Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 231. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. April 2017 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Heinz Wiese (Ehingen), Karl-Heinz Wange und Dr. Hans-Ulrich Krüger 23177 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 23177 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 8 a, 8 b, 9, 14, 28, 29, 34, 43 d und 43 g 23178 B Nachträgliche Ausschussüberweisung 23178 D Begrüßung des Präsidenten der Versammlung der Volksvertreter der Tunesischen Republik, Herrn Mohamed Ennaceur 23179 A Begrüßung des Oberbürgermeisters der Stadt Wolgograd, Herrn Andrej Kossolapow 23289 A Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Sondertreffen des Europäischen Rates zu 27 am 29. April 2017 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 23179 B Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) 23182 D Thomas Oppermann (SPD) 23184 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23187 C Volker Kauder (CDU/CSU) 23189 D Heike Hänsel (DIE LINKE) 23192 A Dr. Katarina Barley (SPD) 23192 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) 23193 B Norbert Spinrath (SPD) 23195 A Michael Stübgen (CDU/CSU) 23196 A Detlef Seif (CDU/CSU) 23197 A Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen Drucksachen 18/11233, 18/11531, 18/11683 Nr. 8, 18/12128 23198 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG) Drucksachen 18/11132, 18/11184, 18/12127 23198 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Britta Haßelmann, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine Bundessteuerverwaltung – Gleiche Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee Drucksachen 18/2877, 18/12127 23198 C d) Antrag der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen – Steueroasen austrocknen Drucksache 18/8132 23198 C Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) 23198 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 23200 A Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) 23201 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23203 A Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF 23204 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23206 A Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF 23206 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 23206 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23208 B Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) 23209 A Dr. Jens Zimmermann (SPD) 23210 A Uwe Feiler (CDU/CSU) 23210 D Bernhard Daldrup (SPD) 23211 C Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische Mindestrente einführen Drucksache 18/10891 23213 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 38: Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesamtkonzept Alterssicherung – Verlässlich, nachhaltig, solidarisch und gerecht Drucksache 18/12098 23213 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 23213 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) 23215 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 23217 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) 23217 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23218 C Dr. Martin Rosemann (SPD) 23220 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 23221 C Ralf Kapschack (SPD) 23223 B Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 23224 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 23225 D Tagesordnungspunkt 42: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend persistente organische Schadstoffe (POP) Drucksache 18/11843 23227 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung von Polymerisationsanlagen in den Anwendungsbereich des Emissionshandels Drucksache 18/11844 23227 B c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 30. November 1999 (Multikomponenten-Protokoll) zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Versauerung, Eutrophierung und bodennahem Ozon Drucksache 18/11845 23227 B d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend Schwermetalle Drucksache 18/11846 23227 C e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) Drucksache 18/11847 23227 C f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11867 23227 C g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. November 2012 zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Tabakerzeugnissen Drucksache 18/11868 23227 D h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November 2016 zur Änderung des Abkommens vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11869 23227 D i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr Drucksache 18/11878 23228 A j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über Soziale Sicherheit Drucksache 18/11879 23228 A k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (7. BZRGÄndG) Drucksache 18/11933 23228 A l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Drucksache 18/11939 23228 B m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten Drucksache 18/11942 23228 B n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer wasserrechtlichen Genehmigung für Behandlungsanlagen für Deponiesickerwasser und zur Änderung der Vorschriften zur Eignungsfeststellung für Anlagen zum Lagern, Abfüllen oder Umschlagen wassergefährdender Stoffe Drucksache 18/11946 23228 B o) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Chemikaliengesetzes und zur Änderung weiterer chemikalienrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/11949 23228 C p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften Drucksache 18/12041 23228 C q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 15. Oktober 2016 in Kigali beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen Drucksache 18/12048 23228 D r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Gesetze über Bergmannssiedlungen Drucksache 18/12049 23228 D s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung gebührenrechtlicher Regelungen im Aufenthaltsrecht Drucksache 18/12050 23228 D t) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Verbesserung der Kosteneffizienz von Emissionsminderungsmaßnahmen und zur Förderung von Investitionen in CO2-effiziente Technologien KOM(2015) 337 endg.; Ratsdok. 11065/15 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Drucksache 18/11744 23229 A u) Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbot der Haltung wild lebender Tierarten in Zirkussen Drucksache 18/12088 23229 A v) Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neustart der Europäischen Union auf der Grundlage Sozialer Menschenrechte Drucksache 18/12089 23229 B w) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientinnen und Patienten entlasten – Zuzahlungen bei Arzneimitteln abschaffen Drucksache 18/12090 23229 B Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/12085 23229 B b) Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Drucksache 18/12091 23229 C c) Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen Drucksache 18/12095 23229 C Tagesordnungspunkt 43: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts Drucksachen 18/11238 (neu), 18/11746, 18/11822 Nr. 12, 18/12147 23229 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Postdienstrechts Drucksachen 18/11559, 18/12134 23230 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen Drucksachen 18/11625, 18/12139 23230 C e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407, 18/12081, 18/12126 23230 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Sachgrund – Keine Befristung Drucksachen 18/11598, 18/11608, 18/11802 23231 B h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten Drucksachen 18/10972, 18/12075 23231 C i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 – Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten Drucksachen 18/11164, 18/11179, 18/12063 23231 D j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Gartenbau sowie Garten- und Landschaftsbau als innovativen Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen Drucksachen 18/10018, 18/12150 23232 A Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23232 B Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI 23233 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 23235 C Arno Klare (SPD) 23237 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) 23238 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 23239 C Ulli Nissen (SPD) 23240 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23242 A Patrick Schnieder (CDU/CSU) 23243 A Kirsten Lühmann (SPD) 23244 A Ulrich Lange (CDU/CSU) 23245 C Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 23246 C Tagesordnungspunkt 6: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksache 18/11163 23247 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksachen 18/11326, 18/11658, 18/11822 Nr. 11, 18/12076, 18/12141 23247 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12077 23247 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 23248 A Martina Renner (DIE LINKE) 23249 A Uli Grötsch (SPD) 23250 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23251 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 23252 C Susanne Mittag (SPD) 23254 D Clemens Binninger (CDU/CSU) 23255 D Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Drucksachen 18/11161, 18/12153 23257 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Drucksachen 18/11547, 18/12153 23257 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 23257 C Frank Tempel (DIE LINKE) 23258 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 23259 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23260 B Dr. Johannes Fechner (SPD) 23261 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 23262 B Bettina Bähr-Losse (SPD) 23264 A Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 23264 D Frank Tempel (DIE LINKE) 23265 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23267 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen Drucksache 18/12099 23268 C Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23268 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 23269 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23271 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 23272 A Dr. Lars Castellucci (SPD) 23273 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23274 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23275 B Nina Warken (CDU/CSU) 23275 D Rüdiger Veit (SPD) 23277 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 23278 A Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksachen 18/11408, 18/12158 23279 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12159 23279 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 23279 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 23280 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 23282 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23284 B Sönke Rix (SPD) 23285 C Maik Beermann (CDU/CSU) 23286 C Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine neue Ostpolitik Deutschlands Drucksachen 18/11167, 18/11671 23288 D Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) 23289 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 23290 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23291 C Andrej Hunko (DIE LINKE) 23292 C Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 23293 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23295 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 23296 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) 23296 C Florian Hahn (CDU/CSU) 23296 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 23298 A Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksachen 18/11325, 18/11655, 18/11822 Nr. 10, 18/12084, 18/12144 23299 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken Drucksachen 18/11401, 18/12084, 18/12144 23299 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 23299 C Petra Pau (DIE LINKE) 23300 B Gerold Reichenbach (SPD) 23301 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23302 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 23304 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 23305 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr. Frithjof Schmidt, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schlüssel für eine globale, ökologische und gerechte Energieaußenpolitik Drucksachen 18/10147, 18/11694 23307 A Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23307 B Jens Koeppen (CDU/CSU) 23308 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 23310 D Jens Koeppen (CDU/CSU) 23311 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23311 C Jens Koeppen (CDU/CSU) 23312 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 23312 C Johann Saathoff (SPD) 23313 C Tagesordnungspunkt 13: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksachen 18/11162, 18/12155 23314 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksachen 18/11584, 18/12155 23314 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 23315 A Frank Tempel (DIE LINKE) 23315 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 23317 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23318 A Bettina Bähr-Losse (SPD) 23319 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 23319 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 23320 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern – Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen Drucksache 18/12094 23322 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) 23322 B Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) 23323 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23324 B Burkhard Blienert (SPD) 23325 C Ansgar Heveling (CDU/CSU) 23327 A Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr. 8, 18/12146 23328 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 23328 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 23329 A Oliver Grundmann (CDU/CSU) 23330 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23332 B Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe – Familien gezielt unterstützen Drucksache 18/12110 23333 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Familien stärken – Kinder fördern Drucksachen 18/10473, 18/12156 23333 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksachen 18/9007, 18/12156 23333 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kindern sichern Drucksachen 18/4307, 18/11592 23334 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23334 A Markus Koob (CDU/CSU) 23335 B Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 23336 D Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 23338 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) 23340 B Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes Drucksachen 18/9951, 18/11811 23342 A Klaus Barthel (SPD) 23342 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 23343 B Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 23344 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 23345 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23346 A Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Lobbyismus im Klassenzimmer Drucksachen 18/8887, 18/12064 23347 B Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt Drucksache 18/12037 23347 C Tagesordnungspunkt 21: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) Drucksachen 18/11501, 18/12080, 18/12149 23347 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12157 23347 D Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes Drucksachen 18/11502, 18/11931, 18/12122 23348 A Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union Drucksachen 18/11242, 18/11620, 18/11808 23348 B Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822 Nr. 6, 18/12151 23348 C Tagesordnungspunkt 25: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsannex) Drucksachen 18/11530, 18/12145 23349 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG) Drucksachen 18/11529, 18/12145 23349 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren Drucksachen 18/10823, 18/12154 23349 C Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung Drucksachen 18/11180, 18/11813 23349 D Tagesordnungspunkt 30: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksachen 18/11236, 18/11535, 18/11683 Nr. 11, 18/12082 23350 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12083 23350 B Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI 23350 B Gustav Herzog (SPD) 23351 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23352 C Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksachen 18/11234, 18/11532, 18/11683 Nr. 9, 18/12143 23354 A Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen Drucksache 18/11936 23354 B Tagesordnungspunkt 33: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/11508, 18/11812 23354 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/11509, 18/11797 23354 C Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters Drucksache 18/12051 23354 D Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote – 37. BImSchV) Drucksachen 18/11283, 18/11472 Nr. 2.1, 18/12152 23355 A Nächste Sitzung 23355 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 23357 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Lobbyismus im Klassenzimmer (Tagesordnungspunkt 18) 23357 D Xaver Jung (CDU/CSU) 23357 D Sven Volmering (CDU/CSU) 23359 A Marianne Schieder (SPD) 23360 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 23361 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23362 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Tagesordnungspunkt 20) 23363 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 23363 A Sylvia Pantel (CDU/CSU) 23363 D Cornelia Möhring (DIE LINKE) 23365 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23365 D Elke Ferner, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ 23366 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) (Tagesordnungspunkt 21) 23367 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 23367 C Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 23368 B Wolfgang Gunkel (SPD) 23369 A Martina Renner (DIE LINKE) 23369 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23370 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 22) 23371 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 23371 D Barbara Woltmann (CDU/CSU) 23372 C Susanne Mittag (SPD) 23373 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23374 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23375 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Tagesordnungspunkt 23) 23375 D Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 23375 D Marian Wendt (CDU/CSU) 23377 C Gerold Reichenbach (SPD) 23378 C Martina Renner (DIE LINKE) 23380 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23380 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Tagesordnungspunkt 24) 23382 A Stephan Albani (CDU/CSU) 23382 A Oliver Grundmann (CDU/CSU) 23383 A Hiltrud Lotze (SPD) 23384 A René Röspel (SPD) 23384 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 23385 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23385 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 23387 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsannex) – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG) (Tagesordnungspunkt 25) 23388 B Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) 23388 B Carsten Träger (SPD) 23389 C Birgit Menz (DIE LINKE) 23390 A Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23390 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (Tagesordnungspunkt 26) 23391 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 23391 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 23392 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 23393 A Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 23393 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23394 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Tagesordnungspunkt 27) 23394 D Robert Hochbaum (CDU/CSU) 23394 D Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) 23395 B Dr. Lars Castellucci (SPD) 23396 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23396 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23397 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (Tagesordnungspunkt 30) 23398 A Gero Storjohann (CDU/CSU) 23398 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 23399 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 31) 23399 C Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) 23399 D Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 23400 A Arno Klare (SPD) 23401 A Andreas Schwarz (SPD) 23401 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 23402 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23402 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen (Tagesordnungspunkt 32) 23403 C Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 23403 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 23404 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 23405 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 23405 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23406 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 23407 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich (Tagesordnungspunkt 33 a und b) 23408 A Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 23408 B Wolfgang Gunkel (SPD) 23409 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23410 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23411 A Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters (Tagesordnungspunkt 35) 23412 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 23412 A Marcus Held (SPD) 23413 B Thomas Lutze (DIE LINKE) 23413 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23414 B Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote – 37. BImSchV) (Tagesordnungspunkt 36) 23414 D Oliver Grundmann (CDU/CSU) 23415 A Florian Oßner (CDU/CSU) 23416 A Ulli Nissen (SPD) 23416 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 23417 D Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23418 C 231. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. April 2017 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer 231. Sitzung. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Heinz Wiese zu seinem 72. und dem Kollegen Karl-Heinz Wange zu seinem 71. Geburtstag gratulieren sowie dem Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger, der seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Alle guten Wünsche des Hauses für das neue Lebensjahr und darüber hinaus! (Beifall) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 42) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/12085 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Drucksache 18/12091 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen Drucksache 18/12095 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen Drucksache 18/12099 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern – Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen Drucksache 18/12094 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Dr.  Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kindern sichern Drucksachen 18/4307, 18/11592 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Annalena Baerbock, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Renteneinheit vollenden – Gleiches Rentenrecht in Ost und West Drucksache 18/10039 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grenzregionen vor Atomrisiken schützen – Export von Brennelementen stoppen Drucksache 18/12093 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tschernobyl und Fukushima mahnen – Atomausstieg konsequent umsetzen Drucksache 18/11743 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen Drucksache 18/12086 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 5 – hier geht es um den Antrag mit dem Titel „Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische Mindestrente einführen“ – soll zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 38 – „Gesamtkonzept Alterssicherung – Verlässlich, solidarisch und gerecht“ – beraten werden. Die Tagesordnungspunkte 8 a – abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – und 8 b – Beratung des Antrags „Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneingeschränkt gewährleisten“ – sollen abgesetzt werden, und an ihrer Stelle soll der Antrag auf Drucksache 18/12099 mit dem Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“ mit einer Debattenzeit von 38 Minuten beraten werden. Der Tagesordnungspunkt 9 – abschließende Beratung des Entwurfs eines Hochwasserschutzgesetzes II – soll ebenso abgesetzt werden, und an dieser Stelle soll der Tagesordnungspunkt 19 – abschließende Beratung des Entwurfes eines Gesetzes zum Ausbau der Kindertagesbetreuung – mit einer Debattenzeit von nunmehr 38 Minuten aufgerufen werden. Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 14 – abschließende Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto – abgesetzt werden; stattdessen soll der Antrag auf Drucksache 18/12094 mit dem Titel „Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern – Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Debattenzeit von 25 Minuten beraten werden. Die Tagesordnungspunkte 28 – abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises –, 29 – abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung –, 34 – Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll zum Handelsübereinkommen zwischen der EU sowie Kolumbien und Peru betreffend den Beitritt Ecuadors –, 43 d – Entwurf eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung – und 43 g – abschließende Beratung des Antrags „Missstände und Stillstand beim Tierschutz beenden – Gesellschaftlichen Konsens umsetzen“ – sollen ebenfalls heute abgesetzt werden. Schließlich soll nach dem Tagesordnungspunkt 37 der Antrag auf der Drucksache 18/11743 mit dem Titel „Tschernobyl und Fukushima mahnen – Atomausstieg konsequent umsetzen“ in verbundener Beratung mit dem Antrag auf der Drucksache 18/12093 mit dem Titel „Grenzregionen vor Atomrisiken schützen – Export von Brennelementen stoppen“ aufgerufen werden. Die Debattenzeit soll hier 60 Minuten betragen. Schließlich möchte ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam machen: Der am 23. März 2017 (225. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung Drucksache 18/11499 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Sind Sie mit diesen Vereinbarungen je einzeln und im Zusammenhang einverstanden? – Das ist erfreulicherweise der Fall. Dann ist es so beschlossen. Auf der Ehrentribüne hat heute Morgen der Präsident der Versammlung der Volksvertreter der Tunesischen Republik, Herr Mohamed Ennaceur, mit seiner Delegation Platz genommen. Ich möchte Sie herzlich begrüßen. (Beifall) Sehr geehrter Herr Präsident, Sie gehören mit Ihren inzwischen weit über 80 Lebensjahren nicht nur zu den Veteranen der tunesischen Politik, sondern sind in den vergangenen Jahren zu einer der Säulen des Erneuerungs-, Veränderungs- und Demokratisierungsprozesses Ihres Landes geworden, an dessen Gelingen wir ein gemeinsames Interesse haben und bei dem wir Ihr Land gern weiter nach Kräften unterstützen werden. (Beifall) Herzlich willkommen und alle guten Wünsche für die weitere Arbeit! Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Sondertreffen des Europäischen Rates zu 27 am 29. April 2017 in Brüssel Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann verfahren wir so. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie auch mich vor Beginn einen herzlichen Gruß an die Vertreter Tunesiens richten; denn ich erinnere mich gern daran, dass ich vor wenigen Wochen im tunesischen Parlament sprechen konnte. Wir wünschen Tunesien allen Erfolg bei seiner Arbeit und auf seinem schwierigen, aber bislang doch sehr hoffnungsfrohen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische Rat wird sich am Samstag in Brüssel im Kreis der zukünftig 27 Mitgliedstaaten mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union beschäftigen. Die Austrittsverhandlungen werden der Europäischen Union genauso wie auch Großbritannien selbst in den zwei Jahren mit Sicherheit einiges abverlangen. Das steht, glaube ich, völlig außer Zweifel. Außer Zweifel steht aber auch, dass diese Austrittsverhandlungen beileibe nicht die einzige Herausforderung sind, die Europa in den nächsten zwei Jahren zu bewältigen hat. Erlauben Sie mir deshalb bitte, dass ich zunächst einige Sätze zur Entwicklung in der Türkei sage. Die Situation dort kann im Rahmen dieser Debatte nicht unangesprochen bleiben, und sie wird sicher auch bei unserem Treffen am Samstag nicht unangesprochen bleiben, obwohl ich darauf hinweisen muss, dass Befassungen mit der Türkei offiziell im Rat der 28 Mitgliedstaaten stattfinden müssen, weil Großbritannien nach wie vor Mitglied der Europäischen Union mit allen Rechten und Pflichten ist, also die eigentliche Befassung am Samstag nicht stattfinden kann. Vorweg: Natürlich respektieren wir das Recht der türkischen Bürgerinnen und Bürger, frei und demokratisch über ihre eigene Verfassungsordnung zu entscheiden. Ich glaube, das versteht sich für uns von selbst. Mit umso größerer Sorge jedoch müssen wir den gemeinsamen Bericht der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Ablauf dieser Abstimmung zur Kenntnis nehmen. Ich möchte an dieser Stelle den beteiligten Abgeordneten wie auch dem Leiter des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte, Michael Link, für ihre wichtige Arbeit danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihrer Einschätzung kommt besondere Bedeutung zu; denn sie stammt von unabhängigen Beobachtern. Die türkische Regierung muss sich an diesem Bericht messen lassen und die darin aufgeworfenen Fragen beantworten. Der im Bericht enthaltene Vorwurf, dass es für die verschiedenen Lager im Referendumswahlkampf keine Chancengleichheit gegeben hat, ist ebenso gravierend wie die Feststellung, dass demokratische Grundrechte unter dem Ausnahmezustand eingeschränkt worden sind. Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, wie die Türkei sich bei der Aufklärung möglicher Unregelmäßigkeiten verhält. Gleiches gilt für die weiteren Schritte der türkischen Regierung bei der konkreten Umsetzung der Verfassungsreform und bei ihrer Zusammenarbeit mit dem Europarat. Hierzu gehört auch das umfassende Monitoringverfahren, das die Parlamentarische Versammlung des Europarats an diesem Dienstag beschlossen hat. Die massiven Bedenken, die die Venedig-Kommission des Europarats hinsichtlich des Verfahrens und des Inhalts der Verfassungsreform geäußert hatte, wiegen schwer. Diesen Bedenken muss die Türkei Rechnung tragen – als Mitglied des Europarats, als Mitglied der OSZE und als Beitrittskandidat der Europäischen Union. Es ist – um das unmissverständlich zu sagen – mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar, wenn eine Exekutive – in diesem Fall die türkische Exekutive – Vorverurteilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist. (Beifall im ganzen Hause) Die Bundesregierung wird nicht nur mit Blick auf sein Schicksal, sondern auf die vielen Strafverfahren in der Türkei insgesamt unvermindert und wieder und wieder die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards einfordern, einschließlich des hohen Guts der Meinungs- und Pressefreiheit. Es steht außer Frage, dass die Entwicklungen der vergangenen Woche das deutsch-türkische und das europäisch-türkische Verhältnis stark belastet haben. Wir werden uns in dieser Lage weiterhin darum bemühen, zu einem konstruktiven deutsch-türkischen und europäisch-türkischen Dialog zurückzukehren. Die Außenminister werden sich heute und morgen treffen und dabei auch mit dem türkischen Außenminister zusammenkommen. Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch – und das sage ich mit Bedacht – Europas von der Türkei wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse. Es ist also Klugheit ebenso wie Klarheit gefragt. Und genauso – mit Klugheit wie mit Klarheit – werden wir im Kreise der Europäischen Union darüber beraten, welche präzisen Konsequenzen wir zu welchem Zeitpunkt für angemessen halten; die Bundesregierung strebt dabei ein gemeinsames Handeln der europäischen Institutionen an. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Sondertreffen des Europäischen Rates am kommenden Samstag wurde eingeladen, nachdem das Vereinigte Königreich am 29. März offiziell mitgeteilt hat, dass es aus der Europäischen Union austreten möchte. Die britische Regierung setzt damit das um, wofür sich eine Mehrheit der britischen Wählerinnen und Wähler vor etwas mehr als zehn Monaten bei einem Referendum entschieden hat. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir – Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – haben uns diesen Austritt nicht gewünscht. Aber auch hier gilt, dass wir – Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – diese demokratisch getroffene Entscheidung respektieren und jetzt nach vorne schauen. Mit dem offiziellen Schreiben der britischen Regierung hat die zweijährige Frist begonnen. Nach Ablauf dieser Frist wird die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union, so wie es in den Verträgen beschrieben ist, enden. Jetzt liegt es an uns, den zukünftig 27 Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen, unsere eigenen Interessen und Ziele für die bevorstehenden Verhandlungen zu definieren. Dazu wird der Europäische Rat am Samstag den ersten Schritt gehen und im Format der 27 gemeinsame Leitlinien für die Verhandlungen verabschieden. Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, hat hierfür nach intensiven Vorbereitungen, an denen sich natürlich auch die Bundesregierung beteiligt hat, einen, wie wir finden, sehr guten und ausgewogenen Textentwurf vorgelegt – ich möchte Donald Tusk dafür herzlich danken –; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) denn in diesem Entwurf werden nicht nur die Anliegen der 27 Mitgliedstaaten in vollem Umfang berücksichtigt, sondern auch die übergeordneten Interessen der Europäischen Union als Ganzes. Meine vielen Gespräche in den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass im Kreise der 27 Mitgliedstaaten und der Institutionen mittlerweile ein großes Einvernehmen über unsere gemeinsame Verhandlungslinie gegenüber Großbritannien besteht. Wir können deshalb davon ausgehen, dass vom Europäischen Rat der 27 übermorgen ein starkes Signal der Geschlossenheit ausgehen wird. Die Leitlinien des Europäischen Rates werden die Grundlage für das Verhandlungsmandat bilden, das die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission in einem weiteren Schritt – voraussichtlich Ende Mai – erteilen werden. Dieses Verhandlungsmandat wird erheblich umfangreicher sein als die Leitlinien, die wir am Samstag verabschieden werden. Ich betone jedoch ausdrücklich, dass ich die Erwartung des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, teile, dass die eigentlichen politischen Verhandlungen mit Großbritannien erst nach den britischen Unterhauswahlen am 8. Juni richtig Fahrt aufnehmen werden und richtig Fahrt aufnehmen können. In diesen Verhandlungen wird die Europäische Union durch die Europäische Kommission mit ihrem Chefunterhändler Michel Barnier vertreten sein. Ich habe mich zugleich von Anfang an dafür eingesetzt, dass während des gesamten Verhandlungsprozesses alle wichtigen Entscheidungen nur mit Zustimmung der Mitgliedstaaten getroffen werden. Das gilt natürlich – dies ist auch die Haltung der gesamten Bundesregierung –, und das ist auch sichergestellt; denn das Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union berührt natürlich die Interessen aller übrigen Mitgliedstaaten unmittelbar. Für uns stehen drei Anliegen im Mittelpunkt der Verhandlungen: Erstens. Es gilt, die Interessen unserer, der deutschen Bürgerinnen und Bürger zu wahren. Dabei geht es insbesondere um die ganz konkreten Alltagsfragen, die die vielen vom Brexit direkt betroffenen Menschen beschäftigen. Das gilt ganz besonders für diejenigen, die derzeit als deutsche und europäische Staatsangehörige in Großbritannien leben. Geschätzt trifft dies im Moment auf ungefähr 100 000 Deutsche zu, alle mit individuellen Biografien und ganz persönlichen Sorgen vor einer ungewissen Zukunft. Denken wir zum Beispiel an eine Rentnerin, die vielleicht schon vor Jahren aus beruflichen Gründen von Deutschland nach Großbritannien gezogen ist, dort ein Haus gekauft hat und jetzt im Ruhestand mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert ist. Oder: Denken wir an einen jungen Studenten, der den Traum eines grenzenlosen Europas lebt und sich nun sorgt, ob er nach seiner bereits laufenden Hochschulausbildung in Schottland im Vereinigten Königreich bleiben kann. Oder: Denken wir an ein in London lebendes deutsches Elternpaar, dessen Kinder in Großbritannien aufgewachsen sind, und das jeden Tag auf Zugang zu Schule, Arbeitsplatz und Krankenversicherung angewiesen ist. Viele weitere Beispiele könnten folgen. Sie alle stehen dafür, dass sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit Großbritannien intensiv dafür einsetzen wird, im Interesse aller betroffenen deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger so schnell wie möglich Klarheit und Planungssicherheit in all diesen Fragen zu erzielen. Wir werden natürlich alles dafür tun, dass mögliche negative Auswirkungen für den Alltag unserer Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich ausfallen. Im Gegenzug sind wir dann natürlich auch bereit, den bei uns in Deutschland und in den anderen EU-Mitgliedstaaten lebenden britischen Staatsangehörigen ein faires Angebot zu unterbreiten. Sie sind natürlich ein wichtiger Teil unseres Zusammenlebens und sollen dies auch bleiben. Zweitens. Es gilt, Schaden von der Europäischen Union insgesamt abzuwenden, den ein nicht geglückter Übergang Großbritanniens zu seinem zukünftigen Status als Drittstaat mit sich bringen könnte. Unternehmer zum Beispiel wollen wissen, ob sie ihre Produkte weiter auf den jeweils anderen Markt bringen können. Wissenschaftler fragen, ob sie die Zusammenarbeit mit ihren britischen Kollegen fortsetzen können. Deshalb gilt es, vorneweg Rechtssicherheit über die Folgen des Austritts zu schaffen. Dort, wo es unsere Interessen gebieten, werden wir selbstverständlich auch künftig eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien anstreben. Das gilt beispielsweise für den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und die organisierte Kriminalität oder für die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zugleich werden wir aber immer darauf achten, bei dieser Zusammenarbeit die Errungenschaften der europäischen Integration zu wahren und zu stärken. Ich bin fest davon überzeugt: Die Europäische Union wird auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens eine einzigartige Wertegemeinschaft und einer der weltweit stärksten Wirtschaftsräume sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Drittens. Es gilt, den Zusammenhalt der Europäischen Union der 27 zu stärken. Vor kaum mehr als einem Monat haben wir in Rom den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gefeiert. Bei dieser Gelegenheit haben sich alle Beteiligten noch einmal ausdrücklich dazu bekannt, dass und wie sehr wir zu unserem Glück vereint sind. 60 Jahre europäischer Integration sind eine einzigartige Erfolgsgeschichte, und diese Erfolgsgeschichte wird mit den zukünftig 27 Mitgliedstaaten fortzuschreiben sein. Ich werde alles daransetzen, dass wir 27 Mitgliedstaaten in allen schwierigen Fragen auch weiter so zusammenstehen, wie uns das seit dem britischen Referendum vor zehn Monaten doch hervorragend gelungen ist; denn wir haben es immerhin geschafft, trotz manchmal divergierender Einzelinteressen geschlossen und vereint aufzutreten. Dass wir das schaffen würden, war am Morgen nach dem britischen Referendum alles andere als ausgemacht, und wir sollten das auch einmal ausdrücklich anerkennen. Alle 27 Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament haben sich an das gehalten, was wir damals vereinbart haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben gerade keine Vorverhandlungen mit Großbritannien geführt, keine Einzelaspekte vorab in den Vordergrund gestellt; stattdessen haben wir uns als Europäische Union gut auf die Verhandlungen vorbereitet und uns eng abgestimmt. Es gibt natürlich eine Vielzahl von ganz besonderen Interessen. Denken wir nur einmal an die Republik Irland und ihren gemeinschaftlichen Raum mit Großbritannien oder an die Probleme in Nordirland. Deshalb war es eine gute Leistung, so zusammenzuhalten. Im Ergebnis sind wir heute inhaltlich und organisatorisch bestens vorbereitet. Ich begrüße ausdrücklich, dass sich auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. April auf genau derselben inhaltlichen Linie bewegt, die wir übermorgen im Europäischen Rat beschließen wollen. Ein solches Vorgehen ist allerdings auch unverzichtbar, weil wir uns auf sehr komplexe Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien einstellen müssen, denen im Übrigen zum Schluss nicht nur der Rat, sondern auch das Europäische Parlament zustimmen muss. In 44 Jahren Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union hat sich ein dichtes Geflecht an Beziehungen entwickelt, das nun Stück für Stück entflochten werden muss. Dabei ist auch der Umgang mit allen finanziellen Verpflichtungen zu klären, die Großbritannien als EU-Mitgliedstaat verbindlich eingegangen ist und die sich auch auf die Zeit nach dem Austritt erstrecken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Joachim Poß [SPD]) Wir sind der Meinung – das füge ich noch hinzu; ich hoffe, dafür gibt es auch Unterstützung –, dass diese Verhandlungen nicht erst ganz zum Schluss geführt werden können, sondern zu den wichtigen Aspekten gehören, die von Beginn an ein Thema sein müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Reihenfolge unseres Vorgehens dabei ist klar, auch wenn es nicht immer ganz einfach sein wird, dies einzuhalten: Ein Abkommen über das zukünftige Verhältnis mit Großbritannien können wir erst schließen, wenn alle Austrittsfragen zufriedenstellend geklärt sind. Das bedeutet also: Je schneller die britische Regierung zu konstruktiven Lösungen bereit ist, desto eher können wir uns mit ihrem Wunsch befassen, bereits während der Austrittsverhandlungen über das zukünftige Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union zu sprechen. Aber zuerst müssen wir wissen, wie sich Großbritannien die zukünftigen Beziehungen mit uns vorstellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es kann und wird nur in dieser Reihenfolge gehen, nicht umgekehrt. Genau auf diese Reihenfolge werden wir 27 Mitgliedstaaten achten und bestehen. Ohne Fortschritte bei den vielen offenen Fragen des Austritts, inklusive der finanziellen Fragen, macht es keinen Sinn, parallel über Details des zukünftigen Verhältnisses zu verhandeln. Die Europäische Kommission mit Jean-Claude Juncker an der Spitze und ihrem Chefverhandler Michel Barnier hat diese Haltung wieder und wieder deutlich gemacht. Jean-Claude Juncker war zusammen mit Michel Barnier gerade gestern in Großbritannien und hat dies dort noch einmal vorgebracht. Dafür hat die Kommission die volle Unterstützung der Bundesregierung. Klar ist außerdem: Ein Drittstaat – und das wird Großbritannien sein – kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen oder womöglich bessergestellt werden können als ein Mitglied der Europäischen Union. Auch darüber sind sich alle 27 Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen einig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht denken Sie, dass das eigentlich Selbstverständlichkeiten sind. Doch ich muss das leider hier so deutlich aussprechen; denn ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machen. Das aber wäre vergeudete Zeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Selbstverständlich muss es auch im zukünftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union wieder ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten und Pflichten geben. Wenn Großbritannien hierzu bereit ist, dann sollte einer engen und langfristigen Partnerschaft mit der Europäischen Union allerdings nichts im Wege stehen. Wir als Europäische Union jedenfalls streben gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen zu Großbritannien an. Wir haben auch ein Interesse an einem prosperierenden und erfolgreichen Vereinigten Königreich. In einem Wort: Wir werden die Verhandlungen fair und konstruktiv führen, und genau das erwarten wir auch von der britischen Seite. Unser Ziel wird immer sein, das beste Ergebnis für Europa und seine Bürgerinnen und Bürger zu erzielen. So werden wir als EU der 27 die Gespräche führen, und so werden wir sie dann hoffentlich auch erfolgreich beenden können. Natürlich werden in den kommenden beiden Jahren die Parlamente eine enorm wichtige Rolle spielen. Der regelmäßige Austausch der jeweiligen nationalen Regierungen mit den nationalen Parlamenten ist aus meiner Sicht ganz entscheidend, um am Ende zu einem tragfähigen Verhandlungsergebnis zu kommen. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag werden dies im Rahmen der gewohnt engen Zusammenarbeit handhaben. Ich möchte hier ausdrücklich hervorheben, wie sehr es der Bundesregierung bei den anspruchsvollen Verhandlungen den Rücken stärkt, wenn das Parlament ihr im Rahmen dieser Zusammenarbeit beisteht. Deshalb begrüße ich außerordentlich, dass der Deutsche Bundestag einen Entschließungsantrag zu den Leitlinien vorbereitet hat, der heute zur Abstimmung vorgesehen ist und der sich auf derselben inhaltlichen Linie bewegt, die auch die Bundesregierung vertritt und die wir am Samstag im Europäischen Rat beschließen wollen. Lieber Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wir sind uns der Größe der Aufgabe, vor allen Dingen auch ihrer Komplexheit bewusst. Wir sind gut vorbereitet, aber es wird noch viel Arbeit mit sich bringen. Unser Ziel ist es dabei, die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union fortzuschreiben. Gut leben zu können in Deutschland und Europa, das ist und bleibt das Ziel, das uns leitet. Wir wissen, dass die Zeiten insgesamt fordernd sind. Viel zu ernst, zu tiefgreifend, zu vielfältig sind die Krisen und Konflikte in Europas unmittelbarer Nachbarschaft, zu groß auch die globalen Herausforderungen von Flucht und Migration, von Hunger – wenn wir in diesen Tagen an Afrika denken – und Not, zu groß sind die Herausforderungen des Welthandels, des Klimaschutzes, als dass es sich Europa nun leisten könnte, sich in den kommenden beiden Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen – Brexit hin oder her. Wir 27 wollen unsere Werte und Interessen auch in Zukunft weltweit behaupten. Wir wollen das zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unserer einzigartigen, großen Wertegemeinschaft tun. Es geht genau um sie, die Bürgerinnen und Bürger, die zukünftig 450 Millionen Unionsbürgerinnen und bürger. Es geht um unser gemeinsames gutes Leben in Deutschland und Europa in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Hierfür bitte ich um Ihre Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, ich stimme Ihrer eingangs geäußerten Kritik an den aktuellen Entwicklungen in der Türkei natürlich zu. Aber ich muss schon sagen, dass ich mir gewünscht hätte, dass Sie sich nur einmal dazu durchringen würden, klar und deutlich hier vor diesem Bundestag zu sagen: Ich verurteile die aktuelle Verhaftungswelle in der Türkei, und ich fordere Erdogan auf, den Tausenden unschuldig im Gefängnis Sitzenden endlich die Freiheit zurückzugeben. – Das wäre angemessen gewesen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) Das hätten wir gerne von Ihnen so gehört. Für die Linke kann ich jedenfalls ganz klar sagen: Wir fordern die Freilassung der Tausenden politischen Gefangenen, und wir halten es für absolut untragbar, dass ungeachtet der Wandlung der Türkei in eine islamistische Diktatur die EU-Beitrittsgespräche immer noch fortgeführt werden und Erdogan weiter mit deutschen Waffen und Panzern hochgerüstet wird. Das ist Politik ohne Anstand und Moral, und eine solche Politik lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) In Bezug auf Ihre EU-Politik finden wir die Gleichgültigkeit schon bemerkenswert, mit der die Bundesregierung daran mitwirkt, das Erbe der großen Gründerväter Europas zu verspielen. Ein Ereignis nach dem nächsten widerlegt Ihre Politik, jedes könnte ein Weckruf sein; aber Sie machen ungerührt weiter, als ginge es um Nebensächlichkeiten. Aber die Zukunft Europas ist keine Nebensache, und die großartige Idee eines in seiner Vielfalt und Unterschiedlichkeit geeinten Europas, in dem nach Jahrhunderten der Zwietracht und blutiger Kriege Völkerhass und Nationalismus nie wieder eine Chance bekommen, war und ist aktuell, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal Ihrem französischen Spitzenkandidaten Mélenchon!) und wir alle sollten uns ihr verpflichtet fühlen, (Beifall bei der LINKEN) allerdings nicht mit hohlen Bekenntnissen, sondern mit einer realen Politik, die den europäischen Zusammenhalt stärkt, statt ihn immer weiter zu untergraben. Schauen Sie sich die Ereignisse des zurückliegenden Jahres an. Im Juni stimmte die Bevölkerung Großbritanniens für den Austritt aus der EU. Statt nur einen Moment darüber nachzudenken, warum die EU so unpopulär geworden ist, dass derartige Entscheidungen möglich werden, feiern Sie auch heute wieder die EU als einzigartige Erfolgsgeschichte. Da hat man wirklich manchmal das Gefühl, man ist im falschen Film. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann gehen Sie halt in den richtigen!) Europa droht der Verfall. In den meisten Ländern ist die Arbeitslosigkeit höher und die Wachstumsraten sind niedriger als vor der Einführung des Binnenmarktes, die Mittelschicht hat akute Abstiegsängste, die Armut wächst, und Sie reden von einer Erfolgsgeschichte. Trotz Brexit-Unsicherheit hat sich die britische Wirtschaft im letzten Halbjahr sogar noch besser entwickelt als der Durchschnitt der Euro-Zone, aber das gibt Ihnen offenbar noch nicht einmal zu denken. In vielen Ländern ist die nationalistische Rechte auf dem Vormarsch. Bei den Wahlen in den Niederlanden erzielte Geert Wilders eines seiner besten Ergebnisse. Die Sozialdemokratie wurde mit weniger als 6 Prozent in die politische Bedeutungslosigkeit geschickt. Am letzten Wochenende erreichte der Front National in Frankreich das beste Ergebnis seiner Geschichte. 45 Prozent der Arbeiter haben Le Pen gewählt, die französische Sozialdemokratie wurde pulverisiert, und auch die Konservativen haben es nicht einmal in die Stichwahl geschafft. Aber all das ist offenbar kein Grund – selbst für die SPD nicht –, an der EU-Erfolgsgeschichte zu zweifeln. Immerhin gibt es den smarten Investmentbanker Emmanuel Macron, dessen stramm neoliberales Sozialabbauprogramm nicht nur die Börsianer feiern, sondern auch eine ganz große Koalition in der deutschen Politik, die von Frau Merkel über Herrn Schulz bis zu Cem Özdemir reicht. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott sei Dank ist Mélenchon nicht gewählt worden!) Selbstverständlich ist Marine Le Pen unwählbar, aber es waren Politiker wie Macron, die Le Pen stark gemacht haben. Darauf hat auch der französische Intellektuelle Didier Eribon hingewiesen. Ich finde, das sollte man bedenken, ehe man Macron als angeblich proeuropäischen Politiker bejubelt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr Kandidat war allenfalls antieuropäisch!) Ich zumindest würde eine Politik, die belegbar den Nationalismus stärkt, nicht gerade als proeuropäisch bezeichnen. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Na, Mélenchon auch nicht! Wovon reden Sie?) Zurück zum Brexit: Statt jetzt wenigstens auf beiderseits vorteilhafte Regelungen zu drängen, unterstützen Sie de facto den unverantwortlichen Kurs der EU-Kommission, den Austritt so abschreckend wie möglich zu gestalten. Damit erweisen Sie nicht nur der deutschen Wirtschaft einen Bärendienst, für die Großbritannien immerhin ein wichtiger Markt ist, sondern Sie merken offenbar auch gar nicht, dass sich die EU mit der Strategie, durch möglichst schlechte Austrittskonditionen potenzielle Nachahmer abzuschrecken, selbst ein Armutszeugnis ausstellt; denn wer glaubt, auf Einschüchterung angewiesen zu sein, um den europäischen Zusammenhalt zu sichern, der hat Europa längst aufgegeben. (Beifall bei der LINKEN) „Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein.“ Davon war schon der französische Präsident Mitterrand überzeugt. Tatsächlich ruhte die europäische Idee der Nachkriegszeit auf zwei Fundamenten: Demokratie und Sozialstaatlichkeit. Von beiden ist heute nicht mehr viel übrig; denn beides wird durch die aktuellen EU-Verträge nicht gefördert, sondern abgebaut und vielfach unmöglich gemacht. Immerhin wurden die Verträge doch extra so verfasst, dass sie Länder daran hindern, sich gegen Dumpingkonkurrenz – sei es bei den Löhnen, sei es bei den Konzernsteuern – zur Wehr zu setzen. Wirtschaftskämpfe unter europäischen Staaten würden der Idee der … Einheit Europas … so vollständig widersprechen, daß nur der Gedanke daran in einem scharfen Gegensatz zu der großen Arbeit stehen würde, die für eine Einigung … geleistet wurde. Es ist wirklich traurig, in welchem Grade die deutsche Politik diese Einsicht Konrad Adenauers in den Wind geschrieben hat. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Denn seit in unserem Land die Agenda 2010 prekäre, mies bezahlte Jobs zum Boomen gebracht und einen riesigen Niedriglohnsektor geschaffen hat, exportieren wir eben nicht nur gute Autos und Maschinen, sondern Fleisch, Nahrungsmittel und andere arbeitsintensive Produkte, während die Importe wegen fehlender Kaufkraft weit hinter den Exporten zurückgeblieben sind. Im Ergebnis sind die deutschen Überschüsse explodiert und spiegelbildlich dazu natürlich die Defizite und die Arbeitslosigkeit in anderen europäischen Staaten. Das ist genau der unfaire Wirtschaftskampf, vor dem Adenauer so eindringlich gewarnt hat. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt – ob Sie es verstehen oder nicht –: Was Sie da machen, das ist antieuropäische Politik. (Beifall bei der LINKEN) Gleiches gilt natürlich auch für das aggressive Steuerdumping, das Luxemburg und andere zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Solange sich in Europa die fleißigsten Steuerhinterziehungshelfer für höchste EU-Ämter empfehlen – siehe Herr Juncker – und die Bundesregierung das auch noch unterstützt, so lange wird sich daran wohl nichts ändern. Die EU droht auseinanderzufallen. Schuld daran sind nicht die Menschen, die so abstimmen und so wählen, wie sie es tun; schuld daran ist die Politik, die in Europa gemacht wird und für die die Bundesregierung die Hauptverantwortung trägt. (Beifall bei der LINKEN) Wer ein geeintes Europa will, der darf es eben nicht zum Lohndrückerladen und zur Sozialkürzungsmaschine verkommen lassen. Dass ein Europa, in dem Brüsseler Lobbykraten oder auch deutsche Politiker immer selbstherrlicher in andere Länder hineinregieren, viele Menschen abstößt und nicht gewinnt, das sollte, finde ich, niemanden wundern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber in die Türkei dürfen wir reinregieren, oder?) Deswegen schlagen wir anstelle Ihres Weiter-so drei sofort umsetzbare Signale für eine soziale Wende in Europa vor: (Zuruf von der SPD: Wir hören!) Erstens. Beenden Sie den Ratifizierungsprozess des CETA-Abkommens mit Kanada. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Um Gottes willen! – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) Dieses neoliberale Konzernschutzabkommen braucht in Europa kein Mensch. Es wird nur die Standards noch weiter absenken. Es wird aus gutem Grund von der Mehrheit der europäischen Bevölkerung abgelehnt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unglaublich! Diese Rede hat Adenauer nicht verdient! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schlechter Vorschlag! Weiter!) Zweitens. Stoppen Sie die unsozialen Kürzungsdiktate und das Lohndumping, und investieren Sie endlich in die Zukunft des europäischen Kontinents, in gute Schulen und Arbeitsplätze, in umweltfreundliche Energie und Infrastruktur. Nur so können wir die Menschen wieder für Europa begeistern; denn dann spüren sie, dass es ihr Leben verbessert und nicht ihre soziale Lage immer weiter verschlechtert. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Weiter!) Drittens. Machen Sie einen Vorstoß, die unsäglichen EU-Verträge zu verändern, in denen die Freiheit des Kapitalverkehrs, also die Freiheit von Investmentbankern, Steuerdieben und Geldwäschern, Vorrang vor sozialen Rechten hat. Diese Verträge haben einen wesentlichen Anteil daran, dass sich immer mehr Menschen von Europa abwenden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! Zurück zur Planwirtschaft, weil sie so erfolgreich war!) Setzen Sie sich für ein neues europäisches Vertragswerk ein, das Demokratie und Sozialstaat in den einzelnen Mitgliedsländern absichert und nicht immer weiter untergräbt. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäerinnen und Europäer haben ein Recht auf eine friedliche Zukunft ohne Aufrüstung und Kriegsabenteuer. Sie haben ein Recht auf soziale Sicherheit, Wohlstand und Demokratie und auf ein Europa der guten Nachbarschaft ohne deutsche Dominanz. Das war die europäische Idee der Gründerväter Europas, und das ist das Europa, für das die Linke sich einsetzt und engagiert, damit die europäische Einigung am Ende vielleicht wirklich noch eine Erfolgsgeschichte werden kann. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein überraschendes Ende!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann, der heute seinen Geburtstag feiert. Ich gratuliere ihm herzlich im Namen des Hauses. Alles Gute! (Beifall) Thomas Oppermann (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. Das größte Geschenk für mich ist allerdings nicht, dass ich an meinem Geburtstag auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin antworten darf. (Zurufe von der CDU/CSU und der LINKEN: Oh!) Das größte Geschenk ist, dass gestern Abend Borussia Dortmund in einem großartigen Spiel 3 : 2 gegen Bayern München gewonnen hat. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Jetzt will ich im Protokoll präzise lesen, wer geklatscht hat! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Roten verlieren halt gerade überall!) Das müssen Sie aber von der Redezeit abziehen, Herr Präsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich werde dazu jetzt keine Abstimmung im Bundestag herbeiführen. (Heiterkeit) Insofern empfehle ich, dass wir auf den eigentlichen Gegenstand der Debatte zurückkommen. Thomas Oppermann (SPD): Das Ergebnis von gestern könnte man auch mit einer Abstimmung nicht korrigieren. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Sonntag hat Emmanuel Macron die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen. Viele sind erleichtert über den Ausgang der Wahl. Nach Österreich und den Niederlanden hat jetzt auch Frankreich die Chance, den Vormarsch der Rechten zu stoppen. Deshalb drücken wir alle Macron die Daumen, dass er auch in der zweiten Runde die Nase vorn hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Frau Wagenknecht, Sie haben es geschafft, in einer zehnminütigen Rede über Europa nicht ein einziges positives Wort über die Europäische Union zu verlieren. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ist überhaupt nicht wahr!) Sie malen hier ein Krisenszenario und ignorieren, dass die Euro-Zone im Augenblick dabei ist, sich wirtschaftlich zu stabilisieren. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ist ja alles in Ordnung nach dem Brexit, oder was?) Ihre Rede strotzte teilweise nur so von alternativen Fakten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem habe ich eine Bitte an Sie: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten. Reden Sie mit Ihren Freunden von der Schwesterpartei in Frankreich; denn das sind die Einzigen, die bisher nicht zur Wahl von Macron aufgerufen haben. Machen Sie das; sonst nehmen Sie billigend in Kauf, dass die kommunistischen Wählerinnen und Wähler in Frankreich Frau Le Pen wählen. Das wollen Sie doch ganz bestimmt nicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bevormunder! – Lachen bei Abgeordneten der SPD) – Ich habe das nicht gehört. – Mir gibt das Ergebnis natürlich zu denken: In Frankreich haben es der linksradikale Kandidat und die rechtsradikale Kandidatin geschafft, dass 41 Prozent der Wähler klar gegen Europa votieren. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ihnen sollte zu denken geben, dass der Sozi 6 Prozent hat!) Ich finde, der Wahlausgang in Frankreich, aber auch der Brexit zeigen: Wir müssen für ein vereintes Europa kämpfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: Die Weimarer Demokratie ist eigentlich nicht daran zugrunde gegangen, dass es zu früh zu viele Nazis gab, sondern daran, dass es zu lange zu wenig Demokraten gab. – Das gilt auch heute: Europa darf nicht daran scheitern, dass es zu wenig überzeugte Europäer gibt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was macht denn die Politik?) Wenn Macron die Wahlen gewinnt, dann ist das auch eine große Chance; denn es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, die Mehrheit des französischen Volkes davon zu überzeugen, dass ein solidarisches Europa gut für Frankreich ist. Ein französisches Bekenntnis zu Europa braucht auch deutsche Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir können nicht einfach nur mit dem erhobenen Zeigefinger sagen: Weiter so wie bisher. – Wir müssen die Probleme in Europa anpacken. Wir müssen endlich für mehr Investitionen und Wachstum sorgen, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer regiert hier eigentlich?) die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, ein soziales Europa schaffen, von dem nicht nur einige wenige, sondern von dem alle Menschen profitieren. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn wir weitere Austritte wie den Brexit verhindern wollen, dann brauchen wir einen kraftvollen Neubeginn in der Europapolitik. Auch die Präsidentschaftswahlen in Frankreich haben gezeigt, wie gespalten viele westliche Länder in diesen Tagen sind. In der Türkei, in den USA, in Polen und in Großbritannien zieht sich die Spaltung quer durch die Gesellschaft. Wir in Deutschland blicken bisweilen mit Fassungslosigkeit auf die Mehrheitsentscheidungen in diesen Ländern. Wir können uns nicht in demokratische Wahlen einmischen. Aber wir können diejenigen unterstützen, die die europäischen Werte verteidigen, die für die Demokratie kämpfen, die zur europäischen Einheit stehen. Ihnen müssen wir zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen. (Beifall bei der SPD) In Großbritannien sind es vor allem die Jüngeren. Es ist die jüngere Generation, die sich ihr Land weiterhin in der Europäischen Union gewünscht hätte. Gerade diesen jungen Briten sind wir es schuldig, dass wir in den kommenden zwei Jahren mit Großbritannien fair verhandeln. Aber ebenso klar ist auch: Wir werden keine Sonderbehandlung zulassen. Die EU ist eine Solidargemeinschaft mit Rechten und Pflichten. Wer austritt, kann nicht nur die Vorteile mitnehmen; das muss klar sein. Sonst leisten wir Beihilfe zum Zerfall der Europäischen Union. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich, Frau Bundeskanzlerin, dass wir, was die Brexit-Verhandlungsstrategie betrifft, wirklich Einvernehmen in der Koalition haben. Um die wirtschaftlichen Beziehungen mit Großbritannien zu regeln, wird ein Handelsabkommen notwendig sein. Da bitte ich die Bundesregierung, Lehren aus unserem Abkommen mit Kanada zu ziehen: Es darf kein Handelsabkommen geben, das ohne demokratische Kontrolle, ohne ordentliche Gerichtsbarkeit und ohne ökologische und soziale Standards daherkommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, vor einer Woche hat sich die Türkei mit einer knappen Mehrheit gegen die parlamentarische Demokratie und für ein autoritäres Präsidialsystem entschieden. Es ist bitter, dass die demokratische Opposition das Referendum so knapp verloren hat. Aber eines finde ich großartig und mutig: dass sich trotz aller Drohungen und Einschüchterungen, trotz aller willkürlichen Verhaftungen, trotz einer geknebelten Presse 23 Millionen Türkinnen und Türken für die Demokratie entschieden haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sogar noch mehr! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht war es sogar eine Mehrheit! Es kann ja sein, dass das Ergebnis durch Wahlfälschung zustande kam!) Diese Menschen sind die Hoffnung der Türkei. Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen. Einige hofften, nach dem Referendum werde es besser, Erdogan werde sich mäßigen. Der gestrige Tag – mit der Inhaftierung von 1 000 angeblichen Staatsfeinden – hat gezeigt: Nichts wird besser. Es ist falsch, Erdogan in dieser Situation das Gefühl zu vermitteln, dass wir einfach teilnahmslos zusehen. Die türkische Regierung hat Forderungen und Interessen. Sie hat Forderungen an Deutschland und an die Europäische Union. Sie will Visaerleichterungen. Sie will Wirtschaftshilfen. Sie will eine Vertiefung der Zollunion. Wir müssen in dieser Situation ganz deutlich machen – das ist auch mein Appell an die Bundesregierung –: Zugeständnisse wird es nur geben, wenn Zug um Zug die inhaftierten Journalisten und die politischen Gefangenen freigelassen werden, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn Zug um Zug die Demokratie und die politischen Freiheiten wieder in Kraft gesetzt werden. Europa darf Autokraten gegenüber nicht wie ein zahnloser Tiger erscheinen. (Lachen des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Nun fordern einige das sofortige Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei. Ich höre diese Forderungen in bemerkenswerter Allianz, von Manfred Weber, CSU, bis zu Sahra Wagenknecht, Linke. Ich kann mich da nur wundern. Denn das ist doch genau das, worauf Erdogan wartet: dass er die Schuld für den Abbruch der Verhandlungen den Europäern in die Schuhe schieben kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Natürlich ist klar: Wenn es in der Türkei zur Einführung der Todesstrafe kommt, dann sind die Verhandlungen automatisch beendet. Aber ich finde, diese Verantwortung vor seinem Volk muss Erdogan schon selbst übernehmen. Wir sollten klarmachen, Kollege Kauder – da wünsche ich mir ein gemeinsames, kraftvolles Bekenntnis der gesamten Koalition –: Nicht wir schlagen der Türkei die Tür zu Europa zu, sondern es ist allein Erdogan, der sein Land systematisch von der EU und den europäischen Werten wegführt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 63 Prozent der türkischen Staatsangehörigen, die in Deutschland an dem Referendum teilgenommen haben, haben sich für die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie ausgesprochen. Das ist zweifellos ein deprimierender Befund. Es gibt nun aber Stimmen auch aus Ihren Reihen, Frau Merkel und Kollege Kauder, die eine Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit fordern, allen voran Ihr neuer Schatteninnenminister Joachim Herrmann. Ich frage aber alle, die eine Optionspflicht jetzt wieder einführen wollen: Glauben Sie wirklich, dass nur ein einziger Türke bei dem Referendum anders abgestimmt hätte, wenn wir ihm den deutschen Pass weggenommen hätten? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann wäre es aber kein Deutscher gewesen!) Wollen Sie wirklich deutsch-türkische Kinder und Jugendliche mit dem Entzug des deutschen Passes und damit der Staatsangehörigkeit dafür bestrafen, weil ein Teil ihrer Eltern jetzt für Erdogan gestimmt hat? Ich glaube, das wäre der falsche Weg. Wir haben in dieser Koalition die doppelte Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder eingeführt. Wir wollen diesen jungen Menschen zeigen: Ihr gehört zu uns, und zwar auch dann, wenn eure Eltern und Großeltern aus einem anderen Land kommen und ihr diese Verbindung nicht ganz abbrechen wollt. Wer jetzt die Rückkehr zur Optionspflicht fordert, der signalisiert diesen jungen Menschen: Ihr gehört doch nicht dazu, ihr seid keine richtigen Deutschen. Ich sage in aller Klarheit: Wer in diese trübe Vergangenheit zurück will, der wird auf den entschiedenen Widerstand meiner Fraktion stoßen. (Beifall bei der SPD) Wir werden nicht zulassen, dass jetzt auf dem Rücken dieser jungen Menschen Wahlkampf um die Stimmen am rechten Rand betrieben wird. (Beifall bei der SPD) Frau Merkel, wir haben die doppelte Staatsangehörigkeit in dieser Koalition gemeinsam beschlossen. Ich erwarte von Ihnen eine klare Aussage, ob Sie noch immer zu diesem Beschluss stehen. Meine Damen und Herren, in dieser Woche hat der israelische Ministerpräsident Netanjahu sein geplantes Gespräch mit Außenminister Sigmar Gabriel abgesagt. Das ist sehr bedauerlich. Ich danke Sigmar Gabriel ausdrücklich dafür, dass er die Diskussionsrunde mit kritischen Nichtregierungsorganisationen trotz des politischen Drucks nicht abgesagt hat. Solche Gespräche sind fester Bestandteil der deutschen Außenpolitik. Deutschland trägt eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels. Unsere beiden Länder verbindet eine tiefe Freundschaft, die vor allen Dingen auf gemeinsamen Werten beruht. Freundschaft bewährt sich gerade da, wo man unterschiedlicher Meinung ist. Deutschland wird auch in Zukunft an der Seite Israels stehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Auf meinem Pass steht ganz oben „Europäische Union“ und darunter „Bundesrepublik Deutschland“. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf meinem auch!) Leider steht nicht „Thüringen“ darauf, aber das muss ich verschmerzen. Dieser Reisepass ist ein Symbol dessen, was wir der EU zu verdanken haben, was ich ihr zu verdanken habe: Mauerfall, Freiheit, Grenzen überwinden. Dieser Pass sagt: Du bist Bürgerin der Europäischen Union, du lebst in Frieden und Freiheit, und du kannst fast überall hinreisen. Wir haben gemeinsam Standards erarbeitet, Standards für Klimaschutz und Umweltschutz, und zwar im Rahmen der Europäischen Union. Das gilt genauso für sozialen Fortschritt, Gleichberechtigung, Datenschutz. Jetzt haben sich 53 Prozent der Britinnen und Briten dafür entschieden, nicht mehr Teil dieser Union zu sein. Das ist ein Drama. Das ist aber auch Auftrag: Auftrag, uns Gedanken zu machen über das Warum und über das Wie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt, Frau Merkel, geht es um das Verhandeln des Brexits. Jetzt muss sich zeigen: Geht es um Größe oder um Kleinmut? Jetzt muss sich zeigen: Sind Sie bei denen, die Sonntag für Sonntag im Rahmen von Pulse of Europe auf die Straße gehen und leidenschaftlich für die Europäische Union, für dieses gemeinsame Europa, streiten, oder landen Sie doch wieder beim Kleinmut und beim ausschließlichen Vertreten der Lobbyinteressen von deutschen Konzernen und von deutscher Politik? Diese Entscheidung steht jetzt an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben zu Recht gesagt: Die Probleme sind groß. – Ja, in der Tat. Aber welche Rolle spielen wir eigentlich in Deutschland? Wir haben es gerade wieder erlebt. In dieser Woche ist deutlich geworden: Sie torpedieren in der EU eine stärkere Kontrolle der Abgastrickser, Sie torpedieren, dass es eine unabhängige Kontrolle in Deutschland und in der Europäischen Union gibt. Wenn man sich den Dieselskandal und die Verantwortung der deutschen Autokonzerne anschaut, dann liegt es doch erst recht in Ihrer Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, aber auch für das große Ganze der Europäischen Union zu sagen: Selbstverständlich verschärfen wir die Regeln, und selbstverständlich machen wir das gemeinsam. Die Autokonzerne in Deutschland haben nur dann eine Chance, wenn das gelingt, (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und wir haben nur dann eine Chance, wenn wir das europäisch gemeinsam machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann sich das weiter anschauen: Sie torpedieren weiterhin das Stopfen von Steuerschlupflöchern und verbieten nicht das Ausbringen des giftigen Glyphosats auf die Felder, das am Schluss in unserem Essen landet und unsere Gesundheit gefährdet. Frau Merkel, Sie haben hier sehr viel darüber geredet, was wir in Europa gemeinsam machen müssen. Sie müssen dann auch deutlich sagen: Uns ist dieses gemeinsame Europa wichtiger als die Partikular- und Lobbyinteressen innerhalb Deutschlands. Darum muss es jetzt gehen, wenn dieses gemeinsame Europa Anziehungskraft für alle und nicht nur für die Starken haben soll, sodass man nicht mehr mit dem Finger auf Deutschland zeigen kann, nach dem Motto: Die machen doch nur ihres. Nein, für uns muss klar sein: Wir müssen doch europäischer sein als alle anderen, weil wir so stark sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wie es den Briten geht, die in Deutschland leben, und wie es den Deutschen geht, die derzeit in Großbritannien leben. Sagen Sie ihnen sehr schnell zu – und nicht nur mit wohlfeilen Worten –, was sie zu erwarten haben: unsere Solidarität. Bei den Brexit-Verhandlungen kommt es aus unserer Sicht auf drei große Dinge an: Erstens. Geben Sie den direkt betroffenen Familien noch in diesem Sommer Sicherheit. Sicherheit heißt zum Beispiel Doppelpass. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Halten Sie den Binnenmarkt zusammen, und opfern Sie die Personenfreizügigkeit am Ende nicht doch noch dem Populismus. Darauf wird es ankommen. Das wird in diesen Tagen das Zeichen für Europa sein. Drittens. Stellen Sie vor allem endlich die vermeintlichen Interessen, die wir Deutschen und die deutschen Konzerne in Einzelfällen haben, hinter das Gemeinwohl des großen Ganzen. Was gut für Deutschland ist, kann in Zukunft nur noch das sein, was gut für das gemeinsame Europa ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen, dass von diesen Verhandlungen ein klares Signal ausgeht. Dieses klare Signal muss lauten: Wir brauchen eine Bundesregierung, die endlich wieder in und für Europa kämpft – für eine Klimaschutzpolitik, die ehrlich und mutig ist, für eine Agrarpolitik, die das gesunde Essen in den Mittelpunkt stellt, und gegen Jugendarbeitslosigkeit. Es muss egal sein, ob der Jugendliche aus der Pariser Vorstadt, aus Ostdeutschland oder aus der griechischen Provinz kommt. Sie alle sind unsere europäischen Jugendlichen, für die wir alle gleichermaßen eine gemeinsame Verantwortung haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kämpfen Sie also für die Anziehungskraft dieses Europas und für eine souveräne EU, die sozial stark ist, die ökonomisch stark ist und die ökologisch stark ist. Alle Anfeindungen, die wir im Moment von Trump aus den Vereinigten Staaten erleben, zeigen doch: Wir müssen als Europa gemeinsam stärker werden und unsere Werte und diese Politik, die uns stark gemacht hat, voranstellen, und wir dürfen uns nicht selber auf Partikularinteressen und nationalstaatliche Interessen zurückziehen. Nur dann werden wir auch diese Auseinandersetzung für die Demokratie, für das Gemeinsame und für die Solidarität bestehen. Das müssen wir jetzt leisten. Ich möchte nicht, dass in Europa am Ende die Nationalstaatlichkeiten wieder wichtiger und wir schwächer sind – auch gegenüber einem amerikanischen Präsidenten, dem es vollkommen egal ist, ob hier eine starke EU ist und ob der Klimaschutz funktioniert, und dem am Ende auch die Solidarität vollkommen egal ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, Sie könnten es sich anschauen: Man kann mit einem proeuropäischen Kurs Wahlen gewinnen. Das haben wir in Österreich mit der Wahl von Alexander Van der Bellen gesehen. Jetzt hoffen wir in Frankreich auf Herrn Macron. Frau Wagenknecht, bei der Wahl zwischen Macron und der rechtsextremen Marine Le Pen muss es doch für Demokratinnen und Demokraten selbstverständlich sein, auf welcher Seite sie stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man kann sich doch heute nicht hinstellen und sagen: Herr Macron ist irgendwie kein Linker. – Deswegen riskieren wir, dass die Anhänger von Herrn Mélenchon in Frankreich Marine Le Pen wählen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer macht das denn? – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist Unsinn! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Ich erwarte von Ihnen, ich erwarte von jedem Demokraten in diesem Land, dass, wenn auf der einen Seite Hass, Hetze und Spaltung stehen und auf der anderen Seite Demokratie, Sie sich für die Demokratie entscheiden. Alle anderen in diesem Hause werden das hoffentlich tun, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Mittelmeer riskieren täglich Tausende von Menschen ihr Leben. Sie wollen den Weg nach Europa finden: für ein besseres Leben in Frieden, in Wohlstand, in Freiheit, vielleicht auch dafür, dass irgendwann oben auf ihrem Pass „Europäische Union“ steht. In diesem Jahr sind bereits dreimal so viele Menschen ums Leben gekommen wie Anfang des letzten Jahres. Ist das 2017 eigentlich die Europäische Union, wie wir sie uns vorstellen? Erst vor wenigen Tagen sind 16 Menschen vor Lesbos ertrunken. Ist Ihnen auch egal, was vor zwei Jahren noch alle erschüttert hat und worüber wir fast jede Woche eine Debatte geführt haben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Europa, das seine Werte und seinen Zusammenhalt verteidigen sowie für Menschlichkeit stehen will, in diesen Tagen nicht mehr dafür tut, dass die Seenotrettung funktioniert, nicht mehr dafür tut, dass es einen europäischen Verteilungsmechanismus gibt, nicht endlich mehr dafür tut, dass die Länder Italien und Griechenland bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützt werden. Meine Damen und Herren, wenn wir dieses gemeinsame Europa wollen, dann heißt das, dass Humanität auch an seinen Außengrenzen selbstverständlich sein muss. Ein gemeinsames Europa heißt Menschlichkeit und heißt auf der anderen Seite auch Sachlichkeit bei der Verteilung der Flüchtlinge. Ich kann nicht verstehen, dass es der Papst sein muss, der Herrn Orban und andere dafür kritisiert, wie die Flüchtlinge in Europa untergebracht werden, und dass Sie mit Herrn Orban noch nicht einmal darüber reden – er gehört zu Ihrer Parteifamilie –, dass es nicht geht, dass die Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Wenn wir ein gemeinsames Europa wollen, dann ein menschliches Europa, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es freut mich natürlich sehr, dass Sie heute ein paar Worte über die Türkei gefunden haben. Auch wir sind für eine unabhängige Untersuchung der Wahlen. Ich hätte mir aber noch mehr gewünscht, dass Sie früher etwas gesagt hätten, dass Sie schon vor dem Referendum klar Stellung bezogen hätten. Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir klar sagen müssen: Nein, wir werden keine Verhandlungen oder Gespräche abbrechen; das ist Quatsch. Die Verhandlungen zum Beitritt liegen auf Eis; das weiß jeder. Darüber muss man nicht reden. Aber man muss sehr klare Forderungen stellen. Man muss auch selbst klar handeln. Es kann doch nicht sein, dass wir weiterhin Rüstungsgüter in die Türkei exportieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Dieses Land führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Wenn man Klarheit haben will, so wie Sie es gesagt haben, Frau Merkel, gehört das dazu. Es kann auch nicht sein, dass wir uns weiter mit dem Flüchtlingsdeal von Herrn Erdogan abhängig machen. Es kann auch nicht sein, dass wir nicht klar und deutlich benennen, was dort gerade passiert. Dialog heißt eben auch Klarheit und heißt nicht Kriechen, wenn es uns am Ende doch besser passt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, der Reisepass ist der Schlüssel für die Freiheit, um in andere Länder zu reisen. Er ist natürlich ein Ausweis von Demokratie. Ich frage mich manchmal, wie es gewesen wäre, wenn ich in dem Land weitergelebt hätte, in dem ich geboren bin und das es zum Glück nicht mehr gibt, was da heute auf dem Pass stehen würde. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hammer und Sichel wird da draufstehen!) Es wäre jedenfalls kein Pass, der verbunden wäre mit Frieden, Freiheit und Einigung. Wenn wir mutig genug sind und wenn wir die Vision verwirklichen wollen, die wir heute auf der Straße erleben, dann wird es vielleicht eines Tages so sein, dass wir nicht mehr darüber diskutieren müssen, ob Herr Özil die Nationalhymne mitsingt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Schmarrn! Genau!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielleicht wird es eines Tages so sein, dass auf unseren Pässen und auf denen unserer Kinder „Europäische Union“ steht und Punkt. Dann kann man gerne Deutsche sein oder Thüringerin und darauf auch stolz sein, aber das eigentlich Verbindende muss das Europäische sein. Das muss die Europäische Union mit ihren Werten, ihrer Menschlichkeit, ihrer Solidarität und ihrem ökonomischen und ökologischen Erfolg sein, meine Damen und Herren. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Volker Kauder das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, es war für Europa keine gute Entscheidung, dass man im Vereinigten Königreich eine Mehrheit für den Austritt aus Europa bekommen hat. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: EU!) Aber es war eine schöne Demonstration der Geschlossenheit, dass die 27 sich nicht haben hinreißen lassen, einzelne Abmachungen anzukündigen, sondern gesagt haben: Wir wollen gemeinsam die Verhandlungen mit Großbritannien führen und gemeinsam dafür sorgen, dass die Standards auch eingehalten werden müssen. So hat der Brexit bisher dazu geführt, dass die verbleibenden 27 zu einer Geschlossenheit gekommen sind, die wir in der Vergangenheit immer wieder vermisst haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bisher!) Deswegen ist es auch richtig, dass am kommenden Samstag der Versuch unternommen wird, gemeinsame Richtlinien für die Verhandlungen zu finden. Als Erstes – das ist ja wohl völlig klar – muss deutlich werden, dass es einen Unterschied bedeutet, ob man Mitglied der EU ist oder nicht. Und dann muss auch deutlich werden, welche Konsequenzen dies hat. Darüber wird nun auch im Detail gesprochen, und es werden schwierige Verhandlungen. Aber genau das, was Großbritannien versucht, nämlich die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien mit den Austrittsverhandlungen zu vermischen, darf nicht geschehen. Es muss zunächst einmal klar sein, welche Konsequenzen der Brexit hat, und dann reden wir miteinander darüber, wie die Zusammenarbeit in Zukunft aussehen soll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Natürlich – die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen – ist es zwingend, dass auch bei diesen Verhandlungen der Deutsche Bundestag beteiligt wird. Darauf sind wir – das können wir der Bundesregierung auch zusagen – vorbereitet. Auch in der Zeit der Sommerpause, wo wir im Deutschen Bundestag keine regelmäßigen Sitzungen haben, sind wir jederzeit in der Lage, zusammenzukommen, wenn es notwendig ist, um über Fragen zu sprechen, die im Zusammenhang mit den Brexit-Verhandlungen stehen. Der Deutsche Bundestag ist bereit, sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen und sich auch entsprechend einzubringen. Dem dient auch der Antrag, den die Koalitionsfraktionen heute vorgelegt haben, in dem deutlich wird, wo wir die Prämissen sehen. Ein zentrales Ziel – und wir erwarten, dass dies in den Verhandlungen deutlich wird – ist für uns, dass in allen Fragen, die mit den Verhandlungen und dem daraus folgenden Vertrag in Zusammenhang stehen, auch in Zukunft der Europäische Gerichtshof zuständig ist, statt, wie die Briten meinen, irgendeine Sonderform. Das muss von Anfang an deutlich werden: Die Rechtskontrolle für die Konsequenzen findet auch in Zukunft beim Europäischen Gerichtshof statt und nicht vor irgendeinem britischen Gericht, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich muss eine Antwort auf die Frage gegeben werden: Wie können wir Europa wieder attraktiver machen? Um diese Frage wirklich beantworten zu können, kann man aber nicht eine eigene Ideologie vortragen, sondern muss sich einmal fragen: Was war der entscheidende Grund, der zu der Entscheidung für den Brexit geführt hat? Das war die Freizügigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. In Großbritannien wurde wegen der 600 000 Polen, die dort arbeiten, eine entsprechende Diskussion begonnen. Da kann ich, an Großbritannien gewandt, nur sagen: Es wird keine besonders gute Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich geben, wenn die Personenfreizügigkeit nicht auch in Zukunft eingehalten wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Über diesen ganz zentralen Punkt ist gestritten worden – nicht über Klimaschutz und sonstige Fragen. Wir sollten die Verhandlungen nicht mit etwas belasten, was gar nicht Gegenstand war. Gegenstand war die Personenfreizügigkeit. Auf diese werden wir auch in Zukunft nicht verzichten können; denn sie ist ein wesentliches Element des freien Europas, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, dass es nicht um solche Detailfragen geht – um das auch einmal deutlich zu machen: der Diesel hat beim Brexit nun wirklich keine Rolle gespielt –, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wer weiß?) sondern dass wir uns im Zusammenhang mit dem, was da geschehen ist, in Europa wieder auf einen wichtigen Grundsatz besinnen müssen. Frau Bundeskanzlerin, wir müssen in Europa einmal darüber sprechen: Was soll in Zukunft Europa leisten, und was können genauso gut die Nationalstaaten leisten? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) An dieser Stelle muss ich schon noch einmal auf Folgendes hinweisen: Es gibt Aufgaben, die der Nationalstaat nicht alleine bewältigen kann, weil sie für ihn zu groß sind. Es gibt aber auch Aufgaben, die der Nationalstaat übernehmen kann. Die Sicherung der Außengrenze ist eine Aufgabe für Europa, die Festlegung von Vogelschutzgebieten aber nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber muss jetzt einmal eine Einigung erzielt werden. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Grenzwerten?) Wir brauchen also im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit Großbritannien eine Aufgabenkritik. Es kann nicht sein, dass sich Europa immer mehr auf kleine Dinge konzentriert und dafür einen Haufen Personal braucht, aber die wirklich große Aufgabe der Sicherung unserer Außengrenze bis zum heutigen Tag noch nicht zufriedenstellend geregelt ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Zukunft von Europa wird sich daran entscheiden, ob man erkennt, dass man für die Aufgaben, die man selber nicht erledigen kann, eine Einrichtung hat, nämlich Europa. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: EU!) Zweitens. Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich bin ja sehr Ihrer Meinung. In der Tat müssen wir in Europa gerade einer jungen Generation Perspektiven geben. Was soll eine junge Generation von Europa halten, wenn die Antwort Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit ist? Ich bin aber nicht bereit, zu akzeptieren, dass man dann hier erklärt, dafür trage Europa die Verantwortung. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: EU!) Europa trägt eine Verantwortung dafür, dass bestimmte Standards, die wir miteinander formuliert haben, nicht eingehalten werden – beispielsweise, dass Haushaltsdisziplin aus politischen Gründen nicht eingefordert wird. Dafür trägt Europa Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU) Europa trägt aber keine Verantwortung für die Dinge, bei denen sich die Nationalstaaten ihre eigene Zuständigkeit vorbehalten haben. Ich will noch einmal auf meine Grundsatzthese zurückkommen. Dort, wo die Dinge groß sind und Europa handeln muss, trägt Europa die Verantwortung. Wenn wir gemeinsam vereinbart haben, dass es Bereiche gibt, für die der Nationalstaat zuständig ist, darf man dafür aber auch nicht Europa die Verantwortung geben, sondern muss im Nationalstaat mahnen: Ihr müsst bestimmte Reformen auch umsetzen. – Dass es bei uns in Deutschland so gut funktioniert, hat doch damit zu tun, dass wir Reformen durchgeführt haben, die andere europäische Länder nicht gemacht haben. Man muss immer wieder darauf verweisen, dass solche Reformen zwingend notwendig sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn am kommenden Samstag der europäische Gipfel in Brüssel stattfindet, wird über die eine oder andere wichtige Frage – weil nicht 28 europäische Länder zusammenkommen – nicht beraten werden können; die Bundeskanzlerin hat das bereits angesprochen. Ich halte es aber für zwingend erforderlich, Frau Bundeskanzlerin, dass man im Europa der 28 recht schnell zusammenkommt, um eine gemeinsame Antwort auf die Situation in der Türkei zu finden. Wir alle wissen, dass Entscheidungen über die Verhandlungen mit der Türkei einstimmig gefällt werden müssen. Wenn nun Kolleginnen und Kollegen sagen: „Nicht mit erhobenem Zeigefinger!“, dann kann ich nur erwidern, lieber Herr Kollege Oppermann: Richtig, aber dann sollten wir auch nicht ständig von Deutschland aus öffentlich Ratschläge zum Umgang mit der Türkei geben, bevor wir im Kreis der 28 nicht gemeinsame Grundsätze vereinbart haben. Wenn der Zeigefinger im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit der Türkei nicht erhoben werden soll, dann sollte er auch hier nicht erhoben werden. Ich kann nur raten, relativ rasch eine gemeinsame Antwort zu geben. Einen Menschen wie Herrn Erdogan überzeugt nur eines: wenn er auf eine geschlossene Position trifft. Wenn er aber den Eindruck hat, dass er die einzelnen Mitglieder in Europa auseinanderdividieren kann, dann ist das für ihn kein Zeichen der Stärke. Deswegen halte ich die Position der Bundeskanzlerin für richtig, rasch zu einer gemeinsamen Position der 28 in Europa gegenüber der Türkei zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Politik beginnt bekanntlich mit dem Betrachten der Wirklichkeit. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schön wär’s! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt!) Manchmal habe ich den Eindruck, dass nicht jeder weiß, dass das so ist. Aber tatsächlich beginnt sie mit dem Betrachten der Wirklichkeit. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Jetzt ganz vorsichtig!) – Bei Ihnen ist das Bewusstsein für die Wirklichkeit durch Ideologie so verdrängt, dass ich mit Ihnen darüber gar nicht rede. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN) Ein Teil unserer politischen Wirklichkeit ist die Herausforderung durch den islamistischen Terror. Wir sind uns alle doch darüber im Klaren, dass die Bekämpfung dieses Terrors weder ein Nationalstaat in Europa noch Gesamteuropa leisten können. Vielmehr brauchen wir mehr Anstrengungen. Da ist die NATO ein wesentlicher Teil. Wir haben ein Interesse daran, dass die Briten auch in Zukunft ihren wichtigen Beitrag zur NATO leisten; das wird in den Verhandlungen eine Rolle spielen. Aber es ist auch Tatsache – ich bin gespannt, ob jemand daran etwas ändern will –, dass die Türkei NATO-Mitglied ist. Denjenigen, die sich hier an dieses Rednerpult stellen und sagen: „Das, was für alle NATO-Mitglieder gilt, nämlich dass wir in Rüstungsfragen zusammenarbeiten, gilt für die Türkei nicht mehr“, kann ich nur sagen: Einen größeren Unsinn über die NATO kann man nicht erzählen als mit diesem Satz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Wir müssen mit der Türkei natürlich darüber reden, wie es dort zugeht. Aber gleichzeitig kann man der Türkei nicht sagen: In der NATO gibt es Mitglieder erster und zweiter Klasse. – So werden wir den Kampf gegen den IS nicht gewinnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Kauder, darf die Kollegin Hänsel eine Zwischenfrage stellen? Volker Kauder (CDU/CSU): Nein, die Kollegin Hänsel nicht. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wir haben also eine Reihe von großen Herausforderungen vor uns, deren Bewältigung und das, was jetzt in Europa gemacht wird, über das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger und über unseren Wohlstand entscheiden. Da kann ich nur mahnen: Redet nicht zu kleinkariert über einzelne Themen! Macht Europa nicht kleiner, sondern reden wir über die großen Herausforderungen, die Europa bewältigen muss. Wenn Europa die besteht, dann bekommt Europa auch wieder Zustimmung. Wenn Europa aber die großen Herausforderungen nicht besteht und sich in kleinlichen, ständig neuen Regularien und Gesetzesvorhaben erschöpft, dann wird dieses Europa keine gute Zukunft haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Hänsel bekommt jetzt die Möglichkeit zu einer Kurzintervention. Bitte schön, Frau Hänsel. Heike Hänsel (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kauder, ich musste zu diesem Mittel greifen, weil das, was Sie hier bezüglich der Rüstungsexportpolitik gegenüber der Türkei erzählt haben, wirklich hanebüchener Unsinn ist. Sie haben hier unsere Position angegriffen und gesagt, Ihr Ziel sei der Kampf gegen den islamistischen Terror. Das CDU-geführte Innenministerium hat uns im letzten Jahr geantwortet, dass die Türkei eine Drehscheibe für Unterstützergruppen des islamistischen Terrors ist. Dennoch argumentieren Sie hier, weil die Türkei in der NATO sei, brauche sie trotzdem weiterhin Waffen? Wir halten es für völlig unverantwortlich, ein Land, das nachweislich islamistische Terrorgruppen unterstützt, auch noch mit deutschen Waffen auszustatten. Dazu hätte ich gerne eine Stellungnahme von Ihnen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Da hat er keine Antwort! Da schweigt er still!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Barley. (Beifall bei der SPD) Dr. Katarina Barley (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Trotz meiner knappen Redezeit möchte ich die Gelegenheit ganz kurz dazu nutzen, der Kollegin Dorothee Schlegel zum Geburtstag zu gratulieren. Sie ist nämlich eine besonders engagierte Europäerin aus unserem Hause. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im Willy-Brandt-Haus, oder was?) Der Tag des britischen Referendums war definitiv eine Niederlage für die europäische Idee. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Es lohnt sich aber dennoch, einmal zu schauen: Warum ist es dazu gekommen? Wie ist es dazu gekommen? Ich will Ihnen gerne eine Erfahrung aus meinem persönlichen Bereich schildern. Die meisten hier wissen wahrscheinlich inzwischen, dass ich auch die britische Staatsangehörigkeit habe. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doppelpass!) Weil in Großbritannien ebenso wie sonst in Europa niemand vorher absehen konnte, was der Brexit ganz konkret bedeutet, habe ich mir in meiner Eigenschaft als britische Staatsangehörige erlaubt, in der britischen Presse die Anregung zu unterbreiten, ob man nicht erst einmal verhandelt und dann, wenn man das Verhandlungsergebnis absehen kann, ein neues Referendum durchführt. Die Reaktionen, die ich darauf aus Großbritannien bekommen habe, waren wie folgt: Es gab natürlich vereinzelt Zustimmung, aber ich habe vor allen Dingen einen wahnsinnigen Shitstorm bekommen. Wenn man diesen liest, wird einem klarer, was in Europa eigentlich los ist. Ich glaube, wir müssen das ernst nehmen, weil das nicht nur in Großbritannien so ist, sondern auch in anderen Staaten der Europäischen Union. Da werden ganz viele Fehlinformationen weitergetragen, da werden Vorurteile bestätigt. Ein Satz hat mich aber besonders beeindruckt: Wir haben Deutschland doch nicht militärisch besiegt, um uns jetzt wirtschaftlich über den Tisch ziehen zu lassen. – Das war ein Motiv, das immer wieder kam. Ich will jetzt nicht sagen, dass das stimmt. Ich will nur sagen: Die Wahrnehmung bei viel zu vielen Menschen ist, dass diese Europäische Union nicht für sie da ist, dass das ein Projekt ist, bei dem es um andere geht, bei dem es um Staaten, um Besserverdienende, um Wirtschaft geht, aber bei dem es nicht um ihre Interessen geht. Deswegen ist unsere wichtigste Aufgabe, das Vertrauen der Menschen in die Europäische Union wiederherzustellen. Dafür ist entscheidend, dass unsere eigenen Politiker und Minister nicht wie Schulmeister durch die Europäische Union gehen und Hausaufgaben und Noten an andere Mitgliedstaaten verteilen. Die EU wird scheitern, wenn sie von Politikern geführt wird, die nur in Bilanzen und in Durchschnittswerten denken, die nicht verstehen, dass hinter Bruttoinlandsprodukten und Staatsschuldenquoten Menschen stehen – Menschen, die oft weder Einfluss darauf hatten noch verstehen, wer ihnen die Suppe eingebrockt hat, die aber spüren, dass die EU ihnen nicht dabei hilft, ihre Probleme zu lösen und ihr Leben leichter zu machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe so wenig Zeit; deswegen muss ich schnell reden. Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass wir als Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht nur Verantwortung für unseren eigenen Staat übernehmen, sondern auch für die anderen Staaten. Das ist ein Stück weit wie in der Familie. Die funktioniert auch nicht nur dann, wenn man an sich selber denkt, sondern man muss die anderen mitdenken. Es ist eben an der Zeit, dass sich Europa den großen sozialen Fragen zuwendet. Frau Wagenknecht, Sie haben klargemacht, dass Sie von der EU wirklich überhaupt keine Ahnung haben: Es gab nie ein soziales Europa. Wir sind auf dem Weg dahin. Das ist ein historischer Weg. Die EU ist entstanden aus einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, und wir müssen in und mit der Europäischen Union dafür kämpfen – das ist der Punkt –, dass es ein soziales Europa gibt, und wir dürfen nicht gegen sie kämpfen. Das haben Sie immer noch nicht kapiert. (Beifall bei der SPD) Europa ist das, was wir aus Europa machen, wir Menschen, wir Mitgliedstaaten. Wir müssen eine neue Begeisterung für Europa wecken. Wir sehen das im Moment: junge Menschen, alte Menschen, die auf die Straße gehen. Pulse of Europe ist in aller Munde. Die Europäische Union kann nicht klappen – das spüren diese Menschen –, wenn wir ein Klub von 27 Egoisten sind, wenn sich 27 egoistische Regierungschefs zusammenfinden und jeder nur für sein Land das Größte herausschlagen will. Was passiert, wenn die Leute das Gefühl haben, dass Europa nicht für sie da ist, das sehen wir jetzt in Frankreich wie durch ein Brennglas. Es gibt die einen, die sagen: „Wenn schon Egoismus, dann richtig, dann nationalistisch, dann autoritär; dann gehen wir volle Lotte auf die autoritäre Rechte.“ Es gibt andere, die sagen: Wir wählen den Einzigen, der sich wirklich pro Europa ausspricht. – Trotz aller Schwierigkeiten, die man im Einzelnen mit der Politik von Herrn Macron haben kann, bleibt festzuhalten: Er hat ganz klar gesagt: Was wir brauchen, ist eine ganz starke Europäische Union, in der wir miteinander Verantwortung füreinander übernehmen. – Sie werden es mir nachsehen, dass ich auch deswegen so froh bin, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu ihrem Vorsitzenden und zu ihrem Kanzlerkandidaten einen überzeugten Europäer gewählt hat, der nicht nur mit Verstand, sondern auch mit Herz und mit Leidenschaft diese grundeuropäische Idee vertritt und der weiß, dass man sie verändern muss, der aber auch weiß, wo man sie anpacken muss. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So wie die Kanzlerin, meinen Sie!) Ich freue mich sehr darauf, mit Macron und mit Martin Schulz eine neue europäische Idee aufbauen zu können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass mit Großbritannien ein Mitgliedstaat aus der Europäischen Union ausscheidet, das war für viele von uns zunächst gar nicht vorstellbar. Ich bedauere diese Entscheidung; aber wir haben sie zu respektieren. Wir haben nach vorne zu blicken, und wir haben die Gespräche und Verhandlungen konstruktiv und zielgerichtet zu führen. Wir haben sie immer im Interesse der Menschen in Europa zu führen. Wir haben sie zu führen im Blick darauf: Was bedeutet dieser Austritt für die Arbeitsmöglichkeiten, für die Ausbildungsmöglichkeiten, für die Studienmöglichkeiten der Menschen? Was bedeutet dieser Austritt für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa, in unserer Heimat? Welche Auswirkungen hat dieser Austritt auf die Arbeitsplätze und damit auf die Menschen? Wir haben sie mit Blick auf die Zusammenarbeit in den Fragen der Sicherheit unseres Landes zu führen, mit Blick auf die Fragen der Zusammenarbeit in der Forschung und Wissenschaft. Das alles hat enorme Auswirkungen – nicht in Rechtstexten, nicht irgendwie theoretisch, sondern ganz konkret auf die Menschen in unserer Heimat, und mit Blick darauf müssen die Verhandlungen geführt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Bisher hat sich schon gezeigt, dass es ein großes Einvernehmen zwischen den 27 Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen in Bezug auf die Zielsetzung und auf die Verhandlungslinie gibt – etwas, was in der Europäischen Union nicht bei allen Themen gleich von Anfang an Usus ist. Es wurden keine Vorverhandlungen betrieben, es wurden keine Einzelaspekte herausgegriffen. Vielmehr gibt es ein Einvernehmen unter den 27 Mitgliedstaaten. Ich finde, das ist ein hervorragendes Signal. Es ist der Geist, der Europa guttut, der Europa auch guttun würde bei so manchen anderen Themen. Deshalb hoffe ich, dass dieses Einvernehmen, gemeinsam zu verhandeln, sich nicht nur auf die Verhandlungen zum Brexit bezieht, sondern auch zur Grundlage für vieles andere wird, was in Europa zu entscheiden ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass es notwendig ist, sich auch über das im Klaren zu sein, was am Ende steht. Auch wenn der Brexit, das Ausscheiden von Großbritannien, für viele schmerzhaft ist und auch wenn manche das für falsch halten, muss für uns klar sein: Am Ende darf nicht ein zerrüttetes Verhältnis zwischen der EU auf der einen Seite und Großbritannien auf der anderen Seite stehen, sondern am Ende muss es zur Fortsetzung der guten, der erfolgreichen und der vertrauensvollen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien kommen. Das sollte die Zielsetzung sein, auf die wir uns in den nächsten zwei Jahren hinbewegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Worum geht es? Es geht zum Ersten darum, dass die Rechtsposition für die Bürger – für die vielen EU-Bürger, die in Großbritannien leben und arbeiten, zugleich aber auch für die Briten, die in den europäischen Staaten leben und arbeiten – klargestellt wird. Es geht zum Zweiten darum, Klarheit und Planungssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen, und dabei geht es nicht darum, dass wir irgendwelchen Konzernen etwas Gutes tun, sondern darum, die Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land zu sichern und die Grundlagen für eine weitere gute wirtschaftliche Entwicklung in unserer Heimat zu legen. Darum geht es, wenn wir Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Klarheit in dieser Frage einfordern. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich muss dabei gelten, dass ein Nichtmitglied nicht dasselbe ist wie ein Mitglied. Natürlich muss dabei gelten, dass Rechte und Pflichten ausgewogen verteilt sein müssen. Das wird nicht einfach sein. Es wird über all die Fragen des Binnenmarkts und der Freizügigkeit, über all das, was heute schon Gegenstand der Diskussion war, ernsthaft diskutiert werden müssen – das wird sicher eine schwierige Angelegenheit –, aber immer mit Blick darauf: Was nutzt den Menschen? Wir dürfen uns nicht davon leiten lassen, irgendeine Form von Bestrafung vornehmen oder eine Emotion loswerden zu wollen, weil wir mit dieser Entscheidung von Großbritannien vielleicht nicht so ganz einverstanden waren. Es wird natürlich auch darum gehen: Wie geht es weiter? Wie gehen wir mit den finanziellen Verpflichtungen um? Wie gehen wir mit den Programmen auf EU-Ebene um? Ein ganz wesentlicher Punkt wird auch sein, das weiterzuführen, was außerhalb des Binnenmarkts schon erreicht worden ist: die Zusammenarbeit bei der inneren und äußeren Sicherheit, die Zusammenarbeit bei der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung, die Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft. Auch dies gilt es so weiterzuführen, dass es den Menschen und den Ländern jeweils guttut. Ich bedanke mich sehr herzlich, dass die Bundeskanzlerin auch zum Ausdruck gebracht hat: In all diese Verhandlungen auf europäischer Ebene wird das Parlament intensiv mit einbezogen. – Wir stehen dazu bereit. Vorarbeiten für den Verhandlungsprozess sind ja mit unserem Entschließungsantrag, der heute zur Abstimmung steht, schon geleistet worden. Meine Damen und Herren, der Brexit stellt eine Herausforderung, eine Riesenherausforderung für uns alle dar; er bietet aber auch eine Chance. Und machen wir uns nichts vor: Diese Chance müssen wir ergreifen; denn Europa befindet sich einem schwierigen Zustand. Wir haben nationalistische Parteien und Populismus in vielen europäischen Staaten. Wir haben unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen. Und nicht zu vergessen: Es gibt eine Stimmung im Land, die so nach dem Motto geht: Alles, was gut ist, das ist national gemacht worden, und alles, was kritisch zu sehen ist, wird auf die Europäische Union geschoben. – Deshalb ist es schon wichtig, über die Frage nachzudenken: Wo müssen wir ansetzen? Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen, dass in Großbritannien die Entscheidung zum Brexit auch deshalb zustande kam, weil es Missbrauch der Freizügigkeit und daraus resultierend Skepsis gegenüber dieser Freizügigkeit gegeben hat. Das war der Anlass. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundesregierung jetzt zum Beispiel das Thema „Kindergeldbezug von EU-Ausländern hier im Land“ aufgegriffen hat. Deshalb ist es auch richtig, dass wir jetzt zum Beispiel, was den sozialen Missbrauch angeht, Planken insoweit eingezogen haben, als Sozialleistungen erst nach einigen Jahren des Aufenthaltes in Deutschland bezogen werden können. Das, meine Damen und Herren, war noch nicht die ausreichende, aber die richtige Antwort auf so manche Probleme und auf die Skepsis in diesem Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU) Nachdem in der heutigen Debatte gelegentlich angesprochen wurde, dass wir uns in Europa auch mehr um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und um soziale Fragen kümmern müssen, will ich, meine Damen und Herren, deutlich sagen: Auch ich bin dafür, dass alle Menschen in Europa einen Arbeitsplatz haben, dass alle die Möglichkeit haben, sich ihren Talenten entsprechend zu qualifizieren und ausbilden zu lassen. Auch ich bin dafür, dass Armut in allen Regionen bekämpft wird. Auch ich bin dafür, dass Familie und Beruf gut zu vereinbaren sind. Aber, meine Damen und Herren: Nicht jede Aufgabe in Europa ist eine Aufgabe für Europa! (Beifall bei der CDU/CSU) Die Nationalstaaten müssen ihre Aufgaben schon selbst bewältigen. Sie müssen ihre Hausaufgaben selbst machen. Darauf müssen wir immer wieder hinweisen. Es kann nicht sein, dass beispielsweise im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung, wie sie manche fordern, die deutschen Beitragszahler für Defizite in anderen europäischen Staaten, zum Beispiel hinsichtlich Strukturreformen, geradestehen. Das ist nicht mein Verständnis von Europa. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich war am letzten Sonntag – auf meine alten Tage habe ich das noch einmal versucht – bei einer Demonstration, (Zurufe von der SPD: Oh! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend!) auf der Demonstration von Pulse of Europe in München. Und ich war beeindruckt von den vielen jungen und älteren Menschen, die dort mit Begeisterung für Europa auf die Straße gehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danach haben Sie wieder Herrn Orban getroffen!) Meine Damen und Herren, das muss uns schon immer wieder deutlich gemacht werden: Auch wenn wir so manches in Europa kritisch sehen – wir haben in dieser Hinsicht ja Aufgaben zu bewältigen –, muss festgehalten werden: Diese europäische Einigung ist eine einzige historische Erfolgsgeschichte. Und diese Erfolgsgeschichte wird nicht dadurch geschmälert, dass jetzt ein Land dabei ist, aus der Europäischen Union auszutreten. Sie wird nicht geschmälert, wenn wir diese Aufgabe richtig und gut bewältigen. Und die Leitlinien, die es dazu gibt, bilden – ergänzt durch den heute von der Koalition in den Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag – meines Erachtens eine richtige und gute Grundlage. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Hasselfeldt, es ist gut, zu hören, dass Sie an Demonstrationen für Europa teilnehmen. Gut wäre es, auch zu hören, dass Sie an Terminen mit Herrn Orban nicht mehr teilnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Austrittswunsch des Vereinigten Königreichs ist ein tiefer Einschnitt in die europäische Geschichte. Ich bedaure diesen Schritt, ja, ich halte ihn auch für eine epochale Fehlentscheidung. Aber sie ist aus der Mitte der dortigen Gesellschaft heraus getroffen worden. Ich glaube, es ist beinahe wünschenswert, dass das Volk seine Entscheidung noch einmal revidiert, wenn es nämlich erkennt, dass es vor dem Referendum von denselben Protagonisten systematisch belogen wurde, die sich am Tag danach aus dem Staub gemacht haben, wenn es erkennt, dass seine Regierungschefin zwar markige Worte findet, aber keine wirklichen Lösungen präsentieren kann, und wenn es erkennt, dass es über eine sehr lange Zeit massive Einschnitte in praktisch allen Lebensbereichen hinnehmen muss. Zu Letzterem möchte ich klar und deutlich feststellen: Diese Einschnitte werden nicht das Ergebnis einer böswilligen und strafenden EU sein, sondern das Resultat der Entscheidung einer – wenn auch sehr knappen – Mehrheit des britischen Volkes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!) Frau May muss endlich der Legendenbildung Einhalt gebieten. Ohne ein Umsteuern in der Rhetorik und eine Vorbereitung der britischen Öffentlichkeit auf viele schmerzhafte Zugeständnisse werden die Austrittsgespräche scheitern. Dann würde die EU-Mitgliedschaft ungeordnet enden. Manche nennen das einen „hard Brexit“. Ich bezeichne es eher als einen „dirty“ oder „chaotic Brexit“. Das wäre aber weder im Interesse der EU, noch hilft es Großbritannien. Der Schlüssel zu vernünftigen Lösungen liegt in London, nicht in Brüssel, nicht in irgendeiner Hauptstadt der EU und auch nicht in Berlin. Unsere Aufgabe hier ist es, unsere Ziele für den Austrittsprozess festzulegen. Das tun wir heute mit dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen. Für das Protokoll sage ich aber ausdrücklich auch: Mit diesem Entschließungsantrag nehmen wir gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes zum Entwurf der Leitlinien Stellung. Oberstes Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Brexit-Verhandlungen ist die Wahrung der Einheit der Europäischen Union. Deutschland hat eine besondere Verantwortung für die europäische Integration und hat in seiner ganz eigenen Weise von ihr profitiert: historisch, staatspolitisch, ökonomisch. Für Großbritannien darf es bei den Verhandlungen keine Rosinenpickerei geben. Ein zukünftiges Verhältnis kann nicht nur mit Rechten, sondern muss auch mit Pflichten einhergehen. Es darf keine Besserstellung Großbritanniens gegenüber anderen Nichtmitgliedern geben, auch nicht gegenüber Nichtmitgliedern, die in einem besonderen Verhältnis zur EU stehen. Bei allem Verständnis für sehr unterschiedliche Partikularinteressen muss deshalb auch für uns in Deutschland gelten: Wir müssen auch von unserer Seite weiterhin jedem Versuch widerstehen, Rosinenpickerei zu betreiben. Ansonsten können wir erst recht nicht von anderen Mitgliedstaaten, die in einer weniger komfortablen Situation sind, dasselbe erwarten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Im Gegenteil: Wir müssen von allen EU-Partnern abfordern, gemeinsam, geschlossen und solidarisch zu handeln. Ich bin angenehm überrascht, dass es derzeit keine wesentlichen Aufweichungstendenzen gibt. Unser Höchstmaß an Solidarität muss aber den Menschen gelten, die als EU-Bürgerinnen und -Bürger in Großbritannien leben, und den britischen Staatsangehörigen, die sich in anderen Ländern der EU aufhalten, um dort zu arbeiten, zu studieren oder den Ruhestand zu genießen. Diesen Menschen droht der Brexit den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ihre gesamte Lebensplanung über den Haufen zu werfen. Das darf nicht passieren. Sie dürfen nicht zum Spielball der Verhandlungen werden. Deshalb unterstützen wir das Ziel, die Sicherstellung ihrer Statusrechte zu priorisieren. (Beifall bei der SPD) Wir werden sehr nachdrücklich darauf achten, dass niemand unter die Räder des Brexits gerät. Auch wenn es rechtlich und verwaltungstechnisch schwierig bleibt und Zeit braucht: Wir müssen alles dafür tun, so schnell wie möglich hohe Planungssicherheit für die betroffenen Menschen zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir aber auch Sorgen, dass der Brexit-Prozess alle politischen und administrativen Kapazitäten in der EU bindet. Auch das darf nicht sein. Wir müssen uns parallel zum Verhandlungsprozess auch um die Zukunft der EU kümmern. Das Weißbuch der Kommission und die Erklärung von Rom sind wichtige Diskussionsbeiträge dazu. An beidem müssen wir arbeiten: an einem Brexit, der die Prinzipien und die Einheit der Europäischen Union wahrt und dabei den Schaden für alle Beteiligten gering hält, und an einer Zukunft der EU, die als eine sozial gerechte und wirtschaftlich erfolgreiche Gemeinschaft zu einem handlungsfähigen Akteur auf der Weltbühne wird, um unsere gemeinsamen europäischen Werte zu verteidigen und dem Frieden zu dienen. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben der Tatsache, dass wir heute – wir haben das schon mehrfach gemacht; das ist jetzt nicht das erste Mal – über die Frage des britischen Austrittsprozesses debattieren und die Bundeskanzlerin mit einer Regierungserklärung öffentlich macht, wie wir als Parlament uns daran beteiligen können und welche strategischen Ziele verfolgt werden, gehen mit dieser Debatte zusätzlich noch zwei Dinge einher, auf die ich kurz eingehen will. Punkt eins. Zu dieser Debatte haben alle Fraktionen des Bundestages Entschließungsanträge zu den vorbereiteten Leitlinien des Europäischen Rates zum Austrittsprozess Großbritanniens aus der Europäischen Union eingereicht; die Grünen sogar zwei – Masse ist nicht in jedem Fall Klasse. Ich gehe davon aus, dass der Koalitionsantrag hier eine deutliche Mehrheit findet. Damit signalisiert der Deutsche Bundestag ganz eindeutig, dass er sich mit den Facetten des britischen Austrittsprozesses und dem, was danach folgen soll und kann, sehr detailliert, sehr intensiv beschäftigen und seine Verantwortung wahrnehmen wird, und zwar unabhängig von der Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage der Bundestag dies kann, ob freiwillig oder ob er sogar Beschlüsse fassen muss, weil sich die gesetzliche Grundlage während der Austrittsverhandlungen ändert. Wir werden unsere Verantwortung auf jeden Fall wahrnehmen. Das ist ein deutliches Signal an die deutsche Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Punkt zwei. Mit unserem Entschließungsantrag zeigen wir auch: Der Deutsche Bundestag stimmt, und zwar bis in einzelne Details, mit der Strategie der EU 27 und insbesondere mit der Strategie der deutschen Bundesregierung für den Austrittsprozess überein. Es gibt in keinem einzigen Punkt unterschiedliche Auffassungen. Wir als Bundestag unterstützen die EU 27 bei der Verfolgung ihrer Leitlinien. Wir werden sie unterstützen, wenn das Mandat ausgehandelt wird. Und wir senden ein Zeichen der Unterstützung insbesondere an die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die wichtigen Beratungen und den Beschluss übermorgen beim Europäischen Rat der 27. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Spinrath [SPD]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Sonnabend, wenn also die Leitlinien der EU 27 zum Austrittsprozess beschlossen sind, beginnt die zweite Phase des britischen Austrittsprozesses. Die erste Phase währt jetzt schon etwas über zehn Monate. In der breiten Öffentlichkeit ist nicht bekannt geworden, wie kompliziert dieser Prozess im Kern eigentlich war. Dabei weiß jeder Insider, dass der britische diplomatische Dienst unmittelbar nach dem Referendum in Großbritannien den Versuch unternommen hat, mit einigen Ländern der EU 27 einzelne besonders problematische Themen des Austrittsprozesses, die die jeweiligen Länder betrafen, separat zu diskutieren und zu klären. Es ist ja eine Tatsache, dass die Probleme mit dem Austritt Großbritanniens in Polen andere sind als in Deutschland, als in Spanien, als in Zypern. Hier könnte man alle 27 EU-Mitgliedsländer aufzählen. Die Strategie der britischen Regierung ist dabei ziemlich einfach durchschaubar: Sie hat das Ziel verfolgt, eine möglichst uneinheitliche EU 27 zu haben, möglichst auch zerstritten in dieser Frage, um ein leichtes Spiel mit uns zu haben und ihre nationalen Ziele nach dem Austritt selbst besser durchsetzen zu können. Wenn übermorgen die einheitlichen und detaillierten Leitlinien der 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen werden, ist dieser Versuch der britischen Regierung allerdings endgültig gescheitert. Zu einem Punkt von alldem, was gerade heute von den Linken erzählt wurde, will ich noch etwas sagen: Natürlich ist die Europäische Union insgesamt in vielen Bereichen in einer schwierigen Phase, teilweise auch zerstritten, teilweise ein bisschen zerrüttet; aber die EU 27 zeigt übermorgen deutlich, dass sie da, wo es darauf ankommt, in der Lage ist, einheitlich und klar zu agieren. Das ist einen Beifall für die EU wert. Deswegen glaube ich: Wir werden diesen Austrittsprozess meistern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich noch zwei Dinge ansprechen, die als wesentliche Bestandteile für den Austrittsprozess in den Leitlinien definiert werden. Als Erstes komme ich zu der fundamentalen Frage der Rechte der Bürger. Wenn Sie, Frau Kollegin Göring-Eckardt, da vielleicht zuhören könnten. – Danke. Es nützt nämlich nicht, wie Sie hinsichtlich der Rechte der Bürger Scheinlösungen zu fordern. Ich will das kurz erklären: Ungefähr 3 Millionen Unionsbürger leben und arbeiten in Großbritannien, ungefähr 1 Million britische Bürger in der Europäischen Union, davon allein 300 000 in Deutschland. Den 3 Millionen Unionsbürgern, die in Großbritannien leben, hilft der von Ihnen geforderte Doppelpass gar nicht, den 1 Million britischen Bürgern, die in der Europäischen Union leben, im Allgemeinen auch nicht. Er hilft maximal vielleicht den 300 000 in Deutschland lebenden Briten. Die Forderung nach einem Doppelpass ist aber auch falsch. Der richtige Ansatz hingegen – das ist auch der der Bundesregierung – besteht nämlich in einer einheitlichen Regelung für alle: sowohl für alle britischen Staatsbürger, egal ob sie in Deutschland, in Polen, in Spanien oder woanders in der EU wohnen, als auch für alle EU-Bürger, seien es deutsche, polnische oder etc., die in Großbritannien wohnen. Der richtige Ansatz ist: Wir müssen versuchen, einheitliche Regelungen – kaum einer kennt die komplizierten Regelungswerke der Europäischen Union – zu erreichen, zum Beispiel in der Frage der Sicherheit von Rentenansprüchen im Heimatland und im Wohnsitzland, zum Beispiel in der Frage der Sicherung der Gesundheitsversorgung, zum Beispiel in Krankenversicherungsfragen, zum Beispiel hinsichtlich der Ansprüche auf soziale Leistungen. Wir müssen verhindern, dass all dies ersatzlos wegfällt, und müssen – bei allem, was notwendig ist – dafür sorgen, dass der bisherige Status bzw. Standard so weit wie möglich erhalten werden kann. Es hat allerdings keinen Zweck, den Menschen vorzumachen, wir könnten denselben Status wie bisher gewährleisten. Aber wir müssen den Schaden, der aufgrund des Austritts Großbritanniens entsteht, so gering wie absolut nötig halten. Das ist der wesentliche Ansatz. Weitere Punkte sind natürlich die Verpflichtungen Großbritanniens sowie Wirtschaft und Handel. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Michael Stübgen (CDU/CSU): Ich weiß, es blinkt hier schon. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Detlef Seif. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Detlef Seif (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Einigkeit macht stark. Deshalb begrüßen die Koalitionsfraktionen mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich das geschlossene Auftreten der Europäischen Union. Verhandlungen dürfen nur in den vorgesehenen Verhandlungskanälen erfolgen. Separate Verhandlungen des Vereinigten Königreichs mit den einzelnen Mitgliedstaaten zum Brexit gab es nicht und wird es auch nicht geben. Die Verhandlungsleitlinien, die der Europäische Rat übermorgen beschließen wird, machen deutlich, dass die Europäische Union und die anderen Mitgliedstaaten an einer weiteren starken und konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind und auch ein faires Abkommen anstreben. Jetzt ist leider unsere Kollegin Wagenknecht nicht mehr im Saal, aber sie hat vorhin behauptet, es werde ein Abkommen angestrebt, das negativ sei und Großbritannien bestrafe. Ich weiß nicht, ob sie den Leitlinienentwurf gelesen hat. Wenn ja, dann hätte sie festgestellt, dass hinsichtlich Form und Inhalt genau das Gegenteil der Fall ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Leitlinien lassen nämlich eine flexible Vorgehensweise zu, um Unsicherheiten und Verwerfungen, die das Brexit-Verfahren ganz klar mit sich bringt, weitestgehend auszuschließen. Das ist auch dringend erforderlich; denn in der Nettozeit von 15 Monaten, die für die eigentlichen Verhandlungen zur Verfügung stehen, wird man nicht im Ansatz alle Vereinbarungen zu wichtigen Punkten treffen können, die erforderlich wären. Deshalb sehen die Leitlinien neben Übergangsregelungen sogar die zeitlich begrenzte Verlängerung des EU-Besitzstandes für Großbritannien vor. Auch die Bereitschaft, Großbritannien im Hinblick auf Handelsverträge, die die EU mit Drittstaaten geschlossen hat, zu unterstützen, indem man versucht, sie im Nachhinein, nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU, weiter wirken zu lassen, ist sehr wichtig. Denn sonst würde Großbritannien hier in ein Loch fallen. Man muss doch anerkennen: Es gibt eine grundsätzlich positive Grundhaltung der EU. – Aber bei aller positiver Grundhaltung der Europäischen Union und der anderen Mitgliedstaaten ist für den Deutschen Bundestag eines klar: Sowohl Übergangsregelungen als auch ein Folgeabkommen müssen zwingend auf dem Grundsatz fairer Spielregeln und fairer Wettbewerbsbedingungen beruhen. Die Finanzmarktstabilität der Europäischen Union darf in keiner Phase des Verfahrens infrage gestellt werden. Es findet auch breite Zustimmung, dass die Verhandlungen zweistufig ablaufen. Als erstes sind Fragen des geordneten Austritts zu klären, erst danach kann es um das künftige Verhältnis gehen. Das ist hier im Einzelnen auch schon dargelegt worden. Die Rechte der Bürger sind ganz wichtig, die Rechtssicherheit für die Wirtschaft ist wichtig, um Verwerfungen auszuschließen; aber auch die Klärung von Grenzfragen, insbesondere aufgrund der fragilen Situation zwischen Nordirland und Irland, steht bei uns ganz oben auf der Agenda. Großbritannien darf sich allerdings keinen schlanken Fuß machen und sich davor drücken, Verpflichtungen, die eingegangen wurden und eingehalten werden müssen, zu erfüllen. Natürlich würde Theresa May gerne direkt über Folgevereinbarungen sprechen über das, was die künftigen Beziehungen angeht; aber das werden wir ihr nicht durchgehen lassen. Es ist deshalb richtig, dass wir eine erste Phase vorschalten. Wir erwarten von Großbritannien ein deutliches Signal der Vertrauensbildung in diesem Punkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es stellt sich dann die Frage: Wie kann das zukünftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU überhaupt aussehen? Die Formulierungen kennen wir: Kein Europa à la carte! Kein Rosinenpicken! – Und wir wissen: Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union muss immer einen Mehrwert haben. Aber, meine Damen und Herren, der Teufel steckt im Detail. Das Brexit-Verfahren sollten wir als Chance begreifen, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten grundsätzlich neu zu überdenken und gegebenenfalls neue Instrumente zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Schweizer Modell, das norwegische Modell oder übliche Handelsabkommen sind nicht in Stein gemeißelt; vielmehr gibt es auch andere Möglichkeiten. Großbritannien strebt eine maßgeschneiderte Regelung an. Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen. Das setzt aber voraus, dass Rechte und Pflichten, dass Leistungen und Gegenleistungen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Vor allem darf der Zusammenhalt der Europäischen Union nicht gefährdet werden, und auch die Autonomie der Europäischen Union und ihre Rechtsordnung, einschließlich der Rolle des Europäischen Gerichtshofs, sind zu gewährleisten. Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Ukraine, das zwar eine Marktöffnung, aber keine Freizügigkeit vorsieht, könnte als Blaupause für die Entwicklung maßgeschneiderter Vereinbarungen mit Drittstaaten dienen. Seien wir offen für flexible Lösungen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Zunächst kommen wir zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 18/12135. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/12136. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12137. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier ist der Antrag bei Zustimmung des Antragstellers und bei Ablehnung der übrigen Fraktionen abgelehnt. Es gibt einen weiteren Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12138. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen Drucksachen 18/11233, 18/11531, 18/11683 Nr. 8 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/12128 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG) Drucksachen 18/11132, 18/11184 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/12127 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Britta Haßelmann, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine Bundessteuerverwaltung – Gleiche Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee Drucksachen 18/2877, 18/12127 d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen – Steueroasen austrocknen Drucksache 18/8132 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Mathias Middelberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat und bitte um Aufmerksamkeit: „Wenn der kleine Bäckerladen anständig und selbstverständlich seine Steuern zahlt und dadurch unser Gemeinwesen finanziert, der globale Kaffeekonzern sich aber davor drückt und sein Geld in Steueroasen parkt, dann geht es nicht gerecht zu“ in diesem Land. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist eine zutreffende und richtige Erkenntnis des Kanzlerbewerbers der SPD bei seiner Nominierungsrede Ende Januar. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ein guter Einstieg! Ich bin gespannt, wie es weitergeht!) Daraus zog der Kollege Schulz den Schluss, Steuerflucht müsse ein zentrales Wahlkampfthema werden. Die erste Erkenntnis war richtig, die zweite halte ich für weniger durchdacht. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Ja, das kann ich mir vorstellen!) Der Kollege Schulz stellt damit auch Ihre Arbeit quasi unter den Scheffel; denn wir arbeiten hier seit Jahren an der Bekämpfung der Steuerflucht, und zwar, wie ich glaube, mit großem und gutem Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Das ist noch nicht zu Ende!) Das werde ich Ihnen jetzt im Einzelnen auseinanderdividieren. Fangen wir einmal an: Vor über sechs Jahren, im Jahr 2011, hat unser Finanzminister Wolfgang Schäuble gemeinsam mit seinem britischen und seinem französischen Kollegen das Projekt gegen die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und gegen Gewinnverlagerungen – wir kennen das als BEPS-Projekt – auf OECD- und G-20-Ebene initiiert. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: War das vor oder nach der Schweiz? – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich doch um 180 Grad gedreht!) Dort sind Regeln gegen die kreative Steuergestaltung der internationalen Konzerne festgelegt. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welchem Ergebnis?) Seitdem setzen wir hier regelmäßig und Schritt für Schritt Maßnahmen gegen den illegalen Steuerbetrug und gegen die legale Steuervermeidung um. Ich nenne Folgendes exemplarisch: Im Oktober 2014 hat Wolfgang Schäuble hier in Berlin den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten initiiert. Über 100 Staaten sind diesem Abkommen mittlerweile beigetreten. In Zukunft wird es nicht mehr möglich sein, dass ein deutscher Steuerbürger ein Auslandskonto eröffnet und wir in Deutschland davon nichts erfahren. Diese Dinge werden automatisch gemeldet. Fälle wie Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer, über die wir in diesem Hause intensiv diskutiert haben, sind in Zukunft nicht mehr möglich. (Zuruf des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist bisher das effizienteste Vorgehen gegen Steuerbetrug international, und das geht auf die Initiative des Finanzministers Wolfgang Schäuble zurück. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, er hat es verhindern wollen!) 2016 haben wir hier das Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie beschlossen und damit den automatischen Informationsaustausch über die Tax Rulings – das sind die Steuerabsprachen – initiiert. Wir kennen alle die Diskussionen über Lux-Leaks, die wir auch hier im Hause intensiv geführt haben. Ich meine, das müsste auch Herr Schulz mitbekommen haben. Er war ja live vor Ort. Irgendwie hat er aber nicht mitbekommen, dass wir ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, um dafür zu sorgen, dass Lux-Leaks in Zukunft nicht mehr nötig sind. Wir haben mit diesem Gesetz auch das Country-by-Country Reporting gegenüber den Steuerbehörden beschlossen. Das sorgt demnächst für absolute Transparenz über die steuerlichen Sachverhalte der Unternehmen in den verschiedenen Ländern und ermöglicht eine faire Besteuerung. Heute beschließen wir den Entwurf des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes. Es ist gegen die Briefkastenfirmen in Steueroasen gerichtet; Stichwort „Panama Papers“. Dazu wird gleich mein Kollege Feiler das Nähere ausführen. Und wir beschließen den Entwurf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen. Dabei geht es um Kaffeehausketten wie Starbucks; wir nennen sie hier einmal Buckstars. Buckstars ist in Deutschland tätig, hat viele Filialen, verdient hier viel Geld und müsste eigentlich auch gute Steuern zahlen. Buckstars hat aber irgendeine Partner- oder Tochtergesellschaft im Ausland, in den Niederlanden, in Irland – konzernintern –, und zahlt für Lizenzen dahin Geld. Das führt dazu, dass die Gewinne von Buckstars in Deutschland gemindert werden. Deswegen zahlen die hier effektiv wenig Steuern. Das wäre noch okay, wenn sie für die Lizenzeinnahmen im Ausland, in den Niederlanden oder in Irland, adäquat zur Kasse gebeten würden. Das ist aber leider auch nicht der Fall. Das heißt, am Ende zahlt dieser Konzern ganz wenig Steuern. Das ist ungerecht, und das ist wettbewerbsschädlich, vor allen Dingen auch gegenüber unseren Mittelständlern hier in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen gehen wir jetzt mit einer Lizenzschrankenregelung dagegen vor. Das ist das gleiche Prinzip wie bei der Zinsschranke. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schäuble wollte etwas anderes!) Die Zinsschranke funktioniert, und die Lizenzschranke wird in adäquater Weise funktionieren. Wer im Ausland nicht mindestens 25 Prozent Steuern zahlt, der kann das, was er im Ausland für irgendwelche Rechte oder Lizenzen zahlt, bei uns dann demnächst nicht mehr steuermindernd geltend machen. Es ist richtig, dass wir das so regeln. Deswegen – damit komme ich schon zum Schluss – verabschieden wir heute zum wiederholten Mal grundlegende Gesetze – heute sind es zwei –, die gegen Steuerflucht und für mehr Steuergerechtigkeit äußerst wirksam sein werden. Uns wäre lieb, wenn Sie dem Kollegen aus Würselen vielleicht einmal eine Kopie dieser Vorlagen zur Verfügung stellen würden; dann wäre er im Hinblick auf den Wahlkampf besser informiert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist jetzt für die Fraktion Die Linke die Kollegin Susanna Karawanskij. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Die Empörung im Fall Uli Hoeneß, Fußballboss und bekannter Steuerhinterzieher, war ziemlich groß, allerdings auch verhältnismäßig kurz. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er war ja lange im Gefängnis!) Man kann den Eindruck gewinnen, dass eine Art Gewöhnungsprozess eingetreten ist und dass akzeptiert wird, dass Superreiche und Unternehmen den Staat jährlich um Milliarden von Euros an Steuern betrügen. Panama Papers, Offshore-Leaks, Lux-Leaks, Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäfte – die Liste ließe sich leider noch weiter fortsetzen. An dieser Stelle möchte ich für uns Linke ganz klar sagen: Steuerhinterziehungen und Steuervermeidung sind kriminell. Nach wie vor ist das für uns ein Megaaufreger. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden nicht annähernd so lange tatenlos zusehen, wie es die CDU/CSU-Fraktion in dieser Legislaturperiode getan hat. Die Gesetzentwürfe, die heute aller Voraussicht nach verabschiedet werden, gehen in die richtige Richtung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Immerhin!) Aber wie immer muss die Bundesregierung erst zum Jagen getragen werden. Das kommt tatsächlich alles mit einer zeitlichen Verzögerung und nur aufgrund des Drucks im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Panama Papers. Gemessen daran, wie schnell andere Gesetze durch den Bundestag getrieben werden – Stichwort Asylverschärfung –, ist das hier schon fast Schneckentempo. (Beifall bei der LINKEN) Auch haben die Gesetze immer noch klare Schwächen. Es gibt Lücken, und ein Großteil der Fälle von Steuerumgehungen wird überhaupt nicht erfasst. Ich möchte an dieser Stelle einige Schwächen deutlich machen: Die Anzeigepflicht für Steuerpflichtige über Geschäftsbeziehungen zu Drittstaatengesellschaften, also Gesellschaften außerhalb der Europäischen Union, auf die sie beherrschenden Einfluss haben, und zwar unabhängig davon, ob sie am Unternehmen formal beteiligt sind oder nicht, ist erst einmal positiv zu bewerten. Aber die Anzeigepflicht greift erst für nach 2017 verwirklichte Sachverhalte. Das heißt, Sie schreiben hier einen Straferlass für bisherige Steuersünder fest. Das ist mit uns Linken nicht zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Ebenso halten wir die Mitteilungsverpflichtung von Berufsgruppen wie Anwälten, Steuerberatern oder für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für falsch und halbherzig. Das Zauberwort muss doch grundsätzlich Transparenz heißen. Wir brauchen keine Transparenz nach Gutdünken oder Willkür der Bundesregierung, sondern wir brauchen umfassende Klarheit. Deswegen fordern wir als Linke ein öffentliches Transparenzregister aller wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen bzw. Trusts. (Beifall bei der LINKEN) Kommen wir zum Bußgeldrahmen für die Steuerpflichtigen. Er wird zwar angehoben, ist allerdings viel zu brav. Meinen Sie tatsächlich, dass 25 000 Euro bzw. 50 000 Euro Milliardäre oder Finanzfirmen, die damit beschäftigt sind, Milliardenbeträge verschwinden zu lassen, erzittern lassen oder in Angst versetzen? Das ist naiv und nicht angemessen. (Beifall bei der LINKEN) Eine weitere Schwäche in Ihrem Gesetzentwurf ist, dass der Großteil der Informationspflichten nur in Bezug auf Staaten gilt, die nicht Mitglied der EU bzw. der EFTA, der Europäischen Freihandelsassoziation, sind. Steueroasen wie Luxemburg und Malta werden komplett ausgespart. Die ganzen Steuerumgehungen, die ganzen Verschachtelungskonstruktionen über europäische Steueroasen – ich denke an die Schweiz und Liechtenstein – werden ebenso nicht erfasst. Genau diese Staaten fehlen aber bei keiner Auflistung von schwarzen Konten – Stichwort Bankgeheimnis – bzw. von Möglichkeiten zur Steuerumgehung. An dieser Stelle wollen wir für umfassende Transparenz und Information sorgen. Deshalb lehnen wir es ab, dass europäischen Steueroasen damit eine Art Wettbewerbsvorteil verschafft wird. (Beifall bei der LINKEN) An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Mir geht es nicht darum, dass wir pauschal alle Bürgerinnen und Bürger, die ein sechsstelliges, achtstelliges oder höheres Jahreseinkommen haben, kriminalisieren. Aber wir können uns doch bestimmt darauf einigen, dass sich innerhalb der Klientel der Panama Papers nicht ein einziger Hartz-IV-Aufstocker, nicht eine einzige Friseurin oder Krankenpflegerin befindet. Die Steuerbetrüger schaden mit ihrem Verhalten uns allen, da sie sich der Finanzierung der Gesamtheit der Gesellschaft entziehen und öffentliche Güter somit nicht mitfinanzieren. Es ist skandalös, dass Hyperreiche dem Staat eine lange Nase zeigen, während alle anderen ganz normal ihre Steuern zahlen. Das kann doch so nicht weitergehen. (Beifall bei der LINKEN) Da kommt bei uns allen natürlich auch ein Stück weit Frust auf. Mir kommen vor allen Dingen Zweifel an der Steuergerechtigkeit, die Sie gerade so sehr beschworen haben, Kollege Middelberg. Dabei geht es nicht allein um höhere Bußgelder; hier scheint der Großen Koalition der Sinn für die Realität ja komplett abhandengekommen zu sein. Man kann sich auch nicht länger querstellen, wenn wir uns darum kümmern wollen, Steuergerechtigkeit zu schaffen. Wir als Linke wollen die fortschreitende Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich stoppen. Dafür brauchen wir Umverteilung von oben nach unten. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Wir wollen, dass sich alle Menschen an der Gesellschaft beteiligen können, dass aber auch alle Menschen zu ihrer Finanzierung herangezogen werden. Alles andere ist – ich habe das schon beim letzten Mal gesagt – Betrug, und zwar Betrug an uns allen bei der Mitfinanzierung der Gesellschaft. (Beifall bei der LINKEN) Nun zu den geplanten Änderungen bei den Lizenz- bzw. Patentboxen. Unternehmen nutzen sie im Prinzip für Gewinnverschiebungen. Das geht so: Sie gründen ein Tochterunternehmen, zum Beispiel in einer europäischen Steueroase. Dort müssen sie auf den Gewinn, den das Tochterunternehmen macht, nur geringe Steuern zahlen. Dann überträgt das Unternehmen zum Beispiel die Rechte an der eigenen Marke auf das Tochterunternehmen. Damit es die Marke weiterhin nutzen darf, muss es an das eigene Tochterunternehmen Lizenzgebühren zahlen; so weit, so gut. Diese von dem Unternehmen zu zahlenden Lizenzgebühren werden zum Teil mit dem in Deutschland erwirtschafteten Gewinn verrechnet. Am Ende der Kette zeigt sich – urplötzlich –, dass das Unternehmen kaum bzw. nur geringe Steuern zu zahlen hat und arm wie eine Kirchenmaus ist, während das Tochterunternehmen ein sattes Plus macht, für das es in der Steueroase aber gar nicht so viele Steuern abführen muss. Das klingt ein bisschen absurd und sehr kompliziert, ist für Unternehmen wie Google, Apple, Amazon, Ikea und Microsoft allerdings Tagesgeschäft. Nach langer Zeit legt die Bundesregierung heute einen Gesetzentwurf vor, nach dem die entsprechenden Lizenzgebühren hierzulande nicht mehr grundsätzlich abgesetzt werden können. Aber dieses Modell ist wackelig. Wie sonst lässt sich erklären, dass es bei gerade einmal 650 Unternehmen greift und Steuermehreinnahmen von nur 30 Millionen Euro einbringen soll? Hier besteht das grundlegende Problem, dass nur sogenannte nahestehende Unternehmen erfasst sind. An dieser Stelle lassen Sie den Tricksern und Täuschern meines Erachtens viel zu viel Spielraum. Hier brauchen wir einen breiteren Ansatz. (Beifall bei der LINKEN) Nun zu den Vorschlägen, die wir Ihnen unterbreiten. Wir wollen der Steuerbetrügerszene unter anderem – wir haben viele Punkte aufgeschrieben – eine Bundesfinanzpolizei entgegensetzen; ich drücke das jetzt einmal so aus. Dort sollen Kräfte gebündelt werden, um spezialisierten Anwälten, Finanzberatern und der ganzen Oasenmafia Paroli bieten zu können. Denn dass es die Steuertrickser so leicht haben, liegt vor allen Dingen daran, dass es zu wenig Personal gibt, das ihnen auf die Finger schaut. In der Finanzverwaltung fehlen Tausende Stellen. Die Finanzämter sind flächendeckend um circa 20 Prozent unterbesetzt. Steuerfahnder bringen dem Staat deutlich mehr Geld ein, als sie den Staat Geld kosten. Hier muss endlich gehandelt werden. (Beifall bei der LINKEN – Margaret Horb [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig!) – Darauf habe ich gewartet, dass Sie sagen, dafür seien die Länder zuständig. Das ist total richtig. Aber daran sieht man einfach, dass die von Ihnen eingeführte Schuldenbremse völlig kontraproduktiv ist. (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Ich glaube es nicht! Jetzt ist also die Schuldenbremse schuld? Das kann doch wohl nicht wahr sein!) Sie ist nämlich dafür verantwortlich, dass es in den öffentlichen Haushalten in Ländern und Kommunen keine Gestaltungsspielräume mehr gibt, sodass hier nicht gehandelt werden kann. Meine Damen und Herren, der Anfang ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemacht. Allerdings: Die Probleme rund um die aggressive Steuervermeidung sind längst nicht vom Tisch. Wir müssen am Ball bleiben, um alle Steueroasen Stück für Stück auszutrocknen und alle Menschen an der Finanzierung des Gemeinwohls und unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege Carsten Schneider das Wort. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Middelberg hat diese Debatte mit einem Zitat von Martin Schulz begonnen. Ich beginne meine Rede mit einem Zitat des Heiligen Augustinus, um 400 nach Christus, der sagte, ein Staat ohne Gerechtigkeit sei nichts anderes als eine Räuberhöhle. Ich glaube, dem können wir zustimmen. Gerechtigkeit ist eine der entscheidenden Grundlagen in unserem Land. Die Menschen vertrauen darauf, dass der Staat für Gerechtigkeit sorgt. Die Steuer- und Finanzpolitik ist hier das zentrale Element. Herr Middelberg, Sie haben Martin Schulz vorgeworfen – Ihre Sorge muss groß sein, dass Sie sich in Ihrer ganzen Rede an ihm abarbeiten –, nicht zu wissen, was in diesem Land passiert. Er weiß es sehr genau. Das will ich Ihnen erläutern. Für die Gesetze, die wir heute hier verabschieden wollen und die sehr wichtig sind – Frau Karawanskij ist ebenso wie Sie auf die Punkte Gewinnverlagerung und Steuerdumping eingegangen –, waren die Veröffentlichungen der Panama Papers entscheidend. Man muss großen Respekt vor der Arbeit der Journalisten haben und ihnen Dank sagen, dass sie deren Veröffentlichung vorangetrieben haben, wofür sie den Pulitzer-Preis bekommen haben. Es war nicht die Staatengemeinschaft, die das geschafft hat, sondern es sind Journalisten gewesen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen umso mehr Respekt haben, da auch viele Despoten aus Ländern, in denen keine Demokratie herrscht, ihr Geld größtenteils in diesen Oasen verstecken. Die Veröffentlichung war eine gewaltige Transparenzinitiative. Das reicht aber nicht. Ich sage Ihnen: Der politische Wille der Unionsfraktion, in den Bereichen Steuervermeidung, Steuerhinterziehung voranzugehen, ist sehr unterentwickelt. (Joachim Poß [SPD]: Sie war immer Bremser!) Ich kann es Ihnen hier nicht durchgehen lassen, dass Sie behaupten, Sie waren diejenigen, die das vorangetrieben haben. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie doch keinen Unsinn!) Im Gegenteil: Sie haben immer den Druck der Öffentlichkeit gebraucht, um überhaupt in diesem Bereich voranzugehen und etwas zu machen. Wenn ich an das deutsch-schweizerische Steuerabkommen denke, das Sie im Bundestag mit Stimmen der Union und der FDP beschlossen haben, muss ich feststellen, dass das das glatte Gegenteil war. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir hätten niemals den automatischen Informationsaustausch bekommen, wenn Sie den Entwurf damals durchgesetzt hätten. Es waren im Bundesrat die SPD und die Grünen (Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD]) – die Linken waren damals noch gar nicht irgendwo in der Regierung –, die das gestoppt haben, und zwar allen voran Norbert Walter-Borjans in NRW. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Kretschmann in Baden-Württemberg!) – Der war damals noch nicht Ministerpräsident. Der Ankauf der Steuer-CDs war der entscheidende Hebel, um dem Missbrauch in diesem Bereich, der Steuervermeidung und der Steuerhinterziehung den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Das war entscheidend; deshalb sind solche Fälle wie der von Uli Hoeneß öffentlich geworden. Sonst wäre das nicht passiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nur aus diesem Grund kam es dazu, dass es jetzt in der Schweiz eine Weißgeldstrategie gibt. Das kann man offen sagen. Es gibt bei den Steuerhinterziehern, die ihr Geld dort noch geparkt haben, eher eine Entwicklung zurück. Der letzte Fall war 2014. Ein Besitzer eines Unternehmens und dessen Sohn wollten Bargeld in Höhe von 200 000 Euro nach Deutschland zurückschleusen und wurden dabei erwischt. Von daher war das der ganz entscheidende Schritt. Die SPD ist hier immer an erster Stelle gewesen und wird hier auch weiterhin immer an erster Stelle stehen. Es ist eine zentrale Gerechtigkeitsfrage, dass die Steuersätze, die wir hier im Deutschen Bundestag politisch festlegen, auch umgesetzt werden und gelten, und zwar nicht nur für den Arbeitnehmer, der die Lohnsteuerkarte abgibt, sondern insbesondere auch für die Unternehmen und die Superreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das ist völlig richtig!) In diesem Gesetz steht viel Richtiges, insbesondere was Transparenz betrifft. Der Möglichkeit, dass über Stiftungen und anonyme Konten Geld gewaschen werden kann und verheimlicht werden kann, wer der wirtschaftlich Berechtigte ist, wird der Garaus gemacht. Wir hätten uns gewünscht, dass nicht nur Banken zur Veröffentlichung verpflichtet werden – das steuerliche Bankgeheimnis fällt ja –, sondern auch diejenigen, die beratend tätig sind. Ich würde mich da gar nicht immer hinter dem Vorwand, dass es sich um freie Berufe handelt, verstecken. Anwälte und Wirtschaftskanzleien sind gerade diejenigen, die genau diese Modelle entwickeln und immer wieder Gesetzeslücken suchen und dafür sorgen, dass Steuern nicht gezahlt werden müssen. Wir von der SPD würden diese Leute dazu verpflichten, das anzeigen zu müssen. Doch dagegen haben Sie sich gewehrt. Das ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Unterschied. Aus diesem Grund sind wir hier, meine Damen und Herren, noch lange nicht am Ende. Das ist ein erster Schritt, den wir hier machen, aber ein wichtiger. Wir hatten im Vorfeld die Brexit-Debatte. Der Brexit ist doch geradezu absurd in einer Zeit, in der wir enorme Fortschritte gemacht haben hin zu mehr internationaler Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Hinsichtlich der G20-Initiative will ich mich bei Herrn Schäuble bedanken. Das war wichtig. Sie haben dafür gesorgt, dass wir die Führerschaft bei den G20- und G7-Prozessen haben, dass wir dort stärker vorankommen und eben nicht zum Steuerdumping zurückkehren. Die Briten und natürlich auch die Ankündigungen der Amerikaner machen mir hier große Sorgen. Natürlich dürfen die Briten ihre Unternehmensteuersätze, die im europäischen und im weltweiten Vergleich hoch sind, senken; das ist gar keine Frage. Das, was jetzt angekündigt wurde, geht aber zu weit. Ich glaube, wir brauchen insbesondere eine Allianz der Völker gegen große globalisierte Konzerne, die sich letztendlich von ihrer Steuerschuld befreien, sodass nur noch die einfachen Leute Steuern vor Ort zahlen. (Beifall bei der SPD) Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht. Jeden Schritt, der dazu führt, dass wir dort Fortschritte erreichen und zu einer faireren Besteuerung kommen, unterstützen wir. Dann haben wir das Geld – ich komme zum Schluss –, um auch kleinen Unternehmen zu helfen. Wir tun das mit diesem Gesetzentwurf, indem wir die Abschreibungsmöglichkeiten für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern und den Abschreibungsbetrag von 410 Euro auf 800 Euro fast verdoppeln. Ich glaube, das wird auch zu mehr Wirtschaftswachstum führen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster hat jetzt Dr. Thomas Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Bitte schön. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will mit einem Zitat beginnen: „Steuerschlupflöcher schließen ...“ ist die Überschrift der Drucksache 18/9043 vom 6. Juli 2016. Darin steht: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ein Gesetz vorzulegen, durch das ... der steuerliche Abzug von Lizenzaufwand in verbundenen Unternehmen ... eingeschränkt wird, wenn die effektive Steuerbelastung auf den Lizenzertrag im ausländischen Staat weniger als 15 % beträgt. Das war unser Antrag, den Sie abgelehnt haben. Jetzt bringen Sie einen Antrag ein, in dem aus den 15 Prozent 25 Prozent geworden sind. Sie gehen also noch darüber hinaus. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sehr gut ist das!) Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie dem Antrag der Grünen damit stattgegeben haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was?) Es ist sehr wichtig, dass wir das tun. Herr Middelberg und Herr Schneider haben das Steuerabkommen mit der Schweiz thematisiert, und ich thematisiere den Punkt Lizenzbox. Herr Bundesminister Schäuble, ich stand hier an diesem Pult, und Sie saßen dort, wo Sie jetzt sitzen. Wir haben damals die Lizenzschranke gefordert, und ich erinnere mich auch an die Auseinandersetzung in der Presse, nachdem wir aus London zurückkamen. Herr Kollege Middelberg, vielleicht erinnern Sie sich an ein Gespräch mit Herrn Osborne; ich glaube, Sie waren dabei. Er sagte uns: Wir kämpfen jetzt gemeinsam mit euch Deutschen gegen Steuerhinterziehung. – Vier Wochen später wurde die Lizenzbox in UK eingeführt. Wir hatten hier eine erbitterte Debatte darüber, und Herr Schäuble drohte an, dasselbe zu tun. Wir haben damals gesagt: Nein, das ist der falsche Weg. – Ich habe damals in der Presse das Wort „schizophren“ benutzt. Jetzt machen wir mit der Lizenzschranke Gott sei Dank genau das, was man tun muss. Sie kommt zwar leider viel zu spät, um die Wirkung zu entfalten, die man hätte entfalten müssen, um zu so etwas wie einer Mindestbesteuerung zu kommen. