Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 234. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks sowie der Abgeordneten Bärbel Höhn, Gabriele Fograscher, Heinrich Zertik, Wolfgang Gunkel und Dr. h. c. Gernot Erler 23585 B Wahl der Abgeordneten Katharina Dröge als Schriftführerin 23585 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 23585 C Absetzung des Tagesordnungspunktes 37 23588 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen 23588 A Tagesordnungspunkt 7: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 15. Entwicklungspolitischer Bericht der Bundesregierung Drucksache 18/12300 23588 D Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ 23589 A Heike Hänsel (DIE LINKE) 23591 A Stefan Rebmann (SPD) 23592 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23593 A Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 23595 A Niema Movassat (DIE LINKE) 23597 A Gabi Weber (SPD) 23597 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) 23598 D Christoph Strässer (SPD) 23599 D Jürgen Klimke (CDU/CSU) 23601 D Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Entwicklung, Bestand, Perspektive Drucksachen 18/8855, 18/11403 23603 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert und klimafreundlich Drucksachen 18/10027, 18/11020 23603 B Caren Lay (DIE LINKE) 23603 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) 23605 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23607 C Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 23609 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 23610 C Michael Groß (SPD) 23612 A Oliver Grundmann (CDU/CSU) 23613 A Caren Lay (DIE LINKE) 23614 B Carsten Träger (SPD) 23615 A Detlev Pilger (SPD) 23615 D Tagesordnungspunkt 9: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesregierung 2016 Drucksache 18/9495 23616 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 23616 D Karin Binder (DIE LINKE) 23618 C Mechthild Heil (CDU/CSU) 23620 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23621 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 23622 D Gitta Connemann (CDU/CSU) 23624 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23625 D Petra Rode-Bosse (SPD) 23627 A Iris Ripsam (CDU/CSU) 23627 D Tagesordnungspunkt 43: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksache 18/12354 23628 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation Drucksache 18/12331 23628 D c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresrahmens für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte für den Zeitraum 2018–2022 Drucksache 18/12332 23629 A d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Akkreditierungsstelle Drucksache 18/12333 23629 A e) Antrag der Abgeordneten Thomas Lutze, Jan Korte, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unentgeltliche Nutzung der WC-Anlagen an Bundesautobahnen und Bahnhöfen Drucksache 18/9223 23629 A f) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln und kommunale Wirtschaftskreisläufe fördern Drucksache 18/12365 23629 B g) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren – UN-Treaty-Prozess unterstützen Drucksache 18/12366 23629 B Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes zur Beschleunigung von Verfahren Drucksache 18/12360 23629 C b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken Drucksache 18/12363 23629 C c) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kontogebühren – Transparenz und Verbraucherschutz erhöhen Drucksache 18/12367 23629 D Tagesordnungspunkt 44: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. März 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Personenstandsregistern Drucksachen 18/11510, 18/12123 23629 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung Drucksachen 18/11613, 18/12125 23630 B c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November 2016 zur Änderung des Abkommens vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/11869, 18/12398 23630 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr Drucksachen 18/11878, 18/12398 23630 D e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsgesetz – EgVG) Drucksachen 18/11257, 18/12425 23631 A f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes Drucksachen 18/11494, 18/11880, 18/12181 Nr. 1.6, 18/12411 23631 B g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über Soziale Sicherheit Drucksachen 18/11879, 18/12394 23631 C h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten Drucksachen 18/11410, 18/12301 23631 D i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung Drucksachen 18/11945, 18/12181 Nr. 2, 18/12407 23632 A j)–p) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 433, 434, 435, 436, 437, 438 und 439 zu Petitionen Drucksachen 18/12114, 18/12115, 18/12116, 18/12117, 18/12118, 18/12119, 18/12120 23632 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstellung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung Drucksachen 18/3279, 18/7517 23633 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Provenienzforschung stärken – Bessere Rahmenbedingungen für einen angemessenen und fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Drucksachen 18/3046, 18/7532 23633 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in der internationalen Palmölproduktion verankern Drucksachen 18/8398, 18/10611 23633 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Frieden und keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas Drucksachen 18/6551, 18/10848 23633 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine transparente und geschlechtergerechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good Governance Drucksachen 18/9042, 18/11433 23633 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Initiative „She Decides“ unterstützen – Die sexuellen und reproduktiven Rechte und die Selbstbestimmung und Gesundheit von Frauen und Mädchen in Ländern des globalen Südens stärken Drucksachen 18/11177, 18/11649 23633 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR Jülich in die USA Drucksachen 18/2624, 18/12408 23634 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Aids-Epidemie in Deutschland und weltweit bis 2030 beenden Drucksachen 18/6775, 18/12424 23634 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen von Präsident Macron im Bereich der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere zu gemeinsamen europäischen Investitionen Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23634 C Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) 23635 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) 23636 C Joachim Poß (SPD) 23637 D Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) 23638 D Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 23639 C Christian Petry (SPD) 23640 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23641 D Uwe Feiler (CDU/CSU) 23642 D Bernd Westphal (SPD) 23644 A Volkmar Klein (CDU/CSU) 23645 A Alexander Radwan (CDU/CSU) 23646 A Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes (Hochwasserschutzgesetz II) Drucksachen 18/10879, 18/12404 23647 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ Drucksachen 18/11099, 18/11225 Nr. 5, 18/12204 23647 C Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 23647 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) 23648 D Ulrich Petzold (CDU/CSU) 23649 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23651 A Carsten Träger (SPD) 23652 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) 23653 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 23654 B Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Soziale und wirtschaftliche Lage von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen verbessern, Kulturförderung gerecht gestalten Drucksache 18/12373 23655 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23655 C Ute Bertram (CDU/CSU) 23656 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) 23658 C Siegmund Ehrmann (SPD) 23659 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 23661 A Burkhard Blienert (SPD) 23662 B Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/12085, 18/12403 23663 B Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin BMEL 23663 C Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 23664 D Ute Vogt (SPD) 23665 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23666 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) 23667 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23668 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23669 C Christina Jantz-Herrmann (SPD) 23670 A Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesprogramm Kita- und Schulverpflegung – Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung sicherstellen Drucksachen 18/8611, 18/12178 23671 D Carola Stauche (CDU/CSU) 23671 D Karin Binder (DIE LINKE) 23674 A Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU) 23675 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 23676 C Jeannine Pflugradt (SPD) 23677 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23678 C Alois Rainer (CDU/CSU) 23680 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 23680 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 23681 D Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Drucksachen 18/11628, 18/12205 23682 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12206 23682 D Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (SPD) 23682 D Christine Buchholz (DIE LINKE) 23684 B Jürgen Hardt (CDU/CSU) 23685 B Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23686 A Thomas Hitschler (SPD) 23686 D Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 23687 D Michael Vietz (CDU/CSU) 23688 D Namentliche Abstimmung 23690 A Ergebnis 23692 C Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen Drucksachen 18/10031, 18/10626 23690 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland) Drucksachen 18/8277, 18/12413 23690 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internationale rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen Drucksachen 18/9675, 18/11780 23690 B Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 23690 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 23691 A Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 23694 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23696 B Bettina Bähr-Losse (SPD) 23697 B Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 23698 A Tagesordnungspunkt 16: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias Drucksachen 18/11621, 18/12207 23699 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12208 23699 C Dagmar Freitag (SPD) 23699 C Inge Höger (DIE LINKE) 23700 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 23701 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23702 B Florian Hahn (CDU/CSU) 23703 A Namentliche Abstimmung 23704 B Ergebnis 23706 C Tagesordnungspunkt 17: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz) Drucksachen 18/10860, 18/12412 23704 B b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung der Wahrnehmung sozialer Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus Drucksache 18/6278 23704 C Dr. Matthias Bartke (SPD) 23704 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 23705 B Azize Tank (DIE LINKE) 23708 B Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 23709 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23711 A Sebastian Hartmann (SPD) 23712 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 23713 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksache 18/12298 23714 B Josip Juratovic (SPD) 23714 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 23715 D Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 23716 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23717 C Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 23718 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE: Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik Drucksache 18/12372 23719 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23719 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 23720 C Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 23721 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) 23722 D Florian Hahn (CDU/CSU) 23724 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht Drucksachen 18/11546, 18/11654, 18/11822 Nr. 9, 18/12415 23725 C Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 23725 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23726 D Burkhard Lischka (SPD) 23727 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23728 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 23730 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23731 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23731 D Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelretter entkriminalisieren Drucksache 18/12364 23733 A Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen Drucksachen 18/11555, 18/11928, 18/12181 Nr. 1.8, 18/12405 23733 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik Drucksache 18/12121 23733 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23733 D Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 23734 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 23735 D Niels Annen (SPD) 23736 D Thorsten Frei (CDU/CSU) 23738 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises Drucksachen 18/11279, 18/12417 23739 D Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften Drucksachen 18/11239, 18/11938, 18/12181 Nr. 1.12, 18/12397 23740 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit durch weniger Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken Drucksachen 18/11417, 18/7654, 18/12397 23740 B Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten Drucksachen 18/10485, 18/12427 23740 D Dr. Matthias Bartke (SPD) 23741 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 23742 B Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 23743 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23744 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 23745 B Tagesordnungspunkt 26: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) Drucksachen 18/11847, 18/12401 23746 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren Drucksachen 18/7657, 18/12401 23746 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs Drucksachen 18/9416, 18/12203 23747 A Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes Drucksachen 18/11614, 18/12406 23747 C Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) Drucksachen 18/11612, 18/12124 23747 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) Drucksache 18/12179 23747 D Tagesordnungspunkt 30: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksachen 18/11397, 18/12421 23748 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksachen 18/11615, 18/12421 23748 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) Drucksachen 18/10965, 18/12400 23748 C Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung Drucksachen 18/11507, 18/12418 23749 A Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG) Drucksachen 18/12329, 18/12378 23749 B Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom und zur Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/12355 23749 B Johann Saathoff (SPD) 23749 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 23750 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) 23751 B Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23752 B Klaus Mindrup (SPD) 23753 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 23754 A Tagesordnungspunkt 34: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors Drucksachen 18/11556, 18/12410 23755 A Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) Drucksache 18/12330 23755 