnen und Bürgern unnötige Ersatzkäufe. Schützen wir mit gesetzlich festgelegten längeren Nutzungszeiten und geringen Rohstoffverbräuchen unsere Umwelt. Stimmen Sie diesem Antrag der Linksfraktion zu. Das wäre doch ein echtes Weihnachtsgeschenk für alle Bürgerinnen und Bürger, für unsere Jugendlichen, für unsere Kinder und für die Umwelt. Frohe Weihnachten. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute Abend einen Antrag der Linken mit dem Titel „Längere Lebensdauer für technische Geräte“. Ich gebe gerne zu: Der Titel klingt zunächst einmal gut. Aber wenn wir uns mit dem Inhalt dieses Antrages beschäftigen, dann muss ich Ihnen sagen: Der Inhalt lässt zu wünschen übrig. Unser Ziel ist doch – ich glaube, insofern besteht über die Parteigrenzen hinweg zunächst einmal durchaus Einigkeit –, die Stoffkreisläufe zu schließen. Wir wollen die Ressourceneffizienz steigern. Wir wollen, dass Abfälle möglichst vermieden werden. Wenn Abfälle entstehen, dann sollen sie wiederverwertet werden. Sie sollen zu neuen Rohstoffen werden. Darin sind wir durchaus einer Meinung. Dazu gehört auch, dass zum Beispiel technische Geräte, und zwar immer dann, wenn es Sinn macht, eine lange Lebensdauer haben sollen. Das bedeutet auch, Geräte müssen repariert werden können, wenn sie kaputt sind, Ersatzteile müssen verfügbar sein, wenn sie gebraucht werden. Gerade im Elektronikbereich sollte die Verfügbarkeit von Ersatzteilen verbessert werden. Das ist keine Frage. Genauso klar ist aber, dass dies im Rahmen der europäischen Gesetzgebung geregelt werden muss. Auf diese Ebene gehört dieses Thema. In dem Antrag wird gefordert, fest verbaute Akkus und Batterien zu verbieten. Ich erinnere: Wir hatten hier im letzten Jahr eine Debatte über das Elektrogesetz. Wir haben über genau diesen Punkt diskutiert. Es gibt ja im Elektrogesetz eine entsprechende Sollvorschrift. Aber ein darüber hinausgehendes Verbot können wir national nicht regeln. Ein nationaler Alleingang wäre binnenmarktrechtlich überhaupt nicht möglich. Es wäre ein unzulässiges Handelshemmnis. Deswegen geht Ihre Forderung, meine Damen und Herren der Linken, an dieser Stelle völlig ins Leere. (Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Dann muss man ein Freihandelsabkommen abschließen! Das ist ja fürchterlich!) Wir müssen noch etwas bedenken. Es macht nicht immer Sinn, jedes Gerät möglichst lange zu nutzen. Stattdessen kann es durchaus sinnvoll sein, dass ein bestimmtes Gerät durch ein neues ersetzt wird, wenn zum Beispiel durch das neue Gerät während der Lebensphase Energie eingespart wird oder wenn das neue Gerät einen zusätzlichen Nutzen für den Verbraucher bringt, wenn es zusätzliche Funktionen hat. Also warum sollte dann ein altes Gerät nicht durch ein neues ersetzt werden? An dieser Stelle gibt es übrigens im Antrag der Linken einen Widerspruch. Auf diesen möchte ich hinweisen. Zunächst einmal wollen Sie die längst mögliche Haltbarkeit von Geräten vorschreiben, und dann wollen Sie den Kauf von neuen, energieeffizienten Geräten für bestimmte Personengruppen fördern. Konsequent ist dies nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wo ist da der Widerspruch?) Die Linke setzt vor allem auf Staatswirtschaft. Sie fordern in Ihrem Antrag erneut Ihre Ressourcenverbrauchsabgabe für Primärrohstoffe, wie Sie es nennen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Sehr gut, ja!) Wie Sie diese Abgabe ausgestalten wollen, dazu schweigen Sie komplett. Meine Damen und Herren, diese Abgabe, die Sie einführen wollen, wirft mehr Fragen auf, als Sie Antworten dazu geben können, was die Ausgestaltung und die Umsetzung angeht. Wenn man die Sache zu Ende denkt, so muss ich sagen, ist wirklich zu befürchten, dass eine solche Abgabe vor allem eines befördern würde, nämlich ein unheimliches Maß an Bürokratie. Sie wollen eine Rekommunalisierung der Kreislaufwirtschaft; auch darüber haben wir oft debattiert. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Unbedingt!) Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Eine Rekommunalisierung der Kreislaufwirtschaft hilft weder der Umwelt noch nützt sie dem Verbraucher. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Unbedingt!) Vor allem schaffen Sie damit eben nicht die notwendige Innovation in unserem Land, die wir in diesen Bereichen dringend brauchen. Die Linke fordert in ihrem Antrag, dass Haushalte mit geringem Einkommen beim Kauf von Elektrogeräten subventioniert werden sollen. Wie wollen Sie das umsetzen? Auch dazu lese ich in Ihrem Antrag nichts. Ich bin sehr für Sozialpolitik, aber nicht mit solch undurchdachten Mitteln, die nur zu neuen Ungerechtigkeiten und Verzerrungen führen. Deswegen, wenn man alles zusammennimmt: Es gibt sehr gute Gründe, diesen heute vorliegenden Antrag abzulehnen. Konzentrieren wir uns besser darauf, die Kreislaufwirtschaft und die Ressourceneffizienz in unserem Land sinnvoll voranzubringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Thews [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für Bündnis 90/Die Grünen hat Peter Meiwald jetzt das Wort. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich die Ausführungen eben zum Schluss gehört habe, fiel mir folgende Interpretation ein: Konzentrieren wir uns lieber darauf, nichts zu machen. Das ist ja die Konsequenz dessen, was Sie gerade gesagt haben, weil bei der korrekten Problembeschreibung die Initiativen vonseiten der Koalition einfach fehlen. Deswegen ist sehr zu begrüßen, dass diesmal die Linken einen entsprechenden Antrag eingebracht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist es! Wir müssen immer alles anschieben! Von denen kommt nichts!) Kürzlich habe ich das Repair Café im Berliner Brunnenviertel besucht. Dort treffen sich Menschen, die ihren alten Staubsauger oder CD-Player eben nicht einfach wegwerfen wollen, nur weil er nicht mehr funktioniert. Im Repair Café bekommen Menschen Hilfe dabei, ihre Geräte wieder flottzumachen. Das ist eine sehr sinnvolle Initiative; es ist toll, dass es mittlerweile in Deutschland so viele dieser Repair Cafés gibt. Es zeigt, dass da ein großer Bedarf besteht. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Menschen wollen nicht mehr, dass ihre Geräte einfach ex und hopp weggeschmissen werden, nur weil beim kleinsten Defekt etwas nicht mehr reparierbar ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das heißt, wir haben da eine tolle Entwicklung, die wir fördern müssen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die werden in aller Regel nicht von CDU-Mitgliedern betrieben!) Leider machen es die Hersteller den Bastlern aber häufig schwer, ebenso den Handwerksbetrieben, die es noch gibt. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das stimmt ja wohl nicht!) Man kann sich darüber streiten, ob sie es bewusst oder fahrlässig tun. Auf jeden Fall tun sie es unnötigerweise. Es ist einfach nicht nötig, dass Geräte reparaturunfreundlich konstruiert werden, verklebt werden, verschweißt werden, vernietet werden, sodass man sie möglichst nicht reparieren kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Selbst die Profibastler vom Reparaturportal iFixit waren kürzlich offenbar nicht in der Lage, ein MacBook Pro von Apple auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. Es ist schon erschreckend, dass da so viele Teile verklebt und nicht austauschbar sind. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir reden über Ressourcenschonung, wir reden über eine neue Gesellschaft und ökologisch-sozialen Umbau. Dennoch werden wir in einen immer stärkeren Sog einer Gesellschaft gebracht, die immer mehr Ressourcen verbraucht. Die Hersteller sollten stattdessen – das ist eigentlich von allen gesagt worden – ihre Geräte so gestalten, dass sie möglichst lange halten und reparaturfähig sind. Die Bundesregierung hat bereits im letzten Jahr, wie gerade angesprochen wurde, zu Recht bei der Überarbeitung des ElektroG unsere Gesetzesanträge und Änderungsanträge und auch diejenigen der Linken abgelehnt, die dafür sorgen sollten, dass Geräte reparierbar sein müssen. (Zuruf der LINKEN: Richtig!) Sie hacken immer wieder darauf herum, dass das nur auf europäischer Ebene zu regeln ist. Es steht aber durchaus im Antrag der Linken, dass man die Ökodesign-Richtlinie anpacken muss. Es gibt also gar keinen Grund, das als Ausschlusskriterium zu nehmen, um diesem Antrag nicht zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dass wir da großen Nachholbedarf haben, bestätigt auch die Studie des Umweltbundesamtes vom letzten Jahr, auch wenn dies immer wieder ebenso für die andere Seite herangezogen wird, dass man nicht nachweisen kann, dass das absichtlich kaputtgemacht wird. (Michael Thews [SPD]: Nicht in jedem Fall!) Aber dass die Lebensdauer der Geräte immer kürzer wird, ist unumstritten. Das bestätigen alle Experten, ebenso, dass die Menschen damit unzufrieden sind. Also ist der jetzt vorliegende Antrag der Linken auch ein Jahr nach der Novelle des Elektrogesetzes aktuell und notwendig. (Michael Thews [SPD]: Die Studie mal lesen!) Deswegen stimmen wir ihm auch zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Viele Forderungen haben wir zwar schon im Jahre 2013 in unserem Antrag zum geplanten Verschleiß aufgestellt. Aber wir müssen den Trend zu einer immer kürzeren Dauer der Nutzung von Elektrogeräten endlich umkehren. Da passiert einfach nichts. Die Regierung kritisiert Anträge, die andere Fraktionen einbringen; aber selber tut sie nichts. Der Verweis auf das notwendige Engagement in Europa ist ja richtig; aber er ist nicht hinreichend. Wir müssen viel mehr tun. Dazu gehören die Aspekte der Reparierbarkeit sowie der Sicherstellung der Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Software-Updates und ähnlichen Dingen. Schweden – es ist gerade schon kurz angeklungen – hat sich jetzt auf den Weg gemacht. Man hat angekündigt, die Mehrwertsteuer bei der Reparatur von Fahrrädern, Schuhen und Kleidung um die Hälfte zu senken. Wer einen Handwerker ins Haus kommen lässt, um seine Waschmaschine oder seinen Kühlschrank reparieren zu lassen, zahlt für die Arbeitsstunden künftig weniger. Das ist genau der richtige Weg. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir den Ressourcenverbrauch immer billiger und den Faktor Arbeit immer teurer machen. Das müssen wir endlich umkehren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die schwedische Regierung tut etwas für die Ressourcenschonung und für den Arbeitsmarkt. Ich finde, das ist eine gute Idee. Darüber sollten wir nachdenken und nicht einfach sagen: Das geht alles nicht. Was uns im Antrag der Linken etwas zu kurz kommt, ist die Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Dieses Thema ist in der Tat eine gute Möglichkeit, auch über das Mindesthaltbarkeitsdatum zu reden und die Verbraucher durch mehr Transparenz überhaupt in die Lage zu versetzen, eine bewusste Entscheidung zu treffen: Kaufe ich das Billigprodukt, oder kaufe ich ein Produkt, das etwas länger hält? Das lässt sich heutzutage am Preis nicht ablesen; denn es gibt auch teure Produkte, die schnell kaputtgehen. Das ist ein Punkt, den man noch ergänzen kann. Umweltministerin Hendricks sieht das offensichtlich genauso. Wenn man das Integrierte Umweltprogramm liest, stellt man fest: All das findet sich darin wieder. Nur: Leider muss man davon ausgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, dass es ein weiteres Ankündigungsprogramm bleibt, – Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – wenn man all die konkreten Schritte, die nötig sind, um dieses Programm umzusetzen, in diesem Haus ablehnt. Ich hoffe, dass wir auch dazu demnächst eine Initiative von Ihnen sehen werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Josef Göppel (CDU/CSU): Herr Präsident Lammert! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin den Linken eigentlich dankbar, dass sie dieses Thema mit ihrem Antrag auf die Tagesordnung gebracht haben. Es ist ja auch das gute Recht der Opposition, auf Schwachpunkte hinzuweisen. Das Thema, um das es heute geht, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Schwachpunkt. Ein Beispiel: An der Stelle, an der ein Kabel aus einem Kopfhörer kommt, ist ein Stück von 0,5 Zentimetern nicht mit der Plastikwand umgeben. Dieses Stück scheuert natürlich zuerst durch, und dann ist der ganze Kopfhörer plötzlich nicht mehr brauchbar. Für mich als einen konservativen Menschen ist die Langlebigkeit von Produkten praktisch seit der Kinderzeit ein Gebot. Bei uns auf dem Land ging man sparsam mit den Dingen um. Das begann bei den geflickten Hosen und hat sich über Geräte aller Art fortgesetzt. Wir haben uns in den Wohlstandsjahrzehnten von diesen Dingen entfernt. Deswegen möchte ich Ihnen, Herr Kollege Meiwald, sagen: Sie müssen nicht so traurig sein. Auch die Konservativen sehen in der Langlebigkeit von Produkten ein wichtiges Ziel, vor allem deshalb, weil das Handwerk ja auch eine politische Klientel der Konservativen ist. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt kaum noch Handwerker in der CSU!) Ich bin überhaupt der Meinung, dass die Leute, die Repair Cafés betreiben, die Vorreiter der künftigen Wirtschaftsweise sind. (Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Die Ergebnisse, die das Umweltbundesamt in seiner Studie „Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre Umweltwirkung“ herausgefunden hat, sagen klar aus, dass der Rohstoffaufwand, den man für ein neues Produkt braucht, die Energieeinsparung, die man mit dem neuen Gerät erzielt, in vielen Fällen aufwiegt. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meistens!) Es gibt ja auch die Liebhaber alter Autos, die sagen: Ich fahre meine alte Kiste lieber 15 Jahre lang; letztlich bin ich der bessere Umweltschützer. (Beifall bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist wohl so, wie mein Kollege Dr. Gebhart ausführt: Man muss eine Abwägung treffen: Was ist tatsächlich sinnvoll, und wo wird politisch eingegriffen werden müssen? Und dazu möchte ich noch einmal kommen. Auch wenn in dem Elektronikgesetz national nur eine Sollvorschrift möglich ist: Verklebte Akkus, die man nicht austauschen kann, sind nicht im Sinne der Kreislaufwirtschaft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das sind Produkte, die nicht in unsere moderne Wirtschaft passen. Die Reparaturfähigkeit muss ein Kennzeichen der neuen Wirtschaft werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Zweites. Ich bin nach Rücksprache mit einigen, die in dieser Branche tätig sind, auch der Meinung, dass eine feste Aussage eines Herstellers, wie lange sein Produkt brauchbar sein wird, sehr viel bringen würde. Das ist dann ein Mittel im Wettbewerb. Wer auf seinem Produkt eine gewisse garantierte Lebensdauer angibt, setzt sich positiv ab von Mitbewerbern, die das nicht machen. Deswegen passt das auch sehr wohl in unser System. Ich denke, wenn wir auf dieser Basis an dem Antrag weiterarbeiten und das Thema noch einmal aufgreifen, dann werden wir das erreichen, was wir letztlich wollen, nämlich dass Deutschland, führend in vielen Bereichen der Wirtschaft auf der Welt, in den Augen der Menschen auch in der Verlässlichkeit führend ist. Denn nichts ärgert Leute mehr, als wenn aufgrund einer winzigen Kleinigkeit an einem Produkt etwas weggeworfen werden muss, was offensichtlich im Übrigen noch funktionieren würde. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Längere Lebensdauer für technische Geräte“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10666, den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/9179 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Der Tagesordnungspunkt 15 ist abgesetzt worden. Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten 4 a und 4 b: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102 Nr. 18 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/10667 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Betrug mit manipulierten Registrierkassen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschreibungsregeln für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsatzsteuerbetrug bekämpfen Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667 Auch das soll in 25 Minuten behandelt werden. – Das Einvernehmen stelle ich hiermit fest. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Uwe Feiler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Feiler (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen zunächst relativ abstrakt erscheint, kann ich in Anbetracht dieses durchaus sperrigen Titels grundsätzlich nachvollziehen. Doch der erste Eindruck täuscht. Jeder von uns kommt mehrfach mit diesen Grundaufzeichnungen in Berührung. Egal ob sich morgens beim Bäcker ein Brötchen oder ein Kaffee gekauft wird oder ob abends ein Bier in der Kneipe bestellt wird: Abgerechnet wird meist mithilfe elektronischer Kassensysteme. Nachdem mich dieses Thema seit über eineinhalb Jahren intensiv beschäftigt, ertappe ich mich mittlerweile selbst dabei, mir im Restaurant, am Kiosk oder im Supermarkt genau anzusehen, welches Kassensystem verwendet wird und wie die Abläufe in diesem Geschäft funktionieren. Die große Mehrzahl der Unternehmer und Unternehmerinnen kommt ihren Verpflichtungen anstandslos nach und rechnet gegenüber den Finanzbehörden auch ordnungsgemäß ab. Leider gibt es aber auch, wie überall im Leben, schwarze Schafe, die meinen, den einen oder anderen Euro am Fiskus vorbei vereinnahmen zu können. Dass es Betrugsfälle gibt, ist unumstritten und zeigt auch den Handlungsbedarf auf. Die Kunst bei diesem Gesetz war es, ein Verfahren zu entwickeln, das deutlich macht, was für Anforderungen wir sowohl an die Hersteller von elektronischen Kassensystemen als auch an die Unternehmer stellen, die derartige Geräte zukünftig einsetzen. Gleichzeitig sollten aber auch weiter Verkäufe in Hofläden, bei Dorffesten oder in Vereinsgaststätten möglich sein, ohne dass jeder Wurstverkäufer eine Registrierkasse mit sich herumtragen muss. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist uns meines Erachtens ein guter Kompromiss gelungen, der Betrug wirksam unterbindet, Unternehmen Investitionssicherheit bietet und Lösungen von großen Handelsketten bis zu Kleinstunternehmen erlaubt. Mein Dank geht deshalb nicht nur an den Koalitionspartner für die Einigungsbereitschaft, sondern auch an das Bundesfinanzministerium, das uns geduldig zahlreiche Nachfragen beantwortet und mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Einige Punkte möchte ich besonders hervorheben: Erstens. Ab dem 1. Januar 2020 besteht für all diejenigen, die über ein elektronisches Kassensystem verfügen, die Verpflichtung, ein Kassensicherungssystem zu verwenden, das Manipulationen ausschließt. Durch die manipulationssichere Aufzeichnung jedes einzelnen Geschäftsvorfalls kann die Finanzverwaltung künftig lückenlos nachvollziehen, welche Eingaben in die Kasse erfolgten. Für diejenigen, die erst in jüngerer Vergangenheit ein Kassensystem angeschafft haben, sehen wir eine Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2023 vor. Damit schützen wir getätigte Investitionen innerhalb des normalen Abschreibungszeitraumes, setzen aber auch klare Fristen für die notwendigen Umstellungen, auf die sich alle jetzt sechs Jahre lang vorbereiten können. Zweitens. Dafür ziehen wir gegenüber dem Regierungsentwurf die Kassennachschau vom 1. Januar 2020 auf den 1. Januar 2018 vor. Die Finanzverwaltungen der Länder haben somit die Möglichkeit, das Kassensystem vor Ort in Augenschein zu nehmen, Testeinkäufe zu tätigen und die ordnungsgemäße Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle zu kontrollieren. Drittens. Wir führen eine Meldepflicht für die eingesetzten elektronischen Aufzeichnungssysteme beim zuständigen Betriebsstättenfinanzamt ein. Damit erschweren wir die Benutzung von Zweit- und Nebenkassen. Viertens. Wir schaffen aber auch praktikable Lösungen für besondere Fälle. Beim Verkauf von Waren an eine Vielzahl nicht bekannter Personen gegen Barzahlung entfällt die Einzelaufzeichnungspflicht. Die offene Ladenkasse bleibt also möglich. So muss beim Schützenfest auch in Zukunft nicht jedes ausgegebene Bier oder jede Bratwurst in der offenen Ladenkasse verzeichnet bzw. erfasst werden. Das Gleiche gilt für die Kasse des Vertrauens auf Feldern. Hier würde eine Aufzeichnungspflicht eine unbillige Härte darstellen und den Verkauf von Waren unnötig erschweren, wenn nicht sogar gänzlich verhindern. Fünftens. Eine Kassenanschaffungspflicht besteht auch in Zukunft nicht. Jedoch ist der Unternehmer bei der Benutzung von elektronischen Kassen künftig verpflichtet, einen Beleg auszugeben. Die Finanzbehörden können jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 148 der Abgabenordnung den Unternehmer von der Belegausgabepflicht befreien, wenn das unzumutbar erscheint. Der Bäcker von der Ecke muss also auch in Zukunft nicht für jedes 20-Cent-Brötchen zwingend einen Beleg ausgeben. Meine Damen und Herren, wir schließen heute ein Gesetzesverfahren ab, bei dem Genauigkeit vor Schnelligkeit stand. Alle gesetzlichen Regelungen und technischen Lösungen helfen jedoch nicht, wenn keine hinreichende Kontrolle erfolgt. Die Länder sind jetzt aufgefordert, die wirksamen Instrumente Meldepflicht und insbesondere Kassennachschau zu nutzen, damit sich das Entdeckungsrisiko bei Steuerbetrug deutlich erhöht. Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Richard Pitterle ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Stellen Sie sich vor, Sie gehen nach der Bundestagsdebatte in eine Kneipe und trinken dort drei Bier. Es kann dann gut sein, dass beim Finanzamt am Ende nur die Steuern für ein oder zwei Biere ankommen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass insbesondere in der Gastronomie bei der steuerlichen Abrechnung viel Schindluder getrieben werden kann. Das geht ganz einfach: Für elektronische Registrierkassen kann man die Schummelsoftware, die die eingegebenen Umsätze nach unten korrigiert, oft gleich mitbestellen, und wenn man nur eine offene Ladenkasse hat und von Hand Buch führt, dann ist dem Steuerbetrug ohnehin Tür und Tor geöffnet. 10 Milliarden Euro: Das ist die geschätzte Summe, um die der Fiskus jedes Jahr durch Kassenmanipulationen betrogen wird. Bereits 2003 hat der Bundesrechnungshof darauf hingewiesen. Doch erst jetzt, 13 Jahre später, kommt die Bundesregierung mit diesem schwachen Gesetzentwurf daher. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Aber immerhin! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gründlichkeit vor Schnelligkeit!) Das war und ist schlicht Arbeitsverweigerung. Das lässt Ihnen die Linke so nicht durchgehen. (Beifall bei der LINKEN – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Sonst immer: Fristverzicht!) Jetzt zum Inhalt des Gesetzes, das eigentlich der Bekämpfung des Steuerbetrugs durch Kassenmanipulation dienen soll. Als wir hier vor knapp drei Monaten zum ersten Mal darüber debattiert haben, hieß es: „Ziel verfehlt … klar und deutlich.“ Nun hat die Große Koalition in den letzten Wochen noch ein wenig an dem Gesetz herumgedoktert, und wieder heißt es: „Die CDU hat alles darangesetzt, einzelne Schlupflöcher offenzuhalten.“ Diesen beiden Einschätzungen stimme ich voll zu. Leider stammen sie nicht von mir, sondern von den geschätzten Kollegen der SPD, die sich leider nicht gegen die Bremser aus der CDU/CSU durchsetzen konnten. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Kann ich mir gar nicht vorstellen!) Meine Damen und Herren, die Große Koalition steht für steuerpolitischen Stillstand. Das ist die traurige Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Ach, komm! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Endlich wird mal hier die Wahrheit gesagt!) Aber genug zu Ihrer gescheiterten Ehe. Insbesondere zwei Punkte machen das Gesetz schwach. Erstens. Sie führen zwar eine Belegausgabepflicht für die Registrierkassenbesitzer ein, sodass für fast jeden Umsatz zwingend ein Beleg ausgegeben werden muss. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Immerhin!) Grundsätzlich sind Umsätze so schwieriger zu verschleiern. Gleichzeitig führen Sie aber keine allgemeine Registrierkassenpflicht ein. Soll heißen: Wer weiter fröhlich Steuern hinterziehen will, führt eben im wahrsten Sinne des Wortes Buch und frisiert die Einnahmen per Bleistift. Dem wäre durch eine Registrierkassenpflicht ein Riegel vorgeschoben. Für kleine Gewerbetreibende wie den Bratwurstverkäufer oder für den gemeinnützigen Sportverein, für die das einen enormen Aufwand bedeuten würde, könnte man immer noch Ausnahmen machen, zum Beispiel in Anlehnung an einen bestimmten maximalen Jahresumsatz. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Richtig!) Zweitens. Ein Schwerpunkt des Gesetzes soll eigentlich sein, Kassensysteme auch gegen nachträgliche Manipulation fälschungssicher zu machen. Die Große Koalition will sich hier noch nicht auf ein bestimmtes System festlegen und bezeichnet ihren Ansatz als „technologieoffen“. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Genau!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, „technologiefern“ würde eher zutreffen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem INSIKA-Projekt ist längst eine nutzbare Technologie zur Verhinderung der Kassenmanipulation vorhanden. INSIKA steht für „Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“. Es wurde mit Steuermitteln entwickelt, ist seit mehreren Jahren erprobt, lizenzfrei und quasi ab sofort verfügbar. Dass Sie stattdessen bei der Entwicklung ganz von vorne anfangen wollen, ist für die Linke nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir wollen es noch besser machen! – Gegenruf der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Oder lieber gar nicht!) Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Ihr Gesetz bleibt somit nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Linke fordert weit mehr im Kampf gegen Steuerhinterziehung. Wir können Ihrem Gesetz daher nicht zustimmen. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist aber schade!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lothar Binding erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU]) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richard Pitterle, es stimmt: Große Lösungen kann man manchmal auch mit kleinen Schritten erreichen. Das machen wir heute. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wie oft haben wir das diskutiert im Ausschuss!) Die Hauptsache ist, dass man ankommt. Ich wollte zunächst Andreas Schwarz danken, der uns heute vor seiner Grippe bewahren will und deshalb zu Hause geblieben ist. Er ist der Berichterstatter für diesen Tagesordnungspunkt. Ich wollte ihm von hier aus alles Gute wünschen. Gute Besserung! Wir hätten ihn heute gebraucht, aber ich versuche, ihn zu ersetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Er hat mit starkem Gegenwind sehr gut verhandelt; das muss man sagen, denn die CDU hat sich wirklich nicht leichtgetan, das Gesetz, selbst so, wie es jetzt ist, mitzutragen. Ich möchte aber auch Uwe Feiler danken. Als Finanzbeamter hat er fair bis zum Ende verhandelt. Auch für ihn war es nicht immer leicht; das kann sich jeder vorstellen. Das fängt schon mit dem Titel an – das hat er erwähnt –: „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“. Man hätte auch einfach sagen können: „Gesetz gegen Kassenbetrug“. Oder noch besser: „Gesetz gegen Betrug beim Bezahlen“ oder „... beim Kassieren“. Das hätte jeder sofort verstanden. Aber der Name deutet schon an, dass man sich an dieses Thema nicht so richtig herangewagt hat. Das Ziel des Gesetzes ist der gleichmäßige Steuervollzug. Das klingt sperrig, heißt aber, dass wir betrugsbedingte Wettbewerbsnachteile vermeiden wollen. (Beifall bei der SPD) Wir wollen einen fairen Markt. Deshalb ist dieses Gesetz, so wie es jetzt ist, noch nicht ganz fertig, aber es ist auf dem richtigen Weg. Wir haben Probleme in der Praxis. Bei der steuerlichen Außenprüfung gibt es eine ganze Reihe von Problemen. Wir haben nicht dokumentierte Stornierungen. Wir haben nicht erkennbare Änderungen durch Programme. Wir haben Manipulationssoftware, also Phantomware oder Zapper. All dies stellt die gesamte Dokumentation im Grunde infrage. Und natürlich gibt es die Möglichkeit, die Kasse ganz zu umgehen. Aber dann ist es schon fast offensichtlich, was passiert. Außerdem fehlen bisher noch gesetzliche Regelungen. Es stimmt: Das hätten wir vielleicht früher machen können. Aber man hat nicht immer alle Ideen gleich am Anfang. Zum Beispiel ist die Unveränderbarkeit von Informationen, die Integrität, nicht gegeben. Auch die Herkunft der Daten, die Authentizität, ist nicht gesichert. Auch das sind wichtige Voraussetzungen, die man braucht, um sicher mit Daten umgehen zu können. Auch die Vollständigkeit digitaler Aufzeichnungen ist nicht gewährleistet und auch gesetzlich nicht geregelt. Deshalb muss man unbedingt etwas tun. Schon bisher galt für Aufzeichnungen: Sie mussten einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht geordnet und auch unveränderbar sein. Es gab schon Regeln; und das sind sehr gute Grundsätze. Angenommen, es gäbe keinen Betrug, wäre alles in Ordnung. Leider werden diese Grundsätze nicht von allen beherzigt. Keine Quittung, keine Buchung, keine Dokumentation – all das sind Beispiele dafür. Es kann natürlich, wie jeder weiß, vorkommen, dass man vergisst, dem Finanzamt Umsätze zu melden. Das könnte im Prinzip jedem passieren. Und gelegentlich bekommt man auch zu hören: „Bei uns nur Cash!“ Dann schaue ich genauer hin und frage mich – ich hoffe, da geht es mir so wie Ihnen –: Was läuft hier eigentlich ab? – Ich bin ja kein Testkäufer, aber in diesem Moment wäre ich gerne einer gewesen. Mit diesem Gesetz – das ist der erste große Schritt – wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht auch für elektronische Aufzeichnungssysteme, also für Kassen, Taxameter usw., verankern. Dafür haben wir uns sehr massiv eingesetzt. Die CDU/CSU hat sich anfangs ein bisschen schwergetan. Aber wir wollen im Prinzip, dass alle elektronischen Aufzeichnungssysteme und die digitalen Aufzeichnungen selbst durch zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen geschützt werden, sodass man davon ausgehen kann: Das ist ein System, in dem man sich auskennt und bei dem man weiß, was passiert. Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt zwar nach den GoB, den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, schon jetzt. Seit den 60er-Jahren gibt es aber eine vom BFH bestätigte Ausnahme. Das ist auch klug; denn es gibt ja Leute, die mit ganz geringen Werten handeln: zum Beispiel Zeitungskioske oder ein Erdbeerverkäufer, der vielleicht mit einer Untertasse am Straßenrand Erdbeeren verkauft. Für diese wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht natürlich nicht. Interessant ist, dass diese Ausnahme bei elektronischen Kassen aber nicht gilt. Was würden Sie also machen, wenn sie bei diesen nicht gilt? Ich habe eine ganz einfache Antwort: Kasse weg, dann gilt die Ausnahme. Man merkt: Hier gibt es eine Lücke im System, über die wir nachdenken müssen; denn wenn wir diese Art von Lücken weiter dulden, dann erreichen wir mit unserem Gesetz das gewünschte Ziel nicht. Deshalb wollen wir bei allen elektronischen Kassen eine Belegausgabepflicht, um das Entdeckungsrisiko bei Betrug zu erhöhen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was das angeht, habe ich nie verstanden, warum sich die CDU/CSU so vehement dagegen gewehrt hat, und zwar gegen den Rat aller Experten und auch gegen die Forderungen des Bundesrates. Die Pflicht zur Belegausgabe bei elektronischen Kassen gilt – das ist ein schöner SPD-Erfolg –; aber bei unverhältnismäßiger Härte und bei offenen Kassen gilt diese Pflicht nicht. Das ist eine Verwässerung, die wir gerne verhindert hätten. Vielleicht kann der Kollege Güntzler nachher erklären, warum der Gesetzentwurf an dieser Stelle so verwässert wurde. Ich sage: Dabei handelt es sich um zwei Pyrrhussiege. – Jeder weiß ja: Pyrrhus siegte in der Schlacht bei Asculum über die Römer, und dann ging er nach Hause und sagte: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“ Da muss man also aufpassen, dass die CDU/CSU nicht noch weitere Siege davonträgt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr gut ist die Pflicht zur Kassenregistrierung. Es gibt eine Meldepflicht beim Finanzamt, weil wir verhindern wollen, dass man mit einer Zweitkasse an der ersten Kasse vorbeiarbeiten kann. Das ist sehr gut. Allerdings gibt es – das wurde schon gesagt – keine allgemeine Kassenpflicht. Damit hat man auch diese gute Idee teilweise wieder konterkariert. Das ist schlecht. Schlecht finden wir auch, dass INSIKA, das ein gutes Verfahren ist, jetzt per Gesetz für einige Jahre ausgeschlossen wird. Herr Pitterle hat schon etwas dazu gesagt; deswegen gehe ich jetzt nicht im Detail darauf ein. Zusammenfassend könnte man sagen: Stattdessen warten wir per Gesetz darauf, dass Unternehmen eine komplizierte Software entwickeln, die den ersten Tastendruck registriert, um den Beleg mit einem Sicherheitsmerkmal auszustatten. Leider haben wir das aber bisher nicht. Sie haben vorhin gesagt, der Gesetzentwurf sehe ein entsprechendes Verfahren vor. Nein, laut Gesetzentwurf warten wir darauf, dass Unternehmen ein Verfahren entwickeln, das wir dann benutzen wollen. Das heißt im Prinzip, dass wir bis zum Jahr 2020 nichts oder zu wenig haben. Das ist nicht gut. Was sehr gut ist, ist, dass die unangekündigte Kassennachschau kommt. Der Prüfer kann die Kasse sozusagen spontan prüfen. Im Entwurf stand – da habe ich das BMF nicht verstanden –: ab 2020. Eigentlich könnten die Prüfer doch schon in der nächsten Woche damit beginnen. Wir haben dann in kleinteiligen Verhandlungen das auf 2018 verkürzt. Ich frage mich genauso wie Andreas Schwarz: Warum gilt das nicht ab dem 1. Januar 2017? Im Grunde haben die Gauner ein Jahr gewonnen. Da weder der Anwendungsbereich des Gesetzes definiert wurde, noch die technischen Spezifikationen als Grundlage für das Gesetz bekannt sind, gibt es einen Beschluss der ganz besonderen Art. – Frau Präsidentin, da ich sehe, dass ein Minuszeichen bei meiner Redezeit steht, komme ich zu meinem letzten Satz: Normalerweise kann die Verwaltung oder die Regierung eine Rechtsverordnung erlassen. Wir haben nun einen ganz besonderen Beschluss vorliegen, der auf eine Idee von Ralph Brinkhaus und Andreas Schwarz zurückgeht. Wir haben gesagt: Die Ermächtigung der Verwaltung, eine Rechtsverordnung zu erlassen, steht unter dem Zustimmungsvorbehalt des Bundestages. Das heißt, wenn das Gesetz scharf geschaltet wird, wird der Bundestag noch einmal gefragt. Aufgrund dieser wirklich guten Idee kann man, wie wir denken, diesem Gesetzentwurf zustimmen und dann auf die Ausgestaltung warten. Weil Weihnachten kurz bevorsteht, mache ich eine ganz besondere Abschlussbemerkung. Wir alle erleben in diesem Parlament, dass wir nach jeder Rede ein Protokoll bekommen. Ich finde, die Betreffenden machen eine geniale Arbeit. Wenn ich sehe, wie unsere Reden hier protokolliert werden, kann ich nur sagen: Das ist einmalig gut. Dafür will ich mich beim Protokolldienst bedanken. Ich wünsche allen schöne Weihnachten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Thomas Gambke. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen und vielleicht noch später in der Mediathek! Das zur Diskussion stehende Thema ist wirklich bedeutsam. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man den Experten und nicht der Union zuhört. Die Experten sagen nämlich, dass sich der Schaden durch Umsatzsteuerbetrug auf 10 Milliarden Euro und mehr belaufen könnte. Ich hätte mir gewünscht, dass heute der Kollege Brinkhaus hier geredet hätte, von dem ich immer wieder gehört habe, dass er diese Zahl anzweifelt. Ich hätte gerne seine Begründung gehört. Ich kann mir jedenfalls nicht erklären, warum die Union noch vor einem Jahr dieses Thema einfach negiert und eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in der sie die von allen 16 Ländern einstimmig vorgetragene Forderung nach Maßnahmen gegen manipulierte Kassen ablehnte? Die Union hat gesagt: Für uns existiert dieses Thema nicht; dagegen können wir nicht vorgehen. – Wenn Sie das 2003 gesagt hätten, als die Digitalisierung noch kein Thema war, dann hätten wir vielleicht Verständnis dafür gehabt. Nachdem man sich aber in den letzten zwei, drei Jahren anschauen konnte, wie einfach Kassen manipuliert werden können, muss man zunächst einmal zu dem Schluss kommen, dass solche Manipulationen sich nicht nur auf die schon genannten Betriebe der Gastronomie oder aus dem Taxigewerbe beschränken. Wenn man dann noch weiß, dass fast die Hälfte derjenigen, die eine Kasse erwerben wollten, sofort nach der entsprechenden Software gefragt haben, dann muss man doch einsehen, dass es offenbar ein tiefgreifendes Problem gibt und dass wir gut daran tun, zu versuchen, dem endlich einen Riegel vorzuschieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Machen wir jetzt ja!) Wenn wir Grüne dem vorliegenden Gesetzentwurf in der ausgehandelten Form zustimmen werden, dann tun wir das mit ziemlichen Bauchschmerzen. Warum? Es ist Gott sei Dank in den Verhandlungen gelungen – dafür bin ich der Sozialdemokratie und vor allen Dingen den Ländern sehr dankbar –, endlich eine Belegausgabepflicht durchzusetzen. Ich habe nie verstanden, liebe Kollegen von der Union, warum Ihnen das so schwergefallen ist. Das Gleiche gilt für das Registrierkassenverzeichnis; dabei gibt es noch nicht einmal eine Registrierkassenpflicht. Das waren unsere Forderungen. Ich freue mich sehr, dass wir sie durchsetzen konnten. Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass Sie ständig auf das Kosten- und Umsetzungsargument verwiesen haben. Jetzt haben wir aber die Situation – jeder, der bei der Anhörung dabei war, weiß, dass das die Sachverständigen, gerade auch die des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik bestätigt haben –, dass wir kein zertifiziertes System haben. Die Sachverständigen konnten auch nichts zu den Kosten und dazu sagen, wie lange das dauern wird, bis ein zertifiziertes System vorliegen wird; Kollege Binding hat darauf hingewiesen. Dabei existiert ein solches System. Es hat den Beweis für seine Funktionstüchtigkeit in Hamburg angetreten. Es hat dazu geführt, dass der Wettbewerb dort endlich wieder fair vonstattenging. (Uwe Feiler [CDU/CSU]: Aber nicht sicher ist! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Aber es war nicht sicher!) – Aber es war fair und hat funktioniert, Herr Kollege. – Es funktioniert in der gewünschten Art und Weise. Sie haben das bestritten; aber die Experten haben uns das bestätigt. Ich glaube da eben nicht so sehr dem Steuerjuristen als vielmehr dem Experten, der vor Ort ist und sich mit dem Thema auseinandersetzt. Insofern, meine Damen und Herren, haben wir hier ein Gesetz vorliegen, das absolut in die richtige Richtung geht. Wir wollen fairen Wettbewerb. Wir wissen, dass wir jetzt noch daran arbeiten müssen, bestimmte Dinge zu regeln. Ich freue mich, dass darüber noch im Deutschen Bundestag entschieden wird. Wir müssen uns jetzt anschauen, ob bei der Durchführung wirklich etwas Vernünftiges herauskommt. Es wäre sehr wichtig, dass das passiert. Ich sage noch einmal: Die Wettbewerbsverzerrung, die wir im Bereich der Umsatzsteuer haben, ist nicht hinnehmbar. Das betrifft eben nicht nur die Gastronomie und nicht nur das Taxigewerbe, sondern der Umsatzsteuerbetrug mit manipulierten Kassen kann auch viel weiter um sich gegriffen haben. Sie beklagen es immer; aber wir müssen es dann auch einfach umsetzen: Der Steuerunehrliche muss endlich dazu gebracht werden, steuerehrlich zu werden. Dafür ist ein erster, wichtiger Schritt getan worden. Ich hoffe, dass wir im weiteren Verlauf zu einem Gesetz kommen, das dann auch wirklich umsetzbar ist und seinen Zweck erfüllt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der wird uns das jetzt alles erklären!) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gambke hat die 10 Milliarden Euro angesprochen, die den Haushalten jährlich verloren gehen sollen. Ich möchte gern darauf Bezug nehmen. Wenn Sie an der Anhörung teilgenommen haben, (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich!) dann wissen Sie, dass wir den Bundesrechnungshof gefragt haben, wie er auf die 10 Milliarden Euro komme. Es kam keine konkrete Antwort, sondern nur der Hinweis, man habe eine Stichprobe bei 40 oder 47 Unternehmen gemacht. Man glaubt also, auf dieser Grundlage die Summe hochrechnen zu können. Von daher: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Ich würde auch davor warnen, hier den Eindruck zu erwecken, dass alle Unternehmer, die eine Kasse führen, per se Steuerhinterzieher sind. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein, nein! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner gesagt! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Ehrlichen schützen!) Es gibt die Fälle, aber man muss diese auch einordnen. Von daher ist es klug, einen Kompromiss zu finden – wie dieser aussieht, hat Uwe Feiler ja vorhin sehr deutlich dargestellt –, damit man den Steuerehrlichen nicht noch bestraft und mit zusätzlicher Bürokratie belastet. Man muss vielmehr einen vernünftigen Ausgleich hinbekommen, sodass man das Ziel, über das wir uns alle einig sind, erreicht, ohne die Belastung der ehrlichen Steuerpflichtigen zu stark zu erhöhen. Ich glaube, das bekommen wir hier gut hin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nur die Gauner sind im Verdacht!) Es ist richtig, dass wir Manipulationen verhindern müssen. Die Dinge, die uns geschildert worden sind, sind wirklich abenteuerlich. Schauen Sie sich die Manipulationssoftware Phantomware an: Sie müssen Tetris spielen, danach kommen Sie auf eine andere Ebene, und dann werden Ihnen die Umsätze und Materialaufwendungen auf Wunsch geschmeidig gemacht, sage ich einmal, also angepasst. – Das kann nicht funktionieren. Da müssen wir eine Lösung finden. Die haben wir jetzt auch gefunden. Wir haben eine technologieoffene Lösung, was ich gut finde. Wir haben eine herstellerunabhängige Lösung und eine kostengünstigere Lösung als das INSIKA-Verfahren. So jedenfalls heißt es in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung. Und wir suchen ein sichereres Verfahren, in das sich nicht jeder reinhacken kann. All das war mit INSIKA nicht gegeben. Daher glaube ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir müssen auch beachten, welchen Umfang dieses Gesetz annimmt, wen wir alles damit treffen. Wir haben in Deutschland ungefähr 400 000 Einzelhandelsbetriebe und ungefähr 250 000 gastronomische Betriebe. Die müssen wir im Blick haben. Ich habe das vorhin schon einmal erwähnt. Von daher ist es richtig, keine generelle Registrierkassenpflicht einzuführen. Das klingt per se ganz gut, aber wir treffen eben auch viele Kleine. Ich will nicht nur die Sportvereine nennen. Der Deutsche Fußball-Bund war ja bei der Anhörung anwesend und sagte, dass der Verkauf auf dem Sportplatz ein Problem sei. Bei einem Volksfest oder einem Stiftungsfest, das ein Verein veranstaltet, kommt man schnell über die Umsatzgrenzen hinaus, die mal diskutiert worden sind. Dann gibt es das Problem bei den einzelnen Vereinen. Wir brauchen nur über die Grenze zu schauen. Die Österreicher haben das mit großem Bohei eingeführt. Aber was finden wir jetzt vor? Mittlerweile hat das Schreiben des österreichischen BMF 95 Seiten. Als wir angefangen haben, zu diskutieren, waren es noch 67 Seiten. Weil die Ausnahmen immer mehr werden, ist der Umfang angewachsen. Die Ausnahmen betreffen den Umsatz im Freien, Hüttenumsätze und ganz viele tolle Dinge. Diese Ausnahmetatbestände würden wir auch hier in Deutschland schaffen; denn der politische Druck auf uns alle wäre sehr groß, weil wir Leute in den Vereinen treffen würden, die wir gar nicht treffen wollen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir machen ja überall Ausnahmen für Kleine und Vereine! Das ist ja überhaupt kein Problem!) Stattdessen machen wir hier Politik mit Augenmaß und sind froh, dass wir die Sozialdemokraten dazu bringen konnten, diesen Weg mitzugehen und nicht wieder überbordende Bürokratie aufzubauen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutlich muss aber auch sein, dass das Ganze kein Allheilmittel ist. Der Kollege Binding hat ja darauf hingewiesen: Ein großes Problem sind – das muss man ehrlicherweise sagen – Einnahmen, die gar nicht erfasst werden. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Natürlich!) Egal, wie gut ein Kassensystem ist: Wenn eine Einnahme kassemmäßig gar nicht erfasst wird, ist das ein Problem. Von daher ist es richtig, dass wir jetzt die Kassennachschau einführen und damit der Finanzverwaltung ein Handwerkszeug an die Hand geben. Sie kann von nun an unangekündigt in Räumlichkeiten gehen und sich einzelne Dinge anschauen. Kritisiert wird, dass diese Regelung erst ab dem 1. Januar 2018 gelten soll. Dass das so ist, hat auch etwas mit den Länderfinanzverwaltungen zu tun, die erst einmal Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen müssen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber die Prüfer gibt es ja schon! Man braucht ja nur zu sagen: Jetzt dürft ihr gehen!) Wenn man unbedingt handeln will, Herr Kollege Binding, dann besteht auch jetzt schon die Möglichkeit, das Instrument der Umsatzsteuernachschau anzuwenden. Dort, wo Steuern hinterzogen werden, gibt es oft nämlich auch ein Problem mit der Umsatzsteuer, sodass man auch auf diese Weise das angehen könnte. Natürlich wird es weiterhin die Möglichkeit geben, eine offene Ladenkasse zu führen. Ich sage Ihnen aber: Das werden die wenigsten tun, weil bei einem zertifizierten System die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der Kassenaufzeichnung greift. Die sogenannte Beweiskraft der Buchführung ist in § 158 Abgabenordnung verankert. Wenn ein Betriebsprüfer vor Ort ist, versucht er gern, die Buchführung durcheinanderzubringen, indem er sagt: „Sie ist sachlich nicht richtig“, weil er dann nach § 162 Abgabenordnung die Möglichkeit hat, zu schätzen. Das ist das größte Problem. Insofern kann ich jedem Mandanten nur empfehlen – das tue ich auch –, offene Ladenkassen ab- und Registrierkassen anzuschaffen. Das ist vernünftiger, weil man dann auch Sicherheit hinsichtlich der Betriebsprüfung hat. Übrigens sind die Registrierkassen nicht erfunden worden, weil es den Fiskus gibt, sondern weil Unternehmer sicher sein wollten, dass ihre Mitarbeiter keine eigenen Geschäfte machen. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürokratieabbau!) Ich habe einmal nachgelesen: 1879 ist in einem Saloon in Ohio zum ersten Mal eine Registrierkasse benutzt worden. (Christian Petry [SPD]: Wie lange hat der Wirt gelebt? – Heiterkeit) – Der Barkeeper war nicht mehr lange beschäftigt. – Es gibt also gute Gründe, die offene Ladenkasse abzuschaffen. Ich glaube, dass wir hier insgesamt eine sehr praktikable Lösung vorliegen haben. Wir werden gemeinsam Erfolg haben. Wir wollen den Steuerhinterziehern das Handwerk legen. Das werden wir mit diesem Gesetz schaffen, auch wenn Herr Binding noch nicht ganz überzeugt ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wenn wir mit der Ernsthaftigkeit weitermachen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen. Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.9 Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10667, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9535 und 18/9957 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Finanzausschusses auf Drucksache 18/10667 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7879 mit dem Titel „Betrug mit manipulierten Registrierkassen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschreibungsregeln für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1968 mit dem Titel „Umsatzsteuerbetrug bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen Drucksache 18/10639 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Für die Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Peter Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geierfonds ist ein beinahe niedlich klingender, aber auf der anderen Seite auch zutreffender Name für ein Spekulationsmodell, das Staaten an den Rand des Ruins oder manchmal darüber hinaus treibt. Worum geht es? Staaten, vor allen Dingen Entwicklungsländer, geraten mitunter in drohende Zahlungsunfähigkeit, und das aus verschiedenen Gründen. Schlechte Regierungsführung wird immer genannt, aber es kann auch unverschuldet passieren, zum Beispiel durch Naturkatastrophen oder Krisen an den Rohstoffmärkten. In solchen Krisensituationen haben Staaten nicht, wie es im Privatrecht der Fall ist, die Möglichkeit, Insolvenz anzumelden; Firmen haben diese Möglichkeit, Staaten nicht. Tritt nun eine Staatspleite ein, versuchen die Gläubiger, an den Märkten ihre dann praktisch wertlosen Staatsanleihen loszuwerden. Der Rausch der Geier beginnt. Zu Ramschpreisen kaufen sie Forderungen auf, um sie später zu vergolden. Es gibt dann Verhandlungen; aber an einer Verhandlungslösung oder einer gerechten Verteilung der Verluste sind die Geier natürlich nicht interessiert. Das müssen sie auch nicht sein; denn es existiert immer noch kein weltweites Staateninsolvenzregime, das alle Gläubiger an den Verhandlungstisch zwingt. Die Bundesregierung ist hieran leider mitschuldig. Deutschland hat 2015 in den Vereinten Nationen gegen ein geordnetes Staateninsolvenzrecht gestimmt. Doch zurück zu den Geierfonds. Wie über Verdurstenden in der Wüste kreisen auch über zahlungsunfähigen Staaten die Geier. Doch im Gegensatz zu Geiern in der Natur warten die Spekulanten ab, bis der Staat die rettende Oase erreicht hat, bis große Gläubiger freiwillig verzichtet haben – darunter Deutschland und damit auch die Steuerzahler in diesem Land –, bis der Staat wieder einigermaßen auf die Füße gekommen ist und die Daseinsvorsorge wieder einigermaßen funktioniert. Erst dann schlagen die Geierfonds zu. Dann ziehen die Fonds vor unsere Gerichte, die Gerichte in den Industriestaaten – und das mit Erfolg. Sie zwingen die verschuldeten Staaten dazu, ihnen den Nennwert der Anleihen plus Zinsen zu bezahlen, obwohl sie selber nur einen Bruchteil davon bezahlt haben, als sie die Anteile aufgekauft haben. Renditen von über 1 000 Prozent sind auf diese Weise schon erzielt worden. Das bekannteste Beispiel dürfte der Geierfonds NML Capital sein, der Profit aus der Staatspleite Argentiniens geschlagen hat. Die übrigen Gläubiger stimmten einem Schuldenschnitt zu und verzichteten auf mehr als die Hälfte ihres Geldes. Nicht so NML Capital: Der Geierfonds verklagte Argentinien vor einem Gericht in den USA auf volle Zahlung und bekam recht. Wir als grüne Bundestagsfraktion fordern mit dem Ihnen heute vorliegenden Antrag, diesem Treiben endlich Einhalt zu gebieten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Investmentfonds handeln zwar im Moment durchaus nach Recht und Gesetz; aber sie verletzen, zumindest nach unserem Verständnis, Werte wie Anstand und Würde. Jemanden, der schon am Boden liegt, tritt man nicht auch noch. Jene, die helfen wollen, sollen dafür nicht bestraft werden, so wie die Steuerzahler hier bei uns. Belgien und Großbritannien haben bereits gehandelt. Sie haben Antigeiergesetze erlassen. Es wird Zeit, dass auch wir hier in Deutschland tätig werden. Das wäre auch im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, zu denen sich auch Deutschland bekannt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Lassen wir die Geierfonds weiter zu, droht ein Dominoeffekt. Niemand wird sich mehr auf Verhandlungen und auf Verzicht einlassen. Tragfähige Lösungen für Schuldenkrisen werden immer schwieriger. Es kann und darf nicht länger sein, dass die Steuerzahler zurückstecken, damit sich einige wenige die Taschen vollmachen, ganz zu schweigen vom Leiden der Menschen in den überschuldeten Staaten, wo dann die Daseinsvorsorge zusammenbricht, wo Menschen leiden, die sich nicht mehr wehren können. Das Leid der einfachen Leute, die unter den Sparmaßnahmen leiden und die alles ausbaden müssen, sollten wir dabei in erster Linie im Blick behalten und nicht so sehr die Sicherung der Renditen. Laut IWF sind immer mehr Staaten von Überschuldung bedroht. Die Schuldensituation weltweit wird jeden Tag brenzliger. Wir müssen also als Gesetzgeber handeln, ehe die Hütte brennt. Lassen Sie uns die Wassereimer bereitstellen – stimmen Sie unserem Antrag zu! Das ist ein erster wichtiger Schritt. Um das Schuldenproblem zu lösen, müsste sich die Koalition endlich ein Herz fassen und international für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren eintreten. Die G-20-Präsidentschaft ist da, glaube ich, jetzt ein ganz guter Anlass, um darüber noch einmal nachzudenken. Ich wünsche allen schöne, friedvolle Weihnachten. Gute Besserung all denen, die heute wie Uwe Kekeritz, der eigentlich hier reden sollte, krank sind und nicht an dieser Debatte teilnehmen können. Gute Besserung und frohe Weihnachten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Johannes Selle das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Selle (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht oft vor, dass sich die Staaten und die Menschen dieser Welt einig sind, schon gar nicht, wenn es um etwas Grundsätzliches geht. Aber am 1. September letzten Jahres gab es eine solche Sternstunde der Menschheit. 193 Staaten der UNO verabschiedeten den von der Generalversammlung überwiesenen Resolutionsentwurf mit dem Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Die Umsetzung der Agenda 2030 muss jetzt Leitmotiv unserer Politik sein und alle Politikfelder einbeziehen. Eine ganz wesentliche Aufgabe wird darin bestehen, die Finanzierung für diese Ziele zu beschaffen und die Finanzierungen so zu gestalten, dass sie geeignet sind, den Weg zu Arbeitsplätzen, zu Infrastruktur, Bildung und Gesundheit zu beschreiten. In unserer Anhörung zum Stand der Umsetzung der Agenda 2030 am 30. November 2016 mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzierungen gerade ihre Institutionen in den Ländern verlieren, in denen sie am dringlichsten gebraucht werden, zum Beispiel in Afrika. Wenn man Geldströme, Investitionen und auch Staatsfinanzierungen nicht mehr organisieren kann, dann werden wir die Ziele der Agenda 2030 verfehlen. Deshalb muss man wohl abgewogen und sensibel vorgehen. Wir werden aber diese Ziele auch verfehlen, wenn sich Geschäftsmodelle ausbreiten, die eine auftretende Schwäche eines Landes zur Gewinnmaximierung nutzen. Genau darauf wird in diesem Antrag aufmerksam gemacht. Mit solchen Schwächen sind Zahlungsprobleme gemeint, die dazu führen, dass finanzielle Verpflichtungen zu spät und nicht vollständig erfüllt werden können. Wenn sich so etwas andeutet und gegen ein solches Land spekuliert wird, indem die im Wert fallenden Anleihen aufgekauft werden, um sie später im vollen Umfang durchzusetzen, wird es in der Tat problematisch. Bedauerlicherweise müssen wir davon ausgehen, dass diese Situation auftreten kann. Das kann durch Preisverfall, durch Naturkatastrophen, durch Konflikte ausgelöst werden. Die Beratungen der Gläubiger in solchen Fällen werden schwerlich zu guten Ergebnissen führen, wenn ein Teil der Gläubiger abwartet und seine vollen Ansprüche geltend machen will. Die Collective Action Clauses, die für solche Fälle eingeführt wurden, werden ihre Wirkung verfehlen, wenn es den Geierfonds gelang, Mehrheitsanteile zu erlangen. Und diese Strategie ist bereits vorhanden. Die für alle Gläubiger geltenden Beschlüsse unter dem Geltungsbereich der Collective Action Clauses müssen nämlich mit Mehrheit gefällt werden. Dass diese Geschäftsmodelle überhaupt funktionieren, liegt an der fehlenden internationalen Regelung für Staaten, die sich im Zustand der Insolvenz befinden. Insolvenz, wie sie bei wirtschaftlichen Betrieben der Privatwirtschaft abgewickelt wird, lässt sich nicht auf Staaten übertragen, und deshalb konnten Ansprüche bisher durchgesetzt werden. Auch das spricht der Antrag an. Da ein Volk, ein Territorium nicht verschwinden kann, wird es darum gehen, eine zukünftige Entwicklung eines betroffenen Staates zu ermöglichen. Die Restrukturierung durch Schuldenerlass, Umschuldung und weitere Hilfen sollte den IWF bzw. die Weltbank einbeziehen. Hier hat die internationale Gemeinschaft kompetente Institutionen. Für mich bedeutet das jedenfalls, dass die Proklamation eines kritischen Zustandes eines Landes von diesen Institutionen kommen muss, um sie dem direkten politischen Einfluss zu entziehen. Die Proklamation muss dann verhindern, dass Gläubiger so agieren können, als gäbe es die Notsituation nicht. So könnte in dem ungeklärten Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Staates vorgegangen werden. Einen politischen und solidarischen Ansatz haben Geierfonds nicht in ihrer Satzung. Die Politik kennt diesen Ansatz, und sie weiß, dass nur über Perspektiven für die Völker Frieden, Wohlstand und Bewahrung der Schöpfung möglich sind. Das ist unsere Verantwortung. Deshalb gibt es ja die Agenda 2030. Regelungsbedarf ist also vorhanden. Fonds, die investieren und an eine Zukunft glauben – und die gibt es schon –, brauchen wir allerdings. Zu umständliche und gläubigerfeindliche Regelungen erhöhen die Kosten und können sinnvolles Engagement von Fonds verhindern. Regeln, die von vornherein den Wert von Anleihen einschränken, werden grundsätzlich negativ bewertet und werden schwerer zu handeln sein. Insofern haben wir sehr sorgfältig und ernsthaft die plakativ wirkenden Forderungen des Antrages zu behandeln. Das gründlich zu machen, nehmen wir uns vor, und wir sind uns bewusst, dass die Anleihen, über die wir hier reden, bisher nicht nach deutschem Recht begeben werden, sondern eher nach britischem. Und für ausländische Emittenten gelten unsere Gesetze auch nicht. Wir wollen ja nicht folgenlose Gesetzgebung betreiben. Uns ist ebenfalls klar, dass von Deutschland kommende Regelungen in besonderer Weise tragfähig sein müssen; denn Deutschland hat sich verpflichtet, bei der Agenda 2030 eine Vorreiterrolle einzunehmen, und gilt als wichtiger Akteur und Meinungsbildner. Generell halte ich für uns fest: Wir wollen den Ländern bei dem Weg aus der Schuldenfalle helfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Niema Movassat, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insbesondere werte Abgeordnete der Regierungsfraktionen, ich habe heute einen fast unwiderstehlichen Investitionstipp für Sie: Sie zahlen 1 000 Euro ein und bekommen 1 Million Euro zurück. Was müssen Sie tun? Sie geben 1 000 Euro einem Hedgefonds, der sich darauf spezialisiert hat, Staatsschulden zu viel Geld zu machen. Diese Hedgefonds, auch „Geierfonds“ genannt, pressen hochverschuldeten Staaten Geld ab, das diese gar nicht haben. Wie das funktioniert? Erster Schritt: Der Geierfonds kauft von Gläubigern ausstehende Staatsschulden, an deren Rückzahlung die Gläubiger ohnehin nicht mehr glauben. Er kriegt diese Staatsschulden, da sie ja als faktisch wertlos gelten, zu einem Ramschpreis. Zweiter Schritt: Der Geierfonds bezahlt teure Anwaltsbüros, die den verschuldeten Staat auf sofortige Rückzahlung dieser Staatsschulden verklagen, plus jährliche Zinszahlungen von bis zu 100 Prozent. Weigert sich der Staat, diesen Forderungen nachzukommen, lässt der Geierfonds Staatseigentum im Ausland – wie Schiffe oder Flugzeuge – konfiszieren und treibt diesen Staat zudem in die Zahlungsunfähigkeit. Wenn dieser Geierfonds ein Land ausgewählt hat, das dem enormen Druck nicht standhält oder – wie im Fall Argentiniens – das Glück hat, dass eine linke Regierung von einer rechten abgelöst wird, dann klingelt die Kasse. Im Fall von Argentinien haben die Hedgefonds Traumrenditen von bis zu 1 000 Prozent erzielt. Für ihre 1 000 Euro bekommen sie 1 Million Euro zurück. Es ist eine schier unfassbare Gier, der endlich ein Riegel vorgeschoben werden muss. Um diese horrenden Forderungen bedienen zu können, muss der betroffene Staat Sozialausgaben massiv kürzen. Für die Menschen vor Ort bedeutet dies im Normalfall Arbeitslosigkeit, Wegfall von Renten, Armut und Elend. Damit sich einige wenige Anleger die Taschen fett füllen können, wird gesellschaftliches Elend für Millionen produziert. Es ist eine Schande, dass diese Bundesregierung diesem Recht des Stärkeren bisher keine wirksamen gesetzlichen Maßnahmen entgegensetzt. (Beifall bei der LINKEN) Argentinien ist nicht das einzige Opfer der Geierfonds. Liberia, Peru, Sambia, Nicaragua oder der Kongo – es sind vor allem arme Staaten, auf die sich diese Fonds stürzen, weil sie eine besonders leichte und hilflose Beute darstellen. Deshalb unterstützen wir als Linke alle Forderungen des Antrags der Grünen, um den Geierfonds endlich das Handwerk zu legen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zugleich muss die Bundesregierung aber mit dem Schäuble’schen Mantra brechen, das auf die Rückzahlung sämtlicher Staatsschulden beharrt, koste es, was es wolle. „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ – besser als mit dieser Bild-Schlagzeile kann man die rücksichtslose Haltung von Finanzminister Schäuble gegenüber hochverschuldeten Staaten nicht auf den Punkt bringen. Wo die Schulden herkommen – uninteressant. Wie das Geld für die Schuldentilgung aufgebracht wird und welches menschliche Elend dies verursacht – egal. Dass selbst der IWF Schuldenschnitte für diese Länder fordert – geschenkt. Diese deutsche Haltung gegenüber Griechenland, Argentinien und anderen Staaten ist fatal und muss endlich aufhören. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Um den Kreislauf von Schulden und Ausbeutung zu brechen, hat meine Fraktion im letzten Jahr einen Antrag eingebracht, der ein internationales Staateninsolvenzverfahren fordert. Ebenso wie für Privatpersonen und Unternehmen brauchen wir für hochverschuldete Staaten ein klares Verfahren, wie sie ihre Schuldenlast auf ein erträgliches Ausmaß reduzieren können. Die Linke ist mit dieser Forderung nicht alleine: Die G-77-Staaten haben diesen Vorschlag in die UN-Generalversammlung eingebracht. Die Bundesregierung war eine von nur elf Regierungen, die diesen Antrag abgeschmettert haben. Sie beharrt damit auf dem Recht des Stärkeren. Dies ermöglicht auch, dass Geierfonds von wehrlosen Staaten Renditen von 1 000 Prozent erpressen. So darf es nicht weitergehen. Eine Politik, die Anstand und wirtschaftspolitischen Weitblick hat, muss ein Staateninsolvenzverfahren ermöglichen und Antigeiergesetze auf den Weg bringen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Manfred Zöllmer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es aktuell sicherlich wichtigere Aspekte des Themas Staatsinsolvenz als den Aspekt der sogenannten Geierfonds und ihres Agierens in der Staatsschuldenkrise von Argentinien gibt, den die Grünen jetzt in ihrem Antrag aufgegriffen haben. Denn Argentinien hat sich mit diesen Fonds inzwischen geeinigt: Im März dieses Jahres haben das Abgeordnetenhaus und der Senat Argentiniens einer Vereinbarung zwischen der Regierung und den Anleiheinvestoren mit großer Mehrheit zugestimmt. Argentinien hat im Gegenzug 4,65 Milliarden US-Dollar an die Gläubigerhedgefonds ausgezahlt und dem Land damit den Weg zurück an den Kapitalmarkt geebnet. Dies ist im Übrigen – das muss man einfach sagen – ein großer Erfolg für den neuen Staatspräsidenten Macri, und es hat die argentinische Wirtschaft entsprechend befördert. Das Elendsbild, das Sie, Herr Movassat, hier gezeichnet haben, trifft die Realität in Argentinien nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Schauen wir uns den Fall Argentinien aber mal genauer an. Hintergrund ist ein juristischer Konflikt Argentiniens mit einem New Yorker Hedgefonds. Infolge der Insolvenz des Landes im Dezember 2001 führte die Regierung in Buenos Aires in den Jahren 2005 und 2010 große Umschuldungsrunden durch. Herr Movassat, Argentinien war erst pleite und hat dann die Umschuldungen vorgenommen. Ich glaube, das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen. Dann haben Hedgefonds argentinische Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt zu günstigen Konditionen aufgekauft und vor einem US-Gericht Argentinien verklagt, um zum vollen Wert entschädigt zu werden – das ist in der Tat der Sachverhalt –, und ein US-Gericht hat die Regierung in Buenos Aires dazu verurteilt, insgesamt vier Hedgefonds den Nennwert auszuzahlen. Jetzt kann man ja fragen: Warum läuft das Ganze vor einem amerikanischen Gericht? Dazu muss man wissen, dass die argentinische Regierung die entsprechenden Bonds ganz bewusst unter amerikanischem Recht in Dollar aufgenommen hat. Insofern war das amerikanische Gericht zuständig. Ich will aber auch deutlich machen, dass der Bundesgerichtshof deutschen Anlegern, die gegen diese Umschuldungsstrategie geklagt haben, gegenüber Argentinien recht gegeben hat. Der BGH hat Folgendes formuliert: Kein völkerrechtlicher Grundsatz berechtige ein Land dazu, die Zahlung fälliger Schulden wegen eines finanziellen Staatsnotstandes oder einer freiwilligen Umschuldung der Gläubigermehrheit zeitweise zu verweigern. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen müssen wir es ändern!) Auch aus der Weltfinanzmarktkrise und der Rettung Griechenlands sei eine derartige völkerrechtliche Regel nicht entstanden. Man muss jetzt sehen: Der argentinische Staatspräsident Macri hat die politische Strategie Argentiniens geändert. Die Staatspräsidentin Kirchner hatte sich geweigert, zu verhandeln; Macri hat verhandelt. Die Verhandlungen mit den Hedgefonds haben dazu geführt, dass nur 75 Prozent der ursprünglich geforderten Summe von Argentinien gezahlt werden mussten. Ich denke, auch das gehört zum Gesamtbild dazu, wenn man diesen Fall darstellt. Es ist im Prinzip das geschehen, was Sie in Ihrem Antrag fordern: den Rückzahlungsanspruch eines Fonds auf dem Verhandlungswege zu finden. Herr Macri hat verhandelt, und Frau Kirchner hatte damals nicht verhandelt. Das Ergebnis der Verhandlungen war, dass Argentinien wieder Zugang zum Kapitalmarkt gefunden hat. Herr Movassat, auch das muss man in aller Deutlichkeit sagen: Argentinien ist kein armes Land; Argentinien ist ein reiches Land. – Aber das nur am Rande. Jetzt fordern die Grünen in ihrem Antrag, der Deutsche Bundestag möge sich doch bitte an der Gesetzgebung von Belgien und Großbritannien orientieren und einen Gesetzentwurf vorlegen, der Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen wirksam schützt. Doch ein solcher Gesetzentwurf geht vollständig ins Leere. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!) Gut gemeint bedeutet leider nicht gut gemacht. Ich will das begründen, indem ich wörtlich zitiere, was in der Begründung Ihres Antrages steht: Die Bundesrepublik Deutschland ist – bislang – kein bedeutender Finanzplatz, (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!) auf dem die hier beschriebenen Geier-Fonds aktiv sind, weder als Ort, an dem entsprechende Klagen geführt werden, noch als Sitz von entsprechenden Investmentgesellschaften. Das steht wörtlich so in Ihrem Antrag. Diese Feststellung ist richtig. Aber was wollen Sie dann mit einem deutschen Gesetz, das, wie Sie selbst beschreiben, völlig wirkungslos wäre? Das wäre reine Symbolpolitik. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein solches Antigeiergesetz wäre eine konzeptionelle Belanglosigkeit. Ein Großteil der Staatsanleihen und weiterer Wertpapiere werden unter der Gerichtsbarkeit der großen internationalen Finanzplätze USA und Großbritannien begeben. Ein Verfahren, welches diese Akteure nicht miteinbezieht, wird absolut wirkungslos bleiben. Dann haben Sie gefordert, man möge im Rahmen der G 7, der G 20, des Pariser Clubs und der OECD für entsprechende Regelungen werben. Das halte ich für eine richtige Forderung. Das sollte in der Tat geschehen. Aber eine Verständigung kann es nur geben, wenn es einen fairen und transparenten Prozess unter Einbeziehung der angesprochenen Institutionen und Gläubiger gibt. Ein nationales Verbotsgesetz hilft überhaupt nicht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Johannes Selle [CDU/CSU]) Deshalb unterstützen wir die IWF-Empfehlungen zu den sogenannten Collective Action Clauses. Diese Umschuldungsklauseln in Staatsanleihen müssen weiterentwickelt werden. Dieser Prozess muss vorangetrieben werden. Nach der Staatsinsolvenz Argentiniens ist das entsprechend geschehen. Das Anliegen ist es, alle Gläubiger auf die Anerkennung einer Verhandlungslösung zu verpflichten, die mit bestimmten, vorher vertraglich festgelegten Mehrheiten gefunden wurde. Dann wissen die Geldgeber, worauf sie sich einlassen. Das ist ein faires und transparentes Verfahren. Das verhindert, dass die sogenannten Geierfonds überhaupt aktiv werden können. Sie haben so kein Interesse mehr, sich spekulativ mit Schuldtiteln zu versorgen, und das Problem Geierfonds wäre auf diesem Wege gelöst. Staatliche Schuldenkrisen können dann kontrolliert abgewickelt werden. Die Bundesregierung bzw. wir als Parlament setzen uns deshalb beim IWF dafür ein, die Arbeiten in diesem Bereich intensiv fortzusetzen. Aber das braucht eine enge Beteiligung von IWF und Pariser Club und auch eine Einbeziehung der Gläubiger. Ohne ein solches Vorgehen können wir keinen Fortschritt erreichen. Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber bitte ganz kurz, Herr Kollege, ja? Manfred Zöllmer (SPD): – und das ist das Thema Schuldenprävention. Dieses Thema müssen wir im Auge behalten. Wir müssen die Gesamtproblematik Staatsschuldenkrise sehen. Wir brauchen vernünftige Regeln und Verfahren, die mit den relevanten Beteiligten entwickelt werden müssen. Was wir nicht brauchen, ist eine reine Symbolpolitik. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Dr. Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden auf Antrag der Grünen über Staatsinsolvenzen. Zunächst einmal wurde der Eindruck erweckt, das sei ein Spezifikum für Entwicklungsländer. Das ist der erste Fehler in Ihrem Antrag. Das ist eine Erfahrung, die auch viele Industrieländer gemacht haben. Deutschland hat das mehrere Male durchgemacht. Wir erleben in Europa diese Diskussion auch aktuell immer wieder. Deshalb ist die Frage: Warum geht es nur um Entwicklungsländer? Warum geht es nicht um die Frage: „Wie regeln wir entsprechende Vorgänge in Europa?“? Als Beispiel nenne ich Kalifornien und Puerto Rico. Selbst die Vereinigten Staaten von Amerika (Christian Petry [SPD]: Russland!) – Russland – und alle möglichen weiteren Länder waren kurzzeitig vor der Zahlungsunfähigkeit. Das Problem ist also – im wörtlichen und im übertragenen Sinne – viel globaler. Das bedeutet: Wir brauchen – da stimme ich Ihnen vollständig zu – einen rechtlichen Rahmen zur Regelung von Staatsinsolvenzen. Ich schaue zum Kollegen von den Linken: Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass ein solches Insolvenzverfahren damit einhergehen würde oder müsste, dass Inseln gepfändet werden, ist das natürlich neben der Sache. Darum geht es nicht. Wir brauchen ein völlig eigenständiges Verfahren; letztlich wurde es in vielen Bereichen auch schon privatautonom entwickelt. Aber denken wir einmal zurück: Was wollen eigentlich Insolvenzverfahren? Im Wesentlichen geht es um drei Punkte: Zum einen geht es darum, den Schuldner zu entlasten, damit er alte Schulden loswird. Das ist verständlich. Der zweite Punkt ist, die Forderungen der Gläubiger durchzusetzen, und zwar im gleichen Umfang unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. – Sie nicken jetzt; auf den Punkt komme ich gleich zurück. Schließlich geht es drittens darum – da besteht völlige Zustimmung bzw. Übereinstimmung –, den Schuldner, die Staaten wieder fit zu machen für den Kapitalmarkt, damit sie Renten und Sozialausgaben künftig zahlen können und auch wieder an den Kapitalmarkt gehen können. Aber in Ihrem Antrag ist – das merkt man, wenn man die Überschrift liest – im Wesentlichen nur von dem ersten Punkt die Rede, nämlich davon, Schuldnerstaaten zu entlasten. Aber es geht auch darum, Gläubigeransprüche durchzusetzen. Das sollte man einmal deutlich sagen. In den Szenarien, die Sie hier beschrieben haben, leiden auch die Gläubiger. Es leiden die Gläubiger, die auf ihre Ansprüche verzichtet haben. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich ja gesagt!) Am Ende kommen einige, nämlich die bösen Geierfonds, und setzen ihre Ansprüche durch. – Sie haben aber nicht erwähnt, dass auch die Gläubiger die Betroffenen sind. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das, was ich gesagt habe! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Hat er doch gesagt! Haben Sie nicht zugehört?) – Nein, er hat gesagt: Wir wollen die Staaten schützen. – Wir wollen auch die Gläubiger schützen. Wir wollen die Durchsetzung von Gläubigerinteressen unter Wahrung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Deshalb ist der Antrag – das kann ich an der Stelle schon sagen – nicht zur Lösung des Problems geeignet. Der Punkt ist dann – da stimme ich Ihnen im Ansatz zu –: Wenn wir dieses Problem lösen wollen, stellt sich die Frage, wo der Regelungsort ist. Ich glaube nicht, dass die Vereinten Nationen der primäre Ort sind, an dem Zahlungsansprüche behandelt werden können, also der richtige Adressat sind. Die Vereinten Nationen sind nicht das richtige Forum, darüber zu entscheiden. Kollege Zöllmer hat auf die entsprechenden Vorschläge hingewiesen. Weltbank und IWF sind die Foren, in denen über diese Frage nachgedacht werden muss. Da wird auch darüber nachgedacht. Wenn wir – ich habe es gerade gesagt – in Europa das gleiche Problem haben, dann müssen wir auch in der Europäischen Union über diese Frage nachdenken. Meine Fraktion hat gerade im Zusammenhang mit dem Bericht der fünf Präsidenten der Europäischen Union darauf hingewiesen, dass auch wir fordern, ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten einzuführen. Daran arbeiten wir. Ich kann Sie darauf hinweisen: Auch die Europäische Zentralbank denkt über diese Frage nach. Demnächst wird ein Tagungsband veröffentlicht, der genau die Punkte enthält, der sozusagen die Leitplanken nennt, die wir im Zusammenhang mit dieser Frage aufstellen müssen. Dieses Thema ist also in der Diskussion. Wir sollten die Antworten abwarten. Dann sehen wir weiter, welche Schlussfolgerungen wir daraus zu ziehen haben. Unabhängig davon – ich will das, was Kollege Zöllmer gesagt hat, noch einmal aufgreifen – gilt vieles von dem, was Sie sozusagen als Problem geschildert haben, schon jetzt. Denn wir sehen, dass die sogenannten Collective Action Clauses – sie haben die schöne Abkürzung CACs – nicht alle Fälle packen. Daher drängen wir gerade auf der europäischen Ebene im Bereich des ESM auf eine Reform. Griechenland hat genau das gemacht. Wenn Sie sagen, die Ansprüche seien vor staatlichen Gerichten durchsetzbar, muss ich Ihnen sagen: Vor deutschen Gerichten sind die Ansprüche, die auf der Basis des geänderten griechischen Rechts entstanden sind, gerade nicht durchsetzbar. Insofern haben wir das Problem nicht. Soweit es noch Anwendungslöcher gibt, was diese CACs angeht – Herr Zöllmer hat es genau beschrieben –, sind wir bereit – ich arbeite gerne daran mit –, an einer Lösung des Problems auf der europäischen Ebene mitzuwirken. Dann bleibt für Deutschland – wir haben es inzwischen mehrfach gehört – kein Anwendungsbereich. Damit geht Ihr Antrag ins Leere. Auf der internationalen Ebene ist das Forum ein anderes. Daran arbeiten wir. Das tun wir im Übrigen auch mit großer Überzeugung. Ihr Antrag aber ist in diesem Punkte nicht zielführend. Deshalb lehnen wir ihn ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/10639 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist die Überweisung so beschlossen Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung Drucksache 18/8625 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/10637 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Urheberinnen und Urheber stärken – Urhebervertragsrecht reformieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Dann hat zur Eröffnung der Aussprache der Kollege Christian Flisek, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wenn für eine Debatte wie die zum Urheberrecht insgesamt nur 25 Minuten anberaumt sind, dann muss man eigentlich gleich zur Sache kommen. Ich kann mir aber eine Vorbemerkung nicht ganz verkneifen. Mich hat schon irritiert, dass es nur die SPD-Fraktion war, die darauf insistiert hat, dass wir diese Debatte heute führen. Alle anderen Fraktionen waren geneigt, ihre Reden zu Protokoll zu geben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, ich wollte keinen Weißwein trinken!) Ich denke, das wird dem Thema, das wir hier verhandeln, nicht ganz gerecht. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, wir verhandeln heute die Arbeitsbedingungen, die Grundlagen für unzählige Künstler und Kreative in diesem Land. Ich glaube, das ist auch ein guter Tag für die Kreativen. (Zurufe von der Linken) – Hören Sie einfach einmal zu; denn sonst bekommen Sie von den vier Minuten, die ich rede, gar nichts mit. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sind jetzt schon zwei Minuten um! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Deswegen!) – Gemach, gemach! Nach Jahren folgenloser Ankündigungen – das muss man hier auch einmal sagen – ist die Lethargie im Urhebervertragsrecht überwunden. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Urheber stärken wollen, dass wir die Kreativen stärken wollen, und wir liefern heute. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren. Eines muss man deutlich sagen: Die Verhandlungen waren sehr intensiv; sie waren am Ende aber auch erfolgreich. Für die SPD-Fraktion war eines von Anfang an wichtig: Der rote Faden für uns war – Sie können sagen, das war unser Kompass –: Wir wollten die einzelnen Kreativen aus der Schusslinie nehmen, wir wollten sie in ihren Rechten stärken. Wir wollten vor allen Dingen dafür sorgen, dass sie mit gemeinsamen Vergütungsregelungen branchenspezifisch Regelungen zum Urheberrecht treffen können und dass sie, wenn es darum geht, Rechtsverletzungen geltend zu machen, also Verstöße gegen gemeinsame Vergütungsregelungen, aus der Schusslinie genommen werden. Das haben wir geschafft, das ist heute gelungen. Deswegen sage ich auch ganz ausdrücklich herzlichen Dank an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, an den Bundesminister Heiko Maas, an den Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange, und ich darf Sie bitten, Herr Staatssekretär, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sich zu erheben!) dass Sie diesen Dank auch an Ihr Referat weitergeben; (Beifall bei der SPD) denn wir haben hier insgesamt wirklich über die gesamte Strecke hinweg sehr kooperativ und gut miteinander verhandelt. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn das zur Sache ist!) Meine Damen und Herren, der Auskunftsanspruch war am Ende sozusagen der Casus knacksus. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Für uns als SPD-Fraktion war immer klar, dass jeder Journalist – egal ob Textjournalist oder Fotojournalist –, dass jeder Schauspieler einen Auskunftsanspruch haben muss. Ich bin froh, dass das gelungen ist. Deswegen ist dieser Auskunftsanspruch, den wir heute regeln, auch ein Auskunftsanspruch, der seinen Namen wert ist. Der Auskunftsanspruch ist ein Hilfsanspruch. Er dient dazu, die Grundlagen zu ermitteln, die Informationen zu bekommen, die ein Kreativer braucht, damit er seine angemessene Vergütung bemessen und beziffern kann. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe teilweise die Debatte nicht mehr verstanden. Da ist von den Zeitungsverlagen, von den Zeitschriftenverlegern der Untergang des Abendlandes an die Wand gemalt worden, nur weil man genau diesen Menschen, denen man seine Produkte verdankt, einen Auskunftsanspruch schuldet. Gleichzeitig waren es dieselben Verleger, die in Europa und auf nationaler Ebene ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger einforderten, die genau ein solches Auskunftsrecht von Plattformen und allen möglichen Internetprovidern einforderten. Das kann doch wirklich nicht sein. Das war eigentlich, so muss ich sagen, an Heuchelei am Ende nicht mehr zu überbieten. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir uns hier auf die Grundlagen besonnen haben und dass wir die Kreativen, die Urheber, in dieser Sache stärken. Wir wollen gemeinsame Vergütungsregelungen stärken – das haben wir geschafft –, weil wir glauben, dass diejenigen, die sich in einer Branche gegenübersitzen, am besten wissen, was in ihrer jeweiligen Branche Sache ist. Das wird ein großer Schritt hin zu einem branchenspezifisch ausdifferenzierten Urheberrecht sein. Ich glaube, da sind wir uns mit der CDU/CSU auch völlig einig. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Immer!) Das ist nicht des Teufels, sondern das sind kollektive Regelungen, die greifen und vernünftig sind. Deswegen war es richtig – ich komme zum Schluss –, auch darauf zu achten, dass Verstöße gegen solche kollektiven Vergütungsregelungen am Ende auch gemeinsam im Wege einer Verbandsklage durchgesetzt werden können. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterlassungsklage!) Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, um den einzelnen Kreativen aus der Schusslinie zu nehmen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch gar keine Verbandsklage, oder?) Wie gesagt, meine Damen und Herren, vier Minuten sind kurz, und sie sind vorbei. Man könnte zum Urhebervertragsrecht noch viel sagen. Aber noch einmal: Heute ist ein wirklich guter Tag für die Kreativen in diesem Land. Sie können sich auf uns verlassen, und sie haben mit uns Rückenwind. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat für die Fraktion Die Linke Dr. Petra Sitte das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als das Justizministerium voriges Jahr seine Pläne für ein neues Urhebervertragsrecht veröffentlichte, waren einige richtige Dinge geplant, um Urheberinnen und Urheber beim Aushandeln guter Verträge zu stärken. Prima! Dann kam die Union und kochte das Ganze im Sinne der Verlagslobby so weich, dass es – jetzt können Sie einmal sehen, Herr Flisek, wie ich mich in Ihre Situation hineindenke – (Heiterkeit des Abg. Christian Flisek [SPD]) der SPD zu viel wurde und sie bis zum letzten Drücker in dieser Woche Kompromisse erstritten hat. Herausgekommen ist allerdings ein Gesetzesmenü, das sowohl halb gar als auch versalzen ist. (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christian Flisek [SPD]: Die Kreativen loben es! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, na ja!) Ich nenne Ihnen gleich drei Beispiele; weitere Kernpunkte eines guten Urhebervertragsrechts und einer Urhebervertragsrechtsreform können Sie in unserem Entschließungsantrag finden. (Beifall bei der LINKEN) Erstes Beispiel. Statt einer Auskunftspflicht der Verwerter über die Werknutzung wird es nun nur einen eingeschränkten Auskunftsanspruch der Urheberinnen und Urheber geben. Zweites Beispiel. Statt eines bedingungslosen Kündigungsrechts der Urheberinnen und Urheber fünf Jahre nach Vertragsschluss räumt die Koalition nur ein Zweitverwertungsrecht für eigene Werke ein – das allerdings erst nach zehn Jahren. Drittes Beispiel. Es wird eben kein starkes Verbandsklagerecht für die Interessenvertretung der Urheberinnen und Urheber geben. Sie bleiben also auch weiter im Einzelkampf, insbesondere gegen die großen Verlagskonzerne. Doch damit nicht genug: Zeitgleich wird den Urheberinnen und Urhebern empfohlen, einen Teil ihrer oft spärlichen Einkünfte über die sogenannte Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften wieder abzugeben. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Solche Texte werden doch nie gelesen!) Mir haben, genauso wie Ihnen, große und profitable Verlagshäuser, aber eben auch gebührenfinanzierte Anstalten des öffentlichen Rundfunks geschrieben, dass sie quasi nur überleben können, wenn die Urheberinnen und Urheber ihnen etwas von deren ureigenen Einnahmen abgeben. Ich muss schon sagen: Dies ist an Gier kaum noch zu toppen. Dieses Beispiel lässt erahnen, dass mit der vorgeschlagenen Regelung wieder die Starken gestärkt werden. Sie werden nämlich die Chance nutzen und die Verlegerbeteiligung zur Bedingung für Vertragsabschlüsse machen. Dann wird aus Ihrer Gesetzesregelung „Die Urheberinnen und Urheber können etwas von ihren Einnahmen abgeben“ im Alltag schnell: Sie müssen etwas abgeben. – Dann sind wieder die Kreativen diejenigen, die das Nachsehen haben, weil es ein Abhängigkeitsverhältnis gibt. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Ohne Verlag kein Buch!) Natürlich gibt es auch Verlage, die wertvollste, aber eben nicht marktgängige Kulturprodukte anbieten, etwa aufwendige Produktionen im Kunst- und Lyrikbereich. Diese Hüter kultureller Vielfalt sind selbstverständlich auf jeden Cent angewiesen. Allerdings: Die VG WORT hat im aktuellen Ausschüttungsstreit gerade gegenüber solchen Verlagen durchaus kulante Rückzahlungsmodalitäten angeboten. Perspektivisch wäre es aus der Sicht der Linken sinnvoll, kleine und mittlere Literatur- und Kunstverlage in die Kulturförderung mit aufzunehmen und sie so gewissermaßen vom Marktdruck zu entlasten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass das nun wiederum kein sozialistisches Traumschloss ist – ich höre schon so manchen von der Union –, sondern funktionierende Realität, kann man sich zum Beispiel in Österreich ansehen. Die Koalition aber verfehlt lieber das dringend zu erreichende Ziel, die Verhandlungsposition der Kreativen nachhaltig zu stärken, weil die Union wieder einmal lieber auf der Seite der Verwertungsindustrie steht. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zuschauer haben wir zwar nicht mehr viele, aber seien auch Sie herzlich gegrüßt! Gute Regeln im Bereich des Urheberrechts zu treffen, sind eine anspruchsvolle Aufgabe. Daran kann man auch krachend scheitern. Das hat 2002 noch die damalige rot-grüne Regierung erfahren. Ich denke, wir legen heute ein gutes Gesetz vor, das auch den Gesetzentwurf, den zunächst der Justizminister vorgelegt hat, an entscheidenden Stellen wirklich substanziell verbessert. Es ist ein Gesetz für ganz viele unterschiedliche Branchen und für ganz unterschiedliche kreative Leistungen von Autoren, Journalisten, Fotografen, Musikern, Schauspielern, Regisseuren und vielen anderen mehr, auch von Übersetzern, von Stars bis hin zu denen, die die kleinen Beiträge liefern, was noch nichts darüber aussagt, wer die bessere Qualität liefert. Es sind ganz unterschiedliche Strukturen mit ihren jeweils spezifischen Verteilungskonflikten. Dabei geht es zunächst um die Frage: Wie groß ist der Kuchen, der verteilt werden kann? Da sitzen Kreative und Verwerter oft in einem Boot. Das schweißt sie zusammen, und das sollte man nicht vergessen, auch dann nicht, wenn sie an anderer Stelle miteinander streiten. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das ist für uns der Auftrag, gegen die weitverbreitete Umsonstmentalität anzugehen und Urheberrechtsverletzungen zu bekämpfen. Das ist auch etwas, was wir beachten müssen, wenn wir zum Beispiel über Haftung im Zusammenhang mit dem WLAN-Bereich oder wenn wir in Zukunft über die Regelung zur Wissenschaftsschranke reden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zukünftig! Aha!) Wir müssen die Fragen beantworten: Was ist uns Kultur in Deutschland wert? Was ist sie uns als Konsumenten wert? Wie stark wird sie in den Bildungs- und Wissenschaftshaushalten der öffentlichen Hand beachtet? Dann geht es auch um die Frage: Wer bekommt was vom Kuchen? Hier haben wir den Befund, dass es Defizite gegeben hat, zum Beispiel bei der Transparenz. Da stellt sich die Frage, was mit einem bestimmten Werk verdient werden kann, welche Erlöse erzielt worden sind und welche Ansprüche daraus abzuleiten sind. Wir haben Defizite bei der Durchsetzung, wir haben Missstände: vom Blacklisting bis hin zu prekären Beschäftigungsverhältnissen zum Beispiel bei Journalisten. Wir antworten darauf, indem wir neue Auskunftsrechte schaffen. Wir haben jetzt den jährlichen Auskunftsanspruch auch gegen diejenigen, die in der Verwertungskette tatsächlich die Informationen haben. Wir schaffen die neue Klagebefugnis für die Urheberverbände, die an gemeinsamen Vergütungsregeln beteiligt waren, und stellen damit sicher, dass diese auch eingehalten werden. Wir setzen Anreize, dies in den branchenspezifischen gemeinsamen Vergütungsregeln jeweils zielgerichtet und genau auch den Bedürfnisse der Branchen entsprechend zu regeln. Ich denke, das sind wichtige Verbesserungen. Ich möchte aber noch auf einen weiteren wichtigen Punkt eingehen. Wir legen hier die Grundlage dafür, dass Verlage auch weiterhin an den Erlösen aus den Verwertungsgesellschaften beteiligt werden können. Das ist eine seit Jahrzehnten gelebte und bewährte Praxis; denn zusammen sind an dieser Stelle die Urheber und die Verlage stärker. Unter dem Strich profitieren sie beide davon, dass die Verwertungsgesellschaften die gemeinsamen Rechte gegenüber Dritten durchsetzen, und zwar trotz aller unterschiedlichen Interessen, die ansonsten bestehen. Wir leisten hier einen ganz wichtigen Beitrag für das Überleben von Verlagen, vor allem der kleinen und mittleren Verlage, auf den diese auch dringend warten. Deshalb ist es gut, dass das Gesetz morgen schon schnell in den Bundesrat geht und dort voraussichtlich auch verabschiedet wird. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal kurz zu unterstreichen, welche Bedeutung die Verlage haben, weil von Ihnen schon wieder kritisiert wurde, dass wir diese Möglichkeit einräumen. Gäbe es die Verlage nicht, dann hätten wir viele Werke nicht, vor allem nicht in dieser Qualität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD]) Wir hätten viele Autoren nicht, wenn die Verlage ihnen nicht helfen würden, die Durststrecke von dem ersten Werk bis zur Entdeckung und bis zum Erfolg zu überstehen. Ich möchte noch etwas unterstreichen, wofür wir die Verlage brauchen. Wir reden im Moment sehr viel über die Informationsflut im digitalen Zeitalter, die über uns hereinbricht, bei der man das Wichtige gar nicht mehr vom Unwichtigen unterscheiden kann. Wir reden über Fake News, bei denen die Verlässlichkeit und der Wahrheitsgehalt von Informationen nicht mehr überprüft werden können. Auch hier haben die Verlage eine ganz wichtige Funktion; denn sie stehen mit ihren Namen dafür, dass hier journalistische Qualitätsstandards eingehalten werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Hauptarbeit!) Sie unterscheiden beim Angebot das Wichtige vom Unwichtigen und stehen mit ihrem Namen auch für einen zumindest relativen Wahrheitsgehalt ihrer Nachrichten. Das ist ein wichtiger Dienst an der Demokratie und der Meinungsvielfalt. (Beifall bei der CDU/CSU) Lasst uns deshalb die Verlage nicht unterschätzen. Sie sind ganz wichtig und haben eine große Bedeutung. In diesem Sinne: Es ist ein gutes Gesetz, das möglichst bald in Kraft stehen sollte. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich jetzt der Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort erteile, möchte ich es nicht versäumen, ihr zu ihrem heutigen Geburtstag zu gratulieren. (Beifall) Bitte schön. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Flisek, ich weiß gar nicht, was Sie meinten. Normalerweise sprechen die Geschäftsführer, wenn es tief in den Abend geht, immer über die Frage, ob das eine oder andere zu Protokoll geht, und dann ist es eigentlich üblich, dass wir uns das hier nicht gegenseitig vorwerfen. Ich war zu allem bereit. Ob Sie das nachher schön finden, werden Sie sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir alle haben angegeben, das Ziel dieses Gesetzentwurfs sei, die Urheberinnen und Urheber zu stärken. (Christian Flisek [SPD]: Ist auch gelungen!) Das war der Ursprung. Ich meine aber, dass das, was die Koalition jetzt vorgelegt hat, nicht ausreichend ist, um dem zustimmen zu können. Ich gebe dabei durchaus zu: Sie haben das eine oder andere, was immer verfolgt wurde, verbessert. Im Zusammenhang mit dem geregelten Auskunftsanspruch geht es aber um die Unterlassungsklage und nicht um die Verbandsklage. Davon steht dort nichts. Eine eigenständige Verbandsklage ist hier nicht vorgesehen, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!) und die Regelungen zu den Schlichtungsverfahren halte ich auch für unzureichend. Wir kritisieren den Gesetzentwurf, weil wir meinen, dass er nicht wirklich hält, was in den Anfängen seiner Beratung einmal versprochen wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Jenseits der Tatsache, dass wir hier ein geordnetes demokratisches Verfahren durchführen, fände ich es als Vorsitzende des Rechtsausschusses eigentlich auch schöner, sagen zu können: Bei uns wird das alles zeitlich gut beraten. – Zur Beratung zähle ich Ihre quälenden koalitionsinternen Gespräche übrigens nicht, auch wenn Sie sie Berichterstattergespräche nennen. Laut der Geschäftsordnung dieses Hauses finden die Beratungen nämlich im Plenum oder in den Ausschüssen statt und nicht in Koalitionsausschüssen, und von Gängeleien ist an dieser Stelle auch keine Rede. Am Dienstagvormittag dieser Woche – nicht irgendeiner Woche – bekamen wir dann die Vorlage. Die Frage war dann nur noch: Erklären wir einen Fristverzicht, beraten das Mittwochfrüh, oder beraten wir es am Dienstagmittag, wo aber bereits eine andere Sondersitzung stattfindet, in der über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes beraten werden soll? Diese Sondersitzung kam übrigens auch überraschend; denn seit 15 Jahren diskutieren wir immer in der letzten Sitzungswoche des Jahres über diese Verlängerung. Ich würde einmal vorschlagen, dass wir das Verfahren in Zukunft verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da Sie den Gesetzentwurf hier jetzt so loben, sage ich Ihnen: Er enthält eine ganze Menge unbestimmter Rechtsbegriffe, und ich finde, diese sind zu offen, als dass man sagen kann, dass das eine wirkliche Stärkung für die Urheberinnen und Urheber ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben von einer angemessenen Vergütung gesprochen. Was ist das? Man muss die Vergütung ja immer in Relation zu einer Verlagsbeteiligung setzen. Was ist angemessen? Für die Individuen bedeutet die Ausschüttung eine Existenzsicherung; ansonsten müssten sie aufs Amt gehen. Wenn wir die Existenzsicherung stärken wollen, dann müssten wir eigentlich sozusagen eine Wasserscheide angeben und sagen, was eine angemessene Vergütung sein kann. Oder gucken wir uns die Schlichtungsverfahren an. Der Ausstieg aus einem laufenden Schlichtungsverfahren soll zu keiner rechtlichen Konsequenz führen. Ich finde, das entspricht nicht einmal den Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ aus der vorherigen Legislaturperiode. Wofür setzen wir sie eigentlich ein, wenn wir den weisen Ratschlägen am Ende an keiner Stelle folgen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe es schon gesagt: Der eingefügte Unterlassungsanspruch ist ja schon mal ganz schön, aber er stellt kein echtes Verbandsklagerecht dar. Die Verlage können sich den Vergütungsregeln entziehen. Jetzt zu dem ganz neuen Punkt an der Stelle, nämlich der Verlagsbeteiligung. Zu dieser Neuerung kam es auch erst am Dienstagvormittag. (Christian Hirte [CDU/CSU]: Da war aber noch kein Geburtstag!) – Da war noch kein Geburtstag, genau. Deshalb habe ich es ja auch sofort gelesen, Herr Hirte. Danke für den Zwischenruf. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ja ein richtiges Geburtstagsgeschenk, Frau Künast!) Wenn ich mir die Verlagsbeteiligung anschaue, dann muss ich Ihnen sagen: Ich finde sie immer noch nicht hinreichend geregelt. Als ich Frau Winkelmeier-Becker im Ausschuss die Frage stellte, wie es jetzt eigentlich mit der Stimmberechtigung aussieht und ob die Verlage bei der Abstimmung darüber, wie gezahlt wird, das volle Stimmrecht haben oder nicht, konnte sie mir diese Frage nicht beantworten. Was haben Sie sich bei dieser Regelung gedacht? Das meine ich gar nicht negativ, sondern ich stelle die Frage nur im Sinne einer guten Gesetzesberatung. Die Gremien legen die Höhe des Verlegeranteils fest, oder? Das sage ich auch unter dem Gesichtspunkt, dass Verlage Geld brauchen, gerade kleine und mittelständische. Ich bin gar nicht gegen die Verlagsbeteiligung. Aber ich sage Ihnen: Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH und deren Auflage, die Vergütung neu zu regeln, hätte man sich das Ganze genauer überlegen müssen. In dem Gesetzentwurf steht nun: Der Urheber kann seine Rechte abtreten. – Aber die Urheber könnten das auch heutzutage schon machen, niemand hindert sie nach jetzigem Recht daran. Diese Kannvorschrift wird sich meines Erachtens am Ende so auswirken, dass schon in den Verträgen steht: Ich bin, wenn das Werk angemeldet ist, zu einer Verlagsbeteiligung bereit. – Damit haben wir, da wir das Wort „angemessen“ nicht definiert haben, im Vergleich zu heute überhaupt nichts gewonnen, meine Damen und Herren. Ich glaube, der Druck bleibt an vielen Stellen trotz des Anspruchs auf Auskunft bestehen. Mein letzter Satz. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie haben jetzt aber Ihren Geburtstagsbonus ganz schön ausgereizt. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh ja. – Ein Wort zum Thema Wissenschaftsschranke. Bisher haben wir keine Regelung zur Nutzung von wissenschaftlichen Beiträgen, die aus Steuergeldern finanziert werden – wir hatten gerade beim Thema Rosenburg so etwas –, für die man nachher noch einmal Geld bezahlen muss, um sie in Buchform zu kaufen. Das empfinde ich als ein echtes schwarzes Loch in Ihren Regelungsvorschlägen. So kann man dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU]) Siegmund Ehrmann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz des geistigen Eigentums ist ein hehrer Begriff. Wer sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen und Künstler beschäftigt und nicht nur mit der der High Performer, der sieht hervorragend ausgebildete, hochbegabte Menschen. Aber was bei ihnen manchmal zur Hälfte des Monats in der Brottrommel ist, ist oft sehr wenig. Zu einem wesentlichen Aspekt, die Situation der Künstlerinnen und Künstler, der Kreativen zu stabilisieren, gehört neben fairen und gerechten Honoraren auch die Frage der angemessenen Vergütung der Urheberinnen und Urheber. Wir haben uns in dieser Legislaturperiode, gemessen an der vorherigen Legislaturperiode, als Bestandteil des Koalitionsvertrages nicht nur einiges vorgenommen – das stand schon einmal in den Koalitionsvereinbarungen –, sondern wir haben tatsächlich etwas auf den Weg gebracht. In der Tat, Frau Künast, stellt sich die Frage: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Ich bewerte das, was wir gerade auch im Bereich des Auskunftsrechtes modifiziert haben, als richtigen Fortschritt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das bringt die Dinge nach vorne. Es ist auch ein Fortschritt, dass wir die gemeinsamen Vergütungsregeln gestärkt haben. Dass dieses Instrument ausbaufähig ist, ist von Christian Flisek schon dargelegt worden. Ich finde, das sind die absolut richtigen Ansätze. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten innerhalb der Koalition sehr intensiv gerungen. Das eine oder andere hätten wir aus unserer Sicht sicherlich offensiver gestalten können, wenn nicht auch – da gebe ich Ihnen recht – die Frage nach dem Schlichtungsverfahren im Raum gestanden hätte. Diese Regelung hätte man schärfer fassen können. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diese Regelung hätte man konkreter ausgestalten müssen, was insbesondere die Verbindlichkeit der Schlichtersprüche angeht. Das wird sich in einem weiteren Anlauf in der nächsten Legislaturperiode sicherlich besser darstellen lassen. Aber die Regelung ist auf jeden Fall in die richtige Richtung gelenkt worden. Ich komme zur Verlegerbeteiligung. Dieser Punkt ist von der Vorrednerin aus der Union zu Recht angesprochen worden. Die Bedingungen im Buchmarkt zeigen ein symbiotisches Verhältnis der Autoren zu den Verlagen. Es hat sich dort über viele Jahrzehnte eine Praxis herausgebildet, die nun durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, aber auch durch die nationale Rechtsprechung in Zweifel gezogen wurde. Ich erinnere nur an das Vogel-Urteil. Ich denke, es ist mit dieser Novelle gelungen, die von den Richtern festgestellte Lücke einigermaßen rechtssicher zu schließen, um hier Klarheit zu schaffen. Ich finde, das ist ein guter Weg, der beschritten wird. Es bleibt noch einiges zu tun, damit das auch europarechtlich wasserdicht ist. Da ist eindeutig noch Handlungsbedarf. Ich freue mich, dass wir in dieser Novelle zum Urhebervertragsrecht auch diesen Aspekt haben regeln können. Ich danke dem Haus für die gute Zusammenarbeit. Ich danke den Koalitionskolleginnen und -kollegen für die sehr gute Zusammenarbeit. Insbesondere möchte ich auch den Rechtspolitikern – vornehmlich Johannes Fechner und Christian Flisek – für die intensive Konsultation fraktionsinterner Art danken, weil es auch ein Herzstück von Kulturpolitik ist, dort ein gutes Instrument zu haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Silke Launert das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD]) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Kultur hat ihren Wert, und wer kulturelle Werke schafft, hat auch das Recht auf eine ordentliche Bezahlung. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Doch leider sieht die Realität oft anders aus. Nehmen wir zum Beispiel einen jungen Opernregisseur. Nach vielen Jahren des Studiums und vielen langen, oft unbezahlten Hospitanzen an Theatern ist er freiberuflich tätig und verdient seinen Lebensunterhalt mit einzelnen Produktionen an kleinen Häusern. Für solch eine Produktion erhält er in der Regel eine Gage um die 10 000 Euro. Damit sind abgegolten: die etwa ein Jahr dauernde Vorbereitung auf die Produktion, die verschiedenen Treffen mit dem Produktionsteam in den sogenannten Konzeptionsgesprächen – also mit der Intendanz, dem Dramaturgen, dem Bühnenbildner usw. – und die sechs Wochen Probezeit vor der Premiere, die kein Wochenende kennt. Schließlich müssen davon nicht selten auch noch die Reise- und Übernachtungskosten gezahlt werden. Wenn ein Regisseur wirklich hart arbeitet, dann schafft er vielleicht drei solcher Produktionen im Jahr. Beim Schauspiel können Sie davon ausgehen, dass sogar noch weniger bezahlt wird als bei der Oper. Dieses Beispiel ist typisch für die Kreativbranche. Viele Künstler leben von der Hand in den Mund. Dabei ist die Kultur- und Kreativwirtschaft mit einem jährlichen Umsatz von etwa 146 Milliarden Euro vergleichbar mit den großen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise Automobilindustrie, Maschinenbau oder Chemie. Der Gesetzgeber hat schon im Jahr 2002 reagiert und für Kreative das Recht auf eine angemessene Vergütung im Gesetz verankert. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass Kreative und Verwerter immer noch nicht auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Manchmal erinnert es an den Kampf Davids gegen Goliath. Die Digitalisierung und das Internet haben zudem dazu geführt, dass die Verwertung urheberrechtlicher Werke ein sehr viel größeres Ausmaß angenommen hat. Auch das wird von den Vertragspartnern der Urheber nicht immer ausreichend berücksichtigt, wenn es um die Beteiligung der Urheber an dem Erlös ihres Werkes geht. Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, werden wir Kreative nun noch mehr stärken: Künftig sollen Urheber die Vergütung erhalten, die ihnen gebührt. Auch das ist, wie gesagt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Deshalb konkretisieren wir nun – es wundert mich, dass das heute noch niemand erwähnt hat –, dass Häufigkeit und Ausmaß der Werknutzung bei Vereinbarung der Vergütung zu berücksichtigen sind. So muss es sich für einen Drehbuchautor auszahlen, wenn sein Film nicht nur einmalig ausgestrahlt wird, sondern später, beispielsweise in der Mediathek, immer wieder. Der Union war es jedoch auch von Anfang an ein Anliegen, die etablierten Geschäftsmodelle nicht zu unterlaufen. Es geht nicht nur darum, die Kreativen zu stärken. Das ist zwar ein Hauptanliegen, aber es geht auch darum, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Kreativen, der Urheber, und den Interessen der Verwerter zu schaffen. Nach der ersten Lesung bestand die Herausforderung in den vergangenen Monaten nun vor allem darin, den Einzelheiten der unterschiedlichen Branchen gerecht zu werden. Dabei hat sich gezeigt: Das ist unmöglich. Wir können als Gesetzgeber nicht alle Einzelheiten regeln. Die Kreativbranche ist zu heterogen. Film, Musik, Theater, Design, Software: Diese Branchen spielen jeweils nach ihren eigenen Regeln und Normen. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist deshalb – darin waren wir uns zum Glück fraktionsübergreifend einmal einig –, vorrangig auf gemeinsame Vergütungsregeln hinzuwirken, die zwischen gleichrangigen Partnern ausgehandelt werden, zum Beispiel zwischen dem Verband Deutscher Filmproduzenten und einem Filmverleih oder zwischen dem Deutschen Journalisten-Verband und dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Denn wer, wenn nicht die Urheber selbst, weiß am besten, was eine faire Beteiligung ist? Bislang sind aber leider noch viel zu wenige Kreative in Verbänden und Vereinigungen organisiert. Das ist ein riesiges Problem. Ich kann alle Künstler, Kreativen und Urheber nur aufrufen: Organisieren Sie sich! – Die Geschichte zeigt: Nur wenn man sich verbündet, ist man stark. Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs war es uns von der Union wichtig, dass er nicht bei jeder Kleinigkeit erfüllt werden muss. Wir haben uns nicht gegen ihn gewehrt. Wir akzeptieren ihn und finden ihn gut. Ein solcher Anspruch stellt die Voraussetzung dafür dar, dass ein Kreativer weiß, wie sehr sein Werk genutzt wurde. Allerdings macht es bei sogenannten nachrangigen Beiträgen keinen Sinn, die Verwerter über Gebühr zu belasten. Nur ein Beispiel: In einem Film ist ganz kurz ein Schauspieler als Taxifahrer zu sehen. Dann stellt sich die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, vielleicht bis zu 1 000 Auskunftsansprüche für einen Film zu erfüllen. Wir haben kein Interesse, permanent Bürokratie zu schaffen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Launert, denken Sie an die Zeit! Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Oh, wie ich sehe, steht dort ein Minus. (Heiterkeit) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wenn Sie genau schauen, dann stellen Sie fest, dass da schon lange ein ganz dickes Minus ist. Kommen Sie bitte zum letzten Satz. Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Ich begrüße, dass wir auf die Rechtsprechung des EuGH reagieren und dass wir die Beteiligung der Verwertungsgesellschaften ermöglichen. Viele Autoren sind froh, dass es Verlage gibt und dass sie sich mit vielen Sachen nicht befassen müssen, sondern sich nur um die Schaffung ihres Werkes kümmern können. Davon profitieren dann auch wir. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10637, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8625 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die Koalition. Wer ist dagegen? – Das ist die Opposition. Enthaltungen gibt es keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10660. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Zusatzpunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/10637 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7518 mit dem Titel „Urheberinnen und Urheber stärken – Urhebervertragsrecht reformieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8245 mit dem Titel „Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Enthaltungen? – Keine. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen Drucksache 18/10629 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind.10 Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/10629 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen Drucksache 18/9946 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/10654 Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Sie sind einverstanden.11 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10654, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/9946 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444 Nr. 1.10 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/10668 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.12 Damit kommen wir zur Abstimmung. Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.13 Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10668, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10209 und 18/10352 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10677. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Grünen und die Linken. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes Drucksache 18/10009 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) Drucksache 18/10542 Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.14 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10542, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10009 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes Drucksache 18/10456 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/10661 Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.15 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10661, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10456 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes Drucksache 18/10026 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/10663 Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auch Änderungen des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.16 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10663, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10026 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 21: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung über die Bewirtschaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) Drucksachen 18/10345, 18/10444 Nr. 2.1, 18/10656 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.17 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10656, der Verordnung auf Drucksache 18/10345 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen Drucksache 18/10651 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind alle einverstanden.18 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10651 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, damit sind alle einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken Drucksache 18/10632 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Das stößt auf allgemeines Einverständnis.19 Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf Drucksache 18/10632 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Auch hier sehe ich, dass alle damit einverstanden sind. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) Drucksache 18/10605 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken Drucksache 18/10630 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind alle einverstanden.20 Unter den Fraktionen ist vereinbart worden, die Vorlagen auf den Drucksachen 18/10605 und 18/10630 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) Drucksache 18/10144 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind alle einverstanden.21 Die Fraktionen haben vereinbart, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/10144 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es von Ihrer Seite dazu andere Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG) Drucksache 18/10631 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.22 Auch hier haben sich die Fraktionen geeinigt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/10631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 16. Dezember 2016, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Restabend. (Schluss: 22.05 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Brandt, Helmut CDU/CSU 15.12.2016 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.12.2016 Bülow, Marco SPD 15.12.2016 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.12.2016 Ernstberger, Petra SPD 15.12.2016 Gunkel, Wolfgang SPD 15.12.2016 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 15.12.2016 Heck, Dr. Stefan CDU/CSU 15.12.2016 Hübinger, Anette CDU/CSU 15.12.2016 Ilgen, Matthias SPD 15.12.2016 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.12.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 15.12.2016 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 15.12.2016 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 15.12.2016 Mortler, Marlene CDU/CSU 15.12.2016 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 15.12.2016 Nahles, Andrea SPD 15.12.2016 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.12.2016 Schäuble, Dr. Wolfgang CDU/CSU 15.12.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 15.12.2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 15.12.2016 Schwarz, Andreas SPD 15.12.2016 Stein, Peter CDU/CSU 15.12.2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 15.12.2016 Strebl, Matthäus CDU/CSU 15.12.2016 Uhl, Dr. Hans-Peter CDU/CSU 15.12.2016 Vries, Kees de CDU/CSU 15.12.2016 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.12.2016 Weber, Gabi SPD 15.12.2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 15.12.2016 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 15.12.2016 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer, Ulrike Bahr, Lothar Binding (Heidelberg), Bernhard Daldrup, Dr. Ute Finckh-Krämer, Bettina Hagedorn, Frank Junge, Gabriele Katzmarek, Hiltrud Lotze, Dr. Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Bettina Müller, Christian Petry, Susann Rüthrich, Johann Saathoff, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Ewald Schurer, Norbert Spinrath und Dagmar Ziegler (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) Mit der heutigen Entscheidung geht unser Parlament den historischen Schritt einer Neuordnung der Verantwortung und damit auch Finanzierung der Atomenergie-Folgelasten. Zwar liegt im Sinne des Verursacherprinzips die Verantwortung zur Abwicklung der Atomenergienutzung richtigerweise grundsätzlich bei den Betreibern von Atomkraftwerken und den betreffenden Energiekonzernen. Letztlich wird aber die Allgemeinheit zur Verantwortung gezogen, wenn die Betreiber etwa durch Konzernaufspaltungen oder Insolvenzen nicht mehr zur Haftung herangezogen werden können. Zugleich muss uns bewusst sein, dass über Jahrzehnte unterbliebene Vorsorge nachträglich kaum mehr erfüllbar ist. Während mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz die auch ökonomische Verantwortung von Stilllegung, Rückbau und Verpackung beim Betreiber verbleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, insofern die hierfür nun gesetzlich formulierten Voraussetzungen erfüllt werden. Die langfristig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird dabei über einen öffentlich-rechtlichen Fonds getragen, der vonseiten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszustatten sein wird. Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen. Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war vonseiten unseres Koalitionspartners trotz erfolgten Kabinettsbeschlusses verhindert worden. Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mitverabschiedet wird. Kritisch betrachten wir dabei, dass sich die Nachhaftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht. Eine umfassendere Nachhaftungsregelung konnte leider nicht geeinigt werden. Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Option des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu abgeschafft. Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert. Erst in der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht den politisch in Abwägung mit Gesundheits- und Umweltschutzbedarfen entschiedenen Atomausstieg als im Wesentlichen verfassungskonform beschieden. Allein vor diesem Hintergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rücknahme aller im Zusammenhang mit Atomenergienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigungen der Konzerne nicht erfasst sind. Es entspricht unserem parlamentarischen Selbstverständnis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Konzerne und einer sich hierüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituation eine Neuberechnung der Kostenlasten vorzunehmen wäre. Es entspricht auch der mit einem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Ausschussdrucksache 18(9)1073 – erklärten Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen. Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwartungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden. Hierfür hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt. Wir bedauern, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner gesetzlichen Regelung zustimmen wollte. Während des parlamentarischen Verfahrens ist es gelungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu gewährleisten. In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen. Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur faktischen Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen, wenn etwa bereits ein Regierungsentwurf von Bindungswirkung in Bezug auf die Einstimmigkeit eines Kommissionsbeschlusses gekennzeichnet ist. Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den hiesigen öffentlichen Anhörungen, aber auch den einzelnen Abgeordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. Nach unserer Überzeugung sollten Kommissionen der hier eingesetzten Form nur in absoluten Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn der Fokus einzubeziehender Expertise dies über die Thematik und die Dauer sowie den Hergang einer öffentlichen Auseinandersetzung rechtfertigt. In einer Gesamtbetrachtung begrüßen wir, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwicklung der Atomenergienutzung geschaffen wird, und stimmen dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bärbel Höhn, Harald Ebner, Matthias Gastel, Oliver Krischer, Steffi Lemke und Tabea Rößner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) Jahrzehntelang haben die vier großen Energiekonzerne in Deutschland mit der Produktion von Atomstrom Milliarden verdient und gleichzeitig Unmengen an radioaktivem Müll produziert, der nachfolgende Generationen noch lange belasten wird. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission zur Finanzierung des AKW-Rückbaus und der Atommüllendlagerung (KFK) kommt zu spät, und er überträgt das Risiko der letztlich unabsehbaren Kostensteigerungen im weiteren Umgang mit dem Atommüll an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der KFK-Empfehlungen stellt aber auch sicher, dass die Atomkonzerne für die Beseitigung des hochgefährlichen Atommülls zahlen. Für Stilllegung und Rückbau werden die Unternehmen bis 2040 rund 60 Milliarden Euro aufwenden müssen. Ihre Rückstellungen dafür werden sie künftig transparent mit liquiden Mitteln unterlegen müssen. Dies wird von Bundesregierung und Bundestag überprüft. Ihre Rückstellungen von bisher gut 17 Milliarden für die Finanzierung von Zwischen- und Endlagerung des Atommülls müssen die Konzerne an den Staat in bar übertragen. Hinzu kommt ein Risikoaufschlag von 35 Prozent, um künftige Risiken abzudecken; es wird also ein 24 Milliarden Euro starker öffentlich-rechtlicher Fonds gebildet. Damit wird dem Risiko der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, bei Insolvenz oder Unternehmensumbildung der Konzerne die gesamten anfallenden Atommüllkosten tragen zu müssen, begegnet. Im Zuge der Debatte um den Gesetzentwurf konnten die Atomkonzerne dazu bewegt werden, die meisten ihrer Klagen im Atomsektor zurückzuziehen. Die beiden Klagen mit dem tatsächlich relevanten Finanzvolumen bleiben allerdings bestehen, die Klage gegen die Brennelementesteuer und die Klage Vattenfalls vor dem Washingtoner Schiedsgericht ICSID. Sollten diese erfolgreich sein, könnten sich die Konzerne darüber bis zur Hälfte ihrer Einzahlungen in den Entsorgungsfonds wieder zurückholen. Mit dem Urteil der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht in höchstrichterlicher Instanz der Klage der EVU gegen den Atomausstiegsbeschluss von 2011 eine klare Absage erteilt. Das lässt vermuten, dass es sich auch bei der Klage gegen die Brennelementesteuer nicht dem Rechtsverständnis der Atomkonzerne anschließt. Wir halten aber nicht nur die bisherige Erhebung der Brennelementesteuer für rechtens, sondern auch ihre Fortführung, solange die AKWs laufen. Die finanzielle Beteiligung der Atomkonzerne zum Beispiel an den Sanierungskosten der Asse wird über die Brennelementesteuer gewährleistet, und eine solche Beteiligung ist absolut sachgerecht. Die zweite finanzrelevante Klage ist die von Vattenfall vor dem Internationalen Schiedsgericht ICSID. Es ist unwahrscheinlich, dass sich das Schiedsgericht in Washington die Rechtsauffassung unseres Bundesverfassungsgerichts zu eigen macht, gelten doch vor Schiedsgerichten vor allem die Interessen und Investitionen von Unternehmen als Leitlinien des Rechtsempfindens. Politisch hat Vattenfall keinerlei Begründung mehr, Klage vor diesem Internationalen Schiedsgericht zu führen, das für die Fälle installiert wurde, in denen nationale Gerichte einem Investor keine Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das BVerfG hat Vattenfall mit seinem Urteil bereits Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der Auftrag an die Bundesregierung mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung ist also klar: Sie muss dafür Sorge tragen, dass auch diese Klagen zurückgenommen werden. Das ist sie dem versprochenen Rechtsfrieden schuldig. Dabei kann sie auf unsere Unterstützung zählen. Gerade als grüne Abgeordnete, die immer gegen die unverantwortliche Nutzung der Atomkraft gekämpft haben, stehen wir auch für das Suchen nach verantwortlichen Lösungen der Probleme, die uns nach Abschalten der Atomkraftwerke bleiben. Dieses Gesetz ist eine Notoperation, weil es zu spät kommt. Es rettet, was zu retten ist, und schützt damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vor noch größeren Risiken. Deshalb stimmen wir ihm zu. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Peter Meiwald und Sven-Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) Wir begrüßen ausdrücklich die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls als Umsetzung des Ergebnisses der „Kommission zur Finanzierung des AKW-Rückbaus und der Atommüllendlagerung“ (KFK). Mit dem vorliegenden Gesetz werden die finanziellen Rückstellungen der Atomkonzerne für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls endlich in einen öffentlich-rechtlichen Fonds übertragen. Bei Zahlung eines Risikozuschlags von 35 Prozent bis spätestens 2022 entfällt die Nachhaftung für die Unternehmen. Durch den Fonds wird das Geld langfristig für die vorgesehenen Aufgaben gesichert und vom wirtschaftlichen Schicksal der Energieversorgungsunternehmen (EVU) RWE, Eon, Vattenfall und EnBW entkoppelt. Dieser Fonds wird zukünftig von einem Kuratorium mit demokratisch legitimierten Vertretern aus dem Bundestag kontrolliert. Das ist eine klare Verbesserung im Vergleich zum ersten Entwurf des Gesetzes. Für die Stilllegung und den Rückbau der Atomkraftwerke (AKW) und die Verpackung des Atommülls bleiben die Betreiber der Atomkraftwerke weiterhin vollständig finanziell verantwortlich und haften auch dann, wenn die Kosten zukünftig hierfür steigen. Die Verursacher des Atommülls, die Energieversorger, saßen in der KFK mit am Tisch. Sie haben den Vorschlag zur Neuregelung der Finanzierung der Atomaltlasten mit verhandelt. Die EVU haben nun angekündigt, einen Teil der Klagen gegen den Staat zurückzuziehen, wenn das Gesetz verabschiedet wird. Dazu gehört beispielsweise auch die Klage gegen Zahlungsbescheide im Zusammenhang mit dem Erkundungsbergwerk Gorleben. Dieser Klageverzicht ist wichtig, aber reicht nicht aus. Denn zwei zentrale Rechtsstreitigkeiten, die den finanziellen Großteil der Klagen mit mehreren Milliarden Euro ausmachen, wollen die EVU aber weiterhin aufrechterhalten: die Auseinandersetzung um die Brennelementesteuer und die Klage von Vattenfall vor dem internationalen Schiedsgericht in Washington gegen den Atomausstieg – obwohl Vattenfall vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich Rechtsschutz gewährt wurde. Beides kann theoretisch zu Schadensersatzzahlungen führen, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu tragen haben, neben bereits heute entstandenen hohen Gerichts- und Anwaltskosten. Es zeugt aber vor allem davon, dass die Atomunternehmen – auch nach langer gesellschaftlicher Auseinandersetzung um die Atomkraft – den großen gesellschaftlichen und politischen Willen nach Ausstieg aus dieser Hochrisikotechnologie und der Lastentragung nach dem Verursacherprinzip nicht vollständig akzeptieren wollen. Zu einem kompletten Rechtsfrieden bezüglich der Abwicklung der Atomkraft ist die Atomwirtschaft nicht bereit, sondern sie will sich ihre Kosten über eingeklagte Schadensersatzzahlungen teilweise wieder zurückholen. Das ist für uns nicht akzeptabel. Zumal die Betreiber der AKW weitere Milliarden Euro sparen werden, wenn die Bundesregierung an ihrer Positionierung festhält und die Brennelementesteuer zum Ende des Jahres einfach auslaufen lässt. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert, die Steuer nicht nur weiter zu erheben, bis das letzte AKW vom Netz geht, sondern die Steuer ab sofort auch um circa 50 Prozent anzuheben. Heute kann noch niemand sagen, ob die Geldsumme, die in den öffentlich-rechtlichen Fonds eingezahlt wird, plus die angenommenen Zinsgewinne ausreichen, um den Atommüll eine Million Jahre sicher zu lagern. Erhebliche Kostensteigerungen bei einem Großprojekt aufgrund der außergewöhnlichen Dimensionen und der mangelnden konkreten Erfahrungswerte sind nicht auszuschließen. Nicht nur die Kosten des Baus eines Atommüllendlagers kann heute niemand genau berechnen. Auch bereits die wissenschaftliche, ergebnisoffene Standortsuche wird große Summen kosten, zumal die Suche nach einem sicheren Endlager in Deutschland noch gar nicht richtig begonnen hat. Und wir brauchen unbedingt eine solche sorgfältige Suche. Denn sonst wird es hinterher noch teurer: Was es bedeutet, wenn ein ungeeigneter Standort für Atommüll ausgewählt wird, sehen wir in Niedersachsen in der Asse, wo der schwach- und mittelradioaktive Atommüll nach der Havarie nun aufwendig geborgen werden muss: Dann kostet das Aufräumen sehr viel mehr als der Bau eines Endlagers. Die Rückstellungen plus Risikozuschlag müssen jetzt gesichert werden, denn wir haben angesichts des Insolvenzrisikos der EVU keine Zeit, abzuwarten, bis zu erwartende Kosten genauer ermittelt werden können. Wir fordern, dass auch die Konzerne ehrlich ihre Verantwortung in dieser zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzung übernehmen – und dazu gehört die unverzügliche Herstellung vollständigen Rechtsfriedens in allen Klageverfahren bezüglich des Atomausstiegs. Wir erwarten, dass die Anlagerichtlinien des Fonds enkeltauglich umgesetzt werden. Eine „nachhaltige Anlage“ der Gelder bedeutet für uns insbesondere, dass nicht nur eine Geldanlage in Unternehmen der Atomenergie ausgeschlossen wird, sondern auch in fossile Energieträger und fossile Infrastrukturen. Denn die internationale Divestment-Bewegung lässt annehmen, dass solche Geldanlagen, beispielsweise in Kohle oder Erdöl, nicht nur politisch kontraproduktiv wirken würden, sondern auch ökonomisch deutlich schneller an Wert verlieren werden als der Bau eines Atommülllagers in Deutschland dauern könnte. Nach Abwägung dieser Punkte werden wir nicht gegen das Gesetz stimmen, weil es einen ganz wichtigen Schritt, nämlich die Sicherung der Rückstellungen mit Risikozuschlag in einen öffentlich-rechtlichen Fonds, vollzieht. Wir können aber auch nicht für das Gesetz stimmen, weil die Atomunternehmen, für welche die Bundesrepublik Deutschland für den Bereich der Zwischen- und Endlagerung des Atommülls die Haftung und damit auch die finanziellen Risiken übernimmt, nicht zu einem vollständigen Rechtsfrieden bereit sind und Milliardenklagen gegen den Staat aufrechterhalten. Deswegen enthalten wir uns bei der Abstimmung. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) Heike Baehrens (SPD): Mit der heutigen Entscheidung wird die Neuordnung der Verantwortung und Finanzierung der Atomenergie-Folgelasten geregelt. Während mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz die ökonomische Verantwortung von Stilllegung, Rückbau und Verpackung beim Betreiber verbleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, wenn die hierfür nun gesetzlich formulierten Voraussetzungen erfüllt werden. Die langfristig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird über einen öffentlich-rechtlichen Fonds getragen, der vonseiten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszustatten ist. Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen. Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war vonseiten unseres Koalitionspartners trotz erfolgten Kabinettsbeschlusses verhindert worden. Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mit verabschiedet wird. Kritisch betrachte ich dabei, dass sich die Nachhaftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht. Eine umfassendere Nachhaftungsregelung wird leider nicht von der CDU/CSU mitgetragen. Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Option des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu abgeschafft. Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert. Gerade hat das Bundesverfassungsgericht den politisch in Abwägung mit Gesundheits- und Umweltschutzbedarfen entschiedenen Atomausstieg als im Wesentlichen verfassungskonform beschieden. Allein vor diesem Hintergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rücknahme aller im Zusammenhang mit Atomenergienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigungen der Konzerne nicht erfasst sind. Es entspricht meinem parlamentarischen Selbstverständnis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Konzerne und einer sich hierüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituation eine Neuberechnung der Kostenlasten vorzunehmen ist. Es entspricht auch der mit einem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Ausschussdrucksache 18(9)1073 – erklärten Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen. Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwartungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden. Hierfür hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt. Ich bedaure, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner gesetzlichen Regelung zustimmen wollte. Während des parlamentarischen Verfahrens ist es gelungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu gewährleisten. In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen. Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur faktischen Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen. Darum sehe ich die Bezugnahme im Gesetzentwurf der Bundesregierung auf die Einstimmigkeit eines Kommissionsbeschlusses als kritisch an. Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den öffentlichen Anhörungen, aber auch der Unabhängigkeit von uns Abgeordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. In einer Gesamtbetrachtung begrüße ich, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwicklung der Atomenergienutzung geschaffen wird, und stimme dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ich begrüße ausdrücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanzielle Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraftwerksbetreibern und Bund neu geregelt wird. Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit. Auch das Ziel des Nachhaftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich. Energieversorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien. Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württemberg AG auf die Anteilseigner, den Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und das Land Baden-Württemberg, ablehne. Ich halte diese Haftungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedankens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht. Ich stimme deshalb mit Ja. Marco Bülow (SPD): Ich begrüße eine grundlegende Neuregelung der Verantwortung der nuklearen Entsorgung. Der Übergang der Verantwortung einer so wichtigen, langfristigen Aufgabe von profitorientierten Privatunternehmen zu dem Gemeinwohl verpflichteten staatlichen Institutionen ist absolut nachvollziehbar. Die Sicherung der Rückstellungen der AKW-Betreiber für die Entsorgung des Atommülls ist eine Angelegenheit, die ich schon lange gefordert habe. Allerdings halte ich es im Grundsatz für falsch, das überhaupt noch nicht abzuschätzende finanzielle Risiko der Entsorgung komplett auf den Steuerzahler zu übertragen und die eigentlichen Verursacher mit der einmaligen Zahlung eines klar definierten Geldbetrags aus der Verantwortung zu entlassen – zumal der darin enthaltene Risikoaufschlag von 35,47 Prozent auf den Grundbetrag eines jeden AKW aus meiner Sicht zu gering ausfällt. Erfahrungen zeigen, dass die tatsächlichen Kosten bei Projekten im Bereich der Atomenergie vorherige Kostenabschätzungen eher um ein Vielfaches übertreffen als nur um ein Drittel. Zudem ergibt sich für die AKW-Betreiber im nächsten Jahr die Situation, dass die Kernbrennstoffsteuer nicht mehr gezahlt werden muss. Nach Schätzungen des Forums ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS) würde eine Weiterführung der Steuer bis zum endgültigen Abschalten des letzten deutschen Atomkraftwerks 3,9 bis 5,8 Milliarden Euro Einnahmen sichern. Der Wegfall der Steuer dagegen bringt den Betreibern 2,9 bis 4,4 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne. Das bedeutet, dass ein Großteil des in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Risikoaufschlags von insgesamt 6,167 Milliarden Euro durch den Wegfall der Kernbrennstoffsteuer gedeckt wird. Im Gegenzug hätte also wenigstens die Steuer verlängert werden müssen. Schließlich sind die Gründe, die zur Einführung der Steuer geführt haben, nach wie vor vorhanden. Aus meiner Sicht sind diese Entscheidungen im Wesentlichen dadurch motiviert, dass die betroffenen Unternehmen nicht in eine schwierigere ökonomische Situation gebracht werden sollen, durch die auch die Situation der Beschäftigten in Gefahr geriete. Dies ist zwar im ersten Moment nachvollziehbar, macht den Staat aber erpressbar. Es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass die Atomenergie insgesamt und somit auch ihre kommerzielle Nutzung über ein halbes Jahrhundert lang massiv staatlich gefördert wurde. Berechnungen gehen allein für den Zeitraum 1970 bis 2014 von über 200 Milliarden Euro aus. Durch die Vergünstigungen haben die AKW-Betreiber mit ihren abgeschriebenen Atomreaktoren circa 1 Million Euro am Tag verdient. Diese Zahl bestätigte Vattenfall 2009 der Süddeutschen Zeitung. Deutschlands größter AKW-Betreiber Eon machte 2009 noch einen Gewinn von 5,3 Milliarden Euro. Die Energiewende haben die großen Energieversorger aber trotz Wissens über den Atomausstiegsbeschluss 2000 und die Einführung des EEG verschlafen, sodass in den letzten Jahren die Gewinne eingebrochen sind, zum Teil sogar hohe Verluste gemacht wurden. Statt rechtzeitig in erneuerbare Energien zu investieren, haben die EVUs diese viel zu lange bekämpft. Mangelnde Voraussicht bei unternehmerischen Entscheidungen hat zu der ökonomischen Lage geführt, in der sich die Unternehmen heute befinden. Der Staat, der den Unternehmen sehr lange ermöglicht hat, mit Atomenergie hohe Gewinne zu generieren, soll aber nun das alleinige Risiko für die Folgen der Atomstromproduktion tragen, weil der erfolgreiche Fortbestand der EVUs nicht mehr gesichert sei. Dies kann nicht sein. Das Prinzip „Gewinne werden privatisiert, Verluste aber sozialisiert“ lehne ich entschieden ab. Akzeptabel wäre der Kompromiss aus meiner Sicht nur gewesen, wenn die AKW-Betreiber zuvor einen Rückzug ihrer Klagen versichert hätten und die Kernbrennstoffsteuer verlängert worden wäre. So kann ich diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen. Michael Donth (CDU/CSU): Ich begrüße ausdrücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanzielle Verantwortung zwischen Kernkraftwerksbetreibern und Bund für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen neu geregelt wird. Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit. Auch das Ziel des Nachhaftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich. Energieversorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien. Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württemberg AG auf die Anteilseigner Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und damit zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden sowie das Land Baden-Württemberg ablehne. Ich halte diese Haftungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedankens, da dadurch eine neue potenzielle, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Mit der heutigen Entscheidung geht unser Parlament den historischen Schritt einer Neuordnung der Verantwortung und damit auch Finanzierung der Atomenergie-Folgelasten. Zwar liegt im Sinne des Verursacherprinzips die Verantwortung zur Abwicklung der Atomenergienutzung richtigerweise grundsätzlich bei den Betreibern von Atomkraftwerken und den betreffenden Energiekonzernen. Letztlich wird aber die Allgemeinheit zur Verantwortung gezogen, wenn die Betreiber etwa durch Konzernaufspaltungen oder Insolvenzen nicht mehr zur Haftung herangezogen werden können. Zugleich muss uns bewusst sein, dass über Jahrzehnte unterbliebene Vorsorge nachträglich kaum mehr erfüllbar ist. Während mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz die auch ökonomische Verantwortung von Stilllegung, Rückbau und Verpackung beim Betreiber verbleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, insofern die hierfür nun gesetzlich formulierten Voraussetzungen erfüllt werden. Die langfristig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird dabei über einen öffentlich-rechtlichen Fonds getragen, der vonseiten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszustatten sein wird. Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen. Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war vonseiten unseres Koalitionspartners trotz erfolgten Kabinettsbeschlusses verhindert worden. Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mit verabschiedet wird. Kritisch betrachte ich dabei, dass sich die Nachhaftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht. Eine umfassendere Nachhaftungsregelung konnte leider mit dem Koalitionspartner nicht vereinbart werden. Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Option des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu abgeschafft. Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert. Erst in der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht den politisch in Abwägung mit Gesundheits- und Umweltschutzbedarfen entschiedenen Atomausstieg als im Wesentlichen verfassungskonform beschieden. Allein vor diesem Hintergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rücknahme aller im Zusammenhang mit Atomenergienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigungen der Konzerne nicht erfasst sind. Es entspricht meinem parlamentarischen Selbstverständnis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Konzerne und einer sich hierüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituation eine Neuberechnung der Kostenlasten vorzunehmen wäre. Es entspricht auch der mit einem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Ausschussdrucksache 18(9)1073 – erklärten Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen. Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwartungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden. Hierfür hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt. Ich bedaure, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner gesetzlichen Regelung zustimmen wollte. Während des parlamentarischen Verfahrens ist es gelungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu gewährleisten. In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen. Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur faktischen Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen, wenn etwa bereits ein Regierungsentwurf von Bindungswirkung in Bezug auf die Einstimmigkeit eines Kommissionsbeschlusses gekennzeichnet ist. Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den hiesigen öffentlichen Anhörungen, aber auch den einzelnen Abgeordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. Nach meiner Überzeugung sollten Kommissionen der hier eingesetzten Form nur in absoluten Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn der Fokus einzubeziehender Expertise dies über die Thematik und die Dauer sowie den Hergang einer öffentlichen Auseinandersetzung rechtfertigt. In einer Gesamtbetrachtung begrüße ich, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwicklung der Atomenergienutzung geschaffen wird, und stimme dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Ronja Kemmer (CDU/CSU): Ich begrüße ausdrücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanzielle Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraftwerksbetreibern und Bund neu geregelt wird. Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit. Auch das Ziel des Nachhaftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich. Energieversorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien. Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württemberg AG auf die Anteilseigner, den Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und das Land Baden-Württemberg, ablehne. Ich halte diese Haftungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedankens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht. Ich stimme dem Gesetzentwurf zu. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute habe ich dem „Gesetz zur Neuregelung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung“ im Bundestag zugestimmt. Dieses neue Gesetz stellt sicher, dass die Atomkonzerne für die Beseitigung des hochgefährlichen Atommülls auch wirklich zahlen. Warum war dazu ein Gesetz nötig? Jahrelang haben die Konzerne steuerliche Rückstellungen für die Entsorgung und Lagerung des Atommülls in Höhe von 17 Milliarden Euro getätigt, die aber bislang nur in den Bilanzen, also auf dem Papier, stehen. Die Veränderungen am Energiemarkt haben die Konzerne inzwischen – selbstverschuldet – so geschwächt, dass große Umstrukturierungen anstehen. Sollte es hier zu Auslagerungen oder gar Insolvenzen kommen, wären die rückgestellten Beträge erheblich gefährdet, und am Ende drohen die Kosten am Steuerzahler hängen zu bleiben. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) war sich einig, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Konzerne künftig noch in der Lage sind, die anfallenden Kosten tatsächlich zu tragen, bei bestenfalls 50 Prozent liegt. Ich bin der Meinung, dass man in so einer Situation handeln und das vorhandene Geld sichern muss. Das haben wir Grüne schon seit vielen Jahren gefordert. Tut man das nicht, läuft man Gefahr, das Verursacherprinzip dadurch auszuhebeln, dass beim Verursacher nichts mehr zu holen ist, weil er als juristische Person nicht mehr existiert oder nicht mehr genug Substanz vorhanden ist. Ich halte deshalb den von der KFK vorgeschlagenen Weg für richtig, um die bisherigen Rückstellungen der Konzerne zu retten und unter öffentliche Kontrolle zu bringen. Für Stilllegung und Rückbau werden die Unternehmen bis 2040 rund 60 Milliarden Euro aufwenden müssen. Ihre Rückstellungen dafür werden sie künftig transparent mit liquiden Mitteln unterlegen müssen. Dies wird von Bundesregierung und Bundestag überprüft. Ihre Rückstellungen von bisher gut 17 Milliarden für die Finanzierung von Zwischen- und Endlagerung des Atommülls müssen die Konzerne komplett an den Staat in bar übertragen. Dazu kommt ein zusätzlicher Risikoaufschlag von 35 Prozent, um künftige Risiken abzudecken. Es wird so ein fast 24 Milliarden starker öffentlich-rechtlicher Fonds gebildet. Darüber hinaus wird eine neue gesetzliche Nachhaftung von herrschenden Unternehmen für von ihnen beherrschte Betreibergesellschaften eingeführt. Das bedeutet, dass hier der Mutterkonzern auch für die Verpflichtungen einer insolventen Tochterfirma haftet, was im deutschen Insolvenzrecht so sonst nicht vorgesehen ist. Das ist also ebenfalls wichtig, um das Risiko für den Steuerzahler möglichst gering zu halten. Diese Nachhaftung erfasst die Kosten von Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke, die fachgerechte Verpackung der Abfälle und die Zahlungspflichten an den einzurichtenden Fonds. Dass die finanziellen Risiken im Hinblick auf die Entsorgung des Atommülls niemals vollständig und in Gänze aus dem Weg geräumt werden können, versteht sich bei diesem unabsehbaren Risiko von selbst. Umso wichtiger ist es, zu verhindern, dass sich die Verursacher am Ende aus dem Staub machen und die Allgemeinheit mit den Kosten allein lassen. So wie das Gesetz heute beschlossen wurde, ist es eine gute Grundlage, um die Finanzierung der Atommüllendlagerung soweit wie möglich zu sichern. Im Zuge der Debatte um den Gesetzentwurf konnten die Atomkonzerne außerdem dazu bewegt werden, 20 der verbliebenen 22 Klagen im Atomsektor zurückzuziehen, darunter auch die Klage gegen verschiedene Landesregierungen bezüglich des im Jahr 2011 verhängten Moratoriums für sechs besonders anfällige AKW. Über zwei verbleibende Klagen, die nicht unmittelbar mit der Entsorgungsfinanzierung zusammenhängen, wird weiter zu verhandeln sein. Ulli Nissen (SPD): Mit der heutigen Entscheidung geht unser Parlament den historischen Schritt einer Neuordnung der Verantwortung und damit auch Finanzierung der Atomenergie-Folgelasten. Zwar liegt im Sinne des Verursacherprinzips die Verantwortung zur Abwicklung der Atomenergienutzung richtigerweise grundsätzlich bei den Betreibern von Atomkraftwerken und den betreffenden Energiekonzernen. Letztlich wird aber die Allgemeinheit zur Verantwortung gezogen, wenn die Betreiber etwa durch Konzernaufspaltungen oder Insolvenzen nicht mehr zur Haftung herangezogen werden können. Zugleich muss uns bewusst sein, dass über Jahrzehnte unterbliebene Vorsorge nachträglich kaum mehr erfüllbar ist. Während mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz die ökonomische Verantwortung von Stilllegung, Rückbau und Verpackung beim Betreiber verbleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, insofern die hierfür nun gesetzlich formulierten Voraussetzungen erfüllt werden. Die langfristig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird dabei über einen öffentlich-rechtlichen Fonds getragen, der vonseiten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszustatten sein wird. Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen. Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war vonseiten der CDU/CSU trotz erfolgten Kabinettsbeschlusses verhindert worden. Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mit verabschiedet wird. Kritisch betrachte ich dabei, dass sich die Nachhaftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht. Auf eine umfassendere Nachhaftungsregelung konnte sich leider nicht geeinigt werden. Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Option des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu abgeschafft. Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert. Erst in der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Atomausstieg im Wesentlichen verfassungskonform war. Allein vor diesem Hintergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rücknahme aller im Zusammenhang mit Atomenergienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigungen der Konzerne nicht erfasst sind. Es entspricht meinem parlamentarischen Selbstverständnis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Konzerne und einer sich hierüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituation eine Neuberechnung der Kostenlasten vorzunehmen wäre. Es entspricht auch der mit einem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Ausschussdrucksache 18(9)1073 – erklärten Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen. Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwartungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden. Hierfür hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt. Ich bedaure, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner gesetzlichen Regelung zustimmen wollte. Während des parlamentarischen Verfahrens ist es gelungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu gewährleisten. In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen. Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen, wenn etwa bereits ein Regierungsentwurf von Bindungswirkung in Bezug auf die Einstimmigkeit eines Kommissionsbeschlusses gekennzeichnet ist. Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den hiesigen öffentlichen Anhörungen, aber auch den einzelnen Abgeordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. Nach meiner Überzeugung sollten Kommissionen der hier eingesetzten Form nur in absoluten Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn der Fokus einzubeziehender Expertise dies über die Thematik und die Dauer sowie den Hergang einer öffentlichen Auseinandersetzung rechtfertigt. In einer Gesamtbetrachtung begrüße ich, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwicklung der Atomenergienutzung geschaffen wird, und stimme dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Josef Rief (CDU/CSU): Ich begrüße ausdrücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanzielle Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraftwerksbetreibern und Bund neu geregelt wird. Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit. Auch das Ziel des Nachhaftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich. Energieversorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien. Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württemberg AG auf die Anteilseigner Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und das Land Baden-Württemberg ablehne. Ich halte diese Haftungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedankens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf zu und begrüße ausdrücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanzielle Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraftwerksbetreibern und Bund neu geregelt wird. Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit. Auch das Ziel des Nachhaftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich. Energieversorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien. Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württemberg AG auf die Anteilseigner, den Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und das Land Baden-Württemberg, ablehne. Ich halte diese Haftungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedankens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht. Anlage 6 Erklärung der Abgeordneten Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Entschließung unter Buchstabe c der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) Namens der Fraktion Die Linke erkläre ich: Unser Votum zu Buchstabe c der Beschlussempfehlung lautet Ablehnung. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Katja Dörner, Katja Keul und Claudia Roth (Augsburg) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben. Der Einsatz von Militär kann immer nur äußerstes Mittel zur Gewalteindämmung und Friedenssicherung sein. Militär kann bestenfalls ein Zeitfenster für Krisenbewältigung schaffen, nicht aber den Frieden selbst. In Afghanistan gab es jahrelang eine Dominanz militärischer Zielsetzungen gegenüber zivilen Lösungsansätzen und ein fehlendes entwicklungspolitisches Konzept. Schon seit langem war klar, dass die Strategie, vorrangig mit militärischen Mitteln eine Friedenslösung erzwingen zu wollen, gescheitert ist. Ein stabiler und dauerhafter Frieden kann nur über den Verhandlungsweg erreicht werden. Die Capture-or-Kill-Operationen und die gezielten Tötungen durch Drohnenangriffe der USA forderten immer wieder zivile Opfer und haben das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die internationale Präsenz untergraben. Eine politische Lösung wurde dadurch in den letzten Jahren enorm erschwert. Die Bundesregierung behauptet, dass es sich bei der seit 2015 eingesetzten NATO-Mission Resolute Support nicht um einen Kampfeinsatz handele, sondern um eine Ausbildungs- und Trainingsmission für die afghanischen Sicherheitskräfte. Tatsächlich ist jedoch das Verhältnis zwischen Ausbildung und Training sowie einer möglichen Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung nicht eindeutig geklärt. Eine Begleitung von afghanischen Truppen in Kampfeinsätze wird im vorgelegten Mandat der Bundesregierung nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Darüber hinaus dürfen seit Juni 2016 US-Truppen wieder an Kampfeinsätzen zur offensiven Aufstandsbekämpfung teilnehmen. Dies hatte US-Präsident Obama erlaubt, nachdem er Ende 2014 zunächst alle offensiven US-Kampfeinsätze in Afghanistan für beendet erklärt hatte. Da US-Soldatinnen und -Soldaten nun zwischen Counter-Insurgency-Operationen und Ausbildung einfach hin- und herwechseln können, ist eine klare Abgrenzung zwischen Kampfeinsatz und Ausbildung in der Praxis nur noch schwer möglich. Eine Verstrickung deutscher Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Operationen offensiver Aufstandsbekämpfung, die wir grundsätzlich ablehnen, kann somit nicht mehr ausgeschlossen werden. Nachdem die NATO zweimal die gesetzten Abzugstermine, mit denen auch für Akzeptanz in der Bevölkerung geworben wurde, nicht eingehalten hat, wurde auf dem NATO-Gipfel in Warschau im Juni 2016 vereinbart, den Afghanistan-Einsatz zeitlich nicht mehr zu befristen. Dadurch droht ein langjähriger, nicht absehbarer Einsatz in Afghanistan mit Verwicklung in Kämpfe und ohne eine Exit-Strategie. Ein solches zeitlich unbegrenztes NATO-Mandat halten wir für falsch. Gleichzeitig müssen aber auch die positiven Entwicklungen in Afghanistan mit viel Geduld und ausreichend finanziellen Mitteln gesichert werden. Afghanistan wird auch noch in den nächsten Jahrzehnten auf internationale Unterstützung angewiesen sein. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen, unsere humanitären und entwicklungspolitischen Verpflichtungen gegenüber Afghanistan weiter zu erfüllen. Darüber hinaus ist eine Fortführung der politischen Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban notwendig. Ein stabiler und dauerhafter Frieden in Afghanistan kann letztlich nur über den Verhandlungsweg erreicht werden. Die Strategie, Afghanistan militärisch zu befrieden, ist bisher gescheitert und auch für die Zukunft nicht sinnvoll, sondern falsch. Deshalb lehnen wir dieses Mandat ab. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annalena Baerbock und Luise Amtsberg (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) Knapp zwei Jahre nach Abzug der ISAF-Kampftruppen gibt es in Afghanistan kein sicheres Umfeld für die Bevölkerung, geschweige die Regierung, ihre Bediensteten und internationale Helfer. Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich in den vergangenen Monaten weiter massiv verschlechtert. Die Taliban und andere aufständische Gruppen verüben weiter ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung grausame Attentate und Attacken. Im Oktober 2016 gelang es den Taliban zum dritten Mal innerhalb der letzten zwei Jahre, strategische Punkte der Provinzhauptstadt Kunduz vorübergehend zu kontrollieren. Am 10. November 2016 forderten der schreckliche Sprengstoffangriff auf das deutsche Generalkonsulat und die anschließenden Kämpfe mit den Angreifern in MasariScharif vier Todesopfer und 128 teilweise schwer Verletzte. Das Konsulatspersonal wird nun im Camp Marmal der Bundeswehr untergebracht. Das deutsche Konsulat in Masar wird nach derzeitigem Stand nicht wiedereröffnet werden. Die Opferzahlen unter Zivilpersonen und afghanischen Sicherheitskräften sind so hoch wie nie seit 2001. Im ersten Halbjahr 2016 erreichte die Gesamtzahl der Zivilopfer im Kontext des bewaffneten Konflikts mit 5 166, davon 1 601 Tote und 3 565 Verletzte, einen neuen Höchstwert. Gerade die Anzahl von Kindern unter den Opfern steigt dramatisch an, nicht zuletzt auch durch komplexe und Suizidattacken – 62 Prozent davon in Kabul. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, inwieweit die Aufbau- und Entwicklungsunterstützung so weiterlaufen kann. Wir haben uns immer klar dazu bekannt, dass Deutschland langfristig in Afghanistan engagiert bleiben muss. Vor allem mit ziviler Hilfe und wirtschaftlichem Engagement. Wenn diese ohnehin bereits massiv zurückgefahrene Hilfe weitergeführt werden soll und die afghanischen Sicherheitskräfte den Bürgerinnen und Bürgern – nach dem Abzug von ISAF, der rückblickend vor allem an den eigenen Interessen und ohne jede Rücksicht auf die tatsächliche Lage, auf die Afghanen, ihre Bevölkerung und Sicherheitskräfte durchführt würde – überhaupt Schutz geben sollen, halten wir eine Beendigung der Ausbildungshilfe durch die Bundeswehr im Rahmen der Resolute Support Mission (RSM) in der jetzigen Situation für den falschen Weg. Die Bundeswehr kämpft nach den Vorgaben des jetzigen Mandates nicht, sondern berät und unterstützt, wo es nötig ist. Wenn die afghanischen Sicherheitskräfte den Bürgerinnen und Bürgern wirksamen Schutz bieten sollen, dann ist mehr notwendig als der Aufbau einer zahlenmäßig großen Armee in kurzer Zeit. Für den Aufbau effektiver und legitimer Sicherheitskräfte braucht es einen langen Atem und einen kurzen Draht zu ihnen. Dabei darf man sich keine Illusionen über die unmittelbaren Auswirkungen der Mission auf die Sicherheitslage machen. Der Hoffnung, Resolute Support könne einen kleinen und notwendigen Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Aufbauhilfe leisten, stehen die grundsätzlichen Bedenken über die Wirkungsmöglichkeit der Ausbildungsmission unter den herrschenden politischen Rahmenbedingungen gegenüber: Trotz langjähriger intensiver Ausbildungsbemühungen gibt es immer wieder Hinweise – und zwar nicht allzu wenige – auf Korruption, Desertion und Gewalt innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte. Zudem kommt es nach wie vor zu gravierenden militärischen Fehlentscheidungen. Die politische Führung des Landes ist zerrissen und hat mit ihrer inneren Konsensunfähigkeit, die tribalistische Züge hat, das Vertrauen großer Bevölkerungsteile verloren. Ohne die Rahmenbedingungen einer guten politischen Führung kann jedoch die Ausbildung von Sicherheitskräften genauso wenig Erfolg haben wie die Entwicklung des Landes. Auf dieses Problem haben derzeit weder die VN noch die EU eine Antwort. Dies beeinträchtigt die Arbeit von Resolute Support. Während die Bundesregierung betont, im Rahmen von RSM nur Ausbildung zu betreiben, machen andere Staaten wie die USA diese Festlegung explizit nicht. Die USA gehen im Rahmen dieses Mandates, aber auch außerhalb dessen mit Drohnenangriffen und Capture-or-Kill-Operationen weiter gegen die Taliban vor. Das deutsche Engagement darf sich nicht von solchen Interpretationen leiten lassen. Nichtsdestotrotz kommen wir in der Abwägung zwischen diesen verheerenden Entwicklungen und dem Fakt, dass die Forderung nach dem Schutz der Zivilbevölkerung, der Förderung des zivilen Aufbaus, der Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Frauenrechtsgruppen ohne Basissicherheit zum bloßen Lippenbekenntnis verkommt, zu dem Schluss, dass man die Mission nicht beenden sollte. Allerdings können wir diesem Mandat der deutschen Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht einfach zustimmen. Denn die Bundesregierung formuliert im Rahmen ihres Mandates klar, wie schwierig und gefährlich die Lage in Afghanistan ist und dass man deshalb den Militäreinsatz verlängern müsse. Zeitgleich erklärt dieselbe Bundesregierung jedoch, dass große Teile des Landes so sicher seien, dass just in diesem Moment Männer, Frauen und Kinder in genau dieses Land abgeschoben werden. Dieser Widerspruch könnte nicht größer sein. Eine halbe Million neuer Binnenvertriebener ist gerade von den Vereinten Nationen in Afghanistan registriert worden. Das zeigt die Dramatik der Lage. Einerseits zu Recht zu erklären, wie dramatisch die Lage vor Ort sei, andererseits aber Abschiebungen und Rückführungen zu verfolgen und das obendrein dann noch daran zu koppeln, dass in Zukunft Entwicklungszusammenarbeit nur gibt, wenn Afghanistan mehr Flüchtlinge zurücknimmt, das passt für mich nicht zusammen. Das ist zynisch. Vor diesem Hintergrund enthalten wir uns bei diesem deutschen Mandat. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese und Ute Vogt (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) Den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes unterstützen wir. Gleichzeitig kritisieren wir die derzeit stattfindenden Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan. In Afghanistan finden in einigen Landesteilen weiterhin täglich Kämpfe statt. Der Deutsche Bundestag beschließt eine Fortsetzung des Einsatzes, mit dem Bundeswehr-Soldaten in das Land geschickt werden, um den Frieden zu sichern. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Afghanistan, da sich Reisende der „Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte“ bewusst sein müssten. Wir halten Abschiebungen nach Afghanistan in der aktuellen Situation für gefährlich und lehnen sie ab. Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Ich stimme mit Nein, weil der Bundeswehreinsatz in Afghanistan nicht zum Frieden beigetragen hat. Er hat den Terror nicht bekämpfen können. Das Scheitern der NATO-Politik schlägt sich vor allem in der militärischen Lage nieder, die von steigenden Opferzahlen, Anschlägen und Kämpfen geprägt ist. Darum werde ich aus den genannten Gründen gegen diesen Einsatz stimmen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundeswehr befindet sich seit über einem Jahrzehnt im Einsatz in Afghanistan. So, wie sich die Lage in Afghanistan mehrfach geändert hat, hat sich auch der Charakter dieses Einsatzes immer wieder gewandelt. Die Beendigung des ISAF-Einsatzes und des Kampfauftrages der Bundeswehr in Afghanistan war daher richtig und bleibt ein wichtiger Schritt, um die afghanischen Sicherheitskräfte selbst in Verantwortung für ihr Land zu bringen. Mit dem Folgemandat und dem Einsatz Resolute Support nimmt die Bundeswehr die Rolle einer Ausbilderin und Unterstützerin der afghanischen Sicherheitskräfte ein. Gerade weil die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor fragil ist, erachte ich es als richtig und notwendig, dass eine solche Unterstützung auch weiterhin sichergestellt wird. Niemand weiß, wie sich die Situation im Land in den nächsten Jahren entwickeln wird und ob es gelingt, einen dauerhaften Frieden in Afghanistan – auch und gerade mit diplomatischen Mitteln – zu erreichen. Sollten die internationale Gemeinschaft und die Bundeswehr die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte jetzt beenden, würden die Chancen für ziviles Engagement und eine langfristige friedvolle Entwicklung des Landes genommen werden. Es bedarf eines langfristigen Engagements der internationalen Gemeinschaft, vor allem mit ziviler Hilfe und wirtschaftlichem Engagement, damit sich Afghanistan weiterentwickeln kann. Dies kann jedoch nur in einem sicheren Umfeld stattfinden. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind noch nicht in der Lage, alleine für Sicherheit zu sorgen. Dies hat der Angriff auf das deutsche Generalkonsulat in MasariScharif am 10. November 2016 erneut gezeigt. Mit dieser Erkenntnis schwindet leider auch die Hoffnung, dass wir uns rasch aus der Beraterrolle herausziehen und den Militäreinsatz in Afghanistan vollends beenden können. Ich erachte es vor diesem Hintergrund als wichtig, Afghanistan durch Ausbildung weiter zu unterstützen. Auch wenn wir die Militärintervention in Afghanistan in Gänze äußerst kritisch betrachten, wäre es in der heutigen konkreten Situation Afghanistans nicht dienlich, die Ausbildungsmission der Bundeswehr zu beenden. Mit meiner Zustimmung will ich zum Ausdruck bringen, dass wir den Menschen in Afghanistan zur Seite stehen und verlässlich Unterstützung zukommen lassen wollen. Perspektivisch ist es mir ein wichtiges Anliegen, dass die afghanischen Kräfte in eigener Verantwortung für Sicherheit sorgen können, sodass die afghanische Bevölkerung in Frieden leben kann. Viele Menschen, die täglich aus dem Haus gehen in der Ungewissheit, ob sie am Abend ihre Familien wiedersehen, diese Menschen – insbesondere die junge Generation – wollen ihr Land aufbauen und haben die Hoffnung, dass Afghanistan eine bessere Zukunft haben kann. Dies ist auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen in Afghanistan bleiben können und nicht zur Flucht gezwungen werden. Ich stimme daher dem Antrag der Bundesregierung zu. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen (Zusatztagesordnungspunkt 4 a) Entgegen allen Beteuerungen, Steuerbetrug in Deutschland bekämpfen zu wollen, wollten CDU und CSU zunächst kein Gesetz, jedenfalls kein Gesetz, das hilft, Kassenbetrug wirksam zu verhindern und zu ahnden. Dabei geht es um zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr, um Betrug gegenüber allen fair Steuern zahlenden Bürgerinnen und Bürgern. Es waren die Finanzminister der SPD-geführten Bundesländer, vornehmlich der Finanzminister aus NRW, Norbert Walter-Borjans, und Andreas Schwarz, SPD Bundestagskollege im Finanzausschuss, die den Umsatzsteuerbetrug öffentlich gemacht und den Druck in Richtung Gesetzgebung stetig erhöht haben. Schließlich wurde im Bundesfinanzministerium (BMF) ein Referentenentwurf erarbeitet, ein Referentenentwurf der besonderen Art: ein Gesetzentwurf mit leerem Anwendungsbereich, also ein Gesetzentwurf, der sicherstellt, dass der Betrug bis auf weiteres in altem Stil möglich ist. Obwohl es eine von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) entwickelte Sicherheitslösung (INSIKA) gibt, wurde im Gesetz – unter Ausschluss der existierenden Lösung  – eine künftig noch von Unternehmen zu entwickelnde Softwarelösung vorgeschrieben – ohne zu wissen, bis wann die Industrie solche Lösungen entwickelt haben wird. Erst im Jahr 2020 besteht dann die Möglichkeit, die schon existierende Technik einzusetzen, falls sich die Hoffnung auf eine künftige Lösung nicht erfüllt. Wie das Bundesministerium der Finanzen haben auch CDU/CSU die Einführung des INSIKA-Verfahrens blockiert. Die Ablehnung des BMF konnte nicht fachlich begründet werden, sie scheint eher auf verwaltungsinternen Befindlichkeiten zu beruhen. So fehlt dem Gesetz nun ein definierter Anwendungsbereich. Das ist nicht zufriedenstellend. Aus diesem Grund hat der Finanzausschuss, den Anregungen von Ralph Brinkhaus – stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion – und Andreas Schwarz als SPD-Berichterstatter folgend, die Ermächtigung des BMF, eine Rechtsverordnung zu erlassen, unter den Zustimmungsvorbehalt des Bundestages gestellt und in Artikel 1 Nummer 3 den §146a wie folgt geändert: „(2) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Folgendes zu bestimmen: 1. die elektronischen Aufzeichnungssysteme, die über eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung verfügen müssen, und 2. die Anforderungen an a. das Sicherheitsmodul, b. das Speichermedium, c. die einheitliche digitale Schnittstelle, d. die elektronische Aufbewahrung der Aufzeichnungen, e. die Protokollierung von digitalen Grundaufzeichnungen zur Sicherstellung der Integrität und Authentizität sowie der Vollständigkeit der elektronischen Aufzeichnung, f. den Beleg, e. die Zertifizierung der technischen Sicherheitseinrichtung Die Erfüllung der Anforderungen nach Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a bis c ist durch eine Zertifizierung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik nachzuweisen, die fortlaufend aufrechtzuerhalten ist.“ INSIKA ist die Abkürzung von „Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“. Es handelt sich um ein System zum Schutz der digitalen Aufzeichnungen von Bargeschäften gegen Manipulationen auf der Basis von kryptografischen Verfahren, insbesondere in Registrierkassen und Taxametern. INSIKA wird bereits erfolgreich im Taxigewerbe in Hamburg eingesetzt, die Wettbewerbsverzerrungen durch schwarze Schafe unter den Hamburger Taxiunternehmen sind weitestgehend aufgehoben. Durch die Manipulationen elektronischer Aufzeichnungen in Kassensystemen erleidet der Staat jedes Jahr einen immensen finanziellen Schaden. Der Bundesrechnungshof schätzt die jährlichen Steuerausfälle auf bis zu 10 Milliarden Euro. Die Deutsche Steuergewerkschaft (DSTG) wie auch Länderfinanzministerien halten noch deutlich höhere Ausfälle für möglich. Bisher besteht kein gesetzlicher Rahmen, der die Korrektheit und Vollständigkeit dieser Kassendaten, genauer: der digitalen Grundaufzeichnungen von steuerlich relevanten Geschäftsvorfällen, sicherstellt. Daher ist es dringend notwendig, ein solches Gesetz zu schaffen. Aktuell existiert in Deutschland kein Registrierkassenmodell, das nicht manipulierbar ist. Mithilfe von passender Software ist es bisher möglich, eine vorgenommene Buchung in einem Kassensystem nachträglich zu verändern, sie zu löschen oder ihre Aufzeichnung von vornherein auszuschalten. So drückt beispielsweise der Besitzer einer Gaststätte am Abend eine Taste mit der Bezeichnung „Trainee“, und alle Umsätze eines Kellners sind auf immer vernichtet. Wenn in einem Betrieb gar keine Registrierkasse existiert, wird für den Betrug nicht einmal eine Software benötigt. Der Bundesrechnungshof gibt an, dass bei der Besteuerung von Bargeldgeschäften inzwischen ein strukturelles Vollzugsdefizit existiert. So kann zurzeit eine gleichmäßige Besteuerung bargeldintensiver Betriebe nicht sichergestellt werden. Das schadet nicht nur dem Staat, allen Bürgerinnen und Bürgern, sondern vor allem auch den vielen einzelnen steuerehrlichen Unternehmern, die dadurch unter massiven Wettbewerbsverzerrungen zu leiden haben. Gleichzeitig leiden steuerehrliche Unternehmen in bargeldintensiven Branchen unter einem Generalverdacht, weil die Möglichkeiten der Finanzverwaltung, Betrug bei Bargeschäften aufzudecken, begrenzt sind und Prüfungen deswegen lange dauern. Das führt zusätzlich zu einem hohen Bürokratieaufwand. Auch aus diesem Grund ist die Bundesregierung tätig geworden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung. Er lässt jedoch weiterhin Steuerschlupflöcher zu, weil sich unser Koalitionspartner CDU/CSU in den Verhandlungen gegen deren Schließung verwehrt hat. Das ist sehr ärgerlich, ist aber auch ein Beleg dafür, wie ernst es CDU und CSU mit der Bekämpfung von Kassenbetrug ist. Um den Steuerbetrug durch Kassenmanipulation effektiv bekämpfen zu können, wäre ein wirksames Gesamtkonzept notwendig, das die Finanzverwaltung in die Lage versetzte, Kassennachschauen und Prüfungen ohne großen Aufwand durchführen zu können. Dabei müssen die Bürokratiekosten für Unternehmen und Steuerverwaltung niedrig gehalten werden. Deshalb hat die SPD-Fraktion folgende zusätzlichen Anforderungen an den Gesetzentwurf gestellt: Die Einführung einer Belegausgabepflicht, damit das Finanzamt schnell und einfach prüfen kann, ob Umsätze korrekt erfasst sind. Die Verwendung des sogenannten INSIKA-Verfahrens als technische Lösung, da es bereits vorhanden, erprobt, sicher und kostengünstig ist. Die Einführung einer zentralen Kassenregistrierung, um das Risiko der Manipulation durch Zweitkassen zu minimieren. Die Einführung einer Kassenpflicht, mit Ausnahmen unter anderem für Kleinunternehmer, Sportfeste und Wochenmärkte. Und warum stimmen wir unter diesen Bedingungen zu? Weil es eine Belegausgabepflicht für elektronische Kassen ab dem Jahr 2020 – wichtig für die Gauner: nicht ab 2019, nicht ab 2018 und nicht ab 2017 – geben wird. Damit wird künftig ein wichtiges Instrument geschaffen, um Druck auf Steuerbetrüger aufzubauen. Das Entdeckungsrisiko für den Betrüger erhöht sich. Ebenso wird es künftig möglich sein, elektronische Kassensysteme eindeutig zuordnen und mithilfe von Kassennachschauen oder Prüfungen Zweitkassen zu entdecken. Den Finanzämtern wird es ab 2018 möglich sein, unangemeldet Kassen zu prüfen – und damit immerhin zwei Jahre früher, als es im Gesetzentwurf des BMF vorgesehen war. Selbst hier war es nicht möglich, die unangemeldete Kassennachschau ab 2017 einzuführen. Auch die Einführung einer Kassenpflicht war leider aufgrund des Widerstands von CDU/CSU noch nicht möglich. Das hinterlässt ein Steuerschlupfloch. Die Argumentation unseres Koalitionspartners, damit alle Unternehmer in bargeldintensiven Branchen unter Generalverdacht zu stellen, ist falsch. Eine Kassenpflicht ist vielmehr ein Beitrag zur Unterstützung des ehrlichen Unternehmers, der aufgrund von betrügenden Konkurrenten Wettbewerbsnachteile erfährt. Ich verdächtige nur den Betrüger – der Ehrliche ist frei von Verdacht. Mit dem geplanten Gesetz gehen wir einen ersten und wichtigen Schritt und damit gegen Steuerbetrug bei Kassensystemen vor. Deshalb stimme ich dem Gesetzentwurf zu. Ich möchte aber sehr deutlich machen, dass dieses Gesetz weiterentwickelt werden muss, damit die Steuerschlupflöcher, die nun offen bleiben, ebenfalls geschlossen werden können. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen (Tagesordnungspunkt 18) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Deutschland hat es sich zur Aufgabe gemacht, international für den Frieden und die Menschenrechte einzustehen und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern Verantwortung zu übernehmen. Dieser Kurs ist nicht nur das Produkt von Koalitionsverhandlungen. Denn auch in unserem Land mussten bereits andere Nationen für den Schutz unserer freiheitlichen, demokratischen Werte einstehen. Die jüngere Geschichte zeigt uns, dass der Friede in Europa untrennbar mit einer vernünftigen Sicherheitspolitik verbunden ist. CDU und CSU werden die Sicherheit der deutschen Bevölkerung und jene unserer Partnerländer nicht auf Kosten einer bedingungslosen Friedenspolitik preisgeben. Unsere geltenden Rüstungskontrollverträge stehen natürlich nicht auf dem erträumten Fundament einer waffenfreien Welt, sondern basieren auf langjährigem zwischenstaatlichen Vertrauen. Mit Blick auf Russland muss ich sagen, dass dieses Vertrauen auf eine sehr harte Probe gestellt wird. Von rückwärtsgewandten Schuldzuweisungen profitiert jedoch keine Seite. Der stetige Dialog, das unermüdliche Ringen um den Konsens am Verhandlungstisch sind unsere erklärten Ziele. Dem gehen wir seit geraumer Zeit in verschiedenen Gremien entschlossen nach, allen voran unsere Bundeskanzlerin und unser Außenminister. Als Unterausschussvorsitzender kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung berichten, dass man Bestrebungen zu umfangreicher Abrüstung und Rüstungskontrolle von russischer Seite derzeit abwartend gegenübersteht, auf keinen Fall jedoch ablehnend. Das lässt hoffen. Im Interesse des Friedens bleibt auch allen Parteien keine andere Wahl. Die bestehenden Rüstungskontrollverträge zu sichern, ist nur ein Teil unserer Aufgabe. Langfristig müssen wir im Rahmen der OSZE-Verhandlungen ein wirksames Derivat zum KSE-Vertrag finden, eines, das die souveränen Interessen aller OSZE-Mitglieder auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Bundesaußenminister Steinmeier hat mit seiner Rüstungskontrollinitiative einen wichtigen Schritt unternommen. Niemand am Verhandlungstisch hat die Absicht, die Situation weiter zu verschärfen. Genau diesen erkennbaren Willen gilt es aufzugreifen. Er ist zugleich die Chance auf den Erfolg des Minsker Abkommens und die notwendige Erneuerung des Wiener Dokuments. Mit der OSZE haben wir das geeignete Forum, um die Gespräche zu vertiefen und an Lösungen zu arbeiten. Die Verhandlungen werden uns allerdings einen langen Atem abverlangen. Meine Damen und Herren, eines gilt es hervorzuheben: Es sind die internationalen Teams der OSZE, die in den Krisengebieten, insbesondere als Teil der Sondermission im Donbass, oft unter Lebensgefahr wichtige Arbeit für die Friedensbemühungen leisten. Ihnen gilt unser Dank, denn sie stützen damit, Tag für Tag, aktiv den Frieden in Europa. Unser Minister Frank-Walter Steinmeier hat natürlich recht, wenn er beim Ministerrat in Hamburg die zahlreichen neuen Gefahren nennt, auf die sich die OSZE-Länder einstellen müssen. Cyberkrieg, hybride Kriegsführung, politische und religiöse Radikalisierung – die globalen Bedrohungen entwickeln sich weiter. Wir müssen uns darauf einstellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, jetzt vorschnell überzogene Forderungen zu stellen nach einem Stopp der zwingend notwendigen Rüstungsmodernisierungen in Deutschland bzw. Europa, fördert in keiner Weise all unsere diplomatischen Bemühungen. Wir müssen beharrlich an realistischen Lösungen arbeiten. Frieden und Sicherheitspolitik gehen dabei Hand in Hand. Gerade der gegenseitige, partnerschaftliche Schutz ist es doch, der zur Vertrauensbildung und Gemeinschaft innerhalb Europas ganz maßgeblich beiträgt. Deutschland wird auch weiterhin diesen Beitrag leisten. Die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik ist es, die es vermag, der Friedenspolitik in Europa eine starke Stimme zu verleihen. Sie verhindert übrigens auch, dass einzelne Länder unserer Gemeinschaft zum militärischen Spielball der geostrategischen Interessen einer anderen Nation werden. Wer wären wir denn, würden wir unsere kleineren und schwächeren Partner dem preisgeben? – Insofern muss man sich auch für eine intensivere europäische Verteidigungskooperation aussprechen. Die Hand nach Russland bleibt jedoch immer ausgestreckt. Dabei wird eine wertegebundene Außen- und Sicherheitspolitik unser Handeln in den kommenden Jahren weiterhin prägen. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Die Unionsfraktion begrüßt, dass uns die Fraktion Die Linke Gelegenheit gibt, im Advent über den Frieden zu sprechen. In der Bibel, die ich in dieser Adventszeit besonders unbefangen zitieren darf, wird immer wieder die Hoffnung auf Frieden angesprochen, oft in Verbindung mit anderen hohen Begriffen: „Liebet Wahrheit und Frieden“ (Sacharja 8, 19), „Dein Name wird genannt werden Friede der Gerechtigkeit“ (Baruch 5, 4), „Lerne, wo es Glück und Frieden gibt“ (Baruch 3, 14). Wir wissen – und Die Linke weiß dies aus ihrer Geschichte besonders gut –, dass Begriffe wie Frieden, Wahrheit, Gerechtigkeit und Glück im Leben der Menschen und vor allem im Bereich der Politik immer besonders missbrauchsanfällig sind. Erinnern wir uns, dass die Deutsche Demokratische Republik ihre Mauer als „Friedenswall“ bezeichnete. In minder schweren Fällen wird der Sehnsuchtsbegriff Friede nicht zur Täuschung, sondern nur für Oberflächlichkeiten genutzt, wie im vorliegenden Antrag. Wir alle wissen doch, dass nicht Waffen Krieg führen, sondern Menschen. Und wir wissen vor allem, um mit den Worten des Dalai Lamas zu sprechen: „Äußerer Frieden ist nur durch inneren Frieden möglich. Innerer Frieden ist der Schlüssel.