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir brauchen eine konsolidierte Steuerpolitik in Europa und kein Muskelzeigen bei Lizenzboxen, die immer wieder zu Steuergestaltungen führen. Ich freue mich, dass wir in diese Richtung gehen. Deshalb werden wir diesem Teil des Gesetzentwurfes auch zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Dann ist doch alles gut!) Dieses Drehen um 180 Grad – sowohl beim automatischen Informationsaustausch als auch bei der Lizenzschranke – würde ich mir natürlich auch bei anderen Themen wünschen. Ich habe gehört, dass man sich in Bezug auf die steuerliche Forschungsförderung jetzt auch drehen wird. Es freut mich sehr, Herr Bundesminister, dass sich Ihre Meinung hier geändert hat und dass Sie das jetzt unterstützen. Jetzt müssen wir das auch machen und umsetzen. Ich könnte noch andere Themen nennen, die Sie bitte schön auch noch angehen müssen, zum Beispiel – das haben Sie sich ja eigentlich vorgenommen – die Erleichterung von Finanzierungen in der Gründerszene durch ein entsprechendes Gesetz. Hier haben Sie bisher nicht geliefert, und das werden Sie wahrscheinlich auch nicht tun. Es würde mich aber freuen, wenn Sie hier weiterkommen würden; denn wir müssen – wir Grünen stehen dafür – gerade kleine und mittlere innovative Unternehmen fördern, weil viele von ihnen in der heutigen Welt ganz wichtig sind, um mit den schnellen technologischen Entwicklungen Schritt zu halten und die Chancen, die wir hier haben, wirklich zu nutzen. Lassen Sie mich deshalb, Herr Schneider, das Thema GWG ansprechen. Sie haben die Anhebung der GWG-Grenze gelobt. Was Sie machen wollen, ist aber kompletter Blödsinn. Sie erhöhen die GWG-Grenze auf lediglich 800 Euro mit einem fiskalischen Argument, wohl wissend, dass die 800 DM im Jahre 1964 bzw. 410 Euro heute gleichbedeutend mit einem Betrag über 1 500 Euro wären, wenn es einen Inflationsausgleich gegeben hätte; das wäre die eigentliche Messlatte gewesen. Was Sie leider nicht durchgesetzt haben, Herr Middelberg, war, die Grenze auf 1 000 Euro anzuheben und auf die Poolabschreibung zu verzichten. (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Ja!) Wenn Sie keine Steuerberater fragen, sondern diejenigen, die im operativen Geschäft tätig sind – ich komme aus dem operativen Bereich –, dann wissen Sie, dass die Abschaffung der Poolabschreibung wirklich eine erhebliche bürokratische Vereinfachung gebracht hätte. Leider haben Sie da nicht geliefert. Das ist fiskalisch und ordnungspolitisch nicht zu verstehen. Ich bedauere sehr, dass Sie bei diesem Punkt nicht über Ihren Schatten gesprungen sind und die Grenze bei 1 000 Euro gezogen haben. Wir hätten mit Blick auf die Bürokratie eine deutliche Vereinfachung erreicht. Sie haben diese Möglichkeit noch nicht einmal durchgerechnet. Insofern glaube ich, dass Sie da einen Fehler gemacht haben. Dennoch werden wir dem Gesetz zustimmen, weil es in der Summe wenigstens die Liquidität der Unternehmen ein bisschen erhöht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung hat jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und exzessive Steuervermeidung wird ein immerwährender Kampf sein. Das eigentliche Problem dabei ist, dass wir in einer globalisierten Welt leben und dass durch die Digitalisierung, durch die Verflechtung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Finanzmärkte und durch die Tatsache, dass alle Unternehmen heute weltweit tätig sind, neue Möglichkeiten bestehen. Wir werden diesen Kampf nur erfolgreich führen können, wenn wir ihn europäisch und zugleich international gemeinsam führen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: National kann man auch etwas tun!) Das ist im Übrigen ein ungeheuer mühsamer Kampf. Aber es ist vor allen Dingen wichtig, dass man nicht falsche Erwartungen schürt, weil man sonst hinter der Komplexität der Wirklichkeit zurückbleibt. Das ist dann der Nährboden für die Demagogen, über die wir uns in der vorherigen Debatte ausreichend gesorgt haben. Darauf möchte ich in dieser Debatte gerne hinweisen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben in dieser Legislaturperiode, auch in den Jahren davor, beachtliche Fortschritte erzielt; Herr Kollege Middelberg hat das dankenswerterweise dargestellt. Aber es macht keinen Sinn, Herr Kollege Schneider, wenn man die Geschichte immer wieder falsch darstellt. Für die Schweiz war es über viele Jahrzehnte und über Generationen hinweg völlig undenkbar, ihr Verständnis vom Bankgeheimnis aufzugeben. Deswegen war der automatische Informationsaustausch für die Schweiz ein Thema, das mit ihr überhaupt nicht zu bereden war. Übrigens wäre dieses Problem auch nicht durch die Androhung, die Kavallerie ausreiten zu lassen, und anderen Unsinn zu lösen gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Wandel kam erst durch den Druck der Vereinigten Staaten von Amerika und von niemandem sonst zustande. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben diesen Druck abgemildert, anstatt mitzumachen!) – Nein, überhaupt nicht. Das ist doch Quatsch. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie standen auf der falschen Seite! Das ist doch Geschichtsklitterung, was Sie machen!) – Das ist doch totaler Quatsch. Sie fangen immer wieder damit an, wenn man nur versucht, einmal in aller Ruhe – ich weiß, es ist Wahlkampf – darüber zu reden. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie es falsch darstellen!) – Nein, das ist doch nicht wahr. Die Wahrheit ist, dass die Amerikaner Druck – Stichwort: amerikanischer Marktzugang – ausgeübt haben. Auch wir haben gelegentlich mit den unangenehmen Nebenwirkungen dieser etwas einseitigen Anwendung zu tun. Jedenfalls hat dieser Druck die Schweiz dazu gebracht, etwas zu machen, was sie vorher niemals für denkbar gehalten hat. Daraufhin haben wir in Europa sofort gesagt: Wenn die Schweiz diesen Austausch mit den Amerikanern macht, dann erklären wir ihn zum europäischen Standard. Daraus ist der automatische Informationsaustausch geworden, den wir in Berlin vorangetrieben haben und der in diesem und im nächsten Jahr mit über 100 teilnehmenden Ländern stattfinden wird. Der Vollzug wird dann übrigens wieder kompliziert sein. Damit sind wir beim nächsten Punkt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Bundesminister, ehe Sie den nächsten Punkt ansprechen, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gambke zulassen. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Nein, ich möchte jetzt wenigstens ein paar Sätze am Stück sagen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Okay. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Wir sind gemeinsam mit den Ländern dabei, diesen Punkt umzusetzen – denn ob es den Linken gefällt oder nicht: wir sind ein föderaler Bundesstaat, in dem die Steuerverwaltung Sache der Länder ist –, und wir sind in einem mühsamen Ringen mit den Ländern, damit wir wenigstens bei der Einführung der Informationstechnik und bei der Software etwas mehr bundeseinheitliche Regelungen zustande bekommen. Es ist ein Kampf um Millimeter mit den Ländern auch in den Bund-Länder-Finanzverhandlungen. Wir werden uns in den nächsten Wochen noch mit dieser Gesetzgebung befassen. Wir werden große Aufwendungen dafür machen müssen, dass es funktioniert. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Das betrifft den automatischen Informationsaustausch. Wir haben die Initiative ergriffen – das haben Sie richtig erwähnt, Herr Kollege Schneider –, um auf internationaler Ebene zur Zusammenarbeit in der Bekämpfung unfairer exzessiver Nutzungen unterschiedlicher steuerlicher Regelungen in den verschiedenen Jurisdiktionen zu kommen. Mit dieser BEPS-Initiative sind wir weit vorangekommen. Wir setzen sie übrigens in europäisches Recht um. Herr Kollege Gambke, das haben Sie ein bisschen übersehen: Ich habe mit den Landesfinanzministern schon vor vier oder fünf Jahren darüber geredet, dass wir die missbräuchliche Nutzung der Rechteüberlassung in erster Linie durch europäische Zusammenarbeit bekämpfen wollen. Da sind wir bei der Umsetzung. Was wir jetzt als ergänzende nationale Gesetzgebung machen, ist deswegen in der Anwendung begrenzt: Für die Länder, die sich nicht an den Standard der internationalen Vereinbarungen halten, führen wir mit einer nationalen, der Zinsschranke ähnelnden Regelung eine zusätzliche Sicherung ein. Der eigentliche Ansatz ist aber, durch europäische und weltweite Zusammenarbeit die exzessive Nutzung unterschiedlicher Regelungen stärker zu bekämpfen. Auf diesem Weg sind wir weit vorangekommen. Wir werden ihn aber weiter konsequent gehen müssen. Die große Aufgabe, die jetzt vor uns liegt – auch in den nächsten Legislaturperioden; aber bis vor kurzem gab es überhaupt keine Bereitschaft, weder europaweit noch international, sich mit dem Thema zu beschäftigen; das haben wir inzwischen während unserer Präsidentschaft auf der G-20-Ebene ändern können –, ist, dass wir uns viel intensiver mit den schwierigen Fragen der Besteuerung von im Wesentlichen digital operierenden Gesellschaften beschäftigen müssen. Dabei sind wir ganz am Anfang, und es wird ein langer Weg sein. Mein Rat an alle, die nicht den Demagogen das Feld für leichte Volksverhetzung bieten wollen, ist, dass wir die Kompliziertheit dieser Dinge nicht vereinfachen sollten. Wir haben in den letzten Jahren konsequent Schritt für Schritt die Bekämpfung krimineller Steuerhinterziehung und legaler, aber exzessiver und damit auch missbräuchlicher Nutzung unterschiedlicher steuerlicher Regelungen ein ganzes Stück vorangebracht. Dabei helfen uns auch Veröffentlichungen wie die der Panama Papers. Wir haben sie nicht gebraucht, um anzufangen, aber wir haben sie genutzt, um den internationalen Druck zu verstärken. Denn das, was wir jetzt national machen, haben wir auch international vorangebracht. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns in der Debatte über die erreichten Erfolge freuen. Wir haben in den letzten sechs Jahren im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung mehr erreicht als in den 30 Jahren zuvor. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen brauchen wir uns dieser polemischen Diskussion auch nicht zu stellen, sondern wir können wirklich etwas vorweisen. Aber natürlich wird es auch in der Zukunft noch Möglichkeiten geben. Meine zweite Bitte ist, Herr Kollege Gambke: Schieben Sie nicht jede steuerberatende Tätigkeit in die Richtung einer illegalen oder verwerflichen Tätigkeit! (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich nicht getan!) – Ja, das klingt in den Debatten immer schnell an. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihren Ohren! Unterstellung!) Die steuerberatenden Berufe haben die berufliche Verpflichtung, den Steuerpflichtigen zu helfen, nicht mehr Steuern zu zahlen, als sie gesetzlich verpflichtet sind. Auch das ist Ausdruck einer fairen und transparenten Praxis. Die Inkriminierung dieser beratenden Berufe, indem man sagt, dort würde immer nur nach Schlupflöchern gesucht, ist ein Weg, der in Wahrheit eine notwendige Tätigkeit für eine arbeitsteilige Gesellschaft diskriminiert. Auch das ist nicht der Weg, der zu einer fairen Steuerpraxis führt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss ich zurückweisen!) Ich will eine letzte Bemerkung machen. Das hier wird ja eine der letzten steuerpolitischen Debatten in dieser Legislaturperiode sein. Meines Erachtens sollten wir auch – jedenfalls diejenigen, die Wahlkampf mit Blick auf die Verantwortung für die Zeit nach der Wahl führen – im Auge haben, dass wir bei allen Diskussionen und Entscheidungen niemals nur ein Ziel verfolgen können. Natürlich gibt es Debatten, bei denen wir einen Wettbewerb führen, wer die niedrigsten Steuern hat. Es gibt aber auch die Debatten, bei denen wir einen Wettbewerb führen, wer die höchsten Leistungen für Investitionen, Familien, Renten usw. hat. Eine nachhaltige Politik, die den Menschen wirklich dient und dafür sorgt, dass die Löhne steigen, dass die Renten steigen und dass die Arbeitsplätze sicher sind, erreicht man nur dann, wenn man durch einen Ausgleich der verschiedenen Interessen und Gesichtspunkte eine verlässliche und auch ein Stück weit moderate Politik betreibt. Wir haben in den letzten Jahren eine Finanz- und Steuerpolitik betrieben, die einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass es den Menschen in diesem Lande besser geht als vielen anderen Menschen außerhalb unseres Landes. Darum werden wir auch beneidet. Wir haben die Möglichkeiten geschaffen, dass wir größere Fähigkeiten haben, in Europa dazu beizutragen, dass Europa insgesamt auf einem guten Wachstumskurs bleibt. Wenn wir diesen Weg der Berechenbarkeit, der Verlässlichkeit und auch der Mäßigung in den kommenden Jahren verlassen sollten, werden wir nicht mehr Gerechtigkeit, sondern mehr Elend und mehr Arbeitslosigkeit ernten. Das wäre der falsche Weg. Deswegen werden wir genau diesen Weg – maßvolle, nachhaltige, verlässliche Finanzpolitik und kontinuierliches, immer wieder mühsames Wirken dafür, dass wir ein faires, verlässliches und transparentes Steuersystem haben – gehen. So dienen wir den Menschen in unserem Lande und auch der Gerechtigkeit. Herzlichen Dank. – Ich bitte um Zustimmung zu den Gesetzentwürfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich gleich dem nächsten Redner das Wort gebe, komme ich der Bitte des Kollegen Gambke um die Möglichkeit zu einer Kurzintervention nach. Bitte schön. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach Gott! Noch mehr Schmarrn!) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben meine Zwischenfrage nicht zugelassen. Es geht mir aber wirklich um Glaubwürdigkeit. (Lachen des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]) Es geht mir auch um Ihre Glaubwürdigkeit, die sehr beschädigt ist, wenn Sie weiterhin das behaupten, was Sie vorhin behauptet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben ja völlig recht: Es war schwer, die Schweiz zu überzeugen, am automatischen Informationsaustausch teilzunehmen. Das ist gar keine Frage. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht bei den Verhandlungen dabei! Klugscheißer!) Der Hinweis auf die Kavallerie ist aber nur ein Hinweis. Der zweite Hinweis wäre gewesen, dass parallel zu Ihnen die US-Amerikaner mit der Schweiz über den Foreign Account Tax Compliance Act, kurz FATCA, verhandelt haben. Herr Bundesminister, ich weiß nicht, ob Sie bei unserer öffentlichen Anhörung dabei waren. Dort hatten wir einen wesentlichen Verhandlungsführer der Amerikaner per Video zugeschaltet. Er hat explizit ausgeführt: Wenn das Steuerabkommen mit der Anonymität so vereinbart wird, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, werden wir FATCA gar nicht umsetzen können. Das heißt: Die Schweiz war auf dem Weg in die Weißgeldstrategie. Mit dem Steuerabkommen hätten wir das zurückgedreht. – Das ist die historische Wahrheit. Ich bitte Sie, diese endlich anzuerkennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Geschichtsklitterung! Völliger Unsinn!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Bundesminister, möchten Sie darauf antworten? Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Herr Kollege Gambke, ich hatte in meinen Ausführungen ausdrücklich gesagt, dass es für die Schweiz über Generationen völlig undenkbar war, über ihr Bankgeheimnis überhaupt Gespräche zu führen. Diese Situation, die durch die Kavallerie nicht zu verändern war, war die Ausgangslage für die Verhandlungen mit der Schweiz, um eine Lösung für diese schrecklichen Probleme zu finden. In der Endphase dieser Verhandlungen – auch das habe ich ausgeführt – haben die Amerikaner den Druck ausgeübt, den die Amerikaner und nur die Amerikaner ausüben können, weil sie sagen können: Wer sich nicht an unsere Gesetze hält, bekommt keinen Zugang zum amerikanischen Markt. – Das hat die Schweiz dazu gebracht, ihre Position zu verändern. Das ist die historische Wahrheit. Das können Sie prüfen. In dem Moment, in dem die Schweiz ihre Position verändert hat, haben wir Europäer sofort reagiert. Zusammen mit meinen Kollegen habe ich das damals in Dublin getan. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das torpediert!) Ich weiß noch genau, wie wir gemeinsam vor die Presse getreten sind und gesagt haben: Dann werden wir das, was jetzt – aber nur durch den amerikanischen Druck; das war FATCA – erreicht worden ist, aufgreifen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde ist das hier!) Der Rest entspricht leider nicht der Wahrheit. Sie sollten mir auch nicht die Worte im Munde herumdrehen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Während der FATCA-Verhandlungen! Dazu sollten Sie stehen!) Denn ich habe ja ausdrücklich gesagt: FATCA war ursächlich für automatischen Informationsaustausch. – Deswegen brauchen Sie mich nicht über den Ablauf zu belehren. Sie sollten im Übrigen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten – er ist, glaube ich, noch im Amt und gehört Ihrer Partei an – fragen. Er hat damals öffentlich gesagt: Dieses Abkommen kann man doch nicht scheitern lassen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg hat es trotzdem nicht unterstützt! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Geschichtsklitterung! Das ist peinlich!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wir fangen keine Zwiegespräche an. Jetzt hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schäuble, Sie haben recht, dass die Schweiz das Bankgeheimnis lange sehr vornehm verteidigt hat. Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass es richtig war, dass Peer Steinbrück die vornehme Abwehrhaltung der Schweiz gegenüber jeglichem Vorgehen gegen Steuerbetrug angekratzt hat. Ob „Kavallerie“ das richtige Wort war? – Ja, denn es hat sich gezeigt, dass der Schweiz ihre vornehme Abwehrhaltung nicht zugestanden wurde. (Beifall bei der SPD und Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb war es überhaupt erst möglich, das Schweizer Abkommen ein bisschen zu entlarven. Besonders geärgert hat uns, dass dieser Ablasshandel, wie ihn Carsten Schneider bezeichnet hat, stilbildend für alle weiteren Abkommen gewesen wäre. Man stelle sich einmal vor: Ein solches Abkommen hätten wir ebenfalls mit allen anderen Staaten weltweit abgeschlossen. Das wäre ein absolutes Desaster. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum haben eigentlich nicht die Europäer oder wir FATCA gemacht? Wir hätten ebenfalls ein mit FATCA vergleichbares Abkommen schließen können. – Nein, die USA haben uns sehr geholfen – das stimmt –, aber auch Peer Steinbrück und – last, but not least – die SPD-geführten Länder. So viel Parteipolitik muss heute erlaubt sein. Ihr wart es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sondern es waren die SPD-geführten Länder, die sich quergelegt haben. Wir, die SPD-Fraktion, haben das sehr gerne mitgetragen. (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das glaubst du doch selbst nicht!) Heute geht es um den Entwurf eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken. Wir sind dafür, dass sich alle fair am Steueraufkommen beteiligen. Deshalb ist es wichtig, dass wir ein Lizenzschrankengesetz machen. Da Kollege Middelberg den Bundestagswahlkampf bereits in den Fokus gestellt hat, will ich sagen: Wir machen zusammen wirklich gute Sachen. Deswegen wollte ich schon alles gegen Frau Karawanskij verteidigen. Aber ich muss sagen, dass wir trotz der guten Sachen immer wieder Dinge tun, die die SPD-Fraktion richtig ärgern. Ich nenne ein paar Beispiele. Das Erbschaftsteuergesetz ist alles andere als gerecht. Dass Minister Schäuble tatsächlich Patentboxen in Erwägung zog, war ein weltweit verheerendes Signal. Wir sind froh, dass wir das aufheben konnten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass Sie eine Registrierkassenpflicht verhindert haben, ist ein Desaster. Das öffnet dem weiteren Betrug Tür und Tor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie die Einführung der einzig funktionierenden technischen Software INSIKA verhindert haben, ist ein Desaster und öffnet dem Betrug Tür und Tor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Dass Sie den Fremdvergleichsgrundsatz gemäß dem aktuellen OECD-Standard verhindert haben, ist ein Desaster. Das hätte man ganz anders machen müssen. (Beifall bei der SPD) Dass wir bei den Verlustnutzungsbeschränkungen Ihretwegen Ausnahmen einführen mussten, ist ein Desaster. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was Sie so alles mitgemacht haben! Das ist unglaublich!) Noch ein aktuelles Beispiel: Der Schwellenwert für die Niedrigbesteuerung liegt bei 25 Prozent und nicht bei 15 Prozent, wie es die Grünen vorgeschlagen haben; das wäre ein Fehler gewesen. Das haben wir zusammen gut gemacht. Aber was ist im Gesetzgebungsverfahren passiert? Liebe Kollegen von der Union, Ihr habt darüber nachgedacht, ihn auf 15 Prozent festzulegen. Das wäre ein schwerer Fehler gewesen. Das konnten wir Gott sei Dank verhindern. (Beifall bei der SPD) Kommen wir zur Steuer-ID. Um es vorwegzunehmen: Wir wollen, dass alle Konten transparent sind. Es soll keine namenlosen, anonymen Konten mehr geben. Dass Name und Adresse angegeben werden müssen, ist nach dem Geldwäschegesetz klar. Wir wollen die Steuer-ID hinzunehmen, damit die Konten sicher identifiziert werden können, sodass man weiß, was alles über ein Konto abgewickelt wird und wer darüber verfügt. Die Bankenverbände haben uns gesagt, dass es dann keine Verbraucherkredite mehr gebe. Wenn jemand in einem Geschäft etwas spontan kaufen wolle, aber seine Steuer-ID nicht angeben könne, dann platze das Geschäft. Die Kollegen von der Union haben daraufhin gesagt, dass es wirklich schlecht sei, wenn jemand eine Waschmaschine als Sonderangebot nicht kaufen könne, weil er seine Steuer-ID nicht angeben könne. Wir haben daraufhin gesagt: Wir machen im Zusammenhang mit Verbraucherkrediten einen Kompromiss. Wir haben lange diskutiert. Dann kam die Idee auf, den Freibetrag im Zusammenhang mit der Steuer-ID auf 25 000 Euro festzulegen. Ich möchte die Gäste auf den Zuschauertribünen fragen, wann sie das letzte Mal eine Waschmaschine für 25 000 Euro gekauft haben. Das machen wohl die wenigsten. Die teuerste Waschmaschine, die ich gefunden habe, kostet 8 000 Euro. Im Ergebnis liegt dieser Waschmaschinenfreibetrag nun bei 12 000 Euro. Das ist im Grunde ein Desaster und lädt dazu ein, das, was wir heute beschließen, zu umgehen. Das ist objektiv ein Fehler. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gleichwohl machen wir auch Gutes. Wir erhöhen die Mitwirkungspflichten, verstärken die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden, und wir wollen, dass die Institute Geschäftsbeziehungen über Briefkastenfirmen melden. Das erhöht Transparenz. Das ist das Gute. Auch dass wir das steuerliche Bankgeheimnis aufheben, ist gut. Weiterhin ist positiv, dass jemand, der Anteile an ausländischen Gesellschaften hat oder mit diesen Geschäftsbeziehungen pflegt, das anzeigen muss. Da haben wir, glaube ich, sehr gute Dinge getan. Wir machen oft sehr gute Gesetze, um kurz vor dem Ziel dann doch noch hier und da ein Schlupfloch aufrechtzuerhalten. Deshalb ist es gut, dass die Wahlen das nächste Mal anders ausgehen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann beschließen wir das mit der FDP! Dann geht das schneller!) Dann können wir nämlich diese offenen Punkte noch klären, Schlupflöcher schließen und ein gerechtes Steuersystem schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist auch unser gemeinsames Ziel. Dann könnt ihr künftig als Opposition zustimmen. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer künftig in der Opposition mehr Einfluss hat, wisst ihr nicht!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Lisa Paus für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es werden tatsächlich jetzt Gesetze vorgelegt, die vorgeben, etwas grundlegend zu verändern. Herr Binding hat vonseiten einer der die Regierung stellenden Fraktion sehr schön dargestellt, dass doch nicht so viel zu erwarten ist. Das ist ziemlich verheerend angesichts dessen, was doch eigentlich ansteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben alle miteinander die Panama Papers im April 2016 wahrgenommen und gesehen, in welch gigantischem Ausmaß Briefkastenfirmen dazu benutzt werden, Vermögen in Steueroasen zu verstecken, Vermögen, das aus kriminellen Geschäften stammt und so gewaschen wird, Vermögen, das schlichtweg vor der Steuer versteckt wird. Allein die Kanzlei Mossack Fonseca hat 2 000 Milliarden Dollar durch 300 000 Briefkastenfirmen in Panama und auf anderen kleinen Inseln für Klienten in Steuerparadiese geschleust. 14 000 Banken und auch Rechtsanwaltskanzleien waren an den Transaktionen beteiligt – eigentlich unfassbar, meine Damen und Herren. Internationale Steuerhinterziehung kann man nicht ausschließlich national bekämpfen. Das ist wahr. Aber falsch ist es, zu behaupten, dass man es nur international tun könne. Bis zur Veröffentlichung der Panama Papers war aber genau das die Haltung von Ihnen, Herr Schäuble, und von der gesamten Bundesregierung. Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung gibt es – welche Überraschung – jetzt doch Maßnahmen auch auf nationaler Ebene, Maßnahmen, die seit langem im grünen Forderungskatalog standen. Aber leider wurde dann eben doch vieles nicht übernommen, und es fehlen wichtige Maßnahmen. Herr Binding hat mir netterweise schon einiges vorweggenommen. Aber ohne diese Maßnahmen geht es eben nicht, wenn man es wirklich ernst mit der Steuergerechtigkeit meint. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung ist deswegen bestenfalls halbherzig, vergleicht man es mit dem, was man hätte tun können, tun müssen. So findet sich auch auf Seite 2 des Gesetzentwurfes der schlichte Hinweis, dass mit Steuermehreinnahmen aufgrund dieses Gesetzes jedenfalls nicht gerechnet werden kann. Ich möchte nur zwei Beispiele für Ihre Halbherzigkeit nennen. Ja, die Abschaffung des Bankgeheimnisses ist gut, auch die neuen Anzeigepflichten sind richtig und wichtig. Aber warum gelten diese Meldepflichten nur für Briefkastenfirmen außerhalb der Europäischen Union? Briefkastenfirmen gibt es, wie wir wissen, auch innerhalb der Europäischen Union. Probleme mit Ländern wie Malta, Zypern, aber auch immer noch der Schweiz, sind hinlänglich bekannt. Warum gelten sie nur für Banken, aber eben nicht für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und andere Dienstleister im Finanzbereich, da doch auch sie Briefkastenfirmen vermitteln? Solange es weiterhin so einfache Auswege gibt, droht dieses Gesetz nur den Sitz und den Vertriebsweg der Briefkastenfirmen deutscher Steuerpflichtiger zu verlagern, statt tatsächlich die Steuersümpfe endlich trockenzulegen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen zählen im Kampf gegen die Steuerhinterziehung nicht nur die Tonnen Papier, die man mit Gesetzen produziert. Der Ernst der Absichten spiegelt sich vor allem darin wider, mit welchen Ressourcen man die Behörden zur Umsetzung des Gesetzes ausstattet. Solange in Deutschland völlig unterbesetzte, föderal zersplitterte, für diese Fälle nicht spezialisierte Steuerverwaltungen weiterhin Heerscharen von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und ganzen Steueroptimierungsabteilungen in Banken allein gegenüberstehen, so lange wird der Kampf gegen Steuerhinterziehung ein aussichtsloser Kampf bleiben. Genau aus diesem Grunde fordern wir Grünen eine neue Steuerspezialeinheit auf Bundesebene, besetzt mit Experten der bestehenden Steuerverwaltungen, mit Fachleuten, die bisher in Steuerberatungsgesellschaften und Konzernsteuerabteilungen tätig sind, sowie mit Wissenschaftlern. Eine so geschaffene neue Behörde wäre für die Veranlagung und Prüfung von Konzernen und Einkommensmillionären zuständig. Sie wäre endlich eine Institution auf Augenhöhe, die dafür sorgt, dass Steuergesetze tatsächlich wieder für alle Steuerpflichtigen in Deutschland gelten, unabhängig vom Geldbeutel, unabhängig vom Steuerberater und unabhängig vom Bundesland. Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht. Sie haben ihn nicht einmal ernsthaft diskutiert. So bleibt am Ende schlichtweg nur festzuhalten: Herr Schäuble und die Große Koalition sind beim Kampf gegen Steuerhinterziehung ganz groß in der öffentlichen Kampfrhetorik, aber ganz klein in der tatsächlichen Wirkung. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!) Spürbar mehr Steuergerechtigkeit wird es mit diesen Gesetzen nicht geben, und die einzig passende Reaktion von unserer Seite darauf ist die Enthaltung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Hans Michelbach das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Von Vorwürfen wie „rückwärtsgewandte Steuerpolitik“ – so lauteten Ihre Vorhaltungen – halte ich grundsätzlich nichts. Heute ist ein guter Tag für mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland. Wir verabschieden zwei Gesetzentwürfe, mit denen wir Steuergestaltung, Gewinnverlagerung, Steuerhinterziehung weitere Riegel vorschieben. Das passt der Opposition natürlich auch wieder nicht. Schon mit einem Fragezeichen zu versehen ist, dass ausgerechnet unser Koalitionspartner, die SPD, auch ihre eigene Politik schlechtmacht. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist dem Wahlkampf geschuldet. Das nimmt Ihnen niemand ab. Wir haben gemeinsam Politik gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung betrieben, und das ist gut so. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Gesetzentwürfe sind Teil einer ganzen Serie von Gesetzen, mit denen diese Koalition gegen unfaire Steuerpraktiken und fragwürdige Geschäftspraktiken von transnationalen Konzernen und Finanzmarktakteuren vorgeht. Das ist in internationale Lösungen integriert. Ohne unseren Bundesfinanzminister Dr. Schäuble, seine internationale Durchsetzungskraft und sein Ansehen wäre das nicht möglich gewesen. Für Ihre Initiativen danke ich Ihnen ausdrücklich, Herr Minister. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ohne Whistleblower auch nicht!) Meine Damen und Herren, das heutige Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz ist das richtige Instrument im Kampf gegen Steuervermeidung, Steuergestaltung, Steueroasen und Steuerhinterziehung. Was findet statt? Wir bekämpfen die Panama Papers. Wir fördern die Transparenz beim Steuersubstrat. Wir haben zudem mehr Mitwirkungspflichten und Anzeigepflichten von Banken durchgesetzt. Wir haben das steuerliche Bankgeheimnis aufgehoben, und wir haben mit Blick auf die täglichen Markt- und Verbraucherinteressen auch Instrumente mit Augenmaß und Zielgenauigkeit erarbeitet. Darum geht es. Es sollten nicht nur pauschal Forderungen gestellt werden, sondern wir müssen auch bedenken, dass gerade unser Wirtschaftsstandort Deutschland von internationalen Investitionen profitiert und dass wir für Wachstum und Beschäftigung auch die internationalen offenen Märkte benötigen. Auch das gehört dazu, und das muss in die Gesetzesarbeit praxisnah und fachgerecht eingearbeitet werden. Darum geht es, und das werden wir immer wieder im Auge haben. Gerade für uns in Deutschland gilt: Kapitalanlagen und Investitionen im Ausland machen einen wichtigen Teil der Stärke unserer Wirtschaft aus. Was aber natürlich nicht geht, ist, dass dabei getrickst wird, dass sich die Balken biegen, vor allem von internationalen Konzernen, und zwar so lange, bis es praktisch keine Steuerschuld mehr gibt. Diese Rosinenpickerei von internationalen Konzernen wie Apple, Google, Amazon, Starbucks, Ikea und anderen ist unfair gegenüber den Wettbewerbern und unserem Staat. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das stimmt, aber die Staaten bieten es an!) Es geht nicht an, dass Arbeitnehmer und Mittelstand in Deutschland ordentlich ihre Steuern zahlen, während andere mit Gewinnverlagerungen oder Briefkastenfirmen jonglieren, um sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen oder Geld aus illegalen Geschäften zu waschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Das ist genau das Gegenteil von fairem Wettbewerb. Das ist das Gegenteil von Gemeinwohl. Das ist gemeinwohlwidrig und wird von uns, der CDU/CSU, maßgeblich bekämpft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Von der SPD noch etwas stärker, aber es stimmt!) Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Erträge erwirtschaftet werden, und dürfen nicht dort gezahlt werden, wo der niedrigste Steuersatz gilt. Das ist das Prinzip in der Steuerpolitik der Arbeitsgruppe der CDU/CSU. Ich darf sagen: Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken und der Lizenzschranke sind wir auf unserem Weg ein wesentliches Stück vorangekommen. Daneben nehmen wir für den Mittelstand zwei wichtige Entlastungen vor. Einmal ist die Verdoppelung der Grenze für Abschreibungen auf geringwertige Wirtschaftsgüter auf 800 Euro zu nennen; das ist eine klare Entbürokratisierung. Zum anderen sehen wir für die Sanierung von Unternehmen steuerliche Verbesserungen vor. Damit werden Insolvenzzerschlagungen im Mittelstand verhindert. Auch das ist ein wesentlicher Punkt. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich verdeutlichen: Wir haben in dieser Legislaturperiode die Dinge im Kampf gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Gewinnverlagerung durch Regulierung und Reglementierung wesentlich vorangebracht. Meine Hoffnung ist, dass wir in der neuen Legislaturperiode genauso engagiert Steuerpolitik betreiben, nämlich eine Steuerentlastungspolitik. Unsere Arbeitnehmer und Mittelständler brauchen eine Entlastung, eine Wachstumsdividende für die Zukunft. Daran lassen Sie uns arbeiten! Es geht um eine Abflachung des Steuertarifs und eine schrittweise Abschaffung des Solis. Das ist die Steuerpolitik der Zukunft. Es geht nicht um rückwärtsgewandtes Handeln in Steuerfragen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Jens Zimmermann. (Beifall bei der SPD) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende haben wir doch noch einmal eine Runde Wahlkampf gehabt; Herr Kollege Middelberg hatte ja die Debatte damit eingeläutet. Da so viele Zitate an den Anfang der Reden gestellt wurden, will ich auch mit einem Zitat beginnen. Es stammt vom 27. April 2017, nämlich genau von heute. Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin gesagt: Der Kampf gegen Steuerhinterziehung ... wird ein immerwährender Kampf sein. An dieser Stelle kann ich dem Bundesfinanzminister nur zustimmen. Die Frage, warum die SPD und Martin Schulz sagen: „Das ist ein wichtiges Thema; das muss in unser Wahlprogramm; daran müssen wir in Zukunft alle wieder arbeiten“, hat Ihr eigener Finanzminister mit dieser Aussage meisterlich beantwortet. Umgekehrt muss man daraus schließen: Die Union will mit den Gesetzesvorhaben, die wir jetzt abschließen, offensichtlich einen Schlussstrich darunter ziehen. – Dazu kann ich jetzt schon sagen: Mit der SPD wird es keinen Schlussstrich unter den Kampf gegen Steuervermeidung geben, meine Damen und Herren; wir fangen gerade erst an. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich kann Herrn Schäuble wirklich nur zustimmen: Es ist ein immerwährender Kampf. Wir alle, die wir uns mit dem Thema beschäftigen, wissen: Es gibt immer neue Konstellationen. Es gibt immer neue Ideen. Es gibt sehr viele Leute, die sich den ganzen Tag Gedanken darüber machen, wie sie die Staaten austricksen können. Deswegen ist es unsere Aufgabe, unser aller Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen und immer wieder nachzuziehen, auch wenn das manchmal keine schöne Sache ist, weil man sich ärgert. Hier werden wir immer wieder nachlegen müssen. Alle diejenigen, die suggerieren, dass man jetzt mal ein bisschen langsam machen sollte und dass keine überschießende Wirkung – das ist auch so ein schönes Wort – eintreten dürfe, sind, glaube ich, in einer ganz anderen Richtung unterwegs. Das ist in Ordnung, aber es ist nicht unsere Meinung. Ich will noch ein ganz konkretes Thema nennen. Wir verhandeln gerade über die Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie. In der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie geht es um ein öffentliches Transparenzregister. Die SPD fordert mit den SPD-geführten Bundesländern, dass es einen umfassenden Zugang zu diesen Informationen gibt. Wenn die Union beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche tatsächlich so weit vorn ist, dann fordere ich sie auf, bei der Debatte – die werden wir an dieser Stelle noch vor der Sommerpause führen – den Weg frei zu machen, sodass wir ein Transparenzregister bekommen, auf das alle Zugriff haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist schon gesagt worden: Wir waren immer wieder auf die Hilfe von Journalisten bzw. NGOs angewiesen. Sie fordern jetzt, den Zugang so bürokratisch und schwer wie irgend möglich zu machen. – An dieser Stelle können Sie liefern. Dann hätten wir noch einmal einen weiteren Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung getan. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Uwe Feiler für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Feiler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bekanntwerden von Steuervermeidungspraktiken mittels Briefkastenfirmen in Panama ist für mich eine weitere Bestätigung dafür, dass es richtig war und auch in der Zukunft bleibt, Herr Kollege Zimmermann, mit großem Nachdruck internationale Schritte gegen Steuerbetrug und unfaire Steuerpraktiken zu vereinbaren. Bundesfinanzminister Schäuble hat bereits heute und auch mehrfach davor dargestellt, welcher Anstrengungen es bedurfte, um unsere Partner davon zu überzeugen, dass sowohl Unterbietungswettbewerbe um Steuersätze als auch die Schaffung von Steuerparadiesen nicht die Wege sein können, wie Staaten miteinander umgehen. Der Zehn-Punkte-Plan des Finanzministers, der national wie international anerkannt wurde und sich auch in das BEPS-Projekt der OECD einfügt, bot ebenfalls eine sehr gute Grundlage für die konkrete Ausgestaltung dieser beiden Gesetzentwürfe. Wir setzten dabei – wie bei anderen Gesetzen auch – auf das Mittel der Transparenz. Damit erhöhen wir das Entdeckungsrisiko für diejenigen, die versuchen, auf Auslandskonten Geld zu parken, um dieses am Fiskus vorbeischleusen zu können. Dazu brauchen wir die Kreditinstitute. Wir nehmen sie durch Anzeige- und Mitwirkungspflichten in die Verantwortung. Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine ganze Reihe von nicht unwesentlichen Veränderungen und Ergänzungen vorgenommen, damit wir mit den gesetzlichen Regelungen auch die wirkliche Zielgruppe erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Eifer in Bezug auf das, was wir bisher gemacht haben, und auch im Hinblick auf die Gesetze, die wir heute beschließen werden, sollten wir nicht über das Ziel hinausschießen. Lieber Kollege Binding, wenn wir Ihnen in Bezug auf eine flächendeckende Registrierkassenpflicht in Deutschland gefolgt wären, wäre das „Master of Desaster“ gewesen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Na, na!) Wir wollen keine Flut von Daten produzieren, mit denen die Finanzverwaltung überhaupt nichts anfangen kann oder will. Das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz sieht von seiner Systematik her nämlich vor, dass bei allen Kontobeziehungen Name, Adresse und Steuer-ID-Nummer erfasst und dann der Steuerverwaltung zur Verfügung gestellt werden, um eine vollständige und vor allem eindeutige Zuordnung der Daten zu ermöglichen. Speziell bei Kreditkonten, die von Konsumenten eingerichtet werden, weil sie sich zum Beispiel einen neuen Fernseher, eine Waschmaschine, einen Wäschetrockner oder ähnliches kaufen und diesen Kauf finanzieren wollen, macht die Erhebung der Steuer-ID-Nummer jedoch überhaupt keinen Sinn, weil sich diese Kreditkonten überhaupt nicht zur Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung eignen. Weltfremd ist ebenfalls die Annahme, dass die Kunden ihre Steuer-ID-Nummer ständig mit sich führen oder fleißig zu Hause auswendig gelernt haben. Ich schaue hier in die Runde: Ich glaube, die wenigsten, die hier sitzen, können ihre Steuer-ID-Nummer auswendig aufsagen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ist auch gar nicht nötig!) Deshalb bin ich dankbar, dass wir uns – das ist von mir übrigens bereits in der ersten Lesung gefordert worden – in diesem Gesetz gemeinsam darauf geeinigt haben, den § 154 so neu zu fassen, dass die Konsumenten, die Verbraucherkredite bis zu einer Höhe von 12 000 Euro in Anspruch nehmen, ihre Steuer-ID-Nummer nicht angeben müssen. Bei Kreditgeschäften jenseits dieser Summe kann man davon ausgehen, dass es sich eben nicht um sogenannte Spontankäufe handelt, sondern dass der Kunde diese Kaufentscheidung vorbereitet hat und ihm zugemutet werden kann, dass er zum Beispiel beim Autokauf seine Steuer-ID-Nummer mitbringt. So wird auch vermieden, dass Millionen von Daten nacherhoben werden müssen. Diese Regelung zeugt von Augenmaß, ohne den Kampf gegen Steuerhinterziehung zu beeinträchtigen. In allen anderen Fällen haben Kreditinstitute außerdem die Möglichkeit, für Konten die Steuer-ID durch das maschinelle Abfrageverfahren beim Bundeszentralamt für Steuern innerhalb von drei Monaten nachzuerheben. Sollte der Kunde seine Mitwirkung verweigern, wird dies gesondert vermerkt. Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider zu kurz, um auf alle 18 Umdrucke einzugehen. Ich möchte mich zum Abschluss meiner Ausführungen aber ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses für die Beratung und beim Bundesfinanzministerium und den Fraktionsmitarbeitern für die hervorragende Unterstützung bei der Umsetzung unserer doch zahlreichen Änderungswünsche bedanken. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Machen wir auch!) Mit diesem Gesetz kommen wir im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ein gutes Stück voran. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bernhard Daldrup (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Steuer-ID möchte ich, ehrlich gesagt, gar nichts mehr sagen. Ich finde, die Einwände sind zu belanglos. Wenn man sich damit auf eine Art und Weise auseinandersetzt, als wäre es eine Qual und eine Fesselung der Menschen, die Steuernummer mitzuführen, dann ist das grotesk. Das lohnt sich nicht. Wir reden ja heute über das Austrocknen von Steueroasen im mehr oder weniger internationalen Kontext. Das ist sozusagen eine Daueraufgabe. Ich will dabei auf eine andere Aufgabe hinweisen, die uns noch bevorsteht. Auch innerhalb Deutschlands nutzen Unternehmen Steuerschlupflöcher. Darum müssen wir uns kümmern. Der Bundesrat hat uns jedenfalls in seiner Sitzung vom Dezember 2016 mit einer Entschließung noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen und darum gebeten. Ich will Ihnen einmal ein konkretes Beispiel vor Augen führen: Leverkusen ist – viele von uns wissen das – eine wirtschaftlich starke Stadt inmitten einer sehr boomenden Region. Die Bayer AG ist ein Flaggschiff der deutschen Wirtschaft. Trotzdem sind die Kassen der Kommune Leverkusen mehr oder weniger leer. Bei 160 000 Einwohnern hatte Leverkusen im Jahre 2014 Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 25 Millionen Euro. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: In Bayern sind die Kassen voll!) – Ganz genau. Bei der Firma Bayer sind die Kassen voll. Da haben Sie in der Tat recht, Herr Michelbach. Ich komme darauf zurück, keine Sorge. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: In Bayern sind die Kassen voll!) Andererseits ist es so, dass in Leverkusen Milliardengewinne bei den Firmen Bayer und Lanxess anfallen. Was ist also die Erklärung? Die Nachbarstadt Monheim, 40 000 Einwohner, hat Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 225 Millionen Euro. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerdumping!) Der Unterschied: In Leverkusen gibt es einen Gewerbesteuerhebesatz von 475 Prozent, in Monheim, in der direkten Nachbarschaft, sind es gerade noch 265 Prozent. Das sind die Unterschiede bei den Gewerbesteuerhebesätzen. Laut Handelsblatt verändern Firmen wie Bayer ihren unternehmerischen Organkreis entsprechend und gründen in Gemeinden wie etwa Monheim Tochtergesellschaften. Das sind in Wirklichkeit die innerdeutschen Steueroasen. Es ist ein ähnliches Muster wie im internationalen Kontext: Übertragung von Patenten, Lizenzgebühren, geringe Gewerbesteuern. Das ist natürlich, wenn man es so sieht, falsch verstandene kommunale Selbstverwaltung, fehlende interkommunale Solidarität. Aber was kann man machen? Wir hatten diese Debatte schon im Jahre 2000 – da waren Sie auch dabei – im Zusammenhang mit der Gemeinde Norderfriedrichskoog. Sie verzichtete komplett auf die Gewerbesteuer. Bei 47 Einwohnern waren 380 Körperschaften und 180 Personengesellschaften die Folge. Als Konsequenz wurde damals der gewerbesteuerliche Mindesthebesatz von 200 Prozent eingeführt. Das war eine vernünftige Sache. Der Durchschnittshebesatz aller Kommunen – große Städte, kleine Städte – liegt in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei etwa 400 Prozent. Es würde also niemandem schaden, wenn der Mindesthebesatz, wie es der Bundesrat ja auch von uns erwartet, beispielsweise auf 300 Prozent angehoben würde. Das wäre jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Noch besser wäre es, wenn die Differenz zwischen den Hebesätzen etwas geringer wäre. Das könnte man erreichen, indem man die Bemessungsgrundlage beispielsweise durch die Einbeziehung der freien Berufe – die Steuerberater sind ja angesprochen worden – veränderte. In der Tat wäre das eine vernünftige Variante. Auf diese Art und Weise könnte man die Gewerbesteuer national verstetigen, und es bestünde für die Kommunen vielleicht sogar die Möglichkeit – um gewissermaßen das Aphrodisiakum für Sie, Herr Michelbach, zu benennen –, die Gewerbesteuer zu senken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit anderen Worten: Es wäre auch keine schädliche Entwicklung für die Freiberufler, weil sie ja Betriebsausgaben von der Einkommensteuer abziehen könnten, die Kommunen hätten so auch ein Stück weit Verlässlichkeit, und die Unternehmen müssten nicht innerhalb Deutschlands nach Steueroasen spähen. Es wäre doch eine schöne Aufgabe, wenn wir das anpacken würden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 4 a zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12128, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11233 und 18/11531 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12148 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Das sind CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 4 b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12127, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11132 und 18/11184 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 4 c. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 18/12127 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2877 mit dem Titel „Für eine Bundessteuerverwaltung – Gleiche Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Wir haben noch eine weitere Abstimmung, nämlich die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8132 mit dem Titel „Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen – Steueroasen austrocknen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Die Grünen. Damit ist der Antrag abgelehnt. Jetzt kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 5 und 38: 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische Mindestrente einführen Drucksache 18/10891 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss 38. Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesamtkonzept Alterssicherung – Verlässlich, nachhaltig, solidarisch und gerecht Drucksache 18/12098 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Wenn Sie jetzt Ihre Plätze zügig einnehmen würden, könnten wir in der Debatte fortfahren. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Matthias W. Birkwald für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der ZDF-Kabarettsendung Die Anstalt vom 4. April war die Rente wieder einmal das wichtigste Thema. Max Uthoff und Claus von Wagner berichteten vom österreichischen Rentenparadies. Männliche Arbeiter und Angestellte erhalten in Österreich eine durchschnittliche Altersrente von sage und schreibe 1 926 Euro brutto im Monat. Bei den Frauen sind es 1 092 Euro. Für deutsche Verhältnisse ist allein das schon paradiesisch. Aber es wird noch besser: Die Pensionisten – so heißen die Rentner und Rentnerinnen in Österreich – erhalten ihre Renten 14-mal im Jahr. Auf 12 Monate umgerechnet sind das 2 247 Euro brutto bei den Männern und 1 274 Euro brutto bei den Frauen. Zum Vergleich: In Deutschland erhielten Männer 2015 eine Rente von durchschnittlich 1 162 Euro brutto, bei den Frauen waren es 916 Euro brutto, und da sind die Witwenrenten schon mit drin. 1 085 Euro mehr Rente für die Männer in Österreich und immerhin 358 Euro mehr für die österreichischen Rentnerinnen – das zeigt: Es ist beileibe nicht alles gut, was aus Österreich kommt, aber in der Rentenpolitik sollten wir unbedingt von Österreich lernen. (Beifall bei der LINKEN) Auch in Österreich regiert eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, und die haben uns glaubhaft versichert, dass das ausgesprochen leistungsfähige Rentensystem Österreichs bis zum Jahr 2060 nachhaltig finanziert ist, weil alle mit Erwerbseinkommen einzahlen. Herr Rosemann und Herr Schiewerling, Sie waren dabei. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Nicht bei der Rente!) Die Beschäftigten zahlen für die wesentlich höheren Renten in Österreich nur 0,9 Prozentpunkte mehr Beitrag als bei uns, und bei den Arbeitgebern sind es 3,2 Prozentpunkte mehr. Komplizierte Betriebsrenten und teure private Vorsorge brauchen die Österreicherinnen und Österreicher nicht. Darum: Lassen Sie uns die gesetzliche Rente auch in Deutschland wieder stärken; denn die Rente muss für ein gutes Leben reichen. (Beifall bei der LINKEN) Dafür hat die Linke ein Rentenkonzept vorgelegt. Es umfasst elf aufeinander abgestimmte Bausteine für eine lebensstandardsichernde und armutsfeste Rente. Hier die wichtigsten: Erstens. Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden, und die Rente muss wieder eins zu eins den Löhnen folgen. (Beifall bei der LINKEN) Das brächte Menschen, die 45 Jahre lang durchschnittlich verdient haben, derzeit jeden Monat netto 122 Euro mehr Rente. Das ist finanzierbar, auch langfristig. Wer zum Beispiel als Erzieherin im öffentlichen Dienst in NRW 3 100 Euro brutto verdient, müsste aktuell nur 32 Euro mehr in die Rentenkasse zahlen, ihr Arbeitgeber ebenso. Union, SPD und Grüne wollen, dass diese Erzieherin jeden Monat 110 Euro Beitrag zur Riester-Rente zahlt. Das wäre dann überflüssig. (Beifall bei der LINKEN) 110 Euro weniger für die Riester-Rente, 32 Euro mehr in die Rentenkasse – das heißt, diese Durchschnittsverdienerin hätte jeden Monat 78 Euro mehr in der Tasche, und im Jahr 2030 wären es trotz des demografischen Wandels immer noch 64 Euro. Meine Damen und Herren, in Österreich zahlen die Arbeitgeber 12,55 Prozent des Lohns in die Rentenkasse. Damit, liebe Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen hierzulande, könnten wir in den kommenden Jahren ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau von 53 Prozent finanzieren. Ich sage: Was in Wien geht, das geht auch in Kiel oder in Köln. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Grünen wollen das Rentenniveau so lassen, wie es ist. Ganz deutlich: Das reicht nicht für eine gute Rente. Zweitens. In Österreich gibt es eine Erwerbstätigenversicherung. Das heißt, alle Menschen mit Erwerbseinkommen zahlen in die Rentenversicherung ein, auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte und selbstverständlich alle Abgeordneten, Minister und Staatssekretäre. Meine Damen und Herren, eine solche Erwerbstätigenversicherung will die Linke auch in Deutschland einführen. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Wir Linken wollen die Beitragsbemessungsgrenze anheben. Heute müssen Geschäftsführer mit zum Beispiel 12 700 Euro Monatseinkommen nur Rentenbeiträge für ihr halbes Einkommen zahlen. Das ist sozial ungerecht. Darum fordert die Linke, die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise anzuheben und sie perspektivisch abzuschaffen. (Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür kriegen sie auch doppelt so viel Rente! Mannomann!) Sehr hohe Renten wollen wir in der Spitze abflachen. Das wäre verfassungsgemäß und sozial gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Die Rente muss schwierige Lebenslagen wieder ausgleichen. Alleinerziehende, Pflegende, Langzeiterwerbslose und Geringverdienende brauchen unsere Solidarität. Konkret: Wir wollen 93 Euro Mütterrente für jedes Kind – in Leipzig und in Düsseldorf, vollständig steuerfinanziert. Da, liebe Grüne, sind wir uns einig. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für Hartz-IV-Betroffene müssen endlich wieder Beiträge in die Rentenkassen gezahlt werden, und zwar so, als ob sie die Hälfte des Durchschnitts verdienten. Das fordert auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, und das wäre sozial gerecht. (Beifall bei der LINKEN) In Nordrhein-Westfalen sorgt der Niedriglohnsektor zum Beispiel dafür, dass gut ein Fünftel der Beschäftigten später keine ausreichende Rente erhält. Bis 1991 wurden die Renten dieser langjährig Niedrigverdienenden aufgewertet; Rente nach Mindestentgeltpunkten heißt das. Viele Sozialverbände und die Linke fordern: Die Rente nach Mindestentgeltpunkten muss auch für die Zeit ab 1992 gelten, und sie muss besser werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Denn damit würde die Altersarmut in Ost- und Westdeutschland bekämpft. Das muss drin sein! (Beifall bei der LINKEN) Fünftens. Über die linken Vorschläge für deutlich bessere Erwerbsminderungsrenten und für eine gerechte Angleichung der Ostrenten an das Westniveau werden wir morgen diskutieren und über Betriebsrenten Mitte Mai. Sechstens. Zur Rente erst ab 67. Union und SPD haben Millionen Menschen die Rente massiv gekürzt, weil sie bis 67 arbeiten sollen, obwohl viele das gar nicht schaffen und es auch keine Jobs für sie gibt. Wer es nicht bis zur persönlichen Regelaltersgrenze schafft, kriegt die Rente durch Abschläge gekürzt. Ich komme aus NRW. Dort hatte 2015 von den rund 1,1 Millionen Einwohnern im Alter von 60 bis 65 Jahren nur jeder Dritte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, mit der Rentenansprüche aufgebaut werden konnten. Die Folge: Hunderttausenden drohen gekürzte Renten, und das bei einem weiter sinkenden Rentenniveau. Das geht gar nicht! (Beifall bei der LINKEN) Außerdem: In den vergangenen Jahren waren 22 Prozent der Verstorbenen jünger als 70 Jahre. Vor allem die Armen müssen früher sterben. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts sterben arme Frauen 8,4 Jahre früher als ihre wohlhabendsten Altersgenossinnen. Die armen Männer müssen sogar 10,8 Jahre eher gehen. Und darum ist jede Forderung nach der Rente erst ab 70, Herr Schäuble und Herr Spahn, nach der Rente erst ab 73, liebe Bundesbank, oder nach der Rente erst ab 85, BDI-Vizepräsident Ulrich Grillo, nichts anderes als Klassenkampf von oben. Das ist der völlig falsche Weg! (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen müssen wieder ab 65 abschlagsfrei in Rente gehen können – wie in Österreich. Wer 40 Beitragsjahre hat, muss ab 60 abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Bauarbeiter und Krankenschwestern haben dann genug Steine und Patientinnen und Patienten geschleppt. (Beifall bei der LINKEN) Siebter und letzter Punkt. Meine Damen und Herren, wenn alle diese Bausteine im Einzelfall nicht für eine Rente oberhalb der Armutsgrenze reichen sollten, dann wollen wir, dass der Rentner oder die Rentnerin eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente aus Steuermitteln erhält. Es gibt sie schon – in Österreich. Dort gibt es sogar zwei Mindestrenten. Wer in Österreich auch nur einen Cent Rentenanspruch hat, erhält als Single mindestens 1 038 Euro Rente, mit mindestens 30 Beitragsjahren sind es sogar 1 167 Euro, umgerechnet auf zwölf Monate. Ausgleichszulage nennen die Ösis das offiziell. Die Garantierente der Grünen ist dagegen ein schlechter Witz. Für langjährig Versicherte, also nach 35 Beitragsjahren, (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 30 Versicherungsjahre!) soll es eine Garantierente in Höhe von 30 Entgeltpunkten geben. Das wären derzeit 914 Euro brutto und 811 Euro netto. Das sind 7 Euro über dem durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf im Alter außerhalb von Einrichtungen. 7 Euro – das ist doch nur weiße Salbe. Wir brauchen eine armutsfeste, solidarische Mindestrente, die ihren Namen verdient. Das heißt zum Beispiel, wer als Single eine gesetzliche Rente von nur 800 Euro erreichte und 150 Euro an weiteren Alterseinkommen hätte, hätte einen Anspruch auf einen steuerfinanzierten Zuschlag von 100 Euro. Die würden dann von der Rentenversicherung ausgezahlt. Das wären dann insgesamt 1 050 Euro netto, knapp über der Armutsgrenze nach den Kriterien der Europäischen Union. Wir Linken sagen: Arbeit darf nicht arm machen, auch nicht im Alter. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Karl Schiewerling, CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzulegen. (Beifall bei der CDU) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Birkwald, Ihre Darstellung des österreichischen Rentensystems glich einem beeindruckenden Feuerwerk. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Danke schön!) Leider haben Sie vergessen, zu sagen, welche Nachteile es hat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Keine!) Es hat zum Beispiel gegenüber dem deutschen Rentensystem den Nachteil, dass man erst einmal 15 Jahre arbeiten muss und nicht 5 Jahre, bis man einen Rentenanspruch hat. Sie haben nicht dargestellt, dass die Österreicher im Augenblick riesige Probleme mit der Finanzierung ihres Rentensystems haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsch!) Sie haben nicht dargestellt, dass man im Augenblick dabei ist, die hochgelobte Frauenrente abzusenken, weil sie so nicht mehr zu finanzieren ist. Sie haben völlig vergessen, darzustellen, dass die Österreicher wegen ihrer hohen Haushaltsverschuldung Probleme am Arbeitsmarkt haben und es zu einem Aufwuchs an Arbeitslosigkeit kommt. Sie haben völlig vergessen, darzustellen, dass es einen Zusammenhang zwischen Rente, Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Staatsverschuldung gibt. Die Dinge müssen zusammen gesehen werden. Wer den Scheinwerfer solitär, ausschließlich auf glückliche Rentner richtet, darf sich nicht wundern, wenn er hinterher ins kurze Gras kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, pünktlich zu den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und zum Aufgalopp zur Bundestagswahl wird ein Antrag der Linken vorgelegt. Er wurde bereits im Januar beschlossen, wird aber erst jetzt, Ende April, auf den Tisch gelegt, damit vor den Landtagswahlen Drive in die Sache kommt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Schiewerling, der Kollege Birkwald möchte eine Zwischenfrage stellen. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Nein, ich lasse keine Frage zu. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie lassen keine Frage zu. Danke schön. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Nein. Er kann nachher eine Bündelfrage stellen. Dann ist das gut. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Bündelfrage“?) Meine Damen und Herren, ich will Ihnen deutlich sagen: Wir als Unionsfraktion könnten uns zurücklehnen; denn die Darstellungen der Linken kennen wir mittlerweile. Eigentlich geht es darum, sein Mütchen an der SPD zu kühlen, sich an der SPD abzuarbeiten. Wir von der Union könnten uns zurücklehnen und sagen: „Sollen sie mal“; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum reden Sie dann über die Erwerbsminderungsrenten Mitte Mai? Langohr sagt der eine Esel zum anderen!) das tun wir aber nicht, weil es in der Tat einige Dinge gibt, die man in aller Deutlichkeit sagen muss. Der erste und wichtigste Punkt ist: Die großen Probleme, die Sie im Rentenbereich beschreiben, existieren in dieser Form nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. Wir müssen natürlich die Gesamtentwicklung, die unseren Planungen bis 2030 zugrunde lagen, berücksichtigen. Die Zahlen sind samt und sonders besser als ursprünglich angenommen. Die Renten steigen, das Rentenniveau steigt, und die Rücklage kann trotz zusätzlicher Ausgaben im Bereich der Rentenversicherung stabilisiert und sogar gesteigert werden. Wir haben stabile Renten mit stabilen Grundlagen. Es geht um die Frage, was in den Jahren ab 2030, passieren wird. Wir stehen miteinander vor großen Herausforderungen und müssen dabei zwei Dinge berücksichtigen, die das Rentensystem in Deutschland betreffen – das gilt übrigens für jedes Rentensystem, für das umlagefinanzierte Rentensystem, das kapitalgedeckte Rentensystem und sogar für das österreichische System –: Es geht um Fragen der demografischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung. Beide Entwicklungen – demografische und wirtschaftliche Entwicklung – bestimmen die Alterssicherung. Da es um die Zukunft der Rente geht, müssen wir alles tun, um unter diesem Eindruck die Stellschrauben richtig zu stellen. Das heißt, wir müssen schauen, dass die umlagefinanzierte Rente als Grundlage einer allgemeinen Alterssicherung erhalten bleibt. Natürlich können wir, wie Sie, Herr Birkwald, den Wunsch äußern, in das Rentensystem alle möglichen Gruppen mit eigenen Versorgungswerken zu integrieren, wie die Österreicher das machen. Das würde die Gruppe derjenigen verbreitern, die Rentenversicherungsbeiträge einzahlen, aber auch die Gruppe derjenigen, die Renten bekommen. Das würde nicht nur mehr Einnahmen, sondern auch mehr Ausgaben bedeuten. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Und das heißt keineswegs, dass die Risiken, die damit verbunden sind, auf einmal über Nacht verschwunden wären. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben eine Situation in Deutschland, in der wir – anders als Sie das darstellen, Herr Birkwald – einen Aufwuchs an Beschäftigung der über 60-Jährigen haben; es gibt eine deutliche Zunahme an Menschen, die über ihr 60. Lebensjahr hinaus in Beschäftigung sind. Das alles kann noch besser werden. Dafür haben wir in dieser Koalition gemeinsam die Flexirente eingeführt. Wir haben dadurch Wege eröffnet, dass man den Ausstieg aus dem Berufsleben gleitend gestalten kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Ich bin sicher, dass die Flexirente ihre Wirkung entfalten wird. Aber was nicht geht, ist, dass das System der umlagefinanzierten Rente aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Hierbei gibt es im Wesentlichen vier Stellschrauben: der Beitrag, der eingezahlt wird, das Rentenniveau, die Rücklage bzw. der Zuschuss des Staates und natürlich die Rentenlaufzeit. Es geht nicht, dass wir nach Belieben an den Schräubchen drehen; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht nach Belieben! Nach Sinn und Unsinn! Nach Notwendigkeit!) denn letztendlich ist es ein mathematisches System, das in sich stimmig ist und im Gleichgewicht gehalten werden muss. Darüber, wie das zu geschehen hat, gibt es im Augenblick Auseinandersetzungen. Ich freue mich sehr, dass es hier im Hohen Haus eine breite Mehrheit gibt, die nicht infrage stellt, dass die umlagefinanzierte Rente das stabilste System ist, das wir haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir auch nicht! Wir wollen sie stärken!) Es ist gut, dieses System weiterhin zu stabilisieren. Wir müssen alles tun, dass es weiterhin seine Wirkung entfalten kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will darauf hinweisen, dass wir dabei sind, die betriebliche Altersvorsorge, also die zweite Säule, und die private Altersvorsorge, also die dritte Säule – beide leiden unter den Kapitalmärkten –, zu stabilisieren, damit auch sie für die Bevölkerung besser ihre Wirkung entfalten können, auch für diejenigen, die Geringverdiener sind, die weniger Geld haben. Ihnen wollen wir helfen, über diesen Weg die Basis für ihre Alterseinkünfte zu verbessern. Aber Grundlage dafür, dass die Rente altersfest ist, eine Zukunft hat und auch eine Sicherung für das Alter darstellt, sind im umlagefinanzierten Rentensystem die Beiträge, die man eingebracht hat. Was wir nicht wollen, ist, dass die Rente ein Gemischtwarenladen von Beiträgen, die man selbst erwirtschaftet hat, und von sozialen Fürsorgeleistungen wird. Wenn diese Dinge miteinander vermischt werden, ist nicht mehr klar, was jeder selbst eingebracht hat. Wir werden damit den Menschen, die ihre Rente durch eigene Beiträge erwirtschaftet haben, unter dem Strich nicht gerecht. Deswegen werden wir, was die zukünftige Altersabsicherung angeht, schauen müssen, wie wir die Dinge miteinander kombinieren. Ein wichtiger zentraler Punkt ist natürlich, was wir tun, damit möglichst viele Menschen in Erwerb kommen, in Erwerb bleiben und entsprechend mit guten Einkünften für ihre Alterssicherung sorgen können. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik besteht eine Aufgabe im Bereich der Bildung. Es geht – das ist gar keine Frage; das bereitet uns große Sorgen – um die Langzeitarbeitslosen im SGB-II-Bereich und vor allem um diejenigen, die noch jung sind, nämlich um die 6 Prozent, die den Schulabschluss nicht schaffen. Das sind jedes Jahr in Deutschland 80 000 Jugendliche, die dadurch eine schlechte berufliche Perspektive haben. Ihre Altersvorsorge treibt uns um. Wir müssen für die Zukunft klären, was wir mit diesen Kindern und Jugendlichen machen. Welche Perspektiven können wir entwickeln? Daran werden wir arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich betrachte diese Frage als die eigentliche soziale Frage der Zukunft. Wir sollten jedem in diesem Land Chancen und Wege eröffnen. Wir sollten jedem – das gebietet die soziale Gerechtigkeit – Chancen zur Teilhabe geben. Wir sollten jedem die Möglichkeit eröffnen, seine eigenen Potenziale zu entfalten, sodass er sich seine Alterssicherung selbst erwirtschaften kann und nicht auf Fürsorge des Staates angewiesen ist; sie sollte nur dann notwendig sein, wenn anderes nicht reicht. Diese Wege müssen wir konsequent gehen. Ich glaube, dass wir damit letztendlich den Menschen dienen. Das ist etwas anderes als das Malen eines bunten, hochalpinen Bildes des Herrn Kollegen Birkwald, der glaubt, er könnte einen bestimmten Aspekt aus Österreich hierhin übertragen, alles andere ausblenden und damit völlig außer Acht lassen, vor welchen Herausforderungen auch Österreich steht. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aber mehr Rente kriegen die da!) Es ist eine Frage der Ehrlichkeit, auch dies zu sagen. Ich habe in meiner Rede das deutlich gemacht. Leider ist mein Beitrag im Fernsehen ausgeblendet worden, (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Unfassbar!) weil es der Berichterstattung nicht passte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor der Kollege Markus Kurth das Wort erhält, hat der Kollege Birkwald um eine Kurzintervention gebeten. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Schiewerling, Sie haben meine Kurzintervention sozusagen provoziert. Zunächst einmal: Das Thema Rente interessiert mittlerweile auch sehr, sehr junge Menschen, auch 20-Jährige. Die Gewerkschaft IG Metall hat eine Beschäftigtenbefragung durchgeführt. 680 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben geantwortet. Sie haben zum Beispiel folgender Aussage zugestimmt: Das Rentenniveau muss stabilisiert und mittelfristig erhöht werden, auch wenn dadurch die Beiträge von Arbeitgebern und Beschäftigten zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen. Insgesamt haben dieser Aussage 85 Prozent zugestimmt. Bei den 25- bis 34-Jährigen waren es 75 Prozent. Wenn das so ist, dann kann das Rentensystem nicht so gut sein, wie Sie es hier dargestellt haben. Fakt ist: Die Rentnerinnen und Rentner in Österreich bekommen deutlich höhere Leistungen. Das, werter Kollege Schiewerling, haben Sie ausgeblendet. Zu ihren Einwänden. Erstens zu den 15 Jahren. Nur 7 dieser 15 Jahre müssen Erwerbsarbeit sein; die restlichen Jahre können sich auf Kindererziehungszeiten und andere Zeiten beziehen. Das ist schon ein riesiger Unterschied. Zweitens. Dadurch, dass es sich um eine Erwerbstätigenversicherung handelt, sind auch fast alle drin und haben die meisten auch diese 15 Jahre. Selbst wenn sie die 15 Jahre nicht haben, bekommen sie eine von den Ländern finanzierte Mindestsicherung in Höhe von 889,84 Euro. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Grundsicherung haben wir auch!) Sie wird in Wien, wo 2,1 Millionen Menschen leben, auch 14-mal im Jahr gezahlt, im Rest Österreichs 12-mal. Selbst das sind 85 Euro mehr, als die Grundsicherung im Alter derzeit in Deutschland durchschnittlich beträgt. Wenn die Ösis das bei einem Preisniveau finanzieren können, das nur 5 Prozent höher ist als das unsere, dann muss man hier schon ganz schön filibustern, um das nicht hinzubekommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie da mal die Länder!) Was die Finanzierung angeht, habe ich Ihnen etwas mitgebracht. (Der Redner hält ein Schaubild hoch) Das Blaue und das Schwarze sind die wichtigen Linien. Sozialminister Alois Stöger hat Ihnen, Herrn Rosemann, Herrn Strengmann-Kuhn und mir persönlich gesagt – das sagt übrigens nicht nur er, sondern auch der Finanzminister –, bis 2060 sei das durchgängig finanziert. Warum schaffen die das? Es ist ganz einfach: Sie haben die Beamten einbezogen, die jetzt einzahlen, da die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, und erst dann eine Rente bekommen werden, wenn wir alle schon da oben oder da unten sind – je nachdem, ob wir brav waren oder nicht und ob wir gläubig sind oder nicht. Deswegen sage ich Ihnen, Herr Schiewerling: Lassen Sie uns eine Erwerbstätigenversicherung auf den Weg bringen, in die alle Menschen mit Erwerbseinkommen einzahlen. Dann bekommen wir das auch hin. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Weil ich meine Zeit nicht überstrapazieren will, – (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon passiert!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Dazu möchte ich auch raten. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): – will ich mit einer Frage an Herrn Schiewerling enden: Herr Schiewerling, sind Sie für die Rente erst ab 70 – das würde mich interessieren –, oder finden Sie, dass die Rente erst ab 67 reicht? Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Sie haben die Zeit zwar nicht überstrapaziert, aber voll ausgenutzt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das darf ich ja wohl auch!) Jetzt hat der Kollege Schiewerling die Gelegenheit zur Antwort. – Bitte schön. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Ich bleibe bei meiner Aussage. Wir haben nämlich nicht nur mit dem Finanzminister geredet, sondern auch mit verschiedenen Instituten in Österreich. In diesen Gesprächen kam schon sehr deutlich zum Ausdruck, dass Österreich vor großen Finanzierungsproblemen steht und dass man dabei ist, die Rente zu verändern, weil man die Leistungen in der jetzigen Form nicht mehr erbringen kann. Das gehört zur Wahrheit dazu. Ich sage Ihnen, Herr Birkwald: Ich verstehe Ihre Begeisterung. 14 Monate Rentenzahlungen lassen die Augen leuchten. Da leuchten die Augen auch bei mir. Ich sage Ihnen aber: Das muss auch finanziert werden. Ich bin strikt dagegen, dass wir uns die Situation in anderen Ländern anschauen, uns die Rosinen herauspicken, ausblenden, welche Nachteile das dortige System hat, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Welche denn?) und glauben, die einzelnen Puzzleteile in Deutschland zum Wohle aller wieder zusammensetzen zu können. Am Ende des Tages bedeutet das Systemveränderungen, und es kostet Geld. Es muss finanziert werden, es muss tragfähig sein, und es muss akzeptiert werden. Ich sage Ihnen: Das ist nicht so einfach, wie Sie es darstellen. Zu Ihrer Frage. Ich bin dafür, dass wir zunächst einmal das, was wir bis zum Jahre 2029 beschlossen haben, umsetzen. Dann nämlich werden wir die Rente mit 67 haben, vorher noch nicht. Sie wird erst dann ihre Wirkung entfalten. Dann schauen wir, wie weit wir sind. Man muss aber zumindest die demografische Entwicklung in Deutschland zur Kenntnis nehmen. Die Menschen leben länger, und es werden weniger geboren. Eine Rolle spielt darüber hinaus die Rentenlaufzeit. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 22 Prozent sterben vor 70!) Jemand, der 1961 in Rente gegangen ist, hatte als Rentner statistisch noch sieben oder acht Jahre zu leben. Jemand, der heute in Rente geht, hat noch 18 bis 19 Jahre zu leben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie hoch war das Bruttoinlandsprodukt damals?) Das muss ich doch zur Kenntnis nehmen, damit Rentensystem finanzierbar bleibt, weil es gleichzeitig auch ein Versicherungssystem ist, und darf den Menschen keinen Sand in die Augen streuen und sagen: Es spielt alles keine Rolle, es wird alles schon so gehen. Ich bin mir sicher, dass sich ab 2029 die eine oder andere Frage im Lichte aktueller Entwicklungen möglicherweise neu stellen wird. Deswegen diskutiere ich nicht über einzelne Dinge. Ich sage nicht: Das Rentenniveau darf auf keinen Fall zu tief sinken oder zu hoch gehen. Ich sage auch nicht: Der Beitragssatz darf eine bestimmte Höhe nicht überschreiten oder unterschreiten. Wir haben hier Regelungen eingeführt. So sage ich auch nicht: Die Rente mit 67 ist das letzte Wort. Wir müssen uns vielmehr die Dinge im Lichte der Gesamtentwicklung, in der wir uns befinden, anschauen. Im Übrigen: Wenn ich zum Thema Rente vortrage, dann wundere ich mich immer, dass die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland die meiste Sorge haben wegen der in ihren Augen zu langen Lebensarbeitszeit. Die jüngeren Menschen wissen längst, dass sie für das, was sich im Augenblick demografisch abspielt, eines Tages mit zu bezahlen haben werden; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen sind sie auch bereit, mehr Beiträge zu zahlen, wenn sie dafür eine anständige Rente bekommen!) denn die Situation ist so, wie sie ist. Die jungen Menschen sind realistischer als die Linken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat aber der Kollege Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muss zu diesem Zeitpunkt der Debatte den Menschen draußen im Land und auch den vielen jungen Menschen heute hier auf der Tribüne eines klarmachen: Die gesetzliche Rentenversicherung, die umlagefinanzierte, ist grundsätzlich leistungsfähig, solidarisch und anpassungsfähig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) – Ja, ich glaube, da können wir eigentlich alle klatschen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist so leistungsfähig, dass sie in den mehr als 125 Jahren ihres Bestehens nur in einem einzigen Monat die Rentenzahlung nicht pünktlich geleistet hat, und das war der Mai 1945. Sie ist so solidarisch, dass sie die große Anstrengung der deutschen Einheit mit bewältigt hat. Wir hätten uns die Finanzierung anders vorgestellt, aber das System der deutschen Rentenversicherung hat das geschafft. Sie ist so anpassungsfähig, dass sie das Leistungsspektrum weiterentwickelt hat. Beispielhaft sei hier nur die berufliche Rehabilitation genannt, wo die gesetzliche Rentenversicherung beispielsweise in ihren Berufsförderungswerken bei Neuausbildungen und anderem Großartiges leistet. Ich glaube, das muss ich zu Beginn meines Beitrages der Schwarzmalerei, die von der Fraktion Die Linke kommt, entgegenstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mit dem so beschriebenen Spektrum ist die gesetzliche Rente jedem kapitalmarktgestützten System haushoch überlegen. Manche neoliberalen Ökonomen, die unter Beweis stellen wollen, dass der Aktienmarkt die Alterssicherung genauso gut oder sogar noch besser übernehmen könne, nennen gerne folgendes Argument. Sie sagen, in jedem beliebigen, 20 Jahre umfassenden Zeitraum seit Ende des Zweiten Weltkrieges habe der Aktienmarkt eine positive Rendite gebracht. 20 Jahre! 20 Jahre sind nicht einmal ein halbes Erwerbsleben. 40 Jahre – denken wir in diesen Zeiträumen? 60 Jahre? Nein, es kann bis zu 80 Jahre dauern: von der ersten Beitragszahlung bis zum letzten Schnaufer auf dem Totenbett. Das sind die Zeiträume, mit denen die gesetzliche Rentenversicherung, das Umlagesystem, operiert. Das muss man sich einmal vor Augen halten. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Deswegen bestreitet die gesetzliche Rentenversicherung auch 90 Prozent der Gesamtausgaben für die Alterssicherung; das sind im Moment knapp 300 Milliarden Euro. Die kapitalgestützte Vorsorge ist eine zusätzliche Alterssicherung, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Darum sollten wir vielleicht nicht von einem Drei-Säulen-System sprechen, sondern besser von einem Drei-Schichten-System mit einem Fundament – das ist die gesetzliche Rentenversicherung – und darauf aufbauend weiteren Sicherungsbereichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Cappuccino-Modell!) Gleichwohl ist die Rentenversicherung natürlich nichts Statisches, was unveränderlich ist. Man redet in der Öffentlichkeit immer gerne vom Bismarck-System. Wenn die Versicherung immer noch so wäre, wie sie zu Bismarcks Zeiten war, dann gäbe es sie gar nicht mehr. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!) Sie hat sich weiterentwickelt, und auch Bündnis 90/Die Grünen wollen sie weiterentwickeln und stabilisieren. Was braucht es dazu? Ich will mich auf drei Kernpunkte beschränken: Wir brauchen eine vernünftige Einkommensversicherung – damit wird das Thema Rentenniveau adressiert –, wir brauchen eine verlässliche Armutssicherung, und wir brauchen eine funktionierende Solidargemeinschaft. Ich will mit dem letzten Punkt anfangen. Wir brauchen diese funktionierende Solidargemeinschaft, und darum wollen wir die Bürgerversicherung – aus zwei Gründen: Zum einen verändert sich die Arbeitswelt. Wir haben es mit neuen Formen von Selbstständigkeit zu tun. Dort drohen auch neue Formen von Altersarmut. Darum ist es eine sozial- und ordnungspolitische Aufgabe, den Kreis der Versicherten zuerst insbesondere um die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen zu erweitern. Zum anderen brauchen wir als funktionierende Solidargemeinschaft eine Bürgerversicherung, weil die Versicherten – die Mehrheit der Bürger in diesem Land –, glaube ich, merken und es nicht gut finden, dass sich Leute vom Acker machen. Sie unterstellen ihnen – häufig ist es ja auch so –, dass sie in einer wirtschaftlich besseren Situation sind. Wir wollen perspektivisch alle einbeziehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier blicke ich auch auf uns. Auch wir Abgeordnete müssen in die Bürgerversicherung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In die Erwerbstätigenversicherung!) Es wird viel ausmachen, wenn die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass auch wir Abgeordnete das, was wir hier beschließen, in unserer Renteninformation sehen werden. Das ist ein wichtiger Schritt für mehr Akzeptanz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie von der Großen Koalition – das kann ich Ihnen nicht ersparen – haben in der vergangenen Legislaturperiode durch Sonderregelungen für Honorarärzte und für angestellte Anwälte, sogenannte Syndikusanwälte, die funktionierende Solidargemeinschaft, die besteht, leider sogar noch ausgehöhlt. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Bündnis 90/Die Grünen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daneben brauchen wir die Armutssicherung. Wer in seinem Leben mehr als 30 Jahre lang gearbeitet, Kinder großgezogen und Eltern gepflegt hat, vielleicht auch einmal ein, zwei oder drei Jahre arbeitslos war, also eine halbwegs intakte Erwerbsbiografie vorweisen kann, aber nur sehr wenig verdient hat, der muss mindestens 30 Entgeltpunkte, also eine Rente oberhalb des Existenzminimums, haben. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Wir sagen: Auch Ansprüche aus der Betriebsrente und der Riester-Rente müssen geschützt sein. Sie dürfen auf diese Garantierente nicht angerechnet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 30 Jahre: Das steht nicht in eurem Antrag!) Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann, ist die Einkommensversicherung. Es geht um das Rentenniveau. Hier bildet sich ein neuer Konsens; das finde ich schon einmal gut. Der Arbeitnehmerflügel der CDU hat, wie ich gehört habe, 45 Prozent angepeilt, Andrea Nahles schlägt ein Rentenniveau von 46 Prozent vor. Wir haben auf unserem letzten Parteitag unser Wahlprogramm beschlossen, nach dem das Rentenniveau nicht weiter sinken sollte. Das heißt, wir haben hier schon eine Orientierungsmarke. Die brauchen wir auch, weil sonst die Angehörigen der Mittelschicht, die wir für dieses System brauchen, nicht mehr erkennen können, dass ihr Einkommen anständig versichert ist. Aber natürlich muss man das vernünftig finanzieren. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben einen Vorschlag gemacht!) Dafür machen wir verschiedene Vorschläge: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter vorantreiben; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr gut!) Zuwanderung kann zwar nicht kurzfristig, aber perspektivisch zur Finanzierung beitragen; auch die Erweiterung des Versichertenkreises im Rahmen einer Bürgerversicherung wird zumindest helfen, den demografischen Buckel zu bewältigen, und natürlich müssen wir durch eine alters- und alternsgerechte Gestaltung der Arbeitswelt die Voraussetzungen dafür schaffen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!) dass wir besser, länger und gesünder arbeiten können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Macht die Linke mit!) Das ist eine Finanzierungsgrundlage, die es erlaubt, dass sich eventuelle Beitragsanstiege im Rahmen halten. Wir könnten mit der Verbesserung der Finanzierung der Rentenversicherung sofort anfangen, wenn wir Dinge wie die Mütterrente nicht aus Beitragsgeldern, sondern aus Steuergeldern finanzieren würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch hier, muss man sagen, haben Sie von der Großen Koalition in den letzten vier Jahren wieder etwas versagt. Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Die Rentenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, unser Gesamtkonzept, das wir in dieser Debatte vorgelegt haben, versucht, das Wünschenswerte, das Machbare und das Notwendige zusammenzubringen und nachhaltig zu entwickeln. In Anlehnung an unsere Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt möchte ich auf jeden Fall sagen: Was wir hier vorschlagen – lesen Sie es im Internet nach –, das ist ein heißes Ding. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der war gut!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Dr. Martin Rosemann für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Martin Rosemann (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein zentrales Versprechen unseres Sozialstaats ist es, dass diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet und unsere sozialen Sicherungssysteme mit ihren Beiträgen unterstützt haben, im Alter anständig leben können. Rente muss Altersarmut verhindern und muss einen angemessenen Lebensstandard sichern. Das gilt heute, aber auch in Zukunft. Alterssicherung muss verlässlich und finanzierbar sein. Das gilt sowohl für Jung als auch für Alt; das gilt für die Generation von heute und für die Generation von morgen und von übermorgen. Genau da setzt das Gesamtkonzept zur Alterssicherung, das unsere Ministerin Andrea Nahles vorgelegt hat, an. Es stärkt die gesetzliche Rente und die betriebliche Altersvorsorge. Es bekämpft Altersarmut gezielt. Es verbessert die soziale Absicherung von Selbstständigen. Und es schafft 27 Jahre nach der deutschen Einheit ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zulasten zukünftiger Rentenbezieher im Osten!) Meine Damen und Herren, für die SPD ist klar: Die gesetzliche Rente ist und bleibt der zentrale Grundpfeiler unserer Alterssicherung. Wir wollen ein weiteres Absinken des Rentenniveaus verhindern. Deshalb begrüßen wir den Vorschlag der Ministerin für eine doppelte Haltelinie. (Beifall bei der SPD) Markus Kurth, dir will ich an dieser Stelle sagen: 46 Prozent sind die gesetzliche Haltelinie im Gesamtkonzept der Ministerin, aber das ist nicht die politische Zielgröße. Natürlich müssen wir alles tun – das muss das politische Ziel bleiben –, damit das Rentenniveau über diesen 46 Prozent bleibt. Mit dieser doppelten Haltelinie wird das Rentenniveau stabilisiert, ohne dass die Beiträge übermäßig steigen. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil wir wissen, dass eben nicht nur die Rentenversicherung von der demografischen Veränderung betroffen ist, sondern auch die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung. Beides, eine Stabilisierung des Niveaus und eine Verhinderung eines übermäßigen Anstiegs der Rentenbeiträge, funktioniert nur, wenn wir mehr Steuermittel in Form eines Demografiezuschusses, wie das die Ministerin genannt hat, einbringen und wenn wir gesamtgesellschaftliche Aufgaben konsequent über Steuermittel finanzieren. Dieses Konzept der doppelten Haltelinie ist in der Anhörung, die der Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Rentenpolitik gemacht hat, auf positive Resonanz gestoßen. Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin Herrn Dr. Thiede von der Deutschen Rentenversicherung zitieren, der gesagt hat: Wir halten dieses Konzept für sehr sinnvoll, weil es sicherstellt, dass die demographischen Belastungen nicht einseitig einer Gruppe zugewiesen werden. Wenn man gar keine Haltelinie hätte, oder nur eine, dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die demographische Belastung ganz überwiegend oder sogar komplett entweder die Beitragszahler oder die Rentenempfänger tragen müssten. Die gleiche Anhörung hat auch deutlich gemacht, dass Altersarmut eben nicht vorrangig eine Frage des Rentenniveaus ist, sondern eine Frage der Erwerbsbiografie. In diesem Zusammenhang wurden bestimmte Personengruppen genannt: Kleinselbstständige, Erwerbsgeminderte, Langzeitarbeitslose, die von Altersarmut besonders betroffen sind. Auch hier hat die Ministerin mit ihrem Gesamtkonzept zielgerichtete Vorschläge vorgelegt. Wir als Große Koalition verbessern – das werden wir am Freitag debattieren – zum zweiten Mal die Erwerbsminderungsrente, weil Erwerbsminderung ein so zentrales Risiko für Altersarmut ist. Darüber hinaus hat die Ministerin vorgeschlagen, Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Das unterstützt unsere Fraktion als ersten konkreten Schritt hin zu einer Erwerbstätigenversicherung ganz ausdrücklich. (Beifall bei der SPD) Wir wollen: Wer sein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, der soll, auch wenn das Einkommen gering war, im Alter nicht zum Sozialamt gehen müssen. Das ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Frage der Würde. Deshalb unterstützen wir den Vorschlag der Ministerin für eine Solidarrente. Wir halten es für einen sehr klugen Vorschlag, dass sie für diese Personen in jedem Fall über der Grundsicherung liegt, unabhängig davon, ob sie auf dem flachen Land in Mecklenburg-Vorpommern oder in Ballungsräumen wie in Stuttgart oder Tübingen leben. Wir fragen uns, warum der Koalitionspartner an dieser Stelle diesen pragmatischen und sinnvollen Vorschlag nicht unterstützen konnte. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, um die demografischen Herausforderungen – also Babyboomer, sinkende Geburtenrate und steigende Lebenserwartung – auch in Zukunft bewältigen zu können, braucht es neben einer starken gesetzlichen Rente auch eine möglichst flächendeckende betriebliche Altersvorsorge. Mit unserer Betriebsrente Plus setzen wir genau da an. Wir setzen auf eine zielgenaue Förderung von Geringverdienern, eine stärkere Arbeitgeberfinanzierung bei der betrieblichen Altersvorsorge und auf einfache und attraktive Angebote für Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Tarifpartner, von denen auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren können. Vor allem setzen wir bei der betrieblichen Altersvorsorge auf Solidarität: große kollektive Systeme statt individuelle Lösungen. Ich komme zum Schluss. Egal ob gesetzliche Rente oder betriebliche Altersvorsorge: Grundlage für gute Renten ist immer eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Auch gilt für jede und jeden Einzelnen der Zusammenhang zwischen guter Bildung, guter Arbeit, guten Löhnen und guten Renten. Deswegen fängt gute Rentenpolitik schon mit der Bildungspolitik an und geht auf dem Arbeitsmarkt weiter. Deshalb müssen wir Erwerbsbiografien stärken und gleiche Chancen schaffen. Genau das haben wir in dieser Wahlperiode an unterschiedlichen Stellen begonnen: mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, mit Anreizen für eine bessere Tarifbindung, mit der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, mit all dem, was wir getan haben und noch tun wollen, um die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern zu reduzieren, und vor allem auch dadurch, dass wir es Menschen ermöglichen, länger gesund im Arbeitsleben zu bleiben, mit einem vorsorgenden Sozialstaat, der in Prävention und Rehabilitation und in die Qualifikation der Beschäftigten investiert und sie auf dem Weg durch das Arbeitsleben begleitet und auch bei Umbrüchen unterstützt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie diese Debatte verfolgen! Man kann feststellen: Es nahen Wahlen: in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und dann im September die Bundestagswahl, und das befeuert natürlich die politischen Parteien und die Fraktionen, viel Gutes, Neues, Schönes und auch Teures zu versprechen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir versprechen nicht! Wir fordern!) Ich empfehle, den alten Spruch „Wahltag ist Zahltag“ ernst zu nehmen und sich vielleicht erst einmal anzuschauen, was in der Vergangenheit und vor allem in dieser Legislaturperiode gemacht worden ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, über ein Vierteljahrhundert lang sind in Sachen Rentenpolitik wegen der ökonomischen Zwänge eher Verschlechterungen eingetreten, übrigens vor allem in einer Zeit, in der die Grünen mitregiert haben, Herr Kurth. Diese Legislaturperiode seit 2013 ist die erste seit 25 Jahren, in der in der Rente einmal zusätzliche Leistungen beschlossen worden sind – und kein Minus. Diese Legislaturperiode ist deshalb ein Gewinn für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bezahlt das denn?) Das Bemerkenswerteste ist erstens die Mütterrente: 10 Millionen Rentnerinnen in Deutschland haben dank der Mütterrente, die wir beschlossen haben, mehr Rente als zuvor. Ein großartiger Erfolg! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht im Osten! Die Kinder im Osten sind Ihnen weniger wert!) Zweitens zu den Erwerbsminderungsrenten. Darauf ist in den vorherigen Reden zu Recht Bezug genommen worden. Warum? Wenn jemand wegen eines Unfalls oder einer Krankheit vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden muss und nichts mehr für seine Altersversorgung tun kann, dann ist in der Tat der Sozialstaat gefordert, so jemanden finanziell so auszustatten, dass er möglichst ohne zusätzliche staatliche Stütze leben kann. Deswegen haben wir zu Beginn dieser Legislaturperiode die Zurechnungszeit, also die Zeit, wie lange jemand hätte arbeiten können, wenn der Unfall nicht passiert wäre, um zwei Jahre verlängert. Darüber hinaus bringen wir in dieser Woche einen Gesetzentwurf ein, mit dem wir noch einmal drei Jahre obendrauf setzen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, 4,50 Euro bringt das! Mehr wird das nicht im ersten Jahr! Super!) Noch nie ist in Sachen Erwerbsminderungsrente so viel gemacht worden. Das ist auch richtig so. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 4,50 Euro! Super!) Außerdem hat die Rentenversicherung eine wichtige Aufgabe, die manche manchmal vergessen. Sie soll nämlich auch etwas dafür leisten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in die Rentenversicherung einzahlen, möglichst gesund und munter bis zum Rentenalter arbeiten können. Hier geht es also um das Angebot von Rehaleistungen. Weil wir sehen, dass wir in unseren Betrieben zunehmend ältere Belegschaften haben, haben wir beschlossen, den Rehadeckel, also das Budget für die Rehaleistungen der Rentenversicherung, hochzusetzen. Das Thema Reha kommt übrigens in den Anträgen der beiden Oppositionsfraktionen überhaupt nicht vor. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! Wir haben jedes Mal Anträge eingebracht! Die haben Sie alle abgelehnt, Herr Weiß!) Ja, es ist richtig: Wir wollen mehr Mittel für die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben in Deutschland einsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehört auch, dass wir der Rentenversicherung erstmals erlaubt haben, mehr in Sachen Prävention, also Vorsorge, zu machen. Wir führen jetzt erste Modellversuche durch. Der Kollege Rosemann, der vor mir gesprochen hat, und ich waren vor einiger Zeit gemeinsam in Stuttgart bei der Auftaktveranstaltung für ein Projekt, mit dem die Rentenversicherung zusammen mit den Berufsgenossenschaften speziell für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege, also einem Berufsfeld, in der man besonderen psychischen und auch physischen Belastungen ausgesetzt ist, neue Vorsorgemodelle ausprobiert. Ich finde, es ist eine großartige Sache, dass wir in dieser Legislaturperiode auch mehr Präventionsleistungen durch die Rentenversicherung neu eingeführt haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Es ist ja schön, dass wir euch davon überzeugt haben!) Dann komme ich zum Stichwort „Flexirente“. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben es möglich gemacht, dass derjenige, der mit 63 oder 64 Jahren vorzeitig mit Abschlägen in Rente gehen will, nicht bestraft wird, wenn er dann noch irgendeine Arbeit ausüben oder einen Job annehmen will, und mehr behalten kann als in der Vergangenheit. Das attraktive Angebot an alle Rentnerinnen und Rentner, Rentenbezug und Hinzuverdienst durch Arbeit miteinander zu verbinden, halte ich für eine Lösung, die zukunftsgerichtet ist; denn so gleitet man langsam aus dem Erwerbsleben heraus und bezieht schon einmal einen Teil Rente, arbeitet aber auch noch einen Teil. Damit haben wir endlich eine Sache umgesetzt, die vernünftig ist und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Wahlmöglichkeiten bei der Rente schenkt. Das ist ein großartiger Erfolg, den wir hinbekommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Weil in der Debatte das Thema Steuermittel angesprochen worden ist: Wir geben in diesem Jahr, im Jahr 2017, so viele Steuermittel in die Rente wie noch nie, nämlich 91 Milliarden Euro. Das sind 27,6 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Angesichts der umfänglichen Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hat, sind 27,6 Prozent allein für die Rente eine großartige Leistung, die der Staat für die Sicherung unseres Rentensystems erbringt – und das bei dem seit 20 Jahren niedrigsten Beitragssatz zur Rentenversicherung. Er liegt derzeit bei 18,7 Prozent. Bitte denken Sie einmal zurück, wann es das je gegeben hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Wahltag Zahltag ist, dann sollte man sich das anschauen, was wir geleistet haben, und weniger auf das Wolkenkuckucksheim dessen schauen, was einem für die Zukunft Großartiges versprochen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Trotzdem will ich gerne zugeben, dass die Frage, wie sich das Rentenniveau in der Zukunft entwickelt, für uns eine entscheidende Rolle spielt. Seinerzeit hat Rot-Grün bei der Riester’schen Rentenreform Sicherungsziele, auf die man sich verlassen kann, also gesetzliche Garantien, wie tief das Niveau höchstens sinken darf, nur bis zum Jahr 2030 festgelegt. Deswegen wird es die Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode sein – und das wollen wir als Union machen –, festzulegen, dass auch nach 2030 verlässliche Ziele sowohl für die Beitragssätze als auch für das Rentenniveau in Deutschland gelten. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viel? Dazu sagt ihr nichts!) Jeder weiß, dass die gesetzliche Rente umlagefinanziert ist. Das, was die Jungen heute einzahlen, erhalten morgen die Alten als Rente ausgezahlt. Die gesetzliche Rente ist die wichtigste und verlässlichste Säule in der Altersversorgung. Aber sie bedarf einer Zusatzrente, die nach dem Motto finanziert wird: Das sparen Sie sich für das Alter an. – Deswegen werden wir noch im Mai ein Gesetz beschließen, das die Zielsetzung hat, möglichst jedem Arbeitnehmer in Deutschland die Finanzierung und den Aufbau einer solchen Zusatzrente zu ermöglichen. Wir werden erstmalig einen Geringverdienerzuschuss für die betriebliche Altersversorgung einführen. Wir werden erstmalig eine gesetzliche Regelung einführen, dass das, was man sich als zusätzliche Altersversorgung angespart hat, dann, wenn man im Alter doch zu wenig hat und staatliche Unterstützung beantragen muss, auf die Grundsicherung nicht voll angerechnet wird, sondern dass mindestens 100 Euro zusätzlich übrig bleiben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau, 904 statt 804 Euro! Super!) Das ist eine starke Botschaft an die Mitbürgerinnen und Mitbürger: Wenn du zusätzlich für die Altersversorgung ansparst, dann hast du auf jeden Fall 100 Euro jeden Monat mehr in der Tasche als derjenige, der nichts gemacht hat. – Das wird die Bereitschaft vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger stärken, zusätzlich etwas für die Rente zu tun; denn sie wissen: Wer zusätzlich für das Alter vorsorgt, steht am Schluss besser da als derjenige, der nichts getan hat. Das ist die Kernbotschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Grundherausforderung, die unsere Gesellschaft gemeinsam stemmen muss, ist folgende: Wir wissen, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen. Wir werden eine große Zahl neuer Jungrentnerinnen und Jungrentner zu verzeichnen haben. Diese Jungrentnerinnen und Jungrentner werden länger leben und länger Rente beziehen als die heutigen Rentnerinnen und Rentner. Alle sagen uns: Jawohl, die Lebenserwartung steigt weiter an. Diese Chance ist gegeben. – Das ist auch eine schöne Sache. Wir wissen aber auch, dass im Vergleich dazu relativ geburtenschwache Jahrgänge, also wenige junge Leute, neu in das Erwerbsleben eintreten. Das ist die riesige Herausforderung, die wir stemmen müssen. Wer in einer solchen Situation den Mitbürgerinnen und Mitbürgern Wolkenkuckucksheime verspricht nach dem Motto: „Es gibt mehr, und man muss weniger zahlen; es ist keine zusätzliche Anstrengung notwendig, um die Altersversorgung für die Zukunft abzusichern“, der lügt die Bevölkerung schlichtweg an. Vor diesem Hintergrund sage ich: Wahltag ist Zahltag. Schauen Sie sich die Fakten an, die geschaffen wurden, und misstrauen Sie denjenigen, die zu viel versprechen! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie versprechen Altersarmut! Das ist viel schlimmer!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt der Kollege Ralf Kapschack für die SPD. (Beifall bei der SPD) Ralf Kapschack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Gute Arbeit, gute Löhne sind die Grundlage für eine ordentliche gesetzliche Rente. Rente ist eben ein Spiegelbild des Erwerbslebens. Das gilt auch für die betriebliche Altersversorgung, die schon ein paar Mal angesprochen wurde. Grau ist alle Theorie; entscheidend ist auf dem Platz. Das hat man nicht nur gestern Abend bei diesem wunderbaren Fußballspiel gesehen. Das gilt auch im richtigen Leben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der betrieblichen Altersversorgung ist der Platz das Unternehmen, in dem man arbeitet. Wer in Großbetrieben und in Branchen mit starken Tarifpartnern arbeitet, hat in der Regel Anspruch auf eine Betriebsrente, und das ist gut so. Wir wollen aber, dass alle Beschäftigten Zugang zur Betriebsrente bekommen. Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit. Die betriebliche Altersversorgung ist ein eingeführtes Instrument. Deshalb spielt sie bei der Altersversorgung eine wichtige Rolle. In der schon genannten Befragung der IG Metall sprechen sich die Beschäftigten der Metallindustrie für eine stärkere betriebliche Altersversorgung aus. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, aber nur arbeitgeberfinanziert!) Die betriebliche Altersversorgung ist für uns die beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente – damit das klar ist: eine Ergänzung und kein Ersatz –, weil sie eine Menge Vorteile gegenüber der privaten Vorsorge bietet, wie Martin Rosemann bereits ausgeführt hat. Die betriebliche Altersversorgung wird im Kollektiv, in großer Zahl organisiert und hat dementsprechend Vorteile, was Kosten und Anlagemöglichkeiten angeht. Sie trägt auch dazu bei, gesellschaftliche Solidarität in die Altersversorgung zu bringen. Ich sage ganz offen: Mir wäre es am liebsten, es gäbe endlich nicht nur eine Verpflichtung der Arbeitgeber, ein Angebot zur betrieblichen Altersversorgung zu machen, sondern auch die Verpflichtung, sich finanziell daran zu beteiligen. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mindestens zur Hälfte! Dann wären wir auch einverstanden!) Dabei gibt es eine deutliche Übereinstimmung mit Bündnis 90/Die Grünen. Politisch durchsetzbar ist das im Moment allerdings leider nicht. Deshalb wählen wir zurzeit einen anderen Weg und setzen auf die Tarifpartner. Tarifpartner können am besten beurteilen, wo es Regelungen der betrieblichen Altersversorgung geben soll, die sich an den jeweiligen Gegebenheiten, Arbeitsbedingungen, Alters- und Qualifikationsstrukturen orientieren. Tarifpartner sind für uns auch diejenigen, die mit ihrer Kompetenz und Erfahrung für die Qualität der betrieblichen Altersversorgung stehen. Ich weiß, das wird bei unserem Koalitionspartner nicht uneingeschränkt so gesehen. Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, das wir in den nächsten Wochen verabschieden werden, erfinden wir die betriebliche Altersversorgung nicht neu, nein, wir stärken sie, wir schaffen eine Betriebsrente plus. (Beifall bei der SPD) Wir schaffen eine steuerliche Förderung für Arbeitgeber, die einen Beitrag leisten. Wir schaffen eine neue Förderung für Geringverdiener. Wir schaffen einen Freibetrag in der Grundsicherung – das ist eben vom Kollegen Weiß schon angesprochen worden –, und wir wollen – das sage ich an dieser Stelle ganz klar –, dass die eingesparten Arbeitgeberbeiträge bei der Entgeltumwandlung vollständig bei den Beschäftigten landen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bisher stehen im Gesetz aber nur 15 Prozent drin, nicht 20,7 Prozent!) So könnte auch die ärgerliche Belastung durch den vollen Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten zumindest abgemildert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Sozialpartnermodell schaffen wir einfache und übersichtliche Zugänge. Gerade die Komplexität und der Aufwand sind in kleinen und Kleinstunternehmen oft der Grund, warum es dort keine Betriebsrenten gibt. Das wollen wir ändern. Wir geben den Tarifpartnern neue Möglichkeiten, aber auch mehr Verantwortung. Mir ist schon klar, dass der Verzicht auf Garantien in diesem Modell eine kommunikative Herausforderung ist. Ich sage aber ganz deutlich an die Adresse der Linken: Es ist nicht nur unredlich, sondern schlicht falsch, zu behaupten, dass der Verzicht auf Garantien mit dem Verzicht auf Sicherheit einhergeht. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das werden wir dann sehen! Bei der Riester-Rente haben Sie auch das Blaue vom Himmel versprochen!) Außerdem stehen die Tarifpartner mit ihrem Renommee für eine seriöse Anlagepolitik. Es ist doch kein Zufall, Matthias, wenn sich gerade in dieser Situation Verdi mit dem Gedanken trägt, ein eigenes Versorgungswerk aufzubauen, um eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung im Dienstleistungsbereich zu schaffen. (Beifall bei der SPD) Es kann doch nicht wirklich euer Ernst sein, dass ihr glaubt, Frank Bsirske sei ein Zocker, der mit dem Geld von Verkäuferinnen und Putzkräften spielt. Das kann doch wohl nicht ernst gemeint sein. (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Herr Bsirske ist ein ehrenwerter Mann bei den Grünen!) Also: Lasst das sein und bringt die Gewerkschaften nicht in Misskredit, die sonst immer euer erster Bündnispartner sind. Klar ist: Bei dem starken Wunsch nach Sicherheit beim Thema Altersversorgung wird es darauf ankommen, das Sozialpartnermodell so darzustellen, dass Chancen und Risiken in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Mit der Betriebsrente plus schaffen wir neue Möglichkeiten. Wir schaffen schlicht und ergreifend ein Angebot. Vielleicht haben einige Unternehmen beim Thema Betriebsrente künftig ein bisschen von der Fantasie, der Dynamik und der Entschlossenheit, die Ousmane Dembélé gestern Abend beim 3 : 2 gegen Bayern gezeigt hat. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Da ist aber jemand beseelt!) Das wäre gut für die künftigen Rentnerinnen und Rentner. Wir zeigen Ihnen gerne, wo das Tor steht. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Jutta Eckenbach spricht als Nächste für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem ich einigen Reden heute Morgen hier zugehört habe, muss ich sagen: Das ist schon sehr polemisch und sehr spaltend. Natürlich gebe ich den Kollegen Peter Weiß und Karl Schiewerling recht: Es geht um Wahlen. Man will hier einfach Wahlveranstaltungen durchführen. Wir müssen schauen, wie wir mit dem umgehen, was wir in Deutschland alle gemeinsam hart erarbeiten. Die Linken haben ihren Rentenantrag bereits im Januar 2017 eingebracht; das wurde schon gesagt. Das geschah erstaunlicherweise kurz nach Vorlage des Alterssicherungsberichtes, und jetzt reden wir über den Armuts- und Reichtumsbericht. Das lässt vermuten, dass Ihre Anträge immer dann eingebracht werden, nachdem zuvor die entsprechenden Berichte vorgelegt worden sind. Aber das lasse ich einmal außer Acht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, weil wir uns auf die Zahlen der Bundesregierung verlassen! Wir wollen seriöse Datengrundlagen verwenden!) Die Alterssicherung in Deutschland steht nach wie vor auf drei Säulen – das finde ich ganz wichtig –: gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und private Altersvorsorge. Alle drei Säulen – das ist das Wichtigste überhaupt – sind abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung. Ohne gute wirtschaftliche Entwicklung ist eine Alterssicherung nur sehr schwer erreichbar; ohne sie wird es nicht gehen. In der letzten Legislaturperiode haben wir bewiesen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland auf einem wirtschaftlich verdammt guten Weg sind. Die Arbeitslosigkeit war noch nie so niedrig wie im Moment, bezogen auf einen Zeitraum von 25 Jahren – auch das muss man an dieser Stelle sagen –, und das bewirkt eine gute Konjunktur. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben ein solidarisches Rentensystem im Hinblick auf den Generationenvertrag. Es ist deswegen solidarisch, weil es von allen Steuerzahlern mitfinanziert wird. Diese Solidarität ist auch an den vier Grundlagen des Sicherungssystems erkennbar: den Beiträgen, dem Rentenniveau, der Laufzeit von Renten und dem Bundeszuschuss. Ich will es noch einmal sagen: Die Renten werden auch über Steuern finanziert. Ich glaube, im aktuellen Haushalt sind 13,1 Milliarden Euro hierfür veranschlagt. Das nur noch einmal dazu, dass gefordert wurde, wir müssten hier noch mehr tun. Die Mütterrente hat Kosten in Höhe von 13,1 Milliarden Euro verursacht. Sie ist also steuerfinanziert. All das, was ansonsten dazu gesagt worden ist, ist zumindest an dieser Stelle nicht ganz richtig. (Beifall des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Lassen Sie mich auch noch etwas zu dem ausführen, was hier immer über das Rentenniveau gesagt wird. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, Folgendes nachzusehen: Im Jahre 2002 gab es bei einem Durchschnittsverdienst von 23 341 Euro eine Standardrente in Höhe von 12 356 Euro bei einem Rentenniveau von 52,9 Prozent vor Steuern. Im Jahre 2016 gab es bei einem Durchschnittsverdienst von 30 020 Euro eine Standardrente in Höhe von 14 367 Euro bei einem Rentenniveau von 47,9 Prozent. – Das heißt, das Rentenniveau ist zwar eine wichtige Stellschraube, aber nicht die einzige Stellschraube, an der wir drehen müssen. Wir dürfen nicht immer so tun, als ginge es nur um die Höhe des Rentenniveaus. Zu berücksichtigen ist, dass wir es in Deutschland mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Lagen zu tun haben. Das ist doch die Ausgangslage dafür, wie wir die Berechnung vornehmen. Worüber wir reden müssen, ist, dass wir gesetzlich beschlossen haben – ich hoffe, ich habe es richtig im Kopf –, dass das Rentenniveau bis zum Jahre 2029 nicht unter 43 Prozent sinkt. Diese Garantie gilt letztendlich. Lassen Sie mich noch – so viel Zeit bleibt ja nicht – einen ganz wichtigen Punkt ansprechen, der meines Erachtens in der Diskussion über die Rente heute ein bisschen zu kurz gekommen ist. Viele Leute interessiert – auf der Besuchertribüne sitzen jüngere und auch ältere –, welche Rentenleistungen sie mit dem vollendeten 65., 66. oder, wenn sie 45 Jahre gearbeitet haben, 63. Lebensjahr bekommen. Das ist wichtig. Bis 2030 ist das alles gut abgesichert, mit Nachrüstungen. Wir werden über die betriebliche Altersvorsorge, die bAV, reden und an einigen Stellschrauben drehen. Aber die Frage ist: Was ist ab 2030? Wir haben heute 2017. Ganze Jahrgänge sind in Schule, in Bildung. In die müssen wir investieren. Wenn wir jetzt nicht in Bildung investieren, wenn wir jetzt nicht gut für Bildung in Deutschland sorgen – die Bundesregierung hat eine Menge getan, um den Ländern behilflich zu sein, in Bildung zu investieren –, wenn wir uns nicht um die Jugendlichen kümmern, wenn wir uns nicht darum kümmern, dass die Jugendlichen übergangslos von der Schule auf einen Arbeitsplatz wechseln und damit den Weg in unsere Leistungsgesellschaft finden können, dann wird in den nächsten Jahrzehnten kein Rentensystem, egal wie wir es gestalten, funktionieren. Es ist unsere Aufgabe, mit darauf zu achten: Wie geht es der nächsten Generation, die ins Arbeitsleben kommt? Wie schaffen wir Arbeitsbedingungen, dass Menschen auch über 45 Jahre hinaus Leistung erbringen können? Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode Gesetze beschlossen. Ich erinnere hier an die Rehabilitation. Ich erinnere aber auch an das Präventionsgesetz. Das ist etwas wirklich Neues in dieser Legislaturperiode gewesen. Das haben wir beschlossen, um in den nächsten Jahren Menschen behilflich zu sein, am Arbeitsplatz bleiben und Leistung erbringen zu können. Denn eines ist klar: Es geht nur mit einer guten Leistung, einem guten Arbeitsplatz, einer guten Bezahlung; ansonsten wird es keine auskömmliche Rente geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber da sind auch die Tarifpartner mit im Boot. Sie werden hier überhaupt nicht genannt. Ich denke, die Tarifpartner müssen an der Stelle mit dafür Sorge tragen; denn das kann doch keine gesetzliche Aufgabe sein. Es ist nicht meine Auffassung, dass wir gesetzlich in Tarifverträge eingreifen sollten. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) – Da sind wir unterschiedlicher Meinung. – Wir sollten eines nicht tun, nämlich als Gesetzgeber dort eingreifen. Wir sollten den Menschen sagen: Es ist nicht erstrebenswert, von Sozialhilfe und Grundsicherung zu leben. Es ist erstrebenswert, sein Leben selbst gestalten zu können, in einer offenen, in einer freiheitlichen Gesellschaft. – Dieses zu ermöglichen, dazu sind wir da, dazu haben wir in Deutschland auch eine Menge getan. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das auch in Nordrhein-Westfalen erreichen könnten, wo am 14. Mai die Wahl ansteht. Ich wäre sehr froh darüber, wenn wir es schaffen würden, auch in Nordrhein-Westfalen etwas mehr für die Bildung zu tun, etwas mehr dafür zu tun, dass die Menschen in Arbeit kommen, damit unser Land auf gute Füße gestellt wird. Ich sage „unser Land“; denn ich komme aus Nordrhein-Westfalen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gutes Bundesland!) Dieses Land hat es verdient, eine neue Regierung zu bekommen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird gut regiert!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Zum Thema Wahlkampf: Ich kündige an, in meiner Rede nicht einmal Martin Schulz zu erwähnen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war und ist noch eine erfolgreiche Legislatur für Rentnerinnen und Rentner. Mehr fordern, lieber Matthias Birkwald, geht immer. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist mein Job als Opposition!) Aber lassen Sie mich noch einmal kurz bilanzieren, was wir alles geschafft haben. Die SPD hat dafür gesorgt, dass es seit langem wieder bessere Rentenleistungen für die Bürgerinnen und Bürger gibt, (Beifall bei der SPD) erstens mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren, vor allem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die lange gearbeitet und eingezahlt haben, denen es aber oftmals schwerfällt, bis 65, 66, 67 zu arbeiten. Zweitens haben wir deutliche Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente für diejenigen erreicht, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können. Nach Einführung der Günstigerprüfung und der Verlängerung der Anrechnungszeiten von 60 auf 62 Jahre im Rahmen des Rentenpakets 2014 werden wir morgen in erster Lesung in den Bundestag einbringen, die Anrechnungszeiten noch einmal um drei Jahre auf 65 Jahre zu erweitern. Das ist auch gut und richtig so. Drittens haben wir mit den flexiblen Übergängen in den Ruhestand die Voraussetzungen dafür verbessert, lange gesund im Berufsleben bleiben zu können. Last, but not least hat die Mütterrente – es ist kein Geheimnis, dass wir sie lieber steuerfinanziert hätten – vielen Frauen zu Recht eine bessere Rente verschafft. Am Ende der Debatte möchte ich zwei Punkte besonders hervorheben, nämlich erstens das, was wir für die Rente von Frauen gemacht haben, und zweitens, was wir dafür getan haben, dass Menschen gesund bis zur Rente arbeiten können. Das Thema Altersarmut ist angesprochen worden. 59 Prozent derjenigen, die Grundsicherung im Alter erhalten, sind Frauen. Die Gründe dafür sind uns allen bekannt: Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung, geringere Löhne und Teilzeitbeschäftigung. Was haben wir gemacht? Wir haben uns gefragt: Was brauchen die Frauen, um eine bessere Erwerbsbiografie zu bekommen? Die Antwort lautet: Wir brauchen Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Da haben wir mit der Einführung des Mindestlohns einen wichtigen Schritt getan. (Beifall bei der SPD) Zwei Drittel derjenigen, die vom Mindestlohn profitieren, sind Frauen. Das IAB hat festgestellt, dass die Einführung des Mindestlohnes dazu geführt hat, dass Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt wurden. Dabei geht es um fast 50 000 Arbeitsverhältnisse. Das ist, glaube ich, ein Riesenerfolg. (Beifall bei der SPD) Als Zweites nenne ich die Frauenquote in Aufsichtsräten. Jetzt fragen Sie sich: Was hat das mit Altersarmut von Frauen zu tun? Die Quote ist aber nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber Frauen, sie ist auch der Anstoß für unternehmerische Veränderungsprozesse. Es gibt nachweislich dann Veränderungen zum Vorteil für Frauen in Unternehmen, wenn der Anteil von Frauen auch in Führungspositionen eine Mindestgröße erreicht hat. Eine Frau allein macht noch keinen Fortschritt. Deswegen gibt es – statt einer Alibiregelung – die Quote. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Mit dem Entgeltgleichheitsgesetz befördern wir die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern durch mehr Transparenz. Wir hätten gerne das Rückkehrrecht in Vollzeit eingeführt. Das müssen wir in der nächsten Legislaturperiode mit dem Rückenwind aus Europa nachholen. Was brauchen Frauen noch für eine gute Erwerbsbiografie? Sie brauchen Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben als Bund 4,1 Milliarden Euro in die Hand genommen, um sie in die Kinderbetreuung zu stecken. Wir haben das Pflegeunterstützungsgeld und das Recht auf Familienpflegezeit eingeführt, und wir berücksichtigen die Pflegezeit bei der Rente. Des Weiteren fördern wir zum Beispiel durch das Kindergeld Plus die Partnerschaftlichkeit. All das verbessert die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und damit auch ihre Rente. (Beifall bei der SPD) Mit der Mütterrente haben wir erstmalig auch Verbesserungen bei den Bestandsrenten durchgesetzt. Was haben wir dafür getan, dass Menschen bis zur Rente gesund arbeiten können? Wir haben mit dem Flexirentengesetz einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Wir machen uns nicht mehr ausschließlich Gedanken darüber, was passiert, wenn Menschen krank sind und nicht mehr weiterarbeiten können; das müssen wir auch und haben es getan. Vor allem aber wollen wir Sorge dafür tragen, dass Menschen ihre Gesundheit erhalten und gesund das Rentenalter erreichen können. Dafür brauchen wir mehr Prävention, Gesundheitsschutz und Flexibilität unseres Sozialsystems. Wir haben mit dem Präventionsgesetz die Krankenkassen verpflichtet, mindestens 2 Euro pro Versicherten für die betriebliche Gesundheitsförderung auszugeben; aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen ein flexibles System sozialer Sicherheit, das Schutz gibt, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist bzw. bevor der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin krank und arbeitslos geworden ist. Dieses Prinzip heißt „Prävention vor Reha vor Rente“. Dem sind wir nachgekommen: (Beifall bei der SPD) Wir haben Prävention und Nachsorge im Rehabudget gestärkt und die Kinder- und Jugendreha deutlich verbessert; denn je früher man sich kümmert, desto besser. Wir haben mit dem sogenannten Ü45-Check-up, den wir in Modellprojekten testen werden, erstmalig eine Verbindung von Gesundheitsschutz und Qualifizierung erreicht. Damit werden wir neue Wege beschreiten. Wir wollen ein individuelles Recht auf Gesundheitsschutz, Beratung und Förderung. Ich glaube, das ist im Sinne der hart arbeitenden Menschen in unserem Land. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Für eine gute, zukunftsfeste und gerechte Rente braucht es mehr als ein anständiges Rentenniveau. Wir setzten dafür viele Hebel in Bewegung und drehen das Rad nach vorn und nicht zurück. In diesem Sinne: Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich diese Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10891 und 18/12098 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 w sowie die Zusatzpunkte 1 a bis 1 c auf: 42.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend persistente organische Schadstoffe (POP) Drucksache 18/11843 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung von Polymerisationsanlagen in den Anwendungsbereich des Emissionshandels Drucksache 18/11844 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 30. November 1999 (Multikomponenten-Protokoll) zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Versauerung, Eutrophierung und bodennahem Ozon Drucksache 18/11845 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend Schwermetalle Drucksache 18/11846 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) Drucksache 18/11847 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11867 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. November 2012 zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Tabakerzeugnissen Drucksache 18/11868 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November 2016 zur Änderung des Abkommens vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11869 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr Drucksache 18/11878 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12.  Januar 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über Soziale Sicherheit Drucksache 18/11879 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (7. BZRGÄndG) Drucksache 18/11933 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Drucksache 18/11939 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten Drucksache 18/11942 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer wasserrechtlichen Genehmigung für Behandlungsanlagen für Deponiesickerwasser und zur Änderung der Vorschriften zur Eignungsfeststellung für Anlagen zum Lagern, Abfüllen oder Umschlagen wassergefährdender Stoffe Drucksache 18/11946 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft o) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Chemikaliengesetzes und zur Änderung weiterer chemikalienrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/11949 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften Drucksache 18/12041 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 15. Oktober 2016 in Kigali beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen Drucksache 18/12048 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Gesetze über Bergmannssiedlungen Drucksache 18/12049 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung gebührenrechtlicher Regelungen im Aufenthaltsrecht Drucksache 18/12050 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz t) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Verbesserung der Kosteneffizienz von Emissionsminderungsmaßnahmen und zur Förderung von Investitionen in CO2-effiziente Technologien KOM(2015) 337 endg.; Ratsdok. 11065/15 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Drucksache 18/11744 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit u) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbot der Haltung wild lebender Tierarten in Zirkussen Drucksache 18/12088 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft v) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Neustart der Europäischen Union auf der Grundlage Sozialer Menschenrechte Drucksache 18/12089 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales w) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Patientinnen und Patienten entlasten – Zuzahlungen bei Arzneimitteln abschaffen Drucksache 18/12090 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ZP 1   a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/12085 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Drucksache 18/12091 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen Drucksache 18/12095 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Dabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte und ohne eine abschließende Beschlussfassung. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind alle diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 c, 43 e und 43 f sowie 43 h bis 43 j auf. Dabei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Es sind aber Tagesordnungspunkte, bei denen entschieden wird. Deshalb werde ich auch, um keinerlei Zweifel, um was es dabei geht, entstehen zu lassen, jeweils in einigen kurzen Sätzen sagen, worum es bei den entsprechenden Themen geht. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts Drucksachen 18/11238 (neu), 18/11746, 18/11822 Nr. 12 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12147 Das Einheitliche Patentgericht ist eine neue internationale Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit. Dem Patentgericht und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollen durch das genannte Protokoll im üblichen Rahmen Vorrechte und Befreiungen eingeräumt werden. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12147, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11238 (neu) und 18/11746 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Eine dritte Lesung brauchen wir in diesem Verfahren nicht zu machen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Postdienstrechts Drucksache 18/11559 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Drucksache 18/12134 Mit diesem Änderungsgesetz wird die bislang bestehende Möglichkeit für die bei den Postnachfolgeunternehmen im Personalüberhang beschäftigten Beamtinnen und Beamten, ab dem vollendeten 55. Lebensjahr versorgungsabschlagsfrei in den Ruhestand zu treten, in einer modifizierten Weise fortgeführt. Die neue Regelung sieht als weitere Voraussetzung die Bereitschaft vor, im Rahmen eines engagierten Ruhestandes für mindestens zwölf Monate Bundesfreiwilligendienst oder eine vergleichbare Tätigkeit zu leisten. Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus noch administrative und redaktionelle Anpassungen des Postpersonalrechtsgesetzes. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12134, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/11559 anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen Drucksache 18/11625 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/12139 Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Richtlinie 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Funkanlagen auf dem Markt der Europäischen Union. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12139, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11625 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/12081, 18/12126 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12081 und 18/12126, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11281 und 18/11407 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Sachgrund – Keine Befristung Drucksachen 18/11598, 18/11608, 18/11802 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/11598 mit dem Titel „Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund“. Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11608 mit dem Titel „Kein Sachgrund – Keine Befristung“. Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten Drucksachen 18/10972, 18/12075 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12075, den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10972 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 – Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten Drucksachen 18/11164, 18/11179, 18/12063 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11164 mit dem Titel „MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt“. Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11179 mit dem Titel „Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 – Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten“. Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Gartenbau sowie Garten- und Landschaftsbau als innovativen Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen Drucksachen 18/10018, 18/12150 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12150, den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10018 anzunehmen. Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor eineinhalb Jahren erreichte mit den Ermittlungen der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA einer der größten Industrieskandale das Licht der Öffentlichkeit. Heute, eineinhalb Jahre später, müssen wir leider feststellen, dass die Bundesregierung nahezu jede ernsthafte Konsequenz aus diesem Skandal verweigert. Mehr noch: Im Untersuchungsausschuss hat die Bundeskanzlerin zu diesem Skandal von „Vorkommnissen“ und „Verfehlungen Einzelner“ gesprochen. Ich sage: Diese Äußerungen sind ein Hohn für die Tausenden Menschen, die wegen der Stickoxidemissionen in unserem Land jedes Jahr vorzeitig sterben, und für Millionen betrogener Autofahrer. Die Worte der Bundeskanzlerin haben, ehrlich gesagt, das Potenzial für die Verharmlosung des Jahres. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich bin froh, dass wenigstens die EU-Kommission einige Vorschläge – wir würden uns noch sehr viel mehr wünschen – macht, um Konsequenzen zu ziehen, um Verbesserungen zu erreichen und um solche Skandale in Zukunft zu verhindern. Es passt ins Bild, dass die deutsche Bundesregierung in Person von Verkehrsminister Alexander Dobrindt die Umsetzung dieser Vorschläge in Brüssel boykottiert, sabotiert und verhindern will. Auch das zeigt: Man will keine Konsequenzen aus dem Skandal ziehen, meine Damen und Herren. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Quatsch, Herr Krischer! Quatsch!) Ich sage in aller Deutlichkeit: Der Vorschlag der EU-Kommission, die nationalen Zulassungsbehörden zu überwachen, ist notwendig und richtig. Wir haben in Deutschland erlebt, wie das Kraftfahrt-Bundesamt mit seinem Chef, Herrn Zinke, der Herrn Dobrindt untersteht, den Skandal ignoriert und keine Konsequenzen gezogen hat. Der eigentliche Skandal ist, dass Herr Zinke immer noch im Amt ist, wo er uns doch im Ausschuss erklärt hat, es sei überhaupt nicht seine Aufgabe, nachzuweisen, wie viel Emissionen Fahrzeuge auf der Straße haben. Wenn solche Menschen im Amt bleiben und vom Verkehrsminister gestützt werden, wenn weiter vertuscht wird, dann bedeutet das, dass die notwendigen Konsequenzen nicht gezogen werden. Das zeigt nur, wie richtig die europäische Überwachung der nationalen Zulassungsbehörden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Schärfste ist aber, dass die Bundesregierung auch stärkere Sanktionen und Strafen gegen die Trickser und Betrüger in der Automobilindustrie ablehnt. Wenn irgendwo in Deutschland ein Ladendieb erwischt wird, dann ist sofort ein Unionsabgeordneter zur Stelle, der schärfere Strafen fordert. Aber wenn es um die Trickser und Betrüger in der Automobilindustrie geht, wenn es um diejenigen geht, die die Verantwortung für diesen Skandal tragen, wollen Sie Strafen sogar verhindern. Sie unternehmen schon heute nichts, und Sie sorgen dafür, dass nicht einmal die Europäische Union die Grundlage für Strafen und Sanktionen schaffen kann. Das finde ich, ehrlich gesagt, skandalös. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es genauso skandalös und da passt ins Bild, dass Herr Dobrindt seit inzwischen eineinhalb Jahren CO2-Messungen, die das Kraftfahrt-Bundesamt durchgeführt hat und die ganz offensichtlich nicht den Regeln entsprechen, der Öffentlichkeit vorenthält. Hier soll im Sinne der Konzerne vertuscht und verschwiegen werden. Herr Dobrindt, Sie sind der Schutzpatron der Trickser und Betrüger. Das möchte ich hier in aller Klarheit sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Widerspruch bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Schäbig!) Meine Damen und Herren, mit dieser Aussage stehe ich nicht alleine. Ich zitiere wörtlich aus Onlinemedien von vorgestern. Da heißt es: Es ist bis jetzt nichts für eine tiefgreifende Verbesserung getan worden. Das hat nicht die Deutsche Umwelthilfe gesagt, das hat nicht Greenpeace gesagt, das hat niemand von der Opposition gesagt, sondern das hat die sogenannte Umweltministerin, Frau Hendricks, gesagt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Ich sage: An dieser Stelle hat Frau Hendricks absolut recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Es ist nichts getan worden, es sind keine Konsequenzen gezogen worden. Dass Sie, Frau Hendricks, im Untersuchungsausschuss vor nicht allzu langer Zeit das exakte Gegenteil erzählt haben und gegenüber Herrn Dobrindt eine regelrechte Schleimspur gezogen haben, müssen Sie mit sich selber ausmachen; (Ulli Nissen [SPD]: Unfug!) das ist mir egal. Aber Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen, warum eine Umweltministerin in anderthalb Jahren keinen einzigen Millimeter durchsetzt beim Thema Abgasskandal. Dafür gibt es nur eine Erklärung, meine Damen und Herren: Die Wirkungen Ihrer Forderungen sind geringer, als wenn irgendwo ein Sack Kartoffeln umfällt. Meine Damen und Herren, Sie fordern jede Woche etwas Neues, doch es endet immer im Nichts. So wird es auch jetzt wieder sein. Am Ende wird sich Herr Dobrindt durchsetzen. Das ist das Problem dieser Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Es kann nicht sein, dass dieser Abgasskandal am Ende bei den Städten und Kommunen abgeladen wird und bei den Autofahrern, die Autos gekauft haben im guten Glauben, dass ihre Fahrzeuge die Grenzwerte einhalten. Wir brauchen Programme zur Umrüstung. Da muss die Bundesregierung tätig werden. Es kann doch nicht sein, dass weiter jeden Tag Tausende nagelneue Euro-6-Fahrzeuge auf unsere Straßen kommen, die ebenfalls die Grenzen um das Fünf-, Sechs-, Sieben- oder Zehnfache überschreiten. Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie endlich dafür sorgt, dass Grenzwerte Grenzwerte sind und eingehalten werden, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrschaft des Rechts!) dass es Sanktionen gibt, dass es Konsequenzen gibt, dass die betroffenen Fahrzeuge entweder umgerüstet oder die Besitzer entschädigt werden. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Krischer, darf ich Sie an die Redezeit erinnern? Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wäre notwendig. Das müssen wir endlich machen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort Bundesminister Alexander Dobrindt. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Krischer, 2,5 Millionen VW-Fahrzeuge befinden sich gerade im verpflichtenden Rückruf, 680 000 Fahrzeuge anderer Hersteller in Deutschland stehen im Rahmen der Serviceaktion zur Umrüstung an. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Emissionsreduktion! Das ist gar nichts! Das ist Betrug am Verbraucher, was Sie da machen!) Und Sie reden hier davon, dass nichts getan wird. Das ist pure Heuchelei, weil Sie nicht wissen, wie man mit der ganzen Affäre umgeht. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben keinen Plan, was notwendig ist, weil Sie dafür vernünftig in Richtung Brüssel blicken müssten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Ihre Umweltministerin dazu? Wieso redet die denn nicht?) Ich habe bereits im letzten Jahr vor dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments klargestellt, was notwendig ist, damit wir in Zukunft in der Tat mehr Kontrolle und bessere Prüfungen haben, damit solche Manipulationen, wie wir sie erlebt haben, vermieden werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?) Erster und bedeutendster Punkt dabei ist, dass wir natürlich das Recht verändern. Heute steht aufgrund der europäischen Richtlinie ein Scheunentor offen. In dieser Situation ist man für Manipulationen anfällig. (Ulli Nissen [SPD]: Richtig!) Wir haben heute eine Richtlinie, die auf der einen Seite besagt, dass Abschalteinrichtungen verboten sind, und auf der anderen Seite besagt, dass es eine ganze Vielzahl von Ausnahmen gibt, die sich die Hersteller zunutze machen können. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Die erfinden „Thermofenster“!) „Motorschutz“ ist an dieser Stelle das Schlüsselwort, auf das sich nach europäischem Recht jeder berufen kann, um am Schluss in die Motorsteuerung einzugreifen, wenn es um die Emissionsstrategien geht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie könnten das alles unterbinden, wenn Sie wollten! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn, Herr Dobrindt? Nichts machen Sie!) Das ist natürlich falsch. Das muss verändert werden. Ansonsten bekommen wir diese manipulationsanfällige Regelung nicht in den Griff. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen habe ich bereits im letzten Jahr gegenüber der Europäischen Kommission, im Untersuchungsausschuss und übrigens auch am 7. Juni 2016 im Verkehrsministerrat gesagt: Wir haben nur eine Möglichkeit durch Veränderung des europäischen Rechts. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Hersteller, dass sich Ingenieure nicht mehr darauf berufen können, dass ihr Motor nicht leistungsfähig genug sei, um auf Dauer eine ordentliche Abgasstrategie zu verfolgen. – Ich kann dies sehr plakativ formulieren: Heute ist nach europäischem Recht möglich, dass der schlechteste Ingenieur, dass der schlechteste Motor, dass die unausgereiftesten und unterdimensioniertesten Motoren für sich die meisten Ausnahmen in Anspruch nehmen und dann die meisten Schadstoffe ausstoßen. Das ist grundfalsch und muss geändert werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das segnen Sie ab! Das hat mit europäischem Recht überhaupt nichts zu tun!) Im Gesetz müssen der Stand der Technik und die modernsten Technologien vorgeschrieben sein. Dann vermeiden wir in Zukunft solche Manipulationen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist billigstes EU-Bashing! Die Verantwortung auf die EU schieben! – Gegenruf der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]: Die EU sind wir!) Mit dieser Sachfrage wollen Sie sich nicht auseinandersetzen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum blockieren Sie die Vorschläge der EU?) Dabei geht es überhaupt nicht um EU-Bashing – das ist der Vorwurf, den Sie machen, anstatt sich mit der Sache auseinanderzusetzen –, sondern geht es darum, dass das, was vor vielen Jahren festgelegt wurde, überholt ist. Die Richtlinie ist von 2007. Das heißt, 2004 wurde begonnen, darüber zu diskutieren. Damals hat man über Motorengenerationen geredet, bei denen gar nicht vorstellbar war, was durch Digitalisierung, was durch Technisierung an Eingriffen möglich sein wird. Dass diese Richtlinie natürlich irgendwann verändert werden muss, dass das Recht natürlich den technischen Möglichkeiten folgen muss – das, was jetzt möglich ist, muss sich in der rechtlichen Konstruktion wiederfinden –, ist doch geradezu logisch. Das ist kein Vorwurf an diejenigen, die damals dieses Recht geschaffen haben. Aber das ist ein Vorwurf an diejenigen, die sich heute verweigern, dieses Recht zu ändern. Es ist in unserem Interesse, das Recht zu ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum blockieren Sie dann die Vorschläge auf EU-Ebene?) Übrigens ist die EU-Kommission an der Stelle gar nicht so unwillig, unseren Vorschlägen zu folgen. Sie hat am 26. Januar dieses Jahres Leitlinien herausgegeben, wie man die europäische Verordnung 715/2007 zu interpretieren hat. Interessanterweise schreibt sie genau das in die Leitlinien, was wir an Rechtsänderungen einfordern: Wenn es andere Technologien gibt, die am Markt verfügbar sind, wenn es moderne Technologien gibt, die das Risiko beseitigen, dass der Motor einen Schaden nimmt, dann sollten sie, soweit technisch möglich, verwendet werden. – Das schreibt jetzt die Kommission in ihren Leitlinien. Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Das ist ein Zugehen auf unsere Forderungen. Das Problem ist nur: Diese Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten nicht rechtlich verpflichtend. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wenden Sie sie doch an!) Wir gehen viel weiter, als es die Kommission vorschlägt. Wir wollen, dass es rechtlich verpflichtend wird, die modernsten Technologien einzusetzen. Das muss jetzt in Brüssel entschieden werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wenden Sie sie nicht an?) Des Weiteren ist auch der Vorwurf von Ihnen, wir würden uns dem entziehen wollen, dass es mehr Kompetenzen auf europäischer Ebene gibt, vollkommen falsch. Wir haben bereits im letzten Jahr gegenüber der Kommission, im Rat am 7. Juni und im Untersuchungsausschuss in Brüssel wie auch im Untersuchungsausschuss hier im Bundestag klargemacht, dass wir eine Clearingstelle in Europa brauchen. Wir haben aktuell die Situation, dass die Zulassungsbehörden der Länder und vielleicht auch die Länder zu einer unterschiedlichen Bewertung darüber kommen, was im Rahmen des geltenden Gesetzes an Abgasstrategie zulässig ist oder nicht. Genau solche Diskussionen gibt es aktuell auch zwischen den Zulassungsbehörden in Deutschland und Italien und übrigens auch zwischen den Ministerien in Deutschland und Italien hinsichtlich des Falles Fiat. Wenn man zu unterschiedlichen Bewertungen kommt, braucht man logischerweise einen Schiedsrichter, der in der Lage ist, erstens selber zu prüfen, zweitens auch fachlich zu bewerten und drittens zu einer Entscheidung zu kommen, wer recht hat. Sind es die einen, die sagen: „Ja, da ist wahrscheinlich etwas, was sich außerhalb des Rechts bewegt“, oder haben die anderen recht, die sagen: „Nein, es ist alles in Ordnung“? Solch eine Entscheidungsstelle, eine Clearingstelle wird von uns gefordert. Sie muss in Brüsseler Kompetenz liegen. Wir wollen nicht, dass die Brüsseler nur moderieren und sagen: Wir wissen auch nicht, ob die Deutschen oder die Italiener recht haben. – Sie müssen zum Schluss entscheiden, wer recht hat, ob hier Manipulation stattfindet oder nicht. Auch das ist unsere Forderung ans europäische Recht. Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass diese Kompetenz in Europa geschaffen wird. Aber die Europäer müssen sie auch wollen. Leider ist diese Clearingstelle in dem, was bisher aus Europa gekommen ist, so nicht vorgesehen. Wir fordern sie aber von Brüssel ein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Europa ist also wieder schuld, ja? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein einziges Europa-Bashing, was Sie hier machen! An allem ist wieder Europa schuld!) – Ich weiß nicht, warum Sie nicht bereit sind, sich mit diesen wichtigen Sachfragen auseinanderzusetzen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Sie nicht!) Wenn wir nicht wollen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu ähnlichen Debatten kommt, dann werden wir die Gesetze ändern müssen. Wenn wir nicht wollen, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Frage gestellt wird: „Wieso konnte man das wieder nicht verhindern?“, dann müssen wir jetzt an das europäische Recht heran. Die Prüfmechanismen haben wir verbessert. Wir wenden in Zukunft die RDE-Verfahren, die realistischeren Prüfverfahren, an. „Real Driving Emission“ heißt, wir nehmen die Messungen auf der Straße vor – wir gehen also weg von der Rolle – und passen sie stärker an das Fahrverhalten der Bürger an. Das ist schon entschieden und wird in diesem Jahr, übrigens auf Druck der Bundesregierung, umgesetzt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotz der Bundesregierung!) Wir erwarten davon natürlich, dass deutlich realistischere Ergebnisse erkennbar werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Witz!) Wir haben auch Dopingtests eingeführt (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und fordern, dass dies in ganz Europa geschieht. Fahrzeuge müssen auch während ihrer Lebenszykluszeit daraufhin überprüft werden, ob sie noch den Regeln entsprechen. Dafür haben wir portable Messgeräte angeschafft, und wir schaffen beim KBA eigene Test- und Prüfanlagen an. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist ein Dopingtest, Herr Dobrindt? „Dopingtest“ oder „Dobrindt-Test“?) Außerdem gehen wir – das ist eine Beratungsleistung, die mit vom Verkehrsausschuss erbracht worden ist – bei den Abgasuntersuchungen wieder auf Endrohrmessungen über. Denn es geht nicht nur um werksseitige Manipulationen, sondern auch darum, dass es im Laufe des Lebenszyklus eines Fahrzeugs natürlich auch zu Veränderungen kommen kann, die nicht dem Recht entsprechen. Das können wir bei den Abgasuntersuchungen zukünftig durch Endrohrmessungen überprüfen und feststellen und es gegebenenfalls auch ahnden. Das ist ein Teil der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, um dafür zu sorgen, dass solche Manipulationen zukünftig nicht mehr möglich sind. Jetzt ist die Aufgabe, daran zu arbeiten, dass in Europa die Weichen richtig gestellt werden, damit wir solche Manipulationen in Zukunft verhindern können. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann stellen Sie denn mal eine Weiche? Eine Weiche wenigstens!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dobrindt, es geht nicht um Regelungen in der Zukunft, und es geht auch nicht darum, was in Europa entschieden wird und manchmal nicht entschieden worden ist. (Alexander Dobrindt, Bundesminister: Natürlich geht es darum!) Es geht auch darum, dass denjenigen, die unter den Abgasemissionen leiden – das sind Allergiker, schwache und alte Menschen –, bereits heute die zugesicherten und real existierenden Grenzwerte zugebilligt werden. Sie wollen geschützt werden, und zwar dadurch, dass aktuelle Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden und sie sich nicht als völlig fehlerhaft darstellen. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen haben sich darauf verlassen, dass Euro-6-Fahrzeuge saubere Fahrzeuge sind. Da sie die neueste Technologie enthalten, musste man davon ausgehen, dass sie die Grenzwerte einhalten. Es geht schließlich darum, dass die Menschen vor den lebensgefährlichen Stickoxiden, die die alten Dreckschleudern ausgestoßen haben, geschützt werden wollen und sollen. Es geht auch darum, dass es eine vernünftige und wirksame Durchsetzung der Gesetze gibt, die zwar der Gesetze, die heute bestehen, und nicht der, die morgen erst verabschiedet werden müssen. Mit einem Mal bekommt der Begriff „Euro 6“ eine ganz andere Bedeutung. Die UBA-Studie stellt fest, dass Euro-6-Fahrzeuge mit neuester Technologie – seit dem Jahr 2014 gültig – offenbar sechsmal mehr Schadstoffe ausstoßen, als sie ausstoßen dürfen. (Kirsten Lühmann [SPD]: „Sollten“!) Die Motoren verfügen über die neuesten Bauarten, (Kirsten Lühmann [SPD]: Leider ist es legal, was da passiert!) aber die Fahrzeuge stoßen sechsmal mehr aus, als die Automobilkonzerne bei der Typgenehmigung angegeben haben. Das ist nicht nur eine grobe Missachtung geltender Vorschriften, und das ist keine Ordnungswidrigkeit mehr; vielmehr kommt das einem Abgasbetrug gleich. (Beifall bei der LINKEN) Betrogen werden die Behörden, die für die Zulassung der Motoren zuständig sind. Betrogen werden die Bürgerinnen und Bürger, die erwarten können, dass ihre Gesundheit geschützt wird; das hat einen wichtigen Stellenwert für uns. Betrogen werden die Autofahrerinnen und Autofahrer, die ein vermeintlich sauberes Auto fahren wollen, wenn sie denn auf ein Auto angewiesen sind. Auf dieses Handeln der Automobilkonzerne muss doch sofort reagiert werden, und zwar nicht, indem man darauf hinweist, was morgen in Europa geregelt werden muss. Es muss Tacheles geredet werden. Ein Ende muss her bei diesen Betrügereien. (Beifall bei der LINKEN) Doch was unternehmen Sie, Herr Dobrindt, als verantwortlicher Verkehrsminister? Wieder einmal antworten Sie – ich bleibe dabei – mit Nichtstun. Beim Nichtstun sind Sie, Herr Dobrindt, eindeutig ein Wiederholungstäter. (Alexander Dobrindt, Bundesminister: Das ist falsch!) Wenn Sie, Herr Dobrindt, angesichts dieser Untersuchungsergebnisse des UBA nicht sofort und angemessen scharf reagieren, dann gefährden Sie nicht nur die Gesundheit der Menschen, Sie zerstören auch das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Werte, die ihnen immer vorgetragen werden. Sie gefährden damit auch Arbeitsplätze von Zehntausenden von Kolleginnen und Kollegen in der Automobilindustrie. Beenden Sie Ihr Nichtstun! Handeln Sie jetzt! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist zu tun? Die Automobilkonzerne müssen klar und deutlich nachweisen, ob sie die Abgaswerte, die sie angegeben haben, bei der Motorenprüfung einhalten können. Können sie das nicht nachweisen, dann sind diese Motoren unter Umständen aus dem Verkehr zu ziehen, dann darf es sie nicht geben. (Beifall bei der LINKEN) Nach Nachrüstungen sind Messungen zu machen, und diese sind zu kontrollieren. Die Ergebnisse der Nachmessungen müssen offengelegt werden und dürfen nicht weiterhin verheimlicht werden, wie wir auf unsere Nachfragen in der Fragestunde gestern gehört haben. Abgasbetrüger unter den Automobilkonzernen müssen Strafen zahlen, weil sie sich nicht an geltendes Recht halten. Das ist nicht nur nötig, sondern auch möglich. Auf europäischer Ebene ist verabredet, dass Sanktionen gegenüber den Herstellern verhängt werden können und müssen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind. So steht es geschrieben. (Beifall bei der LINKEN) Nicht zuletzt müssen Verbraucherinnen und Verbraucher, die durch diesen Betrug einen wirtschaftlichen Schaden erleiden, Anspruch auf Entschädigung haben. Das alles muss, wie schon gesagt, sofort passieren, weil wir die Gesundheit der Menschen schützen wollen, weil wir den Beschäftigten der Automobilindustrie Sicherheit geben wollen. Sie wollen wissen, wohin die Reise in Sachen Antriebstechnologie geht. Wir müssen uns als Gesetzgeber ernst nehmen und dürfen uns nicht zum Büttel der Konzerne machen, die uns bei der Angabe von Grenzwerten offenbar an der Nase herumführen. Jeder Bürger und jede Bürgerin muss sich an geltendes Recht halten. Das gilt genauso für die wirtschaftlich Mächtigen in unserem Land. (Beifall bei der LINKEN – Kirsten Lühmann [SPD]: Die halten sich aber an geltendes Recht! Das ist das Problem!) Die Verkehrsminister der Länder beraten zurzeit in Hamburg darüber, wie die Gesundheitsgefährdung durch einen niedrigeren Ausstoß von Stickoxiden und Feinstaub verringert werden kann. Sie behandeln auch die UBA-Studie. Das sind die Themen, die auf den Tisch gehören, die jetzt einer Lösung zugeführt werden müssen. Die Schadstoffausstöße müssen real gesenkt werden. Es darf nicht immer auf das Recht verwiesen werden, das so etwas vermeintlich nicht möglich macht. Wir sind der Meinung, diese rechtlichen Grundlagen sind vorhanden; denn die Motoren sind nach Euro 6 genehmigt, die diese Grenzwerte reißen. Von daher sind wir gehalten, sofort zu handeln. Ich fordere die SPD auf, in dieser Frage zumindest selber ihre Umweltministerin ernst zu nehmen. Fordern Sie Frau Hendricks auf, dem untätigen Verkehrsminister auf die Füße zu steigen, (Ulli Nissen [SPD]: Wir sind nicht gewalttätig!) damit es zu einem Ende beim Abgasbetrug kommt und es keine Fortsetzung des Abgasbetruges in weiteren Ländern gibt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Arno Klare spricht jetzt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arno Klare (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In gefühlt ungefähr zehn Aktuellen Stunden – ich sage es etwas salopp – seit dem 15. September 2015, seit der Skandal bei VW in den Zeitungen stand, habe ich von diesem Pult aus Forderungen erhoben, was gemacht werden müsse. Jetzt möchte ich das Soll, das ich damals aufgestellt habe, mit dem Ist heute vergleichen. Erstens. Wir haben immer gefordert, dass wir realistische Testverfahren brauchen. Wir werden irgendwann heute in der Nacht einen Stichtag beschließen – wahrscheinlich werden die Reden zu Protokoll gegeben –, ab dem der neue Testzyklus WLTP steuerrechtlich relevant wird. Das ist hinsichtlich der Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ein sehr lapidarer Vorgang, aber was dieses Prüfverfahren angeht, ist es natürlich ein Meilenstein. Das muss man einfach sehen. Wir sagen jetzt: WLTP gilt. Damit haben die Verbraucher deutlich realistischere Verbrauchswerte. Diese Forderung haben wir immer erhoben. Zweitens wurde etwas erledigt – das, was ich jetzt sage, ist sehr technisch –, das ich immer wieder kritisiert habe. Die Ermittlung der Ausrollwerte, nach denen die Versuchsstände, auf denen der WLTP läuft, kalibriert werden, ist endlich normiert und reguliert. Wer in diese WLTP-Gesetzgebung schaut, wird feststellen, dass sogar das Gewicht des Fahrers normiert ist. Hier gab es vorher Tricks. Man hat irgendwelche Fugen abgeklebt, überschwere Räder verwendet etc., um die Ausrollwerte zu verbessern. Das alles geht nicht mehr. Das ist jetzt auch mit erledigt. (Beifall bei der SPD) Der dritte Punkt, den ich immer wieder gefordert habe, war: Wir brauchen RDE, wir brauchen Tests, die wirklich live laufen. Auch das ist jetzt – das gehört übrigens mit dem WLTP zusammen – State of the Art. Ab diesem Jahr wird das gemacht werden. Viertens haben wir immer gefordert – ich war übrigens der Erste, der das überhaupt gefordert hat –, dass die Motorsteuerungssoftware offengelegt werden muss. Die Emissionsstrategie – die Motorsteuerungssoftware ist ein Teil davon – muss bereits seit dem 1. April 2016 beim KBA hinterlegt werden. Das geschieht also schon seit einem Jahr; das ist also schon vollzogen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Sehr gut!) Ich habe fünftens immer gefordert, Conformity-in-Use-Tests zu machen. So heißt das im schönen Neuhochdeutsch. Die Fahrzeuge sollen also getestet werden, wenn sie im Feld laufen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es müssen Handlungen daraus folgen!) Auch das macht das KBA – der Minister hat gerade darauf hingewiesen – seit dem 1. Januar 2017. Das wird jetzt verstärkt sozusagen in der Realität ankommen. Die Endrohrmessungen – Punkt sechs – sind gerade schon erwähnt worden. Der Herr Kollege Wittke – ich weiß nicht, ob er da ist – und ich sind mit den Herstellern von Katalysatoren im Gespräch. Sie haben uns vorgeschlagen, ein Testverfahren zu entwickeln, das sogar in der Lage ist, NOX auf der Rolle in der Werkstatt zu messen. Ich warte einmal darauf, was sie uns liefern. Die von mir sehr geschätzte Umweltministerin hat in den letzten Tagen die Forderung erhoben, Fahrzeuge nachzurüsten. Ich kann nur sagen: Ja, das geht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!) Im Hightechland NRW – das ist jetzt der Werbeblock für NRW – (Beifall bei der SPD) gibt es eine Firma mit Namen Twintec. Sie sitzt in Königswinter. Sie baut solche Dinge. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen eine Bundesregierung, die das durchsetzt, Herr Klare! Das ist das Problem!) – Hören Sie mal zu. – Sie hat jetzt ein Euro-5-Fahrzeug – einen VW-Diesel mit 1,6 Litern – mit einem Nachrüst-KAT umgerüstet. Dessen Werte sind jetzt um 93,5 Prozent besser als nach der Euro-5-Norm. Das heißt, es geht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!) Es muss nur in Serie hergestellt werden. Insofern sind wir hier auf einem guten Wege. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Dobrindt sitzt da!) Wir müssen in den Städten natürlich zum Beispiel auch die letzte Meile in der Logistik dieselfrei machen. DHL macht vor, wie es geht. Sie hat Elektrofahrzeuge, mit denen die Briefe und Pakete ausgeliefert werden. Diese Fahrzeuge werden übrigens in Aachen, also auch in Nordrhein-Westfalen, produziert. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Daneben müssen wir die Busflotten entdieseln. Wer fördert das? Die Bundesumweltministerin, die gerade so viel gescholten wurde, hat ein Programm aufgelegt, mit dem die Umrüstung von ÖPNV-Bussen auf EBusse gefördert wird. (Beifall bei der SPD) Das ist sehr sinnvoll. (Alexander Dobrindt, Bundesminister: Der Verkehrsminister ist nicht ganz unbeteiligt!) – Der Verkehrsminister ist da nicht ganz unbeteiligt; das stimmt. Sorry, dass ich hier jetzt einmal Frau Hendricks erwähnt habe. – Das Land Nordrhein-Westfalen macht das, und das Land Niedersachsen macht das sozusagen zusätzlich. Das sind die richtigen Schritte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Daneben müssen wir die Taxiflotten entdieseln, um den Menschen zu nutzen. Das ist der nächste große Schritt. Außerdem müssen wir die Steuerverbesserungen in Bezug auf Erdgas und Autogas, die es im Moment gibt, endlich fortsetzen bzw. fortschreiben, weil das Übergangstechnologien sind. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch endlich, was Sie tun wollen! Sie tun doch nichts! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Zuhören!) – Wir müssen das jetzt noch tun, und ich ermahne uns sozusagen selbst, das jetzt noch einmal auf die Tagesordnung zu heben. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Herr Krischer nicht!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Müller für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten heute ja eine ganze Reihe von Werbeblöcken mit Blick auf NRW. Beim ersten Werbeblock hat man gar nicht gemerkt, dass es zwei Werbepartner waren, die in NRW eigentlich Hand in Hand regieren wollen. Die scharfen Angriffe des Kollegen Krischer auf die Bundesumweltministerin Hendricks waren schon ganz bemerkenswert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Pfui war das!) Man wundert sich, dass Ihre beiden Landesverbände dort zusammen etwas zustande bringen wollen. Aber ich sage einmal – damit will ich Ihren Werbeblock abrunden –: Es ist Besserung in Sicht. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen hat Frau Göring-Eckardt – sie hat es vorgezogen, an dieser Diskussion nicht mehr teilzunehmen – behauptet: 10 000 Menschen in Deutschland sterben aufgrund der Belastung durch Stickoxide. Der Kollege Krischer (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) wusste es noch etwas besser. Er hat nämlich im Untersuchungsausschuss gesagt: Es sind nicht 10 000, sondern genau 10 610 Menschen. (Ulli Nissen [SPD]: Das war Herr Resch!) – Herr Krischer hat es wiederholt, aber auch Herr Resch hat es behauptet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die Europäische Umweltagentur!) Meine Damen und Herren, es ist bemerkenswert, dass Sie in dieser Diskussion, die etwas mehr Sachlichkeit erfordert, unterschlagen haben, dass selbst die Sachverständigen, die auf Vorschlag der Opposition im Abgasuntersuchungsausschuss gehört worden sind, eine Kausalität überhaupt nicht erkennen konnten und auch in Abrede gestellt haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen, es ist gar kein Problem! Das ist ja interessant! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber gesundheitsschädlich ist es schon! Gehen Sie da mit?) Es hilft in einer Diskussion, die man sehr sachlich führen soll, die Dinge in einen Rahmen einzuordnen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum tut denn der Umweltminister dann so viel, wenn es so klar ist? – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Es ist die Umweltministerin! Vorsicht!) Es gibt Stickoxidgrenzwerte für die Umgebungsluft. Der Jahresmittelwert ist danach auf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter festgelegt. Der maximale Stundenwert beträgt 200 Mikrogramm pro Kubikmeter und darf 18mal im Jahr überschritten werden. Das passiert. Jetzt hält sich der Mensch, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, zu 80 Prozent seiner Lebenszeit in geschlossenen Räumen auf. Viele gehen anständig einer Arbeit nach. Deswegen macht es Sinn, sich vergleichbare Grenzwerte an anderen Stellen anzugucken, um das, wie gesagt, einordnen zu können. Es war durchaus überraschend, festzustellen, dass ein Komitee der Europäischen Kommission, die Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Ausschuss für Gefahrstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Stickoxidgrenzwert für Arbeitsplätze festgelegt haben. Er beträgt – das hat mich zugegebenermaßen überrascht – 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft als Dauerbelastung, und zwar acht Stunden am Tag, gemessen über die gesamte Lebensarbeitszeit. Dieses Komitee stellt zur noch größeren Überraschung fest, dass ein Erreichen dieses Grenzwertes zu keiner Gesundheitsbeeinträchtigung führen wird. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu ausgeschlossen – deswegen gelingt es Ihnen nicht –, die von Ihnen immer wieder leichtfertig behauptete und zur Skandalisierung herangezogene Kausalität zu untermauern. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, Herr Müller, was macht die Europäische Union alles: Vertragsverletzungsverfahren! Es ist nicht zu fassen, was Sie da erzählen! Unfassbar!) Meine Damen und Herren, mein Kollege Klare hat eben die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, sinnvoll dargestellt. Der Beitrag von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Dinge entsprechend profiliert. Wir müssen insofern die Erkenntnisse des Abgasuntersuchungsausschusses am besten in dieser Aktuellen Stunde – wir führen sie zu diesem Thema nicht das erste Mal durch – rekapitulieren. Es war die Bundesregierung, die auf europäischer Ebene fortgesetzt für die Einführung von Real Driving Emissions (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) und des WLTP-Standards gekämpft und sich dafür eingesetzt hat. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Arno Klare [SPD], an den Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Jetzt ist es aber gut!) Sie hat das gemacht, obwohl wir bekanntermaßen ein Kfz-Produktions-Land sind. Die Bundesregierung hat sich durchaus Unterstützung von anderen Ländern gewünscht. Diese gab es sehr spärlich. An unserer Seite waren regelmäßig die Österreicher. Die Niederländer waren dabei. Viele Länder haben sich in Attentismus geübt, im Übrigen auch viele Länder, in denen seinerzeit Grüne an den Regierungen beteiligt waren, und haben diese Verfahren eher blockiert. Deswegen ist es richtig, sinnvoll und gut, dass die Dinge jetzt auf den Weg gebracht werden. Es ist auch richtig, sinnvoll und gut, dass wir entsprechend nachhalten, und zwar mit einer Aufstockung der Mittel für das KBA, um eigene Tests – nicht durch Beauftragte, auch wenn das sicherlich seriöse Unternehmen sind – durchführen und die Ergebnisse überprüfen zu können. Es gibt weitere Maßnahmen, etwa die Offenlegung der Quellcodes bei der Fahrzeugsteuerung. Der Kollege Klare hat für sich in Anspruch genommen, das als Erster gefordert zu haben. Ich glaube, Sie hatten damals in der ersten Aktuellen Stunde zu diesem Thema kurz nach mir gesprochen; auch ich hatte das erwähnt. (Heiterkeit bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das können wir im Protokoll nachlesen!) Im Grunde genommen gibt es viele gute Initiativen aus dem Parlament heraus. Auch das gehört dazu. Auch das Stichwort „Endrohrmessung“ ist schon gefallen. Meine Damen und Herren, was müssen wir machen? Wir müssen auf alternative Antriebsformen achten und Gasantriebe weiter fördern. Es ist sinnvoll, Feinstaub und die CO2-Emissionen zu reduzieren; auch darauf müssen wir achten. Die Fokussierung nur auf Stickoxide ist sogar fehlerhaft. Uns geht es doch um Umwelt- und Klimaschutz. Deswegen müssen wir eben auch auf den CO2-Ausstoß achten. Wir müssen Gasantriebe fördern und Endrohrmessungen machen. Wir müssen Filternachrüstungen unterstützen, im Übrigen eine Initiative der Unionsfraktion. Dann kommen wir auf einen guten Weg. Bei dieser Bundesregierung können Sie ganz sicher sein, dass wir das so machen werden und dass wir auf europäischer Ebene die hohen Standards, die wir für uns wollen, umsetzen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulli Nissen [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Sabine Leidig spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Fast alle Autohersteller – von VW über Daimler, Fiat, Peugeot und BMW – haben über Jahre bei den Abgaswerten ihrer Automobile betrogen, und sie tun es weiter. Es ist etwa eineinhalb Jahre her, dass dieser Skandal aufgeflogen ist – das wurde gerade schon angesprochen –, aber passiert ist nichts oder nur relativ wenig bzw. nichts Spürbares. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!) Wir haben jetzt die Situation, dass gerade heute, am selben Tag, an dem wir tagen, vor dem Landgericht Stuttgart ein Strafverfahren stattfindet, das die Deutsche Umwelthilfe gegen Daimler angestrengt hat, weil dieser Automobilkonzern für ein Fahrzeug mit den niedrigstmöglichen Emissionswerten wirbt und sich bei einer Überprüfung durch unabhängige Teststellen herausgestellt hat, dass auch dieses Fahrzeug die Grenzwerte um ein Mehrfaches überschreitet. Der Betrug geht also weiter, und Sie brüsten sich mit irgendwelchen Spitzfindigkeiten, mit denen Sie vielleicht irgendwann irgendetwas regeln. Ich finde, dass der Skandal damit fortgesetzt wird. Und der größte Skandal ist eigentlich, dass es die Bundesregierung ermöglicht, dass sich an den tatsächlichen Emissionen nichts geändert hat. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Carsten Müller hat gerade gesagt, dass das ja nicht so schlimm sei, weil die Leute sich zu 80 Prozent im Haus aufhalten (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Sie verdrehen das schon wieder! Sie arbeiten fortgesetzt mit Verdrehungen und Unterstellungen! Bleiben Sie bitte präzise! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Müller, Sie sind eine einzige Verdrehung!) und sich von daher diese Grenzwertüberschreitung ohne Probleme verschmerzen ließe. Das kommt mir ein bisschen so vor wie in der Zeit, als die Atomkraft noch sehr umstritten war und man gesagt bekam, wenn es ernst wird, müsse man die Aktentasche über den Kopf halten und sich ansonsten mit Alufolie zudecken; das sei alles nicht so schlimm. (Zuruf von der CDU/CSU: Da muss man fast schon Mitleid haben!) Es ist schlimm, und es ist deshalb schlimm, weil die unterschiedlichen Schadstoffe, die aus den Autoauspuffen ausgestoßen werden, eben nicht nur Klima und Umwelt schädigen, sondern auch die Gesundheit. Die Atemwege werden angegriffen. Die Schleimhäute werden gereizt. Husten, Augenreizungen, Kreislauf- und Herzerkrankungen können die Folge sein. Besonders betroffen sind Menschen, die mit Asthma geschlagen sind, und Kinder, die einen viel höheren Luftumsatz haben als Erwachsene. Es ist unverantwortlich, dass zugelassen wird, dass die Atemluft permanent vergiftet wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir es mit einer Gruppe von habgierigen Menschen zu tun hätten, die es sich in den Kopf gesetzt haben, tröpfchenweise unser Trinkwasser zu vergiften, um daraus Profit zu schlagen, dann – da bin ich mir sicher – wäre der Aufschrei auch in diesem Hause groß, und es würde alles darangesetzt werden, diese Leute dingfest zu machen, ihnen das Handwerk zu legen, das Trinkwasser sofort zu reinigen und die Verantwortlichen zu bestrafen. Bei dem Abgasskandal geht es um die Atemluft. Sie ist genauso relevant für die Menschen wie das Trinkwasser, und ich finde, es müssen genauso harte, starke und sichtbare Konsequenzen ergriffen werden. (Beifall bei der LINKEN) Leider ist das nicht der Fall. Schauen Sie sich einmal die ziemlich populäre Kabarettsendung Die Anstalt vom 7. März dieses Jahres an. Darin werden die Zusammenhänge beleuchtet, wie das Management der Automobilindustrie systematisch die winzigen Gesetzeslücken ausnutzt, wie systematisch nicht nur Herr Dobrindt, sondern auch die Bundeskanzlerin dafür sorgen, dass das möglich ist, wie sie systematisch dafür sorgen, dass es keine unabhängigen Kontrollen gibt, dass es auf europäischer Ebene keine schärferen Maßnahmen gibt, dass selbst die bestehenden Abgasgrenzwerte deutlich zu hoch sind, weil die Bundesregierung darauf Einfluss genommen hat. Dies alles kann man dort hervorragend nachvollziehen. Einer der Sätze, die mir aus dieser Sendung haften geblieben sind und den ich hier gerne zitiere, ist: „Dobrindt organisiert das Verbrechen.“ (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Geht es auch ein bisschen weniger scharf? Das ist ja unglaublich!) – Ich kann Sie nur anregen, sich diese Sendung anzuschauen. Sie ist noch bis Mitte nächsten Jahres in der Mediathek des ZDF abzurufen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das überschreitet das parlamentarisch zulässige Maß! – Ulrich Lange [CDU/CSU]: Irgendwann ist es gut! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Sendung war gut!) – Dann können Sie sich ja mit einer Beschwerde an die Sendungsmacher wenden. (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Vertreter der SED-Nachfolgeorganisation! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Satire darf alles!) Ich habe das hier nur zitiert. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Da klatschen ja noch nicht einmal Ihre eigenen Leute! Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Leidig, das, was Sie sich jetzt hier zu eigen gemacht haben, ist nicht parlamentarisch. Ich erteile Ihnen deshalb einen Ordnungsruf. (Beifall bei der CDU/CSU) Sabine Leidig (DIE LINKE): Okay. Ich gebe ihn dann an das ZDF weiter. Wir haben vor anderthalb Jahren mit einem umfangreichen Antrag der Linken eine ganze Palette von Vorschlägen gemacht, wie mit diesem Abgasskandal konsequent umgegangen werden muss. Eine klitzekleine, aber wirksame Konsequenz wäre zum Beispiel, die Geschwindigkeit zu begrenzen; denn je schneller die Autos fahren, desto mehr Abgase werden ausgestoßen. Angesprochen haben wir aber natürlich auch das ganze Thema der unabhängigen Kontrolle, die Bestrafung der Verantwortlichen und die Pflicht, an die Betrogenen Entschädigungen zu zahlen. Das alles haben Sie nicht in Angriff genommen. Deshalb ist unser Antrag nach wie vor aktuell. Wir werden weiter darum ringen, dass mit solchen ungerechten Verhältnissen gerecht umgegangen wird. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli Nissen für die SPD. (Beifall bei der SPD) Ulli Nissen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute nicht zum ersten Mal über dieses Thema, und es wird wohl auch nicht das letzte Mal sein. Die Meldungen der letzten Tage haben uns alle wieder aufgeschreckt. Seit „Dieselgate“ bekannt wurde, ist vieles passiert. Wir haben einen Untersuchungsausschuss dazu eingesetzt, in dem ich selber Mitglied bin, der in langen Sitzungen und Zeugenbefragungen die Hintergründe und Verstrickungen klären soll. Wir haben über Umrüstungsmöglichkeiten gesprochen. Wir haben auf die RDE gesetzt, also auf Tests im realen Fahrzeugbetrieb und nicht im Labor. Was kommt jetzt? Zum einen hören wir, die Bundesregierung blockiere schärfere Kontrollen in Europa. Zum anderen zeigt eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes, dass Diesel der Euro-6-Norm 507 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen. Der erlaubte Grenzwert liegt bei 80 Milligramm. Das ist also mehr als das Sechsfache. Die Euro-6-Norm ist die strengste der Abgasnormen in der Europäischen Union. Sie gilt seit September 2014 für alle neuen Pkw-Typen und seit September 2015 für alle neuen Pkw. Fahrzeuge, die diese strengste Norm erfüllen sollen, stoßen auf der Straße, also im realen Fahrbetrieb, mehr als das Sechsfache des Erlaubten an Schadstoffen aus. Damit erscheinen jegliche Überlegungen, Fahrverbote zu erlassen und nur noch Dieselfahrzeugen der Euro-6-Norm die Zufahrt zu gestatten, eigentlich erledigt. Es überrascht jetzt auch niemanden mehr, dass der UBA-Studie zufolge alle älteren und neuen Dieselautos viel mehr Schadstoffe ausstoßen als angenommen. Statt wie vermutet 575 Milligramm Stickoxide wurden 2016 tatsächlich durchschnittlich sogar 767 Milligramm ausgestoßen. Es geht hier aber nicht nur um die Zahlen und Grenzwerte. Es geht darum, was dahintersteckt und was diese Überschreitungen tatsächlich für Mensch und Umwelt bedeuten. Sie bedeuten, dass die Gesundheitsgefährdung noch höher ist als angenommen. Denn Luftverschmutzung macht krank. Lieber Kollege Müller, ob es nun 10 000, 7 000 oder 1 000 sind: Jeder einzelne Tote ist mir zu viel. (Beifall bei der SPD) Das sind Zigtausende Schicksale. Mit ihnen sind auch ihre Angehörigen betroffen. Im Interesse der erkrankten Menschen – denken Sie nur daran, was sie mitmachen – müssen wir intensiv handeln. Das sind ebenfalls zigfach mehr als durch Verkehrsunfälle Betroffene. Darum muss es uns gehen, wenn wir über die Überschreitungen der Grenzwerte reden. Ich selber versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen. 90 Prozent meiner Wege in Frankfurt mache ich mit meinem Elektroroller oder mit meinem kleinen Elektroauto. Wir müssen schauen, was wir in Zukunft besser machen können. Es muss darum gehen, dass wir den Schadstoffausstoß aus Kraftfahrzeugen deutlich verringern, damit wir die Gefahr für Mensch und Umwelt minimieren. Nun heißt es, die Bundesregierung blockiere in Europa. Jetzt muss ich einmal deutlich trennen. Ich spreche hier als Mitglied des Umweltausschusses. Wenn ich die Äußerungen unserer Bundesumweltministerin Barbara Hendricks – auch aus den letzten Tagen – betrachte, dann kann ich nur sagen: Hier klingt nichts nach Blockade. Was ich von ihr höre, sind vielmehr klare, deutliche Aussagen und Positionierungen. Liebe Barbara Hendricks, dafür großen Dank! (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nur leider keine Konsequenzen! Herr Dobrindt sagt, was geschieht!) Die Haltung der Bundesumweltministerin und somit auch eines Teils der Bundesregierung ist klar: Unsere Bundesumweltministerin will die Hersteller stärker in die Pflicht nehmen. Sie fordert eine unabhängige Überwachung des Marktes. – Dabei hat sie meine volle Unterstützung. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Treten Sie Dobrindt doch einmal auf die Füße!) Barbara Hendricks verlangt von den Herstellern, die existierenden Dieselfahrzeuge nachzurüsten. Sie verlangt auch, dass die Hersteller die Kosten dafür tragen. Das wird teuer. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Herr Dobrindt sagt das Gegenteil!) Aber damit tragen diejenigen die Kosten, die den Schaden verursacht haben, nämlich die Hersteller. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer setzt sich durch? Dobrindt!) Formulieren wir es klar: Das Verursacherprinzip kreischt. Herr Krischer, das Wortspiel tut mir leid. Es passt aber so, und damit haben Sie, Herr Krischer, jetzt in mir etwas ausgelöst. (Heiterkeit im ganzen Hause) Das Verursacherprinzip greift. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundesumweltministerin will wirksame Kontrollen und eine bessere Überprüfung der Umweltstandards. Das ist keine Blockade. Man kann sicherlich diskutieren, ob die Vorschläge, die Prüfung von der nationalen auf die europäische Ebene zu verlagern, zielführend sind. Ich bin der Meinung, dass es wichtiger ist, dass nicht mehr die Hersteller selber TÜV oder DEKRA beauftragen. Wer es macht, ist mir egal; aber es muss vernünftig und richtig geprüft werden. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Und es muss eingehalten werden!) Herr Dobrindt, hier sind Sie federführend. Wegducken hilft nicht. Die Automobilindustrie zu schützen, hilft hier auch nicht weiter. Der Automobilindustrie hilft es mehr, wenn der Vertrauensverlust endlich beseitigt wird. Deshalb müssen wir handeln. Wir brauchen Tests unter realen Bedingungen, um die tatsächlichen Schadstoffausstöße zu messen. Wir brauchen eine Umrüstung der bestehenden Flotte. Wir brauchen den Einsatz des Know-hows unserer Automobilindustrie, um endlich emissionsarme Pkw auf den Markt zu bringen, Kraftfahrzeuge, die halten, was sie versprechen. Wir brauchen jetzt aber vor allem eines: einen Verkehrsminister, der unsere Bundesumweltministerin bei ihren Vorschlägen unterstützt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Wir kommen zum nächsten Redner. Der Kollege Stephan Kühn spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. (Arno Klare [SPD]: Mal sehen, was der jetzt auslöst!) Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schadstoffausstoß von Dieselautos in Deutschland ist immens, und er ist viel höher als bislang angenommen. Das ist das Ergebnis der aktuellen Messungen durch das Umweltbundesamt. Dass die meisten Diesel-Pkws die Abgastests nur im Labor bestehen, aber nicht auf der Straße und dort die Schadstoffe um ein Vielfaches höher sind, ist für mich als Papa eines vierjährigen Sohnes kein abstraktes Technologieproblem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn die Schadstoffkonzentration ist in Höhe von Kindernasen am höchsten. Es muss deshalb endlich Schluss damit sein, dass Automobilkonzerne zulasten der Gesundheit vieler Menschen mit legalen oder illegalen Tricks die Abgasreinigung drosseln können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Denn niemand würde akzeptieren, dass Schadstoffgrenzwerte für Lebensmittel oder Trinkwasser nur unter Laborbedingungen gelten. Das Bundesverkehrsministerium kommentiert die UBA-Messergebnisse mit dem Hinweis, dass kein anderes Land wie Deutschland in der Abgasaffäre so weitgehende Konsequenzen gezogen habe. Einen so schlechten Witz habe ich lange nicht mehr gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn Verkehrsminister Dobrindt betreibt reine Pseudoaufklärung mit Phantommaßnahmen. Bereits im November 2015 hat er Schadstoffantidopingtests angekündigt. Was glauben Sie, wie viele Fahrzeuge bis heute getestet wurden? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Null!) Kein einziges! Jetzt wird immer deutlicher: Auf europäischer Ebene ist Herr Dobrindt einer der zentralen Blockierer von Reformen. Bereits im letzten Jahr hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Reform des Typgenehmigungsverfahrens und der Marktüberwachung von Fahrzeugen vorgelegt. Damit sollen insbesondere die notwendigen europäischen Konsequenzen aus dem Abgasskandal gezogen werden. Wenn Sie, Herr Dobrindt, nun behaupten, Sie wollten das europäische Recht dahin gehend anpassen, dass künftig nur noch die besten Motoren mit der besten Technologie zum Einsatz kommen, dann beantworten Sie endlich einmal die Frage, die Sie im Untersuchungsausschuss nicht beantwortet haben: Wer definiert das eigentlich? Und vor allen Dingen: Wer überprüft das? Nichts anderes als Nebelkerzen werden hier gezündet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die EU-Kommission zum Beispiel hat vorgeschlagen, eigene Prüfungen und Kontrollen von bereits zugelassenen Fahrzeugen durchzuführen, um nachzuprüfen, ob diese Fahrzeuge den Typgenehmigungen auch tatsächlich entsprechen. Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion geht hervor, dass sich die Bundesregierung bis heute nicht dazu durchringen konnte, diesen Vorschlag zu unterstützen. Dabei war es ausgerechnet Verkehrsminister Dobrindt, der im Fall der Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen aus dem Fiat-Konzern zu Recht die italienischen Behörden für ihr Nichtstun kritisiert hat. Mit Umsetzung des EU-Vorschlags würden solche Manipulationen in Zukunft nicht mehr möglich sein. Doch jetzt ist es Herr Dobrindt selbst, der nichts tut. (Alexander Dobrindt, Bundesminister: Das Gegenteil ist der Fall!) Ebenso wären gegenseitige Kontrollen der Typgenehmigungsbehörden angemessen. Die nationalen Kontrollbehörden sollen sich alle zwei Jahre einer Überprüfung durch zwei Behörden anderer Mitgliedstaaten unterziehen. Das ist nicht nur sinnvoll, weil wir in Deutschland mit dem Kraftfahrt-Bundesamt eine Behörde haben, die die Kultur des Wegschauens bis zur Präzision beherrscht, sondern auch, weil man in diesem Zusammenhang einmal die Frage stellen sollte, warum die Automobilhersteller gerade in Ländern wie Luxemburg und Malta, die bisher nicht als Automobilgroßnationen bekannt sind, viele Fahrzeugteile typgenehmigt haben. Für den Betrugsmotor von Audi wurde die Zulassung zum Beispiel in Luxemburg eingeholt. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das ist unser Problem!) Die technischen Dienste werden für die Tests von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen direkt von der Automobilindustrie bezahlt. Damit sind wirtschaftliche Interessenkonflikte vorprogrammiert. Die EU-Kommission hat das Problem erkannt, doch die Bundesregierung blockiert schon wieder und lehnt eine unabhängige Finanzierung der technischen Prüfdienste ab. Meine Damen und Herren, in Zukunft muss auch für die Automobilindustrie in Europa gelten: Wer betrügt, wird bestraft. Deshalb will Brüssel bei Fahrzeugen, die den Anforderungen nicht entsprechen, Sanktionen in Höhe von bis zu 30 000 Euro verhängen. Auch hier verweigert die Bundesregierung ihre Zustimmung. Sie hat offenbar keine Eile, die notwendigen Konsequenzen aus dem Abgasskandal zu ziehen. Die Bundesregierung bremst die EU-Kommission ganz klar aus. Insbesondere die Bußgeldfrage macht deutlich: Die Große Koalition legt weiter schützend ihre Hand über die Automobilindustrie. Umweltschutz und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben auf der Strecke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Patrick Schnieder für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach allerlei künstlicher Empörung seitens der Grünen, (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie keine eigenen Kinder? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) die man gut nachvollziehen kann, Herr Krischer, wenn man aus Nordrhein-Westfalen kommt, wo die Umfragewerte für die Grünen in den Keller gehen und auch der Boden noch nicht absehbar ist, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) sollten wir zu einer sachlichen Betrachtung der Thematik zurückkehren. Bezogen auf das Thema der Aktuellen Stunde „Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa“ kann man zunächst nur festhalten: Die Bundesregierung, Minister Alexander Dobrindt und die Unionsfraktion haben sich in der Vergangenheit für schärfere Abgastests in Europa ausgesprochen, und sie tun es auch heute. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Die Darstellung, wir würden Brüssel in dieser Frage ausbremsen, ist eine Verdrehung der wirklichen Verhältnisse. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist eine präzise Umschreibung!) Wir sind deutlich weiter als alle anderen EU-Staaten. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Vorschläge müssen wir in Europa umsetzen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Gott!) Wir haben eine Reihe von Änderungen in Deutschland auf den Weg gebracht. Die Kollegin und der Minister haben das hier schon ausgeführt. Deshalb will ich den Blick darauf lenken, woran das europäische Abgastestsystem krankt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es wieder Europa!) Die geltenden europäischen Vorschriften sind nicht mehr als der technische Minimalkonsens. Zwei systemimmanente Probleme treten ganz deutlich zutage. Erstens. Formulierungen der europäischen Prüfvorschriften lassen zu viel Raum für nationale Interpretationen und legale Optimierungen. Anstelle von engmaschigen Vorgaben gelten großzügige Ausnahmetatbestände. Der geltende Gesetzesrahmen hat somit zu Fehlanreizen geführt, die Regeldehnung belohnen und Regeltreue bestrafen. Zweitens. Vorschriften haben Wettbewerb geschaffen, wo wir eigentlich keinen Wettbewerb gebrauchen können, nämlich zwischen den nationalen Typgenehmigungsbehörden. Der Kollege Kühn hat ja eben ausgeführt, wo was genehmigt worden ist. Es war übrigens nicht in Deutschland. Der Zulassungstourismus in EU-Staaten mit zahnlosen Genehmigungsbehörden führt den Freizügigkeitsgedanken ad absurdum und muss unterbunden werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ganzen manipulierten VW sind in Deutschland zugelassen worden!) Wir müssen deshalb zunächst, lieber Herr Krischer, die Analyse vornehmen, um dann zu sagen, was wir tun wollen und was wir tun müssen. Der Fehler liegt in beiden Fällen, die ich genannt habe, im europäischen System und seinem Regelrahmen. Die Lösung hierfür kann auch nicht eine europäische Superbehörde sein. Wir müssen nicht alles nach Brüssel delegieren. Stattdessen brauchen wir – da hat der Minister vollkommen recht – einen engmaschigen, vor allem verbindlichen europäischen Rechtsrahmen, der Nachuntersuchungen ermöglicht und Ausnahmen zurückdrängt. Nur dort, wo Unklarheiten verbleiben, sollte eine europäische Clearingstelle im Einzelfall entscheiden, ob Abschalteinrichtungen zum Motorschutz zulässig sind. Wie muss nun der europäische Rechtsrahmen weiterentwickelt werden? Zunächst die Feststellung: Wir brauchen eine Generalüberholung des europäischen Rechtsrahmens, und in diesem müssen die folgenden Ziele umgesetzt werden: Erstens. Wir müssen die Ausnahmetatbestände überprüfen. Nationale Handlungsspielräume machen in vielen Fällen Sinn, aber nicht bei der Interpretation von Abgasvorgaben. Für diejenigen Abschalteinrichtungen, an denen festgehalten werden soll, erwarten wir von den Herstellern überprüfbare Begründungen, warum man auf die jeweilige Vorrichtung nicht verzichten kann. Zweitens. Die Hersteller müssen die Software offenlegen. Die Hersteller müssen hierzu verpflichtet werden. Wir haben das bei uns auf den Weg gebracht. Das müssen wir auch europäisch verankern. Wir wollen nicht nur wissen, dass Emissionsgrenzen eingehalten werden, sondern wir müssen auch verstehen, wie die Hersteller sie einhalten. Die Regelkonformität der Emissionsstrategie muss die Bedingung für die Erteilung der Typgenehmigung sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?) Drittens. Unabhängige Nachprüfungen müssen möglich sein. Deutschland hat sich dafür eingesetzt, dass das Prüfinstrumentarium erweitert wird. Wir wollten und wir wollen der Feldüberwachung in den europäischen Vorschriften eine prominentere Bedeutung einräumen. Dazu müssen die Prüfabläufe zur einheitlichen Anwendung in allen europäischen Mitgliedstaaten in den Einzelvorschriften verankert werden. An die Stelle der Rollenprüfstände müssen Labormessungen sowie Messungen mit mobilen Messinstrumenten auf der Straße treten. Entscheidend ist und bleibt – das möchte ich noch einmal festhalten –: Diese Regelungen müssen verbindlich sein. Empfehlungen reichen nicht aus. Überall in Europa brauchen wir eine rechtlich bindende Vorschrift, keine Empfehlung aus Brüssel. Ebenso wie Minister Alexander Dobrindt beim Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen hat, wie vorzugehen ist, brauchen wir auch auf europäischer Ebene einen verbindlichen Rahmen. Wir können, glaube ich, festhalten: Mit den angestoßenen Prozessen, mit dem, was in Deutschland seit Herbst 2015 unter Alexander Dobrindt auf den Weg gebracht worden ist, sind wir auf einem guten Weg, und den werden wir so fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Kirsten Lühmann hat jetzt das Wort für die SPD. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Warum reden wir heute über dieses Thema? Das hat zwei Gründe: Der erste Grund ist der Klimawandel, der zu einem großen Teil von CO2 verursacht ist. Der zweite Grund ist die Tatsache, dass die Luftqualität in vielen großen deutschen Städten immer schlechter wird. Zu beiden Sachverhalten trägt der Straßenverkehr nicht unerheblich bei. Ja, wir müssen dort mehr tun. Allerdings, liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn ich die einfachen Lösungen höre, die hier in einigen Reden präsentiert werden, sage ich: Das greift wesentlich zu kurz und ist vielleicht auch dem beginnenden Wahlkampf geschuldet. Wenn wir zu den Bürgern und Bürgerinnen in unserem Land wirklich ehrlich sind, dann müssen wir ihnen sagen: Einfache Lösungen gibt es nicht, sondern wir brauchen ein abgestimmtes Programm. Ich möchte auf einige Punkte eingehen. Der erste Punkt, auf den ich eingehe, beinhaltet das, was wir für die Zukunft machen müssen. Es wurde schon gesagt: Die Tatsache, dass das UBA festgestellt hat, dass auch die neuesten Fahrzeuge im realen Betrieb sechsmal mehr Abgas ausstoßen, als wir in einer Richtlinie festgelegt haben, kann ich als Betrug bezeichnen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Herbert Behrens [DIE LINKE]: So ist es!) Ich verstehe, wenn die Menschen sagen: Wir sind betrogen worden. – Ja. Aber es ist ein Unterschied, ob wir sagen: „Das ist Betrug“, oder ob es in juristischem Sinne Betrug ist. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das hilft der Gesundheit wenig, Frau Lühmann!) Leider, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist es im juristischen Sinne kein Betrug; denn sonst könnte die Bundesregierung handeln; sonst könnten wir es unterbinden. Es geht nicht, und das ist das, was uns hier so aufregt. (Beifall bei der SPD) Das heißt: Wir müssen das verhindern. Und das tun wir auch. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Dann stünde ich aber jeden Tag auf der Matte der Autokonzerne! Die Autobosse nicht zum Frühstück, sondern zum Rapport einladen!) Wir haben zukünftig ein neues Prüfverfahren. Eine Überschreitung des Grenzwerts um das Sechsfache ist in Zukunft nicht mehr möglich. Damit wir das noch besser überprüfen können, muss zur Unterstützung noch etwas geschehen. Zukünftig muss, wie gesagt, bei neuen Typgenehmigungen die Motorsteuerungsstrategie offengelegt werden. Das haben wir leider noch nicht überall; in Deutschland ist das von der Bundesregierung angeregt worden. Nur wenn auch die gesamte Motorsteuerung hinterlegt wird, können wir überprüfen, ob das, was angegeben wird, real ist oder ob es hintenherum nicht doch noch irgendeine Betrügerei gibt. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir solche Regeln aufstellen, müssen wir auch deren Einhaltung überprüfen können. Was nützt mir da, sehr geehrter Herr Krischer, eine europäische Behörde, die eine nationale Typgenehmigungsbehörde überprüft, wenn diese Typgenehmigungsbehörde ein zahnloser Tiger bleibt? (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe ich nicht!) Das bringt uns gar nichts. Wir müssen vielmehr endlich regeln, dass die Feldüberwachungen anders durchgeführt werden, als sie bis jetzt durchgeführt werden, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum tut das denn der Verkehrsminister in der von Ihnen mitgetragenen Bundesregierung nicht?) dass bei uns das Kraftfahrt-Bundesamt vernünftige Instrumente in die Hand bekommt. Wir zum Beispiel sind der Meinung, dass bei den Feldüberwachungen auch der CO2-Ausstoß mit überprüft werden kann. Natürlich macht das UBA das jetzt schon. Aber die können doch mit den Ergebnissen nichts machen, weil sie keine rechtliche Handhabe haben. Wir wollen also, dass die Feldüberwachungen vernünftig durchgeführt werden. Und wenn wir dann feststellen, dass es zwischen den Nationen unterschiedliche Auffassungen gibt, dann nützt uns auch die von Ihnen vorgeschlagene europäische Behörde nichts; wir brauchen vielmehr eine klare Entscheidung von der EU, welche Rechtsauffassung denn nun die richtige ist. Ob Sie das „Clearingstelle“ oder „Überwachung“ nennen, ist mir völlig egal. Ich will nur, dass so ein Fall nicht wieder eintritt, wie wir ihn jetzt mit Fiat haben: Wir stellen etwas fest, kommen aber an die Typgenehmigungsbehörde in Italien nicht heran, und Europa sagt nur: Wollen Sie nicht einmal ein Gespräch führen? – Das reicht mir nicht. Ich erwarte von Europa, dass zukünftig eingeschritten wird. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen die, aber Herr Dobrindt hindert sie daran!) Wir brauchen auch mehr und deutlichere Sanktionen. Wir haben Sanktionsmöglichkeiten in Deutschland. Wir können die Typgenehmigung entziehen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das trifft doch die Falschen. Wen trifft das nämlich? Das trifft die Leute, die sich in gutem Glauben ein Auto gekauft haben und das dann plötzlich nicht mehr fahren dürfen. Insofern finde ich das sehr richtig, was wir gemacht haben: nämlich Nachrüstung gefordert, sodass die Leute weiter fahren können. Ich möchte also abschreckende Sanktionen, ohne dass jahrelang überprüft wird: Welcher Ingenieur hat wo eine falsche Zahl eingetragen? – Nein, wer betrügt, muss zahlen, und zwar jetzt und sofort. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist die Bundesregierung dann dagegen? – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wo ist der Antrag dazu? Den würden wir gerne einmal sehen!) Beim letzten Punkt geht es um das, was wir jetzt machen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Luft in unseren Städten besser wird. Herzlichen Dank an unsere Umweltministerin Barbara Hendricks, dass sie deutlich aufgezeigt hat, wo die Handlungsnotwendigkeiten sind, und gesagt hat: Zur Not brauchen wir ein Fahrverbot. (Zustimmung der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ich empfinde das als Warnung für uns. Das wollen wir nicht, weil auch das die Falschen trifft. Aber wenn wir jetzt nichts tun, wird das die letzte Möglichkeit sein. Also müssen wir etwas tun. All denen, die meinen, wir könnten uns als Bund heraushalten, das sei nicht unsere Aufgabe, sage ich ganz deutlich: Wir müssen etwas tun. Wir müssen Elektromobilität mehr fördern. Wir müssen Elektrobusse mehr fördern. Wir müssen Flotten mehr fördern. Und wir müssen uns auch um die Nachrüstung vorhandener Fahrzeuge kümmern. Sie sehen also: Wir haben schon viel getan, aber es ist noch viel zu tun. Ich freue mich auf die nächste Legislatur. Die Arbeit wird uns wahrlich nicht ausgehen. Ich bin sicher: Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, werden wir das hinbekommen – zum Wohl unserer Bevölkerung in den Städten und auf dem Land. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster hat Ulrich Lange von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt fällt mir schon das Wort „liebe“ schwer, deshalb: Sehr geehrte Frau Kollegin Leidig und sehr geehrter Herr Kollege Krischer (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Ich hatte schon Sorge!) – Liebe wird das zwischen uns keine mehr –, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber Herr Oberlehrer!) der Stil der Debatte von Ihnen beiden war heute – ich sage das ganz offen – unangemessen und schwer erträglich. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre auch schlimm, wenn Sie etwas anderes sagen würden! Dann hätte ich Depressionen) – Lieber Kollege Krischer, die Süddeutsche Zeitung – sie ist wahrlich kein Parteiorgan der CSU – (Ulli Nissen [SPD]: Nicht? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt, als wenn Sie das bedauerten!) hat Ihnen bereits am 3. Januar ins Stammbuch geschrieben: Erst wird der nächste Skandal ausgerufen, und dann wird geprüft. So führen die Grünen den ... auf ihr Betreiben vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss, der staatliche Versäumnisse aufarbeiten soll, ad absurdum. Das ist, nicht zum ersten Mal, Populismus statt Aufklärung. Oder, anders ausgedrückt: politische Geschäftemacherei ... (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt macht die CSU Populismusvorwürfe!) Genau das gilt heute so wie im Januar. (Beifall bei der CDU/CSU) Lieber Kollege Kühn, (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe schon gedacht, Sie vergessen mich!) wenn Sie dann gemeinsam mit dem Kollegen Krischer zum großen Bashing gegen die Automobilindustrie ausholen, dann sieht man einmal mehr die ganze Doppelzüngigkeit und Heuchelei der Grünen. Einer der größten Schutzpatrone und Schutzheiligen der Automobilindustrie ist Ihr grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört er gern!) Er sagt – das können Sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. März nachlesen –: Es gibt den sauberen Diesel. Den brauchen wir lange. Das ist der beste Verbrennungsmotor. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Eindeutig!) Und jetzt geht es erst richtig weiter: Diese Technologie werde aus Gründen des Klimaschutzes und auch aus wirtschaftspolitischen Gründen benötigt, denn schließlich brauche die Automobilindustrie die Gewinne aus dem Dieselgeschäft … (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) So Winfried Kretschmann! (Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Auf diesen falschen Ratgeber sollten Sie nichts geben!) Er hat recht. Natürlich hat er recht. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, wie Sie hier jedes Mal zum Dauerbashing und zur Dauerskandalisierung auflaufen können, wenn wir und Minister Dobrindt uns seit Monaten im Rahmen sachlicher Arbeit mit dieser Dieselaffäre auseinandersetzen. (Zurufe der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Da wäre etwas mehr Seriosität von Ihrer Seite aus wirklich angebracht! (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vertuschen! Verschleppen! Nichtstun! Das ist das Problem!) Über 3 Millionen Rückrufe gab es. Es wurde bereits konsequent gehandelt. Am 7. Juni des vergangenen Jahres wurde beim Ministerrat die Einrichtung einer Clearingstelle angemahnt bzw. eingefordert. Des Weiteren wurde sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt. Außerdem gab es für das KBA neues Geld für eigene Prüftechnik sowie die Wiedereinführung der Endrohrmessung. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was passiert? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es passiert nichts!) Wer handelt? Das ist unser Minister! Herzlichen Dank, Alexander Dobrindt. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und die Verbraucher sind betrogen!) Insofern freuen wir uns natürlich auch, dass die Bundesumweltministerin im Untersuchungsausschuss das Ganze entsprechend anerkannt und gewürdigt hat. Herzlichen Dank, Frau Bundesumweltministerin, für das Lob für unseren Verkehrsminister. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf europäischer Ebene unterwegs, die Dinge klarzustellen – sie sind heute schon genannt und abgeschichtet worden –, die noch geklärt werden müssen. Wir sind national unterwegs und haben in den letzten Wochen und Monaten in der Großen Koalition vieles gemeinsam umgesetzt. Wir stehen zur Technologie in der Automobilindustrie, und wir werden eines nicht mitmachen: Dinge gegeneinander auszuspielen, die man auf dieser Ebene so nicht gegeneinander ausspielen kann. Wir machen bei dieser allgemeinen Skandalisierung nicht mit. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Lange. – Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde spricht jetzt Dr. Matthias Heider von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich darf als letzter Redner in der Debatte erst einmal feststellen: Von Ordnungsruf bis Heiterkeit ist alles dabei gewesen. – Aber vor allen Dingen darf ich feststellen, dass trotz des Themas, das die Grünen sich heute gewählt haben, der Versuch einer Skandalisierung der Abgastests nicht gelungen ist. Das ist die wichtigste Feststellung. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum sagt Ihre Umweltministerin das Gegenteil von dem, was der Verkehrsminister sagt?) Ich will Sie gleich einmal mit einer Zahl konfrontieren, Herr Krischer: 4 Prozentpunkte. Diesen Wert haben die Grünen in Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen seit Januar 2016 verloren. Damit haben die Grünen gut 36 Prozent an Zustimmung verloren, seitdem die Vorschläge der EU-Kommission zur Einhaltung von Umweltanforderungen durch die Automobilhersteller vorgestellt worden sind. Ich kann verstehen, dass vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen Nervosität bei Ihnen aufkommt und dass diese Nervosität auf 100 Prozent steigt, wenn Sie nach Nordrhein-Westfalen schauen. Was wir hier heute gehört haben, ist ein Beitrag zum Wahlkampf gewesen, aber keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Sachthema. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die machen jetzt Sie?) Schauen wir uns einmal die Vorschläge an, die die Kommissarin Bienkowska und der Vizepräsident Katainen gemacht haben. Im Kern geht es bei den Vorschlägen um eine EU-weite Regelung bei den Typenzulassungsverfahren, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber warum verhindert Ihre Bundesregierung das denn? Erklären Sie das doch mal!) und das soll insbesondere die Motorensoftware betreffen. Diese Regelung, meine Damen und Herren, ist doch grundsätzlich zu begrüßen. Wir setzen einheitliche Standards, um verbindliche Vorgaben für Zulassungsverfahren im gesamten Binnenmarkt zu machen. Das schafft Transparenz, und es ist auch die Aufgabe der Kommission, unterschiedliche Zulassungsregeln anzupassen und gemeinsame Standards zu setzen. Denn so gewinnt im Wettbewerb das umweltfreundlichste Auto und nicht das teuerste Auto oder das Auto aus dem Land mit den vorteilhaftesten Regelungen. Die Bundesregierung lehnt an dieser Stelle im Übrigen an keinem Punkt strengere Abgastests ab. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Gegenteil: Es ist doch schon lange beschlossen, dass ab September dieses Jahres Real-Driving-Emissions-Prüfverfahren gelten, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir jetzt bei Grimms Märchen?) mit denen wir die Emissionen der Fahrzeuge im tatsächlichen Fahrbetrieb analysieren. Das ist der richtige Weg. Von den sehr theoretischen Werten der Labortests beim bisherigen Testverfahren sind wir damit weggekommen. Was völlig zu Recht abgelehnt wird, ist ein weiterer Kompetenzzuwachs der Europäischen Kommission. Wir brauchen keine zusätzliche Kontrolle nationaler Behörden durch die Kommission. Die Arbeit nationaler Behörden kontrollieren, das können wir gut selber machen, (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja gesehen, wie es funktioniert! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Super, wie Sie das selber machen! Nichts entdeckt! Bis heute nichts! Da müssen Sie selber lachen!) zur Not mithilfe des Parlaments. Was die Prüfdienste, Herr Krischer, angeht, hat die Bundesregierung auch eigene Vorschläge vorgelegt. Durch ein rollierendes Verfahren kann die Unabhängigkeit zwischen Prüfdiensten und Herstellern genauso sichergestellt werden, und das auch mit einem deutlich geringeren Verwaltungsaufwand. Ich stelle einmal fest, dass Sie es mit Ihrem heutigen Beitrag allenfalls geschafft haben, die Themenflaute in Ihrer Partei zu bekämpfen. Dazu haben Sie eine Aktuelle Stunde beantragt. Der Begriff „Themenflaute“ stammt übrigens nicht von mir, sondern aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, die heute über das landespolitische Geschick der Grünen in Nordrhein-Westfalen schreibt. Ihre Umfragen sind schlecht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden hier die ganze Zeit von Wahlkampf!) Sie kämpfen um Ihre parlamentarische Existenz, sagt Ihre Spitzenkandidatin Frau Löhrmann. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, die hat nun nichts mit Abgastests zu tun! – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Doch! Die ist doch umgestiegen!) So langsam kommt das ganze Ausmaß der Zwangsbeglückung der Bürgerinnen und Bürger nämlich ans Licht: Vergesellschaftung von öffentlichen und privaten Flächen in Nordrhein-Westfalen, die Art und Weise des Ausbaus der Windenergie in den ländlichen Regionen, die Überbetonung artenspezifischer Aspekte und, und, und. Die Aktuelle Stunde ist gar nicht lang genug, damit ich Ihnen das alles aufzählen kann, und da ist der Veggieday noch gar nicht mal inbegriffen. Aber, Herr Kollege Krischer, ich hatte auch ein schönes Erlebnis, als ich die Zeitung gelesen habe. Als ich die FAZ in der Hand gehalten habe, habe ich ein Zitat von Ihrem Kollegen Hofreiter – er ist heute leider nicht da; aber das ist ein wichtiges Thema – gesehen. Er hat gesagt: Wir haben großes Interesse an einer umweltfreundlichen Regulierung … Eine Industrie, die nicht mehr in Deutschland ist, kann nicht mehr von deutschen Grünen reguliert werden … (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Sehr wahr, kann ich an der Stelle nur sagen. Insofern verdient die Bundesregierung bei ihren in Brüssel vertretenen Standpunkten Unterstützung: wegen einer umsichtigen Verschärfung der Abgasregelung, aber auch, weil die Automobilindustrie viele Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland sichert. Deshalb ist Augenmaß gefragt und nicht das, was Sie hier heute aufgeführt haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksache 18/11163 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksachen 18/11326, 18/11658, 18/11822 Nr. 11 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/12076, 18/12141 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12077 Zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel des Gesetzes, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden wollen, kommt unprätentiös daher. Aber es geht um weit mehr als um die Neustrukturierung eines Gesetzes. Es geht um nichts weniger als die Zukunft deutscher Polizeiarbeit. Seit einem Jahr ist mein Haus damit beschäftigt, die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor fast genau einem Jahr, am 20. April 2016, verkündet wurde, zu ziehen und die Anforderungen aus der europäischen Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich umzusetzen. Ich habe mich früh dazu bekannt, diese anspruchsvolle Aufgabe nicht sozusagen minimalinvasiv vorzunehmen, sondern als richtige Chance zu nutzen. Der Gesetzentwurf setzt natürlich alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils um, aber steckt die Aufgaben weiter. Das neue BKA-Gesetz macht den Weg frei für eine moderne polizeiliche IT-Infrastruktur, eine Infrastruktur, die das Fundament für gute, rechtsstaatliche Polizeiarbeit auf einem neuen Niveau darstellt. Jede Polizistin, jeder Polizist soll sämtliche Informationen phänomenübergreifend zusammenführen und nutzen können, die sie oder er braucht und wenn sie oder er dazu berechtigt ist. Eine Unterteilung des Informationsaufkommens in verschiedene Datentöpfe wird überflüssig. All denen – vor allen Dingen den Grünen –, die in der Abkehr von der Datenhaltung in getrennten Dateien den Untergang des datenschutzrechtlichen Abendlandes befürchten, sage ich: Ihre Kritik geht an der Sache vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In der Geburtsstunde der polizeilichen Datenlandschaft und der Informationsverbindungen zwischen Bund und Ländern war technisch und organisatorisch schlicht nichts anderes möglich und vorstellbar, als in Dateien zu denken und die analoge, papiergebundene Arbeit in das damals technisch Machbare umzusetzen. Das ist aber heute nicht mehr State of the Art, nirgendwo: weder technisch, auch nicht datenschutzrechtlich, noch kriminaltaktisch, auch nicht sicherheitspolitisch. Mit dem neuen BKA-Gesetz ändern wir das, und zwar in verfassungsrechtlich zulässiger Art und Weise und unter Nutzung modernster Technik, die wir mit modernem Datenschutz verbinden. Der Gesetzentwurf sieht, anders als es in Ihrem Entschließungsantrag steht, keine neuen Speicherbefugnisse für das BKA vor. Die Abkehr von der Speicherung in Dateisystemen führt zu keiner weiter reichenden Speicherung als bisher. Insofern geht Ihre Kritik ins Leere. Aber das neue System ermöglicht es, personen- und ereignisbezogene Daten zusammenzuführen und Zusammenhänge besser zu erkennen. Das ist für die Sicherheit besser. Das ist für die Polizei effektiver. Und das heißt trotzdem eben nicht weniger Datenschutz. Daten werden gekennzeichnet, um jedem Bearbeiter deutlich zu machen, in welchem Umfang das jeweilige Datum weiterverarbeitet werden kann. Und schließlich – das geht in dem System getrennter Datentöpfe, das wir jetzt haben, schon technisch nicht – gibt es eine Vollprotokollierung aller Datenverarbeitungsvorgänge, auf die die Bundesbeauftragte für den Datenschutz vollen Zugriff hat. Mit diesem Gesetz schaffen wir also die Voraussetzungen dafür, dass die deutschen Polizeien die heute verfügbare Technik auch nutzen können – zum Sicherheitsgewinn aller. Die Planungen im Bundeskriminalamt und in den Bund-Länder-Gremien zur Umsetzung dieses Gesetzes laufen auf Hochtouren. Hinter dem Arbeitstitel „Polizei 2020“ verbirgt sich ein Großprojekt, das die Polizeien in Bund und Ländern lange beschäftigen wird. Das neue BKA-Gesetz legt hierfür heute den Grundstein. Daneben – ich habe es schon erwähnt – setzen wir die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um und führen die Möglichkeit ein, dass auch das Bundeskriminalamt im Bereich terroristischer Gefahrenlagen die Fußfessel einsetzen kann, um Gefährder besser beobachten zu können, obwohl wir wissen, dass die Fußfessel nicht die allein selig machende Lösung in der Terrorabwehr ist. Das hat auch niemand behauptet. Meine Damen und Herren, heute werden wir Großes für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger beschließen, und das im Stundenrhythmus. Gleich beschließen wir das BKA-Gesetz. Im Anschluss beschließen wir die Änderungen der §§ 113 und 114 des Strafgesetzbuches. Damit werden wir die Strafen bei Angriffen auf Polizeibeamte und Rettungskräfte bei jeder Diensthandlung erhöhen – ein wichtiger Schritt und ein Zeichen für alle, die Tag und Nacht ihren Kopf für unsere Sicherheit hinhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dann stimmen wir über das neue Bundesdatenschutzgesetz ab. Auch das ist ein grundlegendes Werk; ich werde dazu später noch etwas sagen. Ohne das neue Datenschutzrecht, ohne die neuen auf das BKA anwendbaren Regelungen, wäre das neue BKA-Gesetz gar nicht vollständig. Danach weiten wir – auch noch heute – das Maßregelrecht bei extremistischen Straftätern aus. Wir ermöglichen damit eine bessere Überwachung von Gefährdern, um unsere Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. Am Abend machen wir den Weg für den Austausch der Fluggastdaten frei. Dem BKA wird damit als deutsche Fluggastdatenzentralstelle ein wirkungsvolles Instrument im Kampf gegen Terrorismus und schwere Kriminalität in die Hand gegeben. Ferner liegt dann das veränderte Europol-Gesetz zur Beschlussfassung vor, das diesen Kampf grenzüberschreitend erleichtern wird. Mit dem neuen Sicherheitsüberprüfungsgesetz schützen wir den öffentlichen Dienst noch besser vor Extremisten und Spionen. Dieser Tag ist also ein besonderer Tag. Wir ernten heute gemeinsam die Früchte harter Arbeit der vergangenen Monate auch in der Koalition. Es ist ein Reigen an Sicherheitsgesetzen, der sich in ein sicherheitspolitisches Gesamtgefüge einpasst und den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird. Heute ist ein guter Tag für die Sicherheit und ein guter Tag für Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Minister. – Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Martina Renner von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Martina Renner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wo stehen wir eigentlich in der Sicherheitsdebatte? Dass Anis Amri nicht gestoppt wurde, bevor er zwölf Menschen ermordete, lag nicht daran, dass über ihn nicht genügend Daten vorlagen oder dass er keine Fußfessel trug. Man ließ ihn gewähren, weil die Behörden sich einfach nicht vorstellen konnten, dass jemand, der Alkohol trinkt und die Gebete vernachlässigt, ein fanatischer Islamist sein könnte. Falsche Annahmen gab es auch im Fall des rassistischen Attentats am Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Der Täter war ein Anhänger von Breivik und Hitler, die Opfer waren Migranten. Es gibt ein schriftliches Bekenntnis. Aber es sei kein rechter Terror – so sagen es die Behörden bis heute. Beides sind Beispiele dafür, dass aus falschen Analysen falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Das ist das wahre Problem Ihrer Sicherheitsarchitektur. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer den Terrorismus bekämpfen und überwinden will, muss verstehen, warum Menschen zu Attentätern werden. Ihr Technikfetisch wird Ihnen darauf keine Antwort geben können. (Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzentwurf folgt dem bekannten Muster: Ihr Erzfeind ist eigentlich der Datenschutz. Das sieht man insbesondere an den Regelungen zum Datenpooling: Einmal erhobene Daten können fast ohne besondere Voraussetzungen weiter genutzt, auf Vorrat gehalten und im Ergebnis noch Jahrzehnte später verwertet werden. Nach Verhältnismäßigkeit und Zweckbindung fragt hier niemand mehr. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Steht doch im Gesetz!) Der Besuch eines Fußballspiels oder einer Demonstration, bei denen die Personalien erhoben wurden, ohne dass man sich irgendetwas zu Schulden hat kommen lassen, kann im Zweifel Anlass genug dafür sein, dass die persönlichen Daten fast ewig gespeichert werden – über Jahre hinweg. Das ist ein Albtraum in Big Data. (Beifall bei der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wo steht denn das?) Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2016 eben nicht eine dauerhafte Vorratsspeicherung gestattet, sondern nur eine unmittelbare Anschlussnutzung inklusive anschließender Löschung. Man braucht keine Glaskugel, um heute schon sagen zu können: Die vorgeschlagenen Regelungen haben gute Chancen darauf, in Karlsruhe wieder kassiert zu werden. Die Linke lehnt außerdem die Einführung der elektronischen Fußfessel gepaart mit Aufenthalts- und Kontaktverboten ab. Wenn ein konkreter Verdacht einer unmittelbar bevorstehenden Straftat vorliegt und der Täter bereit ist, sein Leben dafür zu opfern, dann nutzt die Fußfessel gar nichts. Sie unterliegen auch hier dem Irrtum, fehlendes Personal bei der Polizei und mangelnde Gefahrenprognose durch Überwachungstechnik heilen zu können. Das wird nicht funktionieren. (Beifall bei der LINKEN) Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, um das zu belegen. Adel Kermiche stand in der Normandie unter Hausarrest inklusive Fußfessel, als er den 86jährigen Priester Jacques Hamel tötete. Oder: Der aus der Strafhaft entlassene Rafik Yousef trug eine Fußfessel, als er in Berlin mit einem Messer bewaffnet auf eine Polizistin losging. Hören Sie endlich auf, den Bürgern und Bürgerinnen vorzumachen, diese Maßnahmen würden schützen! Sie gaukeln lediglich Sicherheit vor. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Linke lehnt auch den Einsatz von Staatstrojanern und die Onlinedurchsuchung ab. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie lehnen alles ab!) Im Gesetz fehlen jegliche Regelungen über die vom Trojaner einzuhaltenden technischen Anforderungen. Ob der Trojaner tatsächlich nur Daten ausliest, angegriffene Systeme manipuliert oder Daten sogar selbst erzeugt, wissen wohl nur das BKA und die beteiligten externen Ermittler. Die Kontrolleure sind blind, und blind sind auch das Parlament und die Justiz. Das für die Kontrolle zuständige Amtsgericht Wiesbaden ist zur Beurteilung der Eingriffstiefe der Software gar nicht in der Lage. Dies hat das Amtsgericht Wiesbaden in der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht selbst erklärt. Dann bleibt fraglich, wie das BKA eigentlich Zugriff auf den Rechner bekommt, möglicherweise durch Ausnutzung von Sicherheitslücken in Hard- und Software, gekauft auf einem kriminellen Markt von einem Staat, der im Interesse der Bürger und Bürgerinnen diese Sicherheitslücken eigentlich schließen müsste und sie nicht für sich nutzen sollte. Die Onlinedurchsuchung greift in die Arbeitsgrundlage von Psychologen und Presse ein. Sie kennen die vielen Stellungnahmen, die uns als Parlament zugegangen sind. Patientengeheimnis, Informantenschutz und Zeugnisverweigerungsrecht sind Kern der freiheitlichen Rechtsordnung. Es ist bedauerlich, dass sie einigen hier im Haus so wenig wert sind. (Beifall bei der LINKEN) Das alles bringt kein Mehr an Sicherheit, nur ein Mehr an Überwachung. Das alles führt zur Preisgabe des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre. Aus diesen Gründen werden wir den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes ablehnen. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Danke, Frau Kollegin Renner. – Als nächster Redner spricht Uli Grötsch von der SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) Uli Grötsch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es gestern im Ausschuss gesagt und ich sage es gerne auch heute noch einmal, weil mir das wirklich ein Anliegen ist. Was den Einsatz des sogenannten Staatstrojaners und die Thematik der Onlinedurchsuchung angeht: Eine entsprechende Einschätzung hierzu hat, glaube ich, viel damit zu tun, welchen grundsätzlichen Blick man auf die Sicherheitsbehörden in unserem Land hat. Ich möchte betonen: Unser Blick ist ein klarer, und wir haben keinen Zweifel daran, dass die Polizeibehörden, das Bundeskriminalamt in diesem Fall, die Instrumente, die wir als Gesetzgeber ihnen an die Hand geben, so nutzen, wie es im Gesetz vorgesehen ist und dass sie verantwortungsvoll für die Ermittlungsarbeit und für sonst gar nichts eingesetzt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem vorliegenden Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes bringen wir einen Gesetzentwurf zum Abschluss, der dem Bundeskriminalamt – eigentlich allen Polizeibehörden in Deutschland – die Tür ins 21. Jahrhundert öffnet. Ein Kompliment ist es im Grunde nie, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz an uns zurückgibt. In diesem Fall aber sagt das Urteil auch, dass die verdeckten Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die geforderten Nachjustierungen bezüglich der Bestimmtheit, der Verhältnismäßigkeit oder der richterlichen Kontrolle der Maßnahmen setzen wir mit diesem Gesetz um. Wir begrüßen es, dass das Urteil auch Anlass war, eine komplette Neustrukturierung der polizeilichen Datenbanksysteme von Bund und Ländern unter dem Dach des Bundeskriminalamtes in Angriff zu nehmen; natürlich gab es darüber hier im Parlament Diskussionen. Wir wollen mit einer zentralen Datenbank und einem polizeilichen Informationsverbund, also mit einer komplett neuen IT-Architektur, dem Bundeskriminalamt den Weg ins 21. Jahrhundert ebnen. Wer sich dem versperrt, setzt weiterhin auf einen Datenflickenteppich aus 19 unterschiedlichen Dateien, auf eine Infrastruktur, die aus den 1970er-Jahren stammt. Das kann nicht der Anspruch einer modernen Sicherheitspolitik sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen nicht, dass unsere Polizistinnen und Polizisten sehnsüchtig in unsere Nachbarländer blicken müssen, etwa nach Holland, weil die Kollegen dort mit modernster Technik und entsprechenden Befugnissen ausgestattet sind und dadurch leistungsfähiger fahnden können. Wir wollen technisch auf der Höhe der Zeit sein. Bildlich gesprochen: Wir wollen nicht, dass unsere Beamten Terroristen am Commodore 64 bekämpfen, obwohl Terroristen – das ist hinlänglich bekannt – verschlüsselt mit High-End-Geräten arbeiten. Ich sage Ihnen, dass die Zeit des Nebeneinanderarbeitens, dass die Zeit der Länderbefindlichkeiten in Deutschland vorbei sein muss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben eine Regelung gefunden, wie der Aufwand für die Länder bei der Übernahme der Altdaten in das neue Regime so gering wie möglich bleibt. Unser Vorschlag ist damit praxistauglich. Das haben wir im parlamentarischen Verfahren hinlänglich abgeprüft. Der Terror macht nicht an Ländergrenzen halt. Das ist nun wirklich keine neue Erkenntnis. Das BKA muss und wird deshalb auch in Zukunft als Zentralstelle eine maßgebliche Rolle spielen. Ein Fall wie Anis Amri darf sich natürlich nie wiederholen. Die Maxime dabei lautet: Ein Ermittler in Bayern muss wissen können, dass ein Kollege in Nordrhein-Westfalen oder anderswo am selben Fall bzw. an derselben Person dran ist, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch nicht das Problem, Herr Grötsch!) und zwar nicht erst nach ein paar Tagen, sondern immer sofort. Mit diesem Gesetz ziehen wir Konsequenzen aus dem Zuständigkeitswirrwarr nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz. Das ist immer ein Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit; das haben wir auch bei diesem Gesetzentwurf gesehen. Gerade wir Sozialdemokraten schielen immer in Richtung Freiheit und achten sehr genau auf die Verhältnismäßigkeit. (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie gehen halt nie hin! Schielen reicht nicht!) Frau Renner, weil Sie eben den Albtraum Big Data – ewig speichern – angesprochen haben, möchte ich Ihnen eine gute Nachricht überbringen: Sie können aus diesem Albtraum aufwachen. Die Regelung, von der Sie eben gesprochen haben, ist im Gesetzentwurf so nicht mehr enthalten. (Zuruf der Abg. Martina Renner [DIE LINKE]) Ich habe diese Regelung auch sehr kritisch gesehen – ich habe das in den Gesprächen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens immer gesagt –, weil sie im schlimmsten Fall bedeutet hätte, dass meine personenbezogenen Daten, auch wenn es sich dabei nur um Bagatelldelikte gehandelt hätte, unbegrenzt gespeichert worden wären. Es wäre gewissermaßen eine lebenslange Polizeiakte entstanden, und jeder neue Eintrag hätte zur Verlängerung der Aussonderungsprüffrist geführt. Ich bin sehr froh, dass das vom Tisch ist und wir den bisherigen Rechtszustand beibehalten, weil jeder die Möglichkeit haben muss, wieder eine weiße Weste zu bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gut, dass auch hier das Struck’sche Gesetz gegolten hat: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es reinkommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheitslücken, die es gibt, schließen wir. Manchmal schießt unser Koalitionspartner vielleicht ein bisschen übers Ziel hinaus. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: In die richtige Richtung!) Dann müssen die Sozialdemokraten sie wieder einfangen. (Lachen der Abg. Martina Renner [DIE LINKE]) Das gelingt insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium ganz hervorragend. Dafür darf ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Koalition forever! Love forever!) Ein bisschen verwundert war ich daher schon, Herr de Maizière, über die ungewohnte Zurückhaltung des Bundesinnenministeriums bei der anstehenden Änderung des Waffenrechts. Anstatt eine eindeutige Regelung vorzulegen, damit die Waffenbehörden vor jeder Erlaubniserteilung eine Abfrage bei den Verfassungsschutzämtern über verfassungsfeindliche Einträge durchführen können, drucksen Sie herum und unterbreiten einen halbherzigen und sehr ungenauen Vorschlag. Wir sagen: Keine legalen Waffen an Extremisten. (Zuruf von der CDU/CSU: Und keine illegalen! Überhaupt keine Waffen!) Sie aber trauen sich nicht und zögern. Die bei allen anderen Fragen der Terrorabwehr an den Tag gelegte Entschlossenheit erwarte ich auch in dieser Sache. Wir werden hier nicht lockerlassen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste spricht die Kollegin Irene Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Grötsch, Sie haben in Ihrer Rede als Reaktion auf die Ausführungen der Frau Kollegin Renner die Mitziehautomatik angesprochen. Da haben Sie sich in der Tat von den Experten in der Anhörung belehren lassen und die Regelung aus Ihrem Gesetzentwurf genommen. Dennoch – das muss man sagen – bedeutet das neue BKA-Gesetz das Ende des polizeilichen Datenschutzes, wie wir ihn kannten; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn ob mit oder ohne Mitziehautomatik: Der zentrale Grundsatz der Zweckbindung von Informationen und Daten, Herr de Maizière, wird in pauschaler Weise aufgehoben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Das wissen auch Sie. Die Neuverknüpfung von Daten kommt einer Neuerhebung gleich. Deswegen spielt das schon eine große Rolle. Ich kann offen gestanden nicht nachvollziehen, warum Sie solche verfassungsrechtlichen Risiken, die damit verbunden sind, in Kauf nehmen. Das Einzige, was Sie damit erreichen, ist ein Klageabo in Karlsruhe. Stattdessen sollten Sie lieber die bekannten Probleme im Rahmen der bestehenden Systeme lösen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anstatt massenhaft alles Mögliche zu speichern, wäre es viel besser, valide Informationen möglichst zeitnah und gründlich auszuwerten; das zeigen auch die Sachverhalte, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun hatten. Sie wissen ganz genau, dass Polizeiarbeit immer dann besonders erfolgreich ist, wenn sie spezifisch ist. Spezifische und zielgerichtete Polizeiarbeit hat auch kein Datenschutzproblem. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum BKA-Gesetz viele bestehende Befugnisse beanstandet und einen engen Entscheidungskorridor definiert. Mit Ihrem Gesetzentwurf schrammen Sie permanent an der rechten Leitplanke dieses Korridors entlang. Das, was nach Einschätzung des Gerichts gerade noch so verfassungsrechtlich zulässig wäre, haben Sie dann per Copy-and-paste ins Gesetz geschrieben. Copy-and-paste ist aber nicht nur schlechter gesetzgeberischer Stil, sondern Sie verkennen damit auch Ihre Aufgabe, für die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne zu sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie gehen nicht minimalinvasiv vor, wie Sie es gerade gesagt haben, Herr de Maizière, sondern Sie gehen richtig in die Vollen. Unser Entschließungsantrag macht diese Versäumnisse noch einmal deutlich. Durch die Neustrukturierung der Datenbanken beim BKA betreiben Sie eine unverhältnismäßig weite Speicherung – und die noch auf Vorrat –, ohne dass in einem einzigen Fall belegt wäre, dass eine solche Neustrukturierung tatsächlich zur Verbrechensverhütung beiträgt. Eine Regelung zu Staatstrojanern, die nicht mindestens auch die technischen Anforderungen an die Software klar definiert, lässt nicht einmal den Versuch erkennen, dass Sie sich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben beschäftigt haben. Auch der kriminalistische Nutzen eingriffsintensiver Maßnahmen wurde im Rahmen dieses Entwurfs nicht hinreichend berücksichtigt. Das sehen wir am Beispiel der Fußfessel. Die Fußfessel ist als Maßnahme zur Überwachung von Gefährdern schlicht ungeeignet, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) selbst dann, wenn die Überwachung ausnahmsweise einmal nicht verdeckt erfolgen soll. Sie ist ein reines Placebo. Selbst das BKA sagt in seiner internen Einschätzung, die wir alle kennen, eindeutig, dass die Fußfessel so ziemlich das Letzte ist, was Gefährder daran hindert, Anschläge zu begehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Fußfessel zur polizeilichen Überwachung von Gefährdern – ich rede jetzt nicht über die Fußfessel im Maßregelvollzug, sondern über die polizeirechtliche Fußfessel, wie sie hier im BKA-Gesetz vorgesehen ist – gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nirgendwo auf der Welt!) Das ist absolutes Neuland; so würden Sie von der Union es vielleicht bezeichnen. Sie planen hier einen groß angelegten Feldversuch, ein riesiges Experiment am offenen Herzen der öffentlichen Sicherheit. Mir wäre es an dieser Stelle lieber, Sie würden endlich einmal konkrete Schlüsse aus dem Fall Anis Amri ziehen, der übrigens niemals ein Kandidat für die Fußfessel gewesen wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Neben all den verfassungsrechtlichen Fragen macht mich ein Aspekt besonders betroffen. Für uns alle steht die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ganz oben auf der Agenda. (Zurufe von der CDU/CSU: Na ja!) – Haben Sie etwa Zweifel daran, dass wir uns um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sorgen? Wenn das so ist, möchte ich gerne, dass Sie das hier einmal laut sagen. – Deshalb ist es im Sinne der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keine gute Politik, die Polizei und die Sicherheitsbehörden mit Gesetzen im Regen stehen zu lassen, deren Nutzen fragwürdig ist und die am Ende in Karlsruhe wieder eingesammelt werden. Damit ist niemandem gedient, weder der Polizei noch der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Mehr Sorgfalt in der Beratung und mehr Präzision in der Ausgestaltung wären dringend angebracht. All das lassen Sie leider vermissen. Dazu kommt: Die bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, sowohl repressiv als auch präventiv, wurden in bestimmten Fällen überhaupt nicht ausgeschöpft. Der Fall Amri ist solch ein trauriges Beispiel. Für diese Defizite gibt es klare Belege. Wenden Sie die bestehenden Gesetze an, anstatt immer neue Gesetze zu schaffen, die letztlich sowieso wieder in Karlsruhe landen und niemandem weiterhelfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort hat jetzt Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die erste Lesung des BKA-Gesetzes fand am 17. Februar dieses Jahres noch unter dem starken und sehr authentischen Eindruck des schrecklichen, unfassbaren Anschlags vom Breitscheidplatz kurz vor Weihnachten 2016 statt. Aber die Welt ist seitdem nicht stillgestanden. Es gab weitere terroristisch bzw. islamistisch motivierte Anschläge – in London, in Stockholm, in Paris – mit vielen weiteren Toten. Die terroristische Bedrohung ist unvermindert hoch. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten: Sie war nie größer. Auch die vom Bundesinnenminister am vergangenen Montag vorgestellte Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016 zeigt auf sehr eindrucksvolle Weise, dass insbesondere die Anzahl der Delikte im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität von 2015 auf 2016 deutlich gestiegen ist, und zwar um sage und schreibe 66,5 Prozent. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die rechten Straftaten auch! Gut, dass Sie das ansprechen, Herr Mayer!) Damit haben wir die höchste absolute Zahl von politisch motivierten Ausländerkriminalitätsdelikten seit 2001, seit Beginn dieses Meldedienstes, erreicht. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt täuscht schon ein Rechtsextremist angebliche islamistische Anschläge vor! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal etwas zu rechts!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, unsere Sicherheitsbehörden stehen vor großen, enormen Herausforderungen. In der Sicherheitsarchitektur unseres Landes kommt dem Bundeskriminalamt aufgrund seiner Zentralstellenfunktion eine besondere Bedeutung zu, natürlich auch wegen seiner originären Kompetenz bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie das mal Herrn Herrmann!) Die Novellierung des BKA-Gesetzes, die wir heute abschließen, ist nicht die erste Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzes, das es seit 1951 gibt, aber mit Sicherheit seine umfassendste. Mit der Beschlussfassung über dieses Gesetz schaffen wir es, die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April letzten Jahres umzusetzen. Frau Kollegin Renner, es stimmt nicht, dass der Datenschutz durch dieses neue Gesetz unterminiert oder reduziert wird. Der Datenschutz wird sogar ausgeweitet. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?) Es gibt mehr datenschutzrechtliche Kontrolle. Es gibt eine Stärkung der Transparenz. Es gibt eine Ausweitung der Löschungspflichten. Es gibt mit diesem Gesetz auch eine Stärkung des individuellen Rechtsschutzes. (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Frau Kollegin Mihalic und Frau Kollegin Renner, Sie müssen sich schon einmal entscheiden. Sie werfen uns einerseits vor, dass wir Copy-and-paste machen und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu detailgenau im Gesetz niederschreiben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Ihre Experten Ihnen vorgeworfen! – Gegenruf des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das war kein Vorwurf! Das war nur eine Feststellung!) Andererseits werfen Sie uns vor, wir würden verfassungswidrig handeln. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie noch mal zu Ihren Experten aus der Anhörung! Ihre Experten waren das! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren doch Ihre Sachverständigen!) Es kann nur eine Argumentation stimmen. Entweder halten wir uns zu eng an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, oder wir negieren das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und arbeiten mit weit überschießender Tendenz verfassungswidrig. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren Ihre Sachverständigen, Herr Mayer!) Beides kann nicht zusammenpassen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir hier, insbesondere vor dem Hintergrund des Grundsatzes der hypothetischen Datenneuerhebung, den das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, gesetzgeberisch sehr ordentlich und sehr genau gearbeitet haben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das attestiert man sich gerne!) Wir setzen darüber hinaus die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union für den öffentlichen Sicherheitsbereich um. Auch das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Der Austausch von Informationen zwischen den Sicherheitsbehörden in Europa ist von elementarer Bedeutung, auch für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Indem wir als erstes EU-Land die EU-Datenschutzrichtlinie in nationales Recht umsetzen, erleichtern wir die Datenweitergabe an andere Sicherheitsbehörden in Europa. Damit stärken wir die Sicherheitslage in unserem Land, aber auch in anderen Ländern. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein sehr wesentlicher Punkt ist – das ist, glaube ich, ein wirklich epochaler Schritt –, dass wir die IT-Infrastruktur der gesamten Sicherheitsbehörden in Deutschland auf neue Beine stellen. Die IT-Sicherheitsarchitektur hat über eine zu lange Zeit hinweg immer noch den Geist der 70er-Jahre in sich getragen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, stimmt!) Es ist richtig, dass wir hier eine Modernisierung bzw. Ertüchtigung vornehmen. Ich bin auch sehr dankbar, dass es insbesondere auf Initiative der Innen- und Sicherheitspolitiker der Unionsbundestagsfraktion gelungen ist, im parlamentarischen Verfahren einen Änderungsantrag zustande zu bringen, der gewährleistet, dass vorhandene Altdaten von den Ländern weiter genutzt werden können. Ich sage hier sehr ernsthaft und sehr eindringlich: Es wäre wirklich unwürdig und aus meiner Sicht der Sicherheit unseres Landes nicht zuträglich gewesen, wenn wir auf Basis des Ausgangsentwurfs die Regelung getroffen hätten, dass die Altdaten zwar weiterhin von den Ländern vorgehalten werden dürfen, wir den Länderpolizeibehörden aber untersagt hätten, diese Daten weiter zu nutzen. Das wäre unverantwortlich gewesen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ein Stück aus dem Tollhaus gewesen!) Deswegen ist es richtig, dass wir es mit unserem Änderungsantrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung gestellt wird, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gratulieren wir Ihnen!) ermöglichen, dass die Länderpolizeibehörden nicht künstlich blind gehalten und künstlich zur Untätigkeit verdammt werden, sondern dass diese Altdaten weiter genutzt und verwertet werden dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die elektronische Fußfessel ist nun mit Sicherheit kein Allheilmittel. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür gibt es jetzt 5 Euro ins Phrasenschwein! Aber was ist sie dann? – Gegenruf des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]: Eine Fußfessel!) Frau Kollegin Mihalic, niemand hat behauptet, dass Anis Amri prädestiniert gewesen wäre für das Tragen einer elektronischen Fußfessel. Aber ich bin der festen Überzeugung, Herr Kollege von Notz, dass der Einsatz der elektronischen Fußfessel in dem einen oder anderen Fall (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In wie vielen Fällen?) unterstützend durchaus ein wertvolles Instrument sein kann, um Gefährder, die auch wissen, dass sie als Gefährder eingestuft werden, zu kontrollieren. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt!) Es ist bekannt, dass die Rund-um-die-Uhr-Überwachung eines Gefährders 24 bis 30 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bindet. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unstreitig!) Gerade vor dem Hintergrund der starken personellen Inanspruchnahme der Verfassungsschutzämter ist es meines Erachtens richtig, dass wir mit der Möglichkeit des Einsatzes der elektronischen Fußfessel hier ein weiteres Instrument zur Unterstützung schaffen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, das machen die Länder!) Ich sage auch ganz offen: Derzeit gibt es auf Bundesebene keinen einzigen Gefährder, der für das Tragen der elektronischen Fußfessel prädestiniert wäre. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!) Deshalb sind mein klarer Wunsch und mein klarer Appell im Rahmen dieser Gesetzgebung, dass sich die Länder bitte ein Beispiel an der Novellierung des BKA-Gesetzes nehmen und in ihren Polizeiaufgabengesetzen die Möglichkeit schaffen, die Gefährder, die bei den Ländern gehalten werden, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die haben keine Gefährder, die dafür in Frage kommen! Das macht alles keinen Sinn!) auch mit der elektronischen Fußfessel entsprechend überwachen zu können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin gespannt – wir werden ja den Praxistest machen können –, welche Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass mein Heimatland Bayern diese Möglichkeit sehr schnell in das bayerische Polizeiaufgabengesetz übernehmen wird. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja in Hammelburg damit anfangen!) Ich bin mir sehr sicher, dass es auch andere Länder geben wird. Frau Mihalic, wenn Ihr Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen so weiterregiert werden würde, wie es jetzt regiert wird, wird es von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD] – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Machen wir deshalb in einem Jahr den Praxistest und sehen wir dann, wie viele Länder entsprechend verantwortungsbewusst handeln. Ich bitte um Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetzentwurf. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das Niveau abgefallen! Unfassbar!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege Mayer. – Als Nächste hat das Wort die Kollegin Susanne Mittag von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich kommst du aus dem richtigen Bundesland!) Susanne Mittag (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr de Maizière! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der heute zu beschließenden Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes haben wir es mit einem, wie man bei uns im Norden – da sind die richtigen Bundesländer – sagt, echten Dickschiff zu tun, und zwar nicht nur, was den Tiefgang der Beratungen angeht – wir haben uns damit ordentlich beschäftigt –, sondern auch, welche Bugwelle das Ganze gesetzgeberisch und besonders organisatorisch für das BKA vor sich herschiebt. Denn wir haben es nicht nur mit einer vollkommenen Umstrukturierung – das ist schon erwähnt worden – des Datenbestandes des BKA zu tun, die auch die Länder betrifft, nein, in diesem Geleitzug werden wir heute auch das Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz und das Europol-Gesetz beschließen. Alle drei Gesetze haben Bezüge zueinander. Das Europol-Gesetz wird heute Abend ebenfalls im Plenum behandelt und wurde hinsichtlich der Umsetzungsfristen dem BKA-Gesetz angepasst. Bei der Diskussion und Prüfung wurde deutlich, dass die Gesetze nur bedingt aufeinander bzw. auf die Bundesländer abgestimmt waren. Wir haben nochmals Experten aus den Polizeien der Länder zu Rate gezogen. Dabei stellte sich heraus, dass das BKA-Gesetz in seinem ersten Entwurf in der Praxis gar nicht hätte umgesetzt werden können. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!) Die Daten der Länderpolizeien hätten nicht automatisiert in das neue System übernommen werden können, sondern hätten erst überprüft und katalogisiert werden müssen. Das wäre nur mit einem immensen Personalaufwand möglich gewesen und war damit indiskutabel. Ich möchte mich deswegen ganz ausdrücklich bei den Länderpolizeien aus Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern bedanken, die uns innerhalb kürzester Zeit mit ihrer Expertise geholfen und zu einer praktikablen Lösung beigetragen haben, wie auch beim Kollegen Binninger. Sie haben das Gesetz zusammen mit der SPD gemacht, damit es umsetzbar ist und sich nicht die Länder fragen, was wir hier im Bund beschlossen haben. Ausgangspunkt für die komplette Umstrukturierung der Datensysteme war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes – das ist hier schon erwähnt worden –, das das BKA-Gesetz in der bisherigen Form in Teilen als nicht rechtmäßig ansah. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie Mist gemacht haben!) Das hat dazu geführt, dass das BMI uns sicherheitshalber – wie passend – einen Entwurf vorgelegt hat, der sich zum Teil wortwörtlich an den Vorgaben des höchsten deutschen Gerichtes orientiert. In Anhörungen haben einige Sachverständige bemängelt, so genau hätte man das gar nicht machen müssen, das wäre gar nicht nötig gewesen. Das mag sein, verhindert, wie ich denke, aber sicherlich eine neue Verfassungsrechtsproblematik. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na!) Denn wir müssen dem BKA die nötige Zeit und Sicherheit geben, um die so wichtige Aufgabe der Umstrukturierung neben den bereits erheblich gewachsenen Aufgaben erfüllen zu können. Dabei fangen sie jedoch nicht bei Null an. Ich habe gerade schon die Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien bei den Beratungen gelobt. Diese Zusammenarbeit wird sich in den nächsten Jahren noch vertiefen, und zwar als gleichberechtigte Partner. Ich möchte hier klarstellen, dass das Bundeskriminalamt eine Zentralstellenfunktion für das polizeiliche Nachrichten- und Auskunftswesen hat und Dienstleister ist. Das heißt nicht, dass sich daraus eine übergeordnete Vorgesetztenfunktion ergibt. Ziel ist eine informationstechnische Verknüpfung in einem föderalen System. Wir alle haben es mitgekriegt: Das hat in den letzten Jahren nicht immer gut geklappt. Bei endlichen finanziellen und personellen Ressourcen, wachsenden Aufgaben und neuen Phänomenen können wir uns 19 Parallelstrukturen in diesem Land nicht leisten. Man denke nur an das Ausmaß der Netzkriminalität, die zu bearbeiten ist. Bei den Verfahren geht es derzeit locker um Daten im Terabyte-Bereich. Als Beispiel möchte ich hier auch einmal das Hinweisportal des BKA nennen, die sogenannte Boston Cloud. Diese vom BKA betriebene Infrastruktur wird anlassbezogen und für einen begrenzten Zeitraum, in dem die Bürgerinnen und Bürger Fotos und Videos hochladen können, freigeschaltet. Diese Daten stehen dann den Polizeibehörden in den Ländern für ihre Ermittlungen zur Verfügung. Das ist zuletzt nach den Angriffen bei dem Bundesligaspiel des BVB gegen Leipzig am 4. Februar 2017 der Fall gewesen. Das sind wichtige Strukturen, die die Polizei für ihre länderübergreifende Arbeit benötigt. Durch die flächendeckende Verbreitung und den andauernden Gebrauch von Smartphones kommen hier riesige Datenmengen zusammen, die den Behörden übermittelt werden. Diese müssen auch erst einmal verarbeitet und geschützt werden; denn es gab auch schon Hackerangriffe auf dieses Portal. Es ist zukunftsorientiert, dass das BKA als Zentralstelle diesen Service anbietet und die Arbeit der Polizei vernetzt und unterstützt. Das gilt auch in Bezug auf die Informations-, Einsatz- und Kriminaltechnik in der bisherigen Form – diese ganze Arbeit läuft ja weiter –, in Bezug auf die neuen Bereiche wie die elektronische Aufenthaltsüberwachung – so heißt das nämlich – und in Bezug auf die Organisation des Inneren Sicherheitsfonds – unter anderem zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität –, was nämlich auch beim BKA stattfindet. Ich denke, dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung unserer Sicherheitsstrukturen und zur effizienten Kriminalitätsbekämpfung. Über die haushalterischen Auswirkungen unterhalten wir uns demnächst noch einmal; denn dazu gibt es auch noch einiges zu beschließen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als letzter Redner in dieser Debatte spricht jetzt Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch an die Adresse der Rednerinnen und Redner der Opposition gewandt, will ich mit einem Fallbeispiel beginnen, das deutlich macht, warum wir dringend eine andere Form der Zusammenarbeit im Bereich des Datenaustausches brauchen. Anfang der 2000er-Jahre gab es in Sachsen und Thüringen eine Serie von Banküberfällen. Es waren immer zwei männliche Täter, die, bewaffnet mit Faustfeuerwaffen, Banken überfallen haben und danach mit Fahrrädern geflüchtet sind. Es war eine Serie von 13 Überfällen. Diese wurden isoliert bearbeitet. Zwei solcher Fälle fanden außerdem in Mecklenburg-Vorpommern statt, und man konnte der Täter nicht habhaft werden. Viel tragischer ist aber: In den alten Bundesländern gab es in der gleichen Zeit eine Mordserie, bei der zehn Menschen – darunter neun ausländische Mitbürger – kaltblütig ermordet wurden. Der einzige Hinweis, den man hatte, war, dass es zwei männliche Personen mit Faustfeuerwaffen waren, die mit Fahrrädern geflüchtet sind. – Es war der NSU. Aufgrund der Struktur der Datenbanken und auch durch Recherche war es für die Polizisten in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich, zu erkennen, dass es im Rest von Deutschland eine Mordserie gab, bei der die Beschreibung der flüchtenden Mörder identisch war mit der Beschreibung der Täter bei den Banküberfällen. So wurden diese beiden Serien parallel bearbeitet, ohne dass man je den Zusammenhang erkannt hat, bevor 2011 der NSU aufflog. Das wird jetzt beseitigt. Dagegen etwas zu haben, kann ich persönlich nicht verstehen und ist wirklich niemandem in diesem Land erklärbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es geht nämlich beim BKA-Gesetz nicht nur um Terrorismusbekämpfung. Es ist richtig: Ein ganzer Abschnitt befasst sich mit der Terrorismusbekämpfung. Wir setzen damit die Vorgaben um, die uns das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gemacht hat: beim Kernbereichsschutz, beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern – dazu haben wir manche Debatte zu führen gehabt – oder bei Eingriffen in den Datenschutz. Ja, Kollege von Notz, wir haben das Urteil, das äußerst anspruchsvoll war – übrigens wurde es im Senat nicht einstimmig beschlossen, sondern im Stimmenverhältnis 5 : 3 –, in vielen Passagen übernommen. Die Sachverständigen haben das aber nicht kritisiert, sondern sie haben selber zugegeben, dass sie angesichts der Komplexität für den Gesetzgeber Verständnis haben, wenn er sagt: Da begibt er sich auf die sichere Seite. Ich glaube, an diesem Punkt kann man keine Kritik an uns festmachen. Sie haben sogar gesagt: Wir gehen an manchen Stellen darüber hinaus. Deshalb verstehe ich die Kritik, dass hier der Datenschutz aufgegeben wird, wirklich nicht. Was wir jetzt bekommen, ist, dass 19 Systeme und über 200 verschiedene Dateien – über 200 verschiedene! –, die es bei den Polizeien in Bund und Ländern gibt, in einer „Polizeicloud“ zusammengeführt werden, in der man dann recherchieren kann. Jedes Datum muss, bevor es in diese Cloud eingegeben wird – die Altdaten sind davon ausgenommen und werden so lange parallel genutzt, bis sie die Voraussetzungen erfüllen –, die erhöhten Anforderungen von § 14 BKA-Gesetz erfüllen. Da die Sorge zu haben, wir könnten den Datenschutz aufgeben, ist wirklich nicht nötig. Wir machen das, was notwendig ist. Dieses Gesetz ist modern. Das Ganze wird ein Riesenprojekt sein, Herr Minister. Ich weiß nicht, ob dieses Projekt 2020 fertig sein wird. Es könnte ein bisschen länger dauern. Aber dieses Projekt ist notwendig, weil die Herausforderungen für die innere Sicherheit sehr groß sind. Wir geben damit eine richtige, präzise und fortschrittliche Antwort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auf die Fußfessel will ich nicht eingehen. Die Regelungen dazu finden sich in einem Paragrafen. Sie sind aber nicht entscheidend. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben wir aber viel darüber geredet!) Ich will zum Schluss auf etwas eingehen, was schon ein paarmal angesprochen wurde. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir einen umfassenden rechtlichen und technischen Rahmen für das BKA, der für alle Kriminalitätsbereiche gilt: Terror, Allgemeinkriminalität, Zusammenarbeit mit den Ländern und internationale Zusammenarbeit. Wir werden dafür im Haushalt, Frau Kollegin Mittag, vorsorgen: Das BKA bekommt über 1 000 neue Stellen und auch sonst entsprechende Mittel. Also, das Parlament gibt all das, was notwendig ist. Aber ich glaube, an einer Stelle müssen wir in der nächsten Legislatur in diesem Haus oder wo auch immer eine Debatte führen: Sind die Strukturen für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, wie wir sie haben, für den Umgang mit 600 Gefährdern die richtigen? Kann es sein, dass 40 verschiedene Behörden für den Umgang mit Gefährdern in Deutschland parallel zuständig sind? Kann das so bleiben, oder müssten wir Verantwortlichkeiten nicht stärker bündeln? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss doch nicht so sein!) Das betrifft den Umgang mit Gefährdern bei Strafverfahren, bei Terrorverfahren und bei der Abschiebung, wenn es um ausreisepflichtige Gefährder geht. Diese Lehren aus dem Fall Amri sind alle noch zu ziehen. Ich will uns einfach ermutigen. Auch ich weiß nicht, was am Ende wirklich hilft oder nicht. Aber die Debatte gar nicht zu führen und zu sagen: „Wir machen mit dieser Struktur einfach weiter, weil das auch den Ländern lieber wäre“, wird den aktuellen Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit der Bürger nicht gerecht. Deshalb: Das BKA-Gesetz ist eine gute Grundlage für die Datenverarbeitung und für die Terrorismusbekämpfung. Aber lassen Sie uns über die Strukturen – der Minister hat hierzu einen Aufschlag gemacht – eine wichtige und notwendige Debatte führen, vielleicht mehr im Verhältnis des Bundes zu den Ländern und weniger im Verhältnis der Parteien untereinander. Aber verzichten können wir auf eine solche Debatte nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12076 und 18/12141, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11163 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12131. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/12076 und 18/12141, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11326 und 18/11658 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Drucksache 18/11161 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Drucksache 18/11547 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12153 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir abschließend den Gesetzentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften. Die Dringlichkeit dieses Gesetzgebungsvorhabens unterstreicht die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016. Im vergangenen Jahr wurden über 71 000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte Opfer von Gewaltdelikten: 2016 sind damit 6 345 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte mehr Opfer solcher vollendeter Gewaltdelikte geworden. Das ist ein Anstieg um 11,2 Prozent. Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit ist für die Betroffenen noch düsterer als diese Zahlen. Wenn Sie mit Polizistinnen und Polizisten reden, werden diese bestätigen, dass ihnen immer öfter Hass, Beleidigungen und Gewalt entgegenschlagen. Immer öfter wird ihre Arbeit durch einen Mangel an Respekt erschwert: mangelnder Respekt vor dem Gesetz und vor den Menschen, die es durchsetzen. Auch andere Vollzugsbeamte – beispielsweise Gerichtsvollzieher – sind davon betroffen. Mit dem Gesetz, das wir nun heute beschließen wollen, werden tätliche Angriffe gegen alle Vollzugsbeamte künftig härter bestraft, und dies unabhängig davon, ob sie gerade eine Vollstreckungshandlung vornehmen oder in sonstiger Weise dienstlich handeln. Vollstreckungsbeamte sind als Repräsentanten des Staates besonders exponiert, und sie brauchen alle unseren Schutz. Das ist das Mindeste, was wir für sie tun können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Neuregelung für Vollstreckungsbeamte kommt außerdem den Männern und Frauen von Feuerwehren, Katastrophenschutz, zum Beispiel dem THW, und den Rettungsdiensten bei Hilfseinsätzen zugute. Das ist ebenfalls längst überfällig; denn auch sie sind leider zunehmend Opfer. In der Ausschussberatung ist nun gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf noch ein wichtiger Punkt hinzugekommen. Als Ergebnis der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf sollen zukünftig Verhaltensweisen strafbar sein, durch die Rettungsmaßnahmen behindert werden, und zwar unabhängig davon, auf welche Weise die Behinderung geschieht und ob die hilfeleistende Person zu den Rettungskräften im Sinne des § 115 Absatz 3 unseres Strafgesetzbuches in der Entwurfsfassung gehören. Da diese Vorschrift alle Personen schützt, die Hilfe leisten oder Hilfe leisten wollen, soll sie systematisch nicht bei den Widerstandsdelikten in den §§ 113 ff. unseres Strafgesetzbuches eingefügt werden; sie ergänzt vielmehr die Strafvorschrift der unterlassenen Hilfeleistung in § 323c StGB. Mit dieser neuen Vorschrift wird nicht nur die sogenannte Gafferproblematik erfasst, zu der der Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Vielmehr kann sie auch zum Beispiel bei einem Blockieren von Notfallgassen auf der Autobahn oder bei einer Beeinträchtigung der Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten oder Krankenhauspersonal in der Notaufnahme greifen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles schon strafbar! Alles!) Meine Damen und Herren, zollen wir also den Polizistinnen und Polizisten sowie den Rettungskräften den notwendigen und, wie ich meine, ihnen auch gebührenden Respekt und Schutz und stimmen dem Gesetzentwurf der Koalition zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften zu. Darum möchte ich Sie herzlich bitten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als Nächster hat der Kollege Frank Tempel von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke begrüßt ausdrücklich, dass wir uns als Legislative mit der Gewalt gegen Polizei und Rettungsdienste und natürlich auch mit der Behinderung von Rettungseinsätzen beschäftigen. Als ehemaliger Polizeibeamter macht es mich aber richtig sauer, wenn mir unterstellt wird, die Bekämpfung dieser Phänomene läge mir nicht am Herzen, nur weil wir vielleicht Vorschläge, die die Unionsfraktion macht, hier ablehnen, weil sie nicht zielführend sind. Zunehmende Gewalt muss ganz einfach Ursachen haben. Am Anfang der Woche wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgelegt. Wir wissen, dass die Gewaltkriminalität insgesamt gestiegen ist. (Unruhe bei der CDU/CSU) – Da sollten Sie schon einmal zuhören. Denn die Zahlen haben auch Sie bekommen. Es macht zumindest aus Sicht der Linken keinen Sinn, hier einzelne Phänomene wie die Gewalt gegen Polizeibeamte herauszugreifen. Vielmehr müssen wir diesem gesamtgesellschaftlichen Problem ernsthaft auf den Grund gehen. (Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Das eine schließt das andere ja nicht aus!) Meine Damen und Herren, wenn ein Wasserhahn tropft, wechsele ich nicht den Scheuerlappen, sondern versuche erst einmal, den Wasserhahn zu schließen. Solche einfachen Regeln des täglichen Lebens sollten auch hier langsam einmal eine Rolle spielen. Ich möchte eine mögliche Ursache für die zunehmende Gewaltbereitschaft ansprechen. Wie häufig werden Strafverfahren wegen einfacher Gewaltdelikte in der Praxis auch bei sehr jungen Tätern mittlerweile wegen Geringfügigkeit ohne jegliche Konsequenz eingestellt, weil den Staatsanwaltschaften und Gerichten einfach die personellen Ressourcen fehlen, die Masse dieser Anzeigen tatsächlich zu bewältigen? Das betrifft übrigens auch einfache Straftaten gegen Polizeibeamte oder Feuerwehrleute. Ich habe als Polizeibeamter oft solche Anzeigen geschrieben und Monate später die Bescheide über die Einstellung des Verfahrens ohne jegliche Konsequenzen bekommen. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich beklage nicht fehlende Verurteilungen. Ich rede von zeitnahen Konsequenzen. Das können auch Auflagen in Verbindung mit sozialen Projekten unter Aufsicht geschulten Personals sein, also gewissermaßen Anti-Gewalt-Projekte; denn dadurch könnte man die Anzahl der Täter tatsächlich langfristig reduzieren und damit auch die Anzahl der Straftaten senken. (Beifall bei der LINKEN) Gesetzlich ist zum Umgang mit Gewaltstraftätern alles ausreichend geregelt. Es scheitert aber am Vollzug dieser Möglichkeiten. Sie erfinden lieber neue Straftatbestände, statt Vollzugsdefizite zu beheben. Das hilft niemandem, auch nicht Polizeibeamten und Feuerwehrleuten. (Beifall bei der LINKEN) Vollzugsdefizite haben wir auch bei dem viel diskutierten Problem der Gaffer. Die Gaffer belasten jeden, am meisten natürlich die Opfer und Helfer. Wie wir auch der aktuellen Presse entnehmen können, sind Verurteilungen bereits jetzt möglich. Dazu, dass sich auch Gaffer vor Gericht verantworten müssen, gab es heute ein Urteil. Wir kennen aber auch die personellen Möglichkeiten der Einsatzkräfte vor Ort. Wer, bitte schön, soll denn die Strafanzeigen aufnehmen, wenn 100 Gaffer auf der Autobahn die Einsatzkräfte behindern? Ich hoffe, Sie wissen wenigstens, was an einer solchen Strafanzeige dann noch alles dranhängt: die Identitätsfeststellung, die oft problematisch ist, weil nicht jeder einen Ausweis mit sich führt, die Beschuldigtenvernehmung zur Person, die Beschuldigtenvernehmung zur Sache, eine Zeugenvernehmung oder zumindest Aktenvermerke und dann die Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Damit sind wir schon wieder beim Thema „überlastete Polizei und überlastete Staatsanwaltschaften“. Hätten Sie doch wenigstens zum Beispiel Bußgelder vorgeschlagen! Dann gäbe es für die Gaffer direkt vor Ort eine zeitnahe Konsequenz und damit auch einen Lerneffekt und gleichzeitig für die staatlichen Behörden einen geringeren Aufwand. Aber nein! Sie wollen erneut mittels Strafrecht Wahlkampfsignale setzen und verursachen damit einen erheblichen zusätzlichen Aufwand für Polizei und Justiz, der in der Praxis – wie gesagt; auch die sollte hier eine Rolle spielen – sehr schwer zu stemmen sein wird. Der Fairness halber möchte ich aber anerkennen, dass der Kollege Harbarth von der CDU/CSU-Fraktion in der ersten Lesung von einem Dreiklang gesprochen hat. Das haben wir ja auch gehört. Neben der Verschärfung des Strafrechts erwähnte er auch mehr Personal und eine bessere Ausrüstung bei den Sicherheitsstrukturen. Wenn er damit mehr Personal in der Fläche und bessere Schutzausrüstung meint, ist die Linke einverstanden. Wenn beim Personal auch Justiz und staatliche soziale Programme gemeint sind, dann ist die Linke für Vorschläge offen, obwohl wir wissen, dass hier in erster Linie die Länder zuständig sind. Nur um eines möchte ich bitten: Wer wie die Union jahrelang in Regierungsverantwortung gerade bei moderner Ausrüstung und Personalbedarf geschlampt hat, sollte sich nicht stolz auf die Brust trommeln, wenn er ganz langsam anfängt, die eigenen Fehler zu beheben. Es wird dauern, bis der Investitionsstau bei der Ausrüstung abgebaut ist. Es wird dauern, bis ausreichend zusätzliches Personal bei Polizei und Staatsanwaltschaften aufgebaut ist. Es wird vermutlich noch länger dauern, bis insbesondere die Union erkennt, dass eben nicht Symbolpolitik im Strafrecht, sondern die Stärkung der Prävention in Ländern und Kommunen der zunehmenden Verrohung in der Gesellschaft entgegenwirkt. Das wird Polizeibeamten, Feuerwehrleuten und Rettungsdiensten helfen. Wir müssen daran mit kompetenten Vorschlägen arbeiten und überlegen, wie wir das dann gemeinsam mit den Ländern finanziell stemmen. Da wird die Linke sehr gerne mitmachen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Tempel. – Als Nächster hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Beginn dieser Woche hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016 vorgestellt. Erfreulicherweise haben wir positive, das heißt zurückgehende Zahlen in vielen Deliktsbereichen zu verzeichnen. Zu den Bereichen mit einem besorgniserregenden Anstieg bei den Straftaten gehören – genauso wie in den vorangegangenen Jahren – die allgemeine Gewaltkriminalität und insbesondere Gewalttaten gegen Polizei und Rettungskräfte. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und rechte Gewalt!) Angesichts dieser Zahlen dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Diejenigen, die für uns und unsere Sicherheit tagtäglich ihren Kopf hinhalten, dürfen erwarten, dass wir ihnen den Rücken stärken. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung ergreift daher ein ganzes Bündel an Maßnahmen, mit denen wir Polizisten bei ihrer schweren Arbeit unterstützen wollen sowie ihnen und anderen Uniformträgern die Wertschätzung zuteilwerden lassen, die sie für ihren Einsatz für Staat und Gesellschaft verdienen. Dazu gehört in der Tat eine bessere Schutzausrüstung für die Einsatzkräfte des Bundes. Teil des Konzepts ist auch die beschlossene Ausstattung unserer Bundespolizisten mit Körperkameras zu ihrem Schutz und zur Sicherung von Beweisen, um Gewalttäter besser dingfest machen zu können. In diesen Kontext gehört auch ein Aufwuchs bei der Bundespolizei um 6 000 Stellen. Das alles sind Erfolgspunkte dieser Bundesregierung. Da, wo Sie von der Linken mitregieren, sieht es leider ganz anders aus. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein, finde ich nicht!) Dazu gehören ferner kommunikative und werbende Maßnahmen, die deutlich machen, dass hinter jeder Uniform nicht nur der Staat steht, sondern dass in ihr auch ein Mensch steckt, der Achtung und Respekt erwarten kann. Das Bundesministerium des Innern wird daher noch in diesem Jahr eine Kampagne für uniformierte Polizei- und Rettungskräfte starten. Sie geht dankenswerterweise auf eine Initiative aus der Mitte des Deutschen Bundestags zurück. Mit der Kampagne werden wir sicherheits- und gesellschaftspolitische Aspekte miteinander verzahnen. Wir wollen damit aber auch dafür sorgen, dass die Missachtung staatlicher Einsatzkräfte nicht vom Rand – wo sie heutzutage stattfindet – auf die Mitte der Gesellschaft überspringt. Gerade aus der Zeit des großen Flüchtlingszustroms aus dem Jahr 2015 haben wir alle noch zu gut die Bilder und die Berichte von Menschen im Kopf, die in Deutschland oft erstmals mit Polizisten zu tun hatten, die sie als Menschen behandelten und ihnen tatsächlich halfen. Umgekehrt können Polizisten und andere staatliche Uniformträger das dann aber auch erwarten. Polizei und Rettungskräfte stehen dabei nicht nur für sich selbst, sondern auch für unseren Staat mit seiner ganzen Ordnungs- und Sanktionsgewalt. Gerade in dieser Funktion verdienen sie Vertrauen, weil der Staat nur durch sie verlässlich und rechtsstaatlich handeln kann. Für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Ausübung unserer Freiheitsrechte ist es essenziell, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass sie in Deutschland sicher leben, dass ihnen in der Not geholfen wird und dass der Staat sie erforderlichenfalls – unter Ausübung seines Gewaltmonopols – vor rechtswidrigen Angriffen schützt. Mit einer guten Öffentlichkeitskampagne wollen wir das Bild festigen, dass Polizei und Rettungskräfte Garanten unserer Freiheit sind und uns helfen. Wir wollen aber auch das Bild verankern, dass die Polizeikräfte gerade aus diesem Grund zur Durchsetzung von Recht und Ordnung sowie zum Schutz Dritter nötigenfalls Anweisungen geben müssen oder sogar Gewalt anwenden dürfen und erforderlichenfalls auch anwenden werden. Meine Damen und Herren, es ist in der Tat ein Paradoxon: Allgemein sind in der breiten Masse der Bevölkerung Polizei und Rettungskräfte zu Recht hoch angesehen. Die übergroße Mehrheit der Menschen bringt Polizisten, Feuerwehrleuten und anderen Einsatzkräften daher den Respekt entgegen, den sie auch verdienen. Aber ein Teil der Bevölkerung lässt genau diesen Respekt vermissen. Er hindert die Einsatzkräfte an der Arbeit, oder er wendet gar gegen sie Gewalt an. Wir müssen und wir dürfen diesen Respekt vor dem Staat, seinen Regeln und seinem Personal auch von der Minderheit militanter Chaoten in unserem Lande einfordern, die heute noch meinen, sie könnten ihre Verachtung unseres Staates durch die Drangsalierung seiner Repräsentanten zum Ausdruck bringen. Dagegen wollen wir ein klares Zeichen setzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein solches Verhalten ist in jeder Hinsicht inakzeptabel. Wir werden es nicht nur mit persönlicher Schutzausrüstung – sie ist Teil des Konzepts, aber nicht nur – und nicht nur mit Öffentlichkeitsarbeit bekämpfen, sondern auch mit der ganzen Härte unseres Strafrechts. Der § 113 StGB, der den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Strafe stellt, hat bereits in der letzten Wahlperiode auf Drängen des damaligen Innenministers – auch der hieß Thomas de Maizière – eine nötige Verschärfung erfahren, und mit dem heutigen Gesetzesbeschluss, durch die Zufügung der §§ 114, 115 StGB, sorgen wir und hoffentlich auch Sie gleich dafür, dass der Schutz von Polizisten und Einsatzkräften auch in seinem Anwendungsbereich erweitert wird. Für die Erarbeitung dieses neuen Gesetzentwurfs, der eine klare rechtsstaatliche Sprache spricht, danke ich dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und den Koalitionsfraktionen sehr herzlich. Während aufgrund des alten § 113 Strafgesetzbuch noch vor wenigen Jahren in Teilen der Angriff auf Polizisten gegenüber allgemeinen Nötigungshandlungen privilegiert wurde, also milder bestraft wurde, ist unser heutiges Regelungskonzept zu Recht ein ganz anderes, nämlich der besondere und verstärkte Schutz von Polizisten, Amtsträgern, Soldaten und anderen Einsatz- und Rettungskräften in ihrer gesamten Tätigkeit für unser Gemeinwesen; denn – ich betone es abschließend noch einmal – denjenigen, die für uns tagtäglich ihren Kopf hinhalten, wollen wir den Rücken stärken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als Nächste hat die Kollegin Irene Mihalic vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig, dass wir Gewalt gegen Einsatzkräfte nicht hinnehmen können. Die aktuellen Zahlen – hier ist die PKS gerade mehrfach zitiert worden – zeichnen in der Tat ein düsteres Bild. Aus den Erfahrungen und vielen Einzelberichten ist die Dimension dieses Problems hier allen sehr bewusst. Der Dienst an unserer Gesellschaft ist in Teilen sehr gefährlich, unabhängig davon, ob dieser Dienst auf der Straße, in der Schule, in einer Behörde oder auch vor Gericht geleistet wird. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Das alles ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Situation, die wir sehr ernst nehmen müssen, zweifellos. Hier sind wir alle gefragt, mit einer klugen Politik für einen besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen, gegen Ausgrenzung und Gewalt zu wirken und darauf zu achten, die gesellschaftliche Stimmung durch politische Maßnahmen nicht noch zusätzlich anzuheizen. Doch was tun wir nun? Bei der Expertenanhörung, die wir zu diesem Gesetzentwurf im Rechtsausschuss hatten, waren sich die Sachverständigen im Grunde alle einig, dass eine höhere Strafandrohung, gerade mit Blick auf die Taten, um die es hier geht, definitiv nichts bringen wird. (Beifall der Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Frank Tempel [DIE LINKE]) Warum also tun Sie es? Sie, Herr Staatssekretär Lange, und Sie, Herr Staatssekretär Krings, sagen, es gehe Ihnen um Anerkennung und Wertschätzung. Nun, ich sage Ihnen: Wertschätzung für Einsatzkräfte, die einen wertvollen Dienst an unserer Gesellschaft leisten, lässt sich nicht über das Strafgesetzbuch verteilen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sollten sich lieber darauf konzentrieren, für eine gute personelle und materielle Ausstattung zu sorgen. Herr Krings, stärken Sie diese Teile Ihres Maßnahmenbündels, das Sie vorhin vorgestellt haben. Damit tun Sie den Einsatzkräften einen weitaus größeren Gefallen. Das nützt der Eigensicherung der Beamtinnen und Beamten und macht deren Job tatsächlich sicherer. Es geht eben darum, Risiken zu vermeiden, die man auch vermeiden kann: mit genügend Leuten vor Ort zu sein beispielsweise; Digitalfunk, der tatsächlich funktioniert, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre was!) also auch in den Gebäuden der Deutschen Bahn; Schutzausstattung, die wirklich schützt. Sie wissen alle, wovon ich rede. Nehmen Sie die Stellungnahmen der Sachverständigen ernst, und setzen Sie sich nicht dem Vorwurf symbolischer Gesetzgebung aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Dass die Täter, um die es hier geht, nicht über das Strafgesetzbuch zu erreichen sind, das wissen Sie ganz genau. Aber ich rufe es Ihnen auch gerne noch einmal ins Gedächtnis: Alle Studien zu diesem Thema belegen, dass die Alkoholisierung der Täter bei der Tatausführung eine wichtige Rolle spielt. Auch die Gruppe der psychisch auffälligen Personen ist hier zu beachten. Bei diesen Tätern findet doch vorher keine rationale Abwägung der strafrechtlichen Folgen statt; das liegt doch auf der Hand. Noch etwas spricht gegen eine weitere Strafverschärfung: Seit 1998 ist auch die versuchte einfache Körperverletzung allgemein strafbar. Damit ist die gesonderte Strafbarkeit des tätlichen Angriffs eigentlich obsolet; denn nahezu jeder tätliche Angriff, der die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, ist ohnehin gleichzeitig als versuchte Körperverletzung strafbar. Ihr Gesetz ist also auch darauf bezogen einfach überflüssig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Das gilt auch für das, was Sie mit Ihrem Änderungsantrag erreichen wollen: Sie wollen, dass die Behinderung von Personen, die anderen Menschen Hilfe leisten, bestraft wird. Aber auch das ist bereits heute möglich. Denn wenn Schaulustige, die andere bei der Hilfeleistung stören, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, dann liegt das nicht etwa an fehlenden Gesetzen, sondern dann ist das einzig und allein ein Vollzugsproblem: Derjenige, der nicht hilft und nicht beiseitetritt, um andere Helfer durchzulassen, macht sich bereits nach geltendem Recht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Besonders schwer bestraft wird außerdem, wer bei Unglücksfällen Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert oder sie tätlich angreift; das ist alles heute schon strafbar. Das Vollzugsproblem erklärt sich aber auch aus den besonderen Umständen der Tat; denn Polizeikräfte, die vor Ort sind, haben bei Unglücksfällen in aller Regel Wichtigeres zu tun, als die Personalien der Schaulustigen aufzunehmen. Da nützen aber auch die vielen neuen Gesetze nichts, wenn die Taten nicht verfolgt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie hier Ihre und unsere Zeit mit der Beratung solcher symbolischen Gesetze verschwenden, (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der CDU/CSU) anstatt ernsthaft daran zu arbeiten, die Rahmenbedingungen für Einsatzkräfte im täglichen Dienst spürbar zu verbessern und so für einen besseren Schutz zu sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster hat das Wort Dr. Johannes Fechner von der SPD-Fraktion. Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! In der Tat zeigt die schon zitierte Polizeiliche Kriminalstatistik einen erschreckenden Anstieg der Zahl von Gewaltattacken gegen Polizisten. Der Anstieg um 10 Prozent ist erschreckend, und deshalb ist auch für uns in der SPD-Fraktion klar: Wir müssen Polizisten besser vor Gewaltattacken schützen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn die Polizistinnen und Polizisten sind ja gerade die, die für unsere Sicherheit und für die Sicherheit der Bürger sorgen. Wir müssen die Gewalt gegen Polizisten nicht nur deshalb bekämpfen, weil es hier um die Gesundheit der Bürger in Uniform, der Polizisten, geht, nein, es geht auch darum, das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen und keinen Zweifel daran zu lassen, dass wir die Organe, die die Staatsgewalt für uns ausüben, in diesen oft gefährlichen Tätigkeiten unterstützen und schützen. Wir wollen deshalb vermehrt Bodycams einsetzen, weil sich in den Testläufen schon jetzt gezeigt hat, dass dann Täter von Attacken ablassen, weil sie mit ihrer Identifizierung und einer Verurteilung rechnen müssen. Wir brauchen mehr Personal. Wir haben bei der Bundespolizei Tausende Stellen geschaffen. Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung zeigt vorbildliches Engagement, was die Neueinstellung von Polizisten angeht. Außerdem wollen wir – deswegen dieser Gesetzentwurf heute hier – den Schutz der Polizistinnen und Polizisten durch das Strafrecht verbessern. Deswegen erhöhen wir das Strafmaß bei Gewaltdelikten auf ein Höchstmaß von fünf Jahren. Es ist auch richtig, dass wir den Anwendungsbereich ausweiten, dass wir die Polizisten nicht nur schützen, wenn sie Vollstreckungshandlungen ausüben, sondern dass zukünftig bei allen Diensthandlungen tätliche Angriffe bestraft werden. Denn es darf keinen Unterschied machen, ob ein Platzverweis durchgesetzt wird, ob eine Verkehrskontrolle erfolgt oder ob einfach nur auf Streife gegangen wird. Gewalt gegen Polizisten muss generell bestraft werden. (Beifall bei der SPD – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist bereits möglich!) Aber nicht nur Polizistinnen und Polizisten setzen sich täglich, oft unter Einsatz ihrer Gesundheit, für unsere Sicherheit ein. Deswegen war es uns wichtig, dass ausdrücklich und zur Klarstellung auch die Gerichtsvollzieher in der Gesetzesbegründung genannt sind, dass auch diese wichtige Berufsgruppe geschützt ist. Ein großes Anliegen war es uns in der SPD-Fraktion, diejenigen zu schützen, die sich, oft ehrenamtlich und oft in ihrer Freizeit, für uns, für die Allgemeinheit, einsetzen. Ich spreche von Mitarbeitern beim Roten Kreuz, im Rettungsdienst, von Feuerwehrfrauen und Feuerwehrmännern oder auch von Mitarbeitern beim Technischen Hilfswerk. Diese ehrenamtlichen Helfer – man glaubt es kaum – werden zunehmend Opfer von Gewalt. Deswegen müssen wir diejenigen, die sich in ihrer Freizeit, die sich ehrenamtlich für uns alle engagieren, besser strafrechtlich schützen. Auch dem dient dieser Gesetzentwurf. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]) Man kann sich auf YouTube Videos anschauen, die zeigen, wie Retter manchmal nicht zum Unfallort kommen, weil die Rettungsgasse blockiert wird oder weil Gaffer aus Sensationsgeilheit die Rettungswege versperren. Die Sanitäter müssen dann mit dem Rettungsmaterial unter dem Arm neben der Autobahn entlangrennen, um noch Hilfe leisten zu können. Das sind unfassbare Szenen. Deswegen ist es richtig, dass wir hier einen neuen Straftatbestand schaffen. Wer Retter behindert, der gefährdet das Leben der Unfallopfer. Deswegen ist hier eine Strafbarkeit gerechtfertigt, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es schon! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist bereits strafbar!) Nun gab es die Kritik, dass wir keinen eigenen Straftatbestand brauchen. Ja, in der Regel werden hier die Regelungen zu Körperverletzungsdelikten greifen. Aber bei Gewalt gegen Polizisten geht es nicht nur darum, dass die Person, der Polizist, geschützt wird; hier wird auch das Gewaltmonopol des Staates attackiert. Deswegen finde ich, dass die bloße Verurteilung wegen einer Körperverletzung das Unrecht nicht ausreichend zum Ausdruck bringt. Deswegen ist ein solcher Straftatbestand gerechtfertigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: § 113 schützt Vollstreckungshandlungen!) Ich möchte noch darauf verweisen, dass wir eine wichtige Regelung im Opferentschädigungsgesetz getroffen haben, nämlich dass Polizisten, die attackiert wurden und ihre Ansprüche nicht geltend machen können, weil bei den Tätern oft nichts zu holen ist, eine staatliche Entschädigung bekommen. Ich glaube, auch das war eine wichtige Maßnahme. Zum Schluss möchte ich noch einmal unterstreichen, dass Polizisten und Rettungskräfte eine wichtige Arbeit für uns alle, für die Sicherheit bei uns leisten. Tun wir deshalb alles uns Mögliche, damit diese Menschen besser geschützt sind! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner spricht Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zum Schutz von Vollstreckungsbeamten geben wir die rechtsstaatlich gebotene Antwort auf die Zunahme der Zahl von Gewaltdelikten gegen Polizisten, Rettungskräfte und Feuerwehrleute. Der § 113 Strafgesetzbuch wird geändert. Er schützt die Vollstreckungshandlung, und der tätliche Angriff gegen Personen aus dieser Personengruppe wird in dem neuen § 114 des Strafgesetzbuches geregelt und mit einer höheren Strafdrohung versehen. Das ist eine gesetzliche Maßnahme, die notwendig ist, weil dieser Rechtsstaat nicht bereit sein darf, die Respektlosigkeit und die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte hinzunehmen. Es ist die deutliche Absage an Gewalt und Respektlosigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe von Ihnen gehört, Frau Kollegin Mihalic: Verschwenden Sie nicht unsere Zeit mit diesem Gesetzentwurf! (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hat sie recht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um wirklich was für die Beamten zu machen! Sie ist selbst eine!) Ich frage Sie, ob Sie diesen Satz auch Polizisten ins Gesicht sagen würden, die Tag und Nacht im Schichtdienst den Kopf für unsere Sicherheit hinhalten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben keine Symbole, Herr Kollege! Machen Sie mal wirklich was! Tag der Symbolpolitik ist das hier! Unfassbar! Wirklich! Empörend! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie, meine Damen und Herren, haben den Sinn und Zweck dieses Gesetzentwurfs nicht verstanden. Polizeibeamte werden nicht allein als Individualpersonen angegriffen; der Angriff gilt ihnen als Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols und unserer Rechtsordnung, und darauf reagieren wir. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das kann ein Richter berücksichtigen!) Natürlich haben Polizeibeamte bereits jetzt einen umfassenden strafrechtlichen Schutz durch die Regelungen zu Beleidigungs- und Körperverletzungsdelikten. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das stellt niemand in Abrede. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?) Aber Sie verkennen, dass Polizeibeamte im Einsatz einer besonderen Gefahrensituation ausgesetzt sind. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das kann ein Richter würdigen! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer verkennt das denn? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn?) Sie können der Situation nicht ausweichen. Sie sind aus beruflichen Gründen zur Gefahrtragung verdonnert. Deswegen haben sie auch einen besseren gesetzlichen Schutz verdient. Den lassen wir ihnen mit diesem Gesetz zuteilwerden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das versteht doch kein Mensch, Herr Ullrich!) Ich möchte daran erinnern, dass es nach unserem Verständnis kein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat gibt. Unsere Polizei begegnet den Bürgern durch einen offenen Umgang ja gerade auf Augenhöhe. Und gerade weil die Polizei einen offenen Umgang pflegt, müssen wir Polizeibeamte im Dienst auch besser schützen. Das ist die Kehrseite einer demokratischen und offenen Polizei. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit diesem Gesetz ist niemandem gedient! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das scheint noch nicht einmal logisch, was Sie sagen!) Ich habe mich, meine Damen und Herren, neulich mit einem jungen Polizeibeamten unterhalten, (Frank Tempel [DIE LINKE]: Haben Sie einen gefunden? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie ins Plenum, da gibt es auch welche!) der mir von seinen Streifengängen und Schichtdiensten in der Nacht in der Nähe des Hauptbahnhofes und an einigen Brennpunkten erzählt hat. Ich habe ihn gefragt, was denn die Politik für ihn tun könnte. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn?) Er hat mir geantwortet, dass er gerne Schichtdienst macht und den Kopf hinhält. Für ihn wäre aber ein deutliches Zeichen wichtig, dass die Politik hinter ihm steht. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, richtig!) Mit diesem Gesetz (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kostet Sie keinen Cent!) werden wir deutlich machen, dass sich die Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte auf die Union und diese Koalition verlassen können, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für vernünftige Ausstattung zu sorgen, das ist Ihnen zu teuer! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Nulltarif wollen Sie das machen! Das ist die Wahrheit!) Auf uns verlassen können sollen sich auch die Rettungskräfte wie zum Beispiel Sanitäter. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben jahrelang auf Kosten der Bundespolizei gespart!) – Herr Kollege Dr. von Notz, ich weiß, dass gute Argumente manchmal wehtun können. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ein richtiger Bescheidwisser!) Im Augenblick geht es darum, dass wir auch unsere Rettungskräfte schützen, die oftmals nach Feierabend in ihrer Freizeit bei Großveranstaltungen, aber auch bei ganz normalen Einsätzen ehrenamtlich bzw. unbezahlt zur Stelle sind, wenn Menschen verletzt worden sind. Auch sie haben unseren Schutz verdient. Wer spürbar und nicht unerheblich eine Rettungshandlung behindert, wer im Krankenhaus Ärzte und Krankenhauspersonal behindert und wer, obwohl er es könnte, eine Rettungsgasse nicht freimacht, muss mit der strafrechtlichen Antwort dieses Staates rechnen, weil wir die Gefährdung von Menschenleben in Rettungssituationen nicht dulden und akzeptieren wollen. Deswegen haben wir einen neuen § 323c StGB geschaffen, der genau diese Situation zum Schutz der Rettung von Menschen – und aus keinem anderen Grund – regelt. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Heute sind vier Gaffer verurteilt worden!) Meine Damen und Herren, Respekt für unsere Polizei, für Feuerwehr und Rettungskräfte lässt sich natürlich nicht allein durch das Strafrecht erzielen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lässt sich überhaupt nicht durch Strafrecht erzielen! Das ist das Problem!) Wir brauchen neben einer strafrechtlichen Lösung auch eine bessere Ausstattung und mehr Stellen bei der Polizei dort, wo es notwendig ist. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Die abgebaut worden sind!) Der bessere strafrechtliche Schutz aber ist ein wichtiges Zeichen auch für die Haltung dieses Staates, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kostet nichts! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Symbol, das nichts kostet!) dass wir Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte nicht allein lassen und dass wir bei ihrem schwierigen Dienst für Demokratie und unsere Rechtsordnung an ihrer Seite stehen. Deswegen kann ich Ihnen nur zurufen: Unterstützen Sie diesen Rechtsstaat durch ein Ja zu diesem Gesetz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste spricht die Kollegin Bettina Bähr-Losse von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bettina Bähr-Losse (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch verdient Respekt – übrigens auch die Kolleginnen und Kollegen, die hier vorne stehen und reden. Jeder hat ja hier die Möglichkeit, seine Meinung kundzutun. Deswegen fände ich es eigentlich ganz gut, wenn wir uns nicht immer extrem ins Wort fallen würden. Respekt verdienen aber insbesondere Polizistinnen und Polizisten, andere Vollstreckungsbeamte sowie Rettungskräfte in Ausübung ihres Dienstes. Denn es handelt sich um Menschen, die nicht wie Sie und ich frei wählen und entscheiden können, ob sie sich in gefährliche Situationen begeben wollen oder eben nicht. Vielmehr verlangt ihre Arbeit gerade auch das von ihnen. Und sie tun das in unser aller Interesse als Repräsentanten der staatlichen Gewalt. Genau das ist es, was den Unterschied zu einem Angriff auf eine Individualperson ausmacht. Es ist also folgerichtig, einen tätlichen Angriff auf einen Repräsentanten des Staates stärker zu bestrafen als den Angriff auf eine Individualperson. In diesem Zusammenhang finde ich es auch richtig, dass künftig – so jedenfalls unser Wunsch – jede Diensthandlung geschützt wird – und nicht nur die, die unmittelbar in Verbindung mit einer Vollstreckungshandlung steht. Widerstandsdelikte gegen Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte hat es auch früher schon gegeben. Leider übertreibe ich aber wohl nicht, wenn ich sage, dass es in unserer Gesellschaft nicht nur eine Verrohung und Enthemmung in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation gibt, sondern leider auch durch ein zum Teil schlagkräftiges Handeln gegenüber Menschen, die den Staat repräsentieren, oder gegenüber jenen, die anderen Hilfe leisten wollen. Mit Letztgenannten sind Rettungsdienste, aber beispielsweise auch Hilfskräfte – wir haben es schon gehört – des Katastrophenschutzes und der Feuerwehr gemeint. Bisher war die Behinderung, zum Beispiel von Rettungsdiensten, nur strafbewehrt, wenn sie durch Gewalt, Drohung mit Gewalt oder einen tätlichen Angriff erfolgte. Der Katastrophentourist, der die Rettungs- und Aufräumarbeiten behinderte, und auch der Schaulustige, der dem Notarzt und anderen zu Hilfe eilenden Personen im Weg stand und eine Hilfeleistung verzögerte oder behinderte, konnten nicht bestraft werden. Wir müssen leider feststellen, dass diese Arten von Behinderungen ebenfalls zugenommen haben. Es darf daher auch nicht verwundern, dass in der öffentlichen Anhörung deutlich wurde, dass die Behinderung von Rettungsmaßnahmen strafrechtlich sanktioniert werden muss, und zwar unabhängig davon, auf welche Weise diese Behinderung geschieht, und unabhängig davon, ob die hilfeleistende Person zu dem von § 115 Absatz 3 Strafgesetzbuch erfassten Personenkreis, also Polizei und Rettungskräfte, gehört. (Beifall bei der SPD) Aus diesem Grund soll in § 323c Absatz 2 Strafgesetzbuch die Behinderung von Personen unter Strafe gestellt werden, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Dritten Hilfe leisten oder leisten wollen. Damit erweitert die Vorschrift den Schutz für uns alle vor Gefahren durch eine verzögerte oder verhinderte Hilfeleistung. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese neue Sanktionsmöglichkeit ausdrücklich, und ich ganz persönlich erachte es als ausgesprochen wichtig, dass der Gesetzgeber deutlich aufzeigt, dass er die zunehmende Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste und die Behinderung von Rettern ernst nimmt und weiter gehend sanktioniert als bisher. Ich verstehe dieses Gesetz als Signal an unsere Vollstreckungsbeamten und Rettungskräfte: Wir stehen hinter euch! Wir wertschätzen und respektieren die Arbeit von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, ihren Dienst für uns alle. In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung für das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Armin Schuster von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegin Bähr-Losse und viele Vorredner haben, glaube ich, selbst den Grünen und Linken juristisch sehr gut erklären können, warum das ein sehr gutes Gesetz ist. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein! Das ist gescheitert! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann ist es ja politisch schon vorbei! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Es ist kein gutes Gesetz!) – Doch, da bin ich ganz sicher. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein, ist gescheitert!) Ich bedanke mich, dass ich als Innenpolitiker diese Debatte in dem fachfremden Ressort Justiz abschließen darf. Wir fühlen uns als gemeinsames Team. Ich möchte den Grünen recht geben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben wir was falsch gemacht! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist jetzt der 1. April, oder was?) In diesem Gesetzentwurf steckt neben den vielen richtigen rechtlichen Dingen, die wir gemacht haben, ein gutes Stück Haltung und Körpersprache dieses Staates. Das soll eine Signal- und Symbolwirkung haben, nämlich: Null Toleranz gegenüber Angriffen auf den Staat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja mal eine Pointe!) Dass das nach Ihrer Meinung Symbolpolitik ist, finde ich ein gutes Zeichen. Insofern haben Sie uns eigentlich nur bestärkt. Sie haben verstanden, was wir wollen: (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenigstens behaupten Sie nicht, dass Sie die Beamten schützen!) Wer den Staat angreift, wer die Regeln nicht einhalten will, wer die Repräsentanten des Staates angreift, wird, mindestens aus Sicht der Union und der SPD, nicht auf Verständnis stoßen, sondern auf das Gegenteil. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben aber auch kein Verständnis! Diese Unterstellung ist wirklich das Letzte, Herr Schuster! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie fachfremd ist das?) Meine Damen und Herren, vor allem von den Linken und den Grünen, ich gebe Ihnen recht, dass man mit Präventionsinstrumenten gegen Gewalt und Kriminalität vorgehen muss. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit einer gut ausgestatteten Justiz zum Beispiel!) Ich gebe Ihnen nicht recht, dass das ein Allheilmittel ist. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das hat niemand gesagt!) – Doch, Sie haben nämlich keine anderen Angebote in Ihrer Rede gemacht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stärkung der Justiz! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Justiz stärken, mehr Personal – das ist der ganze Kasten!) Sie haben keine Angebote und keine Lösungsvorschläge gemacht, wie Sie vorgehen würden. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Justiz stärken! Mehr Personal! Bessere Ausstattung!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel zu? Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, mit allem Respekt vor den Sachverständigen: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unbelehrbar! Wirklich!) Es gibt Täter, bei denen Prävention nicht wirkt. Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Tempel von der Fraktion Die Linke zu? Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich führe noch den Gedanken zu Ende. – Es gibt Täter, bei denen weder Prävention noch Deeskalation wirken, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wirkt auch keine Symbolpolitik! sondern nur eine einzige Sprache: eine kompromisslos konsequente Haltung des Staates, die die Regelhüter einnehmen müssen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber diese Normen gibt es, Herr Schuster!) Und das möchte die Union: Wir möchten eine kompromisslos konsequente Haltung. Jetzt mache ich Ihnen noch den Unterschied zwischen Körperverletzung und dem neuen § 114 Strafgesetzbuch klar, den Sie nicht verstehen. Dass Ihnen das ein Innenpolitiker erklären muss, ist komisch. Wir haben folgenden Einstieg gewählt: Wer rempelt oder tätlich angreift, wird dafür mit Freiheitsstrafe rechnen müssen. Das ist ein ganz starkes Signal eines starken Staates. Bei der Körperverletzung läuft es eventuell auf eine Geldbuße hinaus. So hätten Sie es gerne, wir nicht. Wer einen Polizisten anrempelt oder tätlich angreift, geht künftig mit Freiheitsstrafe nach Hause. (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: So ist es! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Der „geht künftig mit Freiheitsstrafe nach Hause“ – was ist das für ein schönes Bild!) Das ist das Signal, was wir senden müssen und wollen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD]) Jetzt kann Herr Tempel fragen. Frank Tempel (DIE LINKE): Herr Kollege Schuster, wir kommen beide aus dem Polizeidienst. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Nein, ich bin Bundestagsabgeordneter. Frank Tempel (DIE LINKE): Insofern bin ich solidarisch und will noch einmal helfen. Es ist natürlich kein Allheilmittel, hier mit präventiven Mitteln zu arbeiten. Deswegen habe ich auch eine ganze Reihe von Mitteln angesprochen, auf die Sie in Ihrer Antwort gerne noch einmal eingehen können. Wir haben eben gesagt, dass es hauptsächlich an den fehlenden Ressourcen liegt, dass es nach ersten Straftaten eine Konsequenzenlosigkeit gibt. Kein Gewalttäter fällt vom Himmel, sondern es ist eine Entwicklung, in die wir lange nicht eingreifen. Es gibt auch keine sozialen Reaktionen des Staates mit entsprechend geschultem Personal. Das ist eine Baustelle. Es wird seit Jahren angesprochen, dass der Staat viel zu spät reagiert. Das war eine Möglichkeit. Ich habe auch die personellen Ressourcen bei der Staatsanwaltschaft angesprochen. Ich bin nach der ersten Lesung auf Vorschläge Ihrer Fraktion eingegangen. Ich habe gesagt: Selbstverständlich reden wir beim Thema Personal und beim Thema Ausrüstung mit. Auch das habe ich angesprochen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, haben wir alle gesagt!) Wenn Sie aufmerksam und konzentriert zugehört hätten, dann müssten Sie doch mitbekommen haben – dass ich nur ein Beispiel herausgegriffen habe, das war die Prävention; weil ich in der Opposition bin, habe ich nur fünf Minuten Redezeit –, dass ich aber mehrere Sachen angesprochen habe, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen hat man Fragerecht, um noch einmal ein ganz langes Statement zu machen!) die sich zum Teil mit Ihren Vorschlägen decken. Ich habe angeboten, dass wir darüber diskutieren. Meine Rede endete mit der Ausführung, dass wir sehr gerne bereit sind, bei allen tatsächlich wirkungsvollen Mitteln zur Senkung der Gewalt – auch gegen Polizeibeamte, aber nicht nur – mitzudiskutieren. Wir wollen keine Placebos, die niemandem helfen; das Strafrecht eignet sich nicht für Symbolpolitik. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Würden Sie das anerkennen? Das ist die Frage!) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Herr Tempel, ich kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie mal!) Ihre Rede begann mit den Worten: Wir müssen uns mit dem gesamten Problem der Gewaltkriminalität – sie erfährt eine große Steigerung, 6,7 Prozent; das ist gewaltig in einem Jahr – auseinandersetzen. Das ist aber nicht Gegenstand dieser Debatte. Gegenstand dieser Debatte ist: Was tun wir, wenn Täter Vollstreckungskräfte, Rettungsdienstler, Ehrenamtler in Ausübung ihres Dienstes angreifen, verletzen? (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine ist ein Teil von dem anderen!) Für die Zuschauer: Es gab 67 114 verletzte Polizeibeamte im Jahr 2016. Was tun wir mit den Tätern? Nur darum geht es jetzt. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Krings hat gesagt: Wir machen eine Kampagne!) Jetzt kommt der diametrale Unterschied zwischen uns beiden: Ich glaube felsenfest daran, dass der Warnschuss, den der neue § 114 Strafgesetzbuch abgibt – die Androhung einer Freiheitsstrafe –, eine enorme Wirkung erzielt, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei wem denn?) und zwar dann – jetzt kommt der Appell an die deutschen Polizeibehörden –, wenn wir erstens alles konsequent zur Anzeige bringen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Betrunkenen, bei häuslichen Gewaltfällen!) wenn zweitens die Staatsanwaltschaft – es gibt mittlerweile gute Beispiele in der Republik; Herr Fechner hat eines in seiner Nähe; die Staatsanwaltschaft Offenburg wirbt dafür – konsequent jede Anzeige zur Anklage bringt und die Richter drittens konsequent aburteilen. Meine Damen und Herren, wenn die Sanktionskette – erst der Angriff auf einen Staatsdiener, dann die Aburteilung und das Ableisten des Strafvollzugs – wirkt, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist doch das Problem!) dann ist das das große Signal, das von diesem § 114 Strafgesetzbuch ausgeht. Ich verspreche Ihnen: Dann sinken die Zahlen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt doch nicht am Gesetz, sondern an mangelnden Ressourcen!) Im Übrigen kommen Sie mir mit Ihren Vorschlägen vor wie meine Mutti: Egal mit welcher Verletzung ich heimkam, sie hatte immer Mobilat bereit, aber geholfen hat es nie. Es tut mir leid. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Dann hören Sie mal auf Ihre Mutter! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt muss ich mich einmal für Ihre Mutter starkmachen!) Wir machen Vorschläge, die helfen. Noch einmal eine Idee, Herr Dr. von Notz: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich spreche hier für Mutter Schuster! Ich finde das ungeheuerlich!) Sie können Wirkungsanalysen über Politik machen. Schauen Sie sich die Polizeiliche Kriminalstatistik einmal an. Wo sind denn die sichersten Bundesländer in Deutschland? (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Sie sind dort, wo CDU- und CSU-Innenminister regieren und eine klare Sprache sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist eine klare Sprache, das sind klare Gesetze. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie seit zwölf Jahren im Bund!) – Ich habe mir vorgenommen, diese Debatte friedlich zu Ende zu bringen. Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege Schuster, der Kollege Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen drängt darauf, Ihnen eine Frage zu stellen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da drängen sich auch viele Fragen auf bei Ihren Ausführungen!) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Gerne. – Habe ich eigentlich noch Redezeit, oder bin ich schon drüber? Vizepräsidentin Michaela Noll: Noch 1 Minute und 15 Sekunden. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich kann ja mein Manuskript verschenken oder so. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Herr Kollege Schuster, wir verlassen vielleicht für einen Augenblick Ihren Wahlkampf und kommen auf die konkreten Sachverhalte zurück. Sie haben von 67 000 Verletzten gesprochen. Vorhin haben wir schon die Zahl von über 40 000 angezeigten Straftaten gehört. Können Sie denn auch hinzufügen, in wie vielen Fällen die Täter dingfest gemacht werden konnten, festgestellt werden konnten? Daraus ergibt sich nämlich, dass das eigentliche Problem nicht die Frage der Strafbarkeit ist – nach allgemeinem Strafrecht, nach § 113 StGB, ist es sowieso heute schon strafbar –, sondern es ein Vollzugsproblem gibt. Sie als Polizeibeamter müssen doch wissen, dass es sehr schwierig ist, sich während einer polizeilichen Maßnahme oder in einem Unglücksfall dann auch noch um die Leute zu kümmern, die etwa einen Polizisten angerempelt haben, beleidigt haben oder etwas Ähnliches getan haben – ganz abgesehen davon, dass das alles nichts hilft, wenn ein Polizist beispielsweise alleine auf Streife ist, weil es zu wenige Polizeibeamte gibt, um Doppelstreifen zu besetzen. Da liegt das Problem. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, Sie geben jetzt schon zu, dass das ziemlich schwache Argumente sind, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, hat er nicht!) wenn Sie von der eigenen Ohnmacht sprechen, es versuchen zu wollen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Es ist ein Vollzugsdefizit!) Ich werbe ungerne mit irgendwelchen individuellen Maßnahmen aus irgendwelchen Wahlkreisen und lasse es auch jetzt. Aber ich kann Ihnen eines versichern: Ich könnte Ihnen auf der Stelle einen Polizeipräsidenten benennen, der seine Mitarbeiter mit Einsatzleitlinien, in denen er eine ganz niedrige Toleranzschwelle festlegt, dazu anhält, konsequent jede Beleidigung, jedes Rempeln, jeden Angriff anzuzeigen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn sie den Täter nicht haben? – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem Anzeigen ist es ja nicht getan! Es muss ja Konsequenzen haben!) Jetzt sage ich mal, weil es nicht mein Wahlkreis ist – der rechtspolitische Sprecher der SPD nimmt mir das bestimmt nicht übel; es ist in seiner Nähe –: Die Staatsanwaltschaft Offenburg klagt konsequent bei jeder dieser Straftaten an, sorgt für eine beschleunigte Behandlung und beantragt von vornherein einen höheren Strafrahmen, und sie schafft es. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und deswegen braucht es Ihr Gesetz nicht, Herr Schuster! Das ist genau der Punkt! Exakt! Wir haben ein Vollzugsdefizit! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich selber widerlegt! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das beste Argument gegen Ihr Gesetz!) Ich gebe zu, dass man damit neue Prioritäten setzt. Das ist das Signal, das von diesem Gesetz ausgehen soll: Der Staat sendet ein Signal der Nulltoleranz. Für die Umsetzung sind die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Gericht verantwortlich. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das nämlich!) Wer das will, wer eine Politik wie in Bayern oder Baden-Württemberg will – Sie wissen, wer da regiert –, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Mehr Grün hilft!) der kriegt jetzt eine Chance. Wer es nicht will, muss halt damit leben, so wie Nordrhein-Westfalen. Tut mir leid, ich kann es nicht anders sagen – da ist es halt so, wie es ist. Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren: Wenn Sie diesem Gesetz zustimmen, machen Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben etwas Gescheites. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beweisen Sie mal, dass Sie in der Innenpolitik Mumm haben. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den haben Sie verloren!) Das wäre mal ein Signal der Grünen. Letzter Satz. Herr Dr. von Notz, ich wäre unglaublich froh, wenn Sie im nächsten Bundestag noch vertreten wären – da kann man ja Zweifel haben – und die Chaoten rechts von uns, die eventuell reinwollen, nicht reinkämen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wollen wir es behalten!) Aber dafür müsst ihr mal eure Frau und euren Mann in der Innenpolitik stehen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeden Tag, Herr Schuster, jeden Tag!) Das gilt es zu tun, und wir tun das. Es war die Legislaturperiode der inneren Sicherheit in diesem Land – da werden Sie keine vergleichbare finden. Dank an die SPD. Und: Ich stehe gerne für Beratungen zur Verfügung. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12153, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11161 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12153, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11547 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Enthaltungen? – Gegenprobe! – Die Beschlussempfehlung ist einvernehmlich angenommen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erledigt ist immer gut!) Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen Drucksache 18/12099 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Eigentlich wollten wir heute in diesem Parlament über unseren Antrag, den Nachzug der Familien geflüchteter Menschen nach Deutschland wieder zu ermöglichen, diskutieren. Dass es dazu nicht kommt, haben wir tragischerweise der SPD zu verdanken, die aus wahltaktischen Gründen die Beratung hier blockiert. Offenbar fürchtet sie sich, hier im Bundestag öffentlich Farbe zu bekennen und öffentlich zuzugeben, dass sie weiter an ihrem Gesetz, mit dem geflüchtete Familien dauerhaft voneinander getrennt werden, festhalten will. Ich kann Ihnen nur sagen: Jeder Tag des Wartens und jeder Tag der Trennung ist für diese Familien ein Tag zu viel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Und ich sage Ihnen auch: Sie werden nicht umhinkommen, hier in diesem Parlament zu entscheiden, ob Sie in dieser Frage mit uns sind oder gegen uns sind, liebe SPD. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Rüdiger Veit [SPD]: Können wir machen!) In der heutigen Debatte geht es um die Afghanistan-Politik dieser Bundesregierung, die trotz weiter steigender Zahlen ziviler Opfer an Abschiebungen nach Afghanistan festhält. Sie beruft sich dabei auf vermeintlich sichere Gebiete, die sie selbst aber nicht klar benennen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst vergangenen Freitag sind bei einem Taliban-Angriff auf eine Militärbasis in der nordafghanischen Provinz Balkh mindestens 140 Soldaten ums Leben gekommen. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so schlecht wie schon lange nicht mehr. Und während die Bundeskanzlerin nach diesem Blutbad noch kondoliert, verteidigt Außenminister Gabriel, ohne überhaupt Bezug auf den Anschlag zu nehmen, die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan. Mich, uns lässt das sprachlos zurück. Das hat weder etwas mit respektvollem Umgang auf Augenhöhe mit der afghanischen Regierung zu tun, noch wird es unserer außenpolitischen Verantwortung gegenüber diesem Land gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich sage es ganz deutlich: Es darf nicht sein, dass nach so einem massiven Anschlag die erste Amtshandlung der Bundesregierung ist, erneut eine Chartermaschine zu buchen, damit abgeschoben werden kann. Wie sollen wir der Bundesregierung vor diesem Hintergrund ernsthaft abnehmen, dass sie die Sicherheitslage täglich prüft und tatsächlich einschätzen kann? Das geht sogar so weit, dass sich in den Antworten auf unsere Frage, aus welchen afghanischen Provinzen die Abgeschobenen kommen, iranische Provinzhauptstädte finden. So viel zum Thema Kenntnis. Ich finde, das zeugt von großer Unkenntnis, aber auch von Ignoranz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deswegen fordern wir in unserem Antrag, dass Außenminister Gabriel seine Sicherheitseinschätzung ändert und endlich die Erkenntnisse und Einschätzungen der Akteure vor Ort mit einbezieht. Selbst unsere Bundeswehr wertet den Angriff auf das afghanische Militärlager als weiteres Zeichen einer verschlechterten Sicherheitslage, nachdem bereits das Generalkonsulat 2016 in Masar-i-Scharif schließen musste. Der UNHCR macht unmissverständlich klar, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen ist und man aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage eben keine sicheren und unsicheren Regionen ausmachen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abschiebungen sind eines der sensibelsten Themen in der Asylpolitik. Deshalb haben wir, die grüne Fraktion, in einer Kleinen Anfrage nach den Umständen der Abschiebungen nach Afghanistan gefragt. Die Antworten der Bundesregierung sind teilweise flapsig, vor allen Dingen aber auch schockierend. So werden wichtige medizinische Informationen über die Betroffenen nicht übermittelt. Es sind reine Zufälle, wenn Mitarbeiter der Ausländerbehörden dem mitfliegenden Arzt Infos oder Medikamente zustecken. Über den Verbleib der Abgeschobenen hat die Bundesregierung keinerlei Kenntnisse. Es ist noch nicht einmal sichergestellt, dass die Abgeschobenen ihren wenigen Besitz mitnehmen können oder Pässe haben. Die einzelnen Flüge sind extrem teuer. So kostet ein Flug mindestens 300 000 Euro. Ich sage an dieser Stelle aus voller Überzeugung: Dieses Geld wäre sinnvoller in der Integrationsarbeit hier in Deutschland oder im Aufbau von Infrastruktur für die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan eingesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist mitnichten so, wie uns die Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, heute in der Presse glauben machen will, dass es sich bei den Abgeschobenen nur um schwere Straftäter handelt. Ich nenne Ihnen einen Fall, der beispielhaft ist für den Großteil der bislang abgeschobenen Afghanen: Ein 23-jähriger Afghane, der als Minderjähriger in Deutschland Schutz suchte und seit fast sieben Jahren in München lebt, mit einer Deutschen verlobt ist, seit Jahren fest angestellt seinen Lebensunterhalt selbst verdient, nie straffällig geworden ist, wurde von der Arbeitsstelle in die Abschiebehaft nach Mühldorf verbracht und am vergangenen Montag nach Kabul abgeschoben. – Solche Fälle belasten auch die vielen in der Flüchtlingsarbeit engagierten Menschen. Sie haben alles getan, um die Menschen bei uns gut und schnell zu integrieren. Nun müssen sie denen, die ebenfalls alles getan haben, um hier auf eigenen Beinen zu stehen, erklären, warum sie nach so vielen Jahren abgeschoben werden. Ich finde, das geht überhaupt nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Gut integrierte Menschen werden in ein unsicheres Land abgeschoben, mit mehr als drei Bundespolizisten an der Seite. Ich weiß nicht, aber was ist das anderes als populistischer Wahlkampf auf dem Rücken von Schutzsuchenden? Wir fordern deshalb in unserem Antrag das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums zur Verlängerung des Abschiebestopps, eine Aussetzung der gemeinsamen deutsch-afghanischen Erklärung zur Rückführung, keine Widerrufe von Anerkennungen oder Abschiebeschutzentscheidungen bei afghanischen Geflüchteten durch das Bundesamt, wie es derzeit passiert, und schlussendlich eine der Sicherheitslage in Afghanistan angemessene Entscheidungspraxis des Bundesamtes; denn nur so sieht eine würdige und humane Asylpolitik gegenüber diesem Land aus. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächste hat das Wort die Kollegin Andrea Lindholz von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, Afghanistan ist ein sehr armes Land, und es befindet sich seit Jahrzehnten nicht im Friedenszustand. Afghanistan ist aber leider kein Einzelfall. Es leben heute laut Weltbank 2 Milliarden Menschen in Ländern, die unter Konflikten, unter Gewalt, unter schwacher Staatlichkeit leiden, und 80 Prozent aller humanitären Not in der Welt wird von Konflikten verursacht. Es ist besonders traurig, dass dieselben zehn Konfliktherde, die heute 95 Prozent der Flüchtlinge weltweit verursachen, schon vor 25 Jahren existiert haben. Afghanistan ist einer dieser Konfliktherde. Der Sudan, Eritrea, die Demokratische Republik Kongo und Myanmar sind weitere. In Afghanistan engagiert sich Deutschland besonders stark. Wir sorgen dort seit 15 Jahren mit der Bundeswehr für mehr Sicherheit. Wir haben erst im Dezember 2015 unser Bundeswehrmandat mit Zustimmung von Teilen der Fraktion der Grünen verlängert. Wir haben in den letzten drei Jahren viel in die Krisenhilfe dort investiert. Allein für die kommenden drei Jahre sind es 1,7 Milliarden Euro. Die Frage, die sich heute stellt, ist, liebe Frau Kollegin Amtsberg, ob es gerechtfertigt ist, wegen des neuerlichen Anschlags einen vollständigen Rückführungsstopp, einen vollständigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan auch politisch zu vertreten. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch deswegen!) Auch nach meinen zwei neuerlichen Anfragen an das Auswärtige Amt ergibt sich keine neue, keine andere Einschätzung der Sicherheitslage. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Afghanistan ist ein Land, das doppelt so groß wie Deutschland ist. Dort leben 33 Millionen Menschen. Es gibt Gebiete, in denen auch nach Ausführungen des UNHCR keine bewaffneten Konflikte und keine konfliktbezogene Binnenvertreibung stattfinden. Auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte sagt, dass es für die zivile Bevölkerung in Teilen Afghanistans Gebiete gibt, in denen die Menschen sicher sind. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zynisch! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche, Frau Lindholz? Welche?) Das ist der Grund, warum wir uns nach wie vor nicht für einen vollständigen Abschiebestopp mit Blick auf Afghanistan einsetzen. Das wäre das falsche Signal. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier um Asyl, nicht um Signale! Wir sind hier keine Ampel!) Wir sind der Auffassung – dieser Auffassung waren wir schon die ganze Zeit –, dass es immer um eine sorgfältige Einzelfallprüfung gehen muss. Genau das steht auch auf Seite eins des Berichtes des UNHCR. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind aber nicht zufrieden mit Ihrer Arbeit! Sollten Sie mal weiterlesen!) Manchmal schadet es nicht, wenn man einen Bericht vollständig liest. Genau das ist auch die Praxis, die in Deutschland erfolgt: Jeder Einzelfall wird geprüft. Wenn Abschiebungen und Rückführungen erfolgen, werden alleinstehende junge Männer und Straffällige abgeschoben und keine Familien. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch alleinstehende junge Männer können Schutzanspruch haben!) Dazu können Sie sich die Zahlen aus dem letzten Jahr und aus diesem Jahr ansehen. Diese legen eindrucksvoll dar, wie vorsichtig Deutschland, die Bundesregierung, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die zuständigen Rückführungsbehörden sind. Im Jahr 2016 hatten wir 25 000 abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan. Von diesen sind nur 67 Menschen zurückgeführt bzw. abgeschoben worden. Im Jahr 2017 hatten wir bis Ende Februar 12 800 vollziehbar Ausreisepflichtige. Davon sind nur 72 Personen zurückgeführt worden, weil eben jeder Einzelfall genau betrachtet wird. Das ist für uns auch weiterhin der Maßstab im Umgang mit Rückführungen nach Afghanistan. (Beifall bei der CDU/CSU) Im letzten Jahr sind 3 300 Menschen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Wir haben die Rückführungshilfen des Bundes auf 90 Millionen Euro aufgestockt. Das muss der richtige Weg sein. Wir können in diesen Fällen nicht pauschal sagen: Wir setzen die Rückführung grundsätzlich aus. – Wir müssen uns auch immer überlegen, was das für ein Signal senden würde. Wollen wir nach Afghanistan das Signal senden, dass alle jungen Männer – diese sind teilweise gut ausgebildet – dieses Land verlassen sollen? (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie ein Signal setzen, oder wollen Sie Einzelfallprüfungen?) Es ist auch Aufgabe der Afghanen, in ihrem Land für bessere Verhältnisse zu sorgen. Die Probleme Afghanistans können wir nicht allein und ausschließlich hier bei uns in Deutschland lösen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Asylanerkennungsquote für Afghanen in Deutschland liegt bei knapp 50 Prozent. In anderen europäischen Ländern liegt sie durchschnittlich bei nur knapp 32 Prozent. Länder wie die Niederlande, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Norwegen führen wesentlich mehr Menschen nach Afghanistan zurück, als wir das im Jahr 2016 und auch im Jahr 2017 getan haben. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Grönland?) Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade Einzelschicksale, Einzelfälle und deren Bleibeperspektiven angesprochen. Dazu sage ich: Wir haben mit dieser Koalition in den letzten anderthalb, zwei Jahren sehr viel gemacht, um insbesondere Härtefälle abzufedern. Einen Fall haben Sie gerade genannt. Wir haben dafür Sorge getragen, dass es bessere Bleibeperspektiven für die Menschen gibt, die – je nachdem, ob sie Familie haben oder nicht – sechs oder acht Jahre hier sind, die für ihren Lebensunterhalt weitestgehend selber aufkommen können, eine Ausbildung gemacht haben oder eine Arbeitsstelle haben. Diese Menschen können einen Anspruch auf ein Bleiberecht erwirken, wenn sie sich entsprechend anstrengen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gerade ein Beispiel genannt, wo das nicht geklappt hat! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht die Realität!) Wir haben mit der Drei-plus-zwei-Regelung im Bereich der Ausbildungsverhältnisse Ausnahmen geschaffen. Wenn wir uns überhaupt einen Vorwurf machen müssen, dann den, dass wir falsche Signale gesendet haben, nach Deutschland zu kommen. Es gibt viele junge Männer, auch in meinem Wahlkreis, die nicht aus Afghanistan hierhergekommen sind. Sie sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus anderen Ländern hierhergekommen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt kommt wieder diese Schote!) Das ist nachvollziehbar und verständlich. Aber dafür haben wir nicht unser Asylrecht. Für viele dieser jungen Afghanen, die hier sind und jetzt nach Afghanistan zurückkehren, ist es eine schwierige Situation. Deswegen muss es auch für die Zukunft heißen: Wir müssen klarmachen, wer in unserem Land eine Bleibeperspektive hat und wer in diesem Land keine Bleibeperspektive hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel die, die sieben Jahre hier sind!) Es gibt auch Menschen, die sich aufgrund der langen Asylverfahren schon länger hier aufhalten; das ist richtig. Da gibt es Einzelfälle, bei denen ich, wenn ich mich mit dem einen oder anderen unterhalte, sagen muss: Das ist hart. – Es sind Menschen, die länger hier waren, weil wir mit den Verfahren nicht schnell genug waren. Deswegen haben wir alles darangesetzt, die Verfahrensdauer beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verkürzen. Die Menschen müssen schnell und zügig Klarheit haben und wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Das sind die richtigen Wege. Wir können keine Ausnahmefälle zulassen, wenn jemand keinen Anspruch darauf hat, bei uns zu bleiben. Wenn jemand dieses Land nicht freiwillig verlässt, müssen wir zum letzten Mittel der Rückführung greifen; denn sonst ist unser Asylrecht schlicht nicht glaubhaft. Welches Bild vermitteln wir den Bürgerinnen und Bürgern, wenn wir Recht und Gesetz, die bei uns gelten, schlussendlich nicht auch umsetzen? (Beifall bei der CDU/CSU) Um zum Schluss zu kommen: Wenn wir Einzelfälle betrachten, bei denen wir vielleicht der Auffassung sind: „Da müsste man noch ein bisschen mehr tun“, dann liegt es an uns, den § 22 unseres Aufenthaltsgesetzes, der besondere Härtefälle normiert, anders auszugestalten. Hierauf hat sich die Koalition im letzten Koalitionsausschuss verständigt. Auch da geht es dann wieder um Einzelfallregelungen, wenn wir vom Generellen abweichen. Für Afghanistan gilt: Solange das Auswärtige Amt keine andere Einschätzung der Sicherheitslage vornimmt (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben recht: Es liegt am Auswärtigen Amt! Das stimmt!) und solange es Gebiete gibt, in die die Menschen zurückkehren können und in denen es für die zivile Bevölkerung weniger bzw. keine Gefahren gibt, können wir auch keinen generellen Rückführungsstopp nach Afghanistan vertreten. Das wäre der falsche Weg. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Als Nächste spricht Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lindholz, ich finde Sie unglaublich zynisch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU) Ich will ganz deutlich sagen, dass auch junge Männer, die Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind, nach der Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht darauf haben, dass wir sie schützen. Es ist einfach nur zynisch, wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: Es sind ja nur junge Männer. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt! – Gegenruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, doch! Das stimmt schon! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! Ich lasse mir von Ihnen nichts unterstellen, was ich nicht gesagt habe! Hören Sie sich meine Rede an! Ich lasse mir das von Ihnen nicht länger gefallen! Hören Sie mal bei einer meiner Reden richtig zu!) Es sind psychisch Kranke. Es sind Menschen, die in der Ausbildung sind. Es sind Leute, die seit Jahren in Deutschland leben. Also bitte: Schauen Sie sich die Liste derjenigen an, die Sie im Moment in ein Kriegsland – in ein Kriegsland! – zurückschicken! Das ist der entscheidende Punkt. Deswegen sind wir dafür, dass diese Abschiebungen ausgesetzt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Anlass der heutigen Debatte kommen. Ursprünglich wollten wir – die Kollegin Amtsberg hat es schon gesagt – den Familiennachzug debattieren, der ausgesetzt worden ist, insbesondere für subsidiäre Flüchtlinge, also für Flüchtlinge, die hierzulande nur vorübergehend, für ein Jahr, einen Schutzstatus haben. Dieses Unrecht, das im Rahmen des Asylpakets II beschlossen wurde, hätten wir heute rückgängig machen können. Die Anträge von Grünen und Linken sind abstimmungsreif. In Anhörungen usw. wurde über sie diskutiert. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel für die Grausamkeiten vorführen. Der Soldat Salah J. ist 2015 nach Deutschland gekommen, weil er nicht gegen seine eigene Bevölkerung Krieg führen wollte. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wieder ein Einzelfall! Um den geht es hier aber nicht!) Seine schwangere Frau und sein Kind musste er zurücklassen. Seine Frau ist nach zwei Jahren Wartezeit, weil er keine Familienzusammenführung genehmigt bekommen hat, auf ein Boot gestiegen. Im März dieses Jahres ist sie ertrunken. Das ist die Familie. (Die Rednerin hält ein Bild hoch) Ich möchte, dass Sie alle einmal sehen, wie grausam das Schicksal hierzulande ist. Im Grunde genommen wird von der Bundesregierung verhindert, dass Familien zusammengeführt werden. Sie tragen eine Mitverantwortung dafür, dass Menschen zu Tode kommen. Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch noch einiges zum Thema Afghanistan beitragen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ich habe eine Zwischenfrage!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lindholz zu? Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, gerne. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Frau Kollegin, ich glaube, wir waren beide bei der Anhörung, als es um die Aussetzung des Familiennachzuges ging. Er ist bis März nächsten Jahres ausgesetzt. Ich kann mich an die Stellungnahme des Vertreters des Auswärtigen Amtes erinnern, der uns gesagt hat: Wenn zu den Anträgen auf Familiennachzug, die von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gestellt worden sind – für sie haben wir den Familiennachzug ja nicht ausgesetzt –, die Anträge auf subsidiären Schutz hinzukommen würden, dann wäre das Auswärtige Amt überhaupt nicht mehr in der Lage, diese Vielzahl an Anträgen so abzuarbeiten, dass ein Einzelner einen schnelleren Familiennachzug genehmigt bekommt. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesamt spricht von einer Person pro Familie! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sieht Ihre Einzelfallprüfung aus! – Rüdiger Veit [SPD]: Das ist ja das Schlimme!) Ich frage Sie deshalb: Glauben Sie, dass wir ohne Aussetzung des Familiennachzugs in der Lage gewesen wären, alle Anträge – die von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und die von subsidiär Schutzberechtigten – zahlenmäßig zu bearbeiten? Danke schön. (Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU] nimmt wieder Platz) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Lindholz, vielleicht bleiben Sie stehen, damit ich von meiner Redezeit nichts abgezogen bekomme. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Gut, das mache ich!) Abgesehen davon, dass ein Vertreter des Auswärtigen Amtes in einer Anhörung natürlich kein unabhängiger Sachverständiger ist, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das zu einem Gesetz der Bundesregierung! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ach herrje!) sondern jemand, der die Behördenmeinung vertritt, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) also die politische Meinung, die in erster Linie Sie vertreten, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, ja! Nur Grüne und NGO-Vertreter sind unabhängig!) will ich Ihnen deutlich sagen: Es gab auch ganz viele Sachverständige, die im Grunde das Grundrecht auf Familienzusammenführung betont haben. Das ist ein Grundrecht, das ist ein Menschenrecht. Wir reden hier – Sie übertreiben immer maßlos, was die angeblichen Zahlen angeht – über rund 50 000 Menschen, die gegenwärtig bewilligte Anträge haben. Die subsidiären Flüchtlinge dürfen übrigens erst im nächsten Jahr Anträge stellen – Anträge stellen, wohlgemerkt! (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das war meine Frage!) Das heißt, wir reden hier über eine solche Zahl. Ja, wenn es so ist, dann muss man mehr Menschen in den Botschaften und beim Auswärtigen Amt einstellen, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit das menschliche Leid endet, das ich Ihnen gerade mit diesem Bild vorgeführt habe; denn diese Familie gibt es nicht mehr. Die Frau und die Kinder sind ertrunken, weil es keine Genehmigung gab, mit der sie hierherkommen konnten. Ich finde es einen Riesenskandal, dass Sie diesen Punkt heute von der Tagesordnung abgesetzt haben, weil Sie offenbar Angst davor haben, dass hier Kollegen unseren Anträgen zustimmen könnten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Beantwortet ist die Frage noch nicht!) – Ich denke, ich habe Ihnen die Frage sehr klar beantwortet. Stellen Sie mehr Leute ein! In so einer Situation muss man einfach die erforderlichen Strukturen schaffen. Ich sage Ihnen: Es ist möglich. Sie tun immer so, als wenn es nicht möglich wäre. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bleiben Sie ruhig weiter stehen!) Es ist im Grunde genommen ein Skandal, dass Menschen, die die Bewilligung haben, denen nur noch der Visumsantrag fehlt, damit sie hierherkommen können, über ein Jahr in den Botschaften warten müssen, bis das Visum ausgestellt ist. Ja, wo sind wir denn? Sie tun hier doch immer so, als wenn wir alles machen könnten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommen wir zur Lage in Afghanistan: Es ist ein Bürgerkriegsland; das ist hier bereits gesagt worden. Die Lage hat sich tatsächlich verschlechtert. Wir müssen davon ausgehen, dass allein 2016  11 418 Zivilisten ums Leben gekommen sind. Das ist eine Verdoppelung der letzten sieben Jahre. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher liegen. Der Bundesminister argumentiert immer damit, nicht die Zivilbevölkerung sei das Ziel, sondern sie seien nur die Opfer der Angriffe. Es ist meines Erachtens ein Skandal, davon auszugehen, dass die Anschläge – von der NATO oder von Terroristen dort – zufällig auch Zivilisten treffen. Das finden wir eine zynische Argumentation. Zudem will ich Ihnen, Frau Lindholz, sagen: Es ist falsch. Der UN-Bericht aus dem vergangenen Jahr belegte, dass 1 118 Zivilisten Opfer gezielter Mordanschläge waren. Allein im Juli starben 100 Angehörige von den schiitischen Hazara bei einem Anschlag der Islamisten. Die Bundesregierung behauptet immer wieder, es gäbe sichere Gebiete. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn sie sie nennen, schicken sie sie dorthin zurück!) Fragt man die Bundesregierung aber danach, kann sie diese sicheren Gebiete nicht nennen. Hierzu sagt das UN-Flüchtlingskommissariat Ende letzten Jahres ganz klar: Das ganze Staatsgebiet Afghanistans ist von einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt betroffen. Im Klartext heißt das nichts anderes als: Es gibt keine sicheren Gebiete in Afghanistan. Nichts anderes ist hier gesagt worden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Trotzdem halten Sie weiterhin daran fest, afghanischen Flüchtlingen immer weniger Schutz zu gewähren. Betrachtet man die Entwicklung, waren es 2015 noch 77,6 Prozent der afghanischen Flüchtlinge, die den Schutzstatus anerkannt bekommen haben. Jetzt, Anfang Februar, sind wir bei 47,9 Prozent. Ja, wie kommt denn das? Die Lage verschlechtert sich, und die Zahl der Menschen, die Schutz bekommen, geht herunter? Vizepräsidentin Michaela Noll: Kommen Sie bitte zum Schluss. Ulla Jelpke (DIE LINKE): So geht es nun wirklich nicht. Das ist Willkür, die Sie hier veranstalten. Das ist eine wahltaktische Überlegung. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist eine Frechheit, zu behaupten, dass Behördenhandeln hier politisch motiviert war!) Sie eifern mit Ihrer Abschiebehysterie der AfD nach; das ist ganz offensichtlich. Das kann man hier einfach nicht mitmachen. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss, ja. – Ich will am Ende noch darauf hinweisen, dass man sich wirklich einmal die Berichte von Hilfsorganisationen anschauen muss. Meine Kollegin Frau Amtsberg hat schon darauf hingewiesen. Es ist wirklich erschütternd, was afghanische Flüchtlinge hier in Deutschland zurzeit durchmachen, von welchen Erlebnissen man dort lesen kann: Sie haben ständige Angst vor Abschiebung, sie werden vom Arbeitsplatz abgeholt, sie werden nachts aus dem Bett geholt. Das ist ein Riesenskandal. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Frau Kollegin, wir haben hier oben auch schon den Wechsel gemacht, deshalb kommen auch Sie bitte zum Schluss. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Stimmen Sie dem Antrag der Grünen zu, damit wir endlich eine andere Politik bekommen! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion Dr. Lars Castellucci das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Lars Castellucci (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits im Dezember, als der erste Flug mit Flüchtlingen nach Afghanistan entsendet wurde, habe ich hier im Parlament deutlich gemacht, dass ich Abschiebungen nach Afghanistan zum derzeitigen Zeitpunkt für unverantwortbar halte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe damals auch einige Einzelfälle genannt, von denen ich durch Gespräche mit Flüchtlingshelfern in meinem Büro erfahren habe. Es kam dann der Vorwurf, man könne Entscheidungen in der Politik nicht auf irgendwelchen rührseligen Geschichten gründen, sondern man müsse doch ordentliche Grundlagen dafür haben. Dem stimme ich ausdrücklich zu. Deswegen möchte ich heute sehr grundsätzlich begründen, warum ich Abschiebungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt für unverantwortbar halte. Eines aber will ich vorausschicken: Wenn wir uns von Einzelschicksalen, wie wir sie eben gehört haben – egal zu welchem Thema uns die Menschen diese vortragen –, nicht mehr berühren lassen, dann sind wir als Abgeordnete hier auch fehl am Platz. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich begründe meine Haltung in drei Schritten: Erster Punkt sind die innerstaatlichen Fluchtalternativen. Ich halte es für ein sehr sinnvolles Konstrukt, dass, wenn es innerstaatliche Fluchtalternativen gibt, diese Vorrang vor der Aufnahme in anderen Ländern haben. Ich breche das einmal herunter: Wenn es in Bayern irgendwann einmal unerträglich würde, dann wären Sie im schönen Badener Land herzlich willkommen und müssten nicht in Afghanistan Asyl beantragen. So weit, so gut. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Momentan ist es noch anders! Die meisten gehen von Berlin nach Bayern!) Im zweiten Schritt müssen wir konkret schauen, ob es diese innerstaatlichen Fluchtalternativen gibt. Das möchte ich sehr grundsätzlich machen und dabei noch einmal den Staatsbegriff ansprechen. Ein Staat ist nicht irgendetwas, was mit einem Pinsel auf die Landkarte gezeichnet wurde, sondern er muss eine bestimmte Qualität haben. Ein Land, das diese Qualität hat, zeichnet sich dadurch aus, dass jemand in diesem Land willens und in der Lage ist, das Gewaltmonopol wahrzunehmen. Genau diese Frage ist in Afghanistan offen. Eigentlich ist es sehr naheliegend, dass heute niemand sagt, dass die staatlichen Stellen in ganz Afghanistan in der Lage sind, das Gewaltmonopol wirklich durchzusetzen. Wenn ein Gericht bei uns entscheidet, dass jemand kein Asyl bekommt, weil nicht der Staat ihn verfolgt, sondern irgendwelche Gruppen, dann muss ich sagen: Das ist aus der Perspektive der Betroffenen das Gleiche, solange der Staat nicht in der Lage ist, diese Verfolgung zu verhindern und einzudämmen. An dieser Stelle will ich klar sagen: Die Bevölkerungsgruppen der Hindus und der Sikhs haben in diesen Abschiebeflügen nichts verloren. Diese Menschen haben in Afghanistan keine Lebensperspektive. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht können wir uns darauf verständigen: Es ist keinesfalls eindeutig, wie die Sicherheitslage in Afghanistan in den einzelnen Bereichen und für einzelne Bevölkerungsgruppen ist. Ich finde es eine Krux – vielleicht können Sie mir hier sogar zustimmen –, dass diejenigen, die eher pro Abschiebung sind, die Zahlen zur Hand nehmen, die besagen, dass es dort einigermaßen sicher ist, während diejenigen, die eher die Schutzbedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellen, die Zahlen und die Bewertungen zur Hand nehmen, die besagen, dass es unsicher ist. Wir müssen zu konsistenten und objektiven Berichten kommen, in die auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen eingebunden sind. Es kann nicht dabei bleiben, dass jeder hier im Raum ständig die Zahlen nimmt, die für die eigene Argumentation passen. Das ist völlig unbefriedigend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gehen wir einfach einmal von der Tatsache aus, dass wir uns hier nicht einig sind, dass es nicht eindeutig ist. Damit komme ich zu meinem dritten Schritt, den ich Hans Jonas entliehen habe. Er hat in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung einen Grundsatz aufgestellt, der sehr vereinfacht lautet: Wenn es um existenzielle Dinge geht – er hat sich mit der existenziellen Frage des Überlebens der Menschheit beschäftigt –, dann hat die schlechte Prognose Vorrang vor der guten Prognose. – Ich glaube, dass dieses ethische Grundprinzip auch auf diesen Fall anwendbar ist, nämlich auf die Frage der Existenz und der Lebenschancen von Menschen. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu sagen: Es wird schon nichts passieren. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, das zu tun, was wir tun können und was in unserer Verantwortung liegt, damit diesen Menschen nichts passiert. Mit anderen Worten: Es ist unsere Verantwortung, Abschiebungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt zu unterlassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht also nicht um Einzelschicksale, sondern um eine sehr grundsätzliche Argumentation. Es geht um ein ethisches Grundprinzip, das ich hier vorgetragen habe. Man kann natürlich auch sagen: Nun gut, die Menschen sind nicht Ziel der Anschläge, sondern nur Opfer der Anschläge. – Aber dabei handelt es sich eben nicht um ein ethisches Grundprinzip, sondern um blanken Zynismus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Castellucci, auch wenn Sie nur noch ganz wenig Redezeit haben: Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg zu? Dr. Lars Castellucci (SPD): Ja, selbstverständlich. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Castellucci, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Ich habe die ganze Zeit über auf das Aber in Ihrer Rede gewartet. Sie müssen mir schon nachsehen, wenn sich uns in der Opposition, die wir uns mit diesem Antrag sehr viel Mühe gemacht haben und mit diesem Anliegen immer wieder an die Bundesregierung herantreten, die Frage aufdrängt: Halten Sie die bisherige Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan seitens des Bundesaußenministers Sigmar Gabriel für richtig? Und finden Sie, dass die verschiedenen Quellen, die wir zur Grundlage machen wollen, nämlich UNHCR, UNAMA und andere Akteure, ausreichend gewürdigt sind? Dr. Lars Castellucci (SPD): Ich habe es eben im Grunde vorgetragen, verehrte Kollegin Amtsberg: Ich glaube, dass die Einschätzung der Sicherheitslage uneinheitlich getroffen wird. Das ist die Lage, die sich mir als Parlamentarier stellt. Mein Petitum ist, dass sich die betreffenden zuständigen Organisationen und die Hilfsorganisationen zusammensetzen und auf der Basis von objektivierbaren Kriterien nachvollziehbar und transparent zu einer gemeinsamen Einschätzung kommen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die Grundlage für die richterliche Entscheidung ist die Einschätzung des Auswärtigen Amtes!) Das ist meine Position. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Es gibt von der Kollegin Jelpke den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage. Dr. Lars Castellucci (SPD): Ja, gerne. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Danke, Herr Kollege, dass ich die Frage stellen kann. – Ich finde es schon sehr bewegend und freue mich natürlich über Ihre Position. Aber zurzeit ist es so, dass beispielsweise Ihr Kanzlerkandidat Schulz eine andere Haltung dazu hat. Auch Ihre Generalsekretärin hat erst gestern in Schleswig-Holstein, wo ein Abschiebestopp verhängt wurde, die eigene Regierung dafür ganz klar kritisiert und sinngemäß erklärt – ich habe es nicht wortwörtlich im Kopf –: Wo wir deutsche Soldaten hinschicken, können wir auch Flüchtlinge zurückschicken. Dazu möchte ich gerne eine Stellungnahme. Wie wird das bei Ihnen diskutiert? Wie werden Sie beispielsweise mit diesem Antrag umgehen? Er ist schon einmal abgelehnt worden; das ist noch gar nicht so lange her. Die Situation hat sich nicht geändert. Wird die SPD noch vor der Sommerpause bereit sein, gemeinsam mit uns diesem Antrag zuzustimmen? Dr. Lars Castellucci (SPD): Was ich vorgetragen habe, ist Basis meiner eigenen Gewissensentscheidung, zu der ich laut Abgeordnetengesetz und Grundgesetz verpflichtet bin. Wenn ich hier meine Gewissensentscheidung vortrage, dann spreche ich damit anderen ihre Gewissensentscheidung nicht ab. Ich glaube, das ist eine Haltung, die wir hier in diesem Haus pflegen sollten. Wenn es immer eindeutig wäre, was uns unser Gewissen aufträgt, dann bräuchten wir diese Passage im Grundgesetz gar nicht. Es geht um Gewissensentscheidungen. Das ist es, was ich hier vorgetragen habe. (Beifall bei der SPD) Ich will aber ergänzen – ich habe das im Dezember letzten Jahres bereits ausgeführt und es mir deshalb heute erspart –: Es ist doch eine Qualität von Parteien, um die Fragen, die uns und die Menschen in der Welt umtreiben, zu ringen. Es ist überhaupt nicht angemessen, wenn so getan wird, als könnte man einen Keil in die Parteien treiben. Ich habe bei der letzten Diskussion zu diesem Thema den Grünen entgegnet: Auch in Baden-Württemberg werden Flüchtlinge abgeschoben. Es ist doch nicht so, als gäbe es hier eine Schwarz-Weiß-Verteilung. Also, lassen Sie uns um die Fragen, die uns alle betreffen, sachlich ringen und in Zeiten des Wahlkampfs keine Parteipolitik betreiben. (Beifall bei der SPD) Ich habe im Januar dieses Jahres gesagt, dass zum Asylrecht auch Abschiebungen gehören. Zu diesem Grundsatz stehe ich. Niemand versteht, wenn Menschen in Deutschland kein Bleiberecht haben und trotzdem hierbleiben. Es versteht aber auch niemand, wenn bei Leuten, die seit langem hier leben und für den Lebensunterhalt ihrer Familie aufkommen, deren Kinder in der Schule andere in den naturwissenschaftlichen Fächern abhängen, die sich wohlverhalten und deren Arbeitgeber Petitionen lostreten, in denen sie darum bitten, dass sie hierbleiben können, weil sie einen guten Job im Geschäft oder Unternehmen machen, morgens um sieben der Transporter vorfährt, um sie abzuholen. Ich habe von Grundprinzipien gesprochen. Mein Grundprinzip ist zum einen: Menschen, die Schutz brauchen, sollen, solange wir das können, unseren Schutz auch bekommen. Der andere Grundsatz ist: Wer sich in diesem Land anständig verhält und zum Wohlstand in diesem Land beiträgt, der sollte auch eine Bleibeperspektive haben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neuerliche Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen trägt den Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“. Ich darf aber zu Beginn kurz auf Sie, Frau Kollegin Jelpke, eingehen, weil Sie vorhin das Thema Familiennachzug angesprochen haben. Ich finde, Sie machen es sich einfach, indem Sie ein Einzelschicksal plakativ hervorheben und uns indirekt vorwerfen, wir würden uns nicht darum kümmern, das würde uns nicht berühren. Wir kümmern uns auch um Einzelschicksale. Uns berühren Einzelschicksale; uns berührt aber auch das große Ganze. Wir kümmern uns auch darum. Wir schaffen steuernde Regelungen, treffen dazu Entscheidungen und übernehmen Verantwortung. Das ist nicht immer einfach, aber das tun wir, und ich glaube, das ist eine wichtige Entscheidung gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber worum geht es in dem vorliegenden Antrag eigentlich? In dem Antrag wird gefordert, dass der Bundesinnenminister das BAMF anweist, allen afghanischen Asylbewerbern zumindest subsidiären Schutz zu gewähren. Die Zusammenarbeit mit Afghanistan soll ausgesetzt werden, und es soll nicht mehr dorthin abgeschoben werden. Es soll also allen afghanischen Asylbewerbern pauschal und unabhängig von den konkreten Umständen Schutz zuteilwerden, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Antrag nicht drin!) und das, obwohl die afghanische Regierung ausdrücklich darum bittet, keine weiteren Anreize zu setzen, da dem Land gerade die verloren gehen, die es dringend braucht, und das, obwohl nicht nur Deutschland, sondern auch die EU selbst Vereinbarungen mit Afghanistan geschlossen haben und Deutschland eine der höchsten Schutzquoten für afghanische Staatsangehörige in der EU hat. Was das Thema Schutzquoten angeht, Frau Kollegin Jelpke: Ich glaube, man kann dem BAMF sicherlich nicht vorwerfen, dass es in den letzten Monaten über eine Vielzahl von Asylanträgen – ich glaube, es waren über 68 000 Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger im ersten Quartal – entschieden hat; dadurch verändern sich auch die Schutzquoten. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Warum ist dann die Quote so gesunken?) Daraus kann man dem BAMF keinen Strick drehen; das muss man vielmehr anerkennen und die Zahlen so verwenden, wie sie auf dem Tisch liegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir entgegen all diesen Tatsachen eine Abkehr von der individuellen Prüfung vornehmen sollen, dann müssen wir ganz genau hinschauen. Afghanistan ist ein vielschichtiges Land, Afghanistan ist ein kompliziertes Land. Die Menschen sprechen 50 unterschiedliche Sprachen. Hinzu kommen endlos viele Dialekte. Es gibt etliche ethnische Gruppierungen. Drei Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen. Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung leben in den städtischen Zentren der 34 Provinzen. Dazu gehört auch die Hauptstadt Kabul. Afghanistan ist auch ein unruhiges Land; wir müssen nicht drum herumreden. Die Machtverhältnisse in der afghanischen Gesellschaft sind seit langem extrem komplex. Afghanistan ist ein zerrissenes und gebeuteltes Land. Aber Afghanistan ist auch kein pauschal zu bewertendes Land. Die Sicherheitslage dort weist deutliche regionale Unterschiede auf. Die Situation ändert sich laufend. Für die städtischen Zentren wie Herat und Kabul und für das zentrale Hochland gilt etwas anderes als für andere Regionen. Nicht nur der Lagebericht des Auswärtigen Amtes, sondern auch der aktuelle EASO-Report bestätigen das; auch der EGMR sieht diese starken regionalen Unterschiede. Wir müssen aber nicht nur regional, sondern auch zwischen der Gefahr für Militär und für Zivilisten durch die Konflikte unterscheiden. Der furchtbare Anschlag, auf den die Antragsteller Bezug nehmen, kostete über 140 Soldaten das Leben. Man kann hieraus aber nicht automatisch folgern, dass sich die Sicherheitslage der Zivilbevölkerung allgemein geändert hat. Man kann nicht einfach sagen, dass der Gefahrengrad durch innerstaatliche Konflikte überall so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Hier von einer insgesamt gravierenden Verschlechterung zu sprechen, erscheint mir daher nicht ganz richtig. Die Zahlen der zivilen Opfer sind auch nach dem neuen UNAMA-Report 2015 und 2016 ungefähr gleich geblieben. Meine Damen und Herren, auch die steigenden Zahlen der freiwilligen Rückkehrer zeigen, dass eine pauschale Bewertung falsch ist. Tatsächlich sind über 3 300 afghanische Staatsangehörige im letzten Jahr freiwillig zurückgekehrt. Der UNHCR-Bericht, der viel, aber leider oft pauschal und einseitig zitiert wird, kommt auch zu dem Schluss, dass es für jede Entscheidung über den internationalen Schutzbedarf erforderlich ist, den Fall auf individueller Grundlage unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des Einzelfalls zu bewerten. Das tun wir. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht!) Die Schicksale der Menschen, die aus Afghanistan zu uns kommen, sind sehr unterschiedlich; das spiegeln die Entscheidungen des BAMF auch wider. Das BAMF schert mitnichten alle über einen Kamm. Vielmehr schaut es genau hin. Afghanische Staatsangehörige bekommen in Deutschland Asyl, Flüchtlingsstatus und subsidiären Schutz. Hinzu kommen viele Fälle von Abschiebungsverboten. Das sieht für mich eben nicht nach Blindheit gegenüber den Realitäten und auch nicht nach irgendwelchen Anweisungen aus. Gerade die vielen nationalen Abschiebungsverbote zeigen, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die jetzt alle widerrufen werden!) dass eine umfassende Prüfung stattfindet und die Mitarbeiter nicht nach Schema F handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Entscheidungen des BAMF vor Gericht überprüft werden können. Das werden sie auch. Auch hier werden die Besonderheiten jedes Einzelfalls noch einmal aktuell gewürdigt. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der Grundlage der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da beißt sich die Katze in den Schwanz!) Meine Damen und Herren, am Ende all dieser sorgfältigen Prüfungen, Rechtsmittel und Neubewertungen steht eine Entscheidung. Wenn dann festgestellt ist, dass ein Schutzbedarf nicht gegeben ist, muss diese Entscheidung auch Konsequenzen haben; denn eines darf nicht sein: Der Inhalt der Entscheidungen des BAMF darf nicht egal sein. Unsere Bürger und auch die Antragsteller dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass die Entscheidungen nichts daran ändern, ob jemand bleiben kann oder gehen muss. Das würde kein Mensch verstehen, und das kann auch nicht sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso wenig, wie pauschal entschieden wird, wird pauschal abgeschoben. In jedem Einzelfall müssen die Ausländerbehörden der Länder genau prüfen, ob eine Rückführung möglich ist. In die Risikoprüfung müssen alle persönlichen Umstände einbezogen werden. Nicht umsonst betreffen die Sammelabschiebungen keine Frauen und Kinder. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schreiben in der Antwort auf die Kleine Anfrage, dass Sie das noch nicht einmal wissen! Da geben Sie es sogar zu!) Alle bislang aus Deutschland Zurückgeführten waren junge Männer, viele davon Straftäter. Es wird eben auch geguckt, zu welcher Volksgruppe jemand gehört, aus welcher Region er stammt und welche familiären Strukturen bestehen. Um es noch einmal klar zu sagen: Für diese Auswahl sind die Ausländerbehörden der Länder zuständig. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf Grundlage der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes, die falsch ist!) Ich vertraue darauf, dass das sorgfältig durchgeführt wird. Aber stattfinden muss es nun einmal. Meine Damen und Herren, nicht nur die Rückführung selbst wird betreut. Die Bundesregierung arbeitet mit der Internationalen Organisation für Migration und dem afghanischen Flüchtlingsministerium zusammen. Auch die deutsche Botschaft stellt sicher, dass die Betroffenen empfangen werden und im Land sicher an ihren gewünschten Zielort gelangen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In 14 Tagen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht alle über einen Kamm scheren, weder im Guten noch im Schlechten. Aber eines können und müssen wir vermeiden, nämlich pauschal zu bewerten, pauschal zu entscheiden und pauschal zu agieren. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will und muss ich leider der Kollegin Amtsberg und anderen, die das kritisiert haben, ausdrücklich recht geben in dem Bedauern, dass wir heute nicht über den Antrag der Grünen beraten und beschließen, damit die Aussetzung des Familiennachzugs für lediglich subsidiär Geschützte wieder aufgehoben wird, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und zwar nicht deswegen, weil das hier eine Geschäftsordnungsfrage wäre, sondern aus folgendem Grund: Die Frage, ob man, wenn dieser Antrag denn Erfolg haben sollte, einen weiteren Monat mit einer solchen Entscheidung zuwartet, betrifft Menschen. Sie betrifft Frauen und Kinder, die weitere überflüssige Monate von ihren Männern bzw. ihren Vätern getrennt sind, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen. Um deren Schicksal mache jedenfalls ich mir meine Gedanken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Kollegin Lindholz, um Ihre Frage an Frau Jelpke zu beantworten: Die Tatsache, dass die Anträge derjenigen Flüchtlinge, die Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention genießen, auf Familiennachzug schon jetzt leider nicht zügig bearbeitet werden können, weil es zu viele sind, und die Tatsache, dass ein Verfahren regulär 15 Monate oder noch länger dauert, macht die Sache noch schlimmer. Das ist doch kein Entschuldigungsgrund. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Umso länger ist doch die Frist, innerhalb derer Väter von ihren Kindern, Ehemänner von ihren Frauen getrennt sind. Daher ist meine Sorge groß – das treibt mich um –, dass die Betreffenden auf nicht legale Wege ausweichen, die für sie lebensgefährlich sind. Deswegen verstehe ich nicht, dass Sie von der Union – obwohl die zahlenmäßigen Voraussetzungen ganz anders sind – mit Ihrem christlichen Familienbegriff vereinbaren können, dass vielleicht 50 000 Frauen und Kinder in eine gefährliche Situation gebracht werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Nina Warken [CDU/CSU]: Sprechen Sie mit Ihrer Fraktion! Dann können wir darüber reden!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Veit, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lindholz zu? Rüdiger Veit (SPD): Ja. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Herr Kollege Veit, ich habe zwei Fragen. Ich hätte von Ihnen gerne gewusst, ob es richtig ist, dass man trotz Aussetzung des Familiennachzugs in besonderen Härtefällen einen entsprechenden Antrag stellen kann. Das ist meine erste Frage. Meine zweite Frage lautet: Können Sie bestätigen, dass die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung, die wir zu diesem Thema durchgeführt haben, klar gesagt haben, dass die Kommunen kaum in der Lage sind, einen kompletten Familiennachzug auf einen Schlag zu bewältigen, dass die Kommunen uns ausdrücklich gebeten haben, den Familiennachzug sukzessiv durchzuführen, und dass eine Abstufung – zuerst die Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention und dann subsidiär Schutzberechtigte – der richtige Weg ist, wenn wir alle Menschen vernünftig unterbringen wollen? Danke schön. Rüdiger Veit (SPD): Es war vielleicht einmal so gedacht – das war für viele in der SPD-Fraktion eine gewisse Erleichterung –, in besonderen Härtefällen von der Aussetzung des Familiennachzugs abzusehen. Die Realität ist aber, dass davon bisher nur ganz wenige – es handelt sich noch nicht einmal um eine zweistellige Zahl – profitiert haben. Was die Koalition vereinbart hat, nämlich nur noch in Einzelfällen die Härtefallregelung anzuwenden, ist – entschuldigen Sie bitte, das sage ich auch an die Adresse meiner Fraktion – eine Verschlimmbesserung der Situation, aber keine Erleichterung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Es stimmt, dass die kommunalen Vertreter gesagt haben, sie schafften es im Augenblick nicht, alle auf einmal aufzunehmen. Aber was ich gerade auf die Beantwortung Ihrer Frage von vorhin gesagt habe, ist zutreffend, nämlich dass leider aus Kapazitätsgründen die Anträge gar nicht gleichzeitig bearbeitet werden können, dass der ganz normale Prozess ohnehin schon mehr als ein Jahr dauert und dass daher ein allmähliches und verzögertes Eintreffen der Familienmitglieder leider zwangsläufig die Folge ist. Zurück zum Antrag auf Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan. Ich bin der Auffassung – das wurde schon mehrfach geäußert –, dass der UNHCR-Bericht nicht die Tatsachen hergibt, die rechtfertigen, ohne Weiteres nach Afghanistan abzuschieben. Ich wundere mich, wie man einen Bericht so unterschiedlich lesen und interpretieren kann. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die einen lesen ihn ganz, und die anderen nur zur Hälfte!) Insgesamt heißt es im UNHCR-Bericht, die Sicherheitslage habe sich nochmals deutlich verschlechtert. Es gibt keine eindeutige innerstaatliche Schutzalternative. Das gesamte Staatsgebiet Afghanistans ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen. (Nina Warken [CDU/CSU]: Es findet aber eine Einzelfallprüfung statt!) Die Lage habe sich – so die Zusammenfassung – weiter rapide verschlechtert, und gleichzeitig sei die höchste Anzahl an Flüchtlingen und Opfern unter der Zivilbevölkerung zu verzeichnen. Wenn ich das alles zusammennehme, dann kann ich doch nicht sagen: Neuerdings ist alles viel besser; wir können die Menschen ohne Weiteres zurückschicken. – Das Gegenteil ist der Fall. Ich hebe dabei nicht auf die kürzlich stattgefundenen Anschläge mit zahlreichen beklagenswerten Opfern ab, sondern auf die Würdigung der Gesamtsituation und komme zu dem Ergebnis – bedauernswerterweise nur höchstpersönlich und nicht für die gesamte SPD –, dass Abschiebungen nach Afghanistan derzeit nicht verantwortet werden können. Der immer wieder geäußerten Argumentation, die Zahl der freiwilligen Ausreisen belege, dass man dorthin problemlos zurückkehren könne, und es gebe keine weiteren freiwilligen Ausreisen, wenn es keine Abschiebungen gäbe, liegt doch ein Zirkelschluss zugrunde. Die freiwilligen Ausreisen gab es schon die ganze Zeit. Die sind nicht erst dadurch ausgelöst worden, dass Sammelabschiebungsflüge organisiert worden sind. Von daher gesehen zählt auch dieses Argument nicht. Ich bedaure, um auch das deutlich anzusprechen, dass mein jetzt amtierender Parteivorsitzender das Verhalten der schleswig-holsteinischen Landesregierung und des dortigen Innenministers Stefan Studt, den ich sehr schätze, leider nur als nobel bezeichnet hat, und mein nicht minder geschätzter und geliebter früherer Parteivorsitzender davon gesprochen hat, dass das menschenrechtlich hochverständlich sei, dass beide im Ergebnis aber der Auffassung waren, Abschiebungen nach Afghanistan könnten weiter erfolgen. Ich teile diese Auffassung nicht. Ich halte das nicht für vertretbar. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen ist aus meiner Sicht dem Antrag der Grünen in vollem Umfang zuzustimmen. Ich möchte ausdrücklich an den jetzt amtierenden Außenminister die Bitte richten, eine neue Bewertung der Sicherheitslage für Afghanistan vorzunehmen, die dann hoffentlich eine andere Entscheidung zur Folge hat. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12099 mit dem Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie an den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Ausschussüberweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung so beschlossen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!) – Doch! Die Jastimmen waren eindeutig in der Mehrheit, auch wenn man bei der Opposition enger sitzt. Es war eine eindeutige Mehrheit. Meine beiden Beisitzer sehen das auch so. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bei der SPD haben ja gar nicht alle zugestimmt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hälfte von der SPD hat gar nicht mitgestimmt!) – Es gab wirklich eine klare Mehrheit für die Überweisung. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir zweifeln das an! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Das Präsidium hat entschieden!) – Es ist eine Mehrheit. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn?) – Hier wurde gezählt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksache 18/11408 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/12158 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12159 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Aussprache hat die Bundesministerin Manuela Schwesig das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Das ist heute ein guter Tag für Familien in Deutschland, weil Mütter und Väter darauf vertrauen können, dass wir in den nächsten Jahren weitere 100 000 Kitaplätze schaffen. Wir stellen dafür über 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Das ist gut und richtig; denn wir brauchen in Deutschland gute Kitaplätze, um Beruf und Familie zu vereinbaren, aber auch, um alle Kinder gut fördern zu können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, mit diesem Gesetz unternehmen wir einen weiteren wichtigen Schritt zum Ausbau der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Erstmals schaffen wir als Bund nicht nur Plätze für die unter Dreijährigen – darauf lag in den letzten zehn Jahren der Schwerpunkt –, sondern stellen auch Geld dafür zur Verfügung, dass Plätze für über Dreijährige, also Kindergartenplätze bis zum Eintritt in die Schule, geschaffen werden. Dieses Kitaprogramm schließt endlich die Lücke. Wir fördern Kitaplätze vom Kitaeintritt bis zum Schulübergang, und das ist das, was wir in Deutschland brauchen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In den letzten zehn Jahren hat sich das Angebot an Kitaplätzen enorm verbessert. 400 000 neue Plätze sind entstanden. Knapp 720 000 Plätze für unter Dreijährige gibt es mittlerweile. Wir haben gerade in dieser Legislaturperiode viel erreicht. Zu Beginn haben wir 6 Milliarden Euro für den Bildungsbereich inklusive Kindertagesstätten bereitgestellt. Wir haben 2014 ein Kitagesetz verabschiedet, die Kommunen entlastet, das Sondervermögen aufgestockt. 2015 haben wir im Rahmen unseres Qualitätsprozesses mit den Ländern die Wirtschaft für eine gemeinsame Erklärung zur Kinderbetreuung als Zukunftsinvestition gewonnen. 2016 ist das neue Bundesprogramm „KitaPlus“ für flexible Kinderbetreuung in Randzeiten entstanden, und wir haben mit dem Sprachkitaprogramm erheblich die Qualität verbessert. Weil Sprache der Schlüssel für die Bildung von Kindern ist, haben wir die Mittel für das Sprachprogramm verdoppelt, und wir stellen viel mehr Stellen für Spracherzieher in den Kitas zur Verfügung. Dies dient den Bildungschancen, der Chancengleichheit der Kinder. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Da schließen wir 2017 mit diesem Investitionsprogramm an. Inklusive der zusätzlichen Programme investiert der Bund 2017 eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden Euro. An dieser Stelle, sehr geehrte Abgeordnete der Grünen, möchte ich das richtigstellen: Sie haben beim letzten Mal behauptet, wir hätten 1,7 Milliarden Euro für 2017 versprochen. Das stimmt. Jetzt liefern wir 2,5 Milliarden Euro und nicht, wie Sie sagen, 1,2 Milliarden Euro. Neben den in diesem Gesetz verankerten Programmen gibt es ja noch mehr Programme, wie ich es eben gesagt habe. 2,5 Milliarden Euro, so viel hat der Bund noch nie in einem Jahr zur Verfügung gestellt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum brauchen wir diese Plätze? Erstmals seit 15 Jahren werden wieder mehr Kinder geboren, und das jetzt schon im zweiten Jahr in Folge. Immer mehr Mütter und Väter wollen berufstätig sein, brauchen wohnortnahe Kitaplätze. Die Inanspruchnahme steigt also. Außerdem gibt es Kinder, die zu uns geflüchtet sind, und die natürlich schnell in eine Kita gehen sollen, damit sie schnell die deutsche Sprache lernen, damit sie Anschluss finden und gut integriert werden. All das sind Bedarfe. Wir wollen nicht, dass Familien in Deutschland gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen, dass alle Mütter und Väter, die einen Kitaplatz für ihre Kinder brauchen, auch einen bekommen. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den Kommunen und den Ländern für den enormen Aufholprozess bedanken. Außerdem möchte ich mich bei den Erzieherinnen und Erziehern bedanken. Ich selbst durfte heute Morgen bei der Kitaeingewöhnung meiner kleinen Tochter in eine Gruppe von Kleinkindern – sie bestand aus nur fünf Kindern – dabei sein. Ich muss sagen: Ich habe großen Respekt vor den Erzieherinnen und Erziehern. Was sie dort leisten, ist brillante Arbeit. Bei allem Werben dafür, dass die Qualität besser werden muss, dürfen wir nicht vergessen: Das, was in Deutschland bereits geleistet wird, insbesondere von den Erzieherinnen und Erziehern, ist großartig. Dafür einen herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Ich bin sehr froh, dass wir zum Abschluss der Legislatur dieses Investitionsprogramm auf den Weg bringen. Natürlich wird das nicht das Ende sein. Wir werden in den nächsten Jahren die Qualität weiter verbessern. Das ist auch Thema auf der Jugend- und Familienministerkonferenz. Ich habe mich gefreut, dass es im Ausschuss für dieses Programm von allen Unterstützung gab. Ich weiß, dass es auch allen Fraktionen am Herzen liegt. Ich habe mir in den letzten Debatten insbesondere von den Grünen immer wieder anhören müssen: Wo bleibt das Qualitätsgesetz? (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Von uns auch!) – Von Ihnen auch; stimmt. Gut, dass Sie mich daran erinnern! – Weil es heute auch wieder so sein wird, darf ich mir erlauben, Ihnen Folgendes zu sagen: Politik hat etwas mit Machen zu tun. Dass man etwas macht, hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun. Hier immer nur zu fordern und da, wo man selbst regiert, die Dinge nicht nur nicht zu machen, sondern sogar zu behindern, das ist unglaubwürdig. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es sind Ihre Ministerpräsidenten von den Grünen – – (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch haben wir ziemlich viele von der SPD!) – Ja, aber die SPD behauptet nicht, dass es an mir liegt; die SPD unterstützt mich im Qualitätsprozess mit den Ländern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist der Ministerpräsident der schwarz-grünen Regierung in Hessen, der in die Ministerpräsidentenkonferenz eingebracht hat, dass es kein Qualitätsgesetz geben soll. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Koalitionspartner! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist der bei Ihnen Koalitionspartner oder bei uns?) Ihr linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hat mitgestimmt, wie alle anderen. Deshalb ist es unglaubwürdig, dass Sie hier Qualität von uns fordern, aber da, wo Sie selbst regieren, ablehnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb werbe ich sehr dafür, dass alle die, die wollen, dass sich die Qualität verbessert, den Qualitätsprozess unseres Hauses mit den Ländern unterstützen und dort Einfluss nehmen, wo sie in den Ländern regieren. Das ist dann glaubwürdige Politik. In diesem Sinne hoffe ich, dass es uns gemeinsam gelingt, auf der Jugend- und Familienministerkonferenz auch bei der Qualität voranzukommen. Heute sollten wir dieses Gesetz beschließen, damit wir vor Ort loslegen können. Es geht um 100 000 neue Kitaplätze für die Kinder in unserem Land, die dringend gebraucht werden. Das ist ein guter Tag für die Kinder und die Familien in Deutschland. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Norbert Müller das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen, die Sie diese Debatte verfolgen! Frau Ministerin Schwesig, ich habe eigentlich direkt darauf gewartet, dass Sie Ihre Rede beginnen mit: Das ist ein guter Tag für die Familien in Deutschland. – Diesen Satz kann ich, ehrlich gesagt, nicht mehr hören. Ich verfolge die Debatte heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ja, wir werden dem vierten Ausbauprogramm zustimmen. Ja, die 100 000 Plätze sind dringend nötig. Ja, es ist gut, dass diese 100 000 Plätze in den nächsten Jahren geschaffen werden. (Sönke Rix [SPD]: Und was ist daran schlecht?) Das ist das lachende Auge. Das weinende Auge: Der Ausbau – das wissen Sie auch – hinkt den Bedarfen seit Jahren hinterher. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Ach, Herr Müller!) Ich übersetze Ihnen das einmal praktisch. In der Anhörung im Familienausschuss, die wir zu den Gesetzesvorhaben durchgeführt haben, hat der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach, auf meine Frage zum Bedarf geantwortet – ich zitiere –: Wenn ich das alles zusammenrechne ..., dann werden wir nicht 100 000 Plätze, dann werden wir nicht 200 000 Plätze, dann werden wir auch nicht 300 000 Plätze, sondern wir werden 350 000 Plätze in den nächsten Jahren benötigen. Das zeigt, dass das, was möglicherweise beschlossen wird, nämlich 100 000 Plätze mehr, einfach nicht reichen wird. Im Folgenden führt er aus, dass die Dynamik noch zunimmt. Er glaubt, dass der Bedarf von 350 000 Plätzen – Status quo – nur eine Zwischenetappe ist, dass es einen enorm steigenden Bedarf an Plätzen gibt. Ich mache das einmal praktisch. An einem Ort, wo das erste Mal eine gut funktionierende Kita errichtet wird, steigt der Bedarf einfach. Dann muss man hinterherkommen und kann nicht sagen: In Zukunft hat jedes Kind wirklich einen Anspruch, der auch mit einem Platz unterlegt ist. – Das ist heute nicht so. Selbst wenn 2020 die 100 000 Plätze sozusagen am Netz sind, haben wir immer noch eine Viertelmillion unversorgter Kinder. Das ist ein erhebliches Problem. Das kann man nicht einfach wegdiskutieren. Man kann sich nicht über kleine Schritte freuen, die man gegangen ist, wenn das Problem einer Viertelmillion fehlender Plätze weiter existiert. Beim Kitaausbau ist es ein bisschen wie im Märchen vom Hasen und dem Igel. Immer dann, wenn die Bundesregierung mit etwas kommt und das Parlament mit Mehrheit sagt: „Wir haben etwas geschafft und sind einen Schritt vorangekommen“, ist der Igel bereits da und sagt: Hier fehlt noch ganz viel. – Das ist die Realität in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum heutigen Gesetzesvorhaben einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir möchten als Linke in dieser Debatte drei zentrale Forderungen erheben, von denen wir glauben, dass deren Erfüllung notwendig ist. Weil Sie aufgefordert haben, das mit Glaubwürdigkeit zu verbinden, sage ich Ihnen auch einmal, was wir in den linksregierten Ländern in Bezug auf diese Punkte genau tun, um deutlich zu machen, was die Bundesregierung nicht macht. Erstens. Wir brauchen mehr Kitaqualität. Wir als Linke stehen – aber auch Kollegen der SPD vertreten das nach wie vor – weiter für bundesweite Standards in einem Kitaqualitätsgesetz. Das heißt, dass wir uns, was die Fachkraft-Kind-Relation anbetrifft, annähern müssen. Da muss es bundesweite Standards geben. Dies gilt auch für Leitungsfreistellungen und gute Essensversorgung. Des Weiteren muss es vernünftige Standards geben, was Raumkapazitäten und Außenbereiche angeht, usw. Diesen Prozess muss man vorantreiben. Den kann man nicht nur ankündigen. Inzwischen ist es so, dass man das machen muss. Im Grundgesetz ist von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland die Rede. Das muss auch für die Allerjüngsten umgesetzt werden. Ich sage Ihnen jetzt einmal, was Brandenburg gemacht hat. Bevor Rot-Rot an die Regierung kam, hat dort eine große Koalition regiert. Die hat den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz geschliffen. Das geschah, bevor der Bundes-Rechtsanspruch kam. Wir haben diesen Rechtsanspruch wiederhergestellt, und wir haben die Kitaqualität im Land deutlich verbessert. Das rot-rot regierte Brandenburg wird 2019, wenn zehn Jahre Regierungszeit vergangen sind, 1 Milliarde Euro mehr in die Verbesserung des Betreuungsschlüssels investiert haben. Wir haben im Land 3 000 Erzieherinnen und Erzieher – nur zur Verbesserung des Betreuungsschlüssels – zusätzlich eingestellt. Sie brauchen in diesem Zusammenhang nicht über Glaubwürdigkeit zu reden. Die Länder tun so etwas zum Teil, manchmal auch – was sehr bedauerlich ist – gegen die Widerstände vonseiten der SPD. Zweitens. Es werden 100 000 neue Plätze geschaffen. Für diese 100 000 neuen Plätze fehlen aber die Erzieherinnen. Faktisch haben wir heute keine Erzieherinnen für diese 100 000 Plätze. Das heißt, dass wir über den Erzieherberuf sowie über eine Aufwertung desselben reden müssen. Wir müssen darüber reden, wie die Erzieherinnen für diese Plätze ausgebildet werden sollen. Ich sage Ihnen noch einmal: Das wird nicht gehen, indem sich die Länder weiter herausmogeln und die Kommunen neue Berufsbilder – wie in Bayern die Fachkraft für Mittagsbetreuung; das wird über die Bundesagentur mit einem Weiterbildungsbedarf von 40 Stunden gefördert – erfinden. Vielmehr brauchen wir in den Kindertagesstätten staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher mit einer ordentlichen Ausbildung. Das sind wir den Familien schuldig. Das heißt aber auch, den Beruf aufzuwerten, ihn für Männer attraktiver zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt aber auch, diesen Beruf endlich besser zu bezahlen. Da kann man nur noch einmal die Forderungen aus dem Streik der Angehörigen der Erziehungsberufe im letzten Jahr wiederholen: Wir brauchen eine deutliche – auch finanzielle – Aufwertung des Berufsbildes, damit mehr Menschen diesen Beruf ergreifen. Die brauchen wir nämlich in den Kitas. Des Weiteren werden wir darüber reden müssen – eigentlich müssen wir das umsetzen –, dass der Erzieherberuf als Mangelberuf ausgewiesen wird, um ihn auch handhabbarer zu machen. Es kann doch nicht sein, dass wir überall im Land Kitas haben, die aber keine Erzieher finden. Diese Kitas können niemanden einstellen. Die Bundesagentur aber meldet immer, dass es keinen Bedarf gibt. Da passen Realität und das, was hier oben diskutiert wird, längst nicht mehr zusammen. Wir brauchen die Einstufung des Erzieherberufes als Mangelberuf. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Wir brauchen den Einstieg in die Beitragsfreiheit. Ich habe das bis jetzt nicht gesagt, aber der Kollegen Weinberg hat es ja von selber angesprochen. Ich sage ihm aber jetzt noch einmal deutlich: Wir brauchen den Einstieg in die Beitragsfreiheit. (Beifall bei der LINKEN) Warum? Wir brauchen ihn nicht, weil wir Menschen nur einfach so von den Beiträgen entlasten wollen. Nein, Kinderbetreuung ist eine Bildungsaufgabe. Und so, wie wir kein Schulgeld mehr haben, ist es auch völlig richtig, dass frühkindliche Bildung beitragsfrei sein muss. Deswegen brauchen wir den Einstieg in die Beitragsfreiheit. Den werden wir nicht von heute auf morgen bekommen. Aber das rot-rot regierte Brandenburg sowie auch andere Länder mit Regierungsbeteiligung von Linken, Grünen und SPD – zum Teil betrifft das auch, wie in Berlin oder Hamburg, die CDU – haben sich auf den Weg gemacht, die Beitragsfreiheit umzusetzen. Zu gleichwertigen Lebensverhältnissen gehört, diese Beitragsfreiheit in ganz Deutschland umzusetzen. Dafür brauchen wir erste Schritte. (Beifall bei der LINKEN) Wir stimmen heute diesem Ausbauprogramm zu, aber wir werden nicht feiern, weil im Bereich der Kitas nicht alles gut ist und weil die Aufgaben, vor denen wir stehen, größer als das sind, was wir gerade bewältigen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Wir kommen zum nächsten Redner. Das ist Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Müller, ich weiß nicht, wo Sie in den letzten Jahren gewesen sind. Ich finde es schon sehr skurril, dass wir im Deutschen Bundestag jetzt ein viertes – viertes! – Investitionsprogramm für den quantitativen und qualitativen Ausbau im Kitabereich – für eine Aufgabe, für die wir originär gar nicht zuständig sind – auf den Weg bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bei allem Respekt: Hier werden – das ist der erste Punkt – 1,126 Milliarden Euro für eine Aufgabe der Länder ausgegeben. Das ist eine originäre Aufgabe der Länder, die ich an dieser Stelle herzlich bei der Debatte begrüße. Sie werfen der Ministerin – ich hätte mir auch nicht vorgestellt, dass ich jetzt die SPD in Schutz nehmen muss; das ist aber so – vor, sie würde der Erfüllung der Aufgaben wie ein Igel hinterherhecheln. Das ist natürlich völlig falsch. Ich darf im Übrigen an eines erinnern: Seit wir mit dem Kitaausbau angefangen haben, gibt es eine kontinuierliche, gerade Linie des Ausbaus in Bezug auf Qualität und Quantität. Beim Bund sehen wir sie seit 2005 – ups, seit dem Regierungswechsel 2005. Wenn Sie dann schauen, wie sich die Nachfrage entwickelt hat, dann stellen Sie fest: Es fing einmal mit 32 Prozent im Krippenbereich an, dann waren es 35 Prozent, dann 38 Prozent. Heute liegt die Nachfrage bei 42 Prozent. Wir decken aber bereits eine Nachfrage von nahezu 35 Prozent ab. Natürlich hinken wir immer etwas hinterher. Das ist aber auch klar. Man muss wissen, dass man beim Kitaausbau sozusagen immer ein, zwei, drei oder vier Jahre hinterherhinkt. Trotzdem können wir, glaube ich, stolz darauf sein, dass der Bund dieses Geld zur Verfügung stellt und damit die Länder entlastet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum zweiten Punkt Ihrer Kritik, zur Höhe der Beiträge. Wir haben dieses Thema hier ja häufig diskutiert. Sie werden demnächst 30 Milliarden Euro für die Beitragsfreiheit aufrufen. Ich weiß nicht, wie hoch die Beiträge in Thüringen sind. Das können Sie mir gerne einmal verraten. Wahrscheinlich haben Sie die Beitragsfreiheit in Thüringen schon erreicht. Ich will einmal aus der Anhörung, aus der Sie auch zitiert haben, eine Passage der Stellungnahme des Deutschen Vereines für öffentliche und private Fürsorge zitieren: Angesichts der schwierigen Haushaltslage in den Kommunen und der bereits bestehenden Beitragsstaffelung nach sozialen Kriterien ist eine Freistellung von Eltern, die durchaus in der Lage sind, die Beiträge zu zahlen, nicht prioritär. Dem können wir nichts hinzufügen. Das ist genau richtig so. Deswegen sage ich: Erst einmal die Quantität ausbauen, dann die Qualität erhöhen, bevor wir uns irgendwann einmal sicherlich auch über Beitragsfreiheit unterhalten können. Aber das kann keine Priorität sein, solange Menschen weiter Kitaplätze suchen. Ein weiterer Punkt, der auch angesprochen wurde, ist die Frage der Qualität. Wir sind der Meinung, dass dies ein Prozess ist, bei dem die Länder, die im föderativen System diese Aufgabe originär haben, gemeinsam mit dem Bund zu einer Lösung kommen müssen. Dieser Prozess ist durchaus gut angelegt, wenn man sagt, dass man das gemeinschaftlich macht. Auch ich hätte mir gewünscht, dass das eine oder andere Bundesland bei der Frage, wie man diesen Prozess entwickelt bzw. ob man ein Entwicklungsgesetz auf den Weg bringt, zustimmt. Da sind wir auch nicht abgeneigt – das sage ich ganz deutlich –, weil wir wollen, dass Standards gesetzt werden. Aber ich glaube, es ist richtig, dass wir das in der Freiwilligkeit der Länder belassen, weil diese letztendlich für den Ausbau verantwortlich sind. Wenn Sie die Geschichte des Kitaausbaus seit 2005 betrachten, dann stellen Sie fest, dass das eine Erfolgsgeschichte ist. Dass wir jetzt noch einmal über 1 Milliarde Euro investieren, ist richtig. Dass wir den Fokus auf die Betreuung von Schulkindern erweitern wollen, ist richtig, weil das der Wunsch der Eltern ist. Die Forderung der Eltern ist: Wir wollen nicht nur bis zum sechsten Lebensjahr unseres Kindes eine gute Ganztagsbetreuung, sondern wir wollen auch darüber hinaus eine Ganztagsbetreuung haben. Insofern ist es, glaube ich, richtig, hier auch diese Erweiterung mit Blick auf Schulkinder anzustreben. Nächster Punkt. Auch die Erweiterung war richtig. Es war richtig, dass wir gefragt haben: Wie sieht es denn aus mit Gesundheitsförderung? Wie sieht es aus mit Familienangeboten? Auch hier kann man, glaube ich, den Ausbau insoweit als Erfolg bezeichnen, als es gelungen ist, auch diese Maßnahmen zu finanzieren. Nun hatte der Bundesrat ja in seiner Stellungnahme drei Wünsche geäußert. Ich habe bei der Debatte zur ersten Lesung schon ganz deutlich gesagt: Mit zwei Wünschen haben wir ein Problem. Wenn wir feststellen, dass Bedarf besteht und dass dieser Bedarf weiterhin vorhanden ist, und wir noch einmal 100 000 neue Plätze schaffen wollen, dann kommt es doch darauf an, dass wir neue Plätze schaffen. Das heißt, wenn wir Geld investieren, muss die erste Voraussetzung immer sein, dass neue Plätze geschaffen werden. Die zweite Voraussetzung muss sein, dass die Länder sich daran beteiligen. Wir werden nicht zu 100 Prozent den Ausbau von Kitaplätzen übernehmen. Das ist nicht unsere Aufgabe, und deswegen werden wir dies auch nicht mittragen. Was wir als Große Koalition mittragen, ist die Entscheidung, die Frist dafür zu verlängern. Ich glaube, dass es sinnvoll und in Ordnung ist, dass wir durch eine Fristverlängerung bis zum 31. Dezember 2019 für die Länder die Möglichkeit schaffen, ihre Ausbauoption weiterzuentwickeln. Insoweit, glaube ich, können wir in der Großen Koalition sagen, dass wir im Hinblick auf diese Ausbaukapazitäten gut gearbeitet haben. Außerdem ist ja noch etwas passiert. Kitaausbau und Qualitätsausbau heißt ja auch, dass wir schauen – Stichwort „KitaPlus“ –: Wo haben wir denn Maßnahmen ergriffen, bei denen es um die Themen Integration, Sprache oder um Randzeiten geht? Der Kitaausbau und die Qualitätssicherung im Kitabereich sind ja wie ein Mosaik, bei dem einzelne Elemente zusammengreifen müssen. Ich glaube, wir müssen auch betrachten, dass diese einzelnen Punkte, die wir entwickelt haben, jetzt als solche Wirkung entfalten und den Bedarf der Eltern auch abdecken. Die Betreuungsquote – das habe ich bereits gesagt – liegt 2016 bei 32,7 Prozent und kommt von 13,6 Prozent im Jahre 2006. Man muss sich einmal vorstellen, was in diesen Jahren passiert ist. Herr Müller, ich weiß, dass es Ihre Aufgabe als Oppositionspolitiker ist, auch ein bisschen zu schimpfen. Aber ich würde mir von Ihnen bzw. der Linken ein bisschen mehr Respekt vor der Aufbauleistung in diesem Bereich wünschen, zumal Sie da, wo Sie Verantwortung tragen, auch in Teilen versagen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ist ja absurd!) Sie haben die Qualität angesprochen. Nun muss ich leider die SPD doch noch einmal mit in Haftung nehmen. Wenn ich mir überlege, wie die Bundesländer, die von Linken mitregiert werden, mit der Frage des Fachkräftemangels bei Erziehern umgehen, dann kann ich nur sagen: Not macht erfinderisch, aber auch anspruchslos. In Berlin werden beispielsweise die Anforderungen an das Kitapersonal gesenkt. Sie wollen, dass Sozialassistentinnen demnächst als volle Kräfte angerechnet werden. Ich kann aus meinem eigenen Umfeld berichten. Mir wurde gesagt: Dann sind wir bald gar nichts mehr wert. – Da haben Sie Verantwortung. Hier in Berlin können Sie das verhindern, indem Sie einmal das umsetzen, was Sie hier groß verkünden, nicht nur Wolken hin- und herschieben, nicht nur Schein – Schein hat mehr Buchstaben als Sein –, sondern wir erwarten, dass Sie dort, wo Sie Verantwortung übernehmen, auch einmal handeln. Ich erwarte nach Ihrer Rede von Ihnen, dass es demnächst hier eine Erklärung gibt, dass Sie in Berlin Fachkräfte im Bereich der Kindertagesbetreuung vernünftig behandeln. (Beifall bei der CDU/CSU) 3,28 Milliarden Euro haben wir schon investiert, plus 1,1 Milliarden Euro obendrauf. Frau Künast, als Sie noch regiert haben, haben Sie in diesem Bereich von solchen Investitionen geträumt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe davon geträumt, dass Sie kein Kooperationsverbot machen!) Zusätzlich – das wurde auch angesprochen – geben wir den Ländern dauerhaft Geld – mittlerweile sind es 945 Millionen Euro – für die Betriebskosten. Sprach-Kitas, „KitaPlus“ – also die Betreuungszeiten flexibler zu gestalten und den Schwerpunkt gerade bei Integration zu setzen –, habe ich gerade angesprochen. Deswegen müssen Sie sich die Frage stellen: Warum ist der Bedarf so gestiegen? Frau Schwesig hat gesagt, eine gute Familienpolitik wirkt auch nachhaltig. Frau Brantner, wir beide freuen uns, denn wir bekommen wieder mehr Kinder; also nicht wir, sondern die Gesellschaft (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier im Bundestag! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt aber nicht an Ihnen!) bekommt mehr Kinder. Endlich einmal mehr Kinder. Das heißt, endlich ist der Paradigmenwechsel erfolgt, dass wir in Deutschland zum einen mehr Kinder bekommen. Zum anderen haben wir natürlich eine starke Nachfrage, weil wir bei der Bewältigung der Flüchtlingsaufgabe auch den Bereich der Kindertagesbetreuung sehen müssen. Deswegen sind die Anforderungen auch so gestiegen, zum Teil dramatisch gestiegen. Aber die Länder bekommen nicht nur ihre Entlastung im Kitabereich, sondern sie bekommen die Entlastung auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Frage, wie die Kommunen dieses machen können. Im Übrigen will ich auch darauf verweisen, dass wir nicht nur und ausschließlich über den Bereich der Kindertagesbetreuung reden. Es war für die Union damals ein zentraler Punkt, zu sagen: Ob das Kind in der Kindertagesstätte betreut wird oder bei der Tagespflege, sollten die Eltern entscheiden. Es gibt ja so etwas wie die Freiheit der Eltern. – Deshalb haben wir auch die Qualifizierung der Tagespflege vorangetrieben, auch mit der Konsequenz, dass die Qualitätssteigerung im Bereich der Kindertagespflege immens ist. Das wird auch eine Aufgabe für die Zukunft sein, bei der wir sagen, dass wir bei allem Respekt vor der Bedeutung der Kindertagesstätten nicht die Qualifizierung und die Arbeit von Erzieherinnen in der Tagespflege außer Acht lassen, also die Qualität auch vor Ort steigern. Bei der Qualitätsentwicklung bin ich sehr optimistisch. Die Handlungsfelder, die jetzt erarbeitet wurden, sind definiert worden: Fachkraft-Kind-Schlüssel, Qualifizierung von Fachkräften, Schwerpunkt Leitung oder auch räumliche Gestaltung. Diese Handlungsziele liegen also auf dem Tisch. Deswegen sage ich: Seit 2005 gibt es einen Bereich, bei dem wir sagen, dieser Punkt hatte Priorität. Den haben wir erfolgreich weiter aufgebaut. Den werden wir auch in den nächsten Jahren weiter aufbauen, zumindest wenn wir Regierungsverantwortung übernehmen. Deswegen glaube ich, Herr Müller, bei allem Respekt vor Ihrer Arbeit als Oppositionspolitiker: Wenn Sie sich ernsthaft diesen Bereich in den letzten zwölf Jahren anschauen, dann erkennen Sie: Es ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte. Die zusätzlichen 100 000 Plätze sind ein weiterer Schlüssel, es ist bereits das vierte Programm. Deswegen sind wir froh und glücklich, dass wir das heute so beschließen können. Ich würde mir wünschen, dass wir möglicherweise über ein fünftes und sechstes Programm die nächsten Ziele anstreben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gute Frau! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Gute Frau! Schlechte Rede?) Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das können Sie doch erst nach der Rede sagen. Das können Sie nicht vor der Rede sagen! (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da ist ein Fragezeichen dahinter!) – Oh. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute über Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege und über die Gelder vom Bund dafür. Herr Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Das war bis jetzt eine Erfolgsgeschichte. Wir stimmen aber heute nicht über die Vergangenheit ab, sondern darüber, was in der Zukunft kommt. Hier ist das Problem, dass es in Deutschland für die Kitas einen Qualitätsaufbruch bräuchte. Diesen Aufbruch haben wir heute leider nicht vorliegen. Bei uns im Ländle würde man sagen: nicht einmal ein Aufbrüchle. Das ist gar nichts. Das ist nicht einmal das Minimum. Es ist extrem schade, dass wir diesen Aufbruch nicht weitermachen, dass wir diese Erfolgsgeschichte nicht fortführen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es hätte zu dem Aufbruch kommen können, ist es aber nicht. Es ist natürlich immer noch besser, 100 000 Plätze zusätzlich zu bekommen als keine. Es ist auch besser, dass über Dreijährige mit gefördert werden können. Auch eine Raumgestaltung ist positiv. Aber jetzt schauen wir uns doch einmal an, worum es eigentlich momentan geht. Sie sagen: Wir haben in den nächsten vier Jahren Geld für 100 000 zusätzliche Plätze. – In der gemeinsamen Anhörung haben alle Experten gesagt – es gab nicht einen, der etwas Gegenteiliges gesagt hat –: Das reicht hinten und vorne nicht. – Wir haben die Zahl schon gehört: 350 000 zusätzliche Plätze werden eigentlich gebraucht. – Für 100 000 Plätze wollen Sie Geld bereitstellen. Das heißt, wir haben da schon eine Lücke von 250 000 Plätzen, und da ist noch nicht einmal eingerechnet, dass alle Flüchtlingskinder in die Kitas kommen und hoffentlich mehr Kinder geboren werden. Das heißt, wir haben eine Lücke beim Ausbau. Dann haben wir noch nicht über die Steigerung der Qualität gesprochen, dann wird noch kein Cent für mehr Erzieherinnen, geschweige denn für eine bessere Bezahlung von Erzieherinnen zur Verfügung gestellt. Frau Schwesig, wenn Sie mir sagen, dass es Länder gibt, die da skeptisch sind, dann kann ich nur sagen: Ja, natürlich! Wenn die Länder wissen, dass das Geld für die nächsten vier Jahre nicht einmal für den Ausbau, geschweige denn für die Steigerung der Qualität reicht, dann ist ihre Bereitschaft nicht so hoch, gemeinsam Gesetze zur Qualität zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Es ist klar, dass der Bund da mit in die Verantwortung muss. Diese Verantwortung übernehmen Sie nicht, und dann beschweren Sie sich und schieben es auf die Länder. So geht das nicht. Sie sind hier an der Regierung, Sie müssen ein Zeichen setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Das ist Ihre Verantwortung. Das ist kein Angebot. (Dr. Dorothee Schlegel [SPD]: Was? – Weiterer Zuruf von der SPD: Wir tragen die Hauptkosten jetzt schon!) Was wir hinsichtlich der Qualität brauchen, ist klar – es liegt auf dem Tisch –: Es geht darum, dass Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit für die Kinder haben. Man kann eine Geschichte nicht schneller vorlesen, man braucht dazu Zeit, und davon hängt so viel ab. Die Erzieherinnen und Erzieher sind Vorbilder, Mentorinnen, Spielkameraden – sie sind so viel für unsere Kinder. Und wir wissen: Diese Zeit ist für die Kinder das Wichtigste. Wenn sich keine persönlichen Beziehungen entwickeln, dann leidet darunter die Qualität. Deswegen wollen wir endlich regeln, dass sich in der Betreuung der unter Dreijährigen eine Erzieherin oder ein Erzieher um drei Kinder kümmert – wenn sie älter sind, können es ein paar mehr Kinder sein. Das ist das, was wir gesetzlich regeln wollen. Natürlich kostet das Geld, und da muss sich auch der Bund in die Pflicht nehmen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Zu Ihrem Antrag. Wir hören in der Öffentlichkeit – von Frau Schwesig, von der SPD – immer wieder etwas zur Beitragsfreiheit. Natürlich ist sie langfristig unser aller Ziel. Wir haben bei den Kitas aber eine Lücke von 250 000 Plätzen, wir haben also nicht einmal ausreichend Plätze, noch nicht genügend Qualität. Ich sage Ihnen jetzt ganz offen: Bevor es dazu kommt, dass ich als Abgeordnete keinen Beitrag mehr leisten muss, möchte ich, dass erst einmal das Gehalt der Erzieherinnen steigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Das ist meine ganz klare Priorität. Ich möchte erst einmal, dass es gute Betreuungsplätze gibt und dass die Erzieherinnen besser bezahlt werden. Wenn ich am Ende keinen Beitrag mehr zahlen muss – von mir aus! Aber das ist nicht erste grüne Priorität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maik Beermann [CDU/CSU]: Meine schwarze Priorität auch nicht!) Und wenn Sie, Frau Schwesig, obwohl Sie in der Regierung sitzen, es nicht einmal schaffen, den Ausbau voranzubringen, und dann draußen die Beitragsfreiheit versprechen, dann finde ich das echt ziemlich frech. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Sönke Rix für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Frech“ ist es vielleicht auch manchmal, wenn man vergisst, dass man als Mitglied der Regierung auch eine Gesamtverantwortung tragen muss und vielleicht nicht immer eins zu eins das vertreten kann, was die eigene Partei vertritt. Wenn man schon gegen Beitragsfreiheit wettert oder ihre Einführung nicht als Priorität ansieht (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Unterschied!) – ich weiß auch nicht, wer davon gesprochen hat, dass die SPD es als erste Priorität ansieht, die Beitragsfreiheit einzuführen; das hat hier niemand behauptet, Frau Brantner –, dann muss man angesichts dieser Frechheit vielleicht auch frech nachfragen, wie es eigentlich in den einzelnen Landesregierungen gelaufen ist, die die Beitragsfreiheit in Schritten eingeführt haben: Sind da die Grünen eigentlich gar nicht in der Verantwortung gewesen? (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch nichts gegen Beitragsfreiheit! Das ist doch Unsinn!) Haben sie das alles eigentlich immer nur zulasten der Qualität und der Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher umgesetzt? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, was die SPD da gemacht hat! Sie haben sich doch um die Gehälter gar nicht gekümmert!) Diesen Vorwurf würde ich als Vertreter der Grünen in Hamburg, in Rheinland-Pfalz oder in anderen Ländern zurückweisen; ich glaube, das würden Ihre Kolleginnen und Kollegen nicht auf sich sitzen lassen. Das haben diese Landesregierungen nämlich auch nicht getan, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Wie gesagt: Wir haben uns gar nicht die Priorität gesetzt, als Erstes die Beitragsfreiheit zu erreichen. Das hat nie jemand behauptet – weder Herr Schulz noch die Kollegen der Linken noch Frau Schwesig noch ich machen das. Wir wollen, dass das auch in die Diskussion eingebracht wird, dass es Bestandteil der Debatte darüber wird, wie man Familien entlasten kann und wie man in dem Zusammenhang mit der Kita umgeht. Da gehört Beitragsfreiheit genauso dazu wie der Qualitätsausbau und die bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern. Ich will nicht, dass diese Punkte gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der SPD) In anderen Bereichen machen wir das doch auch nicht. Im Übrigen ist gerade die Opposition schnell dabei, alles auf einmal zu fordern. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie jetzt in der Regierung! Das ist ja eine tolle Strategie!) Wir haben eben gehört, was wir noch alles machen sollten. Ich frage mich, warum die Themen „Kinderbetreuung“ und „Entlastung von Familien“ gegeneinander ausgespielt werden. Genau an dieser Stelle sollten wir das nicht tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Lieber Kollege Weinberg, lieber Marcus, ich erinnere an die Positionierung der CDU Niedersachsen. Sie findet, dass die Beitragsfreiheit für Kitas durchaus auf die Tagesordnung gesetzt und umgesetzt werden sollte. Das ist eines der Wahlversprechen der CDU Niedersachsen; als Land ist man ja auch dafür zuständig. Ich finde, das ist von der CDU Niedersachsen keine schlechte Idee. Vielleicht sollte man bei den Grünen und bei der CDU erst einmal in den eigenen Reihen klären, wie man mit dem Thema umgehen will. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: In Berlin haben sie es sogar mit umgesetzt!) – In Berlin würde es sogar mit der CDU umgesetzt; schönen Dank für den Hinweis. Dann möchte ich darauf hinweisen: So zu tun, als ob wir auf Bundesebene nichts für die Qualitätssteigerung getan haben, ist auch eine Frechheit. Was ist denn zum Beispiel mit den Sprachkursen, die wir unterstützen? Hat das nichts mit Qualität zu tun, wenn wir die Sprachförderung in Kindertagesstätten unterstützen? Natürlich führt das zu einer Qualitätssteigerung. Das außer Acht zu lassen, ist nicht fair, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch zu der Frage: Könnten wir nicht noch viel mehr als das jetzige Programm umsetzen? Es hat keiner gesagt, dass das das letzte Programm ist, mit dem wir den Ländern und Kommunen Mittel für die Kitas zur Verfügung stellen. Wir stellen die größte Summe zur Verfügung, die es jemals für diesen Bereich gab. Wir tun das auch gerne. Natürlich kommen noch weitere Programme hinzu. Wir werden auch weiterhin Mittel für Kindertagesstätten zur Verfügung stellen. So zu tun, als ob das das Einzige ist, was wir jemals gemacht haben, ist nicht richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es werden noch weitere Schritte folgen. Dafür hat sich auch Herr Rauschenbach ausgesprochen. Er hat ja nicht gesagt, das vorliegende Programm reiche nicht aus und das sei zu kritisieren; vielmehr hat er gesagt, er gehe davon aus, dass es auch in Zukunft weitere Programme geben werde, und natürlich wird es in Zukunft weitere Programme geben. Dann wurde noch kritisiert, warum eine Verlängerung des Programms vereinbart wurde. Das ist auf Forderung der Länder passiert. Das ist nicht passiert, weil wir uns das irgendwie ausgedacht haben. Von daher ist es auch richtig, dass wir das Programm verlängern. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner kritisiert!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle hier haben bekundet, dass sie dem Gesetzentwurf zustimmen. In der Debatte hörte es sich nicht ganz so an, als ob wir einer Meinung sind. Ich bin aber froh, dass wir einer Meinung sind, sodass wir dem Gesetzentwurf geschlossen zustimmen werden. Nicht nur die Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch die Familien und die Kinder haben es verdient, dass wir ein eindeutiges Signal aussenden. Wir gehen die Vorhaben gemeinsam an. Es muss aber auch klar sein, dass das Gesetz nur ein weiterer Schritt ist. Wir regeln damit nur einen Teil dessen, was wir gemeinsam mit Ländern und Kommunen leisten. Es müssen weitere Schritte folgen, aber nicht nur von uns, sondern auch von den zuständigen Ebenen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Maik Beermann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, auch auf den Tribünen! Sir Winston Churchill sagte einst: Es ist einfacher, eine Nation zu regieren, als vier Kinder zu erziehen. Deswegen möchte ich mich gleich zu Beginn meiner Rede den lobenden Worten der Ministerin anschließen. Diese anerkennenden Worte für jene, die sich um die Erziehung kümmern, zeigen den enormen Anspruch an eine gute Betreuung eines jeden Kindes. Das gilt für die Erzieherinnen und Erzieher, aber auch für die Eltern zu Hause. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gülistan Yüksel [SPD]) Wir haben in dieser Legislaturperiode viel gemacht. Um den Bedürfnissen von Eltern immer besser gerecht zu werden, haben wir unter anderem bereits in der vorletzten Legislaturperiode unter der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen das Elterngeld eingeführt und in dieser Legislaturperiode zum Elterngeld Plus weiterentwickelt. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Was hat das mit dem Kitaausbau zu tun?) – Warten Sie ab! – In meinen Augen ist das ein Wendepunkt in der Familienpolitik. Durch diese Regelung haben Eltern die Möglichkeit, die Zeit mit ihrem Kind ganz individuell zu gestalten. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Familienzeitpolitik und somit ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn. Nicht zuletzt die steigenden Geburtenzahlen seit 2010, die aus unserer Sicht durchaus mit dem Elterngeld zusammenhängen, erfordern einen Ausbau des Betreuungsangebotes. Dessen sind wir uns in der Unionsfraktion und in der Koalition bewusst. Die richtigen Rahmenbedingungen für diesen Ausbau werden im heute zur Abstimmung vorgesehenen Gesetzentwurf aufgezeigt: 100 000 zusätzliche Betreuungsplätze für den Kitabereich und für die Kindertagespflege bis zur Einschulung; dafür 1,126 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich deutlich sagen: Ich fordere die Länder auf, keine klebrigen Finger zu bekommen, sondern die Unterstützung, die wir hier auf den Weg bringen, eins zu eins an die Kommunen weiterzuleiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages sollten genau hinsehen und prüfen, ob diese Gelder da ankommen, wo sie dringend benötigt werden. Ich jedenfalls werde das in meinem Wahlkreis, im Schaumburger Land und im Landkreis Nienburg, tun. Ich hoffe, Sie tun das Gleiche. Aber auch die Länder müssen ihrer Verantwortung nachkommen. Sie können nicht immer nur die Hände aufhalten und nach mehr Geld vom Bund schreien. Bei der Kinderbetreuung handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in der Verantwortung stehen. Wir als Union haben uns immer wieder für die Kommunen eingesetzt und starkgemacht. Wir haben gemeinsam mit dem Koalitionspartner Förderungen und Entlastungen in Milliardenhöhe geleistet. Insgesamt hat der Bund seit 2007 rund 8 Milliarden Euro allein in den Ausbau und die Betriebskosten der Betreuungseinrichtungen investiert. Das muss und darf von den anderen Sektoren einfach einmal anerkannt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Noch ein Thema, über das in der Öffentlichkeit derzeit immer wieder diskutiert wird, ist mir wichtig – wir haben das auch heute hier gehört; im Entschließungsantrag der Linken wird das sogar gefordert –: die Beitragsfreiheit für den Besuch einer Kita. Meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, in eine Kita zu gehen. Das sind wir unseren Familien schuldig. Diese Aufgabe steht auch im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Chancengleichheit. Aber muss alles, was heute staatlich angeboten und organisiert wird, kostenlos bzw. beitragsfrei sein? Kein Kind darf aufgrund sozialer Umstände benachteiligt oder ausgeschlossen werden. Darüber sind wir uns hier im Hohen Haus, glaube ich, alle einig. Auf der anderen Seite kann die Forderung aber nicht lauten: Mehr Plätze, mehr Fachpersonal, mehr Qualität, und das alles am besten frei von jeglichen Kosten. Das passt nicht zusammen. Das steht nach Auffassung der CDU/CSU auch in klarem Widerspruch zur Verantwortung gegenüber der nachfolgenden Generation, weil irgendwer das irgendwann bezahlen muss. Gerecht ist, wenn jeder das leistet, was er leisten kann. Selbstverständlich sollten Elternbeiträge sozialverträglich angepasst werden. Elternbeiträge, die nach Gehaltseinkommen gestaffelt sind, gibt es bereits vielerorts. Vielleicht ist das ein Modell der Zukunft. Die Länder und Kommunen sollten hier noch einmal genau hinschauen; denn auch die Gebühren oder Beiträge für den Kitabesuch sind Angelegenheit der Länder und der Kommunen. Meine Befürchtung ist, dass die Beitragsfreiheit einhergehen würde mit Qualitätsabstrichen bei der Betreuung. Auch Befragungen von Eltern haben deutlich ergeben, dass ihnen die Qualität der Betreuung ihrer Kinder wichtiger ist als die Abschaffung von Kitabeiträgen. Das sollte man an dieser Stelle auch einmal berücksichtigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein zentrales Qualitätskriterium ist aus unserer Sicht – das haben wir vorhin schon gehört – ein guter Personalschlüssel; denn nur ein guter Personalschlüssel ist ein maßgeblicher Garant für gute Erziehung, Betreuung und Bildung. Es gibt große regionale Unterschiede. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise ist der Personalschlüssel bei der Betreuung von Kindern über drei Jahren fast doppelt so hoch wie, Frau Brantner, in Baden-Württemberg. Was wir brauchen, sind einheitliche Qualitätsstandards in den Ländern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ansprüche an die Art der Betreuung eines Kindes sind so unterschiedlich wie die Familien selbst. Mehr Flexibilität ist auch hier gefragt. Ein Lösungsansatz kann die Kindertagespflege sein, ein anderer Betriebskitas. Ich hatte gestern Abend eine interessante Diskussion mit einer erfolgreichen Unternehmerin aus Berlin. Wir haben uns eigentlich über den Bereich der Digitalisierung unterhalten. Irgendwann erwähnte sie beiläufig, dass sie vor einigen Jahren versucht hat, in ihrem Unternehmen eine Betriebskita zu installieren, was aber von den Behörden abgelehnt wurde. Über die Details haben wir uns noch nicht unterhalten; das werden wir aber noch tun. Was wollte sie damit erreichen? Sie wollte auf der einen Seite unterstützen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Unternehmen flexibel sein können. Auf der anderen Seite wollte sie ihr Unternehmen durch diesen Mehrwert für potenzielle zukünftige Mitarbeiter attraktiver machen. Deswegen wäre es mein Wunsch, liebe Frau Ministerin, dass wir uns entscheiden, das Förderprogramm für die Betriebskitas, das in diesem Sommer ausläuft, nicht auslaufen zu lassen und uns über eine Verlängerung zu unterhalten. Gleichzeitig sollten wir aber auch schauen, ob die Parameter und Stellschrauben, die damals so festgelegt wurden, aktuell noch die richtigen sind oder ob wir da Handlungsbedarf haben. Denn erst die Vielfältigkeit der Angebote schafft Flexibilität und ermöglicht den Eltern eine freie und selbstbestimmte Entscheidung; diese brauchen sie. Aber auch die Digitalisierung wird in der Zukunft – wir leben ja schon in einer sehr stark digitalisierten Welt – immer mehr Chancen bieten. Arbeit wird sich verändern. In der nächsten Legislaturperiode werden wir uns hier über ganz andere Herausforderungen und über ganz andere Modelle unterhalten. Eines ist dabei aus meiner Sicht allerdings klar: Das Thema Selbstbestimmung bzw. Wahlfreiheit der Familien steht für die Union eindeutig an erster Stelle. Ich bin stolzer Vater einer fast dreijährigen Tochter. Weil ich mir um die Zukunft unseres Landes bewusst bin und in den letzten Monaten sehr fleißig war, kommen in wenigen Wochen noch zwei weitere Kinder dazu. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir erwarten in den nächsten Wochen Zwillinge. Weil wir schon so viel über Quoten gesprochen haben: Drei Kinder in einer Legislaturperiode – das ist doch auch eine gute Quote. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte damit aber eigentlich sagen, dass man sich, wenn man vor einer solchen Herausforderung steht, natürlich die Frage stellt: Wie geht man mit der Betreuung um? Wie stellt man sich da auf? Wie macht man das? Meine Frau hat sich damals, als unsere erste Tochter geboren wurde, dafür entschieden, unsere Tochter in ihren ersten Lebensjahren selbst zu begleiten und die Erziehung zu übernehmen. Ich unterstütze sie dabei, wo ich kann. Aber Sie wissen genauso gut wie ich: Wir Abgeordnete sind viel unterwegs. Da fehlt manchmal die Zeit, und wir sind nicht so oft zu Hause. – Deswegen habe ich höchsten Respekt für jene, die sich ganz bewusst dafür entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu erziehen und nicht in eine staatliche Betreuung zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben aber – das möchte ich fairerweise auch sagen – das große Glück, dass wir mit drei Generationen unter einem Dach leben und meine Eltern uns unterstützen, wo sie können. Meine Schwiegereltern wohnen in unmittelbarer Nähe. Auch sie unterstützen uns da, wo sie können. (Inge Höger [DIE LINKE]: Das hat nicht jeder, und das möchte auch nicht jeder!) – Genau, das hat eben nicht jeder. – Damit möchte ich sagen, liebe Frau Kollegin: Regelungen, die die Freiheit der Familiengestaltung beeinflussen oder nur ein ganz bestimmtes Familienmodell fördern, lehnen wir ab. Für uns hat eine echte Wahlfreiheit bei familienpolitischen Überlegungen oberste Priorität. (Dagmar Ziegler [SPD]: Das brauchen Sie nicht abzulehnen, das will kein Mensch!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Beermann, jetzt ist Ihre Wahlfreiheit abgelaufen. Sie haben die Redezeit wirklich deutlich überschritten. Maik Beermann (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Wir sagen den Familien: Wir lassen euch in Ruhe, aber niemals im Stich. Deswegen freue ich mich, dass wir heute ein wichtiges Gesetz auf den Weg bringen, dem alle Fraktionen zustimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ansonsten haben Sie natürlich jede Wahlfreiheit. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss dieser Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12158, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11408 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthält sich jemand? – Das ist auch nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sind aber noch nicht am Schluss. Wir müssen noch einmal abstimmen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist wiederum nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf auch in der dritten Lesung einstimmig angenommen worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Das ist doch mal was. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12164. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Linken und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine neue Ostpolitik Deutschlands Drucksachen 18/11167, 18/11671 Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache beginnen können. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der Besuchertribüne Herrn Andrej Kossolapow, den Oberbürgermeister der Stadt Wolgograd, herzlich begrüßen, (Beifall) einer Stadt, die mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte verbunden ist, einer traurigen, für uns Deutsche beschämenden gemeinsamen deutsch-russischen Geschichte. Deshalb, Herr Oberbürgermeister, freue ich mich sehr, dass Sie heute Berlin besuchen und auch an einer Debatte hier im Deutschen Bundestag teilnehmen. (Beifall) Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Aussprache hat Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 16. Februar dieses Jahres hat es in diesem Hohen Haus die erste Beratung des Antrags der Linken mit dem Titel „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ gegeben. Die Aussprache war ziemlich kontrovers, mit ein paar Abgleitungen ins Polemische. Wer den Antrag liest, ist darüber nicht verwundert, enthält er doch selber polemische, ja provokative Passagen, sowohl in der Analyse als auch im Forderungsteil. Es ist schon erklärungsbedürftig, wenn in einem Antrag zur deutschen Ostpolitik, der sich auf das Erbe von Willy Brandt und Egon Bahr beruft, der Gegenstand des Antrags auf das Verhältnis zu Russland reduziert wird – als hätte es den Prager Vertrag mit der ČSSR von 1973 oder den Warschauer Vertrag mit Polen von 1970 als integrale Bestandteile der Ostpolitik nie gegeben. Die historische Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr markiert die überfällige Ergänzung der Westbindung der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem Namen Konrad Adenauer verbunden ist, mit einer Vertrauenspolitik gegenüber allen östlichen Nachbarn Deutschlands auf der Basis der Anerkennung der real existierenden Verhältnisse in Europa einschließlich der Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man beklatschen!) Das, was die Linkspartei in diesem Antrag aufgeschrieben hat, aber auch das, was sie nicht aufgeschrieben hat – mit all den auffälligen Ausblendungen –, kann in keiner Weise den Anspruch erheben, in der Tradition der deutschen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr zu stehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sprechen wir von der heutigen Situation und der Herausforderung für die deutsche und europäische Politik. Wir haben tatsächlich nicht irgendeinen Regionalkonflikt in der Ukraine, sondern die tiefste Krise im Verhältnis des Westens zu Russland seit dem Ende des Kalten Krieges. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Weil Russland den Putsch nicht akzeptieren will!) Das ist nicht von heute auf morgen passiert, sondern hat eine längere Vorgeschichte. Sie ist geprägt von einer auseinanderdriftenden Wahrnehmung der politischen Realität in den letzten 25 Jahren. Der Westen nimmt für sich in Anspruch, sich durchaus konstruktiv um ein gutes Verhältnis zur Russischen Föderation bemüht zu haben. Die EU hat 1997 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen abgeschlossen. Wir haben uns wirtschaftlich verflochten; dies hat 2013 mit einem Volumen von 356 Milliarden Euro einen Höhepunkt erreicht. Wir haben uns in der Energiepolitik wechselseitig voneinander abhängig gemacht. Es gab regelmäßige EU-Russland-Gipfel. In vielen Dokumenten der EU ist von einer strategischen Partnerschaft mit Russland die Rede. Deutschland hat auch jährliche Regierungskonsultationen durchgeführt. Man hat eine strategische Arbeitsgruppe für Großprojekte in der Wirtschaft gebildet. Es gab hier den größten Anteil am EU-Handel mit Russland; dieser hat im Jahr 2013 mit einem Volumen von über 80 Milliarden Euro einen Höhepunkt erreicht. In der Zeit von Dimitrij Medwedew als russischer Präsident gab es die berühmte Modernisierungspartnerschaft, die vorbereitet wurde. Zudem gab es gesellschaftliche Verflechtungen mit 100 Städtepartnerschaften, 950 Hochschulpartnerschaften, zahlreichen Großforschungsprojekten, den Petersburger Dialog, den deutsch-russischen Austausch und viele andere gesellschaftliche Aktivitäten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind gute Gründe, die Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu Russland als konstruktiv und partnerschaftlich zu bewerten. Das Problem ist nur: Bei den russischen politischen Eliten gibt es eine völlig andere Wahrnehmung und Darstellung derselben Politik. Dort wird behauptet, dass der Westen die Schwäche Russlands nach der Auflösung der Sowjetunion missbraucht hat und dass viel Politik gegen russische Interessen gemacht worden ist. Die Argumente sind immer dieselben: Osterweiterung der EU und der NATO, Kosovo-Krieg und Irakkrieg gegen russische Proteste, die farbigen Revolutionen im Umfeld von Russland, die von Russland als Inszenierungen der amerikanischen Geheimdienste angesehen worden sind, (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Was ist daran so falsch?) und schließlich die Weigerung von Washington, Moskau auf gleicher Augenhöhe zu betrachten. Diese völlig unvereinbaren Wahrnehmungen von ein und derselben Politik – in der Fachwelt „diverging narratives“ genannt – haben zum Ukraine-Konflikt und zur Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen geführt; denn Moskau hat in dem Angebot des EU-Assoziierungsabkommens mit den Ländern der östlichen Partnerschaft eine Fortsetzung der russlandfeindlichen Politik des Westens gesehen – sozusagen als finalen geopolitischen Zugriff auf die russische Nachbarschaft. Durch die Maidan-Erhebung, einem wiederum von den USA gesteuerten Versuch eines Regime Change, sozusagen als Matrix, als Vorbild für die russische Opposition, sah sich Russland legitimiert, zu gravierenden Regelverletzungen zu greifen, wie sie die Annexion der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine darstellen, und im Endeffekt die europäische Friedensordnung zu beschädigen. Wer eine Antwort auf diese tiefe Krise zwischen Russland und dem Westen sucht, der muss an dieses Problem der unvereinbaren Narrative, der unvereinbaren Geschichten von Politik herangehen. Das ist nur möglich durch einen intensiven politischen und gesellschaftlichen Dialog zwischen Russland und dem Westen. (Beifall bei der SPD) Deutschland hat sich bemüht, den OSZE-Vorsitz 2016 für erste Dialogversuche zu nutzen; wir werden das fortsetzen. Das ist aber nur machbar auf der Grundlage einer sehr klaren Position in Bezug auf die russischen Regelverletzungen und die russische Infragestellung der europäischen Friedensordnung. Damit muss die permanente Bereitschaft zu einem offenen, fairen und auf gleicher Augenhöhe stattfindenden Dialog verbunden sein. Was finden wir dazu in dem Antrag der Linksfraktion? (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Konstruktive Vorschläge!) Dort treffen wir auf eine Schuldzuweisung an eine angeblich westliche geostrategische Dominanzpolitik, die für die Konflikte verantwortlich gemacht wird. Dort wird die Osterweiterung der EU und der NATO angeprangert und die Forderung aufgestellt, sich von angeblichen Konzepten des Regime Change in Moskau abzuwenden und dem Narrativ einer russischen Aggression im Ukraine-Konflikt entgegenzutreten. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt nichts anderes, als dass die Linke eins zu eins das negative russische Narrativ, die russische Sicht der Dinge übernimmt. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, so sind sie halt!) Die Linke blendet die Annexion der Krim und die russische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine aus und gibt die gesamte Schuld der westlichen Politik, die sich gegen diese Verletzung der europäischen Friedensordnung wendet. Für die Linke sind nicht die russischen Regelverstöße und Vertragsbrüche das Problem – darüber schweigt der Antrag komplett –, sondern die westliche Reaktion darauf, einschließlich der Sanktionen. Am schlimmsten in diesem Kontext ist: Es gibt keine Übereinstimmung bei dem gemeinsamen europäischen Ziel, Russland auf die Grundlagen der europäischen Friedensordnung, also auf das Regelwerk von Helsinki von 1975 und die Charta von Paris von 1990, zurückzubringen. Auch hier wird die Position Moskaus übernommen, dass etwas Neues ausgehandelt werden soll. In dem Antrag der Linken heißt es, dass eine neue KSZE entwickelt werden soll, die den veränderten Bedingungen in Europa Rechnung trägt, und es müssten alle Körbe der Helsinki-Konferenz von 1973 überprüft werden. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allen Dingen die Menschenrechte!) Man kann hier ja nur eines fragen: Was ist denn falsch an Helsinki und Paris, den beiden entscheidenden Fundamenten der europäischen Friedensordnung, vielleicht das Prinzip des Gewaltverzichts oder die Anerkennung der Souveränitätsrechte der Staaten, vielleicht die Garantie der Grenzen (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Damit habt ihr Erfahrungen!) oder die Menschen- und Bürgerrechte, die in diesem berühmten dritten Korb verhandelt wurden? (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist wirklich ein Wahn, hier so aufzutreten! Unglaublich!) Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts daran ist falsch oder nicht mehr zeitgemäß. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein OSZE-Revisionismus, dem die Linke das Wort redet, führt nur in eine falsche Richtung und in eine Sackgasse. Er führt zur Relativierung des KSZE-Regelwerks und zur Rückkehr in ein System, in dem allein das Recht des Stärkeren gilt. Das kann keine Basis für eine neue Russland- und Ostpolitik Deutschlands sein, und deswegen wird meine Fraktion diesen Antrag mit allem Nachdruck ablehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Danke sehr, Frau Präsidentin. – Ich hätte mir sehr gewünscht, dass in dieser Debatte auch andere Fraktionen – zum Beispiel die Sozialdemokraten oder die CDU-Kollegen – inhaltliche Vorschläge dafür unterbreiten, (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Wir machen Politik!) wie eine neue Ostpolitik und eine neue Russland-Politik aussehen könnten. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Machen wir doch!) Diesen Disput würde ich gerne mit euch aufnehmen, aber ihr schweigt euch aus, setzt auf Sanktionen und glaubt, dass Sanktionen die Dinge in Europa positiv verändern würden. Das ist ein grundlegender Fehler. (Beifall bei der LINKEN) Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns tatsächlich über die Fragen reden, die Gernot Erler aufgeworfen hat. Reden: Wir haben nicht zu viel Dialog – auch in Deutschland nicht –, sondern wir haben zu wenig Dialog. Die Kanzlerin fährt in fünf Tagen nach Sotschi und trifft sich mit Putin. Das finde ich völlig richtig, weil der Dialog nicht abreißen darf. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Na also!) Reden wir doch einmal über einige inhaltliche Fragen. Wäre es im Interesse der baltischen Länder, wäre es im Interesse von Polen oder von Georgien auf der anderen Seite, wenn sich die Situation in Europa stabilisieren und alles, was in Richtung Krieg geht, durch das Zusammenleben der Völker beseitigt würde? Das wäre doch eine gemeinsame Aufgabe, die man angehen könnte. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wollen wir mal mit der Ukraine anfangen!) Wir alle müssen die Frage beantworten: Hilft Aufrüstung, um Veränderungen in diese Richtung durchzusetzen – die NATO rüstet auf; das werdet ihr doch nicht bestreiten können –, oder muss man nicht endlich auf Abrüstung setzen, um konkrete Abrüstungsverhandlungen in Gang zu bringen? Das ist das, was wir vorschlagen. (Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Sagen Sie das doch einmal Putin!) Ich finde, das ist im Interesse der baltischen Länder, im Interesse Polens, im Interesse Deutschlands und auch im Interesse Russlands. Ich möchte gerne, dass die Sprachlosigkeit, die ich sehe, endlich überwunden wird. Warum sollen die Ausschüsse des Bundestages und der Duma nicht endlich zu Debatten zusammentreffen? Warum weigert ihr euch, dem russischen Auswärtigen Ausschuss der Duma eine Diskussionsplattform zu bieten? (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Duma keine Termine anbietet!) Es ist doch bekannt, dass ihr euch verweigert habt und das blockiert. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Gehrcke, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck zu? Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ja. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, um der Mythenbildung vorzubeugen, dass es keinen Dialog gebe, möchte ich Sie doch einmal fragen, ob Sie mitbekommen haben, dass der EU-Ausschuss, als er vor sechs Wochen nach Moskau gereist ist, große Schwierigkeiten gehabt hat, überhaupt irgendwelche Termine bei den Kollegen in der Duma zu bekommen. Ist Ihnen das bekannt? Von den 42 Telefonaten – inzwischen sind es vermutlich mehr –, die die Bundeskanzlerin mit dem russischen Präsidenten geführt hat, ganz zu schweigen! Es handelt sich um Propaganda, wenn gesagt wird, dass der Dialog von unserer Seite nicht gesucht würde. Ich sage Ihnen: Auch im Europarat stehen die Türen für die Kollegen offen. Sie kommen aber nicht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Lassen Sie uns erst einmal sachlich festhalten: (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das war sehr sachlich!) Wenn es für irgendwelche Bundestagsausschüsse Probleme gibt, in Moskau einen Termin zu bekommen, erkläre ich mich gerne bereit, einen Termin zu vermitteln. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dagmar Ziegler [SPD]: Herr Putin wartet darauf!) Das dürfte kein Problem sein. Das werden wir selbstverständlich schaffen. Melden Sie sich einfach. Ich habe mich sogar dafür eingesetzt, Frau Beck, dass die Einreisesperre gegen Sie nicht vollstreckt, sondern aufgehoben wird. Ich möchte, dass sich Abgeordnete frei treffen können: in Moskau und in Berlin. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – In Moskau und in Berlin. (Niels Annen [SPD]: Es gibt keine Einreisesperre in Berlin!) Deswegen muss zum Beispiel auch der Auswärtige Ausschuss der russischen Duma nach Berlin fahren können. Deswegen muss die Sanktionsliste mit den Namen der Kollegen der Duma endlich eingestampft werden. Das ist doch das Mindeste, was man machen könnte. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Gehrcke, die Kollegin Beck wünscht eine zweite Zwischenfrage. Ich habe allerdings die Bitte, dass sich das nicht zu einem Dialog auswächst. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sie sehen doch, dass die Uhr nicht weiterläuft. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Danke. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Kollege, jetzt bin ich doch etwas irritiert. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Warum? Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie scheinen Insiderkenntnisse zu haben, wenn Sie davon sprechen, dass eine Einreisesperre gegen mich, die verhängt werden sollte, durch Ihr Wirken nicht verhängt worden ist. Mir war von einer Einreisesperre noch nichts mitgeteilt worden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Haben Sie etwa Kontakte zum russischen Geheimdienst oder zu anderen Stellen? (Zuruf von der LINKEN: Er ist eigentlich KGB-Agent! Wussten Sie das noch nicht? – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Jetzt gib es zu, Wolfgang! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Genau. – Ich wusste ja immer, dass die Grünen und die CDU irgendwann zu Schwarz-Grün zusammenkommen. Die alte CDU-Losung „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau“ haben die Grünen so verinnerlicht, dass sie sie heute wiedergeben. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Antwort auf die Frage bitte!) Was soll denn dieser Unsinn? Es war doch klar – das wissen Sie auch –, dass Kolleginnen und Kollegen Ihrer Partei nicht nach Russland einreisen konnten. (Dagmar Ziegler [SPD]: Sie haben aber „Sie“ gesagt!) Das hat nicht Sie, sondern Frau Rebecca Harms getroffen. Das hat Herrn Wellmann von der CDU getroffen. Selbstverständlich habe ich mich dagegen ausgesprochen, dass Sie auf diese Weise irgendwie belastet werden. Ich bin für eine freie Debatte. Unsere Fraktion ist für eine freie Debatte. Das unterscheidet uns. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Antwort!) Wenn Sie sich genauso energisch dafür einsetzen würden, dass die Kollegen der russischen Duma, die Leitung der Duma und die Mitglieder des dortigen Auswärtigen Ausschusses frei nach Deutschland einreisen könnten, wäre das prima. Springen Sie doch einmal über Ihren Schatten, und versuchen Sie das einmal. Das tut auch nicht weh. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage von Herrn Hunko. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Bitte. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Hunko hat jetzt das Wort. Dann sollten wir die Debatte fortsetzen. Andrej Hunko (DIE LINKE): Herr Kollege Gehrcke, gerade wurde die Reisetätigkeit des Bundestages und der Ausschüsse angesprochen – der EU-Ausschuss war in Moskau –: Ich bin, wenn ich das richtig sehe, von denen, die daran teilgenommen habe, als einziger Vertreter hier. Ist Ihnen bekannt, dass der Auswärtige Ausschuss eine solche Reise bewusst nicht gemacht hat? Ist Ihnen auch bekannt, dass der EU-Ausschuss hochrangige Termine in Moskau hatte, darunter Treffen mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Föderationsrates? Ist Ihnen weiter bekannt, dass an dieser Reise kein Vertreter der Grünenfraktion teilgenommen hat? Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank, dass du das hier vorgetragen hast. Ich könnte zwar sagen: Das ist mir nicht bekannt, aber: Ja, es ist mir bekannt. Es ist auch bekannt, dass insbesondere von dem CDU-Kollegen Herrn Röttgen, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, ein geregeltes Zusammentreffen der Auswärtigen Ausschüsse des Bundestages und der Duma bislang nicht vorangetrieben, sondern blockiert worden ist. Das ist einfach die Wahrheit. Es ist ja auch bekannt, dass man das sehr schnell ändern könnte. Ich will, dass die Sprachlosigkeit überwunden wird. (Dagmar Ziegler [SPD]: Was Sie sagen, macht mich gerade sprachlos!) Ich will, dass man aufeinander zukommt. Das heißt nicht, dass man in jeder Frage übereinstimmen muss. Aber man müsste miteinander reden und herausbekommen, warum es möglicherweise so ist, wie Kollege Erler es hier vorgetragen hat, dass die politische Wahrnehmung in Moskau und Berlin höchst unterschiedlich ist. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie tragen mit dazu bei!) Ich finde es ganz vernünftig, dass die russische Seite immer wieder darauf zurückkommt, dass man über Interessen und die Wahrnehmung von Interessen reden muss. Die ganze Wertedebatte hat in der Abstraktheit, mit der sie geführt worden ist, lange Zeit überhaupt nichts gebracht. Es war auch einmal Politik von Willy Brandt und Egon Bahr, dass man über Interessen reden muss, statt über Werte zu schwafeln. Ich würde mir sehr wünschen, dass es auch hier zu einem solchen Umgang miteinander kommt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe mich – das möchte ich betonen – über die Begrüßung des Oberbürgermeisters von Wolgograd und Ihre Bemerkungen, Frau Präsidentin, gefreut. Beim Vorbereiten auf diese Debatte ist mir das große Gedicht des russischen Poeten Jewgenij Jewtuschenko in den Sinn gekommen, der vor einigen Wochen verstorben ist. Seine große Frage an die deutsche und an die russische Bevölkerung war: Meinst du, die Russen wollen Krieg? – Diese Frage kann man doch heute beantworten. Für mich ist es völlig eindeutig: Die russische Bevölkerung will keinen Krieg, und die deutsche Bevölkerung will keinen Krieg. Und ich will alles ausschalten, was möglicherweise bewusst oder unbewusst in eine Kriegssituation hineintreibt. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre eine Politik, die man gemeinsam angehen könnte. Meinst du, die Russen wollen Krieg? Nein, die Russen wollen keinen Krieg. Meinst du, die Deutschen wollen Krieg? Nein, die Deutschen wollen keinen Krieg. – Wenn man davon überzeugt ist, dann muss man auch eine dementsprechende Politik machen. Wäre es nicht denkbar, dass man zumindest auf bestimmte Waffensysteme verzichtet? Wäre es nicht denkbar, Kollege Erler, dass man die Debatte darüber wieder aufnimmt, atomwaffenfreie Zonen in Mitteleuropa zu schaffen, die wir einmal gemeinsam geführt haben? (Beifall bei der LINKEN) Wäre es nicht denkbar, dass man in einer solchen Situation des Dialoges auch besser und einfacher über Dinge reden kann, die man höchst unterschiedlich sieht? Wir kommen doch nicht zusammen, weil ein Klima vorherrscht, in dem der andere verurteilt wird, statt eines, in dem über gemeinsame Lösungen nachgedacht wird. Auch die Lösung der Ukraine-Frage kriegt man nur hin, wenn man auf Russland zugeht und bereit ist, mit Russland gemeinsam das Problem zu lösen. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über den Kopf der Ukraine hinweg, wie schon mal früher?) Der Ostukraine den Strom abzudrehen und die Renten nicht zu zahlen, schafft kein Vertrauen, sondern stört und zerstört Überlegungen, wie man auch künftig in einem gemeinsamen Staat leben kann. Ich bin dafür, dass neues Vertrauen geschaffen wird, dass Vertrauen aufgebaut wird und dass man auch die Ukraine-Frage so löst, dass man über Dialog zu politischen Lösungen kommt. Das ist das, was wir vorgeschlagen haben. Darüber können Sie abstimmen. Ich glaube, dass wir immerhin eine Debatte in Gang gebracht haben. Danke sehr. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Motschmann das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Gehrcke, Sie wollen die Sprachlosigkeit überwinden. Was Sie vorgetragen haben, macht aber sprachlos. Denn Ihr Blick auf Russland und auch auf Präsident Putin ist seltsam verklärt. Sie nehmen Realitäten nicht wahr und verdrängen sie vielleicht auch. Russland sehen Sie – das hat ja Kollege Erler schon gesagt – als Opfer westlicher Expansionspolitik. Die NATO erklären Sie für überflüssig. Herr Gehrcke, das ist gediegen abwegig, was Sie hier vorgetragen haben. (Niels Annen [SPD]: Das ist eine interessante Formulierung!) In einem Punkt stimme ich Ihnen zu. Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Die Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen liegt im Interesse aller friedliebenden Menschen in Deutschland und Russland. Sie sind auch im Interesse gesamteuropäischer Politik. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr schön!) Das ist richtig. Da stimme ich zu. Richtig ist sicherlich auch, dass die Konflikte in Europa an seinen Grenzen und die globalen Konflikte im Nahen Osten nur in Zusammenarbeit mit Russland gelöst werden können. Das ist auch richtig. Aber wie soll das gehen? Und wie soll das Verhältnis zu Russland wieder besser werden? Hier liegen unsere Positionen natürlich ganz weit auseinander. Ich will drei Punkte herausgreifen: Erstens. Wo liegen die Ursachen für die Verschlechterung des Verhältnisses? Zweitens. Welche Bedeutung kommt der NATO zu? Drittens. Wie beurteilen wir die Sanktionen? Ähnliche andere Punkte sind auch schon angeklungen. Erstens. Sie fordern in Ihrem Antrag von – Zitat – „beiden Seiten in Europa – Ost wie West – … eine Rückkehr zum Völkerrecht“. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!) Sie können doch nicht im Ernst Deutschland und Europa im Hinblick auf die Einhaltung des Völkerrechts auf eine Stufe mit Russland stellen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Jugoslawien! Syrien! Libyen! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Wollen Sie die Leute da oben auf den Arm nehmen? – Gegenruf von der SPD: Ruhe in den hinteren Reihen!) – Ganz ruhig. Hören Sie zu. Anschließend können Sie ja auch etwas dazu sagen. Nicht ein einziges Mal erwähnen Sie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Vorgänge in der Ostukraine. Sie haben ja sicherlich recht: Die Bevölkerung Russlands will keinen Krieg. – Die Politik Russlands führt aber einen Krieg, und zwar in der Ostukraine. Nach wie vor sterben dort täglich Soldaten und Zivilisten, zuletzt auch ein Mitarbeiter der OSZE. Es gibt sicherlich – das will ich hier einräumen – in diesem Konflikt auch nicht hinnehmbare Aktionen der Ukraine. Das sollte man ehrlicherweise sagen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Oh! 10 000 tote Zivilisten sind „nicht hinnehmbar“?) Aber die Hauptverantwortung für diesen Konflikt – das muss doch klar sein – trägt eindeutig Russland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Seine Soldaten, Panzer, Geschütze und Minen haben nichts, aber auch gar nichts in der Ukraine zu suchen. Russland hat der Ukraine 1994 wegen des Verzichts auf Nuklearwaffen territoriale Integrität zugesagt. Sie sollten nicht die Verlässlichkeit und den politischen Kooperationswillen des Westens anmahnen, sondern umgekehrt die Verlässlichkeit und den politischen Kooperationswillen Russlands einfordern. Das wird höchste Zeit. Sie haben ja auch gute Beziehungen – bessere als ich. Ich bin zwar dem Land sehr verbunden. Meine Großmutter ist in Sankt Petersburg geboren, meine Familie hat lange im Baltikum gelebt. Ich habe eine große Liebe zu Land, Leuten und Kultur – aber nicht zur Politik, ganz bestimmt nicht. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kann ja noch kommen!) Zweitens. Sie fordern „einen Abbau der Strukturen der NATO und damit eine Auflösung des westlichen Militärbündnisses“. Dazu gibt es von uns eine ganz klare Antwort, nämlich Nein. Die NATO sollte natürlich nicht abgebaut werden, sondern eher gestärkt werden. Das hat ja sogar Präsident Trump eingesehen, der zunächst ebenso wie Sie davon sprach, dass die NATO obsolet sei. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt lieben Sie Trump wieder!) Wann werden Sie von den Linken begreifen, dass die NATO nicht auf Angriff aus ist, sondern ein Verteidigungsbündnis ist? Wir verdanken nicht zuletzt diesem Bündnis unsere Freiheit und Jahrzehnte des Friedens in Europa. Dafür sollten wir auch einmal richtig dankbar sein. Sie sind das überhaupt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere NATO-Partner Polen, Litauen, Lettland und Estland wären ja entsetzt, Herr Gehrcke – ich weiß nicht, wann Sie zuletzt dort waren oder ob Sie überhaupt je da waren –, wenn wir ein Ende der NATO einläuten würden. Diese Länder haben bittere Erfahrungen mit Russland und der Sowjetunion gemacht. Das Leid der Deportationen nach Sibirien ist nicht vergessen. Diese Länder leiden auch heute unter russischer Desinformation und unter Propaganda in den russischen Medien. Grenzverletzungen durch Überflüge sind ebenfalls an der Tagesordnung. Es ist also völlig abwegig, dass Sie hier fordern, die Strukturen der NATO abzubauen. Drittens: Stichwort „Sanktionen“. Auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und auf die russische Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ostukraine antworteten die USA, Kanada und die EU zunächst mit Sanktionen gegen russische Einzelpersonen und danach mit allgemeinen Finanz- und Wirtschaftssanktionen. Diese Sanktionen sind zurzeit übrigens das einzige Mittel, eine rote Linie gegenüber der Expansionspolitik Putins zu ziehen. Sie von den Linken fordern ein Ende der Sanktionen. Aber dazu müssen Minimalforderungen erfüllt werden: Waffenstillstand, Rückzug schweren Geräts und uneingeschränkter Zugang von OSZE-Beobachtern, eben die Einhaltung des Minsker Abkommens. Russland hat also den Schlüssel für die Beendigung selbst in der Hand. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Natürlich muss der Dialog auf allen Ebenen geführt werden. Das tun Angela Merkel und auch unser neuer Außenminister Gabriel vorbildlich. (Niels Annen [SPD]: Stimmt! Vorbildlich! Ganz genau!) Auch auf anderen Ebenen muss dieser Dialog geführt werden. Aber es ist eine Legende, dass der Dialog von unserer Seite nicht gesucht wird, wie Sie meinen. Das ist falsch. Vielmehr bekommen wir keine Gesprächspartner. Natürlich müssen wir die Zivilgesellschaft unterstützen und den Kulturaustausch im Rahmen unserer Auswärtigen Kulturpolitik vorantreiben. Heute hat es ja eine Pressekonferenz – Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): – ja, Frau Präsidentin – in Sotschi gegeben. Eine Kulturolympiade ist geplant, und ein Deutscher ist der Intendant. Wunderbar! Auch der Jugend- und der Studentenaustausch sind wichtig. Das heißt, wir müssen viel tun, aber nicht das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Deshalb lehnen wir ihn ab. Frau Präsidentin, ich habe heute Silberhochzeit mit dem Pult. Das ist nämlich meine 25. Rede. Deshalb hat sie ein bisschen länger gedauert. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich weiß nicht, ob ich zu einer Silberhochzeit mit dem Pult gratulieren soll, Frau Motschmann. (Heiterkeit) Aber dass Sie ein Rednerjubiläum haben, ist auch ganz nett. Als nächste Rednerin hat Marieluise Beck das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie hat mindestens diamantene Hochzeit!) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich hoffe, dass die richtige Silberhochzeit etwas vergnüglicher war, Frau Kollegin. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem, was der Kollege Erler zur Ehrenrettung der neuen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr gesagt hat, ist nur wenig hinzuzufügen. Ich möchte nur eines noch einmal betonen: Narrative sind das eine. Es gibt aber auch Tatsachenwahrheiten, wie uns Hannah Arendt immer wieder gesagt hat. Es geht hier auch um Tatsachenwahrheiten, und diese sind klar zu benennen, gerade wenn wir in den schwierigen Dialog mit dem russischen Gegenüber treten. Dazu gehört, zu sagen, dass die europäische Friedensordnung durch die russische Annexion der Krim sowie die Aggression Russlands im Donbass und die tätige Unterstützung der Rebellen dort in der Tat infrage gestellt, wenn nicht sogar zerstört worden ist; das wissen wir noch nicht genau. Ich sage den Kollegen von der Linken noch einmal: Diese europäische Friedensordnung ist sogar von dem ZK-Generalsekretär Breschnew mitgestaltet worden. Damals war die Situation also in dieser Hinsicht besser als das, was wir heute erleben. Insofern handelt es sich um eine Propagandafigur, Herr Gehrcke, wenn Sie von Sprachlosigkeit reden. Das ist ein Mythos. Es gibt Städtepartnerschaften, den Petersburger Dialog sowie Zusammentreffen auf kultureller Ebene und in der Wissenschaft. Es gibt also einen ständigen Austausch. Das Problem ist aber die Weigerung Russlands – auch vonseiten der Duma-Kollegen –, in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit uns zu treten. Das erleben wir – ich sage das noch einmal – auch in der parlamentarischen Arbeit des Europarats, obwohl dort alle unsere russischen Kollegen Zugangsrechte haben und nicht durch irgendwelche Reisebeschränkungen gehindert werden. Aber sie stellen sich dieser Auseinandersetzung schlichtweg nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber das Stimmrecht ist ihnen genommen worden!) Ich möchte eine, wie ich finde, sehr ehrliche Aussage eines hohen Beamten des Auswärtigen Amts zu Beginn der Ukraine-Krise zitieren: Wir haben verstanden, dass sich mit dieser Aggression die Ausgangslage für jede Politik gegenüber Russland dramatisch verändert hat. Wir wissen nur noch nicht, wie wir auf diese Veränderung strategisch und klug antworten sollen. Die Modernisierungspartnerschaft, die in diesem Haus gewollt war, ist ja von russischer Seite aufgekündigt worden. Eines ist aber jedenfalls klar: Rezepte aus den 80er-Jahren werden keine Antworten auf heutige Herausforderungen liefern. Wer nach neuen Strategien sucht, Herr Gehrcke, der muss auch einen klaren Blick auf die Realitäten im heutigen Russland zulassen. Nicht nur die Annexion der Krim überschreitet die rote Linie der europäischen Friedensordnung, auch die innere Verfasstheit von Russland nach 17 Jahren Putin hat sich dramatisch verändert. Sie haben eben eine Wertedebatte eingeklagt. Ich will Ihnen konkrete Beispiele nennen. In Tschetschenien werden seit Wochen Homosexuelle brutal verfolgt. Mehr als 100 Menschen wurden festgenommen und offenbar in Geheimgefängnissen gefoltert. Mindestens drei Menschen sollen ermordet worden sein. Die Journalistinnen Elena Milaschina und Irina Gordijenko von Nowaja Gaseta werden nach ihrer Berichterstattung über diese Ereignisse mit massiven Drohungen durch die politische und religiöse Führung von Tschetschenien überzogen. Sie mussten aus Moskau fliehen. Ich denke mit Sorge an die Ermordung von Anna Politkowskaja, deren Spuren in eben dieses Tschetschenien führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]) Es ist Präsident Putin, der Ramzan Kadyrow als seinen Statthalter eingesetzt hat und damit auch für dessen Taten die politische Verantwortung trägt. Ich sage an die Adresse der Bundesregierung: Diese Zustandsbeschreibung aus Tschetschenien muss die Bundesregierung bei Auslieferungsgesuchen aus der Russischen Föderation berücksichtigen. Die staatlich gelenkten russischen Medien schaffen seit Jahren ein Klima des Hasses gegen Schwule, Lesben und all jene, die dem Geschlechterbild der orthodoxen Kirche nicht entsprechen. Das passt nicht zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Nicht nur in der Ukraine führt Russlands Politik zur Destabilisierung. Mit seinem Veto zu acht Resolutionen zu Syrien hat Russland diplomatischen Lösungen der internationalen Gemeinschaft den Weg verstellt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Beck, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu? Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Neu. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Kollegin Beck, als Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss habe ich schon zu Anfang der Legislaturperiode in der Obleuterunde darum gebeten, dass der Verteidigungsausschuss doch eine Delegationsreise nach Russland machen möge, um die dortigen Duma-Kollegen zu treffen. Das wurde mit einem Lächeln abgelehnt: Wir fahren nicht nach Russland. – Das war noch vor der Krise. Wie viele Anfragen haben Sie eigentlich in der Obleuterunde gemacht, ob der Auswärtige Ausschuss sich mit den russischen Kollegen des Auswärtigen Ausschusses in Moskau treffen möge? Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es hat bei uns keine Debatte gegeben, keine Reise nach Russland zu unternehmen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wie oft sind wir gefahren?) Herr Kollege, erinnere ich mich richtig? (Zuruf des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU]) Ich möchte nichts Falsches sagen. Ich nehme seit vier Jahren am Obleutegespräch teil, aber ich kann mich daran nicht erinnern. Ich würde darum bitten, dass das von den Kollegen klar und in der Sache richtig – darauf haben Sie ein Recht – beantwortet wird. – Ich höre, dass das gleich von den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion geklärt werden wird. Ich habe über die Reise des EU-Ausschusses gesprochen. Da bin ich in der Tat nicht mitgefahren, weil letztlich keine politischen Termine mit den Kollegen in der Duma zustande gekommen sind. Das zu dieser Frage. Noch einmal kurz zu Syrien: Auch die unabhängige Untersuchung des Giftgasangriffs bei Idlib wurde durch Russland verhindert. Noch schlimmer: Man muss davon ausgehen, dass die Giftgasangriffe, die Fassbomben und der gezielte Krieg gegen die Zivilbevölkerung durch Assad nur möglich waren, weil Russland dessen politisches und militärisches Überleben gesichert hat. Der Kreml kann der russischen Bevölkerung keine Perspektiven bieten. Stattdessen sichert sich Putin die Macht durch überschwänglichen Nationalismus und imperiale Fantasien. Aber offenbar lässt die Korruptheit in der Führung die jungen Menschen in Russland nicht mehr unberührt, wie die jüngsten Demonstrationen gezeigt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer wie Sie, Herr Gehrcke und Herr Hunko – beide sind da –, über dieses Moskau in den besetzen Donbass fährt, gerät in gefährliche Nähe zu Marine Le Pen und Frauke Petry. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Das wird in der Tat hier im Hause mit Sicherheit nicht der Maßstab für eine neue Ostpolitik sein. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jetzt hat der Kollege Hardt noch die Möglichkeit zu einer Kurzintervention, um die Frage von eben zu klären und den Sachverhalt darzustellen. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion feststellen, dass wir im letzten Jahr über Monate versucht haben, eine Reise der Obleute des Auswärtigen Ausschusses nach Moskau zu organisieren. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Wir haben leider keine positiven Antworten aus Moskau bezüglich eines Termins bekommen. Das ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass wir geplant hatten, diese Reise mit einer Reise nach Kiew zu verbinden. Wir hatten ein wenig das Gefühl, dass das vielleicht der Grund sein könnte, warum unsere russischen Kollegen keine Lust hatten, uns zu sehen. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunderbar!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jetzt als nächster Redner Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ der Linksfraktion verwundert leider nicht. Er dient einmal mehr dazu, das Verhalten Russlands zu verklären und jedes aggressive Handeln des Kremls gütig zu übersehen. Es scheint, als wollten Sie mit Ihrem Antrag die Geschichte neu schreiben, indem Sie ganz maßgeblich die Augen vor Tatsachen verschließen bzw. sie schlicht ignorieren. Sie plädieren für eine Neubewertung des Ukraine-Konflikts und werfen dem Westen implizit die Eskalation in der Ostukraine vor. Aber mit keiner Silbe erwähnen Sie den eklatanten und eindeutigen Völkerrechtsbruch durch Russland. Sie sprechen der NATO jede Legitimation ab und machen das westliche Bündnis für die verschlechterten Beziehungen zu Russland verantwortlich. Kein Wort verlieren Sie über das hegemoniale Selbstverständnis Russlands und das daraus abgeleitete Denken in Einflusssphären. Sie sprechen von einer friedlichen Koexistenz und von guter Nachbarschaft mit Russland, lassen aber einen Kernpunkt unbeachtet: die Gleichberechtigung aller Staaten, die sich auch auf die Nachbarländer Russlands erstrecken sollte. Dabei übersehen Sie geflissentlich, dass der Kreml so manche Souveränitätsrechte infrage stellt. Sie fordern einen Wandel von westlicher Seite und eine Annäherung an Russland, vergessen aber vollkommen unsere östlichen Nachbarn und deren Befürchtungen. Ein Abkommen zwischen Moskau und Berlin bei gleichzeitigem Übergehen von Polen und den baltischen Staaten, das wäre geschichtsvergessen. Es war für Europa immer verheerend, (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) wenn sich Deutschland und Russland bilateral über ihre Einflusssphären geeinigt haben. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Ganz wichtig!) Es sind gerade unsere östlichen Partner, die angesichts der russischen Bedrohung nach einem starken Deutschland an ihrer Seite rufen. Die Ängste sind weder abstrakt noch übertrieben. Die Liste der Propagandamaßnahmen, der Manövertätigkeiten, der Verletzungen von Luft- und Seeräumen, der Stationierung neuer, modernster Waffensysteme, sie ist lang. Wer behauptet, Russland sei sozial gerechter, verteile Ressourcen fairer und verhalte sich außenpolitisch weniger aggressiv als die westliche Welt, der gibt sich einer Illusion hin. Fallen die Annexion der Krim, die Bombardements in Syrien und die Idee eines Noworossija nicht unter die Kategorie „Imperialismus“? Wer die USA so entschieden wie Sie an die Wand stellt, der müsste sich zumindest ebenso entschieden gegenüber Russland positionieren. Diese erkennbare Vereinfachung der Tatsachen und das Spielen mit subjektiven Erklärungsmustern beschränken sich aber nicht nur auf die Russlandpolitik der Linken. Blickt man auf die sicherheitspolitischen Leitplanken der Linken, bietet sich ein erschreckendes Bild. Lassen Sie mich auf nur einige Beispiele aus dem bereits veröffentlichten Entwurf zum Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl eingehen. Sie möchten alle Soldatinnen und Soldaten aus den Auslandseinsätzen zurückziehen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und künftig keine mehr entsenden. Auch die Ausbildung anderer Armeen wird strikt abgelehnt. Aber welche Alternativen bieten Sie eigentlich in einer Situation wie beispielsweise 2014 im Nordirak? (Dagmar Ziegler [SPD]: Wattebäuschchen!) Wie sollen Entwicklungshelfer eine plündernde, vergewaltigende, mordende Horde von IS-Kämpfern aufhalten? (Dagmar Ziegler [SPD]: Genau!) Ebenso wollen Sie die Beteiligung von Bundes- und Landespolizei an internationalen Polizeieinsätzen beenden. Dabei sind der Aufbau demokratischer Sicherheitskräfte und die Reform des Sicherheitssektors eine elementare Voraussetzung für Stabilität und Ordnung. Welche Alternativen schlagen Sie vor, um in fragilen Gesellschaften verlässliche Strukturen zu etablieren und damit die notwendigen Rahmenbedingungen für eine tragfähige soziale und ökonomische Entwicklung zu schaffen? Wie wollen Sie in Ländern wie Somalia solche Prozesse ohne Sicherheit anregen? Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundeswehr befindet sich aktuell in 13 Auslandseinsätzen. Alle Mandate wurden in dieser Legislaturperiode mehrfach beraten und dann verabschiedet. Die Linke hat sie allesamt abgelehnt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das stimmt!) So unterschiedlich die Positionen hier im Hohen Hause zuweilen sind – eines haben alle anderen Fraktionen gemeinsam: Wir entscheiden nicht aus ideologischen Gründen über Auslandseinsätze der Bundeswehr. Diese konsequente ideologische und realitätsferne Antihaltung der Linksfraktion zeigt vor allem eins: Die Linke war und ist und bleibt, wie das Wahlprogramm sehr klar zeigt, nicht regierungsfähig. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Mit euch sowieso nicht!) Würden wir Ihren Positionen folgen, stände Deutschland in kürzester Zeit isoliert auf der Weltbühne. Noch etwas: Die Welt wäre dann sicherlich nicht sicherer. Herr Gehrcke, Sie haben gesagt, in der Zusammenarbeit mit Russland sollten wir über Interessen reden, statt über Werte zu schwafeln. Offensichtlich teilen Sie nicht die gemeinsamen Werte, wie wir es tun, wie die anderen Fraktionen in diesem Hohen Hause, und das zeigt einmal mehr, dass Sie nicht regierungsfähig sind. (Zurufe von der LINKEN) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen, bedenken Sie dies, wenn Sie weiterhin an einer rot-rot-grünen Bundesregierung arbeiten. Wir dürfen das nicht ignorieren, und das werden wir auch nicht; ganz im Gegenteil. Wie halten Sie es mit den absurden Positionen der Partei Die Linke zur Außen- und Sicherheitspolitik? Schenken Sie hier reinen Wein ein! Denn das müssen die Bürger wissen, bevor es im September an die Wahlurnen geht; schließlich geht es hier um die Sicherheit Deutschlands und Europas. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da stimme ich Ihnen völlig zu!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dr. Andreas Nick hat als nächster Redner das Wort, ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass es sich bereits beim Titel des Antrags um politische Erbschleicherei handelt, das hat Kollege Erler für die Sozialdemokraten als Hüter des Erbes von Willy Brandt und Egon Bahr schon überzeugend dargelegt. Ganz sicher aber handelt es sich bei diesem Antrag um politischen Etikettenschwindel; denn in dem Antrag geht es nur um Russland und in keinem einzigen Satz um Mittel- und Osteuropa. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für uns ist eines klar: Deutsche Außenpolitik kann und darf niemals nur Russlandpolitik sein; (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Berlin/Moskau!) im Gegenteil. Wir wollen beides: gute und partnerschaftliche Beziehungen zu Ost- und Mitteleuropa, gleichzeitig friedliche und konstruktive Beziehungen zu Russland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Niemals dürfen wir es zulassen, dass diese beiden Ziele gegeneinander ausgespielt werden. Unser Verhältnis zu Russland darf nicht über die Köpfe der Völker in Mittel- und Osteuropa hinweg entwickelt werden – und schon gar nicht auf deren Kosten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Niemals mehr darf die Region zwischen Russland und Deutschland zur Verhandlungsmasse von ihren beiden großen Nachbarn werden. Das entspricht unserer historischen Verantwortung gegenüber unseren unmittelbaren Nachbarn in Mitteleuropa wie auch gegenüber den Bloodlands, wie Timothy Snyder sie genannt hat, die unter den Gräueltaten der Nazis und der Sowjets gleichermaßen leiden mussten. Kulturell und gesellschaftlich sind wir über Jahrhunderte eng mit den Partnerländern in Mittel- und Osteuropa verbunden. Die Solidarnosc in Polen und die Reformer in Ungarn haben 1989 den ersten Stein aus der Mauer gebrochen. Das werden wir Deutsche den Polen und den Ungarn niemals vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie eng die Beziehungen inzwischen sind, wird am erreichten Maß wirtschaftlicher Verflechtung deutlich. Die vier Visegradstaaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn sind zu einem der größten Handelspartner Deutschlands geworden. Insgesamt ist das Volumen unseres Handels mit ihnen größer als das jeweilige Volumen unseres Handels mit Frankreich, den USA oder China. In unseren Beziehungen zu diesen Ländern setzen wir uns auch für freiheitliche Werte ein. Deshalb bringen wir aktuell auch schwierige innenpolitische Entwicklungen in dieser Region zur Sprache. Unsere Politik gegenüber Russland hat einen unverrückbaren Bezugspunkt, nämlich die Charta von Paris. (Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Sehr gut!) Darin haben sich die Staaten Europas im Jahr 1990 zu Demokratie, Menschenrechten und Grundfreiheiten bekannt. Sie haben sich verpflichtet, sich jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten. Diese vermeintlichen Gewissheiten unserer europäischen Friedensordnung sind jedoch durch das Verhalten Russlands in der Ukraine infrage gestellt. In aller Klarheit: Die glaubwürdige Rückkehr Russlands zu den Prinzipien der Charta von Paris ist grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung der Beziehungen und Intensivierung der Zusammenarbeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht Jalta oder gar Rapallo, sondern Helsinki und die Charta von Paris sind der Maßstab unserer Politik gegenüber Russland. Wenn Russland die im Minsker Abkommen festgeschriebenen Vereinbarungen einhält bzw. umsetzt – Russland hat diese Regelungen ja selbst als Resolution in den UN-Sicherheitsrat eingebracht –, dann wäre dies auch ein wichtiger Schritt hin zur Lockerung und schrittweisen Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen. Der Schlüssel für eine Verbesserung der Beziehungen in der Region liegt in Russland. Russland sollte insbesondere das Verhältnis zu seiner Nachbarschaft neu bewerten und den offenkundigen Phantomschmerz in Bezug auf den Verlust des ehemaligen Sowjetimperiums überwinden. Demokratie und Prosperität in seiner Nachbarschaft sollten von Russland nicht länger als Bedrohung empfunden werden, sondern als Chance für umfassende Stabilität und Kooperation. Unsere Hand gegenüber Russland ist und bleibt ausgestreckt. Das ist nicht nur ein Gebot unserer leidvollen gemeinsamen Geschichte, es entspricht auch der geografischen Lage und ist deshalb Ausdruck unserer strategischen Interessen. Auch als verantwortlich handelnder Akteur im internationalen System wäre Russland ein willkommener strategischer Partner. Russlands derzeitige Politik aber ist – anders als viele glauben – kein Ausdruck von Stärke, sondern eher ein Beleg für systematische Schwäche. Wolfgang Ischinger hat dazu schon Ende der 90er-Jahre bemerkt: Russlands Größe bemisst sich nicht an der Zahl seiner Nuklearsprengköpfe oder seiner Soldaten. Größe resultiert im 21. Jahrhundert vielmehr aus Wirtschaftskraft, Humankapital, einer dynamischen Gesellschaftsordnung, einem international attraktiven Bildungssystem. Großmacht sein kann nicht gleichbedeutend sein mit einem Freibrief für mangelnde Rücksichtnahme auf Kleinere. Meine Damen und Herren, das wünschen wir uns als Ausgangspunkt für die weitere Ausgestaltung der Beziehungen zu Russland und für eine neue Ostpolitik. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich diese Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11671, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11167 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksachen 18/11325, 18/11655, 18/11822 Nr. 10 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/12084, 18/12144 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken Drucksachen 18/11401, 18/12084, 18/12144 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen. Als erster Redner in der Aussprache hat Bundesminister Dr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Datenschutz schützt die Freiheit und die Persönlichkeitsrechte von Menschen. Das ist der Auftrag des Datenschutzrechts, und darum geht es. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So weit, so gut!) Was heißt das praktisch? Das heißt zum Beispiel, dass der Datenschutz kein Selbstzweck – zum Schutz der Daten selbst – ist. Die Regeln der 90er-Jahre bringen uns angesichts der rasant fortschreitenden technischen Entwicklung nicht weiter – weder was die Sicherheit noch was die Forschung, die Wirtschaft oder die Digitalisierung angeht. Das Prinzip der Datensparsamkeit um ihrer selbst willen ist in Zeiten von Big Data überholt. Wir wollen und werden auch angesichts neuer technischer Entwicklungen das hohe Niveau des Datenschutzes aufrechterhalten und gleichzeitig die modernen technischen Möglichkeiten nutzen – und das in ganz Europa mit demselben Recht. Das war das Anliegen der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, und das ist auch das Ziel des vorliegenden Gesetzes. Mit diesem Gesetz setzen wir zwei europäische Rechtsakte um – wobei das Wort „umsetzen“ bei der Grundverordnung nicht ganz zutrifft –: die europäische Datenschutz-Grundverordnung einerseits und die Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz andererseits. Die verbundene Umsetzung beider europäischen Rechtsakte in einem Gesetz ist auch so etwas wie ein Symbol. Das zeigt nämlich: Schutz vor Kriminalität und Datenschutz sind zwei Seiten derselben Medaille, zwei Seiten unserer Freiheit, und deswegen müssen wir sie auch beide zusammen denken. Ab Mai 2018 werden in Deutschland und allen europäischen Mitgliedstaaten einheitliche Datenschutzregeln und Datenschutzstandards gelten. Das ist eine datenschutzrechtliche Zäsur in Europa, und genau das war auch beabsichtigt. Unternehmen mit niedrigen Datenschutzstandards können sich in Zukunft nicht mehr gezielt in solchen Mitgliedstaaten ansiedeln, die niedrige Standards akzeptieren oder eine unzureichende Datenschutzaufsicht haben. Davon profitieren die Menschen, die Nutzer, die Anwender, die Forscher, und davon profitieren auch die Unternehmen in unserem Land. Es gibt Rechtssicherheit für alle. Schluss mit dem Rosinenpicken beim europäischen Datenschutz: Unser Markt, unsere Regeln gelten für alle, ausnahmslos – auch für Unternehmen, die etwa aus den USA ihre Dienste in Deutschland anbieten. Das ist ein großer Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, regeln wir auch Teile der Datenverarbeitung im Interesse der öffentlichen Sicherheit. Wir ermöglichen zum Beispiel, dass Informationen, die durch Private erhoben wurden, an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden dürfen. Das ist eine sehr wichtige Regelung. Ohne eine solche Regelung können zum Beispiel Aufnahmen einer privaten Überwachungskamera, die eine Straftat belegen, nicht an die Polizei übergeben werden. Das kann nicht sein. Jetzt schaffen wir auch hierfür Rechtssicherheit. Mit diesem Gesetzentwurf halten wir uns eins zu eins an die europarechtlichen Vorgaben. Wir sind mit den notwendigen Anpassungen so schnell wie kaum ein Land in Europa. Wir halten das auch für nötig. Denn ab Mai 2018 gilt das neue europäische Recht unmittelbar, und bis dahin sind noch etliche Fachgesetze zu ändern: beim Bund, aber insbesondere auch in den Bundesländern. Dort, wo der europäische Gesetzgeber Gestaltungsspielraum gelassen hat, machen wir davon in verantwortlicher und selbstbewusster Weise Gebrauch. So verzichten wir zum Beispiel darauf, die Altersgrenze für die Einwilligung eines Kindes national unter 16 Jahre abzusenken, was wir europarechtlich könnten. Wir halten das nicht für vernünftig; deswegen machen wir es nicht. Dieser Gesetzentwurf – ich komme zum Anfang zurück – schützt nicht die Daten. Er schützt die Persönlichkeitsrechte der Menschen in unserem Land, und er stärkt den Standort Deutschland in einem starken Europa. Das ist entscheidend. Ich bitte sehr herzlich um eine möglichst breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Petra Pau für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim vorliegenden Antrag geht es um den Datenschutz, konkret um die Anpassung des deutschen Rechts an Vorgaben der Europäischen Union. Das ist der formale Hintergrund. Inhaltlich geht es um mehr; denn Datenschutz ist nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, Täterschutz. Datenschutz ist ein verbrieftes Bürgerrecht und obendrein eine unverzichtbare Basis für jedwede Demokratie. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind manipulierbar und nicht souverän. So hat es das Bundesverfassungsgericht mehrfach bekräftigt, und das ist die politische Dimension dieser Debatte. Folglich heißt heute die Frage: Schafft dieses Gesetz mehr Datenschutz? Stärkt es den Souverän und die Demokratie, oder schwächt es den Datenschutz und mithin Bürgerrechte und Demokratie? Meine Antwort lautet: Das Gesetz schwächt den Datenschutz. Und deshalb wird die Linke als moderne sozialistische Bürgerrechtspartei diesen Gesetzentwurf auch ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Mit diesem Nein stehen wir keineswegs allein da. Im Innenausschuss des Bundestages hat es am 27. März eine öffentliche Expertenanhörung zu diesem Gesetzesvorhaben gegeben. Das Gros der Datenschutzexperten äußerte dabei erhebliche Kritik an der Vorlage von CDU/CSU und SPD. Trotz aller Änderungen im Detail kommt die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, DVD, zu dem Schluss: Der vorliegende Gesetzesvorschlag verkehrt europäische Regelungen in ihr Gegenteil und bedeutet einen massiven Rückfall Deutschlands im Bereich des Datenschutzes. Ich füge hinzu: Niemand hier im Rund, auch nicht die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, kann hinterher sagen, sie oder er hätte das nicht gewusst. Ich will heute hier nur drei gravierende Kritikpunkte anreißen. Erstens. Die weitgehende Regelung zur Videoüberwachung stellt eine vermeintliche Sicherheit über verbriefte Grundrechte dar und ist mithin verfassungswidrig. Zweitens. Die Rechte betroffener Bürgerinnen und Bürger werden eher eingeschränkt als ausgeweitet. Drittens. Kontrollmöglichkeiten und Sanktionen bei Verstößen gegen den Datenschutz werden unverantwortlich kleingeschrieben. So werden im Übrigen auch die Rolle und die Möglichkeit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit tatsächlich wieder kleingemacht. Das sollte nicht unser Ziel sein. Wir müssen sie stärken. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Datenschutzinitiativen gehen sogar davon aus, dass dieses Gesetz vom Europäischen Gerichtshof kassiert werden könnte. Eine solche Blamage sollte der Deutsche Bundestag nicht sehenden Auges riskieren. Die Linke jedenfalls tut das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Schließlich sollte niemand davon ausgehen, dass die Datenschutzdebatte mit der Abstimmung heute Abend beendet ist. Wir leben in einer Zeit fortschreitender Digitalisierung, und wir beschreiten damit, wie es die Bundeskanzlerin Merkel einmal formulierte, tatsächlich Neuland. Sie hat damals sehr viel Häme dafür geerntet, allerdings nicht von mir; denn sie hat recht. Immer mehr Daten werden erfasst, gespeichert, verarbeitet, auch persönliche, übrigens nicht nur von Geheimdiensten, die mit diesem Gesetz eine Art Freibrief erhalten, sondern ebenso von weltumspannenden Monopolen, für die die Datenverarbeitung sozusagen eine Art Goldrausch ist. Das alles stellt an den Datenschutz noch viel weiter reichende Fragen, als sie mit diesem Gesetz aufgenommen wurden. So habe ich die dringende Hoffnung, dass sich der nächste Bundestag endlich dieser Herausforderung annimmt. Das sei mir noch gestattet: Seitdem ich Mitglied des Bundestages bin, reden wir über die Notwendigkeit eines tatsächlichen und modernen Beschäftigtendatenschutzes. Auch mit dieser Gesetzesnovelle haben wir nicht die Chance ergriffen, nun endlich einmal anzufangen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Gerold Reichenbach (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuschauer auf der Tribüne! Wir haben fast alle ein Smartphone in der Tasche. Viele Haushalte haben inzwischen Geräte, die mit dem Internet verbunden sind und die Kamerafunktionen und Mikrofonfunktionen haben. Überall dort fallen massenweise Daten an: über uns als Person, über unser Verhalten. Wir gehen im Internet einkaufen. Wir nutzen elektronische Medien, um unseren Alltag zu organisieren. Überall fallen Daten an, die unser ganz persönliches Verhalten widerspiegeln. In Zukunft werden wir intelligente fahrende Autos haben. Hinzu kommt das sogenannte Smart Home: Häuser, die technisch, elektronisch gesteuert werden, die sozusagen schon im Voraus wissen, wann wir unsere Heizung anschalten wollen oder wann das Garagentor geöffnet werden soll. Für all das braucht man Daten, in denen unser ganz persönliches Verhalten abgebildet ist. Deswegen ist es richtig und wichtig – das hat der Innenminister in seiner Rede deutlich gemacht –, dass wir diese Daten, die Aussagen über uns beinhalten, schützen, dass nur derjenige Kontrolle über diese Daten hat und sie freigeben darf, über den sie teilweise intimste Details enthalten. Darum geht es beim Datenschutz. Wir haben in Deutschland durchaus ein gutes Datenschutzrecht. Aber in der digitalen Welt werden solche Dienste länderübergreifend angeboten. Herr Minister hat es angesprochen: Unser Datenschutz war oft nicht durchsetzbar, weil die Unternehmen, die uns ihre Dienste hier in Deutschland anboten, häufig in einem Land ansässig waren, in dem die Kontrolle oder die rechtlichen Anforderungen geringer waren. Das ist ein Zustand, der für uns als Bürger – übrigens auch im Hinblick auf das Vertrauen in die weitere Digitalisierung, das Vertrauen in moderne Technik, die Daten kreiert – unhaltbar ist. Denn die Akzeptanz für moderne Technik hängt auch von Vertrauen ab. Und das Vertrauen wiederum hängt davon ab, ob ich sicher sein kann, dass am Ende mit dem, was andere über mich wissen, kein Missbrauch gegen mich betrieben wird. Darum geht es, wenn wir über Datenschutz reden. Wir reden hier nicht über die Daten, die auch Teil der modernen digitalen Welt und von Big Data sind und uns viele Informationen für die Verkehrslenkung, die Forschung und anderes bieten. Mit der Datenschutz-Grundverordnung – Herr Minister hat es angesprochen – haben wir endlich die Möglichkeit, dies europäisch zu regeln. Das ist ein Riesenvorteil, weil jetzt der Verbraucher, der Bürger seine Rechte durchsetzen kann. Es gilt das Marktortprinzip: Da, wo Daten von europäischen Bürgern erhoben werden, gelten einheitliche Gesetze. Das ist auch ein Vorteil für Unternehmen, denn jetzt gibt es Konkurrenzgleichheit: Überall in Europa werden sie auf die gleichen rechtlichen Voraussetzungen stoßen. Das ist auch eine Chance; denn damit haben wir erstmals einen einheitlichen Markt. Natürlich ist es nicht sehr interessant, bestimmte Dienstleistungen oder Geräte, die, was den Persönlichkeitsschutz betrifft, datenschutzfreundlich sind, nur für Deutschland zu entwickeln. Zudem gibt es die Konkurrenz der großen Märkte in Asien und den USA. Aber jetzt werden wir einen Markt haben, in dem all diese Regeln gelten, und damit gibt es für Unternehmen eine neue Chance. Wir diskutieren heute die Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes an die europäische Verordnung. Mit Verlaub: Ein Teil der Kritik, die Frau Kollegin Pau vorgebracht hat, scheint von einem etwas älteren Sprechzettel zu stammen. Ja, es gab in der öffentlichen Debatte durchaus die eine oder andere Kritik an der Vorlage, die das Kabinett geliefert hat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Lassen Sie mich vorab sagen: Es gab im Vorfeld eine breite Auseinandersetzung und Diskussion, weil zum Beispiel Unternehmen gesagt haben, dass sie dieses oder jenes Geschäftsmodell gerne weiter betreiben würden. Ich danke ausdrücklich Heiko Maas und seinem Ministerium, die sich im Vorfeld, bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes, sehr stark für die Interessen der Verbraucher und für die Wahrung der Bürgerrechte eingesetzt haben. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schmelzen schon dahin!) Trotzdem gab es eine Reihe von Punkten, bei denen wir als SPD-Fraktion entweder der Auffassung waren, dass sie nicht ganz mit der europäischen Verordnung in Übereinstimmung zu bringen sind, oder bei denen wir meinten, es müsse im Sinne der Verbraucher und der Nutzer nachgebessert werden. Es gab innerhalb der Koalition – dafür bin ich dankbar – eine sehr intensive Diskussion über die vorgebrachte Kritik, auch über das, was in den Ausschüssen und Anhörungen an Kritik vorgebracht wurde. Wir haben intensiv über das, was öffentlich zu dem Entwurf geäußert wurde, diskutiert. Der Ausfluss dessen war eine ganze Reihe von Änderungsanträgen, mit denen wir in der Koalition – wie ich glaube, im richtigen Maß – die kritischen Punkte ausgeräumt haben, aber gleichzeitig nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben. Unser Ziel ist: Wir wollen die Persönlichkeitsrechte und die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im digitalen Zeitalter erhalten und stärken und die Menschen nicht einer scheinbar unabwendbar grenzenlosen Ausforschung preisgeben. Wir haben den Entwurf durch Änderungsanträge an entscheidenden Stellen verbessert; darüber wurde auch in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Im Zentrum der Kritik – es ist angesprochen worden – stand die Wahrung der Rechte der Betroffenen. Grundsätzlich gilt, dass ein Betroffener darüber informiert werden muss, wenn seine Daten für andere Zwecke genutzt werden als jene, denen er zugestimmt hat. Der Regierungsentwurf sah zunächst vor, dass dies nicht mehr gelten soll, wenn dies für das Unternehmen mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden ist und dabei das Interesse des Betroffenen als geringer anzusehen ist. Das würde aber bedeuten: Wenn ein Unternehmen besonders viele Daten sammelt, dann könnte es einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bei der Information der Betroffenen geltend machen. Es könnte sozusagen mithilfe der Konstruktion seiner eigenen Datenverarbeitung dem Verbraucher seine Rechte vorenthalten, indem es sich auf diese Ausnahmeregelung beruft. Dies war nicht so gewollt; denn nur ein Kunde, der über die Weiterwendung seiner Daten informiert ist, kann dem widersprechen. Und darum haben wir die Regelung auf den Kern begrenzt – das wurde in der Debatte zu Recht vorgetragen –, indem wir eine Ausnahme nur dort vorsehen, wo sie sinnvoll ist, nämlich dann, wenn es sich bei der Weiterverarbeitung um analoge Daten handelt. Denn es ist nicht sinnvoll, die Regelungen bei der automatisierten Datenverarbeitung, wo dies einfach zu bewerkstelligen ist, zu übernehmen. Wir wollen den Bäckermeister nicht dazu zwingen – wenn er seine Lieferantendatei dazu nutzen will, um zum Betriebsjubiläum einzuladen –, vorher eine Postkarte zu verschicken, auf der er ankündigt, dass er demnächst die Daten für die Einladung zum Betriebsjubiläum nutzen will. Deswegen haben wir die Ausnahme auf diesen engen Bereich der analogen Datenverarbeitung beschränkt, sodass am Ende die großen Datenverarbeiter dieses Argument des unverhältnismäßig hohen Aufwands eben nicht als Ausflucht heranziehen können. Gleichzeitig werden die kleinen Unternehmer nicht übermäßig belastet. Das Gleiche gilt für das Recht auf Löschung. Auch hier war ursprünglich der unverhältnismäßig große Aufwand als Möglichkeit für eine Ausnahme vorgesehen. Aber auch hier gilt: Man könnte seine Datenbank ja so gestalten, dass die Löschung der Daten einen hohen Aufwand erfordert. Man könnte also von vornherein die Ausnahme sozusagen hineinprogrammieren. Deswegen haben wir die entsprechende Regelung auf den analogen Teil beschränkt. Der dritte Punkt beinhaltete die Ausnahme für den Fall, dass die allgemein anerkannten Geschäftszwecke gefährdet würden. Auch hier waren weiter gehende Interpretationen möglich. Am Ende hätte man sogar die Aushebelung der Betroffenenrechte per se zum Geschäftszweck machen können. Das war so nicht gewollt. Daher haben wir uns darauf beschränkt, dass die Möglichkeit der Betrugsprävention etwa beim Versicherungsbetrug oder die Durchsetzung eigener Rechtsansprüche nicht behindert werden darf. Der Betroffene kann nachfragen: Welche Daten habt ihr von mir gespeichert? Das Gleiche gilt für das Recht auf Löschung. Mit den vom Bundesrat angeregten Verbesserungen und mit einigen anderen Punkten haben wir insgesamt ein Gesetz gemacht, das im Bundesrat Zustimmung finden wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Wir haben dort, wo Ausnahmeregelungen möglich sind, zum Beispiel beim Beschäftigtendatenschutz, diese zunächst einmal – das hat natürlich mit der Kürze der Zeit zu tun – dazu genutzt, die jetzigen Regelungen im Bestand zu erhalten. Aber meine Fraktion ist nach wie vor der Auffassung, dass wir ein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz brauchen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Denn auch beim Beschäftigtendatenschutz muss man in der Lage sein, mit den neuen Herausforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt zurande zu kommen. Dazu brauchen wir die entsprechenden Anpassungen. Mit den bestehenden Regelungen alleine werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern. Ähnliches haben wir mit den Regelungen zum Scoring getan, also bei der Frage, was Auskunfteien über jemanden speichern und weitergeben dürfen. Auch da haben wir zunächst einmal das jetzige Verbraucherschutzniveau in den Entwurf des Anpassungsgesetzes übertragen. Es ist völlig unbestritten, dass der Datenschutz an dieser Stelle eigentlich der falsche Ansatz ist, weil es nicht um die Frage der Erhebung der Daten geht, sondern darum, welche Daten ich für das Profiling benutzen darf. Auch hier gilt: Wir von der SPD werden einen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Bereich des Verbraucherschutzes auf der Tagesordnung behalten. Insgesamt ist uns – das glaube ich im Gegensatz zu denjenigen, von denen wir hier Unkenrufe gehört haben – mit diesem Gesetzentwurf eine gute, europarechtskonforme Regelung gelungen, mit der wir den Zukunftsherausforderungen beim Persönlichkeitsschutz in einer immer weiter digitalisierten Welt gerecht werden. Ich muss ehrlich sagen: Ich bin auch ein Stück weit stolz auf das, was am Ende des Diskussionsprozesses herausgekommen ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist die Zukunft unseres Landes in einer globalisierten Welt. Dieses Europa hat sich ein Zukunftsthema auf die Fahne geschrieben: die Digitalisierung. Und das ist gut so. Doch die Aufbruchstimmung ist vielfach einem Unbehagen gewichen. Massenüberwachung, Cyberangriffe und Datenwillkür dominieren seit Jahren die Schlagzeilen. Die politische Großwetterlage zwischen autoritären Herrschern wie Erdogan und Orban und einer unberechenbaren Trump-Administration tut ihr Übriges zur Verunsicherung. Dieser Verunsicherung gilt es auch hier, im Bereich des Datenschutzes, entgegenzutreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb war und ist es richtig, dass die EU gerade das Thema Datenschutz als einen fundamentalen Bestandteil einer digitalen Agenda erkannt und priorisiert hat; denn Datenschutz ist nicht einfach ein schönes Feature, das man haben kann oder auch nicht. Für Bürger bedeutet es Grundrechts- und Privatsphärenschutz und für Verbraucher und Wirtschaft unverzichtbaren Vertrauensschutz. Es ist der über Jahre vernachlässigte Datenschutz, der sich heute als der vielleicht wichtigste Vertrauensanker der Menschen im digitalen Zeitalter herausstellt; denn der von Ihnen oft verpönte Datenschutz ist nichts weniger als eine Schutzgarantie des Staates gegenüber den Bürgern, die da lautet: Wir sorgen dafür, und komme, was da wolle, an weiteren Modernisierungen, an Onlinegeschäften, an vermeintlich intelligenten Services, dass deine persönlichen Informationen, dass deine Daten, dass deine Privatsphäre, dass deine Menschenwürde geschützt sind. Das ist der Kern von Datenschutz, und das geht weit über Symbolpolitik und Fensterreden hinaus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei aller nachvollziehbaren Kritik an der europäischen Datenschutz-Grundverordnung in Detailfragen: Sie war richtig, und sie ist richtig. Sie ist ein Schritt auf dem Weg, die Facebooks, Googles und Microsofts daran zu hindern – das sehe ich genauso wie der Minister –, uns, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen. Ich denke an Forum Shopping und Ähnliches. Mein Kollege Jan Philipp Albrecht und ein wackeres EU-Parlament haben hier tatsächlich Großes geleistet. (Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Nicht allein!) – Nicht alleine, aber eben auch. Die Datenschutz-Grundverordnung überträgt zentrale Elemente eines modernen Datenschutzes wie das hohe Privacy by Design, Datenportabilität und einen hohen Standard bei den Betroffenenrechten wie die Einwilligung auf die europäische Ebene. Europa hat das im Wesentlichen nicht wegen, sondern trotz der Bundesregierung und trotz der Großen Koalition geschafft, Herr de Maizière. So haben Sie natürlich in Ihrem Umsetzungsgesetz nichts unversucht gelassen, um diese hohen Standards zu hintertreiben. Das klang in Ihrem Eingangsstatement an, als Sie sagten: Die Zeit der Datensparsamkeit ist eigentlich vorbei. – Das ist genau das Aufbohren dieser Grundsätze. Deswegen können wir Ihrer Vorlage hier nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir lehnen nämlich den Versuch ab, die Informationspflichten der Unternehmen wie auch Auskunfts- und Löschungsrechte nach Wünschen der Wirtschaft zurückzuschneiden. Wir halten es für völlig inakzeptabel, dass Kontrollen der Aufsichtsbehörden in Krankenhäusern und Arztpraxen behindert oder unmöglich gemacht werden sollen. Zusätzlich versuchen Sie tatsächlich und völlig unverhohlen, die unabhängige Bundesbeauftragte für den Datenschutz mit diesem Gesetz politisch mundtot zu machen; (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!) denn sie soll den Ausschüssen dieses Hohen Hauses nicht mehr Bericht erstatten dürfen und Gebäude von deutschen Geheimdiensten unter Umständen zukünftig nicht mehr betreten können. Das ist völlig inakzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann doch ein Parlament nicht zustimmen!) Diese Sitzungswoche ist eine Schicksalswoche für die Bürgerrechte. Das hat der Minister vorhin auch schon in anderen Reden gesagt. Massenhafte Sammlung von Fluggastdaten, vollautomatisierte Geheimdienstabgriffe von Passbildern, ein BKA-Google und Vorratsdatenspeicher zeigen einen Abgrund an achselzuckender Gleichgültigkeit, ja sogar an Grundrechtsnegierung. Das machen wir nicht mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auf einen Punkt will ich noch hinweisen: Sie haben uns in dieser Sitzungswoche mit Fristverkürzungen und kurzfristigen Sachverständigenanhörungen getrollt. Ich habe auf der Internetseite der CDU/CSU-Fraktion gesehen, dass heute Ihr Tag der inneren Sicherheit ist. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Gestern! Aber jeder Tag ist ein Tag der inneren Sicherheit für die Unionsfraktion!) – Gestern. Heute ist der Bericht darüber auf der Internetseite – punktgenau. – Es ist interessant, dass die SPD diesen Wahnsinn parlamentarisch mitmacht, diese unseriösen Beratungen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Beratungen?) die wir hier durchführen, damit die Union hier eine Punktlandung, eine Wahlwerbeveranstaltung durchziehen kann. Das geht so nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Gerold Reichenbach [SPD]: Die Anhörung war vor drei Wochen!) Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Wir haben immer gesagt, Herr Minister: Wir sind dabei. – Aber Sicherheit in einem Rechtsstaat heißt eben auch Bürgerrechte. Das können Sie nicht. Das haben Sie hier heute vielfach bewiesen. Deswegen werden wir nicht zustimmen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Die Anhörung war vor drei Wochen! Können wir doch nichts dafür, dass du so lahm bist!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und behaupten, dass das Gesetz, das wir heute verabschieden, ein Meilenstein ist. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Oh!) Aber die europäische Datenschutz-Grundverordnung ist mit Sicherheit ein Meilenstein. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Dieses Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz, das wir heute verabschieden, ist die notwendige und richtige Ausformung und Umsetzung dieser Datenschutz-Grundverordnung. Herr Kollege von Notz, es ist ja gut, wenn Sie sich weiterbilden und sich auf der Homepage der CDU/CSU-Fraktion kundig machen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der eine Klick war von mir!) Ja, dort steht ein Bericht über den Tag der inneren Sicherheit, aber für die Unionsfraktion ist jeder Tag ein Tag der inneren Sicherheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn Sie behaupten, diese Woche sei eine Schicksalswoche für die Bürgerrechte, dann möchte ich Ihnen entgegnen: Diese Woche ist eine gute Woche für die innere Sicherheit in unserem Land. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ein schwarzer Tag für Bürgerrechte!) Denn in dieser Woche verabschieden wir sehr viele wichtige und auch zeitlich drängende Gesetze, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist Wahlkampf, Herr Mayer! Man merkt es deutlich!) die insbesondere die innere Sicherheit in unserem Land stärken. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie halten Fristen nicht ein!) Bei der Datenschutz-Grundverordnung geht es schlichtweg um die Harmonisierung des Datenschutzrechts in der gesamten Europäischen Union, in einem Raum mit 500 Millionen Einwohnern, mit noch 28 Ländern; bald sind es leider nur noch 27 Länder. Ich möchte klar sagen: Diese Datenschutz-Grundverordnung ist im deutschen Interesse, und davon wird Deutschland, werden die deutschen Verbraucher, aber auch die deutschen Unternehmer profitieren. Denn – das ist für mich ein ganz entscheidender Inhalt – mit dieser Datenschutz-Grundverordnung wird das Datenschutzrecht in Europa insgesamt verbessert, und zwar in vielerlei Hinsicht. Es wird an das schon hohe deutsche Datenschutzrechtsniveau angepasst. Es stimmt einfach nicht, Herr Kollege von Notz, wenn Sie behaupten, wir hätten für Datenschutz nichts übrig und Datenschutz wäre bei uns verpönt. Ich möchte hier wirklich ausdrücklich betonen: Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, Datenschutz sei Täterschutz. Das stimmt so nicht. Datenschutz ist aus meiner Sicht in unserer heutigen Zeit, in unserem Zeitalter der Digitalisierung ein sehr, sehr wichtiges Bürgerrecht. Deswegen tun wir gut daran, dem Datenschutz eine große Bedeutung beizumessen. Dies tun wir mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz. Deutschland ist das erste Land, das diese Datenschutz-Grundverordnung umsetzt. Insoweit sind wir in Europa beispielgebend. Ich habe durchaus die Hoffnung, dass sich das eine oder andere Land an unserem Umsetzungsgesetz orientieren wird. Ich möchte auch auf die Feststellung Wert legen, dass wir von den sich bietenden Öffnungsklauseln – es sind insgesamt ungefähr 80 – in sehr reduzierter und sehr behutsamer Weise Gebrauch machen. Wir orientieren uns mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz sehr stark an der Datenschutz-Grundverordnung. Wir schaffen damit auch die Voraussetzungen, dass die Länder, aber auch der Bund in ungefähr 300 weiteren Gesetzen die notwendigen Änderungen werden vornehmen können. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Inhalt dieses Gesetzentwurfes ist auch die Frage: Wer vertritt Deutschland im Europäischen Datenschutzausschuss? Ich bin der festen Überzeugung: Die Regelung, die mit den Ländern getroffen wurde, ist eine sehr vernünftige und verträgliche. Mir ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz der Datenschutz in Deutschland nicht reduziert und unterminiert, sondern ausgeweitet wird. Trotzdem, trotz dieser Stärkung des Datenschutzes in Deutschland, ist es möglich, bewährte Geschäftsmodelle in Deutschland weiterhin zu betreiben. Es war uns als Unionsfraktion ein wichtiges Anliegen, dass bewährte Geschäftsmodelle im Bereich von Inkassounternehmen, von Auskunfteien, von Direkt- und Dialogmarketing, die nach dem heutigen Bundesdatenschutzgesetz legal betrieben werden, auch in Zukunft betrieben werden können. Das ist der Fall. Ich lege insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit Wert auf die Feststellung – dazu gab es nämlich immer wieder Fragen –, dass von Verbrauchern nach dem heute geltenden Bundesdatenschutzgesetz abgegebene Einwilligungen fortgelten. Sie müssen, um dies klar zu sagen, nicht erneuert werden, wenn sie den Voraussetzungen der Datenschutz-Grundverordnung entsprechen. Es wäre natürlich mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden, wenn Millionen von Verbrauchern ihre Einwilligung noch einmal neu erteilen müssten. Dies ist aus meiner Sicht eine wichtige klarstellende Feststellung. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus möchte ich Wert auf die Feststellung legen, dass man, was das Thema Profiling anbelangt, klar differenzieren muss. Artikel 22 der Datenschutz-Grundverordnung differenziert deutlich zwischen Profilingmaßnahmen, die eine unmittelbare, rechtlich bindende Wirkung oder beispielsweise eine erhebliche Beeinträchtigung der Person zur Folge haben, und Profilingmaßnahmen zum Zwecke der Werbung oder des Marketings, die bei weitem nicht so beeinträchtigend sind. Von Artikel 22 der Datenschutz-Grundverordnung sind Profilingmaßnahmen zu Marketing- und Werbezwecken nicht umfasst. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein großer Schritt nach vorne ist der parlamentarische Änderungsantrag, den wir mit vorangetrieben haben und der insbesondere dazu beiträgt – auch das ist mir wichtig –, dass die Betroffenenrechte gestärkt werden. Sie werden nicht reduziert, sondern deutlich gestärkt, insbesondere im Bereich der Auskunftsrechte, der Informationspflichten und der Löschungspflichten der Unternehmen. Um es kurz auf den Punkt zu bringen: In Zukunft wird für Facebook & Co nicht mehr die Ausrede gelten können, dass die Information von Millionen Kunden einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, wenn es darum geht, zu begründen, dass man seine Kunden, die Verbraucher, nicht informiert. Wir reduzieren die Ausnahmemöglichkeiten ausschließlich auf die Unternehmen, deren Datenverarbeitung nicht automatisiert, also analog erfolgt. Ich glaube, das ist gerade im Sinne kleiner und mittelständischer Unternehmen. Darüber hinaus stärken wir auch die Rechte der Betroffenen, was die Löschungspflichten anbelangt. Es muss der Grundsatz gelten, dass Daten auch gelöscht werden können. Ausnahmen von diesen Löschungspflichten sind sehr reduziert. Das war uns in den Verhandlungen ein wichtiges Anliegen, immer verbunden mit dem Hinweis darauf, dass bewährte Geschäftsmodelle dabei nicht zu Fall kommen dürfen. Durch einen parlamentarischen Änderungsantrag verändern wir die Zuständigkeit bei Bußgeldverfahren. Ich glaube, es ist sachgerecht, dass dann, wenn Bußgelder in Höhe von mehr als 100 000 Euro erhoben werden – das mag nicht die Regel sein, kann aber durchaus einmal vorkommen, insbesondere bei großen Unternehmen wie den genannten, also bei Facebook, Google & Co –, nicht der einzelne Amtsrichter vor Ort zuständig ist, sondern zumindest eine Kammer am Landgericht die Zuständigkeit bekommt. Ich glaube, dass dies auch die Rechtsprechung insgesamt stärkt. Vor diesem Hintergrund möchte ich dringend an die Opposition appellieren, noch einmal der Überlegung näherzutreten, diesem Gesetzentwurf doch zuzustimmen. Herr Kollege von Notz, Sie haben erwähnt, dass ein grüner Europaabgeordneter maßgeblich an der Datenschutz-Grundverordnung mitgearbeitet hat. Ich habe die leise Hoffnung, dass im Bundesrat auch grün mitregierte Bundesländer diesem Gesetzentwurf zustimmen werden. Ich glaube wirklich, dass wir stolz auf dieses Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz sein können und dass es den Datenschutz für Millionen von Menschen in Deutschland – für Verbraucher, für Arbeitnehmer, für Arbeitgeber, für Patienten, für Studenten, für Rentner – stärken und nicht schwächen wird. Deshalb habe ich noch einmal die herzliche Bitte: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, und stimmen Sie diesem guten und wichtigen Gesetzentwurf zu. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Jarzombek das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf, der nicht nur ein Gesetzentwurf zum Schutz der Bürger oder aus dem Bereich der Innenpolitik ist, sondern wir reden hier auch über aktive Wirtschaftspolitik. Es ist fast eine Plattitüde, wenn man sagt, dass Daten der Treibstoff für die Ökonomie 2.0 sind. Man muss einfach sagen, dass in diesen Zeiten, in denen wir uns mit globalen Unternehmen auseinandersetzen, ein nationales Datenschutzrecht keine Perspektive bietet; denn derjenige, der mit seinem Start-up hier in Berlin, in Düsseldorf oder von mir aus auch in den Tiefen des ländlichen Raumes beginnen möchte, braucht überall in Europa – in allen 28 Nationen – den gleichen Rechtsrahmen. Deshalb ist diese Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union eine sehr gute Entwicklung. Wir standen vor der Herausforderung, den gesamten deutschen Datenschutz komplett auf neue Beine zu stellen, und ich bin der Regierung wirklich dankbar; das war ein Kraftakt. Lieber Konstantin von Notz, ich sehe es nicht als ein Problem, sondern als eine gute Lösung an, dass wir diese Neuregelung des kompletten Datenschutzrechts noch vor der Bundestagswahl geschafft haben; denn die Umstellungszeiträume für die Unternehmen sind aufgrund all der komplexen Veränderungen, die sich dort jetzt ergeben, sehr lang. Es kann teilweise sogar Jahre in Anspruch nehmen, die Systeme umzuprogrammieren, wie wir nicht zuletzt bei der Umsetzung des IT-Sicherheitsgesetzes gesehen haben. Deshalb haben wir auch als Fraktion die Regierung immer wieder angesprochen und gesagt: Lasst uns das bitte noch vor der Wahl fertigbekommen. Dafür, dass das gelungen ist, geht mein Kompliment an den Bundesinnenminister und auch an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Innenausschuss. Das war wirklich eine große Leistung. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei all den Dingen, die Kollege Stephan Mayer hier benannt hat und die zeigen, dass der Gesetzentwurf, der hier vorgelegt wurde, wirklich gut ist, heißt das aber noch lange nicht, dass wir mit der Diskussion über das Thema Datenschutz und die Frage, wie wir damit umgehen, am Ende sind. Ganz im Gegenteil: Es gibt durchaus Dinge, bei denen wir hier in diesem Hause nicht alle einer Meinung sind. Ich habe vorhin gesagt, wie wichtig es für das Start-up aus Düsseldorf ist, dass es mit einem einheitlichen Rechtsrahmen in ganz Europa agieren kann. Man muss aber feststellen, dass wir zumindest für Unternehmen nicht einmal in ganz Deutschland den gleichen rechtssicheren Standard haben; denn es macht eben schon einen Unterschied, ob jemand mit seinem Start-up im Kreis Pinneberg (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super Kreis!) oder möglicherweise in Garching bei München startet. All das unterliegt nämlich erst einmal der Hoheit der Landesdatenschutzbeauftragten, die Entscheidungen treffen, die – das sieht man in der praktischen Umsetzung – teilweise sehr stark voneinander abweichen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super Datenschutz in Schleswig-Holstein!) Das ist der Grund, warum zumindest eine ganze Reihe bei uns hier am Ende zu einheitlicheren Standards kommen möchte. Nun komme ich zu der Frage, wie man das gesamte Thema weiterentwickelt. Es ist vorgesehen, dass die Gruppe 29 auch Vorschläge dazu unterbreitet, wie die Datenschutz-Grundverordnung weiterentwickelt wird. Das Thema Datenverarbeitung sollte nicht immer nur aus einer negativen, risikobehafteten Perspektive betrachtet werden, sondern es muss ebenfalls Institutionen geben, die das Thema durch eine Innovationsbrille betrachten und feststellen, was eigentlich passieren muss, damit unsere Unternehmen die gleichen Chancen haben. Im jetzigen Regime muss man zu vielen Dingen seine Zustimmung geben, und es besteht das Risiko, dass die Zustimmungsgiganten aus Amerika trotz der Datenschutz-Grundverordnung am Ende die Zustimmung für viele Dinge bekommen werden, die sie brauchen. Derjenige, der sich für fast 1 000 Euro ein iPhone gekauft hat, wird bei dem Softwareupdate nach zum Beispiel drei Monaten, bei dem er darum gebeten wird, erneut die Zustimmung für bestimmte Datenverarbeitungen zu geben, nämlich ganz sicherlich nicht sagen: Ich lehne das jetzt ab und mache mein schickes neues Gerät unbrauchbar. Das ist eben der Unterschied zu einem Start-up, das sich in den Markt hineinbewegt und sich seine Reputation erst noch erarbeiten muss. Hier sagen die Menschen vielleicht: Ich musste doch schon bei Apple, bei Google und bei Facebook zustimmen. Ohne die kann ich gefühlt gar nicht leben. Ich musste vielleicht sogar einem Update bei meinem Auto zustimmen. Aber jetzt reicht es, und ich sage am Ende einfach Nein. – Diese Entwicklung müssen wir genau beobachten. Da ist eine Evaluierung notwendig, um zu gucken, ob das, was wir hier machen, am Ende unseren Unternehmen hilft, sich gegen die großen amerikanischen Unternehmen zu behaupten. Der letzte Punkt ist – ich hoffe, dass uns das gelingt –, dass wir das vorhandene Recht tatsächlich durchsetzen. Ich darf sagen: Die Amerikaner haben eindrucksvoll deutlich gemacht, wie sie gegenüber deutschen Automobilherstellern ihr Recht mit immensen Schadenersatzzahlungen durchsetzen. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass auch wir eindrucksvoll deutlich machen, wie wir unser Datenschutzrecht gegenüber amerikanischen Unternehmen durchsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12084 und 18/12144, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11325 und 18/11655 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12132. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 b und setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf den Drucksachen 18/12084 und 18/12144 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11401 mit dem Titel „Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr. Frithjof Schmidt, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schlüssel für eine globale, ökologische und gerechte Energieaußenpolitik Drucksachen 18/10147, 18/11694 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat als Außenminister einmal gesagt, Energieaußenpolitik sei ein langes Wort. Aber es ist auch ein wichtiges Anliegen. Wenn wir die Antworten auf unsere Große Anfrage zusammenfassen, kann man eigentlich nur feststellen: Die Große Koalition kann keine Energieaußenpolitik. Sie können nur fossile Außenwirtschaftspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Angeblich streitet die Kanzlerin für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050. Angeblich fühlen Sie sich den Klimaschutzvorgaben von Paris verpflichtet. Was heißt das? Das heißt, dass vier Fünftel – wahrscheinlich mehr – der heute bekannten Vorräte an Kohle, Öl und Gas unter der Erde bleiben müssen. Und was machen Sie? Seit 2009 hat die Bundesregierung unter Führung von Frau Merkel 19 Milliarden Euro für Exportgarantien für fossile Projekte ausgegeben. Das sind drei Viertel der Exportgarantien im Bereich der Energie. Noch schlimmer ist es bei den Investitionsgarantien. Bei den Investitionsgarantien gingen 96 Prozent an fossile Projekte. Allein Ägypten hat 4 Milliarden Euro bekommen. Sie, meine Damen und Herren, fördern aktiv die Klimaerhitzung. Mir kommt das ziemlich trumpig vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie erzählen in Broschüren des Auswärtigen Amts, die Energiewende in Deutschland sei ein Vorbild für die Welt. Aber das war einmal. Sie sind im Inland, was die Energiewende angeht, mit Sonnensteuer, Ausbaudeckel und ganz viel Bürokratie mittlerweile voll auf der Bremse. Das hat uns über 40 000 Arbeitsplätze in Deutschland gekostet. Es sind heute China und Indien, die vormachen, wie man Klimaschutzziele und vertragliche Verpflichtungen einhält, die diese Koalition für 2020 nicht einhalten wird und wahrscheinlich auch 2030 nicht, wenn Sie denn weiterregieren würden, aber da habe ich meine Zweifel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit dieser Politik schaffen Sie aber auch neue Abhängigkeiten. Sie erzählen uns beispielsweise, Nord Stream 2 sei ein rein unternehmerisches Projekt. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ist es auch!) Sie erzählen uns auch, der südliche Korridor sei ein rein unternehmerisches Projekt. Ich finde es sehr spannend, Gazprom als reines Unternehmen zu betrachten, aber wenn Sie das so sehen, Herr Kollege, bitte. Aber sehen wir uns einmal den südlichen Korridor an. Was ist daran rein unternehmerisch? Es gibt 500 Millionen Anträge auf Millionen Exportgarantien. Es gibt einen Antrag auf einen 2-Milliarden-Euro-Kredit bei der Europäischen Investitionsbank. Und wer soll all dieses Geld bekommen? Das Gasfeld wird von Lukoil erschlossen. Das ist ein russischer Konzern. Die Pipeline läuft durch Aserbaidschan und finanziert die korrupte Autokratie von Alijew. Anschließend verläuft die Pipeline 2 000 Kilometer lang durch die Türkei von Erdogan. Mit anderen Worten: Sie machen sich mit Ihrer Energiepolitik von Erdogan, Alijew und Putins Oligarchen abhängig. Ich sage Ihnen: Energieunabhängigkeit bzw. Energieversorgungssicherheit geht nicht so; sie geht ganz anders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie geht übrigens auch nicht, wenn Sie als Ergänzung dazu sagen: Wir importieren ganz viel Flüssiggas aus dem Fracking der USA, aus Katar oder anderswoher und landen das dann in Swinoujscie an. Ich will Ihnen sagen, wie es geht: Würden wir in Deutschland 3 Prozent unseres Gebäudebestandes jedes Jahr energetisch wärmedämmen, dann würden wir nicht nur Zehntausende von Arbeitsplätzen im Handwerk sichern, sondern wir würden bis 2030 so viel Gas einsparen, wie wir jetzt jährlich aus Russland importieren. So geht Energieversorgungssicherheit, und so geht Energieaußenpolitik: mit Erneuerbaren, Effizienz und Energieeinsparung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Jens Koeppen hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Energieaußenpolitik ist mehr als Energiepolitik.“ Kollege Trittin, das sind die ersten Worte in der Vorbemerkung Ihrer umfangreichen Großen Anfrage mit fast 180 Fragen. Und da gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht, weil es schlicht und ergreifend so ist. Energieaußenpolitik ist natürlich auch Sicherheitspolitik und Klimapolitik, wie Sie schreiben. Das ist völlig klar. Ihre Schlussfolgerung allerdings erscheint mir im Hinblick auf unsere eigene Energieversorgung und Energiewende ein wenig ungeeignet, vielleicht sogar kontraproduktiv. Darauf will ich mich auch beziehen, nämlich auf die Hausaufgaben, die wir im Inland zu machen haben. Denn Außenpolitik steht in unmittelbarer Kohärenz mit der nationalen Energiepolitik. Wenn wir hier im Lande die Akzeptanz für unsere Energiewende verlieren, haben wir global gesehen ganz schlechte Karten. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Energieaußenpolitik ist auch mehr als nur reine Klimapolitik, wie Sie es gerade beschrieben haben. Es darf daraus auch keine Glaubensfrage gemacht werden. Energiepolitik ist selbst mehr als der bloße Zubau von Erneuerbare-Energie-Anlagen ohne die Abnahmemöglichkeit und ohne die Nutzbarkeit. Es darf bei unserer Energiepolitik und bei unserer Energiewende keinen Aktionismus geben. Ihre Fragestellungen und Ihre Debattenbeiträge – auch der Beitrag eben – machen sehr deutlich, dass das energiepolitische Zieldreieck, das wir uns gemeinsam gesetzt haben, von Ihnen nicht mehr verinnerlicht wird. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch keinen Aktionismus!) Ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen. Da ist zum einen die Versorgungssicherheit – Sie haben sie angesprochen; sie kommt mir aber zu kurz –, da ist die Bezahlbarkeit, und da ist natürlich die saubere Energieversorgung. Wir haben immer gesagt, dass es sich um ein gleichschenkliges Dreieck handelt. Es ist also alles gleichwertig. Dieses Zieldreieck wird leider zunehmend rein „klimapolitischen Anstrengungen“ – in Anführungsstrichen – geopfert. Sie schreiben nämlich in Ihren Vorbemerkungen – ich darf zitieren –: Energiesicherheit wird es … auf Dauer nur geben, wenn es gelingt, die Klimakrise aufzuhalten und den Klimawandel zu begrenzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Das ist natürlich richtig. Da könnte jeder von uns auch klatschen. Aber Sie ordnen alle anderen energiepolitischen Ziele, die es auch noch gibt – ich habe sie ja erwähnt –, dem Klimaschutz unter. Eine solche einseitige Energiepolitik hat keine Chance auf Erfolg, (Beifall bei der CDU/CSU) findet keine Mehrheit in der Bevölkerung und führt in eine Sackgasse. Das muss man ganz deutlich sagen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja den Pariser Vertrag auch unterschrieben!) Eine abgestimmte Energieaußenpolitik ist enorm wichtig. Energie muss für alle Menschen in Zukunft verfügbar sein und muss bezahlbar sein. (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Richtig! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Für alle!) Energie, Wärme, Strom dürfen niemals zu einem Luxusartikel werden. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer blockiert denn die Mieterstrommodelle? Sie doch!) Dazu gehört aber auch, anzuerkennen, dass unterschiedliche nationale Energiemixe mit einer gemeinsamen europäischen Energieaußenpolitik vereinbar sind. Wir brauchen so viel Europa wie nötig und nicht so viel Europa wie möglich. (Beifall bei der CDU/CSU) Gemeinsame Ziele kann man gerade hier auch mit national unterschiedlichen Energiemixen und Wegen erreichen. So viel Akzeptanz müssen wir auch mitbringen. Wir können doch nicht unseren europäischen Nachbarn entsprechende Vorschriften machen und zum Beispiel den polnischen Nachbarn sagen, sie dürften ihre Kohle nicht nutzen. Wir dürfen doch den französischen Nachbarn nicht sagen: Wir verordnen euch jetzt den Atomausstieg. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die haben doch alle in Paris unterschrieben, oder?) Damit werden wir scheitern und letztendlich gar nichts erreichen. Dann werden mehr und mehr Menschen aufgrund der Bevormundung vielleicht sogar Europa verlassen wollen. Das müssen wir verhindern. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wer bevormundet denn?) Wenn Deutschland Motor einer weltweiten Energiewende oder auch Motor für den Ausbau der erneuerbaren Energien sein will, dann müssen wir selbst erfolgreich sein. Wir müssen den anderen zeigen, wie es funktioniert. Und hier müssen wir uns ehrlich machen. Lieber Kollege Trittin, was wir gegenwärtig in dem Bereich tun, ist wenig stimmig. Es ist zu teuer und vor allen Dingen auch umweltpolitisch sehr fragwürdig. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da haben Sie recht!) – Ja, selbstverständlich. Mit „wir“ meine ich aber uns alle und das, was wir in Deutschland in der gesamten Gesellschaft machen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie regieren doch! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ja ein Spaßvogel! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung!) Lieber Kollege Trittin, ich erinnere an unser Stromeinspeisungsgesetz. Das haben Sie auch mitgetragen. Aber die Stimmigkeit fehlt mir. Es geht doch gar nicht darum, wer jetzt für die Politik zuständig ist. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch!) Es geht darum, was wir letztendlich in der Gesellschaft daraus machen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss schon wissen, wer regiert! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie nur so weiter!) Allein für die Stromwende – jetzt kommen wir einmal zu den Fakten – zahlen die Verbraucher und Unternehmen in Deutschland über 30 Milliarden Euro im Jahr. Hinzu kommen die Netzentgelte sowie die Kosten durch Zubau und Redispatch. Ich befürchte, lieber Kollege Trittin, dass allein dieser Kostenblock viele Länder von einer europäischen Energiewende abhält, ganz zu schweigen von einer globalen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen die Chinesen und die Inder?) Die Energiewende verliert zudem massiv an Rückhalt in der Bevölkerung. Der Ausbau der erneuerbaren Energien kann aber nur zusammen mit der Bevölkerung gelingen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 80 Prozent Zustimmung!) Ich will Ihnen ein paar schlechte Beispiele aus Brandenburg nennen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist doch der Volksentscheid gescheitert, oder?) Die Windeignungsgebiete werden in Brandenburg, aber auch anderswo gesetzlich durchgedrückt. Sie werden regelrecht durch die regionalen Planungsgemeinschaften gepeitscht. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sitzen die Bürgermeister drin! Sprechen Sie denen nicht die Legitimität ab!) Eine Dorfgemeinschaft nach der anderen wird in Opposition zur Energiewende gebracht. Geringe Abstandsflächen zur Wohnbebauung sind inakzeptabel. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1 000 Meter!) Stellen Sie sich vor: Eine Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 230 Metern (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir nicht!) kommt in der Uckermark auf bis zu 800 Meter an die Wohnbebauung heran, bei Zielabweichungsverfahren sogar auf bis zu 500 Meter. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Unsinn!) Erklären Sie das den Betreffenden einmal! Ich lade Sie ein, ein Haus zu betreten, das neben einer Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 230 Metern steht. Selbst wenn Sie Türen und Fenster schließen, werden Sie den Infraschall und die Lärmbelästigung nicht leugnen können. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Infraschall! Können Sie den einmal erklären!) Sie müssen die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Akzeptanz geht verloren. Aber die Energiepolitik benötigt Akzeptanz. Zudem werden die Netzentgelte nicht bundesweit umgelegt. Nun kommt der größte Treppenwitz: Windkraftanlagen werden in den Wald gestellt. (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wälder werden abgeholzt! Auch in Thüringen!) Der größte CO2-Speicher ist nun einmal der Wald. Um eine energiearme Versorgung zu gewährleisten, wollen wir nun den Wald hektarweise abholzen. Das ist absolut unlogisch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie den Unterschied zwischen Wald und Plantage?) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Koeppen, Sie haben nicht bemerkt, dass ich gerade die Uhr angehalten habe. Sobald ich überwiegend das Wort habe, stelle ich Ihnen die Frage, ob Sie eine Bemerkung oder eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zulassen? Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich erwarte nicht sehr viel Erkenntniszugewinn. Deswegen lassen wir das lieber. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten Sie doch fragen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Entschuldigung, gilt das auch für die Frage der Kollegin Eva Bulling-Schröter, die sich ebenfalls zu einer Zwischenfrage meldet? Jens Koeppen (CDU/CSU): Ja. – Anlagen werden wegen fehlender Leitungen abgeschaltet. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mikro abschalten wäre viel besser!) Die Windmüller bekommen trotzdem ihren Anteil ausgezahlt. Das ist gut für Investoren, aber nicht gut für die Energiewende; denn sie verliert an Akzeptanz. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind also gegen die Energiewende? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben die in Brandenburg nicht Probleme mit der Braunkohle?) Es dürfte nur der Strom vergütet werden, der letztendlich durch den Zähler fließt. Wenn das nicht der Fall ist, dann haben wir keine Chance, neue Innovationen, Speichertechnologien und bedarfsgerechte Angebote zu finden. Dann laufen wir mit unserem jetzigen Know-how unter der hohen Messlatte hindurch. Nun kommt ein letzter Aspekt, der sehr wichtig ist und den Sie bereits angesprochen haben, Herr Trittin. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir gespannt! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf den Erkenntniszugewinn bin ich gespannt!) Die Abhängigkeit von Energieimporten müssen wir senken. Dazu gehört auch eine ehrliche Energieaußenpolitik. Daher ist es notwendig – das sage ich ganz deutlich –, unsere heimischen Ressourcen sinnvoll und so sauber wie möglich zu nutzen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Braunkohle, ja?) – Selbstverständlich die Braunkohle. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die reicht nur bis 2020! Dann ist Feierabend!) Es ist absolut scheinheilig, die heimische Braunkohle zu verteufeln und dann über eine Energieaußenpolitik zu philosophieren. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil dadurch Dörfer abgebaggert werden!) Wenn wir auf die heimischen Energieträger verzichten, steigt unsere Abhängigkeit, und zwar von fossilen Energieträgern. Das ist unredlich und verschiebt nur das Unliebsame ins Ausland. Wir sind sauber, und die Dreckspatzen sitzen woanders. Wir müssen vielmehr auf Prozesse und Techniken setzen, die die Kohleverstromung sauberer und umweltverträglicher machen. Wir können zurzeit nicht auf die heimischen Ressourcen verzichten, da sie zu einer bezahlbaren und sicheren Energieversorgung beitragen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Wald, der dafür weggebaggert wird?) In diesem Sinne plädiere ich an das Umweltministerium, im Rahmen des sogenannten Best-Prozesses in Brüssel – das sind die Verhandlungen über die bestverfügbare Technik – nichts auszudealen. Das führt möglicherweise zu mehr Ausstoßmöglichkeiten und einem vermeintlich freiwilligen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist schon 2020 Schluss!) Das ist energiepolitisch nicht darstellbar. Wir können bis zum Jahre 2030 aus der Kohle nicht aussteigen, und zwar aus Gründen der Energieaußenpolitik und aufgrund der Herausforderungen, die wir bei den erneuerbaren Energien bezüglich der Kosten, der Verfügbarkeit, der Schwankungen, der Akzeptanz, der Versorgungssicherheit, der Grundversorgung und des Lastmanagements haben. Lassen Sie uns Ihren komplexen Fragenkatalog also dazu nutzen, um eine moderne Energieversorgung im Kontext des Zieldreiecks und eine faire, realistische und ideologiefreie Energieaußenpolitik zu gestalten. Dazu haben Sie die herzliche Einladung. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Bulling-Schröter, ich bitte Sie einen Moment um Geduld. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Warum?) – Es gibt die Anmeldung von zwei Kurzinterventionen. Als Erster hat der Kollege Harald Petzold das Wort. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will es ganz kurz machen. Zum Ersten will ich hier feststellen, dass die Aussagen des Kollegen Koeppen, was den Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem der Windenergie, in Brandenburg anbelangt, nicht den Tatsachen entsprechen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich finde es unredlich, dass er keine Zwischenfrage zulässt, damit man das wenigstens richtigstellen kann. Zum Zweiten möchte ich feststellen, dass die Akzeptanzprobleme, was die Energiewende anbelangt, zumindest im Land Brandenburg damit zu tun haben, dass es eine übergebührliche Belastung vor allen Dingen der ostdeutschen Bundesländer durch die Stromeinspeisungsgebühren gibt, die abzubauen die CDU/CSU nicht bereit ist und die dazu führen, dass die Menschen in Ostdeutschland höhere Stromgebühren zu bezahlen haben. Der Kollege sollte sich an die eigene Nase fassen, wenn er hier solche Thesen zur Akzeptanz der Energiewende in den Raum stellt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jens Koeppen (CDU/CSU): Kollege Petzold, das, was in Brandenburg passiert, habe ich Ihnen gesagt. Ich selbst arbeite in der Regionalen Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim mit. Das, was ich Ihnen gesagt habe, sind alles Tatsachen. Windenergieanlagen von 230 Metern Nabenhöhe kommen bis 500 Meter durch Repoweringanlagen an die Bebauung heran. Sie können gerne kommen, ich lade Sie ein. Sie müssen sich einfach vor Ort informieren. (Zuruf von der LINKEN) Das Zweite ist: 800-Meter-Anlagen sind gang und gäbe. Durch ein Zielabweichungsverfahren ist es sogar möglich, bis zu 500 Meter an die Bebauung heranzukommen. Jetzt stellen Sie sich einmal diese Anlagen vor. Das ist das Problem. Das machen die Leute nicht mit. Die 1 000 Meter Abstand haben alle mitgetragen, aber jetzt durch Repowering so nahe heranzukommen, ist nicht möglich. Ein Wort zu der bundeseinheitlichen Umlage der Netzentgelte. Soweit ich mich erinnern kann, hatten wir das im November vergangenen Jahres mit den Ministerpräsidenten alles wasserdicht gemacht. Dann hat sich der Kollege Gabriel, damals in der Funktion des Wirtschaftsministers, mit Frau Kollegin Kraft getroffen, der Ministerpräsidentin von NRW. (Ulrich Freese [SPD]: Denken Sie an den Brief von Brauksiepe!) Die Kollegin Kraft hat gesagt, dass sie eine Wahl zu bestehen habe und der Wirtschaftsminister darauf hinwirken möge, dass das Versprechen, endlich eine bundeseinheitliche Umlage der Netzentgelte einzuführen, nicht eingelöst wird, jedenfalls nicht bevor die NRW-Wahl gelaufen ist. Das hat er auch in vorauseilendem Gehorsam gemacht. Das war seine letzte Amtshandlung. Die war sehr schlecht. Wir sind seit über 15 Jahren dafür – da können Sie die Beschlüsse der ostdeutschen Landesgruppen nachlesen –, eine bundeseinheitliche, gerechte, faire Umlage der Netzentgelte zu erreichen. (Ulrich Freese [SPD]: Lesen Sie Ihre eigenen Bundestagsreden nach! Nicht so viel Unwahrheit!) Das ist leider wegen der NRW-Wahl nicht gelungen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Der Brauksiepe gehört aber Ihrer Fraktion an!) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer weiteren und letzten Kurzintervention an dieser Stelle hat die Kollegin Annalena Baerbock das Wort. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Brandenburg hat viele Abgeordnete. Die sind alle an der Energieaußenpolitik interessiert: global denken, lokal handeln. Aber mir geht es ähnlich wie Herrn Petzold. Wir wollen unser Bundesland hier nicht so darstellen, als würden dort nur Gegner der Windkraft wohnen. Ich möchte deswegen klarstellen, dass es ein Volksbegehren gegen Windkraft in Brandenburg gab, bei dem die Unterschriften das Quorum bei weitem unterschritten haben. Das Bild, das Sie hier gezeichnet haben, ist mehr als falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dasselbe gilt für die Darstellung der Kohle in Brandenburg. Wenn Sie die Hektar Wald, die Sie hier angesprochen haben – dabei muss man sagen, dass es in Brandenburg vor allen Dingen Kiefernforst gibt – (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Ist das was Schlimmes?) und die für die Errichtung von Windkraftanlagen abgeholzt werden, mit denen vergleichen, die für die Kohleverstromung in der Lausitz abgebaggert werden, dann sehen Sie, dass da eine Riesendiskrepanz klafft. Das jetzt hier so darzustellen, als würden Windkraftanlagen die Heimat in Brandenburg zerstören, ist absolut falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Ulrich Freese [SPD]) – Natürlich werden einzelne Bäume auch wegen Windkraftanlagen abgeholzt. Herr Freese, Sie können sich in dieser Debatte gern zu Wort melden. Da Sie den Menschen hier dargelegt haben, wie lange die Kohle noch reicht, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es nicht die Grünen waren, die vor kurzem eine Entscheidung für die Lausitz getroffen haben, sondern das Energieunternehmen LEAG; Herr Freese kann auch dazu gleich vielleicht noch etwas sagen. Dieses Unternehmen hat selbst festgestellt, dass man auf weitere Tagebaue in Brandenburg verzichten wird. Wenn Sie jetzt mit der Energiewende Schluss machen wollen, frage ich Sie, wie Sie die Energiesicherheit, von der Sie hier immer gesprochen haben, weiter gewährleisten wollen. Dann noch eine abschließende Anmerkung – schließlich haben wir hier über Energieaußenpolitik gesprochen; zu der außenpolitischen Dimension haben Sie herzlich wenig gesagt –: Wir reden hier auch über Nord Stream 2. Vom Kollegen Ramsauer habe ich gehört, dass der ganze Bundestag das Vorhaben unterstütze. Ich stelle das zwar sehr infrage, aber sei’s drum. Diese Pipeline soll deutschen Boden bekanntlich in Mecklenburg-Vorpommern erreichen. In der Folge soll sie durch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen weitergeführt werden; nach Tschechien führt die EUGAL. Mich würde einmal sehr interessieren, wie Sie als Brandenburger Abgeordneter dazu stehen, kilometerweite Flurstücke neuaufzureißen, um da eine neue Leitung zu legen, die über die nächsten Jahrzehnte dort liegen würde. Das wäre fossile Abhängigkeit. Das bedeutete weitere Zerstörung und Abhängigkeit von Russland für die nächsten Jahrzehnte. Das hätte nichts mit Versorgungssicherheit in Deutschland zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Koeppen hat das Wort zur Erwiderung. Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich glaube, dass Sie die Gasverfechter sind. Es steht ja auch in Ihren Fragestellungen, dass Sie letztendlich die Gasleitungen wollen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir bauen Nord Stream?) – Sie bauen nicht Nord Stream; aber Sie wollen das Gas haben. Es gibt noch kein Wireless für Gas. Da müssen Sie schon aufpassen. Ich will auf das Land Brandenburg zurückkommen. Sie müssen auch einmal dem einen oder anderen Abgeordneten, der nicht aus Ihrer Fraktion kommt, zuhören. Niemand, aber auch niemand hat gesagt, dass irgendeiner in diesem Hause gegen die Energiewende ist. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie!) – Nein. Deswegen sage ich ja: Wer zuhört, ist klar im Vorteil. Ich habe gesagt: Wir werden die Akzeptanz für die Energiewende verlieren, wenn wir die Energiewende ideologisch so weiterbetreiben, dass es keine Möglichkeit gibt – weder durch Netze noch durch andere Dinge –, dass wir zubauen, sodass der Strom letztendlich genutzt werden kann. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bauen Sie doch Netze aus!) Das ist in Brandenburg der Fall. Die Uckermark-Leitung kann nun einmal nicht gebaut werden, weil ihr Bau beklagt wurde. Jetzt sind in unserem Planungsgebiet 750 Windkraftanlagen – mittlerweile sind es schon mehr – vorgesehen, aber nur die Hälfte davon steht. Die Windmüller werden trotzdem bezahlt. Was ist denn das für eine Logik? Diese Frage will ich stellen. Es hat doch keiner etwas gegen die Energiewende, wir haben nur etwas dagegen, wie die Energiewende durchgeführt wird. Das ist nicht stimmig; das geht so nicht. Noch etwas zu den Anlagen im Wald; schließlich setzen Sie sich so dafür ein. Es ist der größte Treppenwitz der Geschichte der Energiewende, dass man den größten Energiespeicher dafür opfert, dass eine energiearme Energieversorgung von dort aus geleistet werden soll. Das können Sie niemandem erklären. Ich kann das nicht erklären, und ich werde es auch niemandem erklären. Windenergieanlagen haben im Wald nichts, aber auch gar nichts zu suchen. (Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was war jetzt mit Energieaußenpolitik Nord Stream? Da haben Sie nichts zu gesagt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommt auch aus einem Freistaat!) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Energieaußenpolitik geht es nicht etwa um Energydrinks; es geht um Erdöl, um Gas und um Erneuerbare, also um die Art und Weise, wie wir außerhalb unserer Grenzen den Grundstoff organisieren, der unseren Wohlstand am Laufen hält: Energie. Darum ist es gut, dass wir heute über Außenpolitik und Energie sprechen. Energieaußenpolitik bearbeitet nicht nur die Frage, ob Erdgas aus Russland preisgünstig und verlässlich ankommt, nicht nur die Frage, wie wir als Industrieland ohne Rohstoffe immer neue Lieferanten finden, und nicht nur die Frage, ob sich die Exportwirtschaft beim Boom der Erneuerbaren ein Stück vom Kuchen sichert. Wir Linken sagen immer wieder: Es geht bei Energieaußenpolitik um Gerechtigkeitsfragen. Wie wird der Energiereichtum dieser Welt verteilt? Es geht um politische Einflussnahme. Es geht um Macht, um Kontrolle über Rohstoffe und Handelswege. Es geht um Pipelines und Marktanteile. Es geht bei Energie immer auch um Krieg und Frieden. Deswegen finden wir eure Anfrage auch so gut, wobei sich die Bundesregierung in ihren Antworten um klare Worte drückt. Damit dieser Staat an billiges Erdöl für deutsche Autos und Fabriken sowie an billiges Gas für unsere Heizungen kommt, machen sich deutsche Konzerne und die Bundeswehr in vielen Teilen dieser Erde die Hände schmutzig. Allein unter Deutschlands 15 wichtigsten Erdöllieferländern sind 10 Staaten, in denen entweder Kriege oder ein undemokratisches Regime herrschen. Die Liste liegt uns vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nigeria auf Platz 4: Krieg und Terror; Kasachstan auf Platz 5: keine Opposition; Aserbaidschan auf Platz 6: Folter und Korruption; (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gehört auch Venezuela zu!) Ägypten auf Platz 8: Putschisten; Libyen auf Platz 9: Bürgerkrieg; Irak auf Platz 10: Chaos und IS; Saudi-Arabien auf Platz 11: Bombenkrieg im Jemen, Demokratie gleich null – um nur einige zu nennen. In der Anfrage ist mir diese Beschaffungskriminalität bei Energierohstoffen ein wenig zu kurz gekommen. (Beifall bei der LINKEN) Deutschland ist eben leider kein Land der friedlichen Saubermänner und Sauberfrauen. Ein Blick in die Verteidigungspolitischen Richtlinien reicht, um zu verstehen, dass die Bundesregierung auch heute, 2017, bereit ist, für Energie zur Waffe zu greifen und Regime zu unterstützen. Deutsches Sicherheitsinteresse sei es – jetzt zitiere ich –, „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen“. Die Verknappung oder Engpässe bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen werden als Bedrohung ausgemacht. Wie in alten Zeiten verteidigt Deutschland seine Energieversorgung nach vorne. Weil die „Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten weltweit neu geordnet“ wird, so das Verteidigungsministerium, „werden Transport- und Energiesicherheit … künftig auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen“. – Das war alles Zitat. Für Energie rückt die Bundeswehr aus, auch in „geografisch entfernte Regionen“, wie das im Militärsprech so heißt. Wir sagen: Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Auf 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung will Schwarz-Rot die Armeeausgaben erhöhen, von 37 Milliarden Euro auf 60 bis 70 Milliarden Euro bis 2024. Noch einmal: auf 60 bis 70 Milliarden Euro, die wir woanders, zum Beispiel bei den regenerativen Energien, besser einsetzen könnten. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb sagt die Linke: Nie wieder Krieg, auch nicht für klimaschädliches Öl und Erdgas! (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema „Windkraft im Wald“ sagen. Wie man hört, komme ich aus Bayern. Dort wurde gerade das 100. Windrad im Wald geplant, und das wird jetzt zur Ausführung kommen. Es ist der Bayerische Staatswald. Ihre Bruderpartei sieht das ein bisschen anders als Sie. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Wie sehen Sie es denn?) Ihr seid euch da also nicht einig – wie in vielen Dingen nicht. Danke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Energiepolitik ist ein gutes Stück auch Außenpolitik – na sicher. Energiepolitik ist auch Entwicklungspolitik. Es geht um Zugang zu Energie für die Menschen. Es geht um Ausgleich der Lebensqualität auf der Welt. Es geht um die Voraussetzungen für Menschen und Regionen, sich entwickeln zu können. Es geht bei Energiepolitik natürlich auch um Verteilungsgerechtigkeit. Energiepolitik, meine Damen und Herren, ist auch Sicherheitspolitik. Es geht um den Kampf um Rohstoffe und Ressourcen. Es geht auch darum, dass fehlender Zugang zu Energie ein Fluchtgrund sein kann – genauso wie der Klimawandel durchaus ein Fluchtgrund sein kann. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Energiepolitik natürlich auch Klimapolitik. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Energiepolitik – das will ich an dieser Stelle betonen – ist auch Wirtschaftspolitik. Wir müssen aufpassen, dass die Menschen in den anderen Ländern nicht glauben, die Energiewende sei in erster Linie eine deutsche Exportinitiative. Vielmehr müssen wir sie davon überzeugen, dass die Energiewende nicht nur aus deutscher wirtschaftspolitischer Sicht notwendig ist, sondern dass sie letzten Endes auch, was das Innenverhältnis angeht, für ihr eigenes Land wichtig ist. Wir müssen aufzeigen, dass die Einwohner mit der Energiewende von passiven Verbrauchern zu aktiven Marktteilnehmern werden können. Energiepolitik ist also auch Wirtschaftspolitik und Außenpolitik. Das alles ist – keine Frage – richtig. Im Hinblick auf die Feststellung, dass die Energiepolitik aber auch primäres Element der Außenpolitik sein muss, würde ich an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Fragezeichen setzen. Für uns als Energiepolitiker ist das natürlich nachvollziehbar, wahrscheinlich sogar zwingend geboten, für die normalen Menschen aber, glaube ich, eher nicht. Dazu reicht ein Blick in die Europäische Union. Im Ranking der Probleme – so weit sind wir ja schon an dieser Stelle – der Europäischen Union liegt die Energiepolitik – das ist traurig genug – nicht unter den drei Topplätzen. Das ist so trotz jahrelanger Diskussionen über eine Energieunion und trotz der neuerlichen Diskussion über die neuen Anreize im Clean Energy Package, mit dem wir aber nicht uneingeschränkt einverstanden sind. Wie schwierig die internationale Zusammenarbeit in der Energiepolitik ist, sieht man auf der Ebene der Europäischen Union zum Beispiel schon am Strommix. Polen und Tschechien favorisieren unter anderem den Kohlestrom. Frankreich ist mehr ein Fan von Kernenergie. Die einen legen also keinen Fokus auf eine CO2-Reduzierung, die anderen schon – aber nicht zwingend unseren. Alle zusammen – das ist noch viel schlimmer – denken, dass sich doch nur die reichen Deutschen die Energiewende leisten können. Wenn die Diskussion auf europäischer Ebene schon kompliziert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist sie auf globaler Ebene noch um ein Vielfaches komplexer. Die Herausforderungen sind – da gibt es überhaupt keinen Zweifel – global. Das habe ich im Ausland – zum Beispiel in Peking – kennengelernt. Unsere Besuchergruppe hatte Glück. Der deutsche Grenzwert für Luftverschmutzung wurde am Tag unseres Besuches nur um das Dreißigfache überschritten. In Australien kann man erleben, dass Steinkohle im Tagebau mit dem Bagger einfach vom Boden abgekratzt wird. Sie kann dann gleich weltweit verschifft werden. In Sambia kann man sehen, wie in einem Bauerndorf auf dem Land zwar jeglicher Zugang zu Energie fehlt – das kann eigentlich schon als Problem an sich identifiziert werden –, dass die Menschen aber noch viel größere Probleme haben, um die sie sich kümmern müssen. Sie müssen sich nämlich zum Beispiel irgendwie vor dem um sich greifenden Landgrabbing schützen. Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang auch wichtig ist, dass hier im Parlament deutlich darauf hingewiesen wird, dass es darauf ankommt, dass wir Parlamentarier, was die Energiepolitik angeht, in einem internationalen Austausch stehen. (Beifall bei der SPD) „Liggt di wat dran, dat man di in dien Kollontje mag, musst du een von de Kollontje ween“. Albert Einstein hat das wie folgt – Achtung, ich zitiere – übersetzt: Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein. (Beifall bei der SPD) Man muss für den Weg der Energiewende aus der Herde ausbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und bereit sein, neue Wege zu gehen. Und es gibt mindestens eine Trillion Gründe, den Weg der Energiewende zu beschreiten. Überall in der Welt gibt es großes Interesse am deutschen Weg der Energiewende. Wenn ich im Ausland danach gefragt wurde, habe ich das an der einen oder anderen Stelle durch folgendes Bild deutlich gemacht: Die Energiewende ist so, als wenn man einen Ball auf einem Finger balanciert. Das kann in der Regel jeder von uns. Man darf dabei nur nicht einschlafen. Das heißt, man hat ständigen Nachregelungsbedarf. Es ist keinesfalls so, dass man ein schlechtes Gesetz gemacht hat, wenn man später nachregelt, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die Wirkungen des vorherigen Gesetzes gelten, und deswegen muss man neu an die Gegebenheiten anpassen. Der zweite Hinweis, den ich den ausländischen Parlamentariern gebe, ist folgender: Es gibt keine Blaupause und keinen Königsweg. Man kann nicht die Energiewende eines Landes auf ein anderes Land übertragen; denn die Geologie ist in jedem Land anders. Und es gibt politische Rahmenbedingungen, die den einen oder anderen Weg vielleicht möglich oder auch unmöglich machen. Des Weiteren kann es traditionelle Gründe geben, das eine oder andere nicht durchzuführen. In diesem Zusammenhang war mir bei den Gesprächen mit den Kollegen aus dem Ausland aber auch wichtig, auf einen Zusammenhang hinzuweisen, auf den man nicht sofort kommt, dass nämlich Energiewende, wenn man sie in einem Land plant, auch immer mit dem damit einhergehenden Strukturwandel verbunden sein muss. Man kann die Menschen mit dem Strukturwandel nicht allein lassen. Man kann verantwortungsvolle Energiepolitik nur machen, wenn man auch den Strukturwandel gleich mitorganisiert. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt auch für Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir werden uns daran messen lassen müssen, wie wir den Strukturwandel, der durch die Energiewende eintritt, in Deutschland meistern. Die Welt wird uns natürlich auch auf die Finger schauen, wenn es um die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens geht. Da geht es aus meiner Sicht vor allen Dingen um die Vertragstreue Deutschlands. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Es geht also um Werte und um Standortfaktoren, die Deutschland auf der ganzen Welt einmalig machen: Es geht um Vertragstreue, es geht um Zuverlässigkeit, und es geht um Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit dürfen wir nicht durch die Infragestellung des Pariser Klimaschutzabkommens verspielen; denn das hätte enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch auf das Klima!) In Zeiten, in denen andere große Nationen beginnen, den Klimawandel wieder infrage zu stellen, muss – davon bin ich fest überzeugt – Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen – das sind wir unseren Kindern und unseren Enkelkindern schuldig –, damit die Energiewende auch in einem globalen Kontext gelingen kann. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache und rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksache 18/11162 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksache 18/11584 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12155 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Die Berichte unserer Verfassungsschutzbehörden zeigen es: Leider ist auch in Deutschland die Gefahr von terroristischen Anschlägen gestiegen. Deshalb müssen wir als Gesetzgeber genau prüfen, ob es Gesetzeslücken gibt, die wir zur Verhinderung von Anschlägen schließen müssen. Dabei gilt der Satz von Helmut Schmidt, auch im Zorn einen kühlen Kopf zu bewahren, um effektiv Kriminalität und Terrorismus zu bekämpfen. Genau dies tun wir mit diesem Gesetz. Mit diesem Gesetz werden wir das Maßregelrecht für extremistische Straftäter erweitern. Insbesondere wollen wir die elektronische Aufenthaltsüberwachung, also die sogenannte Fußfessel, auf extremistische Straftäter ausweiten. Soweit es in den Diskussionen im Vorfeld Kritik daran gab, dass dies rechtsstaatlich bedenklich sei, ist zu sagen: Ja, die Fußfessel ist ein ganz erheblicher Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Aber wenn feststeht, dass eine Person gefährlich ist und dass sie schon gerichtlich festgestellt Straftaten begangen hat, dann ist eine solche Maßnahme zum Schutz unserer Bevölkerung gerechtfertigt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir erweitern deshalb den Anwendungsbereich der Fußfessel, damit zukünftig die Fußfessel auch Straftätern auferlegt werden kann, die sich wegen einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, wegen Terrorismusfinanzierung oder wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar gemacht haben. Denn wenn durch eine solche Straftat erwiesen ist, dass diese Person gefährlich ist, dann muss es möglich sein, sie durch die Fußfessel zu überwachen, um weitere Straftaten zu verhindern. (Beifall bei der SPD) Das ist verfassungsgemäß und rechtsstaatlich; denn die Fußfessel kann nach unserem Gesetzesvorschlag eben nur Personen auferlegt werden, deren Gefährlichkeit erwiesen ist. Nur wer sich wegen bestimmter Straftaten, die ich genannt habe, strafbar gemacht hat, dem kann die Fußfessel auferlegt werden. Das ist auch richtig so. Hier gelten also ganz klare rechtsstaatliche Kriterien für die Fußfessel. Richtig ist, dass die Fußfessel kein Allheilmittel ist. Der schreckliche Mord an einem Priester in Frankreich hat gezeigt, dass Täter, die zu allem entschlossen sind, von solchen Taten nicht abgehalten werden können. Dennoch sprechen zwei Argumente für die Fußfessel: Die Überwachung durch die Fußfessel führt dazu, dass der Fußfesselträger weiß, dass die von ihm begangene Straftat aller Wahrscheinlichkeit nach sofort ihm zugerechnet wird, weil ja festgestellt werden kann, dass er am Tatort war. Zumindest dem Täterkreis, dem die Entdeckung der Tat nicht egal ist, wird das Entdeckungsrisiko zu hoch sein, und man wird von der Straftat absehen. Vor allem hat aber nicht zuletzt die Sachverständigenanhörung ergeben, dass gerichtliche Weisungen an Extremisten, bestimmte Orte wie etwa Flughäfen, Großveranstaltungen, Bahnhöfe oder Treffpunkte von Extremisten nicht zu betreten, durch die Fußfessel effektiv überwacht werden können. Wenn gegen ein solches Verbot verstoßen wird, dann kann die Polizei informiert werden, und die örtliche Polizei kann sofort einschreiten. Deshalb nochmals: Die Fußfessel mag kein Allheilmittel sein, aber sie ist eine Möglichkeit, Straftaten zu verhindern, weil für den Täter ein hohes Entdeckungsrisiko besteht. Und sie ist ein wirksames Mittel, um zu verhindern, dass sich Gewalttäter in potenziellen Anschlagszielen wie etwa Flughafengebäuden aufhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz erweitern wir den Anwendungsbereich der Fußfessel maßvoll, damit erwiesenermaßen gefährliche Terroristen überwacht werden können, um zu verhindern, dass diese sich in bestimmten Örtlichkeiten aufhalten. Angesichts der leider bestehenden Bedrohungslage ist diese maßvolle Ausweitung der Anwendung der Fußfessel sinnvoll. Wir schaffen insbesondere eine rechtsstaatliche Grundlage, damit nicht ins Blaue hinein unbescholtenen Bürgern diese Fußfessel auferlegt wird, sondern nur erwiesenermaßen gefährlichen Gewalttätern. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt dann im nächsten Schritt!) In diesem Sinne rufe ich Sie auf, diesem maßvollen Gesetz zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gefahr von Terroranschlägen ist tatsächlich traurige Realität. Und deswegen ist es unsere gemeinsame Pflicht, nicht Aktivität in Sicherheitsfragen zu simulieren, sondern mit effektiven und wirkungsvollen Gegenmaßnahmen in die Gänge zu kommen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir in diesem Zusammenhang über extremistische Straftäter reden, also über Menschen, die in solchem Zusammenhang eine Haft verbüßt haben, dann reden wir ganz offensichtlich über Menschen, die mindestens zwei Jahre im staatlichen Gewahrsam waren. Was die Linke jetzt erwartet, ist eine Debatte, die zeigt, wie die Zeit dieser Haft noch intensiver zur Deradikalisierung des Straftäters, also zu seiner Resozialisierung, genutzt werden kann. Wir brauchen Programme, die sich spezialisiert genau dieses Phänomens annehmen. (Beifall bei der LINKEN) Ich kann jetzt bereits ankündigen, dass die Linke für solche Programme zu den Haushaltsverhandlungen 2018 Anträge vorlegen wird. Ganz ähnliche Programme werden wir übrigens auch brauchen, um grundsätzlich der Radikalisierung von Menschen während ihrer Haftzeit entgegenzuwirken. Italien wird das zum Beispiel laut dpa-Meldungen demnächst verstärkt tun. Auch Deutschland sollte darauf einen deutlich stärkeren Fokus legen. (Beifall bei der LINKEN) Die Voraussetzung dafür ist natürlich Wissen. Wann, warum und auf welche Weise radikalisieren sich Menschen derart, dass sie bereit sind, selbst zum Preis des eigenen Lebens, Menschen zu töten? Genau diese Frage wird seitens der Bundesregierung zu selten gestellt. Im sechsten Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, wird das Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung und sein Exzellenzzentrum angesprochen. Solche Netzwerke und natürlich Forschung im eigenen Land – davon sind wir nicht befreit – müssen genutzt werden, um mehr Tempo in diese Prozesse zu bringen. Geld, meine Damen und Herren, wollen Sie ganz offensichtlich für die Sicherheit in die Hand nehmen. Aber Geld für Fußfesseln auszugeben, für die notwendigen Systeme zur Kontrolle der Fußfesselträger, für das Personal zur Kontrolle dieser Systeme, ist nach meiner Meinung rausgeschmissenes Geld. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich nenne ihnen aus Sicht eines ehemaligen Polizeibeamten drei Beispiele dafür, warum das so ist. Erstens. Ein großer Teil der Gefährder muss zunächst verdeckt beobachtet werden, um festzustellen, ob sie tatsächlich eine Gefahr darstellen oder nur radikale Ansichten vertreten. Dann würden sie sinnvollerweise keine Fußfessel tragen. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wir sind jetzt aber repressiv! Das andere war heute Nachmittag!) – Ja, das habe ich schon mitbekommen. Da saß ich übrigens im Gegensatz zu Ihnen im Plenum. Aber wir brauchen auch Hinweise, ob jemand, wenn er aus der Haft entlassen wird, weiter eine Gefahr darstellt. (Zuruf von der CDU/CSU: Das macht das Gericht!) Zweitens. Bei ehemaligen extremistischen Straftätern muss es so oft wie möglich gelingen, diese zu deradikalisieren; denn sonst wird die Zahl der Gefährder immer größer und damit gefährlich unübersichtlich. Eine Fußfessel nach der Haftentlassung ist aber eine Ausgrenzung und hemmt die Deradikalisierung und Resozialisierung. (Beifall bei der LINKEN) Dann, Herr Fechner, muss ich Sie natürlich fragen: Was soll eine Fußfessel tatsächlich bewirken: die Durchsetzung von Aufenthalts- und Kontaktverboten, des Verbots des Besuchens potenzieller Anschlagsziele oder des Verbots des Beschaffens von Tatmitteln? Das würde in der Realität, in der Praxis heißen, der Träger von Fußfesseln dürfte überall da nicht hin, wo viele Menschen sind – das sind eben nicht nur Flughäfen. Er dürfte auch nicht dorthin, wo Lkw geparkt werden, wo Messer zu kaufen sind. Das durchzusetzen, ist absolut unrealistisch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da kann man nicht einfach mal die Flughäfen herausgreifen. Der Justizminister hat bei der Einführung des Gesetzes gesagt: „Die Fußfessel ist kein Allheilmittel.“ Das ist richtig. Sie ist ein Placebo für besorgte Menschen im Wahlkampf. In der Realität sagt uns die Fußfessel gerade mal den Aufenthaltsort des Trägers. Sie sagt uns gar nichts über seine Gefährlichkeit. Sie sagt uns nicht, womit er sich beschäftigt. Stellen Sie sich das mal bei jemandem vor, der wegen Terrorismusfinanzierung gesessen hat. Was soll uns eine Fußfessel da sagen? Aber das Bewusstsein, eine Fußfessel zu tragen, wird sein Verhalten beeinflussen. Er weiß, dass er sie trägt, er kann sich leicht darauf einstellen und seine wirklichen Absichten verschleiern. Eine Reaktion von Gefährdern auf die technischen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden mussten wir doch in der Vergangenheit feststellen: Terroristen nutzen häufiger alltägliche Gegenstände, und selbst bei strengster Beobachtung ist es sehr schwer und fast nicht möglich, die tatsächliche Absicht zu erkennen. Anis Amri hat einen Lkw zum Tatmittel gemacht. Mal abgesehen davon, dass er verdeckt beobachtet wurde, hätte hier eine Fußfessel gar nichts genutzt, und spätestens vor seiner Flucht hätte er die Fußfessel leicht zerstören und wegschmeißen können. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegen bitte nicht die Zeit mit Debatten zu Fußfesseln und Ähnlichem verplempern. Lassen Sie uns gemeinsam nach den besten Mitteln suchen, um aus Gefährdern ehemalige Gefährder zu machen; denn das wäre der beste Weg zur Sicherheit. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD]) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Gesetz zur Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern. Damit soll das Strafgesetzbuch so geändert werden, dass im Rahmen der Führungsaufsicht eine elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet werden kann. Bereits im Jahr 2011 ist die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht in das Gesetz hineingenommen worden, um beispielsweise Gebots- und Verbotszonen für verurteilte Straftäter zu definieren, damit sie von weiteren Straftaten abgehalten werden und ihre Resozialisierung in unserer Gesellschaft gefördert wird. Voraussetzung für die Anordnung der Führungsaufsicht war bislang, dass der Straftäter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wurde und eine sogenannte Katalogstraftat vorlag. Diese Maßnahme – das will ich heute Abend auch festhalten – hat sich beispielsweise im Bereich der Sexualstraftaten bewährt. Straftäter, die wegen einer Sexualstraftat verurteilt wurden, haben gewisse Kontaktverbote einzuhalten und gewisse Bereiche zu meiden, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht da auch Sinn!) damit sie von weiteren Straftaten abgehalten werden und potenzielle Opfer – was uns sehr wichtig ist – vor ihnen geschützt werden. Das, was sich im Bereich der Sexualstraftaten bewährt hat, wollen wir im begrenzten Umfang auch für Straftäter einführen, die wegen gefährlicher Straftaten verurteilt worden sind, wegen schwerer staatsgefährdender Gewalttaten, wegen beispielsweise Terrorismusfinanzierung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Wer wegen dieser Straftaten verurteilt wurde, der ist nicht unschuldig, sondern ist ein Extremist und ein Gefährder. Der Rechtsstaat muss im Interesse der Sicherheit, der Resozialisierung und des Opferschutzes darauf achten, dass von diesen Menschen keine weitere Gefahr ausgeht. Die elektronische Fußfessel, die im Rahmen der Führungsaufsicht zur Anwendung kommen kann, ist eine gute und rechtsstaatlich angemessene Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD]) Natürlich wissen wir auch, dass ein zu allem entschlossener Täter – das schreckliche Beispiel des Mordes an einem Priester nahe Rouen hat es gezeigt – damit nicht unbedingt von einer weiteren schweren Straftat abgehalten werden kann. Aber es geht nicht allein um die Schwarz-Weiß-Fälle. Gerade bei der Terrorismusfinanzierung geht es beispielsweise um die Frage: Welches Netzwerk liegt der Struktur zugrunde? Mit wem hat der Terrorist Kontakt gehabt? Indem man Verbotszonen definiert, macht man deutlich: Wenn sich jemand in dieser Verbotszone bewegt, dann wird die Polizei alarmiert. Dann hängt es von der Polizeitaktik ab, ob sie innerhalb von fünf oder zehn Minuten vor Ort ist. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf Minuten? Wissen Sie, wie lange das dauert, bis die Polizei da ist?) Das zeigt: Durch die Fußfessel werden die Aufklärungswahrscheinlichkeit und die Verhinderungswahrscheinlichkeit von schweren Straftaten gesteigert. Auch das ist ein wichtiger Wert in einem Rechtsstaat. Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass Menschen, die bereits verurteilt worden sind, weitere Straftaten begehen, dann muss der Rechtsstaat seine Stärke ausspielen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das sind wir dem Rechtsstaat und der Sicherheit unserer Bürger schuldig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wird immer wieder eingewandt, das sei nicht richtig wirksam. Von Ihnen, Herr Kollege Tempel, haben wir heute Nachmittag immer wieder gehört, das sei doch alles Symbolpolitik. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist es ja auch!) Ich will Ihnen eines deutlich sagen: Wir haben heute im Deutschen Bundestag mehrere wichtige und gute Gesetze für den Bereich der inneren Sicherheit verabschiedet. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Die Meinung haben Sie!) Wir haben dafür gesorgt, dass Polizisten besser geschützt werden, wir haben das BKA-Gesetz reformiert, und wir werden heute noch über die Fluggastdatenspeicherung sprechen. All diese Mittel zusammen ergeben ein rundes Bild. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mussten wir das wegen der CDU-Sicherheitstagung so schnell durchziehen?) Wir dürfen Freiheit und Sicherheit nicht gegeneinander ausspielen; denn wir werden nur dann frei leben können, wenn wir auch unsere Sicherheit verteidigen. Dazu braucht es viele Mosaiksteine, und die elektronische Fußfessel für bereits verurteilte Straftäter zur Verhinderung weiterer Straftaten ist ein weiterer Mosaikstein, den wir heute bitte beherzt beschließen – für die Sicherheit in unserem Land. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Hans-Christian Ströbele hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon zum zweiten Mal an diesem Tag beschäftigt sich der Deutsche Bundestag mit der Einführung einer Sicherheitsvorkehrung. In diesem Fall geht es um einen völlig anderen Bereich als heute Mittag. Das Bedürfnis nach Sicherheit in der Gesellschaft, bei den staatlichen Organen oder bei den Sicherheitsbehörden muss ungeheuer groß sein, wenn sich der Deutschen Bundestag zweimal an einem Tag in einer ausgewachsenen Debatte mit diesem Thema beschäftigt. Warum eigentlich die Eile? Ich habe gestern bzw. heute erst gelernt: Die Fußfessel, die heute Mittag beschlossen worden ist, soll – so hat der Kollege Mayer das hier verkündet – in keinem einzigen der über 600 Gefährderfälle zur Anwendung kommen. Er hat gesagt: Bei keinem, der jetzt als Gefährder bekannt ist, treffen die Voraussetzungen zu, dass er ein Aspirant für die Fußfessel sein könnte; bei keinem einzigen von den vielen Gefährdern! Also, so ganz dringend notwendig scheint es nicht zu sein, eine Regelung auf den Weg zu bringen. Wie ist es mit der Fußfessel, über die wir jetzt diskutieren? Wir haben es gestern gehört: Für die Anwendung der Fußfessel kommen – so haben Sie es gesagt, Herr Staatssekretär – Personen in einem geringen einstelligen Bereich in Betracht, das heißt fünf oder weniger, ein oder zwei. Und dafür verabschieden wir heute den vorliegenden Gesetzentwurf? (Frank Tempel [DIE LINKE]: Ein Meilenstein!) Der Kollege Fechner hat den Ursprung des Gedankens ausgeführt. Er hat erklärt, warum man uns den Gesetzentwurf jetzt präsentiert. Der Auslöser war der Fall Amri und die Diskussion, die danach stattgefunden hat. Und ich gebe Ihnen sogar recht, dass die Gefahr eines terroristischen Anschlags in Deutschland gegeben ist. Das ist uns allen durch den Anschlag noch einmal sehr deutlich und bewusst geworden. In dieser Diskussion kamen Sie auf die Idee mit der Fußfessel. Was ist das eigentlich? Die Formulierung „Fußfessel“ ist eigentlich ein Etikettenschwindel. Die normale Bürgerin und der normale Bürger sagt wahrscheinlich: Ich bin auch dafür, dass Gefährder gefesselt werden; dann können sie nämlich nichts Böses mehr anstellen, erst recht, wenn das eine elektronische Fußfessel ist. – Aber was macht diese Fußfessel? Der Träger der Fußfessel wird überhaupt nicht daran gehindert, zu laufen, sich irgendwohin zu begeben, in Lastwagen zu steigen oder gar zu morden, wie das Beispiel aus Frankreich zeigt. Die Fußfessel ist lediglich ein Lederband, das an einem Fuß befestigt wird, nicht auch an dem anderen, sodass man schlechter laufen könnte. An diesem Band ist ein Sender angebracht. Der Sender löst in dem Augenblick ein Signal aus, in dem man einen bestimmten Bereich betritt. Dann blinkt in der Alarmstelle in Frankfurt – die gibt es heute schon; die kann man besichtigen – ein rotes Lämpchen auf. Die rufen dann beim nächstgelegenen Polizeirevier, zum Beispiel in Berlin, an und fragen: Können Sie da nicht mal hingehen? – Dann fahren die Polizisten dorthin und gucken, ob er da ist oder nicht. Die Praxis zeigt, dass diese Lämpchen sehr häufig angehen, nicht, weil gegen die Auflagen verstoßen wird, sondern weil jemand daran rummacht, zum Beispiel versucht, das Bändchen zu lockern, weil es zwickt, weil man es anders haben möchte, was man aber nicht kann, weil das Bändchen so eng anliegt. Das heißt, Sie erreichen damit erst einmal gar nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Sie erreichen höchstens eine gewisse Aufmerksamkeit. Jetzt ist die Frage: Wo wollen Sie das anwenden? Sie haben gesagt: Zum Flughafen dürfen sie nicht gehen. – Es geht hier um Täter, bei denen Sie davon ausgehen, dass sie nicht erwischt werden wollen. Wer nicht erwischt werden will, der weiß: Ich trage eine Fußfessel, und die können feststellen, wenn ich den Flughafen betrete. – Er wird das also niemals machen. Sie werden die Objekte nie so eingrenzen können, dass das Sinn macht, weil es allein in Berlin Tausende von Objekten gibt, U-Bahn-Stationen, Versammlungsorte, Behörden, Deutscher Bundestag, Flughäfen, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: So viele Flughäfen jetzt nicht!) Kreuzungen und Ähnliches, die er nicht betreten darf. Das alles nützt nichts. Der eigentliche Grund ist, dass Sie von dem Fehlverhalten der Behörden im Fall Amri ablenken wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Fall Amri hätte man die geltenden Gesetze anwenden müssen. Man hätte zum Beispiel ein Sammelverfahren bei einer Staatsanwaltschaft konzentrieren können, in dem alle Straftaten gleichzeitig bearbeitet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Das hat keiner gemacht. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ströbele, achten Sie jetzt bitte auf die Redezeit. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, letzter Satz. – Im Fall Amri hatten die Ermittlungsbehörden seit Februar 2016, also fast ein Jahr vor dem Anschlag, ganz klare Anhaltspunkte dafür, dass er mit IS-Führern, mit seinen Brüdern in Libyen korrespondiert und sich dort Anweisungen und Ratschläge für einen Selbstmordanschlag geholt hat. Da hätten Sie gegen ihn vorgehen müssen. Da hätte ein Haftbefehl beantragt werden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Von da an hätten Sie ihn Tag und Nacht nicht mehr aus den Augen lassen dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Da sind die Fehler gemacht worden. Der Fehler war nicht, dass er keine Fußfessel getragen hat. Er wäre ohnehin kein Aspirant für eine Fußfessel gewesen, weil sämtliche Voraussetzungen nicht vorlagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ströbele, das war ein sehr langer letzter Satz. – Die Kollegin Bettina Bähr-Losse hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Bettina Bähr-Losse (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren oben auf den Rängen! Wir alle wünschen uns ganz grundsätzlich und in Ansehung der niederträchtigen Terroranschläge in den vergangenen Monaten ganz besonders eine hundertprozentige Sicherheit. Wir alle oder wenigstens die Vernunftbegabten unter uns wissen gleichzeitig aber auch, dass es eine hundertprozentige Sicherheit leider nicht geben kann. An dieser Stelle stehen wir an einer Weggabelung: Entweder wir stecken den Kopf in den Sand und geben uns mit der aktuellen Gesetzeslage zufrieden, oder – für diese Richtung wollen sich die Koalitionsfraktionen mit der Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern entscheiden – wir sorgen mit Mitteln, die uns jetzt zur Verfügung stehen, für ein Mehr an Sicherheit. Wir müssen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, die auch meine Sorgen sind, ernst nehmen und prüfen, ob es gesetzliche Lücken gibt und wie wir diese Lücken schließen können. Ein Urteil des Oberlandesgerichts München aus dem letzten Jahr hat uns eine solche Lücke aufgezeigt. In einem dort entschiedenen Fall wegen Unterstützung einer islamistischen Vereinigung im Ausland scheiterte die Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung daran, dass es sich nicht um eine taugliche Anlasstat handelte und der Verurteilte keine volle drei Jahre in Haft verbüßt hatte. Die SPD-Bundestagsfraktion hält es in diesem Zusammenhang für richtig, den Kanon der Anlasstaten zu erweitern. Gründung einer und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die Finanzierung von Terror, die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verfolgen dasselbe Ziel. Wer für solche Straftaten zu mindestens zwei Jahren Haft verurteilt wurde und weiterhin als radikalisiert angesehen werden muss, soll künftig die volle Aufmerksamkeit unserer Sicherheitsbehörden erhalten. Der vorliegende Gesetzentwurf richtet sich also gegen Verurteilte und nach wie vor gefährliche extremistische Straftäter. Dass einige hier im Plenum es lieber bei der bestehenden Gesetzeslage belassen wollen, steht ihnen selbstverständlich frei. Ich selber habe an der Anhörung im vergangenen Monat teilgenommen. Dabei habe ich auch die Argumente gehört, die gegen die sogenannte Fußfessel sprechen sollen. Diese Argumente wurden in die Meinungsbildung selbstverständlich einbezogen. Was ich persönlich aber in keiner Weise nachvollziehen konnte und kann, war, dass man sich ernsthafte Sorgen darüber machte, dass jemand, der eine solche Fußfessel tragen muss, dadurch stigmatisiert wird. Unglaublich! (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]) Es geht hier auf der einen Seite um verurteilte gefährliche extremistische Straftäter, die sich eventuell stigmatisiert fühlen könnten. Auf der anderen Seite geht es um den Schutz der Bevölkerung vor einem terroristischen Anschlag. Die SPD-Bundestagsfraktion erachtet das Recht auf Schutz vor einem terroristischen Anschlag ganz eindeutig und ohne Wenn und Aber als schützenswerter. (Beifall bei der SPD) Gefährdern muss und soll klar sein, dass sie unter Beobachtung stehen und dass wir ihren Terror nicht einfach hinnehmen. Ich habe eingangs gesagt, dass es hundertprozentige Sicherheit leider nicht gibt. Neben der Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern sollten wir uns auch weiterhin bemühen, Menschen von ihrem Irrweg aus Gewalt, Hass und blinder Zerstörungswut abzubringen. Aber solange das nicht sichergestellt ist, müssen wir das uns Mögliche tun. Dies ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möglich. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Professor Dr. Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Nachmittag haben wir über das Thema Fußfessel im präventiven Einsatz diskutiert, also bei Gefährdern. Von diesen gibt es – wir haben es eben gehört – in Deutschland fast 600. Übrigens sind fast 100 dem Land Nordrhein-Westfalen zuzuordnen; auch das muss man sagen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden auch weiter ohne Fußfessel rumlaufen!) Man muss feststellen, dass allein diese Zahl zeigt, dass Nordrhein-Westfalen eines der unsichersten Bundesländer ist. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: So ein Quatsch! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihnen das nicht langsam irgendwie peinlich?) – Das festzustellen, gehört dazu, wenn man sich die Kriminalitätsstatistik anschaut. – Wenn man sich zum Beispiel die Zahl der Einbrüche anschaut, stellt man fest, dass es in Nordrhein-Westfalen genauso viele Wohnungseinbrüche gab wie in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zusammen. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Vergleichen Sie das mal mit Bayern! 10 Prozent Zunahme in Bayern, 3 Prozent Rückgang in NRW! Kriminalstatistik 2016!) Auch das ist eine Zahl, die dafür spricht, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung Sicherheit in diesem Bundesland nicht herstellen kann. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau!) Darum ist es traurig – das muss ich ganz ehrlich sagen –, dass Nordrhein-Westfalen, wenn es um Sicherheitsgesetze geht, im Bundesrat immer wieder blockiert und dagegenstimmt. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Völliger Quatsch, was Sie erzählen! Völliger Blödsinn!) Kollege Ströbele hat es gerade angesprochen: Die Zahl derer, für die die Fußfessel im präventiven Bereich – darüber haben wir heute Nachmittag debattiert – angeordnet werden könnte, ist gering. Heute Nachmittag haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes beschlossen. Darin ging es um die Fußfessel im Zuständigkeitsbereich des BKA. Die Länder müssen jetzt natürlich auch ihre Hausaufgaben machen. Gerade die Länder sind mit ihren Landespolizeien dafür zuständig, dass auch dort die Fußfessel präventiv eingesetzt wird. Nordrhein-Westfalen könnte da jetzt sehr aktiv werden und zeigen, dass Nordrhein-Westfalen es mit der Sicherheitspolitik ernst meint. (Dr. Eva Högl [SPD]: Die Debatte hatten wir heute schon!) Aber ich glaube, dass Nordrhein-Westfalen hier wieder ein Ausfall sein wird und nichts für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger tun wird. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Was für ein Quatsch! – Dr. Eva Högl [SPD]: Was für eine schlechte Rede!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Ja, gerne. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Hätten Sie die von mir auch angenommen?) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg, und vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte Ihnen eine einfache mathematische Frage stellen. Wenn von 600 Gefährdern 100 aus NRW kommen, ist das ein Sechstel. Wenn NRW wirklich so viel gefährdeter sein soll, müsste die Gesamtbevölkerungszahl Deutschlands also mehr als 102 Millionen Einwohner betragen, (Heiterkeit der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sehr gut!) weil Nordrhein-Westfalen, was die Zahl der Gefährder betrifft, ansonsten unter dem Durchschnitt liegen würde – und liegt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Ich habe gesagt, dass sie dem Land Nordrhein-Westfalen zuzuordnen sind. Nicht alle 600 Gefährder – das wissen auch Sie – sind derzeit in Deutschland. Sie kommen aus verschiedenen Bundesländern, und es besteht die Gefahr, dass sie dorthin zurückkehren. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn, dann gehen sie nach NRW! Das ist ja klar!) Die Frage ist, was wir in den Landespolizeigesetzen jetzt präventiv machen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 100 von 600, das ist ein Sechstel! Nordrhein-Westfalen hat aber ein Fünftel der Einwohner! Wie kann das denn sein?) Werden die einzelnen Bundesländer präventiv die Fußfessel einführen, werden sie also dem Vorbild des Bundes – Stichwort „BKA-Gesetz“ – folgen, oder werden sie nichts tun? (Ulli Nissen [SPD]: Wie war das noch mit dem Dreisatz, Herr Kollege? – Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] nimmt wieder Platz) – Ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Lenkert, Sie müssen schon stehen bleiben, bis die Frage beantwortet wurde. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das ist ja nicht die Antwort auf meine Frage! – Weitere Zurufe von der LINKEN: Das, was er sagt, hat ja mit der Frage nichts zu tun! – Die wird doch nicht mehr beantwortet!) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Doch, ich bin noch mittendrin. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Der Kollege Sensburg entscheidet, was zur Antwort gehört. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist ja noch mit seiner Rechenaufgabe beschäftigt!) Sie müssen schon stehen bleiben, bis er fertig ist. – Danke schön. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Es geht um die Frage – ich sage es noch einmal –: Werden die Bundesländer und gerade das Land Nordrhein-Westfalen präventiv tätig werden, um die ihnen zuzuordnenden Gefährder auch mit einer Fußfessel überwachen zu können? Wenn Sie die Debatte heute Nachmittag verfolgt hätten, hätten Sie gehört, dass der Kollege Binninger gesagt hat, man brauche 25 bis 30 Polizeibeamte, um einen Gefährder die ganze Zeit zu beobachten. Ich glaube, es ist eine deutlich effektivere Maßnahme, eine Fußfessel einzusetzen, um zu wissen, wo sich der jeweilige Gefährder befindet. Wenn man in einem Bundesland bis zu 100 Personen, die Gefährder darstellen, zugeordnet hat, dann sollte auch ein Land wie Nordrhein-Westfalen tätig werden und nicht die Hände in den Schoß legen. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das BKA ist auch für Nordrhein-Westfalen zuständig!) Jetzt komme ich zur repressiven Anwendung der Fußfessel; denn darüber debattieren wir heute. Das ist eben ziemlich durcheinandergegangen. Auch der Kollege Ströbele hat wieder vom Fall Amri geredet, obwohl dieser noch gar nicht verurteilt war, sodass es also um die präventive Fußfessel ging. Schauen wir uns jetzt also die repressive Anwendung der Fußfessel und die Änderungen im Strafgesetzbuch sowie in der Strafprozessordnung an. Hier geht es – das ist vom Kollegen Dr. Ullrich gesagt worden, der eben übrigens seine 100. Rede in dieser Legislaturperiode hier im Plenum gehalten hat – (Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU] – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh, dann muss er einen ausgeben!) um Delikte wie die Bildung einer terroristischen Vereinigung, schwere staatsgefährdende Gewalttaten und die Finanzierung solcher Straftaten. Ich muss sagen: In diesen Fällen wäre der Einsatz der Fußfessel richtig. Als der Kollege Ullrich eben angesprochen hat, dass wir die Fußfessel bei Sexualstraftätern schon einsetzen, habe ich aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen Zurufe wie: „Das ist auch richtig!“ gehört. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir ja auch denselben Tätertyp! Da macht das Sinn!) Wenn der Einsatz der Fußfessel in diesen Fällen richtig ist, Sie bei solchen Straftaten nicht die Abschaffung der Fußfessel fordern, Sie also ihre Brauchbarkeit anerkennen, dann müssen Sie konsequenterweise sagen, dass wir sie auch bei schweren Straftaten mit terroristischem Hintergrund einsetzen sollten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das hat etwas mit dem Tätertyp zu tun!) Sie macht Sinn, verhindert Straftaten und lässt Straftaten zuordnen. Wir werden erleben, dass immer mehr Täter nach Verbüßung einer Haftstrafe unter Führungsaufsicht gestellt werden müssen, weil sie die Gefahr bergen, wieder ähnliche Straftaten zu begehen, die Landesgrenzen zu überqueren, sich an Orten zu treffen, die wir kennen, und sich möglicherweise an Orten zu verabreden, wo Hassprediger ihrem schlimmen Treiben nachgehen. Deswegen ist es gut, dass wir die Fußfessel nicht nur präventiv einsetzen, sondern auch dann, wenn jemand schon verurteilt worden ist, wir wissen, dass er entsprechende Taten begangen hat, und er immer noch eine Gefahr birgt. Da gibt es eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele, viele Zwischenstufen. Manche Personen haben sich vielleicht verleiten lassen. Mit der klaren Ansage: „Da gehst du nicht mehr hin; das machst du nicht mehr“, erkennen sie mit der Zeit vielleicht, dass sie auf einem Irrweg waren. Den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von den Linken sage ich: Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Gesetze beschlossen, im Bereich Inneres zum Beispiel Polizeigesetze, aber auch viele Gesetze im Bereich der Justiz bzw. der Rechtspolitik. Ich erinnere an die Debatten über das GTAZ, die Verschärfung der Antiterrorgesetze und die Verschärfung der Regelungen gegen Kinderpornografie. Heute ging es um die Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten, insbesondere Polizisten, und Rettungskräften. Sie waren immer dagegen, oft mit dem Argument, das bräuchten wir nicht, wir bräuchten keine gesetzlichen Verschärfungen. In der heutigen Debatte über den Schutz von Polizei- und Vollstreckungsbeamten war aus Ihren Reihen zu hören, das sei Zeitverschwendung. Dies zeigt, dass Sie ein Problem mit dem Schutz des Rechtsstaates und der Menschen haben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit dem Gleichheitsgrundsatz, Herr Jurist?) Ich muss ganz ehrlich sagen: Da, wo Sie regieren bzw. mitregieren, sind die Kriminalitätsraten bei fast allen Delikten am höchsten. Überlegen Sie sich noch einmal, ob Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen und den Schutz der Menschen zurückdrängen wollen oder ob Sie sich bei einem gut ausgewogenen und verhältnismäßigen Gesetzentwurf mit engagieren. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer schickt denn die Polizisten in solche Einsätze? Sie oder wir?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12155, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/11162 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12155, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11584 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern – Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen Drucksache 18/12094 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keine weiteren Vorschläge. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt die Kollegin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „von Kunstausstellungen leben viele“, so beginnt ein Plakat des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler mit Sitz in Berlin aus dem Jahr 2009. Danach werden über 60 Beteiligte aufgezählt, vom Aufsichtspersonal bis zur Versicherung, „Nur“ – so endet die Aussage dann – „nur Künstlerinnen und Künstler nicht“. Auf einer Veranstaltung der Initiative „Ausstellungsvergütung jetzt!“ Anfang März forderte eine Teilnehmerin, dass eine Einladung zu einer Ausstellungsbeteiligung nicht zur Existenzbedrohung werden darf. Denen, die das als Schwarzmalerei abtun wollen, empfehle ich, in die aktuelle Studie des BBK-Bundesverbandes zu schauen. Das Einkommen der in der Künstlersozialkasse versicherten bildenden Künstler lag 2016 bei etwa 18 000 Euro pro Jahr; bei den Künstlerinnen lag es sogar nur bei 13 000 Euro. (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) Wenn sie dann, wie die Befragten der Studie, drei bis vier Ausstellungen pro Jahr realisieren, wird in der Regel weder die künstlerische Leistung vergütet noch der Aufwand entschädigt, der ihnen bei der Vorbereitung, beim Transport, beim An- und Abbau oder der Anreise entsteht. Hier wird die Tragik deutlich. Künstlerinnen und Künstler können nicht kostenlos im Künstlerbedarf einkaufen, den ÖPNV benutzen oder einen Transporter mieten. Warum also sollen sie ihre künstlerische Leistung kostenfrei anbieten? Jetzt sagen manche: weil Künstlerinnen und Künstler auf diese Weise bekannt werden und den Wert ihrer Werke damit steigern, Ruhm und Ehre wegen des schönen Ausstellungsortes eingeschlossen. Dass dies aber schon lange nicht mehr stimmt und vermutlich nie der Realität entsprochen hat, zeigt die aktuelle Studie des BBK. Trotz der regen Ausstellungstätigkeit nehmen zwei Drittel weniger als 5 000 Euro im Jahr durch den Verkauf ihrer Werke ein. Es gibt zwar Ausnahmen; aber fest steht die Tatsache, dass der größte Teil der professionellen bildenden Künstlerinnen und Künstler von dem Verkauf ihrer Werke nicht leben kann. Das liegt nun keineswegs an ihrem unternehmerischen Unvermögen, sondern vor allem daran, dass sich die künstlerischen Ausdrucksformen geändert haben, dass sich der Kunstmarkt wandelt und dass viele Ausstellungsorte entweder gar keine Sammlung oder kein Geld mehr haben, um Kunst einzukaufen. Und überhaupt: Kunst ist mehr als eine Ware, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Ausstellungen in öffentlichen Häusern dienen vorrangig der öffentlichen Debatte. Im Urheberrecht sind im Unterschied zu allen anderen Sparten die bildenden Künstlerinnen und Künstler benachteiligt. Sie haben keinen Anspruch auf Vergütung ihrer künstlerischen Leistung. Selbstverständlich werden Autoren am Buchverkauf beteiligt. Selbstverständlich bekommen Komponistinnen Anteile, wenn ihr Werk aufgeführt wird, und das immer, nicht nur beim ersten Mal. Warum also sollte das bei den bildenden Künstlerinnen und Künstlern nicht auch so sein? (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Summe, um die es dabei geht, ist nicht groß. In Berlin umfasst der Ausstellungsfonds 300 000 Euro pro Jahr – als erster Schritt. Es geht nämlich nicht darum, dass Künstlerinnen und Künstler per Gesetz ein gutes Leben führen können. Nein, es geht erst einmal nur darum, dass ihnen überhaupt ein Anspruch auf die Vergütung ihrer Leistung zugestanden wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der BBK-Bundesverband hat 2014 eine Leitlinie veröffentlicht, in der Vorschläge sowohl für die Höhe der Ausstellungsvergütung als auch für Ausstellungshonorare unterbreitet werden. Sie ist sehr kurz und prägnant. Sie unterscheidet zwischen Gruppen- und Einzelausstellungen und bezieht auch geldwerte Leistungen des Ausstellers mit ein wie etwa den Druck eines Katalogs oder einen Ankauf. Es gibt einen Grundbetrag für die Nutzung eines künstlerischen Werkes pro Woche, der mit einem Wirtschaftskraftfaktor je nach Veranstalter multipliziert wird. Ein soziokulturelles Zentrum müsste so lediglich 100 Euro für eine vierwöchige Ausstellung zahlen, ein Museum dagegen 1 000 Euro. Hinzu käme das Ausstellungshonorar, die Aufwandsentschädigung, entsprechend differenzierter Stundensätze je nach Art der Leistung. Also: Reich wird damit keiner. Wichtig ist dieses Einkommen aber, da es als künstlerisches Einkommen zählt und so den Zugang zur Künstlersozialkasse erleichtert und sichert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Neben der Ausstellungsvergütung im Urheberrecht wollen wir mit unserem Antrag den Bund in die Pflicht nehmen. Er soll die Zahlung von Ausstellungsvergütungen und Ausstellungshonoraren verbindlich in seine Förderkriterien aufnehmen und die dafür nötigen Mittel im Sinne der Einhaltung sozialer Mindeststandards zur Verfügung stellen. (Beifall bei der LINKEN) Die Vorbildwirkung wäre nicht zu unterschätzen. Es wäre auch eine wirkliche Wertschätzung der Leistung bildender Künstlerinnen und Künstler, von der immer so viel geredet wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eines muss uns allen doch klar sein: Ohne die Leistung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern gäbe es keine Ausstellungen. Die anderen auf dem Plakat genannten Beteiligten hätten auch nichts mehr davon. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag greift das Anliegen von Künstlerinitiativen auf, das ich, das wir durchaus ernst nehmen. Trotzdem sind wir von dem vorgeschlagenen Lösungsansatz nicht überzeugt. In unserem Land herrscht verfassungsrechtlich verankerte Kunstfreiheit. Das ist gerade in heutigen Zeiten ein sehr hohes Gut. Als Künstler darf man hierzulande fast alles tun. Aber die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass die Entscheidung für Kunst als Lebensunterhalt auch eine freie Entscheidung ist. So hart es klingen mag: Wer von seiner Kunst leben will, der muss am freien Markt erfolgreich sein. (Zuruf von der LINKEN: Das klingt nicht nur hart!) Die bildenden Künstler leben primär vom Verkauf ihrer Werke. Dazu muss man die Kunden überzeugen und bekannt sein. Dafür sind Ausstellungen das A und O. Jetzt sind wir beim Kern der Diskussion. Hilft eine staatlich verordnete Ausstellungsvergütung dabei, dass es im Land mehr Möglichkeiten zum Ausstellen für junge und noch nicht etablierte Künstler gibt? Das ist fraglich. Aber schauen wir genauer hin: Die Einführung einer Ausstellungsvergütung würde zum Beispiel eine starke Belastung für die ohnehin nicht immer üppig finanzierten kleinen Museen und kommunalen Galerien bedeuten, die – ich weiß aus meinen langen Jahren in der Berliner Kommunalpolitik genau, wovon ich rede – oft deutlich unter 5 000 Besucher im Jahr haben und die wirklich ständig infrage gestellt werden. Meine Befürchtung ist: Im Ergebnis einer gesetzlich festgeschriebenen Ausstellungsvergütung gibt es weniger Ausstellungen für weniger Künstler in diesem Land. Das kann nicht die Idee dieser Regelung sein; denn die Ausstellungsvergütung soll letztlich helfen, die wirtschaftliche Situation von Künstlern zu verbessern, von denen viele – ja – in prekären Verhältnissen leben. Aber für die soziale Absicherung haben wir die Künstlersozialkasse, und die haben wir in dieser Legislatur noch einmal gestärkt. Die vorgeschlagene gesetzliche Ausstellungsvergütung ist für mich ein Schritt in Richtung einer Art Kunstsozialismus. (Zurufe bei der LINKEN: Oh! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe darauf gewartet, dass das kommt! Der Sozialismus hält bei Ihnen in jeder Rede Einzug!) Ich finde es gefährlich, überall den Staat hereinholen zu wollen. (Zuruf von der LINKEN: Da werde ich zu später Stunde wieder wach! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Musikern ist das auch so!) – Jetzt mal ganz ruhig! – Wir schafften zusätzliche Bürokratie – das ist schon in der Rede der Kollegin angeklungen –, hätten die Möglichkeit zu mehr staatlichen Eingriffen – das kann nicht gewollt sein – und stärkten eine Versorgungsmentalität; auch das ist nicht richtig. Das ist das Gegenteil von Kreativität und Wettbewerb, die gerade für den künstlerischen Bereich so wesentlich sind. Der politisch richtige Weg ist deshalb, Galerien und Museen finanziell zu stärken, etwa durch die Erhöhung des Ankaufetats. Und natürlich kann es nicht sein, dass ein Künstler mit seiner Ausstellung Verluste macht; das ist überhaupt keine Frage. Und ja, auch neue künstlerische Ausdrucksformen wie Performanceaktionen muss man im Blick haben. Sie lassen sich nicht wie Gemälde oder Skulpturen verkaufen. Auch das ist richtig. Insgesamt finde ich es auch richtig, dass wir gegen den Geist der Umsonstkultur, die sich gerade durch das Internet in den letzten Jahren schon relativ stark ausgebreitet hat, vorgehen. Kreative sollen angemessen für Leistungen honoriert werden; aber die Kernleistung einer Ausstellung ist die Möglichkeit zur Präsentation der Werke. Das ist das Zentrale. Trotzdem unterstütze ich ausdrücklich, dass auch Vergütungen von Ausstellungen stärker angereizt oder gefordert werden, aber auf freiwilliger Basis. So macht es das Land Berlin gerade – Kollegin Hupach hat es schon erwähnt – mit einem neu kreierten Fonds für Ausstellungshonorare. Das ist auch gut so. Allerdings ist meine Heimatstadt Berlin auch in der sehr komfortablen Sondersituation, dass der Bund gut 600 Millionen Euro für die Hochkultur in Berlin ausgibt. Da bleibt natürlich für den neu gewählten Senator Lederer Geld zur Verteilung übrig; das ist klar. Aber das ist eine Sondersituation. Insofern: Es ist eine gute Initiative, aber wir können daraus keine gesetzliche Legitimation herleiten. Die Kunst ist frei. Wir müssen in der Tat die wirtschaftliche Lage der Künstlerinnen und Künstler im Blick behalten, aber eine gesetzlich verordnete Ausstellungsvergütung ist nicht der richtige Weg. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege, Sie haben gerade Vergleiche gezogen und festgestellt, dass Kunst eine freiwillige und leistungsgerechte Angelegenheit sein muss. Kunst nach Leistungsprinzip, das kann auf die bildende Kunst angewendet werden. Für alle anderen Kunstsparten haben wir eine Regelung gefunden. Wir reden hier über die Gerechtigkeitslücke – darauf bezieht sich auch der Antrag, den wir heute beraten –, und davon haben wir ein deutlich anderes Verständnis als Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Debatte um die Einführung einer Ausstellungsvergütung – das will ich ganz klar sagen – wird vonseiten der Kunstverbände und von Verdi seit über 30 Jahren geführt. Nicht zuletzt 2007 hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ klare Forderungen zu diesem Thema aufgestellt. Wir haben 2011 einen Antrag dazu vorgelegt und begrüßen den Antrag der Linken deswegen sehr. Wir reden über einen wirklich alten Hut; denn in der Praxis hat sich bis heute nichts getan. Einst war die Ausstellungsvergütung ein Steckenpferd der SPD. Seit Sie in der Großen Koalition sitzen, haben wir zu diesem Thema von Ihnen leider nichts mehr gehört. (Burkhard Blienert [SPD]: Das kommt gleich!) Ich muss noch einmal festhalten, Herr Kollege: Die Einführung einer Ausstellungsvergütung – das zeigt der Blick ins europäische Ausland – ist nicht nur längst überfällig, sondern vor allem auch machbar. Aber Sie machen nichts. Schlimmer noch: Die Versäumnisse der Bundesregierung hinsichtlich der Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden sind dramatisch. Niedrige Honorare, mangelnde soziale Absicherung und infolgedessen Altersarmut – das ist die ungeschminkte Realität vieler Kulturschaffender und Kreativer in diesem Land. Es ist weiter brotlose Kunst. Dagegen können wir etwas tun. Gerade gestern haben wir Grüne in einem öffentlichen Fachgespräch mit zahlreichen Kulturleuten und Kreativen über wirkungsvolle Wege zur Absicherung von Arbeitslosigkeit und Krankheit sowie der prekären Situation im Alter diskutiert. Wir erarbeiten im Dialog mit ihnen neue Konzepte, Konzepte, die zur Lebensrealität von Kreativen und Kulturschaffenden passen. Und darauf kommt es an. Eine Regelung, die überhaupt nicht zur Beschäftigungsrealität vieler Künstlerinnen und Filmleute passt, ist zum Beispiel die Sonderregelung für kurz befristet Beschäftigte. Meine Damen und Herren, worin liegt denn der Sinn solcher Regelungen, mit denen Konstrukte aufrechterhalten werden, die die Mehrheit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht erreicht und die nicht zu ihnen passen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen hat meine Fraktion schon 2014, vor drei Jahren, ein Konzept zu Beitrags- und Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung vorgelegt. Es geht so: vier Monate einzahlen, zwei Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das würde den Kultur- und Kreativschaffenden in diesem Land wirklich direkt etwas bringen. Das haben Sie abgelehnt. Da haben Sie eine große Chance verpasst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Konkret zur Ausstellungsvergütung: Die Einführung allein wird die oftmals schwierige wirtschaftliche Lage vieler bildender Künstlerinnen und Künstler nicht ändern können. Die Beträge sind – die Kollegin hat es ausgeführt – einfach zu klein. Sie trägt aber zumindest partiell zu einer verbesserten Einnahmesituation bei. Hinzu kommt – und das ist genau das, was ich eingangs sagte –, dass damit eine Gerechtigkeitslücke geschlossen wird, die die bildende Kunst im Vergleich zu allen anderen Kunstsparten hat. Interpretinnen und Interpreten oder Bühnendarstellerinnen und Bühnendarsteller haben andere Möglichkeiten, über ihre Werke Einnahmen zu erzielen. Nur die bildenden Künstlerinnen und Künstler können allein durch den Verkauf ihrer Werke Einnahmen erzielen, nicht aber durch die öffentliche Präsentation ihrer Kunst. Oftmals müssen sie sogar draufzahlen, wenn sie eine Ausstellung ausrichten. Da besteht also eine weitere strukturelle Benachteiligung, die möglicherweise on top Geld kostet. Einige Punkte in diesem Antrag sind mir besonders wichtig: Es ist völlig richtig und wichtig, die Ausstellungsvergütung auf Orte zu begrenzen, an denen Kunst gezeigt wird. Die Bereiche des Kunsthandels, also zum Beispiel Kunsthallen, in denen die Kunst verkauft wird, müssen von diesen Vergütungen ausgenommen werden; denn dort ist das Abzielen darauf, dass die Kunst verkauft wird, Sinn und Zweck der Angelegenheit. Entscheidend ist für uns, dass eine Unterscheidung zum Beispiel zwischen soziokulturellen Zentren und Museen vorgenommen wird. Da sind die Handlungsspielräume eindeutig andere und nicht vergleichbar. Wir unterstützen ganz besonders, dass die Ausstellungsvergütung in die Fördergrundsätze der vom Bund geförderten Einrichtungen und Projekte aufgenommen wird. Der Bund muss hier mit gutem Beispiel vorangehen. Das haben übrigens die Sachverständigen im Fachgespräch zur sozialen Lage im Kulturausschuss gestern noch einmal klar eingefordert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es wäre nett, wenn Sie jetzt auch mit gutem Beispiel vorangehen und zum Ende kommen würden. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will zum Abschluss Folgendes sagen, Frau Präsidentin: Wir sollten mit diesem Antrag für die bildende Kunst vorangehen und ein wichtiges Signal der Wertschätzung für künstlerische Arbeit senden. Dieses Signal sollten wir senden, nicht ein Signal für eine Kunst, die sich für die Menschen, die dafür viel arbeiten müssen, nicht weiter lohnt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Burkhard Blienert, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in der Analyse sind wir uns in vielen Punkten sehr einig. Die bildenden Künstlerinnen und Künstler tragen seit Jahren die rote Laterne in den Einkommenstabellen der künstlerischen Berufe. Sie verdienen nach der KSK-Statistik – die Kollegin hat darauf hingewiesen – im Schnitt 15 740 Euro im Jahr. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie für die Ausstellung ihrer Werke in der Regel keine Vergütung erhalten und in einigen Fällen sogar die Kosten der Ausstellung selber tragen müssen. Dieser Umstand stellt zugleich eine Ungleichbehandlung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern gegenüber anderen vergleichbaren kreativen Urheberinnen und Urhebern in der Musik, im Theater oder in der Literatur dar. Da es keine sachlichen Unterschiede zwischen den Künstlergruppen gibt, gilt es, diese Ungleichbehandlung tatsächlich zu beseitigen. Eine Kulturnation wie Deutschland kann es sich nicht erlauben, so mit ihren Künstlerinnen und Künstlern umzugehen, wenn sie diese Tradition bewahren und die kulturelle Vielfalt erhalten möchte. Das werden wir nur können, wenn wir in diejenigen investieren, die das Hervorbringen von Kunst und Kultur sowie die kreative Arbeit zu ihrem Erwerb gemacht haben. Vor allem müssen wir als Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, die es den Betreffenden ermöglichen, durch eigenes Schaffen ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Das Ausstellen ihrer Werke ist ein wichtiges Betätigungsfeld der bildenden Künstlerinnen und Künstler und ist längst eine eigenständige Leistungsform geworden. Durch eine Vergütung für die öffentliche Nutzung und Verwertung ihrer Werke wären die bildenden Künstlerinnen und Künstler in der Lage, ihre wirtschaftliche Situation selbst zu verbessern. Auf die Frage, ob wir eine verbindliche Ausstellungsvergütung brauchen, kann ich aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion nur eindeutig mit Ja antworten. Nicht so leicht zu beantworten ist die Frage, wie eine solche Regelung auszugestalten ist, damit sie den bildenden Künstlerinnen und Künstlern wirklich hilft und nicht kontraproduktiv wirkt. Diese Frage wird leider im vorliegenden Antrag unzureichend beantwortet. Ich sage bewusst: leider; denn auch wir als SPD-Bundestagsfraktion sehen in dieser Frage Handlungsbedarf. Dass der gute Wille allein manchmal nicht reicht und dass sich die Wirkung sogar ins Gegenteil kehren kann, hat uns das Beispiel Österreich gezeigt. Deshalb keine vorschnellen Entscheidungen und keine vorschnellen Konzepte! Auch wenn wir die Initiative der Linken, über diese Fragen zu diskutieren, grundsätzlich begrüßen, lässt der Antrag aus unserer Sicht viele wichtige Fragen unbeantwortet. Der Problemaufriss macht dies deutlich. Die eigentlichen Forderungen an die Bundesregierung bleiben in weiten Teilen unkonkret und oberflächlich. Auch macht es sich die Linke an einigen Stellen zu einfach, wenn sie fordert, der Bund möge seinen Einfluss auf Länder und Kommunen geltend machen, ein verpflichtendes Ausstellungshonorar zu zahlen. In diesem Falle gilt, was Einstein einmal formuliert hat. Als Politiker ist es nicht nur sinnvoll, gute Reden zu halten. Vielmehr muss man in Leistung und Arbeit investieren. – Für Politiker bedeutet das, in Mehrheitsverhältnisse zu investieren, damit sie die Realitäten verändern können. Liebe Kollegen von der Linken, Sie sollten schon genau sagen, wie angesichts der finanziellen Lage vieler Kommunen so etwas finanziert und realisiert werden kann. Selbst wenn der Bund eine Ausstellungszahlung in seinen Einrichtungen ermöglichen würde, darf man nicht vergessen: Der überwiegende, große Teil der Museen und der Ausstellungshäuser befindet sich in der Verantwortung der Länder und Kommunen. Eine wirklich tragfähige Lösung ist an dieser Stelle nur gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern zu finden. Das sind die Fragen, an denen wir uns orientieren sollten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber man kann doch prüfen, wie man das macht!) Beispiel Schweden. Die Schweden haben vielleicht einen Weg beschritten, der deutlich macht, wie es gehen kann. In Schweden gibt es seit 2009 eine Übereinkunft, dass bildende Künstlerinnen und Künstler beim Ausstellen ihrer Werke anteilig an den Einnahmen der Museen beteiligt werden. Das sogenannte Reko-Label zeichnet Einrichtungen aus, die eine angemessene Vergütung zahlen. Leider ist es aufgrund unserer föderalistischen Struktur nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. Wir brauchen für Deutschland eine passgenaue Lösung. Wir sollten uns jedenfalls das schwedische Modell anschauen und darüber reden. Dafür brauchen wir tatsächlich mehr Zeit. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Prüfauftrag, Herr Kollege!) Das sollten wir in der kommenden Legislaturperiode gemeinsam anpacken. Wir dürfen aber nicht vergessen: Das schwedische Modell hat die schwierige wirtschaftliche Situation der Künstlerinnen und Künstlern nur bedingt auffangen können – so erfolgreich ist es in diesem Fall auch nicht –, weil die Vergütung zu gering ist und weil Künstlerinnen und Künstler zu selten in den Genuss einer öffentlichen Ausstellung kommen. Das wird in Deutschland leider Gottes nicht anders sein. Deshalb ist eine Ausstellungsvergütung nur ein Instrument und kein Allheilmittel. Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion in dieser Legislaturperiode an vielen Stellen unsere Vorstellung deutlich gemacht und durchsetzen können. Wir haben die KSK gesichert und zukunftsfähig gemacht. Wir haben beim Urhebervertragsrecht dafür gesorgt, dass es tatsächlich substanzielle Verbesserungen für Künstlerinnen und Künstler, für die Urheberinnen und Urheber gibt. Bei der Novelle des Filmförderungsgesetzes haben wir dafür gesorgt, dass auch soziale Mindeststandards mittlerweile im Gesetz auftauchen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kollege Blienert, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schauws? Burkhard Blienert (SPD): Ich würde diese Minute gern zu Ende reden. Danach können wir gerne in die Diskussion einsteigen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nein, danach können Sie die Rede nicht mehr aufnehmen. Entweder jetzt eine Frage oder keine. Ich stoppe auch die Redezeit. Sie wollen keine Zwischenfrage? – Dann ist gut. Aber danach gibt es auch keine. Burkhard Blienert (SPD): Wir als SPD-Fraktion haben uns des Themas der Arbeitslosenversicherung, des Arbeitslosengeldes I angenommen. Da hätten wir uns mehr vorstellen können. Wir als SPD haben die wesentlichen Beschlüsse schon gefasst, weil wir in der kommenden Legislaturperiode auch bei der allgemeinen Rahmenfrist Verbesserungen umsetzen wollen. Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbsbiografien, schwierige Einkommensverhältnisse machen es Solo-Selbstständigen, Freiberuflichen, Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden zunehmend schwerer, Risiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusorgen. Deshalb müssen wir diese Gruppen ganz speziell in den Fokus nehmen. Auch in diesem Punkt hat das Bundesarbeitsministerium in dieser Legislaturperiode durch das Weißbuch Arbeiten 4.0 schon wichtige Voraussetzungen geschaffen, um daran weiterarbeiten zu können. Ebenso ist die Einführung des Mindestlohns ein wichtiger Bestandteil der sozialen Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern. Mindesthonorare, Ausstellungsvergütungen können diese flankieren. Ich habe anfangs gesagt: Wir sind dafür offen. Wir stehen auch dazu. Wir haben entsprechende Anträge selber gestellt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben seit zehn Jahren den Ansatz und machen nichts! Herr Kollege, es ist Ihre Fraktion!) Das ist eine Möglichkeit, für Künstlerinnen und Künstler an dieser Stelle noch etwas zu tun. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Ansgar Heveling von der CDU/CSU-Fraktion schließt für heute hier die Debatte ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Repetitio est mater studiorum – so hat der spätantike Gelehrte Cassiodorus den Wert der Wiederholung bezeichnet. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und den Wert der Kunst, als was das?) Wenn ein Thema aber letztlich schon ausdiskutiert ist oder, wie Kollegin Schauws es gesagt hat, ein alter Hut ist, dann sind die Argumente natürlich auch schon ausgetauscht. Das Thema Ausstellungsvergütung ist eines, das uns in der Tat heute nicht zum ersten Mal begegnet, sondern das hier schon vielfach diskutiert und mit Anträgen unterlegt worden ist. Die Argumente haben sich indessen nicht wesentlich geändert. (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Dann setzen Sie es um!) Der Wunsch nach einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstler scheint auf den ersten Blick durchaus berechtigt zu sein. Wieso, fragt man sich, sollten Malerinnen und Maler, Bildhauer, Fotografen und andere für die Ausstellung ihrer Werke keinen urheberrechtlich verbrieften Anspruch auf Vergütung erhalten, zumal die wirtschaftliche Situation von Künstlern – ich glaube, darüber sind wir uns einig – fraglos oftmals alles andere als rosig ist? Bei eingehender Betrachtung indes bewahrheitet sich, dass das Gegenteil von „gut“ oftmals nur „gut gemeint“ ist. Genau wie Autoren und Musiker bei der Herausgabe ihrer Texte oder Musik einen Primäranspruch oder eine direkte Vergütung erhalten, so lebt der bildende Künstler vom unmittelbaren Verkauf seiner Werke oder auch von der Nutzung von Abbildungen seiner Werke. Der bildende Künstler lebt also von der Verwertung, der Nutzung seiner Werke, genau wie jeder andere Künstler auch. Was Sie mit dem unverzichtbaren Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Ausstellungsvergütung bezwecken, ist letztlich nichts anderes als eine Sozialleistung in einem anderen Gewand. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä? – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine komische, krude Bezeichnung! Erklären Sie das mal dem BBK!) Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: Kunst gibt es nur für und durch andere. – Gemeint hat er damit, dass das Kunstwerk als Kunstwerk nur in der Kommunikation mit seinem Betrachter existiert. Die Gefahr ist, dass genau diese Kommunikation eingeschränkt würde, wenn es eine Ausstellungsvergütung gäbe. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bezweifle ich aber stark!) Es sind doch gerade die modernen, zeitgenössischen Künstler, die auf ein Gezeigtwerden ihrer Werke so dringend angewiesen sind, und das in einem Umfeld, in dem zeitgenössische Kunst für Museen leider allzu oft ein finanziell kaum mehr zu stemmendes Wagnis ist. Insofern ist es richtig – was auch der Kollege Lengsfeld schon angesprochen hat –: Wir müssen andere Wege finden, um etwa Museen zu unterstützen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie suchen gar nicht danach! Warum nicht?) Der Deutsche Museumsbund warnt beispielsweise explizit davor, dass gerade die weniger finanzkräftigen kleineren Museen Leidtragende einer Ausstellungsvergütung sein könnten. Auch privat organisierte Kunstvereine müssten sich gut überlegen, eine Ausstellung zu organisieren; denn meistens übernehmen sie doch ohnehin die Kosten für Räumlichkeiten, Werbung und anderes. Das Risiko, nicht namhafte Künstler auszustellen, würde dann wohl niemand mehr eingehen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Argumentation ist genauso ein alter Hut! Unglaublich! Das geht alles auf Kosten der Künstlerinnen und Künstler!) Letztendlich führt eine verpflichtende Ausstellungsvergütung also in vielen Fällen zu insgesamt weniger Ausstellungen der Werke lebender Künstlerinnen und Künstler. Ausstellungen sind immer auch Verkaufsförderungsmaßnahmen, unabhängig davon, ob ein Werk letztlich gekauft wird oder nicht; denn das entzieht sich ohnehin der Vorhersehbarkeit. Gerade deshalb erscheint es sinnvoll, möglichst vielen Künstlerinnen und Künstlern zumindest die Chance zu eröffnen, Käufer für ihre Werke zu finden; denn um wirklich von der eigenen Kunst leben zu können, muss ein Künstler verkaufen, und dafür muss die Kunst präsent sein. Zumal: Eine Ausstellungsvergütung würde bei zeitgenössischen Künstlern, die noch keine größere Bekanntheit erlangt haben, wahrscheinlich ohnehin nicht in relevantem Maße zur Existenzsicherung beitragen. Gleichzeitig würde sie aber in vielen Fällen verhindern, dass der Künstler schnell bekannt werden kann. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, den Paradigmenwechsel haben Sie noch nicht verstanden!) Das moderne Künstlerbild ist etwas relativ Neues. Bis tief ins 19. Jahrhundert hinein regierte die Auftragskunst. Natürlich wünschen wir keiner Künstlerin und keinem Künstler, dass ihre oder seine Kunst brotlos bleibe. Natürlich wissen wir, dass der Kunstmarkt seinen eigenen, oftmals nur schwer nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten folgt. Das ist bisweilen vielleicht auch schmerzhaft. Gleichwohl halten wir den mit dem Antrag gemachten Vorschlag nicht für zielführend. Wir werden den Antrag natürlich weiter beraten, aber ihm wahrscheinlich nicht zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Diese Diskussion soll im Ausschuss für Kultur und Medien fortgesetzt werden. Dazu ist es notwendig, dass wir die Vorlage auf Drucksache 18/12094 an den Ausschuss überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr. 8 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/12146 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wenn die Privatgespräche eingestellt würden, könnten wir die Aussprache eröffnen. – Jetzt erhält das Wort für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist zwar erst knapp zehn Jahre in Kraft, aber es musste schon mehrfach novelliert werden, weil der Europäische Gerichtshof wesentliche Vorschriften für europarechtswidrig erklärt hatte. Die letzte Novellierung und damit auch die letzte Bundestagsdebatte sind gerade einmal 18 Monate her. Genau an dem Tag, an dem wir die letzte Novellierung beraten haben – das war der 15. Oktober 2015 – hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bereits die nächste Entscheidung zur Vereinbarkeit des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes mit dem europäischen Recht gefällt. Sie können es erraten: Zum dritten Mal hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz nicht den Vorgaben des Unionsrechts entspricht. Wir sind uns sicher alle einig: Das war keine gute Bilanz für so ein junges Gesetz. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung hat das Ziel, das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz an die europa- und völkerrechtlichen Vorgaben anzupassen. Der Entwurf setzt erstens die Vorgaben des EuGH-Urteils vom 15. Oktober 2015 um. So vermeiden wir die Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens wegen fehlerhafter Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfungs- und Industrieemissions-Richtlinie. Auch wenn die Höhe des Zwangsgeldes eine kleinere Dimension hat als zum Beispiel bei dem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung, das wir heute Morgen debattiert haben: Es sind doch Steuergelder. Deswegen ist es wichtig, dass wir das Problem jetzt lösen und dass kein Zwangsgeld verhängt wird. Zweitens dient der Gesetzentwurf dazu, das völkerrechtliche Compliance-Verfahren gegen Deutschland im Rahmen der Aarhus-Konvention zu beenden. 2014 hatte die Konferenz der Vertragsstaaten festgestellt, dass Deutschland in zwei Punkten seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen beim Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten nicht nachgekommen ist. Mit den Änderungen am Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, können diese beiden Ziele erreicht werden. Der Gesetzentwurf setzt das um, was europarechtlich und völkerrechtlich zwingend notwendig ist. Dazu gehören unter anderem die Erweiterung der Klagemöglichkeiten für Umweltverbände und die Abschaffung der materiellen Präklusion. Gleichzeitig beschreiten wir beim verwaltungsprozessualen Rechtsschutz in einem großen Teil des Anwendungsbereichs des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes aber auch neue Wege. Wir schaffen die Möglichkeit, dass das Gericht bei einer Verletzung materieller Rechtsvorschriften die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht aufhebt, sondern eine nachträgliche Heilung dieses materiellen Fehlers zulässt. Das ist für Investoren und Unternehmen eine ganz erhebliche Erleichterung; denn es bedeutet konkret, dass nicht mehr das gesamte Genehmigungsverfahren wiederholt zu werden braucht, sondern eine Korrektur des vom Gericht beanstandeten Fehlers ausreicht. Der in den Ausschüssen beratene Gesetzentwurf hat den Spielraum, der durch das europäische Recht und das Völkerrecht gegeben wird, voll ausgeschöpft. Die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses greift im Einklang mit der Gegenäußerung der Bundesregierung Anregungen des Bundesrates auf. Darüber hinaus enthält sie neben Folgeänderungen rechtstechnischer Natur einige punktuelle Änderungsvorschläge sowie eine Entschließung. Diese Vorschläge entwickeln den Gesetzentwurf fort, um im Rahmen der Beratungen aufgeworfenen Bedenken so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Meine Damen und Herren, Einstein hat heute Konjunktur. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Lateinzitate sind angesagt!) Eigentlich wollte ich jetzt genau das Gleiche sagen – das passt nämlich auch hier –: Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung. Aber eigentlich kann man bei diesem Gesetz etwas viel Besseres anbringen: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. In diesem Fall hat es etwas länger gedauert, dass die Denkweisen sich geöffnet haben und wir zu einer Lösung gekommen sind. Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass wir das Gesetz heute verabschieden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Hubertus Zdebel. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist ein sperriges Thema. Außerhalb dieses Hohen Hauses und abgesehen von einigen Expertinnen und Experten kann kaum jemand, glaube ich, wirklich etwas damit anfangen. Ich sage ganz kurz Folgendes dazu: Jeder Mensch hat Klagerechte bei staatlichen Entscheidungen über die Umwelt. Aber die Bundesregierung setzt die völkerrechtlich bindende Aarhus-Konvention, die Deutschland mit unterschrieben hat, seit 15 Jahren nur sehr restriktiv um. Die Entscheidungen des Aarhus Convention Compliance Committee und des Europäischen Gerichtshofs haben deutlich gemacht, dass die deutschen Bestimmungen über die gerichtliche Kontrolle von umweltbezogenen Verwaltungsentscheidungen völlig unzureichend sind. Die Bundesregierung hat jedoch die notwendigen Konsequenzen verweigert. Ihr Änderungsentwurf zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz provoziert neue Verurteilungen. Daran haben die Ausführungen der Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung des Umweltausschusses am 26. September 2016 keinen Zweifel gelassen. Das ist also schon gut und gerne ein halbes Jahr her, und wir hatten eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass sich die Bundesregierung bzw. die Koalitionsfraktionen in dieser Legislaturperiode noch auf irgendetwas verständigen könnten. Im Nachgang betrachtet wäre es besser gewesen, sie hätten sich auf nichts verständigt; denn das, was hier vorgelegt worden ist, ist definitiv nicht die Umsetzung dessen, was in der Aarhus-Konvention festgeschrieben worden ist. Monatelang haben SPD und CDU/CSU die Behandlung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Umweltausschuss vor sich hergeschoben. Doch statt nun einen Antrag vorzulegen, der die schwerwiegenden Defizite des Regierungsentwurfs beseitigt und europäischen sowie internationalen Anforderungen genügt, will die Große Koalition die geplanten restriktiven Bestimmungen sogar verschärfen. Im Interesse der Industrie soll heute ein Artikelgesetz verabschiedet werden, das effektive und umfassende Klagerechte von Umweltorganisationen nicht ermöglichen, sondern weitgehend verhindern soll. Das ist ein handfester Skandal und nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es muss endlich mit der Privilegierung von Bergbauvorhaben Schluss sein. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz muss auch für bergrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen zum Beispiel bei Fracking-Vorhaben Anwendung finden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir Linken fordern: Die Bestimmung, Raumordnungspläne, die Flächen für den Abbau von Rohstoffen ausweisen, von der Klagebefugnis auszunehmen, ist ersatzlos zu streichen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jedes staatliche Handeln muss gerichtlich auf Übereinstimmung mit den Vorschriften des Umweltrechts überprüfbar sein. (Beifall bei der LINKEN) Auch das ist nicht der Fall. Bisher war es in Deutschland nicht möglich, Argumente zur Klagebegründung vor Gericht vorzubringen, falls diese nicht bereits im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren vorgetragen wurden. Das war die Vergangenheit. Diese „materielle Präklusion“ – so der Fachterminus – hat der Europäische Gerichtshof inzwischen gekippt. Nun will die Bundesregierung das EuGH-Urteil mit einer Missbrauchsklausel aushebeln. Auch das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Einführung der Präklusion durch die Hintertür lehnen wir entschieden ab. Die Fraktionen von SPD und CDU/CSU setzen dem Ganzen allerdings mit ihrem Änderungsantrag jetzt noch die Krone auf. Sie wollen die Klagerechte durch einen Änderungsantrag, der gestern im Umweltausschuss schon beschlossen wurde, noch weiter einschränken. So sollen bestimmte Verwaltungsakte nach zwei Jahren nicht mehr beklagt werden können. Dies soll sogar gelten, wenn die Kläger gar keine Chance hatten, davon zu erfahren, selbst wenn sie widerrechtlich verschwiegen wurden. Damit öffnen Sie Missbrauch Tür und Tor. Auch das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der Klagebegründungsfrist wird noch einmal sehr deutlich, dass Sie Umweltorganisationen gegenüber Verwaltung und Industrie benachteiligen wollen. Während Sie dem Gericht für die Kläger eine Fristsetzung von zehn Wochen vorschreiben, gelten für Beklagte und Beigeladene keinerlei Fristen für Stellungnahmen. Die Linke lehnt den Beschlussvorschlag der Bundesregierung und der Großen Koalition ab. Wir fordern eine rechtskonforme Überarbeitung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, wie es der Aarhus-Konvention entspricht. Wir fordern Sie daher auf, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen, denn der gehört tatsächlich in den Mülleimer. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Oliver Grundmann. (Beifall bei der CDU/CSU) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Neujustierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. „Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz“ – das ist ein sperriger Begriff. Die Materie dahinter – das will ich hier nicht verhehlen – ist auch ein Stück weit sperrig, hochjuristisch und eben auch hochkomplex. Sie ist aber von einer weitreichenden Bedeutung. Eben deshalb haben wir uns auch so viele Monate Zeit genommen, darüber zu diskutieren. Wir haben das getan, weil wir der Auffassung sind, dass Sorgfalt vor Schnelligkeit geht. Ich will hier an dieser Stelle sagen: Wir machen die gebotene Novelle nicht freiwillig. Es geht hier um europa- und völkerrechtliche Vorgaben, die wir nun einmal umsetzen müssen. Das haben wir mit dem vorliegenden Entwurf auch vollumfänglich getan. Fakt ist aber auch: Die Umweltverbände bekommen wieder mehr Klagerechte. Das muss uns aufhorchen lassen. Stichwort „Energiewende“: Da stehen wir vor einer gewaltigen Herausforderung. Das muss ich hier in diesem Hause niemandem erzählen. Genau genommen stehen wir schon mitten drin in dieser Herausforderung. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Wir stehen mehr, als dass wir so richtig vorankommen. Wenn ich mir zum Beispiel den Leitungsausbau, speziell in Niedersachsen, anschaue, dann muss ich sagen: Da wird gebremst, diskutiert, abgewogen, aber leider nicht gebuddelt und verlegt. Da kommt auch unsere Landesregierung leider überhaupt nicht in dem gebotenen Maße in die Gänge. Das hat auch Sigmar Gabriel damals als Wirtschaftsminister in aller Schärfe kritisiert. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir die Energiewende wirklich wollen – ich glaube, darin sind wir uns hier im Hause alle einig –, dann brauchen wir den unbedingten Willen der Politik, dann brauchen wir ein gesundes Klima für Investoren und dann brauchen wir eben auch Rechtssicherheit, das heißt schnelle und effiziente Genehmigungsverfahren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber keine Einschränkungen im Umweltrecht!) Wenn wir uns einmal ganz ehrlich machen, muss man sagen: Die Verbandsklage ist nicht gerade das Gaspedal, um unsere Projekte auf die Überholspur zu bringen. Im Gegenteil: Bereits heute werden zahlreiche Projekte gerichtlich angefochten, verzögert oder verschleppt. Teilweise ist das ideologisch motiviert nach dem Motto: „Jedes größere Infrastrukturprojekt ist per se erst einmal böse.“ Aber nicht nur ideologischer Übereifer bremst uns aus. Der andere Übeltäter, der quasi hausgemacht ist, ist häufig eben auch bürokratischer Irrsinn. Im Ausschuss hatte ich das sagenumwobene Beispiel aus einer Samtgemeinde in meinem Wahlkreis genannt. Dort sollten 2013 sechs neue Windenergieanlagen entstehen. Weil ein Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung den öffentlichen Aushang einen Tag zu früh wieder weggenommen hatte, musste das gesamte Genehmigungsverfahren komplett neu aufgerollt werden. Ich hatte mir im Vorfeld der Anhörung vom Betreiber die entstandenen Zusatzkosten auflisten lassen. Der Fehler eines Gemeindemitarbeiters, einen Tag zu früh den Zettel wieder aus dem Glaskasten herauszunehmen, verursacht in Deutschland in diesem Fall 100 000 Euro für zusätzliche Bauplanungskosten, 130 000 Euro für ein Uhu-Monitoring inklusive der Nahrungsfläche von 1 Hektar für den Uhu, zusätzliche 25 000 Euro an Mehrkosten für die Baugenehmigung wegen einer danach folgenden Gebührenerhöhung und sage und schreibe 1,2 Millionen Euro für eine geringere Einspeisevergütung für die ersten fünf Jahre. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kollegin hat vorhin davon geredet, Windkraft zu verhindern! Die freut das wahrscheinlich!) Die Realisierung dieses Windparks wurde um Jahre zurückgeworfen, und der Schaden ging in die Millionen, und alles im Grunde wegen einer Lappalie. Mit dem jetzt vorliegenden Entwurf haben wir deshalb zwei Ziele verfolgt. Zum einen kommen wir unserer völkerrechtlichen Verpflichtung nach. Klar, die Opposition hätte gerne gesehen, dass wir über die Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen und das Ganze für alle Zeiten absolut wasserdicht machen. Lieber Peter Meiwald, du hast ja gestern im Ausschuss gesagt, dass wir in Brüssel nicht gerade durch Strebertum in Sachen Verbandsklagerecht auffallen würden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch Bremsertum!) Da gebe ich dir auch ausdrücklich recht. Das ist so, und das ist unserer Meinung nach auch gut so. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Wir als CDU/CSU verfolgen nämlich eine grundsätzlich andere Argumentationslinie. Ich will einmal die Frage ganz offen stellen: Was ist uns denn überhaupt wichtiger in unserem Land? Worin sollten wir wirklich Vorbild in Europa sein? Ist es wichtiger, im vorauseilenden Gehorsam geradezu streberhaft jede EU-Vorgabe überzuerfüllen, oder ist es wichtiger, als vielleicht erste Industrienation die Mammutaufgabe Energiewende zu stemmen, und das auch erfolgreich? Wir als CDU/CSU haben da für uns eine ganz klare Antwort gefunden: Wir lassen es jedenfalls nicht zu, dass die Aarhus-Bürokratie und EuGH-Urteile wichtige Investitionsentscheidungen lähmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Bürgerbeteiligung!) Wie unsinnig und teuer das ist, habe ich anhand dieses einen Beispiels ja schon vorgerechnet. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb haben wir noch ein zweites Ziel ins Auge gefasst: Wir wollen die Verfahren einfacher und schneller machen. Wir haben intensiv überlegt, wo wir innerhalb der Eins-zu-eins-Umsetzung Möglichkeiten für mehr Rechtssicherheit und für spürbare Verfahrensbeschleunigungen schaffen können. Wir haben hierzu entsprechende Änderungsanträge formuliert, die wir als absolut sinnvoll und auch als absolut notwendig erachten, wie zum Beispiel die Einführung einer zweijährigen Klagefrist für Rechtsbehelfe, die unseren Investoren endlich mehr Planungs- und Rechtssicherheit gibt, oder die Einführung einer Klagebegründungsfrist, die also nicht mehr im Ermessen der Gerichte steht. Auch damit entlasten wir die Gerichte und straffen die Verfahren. Wir schaffen effiziente Möglichkeiten der Fehlerheilung, damit Genehmigungsverfahren nicht komplett wiederholt werden müssen, wenn zum Beispiel der Gemeindemitarbeiter den Aushang zu früh wegnimmt. Das ist dann auch kein Weltuntergang. Dann holt man diesen Tag nach und erspart unserer Volkswirtschaft Hunderttausende Millionen von Euro. Wir tun wirklich etwas Gutes für die Umwelt, wenn die Windkraftanlagen dadurch zum Beispiel früher ans Netz gehen können. Warum diese Verfahrensbeschleuniger so wichtig sind, zeigt dieser Windpark in meiner Samtgemeinde. Mein Wahlkreis zwischen Elbe und Weser ist vielfältig, groß und wunderschön. Deshalb möchte ich noch ein zweites Beispiel nennen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Beispiel, dass zehn Minuten Redezeit zu viel sind!) In der kommenden Woche kommt am Wochenende der taiwanesische Botschafter zu Besuch. Das wird ein großartiger Tag. Darauf freue ich mich schon. Wir wollen gemeinsam mit einem Container voller Äpfel in See stechen und quasi symbolisch den ersten Container Altländer Obst nach Taiwan über das Tor zur Welt in Hamburg verschiffen. Nebenbei ist auch noch Hamburger Hafengeburtstag. Das wird also eine richtige Sause mit Matjesbrötchen und Bier auf dem Schiff. Der Botschafter wird dann am nächsten Tag auch noch die Altländer Blütenkönigin küren. Das wird also eine richtig tolle Sache werden. Worauf ich mich aber weniger freue – das will ich an dieser Stelle auch sagen –, sind die müden und ermatteten Augen seiner Exzellenz, wenn er in Stade erschöpft aus seinem Wagen steigt. Die Fahrt nach Stade macht nämlich überhaupt keinen Spaß. Die Luftlinie zwischen der Hansestadt Hamburg und meiner kleinen Hansestadt Stade beträgt exakt 34,62 Kilometer, gemessen von Rathaustür zu Rathaustür. Mit meinem VW-Bus – ich habe einen T5 und bin kein Superschnellfahrer; aber er hat ordentlich PS – brauche ich je nach Verkehrslage eine Stunde fünf Minuten bis zu zwei Stunden – zwei Stunden für nicht einmal 35 Kilometer Fahrstrecke! (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre besser mit dem Fahrrad!) Dann werde ich nächste Woche dem Botschafter – es ist eigentlich immer das Gleiche, wenn mich Persönlichkeiten in Stade besuchen – erklären müssen, dass wir 40 Jahre lang für die Planung einer Autobahn gebraucht haben. Vor 40 Jahren war Taiwan in weiten Teilen noch ein armer Agrarstaat. Heute ist er eine hochtechnologisierte Volkswirtschaft. Wie soll ich meinem Freund Herrn Professor Dr. Jhy Wey Shieh erklären, warum das so lange dauert? Wie soll ich ihm erklären, dass Deutschland als eine der vielleicht stärksten Industrienationen der Welt, ein Land, dem man im Grunde alles zutraut, sogar die Energiewende – wenn es einer schafft, dann sind wir das –, es nicht schafft, 40 lächerliche Autobahnkilometer zu bauen? Ich will damit sagen – hier bin ich ganz schnell bei den Entschließungsanträgen der Opposition –: Sie wollen, wenn ich es richtig gelesen habe, die Klagebefugnis der Umweltverbände ausnahmslos auf alle umweltrelevanten Entscheidungen ausdehnen, also insbesondere auch den Bundesverkehrswegeplan, den wir im letzten Jahr beschlossen haben, zum Gegenstand von Verbandsklagen machen. (Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]) Zwei Dinge hierzu. Erstens. Ich möchte in meinem Wahlkreis keine weiteren 40 Jahre auf die Autobahn A 26 oder die A 20 warten. Ich habe den Bürgern meines Wahlkreises versprochen, dass ich alles dafür tun werde, dass diese Autobahn endlich fertig wird und dass die Staus endlich aufhören, die Belastungen für die Anwohner, Tausende Lkws am Tag, endlich ein Ende haben werden und dass es – das ist ein ernstes Thema; hier bitte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit –auf dieser Strecke endlich weniger Verkehrstote gibt. Die B 73 ist die Todesstrecke in Deutschland. Das können Sie im Internet nachlesen. Sie ist die Straße mit den meisten Verkehrstoten in Deutschland. Das will und das werde ich ändern. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine harte Ankündigung!) Zweitens. Hier muss ich Sie leider enttäuschen: Den Bundesverkehrswegeplan für Verbandsklagen zu öffnen, funktioniert auch rechtlich gar nicht. Der Bundesverkehrswegeplan ist nämlich außen vor, weil er Ausbaugesetze vorbereitet, gegen die ein unmittelbarer Rechtsbehelf ausgeschlossen ist. Ohnehin fordert die Aarhus-Konvention nirgendwo, dass oberste Planungsebenen anfechtbar sein müssen. Damit wir uns nicht falsch verstehen, zum Schluss noch ein paar versöhnliche Worte. Auch ich bin für den Schutz der Natur. Ja, die anerkannten Umweltverbände erfüllen eine wichtige Aufgabe in diesem Land; das ist überhaupt keine Frage. Aber ich bin auch Praktiker, der jahrelang im Bereich Umweltdienstleistungen tätig war. Ich kenne den Umweltschutz daher nicht nur aus Anträgen. Ich weiß, welche Folgewirkungen ein kleiner Pinselstrich in einem solchen Gesetz entfalten kann. Dann gehen Investitionen schnell in die Binsen, weil das Risiko einfach zu groß ist. Deshalb müssen wir ökologische und ökonomische Interessen, aber auch die Interessen der einfachen Bürger unter einen Hut bringen. Ich glaube, das ist uns mit dem vorliegenden Entwurf wirklich gut gelungen. Wir haben die Eins-zu-eins-Umsetzung. Wir haben die Verfahrensbeschleunigung, und wir haben mehr Rechtssicherheit. Ich glaube, damit können wir alle gut leben. Es ist ein wirklicher Fortschritt, ein Erfolg. Deshalb bedanke ich mich ganz herzlich bei Herrn Dr. Miersch und den Vertreterinnen und Vertretern des BMUB für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir haben etwas Gutes gemacht. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Oliver Grundmann. – Schönen Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einen Wechsel vorgenommen, wie Sie sehen und hören können. – Letzter Redner in dieser Debatte: Peter Meiwald für Bündnis 90/Die Grünen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Warum eigentlich hat die Mehrheit in diesem Haus so viel Angst davor, dass die Einhaltung von Gesetzen in unserem Land von Gerichten überprüft werden kann? Sind die Gesetze, die wir hier machen, so schlecht, dass man Angst davor haben muss, dass bei Gericht überprüft werden kann, ob sie eingehalten werden? Ein solches Bild zu vermitteln, kann doch nicht in unserem Interesse als Parlamentarier sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht heute hier um nicht weniger als die Frage, ob in Deutschland im Umweltbereich „recht haben“ und „recht bekommen“ endlich in Einklang gebracht werden, und das viele Jahre, nachdem die Aarhus-Konvention von unserer Regierung unterzeichnet und von unserem Parlament ratifiziert worden ist. Völkerrecht ist doch nicht immer wieder neu zu diskutieren; Völkerrecht muss Bestand haben. Wir haben vorhin schon von den Lateinern gehört: Pacta sunt servanda. – Das wissen wir doch alle hier. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lieber Oliver Grundmann, die Beispiele, die gerade gebracht worden sind, zeigen doch: Gerade bei den großen Infrastrukturprojekten leben wir davon, dass wir Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Das tun wir eben nur, wenn wir die Grundlagen des Rechtsstaates stabilisieren, und nicht, wenn wir uns davor verstecken, dass Entscheidungen, die getroffen worden sind, vor Gericht kontrolliert werden. Was wollen wir erreichen? Umweltverbände sollen ein umfassendes Verbandsklagerecht erhalten. Was heißt das denn konkret? Flugrouten werden in der Regel durch Verordnung festgelegt. Es muss doch kontrollierbar sein, ob sie mit unseren Umweltgesetzen in Einklang zu bringen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das gilt in der Tat auch für Raumordnungspläne im Zusammenhang mit der Windenergie. Aber wir Grüne können es nicht auf uns sitzen lassen, wenn Sie glauben machen wollen, die Energiewende in Deutschland würde durch ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz oder das Verbandsklagerecht für Umweltverbände ausgebremst. Ausgebremst wird die Energiewende in diesem Land im Moment von Ihrer Bundesregierung im Verbund mit Herrn Seehofer aus Bayern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Man kann über Sonnensteuer, über Ausbauobergrenzen reden; das haben wir in den letzten Jahren hier getan. Welche Geisteshaltung gerade Sie von der Unionsfraktion an den Tag legen, hat uns doch die Rede von Kollege Koeppen vorhin in der anderen Debatte noch einmal deutlich gemacht. Die Energiewende ist doch in großen Teilen Ihrer Fraktion – Oliver, da nehme ich dich gerne aus – gar nicht gewollt; das Ziel ist es doch gerade, sie auszubremsen. Das kann man nicht den Umweltverbänden in die Schuhe schieben, indem man jetzt sagt, das Verbandsklagerecht wäre dafür verantwortlich, dass die Energiewende in Deutschland in den letzten Jahren ins Stocken gekommen ist. Dafür ist diese Bundesregierung – und nur sie – verantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Konkret: Die Regierungskoalition legt hier mit monatelanger Verzögerung einen Gesetzentwurf vor, der den Zustand der völkerrechtlichen Kritikwürdigkeit – das ist noch freundlich ausgedrückt – endlich beenden soll, und sie legt – das ist das Erstaunliche; wir haben es schon gehört – gleich noch einen Entschließungsantrag dazu. Wenn es der Sache wegen nicht so traurig wäre, wäre das eigentlich ein amüsanter Vorgang: Die Regierungskoalition macht sich selbst zu ihrer Opposition, indem sie in einem Entschließungsantrag die zukünftige Bundesregierung auffordert, endlich ein Gesetz zu schaffen, das völkerrechtskonform ist. Das ist absurdes Theater. Da wird dem Bürger und der Bürgerin vorgespiegelt, dass dieses Parlament nicht in der Lage ist, selber ein Gesetz zu machen, das den internationalen Vorgaben gerecht wird. Das kann nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Alle Experten, bis auf den Vertreter des BDI, haben in der Anhörung – Hubertus Zdebel hat darauf hingewiesen – deutlich zum Ausdruck gebracht, dass mit diesem Gesetzentwurf das Völkerrecht weiter ignoriert wird. Wir haben gedacht, die darauffolgenden sechs, sieben oder acht Monate würden dafür genutzt, diese Defizite zu beseitigen. Aber das, was wir heute hier vorgelegt bekommen, wird dem in keiner Weise gerecht. Wir müssen feststellen: Trotz der Dutzenden Veröffentlichungen in der Rechtsliteratur und einer Reihe von Urteilen der europäischen Gerichte und drohender Strafzahlungen an die Europäische Union hat sich die Bundesregierung entschlossen, diesen mehr als ungenügenden Entwurf in die heutige Schlussabstimmung im Parlament zu geben. Das Thema der Präklusion hat Hubertus Zdebel gerade schon ausgeführt; dies ist nur eines von vielen Beispielen. Das kann nicht sein. Insofern werden wir Grüne selbstverständlich diesen fehlerhaften Gesetzentwurf ablehnen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Peter Meiwald. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12146, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/9526 und 18/9909 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Es gibt keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12146 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12160. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen waren CDU/CSU und SPD. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12161. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Niemand enthält sich. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c sowie Zusatzpunkt 5 auf: 16.   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe – Familien gezielt unterstützen Drucksache 18/12110 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Familien stärken – Kinder fördern Drucksachen 18/10473, 18/12156 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksachen 18/9007, 18/12156 ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kindern sichern Drucksachen 18/4307, 18/11592 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wurde ein bisschen geunkt, dass wir so spät am Abend noch über Familienpolitik diskutieren. Aber ich denke, wir sind uns alle einig, dass es nie zu spät ist, etwas für die Kinder und die Familien zu tun. Es ist ja auch leider so, dass die Legislaturperiode schon relativ weit fortgeschritten ist. Umso wichtiger wäre es, dass die Bundesregierung wirklich damit anfängt, die Ärmel hochzukrempeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Wenn es um die Bekämpfung von Kinderarmut geht, wenn es darum geht, dass Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern haben, wenn es um die Qualität in den Kitas geht oder wenn es darum geht, Eltern darin zu unterstützen, Erwerbs- und Familienarbeit endlich besser partnerschaftlich untereinander aufteilen zu können: Hier wünscht sich die große Mehrheit der jungen Eltern Unterstützung. Wenn man sich all diese Herausforderungen anschaut, dann sieht man, dass sich diese Bundesregierung in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert hat, und sie darf sich nicht weiter wegducken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir erleben jetzt – der Bundestagswahlkampf lässt grüßen –, wie sich Union und SPD darin überbieten, was sie alles für die Familien zu tun gedenken. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Sie sind da ganz anders, was?) Sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich mehr als durchsichtig. Union und SPD stellen die Bundesregierung. Sie können jetzt handeln, und Sie hatten dafür schon dreieinhalb Jahre Zeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Koalitionsvertrag steht – ich zitiere –: Wir setzen „auf einen Dreiklang von Zeit für Familien, guter Infrastruktur und materieller Sicherheit.“ Was ist daraus geworden? So gut wie nichts. Stichwort „Kinderarmut“: Der Anteil armer und von Armut bedrohter Kinder und Jugendlicher ist in den letzten Jahren sogar gestiegen, und das trotz der guten Wirtschaftslage. Ich finde es skandalös, dass die Bundesregierung hier nicht handelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Noch immer decken die Regelsätze das Existenzminimum der Kinder nicht. So kann Teilhabe in unserer Gesellschaft nicht funktionieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wahrscheinlich wird sich die Koalition gleich wieder für die Erhöhung des Kinderzuschlags loben. Aber der Kinderzuschlag, so wie wir ihn haben, ist eine Fehlkonstruktion, weil nur 30 Prozent der Anspruchsberechtigten ihn tatsächlich in Anspruch nehmen. Da wir wissen, dass der Kinderzuschlag gebraucht wird, um in Familien mit geringem Einkommen das Existenzminimum der Kinder zu decken, müsste das bei uns allen die Alarmglocken läuten lassen. Deshalb wollen wir den Kinderzuschlag weiterentwickeln. Er muss automatisch ausgezahlt werden. Und wir wollen ihn so stricken, dass mehr Familien einen Anspruch darauf haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wollen Familien grundsätzlich entlasten, auch Familien mit einem ganz normalen Einkommen. Es ist einfach ungerecht, dass Familien mit einem besonders hohen Einkommen über die Freibeträge von der staatlichen Unterstützung überproportional profitieren. Sie profitieren stärker als Familien, die einfach nur Kindergeld bekommen. Deshalb setzen wir uns auch für eine einkommensunabhängige Kindergrundsicherung ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun gibt es fast überall eine Diskussion über das Ehegattensplitting. Auch in der Union ist es offensichtlich nicht mehr sakrosankt. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Was?) Was wir aber unter diesem Label „Familiensplitting“ hören, ist kein Fortschritt. Das Kernproblem des Ehegattensplittings ist, dass nur Familien mit hohem Einkommen davon profitieren, dass nur Paare mit einem unterschiedlich hohen Einkommen davon profitieren. Deshalb sagen wir ganz klar: Die Unterstützung muss unmittelbar beim Kind ansetzen; sie muss unabhängig vom Einkommen der Eltern sein und unabhängig vom Familienstand. Nur das ist gerecht, und aus unserer Sicht spiegelt nur das die Vielfalt der Familien wider, so wie wir sie heute in Deutschland haben. Stichwort „Mehr Zeit für Familien“: Die Ministerin macht ja große Ankündigungen. Sogar einen Gesetzentwurf sollte es geben. Aber wenn es darum geht, über konkrete Vorschläge hier im Parlament zu entscheiden, dann kommt überhaupt nichts. Vier Jahre wurden komplett verschenkt. Dabei gibt es doch auch hier ganz dringenden Handlungsbedarf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Weinberg, Sie haben gestern in der Ausschussbefassung gesagt, unsere KinderZeit Plus sei zu komplex. Wir sagen: Eine Leistung, die flexibel ist, die sich der Lebenssituation der Familien gut anpasst, die den Familien den größtmöglichen Spielraum gibt, kann halt nicht 150 Euro Betreuungsgeldpauschale sein. Vielleicht sollte man sich eine solche Kritik sparen, wenn man selbst überhaupt keine Vorschläge macht, wie Familien wieder mehr Zeit füreinander bekommen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Die kostet über 10 Milliarden!) Vizepräsidentin Claudia Roth: „Zeit“ ist ein gutes Stichwort. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Zeit“ ist ein gutes Stichwort. Ich komme zum Schluss. – Die familienpolitische Bilanz dieser Regierung ist dürftig. Wir legen heute noch einmal zu den relevanten Bereichen sehr konkrete Vorschläge vor. Es ist entlarvend, dass wir von Union und SPD in diesem Zusammenhang nur schöne Reden hören. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die kommen erst noch!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Wir haben erst 1,2 Milliarden auf den Weg gebracht für die Kinderbetreuung, vor zwei Stunden!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächster Redner: Markus Koob für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Markus Koob (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Schön, dass trotz der späten Stunde noch einige auf den Tribünen die Diskussion verfolgen. Wir haben heute gleich drei Anträge vorliegen, über die man reden könnte. Ich möchte mich vorwiegend auf den Antrag mit dem Titel „Familien stärken – Kinder fördern“ konzentrieren. Das ist ein Motto, dem sicherlich alle Fraktionen hier in diesem Hause vorbehaltlos zustimmen würden und das sie sich auf die Fahne schreiben würden. Nachdem ich Ihren Redebeitrag, Frau Dörner, gehört habe, frage ich mich schon, ob wir in den letzten dreieinhalb Jahren in unterschiedlichen Ausschüssen gearbeitet haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist naturgemäß so, dass die Opposition das Recht hat, Dinge zu kritisieren, immer mehr zu fordern und dabei auch keine Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was ihre Forderungen und Vorschläge eigentlich kosten. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Regierung fordert doch immer mehr momentan!) Aber zu behaupten, dass in den letzten dreieinhalb Jahren nichts geschehen sei, ist wirklich absurd. Wir haben gemeinsam mit der SPD in diesen dreieinhalb Jahren das Elterngeld Plus eingeführt. Wir haben den Unterhaltsvorschuss ausgeweitet. Wir haben den Mindestlohn eingeführt. Wir haben den Kinderzuschlag und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende erhöht. Wir haben Maßnahmen getroffen, um die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zu fördern. Wir haben – das ist noch keine vier Stunden her – gerade beschlossen, dass der Bund weitere Milliarden in die Hand nimmt, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine!) um weitere 100 000 Plätze für die Kinderbetreuung in diesem Land zu schaffen, und das, obwohl wir dafür gar nicht zuständig sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Man kann ja gerne fordern, dass wir immer mehr machen müssten, aber zu behaupten, dass wir nichts getan hätten, ist, glaube ich, angesichts dieser Bilanz wirklich absurd. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie legen hier einige Forderungen vor, die man zwar stellen kann, die allerdings in ihrer Größenordnung einen zweistelligen Milliardenbetrag bedeuten würden. Allein zur Umsetzung des Punktes mit der Kindergrundsicherung müssten wir den kompletten Etat des Familienministeriums verdoppeln. Das kann man fordern. Dann müssen Sie allerdings auch sagen, woher Sie dieses Geld nehmen wollen, wie Sie das finanzieren wollen. Bei Ihren Anträgen lassen Sie auch völlig außer Acht, dass es vor allem zwei Maßnahmen gibt, die dafür sorgen, dass Familien wirtschaftlich in der Lage sind, für sich und ihre Kinder zu sorgen. Der eine Aspekt ist, dass Armut am nachhaltigsten nicht durch Sozial- und Transferleistungen, sondern durch Arbeit verhindert wird. Eltern eine gute Arbeit zu ermöglichen, ist deshalb der wichtigste Aspekt, um Kinderarmut auch in den nächsten Jahren anzugehen und zu verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade in den letzten Jahren haben wir unter anderem mit der Einführung des Mindestlohns – das war nicht bei jedem von uns ein Herzensanliegen – viel erreicht. Wenn man sich jetzt die Bilanz anschaut, sieht man, dass die Einführung des Mindestlohns tatsächlich dazu geführt hat, dass viele Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind. Das ist ein wichtiger Trend, der zeigt, dass immer mehr Menschen in der Lage sind, von ihrer Arbeit zu leben. Daran müssen wir als Politik in den nächsten Jahren weiterarbeiten. Der zweite Aspekt – auch darüber haben wir eben lange diskutiert – ist der weitere bedarfsgerechte Ausbau der Kindertagesbetreuung. Wir haben, wie gesagt, vorhin beschlossen, weitere 100 000 Plätze in diesem Land zu schaffen. Auch da haben Sie moniert, das alles sei nicht genug, das alles sei nicht ausreichend. Wir haben vorhin auch schon darüber diskutiert, dass wir wissen, dass diesem vierten Investitionsprogramm sicherlich noch ein fünftes und ein sechstes folgen werden. Aber wir haben in unserem Land eine föderale Ordnung, die Zuständigkeiten vorsieht. Deshalb ist es, glaube ich, angebracht, zumindest in einem Nebensatz positiv zu erwähnen, dass der Bund trotz nicht vorhandener Zuständigkeit die Wichtigkeit der Aufgabe erkennt und sich an dieser Stelle mit Mitteln engagiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass wir die Kinderbetreuung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ausbauen. Auch das ist von den Rednerinnen und Rednern der Opposition vorhin genannt worden. Ich habe in den Meldungen gelesen, dass Frau Dr. Brantner sagt, dass wir einen Qualitätsaufbruch in den Kindertagesstätten brauchen. Da haben Sie sicherlich unsere Unterstützung. Wenn ich allerdings sehe, was der rot-rot-grüne Senat in Berlin jüngst auf den Weg gebracht hat, nämlich genau das nicht zu machen, (Maik Beermann [CDU/CSU]: Peinlich ist das!) sondern die Berufsanforderungen an das Personal abzusenken, ist das mit Sicherheit nicht der Qualitätsaufbruch, den wir für unsere Kinder benötigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir alle haben das gemeinsame Ziel, Kinderarmut in unserem Land zu bekämpfen. Die Vorstellungen, mit welchen Maßnahmen das erreicht werden kann, gehen naturgemäß auseinander. Für uns als Union ist klar, dass in einer sozialen Marktwirtschaft der Wohlstand immer erst erarbeitet werden muss, bevor wir Forderungen nach Sozialausgaben, wie Sie sie hier aufgestellt haben, umsetzen können. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ach so? Es gibt momentan noch gar keinen Wohlstand?) – Doch, den gibt es. Deshalb können wir ja auch die Projekte, die wir vorhin genannt haben, alle umsetzen. Aber wir müssen eben auch schauen, dass wir die Familien, die wir entlasten wollen, nicht mit zusätzlichen Maßnahmen wieder belasten und im Endeffekt ein Negativergebnis erzielen. In Ihrem Antrag fehlt mir völlig, dass wir bei der Förderung von Familien nicht nur darüber reden sollten, wie wir sie mit Leistungen oder Rechtsansprüchen fördern können. Für uns als Union ist auch wichtig, dass wir zum Beispiel darüber reden, wie wir Familien Wohnraum ermöglichen können. Wie können wir gerade in dem Zinsumfeld, das wir im Moment haben, Familien die Möglichkeit geben, ein Eigenheim zu schaffen oder zu erwerben? Hierzu haben wir schon konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Von den Grünen und den Linken, also von der Opposition, würde ich gerne auch einmal Vorschläge sehen, wie wir die Familien in unserem Land fördern können. Es gäbe noch viel zu sagen; leider ist meine Redezeit schon vorbei. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ich hätte noch stundenlang zuhören können!) Aber ich bin mir sicher, dass der Kollege Lehrieder noch einige Aspekte aufgreifen wird. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Kinderarmut zu bekämpfen. Dabei dürfen wir die Realität aber nicht außer Acht lassen. Wir haben schon viel erreicht, und wir werden in den nächsten Jahren konsequent weiter daran arbeiten, die Kinderarmut zu reduzieren. (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Markus Koob. – Nächster Redner ist Norbert Müller für die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder der Komödienstadl! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Enttäusch uns nicht!) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr gut, ich sehe die große Erwartungshaltung bei der CDU/CSU; das freut mich natürlich ganz besonders. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Wir haben gar keine!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland gibt es unermesslichen Reichtum in den Händen von immer weniger Menschen, und dieser Reichtum wächst dynamisch. Lieber Kollege Koob, wenn es darum geht, familienpolitische Leistungen zu refinanzieren, kommen Sie nur auf die Idee, sich das Geld vom Mittelstand und von den Durchschnittsverdienern zu holen. Sie kommen aber nicht auf die Idee, sich das Geld vielleicht von den Superreichen und den Spitzenverdienern zu holen. (Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Ihr wollt nur umverteilen! Das ist das Einzige, was ihr könnt! Nach dem Motto: Wir nehmen es denen und behalten es für uns!) Ich finde, das ist eine deutliche Position der Union. Bei der nächsten Bundestagswahl werden wir die Frage, wessen Aufgabe es eigentlich ist, den Sozialstaat zu bezahlen, zur Abstimmung stellen. Sind es der Mittelstand und die Durchschnittsverdiener, oder sind es die Bezieher von Spitzeneinkommen und diejenigen, die davon leben, dass sie ein großes Vermögen haben? (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) Die hohen Vermögen werden in Deutschland nicht angemessen besteuert – ja, es gibt keine Vermögensteuer –, und sie können auch noch vererbt werden. Dieser unermessliche Reichtum wird also auch noch unkontrolliert vererbt. Sie haben die Erbschaftsteuer, leider mit grüner Unterstützung aus den Ländern, gerade regelrecht geschreddert, damit niemand an die hohen Erbschaften herangeht. Die Kehrseite dieser Medaille sind 2 bis 3 Millionen arme Kinder. Das gehört zusammen. Denn die Armut in Familien und der Reichtum in Deutschland sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn man an die Armut in den Familien heranwill, dann muss man eben auch an den Reichtum in Deutschland heran. Das tut man nicht mit Sonntagsreden, sondern mit konkreten sozialpolitischen Maßnahmen. (Beifall bei der LINKEN) Die Folgen der Kinderarmut sind bekannt. Arme Kinder haben schlechtere Bildungschancen, sie haben einen schlechteren Gesundheitszustand, sie werden häufig schlechter ernährt, und sie sterben früher als ihre Altersgenossen aus der Kitagruppe oder der Grundschule, die aus einem vermögenden Elternhaus kommen. Das zeigt die ganze Dramatik der Kinderarmut. Die Linke fordert einen mehrdimensionalen Aktionsplan, der im Wesentlichen drei Dimensionen umfasst, um Kinderarmut nachhaltig zu beseitigen. Die erste Dimension – da werden Sie wieder stöhnen – heißt: Mehr Geld in die Familien. Hier müssen wir von der Misstrauenskultur wegkommen, dass immer behauptet wird, die Eltern würden das Geld verrauchen, versaufen oder sich davon einen Fernseher kaufen. Nein, der Regelfall – das ist der Normalzustand – ist, dass Eltern alles tun, um ihren Kindern das Beste zu ermöglichen. Wir reden über 2 bis 3 Millionen arme Kinder. 2 Millionen sind im SGB-II-Bezug und leben in Familien, die finanziell völlig depriviert sind. Jeder Euro, der in diese Familien fließt, ist eine Hilfe für die Kinder und verbessert ihre späteren Lebenschancen. (Beifall bei der LINKEN) Hier haben wir ganz konkrete Möglichkeiten, die wir unmittelbar ergreifen können, liebe Kolleginnen und Kollegen. Eine Möglichkeit, insbesondere Familien mit geringem Durchschnittseinkommen zu entlasten, ist das Kindergeld. Es ist im Übrigen die beliebteste familienpolitische Leistung, wie die Evaluation der familienpolitischen Leistungen ergeben hat. Bei der Koalition ist es die unbeliebteste, weil es Geld kostet, was dazu führen könnte, dass man möglicherweise hohe Vermögen besteuern muss. Ja, das Kindergeld ist eine sinnvolle Leistung. Es ist deswegen eine sinnvolle Leistung, weil eine Familie oder ein Paar, das ein durchschnittliches Einkommen hat und das zweite oder dritte Kind bekommt, auf einmal in die Armut rutschen kann. Genau hier hilft das Kindergeld. Denn es ist eine Leistung, die verhindert, dass diese Familien arm werden. Ich profitiere mit meinen zwei Kindern vom Steuerfreibetrag bzw. vom Kinderfreibetrag, und zwar in Höhe von 300 Euro pro Kind, die ich im Monat an Steuern spare, und das automatisch; da tut sich überhaupt nichts. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Das Betreuungsgeld haben Sie doch abgeschafft!) Das gilt übrigens auch für Sie, Herr Kollege Beermann. Wenn Sie bald drei Kinder haben, (Maik Beermann [CDU/CSU]: Oh, da haben Sie aber gut zugehört!) sind es durch den Kinderfreibetrag 300 Euro pro Kind. Das Kindergeld beträgt aber nur etwa 190 Euro. Das heißt, Menschen mit hohem Einkommen bekommen über 100 Euro mehr. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aha! – Gegenruf des Abg. Maik Beermann [CDU/CSU]: Sie haben doch das Betreuungsgeld abgeschafft!) Das ist Geld, das die Gesellschaft für die Kinder ausgibt. Für die Kinder von Spitzenverdienern sind es 100 Euro mehr als für die Kinder derjenigen, die bloß vom Kindergeld profitieren. Das Kindergeld muss also erhöht werden, um hier für Gerechtigkeit zu sorgen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Der Kinderzuschlag ist das zentrale Instrument – darauf hat Katja Dörner hingewiesen –, um zu verhindern, dass Familien SGB-II-Leistungen, also Hartz IV, beantragen müssen. Der Kinderzuschlag ist ein gutes Instrument. Aber er funktioniert so nicht. Nicht einmal ein Drittel der Anspruchsberechtigten beantragt ihn. Man kann also nicht sagen: „Indem man den Kinderzuschlag erhöht hat, hat man etwas Tolles getan“, weil ihn fast keiner nutzt. Also muss man darüber reden, wie der Kinderzuschlag ausgeweitet werden kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Regelbedarfsätze sind viel zu niedrig. Darüber ist bereits gesprochen worden. Sie müssen hoch. Den Rest mache ich jetzt im Schnelldurchlauf. Zur zweiten Dimension: Wir brauchen eine soziale Infrastruktur und eine Teilhabeinfrastruktur. Das heißt zum Beispiel, wir müssen es armen Kindern ermöglichen, an einer Ferienfreizeit und am ÖPNV teilzunehmen, und wir müssen für eine gute Kinder- und Jugendhilfe sorgen, die kein Reparaturbetrieb ist. (Beifall bei der LINKEN) Zur dritten Dimension: Wir müssen wegkommen von der Geh-Struktur. Bisher wird gesagt: Familien, geht zu irgendwelchen Stellen und beantragt Leistungen. – Diese kennen sie fast gar nicht. Den Familien, die Leistungen beantragen müssen, die also wirklich arm sind, fällt das am schwersten. Nein, wir brauchen eine Komm-Struktur. Wir brauchen eine Struktur mit einer Anlaufstelle, zu der die Familien hingehen können und wo sie vernünftig beraten werden, wenn ein Kind geboren wird oder wenn sie in die Armutsfalle rutschen. Dort wird ihnen geholfen, sich in dem Wirrwarr unserer familienpolitischen Leistungen, das viele nicht durchsteigen, zurechtzufinden. Diesen Vorschlag der Linken – eine Stelle, an der man konkret hilft; Stichwort: Familienstelle – greifen inzwischen viele Verbände auf. An dieser Stelle können die Familien eine Leistung unbürokratisch – mit einem einzigen Antrag – beantragen, auch damit es nicht so ist wie beim Kinderzuschlag, den nur ein Drittel in Anspruch nimmt. (Zuruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) – Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld. Wenn wir all diese Vorschläge umsetzen – Herr Lehrieder wird gleich antworten –, dann werden wir die Kinderarmut auch beseitigen können. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Herr Felgentreu kommt jetzt erst einmal!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Norbert Müller. – Herr Lehrieder, ich habe auch eine Uhr, aber es ist nett, dass Sie mir helfen, dass die Redezeiten eingehalten werden. Ich werde das bei Ihnen dann genauso tun wie bei den anderen. – Dr. Fritz Felgentreu ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder wegzuwerfen. Das sagte Albert Einstein, und er meinte die Wissenschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für die Politik gilt das genauso. Die Grünen halten sich heute aber nicht daran, sondern sie krönen ihre unermüdliche Arbeit in der zu Ende gehenden Legislaturperiode mit einem Antrag, der die Forderungen von sieben älteren Anträgen zusammenfasst. Das ist schön; denn das gibt auch mir die Gelegenheit, einen Überblick darüber zu geben, was die Koalition in den letzten dreieinhalb Jahren nicht nur gefordert, sondern auch entschieden und auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch Ihre Aufgabe als Regierung!) – Richtig so. Ihnen wie uns – ich zitiere Ihren Antrag – geht es um Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe, um Familien gezielt zu unterstützen. Sie werden sehen: Es waren dreieinhalb gute Jahre für die Familien in Deutschland. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) Das liebe Geld ist natürlich ein zentrales Thema für die Familienpolitik. Weil Geld etwas mit Teilhabe zu tun hat, war es für die SPD-Fraktion entscheidend, das Augenmerk auf die Familien zu richten, die eine Unterstützung am nötigsten haben. Deshalb haben wir zum Beispiel die Steuerentlastung für Alleinerziehende um knapp 50 Prozent erhöht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Besonders froh sind wir darüber, dass es uns endlich gelingt, den Unterhaltsvorschuss zu reformieren. Das ist das Geld, das der Staat vorstreckt, wenn ein getrennt lebendes Elternteil aus welchen Gründen auch immer keinen Unterhalt zahlt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) In Zukunft wird dieser Vorschuss bis zum 18. Geburtstag gezahlt. Das ist ein Riesenfortschritt für Alleinerziehende und ihre Kinder. Schließlich haben wir den Kinderzuschlag erhöht; das ist schon mehrfach erwähnt worden. Diese Leistung können berufstätige Eltern beantragen, wenn ihr Einkommen so niedrig ist, dass sie ohne den Kinderzuschlag als Aufstocker zum Jobcenter gehen müssten. Meine Damen und Herren, Sie erkennen den Grundgedanken, den wir bei all diesen Verbesserungen verfolgen: Wir wollen den Eltern dabei helfen, mit ihrer Arbeit für die eigene Familie zu sorgen und eben nicht in die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen zu geraten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Frau Dörner, Sie sagen in Ihrem Antrag selbst völlig zu Recht: Das beste Mittel gegen Kinderarmut bleibt die Erwerbstätigkeit ihrer Eltern. Ich füge auch als Antwort auf den Kollegen Müller hinzu: Es ist wahrscheinlich sogar das einzige Mittel; denn Armut definieren die Politik und die Wissenschaft bekanntlich nach dem Durchschnittseinkommen. Wer weniger als die Hälfte vom Durchschnitt einnimmt, gilt als arm. Das Durchschnittseinkommen wird aber immer deutlich über dem Einkommen von Menschen ohne Arbeit liegen; denn sogar wenn wir mehr staatliche Leistungen auszahlen, steigt der Durchschnitt weiter an. Deshalb führt nur Einkommen aus Arbeit zuverlässig aus der Armut. Diese Beobachtung spricht übrigens nicht gegen Solidarität mit denen, die staatliche Hilfe brauchen. Sie trägt nur dazu bei, keine unrealistischen Erwartungen daran zu knüpfen. Wenn es aber stimmt, dass nur Arbeit wirksam vor Armut schützt, dann muss sie das auch. Wer 40 Stunden die Woche arbeitet, muss ein anständiges Auskommen für sich und seine Familie haben. Deswegen war der SPD die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns so wichtig. Darin sind wir uns mit Kollegen Koob von der Union vollkommen einig. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Glauben Sie, dass 8,84 Euro dafür reichen?) Für Familien mit niedrigem Einkommen ist der Mindestlohn sicherlich der größte Fortschritt in den letzten drei Jahren. Meine Damen und Herren, damit aber die Kinder von heute morgen selbst in der Lage sind, für sich und ihre Familien zu sorgen, ist vor allem eine gute Bildung wichtig. Kinder und Familie fördern wir am wirksamsten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen. Die Kinder in den härtesten Kiezen, in den Brennpunktquartieren, brauchen die besten Kitas und Schulen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Deshalb sind wir stolz darauf, dass diese Koalition den Ländern und Kommunen 6 Milliarden Euro zusätzlich für den Ausbau von Betreuung an Kitas und Horten zur Verfügung gestellt hat. Die SPD hat außerdem durchgesetzt, dass nach Abschaffung des Betreuungsgeldes unseligen Angedenkens, Kollege Lehrieder, die dafür vorgesehenen Mittel zusätzlich an die Länder gehen, um Betreuung zu finanzieren. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: In Bayern bekommen es die Eltern nach wie vor!) Und das sind 2 Milliarden Euro. Als Sahnehäubchen hat der Bundestag heute beschlossen, über 1 Milliarde Euro für weitere 100 000 Kitaplätze in den nächsten vier Jahren bereitzustellen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das ist doch kein Sahnehäubchen!) Das sind Maßnahmen, von denen alle Familien in Deutschland massiv profitieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben, haben wir die Elternzeit reformiert und das Elterngeld um das Elterngeld Plus ergänzt. Damit unterstützt der Staat Eltern dabei, sich gemeinsam um ihre ganz kleinen Kinder kümmern zu können. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Naja!) Die Bilanz der Großen Koalition kann sich wirklich sehen lassen. (Zuruf von der LINKEN: Nein!) Aber dieser gemeinsame Erfolg bedeutet natürlich nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen können. Die Grünen weisen zum Beispiel zu Recht darauf hin, dass der Kinderzuschlag erstens nicht allen bekannt ist, die einen Anspruch darauf haben, (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ungefähr 70 Prozent!) und dass er zweitens mit ziemlich viel Bürokratie verbunden ist. Deshalb hat die SPD vorgeschlagen, den Kinderzuschlag in ein nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld einzubeziehen. Wir haben durchaus ehrgeizige Pläne für eine moderne Familienpolitik. Über die werden wir im Wahlkampf sicherlich noch heftig diskutieren. Dazu gehört zum Beispiel ein Programm für kostenlose Kitas und Schulhorte. Wir wollen nämlich keine finanziellen Hürden vor diesen wichtigen Bildungseinrichtungen aufbauen. (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD] – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten erst einmal Plätze schaffen und sie dann umsonst machen!) Die Grünen kritisieren das. Sie sagen, wohlhabende Eltern seien gerne bereit, für gute Kitas zu bezahlen. – Das stimmt sicherlich auch. Wir Sozialdemokraten sind garantiert die Ersten, die sich dafür einsetzen, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen. (Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Aber das wollen wir über ein gerechtes Steuersystem organisieren, nicht über Gebühren auf Bildung. (Beifall bei der SPD – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ihr müsst nicht nur reden! Ihr müsst auch machen!) Wer Schulgebühren ablehnt, der muss auch für gebührenfreie Kitas sein. (Beifall bei der SPD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Steuern wollen Sie denn erhöhen?) Diese gebührenfreie Kita muss trotzdem gut ausgestattet sein, vor allem mit genug Erzieherinnen und Erziehern. Das ist die nächste Baustelle. Auch da ist noch viel zu tun. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Steuern wollt ihr denn erhöhen?) Wir wollen einen Zuschuss für Eltern, die etwas weniger arbeiten wollen, um mehr Zeit für die Kinder zu haben. Wir nennen das Familienarbeitszeit, und die Union ist dagegen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ja!) Darüber müssen wir im Wahlkampf streiten; dafür ist er da. Über eines, lieber Kollege Marcus Weinberg – gerade tief ins Gespräch versunken –, müssen wir eigentlich nicht mehr streiten: Von Arbeitsministerin Andrea Nahles liegt ein wirklich guter Gesetzentwurf vor, mit dem wir Beschäftigten das Recht geben, aus Teilzeit wieder in Vollzeit zurückzukehren, wenn sie das denn wollen. Das betrifft eben ganz oft Mütter, wenn die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind. Wir verstehen überhaupt nicht, warum die CDU/CSU diese vernünftige, familienfreundliche Regelung immer noch blockiert. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das doch vor der Sommerpause noch gemeinsam anpacken. Wir helfen gerne dabei mit, Ihren Wirtschaftsflügel zu überzeugen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eine familienfreundliche Arbeitswelt ist für die Zukunft unseres Landes heute wichtiger denn je. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lacht er!) – Ja, das ist so. Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt ist aber die Redezeit deutlich abgelaufen. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin, Sie haben vollkommen recht. „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“, sagt Einstein. Deswegen höre ich jetzt auch auf. Danke schön. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das sagt nicht nur Einstein. Vielen Dank, lieber Dr. Felgentreu. – Zum Schluss dieser Debatte spricht zu guter Letzt Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Mann! Guter Mann!) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Danke schön, Frau Kollegin. Es war richtig, dass Sie das gesagt haben. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Dörner, Sie sind eigentlich eine ganz Nette. Aber dass Sie jetzt sagen, dass wir Ihren Antrag aus Gründen des aufziehenden Bundestagswahlkampfes ablehnen würden, ist natürlich ein Stück weit auch der Tatsache geschuldet, dass der Antrag von Ihnen zu einem Zeitpunkt vorgelegt wird, wo der Bundestagswahlkampf die Parteien allmählich entsprechend polarisiert. Von daher gilt: Wer mit einem Finger auf die anderen zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich. Das haben Sie vorhin mit Ihren einleitenden Worten getan, Frau Dörner. Das wäre nicht nötig gewesen, weil in Ihrem Antrag auch einige vernünftige Erwägungen enthalten sind. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Dann kann es ja die Union selber beantragen!) Meine Damen und Herren, Beruf, Familie, Freunde, Hobbys: Viele Eltern kennen das Gefühl, den vielfältigen Anforderungen des Alltags nicht immer vollumfänglich gerecht werden zu können. Der Spagat zwischen Job, Haushalt und dem Leben mit Kindern verstärkt oft das diffuse Gefühl, früher schlichtweg mehr Zeit gehabt zu haben. Die Suche nach der Work-Life-Balance bestimmt zunehmend das Leben in der modernen Gesellschaft. Von daher ist es legitim, dass auch Oppositionsparteien auf diese Problematik hinweisen. Aber die Konsequenzen, die Conclusio, müssen wir nicht teilen. Um mehr Zeit für ihre Familie zu haben, sind viele Eltern auch dazu bereit, beruflich kürzerzutreten. Auch das wissen wir. Die Zeitpolitik, ein zugegebenermaßen noch relativ neuer Begriff in der gesellschaftlichen Debatte, gehört ohne Frage zu den wichtigsten familienpolitischen Themen. Um gute Zeitpolitik für Familien machen zu können, müssen die Arbeits- und Familienpolitik aufeinander abgestimmt werden. Nur so kann es gelingen, optimale Rahmenbedingungen für familienfreundliche Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Flexibilisierung der Elternzeit und das Elterngeld Plus sind erste Schritte in diese Richtung. Darauf haben meine Vorredner bereits hingewiesen. Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich auch auf vom Familienministerium geförderte Initiativen wie zum Beispiel „Lokale Bündnisse für Familie“ oder „Erfolgsfaktor Familie“ verweisen, die sich für eine familienfreundliche Arbeitswelt einsetzen, in der es zum Beispiel Betriebskitas, Sabbaticals, Homeoffice-Angebote gibt. Hier wird es sicherlich auch in Zukunft sehr viel geben, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. Ja, wir werden auch unbeschadet des Auftrags, den uns der Wähler am 24. September geben wird, in Zukunft konstruktiv über dieses Thema nachdenken. Herr Kollege Felgentreu, die Lösungen, die Sie uns hektisch auf den letzten Drücker vorschlagen wollen, sind relativ unprobat, weil nicht nur die Familie, sondern Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und deshalb Ihre Lösungen von uns mit Sicherheit in den nächsten Wochen nicht mehr angegangen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) So langsam polarisieren wir uns in unterschiedliche Richtungen. Auch das ist richtig. Gleichwohl freut es mich aber – auch das gehört der Ehrlichkeit halber dazu, Frau Kollegin Dörner –, dass Sie in Ihren Antrag „Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe“ hineingeschrieben haben: Jedes Kind hat das Recht auf ein gutes Aufwachsen. Wir wollen kein Kind zurücklassen und Chancengleichheit endlich verwirklichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ihr könnt alle klatschen. Das stimmt ja sogar. Ich möchte mich auch ausdrücklich bei unserem Berichterstatter Eckhard Pols, der Kollegin Bahr von der SPD, aber auch bei der Kollegin Walter-Rosenheimer bedanken, dass es uns jetzt auf den letzten Drücker in dieser Wahlperiode gelungen ist, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass wir uns anhand eines Antrags noch einmal mit der Situation von Kindern psychisch belasteter Eltern befassen und prüfen, ob in diesem Bereich genug getan worden ist. Auch das gehört zu dem Antrag dazu, auch wenn es nicht expressis verbis erwähnt ist. Aber Sie sehen, dass wir trotz der sich abzeichnenden Gewitterwolken des Bundestagswahlkampfs noch konstruktiv zusammenarbeiten können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bevölkerung erwartet von uns, dass wir bis zum letzten Tag konstruktiv zusammenarbeiten und jetzt nicht in die Schützengräben gehen, meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen alles Gute und, wie gesagt, eine schöne Nacht. Ich habe meine Zeit nicht überzogen, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie können noch eine Minute reden. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Gibt es eine Zugabe? Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie haben noch eine Minute. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ja, ich will aber nicht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie wollen gar nicht? Warum wollen Sie nicht? Paul Lehrieder (CDU/CSU): Einen schönen Abend und alles Gute. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Herr Lehrieder. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, aber der schöne Abend ist noch nicht für alle angebrochen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für uns!) – Für Sie ja; das kann sein. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/12110 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 16 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Familien stärken – Kinder fördern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12156, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10473 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke. Tagesordnungspunkt 16 c. Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 18/12156 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9007 mit dem Titel „Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke. Zusatzpunkt 5. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kindern sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11592, den Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4307 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich werde wieder langsam vorlesen, weil wahrscheinlich ein paar Plätze getauscht werden. – Schönen Abend, Herr Lehrieder! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes Drucksache 18/9951 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/11811 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Klaus Barthel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Abend für die Kundinnen und Kunden von Telekommunikationsunternehmen und Internetanbietern. Warum? Wir beschließen heute das Dritte Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes. Worum geht es dabei? (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß keiner so genau!) Wir haben es jetzt wieder schwarz auf weiß bekommen: Der Ende März dieses Jahres von der Bundesnetzagentur veröffentlichten Breitbandstudie ist zu entnehmen, wie die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Kundinnen und Kunden von den Internetanbietern in die Irre geführt werden. Nur jeder achte Kunde, nämlich 12,4 Prozent, erhält die volle Bandbreite, die zugesagt ist, die beworben wird. 70 Prozent bekommen gerade einmal die Hälfte dieser Bandbreite. Stellen wir uns das einmal auf andere Produkte, auf andere Märkte übertragen vor: Wir wollen bis zu 1 Kilogramm Kartoffeln und kriegen 125 Gramm, wir wollen bis zu 3 Kilogramm Waschmittel und kriegen die Hälfte davon, oder wir kriegen eine ganz schlecht eingeschenkte Maß Bier. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das kommt vor! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das gibt es nur in München!) Im Geschäft oder in der Gaststätte würde man das nachwiegen oder nachmessen lassen und sofort reklamieren. Bisher konnte der Kunde von Telekommunikationsunternehmen gar nichts dagegen tun. Es fing schon damit an, dass er gar nicht feststellen konnte, welche Bandbreite er tatsächlich hat. Bereits mit der Transparenzverordnung haben wir die Voraussetzung geschaffen, das eindeutig zu ersehen. Es muss jetzt ein standardisiertes Produktinformationsblatt geben, in dem ganz klar festgelegt ist, worin das Angebot besteht, worüber der Vertrag besteht. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Bundesnetzagentur ein Mess-Tool anbietet. Das heißt: Jeder kann jetzt nachmessen lassen, welche Bandbreite tatsächlich bei ihm anliegt. In Zukunft können die Kundinnen und Kunden entweder die vertragliche Erfüllung einfordern, den Vertrag anpassen lassen, also möglicherweise einen günstigeren Tarif bekommen, die Schlichtungsstelle der Bundesnetzagentur anrufen oder eine Vertragsbeendigung anstreben. Wir haben jetzt länger gebraucht, um diese dritte Lesung durchzuführen, weil wir auf die gerade erwähnte Messstudie der Bundesnetzagentur und den daraus folgenden Umsetzungsvorschlag warten wollten. Wir können damit die Vorgaben der Europäischen Union wirksam umsetzen und den Anforderungen der Kundinnen und Kunden gerecht werden. Es ist ganz wichtig, dass die Bundesnetzagentur diese umfangreiche Studie erstellt und dabei Ross und Reiter genannt hat. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass – blame and shame – gesagt wird, welche Unternehmen gut und welche schlecht sind. Nun können wir umsetzen und festlegen, was die unbestimmten Rechtsbegriffe im europäischen Recht bedeuten, also was eine erhebliche, eine kontinuierliche oder eine regelmäßig wiederkehrende Abweichung bei der Geschwindigkeit des Breitbandanschlusses ist. Anders als die Grünen sind wir der Ansicht, dass das nicht der Gesetzgeber festlegen kann. Das geht weder aus rechtlichen Gründen – die europäische Regelung gibt etwas anderes vor – noch aus sachlichen Gründen. Wir halten es vielmehr für vernünftig, dass unsere nationale Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, das macht, indem sie einen praktikablen und umsetzbaren Vorschlag macht, indem sie eine Anhörung dazu durchführt – die läuft jetzt gerade –, indem es in Zukunft einen jährlichen Bericht darüber geben wird, wie sich die Geschwindigkeiten tatsächlich entwickeln, also ob die Angaben eingehalten werden. Außerdem wird die Bundesnetzagentur in Zukunft vorschlagen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, damit die Bandbreiten tatsächlich erhöht werden können. Das heißt, das wird ein laufender Prozess sein. Das wäre durch eine starre gesetzliche Regelung nicht möglich; denn dann müssten wir andauernd das Gesetz ändern. Die Bundesnetzagentur ist nun dafür da, praktikable Vorschläge zu machen. Nunmehr wird Folgendes vorgeschlagen: Bei stationären Breitbandanschlüssen liegt eine erhebliche, kontinuierliche oder regelmäßig wiederkehrende Abweichung vor, wenn nicht mindestens einmal 90 Prozent des Maximums erreicht werden, wenn die normale Geschwindigkeit nicht bei 90 Prozent der Messungen erreicht wird und wenn die Mindestgeschwindigkeit auch nur einmal unterschritten wird. Das ist die sogenannte 90/90/0-Regelung. Auch Art und Umfang der Messungen werden festgelegt. Man kann da also nicht schwindeln. Die Bundesnetzagentur und das Mess-Tool messen zu vorgegebenen Zeiten. Das heißt, wir haben das, was im Entschließungsantrag der Grünen gefordert wird, übererfüllt. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nicht ganz!) Das Einzige, was übrig bleibt, sind die sogenannten wirksamen, abschreckenden Sanktionen. Auch wir wollen solche Sanktionen. Aber wir müssen sehen, dass wir uns hier im Privatrecht bewegen. Alle, die immer für Privatisierung und Wettbewerb sind, müssen sich daran gewöhnen, dass das Zivilrecht Verstöße nicht ohne Weiteres als Ordnungswidrigkeit qualifizieren und sanktionieren kann, sondern dass es dafür besondere Regelungen braucht. Nun schaffen wir allerdings in einem zweiten Schritt die Voraussetzungen, dass Sanktionen und Bußgelder verhängt werden können, und zwar in nicht unerheblicher Höhe, aber nur dann, wenn Abweichungen festgestellt worden sind. Da die Redezeit nicht mehr ausreicht, will ich nur noch darauf hinweisen, dass dieses Gesetz weitere sinnvolle Regelungen enthält, wie beispielsweise die Ausweitung des Zugangs für Gehörlose und Gehörgeschädigte sowie das Redirect-Verfahren, das Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abzocke durch Drittanbieter schützt. Wer jetzt noch in Anträgen behauptet oder der Presse erklärt, dass das alles nichts nutzt und dass die Kunden weiterhin wehrlos sind, liebe Grüne, begeht nicht nur Fehlinformation, sondern erweist uns allen, insbesondere den Verbraucherinnen und Verbrauchern, auch einen Bärendienst. Der Eindruck, dass man sich nicht dagegen wehren kann, ist völlig falsch. Man betreibt nur das Geschäft der Schwindler, wenn man behauptet, dass sich die Kunden sowieso nicht wehren können. Nach dieser Gesetzesänderung ist das nicht mehr der Fall. Deswegen bitte ich Sie alle, den Entschließungsantrag der Grünen abzulehnen und unserer Gesetzesänderung zuzustimmen. Ich danke für die Aufmerksamkeit zu später Stunde. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Klaus Barthel. – Nächster Redner: Ralph Lenkert für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Internetnutzerinnen und Mobildatennutzer! Meine Kollegin wollte mehr als 6 Mbit/s im Internet. Die Ansage im Shop nach Adressencheck klang gut: Flatrate mit 50 Mbit/s kein Problem. Sie freute sich, vertraute auf die Zusage und unterschrieb. 50 Mbit/s hat sie bis heute nicht. Nach ewigem Hin und Her konnte sie zum alten Vertrag zurück. Fast jeder kennt solche Beispiele. Wenn Internetprovider, die bis zu 16 Mbit/s verkaufen, wissen, dass jeder dritte Kundenanschluss aus technischen Gründen nicht einmal 8 Mbit/s erreicht, dann ist das Betrug. Wenn Mobilfunkanbieter eine Downloadrate von 20 Mbit/s verkaufen und wissen, dass aus technischen Gründen die Hälfte der Nutzer nicht einmal eine Mindestübertragungsrate von 4 Mbit/s erhält, dann ist das Betrug. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke fordert: Wer den vollen Preis für eine angebotene Leistung bezahlt, hat auch ein Anrecht auf die volle Leistung. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Fordern wir auch!) Stellen Sie sich einmal vor, Sie wollten mit dem ICE von Berlin nach München fahren. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer will nach München?) Gemäß dem Maßstab der Mobilfunkanbieter würde man bei jeder zweiten Fahrt erst nach 30 Stunden in München ankommen. Schon bei 60 Minuten Verspätung könnten Sie die Reise abbrechen und den vollen Fahrpreis zurückverlangen. Bei Ihrem Provider erhalten Sie derzeit nicht einmal eine Entschädigung, und das ist eine Sauerei. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Immerhin sieht der Gesetzentwurf für die Zukunft wenigstens Bußgelder und Vertragsanpassungen vor. Aber das reicht nicht. Betrug gehört in den Bereich des Strafrechts. Wir fordern zusätzlich zu saftigen Bußgeldern Schadenersatz für Kundinnen und Kunden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Darum unterstützt die Linke den Entschließungsantrag der Grünen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Die Linke fordert mehr Transparenz in den Verträgen. Wir fordern, dass Anbieter offenlegen müssen, in welchen Regionen sie welche Leistungen tatsächlich anbieten können, und wir wollen eine rigorose Verfolgung von falschen Versprechungen durch die Bundesnetzagentur und durch Strafverfolgungsbehörden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Klaus Barthel [SPD]: Das macht die Bundesnetzagentur in Zukunft! Das kann man alles nachlesen!) Kolleginnen und Kollegen, Netzneutralität, die Gleichbehandlung aller Nutzer und Inhalte im Netz, ist für die Linke unerlässlich. Ich zitiere jetzt aus dem Gesetz: Eine angemessene Verwaltung des Datenverkehrs (Verkehrsmanagement) ist zulässig, um die Netzwerkressourcen effizient zu nutzen und die Qualität der Dienste entsprechend den Anforderungen zu gewährleisten. Dabei dürfen die Internetzugangsanbieter zwischen Verkehrskategorien unterscheiden, soweit diese verschiedene Anforderungen beispielsweise in Bezug auf Verzögerung, Verzögerungsschwankung, Paketverlust und Bandbreite stellen. Das ist der Anfang vom Ende der Netzneutralität. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Genau!) Diese genehmigten Ausnahmen zum sogenannten Verkehrsmanagement, wie auch beispielsweise StreamOn der Telekom, lehnt die Linke ab. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesnetzagentur, die nach diesem Gesetzentwurf möglichen Missbrauch unterbinden soll, hat schon heute zu viele Aufgaben und zu wenig Personal. Die kann kommenden Betrug nicht wirksam bekämpfen. (Klaus Barthel [SPD]: Wer soll es denn dann machen?) Deshalb fordert die Linke mehr Personal für die Bundesnetzagentur. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Koalition hat es in vier Jahren nicht geschafft, eine vernünftige Novelle des Telekommunikationsgesetzes vorzulegen. Wenn der Betrug bei Übertragungsraten Ihres Handyvertrages enden soll, wenn Sie die Netzneutralität im Internet sichern wollen, dann haben Sie eine Chance: Wählen Sie die Linke! (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ralph Lenkert. – Dann kommt der nächste Redner, und das ist Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lenkert, das, was Sie gesagt haben, war sozusagen das Tiefgehendste, was ich heute Abend gehört habe. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ich meine, wenn Sie Wahlkampf machen wollen, dann sollten Sie einen Stand vor dem Reichstag aufbauen, und dann können Sie das erzählen. Das, was Sie hier geboten haben, ist doch unwürdig. Zudem war es fachlich zum Teil auch völlig falsch. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Was heißt da „zum Teil“?) Das wissen Sie ganz genau. Sie betreiben einfach Massenverdummung. Das Gleiche hat Herr Barthel zum Entschließungsantrag der Grünen gesagt. Sie behaupten einfach falsche Dinge; das müssen Sie sich einmal klarmachen. Wie gesagt, wir sind hier nicht, um Wahlkämpfe auszufechten; das können wir draußen machen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das waren nur Behauptungen!) Die wesentlichen Punkte im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes hat Klaus Barthel schon beschrieben. Nur muss man zu der Messstudie schon sagen, Klaus Barthel: Ganz so einfach ist es nicht. Die Zahlen stimmen; ganz klar, keine Frage. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ach, kein Wahlkampf hier!) Man muss ein bisschen Ahnung von Technik haben; dann kann man das auch besser werten. Man muss eben ein gewisses Verständnis von der Materie haben, Herr Lenkert. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [SPD]: Man muss auch zehn Minuten Zeit haben!) Das haben Sie noch nie gehabt, und das haben Sie jetzt eigentlich wieder bewiesen. Es ist natürlich so: Die Zahlen, wie gesagt, stimmen schon; das kann man erst einmal nicht bezweifeln. Aber letztendlich hängen Bandbreite und Downloadgeschwindigkeit nicht ausschließlich davon ab, ob der Provider die Leistung ins Haus bringt; vielmehr spielen dabei viele weitere technische Parameter eine Rolle. Selbst die Hausinstallation bzw. das Homenetzwerk oder das WLAN zu Hause können technisch so beschaffen sein, dass sie gar nicht in der Lage sind, verschiedene Dinge zu leisten. Insofern finde ich, das Mess-Tool ist eine hervorragende Sache – das haben eigentlich alle sehr begrüßt –, weil man damit erstmals zertifiziert nachweisen kann, welche Leistungsparameter ein Anschluss bringt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Lämmel – – Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Herr Lenkert konnte schon genügend Wahlkampf betreiben. Das muss ich mir nicht noch einmal antun, indem ich eine Zwischenfrage zulasse. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danach wollte ich fragen. Danke schön für die Antwort. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Was das Mess-Tool angeht: Man kann das im Übrigen auch mit dem Mobiltelefon an jeder Stelle, an der man sich aufhält, machen. Insofern halte ich die ganze Sache für einen großen Fortschritt. Es gibt in der Messstudie folgenden Widerspruch – das ist ganz interessant –: Auf der einen Seite erhalten 70 Prozent der Nutzer offensichtlich weniger als die Hälfte der vereinbarten Leistung. Auf der anderen Seite erhalten 12 Prozent der Nutzer mindestens die vereinbarte Leistung oder sogar mehr. Aber wenn man das Mess-Tool einmal selber ausprobiert, dann ist die erste Frage, die gestellt wird, bevor man irgendein Messergebnis bekommt: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Internetanschluss? Dann kann man ankreuzen: „sehr zufrieden“, „zufrieden“, „nicht zufrieden“, „sehr unzufrieden“. Der Witz an der Sache ist: Interessanterweise kreuzen im Prinzip zwei Drittel der Internetnutzer als Erstes „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ an. (Klaus Barthel [SPD]: Vor der Messung!) Daran kann man auch sehen: Da stimmen zwei Aspekte nicht überein: zum einen die reinen Zahlen, was die Leistung des Anschlusses angeht, und zum anderen die Einschätzungen, die die Nutzer letztendlich selbst vornehmen. Klaus Barthel hat ja auch beschrieben, dass wir im Prinzip über die Bundesnetzagentur ein Messverfahren entwickelt haben. Das heißt, wenn man sich als Nutzer beschweren will, dann muss man 20 Messungen nach einem gewissen Schema machen, um auf Werte zu kommen, die es erlauben, einen gewissen Durchschnitt zu bilden. Ich denke, wenn das intensiv genutzt wird, wird das sehr viel Transparenz in den Markt bringen. Im Gesetz steht ja, dass die Bundesnetzagentur jedes Jahr einen Bericht vorlegen muss. Da kann man dann sehen, wie die Tendenzen sind. Ich bin mir sicher, dass sich die Provider, zumindest die großen, die seriösen, nicht jedes Jahr an den Pranger stellen lassen wollen, weil sie zu wenig Leistung anbieten. In jedem Vertrag steht übrigens – Herr Lenkert, Sie müssen Verträge, die Sie unterschreiben, auch richtig lesen – „bis zu ...“. Sie haben wohl vergessen, das zu sagen. Sie haben nur die halbe Wahrheit gesagt, als es um das Thema Netzneutralität ging. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ich zitierte aus dem Gesetz!) Bei der im Gesetzentwurf geregelten Netzneutralität geht es um die Umsetzung einer EU-Richtlinie; es ist einfach EU-Recht, das hier umgesetzt wird. Da kann man als nationaler Gesetzgeber relativ wenig machen; wenigstens das müssen Sie dazusagen. Das Gleiche gilt für die Regelungen zum Roaming. Auch sie sind das Ergebnis der Umsetzung einer EU-Richtlinie. Ich möchte noch etwas zu zwei Dingen sagen, die ich sehr wichtig finde, auch weil ich selber das alles schon einmal ausprobiert habe. Ich meine zum einen die Drittanbietersperre. Ich habe einmal gemeinsam mit der Telekom einen Betrügerring auffliegen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten der LINKEN: Oh!) – Wir tun eben im Gegensatz zu Ihnen etwas, Herr Lenkert. Sie reden; wir machen etwas. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie sind ein Held!) Die Direktanbietersperre ist natürlich ideal, um Abofallen zu vermeiden. Das ist der erste Punkt. Das Zweite ist das Redirect-Verfahren. Das ist eigentlich der Kernpunkt der ganzen Geschichte, weil damit verhindert wird, dass im Prinzip über die Telefonrechnung Leistungen abgerechnet werden, die man überhaupt nicht in Anspruch genommen hat. Klaus Barthel hat es gesagt: Für behinderte Menschen, für Gehörlose bringt das Gesetz sehr große Fortschritte, weil die Informationsdienste für behinderte Menschen 24 Stunden am Tag geschaltet sein müssen. Das heißt: Rund um die Uhr haben diese Menschen die Möglichkeit, auf Notdienste und Ähnliches zurückzugreifen. Zusammenfassend kann ich nur sagen: Der Gesetzentwurf zeigt den hohen Stellenwert, den die Koalition der Transparenz und dem Verbraucherschutz im Telekommunikationsmarkt beimisst. Deswegen kann ich Ihnen eigentlich nur empfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen und den Entschließungsantrag der Grünen abzulehnen, weil er Unwahrheiten in die Welt setzt; den Tatsachen entspricht das schon lange nicht mehr. Vielen Dank. – Ich habe drei Minuten gespart. Dafür gebt ihr mir dann gleich ein Bier aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Super! Es nützt uns aber nicht viel; denn das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ralph Lenkert. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Kollege Lämmel, ich weiß nicht, wer in der Industrie mehr Erfahrung hat: jemand, der seit seinem Studium in Verwaltungen und im Ministerium gearbeitet hat, oder jemand, der 20 Jahre lang in Deutschland, in Tschechien und in China in der Industrie gearbeitet hat. Die kleinen Unterschiede können Sie mir vielleicht mal erklären. Wahrscheinlich hat man am Schreibtisch mehr Ahnung von Wirtschaft als in der Wirtschaft selber. Um jetzt zu den technischen Fakten zu kommen: Sie haben behauptet, ich hätte Sie falsch dargestellt. Ich zitiere jetzt aus dem Bericht „breitbandmessung“: Stationäre Breitbandanschlüsse Über alle Bandbreiteklassen und Anbieter hinweg erhielten im Download 70,8 % der Nutzer mindestens die Hälfte der vertraglich vereinbarten maximalen Datenübertragungsrate ... (Klaus Barthel [SPD]: Nichts Neues!) Das heißt im Umkehrschluss: Die 30 Prozent, die ich genannt habe, sind korrekt. Das ist keine falsche Aussage, wie Sie es hier dargestellt haben. Ich zitiere weiter, jetzt zu den mobilen Breitbandanschlüssen: Erreichten im Download bei den stationären Breitbandanschlüssen knapp über 70 % der Nutzer 50 % der vertraglich vereinbarten maximalen Datenübertragungsrate oder mehr, lag der entsprechende Wert bei den mobilen Breitbandanschlüssen unter 30 %. Das heißt im Umkehrschluss, wenn man nur andersherum rechnet, genau das, was ich gesagt habe. Ich bitte Sie also, nicht nur die eigentlichen Zahlen zu nehmen, sondern auch die Gegenrechnung zu machen. Das sollten Sie gelernt haben. Vielen Dank. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Lämmel, wenn Sie mögen, haben Sie die Möglichkeit, zu antworten. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Nein!) – Sie mögen nicht. Dann hat die letzte Rednerin in dieser Debatte das Wort: Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie würden nur 50 Prozent Ihrer Telefonrechnung bezahlen. Was würde da passieren? Die Telefonanbieter würden wahrscheinlich Mahnungen schreiben, eventuell ein Inkassobüro beauftragen und wahrscheinlich auch vor Gericht gehen, um die volle Zahlung einzuklagen. Die Telefonanbieter würden damit recht bekommen, und das ist auch richtig so. (Klaus Barthel [SPD]: Das können die Kunden in Zukunft auch!) Stellen wir uns das andersherum vor: Ich habe einen Vertrag über einen Internetanschluss über 16 Mbit pro Sekunde und bekomme nur 8. Welche Möglichkeiten habe ich, dagegen vorzugehen? Keine. (Klaus Barthel [SPD]: Falsch!) Das ist so, weil es keine konkreten Vorgaben gibt und Verbraucherinnen und Verbraucher mit diesem Problem im Regen stehen gelassen werden, und das ist nicht richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Es ist eine Riesensauerei, wenn Nutzerinnen und Nutzer von Internetanbietern mit irreführenden „Bis zu soundso viel Mbit pro Sekunde“-Angeboten gelockt werden und dann nur einen Bruchteil dessen bekommen. Die Verstöße – sie wurden hier schon angesprochen – sind bekannt. Nur 12 Prozent der Haushalte bekommen demnach die vertraglich zugesicherte Maximalgeschwindigkeit. Sie hier sind doch auch alle Verbraucher. Ärgern Sie sich nicht, wenn das Internet abends so langsam ist, dass jedes Video ruckelt oder das Laden von Webseiten eine Ewigkeit braucht? Das ist echt zum Haareraufen! Es gibt aber Lösungen wie zum Beispiel Mindeststandards, damit Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, womit sie tatsächlich rechnen können. Wir Grüne sagen daher: Die minimale Datenübertragungsrate muss mindestens 70 Prozent der maximalen Übertragungsrate betragen. Und die normalerweise zur Verfügung stehende Übertragungsrate sollte an mindestens 95 Prozent eines Tages auch wirklich zur Verfügung stehen. Das haben wir uns nicht selbst ausgedacht: Nein, das sind Empfehlungen der BEREC zur Umsetzung der EU-Verordnung. Das sind ganz praktikable Lösungen, Kollege Barthel. Wir müssen sie nur umsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Barthel [SPD]: Das passiert doch! Deswegen machen wir das Gesetz!) Außerdem fordern wir pauschalierte Schadenersatzansprüche, ein Sonderkündigungsrecht und ein Recht auf Tarifanpassung, wenn sich Anbieter eben nicht an diese Zusagen halten. Das wären Mechanismen, mit denen wir Verbraucherinnen und Verbraucher vor Verstößen der Netzbetreiber wirksam schützen könnten. Also lassen Sie es uns doch einfach tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch beim Thema Netzneutralität macht die Verordnung klare Vorgaben. Angebote wie der neue Zero-Rating-Tarif StreamOn der Telekom drohen aber die Netzneutralität auszuhöhlen. Die Telekom nutzt ihre Marktmacht hier aus und sucht nach Schlupflöchern, die in der Praxis zu einer Diskriminierung kleiner Start-ups und vor allen Dingen zur Drosselung von Videodiensten bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern führen werden. Es ist unsere Aufgabe, diese Schlupflöcher zu stopfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Daher fordern wir auch im Bereich Netzneutralität Mindeststandards. Wenn diese nicht eingehalten werden, muss es auch hier Sanktionen geben. (Klaus Barthel [SPD]: Die gibt es auch!) Statt die Verantwortung auf die Regulierungsbehörden abzuschieben, sollten wir diesen Behörden wirksame Instrumente an die Hand geben, diese Standards dann auch durchzusetzen. Die Erfüllung dieser Aufgabe, Kollege Barthel, haben Sie leider völlig verfehlt. Insofern ist das heute kein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Barthel [SPD]: Sie haben die Änderungen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen!) Ein weiteres Problem im Telekommunikationsbereich sind unzulässige Abbuchungen über die Mobilfunkrechnung von Drittanbietern. Auch in diesem Punkt sind Sie auf halber Strecke stehengeblieben. Wir fordern eine voreingestellte Drittanbietersperre, die Verbraucherinnen und Verbraucher nachträglich aufheben können, wenn sie es wünschen. Dies im Gesetz zu verankern, wäre wirklich nicht schwer gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Effektiver Verbraucherschutz ist kein Hexenwerk. Trotzdem fehlen in Ihrem Gesetzentwurf viele wichtige Konkretisierungen. Ihr Vorschlag bleibt an den entscheidenden Stellen leider Wischiwaschi, da Sie keine spezifischen Sanktionstatbestände geschaffen haben. Das bedeutet in der Praxis: Die Verbraucherinnen und Verbraucher schauen weiter auf den Ladebalken. Deshalb haben wir unsere Vorschläge in einem Entschließungsantrag eingebracht, für den ich um Zustimmung bitte. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Tabea Rößner. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11811, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9951 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Es gibt keine Enthaltung. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12133. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dagegen waren CDU/CSU und SPD. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kein Lobbyismus im Klassenzimmer Drucksachen 18/8887, 18/12064 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind Sie einverstanden. Ich sehe und höre manches, aber nichts anderes.1 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12064, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8887 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war die Linke, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt Drucksache 18/12037 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/12037 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) Drucksache 18/11501 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksachen 18/12080, 18/12149 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12157 Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.3 Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/12080 und 18/12149, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11501 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes Drucksachen 18/11502, 18/11931 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12122 Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.4 Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12122, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11502 und 18/11931 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war die Linke. Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war die Linke. Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union Drucksachen 18/11242, 18/11620 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11808 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.5 Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11808, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11242 und 18/11620 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Es gibt keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. CDU/CSU und SPD waren dafür. Bündnis 90/Die Grünen und die Linke waren dagegen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822 Nr. 6 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/12151 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.6 Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12151, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11241 und 18/11622 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand enthält sich. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12162. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren SPD und CDU/CSU, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12163. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linken. Dagegen waren SPD und CDU/CSU. Enthalten hat sich niemand. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsannex) Drucksache 18/11530 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG) Drucksache 18/11529 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/12145 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.7 Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11530 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Da es ein Vertragsgesetz ist, gab es hier nur die zweite Lesung. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11529 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Damit gehe ich davon aus, dass niemand dagegenstimmt und sich niemand enthält. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren Drucksache 18/10823 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12154 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.8 Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12154, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10823 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Enthalten hat sich die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Dagegen war niemand. Enthalten hat sich die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung Drucksache 18/11180 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11813 Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auch Änderungen weiterer dienstrechtlicher Vorschriften. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.9 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11813, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11180 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksachen 18/11236, 18/11535, 18/11683 Nr. 11 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/12082 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12083 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Dorothee Bär für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heute zur Beratung anstehenden Gesetz liefern wir einen maßgeblichen Beitrag zur Verkehrsinfrastrukturplanung und ergänzen so unseren wunderbaren und von einigen als „perfekt“ bezeichneten Bundesverkehrswegeplan 2030. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD) Gero Storjohann hat heute keine Stimme und kann daher nicht sprechen. Er hat mich darum gebeten, für ihn die harten Fakten zu präsentieren, und das tue ich selbstverständlich. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 haben wir festgehalten, dass sich der Bund im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten stärker am Bau von Radschnellwegen beteiligen wird. Wir schaffen mit diesem Gesetz eine Ermächtigungsgrundlage für die Gewährung von Finanzhilfen zum Bau von Radschnellwegen in der Baulast von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurde auch endlich mal Zeit!) Für das Haushaltsjahr 2017 sind im Bundeshaushalt dafür insgesamt 25 Millionen Euro vorgesehen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen wenig!) Mit der Förderung von Radschnellwegen machen wir das Radfahren attraktiver, besonders für den Pendlerverkehr. Wir sorgen dafür, dass Staus vermieden werden und dass der Verkehrsfluss noch weiter verbessert wird, als er durch unsere Politik ohnehin schon verbessert wurde. (Lachen der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Einzelheiten der Gewährung von Finanzhilfen regeln wir mit den Ländern in einer Verwaltungsvereinbarung. Diese wird gerade parallel zum Gesetzgebungsverfahren vorbereitet. Aber der Gesetzentwurf beinhaltet noch einen zweiten bedeutsamen Bereich. Hier geht es um die Beschleunigung des Planungs- und Baurechtsverfahrens für wichtige Bundesfernstraßenprojekte. Die Planungsbeschleunigung ist für uns ein zentraler Schritt, um die Leistungsfähigkeit unserer Verkehrsinfrastruktur an neuralgischen Punkten sicherzustellen. Mit der Gesetzesänderung werden wir die Vorhabenliste in der Anlage des Bundesfernstraßengesetzes fortschreiben, die die Projekte beinhaltet, für die erstinstanzlich das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist. Mit dieser Vorhabenliste konzentrieren wir den Klageweg für wichtige Bundesfernstraßenprojekte, aber natürlich bleiben Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz gleichwohl gewährleistet. Die Vorhabenliste ist bereits seit Dezember 2006 Anlage zum Bundesfernstraßengesetz; sie wurde 2015 bereits einmal ergänzt. Aber mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 wurde es notwendig, die Vorhabenliste fortzuschreiben und grundsätzlich anzupassen. Das heißt, wir berücksichtigen die gesetzlichen Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit ein Vorhaben in die Anlage aufgenommen werden kann. Wir konzentrieren uns zum Beispiel auf die Verbesserung der Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen oder auf die Beseitigung schwerwiegender Verkehrsengpässe. Mit dem Gesetz sind 46 Projekte in der Vorhabenliste. Wir schaffen damit optimale Rahmenbedingungen für wichtige Infrastrukturvorhaben. Wir verkürzen auch den Zeitraum bis zur Baurechtsschaffung bei wichtigen Bundesfernstraßenprojekten um bis zu eineinhalb Jahren. Ich glaube, ich sage nichts Falsches, wenn ich sage, dass es für uns insgesamt noch schneller gehen könnte, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Rechtsstaatlichkeit beachten!) dass es wünschenswert wäre, wenn es bei der Schaffung von Verkehrsinfrastruktur nicht immer so wäre, Frau Kollegin Wilms, wie bei der katholischen Kirche, wo man manchmal eher in Jahrhunderten denkt. Wir würden uns wahnsinnig freuen, wenn die Vorhaben von Ihnen und Ihren Freunden nicht immer blockiert würden. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir blockieren nicht! Machen Sie eine vernünftige Planung!) Wenn wir mehr Jasager und weniger Neinsager hätten, würden wir uns freuen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir tun alles, damit wir im Bereich der Infrastruktur schnell Fortschritte erzielen, weil wir ganz fest der Überzeugung sind – damit ist auch unser Ministerium überschrieben –, dass eine zukunftsfähige Infrastruktur die Voraussetzung für Wohlstand und für Wachstum in unserem Land ist. Daher sind wir sehr stark für Mobilität und nicht gegen Mobilität. Deswegen freue ich mich ganz besonders, Frau Wilms, dass es Ihnen heute Abend so wichtig war, die Bundesregierung hier noch einmal loben zu können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Bär. – Jetzt kommen wir zum ersten krankheitsbedingten Ausfall in dieser Debatte. Die Kollegin Sabine Leidig liegt krank zu Hause. Sie wollte eigentlich kommen, konnte aber doch nicht kommen. Die Rede liegt vor und geht mit Ihrem Einverständnis zu Protokoll.10 – Ich sagte, dass das der erste Ausfall ist. Es kommt noch einer. Der Redner ist zwar da, aber nicht redefähig. Danke schön, Frau Kollegin Leidig, für die Rede und gute Besserung. – Nächster Redner: Gustav Herzog für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gustav Herzog (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz vor Mitternacht läuft der Deutsche Bundestag noch einmal zur Höchstform auf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so muss das sein bei Verkehrsthemen!) Wenn wir uns alle anstrengen, dann werden wir gleich einen Gesetzentwurf mit zwei guten Botschaften für die Menschen draußen im Lande beschließen: Wir helfen mit, damit es einfacher wird, große Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen, und wir sorgen dafür, dass ganz wichtige Verkehrsprojekte im Straßenbau weiterhin in einem beschleunigten Verfahren realisiert werden können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir konsequent unsere Priorisierungsstrategie fort, die wir in der Diskussion über den Bundesverkehrswegeplan immer wieder aufgezeigt haben: Erhalt vor Neubau. Jetzt kommt es: Insbesondere wollen wir investieren in die Beseitigung von Engpässen und den Ausbau von Verkehrsknotenpunkten. Wir haben eine vernünftige Verteilung auf die Verkehrsträger. Frau Staatssekretärin, der Bundesverkehrswegeplan war gut, die Ausbaugesetze des Parlaments waren natürlich noch besser, weil wir seitens der Koalition noch das eine oder andere hinzugefügt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann sich alles schönreden!) Im Dezember haben wir die Rechtsgrundlage geschaffen. Geld ist vorhanden; das ist der berühmte Investitionshochlauf. Beim Personal ist es etwas schwieriger. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir eine intensive Diskussion darüber führen, ob der Bund die Arbeit besser und mit mehr Personal machen kann als die Länder bisher. Was die Planungsvereinfachung angeht, gibt es mittlerweile unzählige Kommissionen und Vorschläge. Ich habe immer den Eindruck, dass das viel Papier ist, am Schluss aber das Instrument fehlt, damit die Projekte, die wir alle für notwendig halten, schneller umgesetzt werden können. Heute Abend geht es weiterhin um die Verfahrensbeschleunigung, um die berühmte Liste in der Anlage zu § 17e des Bundesfernstraßengesetzes, in der wir die Projekte aufgeführt haben, die wir für besonders wichtig halten. Wir hatten im Ausschuss eine sehr gute Anhörung. Alle Sachverständigen haben uns auf unserem Weg bestätigt und gesagt: Das ist das richtige Instrument, und ihr seid bei der Auswahl der Projekte sehr sorgfältig vorgegangen. Deswegen sage ich in Richtung der Linken – Kollegin Leidig konnte das jetzt nicht vortragen –: Diesen Paragrafen und die Anlage zu streichen, wie Sie es in Ihrem Änderungsantrag fordern, wäre ein falsches Signal. Wenn wir sagen: „Wir priorisieren die wichtigen Projekte“, dann heißt das auch: Das Verfahren muss schneller sein, als wenn die Sache vom Gericht zum Bundesverwaltungsgericht und wieder zurückgeht. Ihr Antrag ist falsch. Deswegen werden wir ihn ablehnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Eine rein qualitative Betrachtung der Projektliste, also nicht des Projektvolumens oder der verkehrlichen Bedeutung, macht noch einmal klar: Wir sind sehr sorgfältig an die Aufgabe herangegangen. Die Liste ist von 61 auf 46 Projekte reduziert worden. 34 Projekte haben sich zum Teil erledigt, weil sie unter Verkehr sind, weil sie im Bau sind, weil es einen neuen Zuschnitt gibt oder weil wir sie mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan als nicht mehr notwendig erachten. Frau Kollegin Wilms, diese haben wir dann auch gestrichen. 15 neue Projekte sind dazugekommen, die in der neuen Priorisierung „Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung“ sind. Außerdem – das hatten wir schon 2015 gemacht – sind auch Autobahnbrücken dazugekommen, die in einem schwierigen Zustand sind; dort müssen wir sehr schnell für Ersatzneubauten sorgen. Ich glaube, wir schlagen hier den richtigen Weg ein. Am Montag hat Kollege Stefan Zierke zusammen mit 150 anderen Teilnehmern die zwölfte parlamentarische Radtour durch Berlin durchgeführt. Sie sind 18 Kilometer gefahren. Das ist zwar deutlich mehr als die zehn Kilometer, die wir als Mindestlänge für einen Radschnellweg als notwendig ansehen, aber ich habe gehört, dass es keine schnelle Fahrt war, sondern dass man sich Zeit genommen hat, um sich etwas in Berlin umzuschauen. Wir wollen das, was der Bund bislang schon gemacht hat, noch einmal deutlich erweitern. Der Bund baut bereits entlang von Bundesstraßen Radwege. Das machen wir gut. In diesem Zusammenhang möchte ich die B 47 in Rheinland-Pfalz erwähnen – wen wird es wundern –, im schönen Zellertal zwischen Harxheim und Albisheim. Das ist ein Radweg, der nicht nur von Radfahrern, sondern auch von Fußgängern, also Spaziergängern oder Joggern, genutzt wird. Es gibt kluge Investitionen des Bundes nicht nur entlang von Bundesstraßen, sondern auch entlang von Bundeswasserstraßen. Dort, wo unsere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sagt: „Dieser Betriebsweg kann in Absprache mit den Kommunen genutzt werden“, ist es möglich, diese Wege entlang des Wassers – sie sind natürlich besonders toll – zu nutzen. Wir haben mit dieser Gesetzesänderung aber etwas anderes im Blick. Wir wollen, dass der Bund Radwege baut. Es soll entsprechende Angebote für Pendler geben, lange Strecken schnell fahren zu können. Wir wollen, dass dort über 2 000 Fahrradfahrten pro Tag stattfinden. Wir fordern einen Fahrbahnquerschnitt von 4 Metern Breite. Das ist etwas anderes als ein touristischer Radweg. Wir brauchen deswegen eine saubere Abgrenzung. Wir wollen unsere Straßen entlasten. Wir schaffen die Möglichkeit für mehr Bewegung, für mehr Gesundheit, und natürlich schaffen wir auch Zeitersparnis. Wenn auf der Straße Stau ist, ist es allemal besser, mit dem Rad zu fahren. Dies ist also ein gutes Gesetz, dem die SPD-Fraktion gerne zustimmt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Herzog. – Nächste Rednerin: Dr. Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch den einsamen Besucher auf der Tribüne herzlich begrüßen. Kommen wir doch einmal zu dem, was Frau Bär, unsere liebe Staatssekretärin, eben gesagt hat. Es ist erstaunlich, ich beginne die Rede mit etwas, das Sie gar nicht erwarten, Frau Bär: mit einem Lob für das BMVI. – Was ist los? (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Das raubt uns den Schlaf!) Jetzt wird es richtig gefährlich. (Gustav Herzog [SPD]: Ja! Da fängt man schon an, darüber nachzudenken, was man falsch gemacht hat!) Das, was Sie hinsichtlich der Radschnellwege gemacht haben, also dass Sie das als Bund jetzt angehen und für Förderung sorgen, ist in Ordnung. Das unterstützen auch wir. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Schön!) Wir hätten uns nur gewünscht, dass Sie ein bisschen mehr Geld dafür finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Hartmann [SPD]: Das war jetzt aber gemein!) Jetzt kommen wir zu den harten Fakten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf planen Sie erneut eine Beschränkung des Rechtsweges bei Straßenprojekten. Das heißt, Bürger und klageberechtigte Verbände haben für ihren Klageweg nur noch eine statt drei Instanzen zur Verfügung. Für eine stark verlängerte Liste an Projekten, für die diese Rechtswegausnahmen gelten, geht es dann nur noch zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig. Sie haben wieder viele, viele Projekte dazugeschrieben. Sie haben auch ein paar gestrichen; das wissen wir. (Gustav Herzog [SPD]: Die Liste ist gekürzt worden! 46 sind weniger als 61!) Sie wollen viele Projekte aus der Wahlkreisbeglückungsnummer Bundesverkehrswegeplan so vermeintlich schneller durchziehen. Dabei ist Ihnen selbst das eigentlich hohe Gut der Gerichtsinstanzen nicht mehr heilig. In der Liste, die Sie mit dem Gesetzentwurf vorlegen, stecken einige Projekte – das wissen auch Sie, Kollege Herzog; nicht immer falsche Sachen erzählen –, die eine hohe Umweltbetroffenheit aufweisen. Das sollte eigentlich gerade ein Argument sein, den Bürgern, Verbänden oder allgemein Betroffenen vollen Rechtsschutz zuzusichern und nicht diese verkürzte Nummer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Der Rechtsschutz beim Bundesverwaltungsgericht ist ausreichend!) Wie wäre es, wenn Sie die Betroffenen vor Ort auch einmal von Anfang an in die Planungen einbeziehen würden? Fehlanzeige! (Gustav Herzog [SPD]: Das machen wir doch!) Stattdessen gaukeln Sie den Bürgern Beteiligung vor und nehmen ihnen dann auch noch Klageinstanzen weg. Das zeugt nicht gerade davon, dass Sie verstanden haben, was Bürgernähe bedeutet. Erstaunlich für die Sozialdemokraten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für Sie findet Beteiligung nur in der obrigkeitsstaatlichen Auslegung der Planungsunterlagen statt. Das läuft dann so: Die Planfeststellungsbehörde legt den Ordner in einem Amt aus. Das war es. (Gustav Herzog [SPD]: Das steht heute alles im Internet!) Eine echte Beteiligung sieht jedoch anders aus. Dass es die Bundesregierung mit der uferlosen Ausweitung der Liste im Gesetz übertreibt, zeigt ein kurzer Blick zurück. Das Gesetz war nämlich eigentlich für den Ausnahmefall gedacht (Gustav Herzog [SPD]: 46 Verkehrsprojekte, das ist eine Ausnahme!) – das war damals die deutsche Einheit, und es waren dann die Brückenprobleme –, wenn etwa Gefahr im Verzug ist, wie vor wenigen Jahren an den Beispielen Leverkusener Rheinbrücke oder Rader Hochbrücke zu erkennen war. Die haben wir aufgenommen. Die Planungen für Ersatzbauwerke wurden nämlich über lange Zeit vernachlässigt. Nicht nur diese beiden Brücken mussten wegen Baufälligkeit auch teilweise gesperrt werden. Da muss es jetzt also schnell gehen. In solchen Fällen, wenn es also um dringend nötige Ersatzmaßnahmen geht, macht die Klausel zur Klagewegverkürzung durchaus noch Sinn. Dann kann man sich das ernsthaft vorstellen. Denn dann geht es darum, unser Verkehrsnetz, also die bereits geschaffenen Werte, zu erhalten. Aus diesem Grund können wir der pauschalen Ablehnung, die die Linke mit ihrem Änderungsantrag erreichen will, nicht zustimmen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schade!) Die Bundesregierung geht aber deutlich zu weit und meint, zweifelhafte neue Projekte wie die A 20 oder die A 39 schneller planen und bauen zu können. Sowohl Koalition als auch Linke überdrehen ihre gegensätzlichen Positionen. Wir plädieren für kluge Ausgewogenheit. Der Gesetzentwurf erscheint wie ein Placebo gegen Planungsverzögerungen; denn viel Zeit in der Gesamtplanung wird nicht gewonnen. Die meiste Zeit nehmen nach wie vor die unheimlich schleppenden Planungsprozesse in Anspruch, nicht nur bei Fernstraßenprojekten. Hier regiert die organisierte Verantwortungslosigkeit zwischen Bund und Ländern. Ich hoffe, dass wir dieses Problem langsam gelöst bekommen. Die Schuld an der Dauer der Planungsprozesse den Bürgerinnen und Bürgern und den Verbänden zuzuschreiben, klingt da nur zynisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir lehnen die Rechtswegeinschränkung für so viele umstrittene Straßenprojekte daher ganz klar ab. Verschonen Sie die Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode wieder dabei sind, künftig vor solchen Anträgen und Gesetzentwürfen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: 46 ist trotzdem weniger als 61!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Valerie Wilms. – Nächster Redner in der Debatte wäre Gero Storjohann. Er ist aber so heiser – bzw. er ist ohne Stimme –, dass er seine Rede zu Protokoll gegeben hat. Vielen Dank, dass Sie bei der Debatte dennoch dageblieben sind.11 (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12082, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11236 und 18/11535 anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12129 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen, und dagegen waren SPD und CDU/CSU. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt hat die CDU/CSU, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksachen 18/11234, 18/11532, 18/11683 Nr. 9 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/12143 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.12 Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12143, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11234 und 18/11532 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen war niemand, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen Drucksache 18/11936 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.13 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11936 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie haben sicher keine anderen Vorschläge dazu. – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksache 18/11508 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11812 b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksache 18/11509 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11797 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.14 Tagesordnungspunkt 33 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem eben genannten Abkommen mit der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11812, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11508 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen – das ist auch ein Vertragsgesetz –, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 33 b. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11797, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11509 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters Drucksache 18/12051 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.15 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/12051 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote – 37. BImSchV) Drucksachen 18/11283, 18/11472 Nr. 2.1, 18/12152 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.16 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12152, der Verordnung auf Drucksache 18/11283 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann enthält sich niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Nicht nur die Tagesordnung ist erschöpft. (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Auch die Präsidentin!) Damit berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. April 2017, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen einen langen schönen Restabend. Vielen Dank für die Konzentration. Vielen Dank auch den Parlamentsassistenten und assistentinnen. (Schluss: 23.52 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dağdelen, Sevim DIE LINKE 27.04.2017 De Ridder, Dr. Daniela SPD 27.04.2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 27.04.2017 Ehrmann, Siegmund SPD 27.04.2017 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 27.04.2017 Haase, Christian CDU/CSU 27.04.2017 Heil (Peine), Hubertus SPD 27.04.2017 Hellmich, Wolfgang SPD 27.04.2017 Hornhues, Bettina CDU/CSU 27.04.2017 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 27.04.2017 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 27.04.2017 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 27.04.2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 27.04.2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 27.04.2017 Leutert, Michael DIE LINKE 27.04.2017 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 27.04.2017 Liebing, Ingbert CDU/CSU 27.04.2017 Möring, Karsten CDU/CSU 27.04.2017 Nahles, Andrea SPD 27.04.2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 27.04.2017 Özoğuz, Aydan SPD 27.04.2017 Pitterle, Richard DIE LINKE 27.04.2017 Post, Florian SPD 27.04.2017 Pronold, Florian SPD 27.04.2017 Roth (Heringen), Michael SPD 27.04.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 27.04.2017 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 27.04.2017 Schwabe, Frank SPD 27.04.2017 Siebert, Bernd CDU/CSU 27.04.2017 Tank, Azize DIE LINKE 27.04.2017 Werner, Katrin DIE LINKE 27.04.2017 Zertik, Heinrich CDU/CSU 27.04.2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Lobbyismus im Klassenzimmer (Tagesordnungspunkt 18) Xaver Jung (CDU/CSU): Heute diskutieren wir abermals den Antrag „Kein Lobbyismus im Klassenzimmer“, in dem die Fraktion Die Linke (praktisch) vorschlägt, Unternehmen und Wirtschaftsverbände aus unseren Schulen zu verbannen. Dies gilt es entschieden abzulehnen! Denn weder können noch wollen wir externe Partner auf Kosten unserer Schülerinnen und Schüler ausschließen. Lehr- und Lernmittel müssen nach den Schulgesetzen der Länder zur Erfüllung des Erziehungsauftrages der Schule sowie der besonderen Aufgaben der einzelnen Schulart geeignet sein. Lehr- und Lernmittel, die an öffentlichen Schulen des Landes verwendet werden, bedürfen in der Regel einer Genehmigung durch die Kultusministerien. Der Genehmigungspflicht unterliegen auch Programme und als Reihe konzipierte Themenhefte, die durch ihren aufeinanderfolgenden Einsatz ein genehmigungspflichtiges Schulbuch ersetzen. Entscheiden müssen also die Länder, ob uns dies gefällt oder nicht. Solange die Länder dieses Recht nicht an den Bund weitergeben, halten wir hier Fensterreden. In Ihrem Antrag fordern Sie eine Prüfstelle für themenbezogene zivilgesellschaftliche Lehrmaterialien auf Bundesebene. Na, da wäre ich auf die Reaktion der Länder gespannt, wenn wir gegen den Willen der Länder einen Oberschiedsrichter beim Bund installieren wollten. Die Linken sehen Probleme bei der Übersichtlichkeit des angebotenen Materials und bei einer möglichen Einseitigkeit. Soweit stimme ich Ihrer Problembeschreibung zu. Bei Ihrer Furcht vor einseitiger Beeinflussung überziehen Sie erheblich. Sie schütten förmlich das Kind mit dem Bade aus. Es ist zudem naiv, zu glauben, dass wir den Materialeinsatz eines jeden einzelnen Lehrers in jeder einzelnen Unterrichtsstunde kontrollieren können. Deshalb haben wir einen Rahmen geschaffen, um einseitige interessengeleitete Einflussnahmen im Unterricht zu verhindern. Dieser Rahmen bildet sich neben einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz, den Lehrmaterial-Zulassungsstellen der Kultusministerien, den Schulaufsichtsbehörden und Schulleitungen auch aus dem Beutelsbacher Konsens. Dieser verpflichtet die Lehrenden, den Schülerinnen und Schülern keine Meinung aufzuzwingen, sondern sie dabei zu unterstützen, eine eigene Meinung zu bilden. Außerdem müssen Themen, die in der Wissenschaft und Politik kontrovers erscheinen, auch von Lehrenden kontrovers dargestellt werden. Ferner gilt es, die Lernenden in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu ihrer Position in der Gesellschaft zu bilden und auch entsprechend aktiv werden zu können. Des Weiteren gibt es noch den „Materialkompass“, dessen Finanzierung mit dem nächsten Koalitionsvertrag fortgeschrieben werden könnte. Dieses Onlineangebot klassifiziert Lernmaterial – und kann ebenfalls als Orientierung für die Unterrichtsauswahl dienen. Es zeigt sich also: Wir haben genügend Kriterien für die Sicherung von Qualitätsstandards von Lehrmaterial. Innerhalb dieses Rahmens haben das letzte Wort jedoch immer noch die Lehrerinnen und Lehrer. Wir bilden sie über viele Jahre darin aus, eine dem Unterricht angemessene Lernmaterialauswahl zu treffen. Denn auch zwischen zugelassenen Materialien muss eine Auswahl getroffen werden, unterscheidet sich dieses doch qualitativ sehr stark. Mehr Vertrauen seitens aller, auch der Linken, erscheint deshalb angemessen. Zudem sind Lehrende in der Lage, Material von Unternehmen kritisch zu hinterfragen, und zwar gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern. Ein Problem mit Lobbyismus entsteht doch erst, wenn unklar ist, wer mit welchem Interesse das Material erstellt hat, damit reflektiert werden kann, wer mit welchem Interesse das Material erstellt hat. Es ist doch vollkommen naiv und lebensfern, das, was im Leben der Schülerinnen und Schüler tagtäglich außerhalb der Schule passiert, nicht aufzugreifen, um Neutralität zu erzeugen und zu wahren. Denn die Unternehmen sind Teil unserer Gesellschaft und prägen mit ihren Produkten den Alltag. Dies muss aufgegriffen, nicht verdrängt werden! Die Frage, die sich mir stellt, ist also: Welches Ziel könnte eine solche Prüfstelle noch verfolgen? Soll sie eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Einflussnahme vornehmen? Wo wäre denn da die Grenze, und wer kann diese Grenze ziehen, ohne selbst beeinflusst zu sein? Die Grenze, die der DGB vorschlägt, ist auf jeden Fall auch keine Alternative. In seiner Handreichung „Schule und Wirtschaft“ kritisiert die Gewerkschaft, dass Unternehmen Einfluss auf die Unterrichtsvermittlung nehmen. Unter anderem würden prekäre Beschäftigung und gerechte Löhne nicht thematisiert werden. Die Gewerkschaft bietet ihre Hilfe zur Beseitigung dieses Missstandes an, indem sie Schülerinnen und Schülern einen „objektiven, hinterfragenden Blick ermöglichen“ möchte. Als Material dafür schlägt sie einzig und allein die Publikation „Böckler Schule“ der Hans-Böckler-Stiftung vor. Das ist keine wertneutrale Quelle. Für die Entwicklung eines kritischen Blickes ist es unbedingt notwendig, eine andere Meinung hinzuzuziehen. Es zeigt sich: Ein systematischer Ausschluss von Unternehmen ist nicht begrüßenswert, würde damit doch der Verlust einer befruchtenden Perspektive einhergehen. Meine Fraktion, die CDU/CSU, ist im Gegenteil sogar davon überzeugt, dass Unternehmen, Initiativen und Verbände sogar eine Bereicherung für unsere Schulen darstellen! So haben diese externen Partner teilweise eine Ausstattung, die Schulen nicht haben und nicht haben können. Denken Sie nur an die naturwissenschaftlichen Labore, die Mikroskope oder speziellen Pipetten, die sich staatliche Schulen nicht leisten können. Wenn naturwissenschaftliche Unternehmen hier Labore mit Lehreinheiten und Material anbieten, ist das für den Unterricht eine tolle Bereicherung. Im gleichen Berufsfeld sind zudem Fachreferenten eine weitere Bereicherung. Unternehmen wissen, wie der aktuelle Stand der Technik genau ist und sich wirtschaftlich nutzen lässt, jetzt oder in der Zukunft. Auch dies müssen wir unserem Nachwuchs vermitteln – nicht, weil wir ihre Bildung an den Interessen der Unternehmen ausrichten wollen, wie es die Linke immer und auch wieder in ihrem Antrag unterstellt, sondern weil es für die Sicherung des Wirtschafts- und Innovationsstandortes Deutschland kreativen Nachwuchs braucht, der es versteht, Ideen und Wissen zu entwickeln und auch in wirtschaftlich tragfähige Projekte zu überführen. Es kann doch nicht falsch sein, sich schon vor dem Abschluss darüber zu informieren, welche Perspektiven eine Region oder eine Branche bietet. Das können Lehrerinnen und Lehrer in der Regel nicht leisten, weil sie ihr Leben lang in der Schule weilen und die Erfahrung in der Wirtschaft und das Expertenwissen einfach selten vorhanden sind. Sie sind daher in der Regel dankbar für aktuelle praxissichere, ideologiefreie Materialien. Sie entnehmen meist nur einzelne Seiten. Sie kennen den Autor und reflektieren mit ihren Schülerinnen und Schülern auch die Absicht eines Autors. Mein letzter Punkt ist die Berufs- und Studienorientierung. Am Ende eines jeden Schulbesuches steht – so sollte es zumindest sein – der Übergang in den Beruf. Damit dieser flüssig und zielgerichtet verlaufen kann, ist es essenziell, dass die Schülerinnen und Schüler wissen, welche Perspektive sie vor allem in ihrer Region haben. An meinem Wahlkreis wird sehr deutlich: Die Region ist ländlich, landschaftlich beeindruckend, aber tendenziell strukturschwach. In unseren vielen Dörfern verstecken sich aber zum Teil weltmarktführende kleine und mittelständische Unternehmen. Diese brauchen den Nachwuchs und sind ein attraktiver Arbeitgeber – nur muss das der Jugend erst einmal bewusst werden. Betriebe sind darauf angewiesen, in den Schulen sichtbar zu werden. Dies ist für die Zukunft der gesamten Region ein wichtiger Schritt und hat nichts mit einseitiger Einflussnahme zu tun. In unseren Schulen handeln wir nach demokratischen Grundsätzen. Einer davon ist die Pluralität von Meinungen und Informationsquellen. Dies ist bereichernd, für die Schülerinnen und Schüler, für die Lehrenden und auch für externe Partner. Ein Ausschluss dieser Partner aufgrund irgendwelcher Kriterien, für deren Erstellung wir als Bund nicht einmal zuständig sind, wäre ein Verlust für unsere Schulen. Deshalb ist der Antrag der Linken zum Lobbyismus abzulehnen und das zunehmende Engagement verschiedener Akteure für gute Bildung zu begrüßen. Sven Volmering (CDU/CSU): Die gute Nachricht gleich zu Beginn meiner Rede: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird den vorliegenden Antrag ablehnen. Viel Mühe hat sich die Linke mit dieser Wiederaufbereitung einer längst beantworteten Kleinen Anfrage vom 22. August 2014 nicht gemacht. Dieser Antrag ist ein Dokument des Misstrauens gegenüber allen, die mit Schule zu tun haben; er ist inhaltlich schwach, und er dient dazu, aus ideologischen Gründen die „ach so böse“ Wirtschaft bloßzustellen. Dass die gewählten Beispiele mit der AOK, mit der das rot-rot-grün geführte Thüringen selbst zusammenarbeitet, nicht die wirklich besten Belege für die Notwendigkeit des Antrags sind, hat die letzte Debatte ja schon eindrucksvoll bewiesen. Mir erschließt sich in Ihrem Antrag einiges nicht. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass alle Bundesländer Regelungen und Richtlinien in ihren Gesetzen und Erlassen zum Thema Werbung und Sponsoring in Schulen getroffen haben. Die von Ihnen unter Punkt 2 geforderten klaren Kriterien gibt es. Ob dazu zwingend immer eine gesetzliche Regelung in den Schulgesetzen geschaffen werden muss, ist aus meiner Sicht eine Aufgabe, die die Landesregierungen und vor allem die Länderparlamente im Rahmen ihrer Zuständigkeit selbst entscheiden müssen. Der Bund braucht sich dort aus meiner Sicht nicht einzumischen. Zusätzlich hilft es zu wissen, dass die KMK am 12. September 2013 einen Beschluss zur Verbraucherbildung gefasst hat, in dem es ganz klare Hinweise für die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern gibt. Diese müssen sich „inhaltlich am schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrag orientieren, den Gegebenheiten der einzelnen Schule gerecht werden und die Schulqualität“ fördern. Grundlagen des Unterrichts seien die ja auch von Ihnen genannten Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses, nämlich das Überwältigungsverbot, das Kontroversitätsgebot und die Schülerorientierung. Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie diesen in den 70er-Jahren entwickelten, gut funktionierenden, bis heute unstrittigen und prägnanten Konsens durch einen bürokratischen Transparenzkodex durch die Offenlegung ersticken wollen, wer Unterrichtsmaterialien finanziert, wer die Autoren sind und welche Drittmittel es dafür gibt. Diese Forderung ist schlichtweg nicht umsetzbar. Sie haben in der letzten Debatte zu diesem Thema, liebe Frau Hein, darauf hingewiesen, dass bei vielen Hunderttausend – in Ihrem Antrag sprechen Sie dann sogar von 1 Million – Unterrichtsmaterialien kein Ministerium und kein Lehrer in der Lage sei, diese alle zu sichten. Wenn Sie dies selbst nicht mal Ministerien zutrauen, die für die Genehmigung von Schulbüchern und Curricula-Erstellungen zuständig sind, dann brauchen wir auch keine sogenannte unabhängige Monitoringstelle, deren rechtliche Legitimation ich deutlich anzweifle. Den Lehrern und Lehrerinnen haben Sie die Kompetenz abgesprochen, Materialien auszuwerten. Hier widerspreche ich. Sie unterschätzen die Kompetenzen der Lehrer. Mein ehemaliger Fachleiter Werner Völlering hat uns im Referendariat den Spruch eingebläut, dass Lehrer Zeit ihres Lebens Jäger und Sammler seien, immer auf der Suche nach guten Materialien, die sie sichten, kritisch prüfen, wenn es passt, im Unterricht einsetzen und bei Bedarf eben auch wieder austauschen. Bei dieser Suche helfen seriöse Foren und Angebote wie der Bildungsserver in NRW, die immer aktuelles Material liefern, aber auch Schulbuchverlage. Oder man nutzt OER, erstellt selbst Materialien, oder man recherchiert eben. Dafür wurden Lehrer ausgebildet, dies ist eine der Kernkompetenzen. Ich sage mit entsprechendem Selbstbewusstsein als Lehrer, dass ich eine Monitoringstelle, die mir sagt, welche Materialien ich zu nutzen habe oder nicht, nicht brauche. Dies gilt auch für die überwältigende Mehrheit meiner Kollegen. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass Sie mit diesem Antrag eher Lobbyismus für LobbyControl betreiben, wenn ich sehe, wie viele Forderungen dieser Organisation Sie übernommen haben. Bei allem Respekt vor dem Engagement von LobbyControl: Es gehört zur Wahrheit, dass diese Organisation eine bestimmte politische Agenda verfolgt, die man an verschiedenen Stellen zwingend kritisch hinterfragen muss. Ihr Bestreben, alle Unterrichtsmaterialen zentral bewerten zu wollen, ist noch aus einem anderen Grund vollkommen unmöglich. In dieser Woche ist eine Broschüre der von Ihnen im Antrag stark kritisierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft an mein Büro gesandt worden. Der Titel lautet „Deutschland hat die Wahl. Parteien, Positionen, Perspektiven“. Dort werden Fragen gestellt zur Bundestagswahl, zur sozialen Gerechtigkeit, zum Arbeitsmarkt, zur Pflegeversicherung, zur Steuerpolitik etc. Beantwortet haben diese Fragen Cem Özdemir, Katarina Barley, sehr überzeugend aus meiner Sicht Peter Tauber für die CDU und Andreas Scheuer für die CSU, sowie – schau an, schau an – Dietmar Bartsch von der Linken. Warum sollte ein Lehrer diese Broschüre, die nicht einmal als Unterrichtsmaterial gedacht ist, nicht im Unterricht einsetzen, um die verschiedenen Antworten der Politiker durch die Schüler analysieren und bewerten zu lassen? So schlimm können die Fragen nun nicht gewesen sein, sonst hätte die Linke sicher nicht mitgemacht. Ähnlich könnte man mit den Wahlprüfsteinen vom DGB umgehen. Allein dieses Beispiel zeigt deutlich, dass Sie niemals in der Lage sein werden, alles zu erfassen oder zu bewerten, was im Unterricht eingesetzt werden kann. Wenn wir aus ideologischen Gründen jedes Engagement der Wirtschaft hinterfragen, dann darf man sich konsequenterweise als Schule nicht mehr vom Förderverein unterstützen lassen; dann müssten Hunderte durch Werbung finanzierte Schülerzeitungen, Wettbewerbe oder Projekte wie „Zeitung in der Schule“ eingestellt werden. Wenn der Lehrer sich dafür rechtfertigen muss, warum er beim Zeitungsprojekt lieber mit einem Blatt aus Frankfurt statt aus Hamburg oder umgekehrt arbeitet, weil die Zeitung sicher auch junge Leser als zukünftige Abonnenten im Blick hat, dann schütten wir das Kind mit dem Bade aus. Ich habe es bei meiner letzten Rede zu diesem Thema bereits gesagt: Sie trauen Direktoren, Lehrern, Eltern und Schülern nichts zu. Sie unterstellen, dass diese nicht in der Lage sind, klare existierende Regeln bei Werbung und Sponsoring sowie bei kontroversen Auseinandersetzungen einzuhalten. Dies entspricht nicht der Realität und wird von uns als CDU/CSU auf das Schärfste zurückgewiesen. Das bisherige System reicht aus, um Fehlleistungen und eindeutige Fälle von Beeinflussung von Schülern und Schülern zu erkennen und abzustellen. Wir sind der Auffassung, dass wir insgesamt mehr Lebensrealität in die Schulen holen müssen, um Unterricht lebendiger zu machen. Dazu zählt die Wirtschaft ebenso wie Arbeitnehmerorganisationen, NGOs oder die Bundeswehr. Entscheidend ist, dass über eine gesamte Unterrichtsreihe gesehen der Beutelsbacher Konsens eingehalten wird. Zum Abschluss ein letzter Punkt. Wenn man mit Lehrern spricht, dann spielt das Thema Lobbyismus überhaupt keine Rolle. Ich komme aus NRW, und dort ist die Unzufriedenheit mit der grünen Schulministerin ein viel drängenderes Problem als die Frage einer Kooperation mit der Wirtschaft. Viele Lehrer fragen sich: Warum funktioniert das mit der Inklusion in NRW so schlecht? Warum sind so viele Lehrerstellen nicht besetzt? Warum ist man nicht in der Lage, den Unterrichtsausfall digital zu erfassen? Warum kommen Programme wie „Gute Schule“ rein zufällig kurz vor der Wahl, während man ansonsten die Investitionspauschale für Schulbauten nicht erhöht hat? Warum sind die Fortbildungsetats bei gestiegenen Anforderungen so niedrig? Bevor Sie mir nun Wahlkampfgetöse vorwerfen, möchte ich Ihnen einige Zitate der grünen Basis in NRW vorlesen. Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, glauben Sie ja denen. Am 30. März berichtete das BBV über die Vorstandswahlen der Grünen in Hamminkeln. Was man dort alles lesen konnte, widerspricht schon dem, was Sie hier oft im Bundestag erzählen: Löhrmann, die „schwächste Ministerin“, „Im Grunde hat sie nichts erreicht“, „beim Thema Inklusion stehen ihm die Haare zu Berge“, „die Inkonsequenz beim Thema G8/G9-Abitur sei ... nicht nachvollziehbar“, „Unterrichtsausfall“, „Die Stimmung im Kollegium ist absolut anti gegenüber unserer Chefin“. Ich glaube, dass die Abstellung dieser Probleme wichtiger ist als irgendeine Materialkontrolle. Ich bin froh, dass wir im Bund mit Frau Wanka jemanden haben, der immer bereit ist, den Ländern mit sinnvollen Programmen zu helfen, der Kooperation anbietet und sinnvolle Projekte wie den Digitalpakt auf den Weg bringt und damit dem Gesamtsystem Schule wirklich weiterhilft. Der Antrag tut dies nicht, und wir denken an Johann Wolfgang von Goethe, der gesagt hat: „Wer selbst mißtrauisch ist, verdient kein Vertrauen.“ Treffender kann man den Antrag der Linken nicht zusammenfassen. Marianne Schieder (SPD): Wir beraten heute abschließend den Antrag der Fraktion Die Linke „Kein Lobbyismus im Klassenzimmer“. Und ich muss sagen: Die Kritik, die ich schon zur ersten Lesung geäußert habe, bleibt bestehen. Nichts hat sich geändert. Keines der Probleme konnte ausgeräumt werden. Darum werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Antrag auch nicht zustimmen können. Doch beginnen wir vorne: Die Grundüberlegung ist ja gar nicht so verkehrt: Lobbyverbände sollen nicht einfach in den Schulen Werbung für die eigene Sache machen dürfen. Das würden die meisten von uns hier wohl so unterschreiben können. Ganz selbstverständlich ist der Staat in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass Schülerinnen und Schüler kritisches Denken erlernen und nicht einseitig eine Meinung vorgegeben bekommen. So weit, so gut. Dann beginnen aber schnell die Probleme des Antrags. Denn wenn man ihn sich so durchliest, könnte man meinen: Schulen in Deutschland sind reine Schaufenster, in denen sich Konzerne und Unternehmensverbände nach Lust und Laune präsentieren, und niemanden kümmert es. Ganz so einfach und einseitig ist es nun aber doch nicht. Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke schreiben in ihrem Antrag selbst: „Auftrag der Schule ist die Herausbildung selbstständig denkender, ihre gesellschaftliche Umwelt kritisch reflektierender Menschen.“ Und an anderer Stelle: „Gute Schulen öffnen sich darum dem regionalen Umfeld, sie gehen Kooperationen mit unterschiedlichsten Partnern aus der Zivilgesellschaft ein ...“ Jawohl, da haben Sie recht! Leider verstehe ich nicht, warum Sie dann alles in einen Topf werfen und jegliches Material, das nicht vorher staatlich geprüft und autorisiert wurde, verteufeln. Da gibt es doch unzählige Beispiele, die gut geeignet sind, um den Unterricht zu ergänzen. Denken Sie allein an Broschüren der Krankenkassen, die über Gesundheitsrisiken aufklären. Das ist doch eine prima Ergänzung für den Unterricht und die Standardlehrbücher – was genau ist daran falsch? Man könnte da noch unzählige weitere positive Beispiele nennen: von Lehrveranstaltungen mit dem Landesbund für Vogelschutz bis hin zu Betriebsbesichtigungen oder der Gründung von Schülerfirmen, die oft von regionalen Unternehmen unterstützt werden. Ist es nun also gut oder schlecht, wenn sich die Schulen ihrem regionalen Umfeld öffnen und Partner suchen, um den Stoff in der Gesundheitserziehung, Naturkunde oder des Wirtschaftsunterrichts zu veranschaulichen? Wenn Ihr Antrag konsequent umgesetzt würde, wären viele solcher Kooperationsprojekte entweder gar nicht mehr oder zumindest nur erschwert möglich. Darüber hinaus kann es sehr sinnvoll sein, im Unterricht mit Materialien zu arbeiten, die verschiedene Sichtweisen auf bestimmte Sachverhalte vermitteln. Gerade dadurch lernen die Schülerinnen und Schüler, vorliegendes Material kritisch zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Auch der Beutelsbacher Konsens, von dem im Antrag gesprochen wird, sieht das Prinzip der Kontroversität vor. Wenn die geforderte Monitoringstelle sämtliche Unterrichtsmaterialien auf Konformität überprüfen soll, dann würde mich interessieren, worin die Kolleginnen und Kollegen von der Linken hier genau das Prinzip der Kontroversität verwirklicht sehen. Vollkommen abwegig ist auch die Idee, sämtliche externen Lehrinhalte von dieser eben erwähnten Monitoringstelle überprüfen zu lassen. Man muss sich nur einmal vorstellen, welche konkreten Auswirkungen das auf den tagtäglichen Lehrbetrieb hätte! Konsequenterweise würde das jegliche Mathetextaufgaben betreffen, die nicht aus einem zugelassenen Lehrbuch stammen; schließlich wären diese ja nicht bezüglich unerwünschter kommerzieller Einflussnahme geprüft worden und dürften demnach wohl nicht mehr verwendet werden. Bereits heute gibt es den Materialkompass der Verbraucherschutzzentrale. Das ist ein gutes Instrument, das mit übersichtlichen Indikatoren Lehrmedien bewertet. Eine Fortführung des Materialkompasses kann ich mir darum gut vorstellen. Da wissen die Lehrerinnen und Lehrer gleich, woran sie mit einem bestimmten Buch sind, und können abwägen, ob es für ihren Unterricht sinnvoll ist oder nicht. Warum daneben noch eine staatliche Stelle, die praktisch dasselbe macht, eingerichtet werden soll, verstehe ich nicht. Grundsätzlich bin ich nämlich der Meinung, dass Lehrerinnen und Lehrer sehr wohl Unterrichtsmaterialien selbstständig in kritischer Weise hinsichtlich ihrer pädagogischen Eignung einschätzen können. Der Antrag suggeriert allerdings, dass Lehrkräfte dazu nicht in der Lage wären. Ich frage mich, ob die Antragstellerinnen und Antragsteller schon einmal mit Lehrkräften über ihren Vorschlag gesprochen haben, Fortbildungen darüber abzuhalten, wie man brauchbares Unterrichtsmaterial von unbrauchbarem unterscheidet. Die werden nämlich sagen, dass sie das in einem guten Pädagogikstudium ohnehin gelernt haben. Unabhängig von der Kritik im Einzelnen muss ich nochmals wiederholen, was ich bereits in der ersten Lesung gesagt habe: Der Antrag überschreitet jegliche Bundeskompetenz. Nun diskutieren wir zum Glück seit längerem eine Aufweichung des Kooperationsverbotes, die hoffentlich bald kommt. Eine Entmachtung der Länder bei der Bildungshoheit hat meines Wissens aber vollkommen zu Recht noch niemand gefordert. Genau dem kommt so ein Antrag aber gleich: einer unzulässigen Einmischung in die Angelegenheiten der Länder. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern scheint dem Antrag aber ohnehin egal zu sein. Immerhin dreht er sich die Argumente, wie er sie braucht. So wird zum Beispiel die Aktion „Unternehmergeist in Schulen“ des Bundeswirtschaftsministeriums angegriffen, weil sie sich angeblich in die Bildungshoheit der Länder einmischt. Ja, was denn nun? Soll der Bund sich nun um Bildungsinhalte kümmern oder nicht? Das ist doch alles nicht zu Ende gedacht. Unabhängig davon scheint mir der Antrag ohnehin ein anderes Ansinnen zu haben. Da geht es weniger darum, für sinnvolle Verbesserungen zu sorgen, damit es in den Schulen vernünftiges Lehrmaterial gibt. Vielmehr scheint der Antrag gegen jegliche Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragen gerichtet zu sein. Wenn ich junge Menschen dazu befähigen will, dass sie mündig wirtschaftliche Entscheidungen treffen können, sei es als Verbraucher, als Bausparerin oder sonst irgendwie, dann kann die Lösung nicht sein, sie möglichst fernzuhalten von der Wirtschaft. Nur wenn sie verstehen, wie das System funktioniert, können sie kritisch damit umgehen und müssen es nicht als gegeben hinnehmen. Dazu leistet der vorliegende Antrag unabhängig von der fehlenden Bundeskompetenz leider keinen Beitrag. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Der Kulturpolitische Ausschuss im Hessischen Landtag hat am 19. April dieses Jahres ein Werbeverbot an Schulen im Schulgesetz beschlossen. Nun bekommen die beiden regierungsführenden Fraktionen offensichtlich Schwansfedern und rudern zurück. Für den 2. Mai wurde extra eine Sondersitzung des Kulturpolitischen Ausschusses einberufen, um einen relativierenden Antrag zum Gesetz zu verhandeln. Angst vor der eigenen Courage, liebe Grüne, kann ich da nur sagen! Seit Jahren laufen Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure Sturm gegen sich ausbreitende Werbestrategien vor allem größerer Unternehmen und Lobbygruppen, die die Schule längst als Adressaten ihrer Unternehmensstrategien erkannt haben und mit viel Geld große und professionelle Werbeabteilungen damit beauftragt haben, Lernende als Ziel werberischer Strategien auszumachen und geschickt zu umgarnen. Die Kritik kommt von der Bundeszentrale für politische Bildung ebenso wie von den Verbraucherzentralen und LobbyControl. Auch die Uni Augsburg und viele Medien haben schon vor Jahren auf die Flut von werbeträchtigen Unterrichtsmaterialien aufmerksam gemacht. Nun muss, wer guten Unterricht machen will, sich an der Lebenswelt orientieren, aktuell sein und anschaulich. Lehrbücher sind nicht immer topaktuell. Für andere verfügbare Materialien gibt es oft urheberrechtliche Schranken. Da kommen die kostenlosen bunten Heftchen, Arbeitsblätter und digitalen Angebote von Unternehmen gerade recht, und man traut ihnen zu, dass sie von ihrem Handwerk etwas verstehen. Mitunter sind diese Materialien auch didaktisch gut aufbereitet und auf den Unterricht zugeschnitten. Mit solchen Materialien verbinden die Absender aber auch offen oder verdeckt Botschaften zur eigenen Unternehmensstrategie. Uneigennützigkeit darf man da nicht unterstellen. Schülerinnen und Schülern wird so nicht selten einseitig die von ebendiesem Unternehmen oder Verband vertretene Sichtweise auf das eigene Tun nahegebracht. Doch Schulen sind Lernorte, in denen man nicht nur viel fachliches Wissen erwerben soll, sondern auch den kritischen Umgang damit. Darum verbieten sich Werbung und einseitige Informationsstrategien an der Schule. Wir wollen, dass auch im Alltag der Schule und im Unterricht das Kontroversitätsgebot und das Überwältigungsverbot aus der politischen Bildung gelten. Das heißt dann, dass ich bei Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, immer beide Seiten hören muss. Das würde bewirken, dass Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Materialien außerhalb der zugelassenen Lehrbücher im Unterricht verwenden zu können, ist unerlässlich für gute Schule. Wie man das macht und was dabei zu beachten ist, diese Verantwortung liegt immer stärker bei den Lehrkräften. Die Kritikerinnen und Kritiker unseres Antrages aus der CDU/CSU-Fraktion und auch manche aus der SPD halten entgegen, dass Lehrkräfte das schon alleine können und keine Belehrung brauchen. Belehrung sicher nicht, aber Unterstützung. Denn Lehrerinnen und Lehrer haben inzwischen einen ziemlichen Rucksack zu tragen: Sie sollen immer mehr Wissen vermitteln und kompetenzorientiert und interkulturell bilden, sie sollen inklusiv arbeiten, Berufsorientierung betreiben, sollen digitale Bildung implementieren, individuell fördern usw. usf. Da wäre es doch hilfreich, wenn man unter dem zeitlichen Druck, unter dem man steht, sich schnell und verlässlich vergewissern kann. Das könnten unabhängige Stellen exemplarisch leisten. Hingegen eine Zertifizierung und Zulassung aller zur Verfügung stehenden Materialien durch die jeweiligen Kultusministerien, wie das bei den Lehrbüchern üblich ist, ist nicht umsetzbar, weltfremd und auch nicht mehr zeitgemäß. Darum fordern wir, bereits bestehende Instrumente zu erhalten und auszubauen. Eine unabhängige Monitoringstelle könnte beispielsweise beim Deutschen Bildungsserver eingerichtet werden, der heute schon wertvolle Informationen zur Unterrichtsgestaltung bei vielen Themen liefert. Und natürlich geht es uns darum, das Bewusstsein für solche offenen oder auch unterschwelligen Einflussnahmen bei Lernenden, Eltern und auch Lehrenden zu entwickeln. Ein Werbeverbot in den Schulgesetzen würde den kritischen Umgang mit externen Materialien befördern. Dazu gehört auch, dass Bundesministerien sich nicht zum Anwalt einseitiger Interessen machen und ihre Autorität für Empfehlungen nutzen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Staat hat die Aufgabe, die Schulen besser auszustatten, damit Lobbyisten nicht die Deutungshoheit im Unterricht übernehmen. Dieser Pflicht müssen wir zum Wohle unserer Kinder und im Interesse unseres Landes ohne Wenn und Aber nachkommen. Die Beschreibung der aktuellen Situation in dem Antrag der Linken ist zutreffend. In den letzten Jahren versuchen einige Unternehmen, sich mit scheinbar unverfänglichen Angeboten wie Broschüren oder attraktiven Wettbewerben in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler, also der Konsumentinnen und Konsumenten von morgen, festzusetzen. Lobbyismus macht eben keinen Halt vor Schultoren. Mittlerweile ist dieser Bereich so professionalisiert, dass Agenturen sich ausschließlich darauf spezialisieren, Kinder und junge Menschen im Schulalltag interessengeleitet zu gewinnen bzw. im Extremfall gar zu manipulieren. Das Ziel hierbei ist es oft, eine frühe Produktbindung zu sichern. Die Frage ist, wo Lobbyismus beginnt und wo die Grenzen zu ziehen sind. Klar ist, dass systematische und einseitige Beeinflussung nicht ins Klassenzimmer gehören. Hier müssen wir Sorge tragen, dass für Lehrkräfte transparent wird, welche Interessen hinter den Materialien stecken und dass keine – insbesondere finanziellen – Abhängigkeiten entstehen. Die Gefahr ist gegeben; schließlich ist unser Bildungssystem chronisch unterfinanziert. Daher verwundert es auch nicht, wenn Schulen sich nach anderen Geldgebern oder Sponsoren umsehen. Es ist allgemein bekannt, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu wenig in sein Bildungssystem investiert. Die KfW-Studie belegt: Der Investitionsstau in deutschen Schulen beträgt 34 Milliarden Euro. Viele Kommunen und Gemeinden sind nicht in der Lage, die dringend benötigten Investitionen alleine zu tätigen. Stichwort „Kooperationsverbot“, sage ich an dieser Stelle! Der öffentliche Bildungsauftrag darf sich nicht durch geschickt verpackte PR im Klassenzimmer verwässern lassen. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Kooperationen. Die Wirtschaft kann sich gerne in den Schulen einbringen: Betriebspraktika, Betriebserkundungen oder Jobmessen benötigen selbstverständlich das Mitwirken von Unternehmen. Aber im Unterricht müssen Schüler und Schülerinnen kontrovers und kritisch diskutieren können, sie müssen befähigt werden, ihre eigene Meinung zu bilden, um mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden. Wir müssen Sorge tragen, dass für Lehrkräfte transparent wird, welche Interessen hinter den Materialien stecken und dass keine – insbesondere finanziellen – Abhängigkeiten entstehen. Nur so können wir unserem Leitbild, dem Humboldt’schen Bildungsideal, gerecht werden. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, das Projekt Materialkompass Verbraucherbildung zu verlängern. Obwohl alle Fraktionen das Projekt begrüßen, läuft der Materialkompass Verbraucherbildung im Oktober 2017 aus. Wir dürfen Lehrkräfte und Schulen nicht mit der Auswertung der Materialfülle alleine lassen. Die Befunde der PISA-Studie 2006 belegen, dass in Deutschland der Einfluss von Wirtschaft und Industrie auf die Lehrinhalte in den Schulen enorm groß ist. Tendenz steigend! Es besteht riesiger Handlungsbedarf seitens des Bildungsministeriums und der KMK. Denn Schule muss weiterhin ein geschützter Raum für unsere Kinder bleiben. Wir setzen auf kreative und konstruktive Wege der Kooperation mit der Wirtschaft – ohne Abhängigkeiten und Lobbyismus mit dem schlichten Ziel der Produktvermarktung! Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Wir sprechen heute über ein Thema, das immer noch ein Tabuthema in Deutschland ist, obwohl es sich dabei keineswegs nur um eine Randerscheinung handelt: Es geht um Gewalt gegen Frauen. Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch von Frauen finden überall, zu jeder Zeit und in allen sozialen Schichten statt. Und spätestens seit der Silvesternacht in Köln wissen wir, dass sexuelle Gewalt nicht einmal heimlich geschieht. Gewalt gegen Frauen macht vor nichts und niemandem halt und greift durch alle Gesellschaftsschichten: junge Frauen wie alte, reiche wie arme, gebildete wie ungebildete. Und genau das ist der Grund, weshalb die Zahl der Betroffenen auch so hoch ist. Im vergangenen Herbst veröffentlichte das Bundeskriminalamt erschreckende Zahlen zu Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften. Allein im Jahr 2015 wurden 104 000 Frauen in Deutschland durch ihren Partner oder Expartner Opfer von Mord, Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder Stalking. Und diese Zahlen zeigen längst nicht das gesamte Ausmaß. Experten gehen von einem weitaus größeren Dunkelfeld aus, da viele Frauen gewalttätige oder sexuelle Übergriffe aus Angst oder Scham gar nicht erst zur Anzeige bringen und ihr Schweigen nicht brechen. Ich freue mich, dass wir heute einen wichtigen Schritt gehen, um den Frauen in Deutschland umfassenden Schutz vor allen Formen von Gewalt zu bieten. Wir werden heute ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Istanbul-Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzt. Damit nehmen wir eine weitere Hürde auf dem Weg zu einem europaweit einheitlichen Rahmen für Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung. In den 81 Artikeln der Konvention werden die Maßnahmen definiert, die die Mitgliedstaaten zu ergreifen haben: Es geht um Maßnahmen des Gewaltschutzes, Schutz und Unterstützung der Opfer und auch um rechtliche Regelungen zur Ermittlung und Verfolgung von Straftaten sowie Monitoring und statistische Erhebungen. Deutschland hat bereits alle Verpflichtungen aus der Konvention umgesetzt. Dazu gehört insbesondere die Einrichtung eines bundesweiten Hilfstelefons, über das in den letzten zwei Jahren bereits 100 000 Beratungsgespräche geführt wurden. Man hat die Hürden bewusst niedrig gehalten, sodass wirklich jede Frau, die Hilfe braucht, auch Hilfe bekommen kann: So besteht das Angebot rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr per Telefon, Chat oder E-Mail. Die Hilfe wird in insgesamt 17 verschiedenen Fremdsprachen sowie in Gebärdensprache angeboten und ist natürlich anonym und vertraulich. Die Nummer lautet 08000 116016 und soll auch an dieser Stelle noch einmal genannt werden. Eine weitere Verpflichtung aus der Konvention betraf das Sexualstrafrecht. Konkret ging es darum, dass alle sexuellen Handlungen, die nicht einvernehmlich geschehen, unter Strafe gestellt werden müssen. Ein Nein des Opfers muss ausreichen, um deutlich zu machen, dass es die sexuelle Handlung nicht wünscht. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Seit November letzten Jahres ist das nun auch gesetzlich klargestellt. Die Istanbul-Konvention und ihre Ratifikation durch das vorliegende Gesetz sind wichtige Schritte im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Und dabei geht es nicht nur darum, Maßnahmen zu treffen und neue Gesetze zu schreiben. Es geht vor allem auch darum, das Thema „Gewalt gegen Frauen“ in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen, denn mehr Aufmerksamkeit kann auch schon helfen. Wir sollten daher weiter sensibel und gewiss nicht hinter verschlossenen Türen mit diesem Thema umgehen. Wir sollten die Scham und das Schweigen brechen und die Frauen dazu ermutigen, auszusprechen, was ihnen wiederfahren ist, und die Hilfe einzufordern, die sie benötigen. Mir ist es daher ein wichtiges Anliegen, die Stellen zu fördern, die vor Ort die erste Hilfe und Beratung leisten. Das sind die kleinen ehrenamtlichen Vereine, Selbsthilfegruppen, Frauenhäuser oder auch Frauennotrufe. Diese Einrichtungen leisten wirklich Enormes, um den betroffenen Frauen zu helfen und ihnen Mut zu machen. Hier muss unsere Unterstützung einfließen. Ich appelliere daher an alle, sich dort einzusetzen und starkzumachen. Sylvia Pantel (CDU/CSU): Gewalt gegen Frauen ist in keiner Form und durch nichts zu rechtfertigen. Wir sind uns einig, dass die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ein wichtiges und in diesem Haus zu Recht immer wiederkehrendes Thema ist. Jeder Mensch hat Anspruch auf Unversehrtheit und ein Leben in Würde. Jede Gewalttat gegen Frauen ist ein Verstoß gegen Menschenrechte und ein Verbrechen. So deutlich müssen wir das formulieren. Und auch keine Religion oder Kultur auf der Welt rechtfertigt es, die Rechte von Frauen einzuschränken, sie zu missachten oder gar Gewalt gegen Frauen anzuwenden. Religionsfreiheit ist ein Grundrecht in unserem Land, aber sie muss dort ihre Schranken finden, wo sie Menschenrechte verletzt. Die Bundesregierung hat am 8. März dieses Jahres, dem Internationalen Frauentag, dem Entwurf des Gesetzes zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zugestimmt und somit den Weg freigemacht zur Ratifizierung des Abkommens. Die sogenannte Istanbul-Konvention stuft Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung ein. Sie wurde bisher von 22 Staaten ratifiziert. 81 Artikel definieren politische und rechtliche Maßnahmen, die Staaten ergreifen müssen, um die vorgeschriebenen Ziele zu erreichen. Dem Vorwurf, Deutschland hätte die Konvention schon viel früher ratifizieren sollen, möchte ich zwei Punkte entgegenhalten: Erstens war es notwendig, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Ratifizierung zu schaffen. Dazu war zunächst eine Reform des Sexualstrafrechts, des § 177 Strafgesetzbuch, erforderlich. Durch die gesetzliche „Nein heißt Nein“-Regelung, die vorschreibt, dass sich nun jeder strafbar macht, der sich über „den erkennbaren Willen“ des Opfers hinwegsetzt, schaffen wir Rechtssicherheit. Die Reform war damit ein wichtiger Schritt und zugleich Voraussetzung für eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention. Ich komme nun zum zweiten Punkt, und zwar zu der Tatsache, dass allein die Unterschrift unter ein Abkommen noch keine Frau aus häuslicher Gewalt befreit oder diese verhindert hat. Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist richtig und wichtig, aber sie ersetzt nicht konkrete Maßnahmen vor Ort. Vermeintlicher Schutz auf dem Papier bewirkt noch keine Veränderung der Lebenswirklichkeit von betroffenen Frauen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens verpflichten sich die Staaten, Maßnahmen zu ergreifen, die geschlechtsbezogene Gewalt verhindern. Dazu zählen Prävention, Schutz, Strafverfolgung, organisatorische Zusammenarbeit staatlicher und nichtstaatlicher Stellen sowie das Monitoring der Umsetzung. Umfassende Verpflichtungen dienen vor allem dazu, die Gleichstellung von Mann und Frau zu stärken. Dies ist ein wichtiger Punkt. Denn es geht auch und vor allem um die Stärkung des Bewusstseins der Frauen für ihre Rechte. Denn was nutzen Statistiken zu von Gewalt betroffenen Frauen, wenn diese gar nicht das Bewusstsein dafür haben, dass ihnen Unrecht widerfährt? Wenn diese Frauen nicht den Mut haben, ihre Stimme zu erheben, sich gegen gesellschaftliche Konventionen oder kulturelle Traditionen zu wehren und Hilfe zu suchen? Die Türkei hat die Istanbul-Konvention bereits 2012 ratifiziert. Und trotzdem ist in Teilen des Landes Gewalt gegen Frauen nach wie vor ein großes Problem, die „Ehre“ ist häufig die Existenzgrundlage der Familie und nicht selten eine Rechtfertigung von Gewalttaten an Frauen. Dabei verpflichten sich, laut Vertragstext der Istanbul-Konvention, die Unterzeichner dazu, Verhaltensweisen zu ändern, die auf althergebrachten Geschlechterrollen beruhen. So fordert Artikel 12 von den Vertragsparteien, Maßnahmen zu ergreifen, die darauf zielen, „Vorurteile, Bräuche, Traditionen und alle sonstigen Vorgehensweisen, die auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männer beruhen, zu beseitigen.“ Artikel 42 hält gesondert fest, dass es mit Blick auf Kultur, Traditionen und Religion keine Rechtfertigung für Gewalt gegen Frauen gibt. Dies gelte insbesondere für Verbrechen, die im Namen der „Ehre“ begangen werden. Gewalt gegen Frauen ist leider oftmals Ausdruck der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und ein Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Sie reicht von sexueller Belästigung und häuslicher Gewalt über Genitalverstümmelung bis hin zu Frauenhandel und Zwangsprostitution. Auch Kinderehen möchte ich hier explizit erwähnen, zumal die Istanbul-Konvention in Artikel 3f unterstreicht, dass der Begriff „Frauen“ ausdrücklich auch Mädchen unter 18 Jahren, also auch Kinder, mit einbezieht. In Artikel 32 ist geregelt, dass sich die Vertragsparteien dazu verpflichten, erforderliche Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass unter Zwang geschlossene Ehen für nichtig erklärt und aufgelöst werden können – und das ohne eine unangemessene finanzielle oder administrative Belastung für das Opfer. Artikel 37 zur Zwangsheirat regelt, dass die Vertragsparteien Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass vorsätzliches Verhalten, durch das eine erwachsene Person oder ein Kind zur Eheschließung gezwungen wird, unter Strafe gestellt wird. Auch ein Verbot von Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen umfasst das Abkommen. Mit der Konvention verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, Schutz- und Hilfsdienste für Frauen, die Gewalt erlitten haben, bereitzustellen. Dazu zählt unter anderem, über Hilfsangebote und juristische Mittel zu informieren. Ebenso sollen Schutzräume, Telefon-Hotlines und spezielle Hilfszentren für Vergewaltigungsopfer geschaffen werden. Darüber hinaus sieht die Konvention vor, die Gesetzeslage dahin gehend zu ändern, dass es der Polizei erlaubt ist, bei häuslicher Gewalt den gewalttätigen Partner aus der Wohnung zu holen und ihn anzuweisen, sich vom Opfer fernzuhalten.  Ich möchte noch einmal erwähnen, dass allein die Ratifizierung eines Abkommens wie der Istanbul-Konvention nicht die Lösung des Problems ist. Wir müssen das Thema aus der Tabu-Ecke holen, wir müssen aufklären und Hilfsangebote vor Ort schaffen, unbürokratische kurze Wege und Angebote anbieten, die es den Betroffenen leichtmachen, Hilfe auch anzunehmen. Genau hier haben wir, hat Deutschland, gute Ergebnisse vorzuweisen. Wir haben mittlerweile ein breites Netzwerk von Hilfs- und Beratungsangeboten. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, ein bundesweites und vom Bund finanziertes Beratungsangebot, hat vor kurzem, am 30. März, seinen vierten Jahresbericht veröffentlicht. Demnach gab es im Jahr 2016 über 34 400 Beratungen, die auch von immer mehr Frauen mit Fluchthintergrund angenommen werden. Dies entspricht einem Anstieg von rund 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2015. Auch das mehrsprachige Beratungsangebot des Hilfetelefons wird häufig genutzt. Zum 1. Januar dieses Jahres wurde der Dolmetscherdienst um die Sprachen Albanisch und Kurdisch erweitert. Beratungen sind nun in 17 Fremdsprachen möglich. Diese Zahlen bestätigen, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist, sie machen aber auch deutlich, dass unsere Hilfsangebote bekannt sind und von immer mehr betroffenen Frauen genutzt werden. Allein in 16 000 Fällen konnten die Expertinnen des Hilfetelefons 2016 betroffene Frauen an örtliche Unterstützungseinrichtungen wie Frauenhäuser oder Beratungsstellen weitervermitteln. Das Hilfetelefon ist damit eine wichtige Säule im Unterstützungssystem für von Gewalt betroffene Frauen und hat sich als sinnvolle Ergänzung der Angebote vor Ort bewährt. Cornelia Möhring (DIE LINKE): Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist nun nur noch eine Formalität. Wie sehr sich Frau Ministerin Schwesig dafür jetzt dennoch feiern lässt, verdeckt, wie lange die Bundesregierung gebraucht hat, die notwendigen Gesetzesänderungen umzusetzen und damit ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung, Mädchen und Frauen das Recht auf ein Leben ohne Gewalt zu gewährleisten, nachzukommen – ganze drei Jahre. Und es verdeckt noch viel mehr, wie viele Maßnahmen noch folgen müssen, wenn wir dieses Recht ernst nehmen. Letztes Jahr haben wir hier im Bundestag einstimmig die Reform des Sexualstrafrechts beschlossen. Ein Riesenerfolg vor allem für all die engagierten Frauen, die jahrelang dafür gekämpft haben, dass Nein auch Nein heißt! Aber die rechtliche Verankerung reicht nicht, denn es kommt immer auch auf die Umsetzung an. Damit das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zukünftig auch tatsächlich in der Praxis geachtet wird, braucht es allem voran qualifizierte und verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierungen für Polizei und Justiz. Ja, es gibt nicht nichts: Es wurde das Hilfetelefon eingerichtet, es gibt Beratungsstellen und rund 350 Frauenhäuser und etwa 40 Zufluchtswohnungen mit insgesamt circa 6 800 Plätzen für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder. Ich finde nicht, dass damit die Anforderungen der Istanbul-Konvention erfüllt sind, wie es die Bundesregierung in der Denkschrift schreibt, und wundere mich, ehrlich gesagt, stark über diese Interpretation. Aber ich möchte mich nicht mit Ihnen streiten, ob das formal stimmt oder nicht; das ist nicht mein Maßstab. Der springende Punkt ist doch: Es gibt auf keinen Fall genug. 18 000 Frauen mit ihren Kindern werden jährlich in den Frauenhäusern aufgenommen – aber noch mal genauso viele werden jährlich abgelehnt, wie es der 7./8. CEDAW-Alternativbericht feststellt. Und dass nicht noch viel mehr Frauen, die von ihrem Partner geschlagen, gedemütigt und misshandelt werden, an der Schwelle zu einem Schutzraum abgewiesen werden, ist vor allem dem Personal zu verdanken, das längst jenseits der Belastungsgrenze arbeitet, ohne dafür angemessen bezahlt zu werden. Das erkennen wir an den wenigen Zahlen, die überhaupt erhoben wurden: 35 Prozent der Frauen in Deutschland haben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren. Die aktuellen Zahlen des BKAs gehen von 100 000 Opfern von häuslicher Gewalt aus. Und da die Gewalt gegen Frauen meistens vom Partner ausgeübt wird, ist anzunehmen, dass die Dunkelzahl noch um einiges höher liegt. All diesen Frauen hilft ein Recht ohne konkrete Maßnahmen zu dessen Verwirklichung und ohne angemessene Infrastruktur erst einmal wenig, vielen hilft es rein gar nichts. Ja, es gibt Hilfsangebote, Beratung, Betreuung, Sensibilisierungsmaßnahmen, Frauenhäuser. Aber es gibt eben von allem nicht genug – und das ist der Hauptgrund, warum häusliche Gewalt immer noch die größte Lebensgefahr für Mädchen und Frauen bedeutet. Deshalb brauchen wir endlich einen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder. Ein Recht, das Frauen und ihre Kinder unabhängig von Einkommen, Wohnort, Aufenthaltstitel, Herkunftsort, gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen wirklich in Anspruch nehmen können! Das bleibt trotz der Ratifizierung der Istanbul-Konvention das drängende Problem in Deutschland. Die Bundesregierung muss hier endlich ihre Verantwortung übernehmen, anstatt sich nur feiern zu lassen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Istanbul-Konvention haben die europäischen Staaten 2014 ein starkes Instrument geschaffen, um die vielfältigen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt an Frauen zu bekämpfen, weil sie zum ersten Mal umfassende Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Betreuung und Hilfe, Rechtsschutz und Verfahren vorsieht. Dass die Bundesregierung diesen wichtigen völkerrechtlichen Vertrag nun endlich ratifizieren will, ist allerdings längst überfällig, und das haben wir Grüne schon seit langem gefordert. Denn Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Jede dritte Frau in Deutschland wurde bereits einmal Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Betroffen sind Frauen jeden Alters, jeder Schicht und jeder Nationalität. Leider haben Sie von der Bundesregierung, insbesondere Bundesjustizminister Maas sowie das Kanzleramt, sehr lange gezögert, die Reform des Sexualstrafrechts mit dem Prinzip „Nein heißt Nein“ umzusetzen. Und ich will hier noch einmal ganz klar sagen: Nur dem großen Druck der Frauenverbände, dem Gesetzentwurf von uns Grünen und der politischen Lage nach Köln ist es letztlich zu verdanken, dass diese zentrale Voraussetzung zur Ratifizierung der Konvention heute gegeben ist. Jedoch kann das materiell-rechtliche Strafrecht allein das Problem der sexualisierten Gewalt nicht lösen. Auch in den Erläuterungen zu Artikel 36 der Konvention heißt es, dass eine wirksame Strafverfolgung gewährleistet werden muss. Deshalb braucht es dringend weitere Maßnahmen wie eine qualifizierte Notfallversorgung der Opfer sowie eine gute Ausstattung, systematische Sensibilisierung und Schulung von Polizei und Staatsanwaltschaften. Nach den kürzlich vorgelegten aktuellen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2016 haben sich die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung signifikant um 18 Prozent gegenüber 2015 erhöht. Auch darum ist es notwendig, die Praxis und Strafverfolgung nach dem neuen Sexualstrafrecht regelmäßig zu evaluieren, damit seine Wirksamkeit überprüft werden kann. Neben den Maßnahmen im Rahmen des Sexualstrafrechts muss die Bundesregierung aber noch weitere Schritte im Hinblick auf eine koordinierte Gesamtstrategie gehen, um eine effektive Umsetzung der Istanbul-Konvention sicherzustellen. Den von körperlicher und sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen Schutz und Hilfe zu gewähren, ist ein Menschenrecht und staatliche Verpflichtung. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (Bff) und die Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser (ZIF) mahnen in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung mit zahlreichen Beispielen hier weiteren dringenden Handlungsbedarf an. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, fordere ich Sie auf, sicherzustellen, dass Fachberatungsstellen, Frauenhäuser und Notrufe finanziell und personell besser ausgestattet werden. Es muss durch Bund und Länder gemeinsam gewährleistet werden, dass allen von Gewalt betroffenen Frauen ein schneller, sicherer und unbürokratischer Zugang zu diesen Einrichtungen gewährt wird. Auch im Bereich der in Artikel 11 der Konvention geforderten umfangreichen Erhebung und Aufschlüsselung von Daten über alle Formen der Gewalt, über die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zu ihrer Verhinderung sowie Forschungsprojekte zum Thema „Gewalt gegen Frauen in Deutschland“ muss die Bundesregierung noch weitere Anstrengungen unternehmen, um diese Vorgaben zu erfüllen. Außer der Polizeilichen Kriminalstatistik sind beispielsweise weitere Statistiken zu Strafverfahren oder Verurteilungen oft nicht nach Geschlechtern differenziert. Um eine stringente Koordinierung, Umsetzung, Beobachtung und Bewertung aller der von der Istanbul-Konvention geforderten Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu gewährleisten, ist eine Monitoringstelle auf Bundesebene erforderlich. Die in der Denkschrift zu Artikel 10 vorgesehenen vier Bund-Länder-Arbeitsgruppen können diese weitreichenden Aufgaben meines Erachtens nicht zielführend übernehmen. Zum Schluss fordere ich die Bundesregierung auf, sich nicht länger an ihre eingelegten Vorbehalte zu den Artikeln 59 Absatz 2 und 3 zu klammern und die Konvention endlich vorbehaltlos zu ratifizieren. Die Bundesregierung darf nicht länger geflüchteten oder migrierten Frauen und Mädchen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder als Zeuginnen in Strafverfahren aussagen, die Möglichkeit auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht verweigern. Elke Ferner, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich freue mich sehr, dass wir nun auch endlich in Deutschland die Istanbul-Konvention ratifizieren können. Deutschland hat bei den Verhandlungen über die Istanbul-Konvention eine treibende Rolle gespielt und das Übereinkommen sofort am Tag der Zeichnungsauflegung am 11. Mai 2011 in Istanbul gezeichnet. Doch ratifizieren konnten wir die Istanbul-Konvention bisher nicht, weil die Regelungen der Konvention bis zum Herbst letzten Jahres noch nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt waren. Dennoch war die Istanbul-Konvention für die nationale Gleichstellungspolitik ein wertvolles Druckmittel. Nach und nach haben wir die Lücken geschlossen. Die Istanbul-Konvention verlangt ein adäquates Hilfs- und Unterstützungssystem für gewaltbetroffene Frauen. Dazu gehört auch eine Telefonberatung. Artikel 24 der Istanbul-Konvention wurde mit dem bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 2013 umgesetzt. Das Hilfetelefon ist 24 Stunden entgeltfrei erreichbar, jeden Tag, barrierefrei und mittlerweile in 17 Sprachen. Auch Beratung in Gebärdensprache wird angeboten. Fachkräfte, durchweg Frauen, leisten am Hilfetelefon eine qualifizierte Erstberatung und vermitteln auf Wunsch zu Einrichtungen am Ort der Anruferin. Zusätzlich gibt es über die Webseite des Hilfetelefons Beratung per E-Mail und im Chat. Bis Ende 2016 hatte das Hilfetelefon über 100 000 Beratungskontakte – von Frauen, die von Gewalt betroffen sind, von Menschen aus ihrem Umfeld und von Fachkräften aus Hilfe und Beratung. Änderungsbedarf gab es auch bei der Datenerhebung. Artikel 11 der Konvention wurde mit einer geänderten Polizeilichen Kriminalstatistik umgesetzt. Wir haben die Erfassung in der Polizeilichen Kriminalstatistik weiterentwickelt, sodass Fälle häuslicher Gewalt nun abgebildet werden. Dadurch wissen wir, dass allein 2015  104 000 Frauen von häuslicher Gewalt in der Partnerschaft betroffen waren. Fast die Hälfte dieser Frauen lebte zum Tatzeitpunkt mit dem Tatverdächtigen unter einem Dach. Wir wissen mehr über die Merkmale der Opfer und der Tatverdächtigen und über deren Beziehung. Dadurch lassen sich Fälle häuslicher Gewalt besser identifizieren und besser analysieren, um geeignete Maßnahmen für Schutz und Intervention zu treffen. Auch das deutsche Sexualstrafrecht stand einer Ratifizierung im Wege. Denn Artikel 36 der Istanbul-Konvention verlangt, dass alle nichteinvernehmlich sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt werden. Hier gab es noch Schutzlücken im Sexualstrafrecht: Obwohl nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention der Straftatbestand erfüllt war, blieben die Täter nach deutschem Strafrecht straffrei. Im letzten Jahr hat der Deutsche Bundestag mit Zustimmung aller Fraktionen einen Paradigmenwechsel im Strafrecht beschlossen und das Prinzip „Nein heißt Nein“ im deutschen Strafrecht verankert. Dafür möchte ich Ihnen nochmals danken – vor allem den weiblichen Abgeordneten, die sich fraktionsübergreifend dafür eingesetzt haben. Ich erinnere mich noch gut an die Debatten hier im Bundestag zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Vor fast 20 Jahren, am 15. Mai 1997, waren die Mehrheiten knapper. Aber auch 1997 waren es die Frauen, die fraktionsübergreifend die Mehrheit im Bundestag davon überzeugen konnten, dass auch die Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist. Mein besonderer Dank gebührt allerdings der Zivilgesellschaft und dem Bündnis „Nein heißt Nein“. Ohne deren Unterstützung und ohne die Unterstützung der Sachverständigen hätten wir die Reform des Sexualstrafrechts nicht hinbekommen. Endlich ist der Wille der Frau ausschlaggebend. Endlich ist es nicht mehr erforderlich, dass zusätzlich eine Gewaltanwendung des Täters hinzukommen muss, damit eine Tat als Vergewaltigung strafbar ist. Wer ein Nein der Frau ignoriert, macht sich strafbar. Strafbar macht sich auch, wer eine Frau überrumpelt. Und es gibt einen Straftatbestand der sexuellen Belästigung, mit dem Grapschereien bestraft werden können. Die geänderte Gesetzeslage wird dazu beitragen, dass sich mehr betroffene Frauen zu einer Anzeige entschließen, dass weniger Strafverfahren eingestellt werden und dass sexuelle Übergriffe besser geahndet werden können. Dies ist ein historischer Schritt im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen. Die Voraussetzungen zur Ratifizierung der Istanbul-Konvention haben wir erfüllt. Mit dem Gesetz zur Ratifizierung verpflichten wir uns, die geschaffenen Standards im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen dauerhaft aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Denn Gewalt gegen Frauen ist kein Randphänomen. Sie findet mitten in unserer Gesellschaft statt; viele Frauen erleiden Gewalt, doch viele von ihnen schweigen – aus Angst vor weiterer Gewalt oder aus Angst, dass niemand ihnen glaubt. Bürgerinnen und Bürger können sich bei Klagen in Zukunft vor Gericht direkt auf die Istanbul-Konvention beziehen. Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist ein wichtiger Meilenstein, aber nicht das Ende des Weges. Das ist erst dann erreicht, wenn die Forderungen der Istanbul-Konvention nicht nur im Recht, sondern im Alltag Wirklichkeit geworden sind und in der Rechtsprechung angewandt werden. Dazu ist eine Fortbildung für Angehörige von Justiz, Ermittlungsbehörden und Polizei erforderlich. Das liegt in der Zuständigkeit der Länder, und ich kann diese nur ermutigen, Justiz-, Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden schnell mit den neuen Anforderungen vertraut zu machen. Denn nur wenn Gewalt gegen Frauen erkannt wird, kann sie auch bekämpft und geahndet werden. Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention und die sich daraus ergebenden Rechte müssen aber auch in der Bevölkerung bekannt gemacht werden. Nur so können gewaltbetroffene Frauen und Mädchen geschützt werden. Jede Gewalttat ist eine zu viel. Die BVG hier in Berlin hat vor kurzem bereits eine tolle Kampagne zur Bekanntmachung des Prinzips „Nein heißt Nein“ initiiert. Ich hoffe, dass es noch viele solche Kampagnen geben wird. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) (Tagesordnungspunkt 21) Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit dem Fluggastdatengesetz, das wir heute beschließen, setzen wir die EU-Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdatensätzen in nationales Recht um. Luftfahrtunternehmen, Reisebüros und Reiseveranstalter werden Informationen über ihre Fluggäste – wie Namen, Adresse, Angaben zur Reiseroute und zur Zahlungsart etc. – an die nationale Fluggastdatenzentralstelle, in Deutschland das Bundeskriminalamt, übermitteln. Die Zentralstelle gleicht die Fluggastdaten mit bestimmten Datenbanken und Kriterien ab, um auf diese Weise Personen zu identifizieren, die mit einer terroristischen Straftat oder mit schweren Kriminalitätsdelikten in Zusammenhang stehen könnten. Damit verfügen wir über ein weiteres Instrument im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität. Europäische Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich ist nicht neu. Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden in Europa tauschen Erkenntnisse und Informationen zu verdächtigen Personen regelmäßig aus, wobei ich mir von manchen Mitgliedstaaten deutlich mehr Engagement wünschen würde. Die Erkenntnisse betreffen bei den bereits bestehenden Instrumenten und Einrichtungen jedoch hauptsächlich bereits bekannte Personen. Wir wissen aber, dass die Täter in den Bereichen internationaler Terrorismus und schwere Kriminalität häufig von Drittstaaten aus in die Europäische Union und zurück reisen. Sie bewegen sich darüber hinaus oft auch länderübergreifend innerhalb der Europäischen Union selbst. Die Täter sind hochmobil, und sie agieren verstärkt deliktübergreifend und international. Es ist daher nur konsequent, den zuständigen Behörden die Befugnisse an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, auch solche Personen zu identifizieren, die ihnen bislang noch nicht bekannt waren und die mit einer schweren oder terroristischen Straftat in Zusammenhang stehen könnten. Die EU-Richtlinie heute in nationales Recht umzusetzen, ist daher ein richtiger Schritt. Die genannten Gründe gebieten es auch, über die Richtlinie hinauszugehen und ebenfalls innereuropäische Flüge einzubeziehen. In der Sachverständigenanhörung waren die rechtlichen Bewertungen – wie zu erwarten war – sehr unterschiedlich. Stellen die Maßnahmen einen Grundrechtseingriff dar? Ja. Sind die mit dem Gesetz verfolgten Ziele, nämlich die Verhütung und Verfolgung terroristischer Straftaten und schwerer Kriminalität, weniger gewichtig? Nein, im Gegenteil! Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und auch des EuGH hat der Staat die grundrechtlich und rechtsstaatlich fundierte Pflicht, eine effektive Strafverfolgung sicherzustellen und Individualrechte vor den Taten durch Schwerkriminelle und Terroristen zu schützen. Um schließlich noch der zu erwartenden Kritik vonseiten der Opposition bezüglich eines Mangels an Datenschutz entgegenzutreten: Es besteht einerseits eine enge Zweckbindung für die Verwendung von Fluggastdaten im Rahmen des Fluggastdaten-Informationssystems. Sie dürfen nur zu den im Gesetzentwurf bezeichneten Zwecken an die zuständigen deutschen Behörden übermittelt werden. Andererseits werden personenbezogene Daten auch streng geschützt. Daten, die etwa Angaben zur rassischen oder ethnischen Herkunft enthalten, zu politischen Meinungen, zu religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, zur sexuellen Orientierung etc., werden unverzüglich nach ihrem Eingang bei der Fluggastdatenzentralstelle gelöscht. Darüber hinaus werden die Fluggastdaten, die verwendet werden dürfen, sechs Monate nach der Übermittlung depersonalisiert, sodass die Identität der betroffenen Person nicht mehr festgestellt werden kann bzw. nur dann, wenn der Datenabgleich zur Verhütung oder Verfolgung von terroristischen Straftaten erforderlich und richterlich genehmigt ist. Ehrlicherweise muss man in der Debatte aber darauf hinweisen, dass die Kosten, die unter anderem den deutschen Behörden entstehen, sehr hoch sind. Allein beim Bundesverwaltungsamt und beim Bundeskriminalamt sind für diese Aufgabe über 500 neue Stellen vorgesehen. Ich rate daher dringend dazu, das Gesetz zu evaluieren, sobald valide Zahlen vorliegen, damit wir auch sicher sagen können, ob der hohe Personalaufwand und der Erkenntnisgewinn durch die Maßnahme in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): In zweiter und dritter Lesung beraten wir heute abschließend über das neue Fluggastdatengesetz. Mit diesem Gesetz setzen wir eine europäische Richtlinie zur Speicherung von Fluggastdaten aus dem letzten Jahr um. Wie die ebenfalls heute beschlossene Novelle des Europol-Gesetzes ist auch dieses Gesetz ein Baustein, um Terrorismus und Kriminalität in der EU zu bekämpfen. Ich betone dabei ausdrücklich: ein Baustein, denn – und darin sind wir uns, glaube ich, alle einig – Verbrechen werden wir niemals völlig verhindern können. Wir können es allerdings denen, die Verbrechen begehen, schwerer machen. Und schon dies ist aus meiner Sicht ein Fortschritt. Zudem sind wir es als Politiker den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes schuldig, alles Mögliche zu tun, um Verbrechen zumindest zu erschweren. Mit dem nun zu verabschiedenden Gesetz werden unsere Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt, zukünftig noch besser Passagierlisten mit Fahndungsbeständen abzugleichen und, wenn nötig, entsprechend zu reagieren, um zu verhindern, dass verdächtige Personen Deutschland verlassen oder nach Deutschland einreisen können. Weiterhin wird es anhand der demnächst vorliegenden Daten möglich sein, kriminellen Netzwerken schneller auf die Spur zu kommen, um so ihrem Treiben ein Ende zu bereiten. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu erwähnen, dass nicht nur die Passagierdaten von Flügen aus Europa und nach Europa ausgewertet werden. Im nun zu beschließenden Gesetz ist von Artikel 2 der EU-Richtlinie Gebrauch gemacht worden, nach dem auch Passagierdaten von Flügen innerhalb der EU ausgewertet werden können. Aus meiner Sicht ist dies richtig, und man kann sich schon die Frage stellen, warum diese Regelung erst auf Anregung des Europäischen Rates Eingang in die PNR-Richtlinie gefunden hat. Denn Kriminelle und Terroristen reisen ja nicht nur über die Außengrenzen der EU. Sie reisen auch innerhalb der EU, und auch dies muss aus unserer Sicht verhindert werden. Mir ist natürlich bewusst, dass viele Reisende angesichts der Sammlung und Auswertung von Millionen von Passagierdaten große Sorgen bezüglich des Datenschutzes haben. Im vorliegenden Gesetzentwurf ist aus meiner Sicht hierzu eine gute Lösung gefunden worden. Die Daten werden beim Bundesverwaltungsamt im Auftrag des BKA gespeichert und nach dessen Weisung verarbeitet. Erst im Fall einer Übereinstimmung mit Merkmalen, die einen Verdacht begründen, wird dies an das BKA als zuständige Fluggastdatenzentralstelle gemeldet, damit dann aus polizeilicher Sicht entschieden wird, wie weiter zu verfahren ist. Damit ist sichergestellt, dass dem BKA nur solche Personen bekannt werden, bei denen es Anhaltspunkte gibt, dass sie eine im Fluggastdatengesetz genannte Straftat begangen haben oder innerhalb eines übersehbaren Zeitraumes begehen werden. Die übrigen Passagierdaten verbleiben beim Bundesverwaltungsamt und werden dem BKA nicht zugänglich gemacht. Im Zusammenhang mit dem Datenschutz möchte ich noch erwähnen, dass in der diesem Gesetz zugrunde liegenden EU-Richtlinie geregelt ist, dass die gespeicherten Daten sechs Monate nach der Übermittlung anonymisiert werden müssen und sie nur auf richterliche Anordnung wieder mit Namen verknüpft werden können. Nach insgesamt fünf Jahren müssen die Daten insgesamt gelöscht werden. Wie ich eingangs schon gesagt habe: Der heute zu beschließende Gesetzentwurf ist nur ein Baustein, um zu verhindern, dass Verbrecher und Terroristen ihre Taten begehen können. Gänzlich verhindern können wir Taten nicht. Dennoch sollten wir keine Möglichkeit außer Acht lassen, es zumindest so schwer wie möglich zu machen, Straftaten zu begehen oder Terroranschläge zu verüben. In diesem Zusammenhang können Passagierdaten wertvoll sein, um dieses Ziel zu erreichen. Daher sollten wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur zustimmen, weil wir dazu verpflichtet sind, europäische Vorgaben in deutsches Recht umzusetzen, sondern weil es ein sinnvoller Schritt ist, um die Sicherheit in Deutschland und Europa zu erhöhen. Wolfgang Gunkel (SPD): Seit fast zwölf Jahren bin ich nun schon Bundestagsabgeordneter, und genauso lange begleiten mich Fluggastdaten. Erst die verschiedenen Abkommen der EU mit den USA, Kanada und Australien und nun europaweit. Wir haben den Gesetzentwurf schon hier im Plenum diskutiert und zu Beginn dieser Woche auch noch eine Expertenanhörung im Innenausschuss durchgeführt. Für mich war diese Anhörung sehr aufschlussreich. Die Punkte, bei denen ich Bauchschmerzen habe, wurden auch von einigen Experten kritisch gesehen. Einige meiner Bedenken konnten aber auch ausgeräumt werden. Ein Punkt, den ich schon in meiner ersten Rede erwähnt habe und bei dem ich weiterhin sehr große Bedenken habe, ist die Weitergabe der Fluggastdaten an Drittländer. Da sehe ich eine Weitergabe von Daten, die unter Umständen völlig zweckentfremdet werden oder ganz anderen datenschutzrechtlichen Standards unterliegen, sehr kritisch. Wir haben es einfach nicht mehr in der Hand, was mit unseren Daten passiert. Wer Daten abgibt, hat die Kontrolle darüber verloren. Auch in der Anhörung wurden meine Bedenken nicht ausgeräumt; einige Sachverständige teilten diese. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum BKA-Gesetz im Jahr 2016 darauf hingewiesen, dass eine Übermittlung von Daten ins Ausland dazu führt, dass die Gewährleistungen des Grundgesetzes nach der Übermittlung nicht mehr als solche zur Anwendung gebracht werden können und stattdessen die im Ausland geltenden Standards Anwendung finden. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb die Datenübertragung an Drittstaaten nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber einige Bedingungen gestellt. So ist die Gewährleistung eines angemessen materiellen datenschutzrechtlichen Niveaus für den Umgang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat geboten. Zwingend auszuschließen ist außerdem die Datenübermittlung an Staaten, wenn zu befürchten ist, dass elementare rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden. Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen. Der Gesetzentwurf verweist auf das Datenschutzgesetz und auf die Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten des BKA. Das ist richtig und wichtig, aber ich möchte dennoch auf die Wahrung der Standards, die uns das Bundesverfassungsgericht mit auf den Weg gegeben hat, hinweisen. Ein weiterer Punkt, den ich bereits in der ersten Lesung ansprach, war für mich die Erhebung der Daten durch das Bundesverwaltungsamt. Es war für mich nicht verständlich, warum eine weitere Behörde für eine so sensible Aufgabe herangezogen wird. Ich bin dem von der SPD benannten Sachverständigen für die Anhörung im Innenausschuss, Herrn Münch, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, dankbar, dass er diese Bedenken in der Anhörung ausräumen konnte. Das Bundesverwaltungsamt ist auch in anderen Bereichen schon Datenhalter für das Bundeskriminalamt und insofern ein bewährter Partner. Es stößt den Abgleich der Daten an, sieht aber die Treffer nicht. Ich gehe davon aus, dass diese gute Zusammenarbeit auch bei der Erhebung der Fluggastdaten stattfinden wird. Ein Aspekt, der mir in der Diskussion bisher etwas zu kurz gekommen ist, betrifft die Überprüfung des Fluggastdatenabkommens zwischen der EU und Kanada durch den Europäischen Gerichtshof. Obwohl der Sachverhalt nicht unmittelbar vergleichbar ist, finde ich es bedauerlich, dass das Gesetzgebungsverfahren hier abgeschlossen wurde, bevor es zu einer Entscheidung des EuGH kam. Es wird schon interessant sein, zu erfahren, für wie vereinbar mit der Grundrechtecharta der EU der EuGH das Abkommen mit Kanada halten wird. Der Generalanwalt beim EuGH zweifelte eine Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre bei seinem Schlussvortrag zu dem Abkommen im September des vergangenen Jahres an. Wir diskutieren hier eine Vorlage aus Brüssel, und wir sind verpflichtet, die Richtlinie umzusetzen; insofern ist unser Gestaltungsspielraum nicht allzu groß. Ich erkenne an, dass sich der Gesetzentwurf stark an der Richtlinie orientiert. Ich hätte es aber gern gesehen, wenn man das Gesetz nicht auf innereuropäische Flüge ausgedehnt hätte. Diese Variante war optional, und nach meinem Empfinden wäre es völlig ausreichend gewesen, wenn wir uns auf Flüge von einem Mitgliedstaat in einen Drittstaat oder umgekehrt beschränkt hätten. Gleichzeitig begrüße ich es, dass es keine weiter gehenden Verschärfungen oder etwa eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf Züge wie etwa in Belgien gibt. Eine völlige Überwachung aller Reisebewegungen innerhalb der EU ist doch völlig utopisch und mit dem Gedanken der Freiheit, der für mich die EU sehr stark ausmacht, unvereinbar. Ich habe einige Kritikpunkte genannt; aber mir ist auch klar, dass wir nicht umhinkommen, angesichts der steigenden Gefahr durch islamistischen Terror zu handeln. Die Speicherung von Fluggastdaten und somit die Kontrolle von Gefährdern und das Herausarbeiten von Mustern können dafür geeignete Bausteine sein. Ich werde aufmerksam verfolgen, welche Bedrohungen verhindert und welche Fahndungserfolge durch die Speicherung und Bewertung aller Fluggastdaten eintreten werden. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu. Martina Renner (DIE LINKE): Auch dieser von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf reiht sich ein in die Reihe jener Antiterrorgesetze, die über die rechte Leitplanke der Verfassungsmäßigkeit hinausschießen und nicht nur daran entlangschrammen. Erneut ein Gesetz mit Mindesthaltbarkeitsdatum. Wer sich die Messlatten der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenrichtlinie oder des Bundesverfassungsgerichts zur Rasterfahndung anschaut, der weiß: Dieses Gesetz wird nicht bestehen. Die Gründe dafür sind: Mit dem Gesetzentwurf wird das BKA im Verbund mit dem Bundesverwaltungsamt zur anlasslosen Erhebung, Speicherung, Rasterung der Daten von jährlich circa 170 Millionen Menschen ermächtigt. Bis zu 60 Einzeldaten sollen verdachtsunabhängig gesammelt und für fünf bis zu 15 Jahre lang gespeichert werden. Hinzu kommt die uferlose Weitergabemöglichkeit der Daten ohne einen konkreten Anhaltspunkt für künftige Straftaten und ohne Zweckbindung auch an ausländische Nachrichtendienste. Das ist eine verdachts- und anlasslose Massendatenerhebung und speicherung! Egal ob ein Flug nur innerhalb der Europäischen Union stattfindet oder in ein Land außerhalb der EU, einziger Anknüpfungspunkt ist eine Flugreise. Dies soll ausreichen, um anhand von Algorithmen und Mustern als Terrorverdächtiger der Zukunft enttarnt zu werden? Wohl kaum. Eher werden unzählige Menschen falschen und abwegigen Verdächtigungen ausgesetzt, die zudem heimlich und ohne ihr Wissen durch ganz Europa verbreitet werden. Problematisch ist weiter, welche Fülle an Informationen dem BKA für die Rasterung zur Verfügung gestellt werden soll. Dazu gehören nicht nur Namen und ähnliche Daten. Zahlungsinformationen, genutzte Buchungsportale und nicht zuletzt ein Freifeld. Welche sensiblen Daten in diesem Freifeld eingetragen werden können, kann kaum begrenzt oder ernsthaft datenschutzrechtlich geprüft werden. Am Ende kann dort vermerkt sein, welche Tageszeitung ich mit habe oder ob ich ein Kopftuch trage. Welche Anhaltspunkte sich daraus für die Rasterung geben, ist völlig unklar und nicht erkennbar. Die Richtlinie sollte eigentlich dazu dienen, „ausländische Kämpfer“, die nach Syrien und in den Irak bzw. wieder nach Europa zurückkehren, zu finden. So wurde es nach dem EU-Gipfel im August 2014 verkündet. Wie dieses Ziel mit den Daten von Urlaubsreisenden auf die Kanaren, nach Athen oder Rom erreicht werden kann, bleibt ein Geheimnis der Big-Brother-Fraktion im Bundesinnenministerium und in der Großen Koalition. Noch 2011 war die damalige Bundesregierung selbst gegen die Aufnahme von innereuropäischen Flügen in eine Datenbank. Aber die Verlockungen des unerschöpflichen Heuhaufens zur Datenauswertung waren wohl zu groß. Erst mal alles speichern und rastern. Den Bürgerinnen und Bürgern wird ein angeblicher Mehrwert an Sicherheit verkauft. Dass damit tatsächlich Straftaten verhütet werden, erscheint kaum vorstellbar und konnte auch vom BKA in der Anhörung des Innenausschusses nicht an einem einzigen Fall aus den Ländern mit entsprechender Praxis belegt werden. Immer wieder ist zu hören, dass beispielsweise das Bundeskriminalamt kaum in der Lage sei, die Vielzahl von Verfahren mit Terrorismus- oder OK-Bezug noch zu bewältigen. Wären dann die 200 Stellen für die geplanten zwei neuen Referate nicht sinnvoller dafür eingesetzt, die bereits vorhandenen Aufgaben zu bewältigen? Dann würde vielleicht eine Liste mit Besitzern kinderpornografischer Bilder nicht monatelang ungesichtet und unbearbeitet herumliegen. Oder die Hinweise auf Aktivitäten der Mafia oder rechtsterroristischer Gruppen in Deutschland mit Nachdruck untersucht. Das wäre allemal zweckdienlicher, als unbescholtene Bürgerinnen und Bürger zu Verdächtigen zu machen. Das würde die Sicherheit in Deutschland tatsächlich verbessern! Die Fraktion Die Linke lehnt deshalb den Gesetzentwurf zur Fluggastdatenspeicherung ab. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In die Flut von Gesetzen, welche die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik schützen und die Gefahren des internationalen Terrorismus bekämpfen sollen, reiht sich nun auch die Umsetzung der Richtlinie über die Verarbeitung von Fluggastdaten ein. Nach ihrem Willen sollen die Fluggastdaten von allen Flugreisenden, die in und aus der EU ein- und ausreisen oder innerhalb der EU eine Flugreise antreten, gespeichert werden. Dienen soll dies der Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität. Ziel ist es, durch die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten nicht nur bekannte, sondern auch „bisher unbekannte Verdächtige“ zu identifizieren. So weit die bekannte Datensammelwut der großkoalitionären Bundesregierung. Aber um die Fragwürdigkeit und Absurdität dessen, dass Sie heute hier diesen Gesetzentwurf verabschieden wollen, muss man sich seine Genese in Brüssel verdeutlichen. Es handelt sich um die Umsetzung einer Richtlinie, die bereits einmal auf europäischer Ebene gestoppt wurde. Der LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments hatte sie damals zurückgewiesen. Auch die juristischen Dienste sowohl des Rates der EU als auch des Europäischen Parlaments hielten sie für rechtswidrig. Aus diesem Grund wurde sie erst in einem zweiten Anlauf 2016 verabschiedet. Aber die Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit den europäischen und deutschen Grundrechten bleiben. Denn nach Artikel 16 Absatz 1 AEUV und Artikel 8 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Dieses Grundrecht darf nach Artikel 52 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta nur eingeschränkt werden, wenn die gesetzliche Regelung den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achtet. Zudem bedarf es bei der Einschränkung der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dies bedeutet, eine sie einschränkende Regelung muss erforderlich sein und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Dies ist aber bei der massenhaften und völlig anlass- und verdachtslosen Speicherung der Fluggastdaten von allen Flugreisenden gerade nicht der Fall. Gespeichert werden sollen zig Datenkategorien von allen Bürgerinnen und Bürgern, die in ein Flugzeug steigen, darunter sämtliche Kontaktangaben, Sitzplatz, Gepäck bis hin zur Sachbearbeiterin des Reisebüros. In keiner Weise wird aber in dem Gesetzentwurf festgelegt, weshalb diese Kategorien im Einzelnen für den Zweck der „Verhütung von Straftaten“ – ein denkbar weiter Begriff, der bereits Fragen hinsichtlich der Normbestimmtheit aufwirft – notwendig sein sollen. Hinzu kommt, dass es zusätzlich ein „Freitextfeld“ geben soll, bei dem sogar all das gespeichert werden kann, was über diese Kategorien hinausgeht, und eine gesetzgeberische Bestimmtheit nicht einmal mehr vorgegaukelt wird. Damit werden die Daten von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern bis zu fünf Jahre beim Bundeskriminalamt gespeichert, ohne dass diese Bürger irgendeinen anderen Anlass dazu gegeben haben, als in ein Flugzeug zu steigen. Die umfangreiche Fluggastdatenspeicherung geht also bereits deutlich über das Maß hinaus, das zur Verhinderung und Aufdeckung terroristischer Straftaten und grenzübergreifender schwerer Kriminalität erforderlich ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht einen sogenannten Abgleich mit Mustern vor. Hierbei handelt es sich faktisch um eine Rasterfahndung ohne hinreichende Eingriffsschwelle. Die Rasterfahndung aber ist eine polizeiliche Ermittlungsmaßnahme mit besonders hoher Eingriffsintensität: Diejenigen Daten einer großen Menge unverdächtiger Personen werden herausgefiltert, die aus Sicht des BKA für den weiteren Verlauf konventioneller Ermittlungen „interessant“ sind, ohne dass irgendein Verdacht gegen die Person oder eine konkrete Gefahr besteht. Der Verdacht wird also überhaupt erst durch ein mögliches Muster generiert. Für die Vereinbarkeit einer solchen Maßnahme, die tief in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, mit dem Grundgesetz bedarf es aber – das hat das Bundesverfassungsgericht 2006 entschieden – einer konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person. Gerade an diese Vorgaben an die Eingriffsschwelle hat sich die Große Koalition in ihrem Gesetzentwurf aber nicht gehalten – mit möglicherweise hochproblematischen Konsequenzen und massiven Einschränkungen der Grundrechte auch für unbescholtene Bürgerinnen und Bürger. Denn es ist bei jeder Profiling-Maßnahme immer auch mit „false positive alerts“ zu rechnen und nicht auszuschließen, dass die Muster selbst diskriminierend sein können. Nach alledem ist sowohl die Erforderlichkeit der Speicherung einer Vielzahl der vorgesehenen Datenkategorien als auch die hinreichende Eingriffsschwelle für den Musterabgleich verfassungs- und europarechtlich bedenklich. Die Möglichkeiten zur Verarbeitung von PNR-Daten über das unbedingt erforderliche Maß hinaus, unabhängig von dem Zweck der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung und Aufdeckung terroristischer Straftaten und grenzübergreifender schwerer Kriminalität, hat auch der Generalanwalt beim EuGH Paolo Mengozzi in seinem Schlussplädoyer in der Verhandlung des EuGH über das Fluggastdatenabkommen der EU mit Kanada für mit den europäischen Grundrechten unvereinbar bezeichnet. Und ebendies macht die Tatsache, dass wir heute über die Umsetzung dieser Richtlinie zu entscheiden haben, besonders perfide. Denn die Entscheidung des EuGH über das Fluggastdatenabkommen mit Kanada steht unmittelbar bevor. Aus den dargelegten Gründen ist es sehr wahrscheinlich, dass eine Entscheidung die Unvereinbarkeit mit EU-Grundrechten in Teilen erklären wird, welche die Richtlinie und somit auch das hier vorliegende Umsetzungsgesetz unmittelbar betreffen. Sehenden Auges schaffen Sie also ein wahrscheinlich verfassungs- und europarechtswidriges Gesetz, welches die Steuerzahler sage und schreibe 65 Millionen Euro im Jahr und einmalig 78 Millionen Euro kostet und einen tiefen Einschnitt in die Bürgerrechte bedeutet. Und dies übrigens ohne Not – denn die Umsetzungsfrist der Richtlinie endet erst 2018. Die Entscheidung des EuGH hätte also bequem abgewartet werden können. All dies in Betracht ziehend, kann man Ihnen beim besten Willen keine Fahrlässigkeit mehr unterstellen. Sie wollen Fakten schaffen, ohne Rücksicht auf Verluste. Und nach Ihrer Manier wieder einmal zulasten der Bürgerrechte. So diskreditiert man einen Rechtsstaat. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 22) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Diese Novelle war aufgrund der neuen Europol-Verordnung aus dem vergangenen Jahr, die zum 1. Mai dieses Jahres in Kraft treten wird, nötig geworden. Es ist aus meiner Sicht erfreulich, dass der Deutsche Bundestag mit der Anpassung des Europol-Gesetzes fristgerecht fertig wird. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen ist auch eine Anregung des Bundesrates aufgegriffen worden, welche eine Klarstellung zum Zugriff bzw. zur Zusammenarbeit der Polizeien der Länder und Europol vorsieht. Mit dieser Klarstellung wird eindeutig geregelt, dass auch die Länderpolizeien direkten Zugriff auf den Wissens- und Analyseschatz von Europol bekommen werden. In der europäischen Richtlinie ist ein solcher Zugriff ebenfalls angelegt. In der heutigen Zeit, in der wir alle mobiler werden und immer schneller durch Europa reisen können, ist auch das Verbrechen – gerade das organisierte Verbrechen – immer mobiler geworden und macht auch an den nationalen Grenzen keinen Halt. Von daher ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir auf europäischer Ebene verstärkt zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang spielt Europol eine entscheidende Rolle, um dem grenzüberschreitenden Verbrechen mit möglichst wenig Zeitverlust entgegentreten zu können. Aber auch die Polizeibehörden der Bundesländer spielen hier eine entscheidende Rolle. Von daher ist die Anregung des Bundesrates zu dieser Klarstellung wichtig und richtig. Wir haben sie daher gerne in die vorliegende Gesetzesnovelle mit aufgenommen. Zu diesem organisierten Verbrechen gehören aber auch professionelle Schleppernetzwerke. Diese Netzwerke agieren nicht aus reiner Menschlichkeit, um den Flüchtlingen einen gut organisierten Weg in die EU zu ebnen. Nein, hier geht es um das ganz große Geschäft auf dem Rücken von Menschen, deren Flucht ich zuweilen auch nachvollziehen kann. Gerade wenn die Heimat verlassen wird, um vor politischer Verfolgung oder Krieg zu fliehen. Leider wird mit den Einnahmen aus diesem Geschäft aber in der Regel nichts Gutes gemacht. Es fließt zu großen Teilen in die Taschen einiger weniger Hintermänner, die es für den Ausbau weiterer Geschäfte nutzen, um so ihren persönlichen Reichtum zu mehren, oder sogar Terrorismus damit finanzieren. Dies können und dürfen wir nicht zulassen. Daher ist es richtig, dass Europol auch gegen diese Netzwerke vorgeht. Aus diesem Grund, werte Kollegin Jelpke, kann ich auch nicht Ihre Äußerungen in der ersten Lesung zu der vorliegenden Gesetzesnovelle nachvollziehen, in der Sie ein Verständnis für die Arbeit von Schleppernetzwerken haben anklingen lassen. In der im vergangenen Jahr verabschiedeten Europol-Verordnung findet sich auch eine Regelung bezüglich der parlamentarischen Kontrolle von Europol. Die nationalen Parlamente und das Europaparlament sollen gemeinsam die Arbeit von Europol kontrollieren. In den vergangenen Wochen haben wir fraktionsübergreifend – zusammen mit dem Bundesrat – an einer gemeinsamen Position bezüglich der Zusammensetzung und Arbeitsweise dieses Kontrollgremiums gearbeitet. Dies war nicht einfach, aber vieles von dem, was uns in Deutschland wichtig war, konnten wir auf europäischer Ebene auch durchsetzen. Das nun Erreichte wird sicherlich auch für eine zukünftige Zusammenarbeit der Parlamente auf europäischer Ebene wegweisend sein. Gerade in einer Zeit der Europa-Skepsis und des Brexits ist diese Zusammenarbeit wichtig, damit niemand das Gefühl hat, dass über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erwarten, dass wir für die Sicherheit in Deutschland arbeiten. Dies schaffen wir aber nur, wenn wir über die nationalen Grenzen hinweg in Europa kooperieren. Ein wichtiges Instrument für diese Kooperation im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus ist Europol. Mit der zum 1. Mai dieses Jahres in Kraft tretenden neuen Europol-Verordnung hat die europäische Ebene geliefert, und nun liegt es an uns, dass wir die Voraussetzungen auch in Deutschland für einen Erfolg von Europol schaffen. Ich bitte Sie daher, der vorliegenden Gesetzesnovelle die Zustimmung zu geben. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Am 1. Mai 2017 wird die neue europäische Europol-Verordnung, beschlossen vom Europäischen Parlament und Rat im Jahre 2016, in Kraft treten. Sie ersetzt bisherige Beschlüsse des Rates von 2009 zur damaligen Errichtung des Europäischen Polizeiamtes. Diese neue EU-Verordnung ist in nationales Recht zu übernehmen. Es handelt sich auch nach Aussage des Nationalen Normenkontrollrates um eine Eins-zu-eins-Umsetzung von europäischem Recht in unser nationales Recht. Die CDU/CSU-Fraktion wird daher ihre Zustimmung zu diesem ersten Gesetz zur Änderung des Europol-Gesetzes geben. Gerade in Zeiten von internationalem Terrorismus und grenzüberschreitender organisierter Kriminalität ist die Stärkung der Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union besonders wichtig. Es gilt für den Gesetzgeber, konzentriert und schnell zu handeln. Und das haben wir mit dem Europol-Gesetzentwurf getan. Wenn es um Sicherheit geht, dann bringt Europa einen erheblichen Mehrwert. Wenn wir auf europäischer Ebene besser zusammenarbeiten, führt Europa zu mehr Sicherheit. Die Arbeit von Europol ersetzt natürlich die notwendigen nationalen Maßnahmen nicht, aber sie ergänzt sie. Aufgrund seiner Stellung im Zentrum der europäischen Sicherheitsarchitektur ist Europol in der Lage, spezifische Dienstleistungen zu erbringen. Europol unterstützt Strafverfolgungsmaßnahmen und ist die zentrale Schaltstelle für Informationen über kriminelle Aktivitäten in Europa. Eine der wichtigsten Neuerungen im Europol-Gesetz ist die Erweiterung und Vereinheitlichung des polizeilichen Informationsaustausches. Dies ermöglicht den Mitgliedstaaten, einen erweiterten Zugang zu Analysedaten zu erhalten. Bislang erhalten die Mitgliedstaaten nur die sie selbst betreffenden Analyseberichte. Zukünftig erhalten sie die Befugnis, auf thematische und strategische Analysedaten und auch auf operative Analysedaten zuzugreifen. Vor dem Hintergrund der hohen Zahl von Wohnungseinbrüchen, nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in unseren Nachbarländern, ist die internationale Zusammenarbeit bei der Erarbeitung von Ermittlungsansätzen gegen die Strukturen reisender Täter enorm wichtig. Hier ist beispielsweise die Erhebung, Auswertung und Eingabe von Tatortspuren in die polizeilichen Informationssysteme von großer Bedeutung, ohne die die Tatzusammenhänge nicht erkannt werden können. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erhalten die Bundespolizei, der Zollfahndungsdienst und die Länderpolizeien direkten Zugriff auf alle Daten und auf operative Analysedateien bei Europol, und zwar in Form eines Vollzugriffs. Dies erleichtert die Ermittlungsarbeit immens, die ja so schnell wie möglich erfolgen soll. Durch einen direkten Zugriff auf das Europol-System durch die oben genannten Stellen und nicht mehr wie bisher über das BKA werden die Ermittlungsmöglichkeiten der zugreifenden Stellen erweitert und beschleunigt. Der Zugriff auf Personendaten wird mit dem Änderungsgesetz datenschutzrechtlich flankiert. Der Europäische Datenschutzbeauftragte, der zuständig für die Kontrolle von Europol ist, wird darauf festgelegt, dass er mit den nationalen Kontrollbehörden für den Datenschutz eng zusammenarbeiten muss. Die Datenmenge, die nationale Zentralstellen mit Europol bislang austauschen, hat sich in den vergangenen zwei Jahren verzehnfacht. Wir gehen davon aus, dass sich der Datenverkehr mit dem neuen Europol-Gesetz drastisch erhöht. Erwartet werden allein aus der Bundesrepublik 5 000 zusätzliche Abfragen sowie 800 neue Zulieferungen für die Auswerteschwerpunkte. Wichtig erscheint mir die Einrichtung eines Beirates zu sein, in den Deutschland seine Datenschutzbeauftragte entsenden wird. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte wird diesem Gremium angehören. Dem Bundesrat soll die Befugnis eingeräumt werden, einen Vertreter oder eine Vertreterin zu benennen. Die Umsetzung der zum 1. Mai 2017 wirksam werdenden Europol-Verordnung ist aufgrund des europäischen Rechtsrahmens vorgeschrieben und findet in dem vorliegenden Gesetzentwurf unsere Zustimmung. Die effektive und schnelle Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in der Europäischen Union ist von entscheidender Bedeutung, um unseren Bürgerinnen und Bürgern Schutz vor grenzüberschreitenden international agierenden Banden oder Einzeltätern zu gewähren. Susanne Mittag (SPD): Heute haben wir schon einige Gesetze beschlossen, die unsere Sicherheit stärken sollen: das Bundeskriminalamtgesetz, damit unmittelbar verknüpft die Umsetzung der neuen europäischen Richtlinien zum Datenschutz. Diese Gesetze ergänzen sich in der praktischen Umsetzung, organisatorisch und ermittlungstechnisch, und wir reagieren damit auf neue Gefahren- und Kriminalitätsstrukturen. Mit dem jetzt zu beratenden Gesetz zur Anwendung der EU-Verordnung 2016/7694 – wie es nun nach dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen heißt – passen wir unser deutsches Europol-Gesetz der neuen Europol-Verordnung an. Wir organisieren dienstlich kurze Wege, damit die deutschen Polizeien den direkten Austausch von Informationen mit Europol nutzen können. Grenzen, seien es zwischen Bundesländern oder Staaten, seien es innereuropäische oder außereuropäische, sind keine Hindernisse für Kriminelle und ihre Straftaten. Sie schlagen zu, wo es sich lohnt. Und entziehen sich gerne den Ermittlungen durch ein Ausweichen über Grenzen hinweg. Damit müssen sich auch die ermittelnden Polizeien über Grenzen hinweg austauschen und kooperieren können. Europol ist dafür ein wichtiger Baustein! In den langen Verhandlungen auf europäischer Ebene wurde das Europäische Polizeiamt neu aufgestellt und gestärkt. Denn wir brauchen einen starken, international sehr guten Polizeipartner, um den Herausforderungen der organisierten Kriminalität und des Terrorismus begegnen zu können. Diese Erkenntnis ist ja nicht erst seit den letzten Anschlägen vorhanden. Dabei spielt der Datenaustausch, den Europol zwischen den Mitgliedstaaten organisiert, eine herausragende Rolle. Darauf werde ich gleich noch eingehen. Aber Europol ist nicht nur eine Sammelstelle für Daten, sondern die Ermittler analysieren die Daten, stellen ihre Erkenntnisse den Polizeien zur Verfügung und ermitteln auch selbst. Ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Arbeit von Europol konnten wir in dieser Woche sehen: Bei der gemeinsamen Operation OPSON VI, die Europol mit Interpol in 61 Staaten unternommen hat, wurden knapp 10 000 Tonnen sowie 26 Millionen Liter verfälschte Lebensmittel durch Polizei, Zoll und die Lebensmittelbehörden beschlagnahmt. Ob das gefälschtes Mineralwasser in Italien oder mit billigsten Zusatzstoffen gestrecktes Olivenöl in Dänemark oder eben nicht bzw. falsch deklarierte Nüsse in Deutschland sind: Das organisierte Verbrechen nutzt den freien Warenverkehr in der EU, um sich durch Betrug zu bereichern. Aber es bleibt eben nicht nur bei einem riesigen finanziellen Schaden von geschätzten 230 Millionen Euro für den Verbraucher. Nein, man bedenke nur, was falsch deklarierte Inhaltsstoffe bei Allergikern auslösen können. Diese Kriminellen nehmen schwerste gesundheitliche Risiken für ihren Gewinn in Kauf. Gefälschte und verfälschte Waren haben inzwischen einen erheblichen Anteil am Handelsvolumen. Um diese Ermittlungsarbeit aber erledigen zu können, war es nötig, Europol auch in der Informationsverarbeitung zukunftsfähig zu machen. Deshalb wurden in der Verordnung nicht mehr konkret einzelne IT-Systeme, wie Europol-Informationssystem oder die Arbeitsdatei zu Analysezwecken, benannt. In der neuen Europol-Verordnung wurde die Informationsverarbeitung technikneutral anhand der Verarbeitungszwecke bestimmt. Also nicht mehr das festgelegte System, bei dem technische Neuerungen dann wieder auch gesetzgeberisch nachvollzogen werden müssten. Nein, es wurden die Zwecke der Verarbeitung benannt, ohne sich auf die technische Ebene zu begeben, die sich immer wieder ändert durch neue Techniken. Das ist der richtige Weg, führt aber auch dazu, dass wir in Deutschland unseren gesetzlichen Rahmen jetzt anpassen müssen. Die Vielzahl unterschiedlicher Datensysteme ist schon länger als Problem erkannt. Aber nicht nur bei den Systemen selbst, sondern auch bei den Zugriffsmöglichkeiten wurden Veränderungen vorgenommen: Bisher war das BKA immer die Zentralstelle, über die alle Kommunikation mit Europol laufen musste. Nun können auch die Bundespolizei, das Zollkriminalamt und die Länderpolizeien auf die Daten zugreifen. Das BKA wird aber nicht von den Informationen abgehängt, sondern bleibt als Zentralstelle weiterhin von herausragender Bedeutung. Das haben wir auch im Änderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf klargestellt. Im Bundesrat kamen Befürchtungen auf, dass durch das ebenfalls heute veränderte Bundeskriminalamtgesetz die Länderpolizeien wieder nur in Ausnahmefällen sich direkt an Europol wenden können, um schnell Informationen zu erhalten. Diese Befürchtungen sind unbegründet. Und es ist klar: Wo Sicherheitsbehörden mit teils sehr sensiblen Daten umgehen, braucht es einen guten Datenschutz – in Europa und in Deutschland. Deshalb war es auch im Änderungsantrag nötig, zu präzisieren, wie Daten, die von Europol stammen, in das neu zu schaffende System des BKA integriert und unter welchen datenschutzrechtlichen Vorgaben das Ganze stattfinden soll. Wir haben daher festgeschrieben, dass die Berichtigung und Löschung von personenbezogenen Daten sowie die Einschränkung der Verarbeitung künftig unter dem Dach des Bundesdatenschutzgesetzes in der Fassung des Entwurfes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die EU-Verordnung 2016/679 und zur Umsetzung der EU-Richtlinie 216/680 geregelt ist. Die Europol-Verordnung tritt schon in der kommenden Woche, nämlich am 1. Mai 2017, in Kraft. Durch die enge inhaltliche Verzahnung mit dem neuen BKA-Gesetz und dem ebenfalls heute beschlossenen Bundesdatenschutzgesetz ist es notwendig, das Inkrafttreten des Europol-Gesetzes nach hinten zu verschieben. Diese treten nämlich erst am 25. Mai 2018 in Kraft. Ich denke aber, dass ein guter und effektiver Datenschutz ein etwas späteres Nachvollziehen der europäischen Beschlüsse unsererseits rechtfertigt und die Rechtskraft des Europol-Gesetzes ebenfalls erst zum Mai 2018 eintreten sollte. Deshalb möchte ich Albert Einstein zitieren: „Meine Arbeit ist getan.“ Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es geht in dieser Debatte um die Anpassung des deutschen Rechts an die neue Europol-Verordnung. Ich möchte hier zunächst eines betonen: Die Europol-Verordnung selbst steht in unserem Parlament überhaupt nicht zur Debatte. Sie wurde vom Europaparlament und dem Europäischen Rat, also den Regierungen der Mitgliedstaaten, ausgekungelt; die nationalen Parlamente dürfen da gar nicht mitreden. Das ist eines von vielen Beispielen, die Zweifel an der demokratischen Legitimation der Europäischen Union säen. Trotzdem ist es mir wichtig, dass auch im Bundestag einmal beschrieben wird, was das Problematische an Europol ist. Selbstverständlich ist es vom Prinzip her nicht verkehrt, vielmehr geboten, dass europäische Polizeien grundsätzlich zusammenarbeiten – Kriminelle machen ja an den Grenzen auch nicht halt. Nur: Die Art und Weise, wie das geschieht, geht eindeutig auf Kosten der Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Denn Europol erhält immer mehr Kompetenzen, ohne dass der Datenschutz damit Schritt hält. Wir können ja schon froh sein, dass Europol jetzt – jetzt erst! – wenigstens grundsätzlich einer parlamentarischen Kontrolle durchs Europaparlament unterzogen wird. Allerdings: Während die Europol-Verordnung Anfang Mai dieses Jahres wirksam wird, ist das Datenschutzreglement nach wie vor nicht festgelegt. Das zeigt schon die Schieflage, die wir zwischen europäischen Polizeibefugnissen und ihrer Kontrolle haben, und ich sage ganz klar: Einen Polizeiapparat, der außerhalb einer effektiven, auch parlamentarischen, Kontrolle agiert, den wollen wir nicht, weil das mit dem Schutz unserer freiheitlichen Gesellschaft nichts mehr zu tun hat. Ich nenne dafür nur einige Beispiele: Europol hat in jüngster Zeit eine sogenannte Internetmeldestelle aufgebaut. Dort werden jede Menge Daten über „verdächtige“ Internetnutzer, insbesondere wo es um Gewaltverherrlichung geht, gesammelt. Was als verdächtig gilt, was als Gewaltverherrlichung, das entscheidet Europol selbst bzw. jene nationalen Polizeibehörden, die Europol mit den Daten versorgen. Das Amt darf aber die Daten der Nutzer an die private Wirtschaft, zum Beispiel an Facebook, weitergeben und auf eine „freiwillige“ Löschung des jeweiligen Internetinhaltes drängen. Problematisch daran ist schon, dass Europol quasi exekutive Befugnisse erhält. Nicht weniger problematisch ist, dass private Unternehmen von der Polizei personengebundene Daten über Verdächtige erhalten sollen. Das hatten wir so noch nie. Doch im vorliegenden Gesetzentwurf wird die damit verbundene Grundrechteproblematik noch nicht einmal angedeutet. Anderes Beispiel: das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung. Dort werden nach offiziellen Angaben von Europol jede Menge Informationen zwischen den nationalen Polizeibehörden ausgetauscht. Aber was denn genau? Das bleibt im Dunkeln, ebenso wie die zunehmende Kooperation von Europol mit Geheimdiensten. Bekannt ist allerdings die Absicht der Kommission, eine Art gemeinsames Zentrum europäischer Polizeibehörden und Geheimdienste zu installieren. Dabei haben die verschiedenen Polizeibehörden in Europa ganz verschiedene Befugnisse zur Datenerhebung. Wir können diese unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ja gar nicht alle überblicken. Aber bei Europol fließt alles zusammen, und jede andere nationale Polizeibehörde kann diese Daten abrufen. Die Tatsache, dass es in Ländern wie Polen und Portugal Polizeibehörden gibt, die zugleich geheimdienstliche Befugnisse haben, wird dabei überhaupt nicht berücksichtigt. Das Europol-Gesetz erlaubt in Deutschland künftig nicht nur dem BKA, sondern auch jeder Länderpolizei den Datenabruf, sofern er zur eigenen Aufgabenerfüllung als „erforderlich“ erachtet wird. Dabei ist es angesichts der realen Gefahren durch Kriminalität nicht verkehrt, den Informationsfluss zwischen den Polizeibehörden zu vereinfachen. Aber es wäre im Interesse des Datenschutzes gewesen, hier wenigstens klarzustellen: Informationen abrufen dürfen nur solche Organisationseinheiten bei den LKA, die auch selbst in den entsprechenden Bereichen arbeiten, also vereinfacht gesagt: Auf Europol-Daten zu Drogenhandel greifen nur die Drogendezernate zu und nicht alle anderen, die denken, sie könnten die Daten vielleicht auch ganz gut gebrauchen. Aber eine solche Beschränkung fehlt im Gesetz, was erneut zeigt, wie gering hier der Datenschutz geachtet wird und wie einseitig nur auf vermeintliche polizeiliche Effektivität gesetzt wird. Wenn künftig auch noch alle Polizeien mit allen Geheimdiensten zusammensitzen und ihre Erkenntnisse miteinander tauschen, dann wäre dies wirklich ein schwarzes Loch für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. So ein Europa, ein Europa der totalen Überwachung, wollen wir nicht! Und noch ein Beispiel: Erst vor wenigen Tagen war in den Medien zu lesen, dass Europol jetzt auch mit dem US-Militär zusammenarbeitet. Man hofft darauf, von dort Informationen aus den diversen Kriegsschauplätzen zu erhalten – DNA-Spuren, Fingerabdrücke usw. Unsere Polizei soll also von völkerrechtswidrigen Kriegen profitieren – wollen wir das? Die Linke jedenfalls lehnt diese Entwicklung ab. Ich fasse das einmal zusammen: Europol soll künftig alle Informationen von den europäischen Polizeibehörden erhalten, die es für nötig hält. Jede Länderpolizei wiederum kann nahezu nach Belieben Informationen von Europol abrufen. Dabei fließen die Ergebnisse polizeilicher und perspektivisch auch geheimdienstlicher und militärischer „Recherche“ zusammen. Und weil wir wissen, dass es nichts geschenkt gibt, können wir uns ausrechnen, dass dieser Datenfluss natürlich auch umgekehrt verläuft: Alles, was bei Europol eingegeben wird, kann am Ende zum Beispiel bei der NSA und dem US-Militär wieder herauskommen. Wenn also ein deutsches Landeskriminalamt Informationen über einen mutmaßlichen „Gefährder“ an Europol übermittelt – ohne dass überhaupt klar geregelt wäre, was eigentlich einen Gefährder ausmacht –, riskiert es damit, dass die CIA eine Killerdrohne startet. Das ist unverantwortlich. Es entsteht ein Datenberg, wie wir ihn uns heute noch gar nicht vorstellen können. Die Bürgerinnen und Bürger verlieren vollends die Kontrolle über ihre Daten. Aus diesem Grund haben die linken Parteien im Europaparlament die Verordnung abgelehnt. Wie eingangs erwähnt, ist der Bundestag in Hinblick auf die Verordnung gar nicht zustimmungspflichtig. Wir haben hier nur noch über den Vollzug zu beraten. Nach dem, was ich eben geschildert habe, versteht es sich von selbst, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über die Neuordnung der polizeilichen Datenstruktur beim Bundeskriminalamt haben wir gerade heute noch im Rahmen der Debatte zu dem Entwurf für ein neues BKA-Gesetz gesprochen. Jetzt soll diese Struktur, deren Verfassungskonformität mindestens zweifelhaft ist und die sich noch kein Stück in der Praxis bewährt hat, auch gleich im Europol-Gesetz festgeschrieben werden. Ich finde das falsch! Auf meine schriftliche Frage hat mir die Bundesregierung erst letzte Woche mitgeteilt, dass es beim BKA dazu erst seit wenigen Monaten oder Wochen ein „Vorprojekt“ gibt. Die Pläne haben aber noch nicht „die nötige Reife“, um sie insbesondere mit der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zu erörtern, so die Antwort der Bundesregierung. Warum also diese Eile, zumal die Regelung erst in über einem Jahr in Kraft treten soll? Glauben Sie wirklich, ein zukünftiger Bundestag würde sich einer entsprechenden Anpassung verschließen, wenn das System einmal tatsächlich umgesetzt sein wird und sich im polizeilichen Alltag bewährt? Oder schätzen Sie die parlamentarische Befassung schlicht so gering, dass es Sie einfach nicht stört, dass wir hier über die Anwendung von etwas entscheiden sollen, von dem noch niemand wirklich sagen kann, wie es tatsächlich einmal aussehen soll? Meine Vorstellung von parlamentarischer Demokratie sieht jedenfalls anders aus, und vor allem vermisse ich – gerade in der Innenpolitik dieser Bundesregierung – den Bezug zu Fakten. Deutschland ist ein großer Wissenschaftsstandort, aber die Sicherheitspolitik tut gerne so, als agiere sie im luftleeren Raum. Was nicht per se alternativlos ist, wird behandelt, als gäbe es keine Alternativen. Wie eng dieser Blickwinkel in Zeiten der Großen Koalition allgemein geworden ist, erschreckt mich. Europol bietet für die Sicherheitsbehörden in Europa eine gute Möglichkeit, zusammenzuarbeiten und sich zu vernetzen. Wäre es da nicht eigentlich naheliegend gewesen, einmal nachzufragen, wie die anderen europäischen Staaten ihre polizeilichen Daten organisieren und diese Schnittstellen zu Europol betreiben? Da das Gesetz insoweit erst Ende Mai 2018 in Kraft treten soll, bestünde dazu eigentlich auch jetzt noch Zeit. Und überhaupt: Wer kann schon sagen, ob die IT beim BKA in einem Jahr bereits umgestellt und einsatzbereit ist? Mit Großprojekten ist das ja manchmal so eine Sache. Eines darf dabei aber vor allem nicht aus dem Auge verloren werden: Die Verbesserung der Arbeit der Sicherheitsbehörden ist eine Daueraufgabe. Die Kooperation in Europa darf auch nicht einen Moment ins Stocken geraten. Das erwarten die Menschen – hier und anderswo – zu Recht von dieser und der nächsten Bundesregierung. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Tagesordnungspunkt 23) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Ende November 2016 gab es den wahrscheinlich zahlenmäßig größten Angriff auf ITInfrastruktur in Deutschland. Nur mit viel Glück im Unglück sind 900 000 Internetrouter der Deutschen Telekom nicht Bestandteil eines weltumspannenden Botnetzes geworden. Daneben gibt es immer wieder Meldungen zum Verlust von Nutzerdaten bei großen Internetplattformen; Spielzeug überträgt mitgeschnittene Unterhaltungen der Kinder mit einer Spielzeugpuppe an den Hersteller. Die Gefahren aus dem Internet sind allgegenwärtig. Nicht alles ist ein Hackerangriff, nicht immer steckt eine Cyberarmee hinter entwendeten Nutzerdaten. Für alle erdenklichen Szenarien gibt es ausreichend Beispiele tatsächlicher Fälle im Netz. Einen Kulturwandel zu mehr Sicherheit im Internet gibt es aber immer noch nicht. Das weltweit beliebteste Passwort des vergangenen Jahres war „123456“, in Deutschland lagen „hallo“; „passwort“ und „hallo123“ auf den ersten drei Plätzen. Mit der Digitalen Agenda hat sich die Bundesregierung im Jahr 2014 vorgenommen, die ITSicherheit durch den Ausbau von Partnerschaften mit Betreibern kritischer Infrastrukturen und durch gesetzliche Vorgaben zu Mindestsicherheitsstandards und eine Meldepflicht für erhebliche ITSicherheitsvorfälle im Rahmen eines ITSicherheitsgesetzes zu stärken. Im Rückblick kann man sagen, dass hier nicht nur versprochen, sondern auch geliefert wurde. Natürlich ist es Augenwischerei eine, hundertprozentige Sicherheit im Internet zu versprechen; man muss aber den Blick darauf richten: Was ist kritisch, und was ist nicht kritisch? Deutschland war Vorreiter mit dem ITSicherheitsgesetz, war Blaupause für europäische Verhandlungen. Die deutsche Position wurde in Verhandlungen auf europäischer Ebene erfolgreich eingebracht. Die EU hat mit der NIS-Richtlinie nachgezogen. Das Gesetz erhöht die Sensibilität messbar, denn Betreiber kritischer Infrastrukturen müssen sich spätestens jetzt auf Mindeststandards verpflichten. Wichtig ist hier immer, dass die Sicherheitsmaßnahmen auch immer realistisch sein müssen, der Widerspruch zwischen Nutzerkomfort und Sicherheit muss immer wieder neu austariert werden. Es bringt nichts, die Maßnahmen hochzuschrauben, wenn der Nutzer von ITInfrastruktur sich quasi zum Ausweichen auf unsichere Lösungen gezwungen sieht. Das ITSicherheitsgesetz hat aber auch konkret das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gestärkt – sowohl finanziell als auch personell. Im letzten Haushaltsjahr gab es insgesamt 88,7 Millionen Euro bei 661,5 Planstellen. Das ITSicherheitsgesetz war wichtig, um für die Gefahren erfolgreicher Angriffe auf die ITSysteme kritischer Infrastrukturen zu sensibilisieren und auch die Abwehrfähigkeiten zu verbessern. Kritische Infrastrukturen finden sich nicht nur in Atomkraftwerken und in Wasserwerken, sondern auch der Ausfall von Flughäfen, Krankenhäusern, Banken und Versicherungen kann schwerwiegende Folgen für das Funktionieren unseres Alltags und die öffentliche Sicherheit haben. Bisher haben wir immer Glück gehabt, wenn Verschlüsselungstrojaner, sogenannte Ransom-Ware, die IT in Krankenhäusern lahmgelegt haben. Zwar mussten Operationen verschoben werden, aber es gab keine weiteren lebensbedrohlichen Folgen. Gerade weil es immer wieder diese Beispiele gibt, die zum Glück ohne schwerwiegende Folgen geblieben sind, bin ich mir sicher, wir haben den richtigen Weg beschritten, und es ist richtig, dass sich die deutschen Vorschriften auch in der NIS-Richtlinie der Europäischen Union wiederfinden. Die betroffenen Anbieter werden verpflichtet, ihre ITSysteme auf Schwachstellen zu überprüfen und gegebenenfalls zusätzliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Außerdem erstreckt sich die Meldepflicht auf Sicherheitsvorfälle mit erheblichen Auswirkungen, wobei auch anonyme Meldungen erfolgen können, sofern nicht ein Systemausfall droht. Hier zeigen sich deutlich die Parallelen zum ITSicherheitsgesetz. Ich begrüße außerdem sehr, dass der Bundesminister des Innern Thomas de Maizière das nationale Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union so schnell vorgelegt hat. Das zeigt: Die Sicherheit der kritischen Infrastrukturen in unserem Land hat in diesem Haus eine hohe Bedeutung, und dank des ITSicherheitsgesetzes ergibt sich nur ein geringer Anpassungsbedarf für deutsches Recht. Außerdem sollen die von der Richtlinie erfassten Betreiber und Diensteanbieter so früh wie möglich Rechtssicherheit erhalten. Mit dem neuen § 5a des BSI-Gesetzes werden Unterstützungsleistungen des BSI zur Wiederherstellung der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit von ITSystemen in herausgehobenen Fällen durch Mobile Incident Response Teams (MIRT) geregelt. In der Vergangenheit haben einige ITVorfälle offen gezeigt, dass die betroffenen Unternehmen teilweise nur auf unzureichende Unterstützung zurückgreifen können. Operativ einsetzbare Experten für solche Fälle sind rar. Das Bundesinnenministerium und das BSI haben daher an einem Konzept zum Ausbau von Mobile Incident Response Teams (MIRT) beim BSI gearbeitet. Der Bundestag hat dazu bereits entsprechende Haushaltsmittel für das laufende Jahr bewilligt, jetzt schaffen wir die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz. Experten aus der Wirtschaft können also mit ihrem Know-how und als zusätzliches Personal zur Verfügung stehen und die Response Teams des BSI unterstützen. Gelegentlich werden diese Teams als Cyberwehr bezeichnet. Diese Cyberwehr soll aus freiwillig und kostenlos zur Verfügung stehenden Spezialisten von Unternehmen bestehen, die bei der schnellen Beseitigung technischer Folgen eines erfolgreichen ITAngriffs zur Verfügung stehen. Das BSI soll dazu mit entsprechenden Unternehmen Kooperationsvereinbarungen abschließen. Angesichts des hohen Wettbewerbs auf dem Markt von ITFachkräften ist das ein nachvollziehbarer Schritt. Gleichzeitig möchte ich hier die Möglichkeit nutzen, mit Befürchtungen und Halbwahrheiten aufzuräumen: Schon jetzt unterliegen nach den geltenden Vorschriften qualifizierte Dritte, die im Auftrag des BSI tätig werden, denselben Vertraulichkeits- und Unabhängigkeitsanforderungen wie das BSI selbst. Der heute zu debattierende Gesetzentwurf ist aber mitnichten nur die Umsetzung der NIS-Richtlinie, sondern er wird durch einen wichtigen Änderungsantrag ergänzt. Die Koalition hat sich darauf verständigt, das Telekommunikationsgesetz zu ergänzen. Der massenhafte Angriff auf die Internetrouter der Deutschen Telekom Ende November 2016 hat die Bedeutung von Maßnahmen zur ITSicherheit auch einer breiten Öffentlichkeit deutlich gemacht. Leider sind Angriffe von Botnetzen nichts Neues, sie sind aber Anlass zu großer Sorge. Nicht mehr nur der infizierte Laptop oder PC kann Ausgangspunkt solcher Attacken werden, sondern auch IP-Kameras, Drucker mit Internetverbindung, Router oder andere mehr oder weniger smarte Geräte, die mit dem Internet verbunden sind. Gleichzeitig wird prognostiziert, dass die Zahl von Nutzern ohne technische Erfahrung zunimmt, die Geräte in der Standardkonfiguration ins Netz bringt. Die Gefahren, die aus solchen Botnetzen erwachsen, sind vielfältig. Schon jetzt ein häufiges Problem sind DDoS-Attacken auf Zahlungssysteme, Webshops oder andere Plattformen. Deshalb ist es richtig, dass wir mit dem Änderungsantrag neu regeln, wie Internetanbieter zukünftig mit dem Datenverkehr in ihren Netzen umgehen können, um von Netzseite die ITSicherheit zu verbessern. Denn nicht nur die Nutzer haben die Verantwortung für ein sicheres Netz. Zukünftig sollen Diensteanbieter Teile des Datenverkehrs von und zu einem Nutzer, von denen eine Störung ausgeht, zum Zwecke der Information der Nutzer umleiten können (sogenanntes Sinkholing). So können noch im eigenen Netz Nutzer mit schadhaften Systemen identifiziert und in die Lage versetzt werden, die Störung zu beseitigen. Wird ein Nutzer nicht tätig, soll der Netzbetreiber das Recht erhalten, den Datenverkehr eines Nutzers bei Vorliegen einer Störung einzuschränken, umzuleiten oder zu unterbinden oder den Datenverkehr zu filtern, um Gefahren, insbesondere für die Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationsdiensten, durch ITAngriffe abzuwehren. Wir müssen auch nach diesem Gesetz weiterarbeiten. In der nächsten Periode müssen wir den gesetzlichen Rahmen für das Internet of Things verschärfen. Das bedeutet Produkthaftungsregeln für ITSicherheitsmängel und Sicherheitsvorgaben für Hard- und Softwarehersteller im Internet der Dinge. Leider konnten wir das Thema ITProdukthaftung in diesem Gesetzgebungsvorhaben nicht mehr aufgreifen, da Teile des Hauses zu der Auffassung gekommen sind, dass dies Gegenstand europäischer Regelungen ist. Ich bedaure das, denn seit Jahren lässt sich ein gewisses Laissez-faire bei bestimmten Herstellern beobachten. Die Cyber-Sicherheitsstrategie der Bundesregierung 2016 stellt daher Vorgaben für eine angemessene Verteilung von Verantwortlichkeiten und Sicherheitsrisiken im Netz in Aussicht. Das müssen der neue Bundestag und die nächste Bundesregierung mit der notwendigen Aufmerksamkeit wieder aufgreifen. Ich persönlich kann mir vorstellen, dass hier Schadenersatzansprüche im Rahmen von Rücknahmepflichten der Hersteller diskutiert werden sollten, wenn während des üblichen Nutzungszeitraums eines Produktes keine Sicherheitsupdates mehr zur Verfügung gestellt werden oder wenn Hersteller nichts gegen bekannte Sicherheitslücken unternehmen. Hier sehe ich klare Defizite. Das muss auf EU-Ebene flankiert werden, um verbindliche ITSicherheitseigenschaften für internetfähige Produkten zu schaffen. In meinen Augen kann das freiwillige Gütesiegel ein weiterer Schritt zur Verbesserung der ITSicherheit sein. In der aktuellen Cyber-Sicherheitsstrategie der Bundesregierung heißt es deshalb richtigerweise, dass die Sicherheit von ITProdukten und Dienstleistungen insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger sowie kleine und mittelständische Unternehmen transparenter dargestellt werden kann. Dazu wird die Bundesregierung ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der Gütesiegel und Zertifikate für ITSicherheit ausbauen und geeignete Vorschläge unterbreiten, insbesondere hinsichtlich übergreifender Systeme für die Zertifizierung und einer einheitlichen Kennzeichnung. Die Anwender sollen künftig auf Basis eines einheitlichen Gütesiegels bei der Kaufentscheidung für neue ITProdukte und bei der Inanspruchnahme entsprechender Dienstleistungen leicht und schnell feststellen können, welches Angebot sicher ausgestaltet ist und hierdurch zum Schutz der Daten beiträgt. Der Hersteller eines ITProduktes sollte zum Beispiel im Rahmen eines Gütesiegels seinen zukünftigen Umgang mit Sicherheitsupdates offenlegen müssen. Cybersicherheit soll dadurch für jedermann verständlicher und leichter realisierbar gemacht werden. Das erhöht das Vertrauen in die sichere Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Marian Wendt (CDU/CSU): Der europäische digitale Binnenmarkt braucht einheitliche Standards für die ITSicherheit. Die Richtlinie (EU) 2016/1148 vom 8. August 2016 gibt einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für den EU-weiten Aufbau nationaler Kapazitäten für die Cybersicherheit und eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor. Darüber hinaus werden Mindestsicherheitsanforderungen für Netze und Systeme geschaffen und Meldepflichten für Betreiber festgelegt. Ziel unserer Bemühungen insgesamt und dieses Gesetzes im Besonderen ist, ein hohes Sicherheitsniveau von Netz- und Informationssystemen in Deutschland und der Europäischen Union zu erwirken. Ein solches hohes Niveau kann nicht mit Sonntagsreden und guten Absichten erreicht werden. Es muss auch gegen Widerstand erarbeitet werden. Die Arbeit der Europäischen Union ist auch hier zu loben. Der Gesetzgeber muss für ein Mindestmaß an Sicherheit sorgen, wo die Hersteller von internetfähigen Geräten sich gegen ausreichende Sicherheitsvorkehrungen entscheiden. Die Unternehmen unterliegen einem Zielkonflikt: Sicherheit macht ein Produkt meistens komplizierter, damit auch teurer. Aber tendenziell nutzerunfreundlicher. Diesen Zielkonflikt kann die Wirtschaft bisher nicht zufriedenstellend lösen. Das marktwirtschaftliche Argument, Kunden würden ein weniger sicheres Produkt nicht kaufen, zieht nicht. Hersteller haben noch keinen einen eigenen Anreiz, nur Geräte herzustellen, die einem hohen Sicherheitsstandard entsprechen. Hersteller haben diesen Anreiz nicht, weil die meisten Menschen die Folgen ihrer unsicheren Geräte gar nicht direkt zu spüren bekommen. Das Babyphon mit WLAN-Schnittstelle funktioniert zwar, aber dass es im Hintergrund gerade für einen Angriff auf eine Anlage der kritischen Infrastruktur genutzt wird, erfahren die Besitzer im Normalfall nicht. Hier liegen Haftung und Risiko nicht in einer Hand. Da muss der Gesetzgeber korrigierend eingreifen. Auf nationaler Ebene hat die unionsgeführte Bundesregierung bereits entscheidende Schritte unternommen, die NIS-Richtlinie umzusetzen. Das ITSicherheitsgesetz sorgt für sicherere Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, und die Cyber-Sicherheitsstrategie gibt den Rahmen vor für die Absicherung Deutschlands gegen das digitale organisierte Verbrechen. Mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, auf deutscher Ebene und der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit, ENISA, auf europäischer Ebene haben wir bereits zwei höchstkompetente staatliche bzw. überstaatliche Stellen. In deren Hand liegt nun nicht nur Beratung, sondern im Falle des BSI aktive Bekämpfung von digitalen Bedrohungen. Die geschaffenen Mobile Incident Response Teams sind ein Beispiel für koordiniertes Vorgehen des Staates gegen Cybercrime. Sie sollen Unternehmen, die von Angriffen betroffen sind, schnell helfen, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Dies ist entscheidend, weil von befallenen Systemen wiederum Gefahr für andere Systeme ausgeht. Hervorzuheben ist neben den besonderen Maßnahmen in unserer Sicherheitsarchitektur auch, dass es Diensteanbietern nun ausdrücklich erlaubt ist, Datenverkehr, von dem eine Störung ausgeht, zu unterbinden. So können Störungen in den Telekommunikations- und Datenverarbeitungssystemen abgewendet werden. Einen entsprechenden Änderungsantrag haben meine Kollegen und ich, nach schwierigen Gesprächen mit der SPD-Seite, eingebracht und wollen ihn heute mit beschließen. Wichtig ist meines Erachtens, auf den heute ebenfalls in der Beschlussempfehlung aufgefassten Entschließungsantrag hinzuweisen. Hier stellen wir noch einmal klar fest, dass grundsätzlich von sämtlichen an das Internet angeschlossenen Geräten Gefahren für unsere Telekommunikationsnetze und damit für unsere Infrastruktur ausgehen können. Die Anzahl entsprechender Angriffe steigt stetig und wird auf absehbare Zeit nicht kleiner werden. Es ist daher absolut erforderlich, weitere Maßnahmen zur Erhöhung der ITSicherheit vorzunehmen. Darunter sollte den Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen ermöglicht werden, stärker als bisher gegen Störungen und Schadprogramme vorzugehen. Im gleichen Atemzug muss die Sicherheit jedes einzelnen an das Internet angeschlossenen Geräts erhöht werden. Dies soll durch die Schaffung eines freiwilligen Gütesiegels erreicht werden. Ein Gütesiegel, das den Menschen in Deutschland zeigt, welches Produkt ausreichend hohe Sicherheitsstandards erfüllt und welches nicht. Ein solches Gütesiegel würde die ungleiche Verteilung des Wissens, was ein sicheres Produkt ist und was nicht, zumindest zum Teil auflösen und so Hersteller motivieren, bessere Geräte zu verkaufen. Insbesondere im Bereich der regelmäßigen Sicherheitsupdates kann ein Gütesiegel Transparenz schaffen. Es ermöglicht sicheres und selbstbestimmtes Handeln in einer digitalisierten Umgebung. Ein solches Gütesiegel ist bereits in der Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland 2016 angelegt. Wichtig ist es, dass ein solches Gütesiegel bedarfsgerecht ausgestaltet wird. Ein völlig am Markt vorbeidesigntes digitales Produkt wird kein Mensch brauchen, und dementsprechend wird es die digitale Sicherheit nicht erhöhen. Es muss also von vornherein klar sein, was ein solches Gütesiegel leisten kann und was nicht. Ein Gütesiegel muss dem einzelnen Nutzer glaubwürdig vermitteln, dass das jeweilige mit dem Internet verbundene Produkt auch wirklich sicher ist, und dieses Versprechen muss es halten. Die Festlegung von Standards, die Produkte erfüllen müssen, um mit einem Gütesiegel ausgestattet werden zu können, ist ein komplexes Problem. Daher muss dem BSI, dem die Festlegung dieser Standards auf nationaler Ebene obliegen sollte, ein entsprechender Ansatz an Stellen und Mitteln zur Verfügung gestellt werden. Ein Gütesiegel ohne glaubwürdige Vergabestelle ist nutzlos, internationale, neueste Standards zu erfassen, und in Vorgaben für ein Gütesiegel umzusetzen, ist die große Herausforderung in dieser Sache. Die Errungenschaften einer digitalisierten Gesellschaft zu nutzen, bringt den Menschen mehr Wohlstand und mehr Freiheit. Freiheit geht aber nicht ohne Sicherheit. Diese Sicherheit gibt es nur, wenn sich die Unkultur der Nachlässigkeit im Bereich der ITSicherheit ändert. Den großen Schaden, den mangelhafte ITSicherheit in der Zukunft anrichten wird, können wir nur abwenden, wenn Verbraucher und Hersteller gemeinsam mit der Politik an besseren Mechanismen arbeiten und Anreize schaffen, dass jeder so sicher wie möglich im Netz ist. Gerold Reichenbach (SPD): 10 660 379. Dies ist die von dem Unternehmen Check Point ermittelte Anzahl der Hackerangriffe, die allein gestern weltweit stattgefunden hat. Deutschland befindet sich hier zumeist unter den ersten zehn der am meisten attackierten Länder, aber auch der Länder, aus denen Attacken gefahren werden. Dabei handelt es sich oft nicht nur um Server, sondern auch sogenannte Botnetze, also infizierte private Rechner oder andere internetfähige Geräte. Was sagen uns diese Zahlen? Zum einen: Wir haben ein enormes Problem im Bereich der Cyberkriminalität. Zum anderen: Cybersicherheit ist ein Thema, das ganz oben auf der politischen Agenda stehen muss. Das Internet der Dinge hat in einem sehr kurzen Zeitraum eine enorme Größe erreicht. Selten finden bei diesen Geräten Softwareupdates statt. Weltweit entstehen so bei Millionen Geräten Sicherheitslücken, die es Kriminellen leichtmachen, die Geräte zu kapern. Dieses Problem zeigt, dass wir nicht nur auf gesetzgeberischer Seite im Bereich der Produktsicherheit und der Produkthaftung aktiv werden müssen, sondern auch in der Gesamtbevölkerung über Bildungsmaßnahmen und Kampagnen ein Bewusstsein für die Thematik schaffen müssen: Wer von uns würde permanent die Fenster und Türen seines Hauses oder seiner Wohnung unverschlossen lassen, insbesondere dann, wenn er wüsste, dass sich in unmittelbarer Nähe potenzielle Einbrecher aufhalten? Und wer von uns würde den Einbrechern dauerhaften Zugang zur eigenen Wohnung gewähren? Hier schaltet sich schnell der gesunde Menschenverstand ein, der sagt: Niemals! Hier gibt es ein Bewusstsein für Eigentum, für Privatsphäre und für Eigenverantwortung. In der ITWelt sieht es jedoch anders aus. Dafür, dass ein unzureichend geschützter ITfähiger Fernseher Kriminellen Einblick in das eigene Wohnzimmer gewähren kann oder dass unzureichend geschützte ITfähige Babyphones, Kühlschränke und Waschmaschinen von Kriminellen gehackt und vom Besitzer unbemerkt über Wochen und Monate gekapert und für den Aufbau eines Botnetzes zum Angriff auf kritische Infrastrukturen wie beispielsweise die Stromversorgung genutzt werden können, ist die allgemeine Bewusstseinslage noch sehr gering. So werden Massenwaren, die von jeder Privatperson gekauft werden können, leichtfertig zu einer Gefährdungsquelle der öffentlichen Sicherheit. Ein Schritt, um das Bewusstsein für dieses Problem zu erhöhen, ist die Einführung eines ITGütesiegels, das dem Verbraucher Orientierung mit Blick auf den Sicherheitsaspekt beim Kauf von ITfähigen Produkten bietet. Wir benötigen Eingriffsbefugnisse für die Provider, um Gefahren erkennen und abwehren zu können, und wir benötigen Produkthaftungsregeln in diesem Bereich, um Hersteller zur Erhöhung der Sicherheitsstandards ihrer Produkte zu bewegen. Zumindest in Teilen konnten einige dieser Aspekte im Zuge des Umsetzungsgesetzes der Richtlinie zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Europäischen Union, kurz NIS-Richtlinie, über welches wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, angegangen werden. Wir haben mit dem ITSicherheitsgesetz 2015 bereits viel erreicht. Gleichzeitig sind weiterführende Maßnahmen wie die im NIS-Richtlinien-Umsetzungsgesetz und unseren Anträgen nötig, da das Problem, wie die eingangs angeführten Zahlen eindrucksvoll belegen, ein globales Problem ist. Eine engere Abstimmung auf europäischer Ebene ist daher ein wichtiger und richtiger Schritt. Die NIS-Richtlinie bildet die Grundlage für einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen, einen EU-weiten Ausbau nationaler Kapazitäten für die Cybersicherheit und eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich. Es werden außerdem Mindestanforderungen und Meldepflichten nicht nur für die Betreiber wesentlicher Dienste, also für Betreiber kritischer Infrastrukturen, sondern auch für die Betreiber bestimmter digitaler Dienste geschaffen, also für Unternehmen, die Cloud-Services, Onlinemarktplätze oder auch Onlinesuchmaschinen anbieten. Unseren Änderungsantrag zum Umsetzungsgesetz sowie den Antrag zum Gütesiegel sehen wir als eine notwendige Ergänzung, um die ITSicherheit in Deutschland und der Europäischen Union zu erhöhen. In einem im Innenausschuss von den Koalitionsfraktionen parallel zum Änderungsantrag verabschiedeten Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, ein Gütesiegel in Abstimmung mit Verbraucherschützern, Wirtschaftsvertretern, ITSicherheitsexperten und Gewerkschaften auszuarbeiten und sich auf europäischer Ebene für verbindliche Anforderungen an ITSicherheitseigenschaften von internetfähigen Produkten einzusetzen. Denn nur sichere ITfähige Produkte, deren Verbreitung durch ein ITGütesiegel und durch eine Produkthaftungskette gefördert werden können, könnten langfristig die Cybersicherheit in Deutschland erhöhen und das geschilderte Problem einzudämmen helfen. Hierfür bedarf es Regelungen auf Ebene der EU sowie langfristig auch auf internationaler Ebene. Denn weder das Internet noch der Handel enden heute an nationalen Grenzen. Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung nehmen wir weitere Schritte zur Erhöhung der ITSicherheit vor. Im Bereich der Meldepflichten führen wir die doppelte Meldepflicht von Sicherheitsvorfällen ein: die Meldung an die Bundesnetzagentur (BNetzA) und an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Aktuelle Cyberangriffe im Telekommunikationsbereich haben gezeigt, dass die Meldewege von der Bundesnetzagentur zum BSI bei Vorfällen in Telekommunikationsnetzen nicht mehr gerecht werden. Durch die parallele Meldung wird es dem BSI ermöglicht, seine Ressourcen und Kompetenzen zeitnah und besser einzusetzen. Aus den Sicherheitsvorfällen der vergangenen Monate haben wir darüber hinaus weitere Lehren gezogen und die Befugnisse von Anbietern von Telekommunikationsdiensten zur Abwehr oder Beseitigung von erheblichen Störungen auf rechtssicheren Boden gestellt. Unter sehr engen Vorgaben werden Anbieter nun befugt, Netzwerkdaten zu analysieren, um Angriffswellen und gravierende Folgeschäden einzudämmen sowie Angriffe erkennen und abwehren zu können. Kommunikationsinhalte bleiben hiervon unberührt. Entgegen mancher Spekulation im Vorfeld handelt es sich hierbei folglich auch um keine Light-Version von Deep Packet Inspection. Hier gilt die Koalitionsvereinbarung. Im Gegenteil, wir haben im Gesetzeswortlaut deutlich formuliert, dass es sich lediglich um solche Netzwerkprotokolldaten handeln darf, die unabhängig vom Inhalt eines Kommunikationsvorganges übertragen werden, und dass der Zugriff auf Inhaltsdaten vollständig ausgeschlossen ist. DPI geht so in keinem Fall. Zur Abwehr von Attacken ist es zwingend erforderlich, die Netzwerkprotokolldateien zu analysieren. Entscheidend ist, dass dies die Ausnahme und nicht die Regel ist, dass also konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine solche Analyse zwingend erforderlich machen. Aber dieser Zugriff auf Netzwerkprotokolldaten muss im Bereich der Abwehr von Angriffen erlaubt sein, sonst kann man keine Angriffe und Muster erkennen und alle Cyberabwehr vergessen. Die Gewährleistung von Notrufverbindungen bleibt von den neuen Eingriffsbefugnissen der Diensteanbieter unberührt. Der Diensteanbieter hat weiterhin alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit Notrufverbindungen jederzeit möglich sind. Die Entwicklungen in unserer extrem verwundbaren ITbasierten Lebenswelt sind rasant schnell, und täglich nimmt die Zahl der Hackerangriffe zu. Da zunehmend alles mit allem vernetzt ist – Stichwort Internet der Dinge, Internet of Things, IoT –, stellt sich immer drängender die Frage, wie die ITSicherheit der vernetzten Dinge sichergestellt werden kann und wer in der Haftung ist. Wir dürfen uns daher nicht ausruhen. Die Bundesregierung sollte gesetzgeberische Maßnahmen zur Produkthaftung und die Einführung eines verlässlichen Gütesiegels weit oben auf die Agenda setzen und hier auch in Europa mit gutem Beispiel vorangehen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie Änderungsantrag und Antrag bieten hierfür eine gute Grundlage, die als Ausgangspunkt für weiter gehende gesetzgeberische Maßnahmen auf EU-Ebene genutzt werden sollte. Martina Renner (DIE LINKE): Die Sicherheit der Informationstechnologie ist eine wichtige Aufgabe, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und weltweit seit Jahren an Bedeutung gewinnt. Aufgrund der fortschreitenden Vernetzung durch Smartphones, IP-Telefonie, der Digitalisierung von Arbeit und Leben und des Internets der Dinge ist Politik gefordert. Es besteht eine staatliche Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die sich nicht in der Einrichtung eines Cyberabwehrzentrums, eines Cyber-Sicherheitsrates oder Meldepflichten für kritische Infrastrukturen erschöpft. Und schon gar nicht durch das ständige Wiederholen von Cyber, Cyber, Cyber. Tatsächlich ist dem vorgelegten Entwurf zur Umsetzung der Richtlinie zur Verbesserung der Netz- und Informationssicherheit anzumerken, dass Deutschland nicht – wie der Kollege Binninger in der ersten Beratung behauptete – vorangegangen ist. Die Bundesregierung hechelt hinterher! Der Gesetzentwurf zum Umsetzungsgesetz bleibt sowohl in der Definition als auch in der Konkretisierung der Anforderungen für digitale Diensteanbieter weiterhin völlig unbestimmt. Im Zweifel müssten sich diese Anbieter sowohl an die Regelungen für Anbieter von Telemediendiensten als auch für Anbieter von „digitalen Diensten“ halten. Eine solche Doppelregulierung und unklare Sicherheitspflichten für die Anbieter stärken die Netz- und Informationssicherheit im Ergebnis nicht. Eine nicht eindeutige Regelung widerspricht vielmehr dem Zweck der Richtlinie. Netz- und Informationssicherheit werden nicht erhöht, sondern Schlupflöcher geschaffen. Niemandem, weder den Verbrauchern noch den Anbietern, ist damit gedient. Der Systematisierung der ITSicherheitspflichten für alle Anbieter und Dienste geht die Bundesregierung aus dem Weg. Tatsächlich sind die Sicherheitsanforderungen von Telekommunikationsnetzen, Telemediendiensten, den sogenannten wesentlichen Diensten, den Vertrauensdiensten und den digitalen Diensten aufgesplittert. Dieses Manko wird nicht durch das vorliegende Umsetzungsgesetz beseitigt. Mittels Änderungsantrag hat die Große Koalition zwischenzeitlich eine begleitende Ergänzung des Telekommunikationsgesetzes auf den Weg gebracht. Zur Begründung wird angeführt, dass Telekommunikationsanbieter neben den Bestandsdaten bei einer Störung auch die sogenannten Steuerungsdaten auswerten müssten. Allerdings ist auch dieser Vorschlag viel zu unbestimmt. Tatsächlich wird hier der Weg freigemacht, um bei späteren Gesetzänderungen draufsatteln zu können. Dass die Diensteanbieter gehalten sind, Störungen und deren Ursachen zu analysieren, ist das eine. Dass aber dabei aber die Möglichkeit eröffnet wird, die Steuerungsdaten auch für künftige Analysen greifbar zu machen, ist mit dem Datenschutz nicht vereinbar. Der Ausschluss der Inhaltsdaten dient hierbei nur der Kosmetik. Der Zugriff auf die Steuerungsdaten erlaubt im Zusammenspiel mit den Bestandsdaten weitreichende Analysen der Betreiber und der Behörden. Anders als behauptet wird das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nicht etwa für die kommenden Entwicklungen gerüstet. Tatsächlich wird das BSI weiter zu einer operativen Behörde ausgebaut. Demgegenüber bleibt der Geburtsfehler der Behörde bestehen, denn sie wird institutionell nicht gestärkt. Das BSI bleibt dem Bundesinnenministerium unterstellt. Seine Unabhängigkeit ist also nicht gewährleistet. Die Sensibilität der beim BSI gesammelten Informationen über Sicherheitslücken und -strukturen sowie der Umgang mit persönlichen Daten aus Unternehmen und von Privatpersonen erfordert aber zwingend, es als unabhängige Bundesbehörde mit unzweideutigem Sicherheitsauftrag aufzustellen. Nur so kann das unklare Verhältnis des BSI zu den polizeilichen Sicherheitsbehörden und den Geheimdiensten beseitigt werden. Es braucht diese klaren Zuständigkeiten. Andernfalls droht der Sicherheitsauftrag des BSI durch die intensive Zusammenarbeit mit BND, BfV und MAD national über das Cyber-Abwehrzentrum oder international in der Kooperation mit der NSA ins Leere zu laufen. Erst recht, wenn die Geheimdienste gleichzeitig Sicherheitslücken einkaufen oder erforschen, wie mit der Behörde ZITiS geplant. Das Vertrauensproblem in Bezug auf die für ITSicherheit hauptsächlich zuständige Bundesbehörde BSI wird auf diese Weise nicht gelöst. Schließlich verzichtet die Bundesregierung erneut darauf, Regelungen zur Produktsicherheit und Produkthaftung für ITProdukte und ITDienste einzuführen. Schon bei Verabschiedung des ITSicherheitsgesetzes 2015 wurde dies versäumt und bis heute nicht nachgeholt. Ausgangspunkt von Sicherheitsproblemen aber sind in den allermeisten Fällen Sicherheitslücken in der eingesetzten Software. Aber auch Router und vernetzte Geräte sind eine besondere Gefahrenquelle. Zum Kern des Problems in der ITSicherheit vorzudringen, heißt daher, Haftungsverschärfungen für ITSicherheitsmängel im ITSicherheitsrecht aufzunehmen. Da entsprechende Regelungen fehlen, springt das Umsetzungsgesetz zu kurz. Die fehlenden Verschärfungen im ITSicherheitsrecht und die Zersplitterung der Sicherheitsanforderung zeigen einmal mehr, dass die Bundesregierung keineswegs vorangeht, sondern Bruchstücke zur Strategie verklärt. Aus diesen Gründen werden wir dem Umsetzungsgesetz im Ergebnis nicht zustimmen und den Gesetzentwurf ablehnen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nahezu wöchentlich häufen sich die Meldungen über Hacking-Angriffe auf den Bundestag, auf kleinere und größere Unternehmen mit teils umfangreichen Kundendatenbanken, auf Krankenhäuser oder auch immer öfter auf vernetzte Geräte in Küche und Kinderzimmer: All das macht deutlich, dass die Sicherheit im Digitalen zu einer zentralen Herausforderung unserer Infrastrukturen und Kommunikationssysteme geworden ist, und zwar in so gut wie jedem Lebens-, Gesellschafts- und Wirtschaftsbereich. Angesichts dieser vielfachen systemischen Risiken in einer immer vernetzteren Welt besteht ein enormer Handlungsdruck. Scheinbar simple Programmier- und Konfigurationsfehler in Produkten, bei Diensten und Dienstleistungen können weitreichende Folgen für die gesamte Bevölkerung haben. Potenziell jedes System kann von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren gehackt und zum Ziel von Überwachung, Kriminalität oder militärischen Strategien werden. Die Sicherheit im Digitalen ist somit heute eine wesentliche Bedingung unserer grundrechtlichen Freiheiten, unserer verfassungsrechtlichen Ordnung sowie der völkerrechtlichen Friedensordnung. ITSicherheit geht mithin uns alle an, der entsprechende Schutz steht uns allen zu – und nicht nur kritischen Infrastrukturen und strategischen Zielen. Zu oft wird die Debatte um Cyberwar auf militärische Eskalationsszenarien und kritische Infrastrukturen verengt. Gerade hier darf die Verantwortung zum Selbstschutz nicht allein auf die einfachen Endnutzerinnen und -nutzer oder auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen abgewälzt werden. Dem Staat kommt eine direkt aus unserer Verfassung abzuleitende Schutzverantwortung zu. Vielmehr ist daher ein ganzheitlicher Ansatz insbesondere auch auf europäischer und internationaler Ebene gefragt. Vielleicht sollte sich die Bundesregierung anlässlich des gestrigen Hochamts auf ihre Digitale Agenda einmal an das eigene Versprechen, Deutschland zum Verschlüsselungsland Nummer eins zu machen, besinnen – denn genau das wäre eine solche grundlegende Maßnahme, die Sicherheit im Digitalen effektiv für alle anzugehen. Stattdessen ergingen Sie sich während der vergangenen Jahre vornehmlich in Sonntagsreden, nur um dann in eine Art aktionistischen Schweinsgalopp zu verfallen. Ihre immer neuen hochtrabendenden „Strategien“ von wenig Substanz und umso kürzerer Lebensdauer wirken planlos und wenig koordiniert: Man denke nur an das Cyberabwehrzentrum, die fragwürdigen Hacking-Pläne im ZITiS oder zuletzt gar eine private Cyberwehr. Zum überhasteten nationalen Alleingang mit dem ITSicherheitsgesetz komme ich noch im Folgenden. Anstatt aus den Snowden-Enthüllungen gerade mit Blick auf die Sicherheit im Digitalen die eigentlich ja offensichtlich zwingenden Konsequenzen zu ziehen, mussten wir viel eher ein Rollback der Massenüberwachung erleben: Mit dem BND-Gesetz wurde diese Praxis schlichtweg nachträglich legalisiert. Unkontrollierte Massenüberwachung gefährdet nicht nur unsere Grundrechte, sie gefährdet auch immer unsere Sicherheit im Digitalen. Umso bezeichnender ist nun, dass Sie dem staatlichen und militärischen Aufrüsten im Digitalen das Wort reden. Weiterhin halten staatliche Stellen Sicherheitslücken für ihre Überwachungszwecke offen, kaufen gar entsprechendes Wissen auf – anstatt diese zugunsten der Allgemeinheit umgehend bekannt zu geben und zu schließen. Es ist diese Ambivalenz in der Frage der Sicherheit im Digitalen, die leider die noch so überfälligen und in vielem richtigen Ansätze der nun vorliegenden NIS-Umsetzung konterkarieren. Und genau dieses staatliche Überwachungsinteresse überschattet auch die Arbeit des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Solange dieses am langen Arm des Innenministers bleibt, wird es bei noch so guter Arbeit kein vertrauenswürdiger, weil unabhängiger und allein der ITSicherheit verpflichteter Akteur werden können. Die weit hinter den Erwartungen gebliebenen Meldezahlen zu erfassten Anlagen bzw. Störfällen in jenen Sektoren, die bereits nach dem ITSicherheitsgesetz meldepflichtig sind, sprechen hier Bände. Und umso problematischer sind in der vorliegenden NIS-Umsetzung die schwammigen Datenschutzvorgaben für die nun noch erweiterten Eingriffsbefugnisse der BSI-Response-Teams. Gerade in einem so sensiblen Bereich wie den kritischen Infrastrukturen stellt sich hier die Frage nach Datenschutz und Fernmeldegeheimnis zumal bei personenbezogenen Daten in verschärfter Form. Apropos ITSicherheitsgesetz: Obwohl bereits 2015 absehbar war, dass in Bälde mit der NIS-Richtlinie eine weiter gehende Harmonisierung ganz sinnvollerweise auf europäischer Ebene ansteht, mussten Sie entgegen aller Warnungen partout noch mit einem nationalen Schnellschuss vorpreschen. Immerhin wurden nun dank Brüssel mit den verschärften Melde- und Auditpflichten auch jene Störfälle erfasst, die wegen ihrer potenziellen System- und Ausfallrelevanz so sensibel sind, und auch die entsprechenden ursächlichen Störungsfälle in Gänze meldepflichtig gemacht. Studien zeigen, dass Sicherheitsbeauftragte solcher Infrastrukturen systematisch das eigene Angriffsrisiko unterschätzen – umfassende Kontroll- und Meldepflicht sind hier dringend angebracht, wie auch ein abgestimmtes Verfahren bei den ja allzu oft länderübergreifenden Störfällen. Hingegen werden Sie bei den digitalen Diensten mit Ihrer rein formalen Umsetzung ein Dickicht überlappender Regelungen schaffen – Rechtssicherheit stellt man so nicht her in diesem Bereich. Zudem wird interessanterweise just in eigener Sache, nämlich bei der Nutzung von Cloud-Angeboten durch die öffentliche Verwaltung, eine Ausnahme gemacht. Und leider haben die Koalitionsfraktionen mit ihrer Änderung einer TKG-Erweiterung kurz vor der Ausschusssitzung eine gravierende Verschlimmbesserung eingebaut. Es ist ja löblich, wenn Sie mit Blick auf die schon nach geltender Rechtslage weitreichenden Eingriffsrechte der Anbieter zur Störungsabwehr eine Präzisierung vornehmen wollen. Nur sorgen Sie mit dem rechtlich unbestimmten Begriff der Steuerdaten eher für mehr Sorgen vor einer Deep Packet Inspection durch die Hintertür, die eben nicht trennscharf von Kommunikationsinhalten erfolgt. Spätestens seit der parlamentarischen Aufklärung der massenhaften Geheimdienstüberwachung sollten wir doch wissen, welchen Aussagewert eben gerade jene Verbindungsdaten zum Beispiel aus entsprechenden Protokolldaten haben. Daher haben wir hierzu im Ausschuss wie auch jetzt im Plenum klar Nein gesagt. Auch diese an sich überfällige, aber leider unentschlossen umgesetzte und zu wenig abgestimmte Reform wird an der Grundsatzproblematik nichts ändern: Solange die Bundesregierung aufgrund eigener Überwachungsinteressen wie auch aufgrund des Lobbydrucks in der Regulierungs- und Haftungsfrage weiterhin so ambivalent bleibt und einen umfassend entschlossenen Ansatz scheut, steht es schlecht bestellt um die Sicherheit im Digitalen von uns allen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Tagesordnungspunkt 24) Stephan Albani (CDU/CSU): Dies ist ein guter Tag für die forschende Wissenschaft! Nach monatelangen zähen Verhandlungen konnten wir erreichen, dass mit unserem Änderungsantrag die deutsche Forschungslandschaft endlich Fortschritt im Bereich der Genehmigungsverfahren für Studien mit ionisierender Strahlung im Bereich der medizinischen Forschung sieht. Nach 15 Jahren Stillstand ist dies ein gutes Ergebnis. Wir beraten hier über die Novellierung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung. Hintergrund hierbei ist, dass wir einer Umsetzung der Euratom-Grundnormen in deutsche Rechtsnormen nachkommen wollten, zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung zum Schutz des Menschen. Bislang war das Strahlenschutzrecht in der auf dem Atomgesetz basierenden Strahlenschutzverordnung und der Röntgenverordnung geregelt. Wir novellieren also hiermit nicht nur ein vorhandenes Gesetz und wollen bisherige Einzelgesetze zusammenfügen, sondern möchten erstmals und grundsätzlich auf Basis von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen den Einsatz von Stoffen oder ionisierender Strahlung zur Früherkennung von Krankheiten regeln. Darüber hinaus gilt es ebenso, die Grenzwerte von Verfahren in der Messung und Überprüfung im Zusammenhang mit Strahlenbelastung zu verbessern. Diese Reformierung ist für die deutsche Forschungslandschaft dringend nötig und längst überfällig. In der Wissenschaft gibt es ja bekanntermaßen keinen Stillstand. Hier hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. So war bislang der Einsatz von Röntgenstrahlung allein für die Früherkennung von Brustkrebs erlaubt. Die neue Regelung zur medizinischen Forschung betrifft auch weiterhin nur studienbedingte zusätzliche Strahlenbelastungen und nicht Maßnahmen in der klinischen Routine. Seit dem Jahre 2003 machten medizinische Fachgesellschaften und Prüfzentren das Bundesministerium für Umwelt wiederholt auf die Problematik aufmerksam, dass es im Bereich der Genehmigungsverfahren in der Begleitdiagnostik in Deutschland keine gesetzlichen Fristen gibt und Anträge teilweise über ein Jahr lang beim Bundesamt für Strahlenschutz liegen bleiben. Dies hatte in der Vergangenheit erhebliche Auswirkungen auf unsere Forschungslandschaft, exakt also auf die Gesundheitsforschungsfelder, in denen unser Land heute eine globale Führungsrolle einnimmt. Forschende Pharmaunternehmen in Deutschland können ohne kalkulierbare Fristen im Strahlenschutz nicht arbeiten. So kam es in den letzten Jahren zu einer stetigen Abwanderung der Phase-1- und Phase-2-Studien ins Ausland. Es führte in der Vergangenheit sogar dazu, dass deutsche Prüfzentren von multinationalen Studien ausgeschlossen wurden. Dies alles gilt es zu verhindern! Stellen Sie sich vor, Sie sind Inhaber eines Logistikunternehmens und auf den täglichen Transport von Waren wirtschaftlich angewiesen. Sie haben einen Transporter, der zwecks Straßenverkehrstauglichkeit von einer Prüfstelle (TÜV, DEKRA) abgenommen werden muss. Diese Prüfstelle teilt Ihnen dann jedoch mit, dass sie Ihnen leider nicht sagen kann, ob und wann Sie Ihr Fahrzeug weiter einsetzen können, „sie bräuchten noch mehr Zeit“ und „wissen nicht, wann Sie Ihren Transporter wieder einsetzen dürfen“. Diesen Zustand gilt es dringend zu verbessern. Das Beispiel zeigt, dass solche Ungewissheiten nicht tragbar sind und zu eklatanten Planungsrisiken nicht zuletzt auch bei den forschenden Unternehmen führen. Aus diesem Grunde ist es wichtig und richtig, dass die CDU/CSU-Fraktion sich der Sache angenommen hat, um nicht nur forschende Unternehmen, sondern auch zahlreiche Patientenverbände und medizinische Fachgesellschaften in ihrem drängenden Streben nach der Einführung eines Anzeigeverfahrens mit verbindlichen Fristen zu unterstützen. Mit Einsatz unserer Fraktion haben wir nicht zuletzt im Jahre 2013 dieses wichtige Vorhaben im Koalitionsvertrag mit auf den Weg gebracht. Und seitdem nicht lockergelassen! Mit unserem Antrag „Transfer von Forschungsergebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversorgung beschleunigen“ vom 15. Dezember 2015 (Drucksache 18/7044) forderten wir, „bei der Zulassung der Anwendung ionisierender Strahlung am Menschen in der medizinischen Forschung durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für Fälle der sog. Begleitdiagnostik statt des Genehmigungsverfahrens ein Anzeigeverfahren mit verbindlichen Fristen einzuführen“. Vieler Schreiben an das Bundesumweltministerium hat es bedurft, um den klaren Auftrag aus unserem Antrag in der Bundesregierung in eine schnelle Umsetzung zu bringen. Nicht zuletzt die Ergebnisse des Pharmadialogs im April 2016 zeigen, dass dieses drängende Problem im Strahlenschutzgesetz aufgenommen wurde. Genehmigungsverfahren mit verbindlichen Fristen gibt es in vielen Lebensbereichen. Auch für Studien mit Arzneimittel- und Medizinprodukten sind diese vorhanden. Heute wollen wir analog dazu auch beim Strahlenschutz für die medizinische Forschung erreichen, dass es zu einer angemessenen Fristenregelung mit radioaktiven Substanzen und ionisierender Strahlung kommt. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem uns vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in geänderter Fassung. Oliver Grundmann (CDU/CSU): Nur die Dosis macht das Gift! Diese rund 500 Jahre alte Erkenntnis des berühmten Arztes und Alchemisten Paracelsus ist unverändert gültig – insbesondere bei der radioaktiven Strahlung. Der Begriff „Radioaktivität“ erzeugt bei vielen Menschen, auch in meinem Wahlkreis Stade und Rotenburg, Unbehagen, und von radioaktiven Stoffen ausgesandte Strahlung wird oft als bedrohlich empfunden. Dabei wird manchmal vergessen, dass jeder Mensch auf der Erde auf natürliche Weise stets und überall der Strahlung radioaktiver Stoffe ausgesetzt ist. Hinzu kommen künstliche Strahlungsquellen, die in der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken sind, zum Beispiel Röntgenuntersuchungen oder Nutzung radioaktiver Stoffe in Medizin und Technik. Es handelt sich dabei um sogenannte ionisierende Strahlung. Keine Frage also: Das Strahlenschutzrecht, über das wir heute beraten, hat weitreichende Bedeutung für die menschliche Gesundheit und Relevanz für viele Lebensbereiche. Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie von 2013 zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung und zur Aufhebung weiterer Richtlinien in nationales Recht. Die Umsetzung der Richtlinie soll das deutsche Strahlenschutzsystem grundlegend neu strukturieren. Gleichzeitig werden zahlreiche bestehende Vorgaben infolge des wissenschaftlichen Fortschritts angepasst sowie der thematisch bereits breite Anwendungsbereich des deutschen Strahlenschutzrechts erheblich erweitert. Die damit verbundene umfassende Novellierung des Strahlenschutzrechts bezweckt, den Strahlenschutz zu verbessern, übersichtlich und vollzugsfreundlich zu gestalten sowie unnötige bürokratische Hemmnisse abzubauen. Ferner wird der radiologische Notfallschutz auf Grundlage der Erfahrungen der Ereignisse in Fukushima konzeptionell fortentwickelt. Der umfangreiche Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt ein Rahmengesetz dar. Vielfache Detailregelungen müssen also nachträglich durch entsprechende Rechtsverordnungen festgelegt werden. Zum Gesetzentwurf haben wir als Koalition einen umfangreichen Änderungsantrag eingebracht, der fast alle in der Gegenäußerung der Bundesregierung zugestandenen Punkte aus der Stellungnahme des Bundesrates umsetzt. Ich bin damit sehr zufrieden; entscheidende Punkte sind aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion umgesetzt. Ein schnelleres Zulassungsverfahren für medizinische Forschung und Diagnostik war dabei ein Herzensanliegen der Unionsfraktion. In der Vergangenheit wurde seitens Industrie und Forschungseinrichtungen immer wieder stark kritisiert, dass für Zulassungs- bzw. Anzeigeverfahren für die Anwendungen ionisierender Strahlung am Menschen – Begleitdiagnostik und medizinische Forschung – keine Genehmigungsfristen festgelegt sind, wodurch einzelne Verfahren sehr stark in die Länge gezogen wurden. Dem wird jetzt durch die Festlegung von festen Fristen entgegengewirkt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, insbesondere auch für die Menschen, deren Gesundheit von Forschung und Diagnostik abhängt. Wer selbst betroffen ist oder nahestehende Angehörige bei einer Strahlentherapie begleitet hat, weiß darum, dass diese Therapieformen oftmals die letzte Hoffnung auf Heilung bedeuten. Und deshalb ist der Faktor Zeit so wichtig. In meiner Heimatstadt Stade gibt es mit der Klinik Hancken eine der renommiertesten onkologischen Einrichtungen in Deutschland. Hier leisten die Mitarbeiter des Hauses mit viel Einfühlungsvermögen einen großartigen Job. Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich: Komplizierte und lange Zulassungsverfahren bei neuartigen Bestrahlungsverfahren kosten nicht nur Zeit und Geld, sondern können sogar Menschenleben gefährden, wenn die bestmögliche Therapie nicht – oder zu spät – zur Anwendung kommt. Ein anderer uns wichtiger Punkt: Im Gesetzentwurf wird eine gesundheitlich zulässige Radonkonzentration in Innenräumen (Wohnräume und Arbeitsplätze) mit einem Referenzwert von 300 Becquerel/Kubikmeter festgelegt. Für Neubauten müssen bei höheren Referenzwerten Schutzmaßnahmen getroffen werden. Bestandsbauten sind hiervon ausgenommen. Für betroffene Arbeitsplatzbereiche müssen entsprechende Maßnahmen seitens des Arbeitgebers ergriffen werden. Die Länder werden zukünftig verpflichtet, Gebiete auszuweisen, in denen in Gebäuden mit erhöhten Radonwerten zu rechnen ist, sogenannte Radonvorsorgegebiete. Um den Ländern hierbei entgegenzukommen, werden diese Pläne nun die Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung erarbeiten. Die hierbei entstehenden Kosten für den Bund werden für die nächsten Jahre auf circa 20 Millionen Euro geschätzt (vor allem Kosten der Vorortmessungen von Radon). Das Bundesfinanzministerium hat zugestimmt. Auch der radiologische Notfallschutz zwischen Bund und Ländern wird verbessert: Alle Behörden und Organisationen, die bei einer gegebenen Notfallbewältigung gebraucht werden, müssen ab sofort ihre Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung eng miteinander abstimmen. Im Gesetzentwurf werden deshalb abgestimmte Notfallpläne zwischen Bund und Ländern sowie die Einrichtung eines radiologischen Lagezentrums unter der Leitung des Bundesumweltministeriums vorgeschrieben. Als ehemaliger Geschäftsführer aus der Privatwirtschaft begrüße ich, dass auch einem Anliegen der Leichtbetonindustrie unbürokratisch Rechnung getragen wird. Es ging um die Frage, ob im Gesetz Bims als Rohstoff benannt werden soll, bei dessen Verwendung als Bauprodukt eine Bestimmung der spezifischen Aktivität erforderlich ist. Eine Aufzählung der Regelbeispiele, um welche Gesteine es sich bei sauren magmatischen Gesteinen sowie daraus entstandenen metamorphen und sedimentären Gesteinen handelt, ist nach unserer Intervention nun aber nicht mehr erforderlich. Das Umweltministerium war erfreulicherweise bereit, die ursprünglichen Regelbeispiele, die auch Bims umfassten, wieder zu streichen. Dadurch kann Missverständnissen vorgebeugt werden, beispielsweise im Hinblick auf Bims, dessen Zusammensetzung sowohl sauer als auch basisch sein kann. Mit dem heute vorgelegten umfangreichen Gesetzeswerk, das ich für die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich begrüße, ist ein weiteres wichtiges Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht worden. Das neue Strahlenschutzrecht hat weitreichende Bedeutung für die menschliche Gesundheit und Relevanz für viele Lebensbereiche auch in meiner Heimat Niedersachsen. Mit dem modernisierten und ausgeweiteten Regelwerk schaffen wir aus meiner Sicht nun eine verlässliche Grundlage für einen umfassenden Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor ionisierender Strahlung. In diesem Sinne danke ich abschließend den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesumweltministeriums, der Kollegin Hiltrud Lotze als SPD-Berichterstatterin sowie meinem Kölner Fraktionskollegen Karsten Möring, der als Berichterstatter für die Union die intensiven und detailreichen Verhandlungen in den letzten Monaten erfolgreich geführt hat. Hiltrud Lotze (SPD): Ionisierende Strahlung tritt in sehr vielen Situationen auf. Deswegen hat der Strahlenschutz eine hohe Bedeutung für die menschliche Gesundheit. Bislang war das Strahlenschutzrecht in der Strahlenschutzverordnung und der Röntgenverordnung geregelt. Jetzt werden alle Bereiche des Schutzes vor ionisierender Strahlung systematisch in einem Gesetz zusammengefasst. Das Gesetz regelt unter anderem den Einsatz von Röntgenstrahlung oder radioaktiven Stoffen an Menschen zur Früherkennung von Krankheiten. Auch der Schutz vor Radon an Arbeitsplätzen und in Wohnräumen wird geregelt. Radon ist ein radioaktives Edelgas, das aus dem Erdreich in Gebäude eindringen kann. Radon ist statistisch nach Tabakrauch die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs. Es ist deswegen gut, dass der Schutz vor Radon erheblich ausgeweitet wird. Der radiologische Notfallschutz zur Bewältigung von Katastrophen in kerntechnischen Anlagen wird weiterentwickelt. Abgestimmte Notfallpläne von Bund und Ländern decken sowohl Unfälle in Atomkraftwerken im In- und Ausland als auch regionale Unfälle wie zum Beispiel Transportunfälle ab. Gerade dieser Tage jährt sich die Katastrophe von Tschernobyl zum 31. Mal, und wir denken an die Opfer. Wir hoffen, dass uns nie ein Atomunfall ereilt. Sollte es aber doch zu einem ernsthaften Zwischenfall kommen, sind wir mit diesem Gesetz besser vorbereitet. Der Rahmen für den Umgang mit radioaktiven Altlasten, die zum Beispiel beim Rückbau von Atomkraftwerken entstehen, wird geregelt. Details müssen in einer noch folgenden Rechtsverordnung festgelegt werden. Auch die Regelungen zur medizinischen Forschung werden grundlegend modernisiert, insbesondere durch die Einführung verbindlicher Fristenregelungen zur Prüfung von Forschungsvorhaben. Wir haben hier einen guten Kompromiss zwischen den Sicherheitserfordernissen und den Interessen der Forschung gefunden. Das Gesetz stellt einen erheblichen Fortschritt für den Umwelt- und Gesundheitsschutz dar. Der Strahlenschutz wird modernisiert, an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst, und bisherige Schutzlücken werden geschlossen. Ich bitte Sie, diesem wichtigen Gesetzentwurf zuzustimmen. René Röspel (SPD): Als Forschungspolitiker möchte ich die Aufmerksamkeit auf die medizinische Forschung und den entsprechenden Absatz im Gesetz lenken. Deutschland ist weltweit mit an der Spitze der Gesundheitsforschung. In kaum einem anderen Land werden mehr klinische Studien durchgeführt als bei uns. Diese Forschungsergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Patientenvorsorge, denn nur durch Forschung entstehen Innovationen und damit neue Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin. Bei vielen dieser klinischen Studien ist es notwendig, Untersuchungsverfahren mit ionisierender Strahlung einzusetzen. Zum Schutz der Probanden und Patientinnen und Patienten ist für solche Untersuchungen eine Genehmigung notwendig. Diesen klinischen Studien ging bisher ein kompliziertes, mitunter lang dauerndes Genehmigungsverfahren voraus, das weder für die Gesellschaft noch für Probanden, Patientinnen und Patienten und die Forscherinnen und Forscher zusätzliche Vorteile gebracht hat. Viele Studien konnten aufgrund des langwierigen und komplizierten Genehmigungsverfahrens nur mit zum Teil großer Verzögerung beginnen. Oftmals wurden dadurch klinische Studien mit ionisierender Strahlung in anderen Ländern oder ohne eine deutsche Beteiligung durchgeführt. Seit vielen Jahren wird die Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens von vielen Forscherinnen und Forschern nachvollziehbar gefordert. Bislang konnten wir in den Verhandlungen nur kleine Änderungen und damit zu wenige Verbesserungen für die Genehmigung von klinischen Studien erreichen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nun endlich eine deutliche Verbesserung für die medizinische Forschung in Deutschland durchsetzen. Insbesondere die Einführung von Fristen für die Genehmigung von Forschungsvorhaben mit ionisierender Strahlung war dringend notwendig. Dabei möchte ich betonen, dass die Einführung von Fristen in keinem Fall zulasten der Probanden- oder Patientensicherheit vorgenommen wird. Der Schutz der Patientinnen und Patienten steht für uns an erster Stelle, und das soll auch so bleiben! Die Bestätigung des medizinisch-wissenschaftlichen Vorhabens durch eine Ethikkommission bleibt weiterhin Grundvoraussetzung für die Durchführung einer klinischen Studie. Die langwierigen Genehmigungsverfahren ohne Zusatznutzen schaden aber nicht nur dem deutschen Forschungsstandort, sondern auch den vielen Patientinnen und Patienten, die auf die Ergebnisse der medizinischen Forschung angewiesen sind. Medizinischer Fortschritt und damit neue Behandlungsmöglichkeiten werden beschleunigt, wenn klinische Studien nicht monatelang auf eine Genehmigung warten müssen. Auch wenn ich mir natürlich wünsche, dass Genehmigungsverfahren sorgfältig, aber auch so schnell wie möglich und innerhalb der Fristen bearbeitet werden, kann in begründeten Fällen eine Fristverlängerung notwendig sein. Mit einer Fristverlängerung um weitere 90 Tage können auch kompliziertere medizinische Untersuchungsvorhaben geprüft werden. Wichtig war uns aber auch – und dafür haben wir uns in den parlamentarischen Verhandlungen stark gemacht –, dass nach Ablauf dieser insgesamt 180-tägigen Frist eine Entscheidung getroffen wird. Wir haben uns lange für eine Verbesserung der Bedingungen für klinische Studien eingesetzt. Mit der Regelung eines Anzeigeverfahrens für Begleitdiagnostik und darüber hinaus einem klaren Genehmigungsverfahren, wenn radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlung Gegenstand des Forschungsvorhabens sind, ist ein deutlicher Fortschritt erzielt worden. Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Wie sind die Menschen vor den gesundheitlich schädlichen Wirkungen radioaktiver Strahlung zu schützen? Nach dem Willen der Bundesregierung und dem hier nun vorgelegten Strahlenschutzgesetz können wir sagen: unzureichend. Denn der Gesetzentwurf ist nach Stand von Wissenschaft und Forschung von vorgestern. Von vorgestern war im Grunde auch schon die Richtlinie der EU, als sie 2014 verabschiedet wurde. Als Basis für die Festsetzung der Dosiswerte für die radioaktiven Strahlen wird auf eine veraltete Empfehlung der Internationalen Strahlenschutzkommission IRCP zurückgegriffen, die aus dem Jahr 2007 stammt. Schon damals gab es massive Kritik, dass diese Stellungnahme wichtige Forschungsergebnisse ignorierte. Vor diesem Hintergrund ist es im Grunde beschämend, wenn das Bundesumweltministerium auch noch erklärt, es wolle mit diesem Gesetzentwurf lediglich eine Eins-zu-eins-Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie vollziehen. Also genauer: Das BMUB erklärt, dass es sehenden Auges einen veralteten Stand von Wissenschaft und Forschung zur Grundlage dieses Gesetzes macht, und die Regierungsfraktionen stimmen dem im Kern auch noch zu. Studien über die Schädlichkeit auch geringer Strahlenbelastungen kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass die IRCP nicht ausreichend konservativ vorgeht. Es geht um die biologische Wirksamkeit der Strahlung. Die Kinderkrebsstudie KiKK hat aufgezeigt, dass die Gesundheitsrisiken steigen, je näher Kinder an einem Atomkraftwerk wohnen. Auch für Beschäftigte in Atomanlagen in England, Frankreich und den USA hat sich gezeigt: Die Risiken einer Erkrankung auch bei geringen, dafür langanhaltenden Strahlenwerten sind höher als erwartet. Die Konsequenz daraus muss sein: Die Dosiswerte, wie hier jetzt wieder festgezurrt werden sollen, müssten insgesamt um den Faktor 10 reduziert werden. Genau diese Konsequenz aber ziehen Bundesregierung und die Fraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht. Damit setzen sie die Bevölkerung und die Beschäftigten, die mit Radioaktivität zu tun haben, einem höheren Gesundheitsrisiko aus. Das halten wir nicht für verantwortbar! Ähnlich ist es auch beim Schutz gegen das natürlich vorkommende Radon, das für einen hohen Anteil von Lungenkrebs verantwortlich ist. Das Bundesamt für Strahlenschutz hält einen Richtwert von 100 Bequerel pro Kubikmeter Luft für notwendig. Aber der Wert wird im Gesetzentwurf nicht übernommen. Dort wird ein Richtwert von 300 reingeschrieben. Das ist nicht verantwortbar, wenn man sieht, wie viele Lungenkrebserkrankungen damit schlicht hingenommen werden. Auch beim Umgang mit den Abfällen, die beim Abriss der Atommeiler jetzt in großen Mengen entstehen, sehen wir nicht, dass die mangelhafte Praxis verbessert werden soll, auch wenn eine entsprechende Verordnung noch aussteht. Unstrittig ist: Abrissabfälle, die tatsächlich frei von Radioaktivität sind, können in den Bereich der normalen Abfallwirtschaft. Das aber muss mit Messungen zweifelsfrei belegt werden. Die Abfälle aber, die gering kontaminiert sind, dürfen nicht länger freigemessen und zum Beispiel im Straßenbau oder beim Stahlrecycling landen. Wir brauchen eine kontrollierte Lagerung und Überwachung dieser Abfälle auf verbesserten Deponien. Ein letztes Wort noch zu den Notfallplanungen: Die Bundesregierung versucht in dem Gesetzentwurf mit allen Mitteln, so zu tun, als könnten staatliche und andere Stellen im Falle einer Nuklearkatastrophe die Menschen schützen. Das ist natürlich Unsinn. Neue Untersuchungen mit Blick auf Fukushima zeigen, dass die Gebiete, in denen Schutzmaßnahmen erfolgen müssten, viel größer sind als bislang unterstellt. Der Staat muss nach dem Grundgesetz die Gesundheit der Menschen schützen. Bei der Atomenergie aber kann das nur heißen: Schalten Sie jetzt alle noch laufenden AKWs ab, bevor es zu spät ist! Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Radioaktive Strahlung ist mit den menschlichen Sinnen nicht zu fassen, sie ist geruchlos, geräuschlos, unsichtbar. Strahlenbelastungen können uns daher zwangsläufig nicht so bewusst sein wie andere Gesundheitsgefahren, wie zum Beispiel sichtbarer und riechbarer Zigarettenrauch. Und dementsprechend können wir im Alltag Strahlenbelastung oft auch dann nicht aus dem Weg gehen, wenn wir das gerne täten. Umso wichtiger ist es, dass der Staat hier seiner Pflicht der Schadensvorsorge für die Bevölkerung möglichst gut nachkommt. Möglichst gut heißt, der Gesundheitsschutz muss an erster Stelle stehen. Grundsätzlich ist es sehr begrüßenswert, dass es in Deutschland für den Strahlenschutz nunmehr ein eigenes Gesetz geben wird. Bedauerlicherweise geht die Bundesregierung bei der Umsetzung der zugrundeliegenden Richtlinie 2013/59/Euratom jedoch inkonsequent vor und nutzt die Möglichkeit, über deren Maßgaben hinauszugehen, nur an einzelnen Stellen. In weiten Teilen setzt Ihr Gesetzentwurf die Richtlinie dagegen selbst dann eins zu eins um, wenn deren Vorgaben um Jahre hinter den Stand der deutschen Fachdebatte zurückfallen – gerade auch an entscheidenden Stellen. Dies führt dazu, dass der Gesetzentwurf dem wesentlichen Ziel eines möglichst guten Strahlenschutzes nicht gerecht wird. Daran haben auch nach der Einbringung noch vorgenommene Änderungen nichts geändert. Der vorliegende Gesetzentwurf fällt also nach wie vor weit hinter das zurück, was er leisten müsste. Wie wir in unserem Entschließungsantrag dargelegt haben, beginnt es damit, dass der Gesetzentwurf konsequent am Ziel des Gesundheitsschutzes und am Vorsorgeprinzip auszurichten ist. Das heißt insbesondere, es muss über die Regelungen der Grundnormenrichtlinie hinausgegangen werden, wenn entsprechende Erkenntnisse bzw. Positionen hiesiger Fachkreise vorliegen. Konkret müssen deshalb etliche Grenz- und Referenzwerte deutlich gesenkt werden. Denn den im Entwurf festgelegten Werten liegt eine Fehlannahme zugrunde, die die deutsche Fachszene in breiter Einmütigkeit von staatlichen Stellen über selbstständige Expertinnen und Experten bis hin zu Umweltschutzverbänden schon vor etlichen Jahren abgeräumt hat: dass Dauerniedrigstrahlung weniger schädlich sei als kurzzeitige höhere Strahlendosen. Doch anstatt diese fachliche Steilvorlage zu nutzen und mit dem Gesetz endlich eine längst überfällige Fehlerkorrektur vorzunehmen, von der Tausende Menschen in Deutschland gesundheitlich profitieren würden, hat sich die Regierung bewusst anders entschieden. Das ist unklug, mutlos und pflichtvergessen. Wenn selbst einem so evidenten Handlungsbedarf nicht nachgekommen wird, verwundert es nicht, dass sich die Bundesregierung mit weitergehenden Forderungen der Expertinnen und Experten nach Grenzwertsenkungen ebenfalls nicht konstruktiv auseinandersetzt. Dabei kann auch das Argument nicht gelten, dass sich bestimmte Forderungen noch nicht so eindeutig begründen lassen wie andere. Denn gerade im Strahlenschutz gilt das Prinzip der Vorsorge, also dass man im Zweifel auch dann präventive Maßnahmen ergreifen soll, wenn es noch keine wissenschaftliche Gewissheit über das genaue Ausmaß einer Gefährdung gibt. Wir fordern daher, dass es einen Fachdialog gibt zwischen der Bundesregierung und reformorientierten Expertinnen und Experten, um weitere sinnvolle Verschärfungen bei Grenzwerten und anderen Regelungen zu identifizieren. Die Bevölkerungsgruppe, die in der Regel den höchsten Dosen ausgesetzt ist, sind die Menschen, die von Berufs wegen Strahlung ausgesetzt sind. Um ihre Gesundheit besser zu schützen, fordern wir neben Grenzwertehalbierungen unter anderem, das Strahlenschutzregister so zu erweitern, dass man herausstechende Belastungen identifizieren kann. Beispielsweise wenn beim Rückbau eines Atomkraftwerks das dortige Personal deutlich mehr Strahlung abbekommt als in anderen AKW, die auch zurückgebaut werden. Oder auch, um beim Beispiel AKW-Rückbau zu bleiben, wenn der Großteil der Monatsdosis auf eine bestimmte Dekontaminationsmaßnahme zurückzuführen ist. Dann kann man gezielt ansetzen mit Veränderungen, die die größten Reduktionen der Strahlenbelastung bringen und damit besonders großen Nutzen für die Gesundheit. Ein weiteres Problem bei dieser Berufsgruppe ist die Frage, inwieweit sich immer an die Vorschriften gehalten wird. Ohne jemandem etwas zu unterstellen, sollte man dieser Frage mit einer Erhebung, mit einem Forschungsvorhaben nachgehen. Denn wenn zum Beispiel die Strahlenschutzvorschrift besagt, dass bei einer bestimmten Arbeit ein Mundschutz zu tragen ist, der aber in Wirklichkeit nicht getragen wird, besteht das Risiko, dass es zu einer relevanten, aber unerkannten Aufnahme von Radioaktivität kommt. Für die Bevölkerung muss und kann der Strahlenschutz durch verstärkte Aufklärung über Strahlenbelastungen im Alltag gestärkt werden. Wer weiß schon, welche Belastungen ein Langstreckenflug, eine Röntgenuntersuchung oder Strahlenbelastungen aus der Natur im Vergleich zueinander bedeuten? Wo man im Alltag besonders viel Strahlung abbekommt, ohne es zu ahnen? Hier gibt es Aufklärungsbedarf, den man nicht der Nuklearindustrie überlassen darf, die damit gerne die Gefahren aus ihrem Bereich verharmlost. Denn gerade im AKW-Bereich liegt natürlich eines der größten Risiken für die Bevölkerung; deshalb steigen wir ja auch richtigerweise aus der Atomkraft aus in Deutschland. Aber mit diesen Abschaltdaten für AKW ist es nicht getan. Der Strahlenschutz in Notfallsituationen, so wie ihn das Gesetz vorsieht, ist wieder ein Negativbeispiel. Er basiert auf einer Empfehlung der sogenannten Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP aus dem Jahr 2007. Darin heißt es, dass die Vorsorge und der Umgang mit radiologischen Notfallsituationen wie zum Beispiel einer Atomkatastrophe wie die von Fukushima so gestaltet werden sollten, dass die Belastung für die Bevölkerung sich in einer Bandbreite von 20 bis 100 Millisievert bewegt. Wenn man den Katastrophenschutz so plant, dass er auf die untere Grenze, also möglichst wenig Strahlung für die Bevölkerung, abzielt, ist das natürlich besser. Natürlich auch anspruchsvoller, aber es muss doch darum gehen, einen möglichst guten Katastrophenschutz zu haben und nicht einen möglichst unaufwendigen. Von den schon genannten Strahlenbelastungen aus der Natur hat das natürliche Gas Radon eine große Bedeutung. Es ist nach dem Rauchen die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs. Und hier ist es ähnlich wie bei den eingangs erwähnten Grenzwerten. Obwohl das Bundesamt für Strahlenschutz, also der Teil der Exekutive mit der betreffenden Expertise, die Behörde, die man zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation extra ein Radon-Handbuch hat erarbeiten lassen, sich seit Jahren aus gesundheitlichen Gründen für einen bestimmten Referenzwert beim Radonschutz ausspricht, legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der erheblich davon abweicht, der um ein Dreifaches laxer ist. Das ist inakzeptabel. Dementsprechend fordert unser Entschließungsantrag auch hier eine sofortige Korrektur. Ein Thema, das bereits kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist der Strahlenschutz beim AKW-Rückbau. Da wir in unserem Antrag auch hierzu konkrete Forderungen aufgestellt haben, lassen Sie mich hervorheben: Es wird Zeit, dass die Bundesregierung in den Dialog mit den Kritikerinnen und Kritikern der bisherigen Praxis tritt. Erstens betrifft das Thema ganz Deutschland, zweitens ist der Konflikt jetzt schon groß, drittens wird er mit jedem weiteren AKW, das zurückgebaut wird, noch zunehmen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die gängige Praxis nicht dazu geeignet ist, Vertrauen zu schaffen. Da hilft es wenig, wenn man sie einfach verteidigt oder schweigt. Schließlich bleibt wieder einmal festzustellen, dass es zu vielen Fragen im Strahlenschutzbereich immer noch erheblichen Forschungsbedarf gibt. Es ist unverständlich, ärgerlich und inakzeptabel, stattdessen gebetsmühlenartig Millionenausgaben für sinnlose Atomforschung zu verteidigen. Damit muss endlich Schluss sein. Sowohl das Forschungsministerium als auch der eine oder andere unbeirrbar atomkraftvernarrte Professor muss endlich einsehen, dass Deutschland einen Beschluss gefasst hat, den man nicht mit steuergeldfinanzierter Forschung hintertreiben kann. Es ist doch aberwitzig, dass wir immer noch Millionen für die Forschung an neuen Reaktortypen oder andere Blütenträume atomkraftbegeisterter Forscher ausgeben, andererseits viele Fragen zu Strahlenschäden und Gesundheitsrisiken auch nach Jahrzehnten immer noch nicht und nicht ausreichend beantworten können. Mit dieser Fehlallokation von öffentlichen Mitteln muss endlich Schluss sein! Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass vieles, was wir an dem Gesetzentwurf kritisieren, rasch geändert werden könnte. Es gibt auch keinen Grund, warum wir ihn nicht erst in der kommenden Sitzungswoche beschließen könnten. Darum meine eindringliche Bitte: Es gibt erheblichen Verbesserungsbedarf an dem Gesetzentwurf. Kommen wir ihm nach! Die Maxime muss dabei sein: Die staatliche Pflicht der Schadensvorsorge gilt hier umso mehr, als sich Bürgerinnen und Bürger vor Strahlung nicht so gut selbst schützen können wie vor anderen Gesundheitsgefahren. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Ich freue mich, dass das Gesetz zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung heute in eine entscheidende Phase kommt. Das Gesetz erfüllt den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, das Strahlenschutzrecht zu modernisieren und den radiologischen Notfallschutz auf Grundlage der Erfahrungen nach Fukushima konzeptionell fortzuentwickeln. Gleichzeitig setzt das Gesetz die neue europäische Strahlenschutz-Richtlinie um. Radioaktivität ist ein Phänomen, das uns in vielen Situationen begegnet. Uns ist sie vor allem im Zusammenhang mit der Kerntechnik ein Begriff. Strahlung kommt jedoch auch in ganz anderen Bereichen unseres Alltags vor. Ein großer Anteil der Strahlenbelastung für die Bevölkerung entsteht zum Beispiel im Zusammenhang mit der Medizin. Hier müssen Regeln und Vorkehrungen getroffen werden, damit der Schutz der Patientinnen und Patienten sowie des Personals gewährleistet wird. Des Weiteren spielt auch die natürlich vorkommende Strahlung eine deutlich größere Rolle als die Strahlenbelastung bei kerntechnischen Anwendungen und muss ebenfalls von den Regelungen zum Strahlenschutz erfasst werden. Im Zusammenhang mit der Kerntechnik hat Fukushima uns gelehrt, dass ein Unfall in einem Atomkraftwerk oder ein anderer radiologischer Notfall auch in einem modernen Industriestaat eintreten kann. Die Bevölkerung erwartet daher von uns zu Recht, dass wir im Strahlenschutzgesetz möglichst effektive Vorkehrungen für einen solchen Notfall treffen. Dies alles wird mit dem neuen Strahlenschutzgesetz erreicht, und deshalb ist es für mich ein Meilenstein für den Umwelt- und Verbraucherschutz. Bisher ist der Strahlenschutz vor allem in der Strahlenschutzverordnung und in der Röntgenverordnung adressiert worden. Nun wird das Strahlenschutzrecht erstmals umfassend in einem eigenen formellen Gesetz geregelt. Dadurch bekommt das Thema die Sichtbarkeit, die ihm aufgrund seiner großen Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gebührt. Der hohe Schutz, den das bisherige Strahlenschutzrecht für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet hat, wird mit der Umsetzung der Richtlinie noch deutlich verbessert: Das Strahlenschutzgesetz erleichtert den Vollzug des Strahlenschutzrechts durch die Zusammenführung von Regelungen, die bisher in unterschiedlichen Verordnungen zu suchen waren. Es setzt Rahmenbedingungen, wenn ionisierende Strahlung zur Früherkennung von Krankheiten eingesetzt wird. Es bestimmt, wie bei radioaktiven Altlasten vorzugehen ist. Es enthält Anforderungen für die Prüfung von Radioaktivität in Bauprodukten. Es enthält erstmals Vorgaben zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Radon in Aufenthaltsräumen. Das Gesetz schafft ferner – und das ist mir besonders wichtig – die Grundlage für ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes modernes Notfallmanagementsystem. Dabei geht der Bund, und hier speziell das Bundesumweltministerium, mit der Einrichtung eines radiologischen Lagezentrums und der Beschaffung der Jodtabletten für die sogenannte Jodblockade in Vorleistung. Mithilfe der zu erstellenden Notfallpläne werden wir alle für eine Notfallbewältigung erforderlichen Ressourcen von Bund und Ländern konkret aufeinander abstimmen. Ich erwarte, dass wir dadurch, sollte es einen Ereignisfall geben, auf allen Ebenen sofort voll handlungsfähig sein werden. Ich hoffe, meine Aufzählung vermittelt Ihnen einen Eindruck von der Breite des Strahlenschutzes und seiner Relevanz für uns alle. Erstmals adressiert das Strahlenschutzrecht den Schutz vor Radon in Aufenthaltsräumen. Radon ist ein natürliches radioaktives Edelgas, das im Boden vorkommt und sich in Gebäuden anreichern kann. Es gibt Regionen in Deutschland, in denen das Vorkommen von Radon höher ist als in anderen. Es gilt, Vorgaben zu machen, die einerseits für einen wirksamen Schutz der Bürgerinnen und Bürger sorgen, ohne sie – auf der anderen Seite – in unverhältnismäßiger Weise zu belasten. Ich glaube, dies ist in dem Gesetzentwurf gut gelungen. Zum Beispiel gewährleistet der vorgesehene Referenzwert von 300 Becquerel pro Kubikmeter ein hohes Schutzniveau im Einklang mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Er entspricht auch vollumfänglich den Anforderungen der Richtlinie 2013/59/Euratom. Das Prinzip preisgünstigen Bauens wird dadurch trotzdem nicht gefährdet. Das Gesetz modernisiert außerdem die Regelungen zur Prüfung medizinischer Forschungsvorhaben, bei denen ionisierende Strahlung eingesetzt wird. Es sieht nun verbindliche Fristenregelungen vor. Dadurch werden die Prüfverfahren wesentlich beschleunigt und ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Forschungsstandortes Deutschland geleistet. Wir haben entsprechend den Wünschen der Unionsfraktion und der Bundesländer insbesondere die Fristenregelungen für das Genehmigungsverfahren weiter präzisiert und mit noch mehr Berechenbarkeit für die Antragsteller versehen. Das Gesetz stellt einen erheblichen Fortschritt für den Umwelt- und Gesundheitsschutz dar. Der Strahlenschutz in Deutschland wird durch das Gesetz wesentlich modernisiert und an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst. Bisherige Schutzlücken werden geschlossen. Ich möchte daher schon jetzt an die Länder appellieren, diesem Gesetz im kommenden Monat im Bundesrat zuzustimmen und so sicherzustellen, dass die darin enthaltenen Verbesserungen für den Strahlenschutz noch vor den Bundestagswahlen verabschiedet werden. Ich hoffe auf Ihre breite Unterstützung für den vorgelegten Gesetzentwurf. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis–Haftungsannex) – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum AntarktisVertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG) (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Als James Cook während seiner zweiten Südseereise die Antarktis umsegelte, war auch ein junger Preuße namens Georg Forster an Bord. Während der Reise beteiligte er sich an Studien zur Tier- und Pflanzenwelt sowie zur Länder- und Völkerkunde. Forster wurde später zu einem angesehenen Ethnologen und war zudem glühender Verfechter der französischen Revolution. Wohl aus diesen Gründen wählte die DDR ihn als Namenspatron für ihre antarktische Forschungsstation, die sie im Jahr 1976 in Betrieb genommen hatte. Heute verfügt Deutschland über fünf Stationen in der Antarktis. Auf diesen werden unter anderem das antarktische Klima, die Tier- und Pflanzenwelt sowie das Erdmagnetfeld erforscht. Insgesamt gibt es in der Antarktis über 80 Forschungsstationen, in denen bis zu 4 000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt arbeiten. Die Forschung ist somit die wichtigste menschliche Aktivität im ewigen Eis am Südpol. Die mit der Wissenschaft verbundenen Personen- und Logistiktransporte führen allerdings auch zu Umweltbelastungen. Zudem kann es bei Unfällen zum Austritt von Öl oder Chemikalien kommen. Mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen der überaus wichtigen Forschung und dem Schutz der antarktischen Umwelt gilt es somit, die negativen Umweltauswirkungen so gering wie möglich zu halten. Der zweite nennenswerte Bereich, der in der Antarktis zu Umweltbelastungen führt, ist der Tourismus. Mittlerweile kommen pro Saison mehr als 30 000 Besucher vor allem auf Kreuzfahrtschiffen in die Antarktis. Früher lag der Schwerpunkt des Tourismus auf kleinen Landgängen in Küstennähe und dem reinen Besichtigen der Natur. Mittlerweile haben sich die touristischen Aktivitäten jedoch grundlegend gewandelt. Heute steht das Abenteuer Wildnis mit Berg- und Skiwanderungen, Paragliding und Touren ins Landesinnere im Mittelpunkt. Die mit dem Tourismus einhergehenden Umweltbelastungen haben folglich in den vergangenen Jahren zugenommen. Hinzu kommt, dass sich die antarktische Umwelt aufgrund der niedrigen Temperaturen deutlich langsamer regeneriert als in anderen Gebieten der Erde. Der Umfang der Forschungsaktivitäten sowie der wachsende Tourismus machen deutlich, wie wichtig eine umfassende internationale Regelung zum Schutz der sensiblen antarktischen Umwelt und der verbundenen Ökosysteme ist. Im letzten Jahr wurde bereits ein wichtiger Schritt vollzogen, um den Schutzstatus der Antarktis weiter zu verbessern: die Einrichtung des weltweit größten Meeresschutzgebietes im antarktischen Rossmeer. Das Rossmeer ist ein Teil des Südpolarmeeres und gilt als eines der letzten intakten Meeresökosysteme der Erde. Das Schutzgebiet ist mehr als viermal so groß wie Deutschland. Im größten Teil ist für die nächsten 35 Jahre jegliche Fischerei verboten. Deutschland tritt darüber hinaus für die Einrichtung eines weiteren Meeresschutzgebiets in der Antarktis ein. Dabei handelt es sich um das Weddellmeer, dessen Artenvielfalt mit der tropischer Korallenriffe vergleichbar ist. So gibt es im Weddellmeer Eisfische, die mit Frostschutzproteinen ein Gefrieren ihres Blutes verhindern. Die große biologische Vielfalt ist Grund für das deutsche Bestreben, die Aktivitäten im Weddellmeer allein auf die wissenschaftliche Forschung zu beschränken. Bisher konnte sich Deutschland mit seinem Anliegen leider nicht durchsetzen. Die Europäische Union will aber im Herbst dieses Jahres einen entsprechenden Vorschlag bei der Antarktis-Schutzkonferenz einbringen. Der Antarktis-Vertrag stellte das erste internationale Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg dar. In einer Hochphase des Kalten Krieges einigten sich die Westmächte und die Sowjetunion auf eine gemeinsame, friedliche Nutzung der Antarktis. Der im Jahr 1961 in Kraft getretene Vertrag umfasste dabei noch keine Bestimmungen zum Schutz der Umwelt. Diese Ergänzung übernahm das 1991 beschlossene Antarktis-Umweltschutzprotokoll. Die Anlage VI des Protokolls, der sogenannte Haftungsannex, wurde im Jahr 2005 vereinbart und regelt für alle Betreiber von Aktivitäten in der Antarktis den Umgang in Bezug auf umweltgefährdende Notfälle. Ziel ist es, solche Notfälle in der Antarktis zu vermeiden sowie deren Auswirkungen auf die Umwelt zu beschränken. Der Haftungsannex des Antarktis-Umweltschutzprotokolls enthält Bestimmungen, die erst noch in das nationale Recht übertragen werden müssen. Hierfür nun wird das Antarktis-Haftungsgesetz verabschiedet. Es bildet die rechtliche Grundlage, damit die entsprechenden Regelungen auch für die Bundesrepublik Deutschland Anwendung finden. Für den Schutz der antarktischen Umwelt sieht das Gesetz verschiedene Regelungen vor. Diese zielen auf die Bereiche Prävention, Gegenmaßnahmen und Haftung ab. Im Hinblick auf die Prävention bestehen für die Betreiber von Aktivitäten in der Antarktis Vorgaben. Diese betreffen die technische Ausrüstung von Transportmitteln, die Schulung von Personal sowie die Anfertigung von Einsatzplänen für den Notfall. Sollte es trotz dieser präventiven Maßnahmen zu einem umweltgefährdenden Notfall kommen, sind die Betreiber zu Gegenmaßnahmen verpflichtet. Diese Gegenmaßnahmen sollen die negativen Auswirkungen auf die Umwelt verhindern oder abmildern. Kommt der Verursacher eines umweltgefährdenden Notfalls dieser Pflicht nicht nach, können ihm Kostenersatz- und Ausgleichszahlungen auferlegt werden. Wie Maßnahmen zu Verminderung umweltschädlicher Auswirkungen aussehen können, zeigt das Vorgehen deutscher staatlicher Betreiber bei entsprechenden Vorfällen in der Vergangenheit. Um die negativen Folgen für die antarktische Umwelt so gering wie möglich zu halten, wurde öl- oder treibstoffkontaminierter Schnee eingesammelt, in Fässern gelagert und zurück nach Deutschland transportiert. Das Umweltbundesamt ist die zuständige Genehmigungsbehörde für alle Tätigkeiten in der Antarktis, die in Deutschland organisiert werden oder vom deutschen Hoheitsgebiet ausgehen. Dabei ist es Aufgabe der Behörde, zu prüfen, ob die jeweiligen Aktivitäten umweltverträglich durchgeführt werden. Aus diesem Grund betraut das Antarktis-Haftungsgesetz das Umweltbundesamt mit der Überwachung der Einhaltung der im Gesetz vorgesehenen Betreiberpflichten. Die Antarktis hat eine große Bedeutung für das Weltklima und den globalen Süßwasserhaushalt. Zudem befinden sich hier einige der letzten unberührten Ökosysteme mit einer großen Artenvielfalt. Die globale Gemeinschaft hat eine historische Pflicht, dieses Gebiet mit seinen empfindlichen Tiergemeinschaften und Ökosystemen zu schützen. Der Antarktis-Haftungsannex und somit das Antarktis-Haftungsgesetz leisten hier einen wichtigen Beitrag. Carsten Träger (SPD): Die Antarktis ist eines der wenigen noch weitgehend unbeeinflussten natürlichen Ökosysteme und verdient besonderen Schutz. Deshalb wurde schon im Jahre 1961 der Antarktisvertrag beschlossen. In ihm haben die Unterzeichnerstaaten geregelt, dass die Antarktis ausschließlich zu friedlichen, nicht aber zu militärischen Zwecken genutzt werden darf. Schwerpunkt muss die wissenschaftliche Forschung sein. Die Antarktis ist aber nicht nur als Ökosystem schützenswert, sie ist auch eine Schlüsselregion für das Klima auf unserer Erde. Und sie ist das größte Süßwasserreservoir der Welt. Rund 70 Prozent des Süßwassers der Erde sind in der Antarktis als Eis gebunden. Gründe für einen besonderen Schutz der Antarktis gibt es somit mehr als genug. Um das fragile Ökosystem zu schützen, wurde der Antarktisvertrag 1991 durch das Zusatzprotokoll ergänzt. Es verbietet seither unter anderem alle Aktivitäten zur Öl- und Erzförderung bis 2046 – eine wichtige Entscheidung für den Schutz dieser letzten großen Wildnis der Erde. Doch wer haftet, wenn in der Antarktis ein Unfall passiert, der die Umwelt gefährdet? Nachdem 13 Jahre verhandelt wurde, konnte im Jahr 2005 endlich die Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag (USP) beschlossen werden. In ihr werden Haftungsfragen bei umweltgefährdenden Notfällen in der Antarktis geregelt. Damit wird eine bislang bestehende Lücke im völkerrechtlichen System des antarktischen Umweltweltschutzes geschlossen. Nach jahrelangen Verhandlungen ist endlich klar geregelt: Wer die Umwelt in der Antarktis beschädigt oder verschmutzt, soll zukünftig für die Vermeidung oder Beseitigung der Schäden haften. Wer in Zukunft in der Antarktis aktiv ist, muss dann Vorsorge- und Gegenmaßnahmen zur Vermeidung und Bekämpfung umweltgefährdender Notfälle treffen. Als Notfall wird jeder Unfall definiert, der zu erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die antarktische Umwelt führt oder unmittelbar zu führen droht. Auch wird im Antarktis-Haftungsgesetz festgelegt, dass Organisationen oder Unternehmen für entstandene Schäden und deren Beseitigung aufkommen müssen. Die neuen Regelungen müssen nun international und national umgesetzt werden. Mit dem Antarktis-Haftungsgesetz setzt Deutschland den Haftungsannex zum internationalen Antarktis-Umweltschutzprotokoll in innerstaatliches Recht um. Er wurde im Januar vom Bundeskabinett verabschiedet. Neben dem Haftungsgesetz hat das Kabinett einen weiteren Gesetzentwurf beschlossen. Dieser dient der Genehmigung des Haftungsannexes und schafft damit die Voraussetzung, dem Haftungsannex völkerrechtlich bindend beitreten zu können. Als zuständiger Berichterstatter für Naturschutz und Biodiversität begrüße ich diese Umsetzung ausdrücklich und bin mir sicher, dass dieser Gesetzentwurf hier im Haus große Zustimmung finden wird. Es ist ein weiterer Schritt, um die einzigartige Umwelt in der Antarktis zu schützen. Endlich gibt es konkrete Regeln und Verfahren, um die Auswirkungen umweltgefährdender Situationen auf die antarktische Umwelt zu verhindern oder zu kompensieren. So wichtig die heutige Verabschiedung von Haftungsregeln ist, für den Erhalt der Antarktis steht etwas anderes ganz oben auf der Tagesordnung: die Begrenzung der globalen Erderwärmung. Lange Zeit schien der Klimawandel der Antarktis nichts anhaben zu können. In den vergangenen Jahren aber mehren sich die Hinweise der Wissenschaftler darauf, dass in der Antarktis schon verhältnismäßig kleine Veränderungen gigantische Folgen haben können. Denn nirgendwo sonst auf der Erde wird es schneller warm als in der Arktis und Antarktis. Entsprechend schrumpfen die Eisflächen an Nord- und Südpol. Nach Berechnungen verschiedener Wissenschaftler würde das Verbrennen aller weltweit verfügbaren fossilen Ressourcen von Kohle, Öl und Gas dazu führen, dass es zu einem vollständigen Abschmelzen der antarktischen Eisdecke kommen kann. Wir müssen also – auch um die Antarktis zu schützen – dem Klimaschutz oberste Priorität einräumen und alles tun, damit die Staaten ihre Klimaziele erhöhen und die globale Erwärmung die Zwei-Grad-Schwelle nicht überschreitet. Birgit Menz (DIE LINKE): Zwar gleicht die Antarktis einer unwirklichen Welt, die scheinbar nur aus einer dicken Schicht Eis besteht. Doch so karg und verlassen dieser riesige Kontinent wirkt, ist er bei Weitem nicht. Vor allem an und in den umliegenden Meeren leben verschiedenste Tier- und Pflanzenarten. An den teils eisfreien Küsten gibt es unter anderem Wale, Robben, aber auch zahlreiche Vogel- und Pinguinarten. Nicht zu vergessen, die gigantischen Krill- und Fischschwärme, die elementar für eine funktionierende Nahrungskette sind. Um die Antarktis in ihrer Einzigartigkeit und weitgehenden Unberührtheit als wichtiges Element des globalen Ökosystems zu schützen und dennoch zu nutzen, wurde bereits im Jahr 1991 das Umweltschutzprotokoll als Teil des antarktischen Vertragssystems beschlossen. Es ist mit seinen insgesamt sechs Anhängen eines der umfangreichsten internationalen Regelungsabkommen für den Schutz der Umwelt einer bestimmten Region unseres Planeten. Nun, nach fast zwölf Jahren, liegt uns endlich der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Haftungsregelungen für die Antarktis vor. Die Umsetzung und Etablierung geeigneter Regeln und Verfahren zur Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen sind von großer Wichtigkeit, um negative Auswirkungen auf die antarktische Umwelt zu verhindern. Betrachtet man die globale und ökologische Wichtigkeit der Antarktis, kann die Umsetzung des Haftungsannexes jedoch nur ein weiterer Schritt von vielen noch folgenden sein, um einen nachhaltigeren und umfassenderen Schutz der Antarktis voranzutreiben. Denn trotz aller Bemühungen, menschliche Einflüsse von der Antarktis fernzuhalten, stellen auch hier Umweltverschmutzung, Überfischung – insbesondere durch illegale Fischerei – und Klimawandel für das antarktische Ökosystem eine reale Bedrohung dar. Vor allem der ansteigende Tourismus hat das Potenzial, die antarktische Umwelt negativ zu beeinträchtigen. Damit einher gehen beispielsweise der vermehrte Personenverkehr mittels Flugzeug oder Schiff und somit auch der zunehmende Ausstoß von Abgasen, mehr Müll und natürlich auch die Gefahren potenzieller Schiffsunfälle und deren für die Umwelt verheerenden Folgen. In diesem Zusammenhang zitiere ich gerne das Umweltbundesamt mit den Worten: „Touristinnen und Touristen haben die Möglichkeit, in bisher völlig unberührte Gebiete der Antarktis zu gelangen, und stellen somit per se eine Gefährdung für die unangetastete Wildnis dar.“ Es ist daher wichtig, im Rahmen zukünftiger Entwicklungen des antarktischen Vertragssystems dafür Sorge zu tragen, dass der menschliche Einfluss durch Tourismus, Forschung oder auch Fischerei auf ein absolutes Mindestmaß reduziert wird, um dieses Gebiet in seiner Ursprünglichkeit und Wichtigkeit für das globale Öko- und Klimasystem so weit wie möglich zu erhalten. Im Sinne des internationalen Ratifizierungsprozesses wäre es wichtig gewesen, einen Entwurf zum Haftungsgesetz schon viel eher einzubringen. Beabsichtigt man, eine tragende Rolle in Sachen Umweltschutz in der Antarktis zu spielen, ist Deutschland in der Pflicht, derartige Abkommen so schnell wie möglich in nationales Recht umzusetzen und damit ein Signal an die übrigen Staaten zu senden. Meeres- und Umweltschutz sind entscheidend, um die ökologische Vielfalt der Antarktis zu bewahren, aber auch, um die Widerstandsfähigkeit im Kampf gegen den Klimawandel zu erhöhen. Daher ist es nicht nur wichtig, Verantwortliche für entstandene Umweltschäden in der Antarktis haftbar zu machen, sondern in Zukunft auch unberührte Ökosysteme und Meeresgebiete in der Antarktis vor menschlichen Eingriffen zu schützen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mehr als ein Jahrzehnt ist es her, dass die internationalen Vertragsstaaten des 1961 in Kraft getretenen Antarktis-Vertrags in Stockholm zusammengekommen sind, um Einigung über Haftungsfragen bei umweltgefährdenden Notfällen in der Antarktis zu erzielen. Und so hat es auch länger als ein Jahrzehnt gedauert, damit die Bundesregierung nun endlich die Anlage VI des Antarktis-Umweltprotokolls in die Deutsche Rechtsordnung überträgt. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden Präventions-, Reaktions- und Kompensationspflichten für in der Antarktis agierende Akteure etabliert. Es hat Signalwirkung, dass Deutschland sich diesen Pflichten stellt, und es ist wichtig, dass weitere Staaten diesem Beispiel folgen. Denn die Einzigartigkeit des antarktischen Ökosystems und seine Rolle für die Regulation des Weltklimas und als Kinderstube für Tausende von Polar- und Meeresorganismen sind herausragend. Durch die extremen Eigenschaften dieses Ökosystems besteht jedoch auch eine besondere Fragilität. Deswegen begrüßen wir die Umsetzung des Antarktis-Haftungsannexes in dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf. Dass dieser jedoch erst ein Jahrzehnt nach der Einigung von Stockholm vorgelegt wird, ist schlicht und einfach zu spät. Mit 80 internationalen Forschungsstationen und bis zu 4 000 stationierten Wissenschaftlern, zunehmendem Tourismus und Nutzungsinteressen im Südpolarmeer ist auch die Gefahr von umweltgefährdenden Notfällen in den letzten Jahren angestiegen und wird weiter steigen. Gerade Deutschland hat die Verantwortung, als eine der führenden Forschungsnationen im Bereich der Meeres- und Polarforschung mit positivem Beispiel voranzugehen. Für die Bundesregierung gilt es nun, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein und sich auf internationaler Ebene engagiert für die Ratifizierung durch weitere Staaten einzusetzen, damit der Schutz der Antarktis weiter gestärkt wird. Seit der Übereinkunft der Vertragsstaaten zum Antarktis-Vertrag 1959 und der Verabschiedung des Umweltschutzprotokolls in den 1990ern hat sich die Welt drastisch verändert. Die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise sind der eigentliche umweltgefährdende Notfall in der Antarktis. Bisher galt die Antarktis als weitestgehend verschont von der Klimakrise und musste als Argumentationsstütze für Klimakrisenleugner von der AfD bis zum US-amerikanischen Präsidenten herhalten. Doch spätestens in diesem antarktischen Sommer ist Schluss damit. Die Eisbedeckung hat einen nie dagewesenen Negativrekord erreicht, und die Temperaturen haben monatlich neue Hitzerekorde erreicht. Das bedroht nicht nur die an die antarktischen Lebensbedingungen angepassten und hochgradig spezialisierten Tiere, sondern durch das massive Abschmelzen der antarktischen Gletscher auch Millionen von Menschen weltweit: auf Inselstaaten, in Küstenregionen und durch vermehrt auftretende Extremwetterereignisse auch in Deutschland. Wer übernimmt die Haftung für diesen umweltgefährdenden Notfall in der Antarktis? Zwar war der Anteil der Antarktis am ansteigenden Meeresspiegel bisher eher zu vernachlässigen, die letzten Erkenntnisse von deutschen Wissenschaftlern lassen jedoch einen klaren Trend erkennen. Das bisher als Korken fungierende Schelfeis schmilzt durch den Anstieg der Temperaturen dahin. Der Korken der antarktischen Gletscher wird langsam, aber stetig gezogen. In der Antarktis befinden sich bis zu 80 Prozent des weltweiten Süßwasservorrats. Rein theoretisch würde ein gesamtes Abschmelzen der antarktischen Gletscher einen Meeresspiegelanstieg von 60 Metern zur Folge haben. Ganz real hat jedoch schon heute jeder Zentimeter Meeresspiegelanstieg weitreichende Konsequenzen weltweit. In der gestrigen Sitzung des Umweltausschusses hat die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter verdeutlicht, dass sich die Bundesregierung der Lage in der Antarktis durchaus bewusst ist, und auf den Klimavertrag von Paris verwiesen. Und selbstverständlich ist der Klimavertrag von Paris ein historischer Erfolg für den Klimaschutz, aber dann muss die Bundesregierung eben auch national für diesen entschieden eintreten und nicht schon im ersten Jahr diesen nach allen Regeln der Kunst verwässern. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (Tagesordnungspunkt 26) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren. Erstens. Der Entwurf passt zunächst die Bestimmungen der Neufassung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) in das deutsche Verfahrensrecht ein. Dazu sieht er insbesondere die Einführung eines neuen Artikels 102c EGInsO vor, der sich an den geltenden Bestimmungen des Artikels 102 EGInsO orientiert. Der neue Artikel 102c EGInsO berücksichtigt jedoch auch die Ergänzungen und Änderungen, die die Neufassung im Vergleich zur noch geltenden Fassung der EuInsVO erfahren hat. So enthält er insbesondere Bestimmungen zu den in der Neufassung erstmals vorgesehenen Rechtsbehelfen und gerichtlichen Entscheidungen, zur örtlichen Zuständigkeit bei sogenannten Annexklagen, zu verfahrensrechtlichen Einzelheiten der „synthetischen“ Abwicklung von Sekundärinsolvenzverfahren und zu Einzelfragen bei der Bewältigung der Insolvenz der Mitglieder von Unternehmensgruppen. Das alles ist im Wesentlichen „technisches Recht“. Wir konnten hier noch viele Details im Gesetzgebungsverfahren klarer regeln. Den Sachverständigen Kolja von Bismarck, Stephan Madaus und Christoph Niering, die uns hierbei mit ihren Stellungnahmen für unser erweitertes Berichterstattergespräch unterstützt haben, sei deshalb auch an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön gesagt. Zweitens. Wichtiger erscheint – wie ich schon in meiner Rede anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs gesagt habe – die sozusagen am Rande vorgeschlagene Änderung der §§ 13 und 15a der Insolvenzordnung. Hier geht es um Reaktionen auf Unstimmigkeiten, die sich bei früheren Änderungen der Insolvenzordnung ergeben haben. So hatte der Deutsche Bundestag nämlich im ESUG die Anforderungen an einen „korrekten“ Insolvenzantrag in § 13 InsO deutlich erhöht, letztlich um den Insolvenzgerichten eine schnellere und bessere Sachbehandlung des Antrags zu ermöglichen. Das aber hat – naturgemäß – die Fehleranfälligkeit von Insolvenzanträgen erhöht. Nachdem aber im aktuell geltenden Recht § 15a Absatz 4 InsO die Strafbarkeit auch eines „nicht richtig“ gestellten Insolvenzantrages wegen Insolvenzverschleppung begründet, gibt es einen Zielkonflikt: Die eigentlich vom Gesetzgeber gewollte zügige Antragstellung wird nämlich schwierig, wenn alle Anforderungen des § 13 InsO korrekt beachtet werden sollen. Werden sie andererseits nicht beachtet, droht Strafbarkeit. Die Insolvenzgerichte haben sich hier damit beholfen, die (schnelle) Nachbesserung eines zunächst nicht richtigen – und damit möglicherweise unzulässigen – Insolvenzantrages zu verlangen. Wer in einem solchen Fall rechtzeitig nachbessert, entgeht auch der Strafbarkeit. Diesen Ansatz greift der Gesetzentwurf nunmehr – zu Recht – auf. Gegenüber der Fassung des Regierungsentwurfs haben wir die zunächst vorgeschlagene Neufassung des § 13 Absatz 3 InsO geändert: Die jetzt vorgeschlagene Fassung sieht vor, dass das Gericht den Antragsteller im Falle der Unzulässigkeit des gestellten Insolvenzantrags auf diese Unzulässigkeit hinweist und ihm Gelegenheit gibt, den Mangel binnen einer angemessenen Frist zu beseitigen. Unvollständigkeiten des Antrages sind danach nur noch dann von Bedeutung, wenn sie zur Unzulässigkeit des Antrags führen. Vor allem aber haben wir auf die Festlegung einer Höchstfrist verzichtet, um kein Einfallstor dafür zu öffnen, die Eröffnung von Insolvenzverfahren durch fehlerhaft gestellte Insolvenzanträge zu verschleppen. Für die Bestimmung des für eine Insolvenzanfechtung maßgeblichen Zeitraums bleibt aber alles beim Alten: Es kommt also für etwaige Rückrechnungen auf den Zeitpunkt der Stellung des unrichtigen Insolvenzantrages an, auch wenn ein zunächst unrichtig gestellter Antrag erst infolge seiner späteren Nachbesserung zur Verfahrenseröffnung führt. Als Folge konnte § 15a Absatz 4 InsO zunächst vereinfacht werden, indem – wie im bislang noch geltenden Recht – nur noch auf die „nicht richtige“ Stellung des Insolvenzantrages abgestellt wird. Das Stellen eines unrichtigen Insolvenzantrags ist damit zunächst unabhängig davon strafbar, ob dem Antragsteller ein entsprechender Hinweis nach dem auch neu zu fassenden § 13 Absatz 3 InsO gegeben wurde oder er sonst Kenntnis davon erhalten hat. Allerdings wollen wir die Strafbarkeit, wie im neuen § 15a Absatz 6 InsO vorgeschlagen, jetzt an die „objektive Bedingung“ knüpfen, dass das Insolvenzgericht den gestellten Antrag auch tatsächlich als unzulässig zurückweist. Eine Strafbarkeit soll danach künftig nur noch dann in Betracht kommen, wenn der Antragsteller einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis mit dem Ziel einer Nachbesserung binnen einer gesetzten Frist missachtet oder ihn nicht richtig umsetzt, der Antrag also unzulässig bleibt. Drittens. In der ersten Lesung zum Gesetzentwurf hatte ich darauf hingewiesen, dass es im Bereich der Insolvenzantragspflicht noch weiteren Handlungsbedarf, insbesondere für den Bereich der „Gründungsfinanzierung“ gibt; meine Fraktion hatte hierzu entsprechende Formulierungsvorschläge vorgelegt. Alle genannten Sachverständigen haben diese Einschätzung in dem erwähnten Berichterstattergespräch geteilt, insbesondere was den Vorschlag angeht, die Strafbarkeit wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht nur noch auf Antrag zu verfolgen. In diesem Punkt abweichend von unserem Vorschlag ergab sich dort zudem ein relativ weit reichender Konsens, dass es Sinn machen könnte, die Antragsberechtigung in die Hände des Insolvenzrichters zu legen. Bedauerlicherweise war unser Koalitionspartner unter Verweis auf die Position des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz nicht bereit, diese – eigentlich recht einfache – Änderung in diesem Gesetzgebungsverfahren zu verwirklichen. Dass die ebenfalls unsererseits vorgeschlagenen Änderungen im Bereich des Überschuldungsbegriffs (§ 19 InsO) breit diskutiert werden müssen, ist zwar richtig. Ich meine aber: Diese Diskussion haben wir schon lange geführt, und wir sollten jungen Unternehmensgründern nicht noch weiter Steine in den Weg legen. Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das deutsche Insolvenzrecht unternimmt den Versuch, in der schwierigen Situation der Zahlungsunfähigkeit zu einem gerechten Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zu kommen, die im Raum stehen. Dabei geht es auch um den Schutz des Rechtsverkehrs und der Allgemeinheit. Dennoch muss der Rechtsstaat der Versuchung widerstehen, zu diesem Schutzzweck übertriebene Anforderungen zu stellen. Dies betrifft insbesondere die Frage, welche Anforderungen an einen Insolvenzantrag zu stellen sind. Deshalb bin ich froh, dass der vorliegende Entwurf hier für Klarheit in der Praxis sorgen wird. Zudem ziehen Veränderungen der Märkte und der praktischen Handhabe auch immer wieder Änderungs- und Anpassungsbedarf in der Rechtsordnung nach sich. Ziel ist, die Rechtsordnung an die Herausforderungen unserer Zeit anzupassen. Im Mittelpunkt steht zunächst eine Neufassung des § 15a Insolvenzordnung. Die Tatbestandsalternative des „nicht richtig“ gestellten Insolvenzantrags wird gestrichen werden. Stattdessen erfolgt eine Neustrukturierung des Absatzes 2. Eine Strafbarkeit wegen eines rechtzeitig, aber nicht richtig gestellten Insolvenzantrags soll demnach nur noch dann vorliegen, wenn der antragstellende Schuldner seinen Antrag innerhalb von drei Wochen ab Zustellung einer richterlichen Aufforderung nicht nachbessert. Diese Neuregelung verklart und konkretisiert damit in erfreulicher Art und Weise die bisherige Rechtspraxis und verändert diese Sachfrage sachgerecht und angemessen. Daneben werden weitere Unklarheiten beseitigt, die in der bisherigen Rechtspraxis seit der letzten EU-Verordnung durch die Rechtsprechung aufgeworfen wurden. Auch hier enthält der vorliegende Entwurf zahlreiche weitere Verbesserungen in der Praxis. Ich bin dem Kollegen Hirte sehr dankbar, dass er im parlamentarischen Verfahren eine weitere praktische Herausforderung aufgeworfen hat: Gerade im Bereich der Start-ups und der Gründungen besteht immer wieder das Problem, dass dort die Finanzausstattung von Tag zu Tag stark schwanken kann – gerade dann, wenn die Neugründung auch ohne ein großes Polster an Eigenkapital gewagt wird. Umgekehrt wünschen wir uns aber am Technologie- und Forschungsstandort Deutschland Gründergeist und Start-up-Initiativen. Leider sind wir hier in den parlamentarischen Beratungen mit unserem Koalitionspartner nicht weiter gekommen. Um Missverständnisse auszuräumen: Es geht bei dieser Frage nicht um eine Aufweichung des Insolvenzrechts, sondern um eine praxistaugliche Ausrichtung – ein Ansatz, den wir über die heutige Anpassung hinaus nicht aus den Augen verlieren sollten. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Mit der heutigen Debatte schließen wir eine gute Sache ab. Ich kann sehr stolz sagen, dass wir den Prüfauftrag, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, mit dem Gesetz zur Durchführung der EU-Verordnung über Insolvenzverfahren vollständig erfüllt haben. Es ist uns nicht nur gelungen, unterschiedliche Schwachstellen in den bisherigen Vorschriften zu finden und diese nachzubessern, nein, es ist auch gelungen, die deutsche Insolvenzordnung in Einklang mit den europäischen Vorschriften zu bringen. Einer Umsetzung in das deutsche Recht bedarf die Verordnung nicht; das Gesetz passt aber die Bestimmungen der Neufassung in das deutsche Verfahrensrecht ein. Es sieht insbesondere die Einführung eines neuen Artikels 102c EGInsO vor, der sich an den geltenden Bestimmungen des Artikels 102 EGInsO orientiert. Der neue Artikel 102c EGInsO enthält insbesondere Bestimmungen zu den in der Neufassung erstmals vorgesehenen Rechtsbehelfen und gerichtlichen Entscheidungen, zur örtlichen Zuständigkeit bei sogenannten Annexklagen, zu verfahrensrechtlichen Einzelheiten der Abwicklung von Sekundärinsolvenzverfahren und zu Einzelfragen bei der Bewältigung der Insolvenz der Mitglieder von Unternehmensgruppen. Wie es zu einer ordentlichen Gesetzgebung gehört, wurden Expertenmeinungen auch hier nicht außer Acht gelassen. Nach dem intensiven fachlichen Austausch der Sachverständigen wurden durch den Änderungsantrag weitere Nachbesserungen eingepflegt. Bemerkenswert war jedoch, dass sämtliche Sachverständige den Regierungsentwurf als durchaus gelungen bezeichneten. Dieses Lob gebe ich gerne an Bundesminister Maas und sein Haus weiter. Darüber hinaus wurde das vom Bundestag am 9. März 2017 mühsam verabschiedete Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen eingepflegt. Die Ausschussberatungen haben gezeigt, dass die Regelungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Insolvenzverschleppung (§§ 13, 15a der Insolvenzordnung in der Entwurfsfassung – InsOE) Anlass geben, das Insolvenzstrafrecht weitergehend und grundlegend zu ändern. In der nun geänderten Fassung sieht § 13 Absatz 3 InsOE vor, dass das Gericht den Antragsteller im Falle der Unzulässigkeit des gestellten Antrags auf die Unzulässigkeit hinweist und ihm Gelegenheit gibt, den Mangel binnen einer angemessenen Frist zu beheben. Das ist gut und richtig. Mit der Anknüpfung an die Unzulässigkeit des Antrags stellt § 13 Absatz 3 InsOE in seiner geänderten Fassung klar, dass eine Unvollständigkeit des Antrags nur dann relevant ist, wenn die fehlende Angabe zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört. Mit den Änderungen des § 15a InsOE soll sichergestellt werden, dass das Stellen eines unrichtigen Eröffnungsantrags unabhängig davon strafbar sein kann, ob dem Antragsteller der gerichtliche Hinweis im Sinne von § 13 Absatz 3 InsOE zugestellt worden ist oder der Antragsteller auf sonstige Weise von diesem Kenntnis erlangt. Die Strafbarkeit wird allerdings an die objektive Bedingung geknüpft, dass das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweist. Ich freue mich ausdrücklich, dass die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten zu einen guten Ergebnis geführt hat. Es bedeutet aber nicht, dass wir weitere Entwicklungen nicht berücksichtigen werden. Nach der Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen ist es nicht ausgeschlossen, ich meine sogar erwartbar, dass wir erneut nachsteuern müssen. Aber auch hier gilt der Grundsatz allen Handelns: Das Einzige, was gewiss ist, ist die Veränderung. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Seit Inkrafttreten der Europäischen Insolvenzverordnung 1346/2000 im Jahr 2002 besteht in der Europäischen Union ein einheitlicher Rechtsrahmen für die Behandlung von grenzüberschreitenden Insolvenzen. Aus dem 2012 von der Europäischen Kommission vorgelegten Evaluationsbericht zur Europäischen Insolvenzverordnung ist die Verordnung 2015/848 hervorgegangen, die am 26. Juni 2017 in Kraft tritt und die bisherigen Regelungen der Europäischen Insolvenzverordnung neu fasst. Bei den Regelungen handelt es sich nicht um eine Anpassung oder Vereinheitlichung der nationalen Vorschriften zum jeweiligen Insolvenzrecht, sondern überwiegend um Kollisions- und Verfahrensregeln, um die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten so zu verzahnen, dass grenzüberschreitende Insolvenzen im Binnenmarkt besser bewältigt werden können. Es werden damit unter anderem Fragen der Gerichtszuständigkeit, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sowie des im Einzelfall anwendbaren Rechts beantwortet. Europäische Verordnungen wie die Insolvenzverordnung sind Rechtsakte, die in jedem Mitgliedstaat unmittelbar als Gesetz gelten. Im Gegensatz zu Richtlinien bedürfen sie keiner Umsetzung in nationales Recht und lassen keine nennenswerten Spielräume für den nationalen Gesetzgeber offen. Der deutsche Gesetzgeber nahm das Inkrafttreten der Europäischen Insolvenzverordnung dennoch zum Anlass, im deutschen Recht Verfahrensvorschriften aufzunehmen, um das nationale Insolvenzrecht besser in die vorgeschriebenen Verfahrensabläufe des Unionsrechts einzupassen. Auch das vorliegende Gesetz ist ein solches Durchführungsgesetz, das die Änderungen der Europäischen Insolvenzverordnung aufgreift. Es ist eine undankbare Aufgabe für Abgeordnete, zu einem solchen Gesetz zu debattieren. Zwar ist das internationale Insolvenzrecht durchaus eine praktisch relevante und spannende Materie. Doch die laut zu vernehmende Kritik an Einzelregelungen der Europäischen Insolvenzverordnung muss in Brüssel debattiert werden. Hier im Deutschen Bundestag müssen wir uns auf das Durchführungsgesetz beschränken. Und selbst wenn es, wie bei jedem Gesetz selbstverständlich auch hier, auf eine ordentliche handwerkliche Umsetzung ankommt – praktische Relevanz haben die Regelungen im Zweifelsfall nicht, da die Europäische Verordnung Vorrang hat und alleiniger Maßstab bei der Bewältigung auftretender Rechtsprobleme ist. Insgesamt ist die Fachwelt, die täglich mit dem Gesetz konfrontiert ist, mit den Durchführungsvorschriften einverstanden. Wir begrüßen, dass sich die Koalitionsfraktionen im Rechtsausschuss die Verbesserungsvorschläge der Praktiker zu Herzen genommen und entsprechend nachgebessert haben. Besonders begrüßen wir die in der Beschlussempfehlung dargelegte Einsicht, nicht das gesamte Insolvenzstrafrecht auch noch im Zuge dieses Gesetzgebungsvorhabens und allein aufgrund von Ausschussberatungen umfassend zu reformieren – eine Einsicht, die bei anderen Vorhaben in diesem Hause leider nicht häufig zu beobachten ist. Die von meinem Kollegen Professor Hirte in den Beratungen zur Diskussion gestellten Vorschläge zur Begrenzung der Strafbarkeit im Rahmen von Insolvenzen sind rechtspolitisch diskussionswürdig, bedürfen aber intensiverer Beratungen in einem eigenständigen Gesetzgebungsvorhaben. Abschließend bleibt anzumerken, dass die vom Rechtsausschuss hier empfohlene Änderung des § 15a InsO – Insolvenzverschleppung – gegenüber dem Regierungsentwurf ein erster richtiger Schritt zu mehr Klarheit und Bestimmtheit der Norm ist. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diesen Gesetzentwurf hätten wir eigentlich bereits im März in abschließender Lesung gemeinsam mit dem Konzerninsolvenzrecht behandeln können. Gleich zu Beginn möchte ich vorwegnehmen, dass ich dem Gesetzentwurf in seiner jetzigen Fassung zustimmen werde. Er dient im Wesentlichen der Durchführung der EU-Verordnung vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren und löst die bestehende Verordnung aus dem Jahr 2000 für neu zu eröffnende Insolvenzverfahren ab. Das Gesetz passt das deutsche Verfahrensrecht an die neue EU-Verordnung an und schafft in Zeiten zunehmender grenzüberschreitender Handelsbeziehungen einheitliche Regelungen für die Abwicklung in der EU im Falle des wirtschaftlichen Scheiterns. Die Umsetzung des europäischen Rechts in nationales Recht wird zum Anlass genommen, auch die Regelungen zur Insolvenzverschleppung zu reformieren. Eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung wird nach dem neu eingefügten Absatz 6 in § 15a InsO auf die Fälle beschränkt, in denen der Antragsmangel dazu führt, dass das Gericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig zurückweist. Die Strafbarkeit tritt also nur noch dann ein, wenn der Antragsteller den Eröffnungsantrag nach einem erteilten gerichtlichen Hinweis nicht nachbessert oder wenn die entsprechende Nachbesserung nicht zur Zulässigkeit des Eröffnungsantrags führt und die Chance zur Antragsberichtigung somit ungenutzt bleibt. Das bloße „nicht richtige“ Stellen eines Antrags genügt anders als bisher also nicht mehr für die Strafbarkeit und trägt in sinnvoller Weise dem Umstand Rechnung, dass das Verfahren der Insolvenzeröffnung sehr komplex ist. Für den Laien ist es oftmals kaum durchschaubar, welche Angaben für eine wirksame Verfahrenseröffnung erforderlich sind. Nach dem gerichtlichen Hinweis ist der Antragsteller damit im Bilde und in der Lage, die fehlenden Angaben zu ergänzen. In der im vorigen Entwurf vorgesehenen Fassung sollte bereits der „nicht vollständig“ gestellte Antrag eine Strafbarkeit begründen, wenn dieser nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Zustellung ergänzt wird. Das hätte gegenüber der jetzigen Rechtslage keine Verbesserung gebracht. Von daher ist es zu begrüßen, dass sich die Koalition an dieser Stelle doch noch durchgerungen hat, eine Strafvorschrift zu entschärfen. Angesichts der Fülle an neuen Straftatbeständen und Strafverschärfungen, die Sie in den letzten Monaten hier verabschiedet haben, ist jede Strafentschärfung mal eine erfreuliche Nachricht. In diesem Fall wurden die Sachverständigen, die als Praktiker näher an der Materie dran sind und die alltäglichen Probleme in der praktischen Umsetzung kennen, mit ihren Vorschlägen ausnahmsweise mal gehört, und ihre vorgeschlagenen Änderungen haben teilweise Eingang in das Gesetz gefunden. Daher hat sich das Expertengespräch in diesem Fall doch sehr gelohnt. Trotzdem bleibt das Grundproblem bei den Insolvenzanträgen aber bestehen. Wir müssen von vornherein mehr zulässige Anträge schaffen, indem das Verfahren an sich vereinfacht wird und den Antragstellern mehr Hilfen etwa bei der Antragstellung zur Verfügung gestellt werden. Es wäre ja auch zu schade, wenn es in der nächsten Legislaturperiode keinen Anlass mehr gäbe, das Insolvenzrecht auf die Tagesordnung zu setzen. Ich befürchte allerdings, dass wir an diesen Anlässen auch in der nächsten Periode keinen Mangel haben werden. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Tagesordnungspunkt 27) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Der heute verhandelte Gesetzentwurf ist von größerer Bedeutung für unsere Bundeswehr. Denn neben jenen Regelungen zur Gesichtsverhüllung wird er auch die Neuregelung des Auslandsverwendungszuschlags umfassen. Und dieser ist insbesondere für unsere Soldatinnen und Soldaten bedeutsam, die fernab ihrer Heimat Dienst leisten. Es ist ja kein Geheimnis, dass sich die Sicherheitslage, auch in Europa, verändert hat. Zu Recht wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Deutschland diesen veränderten Bedingungen vielfach Rechnung tragen muss. Wenn nun besonders unsere östlichen NATO-Partner in Sorge sind und auf den entschlossenen Beistand ihrer Verbündeten hoffen, so ist es nur natürlich, wenn Deutschland diese Sorgen ernst nimmt und entsprechend handelt. Deshalb sind zum Beispiel auch Einheiten der Bundeswehr in das Baltikum entsandt worden. Diese Art von Aufträgen bezeichnen wir als einsatzgleiche Verpflichtungen, und sie werfen die Frage auf, wie wir sie unseren Soldatinnen und Soldaten vergüten sollen. Aktuell wird der AVZ ja nur denjenigen Frauen und Männern gewährt, die sich in mandatierten Einsätzen befinden. Einsatzgleiche Verpflichtungen werden jedoch nicht entsprechend vergütet. Momentan werden sie durch Auslandsdienstbezüge oder durch Vergütung zeitlicher Mehrleistung abgegolten. Das sollte kein dauerhafter Zustand bleiben! Denn damit entsteht ein prinzipieller Unterschied zwischen Soldatinnen und Soldaten in ähnlichen Gebieten und mit ähnlicher Belastung. Das führt zum Beispiel zu Ungerechtigkeiten bei Soldatinnen und Soldaten, die im Baltikum eingesetzt sind, oder jenen Marineangehörigen, die in der Ägäis gegen das Schlepperwesen engagiert sind. Auch diese Frauen und Männer sind über Wochen und Monate von zu Hause, von ihren Familien, getrennt. Auch sie sind täglich harten Bedingungen ausgesetzt, die sich nicht gravierend von denen mandatierter Einsätze unterscheiden. Völlig zu Recht hat unsere Ministerin betont, dass es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wenn auch für diese einsatzgleichen Verpflichtungen der AVZ gewährt wird. Es ist unser Auftrag, dem heute nachzukommen. Wenn nun von manchen gefordert wird, dass die Zahlung dieser Vergütung auch rückwirkend gilt, so mag dies durchaus nachvollziehbar sein. So verständlich es aber ist, so muss doch festgehalten werden – und das Bundesministerium der Justiz hat es bestätigt –: Ein rückwirkendes Inkrafttreten ist ein Fall der echten Rückwirkung. Und dieser ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Dieses Rückwirkungsverbot zu ignorieren, mag die Absicht auch noch so edel sein, hieße nichts anderes, als geltendes Recht bewusst zu ignorieren. Das ist sicher nicht Ziel dieses Vorstoßes und dient auch nicht den damit verbundenen Absichten. Jedes Gesetz entsteht in einem Prozess des Austauschs von Interessen und des Findens von Kompromissen. Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten und unserer Sicherheitspolitik. Wenn wir uns mit diesen Themen befassen, so dürfen wir nicht vergessen: Sicherheit und Frieden in Deutschland werden nicht zuletzt durch die Soldatinnen und Soldaten gewährleistet, die oft unter zahlreichen Risiken und mit größtem persönlichem Einsatz täglich ihren Dienst verrichten. Darum sollten wir uns ihnen verpflichtet fühlen. Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf. Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Zum Abschluss des parlamentarischen Verfahrens zu den bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung möchte ich die Gelegenheit nutzen, meine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf einschließlich der Änderungen, die wir von der CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit unserem Koalitionspartner eingebracht haben, zu erläutern. Demnach dürfen Beamtinnen und Beamte sowie Soldatinnen und Soldaten bei Ausübung ihres Dienstes sowie bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug ihr Gesicht nicht verhüllen. Ausnahmen sind nur aus dienstlichen und gesundheitlichen Gründen möglich. Endlich schaffen wir als Gesetzgeber eine klare Regelung, mit der untersagt wird, aus weltanschaulich-religiösen Motiven in bestimmten Bereichen im Dienst das Gesicht zu verhüllen. Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Unser Zusammenleben beruht darauf, dass man sich untereinander offen begegnet. So ist es meiner Ansicht nach nur folgerichtig, dass die Repräsentanten des Staates bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Offenheit zeigen und dadurch zur Vertrauensbildung beitragen. Dies ist mit einem verhüllten Gesicht nicht möglich. Aus dem gleichen Grund finden sich im vorliegenden Gesetzentwurf Verbote der Gesichtsverhüllung auch für Mitglieder der Wahlausschüsse und Bürger, die ihre Stimme abgeben möchten. Es muss zu jeder Zeit ein Abgleich des Gesichts mit einem Ausweispapier möglich sein. Für mich ist dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Keiner, der sich in unserem Land aufhält, kann sich einer Identitätsfeststellung entziehen. Dies werden wir nun im Personalausweisgesetz regeln. Wir haben uns in den Beratungen zu dem Gesetzentwurf darauf geeinigt, das Verfahren dazu zu nutzen, weitere dienstrechtliche Regelungen zu treffen. Ich möchte hierzu einzelne Punkte herausgreifen: Um den Dienstbetrieb und die Einsätze der Bundeswehrfeuerwehr weiterhin sicherzustellen, werden wir eine kurzfristige Verlängerung der bis 2017 befristeten Opt-out-Regelung der Arbeitszeitverordnung festlegen. Die freiwillige Erhöhung der Arbeitszeit für Feuerwehrleute der Bundeswehr wird bis Ende 2019 gelten. Mit einer Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes bezüglich der Ruhensregelung für Renten aus der Alterssicherung der Landwirte haben wir den Forderungen des Bundesrechnungshofes und des Rechnungsprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages Rechnung getragen. Nunmehr unterliegt künftig die Anrechnung von Renten aus der Alterssicherung für Landwirte auf die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge nicht der Ruhensregelung. Eine Verbesserung für unsere Bundeswehrsoldaten wird durch eine Änderung des Beamtenbesoldungsgesetzes erfolgen. Verwendungen von Bundeswehrsoldaten sollen künftig einheitlich mit dem Auslandsverwendungszuschlag abgegolten werden. Damit werden die bislang für vergleichbare Verwendungen mit vergleichbaren Belastungen in unterschiedlicher Höhe gezahlten Bezüge auf einen einheitlichen Satz gebracht. Viele notwendige Neuerungen im Zuständigkeitsbereich des Innenressorts werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf angegangen und sinnvoll umgesetzt. Den Kern des Entwurfes bilden aber die bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung. Wir von der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag sind davon überzeugt, dass wir mit dem Gesetz das richtige Signal an unsere Gesellschaft senden. Ich möchte noch einmal verdeutlichen: In der Burka oder Nikab sehen wir ein Integrationshemmnis. Für mich bedeutet Integration auch, dass wir unsere Werte und die Grenzen unserer Toleranz gegenüber anderen Kulturen deutlich machen. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet hierzu einen wertvollen Beitrag. Dr. Lars Castellucci (SPD): Wir beraten heute den Gesetzentwurf zur bereichsspezifischen Regelung der Gesichtsverhüllung in zweiter und dritter Lesung. Im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf wurde in der Diskussion gerne argumentiert, dies sei Symbolpolitik oder symbolische Politik. Dabei wird der Begriff „symbolische Politik“ meist unpräzise und oft abfällig verwendet. Es ist deshalb sehr erhellend, sich einmal mit den theoretischen Konzeptionen zur symbolischen Politik zu beschäftigen. Grundlegend für das Verständnis des Begriffs ist das auf Murray Edelman zurückgehende Konzept der „symbolischen Politik“. Edelmans Ansatz geht von einer Doppelung der politischen Realität aus. Darunter versteht er, dass alle politischen Handlungen und Ereignisse gekennzeichnet sind durch die Trennung in eine instrumentelle Dimension bzw. einen Nennwert – also die tatsächlichen Effekte der politischen Handlung – und eine expressive Dimension bzw. einen dramaturgischen Symbolwert – die Darstellung der Handlung für die Öffentlichkeit. In unserem Fall beschreibt gerade diese Zweiteilung – Nennwert und Symbolwert – die Problematik recht gut. Denn im Nennwert, also bei der Frage, was der tatsächliche Effekt dieses Gesetzes ist, ist relativ wenig geregelt, das den Alltag der Menschen in unserem Land betrifft. Es gibt nach unseren Erkenntnissen kaum Soldatinnen, die eine Burka tragen wollen. Auch in den Wahllokalen zur Bundestagswahl waren vollverschleierte Frauen bisher nicht als Problem aufgefallen, soweit mir das bekannt ist. Insofern regelt der Entwurf vor allem Probleme, die nur am Rande und in vernachlässigenswerten Größenordnungen und Fallzahlen vorkommen. Auf der anderen Seite ist der Symbolwert recht hoch, denn wir zeigen damit unsere Missbilligung für eine solche Verschleierung und Entpersonalisierung von Frauen an. Wir zeigen damit auf, dass wir – wo wir können – die offene Gesellschaft auch leben wollen und wir deshalb auch eine gewisse Offenheit von anderen erwarten bzw. erhoffen. Zudem können sich die Verfechterinnen und Verfechter dieses Antrags der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung sicher sein: Nach einer ARD-Umfrage sind bis zu 80 Prozent der Deutschen für ein Burkaverbot; rund 50 Prozent für ein generelles Verbot und immerhin 31 Prozent für ein teilweises Verbot etwa im öffentlichen Dienst und in Schulen. Häufig werden dafür Gründe wie Integration und die Wahrung westlicher Werte angeführt. Vollschleier wie Burka oder Nikab werden als Zeichen der Unterdrückung der Frauen angesehen, als Zeichen einer patriarchalen Gesellschaft, als Hindernis der Integration und des wechselseitigen Austausches. Das mag alles stimmen – und in der Tat ist es schwierig, mit einem Gegenüber, das als Individuum quasi unsichtbar ist, in Kontakt zu treten. Die Frage ist allerdings, inwiefern Kleiderverbote und Bußgeldverfahren kulturelle Differenzen aufbrechen sollen, geschweige denn Wege der Integration öffnen. Aber wenn wir bei den Umfragezahlen bleiben, würden wir also das Bedürfnis der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger bedienen, wenn wir ein Gesetz erlassen würden, das die Burka verbieten soll, und könnten zur Tagesordnung übergehen. Ich möchte jedoch nochmals etwas differenzierter auf die Diskussion eingehen, die sich um ein Burkaverbot in den letzten Jahren entsponnen hat. Der Innenminister Dr. de Maizière hat im Dezember 2015 der Welt am Sonntag gesagt, dass er Bedenken gegen ein Burkaverbot habe. Ein Verbot wäre kompliziert; zudem seien viele Verfassungsrechtler der Meinung, dass ein solches Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Bestand haben würde, so der Minister damals, und man könne schließlich nicht alles verbieten, was einem nicht gefällt. Hier kann ich Herrn de Maizière nur recht geben. Auch ich denke, dass wir ein generelles Verbot nicht verfassungskonform erreichen können. Daher haben wir uns auf einen eher symbolträchtigen Verbotskatalog geeinigt, der niemanden in seinen religiösen Selbstbestimmungsrechten verletzt. Verbunden ist dies aber mit einem starken Appell, dass Integration nur gelingen kann, wenn beide Seiten aufeinander zugehen und Offenheit nicht nur vom Gegenüber erwartet wird. Zum Schluss noch einige Worte zu den Vorwürfen, wir würden mit dem Verschleierungsverbot das Geschäft der AfD betreiben und antimuslimische Ressentiments verstärken. Aus meiner Sicht sollte es schon möglich sein, Dinge anzusprechen und Debatten zu initiieren. Denn nur so schaffen wir ein Verständnis auch füreinander – für unsere Gemeinsamkeiten und unsere Differenzen. In den Debatten zur Verschleierung wurde sehr viel darüber gesprochen, was dies für die Frauen bedeutet und dass sie dadurch unterdrückt werden; auch ich habe mich in dieser Richtung geäußert. Aber: Hat irgendwer von uns auch mit diesen Frauen gesprochen? Oder nehmen wir das einfach auf Basis unseres – vermeintlichen – Wissens an? Ich bin überzeugt, dass auf dieser Ebene viel eher eine Lösung und Verständigung zu erreichen ist als durch Verbote und Strafen. Deshalb hoffe ich, dass wir mit diesem Gesetz nicht das Ende der Debatte erreicht haben, sondern sie im Gegenteil erst beginnen. Diese Debatte müssen wir aber mit den Menschen führen, die davon betroffen sind und die uns etwas dazu sagen können. Denn sonst ist das nur eine selbstreferenzielle Ausgrenzung von Personen und Lebensstilen, die an der Debatte nicht beteiligt werden. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will mit dem Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung verbieten, dass Beamtinnen und Beamten während ihres Dienstes ihr Gesicht verbergen. Neue Gesetze werden in der Regel beschlossen, weil ein gesellschaftliches Problem erkannt wurde, dem zumindest nach Meinung der Regierenden mit den bisherigen Gesetzen nicht beizukommen ist. Doch im vorliegenden Fall haben wir es mit einer Gesetzesinitiative zu tun, der keinerlei reelles Problem zugrunde liegt. Es geht hier um rein ideologisch motivierte Propaganda. Union und SPD lassen sich hier vor den Karren der AfD spannen. Zum Glück nicht im Bund, aber auf Länderebene in Sachsen-Anhalt machen da sogar die Grünen mit. Und das ist nicht nur peinlich, das ist regelrecht gefährlich! Denn auch wenn es nicht so explizit im Gesetzestext genannt ist, so ist doch jedem klar, dass es beim geplanten Verbot um gesichtsverhüllende Schleier muslimischer Frauen geht. In letzter Zeit ist oft von Fake News die Rede. Doch bei der Debatte um ein sogenanntes Burkaverbot haben wir es mit noch weniger als Fake News zu tun, nämlich mit gar keinen, auch keinen erfundenen Fakten. Denn die Bundesregierung konnte bislang kein einziges praktisches Beispiel für die Notwendigkeit dieses Gesetzes anführen. Amtliche Statistiken darüber, wie viele Frauen in Deutschland Nikab oder gar Burka tragen, gibt es nicht, da hier zum Glück – noch? – keine Meldepflicht besteht. Die niedrigsten Schätzungen liegen bei 200 bis 300 Burkaträgerinnen, wobei hier wohl nicht zwischen der afghanischen Burka und dem wenigstens die Augen freilassenden Nikab unterschieden wird. Der Betreiber der Website www.burkaverbot.de kommt auf eine Zahl von 4 000 bis 6 500 Mitgliedern der Nikabi-Gemeinschaft, also aus religiösen Gründen vollverschleierten Mädchen und Frauen in Deutschland. Die Zahl beinhaltet auch Flüchtlinge und arabische Touristinnen sowie andere nur vorübergehend in Deutschland aufhältige Muslimas mit Gesichtsschleier, die sich garantiert nicht um eine Stelle im öffentlichen Dienst bewerben werden. Die Website www.burkaverbot.de setzt sich übrigens entgegen ihrem Namen für das Recht der Muslimas auf freie Religionsausübung einschließlich des Rechts auf Vollverschleierung ein und will Fakten zu dieser Debatte liefern. Egal welche dieser Zahlen wir nehmen: Es geht hier nur um eine verschwindend geringe Zahl unter den rund 2 Millionen Muslimas in Deutschland, die sich überhaupt zumindest zeitweilig vollständig verschleiern. Wie viele in ihrer Freizeit vollverschleierte Frauen als Bundesbeamtinnen tätig sind, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall habe ich noch von keinem einzigen Fall gehört, in dem eine Beamtin tatsächlich vollverschleiert zum Dienst erschienen ist. Entweder haben wir es also mit einem unnötigen Vorratsgesetz für einen bislang nicht eingetretenen hypothetischen Fall zu tun oder sogar mit einem rechtlich unzulässigen Einzelfallgesetz. Beides ist abzulehnen. Nach Ansicht der Bundesregierung steht eine Gesichtsverhüllung einer „vertrauensvollen Kommunikation der staatlichen Funktionsträger mit den Bürgerinnen und Bürgern“ entgegen. Da diese Kommunikation heute in vielen Fällen telefonisch, per Post oder E-Mail stattfindet, kann der Bürger in der Regel gar nicht erfassen, ob die Beamtin, mit der er kommuniziert, Minirock oder Nikab trägt. Eine Ausnahme ist mir freilich bekannt, und das sind Mitglieder von Polizeisonderkommandos. Deren freilich nicht religiös begründete Vermummung etwa am Rande von Demonstrationen und zum Schutze von Großveranstaltungen stellt allerdings alles andere als eine „vertrauensvolle Kommunikation“ dar. Doch ein derartiges einschüchterndes Auftreten von SEK-Polizisten wird ja durch den vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich gedeckt. Wir haben es nicht nur mit einer Regelung zu tun, die einfach nur sinnlos ist. Es ist schlimmer: Diese Regelung trägt, genauso wie die zum Teil noch viel weiter gehenden Gesetze auf Landesebene, zur Stimmungsmache gegen ganze Bevölkerungsgruppen bei. Denn hier wird eine seit Jahren wachsende Muslim- und Islamfeindschaft weiter mit Nahrung versorgt. Und auch viele Muslime und Muslimas, die selbst die Vollverschleierung oder überhaupt das Kopftuch ablehnen, empfinden diese Debatte zu Recht als ausgrenzend und diskriminierend. Lassen Sie mich abschließend noch klarstellen, dass ich persönlich nicht nachvollziehen kann, warum sich eine Frau im Namen einer Religion gänzlich verhüllt. Ich kann darin nichts Emanzipatorisches erkennen. Doch letztlich müssen die Muslimas selbst entscheiden. Sollte allerdings Zwang dabei sein – etwa durch männliche Familienmitglieder –, dann lehne ich das entschieden ab. Frauen, die sich aus freier Entscheidung von Nikab oder Burka oder auch nur dem einfachen Schleier lossagen wollen, verdienen dabei jede moralische Unterstützung. Sondergesetze wie das vorliegende sind aber gänzlich ungeeignet zum Schutze der Rechte der betroffenen Frauen. Daher lehnt die Linke dieses völlig überflüssige, aber gleichwohl in seiner Signalwirkung schädliche Gesetz ab. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wir sollten bei den Regelungen bleiben, die wir haben, und nicht neuen Unfrieden in unser Land bringen mit einer so sehr spaltenden Diskussion“, so äußerte sich der Bundesinnenminister noch im August letzten Jahres zum Thema Burkaverbot. Dennoch wurde die Diskussion geführt, als habe die Frage der Gesichtsverhüllung für die innere Sicherheit irgendeine Relevanz. Dem ist nicht so, und davon ist im vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht mehr die Rede. Der Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung datiert auf den 15. Februar 2017, und es wäre wahrlich besser gewesen, der Entwurf wäre früher vorgelegt worden; denn von den markigen Forderungen aus den Reihen der schwarzen Sheriffs bei CDU und CSU ist wahrlich nicht viel übrig geblieben. Dennoch ist offen, ob es für die nun vorgelegten Regelungen, die sich insbesondere auf Bundesbeamtinnen, Soldatinnen und Richterinnen beziehen, je einen möglichen Anwendungsfall gegeben hat. Dieser Nachweis hätte jedoch geführt werden müssen, denn die allgemeine Erfahrung deutet darauf hin, dass die allgemeinen Regelungen für Beamte, Richter und Soldaten ausreichen, im notwendigen Maß Fragen der amts- und dienstangemessenen Bekleidung zu regeln. Ohne diesen Nachweis stellt die Regelung – eben gerade aufgrund dieser fehlenden Regelungsbedürftigkeit – in ihrer speziellen Ausprägung eine ungerechtfertigte Vorverurteilung dar. Dasselbe gilt für jene Regelungen des Entwurfs, die die Identifizierung anhand von Lichtbildern regeln. Auch hier ist nicht bekannt, dass es tatsächlich zu Anwendungsfällen kommt, die aufgrund der bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht zu lösen sind. Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich derjenigen Regelungen, die gänzlich ohne Sachbezug zur Frage der Gesichtsverhüllung zum ursprünglichen Antrag durch den Änderungsantrag hinzugekommen sind. Eine Anpassung der Versorgungsregelungen insbesondere auch für die Soldatinnen und Soldaten erscheint angezeigt. Meine Fraktion hat dieses Anliegen durch einen eigenen Änderungsantrag konstruktiv unterstützt. Die Verbindung zweier völlig unterschiedlicher Sachfragen in einer Initiative mag dem baldigen Ende der Legislaturperiode geschuldet sein; für die öffentliche Wahrnehmung parlamentarischer Entscheidungen finde ich es wenig glücklich. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (Tagesordnungspunkt 30) Gero Storjohann (CDU/CSU): Die Verantwortung für den Bau der Radverkehrsinfrastruktur liegt unstreitig bei Land und Kommunen. 1,3 Milliarden Euro stellt der Bund den Ländern als Entflechtungsmitteln unter anderem auch für Radverkehr zur Verfügung. Diese bleiben zum größten Teil für den Radverkehr ungenutzt. Daher schieben wir als Bund das Thema Radschnellwege jetzt an. Mit einer erstmaligen Fördersumme von 25 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2017 für Radschnellwege investieren wir in ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Verkehrssystem in Deutschland. Radschnellwege vereinen die Begriffe Mobilität und Modernität als ein neues Instrument der Verkehrsplanung. Sie sind gerade für urbane Räume und Metropolregionen geeignet. Denn Radschnellwege sollen gezielt dazu genutzt werden, Quelle-Ziel-Verkehre zu zentrifugieren, Pendlerverkehre auf das Fahrrad zu verlagern, Staus zu minimieren und den Verkehr zu verflüssigen. Weiter dienen sie auch der Entlastung des Bundesfernstraßennetzes, welches gerade in Ballungsgebieten stark für Kurstrecken frequentiert wird. Neben diesen vielen positiven Effekten auf den Verkehr können durch Radschnellwege auch negative Verkehrsfolgen wie Lärmbelastung und Schadstoffemissionen stark minimiert werden. Im Klimaschutz liegt auch der Kern für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Schaffung einer bundesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zur Gewährung von Finanzhilfen für den Bau von Radschnellwegen in fremder Straßenbaulast. Die Ermächtigungsgrundlage folgt aus Artikel 104b Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz. Nach diesem Artikel ist es möglich, dass der Bund den Ländern Finanzhilfen für besondere bedeutsame Investitionen gewährt. Für den vorliegenden Fall des Baus von Radschnellwegen in der Baulast der Länder und Gemeinden liegt diese bedeutsame Investition in Artikel 74 Absatz 1 Nummer 24 Grundgesetz, der Luftreinhaltung. Die Einführung von Radschnellwegen ist somit sehr im Interesse des Bundes als Träger der Straßenbaulast für Bundesfernstraßen. Zwar bestehen jetzt schon Möglichkeiten, den Bau von Radwegen als Bestandteil von Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes zu finanzieren, jedoch wird mit dem vorliegenden Gesetz nun ermöglicht werden, sich finanziell am Bau von Radschnellwegen in fremder Baulast, das heißt an Radverkehrswegen, welche in der Baulast von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden stehen, durch die gezielte Gewährung von Finanzhilfen zu beteiligen, mit dem Ziel, somit eine erhöhte Umsetzung von Radverkehrsprojekten zu fördern. Die Voraussetzungen für diese Finanzhilfen haben wir bereits 2016 mit der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplanes 2030 geschaffen. Mit der Umsetzung des vorliegenden Gesetzeses haben wir unseren Arbeitsauftrag erfüllt und eine gesetzliche Grundlage zur Umsetzung der Förderung von Radschnellwegen geschaffen. Einzelheiten zu der Verteilung dieser Finanzmittel regelt eine Verwaltungsvereinbarung, welche zwischen Bund und Ländern jetzt geschlossen werden muss. Diese Verwaltungsvereinbarung wird bis zum Sommer 2017 erstellt werden, sodass es möglich sein wird, noch in diesem Jahr Finanzhilfen für Radschnellwege abzurufen. Gegenstand dieser speziellen Förderung sind nicht Radwege im Allgemeinen, sondern wirklich nur spezifische Radschnellwege. Diese Radschnellwege werden durch spezielle Merkmale gekennzeichnet: bauliche Anforderungen zur Gewährleistung eines schnellen Radverkehrs; eine Prognosebelastung von in der Regel mindestens 2 000 Fahrradfahrten pro Tag; ein Fahrbahnquerschnitt von in der Regel von 4 Metern Breite; Bildung eines zusammenhängenden Netzes; alleiniger oder Mitbestandteil einer Radschnellwegeverbindung mit einer Mindestlänge von in der Regel 10 Kilometern. Es freut uns, dass auch der Bundesrat dieses Radverkehrsvorhaben so positiv unterstützt hat. Auf seine Forderung der Herabsetzung der Mindestlänge auf 5 Kilometer konnten wir nicht eingehen. Denn für die Förderkriterien müssen wir Radschnellwege von sonstigen Radwegen unterscheiden können. Um größere Nutzerpotenziale zu erschließen, bedarf es einer längeren Fahrstrecke, die mit dem Fahrrad abgewickelt werden kann. Radschnellwege generieren uns auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen, zum Beispiel durch Stauvermeidung. Bis 2030 werden wachsende Verkehre im Straßenverkehr bis zu 18 Prozent prognostiziert. Eine Entlastung des Straßenverkehrs ist daher dringend notwendig; auch hierfür können Radschnellwege wichtige Impulse setzen. Bereits heute blicken wir auf eine aufstrebende Zukunft für Radschnellwege. Schon vor Umsetzung dieses Bundesfernstraßengesetzes sind dem Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 80 Maßnahmen mit einer Streckenlänge von rund 1 400 Kilometern benannt worden. Ein Bedarf an diesen Projekten ist da und wird auch noch steigen, was eine Erhöhung der Haushaltsmittel erforderlich macht. Daher stimmen Sie bitte mit Freude für diesen Gesetzentwurf, denn er dient der Verbesserung des Radverkehrs und fördert ein modernes, nachhaltiges und zukunftsfähiges Verkehrssystem in Deutschland. Sabine Leidig (DIE LINKE): Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes will die Regierungskoalition vor allem eines: 41 Autobahn- und fünf Bundesstraßenausbauprojekte möglichst ungehindert durchsetzen, damit noch mehr Lkw-Verkehr durch die Republik rollen kann. Das aber ist genau das Gegenteil von Klimaschutz und Verkehrswende, die wir dringend brauchen. Vielerorts haben Bürgerinitiativen und Umweltverbände sinnvolle Alternativen zu noch mehr Autobahnen ausgearbeitet; und es gibt sehr viele berechtigte Einwände, die bei den Plänen der Bundesregierung nicht berücksichtigt werden. Um sich diese möglichst schnell „vom Hals zu schaffen“, will sie für diese 46 im § 17e Absatz 1 genannten Vorhaben den Klageweg einschränken: Das Bundeverwaltungsgericht soll in erster und letzter Instanz zugleich entscheiden. Das Verfahren auf Landesebene entfällt, und Berufung wird unmöglich. Die Linksfraktion beantragt, dass dieser Paragraf gestrichen wird. Die ohnehin mageren Rechte der Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht eingeschränkt werden! Es entspricht auch nicht dem föderalen Zuständigkeitsverständnis, dass ein Bundesgericht erst- und letztinstanzlich entscheidet. Dies ist nur in begrenzten Ausnahmen zulässig, was mit dieser Regelung deutlich überschritten wird. Bedenklich ist zudem, dass damit ein Bundesgericht verbindlich über die Anwendung und Auslegung von Landesrecht entscheidet, weil die Vereinbarkeit mit den Naturschutz-, Wasser-, Wege- oder Denkmalschutzgesetzen der Länder regelmäßig Teil des gerichtlichen Prüfungsumfangs bei Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse ist. Die Gründe, die dazu führten, dass die Alleinzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes bei der Anwendung des früheren Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes von Verfassungsexperten für ausnahmsweise zulässig erachtet wurde, beruhen ausschließlich auf den Erfordernissen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit. Die Regierungskoalition will aber die Verfassungsrechte aus vielerlei Gründen aushebeln: Einbindung der neuen Mitgliedstaaten in die Europäische Union, Verbesserung der Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen, sonstiger internationaler Bezug oder „besondere Funktion zur Beseitigung schwerwiegender Verkehrsengpässe“ – damit lässt sich fast jedes Straßenbauprojekt begründen. Der ursprüngliche Grund „Herstellung der deutschen Einheit“ gilt auch noch und soll ausgerechnet den völlig unsinnigen und (vom Land Berlin) unerwünschten Weiterbau der A 100 (17. Bauabschnitt) beschleunigen. Auch andere hochumstrittene Autobahnen wie die A 20 oder die A 39 stehen auf der „Beschleunigungsliste“. Wir lehnen diese Projekte ab, und wir lehnen die Einschränkung der Bürgerbeteiligung ab! Einem ganz anderen Punkt, der ebenfalls Teil der vorgelegten Gesetzesänderung ist, stimmen wir allerdings zu: Sie führen die Möglichkeit ein, dass der Bund Finanzhilfen für den Bau von Radschnellwegen an Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände geben kann. Das wird von der Linksfraktion selbstverständlich unterstützt. Allerdings haben wir dafür plädiert, dass der Bund den Bau solcher Radwege nicht erst ab einer Mindestlänge von 10 Kilometern fördern kann, sondern schon ab 5 Kilometer – so wie es auch der Bundesrat vorgeschlagen hat. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 31) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Mit der vorliegenden Gesetzesänderung übernehmen wir die Ergebnisse eines neuen Testverfahrens für den CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen als Grundlage für die künftige Bestimmung der Kraftfahrzeugsteuer. Zur Bestimmung realitätsnäherer Werte für Abgasemissionen für sogenannte leichte Kraftfahrzeuge hat man sich weltweit auf ein neues einheitliches Testverfahren verständigt. Diese Einführung des Verfahrens in der EU ist schrittweise bis zum 1. September 2018 vorgesehen. Damit entfällt zugleich das bisherige Verfahren, dessen Werte in die Berechnung unserer Kfz-Steuer eingehen. Eine Änderung des Kfz-Steuergesetzes ist also unausweichlich. Wir müssen aber als Gesetzgeber dafür sorgen, dass dieses Verfahren transparent und ohne Verwirrung für den Verbraucher geschieht. Deshalb begrüßen wir es als Unionsfraktion, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorsieht, die neuen Werte erst ab 1. September 2018 zur Grundlage der Kfz-Steuerberechnung bei Neuzulassungen zu machen. Damit wird verhindert, dass in einem Übergangszeitraum zwei Berechnungsverfahren für Neuzulassungen nebeneinander bestehen. Alles andere würde zu einem für die Verbraucher unüberschaubaren Durcheinander führen. Außerdem wäre eine gleichmäßige Anwendung der neuen Werte und damit auch der Steuerberechnung unmöglich. Deshalb ist das gewählte Vorgehen für die Verbraucher transparent und fair. Dass die Bundesregierung der Forderung des Bundesrates nicht folgt, zusätzlich ein Förderprogramm für Maßnahmen zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes in durch Stickoxide belasteten Innenstädten aufzulegen, ist für uns nachvollziehbar. Diese Forderung ist nur ein weiterer Versuch, immer neue Programme finanziell einseitig beim Bund abzuladen, und zwar völlig unabhängig von der tatsächlichen Zuständigkeit und Verantwortung. Abgesehen davon, dass hier erneut einseitig auf einen einzigen Abgaswert abgehoben wird. Wir können schon erwarten, dass die Länder und Kommunen die vorhandenen Möglichkeiten nutzen, um ihren Beitrag zu leisten. Die Behauptung, dass den Ländern und Kommunen keine ausreichenden Möglichkeiten zur Senkung der Luftschadstoffe zur Verfügung stehen, ist nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon bestehen bereits Programme zur Elektromobilität und zu Carsharing. Deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zu. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Wir beraten heute nun abschließend die Änderung des sechsten Kraftfahrzeugsteuergesetzes. Mit diesem Gesetz legen wir den Grundstein für die Einführung eines neuen Messverfahrens zur Ermittlung von Emissionswerten bei Autos. Durch die Einführung des WLTP-Verfahrens – das steht für Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure – werden wir zukünftig verbesserte, und das heißt realitätsnähere, CO2-Emissionswerte im Zuge der Ermittlung von Abgasemissionen erhalten. Das neue WLTP-Verfahren löst das bisher geltende NEFZ-Verfahren (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab. Im Gegensatz zum NEFZ-Verfahren, bei dem die Emissionswerte der Autos unter reinen „Laborbedingungen“ ermittelt werden, wird das WLTP-Verfahren unter realitätsnahen Bedingungen die Emissionswerte messen. Wobei diese Realitätsnähe natürlich differenziert zu betrachten ist, da der tatsächliche CO2-Ausstoß im Alltag auch immer vom persönlichen Fahrverhalten und den jeweiligen Streckenbedingungen abhängt. Realitätsnähe heißt hier, dass so, wie ein Auto im Straßenverkehr durchschnittlich genutzt wird, auch der Emissionsausstoß gemessen wird. Kein erhöhter Reifendruck, keine abgebauten Außenspiegel zur Reduzierung des Luftwiderstandes, kein leerer Tank, keine ausgebaute Klimaanlage. Ab dem 1. September 2018 ist für jedes zugelassene Auto die Abgasmessung mit dem neuen WLTP-Verfahren verpflichtend. Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass diese Stichtagsregelung allen Betroffenen Planungssicherheit bietet, zwangsläufig aber eine unterschiedliche Besteuerung der Fahrzeuge mit sich bringt. Alle anderen Autos auf unseren Straßen, die vor diesem Stichtag zugelassen wurden, haben aber natürlich Bestandsschutz! Was wir im Zuge des neuen Messverfahrens ändern, ist aber nicht die Steuerbemessungsgrundlage, sondern die Zulassungsbestimmungen. Haben wir bisher nur „typenbezogen“ zugelassen, so werden wir in Zukunft „autobezogen“ zulassen. Demnach wird es nicht mehr nur eine Rolle spielen, ob man einen Golf, eine S-Klasse oder einen Corsa fährt, sondern welche konkreten Besonderheiten das Fahrzeug aufweist. Mit oder ohne Klimaanlage? Schmale oder breite Reifen? Wie viele Airbags? Wie viel Hubraum? In der Konsequenz heißt das: Nicht nur der Prüfzyklus wird kleinteiliger, auch die Zulassung von Fahrzeugen wird differenzierter. Diese Differenzierung spiegelt auch die immense Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Autos wider, die auf deutschen Straßen unterwegs sind. Innerhalb eines Autotyps wird es aber wohl zur Bildung von „Familien“ kommen, denn eine vollständig individuelle, autobezogene Zulassungsmessung würde den Aufwand extrem in die Höhe treiben. Nach dem ersten großen Aufschrei sollte also nun auch dem Letzten klar geworden sein, dass wir nicht an der Steuerschraube drehen, sondern ausschließlich die Erfassung der Bemessungsgrundlage für die Steuererhebung ändern. Weil hier oft Fakten durcheinandergeraten, möchte ich noch einmal folgende Punkte klarstellen: Erstens. Der vorliegende Gesetzentwurf regelt ausschließlich die Einführung eines neuen Messverfahrens im Verkehrsrecht. Die konkrete technische Ausgestaltung des Messverfahrens wird hingegen über eine unmittelbar wirkende EU-Verordnung ins deutsche Recht implementiert. Die Verordnung kommt aller Voraussicht nach im Mai 2017. Ab dann gilt prinzipiell auch die Anwendung des WLTP-Verfahrens bei Neufahrzeugen. Diese Verordnung beschreibt dann genau, wie der Testzyklus auszusehen hat. Wir als Gesetzgeber haben auf die Ausgestaltung des Testzyklus keinen Einfluss. Eine Einschätzung, wie das Messverfahren in der Praxis konkret aussehen wird, konnte auch bei der Anhörung keiner der Sachverständigen vornehmen. Um bei Käufern und Herstellern Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen, ist der Stichtag zur Anwendung des neuen Messverfahrens zur Ermittlung der CO2-Werte für die Besteuerung aber erst der 1. September 2018. Klarzustellen ist: Bestandsfahrzeuge bleiben unangetastet! Zweitens. Anhand früherer Tests mit Fahrzeugen unter realitätsnahen Bedingungen geht man davon aus, dass es zu einem 20 Prozent höheren CO2-Ausstoß beim WLTF-Verfahren kommen wird. Im Vorhinein können jedoch weder Aussagen über erwartete CO2-Werte gemacht, noch kann die dadurch zu erwartende Höhe der Kfz-Steuer prognostiziert werden. Studien, die schon jetzt konkrete Zahlen nennen, sehe ich skeptisch. Denn wir wissen de facto weder genau, wie die Autoindustrie auf dieses Messverfahren reagieren wird – zum Beispiel durch veränderte Antriebskonzepte –, noch, für welches Auto sich der Käufer am Ende entscheidet – ob für oder gegen ein CO2-armes Fahrzeug mit mehr oder weniger Ausstattung. Klar ist nur: Wir setzen mit diesem Gesetz einen ganz klaren Anreiz, sich für ein emissionsarmes Fahrzeug zu entscheiden und dadurch selbst zu entscheiden, welche Steuerlast man tragen kann oder will. Drittens. Das vorliegende Gesetz bringt ausdrücklich keine Steuererhöhung mit sich. Was sich ändert, ist ausschließlich die Erfassung der Bemessungsgrundlage für die Kfz-Steuer. Und auf die, so habe ich es ausgeführt, haben wir keinen Einfluss. Eine realitätsnähere Ermittlung des Emissionsausstoßes ist in unser aller Interesse und wird auf EU-Ebene im Übrigen auch nicht erst seit dem VW-Abgasskandal forciert. Die deutschen Kraftfahrzeughersteller stellen sich schon seit Jahren auf ein neues Messverfahren ein und haben die internationale Standardisierung mit vorangetrieben. Abschließend möchte ich festhalten: A: Unser Ziel, mit der Kfz-Steuer eine Lenkungswirkung zu erreichen und kleinere und emissionsarme Fahrzeuge zu bevorteilen, wird mit dem neuen Messverfahren weiter verstärkt. B: Wie sich das Aufkommen der Kfz-Steuer tatsächlich entwickelt, haben Sie in der Hand – die Käufer neuer Fahrzeuge, je nachdem, wofür Sie sich entscheiden. Sie haben die Freiheit und damit auch die Verantwortung. C: Unser wirtschaftspolitisches Leitziel gilt weiter: Deutschland soll ein attraktiver Standort für moderne Fahrzeugtechnologien bleiben – für die Fahrer ebenso wie für die Autohersteller und ihre Technologiezulieferer. Dafür werden wir uns auch weiter einsetzen! Sie können dem Gesetzentwurf also mit Freude zustimmen. Arno Klare (SPD): Das Gesetz vollzieht einen im Grunde lapidaren Schritt: Es wird ein steuerrechtlicher Stichtag festgesetzt, ab dem Neufahrzeuge nach dem neuen Fahrzyklus WLTP eingestuft werden. WLTP steht übersetzt für „weltweit harmonisiertes Testverfahren für leichte Nutzfahrzeuge“; damit sind Pkw gemeint. Was so einfach erscheint, ist aus verkehrs- und umweltpolitischer Sicht ein Meilenstein. In der EU-Verordnung 715/2007 ist bei der Randnotiz 15 sowie im eigentlichen VO-Teil unter Artikel 14 Absatz 3 davon die Rede, dass die Testverfahren zur Feststellung der Verbrauchswerte – und damit der CO2-Emissionen – in einem neuen Prüfstandsmessverfahren gemessen werden sollten. Seit zehn Jahren, das heißt meilenweit vor dem sogenannten VW-Skandal, begannen die Überlegungen zum neuen Verfahren. Der WLTP wurde seit 2008 auf der Ebene der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa entwickelt und als globale technische Regelung (GTR) Nr. 15 durch das Weltforum für die Harmonisierung der Regelungen für Kraftfahrzeuge (WP. 29) im März 2014 angenommen. Später wurde er in EU-Europa zum neuen Testzyklus, der ab dem 1. September 2018 gilt. Insofern markiert dieses Datum sehr richtig auch den heute zu beschließenden Stichtag. Der WLTP ist deutlich realitätsnäher als der alte Prüfzyklus NEFZ. Parallel zur Entwicklung des WLTP begannen – auch dies weit vor dem VW-Skandal – die Überlegungen, Fahrzeuge nicht nur auf der Rolle, also im Labor, sondern auch sozusagen live, also bei der Fahrt im Straßenverkehr, zu testen. Dieses Verfahren heißt RDE, Real Driving Emissions. WLTP plus RDE ergeben zusammen ein realistisches Bild der Emissionen. Der Labortest dient der Ermittlung der steuerrelevanten Verbrauchsdaten. Diese zu ermitteln, geht rechtssicher nur in Labortests, weil diese allein standardisiert und reproduzierbar sind. RDE misst dann zusätzlich, ob die Emissionen auch im realen Betrieb auf der Straße unter definierten Limits bleiben. Alles in allem haben Verbraucher ab dem 1. September 2018 bei Autokauf wirklichkeitsnahe Verbrauchswerte und können über die Aussagen aus dem RDE-Test überdies ersehen, ob ihr Wagen die Werte einhält, die er verspricht. Der heutige Beschluss ist also weit mehr als lediglich die notwendige Fixierung eines steuerrechtlich notwendigen Stichtags. Andreas Schwarz (SPD): Mit dem heutigen Beschluss schließen wir ein Gesetzgebungsverfahren ab, dessen Umsetzung einer EU-Richtlinie geschuldet ist. Mit dem heutigen Beschluss implementieren wird das neue sogenannte WLPT-Verfahren, eine weltweit harmonisierte Testprozedur zur Ermittlung von Abgasemissionen, das realitätsnähere CO2-Emissionswerte darstellen soll. Auch vor dem Hintergrund der Dieselaffären verschiedener Autokonzerne begrüßen wir dieses Gesetz. Wir begrüßen, dass das neue Prüfverfahren bei uns erst ab dem 1. September 2018 für alle dann neu zugelassenen Fahrzeuge gelten soll und für alle anderen Fahrzeuge Bestandsschutz gilt. Ich betone: Die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bedeutet keineswegs, dass nun alles geklärt ist und wir uns jetzt um nichts mehr kümmern müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Denn die große Frage lautet: Wie entwickelt sich die Kfz-Steuer? Ich weiß, da machen sich manche Leute Sorgen. Zur Kenntnis genommen haben wir Äußerungen des Bundesfinanzministeriums, wonach Auswirkungen auf die Steuereinnahmen nur schwer voraussagbar seien, zumal es ja auch noch einige Details beim Messverfahren zu klären gibt und die Verordnung wohl erst Ende Mai 2017 vorliegen wird. Wir haben uns deshalb mit unserem Koalitionspartner darauf verständigt, dass wir vom Bundesfinanzministerium zwölf Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Evaluierung erhalten. Das BMF wird die Auswirkungen des neuen Gesetzes prüfen und den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages unterrichten. Wir wollen wissen, wie sich durch die Neuberechnung die Kraftfahrzeugsteuerbeträge entwickeln und ob und vor allem in welcher Höhe sich eventuelle Mehrbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger ergeben. Zunächst ändert sich durch das Gesetz lediglich die Bemessungsgrundlage. Ob es dadurch tatsächlich zu Steuererhöhungen kommt, ist also überhaupt noch nicht absehbar. Wir wollen uns als Gesetzgeber nach einem Jahr genau anschauen, wie sich der Fahrzeugbestand in der Bundesrepublik entwickelt und ob wir hier gegebenenfalls gegensteuern und Maßnahmen ergreifen müssen, damit die Beiträge nicht zu stark ansteigen. Herbert Behrens (DIE LINKE): Der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) ist inzwischen gar nicht mehr so neu. Ein in den 70er-Jahren entwickeltes Verfahren zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes kann das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen nicht mehr angemessen abbilden. Die Autos sind heute viel schwerer und leistungsstärker als vor 40 Jahren. Und so hat sich die Schere zwischen Laborwerten – gemessen nach NEFZ – und realem Kraftstoffverbrauch und Ausstoß von Kohlendioxid in den letzten Jahren immer weiter geöffnet. Autos verbrauchen inzwischen fast die Hälfte mehr, als in den Hochglanzprospekten angegeben. Das ist nichts anderes als eine systematische Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher, und es ist überfällig, dass der Uraltzyklus NEFZ aus dem Verkehr gezogen wird. Mit dem neuen Prüfverfahren Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure (WLTP) und dem dazugehörigen neuen Prüfzyklus kommt man der Wahrheit zumindest ein bisschen näher. In diesem Zyklus werden höhere Geschwindigkeiten gefahren, und die Standzeiten werden reduziert. Reduziert werden damit auch die Möglichkeiten für die Hersteller, durch kleine Tricks große Emissionskosmetik zu betreiben. Das ist ein Fortschritt und sollte sofort angewendet werden. Von daher wundere ich mich sehr, dass die Einführung des WLTP faktisch um ein Jahr verschoben wird. Bereits in diesem Jahr könnte für neue Fahrzeugtypen dieses strengere Prozedere Anwendung finden. Opel hat für seinen neuen Astra das WLTP-Verfahren schon für Juni 2016 angekündigt. Aber die Bundesregierung nimmt lieber eine Kernforderung der Autoindustrie auf und verschiebt den Stichtag auf September 2018. Das ist völlig kontraproduktiv, und die Linke kann dem vorgelegten Gesetzentwurf daher nicht zustimmen. Dieses Detail im vorgelegten Gesetzentwurf sagt zudem viel darüber aus, wie ernst es der Bundesregierung mit der Einführung realistischer Tests wirklich ist. Gleiches gilt auch für die jahrelangen Bemühungen der Bundesregierung, in den internationalen Verhandlungsrunden den WLTP zu verwässern. Es sind Unterlagen bekannt geworden, in denen sich die Bundesregierung für einen pauschalen Abschlag von 4 Prozent auf WLTP-Messergebnisse einsetzte. Durch Anpassungen der Rahmenbedingungen des Fahrzyklus sollten die Werte um weitere 10 Prozent schlechter ausfallen dürfen. Mit ihren Bemühungen war die Bundesregierung leider so erfolgreich, dass die USA und Japan aus dem WLTP-Prozess ausgestiegen sind, weil dessen Vorgaben ihnen schlicht zu lasch sind. Es ist also keineswegs so, dass wir uns jetzt entspannt zurücklehnen können, weil mit dem WLTP alle Probleme gelöst wurden. Am Ende kommt es nämlich darauf an, dass die Zielwerte für klimaschädliche Abgase in der täglichen Fahrpraxis eingehalten werden und nicht auf dem Prüfstand. Um Verbrauchern realistische Werte angeben zu können und vor allem endlich einen wirksamen Anreiz zur Reduktion des CO2-Ausstoßes zu schaffen, müssen Verbrauchs- und CO2-Werte auf der Straße ermittelt werden. Denn wir wissen alle, dass Testzyklen durch die Motorsoftware erkannt werden können; das heißt, Betrügereien können im Labor nie ausgeschlossen werden. Mit dem Real-Driving-Emissions-Verfahren (RDE), das für die Messung von Stickoxiden und Rußpartikeln bald zum Standard wird, haben wir bereits eine gute Vorlage, an dem sich eine realistischere Messmethode des Kraftstoffverbrauches orientieren kann. Dies ist sicherlich Zukunftsmusik, aber wenn wir heute nicht mit der Entwicklung einer Verbrauchsprüfung im Realbetrieb beginnen, wird in den nächsten zehn Jahren auch nichts Anwendbares auf dem Tisch liegen. Wer dem Klima einen Gefallen tun will, muss aufhören, der Autoindustrie stets und ständig Gefallen zu tun. Diese Forderung richtet sich vor allem an den Verkehrsminister, der in den letzten Monaten die Hersteller nur mit Samthandschuhen angefasst hat, obwohl die harte Hand nötig gewesen wäre. Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren von CDU/CSU und SPD, mit den eigenen Klimazielen wirklich ernst ist, dann werden Sie sofort aktiv und sorgen dafür, dass die wohlklingenden, aber völlig aberwitzigen „Supercredits“, durch die die Autokonzerne mit ein paar Elektroautos den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeugflotte schönrechnen können, nicht mehr angewendet werden. Sorgen Sie für Tempolimits auf Autobahnen, für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, und fahren Sie klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg und die Steuerbegünstigung für Diesel sofort zurück. Das nützt dem Klima mehr als der beste Prüfzyklus. Politische Stellschrauben zum Klimaschutz im Straßenverkehr gibt es wirklich genügend; man muss nur gewillt sein, daran zu drehen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben heute in der Aktuellen Stunde schon ausführlich darüber gesprochen, wie die Bundesregierung unabhängige Abgaskontrollen für die Autoindustrie in Brüssel blockiert und den Dieselskandal einfach aussitzt, anstatt dafür zu sorgen, dass die Automobilindustrie zur Verantwortung gezogen und die Autobesitzer entschädigt werden. Da passt sehr gut ins Bild, was die Experten der Kraftfahrzeughersteller bei der öffentlichen Anhörung verlautbaren lassen haben. Ab dem 1. September 2018 werden die bei der Bemessung der Kfz-Steuer relevanten CO2-Emissionen nach einem neuen Verfahren gemessen. Das weltweit harmonisierte Testverfahren WLPT bietet weniger Schlupflöcher für Tricksereien als sein Vorgänger – das derzeit noch verwendete NEFZ-Verfahren. Und es orientiert sich stärker am realistischen Fahrverhalten, weil es beispielsweise mehr Beschleunigungs- und Bremsvorgänge abdeckt. Durch die Umstellung auf das verbesserte WLTP-Verfahren werden sich die gemessenen CO2-Emissionen der Fahrzeuge deswegen aller Voraussicht nach erhöhen. Was eigentlich ein Grund zur Freude ist, verringert sich doch so die Diskrepanz zwischen Real- und Laborwert. Die liegen laut Berechnungen des International Council on Clean Transportation im aktuellen NEFZ-Verfahren bei durchschnittlich 42 Prozent. Nicht so für die deutsche Automobilindustrie. Deren Experten beschwerten sich in der öffentlichen Anhörung darüber, dass es durch die Erhöhung der CO2-Emissionen zu einer Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer kommen wird. Um eine solche „Steuererhöhung durch die Hintertür“ zu verhindern, forderten sie doch allen Ernstes Steuersenkungen – in Form eines Abschlagsfaktors beim Steuertarif. Und das finde ich dann schon ein starkes Stück – werden hier doch Tatsachen verdreht und zurechtgebogen. Ohne die leiseste Einsicht, was in den vergangenen Jahren alles schiefgelaufen ist. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat die gegenteilige Rechnung aufgestellt. Es zeigt, dass dem Fiskus durch die Differenz zwischen realem CO2-Ausstoß und Laborwert allein für den Zeitraum 2010 bis 2015 Steuereinnahmen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro entgangen sind. Die geringeren Laborwerte und damit auch die geringeren Steuereinnahmen erklären sich teilweise aus den Unzulänglichkeiten des aktuellen NEFZ-Verfahrens, aber teilweise eben leider auch, wie im Abgasskandal deutlich wurde, aus betrügerischem Vorgehen bis hin zur bewussten Manipulation seitens der Automobilhersteller. Die durch die Umstellung auf das neue Verfahren zu erwartenden höheren Kfz-Steuern sind also keinesfalls Steuererhöhungen, sondern schlicht und einfach die Anpassung der Kfz-Steuer an die Realität. Die wird diejenigen härter treffen, die die bestehenden Spielräume im NEFZ systematisch ausgenutzt haben und nun im neuen Verfahren mit stark erhöhten CO2-Werten rechnen müssen. Eine pauschale Verschiebung der Bemessungsgrundlage in Form eines Abschlagsfaktors wäre also nicht nur nicht sachgerecht, sondern auch ungerecht, weil es die ehrlicheren Hersteller bestrafen würde. Beipflichten muss ich den Experten vom VDA und vom VDIK in dem Punkt, dass die Umstellung des Verfahrens nichts an der Effizienz der Fahrzeuge ändern wird. Hier ist die Automobilindustrie selbst in der Pflicht, mit innovativen Antrieben weltweite Standards zu setzen und sich fit für den Markt des 21. Jahrhunderts zu machen. Aber auch die Politik kann noch mehr tun, um einen erfolgreichen Technologiewandel in der Automobilindustrie einzuleiten. Durch die Umstellung auf das neue Verfahren wird die Lenkungswirkung der Kfz-Steuer aufgrund realistischerer CO2-Werte zwar verbessert. Hier ist aber noch deutlich Luft nach oben. Erstens handelt es sich bei dem WLPT-Verfahren nach wie vor um ein Laborverfahren, das nicht vor Manipulationen gefeit ist. Hinzukommen müssen deswegen strukturelle Reformen, was die Typgenehmigung betrifft. Bis heute können die Hersteller sich ihren Lieblingsprüfdienst auswählen. Hier brauchen wir Veränderungen, wie sie auch die EU-Kommission anstrebt: Prüfdienste müssen rotieren und dürfen zudem nicht mehr direkt von Herstellern, sondern sollten über ein Gebührensystem und den Staat bezahlt werden. Dem Umweltbundesamt wollen wir zudem eine klare Zuständigkeit für eine wirksame Marktüberwachung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge geben. Außerdem kann kein noch so gutes Verfahren reale Straßentests ersetzen. Für Schadstoffe sollen solche RDE (Real Driving Emissions) demnächst eingeführt und für die Zulassung neuer Fahrzeugtypen relevant werden. Wir fordern diese realen Straßentests nicht nur für Stickoxide, sondern auch für CO2-Emissionen. Vor allem muss aber Schluss damit sein, dass wir in Deutschland eine Technologie unterstützen, die verheerende Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt hat. Deswegen wollen wir die Dieselsubventionen schrittweise abbauen. Gleichzeitig wollen wir die Fahrer von Diesel-Pkw entlasten, indem wir die Kfz-Steuer konsequent nach dem CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen ausrichten und so jene Dieselmotoren belohnen, die im realen Fahrbetrieb effizienter sind als Ottomotoren. Obwohl wir also die Umstellung auf das verbesserte WLPT-Verfahren ausdrücklich begrüßen, werden wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten. Ganz einfach um deutlich zu machen, dass uns die Bemühungen der Großen Koalition in Bezug auf den dringend notwendigen Wechsel hin zu effizienten und emissionsfreien Antrieben in der deutschen Automobilindustrie nicht weit genug gehen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen (Tagesordnungspunkt 32) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Wir alle müssen uns darauf verlassen, dass Vertrauliches vertraulich bleibt. Das gilt beim Anwalt. Das gilt beim Arzt. Das gilt in vielen anderen Fällen. Der Schutz privater Geheimnisse genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert. Und zwar zu Recht! In Deutschland macht sich nach § 203 StGB strafbar, „wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart“. Natürlich handelt ein Berufsgeheimnisträger nicht unbefugt, wenn er sich bei seiner Arbeit durch Berufsgehilfen im Sinne des § 203 StGB unterstützen lässt. Hier geht es um enge Mitarbeiter, die zum Beispiel Ärzte und Anwälte bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen und Ihnen zuarbeiten, die Informationen aufnehmen und weiterleiten, die Recherchen durchführen und vieles mehr. Doch oft reicht dies nicht aus: Gerade heutzutage gibt es viele Aufgaben, die eine besondere Spezialisierung erfordern. Denken Sie zum Beispiel an die Einrichtung und Wartung komplexer IT-Anlagen. Derartige Aufgaben können regelmäßig nicht durch Berufsgehilfen übernommen werden. Die Einstellung von spezialisiertem Personal ist im Regelfall hier nicht wirtschaftlich – gerade mit Blick auf unsere überwiegend mittelständisch geprägten Strukturen. Regelmäßig und praxisnah sind Berufsgeheimnisträger daher auf die Unterstützung externer Unternehmen oder selbstständig tätiger Personen angewiesen. Doch gerade diese Notwendigkeit bedeutet für Ärzte, Anwälte und viele andere nicht selten, sich potenziell strafbar zu machen. Dies kann unter Umständen dann der Fall sein, wenn externe Dienstleister bei ihrer Arbeit Kenntnis über Geheimnisse erlangen können bzw. keine ausdrückliche Einwilligung des Berechtigten vorliegt. Diesen Graubereich schließen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung und erreichen einen deutlichen Zugewinn an Rechtssicherheit. Dafür danke ich schon jetzt allen Beteiligten ausdrücklich. In der gebotenen Kürze darf ich die wichtigsten Ansätze kurz umreißen: Die für Rechtsanwälte und Patentanwälte bereits im Satzungsrecht bestehende Pflicht, Mitarbeiter zur Verschwiegenheit zu verpflichten, wird in das Gesetz übernommen. Außerdem werden in die Bundesrechtsanwaltsordnung, Bundesnotarordnung, Patentanwaltsordnung, das Steuerberatungsgesetz und die Wirtschaftsprüferordnung Befugnisnormen eingefügt. Damit werden Voraussetzungen und Grenzen, unter denen dritten Dienstleistern der Zugang zu fremden Geheimnissen eröffnet werden darf, festgelegt. Für andere Berufsgruppen ist eine Einschränkung der Strafbarkeit vorgesehen, soweit dies für die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit der mitwirkenden Personen erforderlich ist. Dazu wird zunächst klargestellt, dass ein Offenlegen von Geheimnissen gegenüber unmittelbar in die Sphäre des Berufsgeheimnisträgers eingebundenen Personen kein strafbares Offenbaren ist. Ist das Offenbaren auch gegenüber externen Dritten beruflich erforderlich, handelt der Berufsgeheimnisträger befugt und damit nicht rechtswidrig. In beiden Konstellationen folgt eine Verringerung des Geheimnisschutzes. Dies wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass mitwirkende Personen in die Strafbarkeit nach § 203 StGB einbezogen werden. Auch haben Berufsgeheimnisträger verpflichtend dafür zu sorgen, dass die einbezogenen Personen zur Geheimhaltung verpflichtet werden. Mit dem vorliegenden Entwurf haben wir eine solide Grundlage, mit der wir nun ins parlamentarische Verfahren gehen können. Bereits im Mai werden wir im Rahmen einer Anhörung die Gelegenheit haben, bezüglich der konkreten Ausgestaltung ins Detail zu gehen. Lassen Sie mich abschließend einige Punkte anreißen, die wir dabei unter anderem noch einmal in den Fokus nehmen sollten: § 203 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 und 2 StGB-Entwurf: Wie bereits erwähnt, sollen Berufsgeheimnisträger künftig dafür sorgen, dass in ihre Berufsausübung eingebundene externe Personen zur Geheimhaltung verpflichtet werden. Bei Verwirklichung bedeutet dies das Begehen einer vorsätzlich strafbaren Handlung. Praxisnah könnte dies jedoch oft eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen. Aufgrund fehlender Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bliebe dies sanktionslos. Erforderlichkeitsanforderung in § 203 StGB unbestimmt: Auch im vorliegenden Gesetzentwurf sollten wir Wert darauf legen, unbestimmte Rechtsbegriffe möglichst zu vermeiden. Mit Blick auf die Erforderlichkeit des § 203 StGB sollten wir zumindest prüfen, ob die Aufnahme praxisnaher Beispiele in die Begründung mehr Rechtssicherheit schaffen kann. Mitwirkende Personen: Auch bezüglich des Kreises der mitwirkenden Personen scheint eine Nachschärfung sinnvoll. Beispielsweise ist in vielen Berufsordnungen von Dienstleistern die Rede. Dabei werden wir in der Praxis häufig Fälle sehen, in die ein beauftragter Dienstleister wiederum seine Mitarbeiter einsetzen wird, die dann die tatsächlich mitwirkenden Personen sind. Auch hier sollten wir geeignet für Klarheit sorgen. Insgesamt schafft der vorliegende Gesetzentwurf einen guten Ausgleich zwischen dem Schutz von Geheimnissen und einer praxistauglichen Neuerung, die die Lebenswirklichkeit abbildet. Es war höchste Zeit, insbesondere für eine Vielzahl von Freiberuflern, mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Dementsprechend positiv ist auch die Resonanz, die uns bisher erreicht hat. In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Die Verschwiegenheit zählt zu den Kardinalspflichten eines jeden Arztes, Rechtsanwalts oder Steuerberaters. Verstöße können für die Beteiligten zu irreparablen Schäden führen. Neben einer zivilrechtlichen Haftung wird das unbefugte Offenbaren von Geheimnissen in § 203 Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt. Schwerwiegender sind oftmals die berufsrechtlichen Konsequenzen, die bis zu einem Entzug der Zulassung reichen. Berufsgeheimnisträger können ihre Tätigkeit nicht alleine bewerkstelligen, sodass sie sich oftmals von weiteren angestellten Personen unterstützen lassen. Damit die Verschwiegenheitspflicht nicht ins Leere läuft, ist diese Gruppe in strafbewehrter Weise ebenfalls darin eingeschlossen. Allerdings hat sich die Arbeitswelt gewandelt. Eine Vielzahl der unterstützenden Tätigkeiten werden von angestelltem Personal nicht mehr erledigt. Als Beispiele seien nur die IT-Systemwartung, die Speicherung von Daten durch Cloud-Lösungen oder die Aktenarchivierung genannt. Selbst die klassischen Tätigkeiten in Kanzleien wie die Entgegennahme von Telefonanrufen oder Schreibarbeiten werden oftmals von externen Dienstleistern erbracht. Diese externen Dienstleister sind im Gegensatz zum angestellten Personal in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers jedoch nicht mehr zu verorten. Ein Berufsgeheimnisträger macht sich möglicherweise strafbar, wenn er externe Personen, beispielsweise bei der Wartung des IT-Systems, Zugang zu Geheimnissen gewährt. Es besteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die gelöst werden muss. Mit diesem Gesetzentwurf möchten wir wieder Rechtssicherheit schaffen. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die Vorschriften zum Geheimnisschutz an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Es soll festgeschrieben werden, dass sich Berufsgeheimnisträger nicht strafbar machen, wenn sie sich der Unterstützung externer Dienstleister bedienen. Das hohe Schutzniveau von Geheimnissen muss jedoch aufrechterhalten bleiben, sodass die Erweiterung des Personenkreises unter mehreren Voraussetzungen stehen muss. Die Mitwirkung eines externen Dienstleisters muss für den Berufsgeheimnisträger erforderlich sein. Damit soll der Notwendigkeit einer Ausweitung des Geheimnisses auf einen nur begrenzten Personenkreis Rechnung getragen werden. Zugleich ist der erweiterte Kreis von Geheimnisträgern zur Verschwiegenheit verpflichtet und macht sich bei Verstößen strafbar. Die Grundrichtung des Gesetzentwurfs ist damit vorgegeben. Im Detail besteht jedoch noch Bedarf an Änderungen und Klarstellungen. Ich möchte dabei drei Punkte herausgreifen: Der Gesetzentwurf spricht im Strafgesetzbuch von berufsmäßig tätigen Gehilfen und sonstigen mitwirkenden Personen. Im Recht der freien Berufe, wie beispielsweise der Wirtschaftsprüferordnung, finden sich stattdessen die Begriffe der beschäftigten Person und des Dienstleisters. Für mehr Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken sollte eine einheitliche Terminologie verwendet werden. Es wäre beispielsweise an den einheitlichen Begriff der mitwirkenden Person zu denken, der sich schließlich in allen relevanten Regelungen wiederfindet. Eine weitere Frage stellt sich bei sogenannten Unterauftragsketten. Darf sich der externe Dienstleister weiterer mitwirkender Personen bedienen? Um einer Absenkung des Schutzniveaus entgegenzuwirken, sollten wir noch eine gesetzliche Klarstellung vornehmen. Ohne Beauftragung oder Einverständnis des Berufsgeheimnisträgers sollte die Offenbarung von Geheimnissen an Unterauftragsnehmer unzulässig sein. Wir müssen auch noch korrespondierende Regelungen in der Strafprozessordnung schaffen. Der Geheimnisschutz wäre nicht durchgehend gewahrt, wenn ein externer Dienstleister im Rahmen seiner Zeugenpflicht in einem Gerichtsverfahren aussagen und das Geheimnis offenbaren müsste. Es bedarf für diese Gruppe der Schaffung eines Zeugnisverweigerungsrechts, um Widersprüche in der Rechtsordnung zu vermeiden. Ich bin zuversichtlich, dass wir die noch offenen Fragen in der Anhörung und den Beratungen im Ausschuss klären können. Machen wir uns an die Arbeit! Dr. Johannes Fechner (SPD): Angehörige bestimmter Berufsgruppen gewinnen innerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit Einblick in die Privatsphäre derer, die sich hilfesuchend an sie wenden. Bei Rechtsanwälten, Ärzten oder auch Psychologen ist die Kenntnis des persönlichen Lebensbereichs des Mandanten oder Patienten mehr oder weniger Voraussetzung für die Erbringung ihrer Dienstleistung. Umgekehrt muss der Hilfesuchende darauf vertrauen können, dass die von ihm anvertrauten Details nicht unbefugt Dritten offenbart werden. Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht ist – neben berufsrechtlichen Konsequenzen – gemäß § 203 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bedroht. Das gleiche gilt für die Beschäftigten der sogenannten Berufsgeheimnisträger. Im Binnenverhältnis Berufsgeheimnisträger/Angestellter begründet die Offenbarung von Geheimnissen keine Strafbarkeit, da das Geheimnis den Wissenskreis nicht verlässt. So weit, so gut – zumindest für lange Zeit. Die Digitalisierung der Arbeitsprozesse hat jedoch zu Schutzlücken geführt. Immer häufiger werden Tätigkeiten nicht mehr von eigenen Angestellten erledigt, sondern „ausgelagert“. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn für die Tätigkeit spezielle Kenntnisse erforderlich sind, über die das eigene Personal nicht verfügt, die Einstellung einer Person mit entsprechenden Kenntnissen jedoch nicht wirtschaftlich wäre. Zudem bieten Betrieb, Wartung und Anpassung von informationstechnischen Anlagen und Systemen die Möglichkeit, Kenntnis von allen Daten und damit von geschützten Geheimnissen zu nehmen. Personen, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit des Geheimnisträgers mitwirken, ohne jedoch in seine Sphäre eingebunden zu sein, sind nach herrschender Meinung nicht von § 203 StGB erfasst. Dies führt zu der Situation, dass sich der Berufsgeheimnisträger strafbar zu machen droht, wenn er bestimmte Aufgaben auslagert. Zudem ist der Patient, Mandant oder der sonst eine Dienstleistung in Anspruch Nehmende nur lückenhaft strafrechtlich geschützt, da die Offenbarung von Geheimnissen durch sonstige Mitwirkende nicht strafbewehrt ist. Der Entwurf will die geschilderte Strafbarkeitslücke schließen. Der Berufsgeheimnisträger soll zur Weitergabe oder dem Zugänglichmachen von Geheimnissen an externe Dienstleister befugt sein, soweit es für die Inanspruchnahme der Tätigkeit erforderlich ist. Im Umkehrschluss machen sich diese mitwirkenden Personen strafbar, wenn sie das Geheimnis ihrerseits Dritten offenbaren. Die vorgeschlagene Regelung trägt den veränderten Umständen der Arbeitswelt adäquat Rechnung. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf längst überfällig, Deutschland hat aber insbesondere auch hier mal wieder die technische Entwicklung verschlafen und alle Berufsgeheimnisträger seit Jahren der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, wenn sie zum Beispiel IT-Systeme verwenden, die von Dritten betreut werden. Dies ist jedoch zwischenzeitlich der Standard bei jeder noch so kleinen Anwaltskanzlei oder Arztpraxis. Denn diese Helfer waren bisher nicht ausreichend in § 203 StGB berücksichtigt und der im Rahmen ihrer vertraglichen Tätigkeit notwendige Zugriff durch sie auf Daten der entsprechenden Berufsgeheimnisträger de lege lata strafbar. Das betraf auch andere Dienstleistungen wie Aktenvernichtung, Aktenarchivierung etc. Die BRAK hat schon versucht, dem durch Änderungen der Berufsordnung der Rechtsanwälte Rechnung zu tragen. Dort ist in § 2 geregelt, dass der Rechtsanwalt seine Mitarbeiter zur Verschwiegenheit schriftlich zu verpflichten und anzuhalten hat, auch soweit sie nicht im Mandat, sondern in sonstiger Weise für ihn tätig sind. Dies gilt auch hinsichtlich sonstiger Personen, deren Dienste der Rechtsanwalt in Anspruch nimmt und denen er verschwiegenheitsgeschützte Tatsachen zur Kenntnis gibt oder die sich gelegentlich ihrer Leistungserbringung Kenntnis von verschwiegenheitsgeschützten Tatsachen verschaffen können. Nimmt der Rechtsanwalt die Dienste von Unternehmen in Anspruch, hat er diesen Unternehmen aufzuerlegen, ihre Mitarbeiter zur Verschwiegenheit über die Tatsachen gemäß Satz 1 zu verpflichten. Die vorgenannten Pflichten gelten nicht, soweit die dienstleistenden Personen oder Unternehmen kraft Gesetzes zur Geheimhaltung verpflichtet sind oder sich aus dem Inhalt der Dienstleistung eine solche Pflicht offenkundig ergibt. Nun soll dem durch Änderung des § 203 StGB Rechnung getragen werden, indem die Kenntnisnahme von Geheimnissen im Rahmen der vorgenannten Tätigkeiten kein Offenbaren im strafrechtlich relevanten Sinne darstellen soll. Allerdings werden die Änderungen nicht durch das Prozessrecht – wie zum Beispiel dem Zeugnisverweigerungsrecht der Berufshelfer entsprechend § 53a StPO – hinreichend flankiert, was Folgeprobleme aufwirft und zu Rechtsunsicherheit führen wird. Bezeichnenderweise enthält der Gesetzentwurf dazu keinerlei Aussagen. Auch ist der Gesetzgeber wieder im Bereich der Informationstechnik naiv, wenn er im Rahmen der Änderungen zur Rechtsanwaltsordnung bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen ausländische Anbieter nur zulässt, wenn ein entsprechendes Schutzniveau im Ausland herrscht. Begriffe wie Cloud und das Problem, dass selbst die USA unter Datenschutzgesichtspunkten nicht als gleichwertig betrachtet werden, finden damit keine hinreichende praxistaugliche Abbildung. Dass darüber hinaus spezifische berufsrechtliche Regelungen notwendig sind, erscheint überengagiert und dürfte der Rechtssicherheit ebenfalls abträglich sein. Vollkommen abwegig ist die Einführung eines neuen Straftatbestandes für Berufsgeheimnisträger, die die Hilfspersonen ihrerseits nicht auf Geheimhaltung verpflichten – die Geheimhaltungspflicht ist bereits gesetzlich für die Hilfspersonen fixiert, und wer sich als Dienstleister in einem solchen Umfeld bewegt, muss seine Pflichten selbst kennen. Überspitzt gesagt: Auch der Messerverkäufer wird nicht bestraft, wenn er Messer verkauft, ohne darauf hinzuweisen, dass damit tunlichst keine Menschen umgebracht werden dürfen. Allenfalls als sanktionierbare Berufspflicht käme die Geheimhaltungsverpflichtung in Betracht. Na, mal sehen, ob die Beratungen was retten; derzeit kann man den Gesetzentwurf nur ablehnen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung nimmt sich eines Problems an, dass für viele Berufsgeheimnisträger in der Praxis schon länger besteht und will dazu sowohl das Strafrecht als auch das anwaltliche Berufsrecht ändern. Anwälte, Steuerberater oder Ärzte sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und benötigen dennoch die Unterstützung Dritter bei der Ausübung ihres Berufs. Anwaltsgehilfen oder Arzthelfer sind schon berufsmäßig in die Geheimnisse der Mandanten bzw. Patienten eingebunden und gehören zum sogenannten „geschlossenen Geheimnisträgerkreis“. Die freien Berufe müssen sich aber heute aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung immer häufiger externer Dienstleister bedienen. Das fängt bei der Datenspeicherung an und geht bis hin zur regelmäßigen Nutzung von IT-Dienstleistern, um nur einige relevante Beispiele zu nennen. Jede Anwältin, die eine IT-Firma beauftragt, steht quasi mit einem Fuß im Knast, weil die Firmenmitarbeiter Zugang zu den Mandatsdaten haben. Und seit neuestem zwingen wir per Gesetz sogar kleine Kanzleien zu diesem Schritt, weil alle ein elektronisches Postfach vorhalten müssen, das die Datensicherung und -speicherung immer komplizierter macht. Für alle Berufsgeheimnisträger soll deshalb jetzt das Strafrecht angepasst bzw. der strafrechtliche Geheimnisschutz „verlängert“ werden. Es geht um die Vorschrift des § 203 StGB: „Verletzung von Privatgeheimnissen“. So soll das Offenbaren eines Geheimnisses nicht mehr rechtswidrig sein, wenn die Inanspruchnahme der mitwirkenden Personen „erforderlich“ war und der Dienstleister zur Verschwiegenheit verpflichtet wurde. Hier stellt sich schon die Frage, was eigentlich „erforderlich“ ist. Entsprechendes soll auch bei mehrstufigen Auftragsverhältnissen gelten, also wenn sich die Dienstleister ihrerseits weiterer Personen zur Aufgabenerfüllung bedienen. Wie aber soll der Berufsgeheimnisträger praktisch dafür Sorge tragen, dass ein von ihm beauftragter Dritter auch seine Angestellten zur Verschwiegenheit verpflichtet? Was muss er tun, um das auch zu überprüfen? Hier muss klar bestimmt werden, welchen Umfang die Sorgfaltspflichten zum Geheimnisschutz tatsächlich haben. Immerhin geht es um Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Zudem hat der Bundesrat zu Recht moniert, dass es hier eigentlich um eine Vorsatztat geht und nicht um die Verletzung von Sorgfaltspflichten. Der schwerwiegendste Mangel des Gesetzes ist allerdings der, dass das Problem nicht zu Ende gedacht wurde: Es fehlt nämlich das Zeugnisverweigerungsrecht für mitwirkende Personen in der Strafprozessordnung. Bislang ist in § 53a StPO geregelt, dass die klassischen Berufshelfer – ebenso wie Ärzte und Rechtsanwälte selbst – ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Davon sind aber die IT-Dienstleister gerade nicht erfasst! Was bringt also eine Verschwiegenheitserklärung, wenn die Mitarbeiter der IT-Dienstleister ihre Kenntnisse ggf. als Zeugen gegenüber der staatlichen Ermittlungsbehörde preisgeben müssen? Auf Seite 22 der Begründung Ihres Gesetzentwurfs wird auf ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren verwiesen, in dem das demnächst geregelt werden soll. Dieses Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie haben wir allerdings in der vorletzten Sitzungswoche bereits verabschiedet, nachdem Sie alles Mögliche daraus wieder gestrichen haben. Auch das Zeugnisverweigerungsrecht wurde dort gerade nicht geregelt, weil die Dinge mal wieder komplizierter sind, als gedacht. Die Frage, die beantwortet werden muss, ist doch, ob wirklich alle Mitarbeiter von IT-Dienstleistern, Reinigungsfirmen etc. vom Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53a StPO erfasst werden sollen oder nicht?! Ich finde darüber kann und muss man nachdenken. Der Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigen Personen wird dann in der Tat zwar sehr groß, aber andererseits betrifft es ja auch nur Geheimnisse, von denen gerade im Hinblick auf das konkrete Dienstverhältnis Kenntnis genommen wurde. Auf der anderen Seite hat der Bundesrat nicht zu Unrecht angemahnt, dass die Geheimschutzbelange der betroffenen Personen – also Mandanten bzw. Patienten – nicht genug berücksichtigt werden. Es geht mal wieder um des Pudels Kern in der digitalisierten Welt: Muss ich wirklich damit rechnen, dass meine Scheidungsakte oder meine Vergewaltigungsakte in einer I-Cloud oder wo auch immer gespeichert sind, auf die dann eine unbegrenzte Zahl mir nicht bekannter IT-Spezialisten einer von meiner Anwältin beauftragten Firma zugreifen können? Ich habe hier schon mehrfach deutlich gemacht, dass ich die Pflicht zum elektronischen Rechtsverkehr kritisch sehe. Wenn Sie aber zu dieser Entscheidung stehen wollen, müssen Sie auch beim Zeugnisverweigerungsrecht nachziehen. Beides sind Seiten ein und derselben Medaille. Solange Sie diese Frage nicht klar beantworten, ist Ihr Gesetzentwurf in dieser Form bloßes Stückwerk. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Nach § 203 des Strafgesetzbuches machen sich die dort genannten Berufsgeheimnisträger strafbar, wenn sie ein Geheimnis, das ihnen in beruflicher Eigenschaft anvertraut wurde, unbefugt offenbaren. Das gilt beispielsweise für Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Dieser strafrechtliche Schutz ist notwendig, denn ohne die Pflicht zur Verschwiegenheit kann kein Vertrauensverhältnis zwischen den Berufsgeheimnisträgern und dem Anvertrauenden entstehen. Und ohne diese Pflicht kann auch der Berufsgeheimnisträger die ihm zugedachte Funktion nicht sinnvoll erfüllen. Allerdings können diese Berufsgruppen heute ihre beruflichen Tätigkeiten nicht mehr allein oder ausschließlich mit der Unterstützung eigenen Personals ausüben. Vielmehr sind sie für bestimmte Tätigkeiten auf darauf spezialisierte Unternehmen oder selbständig tätige Personen angewiesen. Ein besonders plastisches Beispiel ist die Einrichtung, der Betrieb, die Wartung und die Anpassung von IT-Systemen. Schon aus Gründen der Informationssicherheit, die nicht zuletzt auch den Personen dient, die den Berufsgeheimnisträgern ihre Geheimnisse anvertrauen, ist es angezeigt, dass hier Fachleute tätig werden. Dass solche Fachleute in einer kleinen Arztpraxis oder Anwaltskanzlei nicht als eigenes Personal beschäftigt werden können, liegt auf der Hand. Aber auch bei größeren Unternehmen ist es oftmals wirtschaftlich nicht sinnvoll, für all diese unterstützenden Tätigkeiten eigenes Personal vorzuhalten. Wer sich mit IT auskennt, dem ist klar, dass mit der Arbeit an solchen Systemen in den meisten Fällen die Möglichkeit verbunden ist, von den dort verarbeiteten Daten Kenntnis zu erlangen. Liegt in diesen Fällen nicht die ausdrückliche Einwilligung aller Personen vor, von denen die dort abgespeicherten Geheimnisse stammen, und regelt auch das Berufsrecht die Inanspruchnahme externer Unterstützung nicht, so läuft der Berufsgeheimnisträger nach geltender Rechtslage Gefahr, sich nach § 203 des Strafgesetzbuches strafbar zu machen. Mit unserem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen wollen wir hier Rechtssicherheit schaffen. Der Gesetzentwurf schlägt daher im Wesentlichen vor, ein Offenbaren von Geheimnissen durch den Berufsgeheimnisträger gegenüber dritten Personen zu erlauben, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit der Berufsgeheimnisträger mitwirken, soweit dieses Offenbaren für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der mitwirkenden Person erforderlich ist. Kompensiert werden soll die damit verbundene Verringerung des strafrechtlichen Geheimnisschutzes durch eine Einbeziehung aller mitwirkenden Personen in den Kreis der tauglichen Täter nach § 203 des Strafgesetzbuches. Den Berufsgeheimnisträger selbst trifft eine strafbewehrte Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass die einbezogenen Personen ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf Änderungen in einigen Berufsordnungen vor. In die Bundesrechtsanwaltsordnung, die Bundesnotarordnung, die Patentanwaltsordnung, das Steuerberatungsgesetz und die Wirtschaftsprüferordnung werden nun insbesondere Befugnisnormen eingefügt, die Voraussetzungen und Grenzen festlegen, unter denen Dienstleistern, die an der Berufsausübung der Berufsgeheimnisträger mitwirken, der Zugang zu fremden Geheimnissen eröffnet werden darf. Damit regeln wir berufsrechtlich das, was der Bundesgesetzgeber regeln kann. Denn für andere Berufsgeheimnisträger, wie zum Beispiel Ärzte, liegt die Gesetzgebungskompetenz nicht beim Bund. Ich bitte um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf. Es ist dringend notwendig, die rechtlichen Regelungen für die Berufsgeheimnisträger den tatsächlichen Erfordernissen anzupassen. Bei den Verbänden der betroffenen Berufsgruppen, die wir zu dem Referentenentwurf beteiligt hatten, ist das Vorhaben auf breite Zustimmung gestoßen und allgemein die Hoffnung geäußert worden, dass dieses Projekt schnell zu einem erfolgreichen Abschluss kommt. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich (Tagesordnungspunkte 33 a und b) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Heute beraten wir abschließend über zwei Abkommen im Sicherheitsbereich mit Tunesien und Ägypten. Mit diesen Abkommen wird die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich auf eine neue Stufe gestellt, und die freundschaftlichen Beziehungen mit Ägypten und Tunesien werden vertieft. Ziel ist insbesondere die Zusammenarbeit im Kampf gegen die schwere Kriminalität, wie zum Beispiel Menschenhandel und Zuhälterei, Schleuserkriminalität, aber auch Geldwäsche, Korruption und Computerkriminalität. Daneben spielt der Kampf gegen den Terrorismus eine wichtige Rolle. Um diese Ziele zu erreichen, sollen sich zukünftig Fachleute aus Deutschland, Tunesien und Ägypten über Methoden der Kriminalitätsverhütung und -bekämpfung austauschen und voneinander lernen. Über diese praktische Zusammenarbeit hinaus wird in den Abkommen auch der Informationsaustausch zwischen den Vertragsparteien geregelt, wobei klargestellt ist, dass hierbei innerstaatliches Recht beachtet werden muss. Zusätzlich zu dieser vereinbarten Zusammenarbeit im Bereich der Verbrechensbekämpfung enthält insbesondere das Abkommen mit Tunesien noch ausführliche Kapitel zu den Themen Migration und Flüchtlinge sowie der Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenschutzes. Dabei geht es im Bereich Migration auch um die „Sicherstellung des Schutzes der Rechte von Migranten und Flüchtlingen entsprechend den internationalen Standards“. Mir ist bewusst – und dies wurde auch im Innenausschuss diskutiert –: Die menschenrechtliche Lage gerade in Ägypten entspricht nicht unseren Vorstellungen. Die ägyptische Regierung schränkt vielmehr massiv die Rechte der eigenen Bürger ein. Ich will in diesem Rahmen auch noch einmal klar unterstreichen, dass wir die Todesstrafe als nicht mit den Menschenrechten vereinbar ansehen und sie ablehnen. Daher appelliere ich an dieser Stelle an die ägyptische Regierung, hier Schritte für Verbesserungen zu unternehmen. Uns allen sollte aber klar sein, dass wir in einer Welt leben, in der Menschenrechte und Demokratie nach unseren Vorstellungen leider nicht der globale Standard sind, wobei man anmerken könnte, dass wir auch Mitgliedstaaten in der Europäischen Union haben, in denen dieser Standard nicht unbedingt hundertprozentig erfüllt wird. Wenn aber nun aus dieser Erkenntnis, dass nur die wenigsten Staaten in dieser Hinsicht unseren Wertvorstellungen entsprechen, die Konsequenz gezogen werden sollte, mit den übrigen Staaten keine Zusammenarbeit im Kampf gegen Kriminalität und Terror anzustreben, dann macht das weder das Leben in Deutschland noch woanders in der Welt sicherer. Dies kann und sollte nicht unser Ziel sein. Wie Sie dem Vertragstext im Abkommen mit Ägypten entnehmen können, ist sich die Bundesregierung der dortigen Probleme bei den Menschenrechten bewusst und hat deren Schutz ausdrücklich in den Vertragstext mit aufgenommen. Das geht bis zum möglichen Abbruch der Kooperation, um auf Verletzungen der Menschenrechte zu reagieren. Ich möchte außerdem hervorheben, dass die Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Aus- und Weiterbildung einen zentralen Teil des Abkommens darstellt. Daraus ergibt sich für uns die Möglichkeit, im Rahmen dieser Kooperation einen konstruktiven Einfluss auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte in den betreffenden Ländern zu nehmen. Ich bin überzeugt, dass die Erfahrungen, die die ägyptischen und tunesischen Sicherheitskräfte im Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland und ihren rechtsstaatlichen Standards machen werden, langfristig positiv auf deren Arbeit zurückwirken werden. Die Welt, in der wir leben, ist nicht perfekt, damit müssen wir zurechtkommen. Die nun zur Ratifikation vorliegenden Verträge können aber dazu beitragen, zumindest einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu gehen, um die Welt besser zu machen. So können wir Tunesien helfen, auf seinem Weg zu mehr Demokratie und Menschrechten voranzukommen. Gerade dieses Land hat ja seit dem Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings eine für die Region recht vorbildliche Entwicklung genommen. Wenn wir einen Anteil zur Stabilisierung der tunesischen Erfolge leisten wollen, dürfen wir nicht die Hände in den Schoß legen. Wir müssen auf mehreren Ebenen ansetzen. Da sehe ich zum einen ganz stark die politische Bildung und die Förderung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Strukturen. All diese Bemühungen können ihre Wirkung aber nur in einem sicheren Umfeld entfalten. Dazu können die vorliegenden Abkommen einen wertvollen Beitrag leisten. Ebenso haben wir auch in Ägypten die Chance, unseren positiven Einfluss in diesem Bereich geltend zu machen. Besonders im Falle Ägyptens mit seinen über 87 Millionen Einwohnern muss es uns ein Herzensanliegen sein, die Bindungen und Kanäle zu diesem wichtigen Staat aufrechtzuerhalten. Denn das Land am Nil kann im besten Falle ein nach außen wirkender Stabilitätsanker für die Region sein, im schlechtesten Falle Herkunfts- und Transitland von Terroristen, die nicht nur die Leben der Menschen dort, sondern auch bei uns in Europa bedrohen. Die Ägypter sind bereits erheblich durch die Gefahr des Terrorismus bedroht. Gerade Minderheiten leiden unter der jetzigen Situation. Besonders die seit längerem bedrohten christlichen Gemeinden werden immer mehr zur Zielscheibe von gewalttätigen Extremisten. Dass wir den Kontakt zur ägyptischen Regierung auch in schwierigen Zeiten halten und auch in der Sicherheitskooperation vertiefen, ist im Interesse unserer beiden Staaten und deren Bewohner. Das Gleiche gilt für Tunesien. Dies sage ich im Besonderen vor dem Hintergrund des Anschlages in Berlin im vergangenen Dezember. Der Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri, der ja aus Tunesien kam, zeigt doch ganz eindeutig, dass wir die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich vor allem mit den Ländern, die besonders unter dem Extremismus leiden, ausbauen müssen. Dazu gehört im Rahmen des vorliegenden Abkommens dementsprechend auch ein Schwerpunkt auf der Fälschungssicherheit von Ausweisdokumenten sowie der Steuerung von Migration in legale und besser kontrollierbare Kanäle. Glaubt denn jemand hier im Haus ernsthaft, dass sich unsere Sicherheit hier in Deutschland oder die Situation in unseren Partnerländern verbessert, wenn wir auf Abkommen wie dieses verzichten? Gerade auch damit wir Verbrechen wie den Berliner Anschlag in Zukunft effektiver verhindern können, brauchen wir eine bessere Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten von Gefährdern. Und dazu gehören bedauerlicherweise nun einmal auch Tunesien und Ägypten. Die Abkommen bieten hier die Möglichkeit für positive Entwicklungen. Nichts zu tun, wird jedenfalls nichts bewirken. Ich bitte Sie daher, den vorliegenden Gesetzen die Zustimmung zu erteilen, damit die Abkommen mit Tunesien und Ägypten zur Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich in Kraft treten können. Wolfgang Gunkel (SPD): Polizeiliche Zusammenarbeit ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer inneren Sicherheit. Ohne länderübergreifende polizeiliche Zusammenarbeit sind wir den aktuellen Bedrohungen nicht gewachsen, denn im Bereich des Terrorismus und auch im Bereich der organisierten Kriminalität wird durchaus länderübergreifend zusammengearbeitet. Dem können wir uns nicht verschließen. Polizeiliche Zusammenarbeit ist wichtiger denn je. Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren über diese Art von Abkommen diskutiert. Zuletzt ging es um die Zusammenarbeit mit Serbien, Albanien und Georgien, und nun wird die Kooperation auch über Europa hinaus ausgedehnt. Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus? Im Bereich der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung geht es vor allem um Informationsaustausch unter Fachleuten: zu Methoden der Kriminalitätsbekämpfung und Verhütung, ebenso zu Tätern und Methoden im Bereich der kriminalistischen und kriminologischen Forschung. Bei operativen Maßnahmen soll kooperiert werden. So soll bei operativen Ermittlungen durch aufeinander abgestimmte polizeiliche Maßnahmen zusammengewirkt und dabei personell, materiell und organisatorisch Unterstützung geleistet werden. Weiterhin sollen sich die Vertragsparteien einander bei der Durchführung von Seminaren, Lehrgängen und praktischen Übungen, der Entsendung von Fachleuten zum Erfahrungsaustausch sowie bei der Erarbeitung von Lehrgangsunterlagen und Lehrplänen unterstützen. Im Bereich des Katastrophenschutzes geht es um die Zusammenarbeit bei Ausbildung und Ausstattung sowie der Entsendung von qualifiziertem Personal im Katastrophenfall. Im Innenausschuss haben wir bereits die Kehrseite solcher Abkommen diskutiert. Wir können nicht überall von den menschenrechtlichen Standards ausgehen, die wir an Polizeiarbeit stellen. Gerade das Thema Ägypten bereitet sicher nicht nur mir erhebliche Bauchschmerzen. Die menschenrechtliche Lage ist nach wie vor sehr angespannt. Die Polizeiarbeit ist nicht immer frei von Willkür und Korruption. Oppositionelle und Minderheiten werden verfolgt, und die Gefahr besteht, dass der Wissensaustausch und die Zusammenarbeit dazu führen, dass Repressionen noch erfolgreicher durchgeführt werden können. Solche Probleme gilt es auch im Rahmen eines partnerschaftlichen Zusammenarbeitens klar zu benennen. Der vielfältige Erfahrungsaustausch, aber auch die Zusammenarbeit bei der Ausbildung und der Gestaltung von Lehrplänen wurden bereits erwähnt. Hier sind die deutschen Partner gefordert, ihre rechtsstaatlichen Ideale und Kenntnisse zu vermitteln und vorbildhaft einzusetzen. Das Abkommen zeigt daneben auch die Grenzen der Zusammenarbeit auf: Der Zusammenarbeit kann widersprochen werden, wenn zum Beispiel wesentliche Interessen einer Vertragspartei beeinträchtigt werden oder die Zusammenarbeit im Widerspruch zu ihrem innerstaatlichen Recht steht. Hier wird klar formuliert, dass eine Zusammenarbeit nicht stattfinden kann, wenn damit Menschenrechtsverletzungen unterstützt werden. Ich vertraue auf die Kompetenz der handelnden Behörden, diese Grenzen zu erkennen und aufzuzeigen. Insgesamt überwiegen die sicherheitspolitischen Interessen, die eine solche Zusammenarbeit erforderlich machen, sodass die SPD-Bundestagsfraktion den Gesetzentwürfen zustimmen kann. Ich bin mir sicher, dass wir durch eine effiziente Zusammenarbeit viel erreichen können. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir beraten hier über Entwürfe für zwei Gesetze zu Sicherheitsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den nordafrikanischen Staaten Tunesien und Ägypten. Dabei geht es nicht nur um Kooperation bei der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität, sondern auch um die Bekämpfung unerwünschter Migration. Zum Hintergrund beider Abkommen gehört das Bestreben der Bundesregierung, die Migration von Flüchtlingen immer stärker zu kontrollieren und diese Kontrolle auch geografisch vorzuverlagern. Denn geht es nach der Bundesregierung, dann sollen Flüchtlinge bereits in ihren Herkunfts- und Transitstaaten gestoppt werden. Ob dort autoritäre Regimes herrschen und Flüchtlinge in ihren Menschenrechten auf Verlassen eines Landes verletzt werden, das ist der Bundesregierung offensichtlich völlig egal. Über die derzeitigen Regelungen hinausgehende Sicherheitsabkommen mit Ägypten und Tunesien verbieten sich zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht der Linken, da beide Staaten nicht die erforderlichen menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Standards aufweisen. Dies gilt insbesondere für Ägypten. Nach dem Putsch gegen die Zivildiktatur des islamistischen Präsidenten Mursi herrscht dort jetzt eine noch rigidere Militärdiktatur unter General el-Sisi. Laut dem Jahresbericht 2016 von Amnesty International ist die Menschenrechtslage verheerend. Es gibt Massenverhaftungen bei Protesten gegen die Regierung, auch Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden von Sicherheitskräften verschleppt, Gefangene des Geheimdienstes verschwinden an unbekannten Orten. Immer wieder kommt es zu Todesopfern durch unverhältnismäßige Polizeigewalt. Die Todesstrafe wird regelmäßig verhängt und auch vollstreckt. Polizei und Küstenwache hindern zudem Tausende Flüchtlinge am Verlassen des Landes und damit an der Wahrnehmung ihres Menschenrechts, in einem anderen Land Asyl zu suchen. Gleichzeitig sind Schutzsuchende in Ägypten nicht sicher vor Abschiebungen in ihre Verfolgerstaaten. Mit dem bereits am 11. Juli 2016 von der deutschen und ägyptischen Regierung unterzeichneten Sicherheitsabkommen, das jetzt durch das vorliegende Gesetz umgesetzt werden soll, wurde der berüchtigte ägyptische Sicherheitsdienst NSS zum Partner des Bundeskriminalamtes. Der über geheimdienstliche Befugnisse verfügende NSS ist bekannt für seine Folterungen auf Polizeiwachen und in Gefängnissen. Dutzende ranghohe NSS-Beamte wurden bereits nach Deutschland eingeladen, um sie dort in der Bekämpfung des „Terrorismus und Extremismus“ zu schulen. Gelehrt werden etwa Überwachungstechniken für das Internet – die Leidtragenden werden gewaltfreie Oppositionelle und regimekritische Journalisten in Ägypten sein, die ebenfalls im Fokus des NSS stehen. Einer der Kooperationspartner deutscher Polizeibehörden wird die ägyptische Stadionpolizei sein, die für das Massaker in einem Fußballstadion in Port Said im Jahr 2012 verantwortlich ist, bei dem über 70 Menschen getötet wurden. Zukünftig soll die Bundespolizei dieser Mördertruppe Fortbildungen geben. Das ist doch ungeheuerlich! Die Bundesregierung wäre gut darin beraten, das Militärregime zu ächten, anstatt mit den Generälen zu kollaborieren. In einer gerade laufenden Petition von Ägyptern gegen dieses Sicherheitsabkommen heißt es: „Unterstützung benötigen wir bei der Aufarbeitung von Verbrechen der ägyptischen Regierungen der vergangenen Jahrzehnte und nicht beim Verüben von neuen Verbrechen durch Polizei, Geheimdienste und Militär von el-Sisi.“ Dem kann sich die Linke nur anschließen. Ganz so dramatisch wie in Ägypten ist die Lage zwar in Tunesien nicht. Doch auch dort herrscht seit November 2015 der Ausnahmezustand im Kampf gegen islamistische Terrorgruppen. Ein Ende Februar von Amnesty International vorgelegter Bericht über „Menschenrechtsverletzungen unter dem Ausnahmezustand“ beklagt willkürliche Verhaftungen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Verdächtigen, Repression gegen Angehörige von Terrorismusverdächtigen. Konkret benennt der Amnesty-Bericht 23 Fälle von Folter, Misshandlungen und Vergewaltigung durch Sicherheitskräfte. Für den Bereich der Strafverfolgung reichen die bestehenden gesetzlichen Regelungen mit Tunesien völlig aus. Doch darüber hinaus soll das Abkommen eine Grundlage für den Austausch von Informationen im Bereich der Verhütung von Straftaten bei vielen verschiedenen Kriminalitätsbereichen schaffen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen sind zwar vorgesehen. Doch ob diese wirklich konsequent eingehalten werden, ist zu bezweifeln, da keine wirksamen Mechanismen gegen den Missbrauch von Informationen durch die tunesischen Sicherheitskräfte vorgesehen sind. Die Intention der Bundesregierung, Fluchtbewegungen aus Tunesien durch den Erhalt und Ausbau innenpolitischer Stabilität in dem nordafrikanischen Land zu begegnen, ist nachvollziehbar. Wenn eine solche Stabilität aber vor allem auf einem repressiven Apparat lastet, werden damit nicht Fluchtursachen bekämpft, sondern erst geschaffen. Dass die Bundesregierung zugleich darauf drängt, sogenannte islamistische Gefährder, die sich häufig erst in Europa radikalisiert haben, schneller und unbürokratischer nach Tunesien abzuschieben, führt die Sicherheitszusammenarbeit geradezu ad absurdum. Denn schon jetzt gibt es in Tunesien Demonstrationen, die von der Regierung fordern, dschihadistischen Kämpfern die Rückkehr zu verweigern. Die junge tunesische Demokratie verdient jede Unterstützung. Doch durch das Sicherheitsabkommen würden gerade die autoritären, willkürlichen und nicht rechtsstaatlichen Strukturen gestärkt. Und das lehnt die Linke ab. Was wir brauchen, ist eine ernsthafte Bekämpfung von Fluchtursachen. Dazu gehört auch eine Stabilisierung der Staaten in Nordafrika durch wirtschaftliche und infrastrukturelle Förderung. Doch wer Militärdiktaturen und autoritäre Regimes als Türsteher der Festung Europas einspannt und dafür zu Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern schweigt, trägt nur zu weiteren Fluchtgründen bei. Das hat uns der Flüchtlingspakt mit der Türkei gezeigt. Und das wird mit Ägypten oder Tunesien nicht anders sein. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung plant erneut, mit zwei Staaten Sicherheitsabkommen zu schließen, in denen die menschenrechtliche Lage problematisch ist. Besonders mit Ägypten steht ein Land zur Debatte, in dem mit staatlicher Beteiligung systematische Menschenrechtsverletzungen wie Folter, willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen sowie Unterdrückung der Opposition oder die Anwendung der Todesstrafe alltäglich sind. Es ist daher dringendst geboten, klarzustellen, ob und unter welchen Voraussetzungen Deutschland Sicherheitsabkommen mit Staaten schließen sollte und mit welchen Staaten wir gar nicht zusammenarbeiten sollten. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich, aber es macht einen großen Unterschied, mit welchen Ländern die Bundesrepublik zusammenarbeitet und welche Sicherheitsbehörden sie damit legitimiert und unterstützt. Die Bundesregierung sieht das offenkundig anders: Sie hält daran fest, immer wieder die gleichen Textbausteine für die Abkommen zu verwenden. Dieser Standardtext enthält aber keine verbindlichen und überprüfbaren Bedingungen bezüglich der Achtung der Menschenrechte oder Rechtsstaatsprinzipien. Solange die Bundesregierung nicht bereit ist, Sicherheitszusammenarbeit neu zu gestalten und in den Abkommen die Staaten in konkreten verbindlichen Klauseln zur Einhaltung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Standards zu verpflichten, können wir einer solchen Zusammenarbeit nicht zustimmen. Unsere Fraktion hat das bereits Ende 2014 in einem Antrag gefordert, doch die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag weiter ab. Zwar ist die Präambel des Gesetzentwurfs, nach der die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ägypten unter Beachtung von Grund- und Menschenrechten zu erfolgen habe, begrüßenswert, aber die bloße Erwähnung von Menschenrechten im Text reicht bei weitem nicht. Es müssen überprüfbare menschenrechtliche Standards und deren Kontrollen vereinbart werden. Dafür braucht es klare Definitionen und eine Exit-Option bei Nichteinhaltung. Das alles fehlt völlig. Der Bundestag ist während der Verhandlungsphase der Abkommen wieder nicht ausreichend über die verhandelten Punkte informiert worden. Wieder gibt es keine Pflicht der Bundesregierung, dem Bundestag Berichte über die Tätigkeiten und Erfahrungen der Verbindungsbeamten vorzulegen. Wir fordern erneut, dass anhand klarer und vorab verbindlich festgelegter Kriterien über Fort- oder Rückschritte im Bereich der Menschenrechte und der Korruptionsbekämpfung in den jeweiligen Kooperationsländern berichtet werden muss. Anhaltend negative Ergebnisse müssen zu einer Aussetzung oder Beendigung des Sicherheitsabkommens führen. Im April 2016 haben wir die Bundesregierung gefragt, ob jemals ein geplantes Sicherheitsabkommen aufgrund einer bedenklichen Menschenrechtslage nicht abgeschlossen wurde. Es gab keinen einzigen Fall. Das ist eine erschütternde Bilanz. Das bedeutet, dass nicht mal eine desaströse menschenrechtliche Lage wie in Saudi-Arabien Grund genug ist, um auf ein solches Abkommen zu verzichten. Desaströs ist auch die Lage in Ägypten. Zum Beispiel wurde diese Woche ein Video in sozialen Netzwerken veröffentlicht, das sowohl Amnesty International als auch die New York Times für authentisch halten, das zeigte, wie Mitglieder des ägyptischen Militärs im November 2016 im Norden der Sinai-Halbinsel mehrere unbewaffnete auf dem Boden liegende Gefangen erschießen. Danach platzieren die Soldaten Waffen neben den Toten und filmen sie für ein Propagandavideo der ägyptischen Armee. Ein weiteres Beispiel ist der Fall des gefolterten und ermordeten italienischen Studenten Giulio Regeni, der international für Empörung gesorgt hat, in dem vieles auf eine Verstrickung der ägyptischen Behörden hindeutet. Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International dokumentieren seit Jahren Fälle von Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen. Wir wissen, dass der NSS fürchterlich foltert. Selbst Mitarbeiter des Bundeskriminalamts haben größte Bedenken geäußert, die Sicherheitspartnerschaft mit Ägypten weiter fortzusetzen oder zu intensivieren. Letzten Monat hat Ägyptens höchstes Berufungsgericht zehn Todesurteile gegen Fußball-Ultras bestätigt, die an den Ausschreitungen in Port Said beteiligt gewesen sein sollen. In den letzten Jahren ergingen gegen Hunderte Personen – nach übereinstimmend als grob unfair bezeichneten Gerichtsverfahren – Gefängnisstrafen oder Todesurteile. Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit werden immer stärker eingeschränkt. Die Bundesregierung selbst antwortete auf die Kleine Anfrage 2016, „dass bei Bekanntwerden von Menschenrechtsverletzungen sowie bei Nichteinhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze die polizeiliche Zusammenarbeit mit diesen Staaten reduziert beziehungsweise komplett eingestellt wird“. Was muss denn noch aus Ägypten bekannt werden, damit die Bundesregierung endlich die Zusammenarbeit einstellt? Es ist mit diesen Kooperationsabkommen einfach nicht sichergestellt, dass die Ausbildung, das Know-how und die Ausrüstung nicht für solche schweren Straftaten und Menschenrechtsverletzung, wie ich sie beschrieben habe, genutzt werden. Wer glaubt, mit solchen Sicherheitsbehörden ein Kooperationsabkommen schließen zu können, ohne sich für die gravierenden Menschenrechtsverletzungen möglicherweise mitverantwortlich zu machen, täuscht sich entweder selbst oder die Bevölkerung und den Bundestag. Bei der momentanen Lage in Ägypten kann niemand, der Menschenrechten Geltung verleihen will, die ägyptischen Behörden ausbilden, unterstützen und ausrüsten wollen. Daher lehnen wir die Sicherheitsabkommen mit Ägypten und Tunesien ab. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters (Tagesordnungspunkt 35) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Einführung eines bundesweiten Wettbewerbsregisters. Ich begrüße den Entwurf ausdrücklich. Warum brauchen wir dieses Gesetz? Weil es der letzte Baustein der umfassenden Modernisierung des Vergaberechts in dieser Legislaturperiode ist und für einen fairen Wettbewerb sorgt. Bund, Länder und Kommunen vergeben jährlich Aufträge im Wert von über 300 Milliarden Euro an private Unternehmen. Ein Wettbewerbsregister, in das bestimmte rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen oder Strafbefehle und Bußgeldentscheidungen eingetragen werden, hilft, einen fairen Wettbewerb sicherzustellen. Schon vor einem Jahr haben wir das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz und die Vergaberechtsmodernisierungsverordnung im Deutschen Bundestag verabschiedet und damit den Wettbewerb um öffentliche Aufträge gestärkt. Vergabeverfahren sind nun deutlich effizienter, einfacher und flexibler. Kleine und mittlere Unternehmen können leichter an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen. Hintergrund der Reform waren Vorgaben aus Brüssel: das EU-Richtlinien-Paket zur Modernisierung des Vergaberechts, das bis April 2016 umgesetzt werden musste. Erklärtes Ziel der Vergaberechtsmodernisierung ist, Wettbewerb und Transparenz der öffentlichen Auftragsvergabe zu stärken. Genau dafür ist das bundesweite Wettbewerbsregister, das wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einrichten, ein wichtiges weiteres Instrument. Mit ihm ermöglichen wir öffentlichen Auftraggebern, schwarze Schafe einfacher als bisher von öffentlichen Vergaben auszuschließen. Dabei gehen wir mit Augenmaß vor. Bereits im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen ist es uns gelungen, in guter Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Koalitionspartner die Weichen so zu stellen, dass ein praktikables Gesetz dabei herauskommt: Öffentliche Auftraggeber werden ab einem Auftragswert von 30 000 Euro verpflichtet, vor Erteilung des Zuschlags auf das von ihnen ausgewählte wirtschaftlichste Angebot beim Register nachzufragen, ob das Unternehmen, das den Auftrag erhalten soll, eingetragen ist. Nach Ablauf bestimmter Fristen sind eingetragene Unternehmen aus dem Register zu löschen. Außerdem erhalten öffentliche Auftraggeber eine Abfragemöglichkeit für Aufträge unterhalb von 30 000 Euro. Das Gesetz regelt in einem abschließenden Katalog die zur Eintragung führenden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten – rechtskräftige Verurteilungen, Strafbefehle oder bestandskräftige Bußgeldentscheidungen, zum Beispiel wegen Bestechung, Geldwäsche und Betrug, Vorenthalten von Sozialabgaben, Steuerhinterziehung, Kartellrechtsverstöße, u.a. Der Katalog enthält Straftaten, die vergaberechtlich zwingende Ausschlussgründe darstellen, sowie nicht zwingende Ausschlussgründe, die die Vergabestellen bisher im Gewerbezentralregister abfragen mussten. Die Unternehmen werden vor der Eintragung informiert und können Einwände erheben. Das Bundekartellamt, das bereits die Zuständigkeit für die Vergabekammern hat, wird als Registerbehörde benannt. Wir schaffen somit Synergien und stellen sicher, dass die Führung des Wettbewerbsregisters in kompetenten Händen liegt. Das Bundeskartellamt als registerführende Behörde soll außerdem Leitlinien für die Selbstreinigung erarbeiten. Unternehmen haben zudem die Möglichkeit, nach erfolgter Selbstreinigung – also insbesondere nach Umsetzung der erforderlichen Compliance-Maßnahmen – einen Antrag auf vorzeitige Löschung aus dem Register zu stellen. Für die vorzeitige Löschung sollen den Unternehmen aber nur die zur Deckung des Verwaltungsaufwands unbedingt notwendigen Kosten auferlegt werden, wir wollen keine Sanktionierung durch die Hintertür. Mit der Einführung eines Wettbewerbsregisters auf Bundesebene entfallen gleichzeitig die Länderregister, sodass es keine unterschiedlichen Eintragungsvoraussetzungen mehr geben wird. Für Auftraggeber und betroffene Unternehmen wird dadurch mehr Transparenz und Rechtssicherheit geschaffen. Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Prüfung der Übermittlungsvoraussetzungen im Hinblick über die Zurechnung der Handlungen des strafrechtlich Verantwortlichen auf das Unternehmen wird eindeutig verankert. Darüber hinaus verankern wir Ermittlungsbefugnisse für die Registerbehörde – etwa Zeugenbefragung u. a. – im Hinblick auf die von einem eingetragenen Unternehmen durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen im Gesetz, für den Fall, dass das Unternehmen die Löschung der Eintragung wegen Selbstreinigung beantragt. Wichtig ist uns dabei: Einen automatischen Ausschluss der Unternehmen von öffentlichen Aufträgen wird es nicht geben. Die öffentlichen Auftraggeber entscheiden eigenverantwortlich beziehungsweise nach Maßgabe der Regelungen des Vergaberechts, ob sie ein eingetragenes Unternehmen von der Vergabe ausschließen. Die Vorteile eines bundesweiten Registers liegen auf der Hand: Für öffentliche Auftraggeber wird es bedeutend einfacher, wenn sie sich nur noch an eine einzige Stelle wenden müssen, um Informationen über die Unternehmen einzuholen. Auch für die Unternehmen ist ein bundesweites Register von Vorteil: Unterschiedliche Behandlungen durch unterschiedliche Eintragsvoraussetzungen in den Bundesländern entfallen. Wie wichtig das Vergaberecht für die Wirtschaft und die öffentlichen Auftraggeber ist, haben bereits die intensiven Beratungen zur Modernisierung des Vergaberechts im vergangenen Jahr gezeigt. Mit diesem wichtigen letzten Baustein vervollständigen wir die neuen Regelungen, mit denen wir mehr Transparenz und fairen Wettbewerb bei der öffentlichen Auftragsvergabe erreichen wollen. Schwarze Schafe werden es künftig schwerer haben, an öffentliche Aufträge zu kommen. Dies stärkt diejenigen Unternehmen, die sich rechtskonform und fair verhalten. In den anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir darauf achten, dass das Wettbewerbsregister nicht doch noch zu einer politischen Spielwiese wird. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung. Marcus Held (SPD): Nach der erfolgreichen Vergaberechtsreform im Jahr 2016, bei der wir als Deutscher Bundestag mit Zustimmung der Bundesländer auch die Möglichkeiten zum Ausschluss von Unternehmen von Vergabeverfahren erstmals auf gesetzlicher Ebene im GWB geregelt haben, behandeln wir heute in erster Lesung nun die Einführung eines sogenannten Wettbewerbsregisters, mit welchem wir die soeben genannte Möglichkeit in ein praktikables Gesetz für die öffentliche Hand umsetzen. Mit der Einführung dieses Wettbewerbsregisters wird Deutschland in der Europäischen Union Vorreiter in Sachen Korruptionsprävention im öffentlichen Auftragswesen. Damit werden wir schwarzen Schafen das Handwerk legen. Für uns als SPD war dieses bundeseinheitliche Wettbewerbsregister seit Jahren ein wichtiges Anliegen. Zwar gibt es schon in einigen Bundesländern solche schwarzen Listen, jedoch werden diese nur im jeweiligen Bundesland geführt und reichen daher nicht aus. Ich bin deswegen sehr dafür, dass nach der Einführung des Wettbewerbsregisters auf Bundesebene alle bestehenden Landesregister wegfallen. Denn nur ein einheitliches Bundesregister kann auch die dementsprechende Wirkung auf schwarze Schafe vollumfänglich entfalten. Aber wenn ich mir beispielsweise das Landesregister in Baden-Württemberg anschaue, wo überhaupt kein Unternehmen eingetragen ist, sollte das auch problemlos möglich sein. Und obendrauf gibt es noch eine wesentliche Bürokratieentlastung. Zudem plädiere ich dafür, dass die Bundesländer ebenso noch einmal über ihre Landesvergabegesetze nachdenken – derzeit sind es ja noch 14 – und die Möglichkeit des neuen modernen Vergabegesetzes, was wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern im Jahr 2016 umfassend reformiert haben, nutzen. Auch hier würde es dann zu einer wesentlichen Bürokratieentlastung kommen. Wir haben uns innerhalb der Koalition auch verständigt, dass das Bundeskartellamt die Führung dieses Bundesregisters künftig übernehmen soll. Bestechung, Terrorismusfinanzierung, Geldwäsche, Betrug zulasten öffentlicher Haushalte und zulasten des Haushalts der EU, Steuerhinterziehung, Kartellrechtsverstöße, Schwarzarbeit und Verstöße gegen das Mindestlohngesetz, all das werden zukünftig Ausschlussgründe für kriminelle Unternehmen bei einer öffentlichen Auftragsvergabe sein. Rechtskräftige Verurteilungen von Unternehmen oder gegen diese verhängten Bußgeldbescheide bei den eben dargestellten Ausschlussgründen sollen künftig in dieses Wettbewerbsregister eingetragen werden. Für öffentliche Auftraggeber wird dies zukünftig bei Vergabeverfahren sofort ersichtlich. Denn jährlich vergeben Bund, Länder und Kommunen Aufträge im Wert von 300 Milliarden Euro. Damit stärken wir Unternehmen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Wichtig ist es mir auch, zu betonen, dass eingetragene Straftaten nach Ablauf von fünf Jahren, Eintragen von Bußgeldentscheidungen spätestens nach Ablauf von drei Jahren ab dem Tag der Rechts- oder Bestandskraft der Entscheidung gelöscht werden. Ebenso wird in § 8 eine vorzeitige Löschung der Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung geregelt. Ich freue mich auf die vor uns stehende Zusammenarbeit in der Koalition zu diesem Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren, insbesondere mit meinen beiden Unionskolleginnen Frau Dr. Gundelach und Frau Lanzinger, mit denen ich auch schon bei der Vergaberechtsreform hervorragend zusammengearbeitet habe. Wir sollten dieses wichtige Gesetz schnellstmöglich auf den Weg bringen, damit die Registerbehörde auch schnell ihre Arbeit aufnehmen kann. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Linke begrüßt die Einführung von Maßnahmen, die die Korruption großer Konzerne verhindern und die Bürgerinnen und Bürger vor den weitreichenden Auswirkungen von Wirtschaftskriminalität schützen. Korruption schädigt die gesamte Gesellschaft, und es ist gut, wenn die Bundesregierung hier Maßnahmen ergreifen will. Unternehmen, die hier Rechtsverstöße begangen haben, sollten weder von öffentlichen Aufträgen und noch Konzessionen profitieren. Wer sich der Korruption schuldig gemacht hat, hat bereits vom Steuerzahler gestohlen und sollte nicht weiter an ihm verdienen dürfen. Die Einführung eines Wettbewerbsregisters, anhand dessen öffentliche Stellen vor der Auftragsvergabe unsaubere Unternehmen aussortieren können, wäre für diesen Zweck ein geeignetes Mittel. Allerdings wählt die Bundesregierung wie im Umgang mit Wirtschaftskriminalität mal wieder die mildeste Umsetzung. Schon nach drei beziehungsweise fünf Jahren soll eine Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wieder gelöscht werden. Dieser Zeitraum ist inakzeptabel kurz und dürfte auch seine abschreckende Wirkung verfehlen. Darüber hinaus können Unternehmen eine vorzeitige Löschung beantragen, wenn sie daran ein berechtigtes Interesse nachweisen. Sinn und Zweck von Wirtschaftsunternehmen ist das Erzielen von Profit, und eine Eintragung im Wettbewerbsregister schmälert die Profitaussichten. Also haben alle Unternehmen per Definition ein sogenanntes berechtigtes Interesse. Zusätzlich sollen Maßnahmen einer sogenannten Selbstreinigung nachgewiesen werden. Doch dazu verlassen sich die Kartellbehörden nicht auf eigene Kontrollen, sondern akzeptieren Gutachten als Nachweis. Auch das halte ich für völlig unzureichend. Weiter weist der Gesetzentwurf Schlupflöcher zur Umgehung negativer Konsequenzen eines Eintrages im Wettbewerbsregister auf, die groß wie Scheunentore sind. Tochterunternehmen beispielsweise werden nur erfasst, wenn der obersten Leitungsebene des Mutterkonzerns ein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann. Es ist absehbar, dass Konzernleitungen ihre Vergehen noch stärker auf einzelne Mitarbeiter abwälzen werden. Aus- und Neugründungen von Tochterunternehmen werden die Regel zur Umgehung eines Registereintrages werden. Wieder einmal vergibt die Bundesregierung in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Wirtschaft eine Chance zur wirklichen Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Wenn das Gesetz in den Ausschussberatungen nicht noch deutlich verschärft wird, kann die Linke hier nicht zustimmen. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen die Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Schaffung eines bundesweit einheitlichen Wettbewerbsregisters. Dieser Schritt ist richtig. Viel zu lange war der Grundsatz, wonach Unternehmen, die gegen bestehendes Recht verstoßen, keine öffentlichen Aufträge bekommen dürfen, in der Praxis reine Makulatur. Er ist aber auch längst überfällig. Denn die Diskussion um ein bundeseinheitliches Wettbewerbsregister ist leider keinesfalls neu. Schon seit fünfzehn Jahren gab es immer wieder Versuche, eine für ganz Deutschland einheitliche Gesetzgebung zu schaffen und damit ein wirksames Instrument zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität. Seit 2002 gab es dazu schon vier Versuche, die allesamt am Widerstand aus der CDU und CSU gescheitert sind. Dass es mittlerweile in zehn Bundesländern eigene Wettbewerbsregister gibt, liegt deshalb auch an dieser absolut unverständlichen Blockadehaltung der Union. Umso mehr freut es mich, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und CSU, endlich eingesehen haben, dass so eine Blockade unsinnig ist und der Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität im Weg steht. Denn wir alle wissen doch: Fairer Wettbewerb ist ein Eckpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft. Fairen Wettbewerb kann es aber nur geben, wenn sich alle Wettbewerber an die gleichen Regeln halten – und wenn diejenigen, die das nicht tun, für ihr Fehlverhalten auch bestraft werden. Bleibt eine solche Bestrafung aus, schafft das Anreize für Fehlverhalten, für Betrug und Korruption. Und um nichts anderes geht es bei der Schaffung von Wettbewerbsregistern. Wir wollen die öffentliche Hand in die Lage versetzen, gegen solche Straftaten konsequent vorzugehen und öffentliche Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die sich an die Spielregeln konsequent halten. Erfreulicherweise könnte der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf diese Ziele durchaus erreichen. Allerdings muss ich auch Wasser in den Wein gießen. Denn an einer Reihe von Punkten tun Sie viel zu wenig, um den Vergabestellen das richtige Rüstzeug für eine erfolgreiche Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität zu gewährleisten. Das sehen wir zum Beispiel bei der Frage der Tatbestände, die laut Gesetzentwurf ins Register eingetragen werden müssen. Hier rächt sich Ihre unzureichende Arbeit bei der GWB-Novelle. Denn § 124 GWB folgend, geht es hier eben nur um Verstöße, die in Deutschland oder in der EU begangen wurden. Wenn ein Unternehmen aber an anderer Stelle etwa in der Lieferkette gegen internationale Bestimmungen verstößt, führt das nicht zu einer Eintragung. Das ist nicht nachvollziehbar, hier besteht Nachholbedarf. Überhaupt stellen Experten fest, dass die Eintragungsvoraussetzungen im Gesetzentwurf zu hoch sind. So würde das Register hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben und Korruption nur ineffektiv bekämpfen. Transparency International hat etwa richtigerweise darauf hingewiesen, dass es unangemessen und sachwidrig ist, nur solche Unternehmen einzutragen, die rechtskräftig verurteilt worden sind. Dabei verweisen die Experten von Transparancy International auch auf die in Nordrhein-Westfalen bestehenden Regelungen zur Korruptionsbekämpfung, die diesem Problem effektiv begegnen. An dieser Stelle sollten Sie ebenfalls nachbessern. Insgesamt bleibt dennoch ein durchaus positiver Gesamteindruck. Der Gesetzentwurf kann einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität leisten, und eine bundeseinheitliche Regelung wäre für alle Vergabestellen von Kiel bis Konstanz eine große Erleichterung. Die genannten Kritikpunkte sollten Sie allerdings dringend aufgreifen, denn ansonsten vergeben Sie eine wichtige Chance. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote – 37. BImSchV) (Tagesordnungspunkt 36) Oliver Grundmann (CDU/CSU): „Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.” Das schrieb der französische Schriftsteller Jules Verne 1874 in seinem berühmten Roman Die geheimnisvolle Insel. 2011 war es Daimler-Chef Dieter Zetsche, der bei einem Auftritt enthusiastisch rief: „Wasserstoff ist das neue Öl.“ Nun, diese Vision hat sich noch nicht bewahrheitet. Was nicht heißt, dass wir nicht versuchen, das zu ändern! Und die Energie aus Wasserstoff und Sauerstoff könnte hier durchaus eine wichtige Rolle spielen. Eine Ausweitung des sogenannten Quotenhandels auf strombasierte Kraftstoffe, insbesondere auf Kraftstoffe aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff, ist in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene intensiv diskutiert worden und schließlich in der EU-Richtlinie 2015/652 des Rates vom 20. April 2015 verankert worden. Die vorliegende Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote dient der Umsetzung dieser EU-rechtlichen Vorgaben. Diese Vorgaben werden eins zu eins in nationales Recht umgesetzt. Mit der 37. BImSchV wird unter anderem geregelt, dass strombasierte Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien im Sinne des EEG auf die Biokraftstoffquote angerechnet werden können. Nicht angerechnet werden darf Energie aus Biomasse einschließlich Biogas, Biomethan, Deponiegas und Klärgas sowie aus biogenen Abfällen aus Haushalten und Industrie. Die Mineralölwirtschaft wird gemäß Bundes-Immissionsschutzgesetz verpflichtet, die Treibhausgasemissionen – bezogen auf die jährliche Gesamtabsatzmenge an Otto- und Dieselkraftstoff (einschließlich des Biokraftstoffanteils) – durch das Inverkehrbringen von Biokraftstoffen zu senken. Die jeweilige Treibhausgaseinsparung ist prozentual festgelegt und steigt in den nächsten Kalenderjahren. Die durch Elektrolyse hergestellten strombasierten Kraftstoffe Wasserstoff und Methan, die mit erneuerbarem Strom nichtbiogenen Ursprungs hergestellt wurden, können künftig auf die seit 2015 in Deutschland geltende Treibhausgasquote angerechnet werden. Da Elektrolyse einen hohen Energiebedarf aufweist, soll dieser Kraftstoff nur dann auf die Treibhausgasemissionen angerechnet werden können, wenn der Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen stammt. Hierfür werden zwei Wege geöffnet, entweder eine direkte Kopplung einer Elektrolyseanlage mit einer Erneuerbare-Energien-Anlage oder die Entnahme des Stroms aus dem Stromnetz (sogenannte netzentkoppelte Anlagen) für die Elektrolyse. Für Letzteres werden Bedingungen festgelegt, damit auch sichergestellt ist, dass nur EEG-Überschussstrom verwendet wird. Bei mitverarbeiteten biogenen Ölen werden Pflanzenöle dergestalt verarbeitet, dass sie bestimmte Eigenschaften wie Temperaturfestigkeit aufweisen. Damit können sie direkt in der Raffinerie als Bestandteil des Kraftstoffs verarbeitet werden. Ich möchte betonen: Es ist richtig, erneuerbare Energie auch für den Kraftstoffbereich zu nutzen. Es ist auch richtig, damit den Einsatz von landwirtschaftlichen Primärrohstoffen mit den Nutzungskonkurrenzen und Nachhaltigkeitsproblemen durch die Anrechenbarkeit von Biomethan und Wasserstoff zu reduzieren. Die hier getroffenen Einschränkungen sind aus umweltpolitischer Sicht sinnvoll und tragen zur Akzeptanz der strombasierten Kraftstoffe bei. Ressourcen effizient zu nutzen, ist extrem wichtig. Ich hatte es eingangs erwähnt: „Wasserstoff ist das neue Öl“. Hier können wir den Verbrauch der kostbaren Ressource Erdöl vermeiden. Und gerade im Bereich Windwasserstoff sehe ich riesige ungenutzte Potenziale. Überschussstrom einer sinnvollen Verwendung zuführen, dafür setze ich mich mit aller Kraft ein. Im Norden Deutschlands, insbesondere in der Elbe-Weser-Region vor den Toren Hamburgs, haben wir die allerbesten Voraussetzungen: Wir haben Windstrom im Überfluss, das nötige Know-how für die Umwandlung in Windwasserstoff, natürliche unterirdische Kavernen zur Speicherung – und wir haben mit der Metropolregion Hamburg den idealen Abnehmer. Die Hansestadt will ihren Busliniennahverkehr in den nächsten Jahren auf wasserstoffbasierte Antriebstechniken umstellen. Zusammen mit Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann möchte ich hier eine fortschrittliche Wind-Wasserstoff-Modellregion entwickeln. Und hier können wir auch von anderen Ländern lernen. Gemeinsam mit meinem geschätzten SPD-Kollegen Andreas Rimkus, ebenfalls ein großer Befürworter der Wasserstofftechnologie, habe ich mir in Japan die großen Zukunftsfelder in diesem Bereich angesehen. Wir haben festgestellt, dass wir hier ordentlich in die Riemen greifen müssen, um mit den Japanern mitzuhalten. Die Aufholjagd beginnt. Und ich bin mir sicher: Wenn wir dieses Ziel fest vor Augen halten, fraktionsübergreifend zusammenstehen und auch Geld für Investitionen und Forschung in die Hand nehmen, dann können wir für unsere deutsche Wirtschaft und für unsere Umwelt ganz viel rausholen. Wer wissen will, was heute technisch möglich und vielleicht schon morgen Alltag ist, sollte nach Niedersachsen reisen: Gerade in dieser Woche gilt bei der Hannover Messe das Motto „Get new technology first“. Das ist etwas, das auch meine Arbeit im Wahlkreis Stade – Rotenburg immer wieder beflügelt: Forschung, Wissenschaft, neue Erkenntnisse – das sind wichtige Treiber. Wir wollen ja unseren hohen Lebensstandard erhalten. Wir schaffen das, indem wir innovativer sind als andere. Deshalb müssen wir auch immer wieder aufs Neue die richtige Balance von Chancen und Risiken finden, und bürokratische Hemmnisse abbauen, um voranzukommen. Gestatten Sie mir daher an dieser Stelle noch einen Appell an die Bundesregierung bezüglich der 38. BImSchV, also die direkt anstehende neue Verordnung zur Festlegung weiterer Bestimmungen zur Treibhausgasminderung bei Kraftstoffen. Ich möchte ausdrücklich anmahnen, dass diese Verordnung jetzt ebenfalls schnell auf den Weg gebracht werden muss, gerade um den Unternehmen wichtige Planungssicherheit zu geben. Die 37. BImSchV hat aus meiner Sicht das Potenzial für eine ressourcenschonende Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Reduzierung von Ressourcenimporten kann die Kosten der Energiewende reduzieren sowie Industrie und Haushalte entlasten. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt daher der 37. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu. In diesem Sinne danke ich abschließend den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesumweltministeriums, der Kollegin Ulli Nissen als SPD-Berichterstatterin sowie meinem Kölner Fraktionskollegen Karsten Möring, der als CDU/CSU-Berichterstatter die intensiven detailreichen Verhandlungen in den letzten Monaten erfolgreich geführt hat. Florian Oßner (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf setzen wir einen weiteren Baustein für die Erreichung unseres Klimaschutzzieles. Unternehmen, die Kraftstoffe in den Verkehr bringen, sind seit dem Jahr 2015 verpflichtet, die Treibhausgasemissionen ihrer Kraftstoffe um einen gesetzlich festgelegten Prozentsatz zu mindern. Man spricht hierbei von der sogenannten Treibhausgasquote. Innerhalb dieser Quote werden Biokraftstoffe, die eine günstigere Klimabilanz aufweisen, höher angerechnet als Biokraftstoffe mit einer ungünstigeren Bilanz. Als wir diese Quote eingeführt haben, wollten wir einen Anreiz zur Nutzung klimaschonender Biokraftstoffe schaffen. Dies hat sich derart bewährt, dass wir uns entschieden haben, die Anrechnung auf die Treibhausgasquote zu erweitern um Wasserstoff aus erneuerbarem Strom, um Methan sowie um mitverarbeitete biogene Öle. Der Einsatz von Biokraftstoffen hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Klimaschutz. Denn ohne Biokraftstoffe müssten mehr fossile Kraftstoffe verbraucht werden, konkret im Jahr 2015 etwa 2,9 Millionen Tonnen Benzin und Diesel mehr. Hier gilt es, besonders unserem Bundesverkehrsminister ein Dankeschön auszusprechen für seine großen Anstrengungen zur Dekarbonisierung der Mobilität; lieber Alexander Dobrindt, herzlichen Dank. Mit Kraftstoffen wie Wasserstoff, Power to Gas oder Power to Liquid, die mit Strom aus erneuerbaren Energien produziert werden und bislang nicht auf die Treibhausgasquote angerechnet wurden, können wir den Verbrauch fossiler Kraftstoffe weiter reduzieren. Auch in meiner Heimatregion Landshut-Kelheim kämpfen wir gemeinsam in einer Wasserstoffinitiative für den Ausbau dieser Technologie. Zudem trägt jede Tonne Biokraftstoff mit 386 Euro zur Bruttowertschöpfung in Deutschland bei. Im Jahr 2015 leisteten sie insgesamt einen Beitrag von 1,3 Milliarden Euro. Mit ihren umfassenden Investitionen im Wirtschaftssektor sichert die Biokraftstoffbranche darüber hinaus schätzungsweise 22 000 Arbeitsplätze, die überwiegend im ländlichen Raum angesiedelt sind. Aufgrund der hohen klimapolitischen und volkswirtschaftlichen Bedeutung von Biokraftstoffen möchte ich die Gelegenheit nutzen, ein paar Worte zu der sich bereits in der Ressortabstimmung befindlichen 38. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu verlieren. Das Bundesumweltministerium beabsichtigt hier nämlich, die energetische Obergrenze für konventionelle Biokraftstoffe auf 5 Prozent herabzusenken. Konventionelle Biokraftstoffe oberhalb der Obergrenze sollen wie fossile Kraftstoffe behandelt werden. Das BMUB möchte damit direkte Landnutzungsänderungen vermeiden, also eine Verlagerung von Nahrungs- und Futtermittelproduktion zu einem Anbau an Rohstoffen für die Biokraftstoffproduktion. Die Herabsetzung der Obergrenze von derzeit 7 auf 5 Prozent ist jedoch hierfür nicht nötig und hinsichtlich der Erreichung unserer Klimaschutzziele völlig kontraproduktiv. Der kürzlich von der Bundesregierung vorgelegte Bericht über die Umsetzung und Effekte der Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung für den Berichtzeitraum 2013/2014 zeigt nämlich, dass mit der derzeit gültigen Obergrenze von 7 Prozent konventioneller Biokraftstoffe eine Verschiebung des Rohstoffanteils zu mehr Rohstoffen aus europäischer Herkunft und zu mehr Abfallstoffen möglich ist. Das Hauptargument für eine Absenkung der Obergrenze auf 5 Prozent ist somit hinfällig. Nur mit konventionellen Biokraftstoffen kann das EU-Ziel zur Steigerung des erneuerbaren Energieanteils im Verkehrsbereich auf 10 Prozent in 2020 erreicht werden. Das im Klimaschutzplan vorgesehene Ziel, die Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich bis 2030 um 40 bis 42 Prozent zu senken, ist nur mit einem signifikanten Beitrag der konventionellen Biokraftstoffe machbar. Deshalb möchte ich hier an die zuständigen Kollegen appellieren, dies bei den weiteren Beratungen für die nächste Verordnung zu berücksichtigen, und bitte jetzt um Zustimmung für den vorliegenden Verordnungsentwurf. Ulli Nissen (SPD): Letzter Punkt auf der heutigen Tagesordnung ist die Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Zunächst geht mein Dank an das BMUB für die gute Zusammenarbeit und vor allem für die gute und konstante Information. Mein Dank geht aber auch an meinen Mitberichterstatter von der Union, Herrn Möring, für die wie immer gute Zusammenarbeit. Wir haben nicht nur mit dem BMUB eine Reihe von Runden über diese Verordnung gedreht, sondern auch mit Interessenvertretern unterschiedlichster Art und auch mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachgebieten. Sehr interessant ist, welche Begehrlichkeiten diese Verordnung dann geweckt hat. Teilweise hatte ich den Eindruck, die THG-Quote ist die Lösung aller Probleme. Vieles ging dann irgendwann auch mal durcheinander. Aber: Die THG-Quote und allen voran die heute diskutierte Verordnung sind leider nicht die Lösung aller Probleme. In der 37. BImSchV geht es um nicht mehr und nicht weniger als das, was da auch steht: die Anrechnung strombasierter Kraftstoffe auf die Treibhausgasquote und die Anrechnung von mitverarbeitenden biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote. Wir haben 2015 die Biokraftstoffquote von einer energischen Quote auf eine Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) umgestellt. Das war mit Blick auf den Klimaschutz ein wichtiger Schritt. Das macht aber auch Verordnungen wie diese nötig, damit EU-rechtliche Vorgaben umgesetzt werden. Mit dieser Verordnung werden für die Quotenverpflichteten – für die Mineralölwirtschaft also – zwei weitere Möglichkeiten geschaffen, die Quote zu erfüllen: Wasserstoff und Methan nicht biogenen Ursprungs können nun auf die THG-Quote angerechnet werden. Wichtig ist, dass die Anrechnung nur möglich ist, wenn der Wasserstoff oder das Methan als Kraftstoff im Fahrzeug eingesetzt wird. Geregelt ist in der Verordnung auch, wo der Strom, der zur Herstellung genutzt wird, herkommen muss. Denn: Sichergestellt werden muss, dass die gesamte Klimabilanz besser ist im Vergleich zu Benzin und Diesel. Das heißt, es muss grüner Strom verwendet werden. Es sind zum einen strombasierte Kraftstoffe aus Anlagen anrechenbar, die nicht netzgekoppelt sind. Das heißt, es besteht eine direkte Verbindung mit Wind-/Photovoltaikanlagen. Im zweiten Fall wird Netzstrom ausschließlich auf Basis von Stromüberschüssen verwendet. Auch hier legt die Verordnung fest, welche Bedingungen erfüllt werden müssen. Die Verordnung legt auch fest, dass biogene Öle, die im raffinerietechnischen Verfahren gemeinsam mit mineralölstämmigen Ölen hydriert worden sind, angerechnet werden können. Dieses sogenannte Co-Processing ist in der 37. BImSchV bis 2020 begrenzt. Eine dauerhafte Anrechnung dieser Kraftstoffe ist EU-rechtlich auch nicht erforderlich. Wir könnten es über 2020 hinaus fortführen, müssen es aber nicht. Denn wir haben gute Gründe, warum wir es zeitlich begrenzt haben. Hier geht mein Blick auch ganz bewusst zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die im Ausschuss vermuteten, wir wüssten nicht, was wir mit dem Co-Processing täten. Ihr könnt sicher sein: Das tun wir. Aus guten Gründen begrenzen wir das Co-Processing bis 2020. Denn die Gefahr ist groß, dass sonst ein Anreiz gesetzt wird, der nicht gewollt ist, nämlich verstärkt Palmöl zu importieren und einzusetzen. Und das ist etwas, was wir auf keinen Fall wollen – wir wollen nicht mehr Palmöl vertanken. Wir wollen nicht die Nachfrage nach Palmöl noch zusätzlich durch den Biokraftstoffsektor anheizen und verstärken. Das wollen wir genauso wenig wie ihr, und deshalb ist die Anrechenbarkeit begrenzt bis 2020. Damit setzen wir keinen Anreiz, sondern im Gegenteil – wir setzen eher einen „Anti-Anreiz“. Was in dieser Verordnung nicht geregelt wird und auch nicht geregelt werden kann, ist jedoch: die Klimawende im Verkehr und den Beitrag des Verkehrssektors zur Erreichung der Klimaziele entscheidend voranzubringen. Das ist nicht die Stellschraube hierfür. Aber wir alle wissen, dass hier noch viel geschehen muss. Wir haben heute in der Aktuellen Stunden erneut über die Abgasproblematik gesprochen, und auch da wird nur wieder deutlich, wie hoch die tatsächliche Schadstoffbelastung durch Diesel-Pkw ist. Für den Klimaschutz, aber auch für den Umweltschutz und vor allem den Schutz der Gesundheit müssen wir endlich einmal eine emissionsarme, ja emissionsfreie Verkehrswende entscheidend vorantreiben. Die THG-Quote kann einen Beitrag dazu leisten. Bei der 37. Bundes-Immissionsschutzverordnung geht es heute lediglich um zwei weitere Optionen, um die THG-Quote zu erfüllen. Und die THG-Quote ist auch nicht nach oben unbegrenzt, sondern eine Quote. Das heißt, wir sparen durch die 37. BImSchV nicht mehr Emissionen ein, sondern andere Kraftstoffe erbringen die Einsparungen. Die Verordnung befasst sich auch nicht mit dem Thema Einsparungen im Raffineriebetrieb. Auch hier gab es Begehrlichkeiten. Die Verordnung befasst sich auch nicht mit dem Thema Upstream-Emissionen, also mit den Treibhausgasemissionen, die entstanden sind, bevor der Rohstoff in eine Raffinerie kommt. Dieses Thema der UER wird BMUB und uns noch beschäftigen. Aber dies passiert nicht heute und nicht mit dieser Verordnung. Klar ist aber in diesem Zusammenhang eins: Emissionsminderungen in der Raffinerie selber können nicht angerechnet werden. Das gibt die EU-Richtlinie nicht her. Wir sollten diese Verordnung also als das sehen, was sie ist: Methan und Wasserstoff, die als Kraftstoff verwendet werden, können angerechnet werden. Das ist gut für den grünen Wasserstoff und nicht schlecht für ihn. Grundsätzlich möchte ich BMUB aber bitten und auffordern, gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium, das bei den Energiethemen federführend ist, sich dem Thema grüner Wasserstoff anzunehmen. Und mit „annehmen“ meine ich, sich tatsächliche Förderkulissen zu überlegen, die diese Technologie voranbringen können. Denn daran sollten wir gemeinsam arbeiten – und das ist das gemeinsame Interesse der Umweltpolitiker, der Wirtschafts- und der Verkehrspolitiker. Wir müssen mehr machen und innovativer werden, um unsere Klimaziele zu erreichen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Verordnung soll aus Ökostrom hergestellte synthetische Kraftstoffe anrechenbar machen auf die seit dem Jahr 2015 im Kraftstoffsektor geltende Treibhausgasquote. Das klingt zunächst logisch, weil solcherart Kraftstoff nicht fossilen Ursprungs ist, sondern letztlich auf Ökostrom basiert. Leider hat die Sache einen Haken. Denn strombasierte Kraftstoffe sind nur extrem aufwendig herstellbar. Da macht uns die Physik einfach einen Strich durch die Rechnung. Ich zitiere einmal zwei relevante Studien: Erstens. Das „Klimaschutzszenario 2050“ im Auftrag des BMUB kommt auf Seite 213 zu dem Ergebnis: „Die Herstellung stromgenerierter Kraftstoffe ist mit hohen Wirkungsgradverlusten verbunden … Vergleicht man die Verbrennung stromgenerierter Kraftstoffe in einem Verbrennungsmotor mit dem direkten Einsatz von Strom im Elektromotor, so ist der Strombedarf für die erste Variante rund 6 Mal so hoch. Der direkte Einsatz von Strom im Verkehr über den Elektromotor ist daher wo immer möglich zu priorisieren.“ Zweitens. Die Umweltbundesamt-Studie „Klimaschutzbeitrag des Verkehrs bis 2050“, schreibt auf Seite 104: „Aufgrund der direkten Stromverwendung ist bei der Verwendung von EE-Strom der Wirkungsgrad von der Primär- zur Nutzenergie im Vergleich mit dem Einsatz von strombasierten EE-Kraftstoffen in Verbrennungsmotorkonzepten um etwa den Faktor vier höher.“ Da Ökostrom aber ein ausgesprochen knappes und wertvolles Gut ist, sehen wir diese Anrechenbarkeit kritisch. Denn eine Strategie, die nicht auf eine Verkehrswende und auf einen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor setzt, sondern Unmengen von Ökostrom verlustreich in flüssige Kraftstoffe verwandeln will, ist unserer Ansicht nach nicht effizient und kaum zukunftsfähig. Dabei muss Effizienz erster Maßstab sein. Ansonsten wächst der zusätzliche Bedarf an Ökostrom genauso ins Unermessliche wie die Kosten. Und dies schadet der Energiewende. Aber auch aus Akzeptanzgründen darf man Ökostrom nicht verschwenden, denn diese Methode in größerem Stil würde letztlich höhere Akzeptanzprobleme erzeugen – wir haben schon jetzt regional Antiwindkraftproteste wachsenden Ausmaßes. Es ist in Ordnung, wenn in zeitweisen Netzengpassgebieten mit der Sektorkopplung experimentiert wird. Wir sollten aber nicht so tun, als gäbe es heute schon Ökostrom im Überfluss. Zwei Drittel des Strombedarfs werden nach wie vor mit fossil-atomarem Strom gedeckt. Ferner sollen mit der Verordnung künftig biogene Öle – etwa Rapsöle – auf die seit dem Jahr 2015 geltende Treibhausgasquote auch dann anrechenbar sein, wenn sie gemeinsam (und nicht getrennt) mit klassischen Mineralölen hydriert worden sind, um daraus Diesel zu machen. Diese Regel sehen wir ebenfalls kritisch. Denn sie wird die zentralistische Großproduktion von Biodiesel erleichtern. Aber auch das ist eine Sackgasse, denn die Flächen sind begrenzt und die Treibhausgasbilanz von Biodiesel ist fraglich, wenn man auch indirekte Effekte einbezieht. Zudem könnten auch mehr und mehr Palmöle untergemixt werden, was ja ohnehin schon in wachsendem Maße geschieht. Das ist ja vermutlich bekannt, zu welchem Kahlschlag die Palmölproduktion in Ländern wie Indonesien und Malaysia führt. Unser riesiger Hunger nach Palmöl darf nicht noch steigen. Wir lehnen daher diese Verordnung ab. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unter dem harmlos klingenden Titel „37. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes“ befasst sich der Deutsche Bundestag auf Initiative von CDU/CSU und SPD heute mit der Ausweitung der Palmölbeimischung in Dieselkraftstoff. Die Koalitionsfraktionen haben diese Verordnung ganz am Ende der Tagesordnung zu nachtschlafender Zeit versteckt und versuchen der Öffentlichkeit diese Verordnung als einen Beitrag zum Klimaschutz zu verkaufen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall! Die Folgen der Klimakrise spüren wir schon heute deutlich: Die Arktis hat so wenig Eis wie nie zuvor. In Peru sterben Menschen, weil der zu warme Ozean Unwetter auslöst, und das wundervolle Great Barrier Reef ist durch das Korallensterben wahrscheinlich für unsere Nachkommen unwiederbringlich verloren. In Paris hat die Weltgemeinschaft und damit auch Deutschland im letzten Jahr das Internationale Klimaabkommen beschlossen, das die globale Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzen soll. Nur wenige Monate später ist offensichtlich, dass die Bundesregierung ihr Klimaziel für 2020 nicht halten wird und auch nichts Relevantes unternimmt, um es zu erfüllen. Stattdessen versucht die Bundesregierung nun an allen Ecken, die deutsche Klimabilanz zu schönen, und dafür ist sie sogar bereit, die Beimischung von Palmöl in den Dieselkraftstoff massiv auszuweiten. Mit dieser Verordnung erkauft sich die Große Koalition Klimaschutz in Deutschland mit der Regenwaldzerstörung in Indonesien. Unternehmen, die Kraftstoffe in Verkehr bringen, sollen durch das Beimischen von Agrokraftstoffen Emissionen sparen; das besagt die Treibhausgasquote. Schon das allein war fraglich, denn es hat dazu geführt, dass in Deutschland dem Dieselkraftstoff Palmöl beigemischt wird und die Autofahrer – in der Regel ohne es zu wissen – den Regenwald durch ihren Auspuff jagen. Der Globiom-Bericht der EU-Kommission macht deutlich, dass Agrokraftstoff eine schlechte Klimabilanz hat; im Durchschnitt sind die CO2-Emissionen um 80 Prozent höher als die aus fossilen Kraftstoffen. Grund dafür sind unter anderem die Treibhausgasemissionen aus der indirekten Landnutzung, beispielsweise der Rodung von Regenwald und dem Abbrennen tropischer Torflandschaften für Palmölplantagen. Schon jetzt landen 45 Prozent des importierten Palmöls im Tank. Bereits jetzt trägt Deutschland mit einem Verbrauch von 1,8 Millionen Tonnen Palmöl jährlich massiv zur Waldzerstörung und Naturvernichtung bei, ohne damit irgendeinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, wie immer wieder versucht wird zu suggerieren. Im Gegenteil: Die Klimabilanz von Palmöl ist ganz klar negativ. Die Palmölproduktion steigt aber seit Jahrzehnten immer weiter an. Mehr als 17 Millionen Hektar werden derzeit für den Anbau genutzt. Die vorgeschriebene Zertifizierung der Nachhaltigkeit des Palmöls für Agrosprit greift nicht, denn indirekte Landnutzungsänderungen werden gar nicht berücksichtigt. Wie viel Hektar Land in anderen Regionen der Erde sollen denn noch für die falsche Politik der Bundesregierung verbraucht werden? Diese Fehlentwicklung soll nach dem Willen der Bundesregierung nun weiter angeheizt werden. Die hier vorgelegte Verordnung macht es Mineralölunternehmen nun möglich, auch mitverarbeitete biogene Öle auf die Treibhausgasquote bis 2020 anzurechnen. Diese entstehen während der gemeinsamen Verarbeitung von biogenen mit fossilen Ölen in Mineralölraffinerien. Hier wird aber hautsächlich Palmöl zum Zuge kommen, denn technisch ist es am einfachsten zu verwenden und am günstigsten. Die Bundesregierung ermöglicht Mineralölunternehmen, den Verbrauchern in noch größerem Maßstab Palmöl in den Tank zu schmuggeln, um ihre Treibhausgasquote zu erfüllen. Der Einsatz von Palmöl wird also weiter steigen – mit allen negativen Konsequenzen für Regenwald, Landrechte, Menschenrechte, Artenvielfalt und Klima. Und die Verbraucher werden über das Palmöl in ihren Tanks noch nicht einmal informiert! Bei der Beratung im Umweltausschuss hat das Bundesumweltministerium diese ganze Palmölsauerei sogar eingeräumt und versucht sich damit herauszureden, dass das Ganze nur bis 2020 gelten solle. Das ist an Naivität fast nicht mehr zu übertreffen, denn was ab 2021 passiert, darauf gibt uns das im letzten Herbst vorgestellte „Winterpaket“ der EU einen Vorgeschmack: Von der Abkehr von Agrosprit und insbesondere Palmöl ist dort nichts zu finden. Palmöl und andere Agrokraftstoffe müssen raus aus dem Tank – das ist längst überfällig. Darüber hinaus brauchen wir eine Reduktionsstrategie für den Verbrauch von Palmöl in allen Sektoren und ein Importverbot von Palmöl, das nicht sozialen und ökologischen Mindestanforderungen entspricht. Die europäische Richtlinie für erneuerbare Energien lässt zahlreiche andere Möglichkeiten zur Minderung von Treibhausgasen im Verkehrssektor zu. Ich fordere die Bundesregierung auf, diese endlich zu nutzen, anstatt noch mehr Umweltzerstörung durch den forcierten Palmöleinsatz zu verursachen. 1)  Anlage 2 2)  Anlage 3 3)  Anlage 4 4)  Anlage 5 5)  Anlage 6 6)  Anlage 7 7)  Anlage 8 8)  Anlage 9 9)  Anlage 10 10)  Anlage 11 11)  Anlage 11 12)  Anlage 12 13)  Anlage 13 14)  Anlage 14 15)  Anlage 15 16)  Anlage 16 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 231. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 27. April 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 231. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 27. April 2017 III Plenarprotokoll 18/231