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge Menschen Drucksache 18/12374 23755 B Caren Marks, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ 23755 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 23756 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 23757 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23758 D Christina Schwarzer (CDU/CSU) 23759 C Tagesordnungspunkt 36: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fairness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen Drucksache 18/12362 23760 D b) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern Drucksache 18/10981 23760 D Zusatztagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksachen 18/11291, 18/12422 23761 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung Drucksachen 18/7655, 18/11785 23761 A Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426 23761 D Nächste Sitzung 23762 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 23763 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Göppel, Jens Koeppen und Elisabeth Winkelmeier-Becker (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 12) 23763 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Manuel Sarrazin, Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel, Doris Wagner und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) 23763 C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) 23764 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelretter entkriminalisieren (Tagesordnungspunkt 21) 23764 D Kordula Kovac (CDU/CSU) 23764 D Katharina Landgraf (CDU/CSU) 23765 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 23766 B Karin Binder (DIE LINKE) 23767 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23767 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Tagesordnungspunkt 22) 23768 C Margaret Horb (CDU/CSU) 23768 C Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) 23769 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 23770 A Dr. Jens Zimmermann (SPD) 23771 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 23772 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23773 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 23) 23774 B Heinrich Zertik (CDU/CSU) 23774 B Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) 23775 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23776 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23777 C Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 23778 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit durch weniger Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) 23779 A Michael Frieser (CDU/CSU) 23779 B Oswin Veith (CDU/CSU) 23780 A Gabriele Fograscher (SPD) 23781 A Martina Renner (DIE LINKE) 23782 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23783 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren (Tagesordnungspunkt 26 a und b) 23784 B Karsten Möring (CDU/CSU) 23784 C Ulli Nissen (SPD) 23785 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 23786 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23787 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (Tagesordnungspunkt 27) 23788 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 23788 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 23789 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 23789 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 23790 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23790 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 28) 23791 C Marian Wendt (CDU/CSU) 23791 C Saskia Esken (SPD) 23792 C Sebastian Hartmann (SPD) 23793 B Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 23793 D Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23794 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 23795 A Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. André Hahn (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 28) 23795 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) – des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatztagesordnungspunkt 7) 23796 A Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) 23796 A Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) 23797 A Gabriele Fograscher (SPD) 23797 C Petra Pau (DIE LINKE) 23798 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23799 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung : – des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld – des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) (Tagesordnungspunkt 30 a und b) 23800 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 23800 A Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 23800 C Dr. Johannes Fechner (SPD) 23802 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 23803 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23803 D Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung (Tagesordnungspunkt 31) 23804 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 23804 D Klaus Barthel (SPD) 23806 A Heike Hänsel (DIE LINKE) 23806 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23807 B Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG) (Tagesordnungspunkt 32) 23808 A Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 23808 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 23809 A Christian Flisek (SPD) 23809 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 23810 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23810 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 23811 C Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Tagesordnungspunkt 34) 23812 C Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 23812 C Klaus Barthel (SPD) 23813 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 23814 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23815 A Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karin Binder, Nicole Gohlke, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke und Alexander Ulrich (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Tagesordnungspunkt 34) 23815 D Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fairness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen – des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern (Tagesordnungspunkt 36 a und b) 23816 B Eberhard Gienger (CDU/CSU) 23816 C Jeannine Pflugradt (SPD) 23818 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 23818 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) 23819 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23820 D Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 23821 D Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung (Zusatztagesordnungspunkte 9 und 10) 23822 C Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 23822 C Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 23823 C Mechthild Rawert (SPD) 23824 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 23825 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23825 D Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungs-bezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 11) 23826 C Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 23827 A Sabine Poschmann (SPD) 23829 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 23829 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23830 D 234. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Beginn: 9.29 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 234. Plenarsitzung. Ich möchte zu Beginn unsere Gäste auf den Besuchertribünen, aber auch die Kolleginnen und Kollegen, die auf den Beginn dieser Sitzung gewartet haben, um Entschuldigung und Verständnis für die Verspätung bitten. Sie hängt nicht damit zusammen, dass ein beachtlicher Teil der Mitglieder des Hauses nicht rechtzeitig aus den Betten gekommen wäre, sondern damit, dass noch vor Beginn der Plenarsitzung Sondersitzungen der beiden Koalitionsfraktionen stattgefunden haben, um die abschließende zweite und dritte Lesung eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode in der nächsten Sitzungswoche vorzubereiten. Dafür haben Sie hoffentlich Verständnis. Seit der letzten Sitzungswoche gab es einige besonders zu erwähnende Geburtstage. So haben die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks und die Kollegin Bärbel Höhn jeweils ihren 65. Geburtstag begangen. (Beifall) Ihren 60. Geburtstag begingen die Kollegin Gabriele Fograscher und der Kollege Heinrich Zertik. (Beifall) Der Kollege Wolfgang Gunkel hat seinen 70. und der Kollege Gernot Erler seinen 73. Geburtstag gefeiert. Ihnen allen noch einmal die geballten guten Wünsche des Hauses für das neue Lebensjahr! (Beifall) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für den Kollegen Matthias Gastel die Kollegin Katharina Dröge als Schriftführerin zu wählen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch schöner ist, dass die Betroffene damit einverstanden ist. Das erleichtert die Umsetzung des bevorstehenden Beschlusses. Damit ist die Kollegin Dröge als Schriftführerin gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der Bundeswehr (siehe 233. Sitzung) ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert und klimafreundlich Drucksachen 18/10027, 18/11020 ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 43) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes zur Beschleunigung von Verfahren Drucksache 18/12360 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken Drucksache 18/12363 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kontogebühren – Transparenz und Verbraucherschutz erhöhen Drucksache 18/12367 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 44) a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstellung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung Drucksache 18/3279 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/7517 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Provenienzforschung stärken – Bessere Rahmenbedingungen für einen angemessenen und fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Drucksachen 18/3046, 18/7532 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in der internationalen Palmölproduktion verankern Drucksachen 18/8398, 18/10611 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Frieden und keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas Drucksachen 18/6551, 18/10848 e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine transparente und geschlechtergerechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good Governance Drucksachen 18/9042, 18/11433 f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Initiative „She Decides“ unterstützen – Die sexuellen und reproduktiven Rechte und die Selbstbestimmung und Gesundheit von Frauen und Mädchen in Ländern des globalen Südens stärken Drucksachen 18/11177, 18/11649 g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR Jülich in die USA Drucksachen 18/2624, 18/12408 h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Aids-Epidemie in Deutschland und weltweit bis 2030 beenden Drucksachen 18/6775, 18/12424 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen von Präsident Macron im Bereich der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere zu gemeinsamen europäischen Investitionen ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik Drucksache 18/12372 ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) Drucksache 18/12179 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge Menschen Drucksache 18/12374 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksache 18/11291 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/12422 ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung Drucksachen 18/7655, 18/11785 ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426 ZP 12 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12359 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, wie üblich in solchen Fällen abgewichen werden. Anstelle von TOP 19 – das ist der Antrag zur Jemen-Politik – soll der Antrag auf der Drucksache 18/12372 mit dem Titel „Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Beratungszeit von 25 Minuten aufgerufen werden. Der Tagesordnungspunkt 19 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen rückt entsprechend nach hinten. Nach dem Tagesordnungspunkt 36 soll die Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12422 zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen in Verbindung mit der Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11785 zu dem Antrag mit dem Titel „Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“ mit einer Debattenzeit von 25 Minuten beraten werden. Im Anschluss daran soll die Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12426 – hier geht es um die Stellungnahme der Bundesregierung zu mehreren Vorlagen für Richtlinien und Verordnungen des Europäischen Parlaments zum Thema „Dienstleistungen im Binnenmarkt“ – ebenfalls mit einer Debattenzeit von 25 Minuten aufgerufen werden. Der Tagesordnungspunkt 37 – das ist der Zusammenhang zur Verspätung der heutigen Sitzung –, nämlich „Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs“, wird für diese Woche abgesetzt. Stattdessen soll mit einer Debattenzeit von 60 Minuten der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – hier geht es insbesondere um Wohnungseinbruchdiebstahl – auf der Drucksache 18/12359 beraten werden. Schließlich mache ich noch auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 23. März 2017 (225. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung Drucksache 18/11499 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Der am 27. April 2017 (231. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) sowie dem Ausschuss für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Drucksache 18/11939 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Der am 7. Juli 2016 (183. Sitzung) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen Drucksache 18/7904 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ich frage Sie, ob Sie mit diesem Paket von Veränderungen einverstanden sind? – Ich sehe jedenfalls keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung 15. Entwicklungspolitischer Bericht der Bundesregierung Drucksache 18/12300 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Dr. Gerd Müller. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schön, dass wir beginnen können. Ich glaube, wir bekommen für die Wartezeit einen Zuschlag von 30 Minuten. (Beifall der Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] und Ulli Nissen [SPD] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das entscheiden hier nicht die Minister! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber aufgeteilt! – Zuruf von der SPD: Das wird auf die Redezeit angerechnet!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Föderalismus ist wichtig, aber jetzt geht es um die Zukunftsaufgaben und Herausforderungen dieses Planeten. Alle vier Jahre legt die Bundesregierung ihren Bericht zur Entwicklungspolitik vor. Ich kann Ihnen und auch denen, die draußen zuschauen, sagen: Es ist eines der spannendsten Dokumente. Es lohnt sich, diesen zu lesen. Die Welt hat sich in diesen vier Jahren dramatisch entwickelt: Kriege in der Ukraine, in Syrien, im Jemen, die Hungerkrise – bis heute aktuell am Horn von Afrika –, die Bevölkerungsentwicklung. Jede Woche kommt eine Stadt wie Berlin, jedes Jahr ein Land wie Deutschland mit 80 Millionen zusätzlich auf den Planeten. Zwischenzeitlich gibt es 65 Millionen Flüchtlinge, davon rund 90 Prozent in den Entwicklungsländern. Die Digitalisierung ist auch in Afrika angekommen. Wir sind vernetzt. Die Globalisierung, Handelswege und Wertschöpfungsketten machen die Welt zum globalen Dorf. Die Politik – nicht nur die Entwicklungspolitik – muss sich ändern und hat sich geändert. Das ist zentral: Wir haben reagiert und uns neu aufgestellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD]) Entwicklungspolitik ist heute nicht mehr Randthema. Das mögen Sie auf den Tribünen vielleicht noch anders sehen, weil der Entwicklungsminister auf der Regierungsbank ganz hinten im Eck „drangeklebt“ ist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber immerhin links außen!) Aber das werden wir in der neuen Legislaturperiode ändern, lieber Volker Kauder. Die Entwicklungspolitik gehört in die Mitte, ins Zentrum – auch im Kabinett. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sie fragen natürlich zu Recht: Was passiert? Gibt es Erfolge? – Ja, ich kann Ihnen sagen: Wir haben mit dem Klimavertrag von Paris im Jahre 2015 weltweit den Durchbruch erzielt. Mit der Agenda 2030 haben wir einen Zukunftsvertrag, mit dem wir die globale Entwicklung in den Grenzen unseres Planeten gestalten können. Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern es gibt jetzt ein Umsetzungsproblem. Es geht darum, diese Vorgaben in nationale Politik umzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Diesen Paradigmenwechsel hin zu einer gemeinsamen Zukunftspolitik gestaltet Deutschland. Federführend gehen wir voraus. Zwischenzeitlich sind wir unter den 195 Nationen weltweit der zweitgrößte Geber nach den USA. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Daran sehen Sie: Die Bundesregierung hat den Stellenwert der Entwicklungspolitik neu definiert und sie entscheidend aufgewertet. Dafür gilt mein ganz besonderer Dank unserer Bundeskanzlerin und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen – und zwar aller Fraktionen. Die einen wollen noch viel mehr – dazu gehöre ich auch –, die anderen bremsen ein Stück weit. Aber auch hier werden wir in der neuen Legislaturperiode zusätzliche Akzente setzen müssen. In dieser Legislaturperiode ist der Etat des BMZ um 35 Prozent gestiegen. Während der Kanzlerschaft von Angela Merkel hat sich der absolute Ansatz verdoppelt. Das 0,7Prozent-Ziel ist erstmals erreicht. Es gilt natürlich, das auch für die Zukunft zu halten, auch wenn die Aufwendungen für Flüchtlinge einmal weniger werden. Aber ich sage auch: Für Europa – die Europäische Union, unsere Freunde –, aber auch für die USA sollte klar sein: Wer das 2,0Prozent-Ziel bei den Militärausgaben anstrebt, muss erst einmal das 0,7Prozent-Ziel bei der Entwicklungshilfe umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Mehr Panzer schaffen nicht mehr Frieden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Dafür müssen sich auch einbringen: die Chinesen, die Russen, die arabische Welt und alle anderen. Es ist nicht hinnehmbar, dass acht Länder auf der Welt 90 Prozent des Hilfsvolumens zur Verfügung stellen und die anderen wegsehen. Wir können stolz darauf sein, was wir alle gemeinsam in dieser Legislaturperiode geleistet haben. Dabei freue ich mich besonders, dass der Stellenwert unserer Aufgabe heute ein anderer ist. Das zeigt sich nicht nur am Aufwuchs im Haushalt. Unsere Themen sind auch Schwerpunkt der internationalen Agenda. Denken Sie an den G7- und an den G20-Gipfel. Mein Dank gilt hier besonders unserer Kanzlerin. Sie handelt national und gestaltet global. (Beifall bei der CDU/CSU) Ihr Herz schlägt auch für Afrika. Ebenso erhalte ich große Unterstützung vom Finanzminister. Wolfgang Schäuble setzt jetzt gemeinsam mit dem BMZ mit der Initiative „Compact with Africa“ einen ganz neuen Akzent. Unser Marshallplan-Konzept findet nicht nur hier Unterstützung, sondern auch bei der Afrikanischen Union, im Europäischen Parlament in Brüssel, wo es in dieser Woche Thema ist, und in den einzelnen Ressorts. Wichtig ist mir: Wir beschreiben nicht nur Probleme und Herausforderungen, wir haben Lösungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte Ihnen das kurz andeuten: Wir bekämpfen das Kriegs- und Flüchtlingselend. In den vergangenen vier Jahren haben wir 12 Milliarden Euro in den Krisengebieten der Welt – vor Ort – investiert. Damit haben wir Überleben gesichert und Kindern – allein in und um Syrien herum waren es 1 Million Kinder – Schulbesuch und Ausbildung ermöglicht. In der Türkei wurden 8 000 Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, um in den Flüchtlingscamps zu unterrichten. Wir haben Beschäftigung geschaffen. Das Programm „Cash for Work“ erleichtert eine Rückkehr. Auch den Wiederaufbau haben wir eingeleitet, meine Damen und Herren. Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Das ist keine Vision. Hunger ist Mord, weil wir eine Welt ohne Hunger schaffen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir zeigen, wie es geht. Wir reden nicht nur. Die 14 Innovationszentren in Afrika und Indien zeigen, wie wir die Nahrungsmittelproduktion steigern können. Wir investieren in nachhaltige Klima- und Umweltkonzepte. Ich habe vergangene Woche in China mit dem chinesischen Handelsminister ein gemeinsames Zentrum für nachhaltige Entwicklung auf den Weg gebracht. Mit Indien werden wir demnächst hier in Deutschland Verträge unterzeichnen, um die Solarpartnerschaft weiter voranzubringen. Mit Projekten in Höhe von 1,5 Millionen Euro liegt unser Schwerpunkt in Afrika. Der Marshallplan zeigt die Herausforderung, aber auch die Lösungswege. Wir stärken Frauen. Wir stärken die Bildung und sind bei der Bildung größter bilateraler Geber. Mein Ziel ist, 25 Prozent des Etats für Bildung bereitzustellen. Bildung, Bildung, Bildung ist die Voraussetzung für Entwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sind erfolgreich im wichtigen Feld der Gesundheit. Ebola ist in diesen Tagen wieder aufgetreten. Wir bauen Strukturen zur Hilfe in Westafrika. Unser Beitrag – den Kolleginnen und Kollegen dafür vielen Dank – bei GAVI und GFATM wurde wesentlich erhöht. Wir schaffen neue Strukturen, was mir ganz besonders wichtig ist. Mit öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit lösen wir die Probleme und die Herausforderungen der Welt nicht. Wir brauchen dazu mehr Privatinvestitionen. Dazu brauchen wir aber auch ein neues Instrumentarium zur Risikoabsicherung für Privatinvestitionen in Afrika und in Indien, insbesondere für mittelständische Betriebe. Wir brauchen aber auch fairen Handel. Meine Damen und Herren, nur mit der Verankerung von ökologisch-sozialen Standards in weltweiten Lieferketten, wie wir dies mit unserem Textilbündnis zeigen, einer Blaupause, schaffen wir langfristig Gerechtigkeit und Chancenausgleich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Standards müssen Standard werden. Die Widerstände sind noch enorm, auch national. Aber ich sage klar: Die weltweiten Märkte brauchen Regeln. Ein Markt ohne Regeln führt zu Ausbeutung von Mensch und Natur. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Globalisierung schafft Chancen, aber auch Verlierer. Wenn heute 10 Prozent der Weltbevölkerung 90 Prozent des Einkommens und Vermögens besitzen – 10 Prozent, das sind Sie und wir alle – und 20 Prozent der Weltbevölkerung – das sind wir in den Industrieländern – 80 Prozent der Ressourcen für unser Leben, für unseren Konsum und für unseren Wohlstand verbrauchen, dann haben wir ein weltweites Gerechtigkeits- und Verteilungsproblem. Glauben Sie nicht, dass wir unseren Wohlstand auf Dauer auf dem Rücken Afrikas und der Entwicklungsländer aufrechterhalten können, ohne dass die Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen und sich dann das holen, was ihnen zusteht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jeder von Ihnen muss und kann mitwirken. Wenn Sie sich heute früh die Haare gewaschen haben, dann ist in dem Shampoo Palmöl aus Indonesien enthalten. Sie haben sich Kleidung angezogen, die Näherinnen in Bangladesch für einen Hungerlohn angefertigt haben. Sie haben Kaffee getrunken, für den Kinder in Westafrika die Kaffeebohnen für einen Hungerlohn, einen Sklavenlohn geerntet haben. Wir erfreuen uns unseres Wohlstands auf dem Rücken dieser Länder. Ein afrikanischer Bischof sagte mir vor kurzem: Afrika ist nicht arm. Ihr habt es arm gelassen. – Das müssen wir ändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Globalisierung gerecht gestalten, das ist möglich. Es bedarf nur des Willens, des Mutes und der Verantwortung zur Umsetzung. Ein Weiter-so bei Konsum, Wachstum und Ressourcenverbrauch weltweit hätte verheerende Folgen. Herr Präsident, ich bin sofort am Ende. Ich möchte Ihnen aber die Folgen aufzeigen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Rebmann [SPD]: Dem Präsidenten?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, können wir das nicht privat erledigen? (Heiterkeit – Ulli Nissen [SPD]: Wir wollen es auch wissen!) Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Die Klimaveränderung hätte verheerende Folgen: Klimaveränderung und Erderwärmung sind in Ostafrika angekommen. Hunger, Katastrophen, Elend, Not und Kriege lösen schon jetzt gewaltige Wanderungsbewegungen auch in Richtung Europa aus. Deshalb sind wir verpflichtet, auf ein Leben in Würde für alle hinzuarbeiten. Wir sind verpflichtet, den Planeten Erde, die Schöpfung, für die kommenden Generationen zu erhalten. Das ist eine große Aufgabe, eine lohnende Aufgabe für uns alle. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Heike Hänsel erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Müller, Sie haben hier wahrscheinlich schon für den Evangelischen Kirchentag nächste Woche geübt. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind ein Minister mit guten Losungen und Sprüchen. Da können viele klatschen. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die Linke!) Aber leider füllen Sie diese Sprüche nicht mit Leben. Sie haben sich in diesen vier Jahren in Tausenden Projekten und vielen Sonderinitiativen verloren. Sie sind aber die ungerechten Strukturen, die Sie hier kritisieren, nicht angegangen. Das ist überfällig. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens: die Handelspolitik der Europäischen Union. Jetzt, am Ende Ihrer Amtszeit, sprechen Sie von fairem Handel. Was haben Sie denn vier Jahre lang gemacht? Die EU hat die Freihandelsabkommen mit Afrika vorangetrieben. Ein Veto von Ihnen, und wir hätten diese Freihandelspolitik stoppen und wirklich fairen Handel ausgestalten können. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben da nichts gemacht. Die Bilanz ist gleich null. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Falsch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es geht nicht darum, Handel zu verhindern, sondern fair zu gestalten!) Sie sprechen davon. Aber statt zu handeln, haben Sie einen Marshallplan für Afrika mit millionenschweren Sonderinitiativen aufgelegt. Das ist kein Ersatz für die Erneuerung, für die Veränderung und Ausgestaltung gerechter Handelsstrukturen. Wenn wir endlich eine gerechte Handelspolitik hätten, dann bräuchten wir keine Millionen für Entwicklungsprojekte. Hier ist auch die SPD, muss ich sagen, mitverantwortlich. Denn auch Sigmar Gabriel hat den Freihandel – CETA, TTIP – massiv vorangetrieben. Da gab es keine Richtungsänderung. Deswegen: Wer Fluchtursachen und Armut in den afrikanischen Ländern bekämpfen will, muss diesen tödlichen Freihandel stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Sie fordern menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Unternehmen und gerechte Entlohnung unter dem Eindruck der Katastrophen in der Textilindustrie in Südostasien. Richtig so! Aber was ist am Ende dabei herausgekommen? (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Viel!) Wir haben ein unverbindliches Textilbündnis, einen unverbindlichen nationalen Aktionsplan für die Wirtschaft und ein freiwilliges Mitmachprogramm für die Unternehmen. Ja, wo leben Sie denn eigentlich? Wir brauchen gesetzliche Regelungen, damit Unternehmen soziale und ökologische Standards einhalten. (Beifall bei der LINKEN) Das ist kein freiwilliges Mitmachprogramm. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aber ein sehr erfolgreiches Textilbündnis! Freiwilligkeit, das steckt dahinter! Aber das kapiert ihr gar nicht! Ihr setzt ja immer nur auf Vorschriften! Wir setzen auf Freiwilligkeit!) Es gibt auch gute Initiativen bei den Vereinten Nationen. Eine ganz wichtige Initiative ist die sogenannte Treaty Initiative, die sich darum bemüht, ein weltweites Unternehmensstrafrecht durchzusetzen, um globale Konzerne sanktionieren zu können. Aber was macht die Bundesregierung? Sie boykottiert diese Initiative. Das ist ein Armutszeugnis für Sie, Herr Müller. Wir fordern, dass endlich solche Initiativen bei den Vereinten Nationen unterstützt werden. (Beifall bei der LINKEN) Drittens: eine Welt ohne Hunger. Sie haben es erwähnt: die größte humanitäre Katastrophe seit Bestehen der Vereinten Nationen in Ostafrika. Die Welthungerhilfe hat gestern wieder kritisiert, dass die Hilfe viel zu spät kam, und zwar auch von der Bundesregierung. Wir haben schon vor einem Jahr davor gewarnt, dass sich solche Katastrophen abzeichnen. Auch die Kriege tragen dazu bei. Im Jemen hungern 7 Millionen Menschen, weil es einen brutalen Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen und eine brutale Seeblockade gibt, die seit zwei Jahren die Hilfslieferungen blockiert. Das ist kriminell, was dort passiert. (Beifall bei der LINKEN) Und was macht die Bundesregierung? Sie hat die Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien erhöht, und die Bundeskanzlerin verspricht auch noch der saudi-arabischen Armee Fortbildungsmaßnahmen und Training hier bei uns. Das ist eine zynische Politik, und Sie sind mitverantwortlich, wenn dort Menschen sterben, wenn Sie nichts gegen die Seeblockade Saudi-Arabiens machen und stattdessen noch Waffen dorthin liefern. Wir wollen, dass diese Waffenlieferungen gestoppt werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe es bereits erwähnt: Auf dem Kirchentag in der nächsten Woche wird es wieder viele wohlfeile Reden geben: für Entwicklung, die Bekämpfung von Fluchtursachen, den Stopp von Rüstungsexporten und fairen Handel. Aber hier, wo Sie die Entscheidungen treffen, machen Sie nichts. Das reicht vielen Entwicklungsorganisationen und Friedensorganisationen. Deswegen rufen sie auf, nächste Woche, am 27. Mai, zum Brandenburger Tor zu kommen. Um 15 Uhr wird es dort eine Friedenskundgebung gegen Armut, Ausgrenzung und Krieg geben. Diese Organisationen fordern endlich die Politik ein, die Sie hier immer nur versprechen. Ich kann nur alle einladen, nächste Woche dort hinzukommen. – Sie sind mit Ihrer Politik gescheitert, Herr Müller! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha, ha, ha! Die große Lachnummer des Tages!