“ Wenn ich mich aber auf die Argumentationsebene des Antrages einlasse, will ich Folgendes sagen: Erstens. Hätte sich die Fraktion Die Linke an ihr dialektisches Grundwissen erinnert, wäre ihr Folgendes klar gewesen: „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Frieden schaffen durch immer bessere Waffen“ – für beide Aussagen gibt es in der Geschichte gute Beispiele, für den zweiten Satz etwa das Ende der waffenstarrenden Konfrontation zweier Staaten auf deutschem Boden, ja das Ende des Kalten Krieges insgesamt und auch kurz darauf die deutsche Wiedervereinigung. Letztlich war die Rüstungspolitik des amerikanischen Präsidenten Reagan dafür kausal. So erstaunlich ist das mit der Rüstung und dem Frieden. Aber wir wissen doch: „Einfache Dinge sind polar, höhere ambivalent und die höchsten paradox“. Zweitens. Was uns auch nicht weiterführt, ist die selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit, die diesen Antrag kennzeichnet. Während bei NATO und EU nur Säbelrasseln und Kriegsgeheul gesehen wird, ist die Problematik Ukraine/Krim/Russland keiner Erwähnung wert. Auch das Sicherheitsbedürfnis vieler Staaten des ehemaligen sowjetischen Einflussgebietes wie etwa Polen und des sowjetisch okkupierten Baltikums, ein Sicherheitsbedürfnis nach Jahren der Unterdrückung und Unfreiheit, kann von den Antragstellern offensichtlich nicht gesehen werden. Drittens. Wir wissen nicht, in welchem Umfang sich die Vereinigten Staaten von Amerika künftig für die Sicherheit Europas finanziell engagieren werden. Ebenso wissen wir nicht, ob ein gewaltbereiter Islamismus ein Problem der inneren Sicherheit bleibt oder auch noch zu einem Problem der äußeren Sicherheit wird. In einer solchen Lage ist es geboten, dass die Europäer innerhalb und außerhalb der EU verteidigungspolitisch enger zusammenrücken und auch im Bereich der Bewaffnung arbeitsteiliger zusammenarbeiten. Abschließend will ich bemerken: Wir haben den Verfassungsauftrag, die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten. Die anstehenden Gespräche und Entscheidungen im Europäischen Rat am heutigen 15. Dezember helfen uns bei der Erfüllung dieses Auftrages. Für den Versuch des Antrages, dieses gemeinsame Bemühen in die Nähe der Kriegstreiberei zu rücken, fehlt mir jedes Verständnis. Es fällt mir auch nicht ganz leicht, bei alledem den inneren Frieden zu bewahren. Gerne will ich es aber versuchen. Der Fraktion der Linken rufe ich den Satz Mahatma Ghandis zu: „Sei selbst, was du ersehnst.“ Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Unsere heutige Debatte befasst sich mit einer möglichen Friedensrolle der Europäischen Union. Ich halte dies für ein äußerst wichtiges Thema und bin der Fraktion Die Linke daher dankbar, dass sie den Punkt auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages gesetzt hat. Ich kann verstehen, dass Sie das Thema nach den Beschlüssen von NATO und EU in der Tagesordnung diskutieren wollen. Umso mehr bedauere ich, dass wir nicht die Möglichkeit haben, über dieses wichtige Thema wirklich zu debattieren, sondern nun unsere Reden zu Protokoll geben. Ich halte es für einen Vorteil der Europäischen Union, dass sie sich in der internationalen Politik vornehmlich zivil engagiert. Der Ausdruck „Zivilmacht Europa“ ist ja nicht zufällig entstanden. Mein Eindruck ist, dass sich eher eine Art Arbeitsteilung zwischen der Europäischen Union und der NATO entwickelt. Die NATO übernimmt militärische Einsätze, die EU sieht ihre Schwerpunkte in der zivilen Konfliktbearbeitung. Das Bild von der Europäischen Union, das die Kolleginnen und Kollegen von der Linken zeichnen, halte daher für überzogen, die Befürchtungen für alarmistisch. Die EU ist seit Jahren im zivilen Krisenmanagement aktiv. Sie verfügt über eine Reihe von Kapazitäten, die auch zum Einsatz kommen: Dazu gehören Polizei, Unterstützung von Rechtsstaatlichkeit und Verwaltung und Monitoring. Sicher ist das alles ausbaufähig, aber das muss man dann auch konkret einfordern. Genau darüber hätten wir debattieren können. Beispiele für die zivile Arbeit der EU sind die Polizei- und Justizmission im Kosovo und die European Union Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine (EUBAM). EUBAM ist auch ein Beispiel für die Kooperation mit der OSZE. Manchmal gibt die Arbeit der EU sogar Anstöße für zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen. Es ist sicher kein Zufall, dass der ehemalige Hohe Repräsentant der EU in Bosnien-Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling, nachdem er aus dem Amt ausgeschieden war, die Mediationsorganisation CSSP, Berlin Center for Integrative Mediation, gegründet hat. Das Instrument für Stabilität und Frieden der EU (ISF) wurde eingerichtet, um kurzfristiges Krisenmanagement mit langfristigen Maßnahmen der Friedensförderung besser miteinander verknüpfen zu können. Das ISF führt Projekte mit zivilgesellschaftlichen Partnern und internationalen Organisationen in den Bereichen Vertrauensbildung, Mediation, Sicherheitssektorreform durch, um nur einige Beispiele zu nennen. Die EU gehört auch zu den Förderern des European Peacebuilding Liaison Office (EPLO), einem Netzwerk von zivilgesellschaftlichen friedenspolitischen Organisationen. Dabei möchte ich aber betonen, dass EPLO und seine Mitglieder darauf achten, dass ihre Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Die EU hat auch schon Projekte der Nonviolent Peaceforce gefördert. Die EU hat 2011 mit dem Programm Europe’s New Training Initiative for Civilian Crisis Management (ENTRi) begonnen, das nach bisherigem Stand bis 2019 laufen soll. Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze – ZIF – leitet das Programm. Neben verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sich auch die Schweiz daran. ENTRi arbeitet mit elf Partnerinstitutionen und der OSZE zusammen. Das Ziel ist die Ausbildung von Zivilistinnen und Zivilisten, die bereits in Krisenmanagementmissionen tätig sind oder in solche entsandt werden sollen. An ENTRi kann man sehen, dass die EU ihre Kapazitäten weiterentwickelt. Dieser kurze Überblick zeigt, dass die EU in der zivilen Konfliktbearbeitung sehr aktiv ist. Die Fokussierung auf die rein militärischen Aspekte in dem Antrag kann ich daher nicht nachvollziehen. Mein Plädoyer ist, dafür zu streiten, dass die zivilen Instrumente ausgebaut werden. Sie fordern eine Rüstungskontrollinitiative unter dem Dach der OSZE. Diese Initiative gibt es seit einigen Monaten, und Außenminister Steinmeier hat uns gestern im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ über den aktuellen Stand informiert. Der Vorschlag von Frank-Walter Steinmeier, der Öffentlichkeit am 26. August 2016 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgestellt, beinhaltet folgende Punkte: Notwendig sind Vereinbarungen über regionale Obergrenzen, Mindestabstände und Transparenzmaßnahmen – insbesondere in militärisch sensiblen Regionen, zum Beispiel im Baltikum –, die neuen militärischen Fähigkeiten und Strategien Rechnung tragen – wir reden heute weniger von klassischen, schweren Armeen, sondern mehr von kleineren, mobilen Einheiten, also sollten wir zum Beispiel Transportfähigkeit mitbeachten –, die neue Waffensysteme einbeziehen – zum Beispiel Drohnen –, die echte Verifikation erlauben – rasch einsetzbar, flexibel und in Krisenzeiten unabhängig, zum Beispiel durch die OSZE –, die auch in Gebieten anwendbar sind, deren territorialer Status umstritten ist. Bereits im November hat sich eine Freundesgruppe dieser Initiative gebildet, der 14 Staaten angehören. Die Liste der 14 Staaten ist deswegen erfreulich, weil es sich um Staaten mit unterschiedlichen Interessen und Positionen handelt: Neben Deutschland gehören Belgien, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Rumänien, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Spanien und die Tschechische Republik dazu. Die OSZE will nach der Außenministerkonferenz in der vergangenen Woche in Hamburg hierzu einen strukturierten Dialog entwickeln. Bei einigen Punkten rennen Sie offene Türen ein. Wir setzen uns bereits dafür ein, dass die Europäische Union unsere Dialogpolitik, die sich an dem Konzept der Entspannungspolitik anlehnt, unterstützt. Aber sollen wir warten, bis wir alle EU-Mitglieder überzeugt haben? Man könnte sicher noch mehr tun, um die zivilen Fähigkeiten der EU zu stärken. Nicht nur technische Fähigkeiten müssen verstärkt werden. Auch die Bereitschaft, ein strategisches Potenzial für Krisenprävention und Konfliktbearbeitung zu entwickeln, ist nicht ausreichend. Darüber ist in Ihrem Antrag leider sehr wenig zu lesen. Andrej Hunko (DIE LINKE): Die Welt scheint aus den Fugen geraten, und auch die Europäische Union befindet sich in einer tiefgreifenden Krise. Die schwelende Euro-Krise wurde nicht gelöst, sondern durch die maßgeblich durch die Bundesregierung erzwungene Austeritätspolitik verschärft – mit verheerenden unsozialen Folgen vor allem im Süden Europas. In vielen Mitgliedstaaten der EU haben rechte Parteien und Bewegungen Zulauf. In Großbritannien hat sich eine Mehrheit der Menschen dafür entschieden, der EU den Rücken zu kehren, und auch sonst wächst die Skepsis gegenüber dem europäischen Integrationsprozess. Zuletzt hat der Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA für Aufsehen gesorgt. Die Reaktion in der EU auf diese Entwicklungen könnte falscher nicht sein. Ein Weiter-so in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen soll nun ergänzt werden durch einen Militarisierungsschub in allen Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene. Ich habe doch sehr den Eindruck, dass hier einige den Knall nicht gehört haben. Sie wollen doch nicht ernsthaft Aufrüstung und Militarisierung als Kitt für die, wie es Kommissionspräsident Juncker genannt hat, „Polykrise“ der EU verwenden? Das wird nicht nur nicht funktionieren; es ist auch brandgefährlich. Seit dem Fall der Mauer war die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit Russland nicht so groß wie heute. Das ist zweifelsohne nicht die alleinige Verantwortung der EU. Aber es war insbesondere der Erweiterungsprozess von NATO und EU nach Osten, der die historische Chance der Neunzigerjahre zunichte gemacht hat, eine friedliche Neuordnung Europas nach dem Ende der Sowjetunion zu erreichen. Heute rüstet die NATO an den Grenzen zur Russischen Föderation auf, und auch Russland beteiligt sich an der Eskalationsspirale. Es scheint, als hätten einige aus den Verwüstungen des 20. Jahrhunderts nichts gelernt. Nun soll im Rahmen der EU-Globalstrategie und der misslicherweise „Verteidigungsunion“ genannten Militarisierungspläne die EU noch weiter für die Sicherheits-, Militär- und Rüstungspolitik eingespannt werden. Schon der Lissabon-Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten bekanntlich zur Aufrüstung. Doch was uns nun erwartet, stellt alles Dagewesene in den Schatten. Unter offenem Bruch von Artikel 41 des EU-Vertrages sollen nun sogar EU-Haushaltsmittel für die Anschaffung von Waffen und vor allem Drohnen verwendet werden. Ein Verteidigungsfonds soll weitere Milliarden für die Rüstungsindustrie mobilisieren, und der Aufbau einer EU-Armee soll den imperialen Anspruch der EU als „global Player“ untermauern. Durch das Zwei-Prozent-Ziel der NATO würden sich die Rüstungsausgaben in Deutschland nahezu verdoppeln. Ist das ernsthaft Ihre Antwort auf Trump, Brexit und Le Pen? Nicht nur werden diese Milliardensummen an allen Ecken und Enden für wesentlich sinnvollere Projekte gebraucht – beispielsweise für ein so dringend nötiges sozial-ökologisches Investitionsprogramm zur Überwindung der Wirtschaftskrise in Europa. Sie spielen zugleich außenpolitisch mit dem Feuer. Wir brauchen eine grundlegend andere Antwort auf die Krisen unserer Zeit. Angesichts des Scherbenhaufens, den die Politik der Östlichen Partnerschaft in Osteuropa hinterlassen hat, ist eine neue Entspannungspolitik unerlässlich. Die Frage von Krieg und Frieden ist nach Europa zurückgekehrt, und die falschen Weichenstellungen können fatale Folgen haben. Nutzen wir den Moment der Krise jedoch richtig, so können wir heute den Weg für eine friedliche und soziale Entwicklung ebnen. Wir brauchen ein Europa des Friedens und der Abrüstung, der Entspannung und der Kooperation. Die Alternative dazu bekommen wir derzeit vorgeführt. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute einen durchaus wichtigen Antrag: „Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen“. Wer wäre mit diesem Vorsatz nicht einverstanden? Mit ihrem Antrag greift Die Linke einige richtige Punkte auf und stellt auch manch berechtigte Forderung. Aber da gibt es auch vieles, wo wir nicht mitgehen können. In Brüssel werden heute und morgen erstmals auf Ebene der Staats- und Regierungschefs weitreichende Vorschläge für einen EU-Verteidigungsfonds diskutiert. Darüber zu reden, ist nicht grundsätzlich verkehrt; denn ein Weiter-so – will heißen: jeder macht sein Ding, und „Europa“ setzt anschließend, wenn es gut läuft, oben noch was drauf – kann auch nicht die Lösung sein. Wir brauchen angesichts ja nicht abnehmender Krisen, die uns alle betreffen, eine gemeinsame Antwort. Allerdings gilt es jetzt, nicht die falschen Weichen zu stellen. Vor sechs Monaten hat die EU-Außenbeauftragte Mogherini ihren Vorschlag einer „global strategy“ der Union in der Außen- und Sicherheitspolitik vorgelegt. Verglichen mit der Verve, mit der jetzt einige Staaten – allen voran Deutschland und Frankreich – die Verteidigungs- und Rüstungsaspekte pushen, fand diese Strategie recht wenig Beachtung. Schade! Denn in diesem Papier wurden wichtige Punkte aufgegriffen. So ist es gut, dass die Strategie zum ersten Mal den Begriff des „Präventivfriedens“ einführt. Es ist gut, dass lokale Akteure, gerade auch Frauen, ausdrücklich als wichtige Akteure der Konfliktbeilegung genannt werden, dass die Notwendigkeit eines ganzheitlichen, langfristigen Engagements für den Frieden betont wird. Leider sind diese positiven Elemente der Strategie offenbar der Linken nicht aufgefallen. Was heute in Brüssel auf dem Verhandlungstisch liegt, müssen wir viel kritischer bewerten als einige Kapitel des Mogherini-Vorstoßes. Zwar ist es richtig, sich Gedanken über einen echten europäischen Rüstungsmarkt zu machen; denn die Kommission räumt ja selbst ein, dass die EU als Ganzes locker zwischen 25 und 100 Milliarden einsparen könnte, wenn man klare Regeln und eine intensivere Zusammenarbeit hätte. Aber anstatt sich Gedanken über naheliegende und kostensparende Synergien zu machen, wollen die Befürworter des Verteidigungsfonds nun finanziell so richtig zulangen: 5 Milliarden Euro jährlich sollen die Mitgliedstaaten für die Beschaffung von Militärgerät bereitstellen – ohne dass klar ist, welche Fähigkeiten überhaupt benötigt werden. Und diese Investitionen sollen womöglich auch noch nicht als Schulden im Sinne der Maastricht-Kriterien bewertet werden! 2020 sollen dann pro Jahr 500 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt für gemeinsame Rüstungsforschung ausgegeben werden. Wo bleibt da die schwarze Null, frage ich mich! Aber das ist nicht alles. Auch der Europäische Fonds für Strategische Investitionen, EFSI, soll zur Finanzierung von Rüstungsprojekten eingespannt werden. Unfassbar! Und die Bundesregierung? Die zeigte sich in einer Antwort an meinen Kollegen Manuel Sarrazin, „aufgeschlossen“, den EFSI für „Projekte im Bereich des Sicherheits- und Verteidigungssektors“ zu öffnen. Noch so ein Tabubruch: Die Europäische Investitionsbank soll nach den Vorstellungen der Kommission Kredite für Rüstungsunternehmen ausgeben. Und dann gab es ja auch noch den Vorstoß vom vergangenen Sommer, EU-Gelder des Friedens- und Stabilitätsinstruments zur Anschaffung von Militärgütern einzusetzen – eine Zweckentfremdung von Mitteln in Milliardenhöhe, die zum Beispiel Entwicklungsprojekten in Afrika vorenthalten würden. Ja, mehr Gemeinsamkeit ist nötig und machbar. Was Rüstung betrifft, mangelt es uns nicht an Geld, wohl aber an Ideen, es vernünftig auszugeben. Wir brauchen keinen Transporthubschrauber, von dem es 27 verschiedene Versionen gibt. Es gäbe Hunderte sogar von den nationalen Militärchefs schon identifizierte sogenannte Pooling- und Sharing-Projekte, die man nur umsetzen müsste. Lassen Sie mich kurz noch weiter auf den Antrag der Linken eingehen. Sie schreiben, „die Frage von Krieg und Frieden (sei) auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt“. Sie erwähnen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim mit keinem Wort, plädieren aber für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Damit machen Sie es sich doch etwas zu einfach. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen (Zusatztagesordnungspunkt 6) Kathrin Rösel (CDU/CSU): Der Verehrer steht regelmäßig vor dem Fenster und spielt seiner Angebeteten ein Lied auf der Geige: In Filmen und Büchern wirkt das romantisch. Stellen wir uns die Situation im echten Leben vor, wirkt sie eher angsteinflößend, im Gegenteil: Stalker machen ihren Opfern oft das Leben zur Hölle.  Nicht nur die Zahlen sprechen für sich: Mehr als 20 000 Anzeigen gehen jährlich bei den Polizeibehörden ein und nur ein, Bruchteil davon führt zu einer Anklage, in weniger als einem Prozent kommt es zur Verurteilung. Mit dem Nachstellungsgesetz 2007 hat der Deutsche Bundestag bereits ein Gesetz erlassen, das den Opfern verschiedenster Form der Nachstellung besseren Schutz bietet. Allerdings wurde damals die Messlatte sehr hoch gehängt: Erst wenn die Lebensgestaltung des Opfers „schwerwiegend beeinträchtigt“ war, konnte der Täter verurteilt werden. Klar, dass hier dringend Handlungsbedarf bestand! Menschen, die gestalkt werden, erleben innere Unruhe, Ängste, viele entwickeln Schlafstörungen oder Depressionen – je nach psychischer Stabilität des Opfers in unterschiedlicher Ausprägung. Die einen, die besonders taff damit umgehen (vielleicht auch nur nach außen), ziehen nicht gleich um oder wechseln den Arbeitsplatz. Andere wiederum können sich es finanziell schlichtweg nicht leisten oder die persönlichen oder familiären Lebensumstände lassen es einfach nicht zu. Und überhaupt: Wieso muss bitteschön erst das Opfer seine Lebenssituation ändern, bevor der Täter strafrechtlich verfolgt wird? Das hat doch zur Konsequenz, dass das Strafrecht in der heutigen Fassung bewirkt, was dem Täter nicht gelungen ist: nämlich den Willen des Opfers zu beugen. Für uns, für die Union, ein unhaltbarer Zustand! Wir können es nicht hinnehmen, wenn Recht und Gesetz nicht den bestmöglichen Schutz für die Opfer bieten. Daher haben wir die Forderung nach Modifizierung des § 238 Strafgesetzbuch bereits im Koalitionsvertrag verankert. Stalking in jeder erdenklichen Form muss von einem Erfolgsdelikt zu einem Gefährdungsdelikt umgewandelt werden. Und es bedurfte erst nachdrücklicher Forderungen der unionsgeführten Länder wie Bayern, Hessen und Sachsen, um das Haus von Justizminister Maas dazu zu bewegen, jetzt endlich den Gesetzentwurf vorzulegen. Aber, was uns jetzt vorliegt, kann ich zu hundert Prozent unterschreiben. Nicht nur, dass künftig die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet sein muss, um zur Anklage oder Verurteilung zu führen. Nein, wir gehen sogar darüber hinaus: Wir streichen nun auch den Nachstellungsparagrafen aus den Privatklagedelikten heraus. Wir verhindern damit, dass Stalking als ein leichteres Vergehen gilt, und ersparen es den Opfern, nach einem manchmal über Monate und Jahre dauernden Martyrium selbst den Strafanspruch durchzusetzen. Auch hier wird deutlich: Die Union stärkt die Opfer und das ist nur gerecht. Stalking ist äußerst diffizil. Neben den Formen wie Auflauern, Belästigen durch SMS oder Telefonterror gibt es noch unzählige Möglichkeiten, dem Opfer das Leben zur Hölle zu machen. Daher ist es unmöglich, sämtliche Formen von Nachstellung abschließend im Gesetzestext aufzuführen. Justizminister Maas beabsichtigte, die in § 238 aufgeführte Generalklausel abzuschaffen. Aber wer weiß denn, was sich Täter so alles ausdenken, um ihr Opfer zu quälen? Glücklicherweise konnte sich auch hier die Union durchsetzen, und diese Streichung wieder zurücknehmen. Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, stehen auf dem Standpunkt, dass die Neufassung des Nachstellungsparagrafen zu weit geht. Dann verraten Sie mir einmal bitte, wie Sie es den zahlreichen Opfern dieser Straftat erklären wollen, dass diese weiterhin kaum eine Möglichkeit haben, zu einem normalen Leben zurückzukehren, ohne, dass sie, also die Opfer, dem Täter nachgeben. Mir jedenfalls fiele an Ihrer Stelle kein einziges Argument ein. Ich bitte um Zustimmung zu unserer Gesetzesvorlage. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beschließen heute ein Gesetz, in das Stalkingopfer große Hoffnung setzen. Leidtragende sind überwiegend Frauen. Zu 80 Prozent sind sie es, die ein anderer durch Telefonterror und Auflauern am Arbeitsplatz belästigt, die es mit der Angst zu tun bekommen, sich nicht mehr vor die Tür trauen und kaum mehr schlafen können, weil ihr Leben zu einem Alptraum geworden ist. Übles Nachstellen kann so schwerwiegende Folgen wie Verbrennungen oder Knochenbrüche haben und im schlimmsten Fall zum Tod führen. Es verstößt auf üble Weise gegen geltendes Recht. Das ändern wir. Stalking ist eine Straftat. Zu Recht wurde diese Lücke im Jahr 2007 im deutschen Strafrecht geschlossen. Vorher waren nur schwerwiegende Nachstellungen wie Hausfriedensbruch, Körperverletzung und sexuelle Nötigung strafbar. Allerdings fällt die Bilanz nach fast zehn Jahren nicht rosig aus: Anzeigen und Verurteilungen stehen in einem eklatanten Missverhältnis. In der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden zwischen 2008 und 2014 jährlich zwischen 205 und 561 Verurteilungen wegen Nachstellung erfasst. Diesen stehen bis zu 23 296 Strafanzeigen wegen übler Nachstellung gegenüber. Hinzu kommt eine noch viel größere Dunkelziffer, weil Opfer aus Angst und Scham gar nicht erst Anzeige erstatten, oft auch mangels Aussicht auf Erfolg, dass der Täter auch tatsächlich zur Rechenschaft gezogen wird. Diese niedrige Quote ist auch dem Umstand geschuldet, dass bislang eine Verurteilung nicht vom Verhalten des Täters abhing, sondern das Opfer eine schwerwiegende Beeinträchtigung seiner Lebensweise etwa durch einen Umzug oder Arbeitsplatzwechsel vor Gericht nachweisen musste. Vom Opfer wird ein Verhalten verlangt, das ihm nicht länger zugemutet werden kann. Es soll gezwungen werden, sein Leben zu ändern, damit der Täter strafrechtlich verfolgt werden kann. Die aktuelle Gesetzeslage schützt Stalkingopfer unzureichend. Deshalb brauchen wir Verbesserungen. Wir bauen den strafrechtlichen Schutz vor Stalking aus und senken die Hürden für eine Verurteilung. Wir wollen für einen besseren Schutz von Menschen sorgen, die unter üblen Nachstellungen von Expartnern oder Exgeliebten leiden. Das war auch Tenor einer öffentlichen Expertenanhörung im Bundestag. Es ist richtig, dass der Gesetzgeber nach fast zehn Jahren die Wirkung des Tatbestands der Nachstellung in § 238 Strafgesetzbuch überprüft hat. Die Reform des § 238 StGB ist notwendig. Lücken im Strafrecht müssen endlich geschlossen werden. Mit diesem Gesetz müssen Opfer nicht länger nachweisen, dass sie der Stalker durch sein Verhalten zu einem anderen Lebenswandel gezwungen hat. Das Opfer muss seine Telefonnummer nicht mehr wechseln oder in eine andere Stadt ziehen. Künftig ist der Straftatbestand des Stalkings erfüllt, wenn der Täter die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigt. Diese Änderung im Strafrecht soll dafür sorgen, dass Täter leichter verurteilt werden. Aus einem Erfolgsdelikt wird ein Eignungsdelikt, weil bereits die Handlung, die geeignet ist, eine schwere Störung der Lebensverhältnisse herbeizuführen, die Strafbarkeit in sich trägt. Durch den Charakter des Eignungsdelikts können wir Opfer besser schützen. Außerdem haben wir zum Schutz der Opfer erreicht, dass die Generalklausel im Gesetz stehen bleibt. Bundesjustizminister Heiko Maas wollte sie, für uns unverständlich, ursprünglich rückgängig machen. Diese brauchen wir aber, damit künftig auch derjenige zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verurteilt werden kann, der falsche Todes- oder Heiratsanzeigen aufgibt, soziale Medien manipuliert, indem er unter dem Namen des Opfers auftritt, oder dem Opfer tote Tiere vor die Tür legt und Ekel erregt. Auch nachhaltige Lärmbeschallung und eine Überwachung des Familien- und Bekanntenkreises kann unter Strafe gestellt werden. All diese Handlungen können auch weiterhin als Stalking strafrechtlich verfolgt werden. Das stärkt die Opfer noch einmal mehr. Der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war der Erhalt der Generalklausel besonders wichtig. Opferschutz hat für die Union Vorrang. Eine weitere gute Nachricht ist: Der Privatklageweg bei Nachstellungen hat ein Ende. Momentan werden Verfahren oft eingestellt, und Staatsanwälte verweisen auf Privatklagen. Jedoch darf unser Rechtsstaat keinem Opfer länger zumuten, selbst vor Gericht seine Rechte einfordern und auch noch das Risiko für die Kosten des Verfahrens tragen zu müssen. Die Situation wäre zu belastend: Auf dem Privatklageweg müsste das Opfer selbst prozessieren und dem Täter vor Gericht möglicherweise begegnen. Der Privatklageweg schützt die Opfer nicht. Seine Streichung ist richtig. Stalking ist eine schwerwiegende Straftat, deren Akten beim Staatsanwalt landen müssen. Einstellungen von Verfahren bei Nachstellungen sind Vergangenheit. Die Reformen, die wir heute verabschieden, helfen den Opfern, weil sie besser geschützt werden. Mit dem Gesetz können wir bewirken, dass mehr Täter verurteilt werden und die Opfer zu einem normalen Leben zurückfinden können, in dem nicht jeder Schritt von Angst begleitet wird. Diese Hoffnung von circa 20 000 Stalkingopfern pro Jahr allein in Deutschland dürfen wir nicht enttäuschen. Für uns ist klar: Nicht das Opfer muss sein Verhalten ändern, sondern der Täter muss für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden. Dirk Wiese (SPD): Heute ist wieder einmal ein guter Tag für den Opferschutz. Ich sage bewusst „wieder einmal“, denn der vorliegende Gesetzentwurf reiht sich ein in verschiedene Vorhaben dieser Legislaturperiode aus dem Hause von Bundesminister Maas, die allesamt eint, Opfer von Straftaten besser zu schützen: sei es durch die Reform des Sexualstrafrechts, die Einführung der bundesweiten psychosozialen Prozessbegleitung oder durch das Opferrechtsreformgesetz. Kurzum: Wir Sozialdemokraten bewegen etwas, wir nehmen die Sorgen und Nöte der Menschen ernst und treffen die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen. So auch hier; denn der Straftatbestand des Stalkings war bis jetzt durch verschiedene Regelungslücken ein recht stumpfes Schwert der Justiz. Obgleich die Fälle für den objektiven Betrachter oft eindeutig waren, waren die Hürden für eine Verurteilung der Täter viel zu hoch. Ich habe diese bereits in der ersten Lesung ausführlich dargestellt. Deshalb jetzt in aller Kürze die drei Kernpunkte der Reform: Erstens entfiel bis heute eine Bestrafung, wenn das Opfer dem enormen Druck nicht nachgab, sich nicht beirren ließ, indem es den Wohnort wechselte und wegzog oder den Beruf aufgab. Ich möchte zu dieser Konstellation auch heute an den Fall aus meinem Wahlkreis erinnern, wo ein Geistlicher seit nunmehr 15 Jahren gestalkt wird und eine Bestrafung der Täterin mangels schwerwiegender Beeinträchtigung bei dem Pfarrer bislang ausschied. Um solche nicht hinnehmbaren Missstände künftig zu beseitigen, wird der Straftatbestand des Stalkings deshalb nun als Eignungsdelikt ausgestaltet. Zukünftig reicht es völlig aus, wenn sich das Verhalten des Stalkers eignet, eine schwerwiegende Beeinträchtigung wie Jobverlust, Umzug oder eine schwere Erkrankung bei seinem Opfer herbeizuführen. Zweitens wird der Straftatbestand der Nachstellung aus dem Katalog der Privatklagedelikte gestrichen. Denn dieser erwies sich oftmals als eine weitere Hürde auf dem Weg zu einer Strafbarkeit, weil den meisten Klägern das Kostenrisiko des Prozesses, dass sie bei einer Privatklage tragen müssen, schlicht zu hoch war. Als dritten Punkt haben wir die effektive Durchsetzung von Vergleichen in Gewaltschutzverfahren verbessert. Zukünftig wird auch der Verstoß gegen eine in einem gerichtlichen Vergleich übernommene Verpflichtung strafbar sein. Damit schließen wir eine weitere Regelungslücke. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen sie mich kurz auf die wichtigste Änderung eingehen, die wir im parlamentarischen Verfahren nach der Anhörung getroffen haben. Der Gesetzentwurf sah in seiner ursprünglichen Fassung vor, die Generalklausel des Absatzes 1 zu streichen, mit der auch „eine andere vergleichbare Handlung“ des Täters, die im Tatbestand nicht ausdrücklich aufgeführt wird, strafbar ist. Begründet wurde dies mit verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgebotes. Die Anhörung hat aber genau das Gegenteil gezeigt. Fünf von sieben Sachverständigen sprachen sich für eine Beibehaltung der Generalklausel aus. Ich habe es noch einmal nachgeschaut, weil Sie, Frau Kollegin Keul, gestern im Rechtsausschuss sagten, dass die Mehrheit gegen eine Beibehaltung der Klausel sei. Das ist also falsch. Die Mehrheit war ganz klar für eine Beibehaltung der Generalklausel. Vielleicht liegt Ihr Irrtum in der Sache aber auch daran, dass Sie, Frau Kollegin Keul, in der Anhörung gar nicht zugegen waren. Wo wir gerade bei der Sitzung des Ausschusses sind. Der Kollege Wunderlich ist auch vehement für eine Abschaffung der Generalklausel eingetreten. Auch hier muss ich sagen, dass ich mich sehr wundere. Denn Ihre Sachverständige, Frau Köhler, hat in der Anhörung doch deutlich dargelegt, dass dadurch die Opfer von Stalking wesentlich schlechter geschützt wären, und ist deshalb für eine Beibehaltung der Klausel eingetreten. Überhaupt wundert mich die Einstellung der Opposition in dieser Sache. Denn würde man die Klausel streichen, wären Frauen, die am häufigsten Opfer von Stalking werden, deutlich schlechter geschützt. Denn Personen würden dann zukünftig straffrei handeln, wenn sie beispielsweise unrichtige Todes- oder Heiratsanzeigen aufgeben, Manipulationen in den sozialen Netzwerken vornehmen oder ekelerregende Sachen wie tote Tiere vor die Tür des Opfers legen. Eine solche Regelungslücke zu schaffen, wäre fatal, ja, sie würde den Sinn konterkarieren, dass wir mit der Reform des Stalkingtatbestands alle Regelungslücken schließen wollen. Und deshalb haben wir uns auch dafür entschieden, die Generalklausel beizubehalten. Denn das war die einzig richtige Entscheidung, um Opfer von Stalking umfassend zu schützen. Es geht eben nicht, diese Regelungslücken über die Ausformulierung weiterer Nachstellungsvarianten zu schließen. Jeder kann sich sicher vorstellen, dass dies aufgrund der Kreativität, mit der die Täter oft zugange sind, schlichtweg unmöglich ist und es immer wieder Fäll gäbe, die deshalb straflos wären, obwohl ein jeder erkennt, dass es sich um Stalking handelt. Sie sehen, wir haben als Koalitionsfraktionen gute Arbeit gemacht. Das Struck’sche Gesetz kam wieder einmal zu Anwendung. Wir liefern ein effektives Mittel, um Stalking-Opfer besser zu schützen und eine Verurteilung der Täter zu erleichtern. An die Opposition möchte ich appellieren: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf heute hier zu. Dann können auch Sie sagen, dass Sie zu einem besseren Opferschutz beigetragen haben. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf will den strafrechtlichen Schutz gegen Nachstellung gemäß § 238 StGB ausbauen. Der 2007 eingeführte Paragraf, wird danach dem Anspruch eines besseren Opferschutzes nur eingeschränkt gerecht. Als problematisch wird dabei in erster Linie angesehen, dass die Strafbarkeit von der Reaktion des Opfers abhängt. Sofern das Opfer mit besonnener Selbstbehauptung auftritt und nichts an seinen Lebensumständen ändert, entfällt auch eine Strafbarkeit des Täters gemäß § 238 StGB. Dies soll dadurch geändert werden dass das Delikt von einem Erfolgs- zu einem Eignungs- und Gefährdungsdelikt umgewandelt wird. Ein Erfolgseintritt ist damit nicht mehr nötig. Daneben soll die Einstufung als Privatklagedelikt abgeschafft werden, damit das strafwürdige Verhalten auch immer zur Aburteilung gelangt. Nach § 4 Gewaltschutzgesetz – GewSchG – ist nur der Verstoß gegen eine gerichtliche Schutzanordnung nach § 1 GewSchG strafbewehrt, nicht aber der Verstoß gegen eine entsprechende Verpflichtung, die der Täter in einem Vergleich übernommen hat. Diese Strafbarkeitslücke soll geschlossen werden, und zwar durch die Einführung der gerichtlichen Bestätigung von in Gewaltschutzverfahren geschlossenen Vergleichen sowie durch die Erweiterung des § 4 GewSchG auf Verstöße gegen Verpflichtungen aus einem gerichtlich bestätigten Vergleich. Stalkingopfer müssen besser geschützt werden. In diesem Punkt besteht Einigkeit. Jedoch ist der hier eingeschlagene Weg einer Verschärfung und Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht der richtige. Problem dabei war offenbar, dass in so manchen Fällen von mutmaßlichem Stalking die Verfahren eingestellt worden sind, da der erforderliche Erfolg, nämlich die Lebensgestaltung schwer beeinträchtigt zu haben, noch nicht eingetreten ist. Dies soll nun dadurch behoben werden, dass anstelle des eingetretenen Erfolges die Geeignetheit der Handlung unter Strafe gestellt werden soll. Die Strafbarkeit soll damit vorverlagert werden. Zu der Schwere des Eingriffs hat meine Kollegin Wawzyniak bereits in der ersten Lesung unter Bezugnahme auf das entsprechende BGH-Urteil ausgeführt. Nach wie vor bleibt fraglich, wer die Geeignetheit der Handlung, welche zu der schweren Beeinträchtigung führen kann, feststellt. So wie nach geltender Rechtslage der Erfolg festgestellt werden muss, muss nun die Geeignetheit festgestellt werden. Ob dies tatsächlich zu einem besseren Opferschutz führt, wurde auch in der Anhörung unterschiedlich gesehen. Ich persönlich vermag dies aus Sicht eines ehemaligen Staatsanwalts und Richters a. D. nicht zu bejahen. Um dennoch mehr Fälle zu erfassen, wäre es sinnvoller gewesen, das Wort „schwerwiegend“ in dem Tatbestand zu streichen. Doch dazu konnte sich die Koalition nicht hinreißen lassen. Warum einfach, wenn es auch kompliziert, schwieriger und wenig zielführend geht? Denn die Umwandlung des Straftatbestandes des Stalking von einem Erfolgsdelikt zu einem Eignungs- und Gefährdungsdelikt, ist aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen heraus kritisch zu betrachten. Das geschützte Rechtsgut, den individuellen Lebensbereich in Form der Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu schützen, muss unter Beachtung des Ultima-Ratio-Prinzips des Strafrechts eine tatsächliche Beeinträchtigung derselben mit sich bringen. Dagegen wäre die zunächst geplante Streichung der Generalklausel im derzeitigen Stalkingparagrafen § 238 StGB konsequent und richtig gewesen. Sie stand zu Recht im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot in der Kritik. Die Generalklausel des § 238 Absatz 1 Nummer 5 StGB ist nun doch durch den Änderungsantrag der Koalition wieder eingeführt worden. Die Streichung wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot wäre aber sinnvoll gewesen. Einzig die Änderungen des Gewaltschutzgesetzes sind sinnvoll, da über diese tatsächlich ein wirksamer Schutz der Betroffenen erzielt werden kann. Zu Streichung des Privatklagedelikts muss ich noch Folgendes anmerken. Es besteht kein Handlungsbedarf, da die Staatsanwaltschaft nach Nummer 86 Absatz 2 RiStBV – Richtlinien des Straf- und Bußgeldverfahrens – das Verfahren nicht einstellen darf, wenn dem Verletzten die Privatklage wegen seiner Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann. Diese Richtlinien sind zwar nicht Gesetz, aber gleichsam die Bibel des Staatsanwalts, wie es jeder Praktiker weiß. Von daher war ein Handlungsbedarf nicht gegeben, zumal ich davon ausgehen kann, dass die Staatsanwaltschaft als objektivste Behörde der Welt mit derartigen Einstellungen unter Verweisung auf den Privatklageweg sorgsam umgeht. Abschließend bleibt festzustellen, dass die Meinungen in der Anhörung zum Wandel vom Erfolgsdelikt zum Eignungs- und Gefährdungsdelikt wie auch die Erforderlichkeit im Gewaltschutzgesetz unterschiedlich waren, jedoch die herrschende Meinung oftmals die Meinung der Herrschenden ist. Aus rechtsstaatlicher Sicht insbesondere wegen der nach wie vor vorhandenen Generalklausel und der damit einhergehenden Unbestimmtheit kann dem Gesetz alles in allem aus Sicht der Linken nicht zugestimmt werden. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für Opfer von Nachstellungen ist es häufig schwierig, wirkungsvollen gerichtlichen Schutz zu erlangen. Ziel dieser Gesetzesänderung soll es sein – wie der Name des Gesetzes es schon sagt –, die Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen zu bewirken und den derzeitigen Missstand zu beenden. Diesem Ziel wird der vorliegende Gesetzentwurf aber nicht gerecht. Den positiven Punkt, die Änderungen in § 4 Gewaltschutzgesetz, habe ich ja bereits in der ersten Lesung genannt. Endlich ist auch der Verstoß gegen einen gerichtlich bestätigten Vergleich strafbewehrt. Das ist eine wichtige Verbesserung, denn die meisten Gewaltschutzverfahren werden in der Praxis durch Vergleich beendet. Bedauerlicherweise haben Sie den anderen positiven Punkt mit Ihrem Änderungsantrag aber auch schon wieder revidiert. Die Handlungsgeneralklausel in § 238 Absatz 1 Nummer 5 StGB, deren Streichung wir schon 2006 gefordert haben, wurde im Gesetzentwurf zunächst gestrichen, durch den Änderungsantrag aber wieder in den Gesetzestext eingefügt. Der ursprüngliche Gesetzentwurf wird damit verschlimmbessert. Jetzt haben wir tatsächlich die Strafbarkeit bei einer „vergleichbaren Handlung“, die „geeignet ist“, die Lebensgestaltung des Opfers zu beeinträchtigen. Noch unbestimmter ging es wohl nicht. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die bei der bisherigen Fassung schon bestanden haben werden durch die Wiedereinfügung der Handlungsgeneralklausel nochmals erheblich ausgeweitet. Dabei war auch in der Anhörung der Bedarf nach einer Handlungsgeneralklausel ein umstrittener Punkt. Entgegen der Begründung des Änderungsantrags war es nicht einhellige Meinung, dass sich durch eine Streichung des § 238 Absatz 1 Nummer 5 StGB Schutzlücken ergeben. Nach Ansicht der Sachverständigen mit Bezug zur Justiz wurde ein Bedürfnis nach einer solchen Generalklausel nicht gesehen. Vielmehr gaben die Praktiker an, dass die Generalklausel bislang in so gut wie keinem Fall zur Anwendung gekommen sei und die Nummern 1 bis 4 in der staatsanwaltlichen und justiziellen Praxis ausreichend seien. Die Beibehaltung der Nummer 5 ist weder zwingend noch nützlich. Im Strafrecht gilt eben nicht „Viel hilft viel“! Dabei war alleine schon der ursprüngliche Gesetzentwurf, der die Eignung zu einer schwerwiegenden Lebensbeeinträchtigung vorsah, bereits Grund genug, diesen abzulehnen. Die Umgestaltung des Tatbestandes des § 238 StGB von einem Erfolgs- in ein abstraktes Gefährdungsdelikt halte ich für ungeeignet, den Stalkingopfern künftig effektiveren Rechtsschutz zu ermöglichen. Ich brauche es nicht im Detail zu wiederholen. Aber jegliche Objektivierung der Geeignetheit als Tatbestandsmerkmal ist schwierig. Deshalb wird die Geeignetheit einer Handlung voraussichtlich weiterhin anhand derselben Anforderungen gemessen wie bisher. Das Opfer muss eine nach außen hin wahrnehmbare Reaktion in irgendeiner Weise gezeigt haben. Im Ergebnis wird das Ziel, die Opfer besser gegen Stalker zu schützen, verfehlt. Unsere alternativen Vorschläge zum Gesetzentwurf haben Sie leider auch nicht berücksichtigt. Dabei wäre gerade die Erfassung der psychischen Belastung als schwerwiegende Beeinträchtigung geeigneter gewesen, die Nachweisprobleme zu beseitigen. Der Vorschlag, den § 1 Gewaltschutzgesetz zu erweitern, um weitere Erscheinungsformen des Stalkings zu erfassen, wurde ebenfalls nicht in Betracht gezogen. Nun werden Sie argumentieren, dass Sie jeder noch so „kreativen“ Idee eines Stalkers durch die Generalklausel in Nummer 5 des StGB bereits begegnen. Dieses Ergebnis ließe sich aber viel besser durch eine Handlungsgeneralklausel im Gewaltschutzgesetz realisieren. Der entscheidende Vorteil wäre, dass wir nicht befürchten müssten, dass das Gesetz dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus Artikel 103 Absatz 2 GG nicht genügt und damit verfassungswidrig ist. Opferschutz ist eben etwas anderes als symbolhafte Verschärfungen von Straftatbeständen, die am Ende niemandem – insbesondere den betroffenen Opfern – etwas bringen. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Der Leitgedanke der Energiewende muss sein: Mehr Markt, mehr Wettbewerb, mehr Europa. Der Umbau der Energieversorgung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein wichtiger Baustein. Neben den erneuerbaren Energien gilt es jedoch, auch andere Handlungsfelder zu berücksichtigen. Die Energiewende muss technologieoffen ausgestaltet werden. Insbesondere die Steigerung der Energieeffizienz ist der Königsweg in der Energiepolitik. Sie schafft eine Win-win-Situation: Effizienzvorteile für die Verbraucher in Haushalten, Gewerbe und Industrie und gleichzeitig Reduzierung des Energieverbrauchs und damit von CO2-Emissionen. Die beste Energie ist immer noch eingesparte Energie. Die Kraft-Wärme-Kopplung ist eine seit Jahrzehnten erfolgreiche Technologie zur Steigerung der Energieeffizienz und ein zentraler Baustein für eine nachhaltige Energiepolitik. Durch die gekoppelte Erzeugung von Wärme und Strom werden erhebliche Mengen an Primärenergie und damit CO2 eingespart. Gegenüber ungekoppelten Systemen sind das derzeit 56 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Fernwärme durch KWK kann allein in Großstädten wie Berlin, Hamburg, Köln und weiteren bis zu 20 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Ein Blockheizkraftwerk mit Erdgas und KWK verursacht nur 120 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Ein herkömmliches Gaskraftwerk produziert dagegen das Dreifache an CO2 pro Kilowattstunde. Das Ausbaupotenzial für KWK wird auf zwischen 170 Terawattstunden pro Jahr und 240 Terawattstunden pro Jahr geschätzt. Davon liegt der Hauptteil mit rund 110 beziehungsweise 180 Terawattstunden im Bereich der Fernwärme und damit in der allgemeinen Versorgung. Hinzu kommen 38 bis 59 Terawattstunden im Industriebereich. Die CDU/CSU bekennt sich zum Ausbau der KWK als einem zentralen Ziel der Energiewende. Mit der Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes von 2015 sollte die geltende Förderung der hocheffizienten und klimafreundlichen KWK-Anlagen an die aktuellen Erfordernisse des Umbaus der Energieversorgung angepasst werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat seinerzeit im Gesetzgebungsprozess einige wichtige Änderungen des Gesetzentwurfs des Bundeswirtschaftsministeriums durchgesetzt. Das Ausbauziel für KWK wurde von 108 Terawattstunden auf 120 Terawattstunden für das Jahr 2025 angehoben. Im Jahr 2017 soll entsprechend dem Grundsatz der Technologieoffenheit auch die Wirtschaftlichkeit der Kohle-KWK evaluiert werden. Zudem kann per Verordnung eine Förderung von hocheffizienten und sonst unwirtschaftlich werdenden Kohle-KWKs eingeführt werden. Die Gesetzesnovelle des Jahres 2015 stand bisher unter dem Vorbehalt einer beihilferechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommission. Im August 2016 hat die Bundesregierung unter Federführung des Bundeskanzleramtes hierzu eine Einigung mit der Kommission erreicht. Der heute zu beschließende Gesetzentwurf setzt diese Einigung um. Er schafft damit Planungssicherheit für viele private, gewerbliche und industrielle Anlagenbetreiber. Mit der Einführung einer Ausschreibung für KWK-Anlagen von 1 bis 50 Megawatt setzen wir auch bei der KWK-Förderung zukünftig auf mehr Wettbewerb. Ebenso wie bei den erneuerbaren Energien gilt für KWK, dass in der Perspektive die Subventionierung auslaufen und die Technologie auf eigenen Füßen stehen sollte. Nur so können weiter steigende Energiepreise vermieden und die Akzeptanz für die Energiewende erhalten werden. Zusätzlich schließen die neuen Ausschreibungen auch innovative KWK-Systeme ein. Die Ausschreibungen für KWK-Anlagen von 1 bis 50 MW können zukünftig per Verordnung auch für Industrieprojekte geöffnet werden. Auch wurde die Vorschrift aus dem Gesetzentwurf gestrichen, dass Anlagen, die an der Ausschreibung teilnehmen, eine technische Mindesterzeugung von null erreichen müssen. Das wäre für viele Industrieprojekte nicht erreichbar gewesen. Bei dem wichtigen Thema Bestandschutz für Eigenstromerzeugungsanlagen haben wir ebenfalls Verbesserungen erreicht. Eigenstrombestandsanlagen werden von der EEG-Umlage auch weiterhin dauerhaft entlastet. Bei bestehenden Anlagen wird dieses sogenannte Eigenstromprivileg zukünftig zudem „vererbbar“, beispielsweise für eine Biogasanlage auf einem Bauernhof. Im Falle von Umstrukturierungen und Rechtsnachfolgen bis Ende 2016 kann das Eigenstromprivileg auf den Rechtsnachfolger übergehen. Bestandsschutz gilt auch für bestehende Eigenstrommodelle mit mehreren Kraftwerksschreiben. Im Speicherbereich wurde die geplante vierjährige Befristung der Umlagebefreiung ebenfalls gestrichen. Die CDU/CSU hat im Gesetzgebungsverfahren insbesondere darauf geachtet, dass keine neuen oder zumindest keine zu hohen Zusatzbelastungen für die Industrie entstehen. Denn die Energiewende wird nur dann zum Erfolg, wenn es gelingt, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes zu sichern. Von zentraler Bedeutung ist insbesondere die Entlastung der energieintensiven Industrie von der KWK-Umlage. Trotz intensiver Verhandlungen mit der EU-Kommission haben wir leider nicht alles erreicht, was wir wollten. Mit dem neuen Gesetz wird die Entlastungsregelung im KWKG an die besondere Ausgleichsregelung im EEG angepasst. Dies sichert die Wettbewerbsfähigkeit besonders der hoch energieintensiven Unternehmen. Wir als CDU/CSU haben uns darüber hinaus für eine Härtefallregelung im weitmöglichsten Umfang ausgesprochen, und zwar für alle Unternehmen, die wegen der beihilferechtlichen Restriktionen die bisherigen Entlastungsregelungen des KWKG nicht mehr in Anspruch nehmen können. Nach intensiven Diskussionen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der Kommission wurde klar, dass hierfür beihilferechtlich kein Spielraum besteht. Daher wird es leider für viele Unternehmen zukünftig zu Mehrbelastungen kommen. Die Kommission hat diese Mehrbelastungen überwiegend als nicht so weitgehend eingestuft, dass sie eine unbillige Härte darstellen. Ich halte das für unbefriedigend. Schon heute ist die Wettbewerbssituation der energieintensiven Industrie in Deutschland äußerst schwierig. Dies zeigt sich schon daran, dass in diesem Sektor nur 70 bis 80 Prozent der Abschreibungen noch reinvestiert werden. Die Strompreise für große Industrieunternehmen in Deutschland liegen bei rund 15 ct/kWh, davon sind im Durchschnitt fast 50 Prozent Steuern und Abgaben. Der Großteil der Abgaben ist auf die EEG-Umlage zurückzuführen. Die energieintensive Industrie bildet jedoch die Basis der industriellen Wertschöpfungskette und gibt Hunderttausenden Menschen in unserem Land Lohn und Brot. Die CDU/CSU kämpft um den Erhalt dieser Arbeitsplätze – leider oft allein auf weiter Flur. Im Ergebnis gilt es nun, die Auswirkungen der neuen Regelung auf die Industrie genau evaluieren. Gegebenenfalls werden wir in ein bis zwei Jahren einen neuen Anlauf bei der Kommission nehmen, um weitergehende Entlastungen für die Industrie zu erreichen. Es gilt, Deutschland als Industriestandort zu erhalten, denn dies ist die Garantie für Wohlstand und sozialen Frieden in unserem Land auch in den kommenden Jahrzehnten. Florian Post (SPD): Wie schon im letzten Jahr haben die Verhandlungen um das KWKG und Eigenversorgung erst kurz vor der jetzt anstehenden Abstimmung über das Gesetz ihren Abschluss gefunden. Das war nicht geplant, um Ihnen, geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Arbeit zu erschweren, sondern der Tatsache geschuldet, dass wir den EU-Bescheid erst im November erhielten und noch bis zum Schluss eine gute Lösung ausgehandelt haben. Meiner Meinung nach haben wir mit dem vorliegenden Artikelgesetz eine gute Grundlage geschaffen, um der KWK weiterhin eine sichere Perspektive im deutschen Stromerzeugungsmix zu geben. Ich bin froh, dass es gelungen ist, den doch recht ambitionierten Zeitplan einzuhalten, um das Gesetz noch in diesem Jahr zu verabschieden. Durch das heute im Bundestag zu beschließende Gesetz schaffen wir zudem die Voraussetzungen, dass das KWKG von der EU-Kommission beihilferechtlich genehmigt wird und somit im neuen Jahr umfassend in Kraft treten kann. In Übereinstimmung mit den Zielen der EU Kommission werden künftig KWK-Anlagen zwischen 1 und 50 Megawatt gefördert, wenn sie erfolgreich an einer Ausschreibung teilnehmen. Damit wird die Förderhöhe auch für KWK-Anlagen – wie im EEG – über Ausschreibungen ermittelt. Dies ermöglicht eine bessere Mengensteuerung, bedeutet Planbarkeit für alle Marktakteure und erhöht die Kosteneffizienz in der Förderung. Mit dem KWK-Gesetz hat die SPD sichergestellt, dass bei der KWK-Förderung der Fokus weiterhin auf der öffentlichen Versorgung liegt. Damit schaffen wir die gesetzliche Grundlage, weiter intensiv am Ausbau der KWK und am Klimaschutz in den Städten und Gemeinden zu arbeiten. Die KWK-Förderung kann zudem für Anlagen geöffnet werden, die ihren Strom in ein geschlossenes Verteilernetz einspeisen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der in solchen Netzen verbrauchte Strom im Hinblick auf Umlagen, Entgelte und Abgaben genauso gestellt ist wie Strom im Netz der allgemeinen Versorgung. Mit diesem Kriterium stellen wir sicher, dass Anlagen in einem geschlossenen Netz andere Anlagen, also vor allem KWK-Anlagen von Stadtwerken, nicht aus dem Markt drängen können. Gleichzeitig haben wir im KWKG auch für Stromspeicher eine gute Lösung gefunden, indem wir die Bestimmung zur Begrenzung der KWKG-Umlage bei Stromspeichern dahin gehend angepasst haben, dass die KWK Umlage entsprechend dem§ 61 k EEG 2017 erhoben wird. Damit wird eine Doppelbelastung von Stromspeichern – wie etwa Pumpspeicherkraftwerken – bei der Erhebung der KWKG-Umlage ausgeschlossen. Mit diesen Regelungen fördern wir die dringend notwendigen Flexibilisierungs- und Speichermöglichkeiten. Mit dem Gesetz sind wir insgesamt auf einem guten Weg, die Sektorkoppelung und Aufnahmefähigkeit für erneuerbare Energien auszubauen, und sorgen zudem dafür, dass das Ausbauziel von 110 TWh Strom aus KWK Anlagen bis 2020 erreicht werden kann. Johann Saathoff (SPD): Vor gut einem Jahr, am 3. Dezember, haben wir hier das KWKG 2015 beschlossen. Richtig abschließen können wir dieses Gesetzesvorhaben eigentlich aber erst heute. Warum ist das so? Lange haben wir alle auf die Notifizierung des KWKG gewartet. Sehr spät, am 24. Oktober dieses Jahres, hat die Europäische Kommission das Gesetz endlich notifiziert; leider aber unter Auflagen. Und diesen Auflagen kommen wir nun mit der erneuten KWK-Änderung nach. Bei den Privilegierungen bei der KWK-Umlage hat das BMWi hart mit der Kommission gerungen und sich letztlich darauf geeinigt, dass künftig ein Begrenzungsbescheid bei der Besonderen Ausgleichsregelung nach dem EEG auch für die Privilegierung bei der KWK-Umlage maßgebend ist. Das ist ein gutes Ergebnis, denn anfangs sah es danach aus, dass Unternehmen in Zukunft die volle Umlage zahlen müssen, was ganz sicher einige Härten zur Folge gehabt hätte, was, denke ich, niemand von uns gewollt hat – zumindest nicht mit Blick auf die damit verbundenen Arbeitsplätze. Dieses Gesetzespaket trägt aber nicht nur den notwendigen Änderungen beim KWKG Rechnung. Gleichzeitig setzen wir auch ein für den Industriestandort Deutschland extrem wichtiges Anliegen aus dem Koalitionsvertrag um. Ich meine die Regelung zur Eigenstromerzeugung, über der ja bislang immer das Damoklesschwert der Befristung bis Ende nächsten Jahres schwebte. Im Koalitionsvertrag steht, dass alle neuen Eigenstromerzeuger mit einer Mindestumlage zur Finanzierung des EEG-Kontos beitragen sollen und dass für bestehende Eigenerzeugung Vertrauensschutz gewährleistet werden soll. Und genauso steht es nun auch in dem Gesetz, das wir heute hier beschließen. Bestehende Eigenversorgungsmodelle zahlen weiterhin null Prozent EEG-Umlage. Das gilt solange, bis das Kraftwerk modernisiert wird, wobei es bei der Modernisierung nur um den Generator geht. Danach müssen auch sie einen Beitrag in Höhe von 20 Prozent zum EEG-Konto leisten. Neue Eigenstromerzeugungsmodelle zahlen nunmehr 40 Prozent EEG-Umlage. Damit gelingt uns ein guter Kompromiss, um auch die Industrie angemessen an der Finanzierung des EEG zu beteiligen und gleichzeitig den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zu schwächen und Carbon Leakage zu vermeiden. Darüber hinaus haben wir im EEG einige Punkte, die wir bereits vor der Sommerpause beschlossen haben, etwas nachgeschärft, zum Beispiel bei den Bürgerenergiegenossenschaften. Als wir die Sonderregeln für die Bürgerenergie beschlossen haben, habe ich mir nicht vorstellen können, welches Missbrauchspotenzial diese Regelungen in sich tragen könnten. Viel haben wir in den vergangenen zwei Monaten über Strohmann-Gesellschaften gesprochen. Und da wir natürlich keinerlei Interesse daran haben, dass diese gut gemeinten Regelungen unterlaufen werden, haben wir nun bestimmte Hürden eingezogen, die dieses Unterlaufen unmöglich machen sollen. Diese Hürden machen den Missbrauch der bevorzugten Regelungen für die Bürgerenergie unmöglich, behindern aber nicht die echte Bürgerenergie. Gleichzeitig haben wir bei der Offshorewindkraft dafür gesorgt, dass wir in den nächsten Jahrzehnten viel Geld sparen können. Genehmigungen für Offshorewindkraftanlagen werden künftig für 25 Jahre erteilt. Dadurch wird es zu günstigeren Ergebnissen in den Ausschreibungen kommen, was das EEG-Konto entlasten wird. In den vergangenen Wochen haben wir in Dänemark und den Niederlanden erstaunlich günstige Gebotszuschläge für Offshorewindparks gesehen. Die Bedingungen lassen sich nicht ganz mit den Bedingungen in Deutschland vergleichen. Aber ich gehe trotzdem davon aus, dass wir in der ersten Ausschreibungsrunde für Offshorewindparks im kommenden Jahr Ergebnisse sehen werden, die wir alle der Branche kaum zugetraut haben. Auf jeden Fall sollten wir in naher Zukunft unsere Beschlüsse zu den Ausbaumengen bei der Offshorewindkraft noch mal überdenken, denn hier liegt nach wie vor großes Potenzial – sowohl gesamtdeutsch industriepolitisch als auch als günstige, fast grundlastfähige erneuerbare Energiequelle. Insgesamt war es ein von großer Zeitnot geprägtes Verfahren, weil wir ja unbedingt noch in dieser Woche beschließen müssen. Ich möchte mich deshalb ganz besonders bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem BMWi bedanken, die quasi Tag und Nacht durchgearbeitet haben. In Ostfriesland würde man sagen: „wi hebben heel moi tausamen arbeid“. Und nun wünsche ich Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Damit die EU-Kommission bei den deutschen Industrieprivilegien zwei Augen zudrückt, verlangt sie, die KWK künftig über Ausschreibungen zu fördern. Das ist kompletter Unsinn, es gibt sachlich keinen Zusammenhang. Dies ist ein klassischer Deal, der nicht sachgemäß ist und der die ohnehin schon komplizierte Materie noch komplizierter macht. Wir halten es für verantwortungslos, nun auch die Förderhöhe der KWK über Ausschreibungen zu ermitteln, nach dem Motto: billig gewinnt. Bei Photovoltaik und Windkraft haben wir das Instrument Ausschreibungen abgelehnt, weil es Bürgerenergie trotz Nachteilsausgleich Steine in den Weg legt und voraussichtlich zu Marktkonzentration einiger weniger Projektierer führen wird. Bei der Kraft-Wärme-Kopplung haben wir für unsere Ablehnung der Ausschreibungen, wie sie nun für Anlagen zwischen 1 und 50 Megawatt eingeführt werden, etwas andere Gründe: KWK-Anlagen sind sehr unterschiedlich, und die Wirtschaftlichkeit einer Anlage ist abhängig von verschiedenen Größen, nicht nur auf der Stromseite, sondern auch bei der Wärmeproduktion. In dieser uneinheitlichen Welt sind Ausschreibungen wirklich widersinnig und schädlich für den weiteren Ausbau. Viele KWK-Anlagen produzieren auch Strom für den eigenen Verbrauch, sei es im Gebäudekomplex oder in einer Industrieanlage. Das sollen sie aber nicht mehr dürfen, wenn sie an Ausschreibungen teilnehmen. Gefördert werden dann nur noch Anlagen, die vollständig ins öffentliche Netz einspeisen. Auch das finden wir nicht sachgerecht. Es gibt zudem keinerlei Erfahrungen mit KWK-Ausschreibungen – weder hierzulande noch im Ausland, es existieren etliche offene Fragen. Aber wie genau die Bundesregierung dies nun gestalten will, denkt sie sich ja selbst erst aus. Hier gibt das Parlament ihr heute wieder einen Freifahrtschein über eine Verordnungsermächtigung. Wir bezweifeln, dass sich in dem Bereich von Anlagen zwischen 1 und 50 Megawatt eine faire Ausschreibungspraxis bewerkstelligen lässt. Betroffen sind hier vor allem Stadtwerke und Industrieanlagen, die effizienter werden sollen – deren Planung wird aber unsicherer und verteuert. Wer vorhat, in die hocheffiziente KWK zu investieren, wird künftig ins kalte Wasser geworfen. Da überlegt man es sich zweimal, und dies, obwohl die Ausbauzahlen ohnehin hinter den Erwartungen zurückbleiben. Aufgrund der Umstellung des Fördersystems wird es vermutlich auch zu einem Fadenriss bei den Investitionen kommen. So warnten jedenfalls die Experten in der Anhörung. Es droht eine Investitionslücke von zwei Jahren. Mit dem Gesetzentwurf werden ferner Industrieprivilegien im EEG und im KWK-G verlängert. Bravo, kann ich da nur sagen. Jedes Jahr werden der Industrie beim Eigenverbrauch Umlagen in Höhe von etwa 2 Milliarden Euro erlassen. Dass dies bei Bestandsanlagen auch weiterhin so sein wird und diese Kosten letztlich auf die Stromrechnung der privaten Haushalte draufgeschlagen werden – das beschließen Sie heute. Das kann man auch nicht mit „Bestandsschutz“ begründen, denn der Gewinn aus dem Eigenstromprivileg wächst automatisch mit jedem Anstieg der Preise für den Fremdstrombezug aus dem Netz. Hier wird unkontrolliert Geld verschenkt. Einige meinen, ohne diese Privilegien würden etliche KWK-Anlagen unwirtschaftlich. Wir halten dem entgegen: Dann sollte man besser auskömmliche KWK-Zuschläge zahlen, anstatt über das Eigenstromprivileg zweite Kassen aufzumachen, deren Füllung und Berechtigung von niemanden mehr kontrolliert werden kann. Noch ein Wort zu den EEG-Regelungen aus dem Sommer, die heute bei der Bürgerenergie geheilt werden sollen. Wir als Linke hatten ja die Missbrauchsmöglichkeiten bei der Bürgerenergie thematisiert. Ich erkenne an, dass die Koalition nun eine Formulierung ins Gesetz aufnimmt, die versucht, Projekten, die nur unter dem Deckmantel Bürgerenergie auftreten und dann nach kurzer Zeit verkauft werden sollen, einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ich bin nicht sicher, ob das Erfolg hat, aber zunächst erscheint es mir stimmig. Nur damit hier keine Missverständnisse aufkommen, muss ich allerdings nochmal klarstellen: Das eigentliche Problem ist nicht der Nachteilsausgleich im EEG bei der Bürgerenergie. Das eigentliche Problem liegt in der Einführung von Ausschreibungen, die systematisch große finanzstarke Investoren bevorteilen, mittelfristig zu einer Marktkonzentration von wenigen Investoren führen und gegen den Charakter einer dezentralen Energiewende wirken. Dieses Problem wird grundsätzlich nicht geheilt, und ich kann nur hoffen, dass die Bürgerenergie sich nicht entmutigen lässt. Die Linke setzt sich weiterhin für eine dezentrale Energiewende in Bürgerhand ein. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun wissen wir ganz offiziell, dass die Bundesregierung ihre selbst gesteckten Klimaziele bis 2020 nicht erreichen wird. Das sagt der Klimaschutzbericht 2016, den das Kabinett gestern beschlossen hat. Doch statt den Bericht als Ansporn zu nehmen und jetzt in allen Bereichen nachzulegen, legt die Große Koalition die Hände in den Schoß. Oder noch schlimmer: Sie bremst die Klimaschutzanstrengungen noch weiter aus. So wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung, über die wir heute abstimmen. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetz schafft die Regierung durch höchst bürokratische Ausschreibungsverfahren neue Hindernisse für die KWK, statt sie zu stärken. Wenn Sie jetzt sagen: „Das stimmt doch gar nicht“, darf ich Ihnen ein Zitat aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Zukunft der KWK vorlesen: „Grundsätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich insbesondere in den ersten Ausschreibungsrunden der administrative Aufwand oder die Risikotragung leicht erhöhen.“ Zitat Ende. Nach der zweijährigen Hängepartie, die Sie der KWK-Branche bereits bis heute zugemutet haben, kommen nun also weitere Verzögerungen, Hürden und Hindernisse dazu. So werden Sie Ihr Ausbauziel für die effiziente Kraft-Wärme-Kopplung und den Klimaschutzbeitrag durch KWK ganz sicher nicht erreichen. Davon gehen auch die Sachverständigen aus, die in unserer Anhörung im Wirtschaftsausschuss dazu Stellung genommen haben. Und es wäre ja noch nicht zu spät gewesen, wenigstens einige Verbesserungsvorschläge aufzugreifen, wie sie beispielsweise in der Anhörung thematisiert wurden oder die die Bundesländer gemacht haben. Ich nenne Ihnen einige Beispiele: Erstens. Angesichts der neuen Hindernisse für die Errichtung von KWK-Anlagen und der ohnehin schon erfolgten Stilllegung vieler Anlagen hätten Sie wenigstens die Ausschreibungsmengen erhöhen müssen. Damit bestünde die Chance, die negative Entwicklung bei der KWK ein wenig zu kompensieren. Aber davon sehe ich in Ihrem Änderungsantrag nichts! Zweitens. Für die Energiewende im Wärmebereich brauchen wir auch die kleine und mittlere KWK in der dezentralen Versorgung. Daher hätten Sie unbedingt die KWK zur Versorgung von Mietshäusern stärken müssen. Doch von einer Ausdehnung der Verordnungsermächtigung im EEG zur Förderung von Mieterstrommodellen auf KWK sehe ich ebenfalls nichts! Drittens. Besonders wichtig sind im Sinne des Klimaschutzes der schnellere Umstieg von Kohle auf erneuerbare Energien oder die Nutzung von Abwärme auch in der Kraft-Wärme-Kopplung. Denn auch diese effiziente Technik soll perspektivisch vollständig klimaneutral betrieben werden. Doch auch hier haben Sie keine Verbesserungen geschaffen. So bleiben beispielsweise in den Ausschreibungen für innovative KWK-Anlagen ORC-Prozesse oder die Nutzung von Abwärme weiterhin außen vor. Viertens. Und noch ein letzter Punkt, den ich für zentral halte: Nachdem seit Oktober endlich die Anträge bearbeitet werden, die seit Januar vorlagen, müssen alle Investoren für KWK-Anlagen in einer Größe von 1 bis 50 MW nun noch bis Herbst nächsten Jahres warten; denn vorher wird Ihre Verordnung für die neuen Ausschreibungen nicht in Kraft treten. Planungssicherheit ist was anderes! Die Branche befürchtet eine große Investitionslücke. Ich habe schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs davor gewarnt, dass die vorgesehenen Änderungen am Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz den Ausbau der KWK weiter erschweren werden und dass die Bundesregierung ihre Klimaziele so nicht erreichen wird. Statt diese Warnung ernst zu nehmen, ignorieren Sie weiterhin die großen Probleme beim Ausbau der KWK und legen den Klimaschutz ad acta. Das ist der falsche Weg in der Energie- und Klimapolitik! Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Barbara Lanzinger (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Zusatztagesordnungspunkt 7) Aus den hier aufgeführten Gründen stimme ich heute gegen das oben genannte Gesetz. Das liegt nicht daran, dass ich mich gegen Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ausspreche. Ganz im Gegenteil: KWK ist eine allseits anerkannte, hoch effiziente und klimafreundliche Technologie. KWK ist ein wichtiger Baustein der Energiewende und von herausragender Bedeutung für die Erreichung unserer Klimaziele. Aus diesem Grund haben wir bereits Ende 2015 das KWK-Gesetz im Bundestag und Bundesrat verabschiedet, mit dem Ziel, diese Technologie zu befördern. Damals signalisierte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), dass das im Deutschen Bundestag ausverhandelte Gesetz vonseiten der Europäischen Kommission zwar noch beihilferechtlich genehmigt werden müsse, jedoch keine beihilferechtlichen Bedenken hervorrufe. Zu Beginn 2016 wurde uns mitgeteilt, dass es doch massive Bedenken gebe – und zwar gegen zentrale Punkte des Gesetzes. Nach Aussage des BMWi musste daher in 2016 intensiv zwischen BMWi und Europäischer Kommission nachverhandelt werden. Das Ergebnis, das uns im Rahmen eines Kabinettentwurfs am 19. Oktober 2016 vorgelegt wurde, entspricht in vielen Punkten nicht mehr den politischen Abstimmungsergebnissen des Deutschen Bundestages von Dezember 2015. In den vergangenen Wochen mussten erneut intensive parlamentarische Beratungen zu dem eingangs genannten Änderungsgesetz stattfinden, um die vom BMWi angeführten beihilferechtlichen Bedenken umzusetzen. Bei den parlamentarischen Verhandlungen hat das BMWi enormen zeitlichen Druck aufgebaut, obwohl das BMWi selber lange gebraucht hat, um ein bereits abgeschlossenes Gesetz neu mit der Europäischen Kommission zu verhandeln. Mit diesem Prozedere bin ich als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht einverstanden. Verhandlungen dieser regulatorischen und technischen Komplexität brauchen Zeit, um vom Parlament tiefgehend geprüft werden zu können. Das gilt vor allem im Sinne der KWK und dementsprechend der KWK-Anlagenbetreiber, die nachhaltig Rechtssicherheit für Investitionen und den Anlagebetrieb benötigen. Nur so kann auch der wiederholte Eindruck widerlegt werden, dass das BMWi versuche, unter scheinbarem Bezug zum Beihilferecht der Europäischen Kommission, eigene politische Ansichten in der Energiepolitik durchzusetzen. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 17) Julia Obermeier (CDU/CSU): Wir alle haben die Pariser Terrornacht vom 13. November 2015 in Erinnerung. 130 Menschen starben und 350 wurden zum Teil schwer verletzt. Diese schrecklichen Anschläge – verübt mit Sprengsätzen, Sturmgewehren und Handgranaten – trafen uns im Herzen Europas und offenbarten eine neue Dimension des Terrors. Auch Deutschland steht im Fadenkreuz des Terrorismus: Dies zeigen die Anschläge von Ansbach, Würzburg, Essen und Hannover. Der islamistische Terrorismus bedroht unsere freie Gesellschaft. In islamistischen Kreisen gilt die professionelle militärische Schieß- und Gefechtsausbildung der Bundeswehr als besonders attraktiv, nicht nur für die Vorbereitung terroristischer Anschläge, sondern auch für den menschenverachtenden Dschihad in den von der IS-Terrormiliz kontrollierten Gebieten. Dass die Bundeswehr für gewaltbereite Extremisten attraktiv ist, belegen Zahlen des Militärischen Abschirmdienstes, MAD: 30 ehemalige Soldaten sind nach Syrien oder in den Irak ausgereist. Es liegt nahe, dass sie sich dem IS angeschlossen haben und sich an barbarischen Gräueltaten beteiligen. Zudem wurden 20 Islamisten in der Bundeswehr vom MAD enttarnt, und aktuell werden mindestens 60 weitere Verdachtsfälle verfolgt. Dies zeigt uns deutlich: Wir müssen die Gefahr des Missbrauchs der militärischen Bundeswehrausbildung eindämmen. Die bisherigen Maßnahmen reichen angesichts der Bedrohungslage nicht aus. Bislang müssen Bewerberinnen und Bewerber, die sich für den Soldatenberuf entschieden haben, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Zudem werden sie über das Grundgesetz belehrt und müssen sich schriftlich zu Verfassungstreue und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen. Es wurde bisher nicht umfassend geprüft, ob ein Bewerber an anderer Stelle bereits als Extremist oder Gewalttäter bekannt ist. Der vorliegende Gesetzentwurf soll dies nun ändern. Hat ein Bewerber das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen, wird er einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Dieses bewährte Verfahren wird bereits bei anderen sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr angewendet – sowie auch im Luftverkehr oder hier im Bundestag. Hierzu werden insbesondere Informationen der Polizei- und Sicherheitsbehörden sowie des Bundeszentralregisters eingeholt und geprüft. Bevor also jemand in der militärischen Grundausbildung lernen kann, wie man Kriegswaffen, zum Beispiel Sturmgewehre und Pistolen, gebraucht, schaut nun der MAD genau hin. Das ist wichtig und notwendig. Zukünftig müssen etwa 20 000 Sicherheitsüberprüfungen zusätzlich durchgeführt werden. Um diese Arbeit stemmen zu können, brauchen der MAD und die anderen betroffenen Behörden mehr Personal. Das wird uns 8,2 Millionen Euro kosten. Doch das Geld ist eine kluge Investition. Potenzielle Terroristen und gewaltbereite Extremisten, egal welcher Prägung, haben keinen Platz in der Bundeswehr. Sie dürfen die Bundeswehr nicht als Ausbildungseinrichtung für ihre üblen Zwecke missbrauchen. Bisher hat es in Deutschland noch keinen Anschlag gegeben, bei dem ein Terrorist den Umgang mit seiner Waffe in unseren Streitkräften erlernt und erprobt hat. Dies soll auch zukünftig so bleiben. Durch die Gesetzesänderung tun wir unser Möglichstes, dies zu verhindern. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Bernd Siebert (CDU/CSU): Der Deutsche Bundestag hat in seiner 199. Sitzung am Donnerstag, dem 10. November 2016, in erster Lesung über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes beraten. Dieser wurde in der Folge zur weiteren Beratung in den Verteidigungsausschuss überwiesen. Am 30. November hat schließlich der Verteidigungsausschuss über die wichtige Thematik beraten und mit den Stimmen der Koalition aus CDU/CSU und SPD dem vorliegenden Gesetzentwurf zugestimmt. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten, die Fraktion Die Linke hat mit Nein gestimmt. Angesichts der im Verteidigungsausschuss geführten Debatte möchte ich auch hier im Deutschen Bundestag den Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere dem Militärischen Abschirmdienst, für ihren wertvollen und wichtigen Einsatz danken. Ohne die Arbeit des Militärischen Abschirmdienstes wäre manch radikalisierter Islamist noch unentdeckt und möglicherweise in der Lage, innerhalb unserer Streitkräfte oder an anderer Stelle Schlimmstes anzurichten. Es ist immer wieder in Erinnerung zu rufen: 24 Islamisten wurden in der Bundeswehr enttarnt. 60 weitere Verdachtsfälle werden verfolgt. Wir hören, dass der Militärische Abschirmdienst derzeit eine dreistellige Zahl extremistischer Verdachtsfälle überprüft. Darunter leider Rechts- und Linksextremisten sowie die genannten islamischen Extremisten. Von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Aus diesem Grund ist es folglich unerlässlich, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, die es erlaubt, Extremisten, Terroristen und weitere Kriminelle frühzeitig zu erkennen – idealerweise natürlich, bevor sie in unsere Streitkräfte aufgenommen werden. Klar ist, dass angesichts der veränderten Sicherheitslage auch das Sicherheitsbedürfnis der Bundeswehr und ihrer Angehörigen ein völliges anderes ist. Dem muss selbstverständlich Rechnung getragen werden. Somit beschreitet der vorliegende Gesetzentwurf den richtigen Weg. Danken möchte ich auch dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, der zu Recht darauf hingewiesen hat, dass Extremisten und Islamisten die Bundeswehr nicht zur Ausbildung für den Dschihad missbrauchen dürfen. Diese reale Gefahr muss man ernst nehmen. Aus diesem Grund möchte ich mich mit aller Entschiedenheit den Vorwürfen gegen die Bundesregierung verwehren, hier werde nur billiger Aktionismus betrieben. Im Gegenteil: Der Zeitpunkt zur Verabschiedung der Gesetzesänderung ist hochaktuell. Insofern spreche ich der Bundesregierung und hier insbesondere Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die Initiative zur Änderung des Soldatengesetzes mein ausdrückliches Lob aus. Zugleich ist dies auch keine Maßnahme zur Darstellung der Existenzberechtigung des Militärischen Abschirmdienstes. Die Notwendigkeit des Dienstes ergibt sich ohne jeden Zweifel aus den eben geschilderten Enttarnungserfolgen. Wer das in Zweifel zieht, legt Hand an die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und damit an die Bündnis-, Verteidigungs- und Einsatzfähigkeit Deutschlands. Lassen Sie mich in Erinnerung rufen, worum es eigentlich geht: Die Gesetzesänderung sieht vor, dass sich Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zukünftig vor dem Eintritt in die Streitkräfte einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen sollen, und zwar Berufs- und Zeitsoldaten ebenso wie auch freiwillig Wehrdienstleistende. Bisher ist dies in der Regel nur bei Verwendungen in sicherheitsrelevanten Bereichen der Fall. Darüber hinaus wird von angehenden Soldaten lediglich ein Führungszeugnis oder eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister eingeholt sowie ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung eingefordert. Staatssekretär Markus Grübel hat in erster Lesung korrekterweise darauf hingewiesen, dass alle Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Grundausbildung in der Handhabung und dem Gebrauch von Kriegswaffen ausgebildet werden. Solch eine qualitativ hochwertige Ausbildung sei daher auch bei Menschen begehrt, die besser niemals lernen dürften, wie man ein Sturmgewehr bediene. Er wies sinnbildlich darauf hin, dass diese Menschen ihre feindseligen Absichten eben nicht offen erkennbar auf der Stirn tragen. Diese Menschen wird man nur leider kaum identifizieren können, wenn man ihnen ein Führungszeugnis sowie das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung einfordert. Das wäre nicht mehr den heutigen Bedrohungsszenarien entsprechend, und ich möchte mir darüber hinaus kein Anschlagsszenario vorstellen, in dessen Nachbereitung sich herausstellt, dass der oder die Attentäter ihre Schusswaffenausbildung bei einer Einheit der Bundeswehr erhalten haben. Somit kann es aus meiner Sicht nur einen Weg geben, nämlich die nun vorgeschlagenen Maßnahmen so bald wie möglich umzusetzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Extremisten, Terroristen und Kriminelle keinen Platz in der Bundeswehr haben dürfen. Deren frühzeitige Erkennung ist daher unumgänglich. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt dazu bei, die Bundeswehr und damit auch die Bundesrepublik Deutschland sicherer zu machen. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Dass das vorliegende Änderungsgesetz ausschließlich in Form von zu Protokoll gegebenen Reden im Plenum des Deutschen Bundestages „beraten“ wird, ist ein unsinniger Vorgang. Entweder es besteht Beratungsbedarf; dann müssen wir auch den Raum für den parlamentarischen Schlagabtausch schaffen. Oder es besteht keiner; dann brauchen wir auch keine Besinnungsaufsätze zum Inhalt der Gesetze in den Parlamentsprotokollen zu beerdigen, sondern sollten es mit der Abstimmung bewenden lassen. Da es aber nun einmal so beschlossen ist, gehe ich kurz auf die Argumente der Grünen und der Linken ein, die dem Protokoll der ersten Lesung zu entnehmen sind. Inhalt des Gesetzes ist die Ausweitung der Befugnisse des MAD. Wir schaffen eine Rechtsgrundlage dafür, dass der MAD schon vor der Einstellung eine Sicherheitsüberprüfung der Bewerberinnen und Bewerber bei der Bundeswehr durchführen kann. Ziel ist es, zu verhindern, dass Extremisten eine militärische Ausbildung für ihre möglicherweise terroristischen Absichten erhalten. Notwendig erscheint die Gesetzesänderung, nachdem der MAD in einem Zeitraum von zehn Jahren insgesamt 24 dschihadistische Extremisten unter den aktiven Soldaten enttarnt hat. Für die Linken kritisiert Inge Höger pauschal, dass Soldatinnen und Soldaten überhaupt eine militärische Ausbildung erhalten, die auch andere als dschihadistische Extremisten und Söldner für ihre verwerflichen Ziele nutzen könnten und nachweislich bereits genutzt hätten. Da die SPD-Fraktion die Existenz leistungsfähiger Streitkräfte für notwendig hält, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten, können wir diese Kritik nur als im Ansatz verfehlt zurückweisen. Für Bündnis 90/Die Grünen zieht Agnieszka Brugger nicht das Schutzziel der Gesetzgebung an sich in Zweifel, sondern beanstandet die damit verbundene Stärkung des MAD, einer Behörde, die die Grünen für überflüssig halten, weil ihre Aufgaben auch von anderen Einrichtungen wahrgenommen werden könnten. Die SPD-Fraktion betrachtet es angesichts der zu lösenden Aufgabe – Extremismusprävention in den Streitkräften – als nicht zielführend, bei dieser Gelegenheit eine grundsätzliche Strukturdebatte zu führen, zumal auch die Grünen nicht infrage stellen, dass die Aufgaben des MAD, unabhängig von der damit beauftragten Behörde, bestehen bleiben. Das Gesetz trägt dazu bei, eine objektiv bestehende Sicherheitslücke zu schließen. Die SPD-Fraktion stimmt daher zu. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben zu Recht einen Anspruch darauf, dass der Staat sie bestmöglich vor Angriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben schützt. Dazu gehört auch, dass Personen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten, vor der Einstellung und gegebenenfalls auch während der Ausübung ihrer Tätigkeit auf ihre Zuverlässigkeit angemessen und auch regelmäßig überprüft werden. Das gilt beispielsweise für das Personal von Atomkraftwerken oder an Flughäfen. Zu diesen sicherheitsrelevanten Bereichen gehören aber auch Beschäftigte bei der Polizei, beim Zoll, bei den Geheimdiensten – solange es sie noch gibt – und andere Personen, die an Waffen ausgebildet werden und regelmäßig Zugang zu Waffen haben, also letztlich auch Bewerberinnen und Bewerber bei der Bundeswehr. Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es nun auch ausschließlich um die Sicherheitsüberprüfung von künftigen Soldatinnen und Soldaten. Dagegen lässt sich grundsätzlich kaum etwas einwenden. Gleichwohl werden wir als Linke diesem Gesetz nicht zustimmen können, und zwar im Wesentlichen aus zwei Gründen. Ein Grund liegt in der wirklich mehr als einseitigen Begründung mit möglichen islamistischen Bedrohungen. In den vergangenen zehn Jahren wurden nach Berichten des Tagesspiegels insgesamt 24 Soldaten als Islamisten eingestuft. Aktuell werden wohl weitere circa 60 Verdachtsfälle durch den Militärischen Abschirmdienst überprüft. Dem gegenüber stehen allein die aktuell über 250 Verdachtsfälle, in denen sich Rechtsextremisten in die Truppe eingeschlichen haben sollen. Hier liegt das wirkliche Problem innerhalb der Bundeswehr, über das aber offenbar nicht so gern gesprochen wird. Gleichwohl wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung zuallererst auf die Gefahren durch islamistischen Terror hingewiesen, bevor eher beiläufig auf die unrühmliche Rolle der Bundeswehr und insbesondere des MAD im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen NSU eingegangen wird. Nur am Rande sei bemerkt, dass der MAD damals einige Rechtsterroristen sehr wohl kannte, immerhin sollte Uwe Mundlos sogar als V-Mann angeheuert werden. Doch nicht die Neonazis, nicht die mögliche Unterwanderung der Bundeswehr durch Rechtsextremisten, sondern erst die islamistisch motivierten Attentate in Paris, Kopenhagen und Brüssel ließen bei der Bundesregierung die Idee keimen, man sollte vielleicht doch vorher mal genauer nachsehen, wen man da an Kriegswaffen ausbilden will. Mit dem vorliegenden Gesetz soll nun der lange bestehende Wertungswiderspruch aufgelöst werden, wonach für Tätigkeiten in allen möglichen sicherheitsempfindlichen Bereichen wie eben im Atombereich oder an Flughäfen eine Sicherheitsüberprüfung notwendig ist, nicht aber für die Ausbildung an Kriegswaffen. Dass dies nun korrigiert werden soll, ist deshalb nachvollziehbar und begrüßenswert, wenngleich die Gesetzesbegründung, wie eben schon erwähnt, an der Realität vorbeigeht. Es gibt aber noch einen zweiten und für uns noch wichtigeren Grund, weshalb wir als Linke dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können, nämlich die Frage, wer denn diese Sicherheitsüberprüfungen künftig durchführen soll. Aus unserer Sicht sind weder der Militärische Abschirmdienst noch eventuell das Bundesamt für Verfassungsschutz dafür geeignet. Es ist ja bekannt, dass wir als Linke den Geheimdiensten aus guten Gründen und nach jahrelangen Erfahrungen mit Pannen und Skandalen sehr skeptisch gegenüberstehen und deren Agieren parlamentarisch sehr kritisch begleiten. Für uns ist es daher auch nicht akzeptabel, dass die beabsichtigten Sicherheitsüberprüfungen wieder durch einen Nachrichtendienst erfolgen sollen. Wir wollen die Geheimdienste perspektivisch überwinden und ihnen nicht noch immer neue Aufgaben übertragen. Wir meinen, es ist allerhöchste Zeit, das System der Sicherheitsüberprüfungen endlich mal grundlegend zu überdenken. Anstatt diese Aufgabe dem Verfassungsschutz oder wie im vorliegenden Gesetzentwurf dem MAD zu übertragen, sollte geprüft werden, welche eventuell bereits existierenden oder neu zu schaffenden Institutionen oder Behörden ohne nachrichtendienstlichen Hintergrund diese Aufgabe übernehmen und vielleicht sogar auch besser erfüllen könnten. Dass selbst eine bestandene Sicherheitsüberprüfung der Stufe 3, immerhin die höchste, die man im öffentlichen Dienst erlangen kann, noch lange keine Garantie ist, zeigte nicht zuletzt der erst kürzlich aufgedeckte Fall eines Islamisten im Bundesamt für Verfassungsschutz. Und schließlich will ich auch noch mal darauf verweisen, was meine Kollegin Höger hier in der ersten Lesung zu Recht erwähnte: Eine der größten Radikalisierungsgefahren für Soldatinnen und Soldaten ist der Kriegseinsatz selbst, weil es dabei oder danach allzu oft zu schweren Traumata kommt. Auch deshalb sollten wir deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht länger in immer neue und immer größere Kriege in die Krisenregionen dieser Welt schicken. Schlussendlich komme ich zu dem Ergebnis, dass es zwar sinnvoll erscheint, zu prüfen, wer zukünftig an Waffen ausgebildet wird. Keinesfalls sinnvoll ist es jedoch, diese Aufgabe einem Geheimdienst zu übertragen und hierfür dort über 40 neue Stellen zu schaffen. Problematisch ist zudem, dass die Koalition im Ausschuss noch völlig sachfremde Punkte in das Gesetz aufgenommen und einfach mal so nebenbei eine Erhöhung der Reservistenbezüge für militärische Übungstage beschlossen hat, die wir als Linke nicht mittragen können. Aus den genannten Gründen wird meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, ich trete niemandem hier zu nahe, wenn ich sage: Wir alle sind sehr beunruhigt. Anfang November wurde bekannt, dass Menschen mit einer islamistischen Gesinnung in jüngster Zeit verstärkt versucht haben, in die Bundeswehr einzutreten. Ihr Ziel war dabei ganz offensichtlich, sich durch eine Ausbildung an der Waffe auf einen Kampfeinsatz im Nahen Osten vorzubereiten. Die Vorstellung, dass dieser Plan aufgehen könnte, ist natürlich völlig unerträglich. Niemand, egal welcher extremistischen Gesinnung er oder sie auch sein mag, darf in der Bundeswehr an der Waffe ausgebildet werden! Die Frage ist nur, wie wir diesem Schreckensszenario vorbeugen können. Mit welchen Instrumenten können wir verhindern, dass Islamisten, Antisemiten, Links- oder Rechtsextreme in die Bundeswehr gelangen? Die Bundesregierung setzt mit der Änderung des Soldatengesetzes auf eine Ausweitung der Überprüfung durch den Militärischen Abschirmdienst. Doch ich bin überzeugt: Das ist ganz definitiv der falsche Weg! Denn wenn wir uns einmal anschauen, was der MAD in den letzten Jahren und Jahrzehnten tatsächlich zustande gebracht hat, kann das Ergebnis nur lauten: nicht viel bis gar nichts. Der MAD wusste bereits in den 90erJahren von der rechten Gesinnung des späteren NSU-Protagonisten Uwe Mundlos. Ja, der Geheimdienst wollte Mundlos sogar als Informanten aus der rechten Szene anwerben. Welche Konsequenzen diese Erkenntnisse des MAD hatten, wissen wir alle: keine. Mundlos konnte im Verein mit den anderen Mitgliedern des NSU jahrelang völlig unbehelligt morden. Skandalös ist in diesem Zusammenhang auch die Art und Weise, in der der MAD mit den parlamentarischen Kontrollgremien zusammengearbeitet hat. So bedurfte es erst einer ganz gezielten Anfrage aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, bevor man sich beim MAD bequemte, überhaupt einmal im Archiv nach einer Akte Mundlos zu forschen! Eine derartige Geringschätzung der parlamentarischen Gremien darf ein demokratischer Rechtsstaat einfach nicht hinnehmen. Dass der MAD keinen guten Job macht – zu diesem Ergebnis kommt schließlich auch ein Bericht, den der Bundesrechnungshof 2014 veröffentlicht hat: Demnach spioniert der MAD ohne gesetzliche Grundlage auch in solchen Bereichen herum, die eigentlich dem BND zugewiesen sind. Das ist nicht nur gesetzeswidrig, sondern durch die entstehenden Doppelstrukturen auch unnötig teuer. Aus all dem kann es doch nur eine vernünftige Schlussfolgerung geben: Wir müssen unser gesamtes Geheimdienstwesen auf den Prüfstand stellen und es neu organisieren. Wir brauchen andere Strukturen – und für mich steht dabei fest: Der MAD kann dabei getrost in anderen Organisationsbereichen aufgehen. Wir brauchen keinen spezifisch militärischen Dienst. Was wir brauchen, sind professionell arbeitende, demokratisch kontrollierte und kosteneffiziente Strukturen. Solche Strukturen werden auch in der Lage sein, die Bundeswehr frei von Extremisten aller Couleur zu halten. Leider hat die Bundesregierung die Chance zu einer solchen grundlegenden Reform der Geheimdienste Ende Oktober wieder einmal ungenutzt verstreichen lassen. Die Änderung des Soldatengesetzes, die die Bundesregierung hier heute vorschlägt, fügt dem überteuerten Wirrwarr der Spionagedienste nur einen weiteren Knoten hinzu. Und deshalb wird meine Fraktion diesem Gesetz nicht zustimmen. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) Cajus Caesar (CDU/CSU): Wald, das ist für uns die Luft zum Atmen, also eine wichtige Lebensgrundlage. Der Wald filtert Luft und Wasser. Er produziert Sauerstoff, schützt uns vor Lärm und gibt uns Platz für unsere Erholungsfunktion. Wald, das bedeutet Artenvielfalt, und dies vor allem im nachhaltig bewirtschafteten Wald und nicht im stillgelegten Wald. Wald bedeutet aber auch insbesondere Arbeitsplätze für den ländlichen Raum. In der Forst- und Holzindustrie, mit einem Umsatz von über 180 Milliarden Euro, arbeiten nämlich mehr Beschäftigte als etwa in der Automobilindustrie. Die rund 2 Millionen Waldbesitzer sowie die gesamte Wertschöpfungskette Wald und Holz halten unseren ländlichen Raum im Wesentlichen lebenswert und auch wirtschaftlich attraktiv. Deshalb wollen wir als Union alles dafür tun, um Wirtschaftskraft, Umwelt und Erholungsfunktion zu erhalten. Dies ist unser Anliegen. Dies ist ein wichtiges Anliegen der Union. Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft dafür ein. Mit dem heute vorgelegten Entwurf zur Änderung des Bundeswaldgesetzes soll dem Rechnung getragen werden. So hat das Kartellamt festgelegt, die Vermarktung des Holzes, die derzeit auch vom Staatswald und von den Landesbetrieben mit dem Privatwald erfolgt, aus wettbewerbsrechtlichen Gründen zu öffnen. Dies ist aus meiner Sicht richtig. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Kleinprivatwaldbesitzer im Stich gelassen werden. Der Waldbesitzer muss das Recht erhalten, Wahlfreiheit zu haben – bei fairen und vergleichbaren Angeboten. Die jetzige Änderung des Bundeswaldgesetzes wird über Freistellung im § 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erreichen, dass im vorgelagerten Bereich waldbauliche Maßnahmen vom Kartellrecht freigestellt werden. Dies sind Maßnahmen bei der Planung und Ausführung, insbesondere waldbauliche Maßnahmen, und dies soll auch für die Vorbereitung der Ernte gelten, etwa durch das Auszeichnen von zu entnehmenden Bäumen. Waldbauliche Maßnahmen dienen der Pflege und der Gesunderhaltung des Waldes und sind deshalb, auch vor dem Hintergrund der Anforderungen unserer Gesellschaft an einen gesunden, nachhaltig bewirtschafteten Wald, wichtig und sinnvoll. Da wir es in Deutschland in weiten Bereichen mit einem ausgesprochen Kleinstprivatwaldbesitz zu tun haben, sollen die Klein- und Kleinstwaldbesitzer nicht im Stich gelassen werden, sondern durch die Änderung des Bundeswaldgesetzes Beratung und Anleitung für diese Maßnahmen durch ausgebildetes Forstpersonal erhalten – und dies zu Preisen, die nicht einer Enteignung gleichkommen. Uns, der Union, ist es wichtig, diesen Kleinprivatwald nicht im Stich zu lassen und gleichfalls für eine ordnungsgemäße, nachhaltige und gleichzeitig naturnahe Bewirtschaftung zu sorgen. Wir wollen den engen Kontakt mit den Waldbesitzern pflegen. Wir wollen auch den Schutz des Eigentums, und wir wollen den umweltfreundlich erzeugten Rohstoff weiterhin durch Nutzen schützen. Nun finden wir sehr unterschiedliche Strukturen in den deutschen Wäldern vor. Wir haben es zu tun mit professionell organisierten Forstbetriebsgemeinschaften im Privatwald, die durch eigenes ausgebildetes Forstpersonal die Bewirtschaftung vornehmen oder Dienstleister in Anspruch nehmen. Wir haben es aber auch zu tun mit Kleinstwaldbesitz, der auf die Hilfe von außen angewiesen ist. Ansonsten wird der Wald eben nicht mehr ordnungsgemäß gepflegt und bewirtschaftet. Ich denke, es ist auch unser gemeinsames Anliegen, dass wir nicht zu mehr Stilllegungen von Waldflächen kommen. Dies würde der Bedeutung der umweltfreundlichen und nachhaltig erzeugten Ressource Holz nicht gerecht. Es würde auf Dauer das Eigentum infrage gestellt. Der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR) unter Präsident Georg Schirmbeck hat die unterschiedlichen Waldbesitzerarten an einen Tisch geholt. Diese haben uns empfohlen, die jetzt vorgeschlagene Änderung des Bundeswaldgesetzes vorzunehmen. Wir als Union beziehen also die Waldbesitzer mit ein. Dies ist uns wichtig. Nicht Gesetze im stillen Kämmerlein beraten, sondern mit den Betreffenden auf den Weg bringen. Das ist unsere Politik. Das ist die richtige Vorgehensweise. Auf meine Frage zur Vereinbarkeit der Gesetzesänderung mit europäischem Recht haben sich sowohl das Forstministerium als auch das Wirtschaftsministerium, insbesondere auch das Justizministerium, dahin gehend eingelassen und geantwortet: „Die Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträge wurde geprüft und ist gegeben.“ Wir als Union wollen durch unser Handeln der großen Bedeutung des Waldes auch für den Klimaschutz gerecht werden. So entlasten 126 Millionen Tonnen CO2, die durch den deutschen Wald gebunden werden, und seine nachhaltige Bewirtschaftung sowie die Verwendung von Holzprodukten die Atmosphäre. Die Bindungswirkung, die Substitutionswirkung des Waldes ist auch vor dem Hintergrund des Klimaschutzes von immenser Bedeutung. Wir haben es mit einem Rohstoff zu tun, der umweltfreundlich erzeugt wird und von dem uns durch einen nachhaltigen Holzzuwachs von je 11,2 Kubikmeter pro Hektar 120 Millionen Kubikmeter jährlich wieder natürlich zuwachsen. Dieses Umwelt- und Wirtschaftspotenzial zu verschenken, wäre töricht. Deshalb haben wir als Union enorme Anstrengungen unternommen. Wir haben die nationale nachhaltige Waldwirtschaft durch die Förderung von bedeutsamen Projekten und die Bereitstellung entsprechender finanzieller und personeller Ressourcen in dieser Wahlperiode enorm gestärkt. Wir als Union wollen nachhaltig bewirtschafteten Wald, der gesund ist, der stabil ist, der artenreich ist und der produktiv ist. Wir als Union danken den Waldbesitzern, den Forstleuten und den Verbänden sowie der Holzindustrie dafür, dass sie durch eine umweltfreundliche Vorgehensweise auf über einem Drittel unserer Landesfläche so viel Umweltschutz und Artenreichtum ermöglichen. Wir als Union wollen die Rahmenbedingungen für die Waldbesitzer richtig setzen und den Wald durch Nutzen schützen. Bereits frühzeitig hat die Union das Gespräch mit dem Waldbesitz, den Forst- und Holzverbänden wie auch mit den Vertretern aus der Wirtschaft gesucht, um gemeinsam Lösungen zu finden. Abschließend möchte ich mich noch bei allen Mitwirkenden für das Zustandekommen dieser Gesetzesänderung bedanken. Besonders hervorheben möchte ich hier unseren forstpolitischen Sprecher Alois Gerig, den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Peter Bleser, meinen Förster- und Abgeordnetenkollegen Josef Göppel und Franz-Josef Holzenkamp, Vorsitzenden der CDU/CSU-Arbeitsgruppe „Ernährung und Landwirtschaft“. Ein weiterer Dank gilt den Mitarbeitern der Ministerien, vornehmlich im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, welches sich stets kompetent, neutral, aber mit großem Einsatz für das Bundeswald- und Bundesjagdgesetz engagiert hat. Alois Gerig (CDU/CSU): Lange und kontrovers wurde über die Änderung des Bundeswaldgesetzes diskutiert – endlich liegt uns heute ein Gesetzentwurf zur finalen Abstimmung vor. Die Gesetzesänderung dient einem wichtigen Ziel: Wir wollen ein breites Angebot an Forstdienstleistungen in Deutschland erhalten. Grund für das Gesetzgebungsverfahren ist, dass das Bundeskartellamt die gemeinsame Holzvermarktung aus dem Landes-, Kommunal- und Privatwald kritisch unter die Lupe nimmt. Das Bundeskartellamt sieht durch die Bündelung des Holzangebots den Markt beeinträchtigt und ist entschlossen, die Praxis der gemeinsamen Holzvermarktung nicht länger zu dulden. Das Kartellverfahren gegen das Land Baden-Württemberg gibt Anlass zur Sorge, dass die Landesforstverwaltungen forstwirtschaftliche Dienstleistungen nicht mehr oder nur eingeschränkt anbieten dürfen. Aus Sicht des Bundeskartellamtes gehören zur Holzvermarktung nicht nur der Holzverkauf, sondern auch weitere Forstdienstleistungen – beispielsweise Waldbau, Holzauszeichnung und die Betreuung der Holzernte. Untersagt das Bundeskartellamt den Forstbehörden der Länder die Holzvermarktung, entfallen auch diese Dienstleistungsangebote. Leidtragende wären kommunale und private Waldbesitzer, die durch Beratungs- und Betreuungsleistungen der Forstämter Zugang zum Holzmarkt erhalten. Das Bundeskartellamt setzt sich gemäß seinem gesetzlichen Auftrag für einen funktionierenden Wettbewerb ein – das verdient grundsätzlich Respekt und Anerkennung. Parlament und Regierung steht es gleichwohl frei, die Auswirkungen von Kartellamtsentscheidungen zu prüfen und zu überlegen, ob gesetzliche Neuregelungen angebracht sind. Weniger Dienstleistungsangebote für Waldbesitzer sind meines Erachtens nicht akzeptabel. Die Bundesregierung schlägt in ihrem Gesetzentwurf eine vernünftige Lösung vor: Planung und Ausführung waldbaulicher Maßnahmen sowie Markierung, Ernte, Bereitstellung und Registrierung von Rohholz werden vom Kartellrecht ausgenommen. Die Länder erhalten so die Möglichkeit, dass ihre Forstämter auch in Zukunft wichtige Forstdienstleistungen anbieten dürfen – ohne mit dem Kartellrecht zu kollidieren. Die Neuregelung kommt besonders Kleinwaldbesitzern zugute: Die Forstämter sollen auch in Zukunft durch ihre fachkundigen Beratungs- und Betreuungsangebote dafür sorgen, dass auch der Kleinprivatwald gemäß dem Grundsatz „Schützen durch Nützen“ bewirtschaftet und gepflegt wird. Viele Kleinwaldbesitzer sind weder mit der Waldbewirtschaftung noch mit der genauen Lage ihrer Parzelle im Wald vertraut – deshalb ist es so wichtig, dass sich ein Förster vor Ort kümmert. Bürgernahe Forstdienstleistungen tragen dem Umstand Rechnung, dass in vielen Regionen Deutschlands Waldeigentum breit gestreut ist – das sollte auch so bleiben und durch den Erhalt bewährter Dienstleistungsangebote der Forstämter flankiert werden. Ein enger Kontakt zwischen Forstamt und Waldbesitzern bietet zudem am ehesten Gewähr dafür, dass in Bundesländern mit kleinstrukturierten Waldbesitzverhältnissen der Wald flächendeckend bewirtschaftet und die vorhandenen Holzvorräte nutzbar gemacht werden. Holzmobilisierung ist wichtig, damit die Holzwirtschaft – eine bedeutende Branche im ländlichen Raum – mit ihrem nachwachsenden und klimafreundlichen Rohstoff aus heimischen Wäldern versorgt wird. Natürlich dient der Wald nicht allein der Holzproduktion. Die vielfältigen Wälder in Deutschland haben eine überragende ökologische Bedeutung und sind auch für Erholungssuchende unverzichtbar. Forstdienstleistungen stellen sicher, dass der Wald auch seine ökologischen und sozialen Funktionen erfüllen kann. Da Forstdienstleistungen nicht nur wirtschaftlichen Zwecken dienen, halte ich es für gerechtfertigt, diese Dienstleistungen vom Kartellrecht freizustellen. Der Gemeinwohlnutzen unserer Wälder rechtfertigt es darüber hinaus, dass die Länder ihr Angebot an Forstdienstleistungen aufrechterhalten. Der bei den Forstämtern gebündelte Sachverstand ist ganz sicher hilfreich, künftige Herausforderungen der Waldbewirtschaftung zu meistern – Beispiele hierfür sind der Klimawandel und der Artenschutz. Zum Abschluss möchte ich betonen: Wir in der CDU/CSU sind nach wie vor der Auffassung, dass der Staat nicht für alles zuständig ist und alles besser kann. Das gilt auch für die Forstwirtschaft. Private Anbieter von Forstdienstleistungen gewährleisten ebenso eine naturnahe und nachhaltige Waldbewirtschaftung wie staatliche. Dies belegen die Bundesländer eindrucksvoll, in denen die Forstverwaltungen keine Dienstleistungen anbieten und sich auf ihre hoheitlichen Aufgaben konzentrieren. Die Verpflichtung staatlicher Forstdienstleister, ihre Leistungen zu marktkonformen Preisen zu erbringen, wird mit diesem Gesetz nicht berührt. Mit dieser Bundeswaldgesetzänderung wird mitnichten eine staatliche Waldbewirtschaftung eingeführt. Die Inanspruchnahme staatlicher Forstdienstleistungen ist und bleibt fakultativ. Die Wahlfreiheit der Waldbesitzer, Forstarbeiten selbst vorzunehmen, sich in Forstbetriebsgemeinschaften zusammenzuschließen oder private Anbieter zu beauftragen, wird durch die Gesetzesänderung in keiner Weise beeinträchtigt. Die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Gesetzesänderung wird auch an einer weiteren Tatsache deutlich: Indem wir Forstdienstleistungen, die der Holzvermarktung vorgelagert sind, vom Kartellrecht ausnehmen, bekräftigen wir, dass die eigentliche Holzvermarktung voll und ganz dem Kartellrecht unterliegt. Marktbeherrschende Stellungen der Landesforstverwaltungen beim Holzverkauf müssen der Vergangenheit angehören! Ich bin überzeugt, dass wir mit der Bundeswaldgesetzänderung Erfolg haben werden: Der Wettbewerb bei der Holzvermarktung wird gestärkt und ein breites Angebot an Forstdienstleistungen für alle Waldbesitzer gesichert. Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat gestern einstimmig für die Änderung des Bundeswaldgesetzes votiert. Auch im Bundesrat zeichnet sich ab, dass der Gesetzentwurf große Zustimmung findet. Petra Crone (SPD): Die Fraktion der SPD stimmt dem Gesetzentwurf trotz vorhandener Bedenken zu. So weit das Ergebnis, heute gleich zu Beginn. Die forstlichen Akteure und auch die Kolleginnen und Kollegen Forstpolitiker in den Ländern und im Bund kennen meine Position. Schon im März 2015, vor knapp zwei Jahren, habe ich an gleicher Stelle gesagt, dass sich unsere Fraktion nicht gegen eine Änderung des Bundeswaldgesetzes stellt. Voraussetzung: ein fachlich gutes und EU-rechtskonformes Gesetz. Das jahrelange Hin und Her, mit denen das BMEL versuchte, diesem ja doch recht selbstverständlichen Anspruch gerecht zu werden, zeigt: So einfach war und ist es nicht! Ich habe – und das wird sicherlich nicht überraschen – weiterhin erhebliche Zweifel, ob diese Voraussetzungen mit der Novelle erfüllt sind. Die Änderung im BWaldG kann zwar die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts ausschließen. Dies gilt jedoch nicht für das EU-Kartellrecht. Wir hätten es daher für legitimer und besser befunden, wenn das vor dem OLG Düsseldorf anhängige Beschwerdeverfahren von Baden-Württemberg gegen den Beschluss des Bundeskartellamts abgewartet worden wäre. Das Urteil wird Ende Januar 2017 erwartet. Unstrittig ist ja, dass der Holzverkauf eine wirtschaftliche Tätigkeit ist. Das Gericht wird klären, ob die vorgelagerten Tätigkeiten, die Dienstleistungen im Wald, hoheitlichen oder wirtschaftlichen Charakter besitzen. Das ist eine offene Frage in der Rechtsprechung, und sie ist richtungsweisend für alle Bundesländer. Das hätten wir abwarten können, ja müssen. So bleibt ein Gschmäckle! Und ein Wagnis ist es obendrein! Gleichwohl benötigen einige wenige Bundesländer offensichtlich unsere gesetzgeberische Hilfe, um kartellrechtskonforme Forststrukturen aufstellen zu können. Diesen Wünschen konnten wir uns als SPD-Fraktion nicht verschließen. Zwei Fakten möchte ich betonen, die ich enorm wichtig finde, um die Debatte zu verstehen: Erstens. Die Erhaltung und Pflege des Waldes hat im Interesse von heutigen und kommenden Generationen eine eigene Bedeutung – unabhängig von der Holzvermarktung. Und wir haben gute und sehr gute Landeswaldgesetze, die Pflichten beim Handeln mit Wald definieren und diese überwachen. Zweitens. Die Holzvermarktung passiert wiederum nicht im Kielwasser von Erhaltung und Pflege, quasi so nebenbei, als Teil der Daseinsvorsorge im Wald. Diese Sichtweise ist doch mit dem besten Willen nicht zu halten: Welchen Baum pflanze ich, welchen entnehme ich? Das sind doch nicht allein ökologisch-soziale Entscheidungen! Schauen Sie sich doch bloß die enorme und beeindruckende Leistungsfähigkeit der Holzwirtschaft in Deutschland an. Wer Holz verkauft, ist also Marktteilnehmer, so auch der Staat, und er kann keine Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen. Im Koalitionsvertrag von Grün-Schwarz in Baden-Württemberg steht: „Wir schützen die Freiheit aller, die als Anbieter oder Nachfrager am Markt teilnehmen, und sorgen für faire Wettbewerbsbedingungen.“ Fairer Wettbewerb von Beginn an, das bedeutet dreierlei: keine Verzerrung des Marktes durch staatliche, nicht kostendeckende Angebote, Marktzugang für private Anbieter ermöglichen, und eine direkte Förderung durch den Staat ist besser als eine indirekte. Und ich sehe, dass ebensolche Lösungen vor der Haustür liegen. Es braucht sicherlich Zeit, wettbewerbsrechtliche Strukturen im Forst herzustellen. Diese Zeit geben wir den betroffenen Bundesländern nun. Ich verbinde damit aber auch meinen herzlichen Appell, dass die Länder ihre vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten auf der Länderebene nutzen und verstanden wird, dass eine Neuaufstellung der Forststruktur durchaus selbstbewusst angegangen werden kann. Keiner muss sich hier hinter rechtlich nicht tragfähigen Strukturen verstecken, eben weil in den Forstverwaltungen der Länder Forstwirte und Waldarbeiter beschäftigt sind, die genau die guten Standards der Waldbewirtschaftung realisieren, Menschen, die vernetzt und ausgleichend denken. Die finden wir aber genauso in den forstwirtschaftlichen Zusammenschlüssen, ihren Vermarktungsorganisationen und im Privatwald. Und zudem: Junge Leute in den grünen Berufen brauchen auch jenseits staatlicher Strukturen Berufschancen. Ein Monopol auf Bequemlichkeit gibt es nicht! Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): In den Zentren deutscher Großstädte vergisst wohl der eine oder die andere, dass die Holzproduktion weder im Labor noch in Fabriken stattfindet, sondern immer noch im Wald, und der ist gleichzeitig Erholungs- und Lebensraum für Mensch und Tier sowie für den Klimaschutz mitverantwortlich. Deshalb ist Holzproduktion eben keine Schraubenproduktion, wie der Bund Deutscher Forstleute vollkommen richtig sagt. Das sehen auch breite Teile der Gesellschaft so. Gerade aus Sicht einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung macht die Auffassung des Bundeskartellamtes wenig Sinn, das Wettbewerbsrecht nicht nur auf die Vermarktung von Holz anzuwenden, sondern auch auf die waldbaulichen und pflegerischen Maßnahmen auszuweiten. Damit würde Besitzerinnen und Besitzern von Klein- und Kleinstwäldern gleichzeitig die Möglichkeit genommen, Betreuungsaufgaben auch staatlichen Forstämtern zu übertragen, weil dies dann als Wettbewerbsvorteil gegenüber den privaten Forstdienstleitern ausgelegt werden könnte. Der Sicht der Wettbewerbskontrolleure steht ein breites Bündnis gegenüber, dem die Sicherung des Gemeinwohls bei der Waldnutzung wichtig ist und das den gesellschaftlichen Konsens für eine nachhaltige Forstwirtschaft und den Erhalt einer breiten Eigentumsstreuung verteidigt. Viele Waldbesitzerinnen und -besitzer, Forstleute und deren Interessensvertretungen sowie alle Bundestagsfraktionen sind dabei. Und auch wenn die SPD-Fraktion sich weniger enthusiastisch einreiht, eint uns doch die Überzeugung, dass wir als Gesellschaft eine besondere Verantwortung für den Wald haben, die die staatlichen Forstbehörden umsetzen. Und weil die Holzproduktion im Ökosystem Wald stattfindet, ist sie von natürlichen Prozessen und Wachstumszyklen abhängig. Wettbewerbshüter sind aus Sicht der Linken deshalb frühestens dann gefragt, wenn das Holz den Wald verlassen hat. Und so wichtig die Kartellbehörde auch für uns im Grundsatz ist: In ihrer jetzigen Verfassung kann sie leider viele Erwartungen gar nicht erfüllen, weil wichtige gesellschaftliche Anforderungen wie Daseinsvorsorge oder Gemeinwohlorientierung bislang nicht zu ihren Prüfkriterien gehören. Wenn wir also das Kartellrecht stärken wollen – was die Linke seit Jahren fordert –, geht es um mehr als Kapazitätsaus- und Personalaufbau, sondern um eine Erweiterung der Kriterien, anhand derer „Wettbewerb“ geregelt wird. Hier müssen noch dicke Bretter gebohrt werden, bis reale Marktübermacht und unfaire Marktpraktiken wirklich wirksam verhindert werden können. Doch zurück zum Wald. Was nach den jahrelangen Diskussionen kaum mehr jemand für möglich gehalten hat, wird zumindest beim Bundeswaldgesetz doch noch wahr: Pünktlich zum Schmücken der Weihnachtsbäume kommt doch noch die lange angekündigte Bescherung. In der Novelle zum Bundeswaldgesetz wird nun unmissverständlich der gesetzgeberische Wille klargestellt, dass die Landesforstbetriebe auch weiterhin als Dienstleister für die Planung und Ausführung waldbaulicher Maßnahmen bis hin zur Bereitstellung des Rohholzes einschließlich seiner Registrierung vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen freigestellt werden. Falls es daran jemals ernsthaften Zweifel gegeben haben sollte, werden sie heute mit den Stimmen aller Fraktionen beantwortet. Ich denke, damit muss man nicht auf ein Urteil vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf warten. Das sind wir übrigens auch den Forstleuten schuldig, denn damit nehmen wir das Damoklesschwert weg, das nun einige Jahre über ihnen schwebte. Als Linke verweise ich aber auch auf ein besonders wichtiges Argument: Wir wollen, dass niemand seinen oder ihren Klein- oder Kleinstprivatwald verkaufen muss, weil eine forstliche Betreuung nicht verfüg- oder nicht bezahlbar ist. Und wir wollen eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Betreuung und privaten Dienstleistern, die ja beide dazu beitragen, dass Holzreserven im Klein- und Kleinstprivatwald mobilisiert werden, was ja wichtig ist. Aber es geht nicht, die Kosten für hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Hand zu übertragen und die Einnahmen aus Betreuungsaufgaben ausschließlich zu privatisieren. Deshalb stimmt die Linke dem Gesetzentwurf zu. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach zweieinhalb Jahren Hängepartie schafft es die Bundesregierung jetzt doch noch, ein Bäumchen auf den Gabentisch zu legen. Das Kartellamt hat dagegen den Wald vor lauter Bäumen oder „Holzwachstumselementen“ gar nicht mehr gesehen. Hoffen wir, dass die heutige längst überfällige rechtliche Klarstellung den Blick aufs Wesentliche und das große Ganze schärft: den Wald als Ökosystem und Wirtschaftsraum. Denn unsere Wälder sind keine Holzlager oder Plantagen, die nur der Produktion von Holz dienen, wie es offensichtlich das Bundeskartellamt sieht. Der Wald hat viele weitere Funktionen für das Gemeinwohl – vom Artenerhalt über Luftreinhaltung bis hin zur Naherholung. Wir müssen unsere Wälder widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels machen. Die Markierung und Auszeichnung der Bäume ist zentraler Bestandteil des ökologischen Waldumbaus und damit Kernaufgabe der Forstämter. Die Auffassung, die Baumauszeichnung sei Teil der Holzvermarktung, geht an der Praxis der nachhaltigen Waldbewirtschaftung völlig vorbei. Das Bundeskartellamt hat einen Scheuklappenblick eingenommen, der allein auf die maximale Holzausbeute zielt und unvereinbar mit einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Waldbewirtschaftung ist. Dieser realitätsfremde Ansatz und zugleich die starrköpfige Haltung der Wettbewerbsbehörde haben jeden Kompromiss mit dem Land Baden-Württemberg unmöglich gemacht und zu einem unnötigen Gerichtsverfahren geführt. Die heutige Änderung des Bundeswaldgesetzes ist überfällig und wurde von vielen Akteuren der Holzwirtschaft aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen und anderen Bundesländern lange angemahnt und erwartet: Die Mitarbeiter der Forstverwaltungen, waldbesitzende Kommunen, Menschen mit Kleinprivatbesitz, Umweltverbände, sie alle erwarten Planungssicherheit und dass bewährte Strukturen und Dienstleistungsangebote nicht ohne Not zerschlagen werden. Auch die Sägeindustrie hat ihre Mäkelei bereut und sich am Ende auf die Vorteile dieses Systems besonnen, weil es eine effektive Holzmobilisierung auch aus dem Privat- und Kommunalwald sicherstellt. Nun hat die Zeit der Ungewissheit hoffentlich ein Ende. Wir alle mussten sehr lange auf die Lösung dieses Problems warten. Bereits vor zwei Jahren lagen ein Gesetzentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums und ein Antrag meiner Fraktion zur Änderung des Bundeswaldgesetzes vor. Bei der Beratung unseres Antrages im Plenum im März 2015 wurde seitens der Union so getan, als sei das Problem schon so gut wie gelöst, da man längst an der Gesetzesänderung arbeite und über konkrete Formulierungsvorschläge dafür verfüge. Alle Informationen unseres Antrages seien bereits bekannt und „umfassend diskutiert“ worden. Unser Antrag sei daher „absolut überflüssig“, so Kollege Alois Rainer. Kollegin Kordula Kovac behauptete sogar, unser Antrag käme zu spät und man bräuchte keine „Nachhilfe von der Opposition“. Jedes noch so schwache Argument war der Union damals recht, um trotz völliger inhaltlicher Übereinstimmung in der Sache unseren Antrag abzulehnen. Die Verschleppung des Problems über zwei Jahre durch die Bundesregierung zeigt jedoch, wie gerechtfertigt unser Antrag war. Warum die Ressorteinigung so lange gedauert hat, ist weder für mich noch für die vielen Betroffenen nachvollziehbar. Gerade bei der SPD-Kollegin Crone erstaunt mich doch, wie stark sie in dieser Frage immer wieder kartellrechtliche Bedenken betont hat, während SPD-Vizekanzler Gabriel sich bei seiner Ministererlaubnis für die Fusion von Edeka mit Kaiser’s Tengelmann ohne Skrupel über die Position der Kartellrechtsbehörden hinweggesetzt hat und dies mit Arbeitsplatzsicherung begründet hat. Jeder Tag der letzten zwei Jahre, an dem nichts passiert ist, war ein verlorener Tag für die Wälder Deutschlands. Jetzt immerhin erfolgt die überfällige, notwendige und auch plausible rechtliche Klarstellung, dass die Entscheidung über die Struktur unserer Wälder, die Baumartzusammensetzung, Naturnähe und ökologische Funktion nicht der Holzvermarktung zugerechnet werden kann und sich daher kartellrechtlichen Erwägungen künftig entzieht. Leider gilt für die heute beschlossene Form der Gesetzesänderung noch nicht einmal der Spruch „Was lange währt, wird endlich gut!“, denn es sind zwei Schwachstellen in das Gesetz eingebaut. Erstens ist regelmäßige Überprüfung vorgeschrieben, welche die Berechtigung des Gesetzes alle paar Jahre neu in Zweifel zieht. Zweitens wird das Gesetz in Zukunft abhängig von der Gnade des Bundeswirtschaftsministeriums sein. Das heißt: Die heutige Änderung steht regelmäßig wieder auf der Kippe. Für eine Branche, die für ihre Ziele, Maßnahmen und Entscheidungen in Generationen statt Dreijahreszyklen denkt, sind das keine beruhigenden Aussichten. Echte Planungssicherheit sieht anders aus. Daher sollten wir die Überprüfung alle drei Jahre wieder aus dem Gesetz streichen. Unser Wald steht vor großen Herausforderungen: Die Klimakrise bringt mehr Trockenheit und neue Schädlinge. Stickstoffemissionen überdüngen nach wie vor den Waldboden. Der gestiegene Holzbedarf und zukünftig steigende Anforderungen für die stoffliche und energetische Holznutzung bergen die Gefahr einer Übernutzung des Waldes – umso mehr, als Kriterien für eine gute fachliche Praxis im Waldgesetz immer noch fehlen. Zugleich gibt es nur wenige Waldflächen mit sehr alten Bäumen und Totholzstämmen, auf die viele stark bedrohte heimische Tierarten zum Überleben angewiesen sind. Oft zu hohe Rotwildbestände verursachen starken Wildverbiss an Jungbäumen und gefährden den notwendigen Waldumbau. Es warten also noch viele Baustellen auf eine Lösung. Daher sollten wir uns mittelfristig nicht mit der heutigen Miniänderung des Waldgesetzes zufriedengeben. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend das Zweite Gesetz zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Zum wesentlichen Inhalt: Bei der Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes geht es um die Streichung der sogenannten Heizwertklausel aus dem Gesetz. Was hat es mit dieser Klausel auf sich? Sie besagt, dass die Verbrennung eines Abfalles gleichwertig mit seiner stofflichen Verwertung ist, wenn er einen relativ hohen Heizwert hat, in dem Fall von mindestens 11 000 Kilojoule pro Kilo Abfall. Diese Klausel war bereits zu Beginn ihrer Einführung in das Kreislaufwirtschaftsgesetz im Juli 2012 als Übergangslösung gedacht. Bis Ende 2016 sollte es eine Überprüfung geben. Hintergrund dafür ist die im Gesetz formulierte EU-rechtlich vorgegebene Abfallhierarchie aus fünf Stufen. Darin ist geregelt, wie mit Abfällen grundsätzlich umgegangen werden soll, also von oben nach unten: Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling usw. Zum Umsetzungskonzept der fünfstufigen Abfallhierarchie gehörte damals als Auffangregelung die Heizwertklausel. Nach der Prüfung von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt ist klar: Der Heizwert ist nicht länger erforderlich für die effiziente Umsetzung der Abfallhierarchie. Um diese ordnungsgemäß umzusetzen, wird nun die Heizwertklausel aus dem Kreislaufwirtschaftsgesetz gestrichen. Abschließend zu diesem Punkt möchte ich sagen: Mit der Streichung der Heizwertklausel setzen wir eine EU-Vorgabe um. Mit dem geänderten Kreislaufwirtschaftsgesetz wird die fünfstufige Abfallhierarchie in Gang gesetzt und kann ihre Wirkung entfalten. Sie ist ein wesentlicher Baustein für einen gestärkten Kreislaufwirtschaftsgedanken und für mehr Effizienz beim Ressourcenverbrauch. Zum anderen beraten wir heute eine Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes. Wir wollen, dass möglichst viele Elektrogeräte, die nicht mehr gebraucht werden, getrennt gesammelt, wieder zurückgenommen und möglichst recycelt werden. Damit wollen wir erreichen, dass möglichst viele Rohstoffe zurückgewonnen werden und Stoffkreisläufe geschlossen werden. Das Elektrogesetz regelt bestimmte Rücknahmepflichten von alten Elektrogeräten für Händler. Seit Juli gilt: Es gibt eine Rücknahmepflicht von Händlern mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmetern. Kauft jemand ein neues Gerät, kann er im Gegenzug sein altes artgleiches Gerät im Geschäft zurückgeben. Kleine Altgeräte mit weniger als 25 Zentimetern Kantenlänge müssen auch dann zurückgenommen werden, wenn kein neues Gerät gekauft wird, und zwar unabhängig davon, ob das entsprechende Gerät bei diesem Händler gekauft wurde. Ihren alten Toaster oder ihr altes Telefon, von dem Sie vielleicht gar nicht mehr wissen, wann und wo Sie es gekauft haben, können Sie also bei Saturn, Karstadt und anderen größeren Geschäften abgeben. Die Rücknahmepflicht gilt auch für Versandhändler wie Amazon und Co. und auch Händler, die zusätzlich zum Ladengeschäft einen Onlineversand betreiben wie Cyberport usw. Wir wollen heute bei diesem Gesetz nachjustieren, und zwar vor allem mit Blick auf den Vollzug des Gesetzes. Wir wollen zum einen Klarheit. Im Sinne der Gerechtigkeit wird ein Ordnungswidrigkeitentatbestand aufgenommen. Ein Bußgeld soll all diejenigen Händler schützen, die sich rechtstreu verhalten. Wir wollen vorbeugen, dass einige Marktteilnehmer benachteiligt werden, weil andere sich einen unrechtmäßigen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Es geht um faire Bedingungen im Wettbewerb. Zum anderen geht es darum, die Rücknahmepflicht zu konkretisieren. Künftig ist die Rücknahme in den Fällen, in denen kein neues Gerät gekauft wird, auf fünf Altgeräte pro Geräteart beschränkt. Dies soll die Umsetzung erleichtern und Rechtssicherheit schaffen. Am Ende soll das Elektrogesetz seine Wirkung voll entfalten können mit dem Ziel, mehr Elektroaltgeräte dem Recycling zuzuführen, ganz im Sinne einer gestärkten Kreislaufwirtschaft. Michael Thews (SPD): Zentrales Anliegen unserer Abfallpolitik ist es, Abfälle zu vermeiden, wiederzuverwenden oder optimal zu verwerten, um unsere natürlichen Ressourcen zu schonen. Dabei ist die fünfstufige Abfallhierarchie, das Kernelement der europäischen Abfallrahmenrichtlinie, einzuhalten, die der stofflichen grundsätzlichen Vorrang vor der energetischen Verwertung gibt. Nach bisherigem deutschem Recht galt jedoch für bestimmte Abfälle eine Gleichrangigkeit von stofflicher und energetischer Verwertung, und zwar bei einem Heizwert des Abfalls von 11 000 Kilojoule pro Kilogramm. Diese sogenannte Heizwertklausel wird nun durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, das wir hier abschließend beraten, gestrichen. Diese Klausel war von Anfang an ein deutscher Sonderweg, und sie war immer nur als Übergangslösung gedacht. Es war also absehbar, dass eine Änderung des Gesetzes notwendig wird, zumal auch die Europäische Kommission in der Heizwertklausel eine nicht hinreichende Umsetzung der Abfallhierarchie kritisiert hat. Durch den Wegfall der Heizwertklausel wird die Kreislaufwirtschaft noch konsequenter auf das Recycling ausgerichtet. Die SPD hat sich immer für diesen Vorrang der stofflichen Verwertung ausgesprochen. Denn wir wissen, dass die Ressourcen auf unserer Erde begrenzt sind und geschützt werden müssen. Da jedoch auch die energetische Verwertung ihre Daseinsberechtigung hat, haben wir uns in Deutschland auch auf die technische Verbesserung moderner Anlagen mit einer leistungsfähigen Rauchgasreinigung und Wärmenutzung konzentriert. Ich sage das deshalb, weil es immer noch viele Länder in Europa gibt, die weder energetisch noch stofflich verwerten, sondern einen großen Teil ihrer Abfälle deponieren. Das ist in jedem Fall der schlechtere Weg. Auch wenn die Umsetzung des Gesetzes einen Umstellungsaufwand verursacht, halte ich sie für unumgänglich für die Umwelt, den Ressourcenschutz und die Konkurrenzfähigkeit unserer Recyclingwirtschaft. Neue Anforderungen an die Abfallwirtschaft führen nämlich auch zu technologischem Fortschritt, und das ist wichtig; denn wir wollen Technologieführer in der Kreislaufwirtschaft bleiben. Wir nutzen die Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes außerdem für eine Nachschärfung des Elektroaltgerätegesetzes, das wir 2015 novelliert haben. Seit dem Sommer dieses Jahres ist der Handel in bestimmten Fällen verpflichtet, Elektroaltgeräte von Verbraucherinnen und Verbrauchern zurückzunehmen. Damit haben wir die Rückgabe für die Verbraucherinnen und Verbraucher erleichtert und erhoffen uns zugleich, dass so auch die Rückgabequoten steigen. Denn wir haben in den nächsten Jahren hier ambitionierte Recyclingquoten zu erfüllen. Leider hat sich in den letzten Monaten gezeigt, dass einige Unternehmen ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind. Um schwarzen Schafen, die sich dieser verbraucherfreundlichen und bürgernahen Lösung entziehen und sich dadurch womöglich noch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, beikommen zu können, haben die Koalitionsfraktionen einen entsprechenden Bußgeldtatbestand in das Gesetz aufgenommen. Die Streichung der Heizwertklausel und die Aufnahme eines Bußgeldtatbestandes sind vielleicht nur kleine Bausteine im großen Themenbereich Abfallpolitik. Aber sie sind bedeutsam, um die unnötige Inanspruchnahme von Rohstoffen zu verringern und die Kreislaufwirtschaft immer effizienter zu machen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Durch die sogenannte Heizwertklausel des Kreislaufwirtschaftsgesetzes konnten über Jahre hinweg hunderttausende Tonnen von Wertstoffen verbrannt werden, die man viel besser stofflich recycelt hätte. Alles, was wir verbrennen, ist unwiderruflich als Stoff verloren und muss neu gefördert und hergestellt werden. Lange war es zwar nicht möglich, Kunststoffe sinnvoll stofflich zu verwerten, aber die Technik hat da wesentliche Verbesserungen gemacht. Im Interesse der Ressourceneffizienz stimmen wir deshalb diesem Gesetzentwurf zu, für den es – wieder einmal – erst eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU bedurfte. Was die Bundesregierung leider weiterhin mit diesem Gesetzentwurf nicht bearbeitet, ist die Frage der Mitverbrennung. Anders als bei Müllverbrennungsanlagen und trotz der Verlautbarungen der Anlagenbetreiber über größte Sicherheit bei hohen Verbrennungstemperaturen, langer Verweildauer der Abfälle in der Verbrennung und Ausfiltern von Schwermetallen und toxischen Gasen gibt es dafür keine Überwachung. Bei der Mitverbrennung werden die Temperaturen nicht verpflichtend überwacht, und ebenso fehlt es an Schadstoffüberwachungen. Das hätte man im Zuge der Gesetzesänderung gleich mit regeln können. Dass das nicht gemacht wurde, ist schade. Da hier mit dem Gesetzentwurf aber zumindest keine Verschlechterung eintreten wird, stimmen wir trotzdem zu. Mit dem Änderungsantrag der Koalition soll nunmehr festgelegt werden, was eine haushaltsübliche Menge ist. Eine „haushaltsübliche Menge“ bei der Rücknahme von Elektrogeräten bis 25 Zentimetern in Einzelhandelsgeschäften ist demnach also konkret fünf Stück. Auch diese Klarstellung begrüßen wir wie die Einstufung einer nicht ordentlich durchgeführten Rücknahme als Ordnungswidrigkeitstatbestand. Es gibt jedoch sicherlich eine Vielzahl elektrischer Geräte, die deutlich größer als 25 Zentimeter sind; viele Tablets haben beispielsweise längere Ausmaße als diese 25 Zentimeter, weshalb uns diese Regelung auch heute noch ein wenig willkürlich daherkommt. Gänzlich unbeantwortet bleibt dabei auch die Frage, ob die Längenangabe nun mit eingerolltem oder mit ausgerolltem Kabel erfolgt. Die Linke hätte es als sinnvoller erachtet, hier Produktgruppen zu definieren. Im Übrigen könnte man sich derartige Konkretisierungen, auch die der haushaltsüblichen Mengen, sparen, wenn man ein vernünftiges Pfandsystem für Elektrogeräte etablieren würde, wie es Die Linke seit Jahren vorschlägt. Das würde dann in der Praxis nicht dazu führen, dass sich die elektrischen Altgeräte in den Haushalten stapeln, auch weil eines davon vielleicht 25,5 Zentimeter groß ist und zum Wertstoffhof anstatt ins Geschäft gebracht werden muss, sondern dass die Geräte zeitnah dem Ressourcenkreislauf zurückgeführt werden können. Sie sehen, dass das Elektrogerätegesetz weiter eine Baustelle ist, und wenn man dann schon einmal dabei ist, könnte man das Verbot von festverbauten Akkus gleich wieder in das ElektroG schreiben, wie es dort einmal drinstand, bevor es von der Koalition herausnovelliert wurde. Damit würden Bundesregierung und Koalition einen Schritt gegen vorzeitigen Geräteverschleiß gehen, und es fallen weniger Geräte an, die mit einem Maßband beim Händler auf Rücknahmepflicht geprüft werden müssen. Die Baustelle ElektroG bietet viel Potenzial für weitere, direkte Gesetzesinitiativen anstatt – wie jetzt – in Form eines Änderungsantrages kurz vor der Ausschusssitzung als Anhängsel an ein völlig anderes Gesetz. Die Linke unterstützt Sie dabei gern. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die mit dem vorgelegten Gesetzentwurf angestrebten Änderungen hinsichtlich der Heizwertklausel begrüße ich ausdrücklich. Angesichts des Trauerspiels um das Verpackungsgesetz müssen wir ja froh sein, dass überhaupt noch Regierungshandeln im Bereich Abfallpolitik stattfindet. Denn bei der Umsetzung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes in einem Wertstoffgesetz ist diese Bundesregierung krachend gescheitert. Nun soll es ein verballhorntes Verpackungsgesetz geben, das aber auch immer noch nicht vorliegt. Doch die Kritik an den Entwürfen kommt aus allen Ecken. Sogar das Bundeskartellamt teilt zum Beispiel unsere Position hinsichtlich der Zentralen Stelle. So hat sich Kartellamtspräsident Andreas Mundt deutlich gegen eine privatrechtliche Organisation und für ein staatliches Kontrollorgan ausgesprochen. Dies sollte der Bundesregierung zu denken geben. Man kann die Bundesregierung nur auffordern, endlich ihre eigenen Gesetze ernst zu nehmen, die Abfallhierarchie zu befolgen und in den Entwurf für ein Verpackungsgesetz auch die Mehrwegquote wieder aufzunehmen, die sie selbst ohne Not gestrichen hat. Ich fordere Sie auf, diesen Bärendienst für die Umwelt und die Kapitulation vor der Einweglobby rückgängig zu machen. Entwickeln Sie das Einwegpfand zu einer ökologischen Lenkungsabgabe auf Einwegverpackungen weiter. Weiten Sie die Pfandpflicht auf die Getränkesegmente Fruchtsäfte, Fruchtnektare, Gemüsesäfte und Gemüsenektare aus. Legen Sie gesetzlich eine klare Unterscheidung von „Einweg“ und „Mehrweg“ auf der Getränkeverpackung fest. Handeln Sie im Sinne der Umwelt und der Verbraucher. Trotz der vorweihnachtlichen Stimmung in dieser Jahreszeit: Verteilen sie keine Geschenke an die Einweglobby. Doch zurück zum Kreislaufwirtschaftsgesetz. Ich kann nur sagen, dass der vorliegende Entwurf mehr als überfällig ist, gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen bereits bei der Einführung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes 2012 auf die nicht europarechtskonforme Konstruktion bezüglich der sogenannten Heizwertklausel hingewiesen hat. Denn die damals im Kreislaufwirtschaftsgesetz festgelegte Gleichrangigkeit von energetischer Verwertung und stofflichem Recycling steht der fünfstufigen Abfallhierarchie der Abfallrahmenrichtlinie der EU entgegen. Abfallvermeidung, Wiederverwendung und stoffliches Recycling sind der energetischen Verwertung mit gutem Grund vorgelagert. Dies sollte sich auch im Kreislaufwirtschaftsgesetz deutlich widerspiegeln. Ich begrüße daher die jetzt erfolgende rechtliche Klarstellung. Auch der Änderungsantrag zum ElektroG, die Rücknahme von alten Elektrogeräten nicht an den Kauf eines neuen Gerätes zu knüpfen, dient der rechtlichen Klarstellung. Leider legt der Wortlaut „auf Verlangen des Endnutzers“ nahe, dass es für den Handel keine Verantwortung gibt, offensiv auf das Rücknahmeangebot hinzuweisen. Allerdings würden leicht sichtbare Informationen im Markt und auf der Website es den Kunden erleichtern, den Service der Rücknahme anzunehmen. Den Handel zu einem proaktiveren Verhalten anzuregen, wäre wünschenswert gewesen. Dass manche Marktteilnehmer die im ElektroG festgelegte Rücknahme von Elektronikaltgeräten verweigern oder diese nur bei Kauf von Neuware zurücknehmen, ist nicht hinnehmbar und widerspricht der Kreislaufwirtschaft und dem Konzept der Nachhaltigkeit. Auch macht die Art und Weise, wie bestimmte Marktteilnehmer agieren, leider ein erhebliches Ordnungsgeld notwendig. Wir hätten uns gewünscht, dass dies nicht notwendig gewesen wäre. Dennoch stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Der Ihnen vorliegende Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes betrifft die Aufhebung der Heizwertregelung und damit das Verhältnis zwischen der stofflichen und der energetischen Verwertung von Abfällen. Zwar enthält das Änderungsgesetz nur eine einzige Regelung, deren Wirkung ist jedoch weitreichend. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz von 2012 und der Einführung der fünfstufigen Abfallhierarchie ist uns der Einstieg in eine stärker auf den Ressourcenschutz zugeschnittene Kreislaufwirtschaft gelungen. Die bis dahin geltende Drei-Stufen-Hierarchie „Vermeiden, Verwerten und Beseitigen“ wurde auf der Stufe der Verwertung weiter ausdifferenziert. Die stoffliche Verwertung, insbesondere das Recycling, hat nun grundsätzlich Vorrang vor der bis dahin gleichrangigen energetischen Verwertung. Gerade hierdurch konnte die neue Abfallhierarchie wichtige und nachhaltige Impulse für die Kreislaufwirtschaft setzen. Allerdings war eine solch weitreichende Umstellung der Abfallwirtschaft nicht ohne Übergangsregelungen zu erreichen. Dabei waren auch neue bürokratische Belastungen der Abfallerzeuger und Behörden zu beachten. Hierfür bot die Heizwertregelung eine praktikable Übergangslösung. Sie legt für den Fall, dass keine verordnungsrechtliche Regelung existiert, fest, dass die energetische Verwertung als gleichrangig zur stofflichen Verwertung anzusehen ist, wenn der Heizwert des einzelnen Abfalls besonders hoch ist, nämlich mindestens 11 000 Kilojoule pro Kilogramm beträgt. Die Bundesregierung hatte bis Ende dieses Jahres zu untersuchen, ob diese Übergangsregelung ökologisch und ökonomisch noch erforderlich ist. Wie Sie dem Gesetzentwurf entnehmen können, ist die Bundesregierung auf der Grundlage eines breit angelegten Forschungsvorhabens zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aufhebung der Heizwertreglung sachgerecht ist. Nach dem Forschungsvorhaben hat die Aufhebung der Heizwertregelung für 13 der 19 untersuchten Abfallströme keine Auswirkungen. Bei den übrigen sechs Abfallströmen, namentlich den Gewerbeabfällen, dem Sperrmüll, dem Klärschlamm, den Altreifen, den nicht mineralischen Bau- und Abbruchabfällen und den gefährlichen Abfällen aus der chemischen Industrie, werden Auswirkungen erwartet, die im Gesetzentwurf detailliert beschrieben sind. Bei den genannten Stoffströmen ist allerdings zu berücksichtigen, dass bereits im Rechtssetzungsverfahren befindliche Spezialverordnungen, wie die heute ebenfalls zu beratende Gewerbeabfallverordnung oder die im nächsten Jahr zu verabschiedende Klärschlammverordnung, die Vorgaben der Abfallhierarchie so konkretisieren, dass die Heizwertregelung ohnehin verdrängt würde. Zum anderen wird der Wegfall der Heizwertregelung in vielen Fällen, etwa bei Altreifen oder Sperrmüll, auch zur intendierten, stärkeren Lenkung der Abfälle in Richtung Recycling führen. Besonders betroffen von der Aufhebung der Heizwertregelung ist allerdings die chemische Industrie mit ihren sehr heterogen gefährlichen Abfällen. Aufgrund der hohen Schadstoffrisiken gibt es bei Anwendung der Abfallhierarchie jedoch wichtige ökologische Gründe, die die energetische Verwertung dieser Abfälle mit Blick auf den Schutz von Mensch und Umwelt weiterhin rechtfertigen. Die Umsetzung der Abfallhierarchie stellt alle Betroffenen vor große Herausforderungen. Wir werden daher gemeinsam mit den Ländern für die Anwendung der Abfallhierarchie, insbesondere für den Bereich der gefährlichen Abfälle, Vollzugshinweise entwickeln. Die Arbeiten hierzu sind im Bundesumweltministerium bereits angelaufen und werden rechtzeitig zum Inkrafttreten des Gesetzes Mitte nächsten Jahres abgeschlossen sein. Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zu dem im Rahmen der Ausschussberatungen eingebrachten Änderungsantrag sagen. Dieser betrifft das Elektro- und Elektronikgerätegesetz und wird von der Bundesregierung unterstützt. Ziel des Änderungsantrages ist es, einen Bußgeldtatbestand gegen sich bei der Rücknahme von Elektroaltgeräten rechtswidrig verhaltende Vertreiber einzuführen. Damit sollen die Schaffung eines dichten Sammelnetzes vorangebracht und die sich rechtskonform verhaltenden Vertreiber geschützt werden. Die vorgelegte Novelle und auch der Änderungsantrag zum ElektroG werden die ressourcenschutzorientierte Kreislaufwirtschaft weiter voranbringen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vom Umweltausschuss geänderten Fassung. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Bewirtschaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) (Tagesordnungspunkt 21) Artur Auernhammer (CDU/CSU): „Müll bleibt Müll, auch wenn man ihm immer wieder eine Abfuhr erteilt. Es bleibt ein menschliches Problem“, erklärte schon der Anthropologe Aurelius de Montblanc. Man muss nicht Landwirt sein, um zu wissen, dass die Müllproduktion eine menschliche Erfindung ist. In Flora und Fauna gibt es diese Form des unbrauchbaren, unverwertbaren und zweckfreien Abfalls nicht. Dort herrscht ein perfekt geschlossener Kreislauf. Diesen Kreislauf haben wir in Deutschland – in beispielhafter Weise – für unseren anfallenden Abfall versucht zu adaptieren. Abfalltrennung, Sortenreinheit, Recycling, Wiederverwertung, all das sind Begriffe, die das uns bekannte Abfallsystem prägen und über unseren reinen Sprachgebrauch in neue Verhaltensweisen mündeten. Wie selbstverständlich wachsen heute unsere Kinder auf und achten auf eine wertstoffgerechte Trennung des Abfalls. Doch das war – wir können uns alle daran erinnern – nicht immer der Fall. Recycling war einmal unpopulär. Heute ist es unspektakuläre Routine unseres Alltags. Viele Menschen aller Generationen in unserem Land leben den bekannten Grundsatz „Vermeidung vor Verwertung vor Beseitigung“, wobei immer der umweltverträglicheren Möglichkeit der Vorzug gegeben wird. Unser deutsches Abfallrecht normierte bislang einen relativen Gleichrang der stofflichen und energetischen Verwertung; dies ist nunmehr weggefallen. Inzwischen haben wir alle erkannt, dass Müll eben auch nicht nur eine energetische Komponente aufweist und die ökonomische Bedeutung durch den zu erzielenden Heizwert bemessen wird. Abfälle sind längst von unbrauchbaren Stoffen oder Gegenständen, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss – Abfall-Legal-Definition nach § 3 Kreislaufwirtschaftsgesetz –, zu einem „Wert-Stoff“ aufgewertet worden. Die Zukunft wird zeigen, dass zum Beispiel die erfolgreichen bayerischen Wertstoffhöfe und die vielerorts gelungenen kommunal organisierten Abfallentsorgungssysteme die Rohstoffquellen unseres Landes im 21. Jahrhundert werden. Ich begrüße daher die gesellschaftlichen Zielvereinbarungen im Umgang mit dem Abfall, die jüngst durch die neuere EU-Richtlinie 2008/98/EG modernisiert wurden, in dem sie den bekannten Dreiklang „Vermeidung vor Verwertung vor Beseitigung“ erweitert und präzisiert. An erster Stelle der nunmehr fünfstufigen Abfallhierarchie bleibt die Abfallvermeidung als rohstoffschonendste Form bestehen, gefolgt von der Vorbereitung zur Wiederverwendung, dem Recycling und der sonstigen Verwertung, die in stofflicher und energetischer Form erfolgen kann. An letzter Stelle steht weiterhin die – in unserem Land im geringen Maße erforderliche, aber mitunter teilweise unabweisliche – Abfallbeseitigung. Ein deutscher Durchschnittsbürger verursachte im Jahre 2014  618 Kilogramm Müll. Angesichts dieser immensen Masse ist es erfreulich, dass wir das Augenmerk auf Müllvermeidung lenken. Müllvermeidung ist die Königsdisziplin. Dazu gehört auch, dass wir uns neben der angemessenen Verpackungsart und Verpackungsgröße mit wichtigen Fragen der Haltbarkeit und Langlebigkeit von Gebrauchsgütern befassen. Ich will Ihnen das ganz einfach vorrechnen: Wenn ein Toaster nicht bereits nach fünf Jahren defekt geht, sondern erst nach 20 Jahren seine Funktion einstellt, „entziehen“ wir dem Abfallkreislauf – in positiver Weise – Müll, weil es ihn nicht gibt, weil er nicht entsteht. Es gibt technische Grenzen der Haltbarkeit, und es gibt Gründe, die für eine Begrenzung der Funktionsdauer sprechen. Dafür kann man Verständnis aufbringen. Ressourcenschonend ist es aber gerade nicht, wenn Geräte mit einer Software ausgestattet werden, welche die Lebensdauer von – zumeist elektronischen – Geräten nach einer bestimmten Dauer automatisch und unbegründet ablaufen lassen. Das klassische Beispiel kennen Sie vielleicht sogar aus eigenem Erleben – ein Drucker. Viele Drucker haben ein verstecktes Zählwerk eingebaut, das dem Gerät nach Druck einer bestimmten Anzahl von Blättern signalisiert, dauerhaft abzuschalten. Der Kunde erkennt dies am Display oftmals durch eine nicht überwindbare Error-Anzeige. Sie erkennen, dass dieser Weg der umfassenderen Müllvermeidung nicht ohne Industrie wird erfolgen können. Und es ist zu vermuten, dass wir auf lange Sicht einsehen, dass an dieser Stelle eine freiwillige Verpflichtung nicht ausreichen wird. Denn solange die Verpackungsgrößen in keinem angemessenen Verhältnis zum befüllten Inhalt der Verpackung stehen und ausschließlich dem Marketinggedanken und der Umsatzzahlenoptimierung unterliegen, statt dem Umweltschutz durch Abfallvermeidung den Vorzug zu gegeben, entzieht sich ein großes Potenzial zur Müllvermeidung dem Einflussbereich der Verbraucherinnen und Verbraucher. Hier müssen Industrie und Handel mitarbeiten. Ein Beitrag, den die Verbraucher jedoch leisten können, ist die Reduzierung von Lebensmittelabfällen, indem zum einen bewusster eingekauft wird, zum anderen das Mindesthaltbarkeitsdatum als ein solches und nicht als Verfallsdatum verstanden wird. Auf Initiative der damaligen Bundesministerin Ilse Aigner ist die Kampagne „Zu gut für die Tonne“ gestartet, die genau für diesen Aspekt wirbt. Es ist auch nötig; denn über 12 Prozent der von uns täglich, wöchentlich gekauften Lebensmittel landen immer noch im Müll. Hier kann Vermeidung Abhilfe leisten. Das oberste Ziel ist die Müllvermeidung. Doch der Müll, der nicht vermieden wurde, bedarf einer Trennung und Sortierung. Mit 47 Prozent weist Deutschland die höchste Recyclingquote aller EU-Mitgliedstaaten auf; der EU-Durchschnitt liegt vergleichsweise bei 28 Prozent. In Anerkennung dieses Erfolges gebührt vor allem den kommunalen Abfallwirtschaftsbetrieben unser Dank. Sie sind es, die zuverlässig die Voraussetzungen für hochwertiges Recycling schaffen und unsere wertvollen Rohstoffe bergen. Die Lebenswirklichkeit der eben angerissenen Erfolgsgeschichte des Entsorgungswegs des Abfalls lässt uns aber wissen, dass im Bereich der Beseitigung nicht privater Siedlungsabfälle und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen nicht alle Entsorgungswege als ordnungsgemäß eingestuft werden können; einige sind gemeinwohlunverträglich und schadhaft. Ursächlich sind nicht die Entsorger, sondern die Abfallerzeuger. Das Problem ist, dass eine nicht bekannte Anzahl stofflich oder energetisch verwertbarer Abfälle und zu beseitigender Abfälle – Deponierung – in unzulässiger Weise entweder nicht getrennt oder nicht vollständig getrennt gelagert werden und im Ergebnis diese „gemischten Abfälle“ als „zur Verwertung“ deklarierte Abfälle dem Entsorgungskreislauf – energetische Verwertung oder Sortieranlage – zugeführt werden. Da landet Bauschutt mit Eisenträgern und Kunststoffpanelen in einem Container, wenngleich die Abfallerfassung getrennt erfolgte. Diese Vermischung der verwertbaren Materialien mit Störstoffen schließt von vornherein eine hochwertige Verwertung aus. Die Sortieranlage kann dann nur in einem sehr geringen Prozentsatz die Stoffe verwerten, und muss den größeren – ursprünglich zu beseitigenden Abfall – einer Deponie zuführen. Dies beeinträchtigt öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger. Diese sogenannte Scheinverwertung will die uns heute vorliegende Verordnung der Bundesregierung unterbinden. Ziel ist eine schadlose und umweltverträgliche Verwertung der gewerblichen Siedlungsabfälle und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen. Die Verordnung konkretisiert die Anforderungen für die Getrennthaltung von Abfällen, deren Vorbehandlung und die erforderliche Kontrolle. Gerade Letzteres ist eine gleichsam erforderliche wie zu begrüßende Nachbesserung dieser Verordnung. Wer gegen Umsetzungsdefizite vorgehen will – das gilt im Umweltbereich genauso wie in jeder anderen Branche –, ohne eine erhöhte Kontrolldichte festzulegen, kann sich nicht eines Erfolges sicher sein. Aber genau das ist unser Ziel. Das Kontrollnetz sieht neben einem zu führenden Betriebstagebuch die behördliche Fremdkontrolle vor. Dabei werden die Betriebsaufzeichnungen geprüft. Halbjährlich erfolgt zudem die Kontrolle der Einhaltung der rechtlich normierten Verfahrensschritte, die unter anderem eine getrennte Störstofferfassung vorsieht. Im ersten Schritt werden auch regelmäßige Eigenkontrollen gefordert, deren Ergebnisse dokumentiert und behördlich kontrolliert werden. Die Abfallerzeuger und Abfallbesitzer müssen künftig auch durch Maßnahmen für eine höhere Sortenreinheit im getrennten Erfassen sorgen. Dies ist zu begrüßen, da es die Recyclingquote steigert und die Verwertbarkeit erhöht. Die Verordnung wird insgesamt der steigenden Bedeutung von metallischen und mineralischen Abfällen und Abfällen aus Glas gerecht. Die Einbringung in die energetische Verwertung von gemischten gewerblichen Siedlungsabfällen, die diese Stoffe enthalten, ist förderhin unzulässig. Zukünftig werden auch im Bau- und Abbruchgewerbe getrennt anfallende Abfälle getrennt gesammelt und gelagert. Besonders die Fraktionen Glas, Kunststoffe, Beton und Metalle sollen hierbei erfasst werden. Genau mit diesen Maßnahmen schützen wir unsere „heimischen Rohstoffe“ und werden einen immer spürbarer werdenden Beitrag für die Rohstoffverfügbarkeit in unserem Land leisten. Ein wichtiger Punkt für mich setzt jedoch weit vor der erforderlichen Kontrollinstanz an. Denn Kontrollen werden erst ab dem Punkt notwendig, an dem Müll entsteht und dem Recyclingverfahren zugeführt werden muss. Der erste und bedeutendste Punkt bleibt auch bei nicht privaten (Sieglungs-)Abfällen die Müllvermeidung. So wichtig überprüfbare und gut durchdachte Mechanismen für die getrennte Erfassung von Materialen an den Abfall-Anfallstellen sind: Die Reduzierung des anfallenden gewerblichen Siedlungsmülls und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen muss oberstes Ziel sein. Es sind die Abfallerzeuger, die ich in der Plicht sehe, alle Maßnahmen, die ihnen zur Verfügung stehen, zu ergreifen, zur aktiven Abfallvermeidung beizutragen. Denn besser als gut getrennter und recycelter Abfall ist kein Abfall – das fordert uns Verbraucher wie die Industrie gleichermaßen. Diese Verordnung ist ein weiterer guter Schritt in der Erfolgsgeschichte der deutschen Abfallwirtschaft. Diese dient dem Abfall, der Kreislaufwirtschaft der Rohstoffe, uns Bürgern und der Umwelt. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir beraten heute eine Novelle zur Gewerbeabfallverordnung. Worum geht es? Wie der Name bereits andeutet, geht es um alle Abfälle, die im Gewerbe anfallen und entsorgt werden müssen. Wir reden von großen Abfallmengen. Insofern ist es bemerkenswert, dass in den letzten Monaten in der Debatte die Gewerbeabfallverordnung eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt hat, obwohl es sich um große Abfallströme handelt. Hingegen gab es intensivste Debatten über ein Wertstoff- bzw. Verpackungsgesetz, obwohl die Abfallmengen, um die es dabei ging, wesentlich geringer sind. Wir reden allein über 6 Millionen Tonnen gemischte gewerbliche Siedlungsabfälle, die jedes Jahr anfallen, und wir reden beispielsweise über 51 Millionen Tonnen Bauschutt. Die Herausforderung ist: Von diesen erheblichen Mengen könnten deutlich mehr stofflich wiederverwertet, also recycelt werden. Beim gemischten Gewerbeabfall geht heute der größte Teil mehr oder weniger direkt in die Verbrennung. Anteilsmäßig sind das nach aktuelleren Untersuchungen rund 90 Prozent. Nur rund 7 Prozent wurden „stofflich verwertet“, also recycelt. Auch bei den Bau- und Abbruchabfällen, also den Baustellenabfällen, bestehen Potenziale. Wir wollen, dass möglichst viele Abfälle stofflich verwertet werden. Unser Ziel ist es, die Stoffkreisläufe zu schließen und die Kreislaufwirtschaft weiter voranzubringen. Die Wertstoffe, die in den großen Mengen des Gewerbeabfalls liegen, müssen herausgetrennt und recycelt werden. Um diese Ziele zu erreichen, werden für das Gewerbe Regelungen zur Abfalltrennung geschaffen. Für die gemischten Abfälle gibt es eine Vorbehandlungspflicht. Dazu kommen anspruchsvollere Quoten bei der Vorbehandlung für Sortierung und Recycling. Bei den gewerblichen Siedlungsabfällen sieht das in der Praxis so aus, dass jeder Gewerbetreibende grundsätzlich verpflichtet ist, seinen Abfall zu trennen und einer Aufbereitung bzw. dem Recycling zuzuführen. Die Abfalltrennung betrifft zusätzlich zu Papier und Pappe, Glas, Kunststoffe und Metall im Wesentlichen nun auch Holz, Textilien sowie Bioabfälle. Klar ist, dass nicht jedes Unternehmen in der Lage ist, in so viele Fraktionen zu trennen. Darum begrüße ich sehr, dass gerade für Kleinunternehmen Ausnahmen geschaffen wurden. Wem es technisch nicht möglich oder wem es wirtschaftlich nicht zumutbar ist, seinen Abfall wie dargestellt zu trennen, der ist von der Trennpflicht befreit. Ähnliches gilt für den Architekten oder den Rechtsanwalt. Hier gilt eine entsprechende Kleinmengenregelung, die ihn vom Trennen seiner Abfälle befreit. Gleichwohl: Auch der Kleinunternehmer und jeder, der nicht trennen muss, muss seinen Abfall grundsätzlich einer Vorbehandlungsanlage zuführen. Ich begrüße zudem die Regelung, wonach einem Unternehmen mit einer Trennung von 90 Prozent seines Abfalls die Vorbehandlungspflicht für die restlichen 10 Prozent erlassen wird. Mit der vorgelegten Novelle zur Gewerbeabfallverordnung machen wir einen wesentlichen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Weniger Abfälle als bisher werden verbrannt, mehr Abfälle als bisher werden recycelt. Mehr Wertstoffe als bisher werden den Abfällen entnommen, mehr Ressourcen werden geschont. Stoffkreisläufe werden geschlossen. Unser Ziel war es, eine Gewerbeabfallverordnung auf den Weg zu bringen, die aus Umweltschutzgesichtspunkten genauso wie aus ökonomischen Gesichtspunkten Sinn macht. Uns war es besonders wichtig, möglichst unbürokratische und praxisnahe Lösungen zu finden. Ich denke, dass uns dies gelungen ist. Michael Thews (SPD): Für die meisten Akteure der Kreislaufwirtschaft, auch für uns Berichterstatter, lag das Hauptaugenmerk in dieser Legislaturperiode auf der Einführung eines Wertstoffgesetzes. Um dieses Gesetz wurde ausgesprochen kontrovers diskutiert, insbesondere um die Frage der Organisationsverantwortung. Letztlich ist es an der Unvereinbarkeit der Positionen gescheitert. Laut Gutachten für das Planspiel zur Einführung einer Wertstofftonne sollten durch eine gemeinsame Wertstoffsammlung in den privaten Haushalten 570 000 Tonnen Abfall pro Jahr mehr gesammelt werden. Schaut man sich dagegen die weitaus größeren Sammelmengen aus gemischten gewerblichen Siedlungs- sowie Bau- und Abbruchabfällen an, wundert man sich etwas, dass dieser Abfallstrom und die dazugehörige Gewerbeabfallverordnung bisher vergleichsweise leise in der Öffentlichkeit behandelt worden ist. In Deutschland fallen jährlich rund 6 Millionen Tonnen gemischte Gewerbeabfälle an, und zwar in einem breiten Spektrum an Betrieben; denn die kleine Kneipe in der Altstadt ist von der Verordnung genauso betroffen wie der Industriebetrieb mit einer eigenen Stabsstelle für Abfall und 1 000 Mitarbeitern. Die Verordnung wird circa 3,6 Millionen Betriebe in Deutschland betreffen, davon 3,5 Millionen Klein- und Kleinstbetriebe. Die Erfolge der bisherigen Trennungs- und Recyclingpraxis sind trotz jetzt schon geltendem Getrennthaltungsgebot allerdings eher mau. Es wurden nur 45 Prozent der gemischten gewerblichen Siedlungsabfälle in Sortieranlagen aufbereitet; 50 Prozent gingen direkt in die Verbrennung. Andere Studien kommen in ihren Berechnungen sogar dazu, dass insgesamt 90 Prozent des gemischten gewerblichen Siedlungsabfalles entweder direkt oder nach Sortierung verbrannt bzw. energetisch verwertet werden. Letztendlich wurden nur rund 7 Prozent der insgesamt anfallenden gemischten Gewerbeabfälle stofflich verwertet. Dieses brachliegende Potenzial müssen wir dringend nutzen! Angesichts endlicher natürlicher Rohstoffe können wir es uns als Gesellschaft nicht leisten, auf diese großen Mengen an Sekundärrohstoffen zu verzichten. Durch das Recycling von Abfällen lassen sich im Vergleich zur Gewinnung von primären Rohstoffen große Mengen an Energie, CO2 und Rohstoffen einsparen – besonders bedeutsam ist hier das Recycling von Metallen wie etwa Stahl oder Kupfer. Dazu kommt, dass die Gewinnung von Primärrohstoffen oft mit schwerwiegenden ökologischen und manchmal auch sozialen Folgen verbunden ist. Darüber hinaus müssen wir uns als rohstoffarmes Land unabhängiger von Rohstoffimporten machen. Die Stärkung und der Ausbau der Kreislaufwirtschaft, um die Wirtschafts- und Produktionsweisen in Deutschland schrittweise von Primärrohstoffen unabhängiger zu machen, finden sich auch als eine von vier Leitideen im Deutschen Ressourceneffizienzprogramm „ProgRess II“ wieder. Auch dürfen wir die Kreislaufwirtschaft als Jobmotor nicht unterschätzen. Neue Arbeitsplätze entstehen in den Unternehmen der Kreislaufwirtschaft selbst, aber auch im deutschen Maschinenbau. Deutschland ist Vorreiter bei der Abfalltrennung und beim Recycling. Dies zeigt sich jährlich auf der weltweit größten Messe für Kreislaufwirtschaft und Entsorgung, der IFAT, in München. Deutschland ist aber auch Technologieführer bei den Verfahren für Trennung und Recycling. Wenn wir mehr stoffliches Recycling wollen, müssen wir auch sicherstellen, dass in entsprechende moderne Anlagentechnik investiert wird. Weltweit tun das inzwischen viele Länder; sie steigen aktiver in diese Bereiche ein, schauen nach Deutschland und orientieren sich an uns. Schon allein deswegen müssen wir hier vorangehen und dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Ich bin überzeugt, dass die in dieser Novelle vorgegebene Recyclingquote für Betreiber von Vorbehandlungsanlagen von mindestens 30 Masseprozent bei den Gemischen, die in einer Vorbehandlungsanlage ankommen, realistisch ist und gleichzeitig für einen Investitionsschub sorgen wird. Diese Quote wird spätestens Ende 2020 evaluiert und gegebenenfalls an den bis dahin weiterentwickelten Stand der Technik angepasst. Es geht bei der Gewerbeabfallverordnung nicht nur um die zu geringe Nutzung des Potenzials dieses großen Stoffstroms. Ausgehend von der fünfstufigen Abfallhierarchie der europäischen Abfallrahmenrichtlinie sind Änderungen des untergesetzlichen Regelwerks in Deutschland notwendig. Nach bisherigem Recht sollte vor allem die Ablagerung gemischter gewerblicher Siedlungsabfälle sowie gemischter Bau- und Abbruchabfälle auf „Billigdeponien“ beendet und „Scheinverwertung“ verhindert werden. Die noch geltende Gewerbeabfallverordnung aus dem Jahr 2002 ging noch von einem grundsätzlichen Gleichrang zwischen stofflicher und energetischer Verwertung aus. Ein großer Teil der gemischten Gewerbeabfälle und auch bestimmter Bau- und Abbruchabfälle ging, wie erwähnt, direkt – ohne Vorbehandlung – in die energetische Verwertung. Vollzugsprobleme und ein hoher Kontrollaufwand bremsten die Verordnung bisher aus. Deshalb setzt die Novelle auch an der Vollziehbarkeit an. Sie sieht für die Gewerbebetriebe vor, dass diese die Einhaltung ihrer Pflichten oder die Gründe für Ausnahmeregelungen dokumentieren und auf Verlangen der Behörde auch nachweisen müssen. Sie setzt aber gleichzeitig auf einen Anreiz für die Gewerbebetriebe. Erfüllt ein Abfallerzeuger in einem Jahr eine Getrenntsammelquote von mindestens 90 Prozent, dann ist er im darauffolgenden Jahr von der Pflicht zur Vorbehandlung seiner Gemische befreit. Eine aus meiner Sicht sehr sinnvolle Neuerung! Ich begrüße die neue Gewerbeabfallverordnung ausdrücklich. Scheinbar geht es vielen so; denn Kritik gab und gibt es zwar bei einzelnen Punkten, grundsätzliche Ablehnung jedoch nicht. Unsere Hauptforderungen nach Umsetzung der fünfstufigen Abfallhierarchie und der Beibehaltung der kommunalen Restmülltonne wurden erfüllt. Durch anspruchsvollere Vorgaben zur Sortierung und höhere Recyclingquoten können künftig deutlich mehr Abfälle dem Recycling zugeführt werden. Dass die Novelle zur Gewerbeabfallverordnung so breite Zustimmung findet, liegt sicherlich auch daran, dass das Bundesministerium für Umwelt und Bau bereits vor Kabinettsbefassung mit allen Beteiligten intensiv diskutiert und viele der Vorschläge und Änderungswünsche übernommen hat. So wurden zum Beispiel auf Anregung der Entsorgungswirtschaft die Mindestanforderungen an die Vorbehandlungsanlagen gesenkt. Des Weiteren wurden Anregungen der Bauwirtschaft zur Getrennthaltung von Bauabfällen und der Bundesländer zur Präzisierung von Definitionen wie „technische Unmöglichkeit“ und „wirtschaftliche Unzumutbarkeit“, berücksichtigt. Sicherlich werden wir zukünftig prüfen müssen, ob wir noch mehr erreichen können. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Novelle das Recycling im gewerblichen Bereich stärkt, somit die Kreislaufwirtschaft fördert und die Belange von Gewerbe und Industrie mit den Belangen des Umwelt- und Ressourcenschutzes zu einem sachgerechten Ausgleich bringt. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Fast 6 Millionen Tonnen sogenannte gemischt anfallende – sprich: unsortierte – Gewerbeabfälle werden jedes Jahr einfach verbrannt, obwohl in ihnen jede Menge recycelbare Wertstoffe stecken. Alles, was nicht recycelt wird, muss über den Primärrohstoffmarkt energie- und ressourcenaufwendig neu geschaffen werden. Zusätzlich zu den 6 Millionen Tonnen Gewerbeabfällen kommen jährlich etwa 200 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle. Ein Viertel davon, also rund 50 Millionen Tonnen, ist Bauschutt. Würde man diesen vernünftig recyceln, könnte er fast komplett für neue Bauten verwendet werden. Müll zu sortieren, ist die Grundlage für Recycling. Wir freuen uns, dass die Bundesregierung das nun auch erkannt hat und nach 13 Jahren endlich die Gewerbeabfallverordnung überarbeitet. Leider tut sie das nur halbherzig. Müllsortierung beginnt beim Müllerzeuger, dem nunmehr zwar vorgeschrieben werden soll, dass er Müll zu trennen hat. Leider verpasst es die Bundesregierung, konkrete Quoten festzulegen. Beim normalen Haushaltsmüll gibt es diese Quoten. Warum macht die Bundesregierung beim Gewerbemüll wieder nur halbe Sachen? Des Weiteren gibt es deutlich zu viele Ausnahmen von der Sortierpflicht. Die Erklärungen zu genutzten Ausnahmen sind nicht einmal verpflichtend vorzulegen, sondern nur auf Nachfrage der Behörde. Wir alle kennen die Defizite im Vollzug des Umweltrechts, wegen des Personalmangels. Die vielgepriesene schwarze Haushaltsnull hat über die Jahre dafür gesorgt, dass Vollzugsbehörden im Umweltrecht oft zu wenig Personal haben, um den Gesetzesvollzug gewährleisten zu können. Die Linke fordert deshalb, dass zu jeder Änderung im Umweltrecht ein Konzept vorgelegt wird, wie dies in der Praxis auch umgesetzt und kontrolliert wird. Sonst ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Wir fordern: Wenn ein Unternehmen Abfallfraktionen nicht getrennt sammeln kann, sind die Unterlagen der Behörde unaufgefordert vorzulegen. Die Verordnung war eine Chance, das aktuelle Problem bei HBCD-haltigen Dämmstoffen bundeseinheitlich zu lösen. Seitdem die mit dem Brandhemmer Hexabromcyclododecan (HBCD) versehenen Dämmstoffplatten als Sondermüll deklariert wurden, stapeln sie sich in Zwischenlagern bei den Abfallentsorgern oder bei den Abbruchfirmen. Es gibt nur sehr wenige Verbrennungsanlagen, in denen die Platten als reine Abfallfraktion verbrannt werden können. Die Sortierung ist aufwendig und der Transport teuer. Anstatt die Platten sortenrein von den gemischten Bauabfällen zu trennen und dann einen quasi nicht existierenden Entsorgungspfad zu wählen, sollten sie gemischten Bauabfällen einfach wie bisher beigemischt werden. Denn als Beimischung ist die Verbrennung unproblematisch. So würde einerseits das enthaltene HBCD unschädlich gemacht und außerdem weniger Zusatzverbrennung nötig werden. Das thüringische Umweltministerium beispielsweise hat das erkannt und deswegen vorgeschlagen, alles beim Alten zu lassen. Die Bundesregierung hätte hier schleunigst Rechtssicherheit schaffen können. Mit einem Ausnahmetatbestand in der Gewerbeabfallverordnung wäre das möglich gewesen. Diese Chance hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf leider verpasst. Die Linke regt an, den vorliegenden Verordnungsentwurf weiter zu qualifizieren. Er geht zwar grundsätzlich in die richtige Richtung, bleibt aber hinter seinen Möglichkeiten zurück. Das ist schade, denn bei aller guten Intention zur Einhaltung der europäischen Abfallhierarchie erwarten wir wesentlich mehr Konsequenz und vor allem mehr Kompetenz für die Vollzugsbehörden, ansonsten wird sich in puncto Ressourcenschutz in der Praxis nicht viel verändern. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die bestehende Gewerbeabfallverordnung ist mittlerweile hoffnungslos veraltet und berücksichtigt kaum ökologische Ziele. Mit der Einführung der Abfallrahmenrichtlinie und der Umsetzung im Kreislaufwirtschaftsgesetz 2012 entspricht die gültige Gewerbeabfallverordnung auch nur noch sehr bedingt der übergeordneten Rechtslage und der darin enthaltenen Abfallhierarchie. Die bisherige Gewerbeabfallverordnung lässt minderwertige Verwertung, also Verbrennung und Verfüllung, zu. So war es den Betrieben – anders als den Bürgerinnen und Bürgern in Privathaushalten – noch erlaubt, nicht getrennt zu sammeln, obwohl das die Voraussetzung für jegliche hochwertige werkstoffliche Verwertung ist. Die Rechtslage führt dazu, dass von den jährlich anfallenden gemischten Gewerbeabfällen mehr als 90 Prozent verbrannt und nur knapp 7 Prozent werkstofflich recycelt werden. Mit der Verbrennung von Altpapier, Kunststoffen und anderen werthaltigen Abfällen als Ersatzbrennstoff gehen wertvolle Ressourcen verloren, die an anderer Stelle aufwendig erzeugt werden müssen. Diese Situation widerspricht grundlegend dem Gedanken der Nachhaltigkeit und dem Konzept des Ressourcenschutzes. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes fallen in Deutschland im Gewerbesektor pro Jahr 3,45 Millionen Tonnen gemischte gewerbliche Siedlungsabfälle und rund 2,39 Millionen Tonnen Verpackungsgemische an. Wir sprechen also über rund 6 Millionen Tonnen Gewerbeabfälle. Angesichts dieser Menge an Gewerbeabfällen ist es höchste Zeit, dass die Gewerbeabfallverordnung novelliert und den ökologischen Herausforderungen angepasst wird. Was bei den Bürgerinnen und Bürgern hinsichtlich Getrennthaltung und Sortierung seit Jahren üblich ist, kann doch für das Gewerbe nicht unmöglich sein. Es besteht kein logischer Grund, warum Gewerbebetriebe Bioabfälle, Plastik, Glas, Papier und Pappe, um nur einige wenige Abfallfraktionen zu nennen, nicht getrennt sammeln könnten. Die Kreislaufwirtschaft ist daher auch im Bereich der Gewerbeabfälle weiterzuentwickeln und muss dazu das zusätzliche Recyclingpotenzial von 2,4 Millionen Tonnen pro Jahr aus den Gewerbeabfallsammlungen für werkstoffliches Recycling erschließen. Unserer Auffassung nach geht der Entwurf für die neue Gewerbeabfallverordnung zwar in die richtige Richtung, allerdings fehlen in der Verordnung Aussagen, die der Vorbereitung zur Wiederverwendung und dem werkstofflichen Recycling einen deutlichen Vorrang gegenüber der energetischen Verwertung einräumen. Zumindest die Ausnahmen bezüglich der Sortierquote hätten abgebaut und die Unterschreitung der Sortierquote auf bis zu 10 Prozent auf bis zu zwei Monaten des Kalenderjahres beschränkt werden müssen. Auch eigenständige und deutlich ambitioniertere Recyclingquoten für die verschiedenen Abfallfraktionen wären wünschenswert gewesen. Am besten wäre schon heute festzulegen, dass spätestens ab 2025 dynamische und selbstlernende Recyclingquoten gelten. Dann würde sich die Höhe der zu erfüllenden Recyclingquoten für die Folgejahre automatisch an den besten Recyclingergebnissen der Vorjahre orientieren – Top-Runner-Mechanismus. Ohne politische Intervention würden sich die Quoten selbstständig an den technischen Fortschritt in der Recyclingbranche anpassen und so noch zusätzlich als ein Förderprogramm für weitere Innovationen in der Recyclingbranche wirken. Zu all diesen konkreten Verbesserungsvorschlägen haben wir Grüne einen Entschließungsantrag in den Umweltausschuss eingebracht, um aus einer notwendigen eine gute, angemessene Gewerbeabfallverordnung zu machen. Diesen Anspruch müssen wir als Parlamentarier an uns selber schon haben. Deswegen werden wir uns heute hier zu dem vorliegenden Entwurf enthalten. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen (Tagesordnungspunkt 22) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Die hohen Flüchtlingszahlen in Europa, unter anderem ausgelöst durch den syrischen Bürgerkrieg und den Migrationsdruck in vielen afrikanischen Staaten, erfordern von der deutschen Entwicklungspolitik große Anstrengungen und gezieltes Handeln. Auch im Jahr 2017 wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen starken Fokus auf unseren Nachbarkontinent Afrika legen. Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller sprach in diesem Zusammenhang bereits von einem „Marshallplan für Afrika“. Der heute in erster Lesung vorliegende Antrag „Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken“ hat – wie man erkennen kann – mit Asien einen anderen regionalen Schwerpunkt. Dies ist kein Widerspruch zur aktuellen Strategie der Bundesregierung, sondern wie im Matthäus-Evangelium, Kapitel 23, Vers 23, ganzheitlich gedacht: „Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.“ Die ASEAN-Region mit ihren zehn Mitgliedstaaten Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam ist ein sehr heterogenes Gebilde mit großen Entwicklungsunterschieden. Über 600 Millionen Menschen leben in diesen Ländern, die mehrheitlich Partnerländer der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit sind. Damit Deutschland auch in den kommenden Jahren als entwicklungspolitischer Akteur in der ASEAN-Region präsent sein kann – denn, wie eingangs von mir ausgeführt, wird der Fokus deutscher Entwicklungspolitik stärker auf dem Nahen Osten und auf Afrika liegen müssen –, ist es notwendig, dass wir unser Engagement in der ASEAN-Region auf ein breiteres Fundament stellen. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu verfolgen, ist der Ausbau von Dreieckskooperationen. Lassen Sie mich dieses Entwicklungsmodell kurz einordnen: Trilaterale Kooperationen werden in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit als ein Bindeglied zwischen Entwicklungsländern, Schwellenländern und entwickelten Ländern genutzt. Sie eignen sich insbesondere für die projektbezogene Zusammenarbeit mehrerer Akteure. Die Evaluierung von Dreieckskooperationen zeigt aber auch, dass trilaterale Kooperationen in Abstimmung einen hohen Verwaltungsaufwand verursachen können. Dies sollte vor Nutzung des Instruments in die Erwägung Eingang finden. Bei der Situation in Südostasien, die der Antrag in erster Linie anspricht, liegen jedoch günstige Voraussetzungen für trilaterale Kooperation vor. Deutschland hat aktuell mit Thailand, Malaysia und Indonesien trilaterale Kooperationen vereinbart, die jeweils einen weiteren regionalen Partner einbeziehen. Diese Maßnahmen fördern nicht nur lokale Entwicklungen, sondern tragen auch zum Harmonisierungs- und Integrationsprozess innerhalb der ASEAN-Region bei. Und die Grundlagen für den Ausbau dieses Entwicklungsmodells sind vorhanden; denn viele ASEAN-Staaten verfügen über entwicklungspolitische Institutionen, die sich im Wesentlichen auf die ärmeren Nachbarn ausrichten. Doch obwohl Dreieckskooperationen für alle Partner Vorteile hätten, wird dieses Instrument in der Praxis bisher nur wenig eingesetzt. Mit dem vorliegenden Antrag wollen die Entwicklungspolitiker der Koalition darauf hinwirken, dass die richtigen entwicklungspolitischen Weichenstellungen vorgenommen werden. Von den positiven Effekten trilateraler Kooperationen konnte ich mich auf meinen Besuchen entwicklungspolitischer Projekte in der ASEAN-Region mehrfach selbst überzeugen. Ich habe nach Gesprächen mit lokalen Projektverantwortlichen den Eindruck mitgenommen, dass Schwellenländer sehr am Know-how über die Förderung von Grenzregionen interessiert sind. Das Beispiel Thailand zeigt: Mit Thailands wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte wandelte es sich zu einem Schwellenland und damit auch die Zusammenarbeit mit Deutschland. Aus der bilateralen Zusammenarbeit entwickelten sich seit 2009 trilaterale Kooperationen, in denen Thailand und Deutschland in dritten Ländern Südostasiens gemeinsam Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit umsetzen. Dazu gehören Initiativen im Grenzgebiet zu Laos oder Kambodscha, die positive Auswirkungen auf den Lebensstandard der Menschen vor Ort haben. Wünschenswert wäre es, wenn diese Erfolge zukünftig auch auf Regionen in der ASEAN-Region ausstrahlen könnten, die bisher noch nicht in trilateralen Projekten berücksichtigt sind. So sehe ich beispielsweise ähnliche Entwicklungsherausforderungen in der Grenzregion zwischen Thailand und Myanmar. Diese Region war lange Zeit stark vom Drogenanbau betroffen. Durch einen intensiven Strukturwandel konnte die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem Teeanbaugebiet entwickelt und einige nachhaltige Ansätze im Bereich Tourismus etabliert werden. Aber: Die Reduzierung des Drogenanbaus in den letzten Jahren konnte nicht verhindern, dass sich die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem großen Handelsplatz für synthetische Drogen entwickelt hat, die von dort in ganz Südostasien verbreitet werden. Dies hat auch Auswirkungen auf die Drogenmärkte in Europa und Nordamerika. Neue trilaterale Projekte in dieser Region könnten aus meiner Sicht ein Beitrag Deutschlands sein, lokale und bilateral erzielte Verbesserungen aufzugreifen und mithilfe eines breiteren Bündnisses fortzuführen. Der Blick auf die Zahlen verdeutlicht es: Trilaterale Kooperationen im Gebiet der ASEAN-Staaten sind durchaus ausbaufähig. Das vereinbarte Gesamtauftragsvolumen dieser Projekte zwischen Deutschland und Thailand beträgt 8,3 Millionen Euro und läuft bis Dezember 2017. Thailand ist damit der wichtigste Partner bei dieser Art Umsetzungsvorhaben. Zum Vergleich: Mit Malaysia ist ein Gesamtvolumen von rund 3 Millionen Euro vereinbart, mit Indonesien ein Volumen von 700 000 Euro. Lassen Sie mich deshalb nochmals eine Lanze für dieses Modell der Entwicklungszusammenarbeit brechen: Dreieckskooperationen sind in vielen Sektoren realisierbar und stellen das deutsche Entwicklungsengagement auf ein breiteres Fundament. Der vorliegende Antrag soll dieses Ansinnen unterstützen und Deutschland in einer der dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt am Ball halten. Deshalb sollen folgende Aspekte im Fokus des politischen Handelns stehen: – Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von trilateralen Kooperation in der ASEAN-Region sollen geprüft und die Effizienz zukünftiger Maßnahmen gesteigert werden. – Bestehende Dreieckskooperationen sollen fortgesetzt werden, wenn dadurch Synergieeffekte zu erzielen sind. – Dreieckskooperationen sollen verstärkt als Instrument genutzt werden, um international anerkannte Standards in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit einzuhalten. – Neue Felder für trilaterale Kooperation sollen gefunden werden, die insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) sinnvoll sind. – Die Privatwirtschaft soll bei zukünftigen Dreieckskooperationen verstärkt miteinbezogen werden. – Es sollen gezielt nachhaltige Projekte initiiert werden, die in Sektoren liegen, die bisher noch nicht im Bereich der Dreieckskooperationen vertreten sind. Und: – Das gewonnene Fachwissen aus Dreieckskooperation soll für Dritte nutzbar und zugänglich sein. Das heißt: Evaluierung durch das DEval soll ein höherer Stellenwert zukommen. Mit dem heute vorliegenden Antrag greift die Koalition das 2015 vorgestellte Asien-Papier des BMZ auf und geht den darin vorgezeichneten Weg konsequent weiter. In dem Positionspapier mit dem Titel „Asiens Dynamik nutzen“ heißt es: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Asien wird in den kommenden Jahren mit den Partnerländern, in multilateralen Organisationen wie der Weltbank, der asiatischen Entwicklungsbank (ADB), der Europäischen Union … in der Zusammenarbeit mit regionalen Zusammenschlüssen wie der … ASEAN … die folgenden Chancen und Herausforderungen adressieren: den verstärkten Dialog mit den globalen Entwicklungspartnern, die soziale und ökologische Gestaltung der asiatischen Marktwirtschaften, den Schutz von Klima und Biodiversität sowie die Bekämpfung von Konflikt- und Fluchtursachen. Deshalb lassen Sie uns durch die Nutzung deutschen Know-hows bei der Umsetzung trilateraler Partnerschaften die Vorhaben unserer Entwicklungszusammenarbeit in der ASEAN-Region zu einem Erfolg machen. Tobias Zech (CDU/CSU): Über die Länder der ASEAN-Region – Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam – hören wir nicht jeden Tag in den Medien. Obwohl die Mitgliedstaaten seit der Gründung der ASEAN-Wirtschaftsgemeinschaft im Dezember 2015 starke wirtschaftliche und politische Partner der EU – und damit auch Deutschlands – sind. Zwar befindet sich die Region nicht in unserer direkten Nachbarschaft, trotzdem dürfen wir sie nicht vernachlässigen und ihre Rolle unterschätzen. Wir kümmern uns um die Auseinandersetzungen im Nahen Osten – das ist gut so –, aber gleichzeitig müssen wir in der Lage sein, andere Weltregionen nicht aus den Augen zu verlieren. Wir müssen alle größeren Krisen unter Beobachtung halten. Die Bemühungen der Bundesregierung in den letzten Jahren zeigen den politischen Willen zu einem verantwortungsvollen Krisenmanagement. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist auf der ganzen Welt mittlerweile ein Begriff, eine Marke, geworden. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, was deutsches Engagement bewirken kann. Das Instrument, das wir in unserem Antrag fordern, ist in der Entwicklungszusammenarbeit bereits seit den 1980er-Jahren bekannt. Die trilaterale Kooperation ist eine erfolgreiche und nachhaltige Methode, um Hilfe zur Selbsthilfe zu fördern, in Bereichen wie der beruflichen Bildung, dem Klimaschutz, der ländlichen Entwicklung, der Corporate Social Responsibility – generell zur Unterstützung der auf Hilfe angewiesenen Länder. Deutschland unterstützt zusammen mit einem wirtschaftlich stärkeren Land in der Region einen Staat, der wirtschaftlich schwächer ist. Diese Zusammenarbeit beschleunigt zeitgleich die wirtschaftliche Entwicklung und die Integration in der Region. Die wirtschaftliche und politische Stabilität nutzt nicht nur den fortgeschrittenen Ländern der ASEAN-Region, sondern auch Europa. Es gibt bereits gute Beispiele der Kooperation dieser Art: Deutschland und Malaysia führen seit 2011 mit Kambodscha und Timor-Leste gemeinsame Maßnahmen durch. Aber auch die indonesisch-deutsche trilaterale Zusammenarbeit mit Myanmar zeigte gute Ergebnisse. Die derzeitige Unsicherheit bezüglich des Transpazifischen Handelsabkommens (TPP) seitens der Vereinigten Staaten schafft ein Vakuum, von dem vor allem China profitiert. Das Land nutzt die aktuelle Situation, sein Einfluss wird immer größer. Für fast alle Länder der ASEAN-Region ist China der wichtigste Handelspartner. Eine andere Partnerschaft, das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), rückt so in den Vordergrund. Auch im Hinblick auf den Streit um Inseln im Südchinesischen Meer droht eine Eskalation mit Rüstungswettlauf und Veränderung des Status quo. Infolge dieser Ereignisse fürchtet die Mehrheit der asiatischen Länder ein zunehmendes strategisches Ungleichgewicht in der Region. Die Europäische Union muss sich ihrer Rolle bewusst sein. Sie muss sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen, in der Region weiterhin präsent zu bleiben. Die Stabilität muss sichergestellt werden – wir können die Länder nicht in Unsicherheit lassen. Wir müssen sie unterstützen, damit sie sich selbst helfen können. Deutschland geht mit den Dreieckskooperationen mit einem guten Beispiel voran. Wir übernehmen mehr Verantwortung in der Welt. Aber wir müssen auch die anderen Mitgliedstaaten der EU einbeziehen. Die Europäische Union braucht eine gemeinsame Vision, wir müssen uns neu aufstellen. Auf neue Herausforderungen müssen wir neue Antworten geben. Unsere gemeinsame Außenpolitik muss unter den Mitgliedsländern der EU abgestimmt werden. Wir dürfen nicht so lange warten, bis in dem Vakuum, das die Vereinigten Staaten mit ihrer Außenpolitik in der Region hinterlassen, kein Platz mehr für Europa, für Deutschland bleibt. Wenn wir uns jetzt zurückziehen und die schwächeren Länder der Region nicht unterstützen, werden wir später nicht mehr die Möglichkeit haben, dies nachzuholen. Die Entwicklung der Region muss vorangetrieben werden. Die strategische Partnerschaft mit den Ländern muss gewährleistet werden. Um nachhaltige Ergebnisse zu erreichen, lehrt diese Konstellation die Länder, eigene Verantwortung zu übernehmen und ihr Schicksaal selber in die Hand zu nehmen. Deutschland leistet eine hervorragende Arbeit; die muss zukünftig unterstützt werden. Stefan Rebmann (SPD): Im vergangenen Jahr wurde die Wirtschaftsgemeinschaft ASEAN Economic Community (AEC) gegründet. Rund 630 Millionen Menschen leben in den Mitgliedstaaten der Association of South-East Asian Nations (ASEAN). Mit rund 2,3 Billionen US-Dollar an erwirtschaftetem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Jahr reichen die ASEAN-Mitgliedstaaten fast an die Wirtschaftsleistung Großbritanniens, der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt, heran. Prognosen gehen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum der ASEAN bis 2030 auf 10 Billionen US-Dollar vergrößert. Aber nicht nur das beeindruckende Wirtschaftswachstum macht die ASEAN zu einer wichtigen Partnerin im asiatischen Raum. Als Staatenbündnis hat sie sich den Menschenrechten sowie den Grundsätzen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verschrieben (ASEAN Charta 2007). Auch wenn sich die Integrationsprozesse sehr unterscheiden, wird die ASEAN oft mit der Europäischen Union verglichen. Unter ihrem Dach haben sich Staaten unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Sprachen, unterschiedlicher Regierungsformen und unterschiedlicher Entwicklungen zusammengeschlossen. Während beispielsweise Singapur im Index der menschlichen Entwicklung (HDI) auf Platz 11 liegt, liegt Kambodscha auf Platz 143 von 188. Oder einfacher gesagt: Während Singapur boomt, leben beispielsweise in Laos immer noch 23,3 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Die ASEAN-Mitgliedstaaten haben ein großes Interesse, dieses Development Gap zu schließen, und sind daher an deutschen Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit interessiert. Vermehrte trilaterale Kooperationen im südostasiatischen Raum können ein Mittel sein, Entwicklung zu fördern und die Unterschiede zwischen den Staaten zu verringern. Eine trilaterale Partnerschaft besteht aus einem traditionellen Geberland, einem Schwellenland als weiterem Geberland und einem Entwicklungsland als Nehmerland. Aus dieser Konstellation ergibt sich eine besondere Form des Wissenstransfers, und zwar für alle Beteiligten. Die trilaterale Partnerschaft bricht somit die traditionellen Geber-Nehmer-Strukturen auf und ermöglicht ein gemeinschaftliches Arbeiten auf Augenhöhe. Das Instrument wird in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bereits seit circa 30 Jahren eingesetzt und hat sich bewährt. Deshalb ist es wünschenswert, dass bestehende Dreieckskooperationen mit ASEAN-Mitgliedstaaten weiter ausgebaut werden und, wo noch nicht vorhanden, neue Kooperationen aufgebaut werden. Eine besondere Herausforderung, die unter anderem aufgrund der großen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den ASEAN-Mitgliedstaaten besteht, sind menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen. So werden immer wieder Fälle von Zwangsarbeit auf thailändischen Fischfangkuttern bekannt. Daher ist bei Maßnahmen der trilateralen Partnerschaft darauf zu achten, dass Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards eingehalten und gefördert werden. Durch den Ausbau der trilateralen Partnerschaften im südostasiatischen Raum werden Strukturen im Sinne des UN-Nachhaltigkeitsziels 17 – „global partnerships for sustainable development“ – geschaffen, die eine Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe fördern und die Nord-Süd- und Süd-Süd-Bindung stärken. Dieser Antrag ist ein erster Schritt dazu. Niema Movassat (DIE LINKE): In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit finden trilaterale Partnerschaften bis heute zu wenig Beachtung. Dabei birgt die gezielte Zusammenarbeit zwischen einem etablierten Geberland, einem Schwellen- und einem Entwicklungsland großes Potenzial. Länder wie Indien oder China kämpfen bis heute trotz großer Entwicklungsschritte vor allem in ländlichen Regionen immer noch mit mangelnder Basisinfrastruktur. Oft fehlt es großen Teilen der Bevölkerung an Zugang zu Strom, fließendem Wasser und Verkehrswegen, aber auch zu Schulen und Krankenhäusern. Wo es im globalen Sünden am Gemeinwohl der eigenen Bevölkerung interessierte Regierungen gibt, sammelt man die besten Erfahrungen in konkreter Entwicklungspolitik. In den Industriestaaten ausgebildete Top-Experten mögen hochqualifizierte Studienabschlüsse vorweisen – haben aber in der Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit in zahllosen Projekten bewiesen, dass ihre Konzepte den harten Praxistest im Alltag vieler Entwicklungsländer nicht bestehen. Mit Entwicklungs- und Schwellenländern gemeinsam geplante, finanzierte und implementierte Kooperationsprojekte hingegen haben den Vorteil, sich meist bereits in der Realität bewährt zu haben. Deshalb sind sie unter Umständen nicht nur wirkungsvoller als herkömmliche Entwicklungspartnerschaften, sondern tragen auch in besonderem Maße zu mehr „Augenhöhe“ in der Entwicklungspolitik bei, weil sie die eigenen Erfahrungen der Länder des Südens besonders berücksichtigen. Es ist deshalb richtig, dass der vorliegende Antrag der Regierungskoalition eine Evaluierung der bisherigen Dreieckskooperationen mit deutscher Beteiligung fordert. Es ist ebenso richtig, zu fordern, neue trilaterale Partnerschaften in strategisch wichtigen Bereichen aufzunehmen, wenn sich dadurch entwicklungspolitische Synergieeffekte erzielen lassen. Insgesamt wirkt der Antrag jedoch seltsam unausgegoren und beliebig zusammengestückelt. Der Abschnitt über Drogenanbau im Grenzgebiet zwischen Thailand, Laos und Myanmar etwa fügt sich nicht in den restlichen Text ein und lässt den Leser ratlos zurück, auch weil sich dieser Aspekt im Forderungsteil nirgends wiederfindet. Die ASEAN-Gruppe besteht heute aus Thailand, Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Brunei, Vietnam, Myanmar, Laos sowie Kambodscha und umfasst rund 600 Millionen Einwohner. Ohne Zweifel sind die Unterschiede bei den Lebensbedingungen zwischen etwa Malaysia und Myanmar gewaltig, und das prädestiniert die Region für trilaterale Partnerschaften. Dennoch stellt sich sehr die Frage, warum der vorliegende Antrag in weiten Teilen ausschließlich auf die ASEAN-Staaten fokussiert. Trilaterale Entwicklungszusammenarbeit kann auch in anderen Weltregionen sinnvoll sein. Besonders großes Potenzial hätte zum Beispiel ein trilaterales Abkommen im Gesundheitsbereich zwischen der Bundesrepublik, Kuba und den von Ebola heimgesuchten Ländern Afrikas. Die Notwendigkeit des Aufbaus kostenloser Basisgesundheitssysteme ist nach einhelliger Expertenmeinung eine der Hauptlehren aus der Krise. Kein anderes Land weltweit hat größere Erfahrungen darin, mit sehr bescheidenen finanziellen Mitteln so große gesundheitspolitische Erfolge zu erreichen, wie Kuba. 2015 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Kuba zum ersten Land der Welt, in dem es keine Übertragungen von HI- und Syphilisviren von Müttern auf Kinder mehr gibt. „Der Stopp der Übertragung eines Virus ist einer der größten Schritte im Gesundheitsbereich“, erklärte WHO-Chefin Margaret Chan damals. Die Kindersterblichkeitsrate ist in Kuba niedriger, die Lebenserwartung höher als in den USA – obwohl in den Vereinigten Staaten pro Kopf im Durchschnitt rund 46mal so hohe Gesundheitskosten entstehen wie auf der Karibikinsel. Kubanische Ärzte helfen bereits heute in aller Welt und sind besonders in Entwicklungsländern sehr erfolgreich. Angesichts der großen gesundheitspolitischen Ziele der SDG-Agenda und der veränderten politischen Gesamtlage sollte die Bundesregierung dringend auf Kuba zugehen und die Möglichkeiten einer Dreieckskooperation mit Ländern ohne funktionierendes Basisgesundheitssystem eruieren. Kein anderes Land der Welt hat größere Erfahrung als Kuba darin, mit geringen finanziellen Mitteln für möglichst viele Menschen das Grundrecht auf Gesundheit zu realisieren. Es wird Zeit, dieses Potenzial auch anderen Ländern zur Verfügung zu stellen – Deutschland könnte hier eine internationale Vorreiterrolle einnehmen, was vorbildliche trilaterale Partnerschaften angeht. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn ich heute als Vorsitzender der ASEAN-Parlamentariergruppe in die Debatte eingreifen darf, freut mich das besonders. Denn ich sehe es als meine vornehmste Aufgabe an, die traditionell guten Beziehungen zwischen Deutschland und den ASEAN-Staaten weiter zu fördern. Der vorliegende Entschließungsantrag „Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen“ dient diesem Ziel. Er findet deshalb die volle Unterstützung meiner Fraktion und auch durch mich persönlich. Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, insbesondere durch trilaterale Partnerschaften das Entwicklungsgefälle zwischen den weniger und den höher entwickelten ASEAN-Mitgliedstaaten zu verringern. Sie soll dabei auf die guten und vertrauensvollen Beziehungen zu den einzelnen Partnerstaaten aufbauen. Dieses geschieht vor dem Hintergrund sehr enger und vertrauensvoller Beziehungen der Bundesregierung und vor allem der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH zu den Ländern der ASEAN-Region. Aber auch zu anderen Ländern der Region und dortigen Institutionen wie zum Beispiel der Asian Development Bank (ADB) und der Asian Investment Infrastructure Bank (AIIB) bestehen gute Beziehungen. Erst gestern hatten wir einen der Direktoren der AIIB im Finanzausschuss. Er berichtete uns vom Fortschritt bzw. von dem Aufbau dieser noch sehr jungen Entwicklungsbank. Mit Genugtuung haben wir zur Kenntnis genommen, dass der Aufbau dieser Bank zu einer unabhängigen und souverän agierenden Förderbank planmäßig voranschreitet und die chinesische Staatsführung die Unabhängigkeit dieser Bank respektiert. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, um mit einem weiteren unabhängigen und an westlichen Standards ausgerichteten Akteur die wichtige Finanzierung von Projekten in der Region zu stützen. Der Antrag fordert, Partnerschaften zwischen den ASEAN-Staaten zu initiieren und zu fördern. Zweifellos eine wichtige Aufgabe. Die Umsetzung muss dabei in die Initiativen und Maßnahmen der ASEAN Economic Community (AEC) eingebettet werden, einer Initiative, die zwar mit viel Elan gestartet war, um einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, aber in der Umsetzung doch noch sehr zögerlich voranschreitet. Eine Zusammenarbeit unter den ASEAN-Staaten kann nur dann erfolgen, wenn sehr pragmatisch gemeinsame Interessen herausgearbeitet werden können. Das Ziel muss sein, sektorbezogen eine intensivere strategische und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen ASEAN-Staaten und Deutschland, aber auch mit Drittländern aus der Region wie Japan, Australien oder auch Taiwan – es würde den Rahmen dieser Debatte sprengen, auf die Stellung Taiwans zwischen den beiden Großmächten USA und China einzugehen – zu organisieren. Es ist kritisch angemerkt worden, dass Zusammenarbeit im Sinne von „joint programming“ nicht unbedingt die Stärke bisheriger von Deutschland getragener Projekte sei – umso mehr ist der vorliegende Antrag zu unterstützen. In der partnerschaftlichen Zusammenarbeit macht es Sinn, sich zu konzentrieren, Schwerpunkte zu setzen. Ich will hier drei Themen ansprechen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen: Erstens. Bezüglich Rechtsstaatlichkeit muss und soll sich Deutschland eindeutig verhalten: Menschenrechtsverletzungen und fehlende Rechtsstaatlichkeit müssen klar benannt werden. Ob bei Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Rohingha in Myanmar, der fehlenden Rechtsstaatlichkeit der Militärregierung in Thailand, der autoritären Führung durch Hun Sen in Kambodscha, der Korruption bis hin in die Regierungsspitze in Malaysia, der fehlenden Rechtstaatlichkeit des unsäglichen „war against drugs“ des Präsidenten Duterte in den Philippinen oder der nicht geregelten Anwendung der Scharia in der Region Aceh in Indonesien – diese Vorgänge müssen in den Gesprächen und in der Öffentlichkeit offen angesprochen werden. Dabei muss dies nicht mit der Drohung der Sanktionen verbunden werden, vielmehr muss den Regierenden in den einzelnen Staaten vermittelt werden, dass nur eine stabile, demokratische und von der Person unabhängige rechtsstaatliche Ordnung eine mittel- und langfristige Stabilität versprechen, die eine notwendige Basis für die Zusammenarbeit und am Ende auch für Investoren die entscheidende Voraussetzung für eine positive Investitionsentscheidung ist. Die Bundesregierung ist aufgefordert, geeignete Projektangebote zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Bekämpfung von Korruption weiter zu entwickeln. Diese Angebote müssen sowohl Justiz, Behörden und Verwaltung, aber auch die Zivilgesellschaft einbinden. Zweitens. Mit der Förderung von Bildung rennen wir mit Sicherheit offene Türen in allen Staaten der ASEAN-Region ein. Hier wird es nach meiner Einschätzung auf drei Schwerpunkte ankommen: erstens die Förderung einer breiten schulischen Bildung in den am wenigsten entwickelten Ländern. Das bedeutet schlicht eine Verbesserung der Einkommenssituation der Lehrer – und dazu bedarf es aber stabiler Einnahmen des Staates, also eine umfassende Aufgabe. Zweitens: die Förderung von beruflicher Bildung und da ganz besonders die Übertragung des entscheidenden Elementes der deutschen dualen Ausbildung – daher ja der Name –: der parallelen Ausbildung in Schule und Unternehmen/Verwaltung. Drittens: der Studentenaustausch in der Region, das heißt nicht Förderung der akademischen Ausbildung in den westlichen Hochschulen, sondern Austausch untereinander – also: indonesischer Student in Bangkok oder vietnamesischer Student in Manila usw. Das europäische ERASMUS-Programm liefert hier ein respektables Vorbildprojekt. Drittens. Zentrales Entwicklungsthema ist eine verlässliche und klimaschonende Energieversorgung. Dabei ist entscheidend, die Nutzung fossiler Energieträger zu begrenzen. Der Öl- und Kohlereichtum der Region hat dazu geführt, dass fossile Energieträger nicht nur heute, sondern auch in den Planungen für die Zukunft eine bedeutende Rolle spielen. Weit mehr als 50 Prozent der Primärenergie stammt aus diesen Energieträgern, gerade bei der Kohle mit einem erschreckenden Wachstum. Vor dem Hintergrund der Prognosen, dass die Erderwärmung gerade in den ASEAN-Ländern verheerende Auswirkungen haben wird – ich erinnere an die schlimmen Folgen des El Niño in Indonesien im letzten Jahr –, ist dies ein fataler Irrweg. In Südostasien wird möglicherweise das erste Mal ein „Kippmomentum“ eintreten, wie die Klimaforscher das nennen, mit nicht vorhersehbaren Auswirkungen: Für Indonesien wird ein vollkommen verändertes, trockenes Klima vorhergesagt – so wie es 2015 geschehen ist und zu dramatischen Ernteeinbußen geführt hat. Auch wenn man argumentieren kann, dass die Menschen in der Region sich darauf einstellen werden (müssen), so wird dies aber mit sehr hohen Kosten verbunden sein. Umso mehr muss es darauf ankommen, die in Paris beschlossenen Maßnahmen zur Reduktion von fossilen Energieträgern gerade auch in der Region der ASEAN-Staaten umzusetzen. Vor dem Hintergrund der weitgehend ungenutzten erneuerbaren Energiequellen in der Region, sei es Windenergie, Sonnenenergie, Biomasse oder geothermische Energie, sollte ein umfassendes Programm „Renewable Energy for ASEAN“ aufgelegt werden. Dies muss sowohl die Finanzierungsfrage als auch Anlagenbau, Fachausbildung und Infrastruktur umfassen. In vielen und regelmäßigen Gesprächen mit Vertretern aus der Region der ASEAN-Staaten ist deutlich geworden, dass bei den erneuerbaren Energien hohe Erwartungen an Deutschland gestellt werden. Auch wenn wir Grüne die schleppende und unambitionierte Umsetzung der Energiewende in Deutschland aus guten Gründen kritisieren – wir haben immer noch einen hohen Vertrauensvorschuss gerade auch der ASEAN-Staaten. Eine deutsche Unterstützung wird deshalb geradezu erwartet. Erfreulicherweise nehmen einzelne Akteure wie die AIIB die von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages vorgetragene Forderung nach Nichtförderung fossiler und nuklearer Energieträger ernst. Dies ist aber nicht bei allen Akteuren der Fall – wie ich als Vorsitzender der ASEAN-Parlamentariergruppe bei Gesprächen in Indonesien noch in diesem Oktober erfahren konnte. Hier ist ein Umdenken erforderlich. Eine veränderte Strategie mit einem dezentralen Ausbau der Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien würde im Übrigen Chancen für den deutschen Mittelstand eröffnen. Dieser ist aber in der Energiebranche in der Region noch nicht wirklich vertreten. Damit ließe sich noch deutlich stärker „deutsches Know-how nutzen“, wie es der Antrag der Koalition fordert. Hier noch stärker zu fördern, wird eine wichtige Aufgabe auch der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sein. Ich würde mich freuen, wenn es der Bundesregierung gelingt, mit einer konzertierten Aktion bei den „erneuerbare Energien für ASEAN“ in der Zusammenarbeit der Staaten und mit den entsprechenden Institutionen wesentliche Entwicklungsimpulse in den ASEAN-Staaten zu setzten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird entsprechende Maßnahmen weiterhin mit voller Kraft und Überzeugung unterstützen. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken (Tagesordnungspunkt 23) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Wenn heute im allgemeinen Sprachgebrauch von Europa die Rede ist, hat dies unter anderem damit zu tun, dass wir trotz aller Unterschiede und obwohl wir teilweise nicht in allen Belangen mit einer Stimme sprechen, in wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und zunehmend auch gesellschaftlich-sozialen Bereichen die Einheit in Vielfalt leben. Die sprichwörtliche Vielfalt und die nationalen Eigenheiten sind dabei ein konstitutives Kontinuum unseres Erfolges. Kommt die Rede hingegen auf Afrika, entsteht gedanklich jedoch leider oft ein monolithischer Block, in dem nationale, regionale und auch kulturelle Besonderheiten unterzugehen drohen. Dass wir im heute debattierten Antrag dagegen von „Partnern in Subsahara-Afrika“ sprechen, zeigt, dass wir uns beim Ausbau der Wissenschaftskooperationen dieser Unterschiede durchaus bewusst sind und individuelle Ansätze je nach den im jeweiligen Land vorzufindenden Bedingungen anwenden. Allein die Vielzahl der Ressorts, Akteure und Mittlerorganisationen, die in die Umsetzung von Afrika-zentrierten Strategien eingebunden sind, zeugt von unserem multidimensionalen und Multi-Ebenen-Ansatz. Hier gilt es, zukünftig die Aktivitäten von BMBF, BMZ, AA und BMEL sowie weiterer Ministerien auf der einen und die Programme und Projekte der Mittlerorganisationen wie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft noch stärker aufeinander und auf die Voraussetzungen vor Ort abzustimmen. Mit besonderem Nachdruck möchte ich einen Passus betonen, der für unsere gesamte auswärtige Bildungspolitik gelten sollte: „Es geht dabei nicht um einen Nord-Süd-Transfer von wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern darum, einen guten Rahmen für das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen zu finden.“ Erfolgreiche Kooperationen, ob sie nun in der Wissenschaft, in der Wirtschaft oder auf gesellschafts- und entwicklungspolitischer Ebene stattfinden, müssen sich immer an der Realität orientieren. Diese von Deutschland und von Europa aus an Annahmen entlang zu entwerfen, ist ein Ansatz, den wir vor dem Ziel einer guten partnerschaftlichen Kooperation nicht mehr leisten können, aber auch nicht mehr leisten wollen. Die Beispiele der erfolgreichen Fachzentren Afrika, die Kooperationen zwischen deutschen und Hochschulen unter anderem in Südafrika, Ghana, Namibia, Tansania und Kongo fördern, zeigen, dass Bereiche wie Mikrofinanzen, Ressourcenmanagement, Bildungsforschung und weitere aus den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort anders gedacht werden müssen, ohne dabei überkommenen europäischen Entwicklungspfaden zu folgen. Von besonderer Bedeutung auch für die Nachhaltigkeit der entstandenen Kooperationen ist zudem der Transfer wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis, also der Aufbau funktionierender Cluster aus Hochschulen, Wirtschaft und gesellschaftlichen Akteuren. Auf Grundlage der Ergebnisse der afrikazentrierten Bildungsforschung kann beispielsweise mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit entlang der Bedarfe der Bevölkerung und der Wirtschaft vor Ort an selbsttragenden Systemen guter beruflicher Bildung gebaut werden, als dies nur auf Basis europäischer Forschungsergebnisse möglich wäre. Ich begrüße es ausdrücklich, dass bereits 2013 eine Absichtserklärung zwischen BMBF und dem südafrikanischen Ministerium für Hochschulwesen und Ausbildung (DHET) zur Kooperation in der Berufsbildung unterzeichnet wurde, deren Ziel es unter anderem ist, die Ausbildung dort praxisnäher zu gestalten und in den kommenden Jahren mit dem South African Institute for Vocational and Continuing Education and Training (SAIVCET) ein Berufsbildungsinstitut aufzubauen. In diesem Rahmen ist es unumgänglich, mit allen nationalen und regionalen Partnern südlich der Sahara die Voraussetzungen für allgemeine, berufliche und hochschulische Bildung zu verbessern, um der wachsenden jungen Bevölkerungsschicht die Möglichkeit zu eröffnen, die oft beschworenen Potenziale des Kontinents der Chancen auch wahrzunehmen. Letztlich können auch wir in Europa, in unserer gemeinsamen Vielfalt aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen in und aus Afrika lernen – angefangen bei einer sinnvollen und nachhaltigen Ressourcennutzung bis hin zum gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Transformationsprozessen. Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Es wird oft gesagt, dass wir als Europäer und Deutsche ein sehr einseitiges Bild von Afrika pflegen. Erst einmal täuscht natürlich dieser Begriff „Afrika“, der eine solche Vielzahl an Sprachen, Religionen und Kulturen dieses großen Kontinents in eins fasst, über die vielfältige Wirklichkeit hinweg. Und dann überwiegen doch in unserer Wahrnehmung die Krisenmeldungen, die uns von dort erreichen. Oft zitiert wird Henning Mankell: „Wenn wir uns am Bild der Massenmedien orientieren, lernen wir heute alles darüber, wie Afrikaner sterben, aber nichts darüber, wie sie leben.“ Das stimmt. Ich meine, wir sollten uns die Mühe machen, auch aus einer anderen Perspektive auf diesen Kontinent zu blicken. Ich will einige Versuche dazu machen, ein anderes Bild von Afrika zu zeigen. Erstens. Als Bildungspolitikerin sehe ich es natürlich so: Das größte Potenzial, das Afrika zu bieten hat, ist seine junge Generation. Schon heute ist die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung jünger als 18 Jahre, und bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung verdoppeln auf dann über 2 Milliarden Menschen. Sie alle brauchen eine gute Bildung als Voraussetzung, um dieses Potenzial auch zu entfalten. Das Hochschul- und Wissenschaftssystem spielt dabei eine entscheidende Rolle: für Lehrerbildung und damit für qualitätsvolle Schulbildung, für Hochschullehrernachwuchs und damit relevante Studienangebote, die arbeitsmarktorientiert ausbilden und Forschungsleistungen ermöglichen, die neue Lösungen für die wirtschaftliche, aber auch die gesellschaftliche Entwicklung bringen. Außerdem bieten Hochschulen auch wissensbasierte Beratung für Politik und Verwaltung an. Zweitens. Als Forschungspolitikerin bin ich beeindruckt von Innovationen, die in Afrika erdacht wurden: zum Beispiel die Erfindung aus Kenia, „m-Pesa“, was auf Suaheli „mobiles Geld“ bedeutet. Per SMS können afrikanische Mobilfunkkunden – und ein Handy besitzen die allermeisten Menschen dort – Geld überweisen, auch wenn sie kein Bankkonto besitzen. Das war die Ursprungsidee. Über die letzten Jahre wurde dies immer praktischer: Man kann im Supermarkt per Handy bezahlen, seine Stromrechnung begleichen, sogar günstige Kleinkredite bei Banken anfragen. Oder eine Idee, die zurzeit in Ruanda erprobt wird: Um Medikamente und Blutkonserven trotz mangelnder Infrastrukturen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden, verschickt man sie hier mit Drohnen. Da finden technologische Sprünge statt, in denen Zwischentechnologien, wie wir sie nutzen, einfach ausgelassen werden. Darüber sollten wir auch einmal reden, wenn wir von Afrika sprechen! Es zeigt ein anderes Bild von Afrika! Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam als Partner lösen können: aus dem globalen Norden und Süden, mit den jeweiligen Herangehensweisen und Ideen. Spitzenforschung lebt vom Austausch der Ideen, von verschiedenen Blickwinkeln. Wissenschaft bietet sich hervorragend dazu an, gemeinsame Lösungen zu finden für die großen globalen Herausforderungen. Ob es um Folgen des Klimawandels oder die Behandlung global bedrohlicher Krankheiten geht – wir benötigen gemeinsam erarbeiteten Erkenntnisgewinn. So hilft Wissenschaft, etwas zu tun, das von der Politik oft gefordert wird: nämlich, die Globalisierung aktiv und positiv zu gestalten. Darum fördert die Bundesregierung internationale Kooperationen in Forschung und Wissenschaft. In unserem Antrag heute nehmen wir Subsahara-Afrika in den Blick, eine Region, die uns nicht unbedingt einfällt, wenn wir an Spitzenforschung oder erstklassige Hochschulausbildung denken. Gemeint sind alle afrikanischen Staaten außer den fünf arabisch geprägten Ländern am Mittelmeer. Und es stimmt schon: Die Hochschulen dort, die Bildungs- und Wissenschaftssysteme sind an vielen Stellen dringend ausbaubedürftig. Ein Beispiel, wo wir bereits unterstützen: Mit 1 000 Stipendien fördern wir die qualitätsvolle Ausbildung von Hochschullehrern. Künftig wollen wir die Lehrqualität auch steigern, indem wir afrikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in aller Welt arbeiten, als sogenannte „flying faculties“ für kurzzeitige Lehraufträge an Hochschulen in ihren Heimatländern gewinnen. Es gibt aber auch jetzt schon eine Reihe von erfolgreichen Kooperationen deutscher Institutionen mit Partnern aus Subsahara, auch in der Forschung. Zum Beispiel die Klimakompetenzzentren in West- und dem südlichen Afrika. Dort wird erforscht, wie die Landnutzung den Folgen des Klimawandels so angepasst werden kann, dass es trotz zunehmender Dürren noch Ernten geben kann und Artenvielfalt möglichst erhalten wird. Das Besondere ist, dass die Erkenntnisse der Wissenschaft gleich an die ansässigen Bauern und lokalen Verwaltungen so weitergegeben werden, dass sie sie nutzen können. Da entsteht Expertise bei afrikanischen Forschern, die von der lokalen Gesellschaft gleich angewandt wird. Und zum Schluss ein kühner Blick in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, der nächste Einstein käme zum Beispiel aus dem Senegal. Es gibt schon eine Initiative, die mathematische Forschung in Subsahara-Afrika stärken will. Wir fördern den Aufbau neuer Lehrstühle, und vielleicht studiert oder forscht der nächste Einstein bereits dort. Wir halten dieses Ziel für durchaus realistisch. Das eröffnet doch ein ganz anderes Bild von Afrika! Dr. Daniela De Ridder (SPD): Mit dem heute vorliegenden Antrag zur Stärkung der Wissenschaftskooperationen in Subsahara-Afrika bringen wir eine außen- und bildungspolitische Initiative voran und leisten einen elementaren Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Wie unser Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier stets betont, ist die Welt auf immer deutlichere und spürbare Weise aus den Fugen geraten. Wer Krisen bewältigen, Konflikte lösen und Frieden herstellen oder beibehalten will, muss auf einen Soft-Power-Ansatz bauen. Internationale Solidarität und Zusammenarbeit, die durch militärische Bedrohungen, ökonomische Zwänge verhindert werden, lassen sich – so hat es der Politikwissenschaftler Joseph Nye immer wieder betont – eben doch nur durch kulturelle und bildungspolitische Zusammenarbeit herstellen oder erhalten. Dann bedarf es politischer Werte und einer intelligenten auswärtigen Politik, wie sie das Auswärtige Amt, AA, – allen Horrorszenarien zum Trotz – aktuell mit Bravour betreibt. Da steht es der Großen Koalition gut zu Gesicht, sich im Interesse der Friedenssicherung in den unterschiedlichen Politikfeldern stärker zu vernetzen. Wissenschafts-, Bildungs- und Hochschulpolitik müssen in Anbetracht der weltweiten Verantwortung immer auch Wirtschafts-, Entwicklungs- und Außenpolitik in den Blick nehmen. Unser ressortübergreifender Antrag wird genau dieses Anliegen stärken. Mit diesem weit über die Bildungspolitik hinausreichenden Bestreben wollen wir gerade die armen Länder stärken und ihnen durch Bildungs-, Forschungs- und Hochschulpolitik neue Chancen eröffnen. Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, BMBF, und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, sowie die weiteren Ressorts stehen zu ihrer Verantwortung. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass wir für eine verantwortungsvolle Außen- und Entwicklungspolitik mehr tun müssen, als ausschließlich auf Sicherheitskooperationen zu setzen. Daher haben wir uns in der Großen Koalition vertiefend der Frage gewidmet, was wir für eine effektive Stabilisierung von Ländern und Regionen in Afrika tun können. Dieser Antrag macht unsere zukunftsweisenden Antworten deutlich: Eine nachhaltige und zugleich globale Strategie für die Schaffung von Versorgungssicherheit, ein funktionierendes Sozialsystem, eine starke Wirtschaft und demokratische Strukturen müssen auf Bildung fußen. Reiche Länder wie Deutschland müssen ein Fundament schaffen und damit die Hilfe zur Selbsthilfe in den Ländern des Südens stärken. Daher setzen wir neben dem Austausch von Nachwuchskräften in Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft vor allem auf den institutionellen Aufbau von internationalen Bildungsstrukturen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst, DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, AvH, sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, sind wichtige Mittler- und Partnerorganisationen für eine grenzüberschreitende Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Sie unterstützen bereits seit längerem den Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Stärkung von Forschung und Entwicklungsvorhaben sowie den Aufbau von Strukturen. Ihr Beitrag ist besonders wertvoll. Lassen Sie mich betonen, dass wir eine starke und ressortübergreifende Strategie für die Stärkung des Austausches der zukünftigen Generationen durch den Aufbau von transnationalen Bildungskooperationen auf den Weg gebracht haben. Dies wollen wir nun maßgeblich erweitern. Die Vereinten Nationen verfolgen mit der Umsetzung der Sustainable Development Goals, SDGs, einen ganzheitlichen Ansatz für eine stabile und friedenspolitisch höchst wertvolle Zukunft auf unserem Planeten. Bildung nimmt dabei die zentrale Rolle ein, da nur sie zur Autonomie und Prosperität und damit zum Empowerment befähigen und es konsolidieren kann. Daher müssen zwei Aspekte besonders berücksichtigt werden: Erstens gilt es, die Abwanderung qualifizierten Personals aus den Staaten der Subsahara zu vermeiden. Ein „Braindrain“ muss unbedingt vermieden werden. Daher gilt es, auf die richtigen Anreize für einen Verbleib von qualifizierten Fachkräften sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum Aufbau lokaler Strukturen zu setzen. Fachkräfte müssen in den Ländern Subsaharas qualifiziert und mit Arbeitsplätzen in ihren Heimatländern versorgt werden. Zweitens müssen sich transnationale Bildungskooperationen an den konkreten Bedarfen der heimischen Gesellschaften orientieren. Im hochschulischen Bereich ist es daher existenziell, dass das Augenmerk auf das Modell der angewandten Forschung und Lehre gelegt werden muss, wie es etwa unsere Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften auch in Kooperation mit den Ländern Afrikas anbieten können. Wenn es uns gelingt, neben den Institutionen und den Chancen zum Austausch die nötigen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung zu etablieren, können wir eine stabile, friedliche und sozial gerechte Zukunft auch international verwirklichen. Für die Grundlage einer auf Bildung und Wissenschaft aufbauenden Entwicklungspartnerschaft wollen wir daher ganz konkrete Anliegen umsetzen. So heißt die primäre Devise: Erstens bestehende Stipendienprogramme weiterführen und ausbauen. Wir fördern bereits mit 1 000 zusätzlichen Stipendien für angehende Hochschullehrerinnen und -lehrer die hochschulischen Bildungsstrukturen und schaffen mit den Programmen von DAAD und AvH die Chancen zum personellen Austausch. Mit unserem Antrag leiten wir den Ausbau und die Erweiterung der Programme ein. Zweitens wollen wir institutionelle Förderung nicht nur über die hervorragende Arbeit der Grünen Innovations- sowie Fachzentren in Afrika weiter voranbringen, sondern darüber hinaus eine Hochschule für angewandte Wissenschaften in Kenia nach dem Beispiel der German-Jordanian-University etablieren. In diesem Sinne gilt es, akademische Bildung entlang der Bedarfe der Gesellschaft im Subsahara-Raum zu kreieren. Drittens bekennen wir uns zur Stärkung und Entwicklung von Partner- und Forschungsnetzwerken in Subsahara-Afrika und setzen auf einen transnationalen Ansatz. Hierbei gilt es, verstärkt die Mittlerorganisationen wie DFG, Max-Planck-Gesellschaft, MPG, Helmholtz-Gemeinschaft, HGF, Leibniz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, FhG, sowie DAAD und AvH mit einzubeziehen und eine kohärente ressortübergreifende Politik abzustimmen. Mit dem vorliegenden Antrag nehmen wir unsere Verantwortung wahr, eine Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe weiterzuentwickeln und zu stärken. Wir kommen damit unserer globalen Verantwortung nach, einen nachhaltigen Beitrag für die Bekämpfung von Fluchtursachen zu leisten, auch wenn der vor uns liegende Weg noch sehr steinig sein mag. Ich bin guten Mutes, dass wir auch in Zeiten schwelender Krisen und unmenschlicher Kriege unserer Verantwortung gerecht werden können. Daher möchte ich mich bei allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen und insbesondere bei der Kollegin Dr. Claudia Lücking-Michel sowie bei meinem Kollegen Dr. Karamba Diaby herzlich für die geleistete Arbeit bedanken und wünsche Ihnen eine friedvolle Weihnachtszeit, damit wir im kommenden Jahr unsere wichtigen Aufgaben mit Bravour meistern können. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Die Koalition hat hier einen ausführlichen Antrag zur Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika vorgelegt, der leider einer ernsthaften Beschäftigung mit den Problemen dieser ärmsten Region der Welt überhaupt nicht gerecht wird: Im dritten Satz Ihres Antrages schreiben Sie: „Leistungsfähige Hochschulsysteme sind wesentliche Grundlage für die Generierung von Wissen und Innovation.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, mit solchen Feststellungen zeigen Sie entweder Ignoranz gegenüber den grundlegenden Problemen in Südsahara-Afrika oder völlige Unkenntnis. Die Realität ist, dass in Afrika südlich der Sahara die Zahl der Kinder ohne Grundschulzugang teilweise wieder stark ansteigt. Die Alphabetisierungsrate in der Demokratischen Republik Kongo liegt beispielsweise bei gerade einmal zwei Drittel und ist über die letzten Jahrzehnte rückläufig. Infolge des Krieges ging der Anteil der kongolesischen Kinder, die eine Schule besuchen, von rund 70 Prozent auf nunmehr etwa 40 Prozent zurück. Die meisten Schulen erhalten keine staatliche Unterstützung, sondern die Eltern müssen die Lehrer und Lehrerinnen direkt bezahlen, was viele nicht können. Auf eine schriftliche Frage des Kollegen Movassat musste die Bundesregierung 2014 erklären, dass nur 2,25 Prozent der Gelder für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit in Grundbildung gehen. Das ist viel zu wenig. Auch die 7 Millionen Euro jährlich an die Globale Bildungspartnerschaft GPE sind viel zu wenig. Die Linke forderte für den Haushalt 2017 einen Aufwuchs auf mindestens 40 Millionen Euro. Selbstverständlich unterstützt die Linke internationale Wissenschafts- und Forschungskooperation, insbesondere auch zu Fragen des Klimawandels und seinen Folgen in den verschiedenen Regionen. Aber die Bundesregierung hat wirklich kein Recht dazu, sich als Förderin von Bildung und Entwicklung in den ärmsten Ländern der Welt darzustellen. Mit Elite-Stipendienprogrammen, Exzellenzzentren und Leuchtturmprojekten leisten Sie eben keinen Beitrag dafür, das Bildungsniveau für die breite Mehrheit zu heben oder die Massenarbeitslosigkeit und die furchtbare Armut in der Region zu bekämpfen. Und natürlich ist auch an dieser Stelle die Verantwortung Deutschlands für die Kriege und Konflikte in der Region zu betonen: Als drittgrößter Waffenexporteur der Welt tragen Sie einen großen Teil der Verantwortung dafür, wenn die von deutschen Unternehmen produzierten Waffen im südlichen Afrika eingesetzt werden. Südafrika, einer der größten Abnehmer deutscher Waffen, ist nach Beendigung der Apartheid zum Dreh- und Angelpunkt des Waffenhandels avanciert. Wie gesagt, die Linke unterstützt selbstverständlich internationale Wissenschafts- und Forschungszusammenarbeit. Aber den Problemen in Subsahara-Afrika werden Sie mit diesem Vorgehen in keinster Weise gerecht. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es keimt Hoffnung auf dem afrikanischen Kontinent. In vielen Ländern wächst die Wirtschaft – allerdings ausgehend von einem niedrigen Niveau. Deshalb hat Afrika noch einen langen Weg vor sich, um zu anderen Regionen der Welt aufzuschließen. Die Risiken sind nach wie vor groß: Einzelnen Ländern und Regionen mangelt es an politischer Stabilität und Good Governance, rechtsstaatlichen und demokratischen Strukturen sowie der tatsächlichen Sicherung von Grund- und Freiheitsrechten aller Menschen. Konflikte sind eine der Hauptbedrohungen für das Wirtschaftswachstum Afrikas. Afrika hat viele kluge Köpfe und Talente, immenses kulturelles und kreatives Potenzial. Zugleich fehlen aber qualifizierte Fachkräfte, mit denen der wirtschaftliche Erfolg verstetigt und gesteigert werden kann. Deutschland muss aus meiner Sicht alles dafür tun, dass aus Hoffnung eine robuste Entwicklung zum Wohle aller Menschen auf dem afrikanischen Kontinent wird. Deutschland muss ein verlässlicher Partner afrikanischer Länder sein. Diese Absicht sehe ich auch bei der Bundesregierung und auch in dem Antrag „Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken“ der Fraktionen von Union und SPD, den wir hier heute in erster Lesung diskutieren. Der Antrag ist stark in der gebündelten Leistungsschau bestehender Kooperationen. Er fällt deutlich ab, wenn es um Ideen für die künftige Entwicklung nachhaltiger wissenschaftlicher Zusammenarbeit geht. Es hätte gutgetan, den Antrag mit der Expertise aller Bundestagsfraktionen zu erarbeiten. Diese Chance haben Union und SPD verpasst. Wissenschaft, Forschung und Innovation können wichtige Beiträge zur nachhaltigen, gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Entwicklung leisten. Aber es muss auch die Basis stimmen – also die Grundbildung. Erfreulich ist, dass es neben Wirtschaftswachstum auch teilweise entwicklungspolitische Fortschritte im Sinne der Millennium Development Goals gibt. Acht von zehn Kindern aus Ländern Subsahara-Afrikas besuchten 2015 eine Grundschule. 2000 waren es nur 60 Prozent. Das zeigt, dass das Entwicklungsziel 100 Prozent noch nicht erreicht ist und weitere Anstrengungen notwendig sind. Zugleich sagt die Beschulungsquote wenig aus über die Bildungsqualität. Das Bekenntnis zu Alphabetisierung, Bildung und Qualifizierung als Grundlage gesellschaftlichen Erfolgs und wissenschaftlichen Fortschritts fehlt dem Antrag der Koalition leider. Durch den vermehrten Schulbesuch wächst die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Ländern südlich der Sahara, die die Schule abschließen, exponentiell. Die Wirtschaft der Länder hat wachsenden Bedarf an Fachkräften. Beides zieht neue Anforderungen und Herausforderungen für die afrikanische Hochschullandschaft und des Ausbildungssystems nach sich. Dafür sind aber nur wenige Staaten der Region gerüstet, zumal die Hochschulen in vielen Subsahara-Staaten geprägt sind von jahrzehntelanger Unterfinanzierung, maroder Infrastruktur, fehlendem wissenschaftlichen Nachwuchs oder auch der Zerstörung durch kriegerische Auseinandersetzungen. Allein schon, um die grundsätzlichen Voraussetzungen für Studieren, Lehren und Forschen zu schaffen, ist deutsche Unterstützung gefragt. Deutsche Investitionen in leistungsfähigere Hochschulen vor Ort sind sinnvoll, sofern politische Stabilität gegeben ist und ein Land nicht in bürgerkriegsähnliche Zustände abzusinken droht. Wissen schafft Konfliktprävention, Frieden, Freiheit und Sicherheit. Es fällt auf, dass sich das deutsche Engagement für engere Wissenschaftskooperation auf dem afrikanischen Kontinent auf einzelne Länder fokussiert, und – umgekehrt – um einzelne andere einen Bogen macht. Sich „blinden Flecken“ zuzuwenden, halte ich für wichtig, um gleichwertige Lebensverhältnisse anzupeilen und herzustellen. Die Chancen, die sich aus Hochschulbildung und Forschung ergeben, werden von afrikanischer Seite wieder stärker hervorgehoben. Auch von deutscher Seite ist das Interesse an Kooperation traditionell hoch und weiter gewachsen. Schon jetzt bestehen laut Hochschulrektorenkonferenz über 400 offizielle Partnerschaften zwischen deutschen und afrikanischen Hochschulen. Über diese Partnerschaften sollte es gelingen, mehr Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ländern Subsahara-Afrikas für einen zeitweisen Aufenthalt in Deutschland zu gewinnen – im Sinne einer Brain Circulation bzw. zirkulären Migration statt Braindrain und Abwerbung. Natürlich müssen die deutschen Hochschulen besser auf die afrikanischen Studierenden vorbereitet sein, damit studieren und echter Austausch gelingt. Wichtig ist mir aber auch, dass wir mehr Deutsche ermuntern, in Afrika zu forschen, zu lehren oder zu studieren. Konkrete Ziele oder zukunftsgerechte Meilensteine vermisse ich dazu im Antrag der Regierungsfraktionen. Das Interesse an Wissenschaftskooperation ist groß, sowohl in Deutschland als auch in den Ländern südlich der Sahara. Darauf gilt es aufzubauen. Hinzu kommt, dass Deutschland ein angesehener Partner ist, weil es sich bemüht, so zu kooperieren, dass für alle Seiten Win-win-Situationen entstehen. Wissenschaftsfreiheit, kreatives neugiergetriebenes Forschen, herausragende Lehre sowie wissenschaftliche Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen sind von beidseitigem elementaren Interesse. Diese günstige Konstellation sollten wir gemeinsam nutzen. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) – des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Reiner Meier (CDU/CSU): Schon im 19. Jahrhundert hat die katholische Soziallehre den Grundsatz der Subsidiarität formuliert. Kerngedanke ist, dass die jeweils sachnähere Ebene alle Entscheidungen treffen sollte, die nicht unbedingt von einer höheren Ebene getroffen werden müssen. Das ist eine gute Maxime für die Aufteilung von Kompetenzen im Staatsaufbau und sorgt für praxisnahe Entscheidungen. Nach diesem Prinzip der Subsidiarität funktioniert auch die Selbstverwaltung in Deutschland, die sich bei den Kommunen, an den Hochschulen und auch im Gesundheitswesen seit vielen Jahren bewährt hat. Klar ist, dass die Strukturen der Selbstverwaltung mit ihren wachsenden Aufgaben und ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern Schritt halten müssen. Dies gilt umso mehr, als ihr im Gesundheitswesen die Verwaltung von Beitragsmitteln in erheblichem Umfang anvertraut ist. Wir haben das Gesetz deshalb das „Selbstverwaltungsstärkungsgesetz“ getauft; denn das zeigt ganz eindeutig die Richtung: Es geht primär darum, die Strukturen innerhalb der Selbstverwaltung im Sinne einer Good Governance zu optimieren und weiterzuentwickeln. Dazu stärken wir die Transparenz im Verwaltungshandeln und bauen die Informations- und Kontrollrechte der Vertreterversammlungen gegenüber den Vorständen deutlich aus. Etwaige Fehlentwicklungen können so frühzeitig erkannt, abgestellt und künftig vermieden werden. Im äußersten Falle erhalten die Vertreterversammlungen beziehungsweise die Verwaltungsräte das ausdrückliche Recht, den Vorstand mithilfe eines konstruktiven Misstrauensvotums abzuberufen. All dies sind wohlgemerkt interne Vorgänge der jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaft. Das zeigt: Wir betonen mit diesem Gesetz das Prinzip der Eigenverantwortung und der Selbstkontrolle. Ergänzend zur Selbstkontrolle werden wir aber auch die Befugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit im Rahmen der Rechtsaufsicht weiterentwickeln. Hier haben wir uns aus guten Gründen gegen eine Fachaufsicht ausgesprochen. Bei einer Fachaufsicht könnte letztlich in jede Einzelentscheidung hineinregiert werden. Das halte ich für unvereinbar mit dem Grundgedanken der Selbstverwaltung. Die Rechtsaufsicht bleibt deshalb der richtige Maßstab. Dabei muss jedoch eines ganz unmissverständlich klar sein: Verstöße gegen geltendes Recht werden auch im Rahmen der Rechtsaufsicht geahndet. Die Selbstverwaltung ist Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und damit gemäß Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes ausdrücklich an Recht und Gesetz gebunden! Ich will nicht verhehlen, dass ich vor diesem Hintergrund manche Verhaltensweisen der vergangenen Jahre – sowohl aufseiten der Kostenträger wie auch aufseiten der Leistungserbringer – mit größtem Befremden zur Kenntnis genommen habe. Wenn wir heute die parlamentarischen Beratungen des Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes beginnen, dann tun wir das in dem Bewusstsein, dass die Selbstverwaltung als Institution ganz gewiss schon bessere Tage erlebt hat. Wir sollten uns aber auch den Wert eines Systems vor Augen halten, das über die Jahre immer wieder dazu beigetragen hat, Sachverstand und Eigenverantwortung in der Krankenversicherung zu stärken, ein System, das die oft abstrakten Vorgaben des Gesetzgebers in eine vollziehbare Form konkretisiert und dabei insgesamt eine breite Akzeptanz der gefundenen Regelungen gewährleistet. In diesem Sinne glaube ich, dass der Gesetzentwurf eine gute Grundlage bietet, um die Selbstverwaltung für die nächsten Jahre fit zu machen, und ich freue mich auf gute Beratungen im Ausschuss. Hilde Mattheis (SPD): Wie beraten hier heute Abend in erster Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der sich mit nichts weniger als einem zentralen Gestaltungsmerkmal der gesetzlichen Krankenversicherungen befasst. Deshalb möchte ich zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen machen, was uns Sozialdemokraten im Zusammenhang mit Selbstverwaltung bewegt. Selbstverwaltung hat in all ihren Ausprägungen maßgeblich zur Erfolgsgeschichte solidarischer Versicherungssysteme beigetragen. Dafür ist die gesetzliche Krankenversicherung nur ein Beispiel unter vielen. Bereits mit der kaiserlichen Botschaft von 1881 wurde sie als tragendes Prinzip verankert und ausgenommen die Zeit des Nationalsozialismus war sie stets eine gestalterische Kraft, ohne die die Bundesrepublik heute völlig anderes aussähe. Und es ist auch nicht übertrieben, zu sagen, dass man uns für diese Institution international beneidet. Zwei Dinge sind für uns im Zusammenhang mit Selbstverwaltung entscheidend: Mitbestimmung und staatsferne Organisation in eigener Sache. Nun muss ich Ihnen unsere Leidenschaft und Überzeugung zur Frage der Mitbestimmung sicher nicht mehr erläutern. Deshalb will ich kurz darauf eingehen, welche Bedeutung der eigenverantwortlichen Organisation zukommt. Denn eigenverantwortliches Handeln von Akteuren im Rahmen der Selbstverwaltung bietet viele Vorteile. Auf der einen Seite werden sachdienliche Entscheidungen getroffen, die ohne das Wissen und die Kompetenz in der Sache nie zustande kämen. Gleichzeitig binden diese eigenverantwortlichen Entscheidungen zu Detailfragen wiederum die Entscheidungsträger und machen sie zu einer aktiven gesellschaftlichen Kraft. Der Gewinn für uns alle in der Gesellschaft ist daher nicht zu unterschätzen. Und ein weiterer Punkt ist bedeutend. Denn für uns als Politik tragen diese Entscheidungen erheblich zur Entlastung staatlichen Handelns bei. Gute politische Arbeit – und das betone ich ausdrücklich – wäre aus unserer Sicht ohne diesen Entlastungseffekt bei weitem nicht so effektiv möglich. Ich hebe das deshalb hervor, weil beide Aspekte für die hier zu führende Diskussion um die betroffenen Spitzenorganisationen der gesetzlichen Krankenversicherung von zentraler Bedeutung sind. Und ich rede dabei nicht nur von historisch gewachsenen Charakteristika einer Institution. Vielmehr verknüpfen sich für uns Sozialdemokraten hiermit schon angedeutete normative wie funktionale Ansprüche, an denen sich jeder ordnungspolitische Eingriff in Formen der Selbstverwaltung messen lassen muss. Demnach sind zwei Fragen von Bedeutung. Erstens: Welche Auswirkungen hat das hier vorliegende Gesetz auf die Formen der Mitbestimmung? Und zweitens: Ist in den betroffenen Organisationen auch zukünftig die staatsferne Organisation und mit ihr die Handlungsfähigkeit – natürlich unter staatlicher Aufsicht – sichergestellt? Würden wir uns diese Fragen nicht stellen, so würden wir schlicht der Bedeutung der Selbstverwaltung für die GKV nicht gerecht. Und hier ist es zunächst einmal egal, ob es sich um Organisationen mit sozialpartnerschaftlicher Struktur oder um Organisation mit berufsständischer Ausrichtung handelt. So viel zur grundsätzlichen Einordnung. Ich weise an dieser Stelle noch einmal darauf hin, dass es sich bei dem hier vorliegenden Gesetzentwurf explizit um einen Entwurf der Bundesregierung handelt. Trotz des ambitionierten Zeitplans wurde das Gesetz nicht parallel durch die Fraktionen eingebracht, um das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen. Dies ist zwar durchaus nichts Außergewöhnliches, nur ist es mir an dieser Stelle wichtig, dies zu betonen. Denn gerade beim hier vorliegenden Gesetz sollten wir uns auch die Zeit nehmen und in Ruhe abwägen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, warum wir uns heute hiermit befassen. Ich will es uns allen aber gern noch einmal kurz in Erinnerung rufen. Die Vorgänge in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung lassen mich persönlich – vielleicht spreche ich ja sogar für uns alle – nur mit dem Kopf schütteln. Lassen Sie mich eines klarstellen: Die Vorwürfe müssen restlos aufgeklärt werden. Ich kann für die Fraktion der SPD sagen, dass wir den Aufarbeitungsprozess sehr genau beobachten, und wir werden dies auch weiterhin tun. Eines ist jetzt schon klar, einige wenige in der KBV haben dem Ansehen der Kassenärzte enorm geschadet. Wer Mitgliedsbeiträge für eine Organisation zahlt, muss sich darauf verlassen können, dass die Mittel auch sachgerecht und regelkonform verwendet werden. Da kommt es auf die Vertrauenswürdigkeit des Hauptamtes genauso an wie darauf, dass die Aufsicht gegebenenfalls auftretende Unregelmäßigkeiten erkennt und sofort unterbindet. Daher erwarte ich insbesondere vom im Frühjahr neu zu wählenden Vorstand der KBV nichts weniger als einen Wandel der Kultur. Denn – und das ist entscheidend – nicht nur die Kassenärzte leiden unter Ansehensverlust, sondern die Selbstverwaltung insgesamt. Das kann und werden wir Sozialdemokaten nicht akzeptieren. Nun dürfte meine Auffassung zur Sache kein Geheimnis sein. Ich will es noch einmal so formulieren: „Du kannst nicht alle schlagen, wenn du einen treffen willst.“ Das ist für mich schlicht einen Frage guter und letztlich auch glaubwürdiger politischer Arbeit. Und das ist neben dem generellen Wert von Selbstverwaltung auch der Grund, dass explizit wir als SPD-Bundestagfraktion bereits beim Zustandekommen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für Korrekturen des politischen Vorhabens – insbesondere in Sachen der Aufsicht – gesorgt haben. Nur ein paar Stichworte: Genehmigung des Haushalts, raus. Vorgaben der Aufsicht zu unbestimmten Rechtsbegriffen ohne Klagemöglichkeit ist raus. Eingriffe in Richtlinien des G-BA, auch raus. Unterm Strich bleibt es bei der Rechtsaufsicht des BMG über die Spitzenorganisationen der GKV. Einer Fachaufsicht erkläre ich hier erneut eine klare Absage. Ich muss allerdings an dieser Stelle auch einen Dank an die Union richten, ohne die das in einer Koalition bekanntlich nicht möglich gewesen wäre. Ich will nur sagen: Die Koalition hat in diesem Fall schon vor dem Beginn des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens gut zusammengearbeitet. Dank dafür! Nun wird es für uns als SPD im parlamentarischen Verfahren darauf ankommen, dass die Detailregelungen im Gesetz mit den Prinzipien und der Bedeutung der Selbstverwaltung vereinbar sind. Nur eine wirkliche Stärkung der Selbstverwaltung mit Blick auf Mitbestimmung und Handlungsfähigkeit wird auch die Unterstützung bei den Akteuren finden, die wir brauchen, um die Institution insgesamt zukunftsfähig zu machen. Denn wir brauchen uns keinen Illusionen hinzugeben. Ein solches Gesetz hat mit seinen Details auch immer eine gewisse Strahlkraft in andere Bereiche und die Zukunft. Das gilt besonders für die Selbstverwaltung. Klar ist, wir Sozialdemokraten halten an der Selbstverwaltung fest und wollen und werden sie stärken. Eine Einschränkung oder gar eine Abwicklung ist mit uns nicht zu machen. Dafür ist sie zu essenziell für das Funktionieren unseres Gemeinwesens. Harald Weinberg (DIE LINKE): Wie so oft in der jüngeren Vergangenheit will die Bundesregierung etwas stärken. Neben dem sogenannten Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz, dem Pflegestärkungsgesetz, dem Versorgungsstärkungsgesetz kommt nun also das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz. Bei dem Thema bleibt festzuhalten: Die Menschen in Deutschland haben nicht das beste Bild von der Selbstverwaltung im Gesundheitssystem. Schaut man ein wenig hinter die Kulissen, muss man auch sagen: In der Selbstverwaltung liegt einiges im Argen: Krankenkassen verweigern unberechtigt Leistungen, Ärztinnen und Ärzte klagen darüber, dass wegen des Budgets Leistungen nicht verordnet werden können, ein aus Beitragsgeldern sehr gut bezahltes Spitzenpersonal der Kassenärztlichen Bundesvereinigung betreibt zweifelhafte Geschäfte, die Aufsicht schaut dem viel zu lange zu, der Zahnarzt empfiehlt eine Leistung als notwendig, will aber privat abrechnen, Krankenkassen machen mit Ärzten gemeinsame Tricksereien bei Diagnosen, um möglichst viel Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten; die Liste lässt sich fortsetzen. Die wenigsten können das komplexe System auch nur teilweise durchschauen, die meisten müssen jedoch mit den Ergebnissen leben. Und am wenigsten haben die einen Nutzen, um die es eigentlich gehen sollte, die Patienten. Es ist die eigentliche Aufgabe der Selbstverwaltung, das Gemeinwohl zu stärken und die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Das ist eine gute Idee, die dem Wettbewerb geopfert wird. Seit Jahren wird das Gesundheitssystem immer weiter kommerzialisiert. Krankenkassen, Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken werden einem immer stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. Wer wie die Bundesregierung die Marktorientierung will, der darf sich dann nicht wundern, wenn jede und jeder nur ihren/seinen Nutzern sieht und eine gemeinsame Kooperation zum Nutzen aller weiter auf dem Rückzug ist. Das Eigeninteresse wird durchgesetzt, ein Ausgleich findet kaum noch statt. Mal wieder versucht die Bundesregierung, die Konsequenzen ihrer eigenen Politik schönzureden, indem dann Gesetzesnamen wie eben das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz kreiert werden. Die Marktorientierung zerfrisst die Kultur des Helfens, die medizinische Ethik und ersetzt sie durch Monetik. Das ist etwas, das wir nicht zulassen dürfen und unter dem viele Beschäftigte, denen die Ethik noch nicht abhandengekommen ist, leiden. Da sich die negativen Auswirkungen des Wettbewerbs auf die Kultur im Gesundheitssystem kurz- oder mittelfristig nicht ändern lassen, brauchen wir Veränderungen in der Selbstverwaltung. Patientenvertreterinnen und -vertreter müssen an entscheidender Stelle mitbestimmen können. Sie sollen Sitze und Stimmrecht in den Verwaltungsräten der Kassen erhalten und auch im Gemeinsamen Bundesausschuss das Zünglein an der Waage sein, wenn sich Kassen, Ärzte- und Zahnärzteschaft sowie Krankenhäuser nicht einigen können. Dem Grunde nach ist es richtig, die operative Steuerung und Ausgestaltung des Versorgungssystems einer Selbstverwaltung zu überantworten. Diese muss dann aber auch im Sinne der Patienten allgemeinwohlorientiert funktionieren. Dazu bedarf es einer juristischen und einer fachlichen Aufsicht, die auch greift. In diesem Sinne befürworten wir eine bundeseinheitliche Aufsicht der Kassen. Die Selbstverwaltung muss wieder zurück zu ihrem eigentlichen Ziel, der Stärkung des Gemeinwohls. Selbstverwaltung muss den Patientinnen und Patienten nutzen und darf nicht zweifelhaften betriebswirtschaftlichen Benchmarks oder gar persönlichen Reichtumszielen dienen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist eigentlich ein bewährtes Prinzip, weil es sicherstellt, dass fachliches Wissen und praktische Erfahrung derjenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, unmittelbar in die Regulierung dieses Bereiches einfließen. Umso wichtiger ist es allerdings, dass dies transparent und an der Sache orientiert geschieht. Alles andere gefährdet die Legitimation der Selbstverwaltung. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Reform der Selbstverwaltung ist direkte Folge der Skandale um die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die uns in den letzten Jahren erschüttert haben. Jahrelang hatte deren früherer Vorstand an den gesetzlichen und internen Vorgaben vorbei Gelder in eine defizitäre Immobiliengesellschaft investiert, sich selbst und anderen hohe Versorgungsbezüge gewährt und Rücklagen in isländischen Schrottpapieren versenkt. Und das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde hat tatenlos zugesehen. Vermutlich läge auch dieser Gesetzentwurf heute nicht vor, wenn wir Sie nicht mit unseren Nachfragen zum Handeln gezwungen hätten. Eines muss man Ihnen allerdings zugestehen: Im Hinblick auf diese Vorgänge ist Ihr Vorschlag konsequent und größtenteils sinnvoll. Interne Kontrollmechanismen innerhalb der Spitzenverbände wie auch die aufsichtsrechtlichen Befugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gegenüber diesen Körperschaften werden verschärft oder präzisiert. Den Vorschlag, den Vorstand der KBV zukünftig mit drei Mitgliedern zu besetzen, begrüßen wir ausdrücklich – verbunden mit der Hoffnung, dass die im März 2017 anstehende Neuwahl des Vorstandes zu einem Neuanfang und Kulturwandel in dieser Institution führt. Auch Ihre Entscheidung, den noch im Referentenentwurf geplanten massiven Eingriff in die Kompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses wieder zu streichen, ist gut. Die ursprünglich vom Ministerium vorgesehene Möglichkeit, in die Richtlinienkompetenz des GBA einzugreifen, hätte die Rechtsaufsicht nicht verbessert, sondern eine Politisierung von fachlichen Entscheidungen über GKV-Leistungen zur Folge gehabt, die keiner von uns will. Der Gesetzentwurf zeigt also einige richtige Ansätze. In anderen Bereichen allerdings bleibt er merkwürdig lückenhaft und deutlich hinter dem zurück, was unsere Fraktion bereits vor Monaten an Reformvorschlägen vorgelegt hat. Beispielsweise sollen in Ihrem Entwurf Beteiligungen an Gesellschaften des Privatrechts zukünftig lediglich vom Lenkungsgremium der Körperschaft selbst abgenickt werden, nicht jedoch von der Aufsichtsbehörde. Die noch im Referentenentwurf geplante ministerielle Aufsicht über diese Gesellschaften findet sich im Kabinettsentwurf ebenfalls nicht mehr. Das ist nach den Erfahrungen mit der Übernahme einer faktisch insolventen Immobiliengesellschaft durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht nachvollziehbar. Gleichzeitig wollen Sie die Geschäfts- und Rechnungsprüfung der Körperschaften durch das Ministerium zugunsten einer selbst beauftragten Betriebsprüfung durch private Anbieter ersetzen. Auch wenn das Ministerium diese Prüfung in den letzten Jahren häufig einfach unterlassen hat und so einen Teil Mitverantwortung an den Entwicklungen bei der KBV trägt, sollten Sie jetzt zumindest sicherstellen, dass der Prüfbericht anschließend dem Ministerium vorgelegt werden muss. Aber auch hier: Fehlanzeige. Und es gibt weitere Lücken: Es soll keine Vorabkontrolle der Haushaltspläne durch das BMG geben, so wie dies ursprünglich einmal selbst vom Ministerium angedacht war. Es soll keine Genehmigung für Geldanlagen oder Darlehen geben, obwohl die Kassenärztliche Bundesvereinigung gerade durch solche Finanzgeschäfte erhebliche Beträge vernichtet hat, die ursprünglich mal für die ärztliche Versorgung im Land gedacht waren. Es fehlen jegliche Regelungen zur Präzisierung der persönlichen Haftung von Funktionären bei Pflichtverletzungen, obwohl gerade darüber momentan heftig vor Gericht gestritten wird. Die Offenlegung von Nebentätigkeiten der Vorstände bleibt auch zukünftig auf ein Minimum beschränkt, was eine echte Transparenz von Interessenskonflikten unmöglich macht. Außerdem gibt es weiterhin keine aufsichtsrechtliche Möglichkeit, diese Nebentätigkeiten im Bedarfsfall zu untersagen. Auch unsere Forderung nach einem besseren Schutz von Whistleblowern, beispielsweise durch eine Ombudsperson, wurde nicht aufgegriffen. Warum diese Zurückhaltung? Vielleicht weil man hofft, dass es sich bei den Vorgängen um die KBV um einmalige Ausfälle der Vergangenheit handelte? Sollte die Bundesregierung dies je geglaubt haben, wurden wir alle vor kurzem durch die Presseberichte über die Beauftragung einer Politikberatungsagentur eines Besseren belehrt. Das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde sieht sich auf Anfrage allerdings noch nicht mal in der Lage, eine rechtliche Bewertung dieser Vorgänge abzugeben. Dies zeigt auch: Das beste Selbstverwaltungsstärkungsgesetz wird wenig bringen, wenn nicht auch im Ministerium selbst ein Kulturwandel stattfindet. Eine Stärkung der Aufsichtsrechte auf dem Papier ändert nichts, solange nicht die Bereitschaft besteht, diese Rechte im Ernstfall auch wahrzunehmen. Dies müssen Sie zukünftig beweisen. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Ich beginne mit einer guten Nachricht: Die Selbstverwaltungsgremien in unserem Gesundheitswesen ziehen wieder an einem Strang. Geeint rufen sie dazu auf, den vorliegenden Gesetzentwurf zurückzunehmen. Dies wird unser Haus, das Bundesministerium für Gesundheit, BMG, jedoch nicht tun. Herr Bundesminister Hermann Gröhe wird an diesem Gesetzentwurf festhalten, gerade weil er – wie auch ich – ein Befürworter der Selbstverwaltung ist und weil wir auch künftig eine starke und unabhängige Selbstverwaltung für unser Gesundheitswesen erhalten möchten. Schließlich ist die hohe Qualität der medizinischen Versorgung in unserem Gesundheitssystem untrennbar mit dem Engagement der Selbstverwaltung verbunden. Sie hat eine herausragende Rolle bei der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung. Und gerade deshalb werden wir an dem Prinzip der Selbstverwaltung auch nicht rütteln. Es ist ein modernes und zukunftsweisendes Prinzip. Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen hat insgesamt eine Vielzahl von verantwortungsvollen Aufgaben zu erfüllen, um eine gute Gesundheitsversorgung für die Patientinnen und Patienten sicherzustellen. Auf diese Organisationsform, die sich von vielen rein staatlichen oder privaten Organisationsformen in anderen Staaten abhebt, sind wir in Deutschland zu Recht stolz. Sie hat sich bewährt. Die Vorfälle bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, KBV, die uns über Monate beschäftigt haben, haben aber auch gezeigt, dass es klarer Rahmenbedingungen für die Selbstverwaltung bedarf. Hier brauchen wir sowohl mehr Transparenz als auch strengere interne Kontrollmechanismen. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir dafür sorgen, dass die Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung sich künftig stärker ihrer Eigenverantwortung bewusst werden und zugleich vor Selbstblockaden geschützt sind. Bei allem inhaltlichen und mitunter auch persönlichen Streit darf in diesen Organisationen nicht vergessen werden, dass sie letztlich dem Zweck dienen sollen, die gute gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Deshalb umfasst der Gesetzentwurf beispielsweise schlüssige Vorgaben für die staatliche Rechtsaufsicht, klare Vorgaben für die Haushalts- und Vermögensverwaltung sowie eine Stärkung der internen Transparenzpflichten und Kontrollmechanismen. Auch die Sorgen, die Rechtsaufsicht könnte überdehnt werden, haben wir sehr ernst genommen. Daher bleibt unsere Rechtsaufsicht eine Rechtsaufsicht und wird nicht zur Fachaufsicht werden. Weiter bleiben auch die Gestaltungsspielräume der Partner in der Selbstverwaltung erhalten. Denn nur so können wir weiterhin auf praxisnahe und eigenverantwortliche Entscheidungen bauen. Aber das setzt auch voraus, dass Körperschaften, die der Aufsicht unterliegen, intern transparente Strukturen haben und die hohen Standards einer Verwaltungsorganisation erfüllen. Aus diesem Grund brauchen wir klare Befugnisse der Rechtsaufsicht, um Rechtsverletzungen eindeutig und konsequent entgegentreten zu können. Diese Grundsätze gelten für alle Körperschaften gleichermaßen – für die ärztliche Selbstverwaltung wie auch die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ziel ist es daher, ein für alle diese Spitzenverbände weitestgehend einheitliches Recht zu schaffen. Einzelne dieser Regelungen werden auch auf den Gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA, übertragen. Den Besonderheiten des G-BA aufgrund seiner Aufgabenstellung im Rahmen der Normsetzung und seiner von den anderen Selbstverwaltungskörperschaften abweichenden Organisationsstruktur wurde dabei Rechnung getragen. Der Gesetzentwurf sieht zur Stärkung der Kontrollrechte der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane und zur Herstellung von mehr Transparenz im Verwaltungshandeln der Institutionen folgende Maßnahmen vor. Dazu gehören die Stärkung der Einsichts- und Prüfrechte der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, Vorgaben zu Informations-, Berichts- und Dokumentationspflichten über die Beratungen in Ausschüssen der Selbstverwaltungsorgane, die Präzisierung der Berichtspflichten des Vorstands sowie Regelungen zur Abwahlmöglichkeit der oder des Vorsitzenden der Selbstverwaltungsorgane. Bei der KBV bedarf es zudem struktureller Veränderungen bei den Regelungen zum Vorstand: Es wird verpflichtend ein Vorstand mit drei Mitgliedern geregelt, dessen Vorstandsvorsitzende bzw. -vorsitzender mit einer qualifizierten Mehrheit gewählt werden muss. Nur für den Fall, dass ein letzter nach der Satzung vorgesehener Wahlgang erforderlich wird, soll die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichend sein. Ein Mitglied des Vorstands darf weder dem hausärztlichen noch dem fachärztlichen Versorgungsbereich angehören. Mit diesen Vorgaben wird die notwendige versorgungsbereichsübergreifende Interessenvertretung im Vorstand sichergestellt sowie die Akzeptanz der oder des Vorsitzenden gestärkt. Wichtig ist dabei: Die Vorstände werden für die Dauer von sechs Jahren gewählt. Im März 2017 stehen die Neuwahlen bei der KBV an. Mit den vorgesehenen strukturellen Änderungen sollen die in der KBV bestehenden Konflikte zwischen den Versorgungsbereichen und die damit einhergehenden Blockaden aufgehoben werden. Mit dem Gesetz wird insgesamt die staatliche Aufsicht als externe Kontrolle gestärkt. Die gesetzlichen Vorgaben zum Verwaltungshandeln werden klarer gefasst, damit ein rechtssicherer und eindeutiger Anknüpfungspunkt für das aufsichtsrechtliche Handeln besteht. Dies betrifft einheitliche und präzisere Vorgaben zu Rücklagen und Betriebsmitteln sowie die Pflicht zur Ausschüttung von Vermögen bzw. der Senkung der Umlage, soweit vorhandenes Vermögen nicht zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist, die Erweiterung der Prüfungs- und Mitteilungspflichten in Bezug auf Beteiligungen an und die Gründung von Einrichtungen, die Etablierung einer regelmäßigen externen Prüfung der Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung anstelle der bisherigen Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit bzw. das Bundesversicherungsamt und die Verpflichtung zur Einrichtung interner Kontrollmechanismen, insbesondere einer Innenrevision, die festgestellte Verstöße auch an die Aufsichtsbehörde zu berichten hat. Der Gesetzentwurf wird insgesamt dazu beitragen, die Selbstverwaltung in vielen wichtigen Punkten zu stärken. Eine so gestärkte Selbstverwaltung wird auch zukünftig ihren Teil dazu beitragen, im gewohnten Maße eine hohe Qualität der medizinischen Versorgung sicherzustellen. Und dieser Zirkelschluss lässt sich nur auf eine Art und Weise zusammenfassen: Er ist das richtige Ergebnis. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 25) Detlef Seif (CDU/CSU): Über den Gesetzentwurf zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen, den wir heute in erster Lesung beraten, war schon vor dem Beginn des parlamentarischen Verfahrens in den Medien zu lesen. Von „Gerichts-TVs“, „Recht im Zirkus“ oder sogar der „Revolution im Gerichtssaal“ war in diesem Zusammenhang die Rede. Schon der damalige Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums löste eine Welle des Protests aus, nicht nur bei Juristen und Journalisten, sondern auch und vor allem bei den Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Bundesgerichte, die von den geplanten Neuregelungen in besonderem Maße betroffen sind. Mit dem Gesetzentwurf sollen zunächst die Leistungen hör- und sprachbehinderter Menschen im Hinblick auf die Beteiligung von Gebärdensprachdolmetschern und anderen geeigneten Kommunikationshilfen in gerichtlichen Verfahren erweitert werden. Hör- und sprachbehinderte Menschen können nach geltendem Recht Gebärdensprachdolmetscher zwar im gesamten Strafverfahren, in allen anderen Verfahren aber nur im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Anspruch nehmen. Die Beiordnung einer Sprach- oder Übersetzungshilfe soll zukünftig im gesamten gerichtlichen Verfahren möglich sein. Die Änderung bewirkt, dass die Kosten für die Kommunikationshilfe in Zukunft nicht mehr nur für die mündliche Verhandlung erstattet werden, sondern alle Übersetzungsleistungen zu erstatten sind, die im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren stehen. Einzelheiten, wie etwa der Umfang des Anspruchs, sollen durch Rechtsverordnung geregelt werden. Der Regelungsvorschlag dürfte fraktionsübergreifend Zustimmung finden, da er den barrierefreien Zugang zu Gerichtsverfahren weiter verbessert. Im Gegensatz dazu sorgte aber die Absicht des Justizministeriums, das seit 1964 geltende strikte gesetzliche Verbot von Bild- und Tonübertragungen in Gerichtsverfahren zu lockern, schon im Vorfeld für Unmut. Das Justizministerium begründet diesen Schritt damit, dass das generelle Übertragungsverbot angesichts der bisherigen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen insbesondere in der Medienlandschaft infrage zu stellen sei. Aktuell sind Ton- und Fernsehrundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig. Das Verbot gilt während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung einschließlich Entscheidungsverkündung und steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Es dient dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aller Prozessbeteiligten und der Sicherung der Wahrheitsfindung im Prozess. Konkret geht es um den Schutz des Rechts am eigenen Bild und gesprochenen Wort, das es dem Einzelnen überlässt, selbst und eigenständig über die Darstellung der eigenen Person anderen gegenüber und über die Aufnahme und das Abspielen der eigenen Stimme mittels eines Tonträgers zu bestimmen. Es geht daneben aber auch um das Recht auf ein faires Verfahren und um den Schutz einer geordneten Rechtspflege. Nach den Plänen des Bundesjustizministers, die auf die Forderungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur „zeitgemäßen Neufassung des § 169 Gerichtsverfassungsgesetz“ zurückgehen, soll zunächst die Tonübertragung der mündlichen Verhandlung sowie der Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter gestattet werden. Medienvertreter sollen so die Möglichkeit erhalten, die mündliche Verhandlung im Sitzungssaal akustisch mitzuverfolgen. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung des zuständigen Gerichts, das die Tonübertragung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs teilweise auch untersagen kann. Der Regelungsvorschlag ist nachvollziehbar und grundsätzlich sinnvoll, weil – wie das Beispiel des NSU-Prozesses seit dem Jahr 2013 zeigt – es durchaus Gerichtsverfahren gibt, an denen Pressevertreter und Öffentlichkeit ein gesteigertes Informationsinteresse haben, das Platzangebot im Gerichtssaal im Vergleich zur Nachfrage aber nur auf einige wenige Zuschauer beschränkt ist. Unabhängig von grundsätzlichen Erwägungen ergeben sich für mich aus einer Tonübertragung in einen Nebenraum ganz praktische Probleme. Dem Vorsitzenden Richter obliegen die sitzungspolizeilichen Befugnisse, d. h. er muss Sorge dafür tragen, dass in der Sitzung die notwendige Ordnung herrscht. Diese Aufgabe hätte der Vorsitzende Richter nach einer Reform nicht nur in Bezug auf die Saalöffentlichkeit im Gerichtssaal, sondern auch in Bezug auf die Öffentlichkeit im Nebenraum. Ist es aber einem einzelnen Menschen zumutbar, neben dem laufenden Verfahren, in dem auch zum Teil recht umfangreiche Beweisaufnahmen durchzuführen und zu erfassen sind, und der Sitzungspolizei im Gerichtssaal auch noch die Geschehnisse im Medienarbeitsraum zu überblicken? Diese Frage lasse ich hier einmal im Raum stehen. Die Bereitstellung eines Medienarbeitsraumes wird notwendigerweise zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung der Gerichte führen, dessen sollten wir uns bereits jetzt bewusst sein. So muss ein Raum gefunden werden, der technisch entsprechend auszustatten ist, und es muss auch weiteres Personal bereitgestellt werden, das die zusätzlich anfallenden Aufgaben erledigt. Es muss insbesondere durch gründliche Personenkontrollen gewährleistet sein, dass unbefugten Dritten der Zutritt zum Medienarbeitsraum untersagt wird, um zu verhindern, dass etwa Zeugen, die im Verfahren noch nicht ausgesagt haben, sich vorab über das Geschehen informieren. Es muss darüber hinaus auch sitzungspolizeilich gewährleistet sein, dass die Zuhörer im Nebenraum keine unbefugten Tonaufnahmen von der Hauptverhandlung fertigen. Der Gesetzentwurf schweigt leider zu diesen praktischen Punkten. Es ist aber notwendig, dass wir uns jetzt im parlamentarischen Verfahren auch über diese Aspekte Gedanken machen. Man könnte überlegen, neben den bereits bestehenden sitzungspolizeilichen Befugnissen des Vorsitzenden Richters eventuell einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand zu schaffen, der den unerlaubten Zutritt zum Medienarbeitsraum und auch etwaige unbefugte Mitschnitte von der Hauptverhandlung im Arbeitsraum unter Strafe stellt. Darüber hinaus soll nach dem Gesetzentwurf in Zukunft die Aufnahme und Übertragung der Entscheidungsverkündung der obersten Bundesgerichte zum Zwecke öffentlicher Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhaltes in Form von Ton- und Fernsehrundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen ermöglicht werden. Stehen dem wichtige Gründe entgegen, wie etwa die Wahrung schutzwürdiger Interessen der Verfahrensbeteiligten oder Dritter, kann die Aufnahme oder Übertragung teilweise untersagt oder von Auflagen abhängig gemacht werden. Eine ähnliche Regelung existiert bereits für das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz regelt seit 1998, dass entsprechende Aufnahmen in der mündlichen Verhandlung bis zur Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten durch das Bundesverfassungsgericht und bei der öffentlichen Verkündung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zulässig sind. Insoweit stehe ich dem Regelungsvorschlag des Ministeriums durchaus offen gegenüber, wenngleich eine entsprechende Regelung für die obersten Bundesgerichte nach meiner Einschätzung nicht zwingend notwendig erscheint, jedenfalls nicht, wenn man sich einmal die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ansieht, das das generelle Übertragungsverbot in Gerichtsverfahren aus gewichtigen Gründen nach wie vor für verfassungsgemäß hält. Bei einer Öffnung des Übertragungsverbots auch im Bereich der obersten Bundesgerichte muss sichergestellt sein, dass bei der Aufnahme allein das Gericht bei der Verkündung der Entscheidung sichtbar ist und dass die Medienöffentlichkeit dann beschränkt wird, wenn das oberste Bundesgericht Bezug nimmt auf Feststellungen der Vorinstanzen, für die das Übertragungsverbot nach wie vor gilt. Schließlich soll es nach dem Gesetzentwurf künftig möglich sein, Ton- und Filmaufnahmen von der Verhandlung einschließlich der Entscheidungsverkündung zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken bei Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland anzufertigen. Die Archivaufnahmen dürfen nicht zur Akte genommen werden, sie dürfen darüber hinaus auch nicht herausgegeben oder zu Verfahrenszwecken genutzt werden. Die Aufnahmen müssen nach Verfahrensabschluss dem zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme angeboten werden. Dieses entscheidet, ob den Aufnahmen ein bleibender Wert zukommt oder sie vom Gericht zu löschen sind. Ich spreche mich bereits jetzt entschieden gegen diesen Vorschlag aus. Er muss in jedem Fall im Gesetzentwurf gestrichen werden. Allein die Tatsache, dass die gesamte Verhandlung aufgezeichnet und damit für die Nachwelt festgehalten wird, würde dazu führen, dass künftig vor allem die Parteien, die Zeugen und auch die Sachverständigen ihr Verhalten oder ihre Aussagen wegen dieser Umstände ändern oder zumindest überdenken. Auch das Verhalten der Richter kann sich bei laufender Kamera verändern. Im Übrigen darf es nicht sein, dass politisch motivierte Kriminelle sich vor der Kamera inszenieren und die Gelegenheit nutzen, um ihre schrägen Botschaften zu verbreiten. Derartige Archivaufnahmen würden Tat und Täter aufwerten. Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auch darauf, dass das Missbrauchspotential für Archivaufnahmen sehr hoch ist, weil diese angesichts ihres Speichermediums abhandenkommen und verbreitet werden könnten. Entsprechende gesetzliche Vorgaben könnten dieses hohe Risiko allenfalls minimieren, nicht jedoch ausschließen. Unabhängig von diesen grundsätzlichen Erwägungen ist auch völlig unklar, nach welchen Kriterien das Gericht die herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung des jeweiligen Verfahrens beurteilen soll. Regelbeispiele sind im Gesetzentwurf nicht enthalten, und auch im Begründungsteil des Entwurfes fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Entscheidung, die im Ermessen des Gerichts steht. Zur Sicherung eines fairen Verfahrens und zur ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung sollten den Beteiligten, insbesondere den Richtern, alle über die Prozesssituation hinausgehenden Belastungen und Ablenkungen erspart bleiben. Unsere Maßgabe im nun beginnenden parlamentarischen Verfahren muss es sein, praktikable gesetzliche Vorgaben für die Gerichte zu schaffen, die einerseits die schutzwürdigen Interessen der Verfahrensbeteiligten und Dritter wahren und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf sicherstellen, andererseits den zusätzlichen technischen, organisatorischen und personellen Aufwand bei den Gerichten möglichst gering halten, damit diese sich weiterhin auf ihre Kernaufgabe, Recht zu sprechen, konzentrieren können. An diesem Maßstab sollte jeder der Regelungsvorschläge des Bundesjustizministeriums gemessen werden. Erlauben Sie mir abschließend noch die Bemerkung, dass sich nicht die Gerichte an die veränderten Mediengewohnheiten der Gesellschaft anpassen müssen, sondern vielmehr die Medien auf die prozessualen Besonderheiten im Gerichtsverfahren Rücksicht zu nehmen haben. Im Mittelpunkt steht auch zukünftig nicht das technisch Machbare, sondern die professionelle Arbeit der Gerichte. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir diskutieren heute den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung von Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen. In Zeiten von enormen technischen und gesellschaftlichen Veränderungen und in der Verbreitung von Nachrichten in den Medien müssen wir hinterfragen, ob das bisherige strikte gesetzliche Verbot von Bild- und Tonübertragungen insgesamt noch zeitgemäß ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine moderate Lockerung vom Verbot von Ton- und Fernsehrundfunkaufnahmen aus Gerichtsverhandlungen vor. Es ist darauf hinzuweisen, dass es im Grundsatz bei der Unzulässigkeit verbleibt. § 169 Satz 2 GVG wird gerade nicht gestrichen. Nach dem Zweck des Gesetzes werden einmalige und punktuelle Ausnahmeregelungen geschaffen. Es ist keinesfalls Ziel, Gerichtsverfahren zu kommerzialisieren. Einer unbegrenzten audio-visuellen Medienöffentlichkeit wird eine klare Absage erteilt. Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs steht das Spannungsverhältnis zwischen dem Zugang von Medienvertretern zu Gerichtsverhandlungen und den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten. Der Angeklagte darf in keinem Fall zum Schauobjekt degradiert werden. Die Personenwürde des Angeklagten ist stets zu achten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet nun die Möglichkeit der Übertragung der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter (§ 169 Absatz 1 Satz 35 GVG-E). Geplant sind hier ausschließlich Tonübertragungen. Ferner beinhaltet ist die Möglichkeit der audio-visuellen Dokumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung (§ 169 Absatz 2 GVG-E). Die Aufnahmen werden nicht Bestandteil der Gerichtsakte. Nach Abschluss des Verfahrens sollen sie dem Bundes-/Landesarchiv zur Übernahme angeboten werden. Beinhaltet ist außerdem die Übertragung von Verkündungen von Entscheidungen der Obersten Gerichtshöfe des Bundes in den Medien (§ 169 Absatz 3 GVG-E bzw. ArbGG). Ein weiteres wichtiges Kernelement des Gesetzentwurfes liegt in der Verbesserung für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen zum barrierefreien Zugang im Gerichtsverfahren. Eine Kostenübernahme für die Verdolmetschung des gesamten gerichtlichen Verfahrens ist bisher nur für die Hauptverhandlung gegeben und bedarf einer Erweiterung. Hier setzen wir an. Die bestehende Regelungslücke hinsichtlich des Tragens dieser Kosten für das gerichtliche Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung soll geschlossen werden. Dies hat Auswirkungen darauf, wer die Kosten für eine Inanspruchnahme außerhalb der mündlichen Verhandlung zu tragen hat. Für die Betroffenen treten Entlastungen in Höhe von 97 500 Euro ein, da die Kosten der Übersetzungsleistungen nunmehr von den Gerichten und nicht mehr von den betroffenen Personen selbst zu tragen sind. Dies ist ein gutes und richtiges Signal. Natürlich muss stets die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten gewahrt werden. Der Gesetzentwurf plant moderate Lockerungen der bestehenden Gesetzgebung, die das gerichtliche Verfahren nicht schwerwiegend beeinflussen und gleichzeitig einen gesetzlichen Rahmen für eine angemessene Medienöffentlichkeit schaffen. Dr. Matthias Bartke (SPD): Die Szenen aus Gerichtsserien haben das Bild vieler Fernsehzuschauer von Gerichtsverhandlungen geprägt. Die Realität kann nur wenig dagegensetzen; denn Aufnahmen realer Gerichtsverhandlungen gibt es im Fernsehen keine zu sehen. Grund dafür ist das Verbot aus dem Jahr 1964. Dieses Verbot erklärt Ton-, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen von Verhandlungen und Urteilsverkündungen zum Zweck der Veröffentlichung für unzulässig. Damit ist alles, was wir zu sehen bekommen: Angeklagte, Anwälte und Richter, die den Gerichtssaal betreten, sich setzen und wieder aufstehen. Die wirkliche Welt der Gerichtsverhandlungen bleibt damit für die meisten Fernsehzuschauer verborgen. Das Verbot der Tonaufnahmen hat aber noch eine ganz andere Dimension. Es verhindert nämlich, dass die Gerichtsverhandlung in einen anderen Raum übertragen werden kann. Das hatte beim NSU-Prozessbeginn für riesige Probleme gesorgt. Zunächst sollte für die Vergabe der Plätze die Reihenfolge der Anmeldung entscheidend sein. Dabei kamen aber die türkischen Medien zu kurz. Das Bundesverfassungsgericht ordnete daher an, dass mindestens drei Plätze für ausländische Medien reserviert werden müssten. Der Senat entschied sich dann für eine komplette Neuvergabe per Los. Nach der Auslosung der Presseplätze kam es zu einem neuen Sturm der Entrüstung. Während große Medien wie die FAZ, Die Zeit oder Die Welt kein Losglück hatten, sollten kleine Regionalsender wie Radio LOTTE Weimar über den Prozess berichten. Die Gerichte entscheiden im Namen des Volkes. Was sie an Recht sprechen, wirkt sich auf unser aller Zusammenleben aus. Es gibt daher ein berechtigtes Interesse daran, dass über einen Prozess entsprechend seiner Bedeutung berichtet werden kann. Wir wollen das Verbot von Ton- und Fernsehaufnahmen in Gerichten daher lockern. In den vergangenen Monaten ist dieses Ansinnen bereits verschiedentlich auf Kritik gestoßen. Wir nehmen diese Einwände sehr ernst. Durch die Lockerung des Verbots dürfen weder Persönlichkeitsrechte verletzt noch die Wahrheitsfindung im Strafverfahren gefährdet werden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist daher ein sehr bedachter und abwägender Gesetzentwurf. Er baut die Brücke zwischen dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit und den Rahmenbedingungen für ein faires Verfahren und eine funktionstüchtige Rechtspflege. Entscheidungsverkündungen oberster Gerichtshöfe des Bundes sollen zukünftig grundsätzlich von Medien übertragen werden können. Für Fälle wie das NSU-Verfahren soll die Einrichtung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter mit Tonübertragung ermöglicht werden. Darüber hinaus sehen wir für Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung eine audio-visuelle Dokumentation vor. Die Voraussetzungen für alle drei Möglichkeiten sind aber eng gesetzt. Zwischen Verhandlungen und Entscheidungsverkündungen, zwischen Ton- und Videoaufnahmen wird wohlweislich unterschieden. Übertragungen und Aufzeichnungen liegen stets im Ermessen des Gerichts. Von TV-Schlachten, Showbühnen und Satirebeiträgen sind wir damit weit entfernt. Zu Recht. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Der uns vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass das seit 1964 bestehende Verbot von Ton-, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung moderat gelockert werden soll. Damit trägt der uns vorliegende Gesetzentwurf den gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen in Bezug auf moderne Kommunikationsmittel in der Gesellschaft Rechnung, der sich die Justiz nicht verschließen sollte. Nun steht zu befürchten, dass die von Justizminister Heiko Maas geplante Änderung des § 169 GVG dazu führt, dass der Gerichtssaal zur Showbühne verwandelt und die Unabhängigkeit der Justiz durch einen erhöhten medialen Druck gefährdet wird. Für meine Fraktion bleibt es ein Grundprinzip, dass Gerichtsverfahren IN der Öffentlichkeit, aber nicht FÜR die Öffentlichkeit stattfinden. Die geplanten Änderungen des § 169 GVG tragen dem nach Auffassung meiner Fraktion Rechnung. Sie sind moderat und verfolgen lediglich das Ziel, die Gerichtsverfahren IN der Öffentlichkeit besser wahrnehmbar zu machen. Einer medialen Massenverwertung wird durch die geplanten Änderungen des § 169 GVG nicht Tür und Tor geöffnet. Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen – EMöGG – beinhaltet im Wesentlichen Folgendes: Erstens Medienübertragung: Entscheidungsverkündungen oberster Bundesgerichte sollen grundsätzlich von Medien übertragen werden können. Zweitens gerichtsinterne Übertragung: Die Einrichtung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter mit Tonübertragung soll für Verfahren mit einem erheblichen Medieninteresse gesetzlich geregelt werden. Drittens Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung: Eine audio-visuelle Dokumentation von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung besitzen, soll bei näherer Bestimmung der Voraussetzungen und der Festlegung von Regelungen für eine begrenzte Verwendung ermöglicht werden. Gegen eine ausschließliche Übertragung von Urteilen oberster Bundesgerichte durch die Medien ist aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nichts einzuwenden. So werden auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bereits jetzt von den Medien übertragen, ohne dass dies die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts bislang gefährdet hätte oder das Bundesverfassungsgericht zu einer Showbühne verkommen wäre. Eine Übertragung von Entscheidungen oberster Bundesgerichte ist auch deshalb gerechtfertigt, weil derartige Entscheidungen nur einen Bruchteil aller Gerichtsentscheidungen ausmachen, sie jedoch meist eine hohe gesellschaftliche Bedeutung haben und dadurch auf ein öffentliches Interesse stoßen. Die Übertragung von Entscheidungsverkündungen oberster Bundesgerichte von den Medien stellt auch keinen erheblichen Eingriff in die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege dar. Denn die eigentliche Gerichtsverhandlung findet nach wie vor unter Ausschluss von Bild- und Tonaufnahmen statt. Ebenso sind nach wie vor keine Bild- und Tonaufzeichnungen für Gerichtsverfahren unterhalb der Bundesgerichte vorgesehen. Sollte es die Bundesregierung zukünftig anstreben, eine Medienübertragung auf andere Gerichte oder das Gerichtsverfahren vor der Urteilsverkündung auszudehnen, wird sich meine Fraktion klar dagegen aussprechen. Auch gegen eine gerichtsinterne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse, das heißt eine Einrichtung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter in demselben Gerichtsgebäude, ist aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nichts einzuwenden. Der NSU-Prozess in München hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass das Medieninteresse durchaus – und berechtigterweise – beträchtlich sein kann. Um zu vermeiden, dass Teile der interessierten Öffentlichkeit ausgeschlossen werden – zum Beispiel bei Losverfahren, wie sie beim Landgericht München im NSU-Prozess praktiziert wurden –, ist die gerichtsinterne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse ein legitimer Weg. Der Ermöglichung von audiovisuellen Dokumentationen von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung besitzen, kann aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nur dann zugestimmt werden, wenn dies in engen Grenzen erfolgt. Denn eine audiovisuelle Aufzeichnung des gesamten Prozessverlaufes kann durchaus Auswirkungen auf das prozessuale Verhalten von Verfahrensbeteiligten haben. Daher ist es unabdingbar, genau zu definieren, wann eine „herausragende geschichtliche Bedeutung“ zu bejahen ist und von wem sowie wofür genau die Aufzeichnungen verwendet werden dürfen. Meine Fraktion begrüßt, dass mit den geplanten Änderungen und Ergänzungen ein wichtiger Schritt zur Umsetzung von Artikel 13 Absatz 1 UN-Behindertenrechtskonvention unternommen wird, was insbesondere durch die geplante Übernahme der Übersetzungskosten für das gesamte Verfahren – und nicht nur, wie bisher, für die Hauptverhandlung – zum Ausdruck kommt. Nichtsdestotrotz sind die geplanten Regelungen im Hinblick auf hör- und sprachbehinderte Personen nicht weitreichend genug und hinsichtlich anderer Behinderungsarten lückenhaft. Das beabsichtigte Gesetz muss dazu genutzt werden, über die Kommunikationshilfen hinaus grundsätzlich Barrierefreiheit im Rahmen eines Gerichtsverfahrens stärker zu verankern. Nur so kann gewährleistet werden, dass Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten und wirksamen Zugang zur Justiz haben werden. Nach Auffassung meiner Fraktion kann trotz der geplanten Änderungen des § 169 Absatz 2 GVG jeder Bürger darauf vertrauen, dass seine Angelegenheit in einer von störenden äußeren Einflüssen unbeeinträchtigten mündlichen Verhandlung sorgfältig und unvoreingenommen erörtert wird. Sofern es Bestrebungen geben sollte, § 169 GVG noch weiter zu lockern, wird sich meine Fraktion allerdings dagegen aussprechen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf, den wir hier heute diskutieren, zielt darauf, Gerichtsverfahren transparent zu machen und moderne Kommunikationsformen einzuführen. Diesen Ansatz unterstützen wir grundsätzlich. Zukünftig sollen Medien einen besseren Zugang zu den für ihre Berichterstattung notwendigen Informationen bekommen, Urteile oberster Bundesgerichte sollen in Bild und Ton medial verkündet und historisch wichtige Prozesse dokumentiert werden – als Zeitzeugnis und um den Verlauf solcher Prozesse später aus erster Hand nachvollziehen zu können. Außerdem sollen die Kommunikationshilfen für hör- und sprachbehinderte Personen verbessert werden. Der Ansatz, den dieser Gesetzentwurf verfolgt, ist grundsätzlich richtig und sinnvoll. Justiz soll schließlich nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich über die Verfahren und die Arbeit der Justiz zu informieren. Wenn Medienvertreter zukünftig einen gleichberechtigten Zugang zu Prozessinformationen haben, dann kann das dazu dienen, dass die Berichterstattung über Gerichtsverfahren künftig noch vielfältiger und objektiver wird. Es kann auch dazu führen, dass die Öffentlichkeit mehr Interesse an oder Verständnis für die Arbeit der Justiz und für die Rechtsprechung entwickelt. Das ist erst einmal positiv zu werten. Eines muss in diesem Zusammenhang natürlich klar sein: Die Grenze von Transparenz und Medienöffentlichkeit muss immer dort gezogen werden, wo eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und der Rechte der Beteiligten droht! Das gilt insbesondere für Strafverfahren, in denen es um sensible Sachverhalte und den Schutz der Privatsphäre von Angeklagten oder Opferzeugen geht. Hier sollte niemand vorgeführt oder gar in seinen Verfahrensrechten beeinträchtigt werden. Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen. Ich halte es insofern für sinnvoll, dass die Entscheidung über die Dokumentation des Verfahrens grundsätzlich beim Gericht liegt. Denn das Gericht hat die Verfahrenshoheit und ist vertraut mit dem jeweiligen konkreten Fall. Da sich auch während des laufenden Verfahrens immer neue Umstände und Schutzinteressen ergeben können, ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass dem Gericht zukünftig auch die Möglichkeit eingeräumt werden soll, Aufnahmen oder Tonübertragungen teilweise zu untersagen. So kann zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens sichergestellt werden, dass die Rechte der Verfahrensbeteiligten und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens gewahrt werden. Ein paar kleine Kritikpunkte gibt es dann aber doch noch: Bei Film- und Fernsehaufnahmen zu Dokumentationszwecken wäre es zur Wahrung der schutzwürdigen Belange der Verfahrensbeteiligten wünschenswert, wenn das Gericht die Verteidigung bzw. Angeklagte und Zeugen in seine Entscheidung einbeziehen würde. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Beschlüsse des Gerichts nach § 169 GVG über die Zulassung von Ton- und Filmaufnahmen bzw. von Tonübertragungen unanfechtbar sein sollen. Den Prozessparteien sollte es jedenfalls in irgendeiner Form möglich sein, auf die Entscheidung des Gerichts über die Medienöffnung des Verfahrens mit Einfluss zu nehmen. Und selbst, wenn ich in den im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen nicht per se eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die Beteiligtenrechte sehe, stellt sich hier die Frage: Wie sinnvoll und praktikabel sind diese Vorschläge eigentlich? Ich sehe zum Beispiel nicht den konkreten Mehrwert davon, Entscheidungen von obersten Bundesgerichten in den Medien zu übertragen. Diese Gerichte leisten nämlich schon jetzt eine gute Pressearbeit. Entscheidungen werden zeitnah für eine mediale Verwertung aufgearbeitet, entsprechende Presseerklärungen werden unmittelbar ins Netz gestellt und von den Medien aufgegriffen. Es wird also kein Mehr an Information geben. Es handelt sich bei dieser Art der Verkündung über Funk und Fernsehen lediglich um eine öffentlichkeitswirksamere Darstellungsform. Auch wenn es durchaus sinnvoll ist, bedeutende Verfahren für die Öffentlichkeit zu dokumentieren, so fehlt es noch an einer Klarstellung, was unter einer „herausragenden zeitgeschichtlichen Bedeutung“ genau zu verstehen ist und wann Gerichtsverfahren diese Voraussetzung erfüllen. Insgesamt stehen wir aus den eingangs genannten Gründen den Neuerungen jedoch offen gegenüber und warten mit Interesse das weitere Verfahren ab. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Heute befassen wir uns in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen – oder auch kurz EMöGG. Der Gesetzentwurf besteht aus zwei Teilen. Der erste befasst sich mit der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren. Dieser Teil wurde in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe meines Hauses und der Länder umfassend vorbereitet. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben dann das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebeten, auf der Grundlage der Ergebnisse der Arbeitsgruppe einen Gesetzentwurf vorzulegen. Das Verbot von Ton- und Bild- sowie Rundfunk- und Fernsehaufnahmen aus der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor den Gerichten gilt seit 1964. Es wurde damals eingeführt, weil man der Ansicht war, dass beispielsweise noch nicht verurteilte Angeklagte durch anwesende Filmkameras in einer oft unerträglichen Weise in das Scheinwerferlicht einer weiten Öffentlichkeit gezerrt würden. Seither hat sich viel geändert. Damals konnte man weder die gerichtsinterne Übertragung in Echtzeit noch die zahlreichen Kommunikationswege im Bereich der modernen Medien, wie sie sich seither entwickelt haben, im Blick haben. Das gewandelte Medienverständnis und der Umgang mit modernen Kommunikationsformen lassen ein generelles Verbot nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Auch von der Justiz wird eine moderne Kommunikation erwartet. Durch die Gesetzesänderung erhält sie diese Möglichkeit. Dort, wo der Verfahrensablauf und die Rechte der Beteiligten nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, sollen moderne Medien stärker einbezogen werden können als bisher. So sieht der Entwurf vor, die Übertragung der Verkündung von Entscheidungen der Obersten Gerichtshöfe des Bundes in besonderen Fällen den Medien zu ermöglichen. Das Gericht soll die Übertragung zulassen können. Dabei muss es noch darüber entscheiden, in welcher Form und unter welchen Auflagen diese Übertragung stattzufinden hat. Die Zulassung ist nicht als Regelfall ausgestaltet, sondern in das Ermessen des Gerichts gestellt. Gerade zu dieser Regelung – das möchte ich hier nicht verbergen – habe ich im Laufe der Arbeiten an dem Gesetzentwurf viele Argumente gehört, weshalb diese Erweiterung nicht vorgenommen werden sollte. Sie vermögen mich allerdings nicht zu überzeugen. Persönlichkeitsrechte und die Wahrheitsfindung stehen bei der vorgeschlagenen Regelung ganz deutlich im Vordergrund. Ein wie auch immer geartetes „Court TV“ wird nicht erlaubt und auch nicht für die Zukunft angestrebt. Bereits heute können die Pressevertreter an den Urteilsverkündungen der Gerichte teilnehmen und wörtlich mitschreiben. Das gebietet der Grundsatz der Öffentlichkeit. Die Urteilsverkündungen der Obersten Bundesgerichte künftig von den Medien übertragen zu lassen, stellt nur eine kleine Erweiterung dar, die aber für die Wahrnehmung der Justiz in der heutigen Medienlandschaft große Bedeutung hat. Ferner sieht der Entwurf vor, die audiovisuelle Dokumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Das Gericht kann künftig entscheiden, dass – bei Vorliegen dieser Voraussetzungen – die gesamte Gerichtsverhandlung in Ton und Bild aufgezeichnet werden soll. Diese Aufzeichnung darf allerdings nicht für Verfahrenszwecke verwendet werden, wie im Gesetz noch einmal ausdrücklich klargestellt wird. Die Aufnahmen sind vielmehr nach Abschluss des Verfahrens dem zuständigen Bundes- oder Landesarchiv anzubieten, um für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung zu stehen. Lehnt das Archiv die Annahme ab, sind die Aufnahmen zu löschen. Persönlichkeitsrechte der Betroffenen hat das Gericht selbstverständlich zu wahren. Wir alle kennen historische Aufzeichnungen aus bedeutenden Verfahren aus der Zeit von vor dem Jahr 1964. So wurde die mündliche Verhandlung im Frankfurter Auschwitz-Prozess Anfang der 60erJahre auf Tonträger aufgezeichnet. Für uns sind diese Aufzeichnungen heute gerade wegen der vielen Zeugenaussagen von unschätzbarem Wert. Nur für solche zeithistorisch herausragenden Verfahren sollen Aufzeichnungen nach dem Entwurf wieder möglich werden. Schließlich soll künftig die Übertragung der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter durch das Gericht angeordnet werden können. Anlass für diese Regelung waren die Probleme bei der Sitzplatzvergabe für Pressevertreter am Anfang des Strafverfahrens gegen Mitglieder des sogenannten NSU. In einem zweiten Teil enthält der Gesetzentwurf Verbesserungen für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen. Vorgesehen sind Erweiterungen hinsichtlich der Beteiligung von Gebärdendolmetschern und anderer Kommunikationshilfen für hör- und sprachbehinderte Personen. Sie sollen künftig die Kosten für die Verdolmetschung am gesamten gerichtlichen Verfahren nicht selbst tragen müssen. Das ist eine Verbesserung, die längst überfällig ist. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG) (Tagesordnungspunkt 26) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SOKASiG). Dieser Entwurf aus der Mitte des Parlaments beschäftigt uns, nachdem das Bundesarbeitsgericht am 21. September 2016 in zwei Urteilen über die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Bauhauptgewerbe der Jahre 2008, 2010 und 2014 beschlossen hat. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar: Mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen, wie des sogenannten 50Prozent-Quorums, und der persönlichen Befassung der zuständigen Ministerin bzw. des zuständigen Ministers sind die vorher genannten Allgemeinverbindlicherklärungen unwirksam. Der Antrag auf Unwirksamkeit ist von Arbeitgebern gestellt worden, die nicht Mitglied einer Arbeitgebervereinigung sind, jedoch aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärungen zu Beitragszahlungen an die Sozialkasse des Baugewerbes, die SOKA-BAU, verpflichtet sind bzw. waren. Unterstützung fanden diese Klagen auch von Betrieben, die sowohl bauliche als auch nichtbauliche Dienstleistungen erbringen. Hier besteht stets die Streitfrage, ob sie unter die hier in Rede stehende AVE fallen. Beklagt wurde die Sozialkasse der Bauwirtschaft, die sogenannte SOKA-BAU, eine gemeinsame Einrichtung der drei Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft, der Deutschen Bauindustrie, des Deutschen Baugewerbes und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Diese blickt auf eine lange Tradition zurück, da sie schon 1949 als Urlaubskasse gegründet wurde. Im Jahr 1957 wurde sie um eine Zusatzversorgungskasse erweitert, später noch um die überbetriebliche Ausbildungskasse. Ziel und Aufgaben der SOKA-BAU sind seit ihren Anfängen, Nachteile für die Beschäftigten der Bauwirtschaft in den Bereichen Urlaub, Berufsausbildung und Altersversorgung auszugleichen. Nun ergibt sich nach den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts eine für die SOKA-BAU unerwartete Situation mit der Sorge um den weiteren Bestand der Sozialkassenverfahren des Baugewerbes und eine eventuell drohende Insolvenz. Dazu kommt auch die Unklarheit darüber, wie die Rechtsfolgen der gerichtlichen Feststellung einer Unwirksamkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen geregelt sind. Ohne Allgemeinverbindlicherklärungen können gemeinsame Einrichtungen wie die SOKA-BAU nicht existieren. Die finanzielle Stabilität könnte aufgrund der ausstehenden Sozialkassenbeiträge sowie Rückforderungen ins Wanken geraten und die finanzielle Tragfähigkeit der SOKA-BAU in Zukunft nicht mehr sicher sein. Unter den Betrieben des Baunebengewerbes wird diese neue Situation etwas anders betrachtet. Dies ist in den Zuschriften, die mich und unsere Fraktion in den letzten Tagen erreichen, klar zu begreifen. Denn viele Betroffene, wie zum Beispiel Elektrohandwerk, Tischler und Schreiner, die nur bedingt mit baulichen Dienstleistungen zu tun haben, sahen sich in der Vergangenheit und sehen sich auch aktuell immer stärker im umfassenden Anspruch der SOKA-BAU aufgenommen. Sie möchten nicht in den stark ausgeweiteten Geltungsbereich der Sozialkasse einbezogen werden und verlangen eine deutlichere Abgrenzung der fachlichen und tariflichen Zuständigkeiten zwischen dem Baunebengewerbe und dem -hauptgewerbe. Die baugewerblichen Handwerke müssen, auch wenn sie tarifungebunden sind, wegen der Allgemeinverbindlichkeit in die Sozialkasse einzahlen. Die baunebengewerblichen Gewerke und ein Großteil der Mischbetriebe sehen dafür aber kein Bedürfnis und fordern schon lange, dass die SOKA-BAU sich auf deren Zuständigkeiten im Bauhauptgewerbe beschränkt. Wenn aber der Tarifvertrag nicht mehr für allgemeinverbindlich erklärt werden darf, müssen tarifungebundene Arbeitgeber sowie Baunebengewerbe und Mischbetriebe keine Beiträge mehr einzahlen. Wir als Koalitionsfraktion erkennen die besondere Leistung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe an mit den spezifischen Lösungen, die den Beschäftigten der Baubranche mit der Gewährleistung einer Altersversorgung, dem Anspruch auf einen vollen Jahresurlaub und die Finanzierung der überbetrieblichen Ausbildung zugutekommen. Daher verstehen wir die Befürchtungen der SOKA-BAU, mit unzählbaren Rückforderungszahlungen in Milliardenhöhe sowie mit dem Ausfall der laufenden Einzahlungen konfrontiert zu werden. Dass die SOKA-BAU jetzt nach den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichtes Sorge vor Überschuldung hat und nach einer Klärung der Rechtsfolgen ruft, können wir nachvollziehen. Zur Beseitigung dieser Rechtsunsicherheit, aber auch aufgrund des Wegfalls der Rechtsgrundlage durch die Unwirksamkeitserklärung der AVEs, wird nun eine Korrektur durch den Gesetzgeber gefordert. Wir müssen uns die Frage stellen, ob eine gesetzliche Regelung hier angebracht ist, und dies mit äußerster Vorsicht angehen. Als Gesetzgeber müssen wir zunächst sorgfältig prüfen, ob die Sachlage und ihre Rechtsfolgen tatsächlich nach einer verbindlich durch ein Gesetz angeordneten Lösung rufen. Erforderlich erscheint mir daher, das Augenmerk auf die weiteren Betroffenen zu lenken, nämlich die Betriebe des baunahen Gewerbes und die Mischbetriebe. Für die tarifgebundenen Betriebe des Baugewerbes ändert sich nichts. Für die OT-Betriebe im Baugewerbe ändert sich jetzt zwar etwas, aber hier könnte man es noch am ehesten vertreten, dass sie dem Tarifvertrag zur SOKA-BAU zuzurechnen sind. Bei den baunahen Gewerken und bei den Mischbetrieben ist das jedoch eine äußerst kritische Frage. Die Loslösung von der SOKA-BAU war ja gerade das Ziel baunaher Gewerke und der Mischbetriebe, die sie mit den gerichtlichen Verfahren verfolgt haben. Hier nun als Gesetzgeber hinzugehen und diese gerichtlichen Entscheidungen, die aufgrund der bisherigen Rechtslage ergangen sind, nun rückwirkend für die Vergangenheit wieder aufzuheben und die Situation der Vergangenheit nachträglich als rechtens zu bewerten, erscheint mir äußerst fraglich. Dies muss einer intensiven verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Es ist für mich nachvollziehbar, dass alle durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts positiv betroffenen Unternehmen, Branchen und Bereiche eine nüchterne Wahrnehmung der tariflichen Zuständigkeitsbereiche verlangen. Dies ist in meinen Augen auch ihr gutes Recht. In diesem Zusammenhang muss auch die vom BAG angesprochene „große Einschränkungsklausel“ in die Überlegungen einbezogen werden. Die im Moment befürchtete finanzielle Schieflage der SOKA-BAU bis hin zur befürchteten Insolvenz ist bisher noch nicht nachvollziehbar belegt. Daher muss auch dies auf den Prüfstand gestellt werden, da dies auch gerade als Grund eines gesetzgeberischen Handelns angeführt wird. Hier spielen gewiss auch die möglichen Rückforderungen eine große Rolle. Natürlich müssen wir diese im Rahmen des gesetzgeberischen Handelns berücksichtigen, da wir grundsätzlich ein Interesse an dem Fortbestand der SOKA-BAU haben. Allerdings muss man dann redlicherweise auch die Frage stellen und beantworten, was mit möglichen Nachzahlungen geschehen soll, die die SOKA-BAU aufgrund eines vom Gesetzgeber erlassenen Rettungsgesetzes einfordern könnte, die aber nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes nun nicht zu zahlen wären. Auch hier stellen sich verfassungsrechtliche Fragen. Mit dieser Aufzählung von Fragen sollen nur einige aufgeworfen werden, obwohl noch weitere aufgeworfen werden müssen. Diese sind im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu stellen und zu beantworten. Diese müssen zuerst vollumfänglich beantwortet werden, bevor das Verfahren beendet werden kann. Vor Beendigung des Verfahrens muss in meinen Augen auch geklärt sein, welche Betriebe zur SOKA-BAU zahlen müssen und welche nicht. Bevor dies nicht geklärt ist, ist eine Beendigung des Verfahrens schwierig. Schließlich wurde die Nichtzahlung durch das BAG bestätigt. Bevor diese Entscheidung quasi aufgehoben wird, müssen alle Beteiligten diese Frage geklärt und beantwortet haben. Tobias Zech (CDU/CSU): Von den Leistungen der SOKA-BAU profitieren laut eigenen Auskünften mehr als 145 000 Betriebe, über 330 Millionen Euro gehen jedes Jahr an rund 370 000 Rentner, und für mehr als 35 000 Auszubildende werden Leistungen in Höhe von 300 Millionen Euro aufgebracht. Nicht zuletzt ist die zur SOKA-BAU gehörende ZVK-BAU AG (Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG) die größte Pensionskasse Deutschlands. Die Zahlen sprechen für sich: Die Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ist ein Thematik von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die SOKA-BAU ermöglicht Flexibilität und Sicherheit in einer Branche, die ständig vor vielfältigen Herausforderungen steht. Von der Abhängigkeit von Witterungsbedingungen, einer großen Häufigkeit von Arbeitgeberwechseln bis hin zu kleingewerblichen Unternehmsstrukturen. Die SOKA-BAU sorgt also dafür, dass trotz dieser schwierigen Verhältnisse für die Arbeitnehmer keine Nachteile bei Rente, Urlaub und Ausbildung entstehen und gewährleistet darüber hinaus die Einhaltung des branchenweiten Mindestlohns von Unternehmen aus dem In- und Ausland. Diese wichtigen Leistungen verdanken wir in erster Linie der im Baugewerbe bestehenden Tarifpartnerschaft – wie sie natürlich in vielen anderen Branchen durch Tarifpartnerschaften ebenso ermöglicht wird. Dieses System ist eine der Stützen unserer deutschen Wirtschaftskraft. Es gilt, sie zu schützen. Und ich sage ganz deutlich: Für mich bedeutet der Schutz der Tarifpartnerschaft auch immer so wenig staatlicher Eingriff wie möglich. Wir haben ja auch nicht grundlos die Tarifautonomie in unserem Grundgesetz verankert. Trotzdem ist es unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass eine, wie in diesem Fall seit 1949 funktionierende sozialpartnerschaftliche Stütze, die Vorteile sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber bietet, nicht ins Wanken gerät – vorausgesetzt, sie erfüllt die geltenden Regeln, und in diesem Einzelfall habe ich, ehrlich gesagt, noch viele offene Fragen. Ganz zu schweigen von der offenen Frage der juristischen Auswirkungen der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen. Die Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ist ein komplexes Unterfangen. Schließlich geht es hier nicht nur um die SOKA-BAU, sondern vielmehr um eine Handvoll verschiedener Akteure beziehungsweise Faktoren, die offenbar zum Teil sehr verschiedene Interessen und auch Einschätzungen der Situation vertreten bzw. nahelegen: Da wäre zum einen das Bundesarbeitsgericht, das im September einige Allgemeinverbindlicherklärungen unter anderem aufgrund der fehlenden Ministererklärung sowie in Teilen wegen der 50Prozent-Quote für unwirksam erklärt hat – der Grund weshalb wir heute überhaupt über die SOKA-BAU sprechen. Des Weiteren ist da natürlich noch die SOKA-BAU, deren Zahlungsfähigkeit hier zur Debatte steht und die den vorliegenden Gesetzentwurf unterstützt. Der Gesetzentwurf, der die Allgemeinverbindlichkeit rückwirkend vorschreibt, ist ebenfalls ausgiebige Diskussionen wert. Und es gibt verschiedene Stimmen, die die Allgemeinverbindlicherklärung anzweifeln und/oder denen die fachlichen und tariflichen Zuständigkeitsbereiche nicht ausreichend definiert sind. Wie man sieht, ist bei diesem Gesetzesvorhaben also ein besonders kritischer Blick geboten. Bei diesem kritischen Blick bitte ich um Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der kommenden Debatten. Bernd Rützel (SPD): Die zusätzlichen Sozialkassen in der Bauwirtschaft leisten einen wichtigen Beitrag zur Absicherung der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe. Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien schaffen einen Ausgleich für die strukturbedingten Nachteile der Bauarbeitnehmer. Sie haben eine lange Tradition. Seit Jahrzehnten erbringen sie verlässlich Leistungen. Hiervon profitieren nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Auszubildende sowie Rentnerinnen und Rentner, sondern letztlich das gesamte Bauhauptgewerbe. Bauarbeitnehmer erhalten oft eine gesetzliche Rente, die nur knapp über der Grundsicherung liegt. Eine betriebliche Altersversorgung gibt es – auch infolge häufiger Arbeitgeberwechsel – selten. Über die SOKA-BAU erhalten Bauarbeitnehmer Rentenbeihilfe. Das Ausbildungskassenverfahren garantiert eine qualitativ hochwertige, überbetriebliche Berufsausbildung. Im Baugewerbe gibt es große saisonale Schwankungen und häufige Arbeitgeberwechsel. Daher gibt es häufig Probleme für Bauarbeitnehmer, ihren Urlaub zu nehmen. Im Urlaubskassenverfahren werden die Urlaubsansprüche der Bauarbeitnehmer gesichert. Die SOKA-BAU organisiert für die Agentur für Arbeit den Beitragseinzug im Rahmen der Winterbauförderung. Die staatliche Winterbauförderung stellt sicher, dass Bauarbeitnehmer in der Schlechtwetterzeit nicht von Beschäftigungsverlusten bedroht werden. Von den Leistungen der Sozialkassen des Bauhauptgewerbes profitieren derzeit etwa 700 000 Bau-Arbeitnehmer, 35 000 Auszubildende sowie 370 000 Rentner. Diese Menschen und ihre Ansprüche müssen wir schützen. Auch das Bundesarbeitsgericht bestreitet nicht das öffentliche Interesse an den Sozialkassen des Bauhauptgewerbes. Daher ist es gut und wichtig, dass wir jetzt schnell handeln. Die besondere sozialpolitische Bedeutung der Sozialkassen haben wir hier im Haus zuletzt im Rahmen der AVE-Reform im Jahr 2014 ausdrücklich anerkannt. Wir können deshalb nicht zulassen, dass diesem wichtigen Instrument durch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nachträglich der Boden entzogen wird. Vor diesem Hintergrund steht außer Frage, dass wir zeitnah handeln müssen. Wir wollen im Verbund mit dem Bausozialpartnern und der SOKA-BAU eine gesetzliche Lösung, mit der die Verbindlichkeit der Sozialkassenverfahren für alle Arbeitgeber im Bauhauptgewerbe sichergestellt wird. In dem Gesetz sollen die bislang für allgemeinverbindlich erklärten Sozialkassentarifverträge für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet werden. Wir klären damit bestehende Unklarheiten. Nur mit einem Gesetz kann rechtssicher und belastbar den Bedenken des Bundesarbeitsgerichts entgegengetreten werden. Nur mit unserem Gesetz können wir garantieren, dass die Leistungen der SOKA-BAU von allen Arbeitgebern gemeinsam getragen werden. Dem entspricht, dass auch alle Arbeitnehmer – unabhängig von der Tarifbindung ihrer Arbeitgeber – Anteil an den Leistungen haben sollen. Das Gesetz gilt für alle gleichermaßen: für im Ausland ansässige Arbeitgeber und ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso wie für im Inland ansässige Arbeitgeber und deren Beschäftigte. So sorgt die SOKA-BAU zudem für einen fairen Wettbewerb in der Branche. Damit sie branchenspezifische Nachteile weiterhin ausgleichen kann, müssen wir jetzt tätig werden. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Den ersten großen politischen Konflikt, den ich Mitte der Siebzigerjahre als Jugend- und Auszubildendenvertreterin in meinem Betrieb erlebt habe, war die aufkommende Jugendarbeitslosigkeit. Damals war unsere Forderung: Wer nicht ausbildet, muss zahlen! Wenn Betriebe selbst nicht für Nachwuchs sorgen, müssen sie zumindest die Betriebe mitfinanzieren, die es tun. Diese Ausbildungsumlage ist bis heute leider nur in wenigen Branchen zu finden. Eine davon ist die Bauwirtschaft, und verwaltet wird die Umlage durch die Sozialkassen der Bauwirtschaft, die SOKA-BAU. Einst vor 68 Jahren als Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft gegründet, übernimmt sie heute weitere wichtige Aufgaben, wie die Sicherung von Arbeitszeitkonten, tariflichen Zusatzrenten oder eben die Ausbildungsumlage. Damit die SOKA-BAU diese Aufgaben erfüllen kann und alle Beschäftigten in der Branche von der sozialen Absicherung profitieren können, sind über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von geltenden Tarifverträge der Bauwirtschaft und Baunebenbranchen alle Beteiligten mit einbezogen – ob sie einen Tarifvertrag haben oder nicht, ob sie Arbeitgeber sind oder Arbeitnehmer. Dass da einige Arbeitgeber rumjammern, ist nicht verwunderlich. Dass sie sich mit ihrer Klage vor dem Bundesarbeitsgericht gegenüber diesem System aber entsolidarisiert haben, hat mich persönlich sehr empört. Die unabsehbaren Folgen des Urteils hat die SOKA-BAU in die Insolvenzberatung getrieben, und daher findet der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verhinderung einer Pleite unsere volle Zustimmung. Der radikale Schritt, den Frau Nahles mit diesem Gesetzentwurf zur Rettung der SOKA-BAU geht, wäre aber gar nicht nötig gewesen. Und ich erkläre Ihnen auch, warum. Es wäre jetzt nicht nötig, das Regierungshandeln seit 2006 nachträglich zu legitimieren, wenn die Bundesregierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte die Tarifbindung nicht derart massiv geschwächt hätten – ich nenne hier nur einmal die kalte Aussperrung oder die Duldung der OT-Mitgliedschaften von Arbeitgebern als zwei von vielen Angriffen auf die Tarifbindung. Das Wirken von Franz Müntefering über Franz Josef Jung bis hin zu Ursula von der Leyen im Bundesarbeitsministerium lässt sich auch an der Statistik ablesen: Laut WSI waren 1998 über die Hälfte der Betriebe nicht tarifgebunden, siebzehn Jahre später waren es schon über 70 Prozent. Diese massive Tarifflucht wäre ohne das staatliche Eingreifen in die Tarifautonomie nie möglich gewesen. Und ohne diese aktive Parteinahme zugunsten von Arbeitgebern, das gehört auch zur Wahrheit, wäre die Situation bei den Sozialkassen der Bauwirtschaft heute sicher eine andere. Frau Nahles, Sie müssen hier den Mist aufräumen, den Ihre Vorgänger hinterlassen haben, und diesmal haben Sie auch unsere volle Unterstützung, weil es uns um die Beschäftigten geht. Auch Ihr Anliegen, die Tarifbindung staatlich wieder zu stärken, trifft auf meine Zustimmung. Ich kann Ihnen aber nur davon abraten, Tarifbindung mittels tariflicher Öffnungsklauseln oder „Experimentierklauseln“, wie jetzt beim Arbeitszeitgesetz, in erster Linie nur wieder attraktiv für Arbeitgeber zu machen. Damit tun Sie weder Ihren Gewerkschaftsfreunden noch dem Handlungsspielraum Ihres eigenen Ministeriums einen Gefallen. Denn damit hintertreiben Sie die Kernfunktion von Tarifbindung und der ihr zugrundliegenden Tarifverträge und hinterlassen Ihrem Nachfolger wiederum einen Misthaufen, den er oder sie dann künftig beseitigten darf. Die Situation der SOKA-BAU sollte uns allen eine Lehre sein, so schnell wie möglich mit dem konsequenten Wiederaufbau der Tarifbindung im Sinne der Beschäftigten zu beginnen. Ein sofortiges Verbot von OT-Mitgliedschaften wäre da ein guter Anfang. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Sozialkasse im Baugewerbe existiert seit über 60 Jahren. Sie vereint die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft sowie die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes. Sie hat große Verdienste um bessere Arbeitsbedingungen in dieser Branche. Das ist auch dringend nötig, denn diese Branche ist, wie kaum eine andere, von wechselnden Beschäftigungen und saisonalen Schwankungen geprägt. Die Basis dieser Sozialkasse ist ein Tarifvertrag der Sozialpartner in der Baubranche. Dieser Tarifvertrag gilt für alle in der Branche, also auch für nichttarifgebundene Betriebe, und das ist im Fall einer solchen gemeinsamen Einrichtung eine absolute Notwendigkeit. Entsprechend war die Allgemeinverbindlichkeit der entsprechenden Tarifverträge in den letzten Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Allgemeinverbindlichkeit dieses Tarifvertrags durch das Bundesarbeitsministerium seit 2006 unwirksam ist. Die Gründe sind vor allem formaler Natur. Zum einen fehlt die Unterschrift von den damaligen Arbeitsministern Olaf Scholz und Ursula von der Leyen. Zum anderen war das damals gesetzlich notwendige 50-Prozent-Quorum der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben aus Sicht des Gerichts verfehlt. Ich halte das Urteil für bedauerlich und kann auch kaum nachvollziehen, dass eine bewährte und allgemein anerkannte Institution wie die SOKA-BAU auf dieser Grundlage in Existenznot gebracht wird. Immerhin erhalten mehr als 145 000 Betriebe für ihre gezahlten Beiträge Leistungen und Service von der SOKA-BAU. Mehr als 370 000 Rentnerinnen und Rentner erhalten Leistungen. Mehr als 825 000 Anwärtern werden jährlich Beiträge für die Altersversorgung gutgeschrieben. Und mehr als 35 000 Auszubildende profitieren von den Ausbildungsbetrieben und überbetrieblichen Ausbildungszentren. Zumindest hätte ich erwartet, dass das Gericht bei einer solchen Entscheidung in Erwägung zieht, dass die überwiegende Zahl der Unternehmen und Beschäftigten seit Jahren auf den Bestand der Kasse vertraut haben. Zweifellos hat sich aber auch das Bundesarbeitsministerium nicht mit Ruhm bekleckert, denn es hat zugelassen, dass diese Allgemeinverbindlichkeit so angreifbar ist. Nun ist der Schaden da, und wir brauchen eine gute Lösung. Allerdings muss die Lösung juristisch sauber sein und den Unternehmen und Beschäftigten endlich Rechtssicherheit bringen. Ob der Gesetzentwurf der Bundesregierung – insbesondere die Auswirkung auf die Jahre ab 2006 – diesen Ansprüchen genügt, werden wir genau prüfen. Notwendig sind aus unserer Sicht eine absolute Transparenz des Verfahrens und ein offener Umgang mit den Argumenten, die dafür und dagegen sprechen. Wenn es gangbare Alternativen gibt, gehören sie auf den Tisch. Seien Sie versichert, wir werden den Prozess konstruktiv begleiten. Denn für uns Grüne ist klar: Die SOKA-BAU ist wichtig, und ihre Existenz muss unbedingt gesichert werden. 1)  Anlagen 2 bis 5 2)  Ergebnis Seite 20832 C 3)  Anlage 6 4)  Ergebnis Seite 20858 D 5)  Ergebnis Seite 20869 A 6)  Anlagen 7 bis 10 7)  Ergebnis Seite 20917 D 8)  Ergebnis Seite 20937 C 9)  Anlage 11 10)  Anlage 12 11)  Anlage 13 12)  Anlage 14 13)  Anlage 15 14)  Anlage 16 15)  Anlage 17 16)  Anlage 18 17)  Anlage 19 18)  Anlage 20 19)  Anlage 21 20)  Anlage 22 21)  Anlage 23 22)  Anlage 24 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 209. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 209. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2016 V Plenarprotokoll 18/209