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Stefan Rebmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn meiner Rede den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Kolleginnen und Kollegen im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für die geleistete Arbeit – auch für die Erstellung dieses Berichtes – danken. Wir debattieren ja über die Frage: Was hat uns in den vergangenen Jahren hier bewegt? Der Herr Minister hat ja schon auf das eine oder andere hingewiesen. Ich erinnere an die Ebolakrise und in dem Zusammenhang auch an das Stichwort „Gesundheit“. Das wird ja auf dem G7- und dem G20-Gipfel eine große Rolle spielen. Mir ist schon wichtig, noch einmal zu sagen, dass wir hier im Parlament über alle Fraktionen hinweg vehement dafür gekämpft haben, dass mehr finanzielle Mittel in den Gesundheitsbereich gesteckt werden bzw. dass der GFATM deutlich aufgestockt wird. Ich will auch noch einmal an das Unglück in Bangladesch – Stichwort „Rana Plaza“ – erinnern. Danach ist dann das Textilbündnis entstanden. Und es folgte auch eine öffentliche Debatte in Deutschland über die Fragen: Wer zahlt denn eigentlich für unseren Konsum? Und was bedeutet das denn eigentlich? Des Weiteren erinnere ich an den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, bei dem es um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in Unternehmen geht, sowie an den Streit, den wir insbesondere mit dem Finanzministerium bzw. mit Herrn Fuchtel hatten. Außerdem erinnere ich an die Debatte um die Handelsverträge. Ja, wir haben hier im Parlament zentral über die Flucht- und Wanderungsbewegungen debattiert. Wir alle haben – das ist auch ein Punkt, bei dem ich auf das Parlament stolz bin – dafür gesorgt, dass der Entwicklungsetat deutlich angestiegen ist. Herr Minister, Sie haben mit der Art und Weise, wie Sie Projekte angehen und diese auch öffentlich ansprechen, mit dafür gesorgt, dass Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit einen ganz anderen Fokus bekommen hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich finde, das ist positiv. Man darf das auch nicht kritisieren. Ich sage aber auch: Entwicklungspolitik ist weit mehr als nur Öffentlichkeitsarbeit. Entwicklungspolitik darf sich nicht darauf reduzieren lassen, nur Flucht- und Wanderungsbewegungen zu bekämpfen. Ich finde, Entwicklungspolitik ist – neben all den Aufgaben, die wir haben – auch Friedenspolitik, Zukunftspolitik und globale Strukturpolitik. Entwicklungspolitik braucht nachhaltige Strategien. Wir brauchen Zeit. Entwicklungspolitik braucht vor allen Dingen auch eine verlässliche Finanzierung. Damit bin ich mitten drin im Thema Sonderinitiativen. Mit den Sonderinitiativen – das kritisiere ich auch nicht – wurde ja viel erreicht. Aber: Mit dem stetigen Anwachsen der Sonderinitiativen haben wir in vielen anderen Bereichen – insbesondere bei den Durchführungsorganisationen – für erhebliche Schwierigkeiten gesorgt. Das ging so weit, dass eine ganze Reihe von Projekten nicht mehr durchgeführt werden konnte. Ich finde, das war ein großer Fehler. Das müssen wir ändern. Wir müssen die Sonderinitiativen auf ein erträgliches Maß zurückführen, damit wir wieder mehr Geld für unsere eigentlichen Kernaufgaben geben können. (Beifall bei der SPD) Noch einen weiteren Punkt will ich ansprechen. Ich finde es gut, wenn bei jeder Gelegenheit – Sie haben es hier ja wieder gemacht, Herr Minister – soziale, menschenrechtliche und ökologische Standards bzw. Mindeststandards in den globalen Lieferketten eingefordert werden. Es gibt mir dann aber zu denken, dass Sie Handelsabkommen mit Afrika unterzeichnet haben, die keinerlei wirksame Fördermaßnahmen bzw. entwicklungspolitische Maßnahmen beinhalten, und dass Sie gleichzeitig bei der Vorstellung des Marshallplans diese Entwicklungspartnerschaften mit Afrika wieder kritisieren. Das gibt in Gänze keinen Sinn. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abschließend – weil meine Zeit abläuft – möchte ich sagen: Dieser entwicklungspolitische Bericht enthält eine gute Analyse und eine gute Beschreibung, ist mir aber in den Maßnahmen viel zu unkonkret. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Widersprüchlich!) Als Fußballer sage ich: Eine ordentliche Mannschaftleistung, aber der Kapitän rennt leider viel zu oft ins Abseits und erzielt mehr Lattentreffer als Tore. Ein weiteres Problem ist, dass er einen Mitspieler aus dem Schwarzwald hat, der gerne Messi wäre, aber leider nur über die technischen Möglichkeiten eines Berti Vogts verfügt. Herzlichen Dank. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Na ja, gut. – Uwe Kekeritz ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Müller, Sie haben Ihren Bericht zuerst der Presse und einen Tag später dem Parlament vorgelegt. Jetzt könnte man sagen: Was kommt er da mit solchen Lappalien? Was soll denn das Ganze? – Aber, Herr Minister, Regieren und der Umgang mit dem Parlament haben sehr viel mit Stilfragen zu tun. Ihr Prinzip „Das Parlament kann sich ja über die Presse rechtzeitig informieren“ ist völlig daneben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit solchen Kapriolen, Herr Müller, belegen Sie, dass Sie das Prinzip „Good Governance“ nicht wirklich ernst nehmen. Während Sie in der ganzen Welt von Land zu Land fahren und gute Regierungsführung einfordern, ignorieren Sie zu Hause die Rechte des Parlaments. Ich halte das für unglaubwürdig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben Entwicklungspolitik immer in erster Linie als PR-Arbeit verstanden; der Kollege Rebmann hat bereits darauf hingewiesen. Das belegt auch Ihr Bericht. Was Sie in diesem Bericht präsentieren, hat oftmals märchenhafte Züge. Anstatt eine ehrliche Bilanz nach professionellen Standards vorzulegen, schreiben Sie im Plauderton über einzelne Projekte, garnieren dies mit unwichtigen geografischen Fakten und erklären den Leserinnen und Lesern, dass alles wunderbar ist und dass vor allen Dingen alles völlig neu ist. Sie haben sich auf den rund 200 Seiten des Berichts gerade einmal auf einer halben Seite des DAC Peer Reviews angenommen. Sie wissen, welche Bedeutung dieser Review hat. Er ist für uns die entwicklungspolitische Richtlinie. Sie sollten ihn einmal lesen; denn dort steht viel Interessantes für Ihre Arbeit. Dieser Bericht fordert zum Beispiel eine verstärkte internationale Arbeitsteilung und eine Reduzierung auf wenige Partnerländer. Auch Sie sagen ständig: Das Gießkannenprinzip muss weg. – Tatsächlich hat sich die Anzahl der Partnerländer erhöht, genauso wie die Anzahl der Themen, die Sie in den einzelnen Ländern aufgreifen. Der Bericht fordert das Erstellen eines ressortübergreifenden Konzepts für Politikkohärenz. Wir müssen jedoch heute feststellen, dass wir uns von der Kohärenz immer weiter entfernen, anstatt dass wir uns ihr annähern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bericht fordert mehr Transparenz, eine Beendigung der Lieferbindung und eine stärkere Konzentration der ODA-Mittel auf die ärmsten Länder, auf fragile Staaten. Aber Sie haben zugunsten der Middle Income Countries umgeschichtet. Das ist kein Erfolg. Des Weiteren wollten Sie den Welthunger mit grünen Zentren bekämpfen. Sie behaupten, die textile Lieferkette durch Ihr Textilbündnis auf ein nie dagewesenes Niveau zu verbessern. Es geht aber noch toller: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wollen Sie durch Ihren Marshallplan vom Kopf auf die Füße stellen. Herr Minister, als guter Katholik sollten Sie bitte schön die Kirche im Dorf lassen. Ihre Ansätze sind weder neu noch innovativ. Ihr Marshallplan hat nichts mit Marshall zu tun. Sie sollten ihn eher Washington Consensus II nennen. Das würde aber keiner verstehen. Deshalb nennen wir ihn besser Müller-Plan. Dieser wird aber von der DIHK, dem Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft rundweg abgelehnt. Um nur einen Kritikpunkt dieses Plans zu nennen: Der Plan erweckt falsche Vorstellungen. Das musste die Kanzlerin schmerzhaft erfahren, als sie im Niger den Präsidenten besuchte, der von Ihrem Marshallplan gehört hatte. Der Präsident sagte tatsächlich: Wie wäre es denn mit 1 Milliarde? Die könne er gut gebrauchen. – Die Kanzlerin hat dann 17 Millionen Euro zugesagt. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Förderung der Privatwirtschaft ist nun wirklich nicht Ihre Erfindung, sondern ist schon immer Bestandteil der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewesen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Immer von euch bekämpft!) Das sollten auch Sie von der SPD sich einmal zu Herzen nehmen. Ihre damalige Ministerin hat in diese Richtung schon längst gearbeitet. Sie sollten sich nicht vorgaukeln lassen, dass das eine neue Erfindung ist. Private Investitionen werden natürlich auch von uns gefordert. Sie müssen allerdings bestimmte Kriterien erfüllen, die in Deutschland selbstverständlich sind. Die Rahmenbedingungen für die Investitionen werden von den SDGs definiert. Lesen Sie doch einfach einmal den Grünenantrag zum Thema „Globale Investitionen gestalten“. Darin steht viel, wie man es richtig macht. Ihre Konzepte, von der Afrika-Strategie über die Zukunftscharta bis zum Marshallplan – das ist eine Kritik, die Sie sich wirklich zu Herzen nehmen sollten –, wurden nicht im Kabinett abgestimmt. Aber das macht einem PR-Strategen natürlich nichts aus. Hauptsache, man kommt groß in die Medien. Herr Müller, Sie sind nicht teamfähig. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das sehen wir ganz anders! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das klingt ein bisschen neidisch!) Ihre Einmannshow hat inzwischen weitreichende Folgen; denn die Gelder – Kollege Rebmann hat darauf hingewiesen –, die Sie medial wirksam in Ihre Sonderinitiativen pumpen, fehlen an anderer Stelle schmerzhaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die GIZ, aber auch viele NGOs leiden unter der Umlenkung dieser Mittel. Gut funktionierende Projekte müssen eingestampft werden. Sie opfern gute Projekte Ihren medialen Zielen. Sorry, Herr Müller, da haben Sie etwas in der Entwicklungspolitik völlig falsch verstanden. Die geht nämlich anders. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch mit Ihren Äußerungen zur Handelspolitik haben Sie landauf, landab richtig Furore gemacht. Aber wo waren Sie denn, als diese Handelsverträge in Brüssel unterschrieben wurden? Ich habe es ganz vergessen: Sie waren am Verhandlungstisch. Da hat die Kollegin Hänsel völlig recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie wollen Sie den Menschen im Land erklären, warum Sie sich in Ihren Hochglanzbroschüren seitenweise über fairen Handel auslassen, um dann in Ihrem eigenen Verantwortungsbereich nichts zu machen? Auch Ihrem Haus ist schon längst klar, dass diese Verträge für Afrika schädlich sind. Ich meine nicht nur, aber auch Milchpulver, Hähnchenteile, eingedoste Tomaten und, und, und. Das alles sind Produkte, die die afrikanischen Länder selbst herstellen können, es sei denn, sie werden durch Handelsverträge, die Sie mitverantworten, genötigt, ihre Grenzen für diese Produkte zu öffnen. Dann haben die afrikanischen Länder keine Chance mehr. Damit zerstören Sie den größten und wichtigsten Sektor in diesen Ländern, nämlich die Landwirtschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit fördern Sie – das müssen Sie wissen, Herr Minister – wissentlich den Fluchtdruck von Millionen von Menschen. Ein Stopp der EPAs wäre effektive Fluchtursachenbekämpfung, die Ihnen angeblich so wichtig ist. Wenn Ihnen aber wirklich daran gelegen ist, hätten Sie als deutscher federführender Minister in Brüssel Verbesserungen einbringen müssen und können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie haben Sie sich überhaupt im Kabinett oder im Bundessicherheitsrat eingebracht? Sie hätten zum Beispiel eindeutig gegen Rüstungsexporte Stellung nehmen müssen. Wann haben Sie jemals gegen Waffenlieferungen, zum Beispiel nach Saudi-Arabien, gestimmt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie hätten den Umwelt- und Menschenrechtsschutz bei Investitionen entlang der Lieferkette gesetzlich verankern müssen. Sie haben das nicht einmal versucht. Über Strukturpolitik reden, aber nichts machen, ist Ihre Stärke. Damit zeigen Sie auch, dass Ihre vermeintlichen Fluchtursachenbekämpfungsmaßnahmen nur ein Lippenbekenntnis sind. Deutschland und die EU verlagern lieber die europäischen Grenzen nach Afrika, auch wenn dafür skandalöse Verträge mit Diktatoren notwendig werden. Wir diskutieren heute einen wirklich mageren Bericht, eine magere Bilanz. Wie mager diese Bilanz ist, können Sie unserem Entschließungsantrag entnehmen. Dort haben wir allerdings nur die wichtigsten Kritikpunkte aufgeführt. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Dann sind wir ja schnell fertig!) Mein Blick geht jetzt zur Regierungsbank. Herr Minister, das erinnert mich irgendwie an Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer. Sie wissen, beide haben lange gebraucht, bis sie das Problem mit dem Scheinriesen erfasst haben. Ihre Zeit ist abgelaufen. Wir haben den Scheinriesen Müller entdeckt, und wir wissen auch, was dahintersteckt. Nach fast vier Jahren ist Ihr Zauber vorbei. – Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Sie haben sehr hoffnungsvoll mit viel grüner Rhetorik begonnen. Sie hatten am Anfang auch die grüne Unterstützung. Am wenigsten wurden Sie von Ihrer Fraktion unterstützt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was Sie alles wissen! Unglaublich!) Jetzt stellen wir fest, dass die letzten vier Jahre entwicklungspolitisch leider verloren sind. Man muss sagen: Diese Zeit haben wir nicht mehr. (Zurufe von der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege! Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben keine Zeit mehr, um sie einfach zu verspielen. (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Mit der Rede kommen Sie unter 5 Prozent!) Es gilt, zu handeln, nicht nur zu reden. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Dagmar Wöhrl das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, lieber Uwe Kekeritz, wer dir das aufgeschrieben hat. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selber geschrieben!) Vielleicht solltest du dein Redemanuskript in der Zukunft vorher richtig durchlesen. Das bist nicht du; so redest du normalerweise auch nicht. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Entschuldigung! – Stefan Rebmann [SPD]: Doch! Ich kann es bestätigen! Im Ausschuss redet der so!) Bleib identisch, wenn du hier sprichst. Ich habe dich jetzt zwei Legislaturperioden im Ausschuss erlebt und muss feststellen: Der andere Uwe Kekeritz ist mir viel lieber. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine erste entwicklungspolitische Rede im Bundestag hielt ich 2010 in einer Haushaltsdebatte. Thema damals waren die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf die Entwicklungsländer. Die Weltbank hatte gerade veröffentlicht, dass die Zahl der ärmsten Menschen der Welt bei 64 Millionen liegt, dass es 43,7 Millionen Flüchtlinge gibt und 49 000 Opfer von gewaltsamen Konflikten. Damals wurden die Entwicklungspolitiker noch als eine Art Exoten mit der Ethik von Gutmenschen betrachtet. Heute ist es so, dass die Entwicklungspolitik die Tagesordnungspunkte internationaler Zusammenkünfte bestimmt, etwa bei Treffen der G 20. Die Entwicklungspolitik steht im Mittelpunkt des Geschehens bei internationalen Verhandlungen. Wir haben gelernt, dass die Herausforderungen leider nicht kleiner geworden sind, sondern viel größer. Man hat das Gefühl, im Modus einer Dauerkrise zu sein: Die Flüchtlingszahlen sind von damals 43,7 Millionen auf 65 Millionen gestiegen. Ein El Niño hat in Äthiopien die stärkste Dürrekatastrophe seit 50 Jahren hervorgerufen. Die Hungerkrise als Folge von Konflikt und Gewalt steigt so an, dass 50 Millionen Menschen allein im Osten und im Süden von Afrika auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Uns droht, dass allein durch den Klimawandel bis 2050 über 200 Millionen Menschen auf der Flucht sein werden. Diese Zuspitzung der Krisen in einer ganz neuen Dimension hat uns gezwungen, schnelle Reaktionen zu zeigen, zum Beispiel mit der Versorgung der Flüchtlinge rund um Syrien und mit der Stabilisierung der Gemeinden in den Nachbarländern rund um Syrien. Wir haben durch unsere Politik, durch unser Engagement vor Ort verhindert, dass ganze Regionen dort in Brand geraten sind, und haben hier langfristig die richtigen Prioritäten gesetzt. Es war richtig, dass der Minister gleich am Anfang dieser Legislaturperiode das Thema „Flucht und Vertreibung“ in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt hat. Andere waren noch weit davon entfernt. Wir haben hier von Anfang an den richtigen Akzent gesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben innovative Instrumente wie Cash for Work genutzt. Wir haben Sonderinitiativen wie „EINEWELT ohne Hunger“ gestartet, die sehr erfolgreich sind. Es gibt inzwischen über 14 Innovationszentren auf der Welt, Tendenz steigend. Wir haben auch erkannt, dass die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik im Rahmen eines vernetzten Ansatzes wichtig ist und die Trennung, die über viele Jahre hinweg aus ideologischen Gründen vollzogen worden ist, aufgehoben werden musste. Wir sind den richtigen Weg gegangen. Das wird vor allem daran deutlich, dass inzwischen 1,5 Milliarden Menschen in fragilen Staaten leben. Diese Menschen haben fast keine Gesundheitsversorgung. Die Kinder können nicht zur Schule gehen; sie sind von Bildung weitgehend abgeschnitten. Diese Menschen haben keine Perspektive für sich und auch keine Perspektive für ihre Kinder. Sie haben täglich Angst vor Übergriffen. Sie fragen nicht nach Ideologien. Sie wollen Hilfe von der internationalen Gemeinschaft, und sie wollen auch Hilfe von uns. Als ich angefangen habe, mich im Deutschen Bundestag mit der Entwicklungspolitik zu beschäftigen – ich war vorher im Bereich der Wirtschaftspolitik tätig –, habe ich gemerkt, dass starke rote Linien gezogen worden sind, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft ging. Ich bin froh, dass wir erkannt haben, dass wir allein mit öffentlichen Mitteln unsere Ziele nicht erreichen können. Wir können die Ziele der Agenda 2030 nicht nur mit Steuermitteln erreichen; wir brauchen dazu die Privatwirtschaft. Deswegen ist es richtig, dass sich der Minister dieser Sache mit seinem Marshallplan mit Afrika angenommen hat und die Privatwirtschaft mit ins Boot geholt hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Er hat die Privatwirtschaft aber nicht nur mit ins Boot geholt, er nimmt sie in der Zukunft auch mit in die Verantwortung. Wir konzentrieren uns auf viele neue Felder. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: So wie bei Monsanto!) Wir haben erkannt: Mit dem Gießkannenprinzip, das die Entwicklungspolitik über viele Jahrzehnte hinweg geprägt hat, hat man nicht die Ergebnisse erzielt, die man erzielen wollte. Wir müssen uns auf wichtige Themen konzentrieren. Eines dieser wichtigen Themen ist Bildung; das hat der Minister vorhin zu Recht angesprochen. Deswegen ist es wichtig, dass wir Deutsche versuchen, unsere Kompetenzen, die wir haben, in anderen Ländern zu implementieren, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wie die duale Ausbildung. In diesem Bereich sind wir gut, da sind wir Weltmeister. Deswegen fördern wir Berufsbildungszentren überall auf der Welt, wo es möglich ist, um jungen Menschen, die in ihren Ländern hoffnungslos sind und keine Perspektiven haben, die Möglichkeit zu geben, dort einen Job zu finden. Ich bin froh, dass wir es in den letzten vier Jahren geschafft haben, von dem Gedanken wegzukommen, dass die Entwicklungsländer Nehmerländer sind. Das ist wichtig. Wir können nicht sagen: Ihr, die Entwicklungsländer, seid die Nehmerländer, und wir sind die Besserwisser. – Das ist falsch. Ich bin froh, dass das erkannt worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sprechen von Partnerschaft auf Augenhöhe, aber wir fordern auch ein. Wir geben den Entwicklungsländern nicht nur Geld, sondern sagen ihnen auch, dass sie Eigeninitiativen entwickeln müssen, dass sie auch Eigenverantwortung zeigen müssen, dass sie ihre Aufgaben machen müssen; ansonsten können sie von uns in der Zukunft keine Hilfe mehr erwarten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde ermahnt. Deswegen höre ich jetzt auch auf. Ich war ja immer anständig und brav. Viele von Ihnen wissen, dass ich nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidieren werde. Ich nehme an, dass dies nach 23 Jahren meine letzte Rede sein wird. Ich habe nicht gezählt, wie viele Reden ich im Deutschen Bundestag gehalten habe, nicht in Bonn und auch nicht hier in Berlin. Aber ich habe eines erlebt: Wir hatten immer eine sehr faire Streitkultur. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Wir haben uns gekabbelt, aber hatten immer auch Respekt vor der Meinung des anderen und haben das immer auch ausgedrückt. Ich möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für die Zusammenarbeit bedanken. Diese Streitkultur wird mir fehlen; das ist ganz klar. Ich bin damals vor 23 Jahren als Quereinsteigerin in die Politik gekommen. Das war zu einer Zeit, als viele Kollegen noch gedacht haben, die Frauen wären am besten im Familienausschuss und im Gesundheitsausschuss aufgehoben. Ich war damals als erste Frau im Wirtschaftsausschuss ein Exot. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Ich bin meinen Weg gegangen. Vielleicht noch ein Satz zum Schluss: Der Gerichtshof meiner politischen Verantwortung war immer mein persönliches Gewissen, wie es auch das Grundgesetz vorschreibt. Ich sage immer: Eine Partei mag Orientierung sein – das ist vielleicht mein letzter Satz –, aber sie kann das eigene Gewissen nicht ersetzen. Das möchte ich hier noch einmal sagen. Ich hatte immer Freude daran, zu gestalten. Das werde ich auch weiterhin tun, in der einen oder anderen Funktion. Der Entwicklungszusammenarbeit werde ich auf jeden Fall erhalten bleiben. Ein Dank geht zum Schluss an die vielen fleißigen Helfer. Das darf ich zum Schluss, Herr Präsident, vielleicht noch sagen. (Heiterkeit) – Das muss ich noch sagen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie hatten vor geraumer Zeit einen letzten Satz angekündigt, Frau Kollegin. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Ja, aber das gestehen Sie mir heute zu. – Ich möchte Dank sagen an die vielen Saaldiener, die uns immer sehr, sehr nett und freundlich betreuen, an die Stenografen und an die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes, also an die vielen Fleißigen, die hinter den Kulissen tätig sind und die man im Fernsehen oft nicht sieht. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie bleiben uns doch bei VOX erhalten, Frau Wöhrl!) – Das stimmt, aber leider nicht hier. – Ein Dankeschön auch an meine Wählerinnen und Wähler, dass ich hier sein durfte! (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, jetzt geht es aber zu weit!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich gebe diesen Dank gerne zurück, Frau Kollegin Wöhrl, verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere Zukunft. Ich bitte nur um Berücksichtigung des folgenden Zusammenhangs: Wir werden in den wenigen verbleibenden Plenardebatten häufiger vergleichbare Konstellationen haben, dass Kolleginnen und Kollegen zum letzten Mal in diesem Hohen Hause das Wort ergreifen. Das verfolgen wir alle mit ganz besonderem Respekt. Es wäre zu schön, wenn die bei dieser Gelegenheit vorgesehenen persönlichen Worte in der Nähe der Redezeit untergebracht werden könnten. (Heiterkeit) Ansonsten bringt das den jeweils amtierenden Präsidenten in die Schwierigkeit, zwischen der Gewissensfreiheit der Abgeordneten und der vom Plenum des Bundestages beschlossenen Gesamtredezeit zum jeweiligen Tagesordnungspunkt einen vertretbaren Mittelweg zu finden. Der nächste Redner ist der Kollege Movassat, bei dem dieses Problem hoffentlich nicht auftritt. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der kommt wieder!) Niema Movassat (DIE LINKE): Ich mache weiter. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abschiedsworte dauerten fast so lange wie meine vier Minuten Redezeit. Ihnen alles Gute, Frau Wöhrl! Herr Müller, eines muss ich Ihnen tatsächlich lassen: Sie haben wirklich einen sehr guten Redenschreiber. Er hat dafür gesorgt, dass Sie in dieser Legislaturperiode oft den richtigen Ton getroffen haben. Da sagten Sie dann Dinge, die wir Linken auch sagen, zum Beispiel, dass der reiche Teil der Welt nicht auf Kosten der Armen leben darf. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber das Problem ist: Sie haben in den letzten vier Jahren eine komplett gegenteilige Politik betrieben. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Ihre Entwicklungspolitik war eben nicht nachhaltig. Statt schöner Worte hätten wir Linke uns gute Taten gewünscht. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir uns die realen Ergebnisse Ihrer Politik an. Erstens. Sie bekämpfen Flüchtlinge, nicht die Fluchtursachen. Die GIZ, die Durchführungsorganisation der deutschen Entwicklungspolitik, arbeitet im Sicherheitsbereich in Ihrem Auftrag mit Diktaturen wie dem Sudan und Äthiopien zusammen. Ihr Motto lautet: Hauptsache, es flüchtet niemand mehr nach Deutschland. Hätten Sie doch nur wirklich etwas gegen die Fluchtursachen getan, zum Beispiel, indem Sie in der Bundesregierung laut und klar Ihre Stimme gegen die neoliberalen und entwicklungsfeindlichen EU-Freihandelsabkommen mit Afrika erhoben hätten oder indem Sie endlich die Steuerflucht deutscher Konzerne aus den Ländern des Südens eingedämmt hätten! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gerade Letzteres ist wichtig, weil man im Kampf gegen Fluchtursachen natürlich auch Geldmittel braucht. Das internationale Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, haben Sie nun offiziell erreicht. Aber wir alle wissen, dass diese 0,7 Prozent auf einem Trick beruhen: Sie haben die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge hier in Deutschland mit eingerechnet. Davon haben die Menschen im globalen Süden genau 0 Prozent. Diese Zahlenspiele sind peinlich. (Beifall bei der LINKEN) Zum zweiten Punkt Ihrer praktischen Politik. Sie haben einen sogenannten Marshallplan vorgestellt. Er ist aber eine reine Mogelpackung. Der historische Marshallplan brachte nach heutigen Verhältnissen umgerechnet die Summe von 130 Milliarden Dollar auf. Ihr Marshallplan umfasst 0 Dollar. Beim Thema Geld verweisen Sie in Ihrem Plan nur schwammig auf die deutsche Wirtschaft. Aber eigentlich passt dieser Verweis; denn Ihr Plan zielt auf die Interessen der deutschen Exportwirtschaft. So sprechen Sie vordergründig davon, dass die Investitionsbedingungen in den Ländern des Südens verbessert werden sollen. Aber was bedeutet das? Das bedeutet am Ende doch wieder, dass die Entwicklungsländer, die eine solide Umwelt- und Sozialgesetzgebung haben, die also ihre Umwelt schützen und die Rechte der Arbeiter verankert haben, diese Regeln abbauen sollen. In dieser Logik bekommt das Land Investitionen, das die niedrigsten Standards hat, und ein Wettbewerb nach unten entsteht. So bekämpft man keine Armut. So kann Entwicklungspolitik nicht funktionieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum dritten Punkt Ihrer praktischen Politik. Sie sagen, Sie wollten eine Welt ohne Hunger. Gleichzeitig fördern Sie aber mit Entwicklungsgeldern die Verbreitung von Monokulturen, Pestiziden, chemischen Düngemitteln und patentiertem Saatgut. Ihre Entwicklungspolitik, Herr Müller, spielt den Türöffner für Unternehmen wie Bayer-Monsanto und BASF. Damit zerstören Sie die Existenz von Kleinbauern und machen sie abhängig von Agrarkonzernen. Sie schaffen damit Hunger. Wir brauchen eine Entwicklungspolitik, die Kleinbauern unterstützt und nicht die Profite der Agrarkonzerne vermehrt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viertes Beispiel für „große Worte und nichts dahinter“ ist das Textilbündnis. Wo ist denn am Ende Ihrer Amtszeit der versprochene „Grüne Knopf“ für fair und nachhaltig produzierte Textilien? (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den will ich gar nicht haben!) Sie sind vor der Textillobby eingeknickt. Jedes Unternehmen darf jetzt machen, was es freiwillig machen möchte. Das ist ein schlechter Witz. Herr Müller, Ihre Bilanz haben Sie mit dem wohlklingenden Titel „Entwicklungspolitik als Zukunfts- und Friedenspolitik“ versehen – mal wieder schöne Worte. Der passende Titel für die Bilanz wäre aber „Entwicklungspolitik als Phrasendrescherei und Außenwirtschaftsförderung“. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Weber erhält nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabi Weber (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Für alle, die ihn noch nicht gesehen haben: Das ist der entwicklungspolitische Bericht. Für alle diejenigen, die auf den Tribünen sitzen: Den kann man sich auch beschaffen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber der gibt nicht so viel her, ehrlich gesagt! Schöne Bilder!) – Na ja. Die Bundesregierung legt mit diesem Bericht Rechenschaft über die Arbeit der letzten vier Jahre ab. Diese Zeit war von der Gleichzeitigkeit großer Krisen geprägt – Kriege, Flucht, Ebola und Hunger –, und alle haben Auswirkungen auf unsere Entwicklungsarbeit. Es geht jetzt darum, mit welcher Politik wir die 2015 beschlossenen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung erreichen wollen, in der Welt, aber auch bei uns zu Hause. In meiner nun bald vierjährigen Doppelrolle als Entwicklungs- und Verteidigungspolitikerin stand für mich das Thema Sicherheit oft im Fokus. Dabei ist Sicherheit aber mehr als nur militärisch-polizeiliche Sicherheit. Soziale Sicherheit, gerechte Verteilung von Ressourcen, Ernährungssicherheit und die vor- und nachsorgende Friedensarbeit sind die zweite Seite derselben Medaille. (Beifall bei der SPD) Unser Ziel ist eine umfassende menschliche Sicherheit, die die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben bildet und damit zugleich Konflikten vorbeugt. „Entwicklungschancen fördern, Fluchtursachen mindern und Frieden sichern“, so stellt der Bericht klar, dass Entwicklungspolitik gerade die strukturellen Ursachen von Fragilität und Flucht wie das Versagen staatlicher Institutionen, Armut, Ungleichheit, Perspektivlosigkeit und Klimawandel nur mittel- und langfristig mindern kann. Das ist das Kerngeschäft von Entwicklungspolitik und nicht überhastete Feuerwehreinsätze und Sonderinitiativen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es freut mich, dass die Rolle von Frauen bei der Friedenssicherung und der Entwicklung in dem Bericht gewürdigt wird. Frauen sind starke Akteure, aber leider oft auch Opfer. Beides muss berücksichtigt werden. Die Umsetzung der UN-Resolution 1325 durch unseren zweiten Nationalen Aktionsplan ist damit auf einem guten Weg. (Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Eine friedensorientierte Politik schließt auch eine zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungspolitik mit ein. Diesen Satz in dem Bericht kann jeder von uns, denke ich, voll unterschreiben. Ihn umzusetzen, Herr Müller, heißt dann aber auch, dass das BMZ und alle beteiligten Ressorts sich diesen bei ihren Entscheidungen zu eigen machen müssen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung sind nur in einem vernetzten Ansatz erreichbar. Die neuen Leitlinien der Bundesregierung zu Krisenvorbeugung und Friedensförderung wie auch das Weißbuch tragen dem Rechnung. Nur, Herr Minister: Der Marshallplan für oder mit Afrika folgt dem Gebot dieser engen Abstimmung nicht. Sie haben ihn alleine gemacht und dann im Kabinett vorgelegt. Das ist keine Abstimmung im Sinne vernetzter, vernünftiger Arbeit, die wir dringend brauchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch etwas, weil ich gerade beim Thema Afrika bin. Im Bericht wird verkündet: Der Einsatz auf EU-Ebene für eine entwicklungsfreundliche Ausgestaltung aller EU-Handels- und Investitionsabkommen mit Entwicklungs- und gegenüber Drittländern im Sinne der Agenda 2030 ist ein zentrales deutsches Anliegen. Ja, aber wenn es Ihnen damit ernst ist, Herr Minister, so wie Sie es im Januar im Ausschuss vorgetragen haben, dann sollten Sie die jetzt vorliegenden EPAs nicht mitbeschließen, sondern Hand in Hand mit uns ablehnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir uns bei der ODA-Quote nichts vormachen sollten. Die 0,7 Prozent erreichen wir nur dadurch, dass die Kosten für die Geflüchteten bei uns angerechnet werden. Das ist OECD-konform. Wenn man das aber abzieht, dann sind wir bei 0,52 Prozent. Ja, das ist eine gewaltige Steigerung in den letzten drei Jahren; aber wir müssen aufpassen, dass wir das Ziel von 0,7 Prozent im Blick behalten. Noch ein Hinweis: Die multilateralen ODA-Mittel sind zugunsten der bilateralen Zusammenarbeit massiv verringert worden. Das bringt uns aber nicht weiter. Wir müssen mit starken Partnern weltweit multilateral zusammenarbeiten. Das muss unser Ziel sein, um die Agenda 2030 mit Leben zu erfüllen. Danke. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meinem Wahlkampfflyer aus dem Jahr 2002 stand sinngemäß: Ich möchte gerne Entwicklungspolitik machen, weil ich helfen möchte, die Lebensumstände der Menschen vor Ort zu verbessern, damit sie ihre Heimat nicht verlassen müssen. – Man kann sagen: „Das war weitsichtig, vorausschauend“, vielleicht auch: „Warst du eine Hexe? Was hast du damals gesehen?“. Keine Ahnung, aber seit 2002 habe ich drei Entwicklungsminister erlebt – eine Entwicklungsministerin, zwei Entwicklungsminister –, und wenn ich den entwicklungspolitischen Bericht, den wir heute hier diskutieren, betrachte, dann ist das, was wir jetzt nach vier Jahren Minister Müller vorlegen, das, was ich mir unter nachhaltiger, weitsichtiger, vorausschauender und effizienter Entwicklungspolitik vorstelle. (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, das ist auch keine Kunst!) – Das ist keine Kunst? (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Im Vergleich zu Niebel!) Ich möchte gar nicht daran denken, was vorher geleistet worden ist, also bitte. Es ist offensichtlich doch eine Kunst, weil es wegweisend war, wie weise, klug und weitsichtig als Erstes die Sonderinitiativen in Gang gesetzt worden sind – „EINEWELT ohne Hunger“, „Stabilität und Entwicklung in Nordafrika und Nahost“, „Fluchtursachen bekämpfen“ –, lange bevor sich die Probleme überhaupt erst stellten. Es ist auch weitsichtig, klug und weise, ein Textilbündnis mit Empathie und Engagement voranzubringen. Das hat unser Minister in den Medien, in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft vorgestellt, und das war es, was uns fehlte. Jawohl, wir gehören in die Mitte der Politik. Wir sind ein Teil der guten Außenpolitik, die Deutschland an sich macht. Aber machen wir uns nichts vor, liebe Freunde: Ich habe das Gefühl, dass wir immer suggerieren, wenn wir erst einmal genug Geld hätten, wäre alles in Ordnung. Für uns sind 0,7 Prozent das Mantra. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, wir machen das nicht!) Haben wir erst einmal 0,7 Prozent erreicht, dann ist die ganze Welt in Ordnung. Wir suggerieren auch, Deutschland könne die Welt retten. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir auch nicht!) Liebe Freunde, wir sind ein ganz, ganz kleiner Teil in dem großen Rad der internationalen Gemeinschaft. Da müssen wir uns effektiv einbringen und effizient arbeiten. Da werden wir dringend gebraucht, unsere Ideen und Strategien, unsere Kenntnisse von den Strukturen vor Ort, den Gesundheitssystemen, den Bildungssystemen und Ähnlichem. Da sind wir gefragt. Wenn wir es schaffen, da unsere Arbeit sinnvoll zu machen, dann haben wir schon sehr viel geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU) Gestatten Sie mir einen kurzen Ausblick auf die Herausforderungen der Zukunft. Was sind die großen Themen? Ein großes Thema ist das Wachstum der Weltbevölkerung. Wie können wir dem begegnen? Der Minister hat es schon gesagt: hauptsächlich mit Bildung und Ausbildung der jungen Frauen und Mädchen. Wir brauchen die Frauen in Arbeit. Dieser Prozess ist langwierig, und dafür brauchen wir Geduld. Das ist es auch, was wir in der Entwicklungspolitik überhaupt brauchen: einen langen Atem, viel Geduld und viel Mut. Wir werden als Nächstes vor der großen Herausforderung der Energieversorgung in den sich entwickelnden Ländern stehen. Das wird eines der Hauptprobleme sein: Wie bekommen wir die industrielle Entwicklung in den Ländern, vor Ort, hin, ohne dass wir Industrialisierungsmechanismen in Gang setzen, wie wir sie hatten, aber heute zum Glück nicht mehr haben? Wir brauchen dort andere Mechanismen, um eine Entwicklung mit einer anderen Form der Energieversorgung hinzukriegen. Das Thema Klima. Der Klimawandel ist in den Ländern, in denen wir tätig sind, eigentlich das große Thema überhaupt. Es geht hier um eine weltweite, internationale Aufgabe, eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Dem müssen wir uns stellen, da müssen wir mitmachen, und wir werden es auch hinkriegen, wenn wir uns ordentlich einsetzen. Ich glaube, es ist richtig und gut, dass wir die Entwicklungspolitik aus der Ecke herausgeholt haben, in der das Weltverbesserertum und auch der Altruismus überhandnahmen. Wir sind in der Realität angekommen. Entwicklungspolitik muss realitätsnah sein, muss gewissen Anforderungen genügen, muss sich daran orientieren, welche Notwendigkeiten bestehen und wie man die Aufgaben vor Ort mit unseren Partnern erledigen kann. Das ist das, was wir in Zukunft viel mehr brauchen: nicht sagen, wie es besser geht, sondern die Länder mitnehmen, vor allen Dingen nicht nur an ihre Eigenverantwortung appellieren, sondern sie auch massiv einfordern – auch mit Druck –, Unterstützung nur unter gewissen Voraussetzungen leisten, zum Beispiel unter der Voraussetzung, dass die Länder auch ihre eigenen Gelder, ihre eigenen Ressourcen, ihre eigenen materiellen Fähigkeiten, ihre eigenen geistigen Fähigkeiten einsetzen. Wir brauchen dabei den Einsatz der Länder, sonst können wir nicht gemeinsam reüssieren. Was der Entwicklungspolitiker der Zukunft braucht, sind immer noch ein langer Atem und Geduld, aber vor allen Dingen Frohsinn, Mut und Zuversicht. Das wünsche ich, liebe Kollegen, all jenen, die sich auch in Zukunft mit Entwicklungspolitik befassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer. (Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache meine persönliche Erklärung zu Beginn, damit sie in die Redezeit passt: Es ist voraussichtlich meine letzte Rede hier, und ich freue mich darüber und bin dankbar dafür, dass meine Fraktion mir die Gelegenheit gibt, hier ein bisschen ausführlicher Stellung zu nehmen. Frau Pfeiffer, ich wollte hier eigentlich eine altersmilde, versöhnliche Rede halten; aber bei zwei Punkten muss ich den Ton wechseln: Erstens. Sie haben völlig recht: Der Entwicklungspolitische Bericht ist dick; (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gesagt!) er enthält viele Festlegungen. Aber es ist schon sehr häufig kritisiert worden, dass die Umsetzung an vielen Punkten zu wünschen übrig lässt. Was ich nur sagen wollte: Einen Quantensprung in der Entwicklungspolitik sehe ich in der Tat im Vergleich zu dem, was in der letzten Legislaturperiode hier abgeliefert worden ist. Denn eines haben Sie, Herr Müller, ganz deutlich hingekriegt: Das, was damals viele – auch von außerhalb, aus der Zivilgesellschaft – empfunden haben, nämlich dass Entwicklungspolitik zu einer anderen Form von Wirtschaftsförderung geworden ist, ist in Ihrer Politik, auch in dem Bericht, nicht mehr vorhanden. Ich glaube, das ist ein Schritt nach vorne. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber ich sage mal: Nach der damaligen Darbietung war das auch nicht so ganz schwer. Nichtsdestotrotz ist es ein Schritt nach vorne. Zweitens, Frau Pfeiffer, möchte auch ich die ODA-Quote ansprechen. Ja, Sie haben recht: Sie ist in der Tat ein Symbol für den Zustand der Entwicklungspolitik, und ich bin ganz froh darüber, dass wir eine solche Benchmark haben. Ich habe es bei meiner letzten Rede hier schon gesagt: Ich persönlich mache unabhängig von Parteien schon seit mehr als 40 Jahren in diesem Bereich Politik, und schon damals wurde das 0,7-Prozent-Ziel politisch gefordert. Ich will gar nicht thematisieren – es ist hier alles angesprochen worden –, wieso wir jetzt auf eine Quote von 0,7 Prozent kommen. Ich habe mal ein Zitat zu dem Haushalt gelesen, den Sie vorgelegt haben, insbesondere zur ODA-Quote von 0,7 Prozent, die wir jetzt erreicht haben. Frau Weber hat es gesagt: Es ist völlig korrekt, die Quote so zu berechnen, wie es hier getan wurde. Ich zitiere mal jemanden aus der Zivilgesellschaft, die heute in dieser Debatte – aus meiner Sicht zu Unrecht – noch gar keine große Rolle gespielt hat, (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nämlich den Vorstandsvorsitzenden von VENRO, einem der größten Partner der Bundesregierung auch bei der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Er hat am 11. April zu diesem Thema Folgendes gesagt – ich zitiere –: Damit rechnet sich Deutschland die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit schön und bleibt größter Empfänger seiner eigenen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist richtig. Er hat es auf den Punkt gebracht. Man muss sich das nicht zu eigen machen, aber wir alle haben die Botschaft verstanden und vereinbart, dass wir auch in Zukunft bei dem 0,7Prozent-Ziel bleiben wollen. Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wir und die internationale Gemeinschaft insgesamt haben in den letzten zwei Jahren gute Rahmenbedingungen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit geschaffen. Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel im September 2015 wurde mit der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsagenda 2030 und der SDGs ein aus meiner Sicht ganz wichtiger Paradigmenwechsel in der internationalen Außenpolitik und in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit herbeigeführt. In diesem Zusammenhang wurde ein Begriff geprägt, den ich sehr treffend finde. Es wurde gesagt: Ziel ist nicht weniger und nicht mehr als die „Transformation“ unserer Welt. Ich glaube, das ist der eigentliche Kern der Agenda 2030; denn mit ihr werden die Ziele und die Möglichkeiten von Entwicklungszusammenarbeit vom Kopf auf die Füße gestellt. Dieser Paradigmenwechsel ist an der einen oder anderen Stelle angesprochen worden. Man hat sich darauf verständigt: Wir müssen weg von der Mentalität, dass die Menschen in Afrika und Südostasien von uns Almosen erhalten, und deshalb sind wir die Guten. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachhaltigkeitsagenda 2030 ist eine Verpflichtung für alle Staaten und für alle Gesellschaften auf dieser Erde. Sie ist auch die Verpflichtung uns selbst gegenüber, unsere Hausaufgaben zu machen. Auf dieser Grundlage werden dann die Angebote an Partner, an Partnerländer und Partnergesellschaften gemacht. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Aber trotz der Nachhaltigkeitsstrategie, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sind wir noch weit von diesem Ziel entfernt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine kurze Anmerkung zur Mittelverwendung; das Thema ist hier schon angesprochen worden. Ich will meine Ausführungen anhand eines konkreten Beispiels deutlich machen. Frau Pfeiffer, Sie haben die Sonderinitiativen gelobt. Ja, es ist wichtig und richtig, dass man eine Reserve hat, um in Notsituationen eingreifen zu können; ich kenne das speziell aus dem Bereich der humanitären Hilfe. Nur: Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es eben nicht um das kurzfristige Stopfen von Löchern, sondern es geht um eine nachhaltige, zukunftsträchtige Perspektive, die Standards braucht und auf deren Grundlage man eine langfristige Strategie entwickeln muss. Das ist durch die Sonderinitiativen aus meiner Sicht nicht geschehen. Im Gegenteil: Nachhaltigkeit ist im Grunde genommen verhindert worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2017 Kontakte mit Mitarbeitern des Zivilen Friedensdienstes gehabt. Der Zivile Friedensdienst betreut Projekte im Nahen Osten, in der Westbank, in Palästina, die unter anderem aus Mitteln einer Sonderinitiative des BMZ gefördert worden sind. Auf dem Höhepunkt der Arbeit und der Mediation ist diese Sonderinitiative ausgelaufen. Die jungen Mitarbeiter haben uns gesagt: Wir müssen unser Projekt stoppen; denn eine nachhaltige Finanzierung ist nicht mehr gewährleistet. – Wenn man Kohärenz und Prävention will, wenn man militärische Auseinandersetzungen wirklich verhindern will: Wie kann es dann sein, dass solche wunderbaren Initiativen wie die des Zivilen Friedensdienstes so wenig gefördert werden, dass man die Projekte auf dem Höhepunkt ihrer Arbeit einstellen muss? Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der auch schon Thema gewesen ist. In meiner Arbeit auf zahlreichen Tätigkeitsfeldern habe ich mich mit der Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent auseinandergesetzt. Neben den vielen wahrnehmbaren positiven Ansätzen möchte ich eine ganz fundamentale Kritik üben, die in dieser Debatte schon ein Stück weit eine Rolle gespielt hat. Es geht um den Marshallplan. Ich möchte jetzt nicht über den Begriff philosophieren, aber eines wird in der Diskussion deutlich: Ich erlebe es immer wieder, dass viele, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sagen: Marshallplan für Afrika. Das sind nur drei Buchstaben, aber sie zeigen, welche Mentalität dahintersteht. Ich glaube, da muss man sehr aufpassen. An Ihrer Strategie finde ich einiges falsch; da bin ich übrigens nicht der Einzige. Ich habe vor wenigen Wochen an einer Veranstaltung in Ihrem Haus teilgenommen. Hauptreferent war der frühere Bundespräsident Horst Köhler. Er hat an der Initiative das gelobt, was lobenswert ist, nämlich die Bereitstellung von Fördermitteln für den Privatsektor. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es passiert nichts!) Er hat aber auch gesagt: Wir können und dürfen uns nicht auf eine Strategie verlassen, die die Entwicklung in fragilen Staaten aus den Augen lässt. – Das Konzept, Fördergelder in Staaten zu stecken, in denen es nach unserer Auffassung eine gute Regierungsführung gibt, ist ja nicht völlig falsch; aber wir müssen auch die fragilen Staaten – das sagen auch Welthungerhilfe und andere –, in denen die Armut stark zunimmt, mit unseren Initiativen bedenken. Wir dürfen da keine Arbeitsteilung vornehmen und sagen: Wir fördern die guten Staaten, und die armen Menschen in Staaten mit einer schlechten Regierung und fragilen Strukturen lassen wir außen vor. Das würde zu einer noch größeren Ausdehnung von Katastrophen, von Hunger und Armut führen. Damit werden wir zu tun haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Horst Köhler hat einen weiteren Punkt, der aus meiner Sicht sehr wichtig ist, deutlich angesprochen. Er hat gesagt – jedenfalls habe ich ihn so verstanden –: Wenn man sich schon auf eine solche Strategie fokussiert, dann ist es falsch, durch andere Formen der finanziellen Zuwendung, beispielsweise durch den EU Emergency Trust Fund, durch Programme im Rahmen des Valletta-Aktionsplans und des Khartoum-Prozesses, Regime zu fördern, mit denen wir keine Entwicklungszusammenarbeit betreiben, dann ist es falsch, denen Geld zu geben, damit sie Grenzen ausbauen und Grenzsicherung betreiben. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Form einer nachhaltigen Vermeidung von Fluchtursachen, sondern das Gegenteil davon. Damit werden wir unserem Anspruch an Entwicklungszusammenarbeit nicht gerecht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine letzte Bemerkung: Wir als Bundestag und auch die Bundesregierung haben versprochen: Leave no one behind. Wir wollen niemanden zurücklassen. Das haben wir versprochen. Daran müssen wir uns messen lassen, hier in diesem Hause und außerhalb, in der Zivilgesellschaft. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht. Es lohnt sich, wo auch immer in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dafür zu kämpfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt möchte ich die zentralen Punkte des 15. Entwicklungspolitischen Berichts zusammenfassen. Allen kritischen Stimmen zum Trotz kann sich die entwicklungspolitische Bilanz der Bundesregierung wirklich sehen lassen. Das ist ein persönlicher Erfolg von Minister Müller, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) aber auch ein Erfolg der Bundeskanzlerin. Sie trägt einen großen Anteil an diesem Erfolg, da wir als Entwicklungspolitiker in ihr immer eine große Fürsprecherin hatten. Das muss, glaube ich, deutlich gemacht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch einmal zu den Zahlen: Seit Beginn der Legislaturperiode ist der Etat für den Bereich Entwicklungszusammenarbeit um ein Viertel gewachsen, von 6,3 Milliarden auf 8,5 Milliarden Euro. Das ist nicht mager, lieber Uwe Kekeritz. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bilanz ist mager! Es geht nicht immer nur um Geld!) Das ist keine Phrasendrescherei, lieber Kollege Movassat. Das ist ein gewaltiger Sprung nach vorn. Das müssen wir, glaube ich, einmal deutlich machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD]) Wir haben über die erreichte Zielgröße gesprochen: 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsausgaben. Wir verschweigen dabei natürlich nicht, dass dieser Erfolg durch die Anrechenbarkeit der Ausgaben für Flüchtlinge im Inland erreicht wurde. Unser Ziel in den kommenden Jahren muss es sein, trotz eines möglichen Rückgangs der Ausgaben für Flüchtlinge das derzeitige Niveau von 0,7 Prozent zu halten. Wir sollten nicht darunter bleiben, sondern im Gegenteil über 0,7 Prozent hinausgehen. Was steht hinter diesen schlichten 0,7 Prozent? An folgenden Beispielen lässt sich das verdeutlichen: Mehr als 1 Million Kinder aus Syrien, der Türkei, dem Libanon und dem Irak profitieren von den Bildungsangeboten, die das BMZ finanziert. Dadurch haben sie eine Chance für ihre Zukunft zu Hause. In den letzten Jahren wurden hunderttausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Textilbranche hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte geschult. Auf der Konferenz zur Wiederauffüllung der globalen Impfallianz GAVI 2015 in Berlin konnte ein Rekordergebnis erzielt werden. Deutschland wird die Allianz bis 2020 mit 600 Millionen Euro unterstützen. Das ist Gesundheitsförderung. Ich möchte Sie nicht mit weiteren Aufzählungen ermüden. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Aber ich glaube, es ist wichtig, zu sagen: Die deutsche Entwicklungspolitik ist auf einem richtigen Weg. Der 200 Seiten starke Bericht macht das detailliert und mit vielen Beweisen noch einmal deutlich. Im Lichte der globalen Entwicklungsagenda 2030 zeigt der Bericht aber auch wichtige und notwendige Weichenstellungen für die Zukunft unseres Planeten auf. Es geht darum, eine Welt ohne Armut und Hunger zu schaffen, den Klimawandel zu bekämpfen, Entwicklungschancen zu fördern, Fluchtursachen zu mindern, Frieden zu sichern, die Weltwirtschaft gerechter zu gestalten und globale Partnerschaften für die Agenda 2030 auf den Weg zu bringen. Mit diesen Weichenstellungen liegt uns eine Roadmap vor, die Richtlinie für unser Handeln sein muss. Dies zeigt sich aktuell im Rahmen der deutschen G-20-Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte Welt gestalten“. Die G-20-Runde ist das zentrale Forum der internationalen Zusammenarbeit, in der die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, die 80 Prozent des globalen Handels auf sich vereinen, in Finanz- und in Wirtschaftsfragen zusammenarbeiten. Höhepunkt ist im Übrigen der G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg, in meiner Heimatstadt. Auf der Agenda steht beispielsweise die Ausgestaltung von nachhaltigen globalen Lieferketten. Das ist ein Thema, das weltweit viele Millionen Näherinnen, Gerber, Spediteure und viele andere Berufsgruppen betrifft. Vor allem geht es darum, die Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards sowie von Gesundheitsstandards zu gewährleisten. Wir ziehen heute auch Bilanz der Entwicklungspolitik der letzten vier Jahre. Wir stellen fest, dass Entwicklungszusammenarbeit heute viel stärker im Fokus des öffentlichen Interesses steht, und das ist gut so – nicht nur, weil sie überprüft wird, sondern auch, weil sie gelobt werden kann. Entwicklungsminister Müller hat dies genutzt und der deutschen Entwicklungspolitik eine Neuausrichtung gegeben. Daher kann festgehalten werden: Deutschland wird die Vorgaben der Agenda 2030 nicht nur erfüllen, sondern – das ist wichtig – auch aktiv mitgestalten. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bilanz sah aber negativ aus!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident, zum Abschluss möchte ich mich, wie inzwischen üblich, im Rahmen meiner letzten Rede – zumindest zur Entwicklungszusammenarbeit ist es die letzte – für das kollegiale Miteinander in den letzten Jahren, für den demokratischen Wettstreit in der Sache, für Ihre Unterstützung, aber auch für die Unterstützung der Opposition sehr herzlich bedanken. Allen von Ihnen, die in der nächsten Wahlperiode hier im Deutschen Bundestag in einem demokratischen Wettstreit bleiben, möchte ich zum Abschluss meiner Rede ein Zitat von Albert Einstein mit auf den Weg geben, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh! Jetzt kommen die tiefen Einsichten!) das mir stets ein guter Begleiter war. Es lautet sinngemäß: Nichts wirklich Wertvolles kann erreicht werden ohne die uneigennützige Zusammenarbeit vieler Einzelpersonen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ich beklatsche aber nur Albert Einstein!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/12300 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Interfraktionell ist vereinbart, über die Entschließungsanträge abweichend von der Geschäftsordnung sofort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist diesmal offensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/12385. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Wir stimmen nun ab über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12386. Wer kann sich dafür erwärmen? – Das sind die Antragsteller und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 8 sowie zum Zusatzpunkt 2: 8 Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Entwicklung, Bestand, Perspektive Drucksachen 18/8855, 18/11403 ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert und klimafreundlich Drucksachen 18/10027, 18/11020 Zu der Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu stelle ich Einvernehmen fest. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1990 gab es noch 3 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Heute sind es weniger als die Hälfte. Gerade mal 1,3 Millionen Sozialwohnungen sind noch vorhanden, und die Tendenz ist weiter sinkend. Das ist eines der vielen niederschmetternden Ergebnisse der Großen Anfrage der Linken zum sozialen Wohnungsbau. Wir Linke sagen ganz klar: Der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus ist dramatisch, und wir müssen ihn stoppen! (Beifall bei der LINKEN) Denn der soziale Wohnungsbau ist gut für alle Mieterinnen und Mieter, also auch für diejenigen, die ihn nicht selber nutzen. Sozialwohnungen dämpfen die Mietpreise für alle und sorgen für bezahlbare Mieten für alle. In den 80er-Jahren waren noch circa 20 Prozent aller Wohnungen Sozialwohnungen. Heute sind es gerade einmal 3 Prozent. Dieser erschreckende Trend wird sich weiter fortsetzen. Die Länder sagen – auch das ein Ergebnis unserer Anfrage – einen weiteren dramatischen Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen bis 2030 voraus, nämlich auf 50 bis 75 Prozent der jetzt überhaupt noch zur Verfügung stehenden Bestände. Damit verliert natürlich auch die Politik an Einflussmöglichkeiten, das Mietpreisniveau zu dämpfen. Deswegen sagen wir: Der Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen ist mitverantwortlich für die Mietenexplosion in deutschen Städten, und das ist wirklich beschämend! (Beifall bei der LINKEN) Eines dürfte wirklich unstrittig sein: Der Bedarf an Sozialwohnungen ist nicht gedeckt. Experten beispielsweise vom Pestel Institut sagen, es fehlen mindestens 4 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Die Bundesregierung bestreitet zwar diese Zahlen, aber Frau Hendricks sagte vor einigen Wochen selber im Morgenmagazin, dass 40 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger theoretisch einen Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten. Das hieße dann umgerechnet, 25 anspruchsberechtigte Bürgerinnen und Bürger kämen auf eine Sozialwohnung. – Das wird ja nun wirklich ein bisschen eng. Frau Hendricks scheint das aber alles nicht wirklich problematisch zu sehen. Vor ein paar Tagen, kurz vor der NRW-Wahl, sagte sie, es seien im letzten Jahr 25 000 neue Sozialwohnungen gebaut worden. Das sei eine Trendwende beim sozialen Wohnungsbau. Nun freuen wir als Linke uns auch über jede neue Sozialwohnung. Ich begrüße ausdrücklich, dass es mehr geworden sind. Die Ministerin verschweigt jedoch, dass jährlich weiterhin circa 50 000 Sozialwohnungen aus der Bindung fallen. Das heißt doch faktisch, dass wir immer noch Jahr für Jahr einen Verlust von etwa 25 000 Sozialwohnungen haben. Das ist keine Trendwende, Frau Ministerin, das ist bestenfalls ein ausgebremster Niedergang, und damit können wir uns nicht zufriedengeben! (Beifall bei der LINKEN) Der Grund dafür ist übrigens, dass Sozialwohnungen nach 15 oder 20 Jahren aus der sogenannten Bindung fallen. Das bedeutet dann zu oft: Die Mieten steigen enorm, und die Mieter fliegen über kurz oder lang aus ihren Wohnungen, während die Besitzer dann erst so richtig kassieren. – Das ist absurd. Deswegen sagen wir: Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung – das muss in Zukunft gelten! (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir hier nicht handeln, dann werden – das kann man, glaube ich, sagen – in den nächsten Jahren Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Sozialmieterinnen und Sozialmieter aus ihren Wohnungen fliegen. Das können wir nicht zulassen. Wir brauchen einen Bestandsschutz für die bisherigen Sozialmieter. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben schon mehrfach über dieses Thema diskutiert, und wir waren uns fraktionsübergreifend einig, dass es ein Fehler war, die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau bei der Föderalismusreform im Jahre 2006 an die Länder zu übergeben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn wann man sich die Bilanz der letzten elf Jahre dazu ansieht, dann sieht man, dass sich diese alle nicht mit Ruhm bekleckert haben. In einigen Ländern wurden die geschenkten Gelder des Bundes für alles Mögliche verwendet, nicht jedoch für den Bau von Sozialwohnungen. Einige Bundesländer bauen bis heute keine Sozialwohnungen. Sachsen, das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern, die übrigens alle von einer Großen Koalition regiert werden, haben in den letzten Jahren beispielsweise keine einzige Sozialwohnung gebaut. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ist ja unglaublich!) In vielen Ländern gibt man das geschenkte Geld des Bundes lieber für die Eigenheimförderung aus. Das ist wirklich rausgeschmissenes Geld. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist ja ein Schmarrn!) Das ist eine Zweckentfremdung von Geldern, und das können wir nicht zulassen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Eigenheimförderung ist genauso wichtig!) Ich habe einmal im Protokoll der Plenardebatte aus dem Jahre 2006 nachgelesen, als die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau an die Bundesländer übergegangen ist. Es gab damals eine einzige Fraktion, die das problematisiert und kritisiert hat; das war die Linke. Hätten Sie damals mal auf die Linke gehört! (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß, dass es berechtigte Kritik am sozialen Wohnungsbau gibt: auslaufende Bindungen, Subventionierung von privaten Bauherren. Auch das Thema „Ghettobildung am Stadtrand“ spielt immer wieder eine Rolle, wenn es darum geht, den sozialen Wohnungsbau zu kritisieren. Eines muss man aber doch sagen: Wir können und müssen das zwar besser machen, aber kein sozialer Wohnungsbau ist wirklich keine Lösung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Prinzip, dass für Menschen mit geringem Einkommen Wohnungen von öffentlicher Hand gebaut werden und dass sie gewissermaßen für sie reserviert sind, ist ein wichtiges Prinzip, und daran müssen wir auch in Zukunft festhalten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wer sich einmal ansehen möchte, wie sozialer Wohnungsbau gut funktioniert und wie attraktiv er sein kann – auch architektonisch attraktiv –, der muss nach Wien gehen. Dort befinden sich über 40 Prozent aller Wohnungen im Sozialwohnungssegment, und zwar mit guten Ergebnissen. Während die Mieten in Deutschland unter ähnlichen Bedingungen explodieren, steigen sie dort nur moderat. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Dafür muss man aber mehr Geld in die Hand nehmen. Die Bundesregierung rühmt sich ja, dass sie inzwischen 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellt. In der Stadt Wien, die gerade einmal so groß ist wie Hamburg, sind es immerhin 680 Millionen Euro; das ist also fast die Hälfte. Würde man das Investitionsvolumen von Wien einmal auf die Bundesrepublik hochrechnen, dann kämen wir auf eine Investition in Höhe von 30 Milliarden Euro. Hier muss ich sagen: Die 5 Milliarden Euro, die wir als Linke in den Haushaltsverhandlungen gefordert haben, wären nicht zu viel verlangt. Das wäre gut angelegtes Geld. (Beifall bei der LINKEN) Angesichts der Dramatik müssen aus unserer Sicht 250 000 neue Sozialwohnungen im Jahr entstehen, natürlich nicht nur durch Neubau – denn das wäre nicht zu leisten –, sondern auch durch Kauf und durch eine Verlängerung der Belegungsbindung. Das wäre der richtige Weg. Ich glaube, man kann sagen, dass der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus kein Zufall war. Er war politisch gewollt. Bis heute ist in der Wohnungswirtschaft eine Erzählung weiterhin beliebt und präsent. Es wird gesagt, der soziale Wohnungsbau und die Objektförderung seien von gestern, Subjektförderung und Wohngeldförderung würden ausreichen. Das Gegenteil ist richtig. Wenn wir verhindern wollen, dass wir Reichenviertel im Zentrum und Armenghettos am Stadtrand haben, müssen wir auch in Gemeinnützigkeit und in Sozialwohnungen investieren. Wir können es zum Beispiel so machen, wie wir es jetzt in Berlin unter einer rot-rot-grünen Regierung und mit einer linken Bausenatorin machen wollen. Bei jedem Neubauvorhaben müssen dort in Zukunft 30 Prozent der Fläche für Sozialwohnungen reserviert werden. Das wäre der richtige Weg, und daran können sich andere Länder ein Beispiel nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die entscheidende Frage wird aber nicht sein, wie wir das ausgestalten werden, sondern ob wir hier im Bundestag, im Bund, nach dem Jahre 2019 überhaupt noch beim sozialen Wohnungsbau mitreden können. Dann laufen nämlich die sogenannten Kompensationsmittel des Bundes aus, und die Verantwortung liegt dann alleine bei den Ländern. Ich würde es schlichtweg für eine Katastrophe halten, wenn es dazu kommen würde. Deswegen müssen wir an dieser Stelle das Grundgesetz ändern. Das fand auch Frau Hendricks. Sie verkündete erst vor ein paar Monaten, im letzten Sommer – Zitat –: Wir brauchen die Grundgesetzänderung, um als Bundesregierung wirksam dort helfen zu können, wo die Wohnungsnot am größten ist. Ja, das finde ich auch. Aber dann begannen die Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich. Da wurden alle möglichen kruden Sachen diskutiert, wie zum Beispiel heute Morgen das Thema Autobahnprivatisierung. Aber die Bundeszuständigkeit für den sozialen Wohnungsbau war nicht länger ein Thema. Das können wir nicht akzeptieren. Wir müssen jetzt dafür sorgen, meine Damen und Herren, dass der Bund auch nach dem Jahr 2019 den sozialen Wohnungsbau zweckgebunden und zielgerichtet finanzieren kann. Das wäre der richtige Weg. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, der soziale Wohnungsbau hat dazu beigetragen, dass Wohnen in Deutschland lange Zeit bezahlbar war. Diese Zeiten sind jetzt leider vorbei. Deswegen müssen wir wieder in den sozialen Wohnungsbau investieren. Die Verantwortung dafür muss zukünftig in öffentlicher Hand, in gemeinnütziger Hand liegen, damit er sozial und nachhaltig ausgestaltet werden kann. Dafür brauchen wir einen neuen Gemeinnützigkeitsbegriff, und wir brauchen einen Neustart im sozialen Wohnungsbau. Anders bekommen wir das Problem steigender Mieten und der Verdrängung in den Städten nicht in den Griff. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Caren Lay. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir. Nächste Rednerin: Sylvia Jörrißen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sylvia Jörrißen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, zunächst erst einmal vielen herzlichen Dank für Ihre Anfrage zum sozialen Wohnungsbau, weil sie uns heute die Möglichkeit gibt, über ein Thema zu reden, das meiner Fraktion und mir ausgesprochen am Herzen liegt: das Wohnen. Wohnen ist eines der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Unsere Wohnung ist ein persönlicher Schutzraum und Rückzugsraum. Hier fühlen wir uns sicher, hier fühlen wir uns geborgen. Alle Menschen müssen Zugang zu angemessenem Wohnraum haben, unabhängig von ihrem Einkommen, auch Menschen mit unteren oder mittleren Einkommen oder Menschen in sozialen Notlagen ohne Einkommen. Hierfür tragen wir eine soziale Verantwortung. Grundsätzlich beruht auch die Wohnungspolitik in Deutschland auf den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und funktioniert zunächst einmal nach Angebot und Nachfrage. Staatliche Eingriffe, meine Damen und Herren, nehmen wir dort vor, wo der Markt entweder zu langsam oder zu schwach reagiert. Das ist heute in vielen Ballungsräumen der Fall. Dort finden gerade einkommensschwächere Menschen oft nur sehr schwer eine Wohnung. Hier greifen wir ein, hier müssen wir eingreifen! (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Lay, Sie erwecken den Eindruck, als ob die soziale Wohnungsbauförderung das einzige Mittel wäre, was uns ans Ziel führt. Das ist mitnichten der Fall. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist aber das Thema heute!) Soziale Verantwortung beim Wohnen beinhaltet mehr als soziale Wohnraumförderung. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Machen wir erst einmal sozialen Wohnraum, das wäre erst einmal ein Schritt!) Sie beinhaltet neben der Objektförderung auch Subjektförderung, und sie beinhaltet einen sozialen Schutz durch das Mietrecht. Wir müssen, wenn wir uns die Frage stellen, ob wir unserer sozialen Verantwortung gerecht werden, alle drei Wege gleichzeitig im Blick haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Die soziale Wohnraumförderung ist sicherlich ein wichtiges Instrument unserer Fördermaßnahmen. Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode alles darangesetzt, diese Förderung wiederzubeleben, obwohl der Bund dafür seit der Föderalismusreform 2006 keine Zuständigkeit mehr hat. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Zuständig hierfür sind die Bundesländer. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Die wollen das auch bleiben!) Das macht auch Sinn, weil sich die Wohnungsteilmärkte regional sehr unterschiedlich entwickelt haben und die Länder maßgeschneidert Maßnahmen für ihre Regionen auf den Weg bringen können und müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Entscheidend ist nur, dass die zur Verfügung gestellten Mittel zweckgebunden eingesetzt werden, nämlich zum Bau von bezahlbaren Wohnungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben hierzu schon mehrere Debatten geführt. Fakt ist, dass die Länder mit den Geldern sehr unterschiedlich umgehen, teilweise Altlasten finanzieren und ihrer Pflicht, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, in Teilen nicht nachkommen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Sie haben recht: Die Zahl der Sozialwohnungen ist seit 2002 um rund 1 Million Wohnungen gesunken, und es fallen nach wie vor mehr Wohnungen aus der Belegungsbindung, als neu gebaut werden. Wir haben in dieser Legislaturperiode die Kompensationsmittel von 518 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro verdreifacht. Eigentlich hätte auch die Anzahl der Sozialwohnungen entsprechend gesteigert werden müssen. Nach aktuellen Zahlen der Bauministerkonferenz wurde dieses Ziel verfehlt. Hier ist mehr notwendig, aber es ist Sache der Länder, hier ihrer Verantwortung nachzukommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Der zweite Weg – neben der Objektförderung –, auf dem wir soziale Verantwortung tragen, ist die Subjektförderung. Hierzu gehört das Wohngeld, das wir in dieser Legislaturperiode deutlich erhöht haben, indem wir die Mietstufen der aktuellen Marktentwicklung angepasst haben. Seit Januar des letzten Jahres profitieren 870 000 Haushalte davon. Über ein Drittel sind als neue Berechtigte hinzugekommen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau! Das ist ein Erfolg!) – Das ist ein großer Erfolg. Dem dritten Weg der sozialen Verantwortung, die wir als Bund tragen, werden wir durch einen sozialen Schutz im Mietrecht gerecht. Wir haben umfassende Mieterschutzbestimmungen. Wir haben einen Schutz vor willkürlichen Kündigungen. Wir haben einen Schutz vor übermäßigen Mieterhöhungen. Und wir haben in dieser Legislaturperiode ein weiteres Instrument der Mieterschutzbestimmungen eingeführt: die Mietpreisbremse. Auch wenn Sie jetzt gleich erwidern: „Die funktioniert ja sowieso nicht“, möchte ich dazu einige Sätze sagen. Uns als Union war es immer wichtig, dass die Mietpreisbremse nicht zur Investitionsbremse wird; denn dann ist sie kontraproduktiv. Insofern muss es Ausnahmen geben. Damit das Gesetz in der Praxis Geltung bekommt, ist es wichtig, dass die Mieter die neugeschaffenen Rechte, wie beispielsweise die Rüge oder das Auskunftsrecht, nun auch in Anspruch nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zynisch, die Rügepflicht als ein Recht von Mieterinnen und Mietern auszumachen! Das ist Abzocke von Mieterinnen und Mietern!) Meine Damen und Herren, wenn wir über soziale Verantwortung in der Wohnungspolitik sprechen, müssen wir alle drei Wege gemeinsam im Blick haben. Einer allein wird den komplexen Herausforderungen nicht gerecht. Was die soziale Verantwortung in der Baupolitik angeht, ist es aber nicht damit getan, dass günstiger Wohnraum entsteht und die Mieten preiswert sind. Es ist noch weitaus mehr. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sozial benachteiligte und strukturschwache Ortsteile in ihrer Gesamtheit stabilisiert und aufgewertet werden. Ziel ist es, Quartiere familienfreundlicher, seniorengerechter zu gestalten und den dort wohnenden Menschen Chancen auf Integration und Teilhabe zu bieten. Hierfür haben wir in dieser Legislaturperiode die Städtebaufördermittel massiv ausgeweitet. Damit sind sowohl baulich investive Maßnahmen im Wohnumfeld wie auch in der sozialen Infrastruktur möglich. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Entlastung der Kommunen und zur Schaffung lebenswerter Wohnviertel. Meine Damen und Herren, die Kolleginnen und Kollegen der Linken fordern immer wieder eine neue Wohngemeinnützigkeit. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir übrigens auch!) – Sie auch, ja gut. Wir behandeln heute die Große Anfrage der Linken. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Antrag im Verfahren! Das können Sie zur Kenntnis nehmen!) Sie verkennen aber, dass die Situation heute eine völlig andere ist, als sie es bei Einführung der Wohngemeinnützigkeit in der jungen Bundesrepublik war. Die Wohngemeinnützigkeit hat in den Nachkriegsjahren einen sehr wichtigen Beitrag geleistet, die große Wohnungsnot zu bewältigen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was haben wir heute?) Aber als es zu einer Stabilisierung der Wohnungssituation kam, hatte sie in der ursprünglichen Form schlicht keine Berechtigung mehr. Insofern war es richtig, diese Förderung aufzuheben. Nachdem die Ausnahmesituation nach den Kriegsjahren überwunden war, konnte die soziale Marktwirtschaft wieder Verantwortung übernehmen und tat das auch erfolgreich. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Heute haben wir nach einigen Reformen des Wohnungsbauförderungsrechts eine soziale Wohnraumförderung, die der aktuellen Situation besser gerecht wird; denn wir haben keine allgemeine Wohnungsnot mehr. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlen Millionen Sozialwohnungen!) Die heutigen Herausforderungen – steigende Baupreise, zu wenig Bauland – hängen doch nicht von der Rechtsform der Unternehmen ab. Wir haben bauwillige Akteure. Wir haben heute viele funktionierende Wohnungsunternehmen, die sich zum Teil auch aus den ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen weiterentwickelt haben, die ihrem sozialen Auftrag treu geblieben sind, aber gleichzeitig marktorientiert wirtschaften und handeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Deren gute Arbeit sehe ich. Auf deren gute Arbeit vertraue ich. Mit unseren Fördermitteln wollen wir dort gezielt den Menschen helfen, die sich auf dem allgemeinen Markt aus eigener Kraft nicht mit Wohnraum versorgen können. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Nur so können wir Steuergelder einsetzen!) Noch eine Tatsache, liebe Frau Lay, scheinen Sie zu verkennen. Nicht jeder einkommensschwache Haushalt benötigt eine Sozialwohnung. Außerhalb der angespannten Märkte werden Haushalte in strukturschwächeren Regionen auch auf dem freien Wohnungsmarkt mit bezahlbarem Wohnraum versorgt. (Caren Lay [DIE LINKE]: In welcher Welt leben Sie denn? – Gegenruf von der CDU/CSU: Waren Sie schon einmal außerhalb von Berlin?) – Kommen Sie einmal in die Region, in der ich lebe. Da gibt es einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt. Vor allem wichtig ist, zu bauen. Wir müssen bauen, bauen, bauen, um Angebot und Nachfrage wieder in Einklang zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dafür benötigen wir auch den privaten Wohnungsbau. Das können wir nicht allein mit dem öffentlich geförderten Wohnungsbau erreichen. Die privaten Vermieter sind die mit Abstand größte Anbietergruppe auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Wir müssen auch diese Gruppe unterstützen; denn sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Gesellschaft mit Wohnraum. An dieser Stelle werde ich nicht müde, immer wieder eine steuerliche Förderung zu fordern, die wir bedauerlicherweise mit unserem Koalitionspartner nicht zustande gebracht haben, obwohl das ein Ergebnis des Bündnisses für bezahlbares Wohnen sowie auch ein Vorschlag Ihrer Bauministerin, abgestimmt mit dem Finanzminister, gewesen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Zu kurz kommt mir in der Debatte auch das selbstgenutzte Wohneigentum. Deutschland liegt mit einer Wohneigentumsquote von unter 50 Prozent an vorletzter Stelle im europäischen Vergleich. Wir müssen dringend auch diese Form des Wohnens fördern; denn selbstgenutztes Wohneigentum stabilisiert Wohnquartiere, macht durch Umzugsketten am Ende auch eine Mietwohnung frei und ist vor allem eine ganz wichtige Form der privaten Altersvorsorge. Egal über welche Säule: Wir müssen mehr bauen. Im vergangenen Jahr haben wir die Zahl von 375 000 Baugenehmigungen erreicht. Das ist ein großer Erfolg. Jetzt müssen wir aber darauf achten, dass aus diesen Baugenehmigungen auch tatsächlich Bauvorhaben werden. Meine Damen und Herren, wir sind noch nicht am Ziel, aber wir sind auf einem sehr guten, soliden Weg. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Sylvia Jörrißen. – Nächster Redner: Christian Kühn für Bündnis 90/Die Grünen. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Jörrißen, ich werde jetzt einfach einmal zu der Frage der sozialen Wohnraumförderung und nicht zur ganzen Breite des Themas Wohnen reden; denn Sie haben hier vorne ziemlich viele Nebelkerzen gezündet, aber nicht zum eigentlichen Thema geredet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Das Jahr 1988 war ein schwarzes Jahr für Mieterinnen und Mieter, weil die schwarz-gelbe Koalition damals die Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland unter dem Deckmantel des Skandals der „Neuen Heimat“ abgeschafft hat. Damit haben Sie eigentlich den Niedergang des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland eingeleitet. Dass Sie das bis heute angesichts steigender Mieten in den Städten verteidigen, ist wirklich ein Skandal und eigentlich nicht zu ertragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was hat Rot-Grün daran geändert?) Fast 30 Jahre später ist all das, was wir als Grüne und Sozialdemokraten in der damaligen Debatte vorgebracht haben, eingetreten. Ich rate Ihnen als Kolleginnen und Kollegen einmal, in die alten Protokolle hineinzuschauen. Wir haben damals über entfesselte Wohnungsmärkte und darüber geredet, dass es in den Städten Verdrängung sowie eine Mietspirale gibt, die immer weiter nach oben geht. All das ist doch eingetreten. Das zeigt doch ganz klar, dass wir heute wieder eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit brauchen. Frau Jörrißen, 50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in Gebieten mit Wohnraummangel. Das kann uns doch nicht kaltlassen. Da müssen wir doch endlich handeln! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese neoliberale Politik der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit hat dazu geführt, dass bis heute fast 2 Millionen Sozialwohnungen aus der Bindung herausgefallen sind. Das ist doch ursächlich dafür, dass wir im Augenblick Probleme auf den Wohnungsmärkten haben. Seitdem gilt eben eine andere Logik. Nicht mehr der Staat versorgt diejenigen, die sich selbst am Wohnungsmarkt nicht mit Wohnraum versorgen können. Vielmehr folgt man heute der Logik, dass die Privaten einen möglichst großen Reibach machen und dass die Mieten immer mehr steigen. Diese Logik wollen wir als Grüne brechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Tafelsilber in Deutschland ist verscherbelt worden: Eisenbahnerwohnungen, Postlerwohnungen, Werkswohnungen und kommunale Wohnungsbestände. Heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer falschen, einer neoliberalen, einer auch von der Union betriebenen Wohnungspolitik der letzten 30 Jahre. Deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, dass Frau Hendricks dieser Tage ein Interview gibt und sagt: Wir haben die Trendwende geschafft. – Die Trendwende haben wir überhaupt nicht geschafft. Wir verlieren immer noch 50 000 Sozialwohnungen pro Jahr, während wir nur 25 000 neue bauen. Das heißt, wir verlieren im Saldo weiterhin Sozialwohnungen in Deutschland. Eigentlich müssten wir jedes Jahr neue bauen, weil wir neue Herausforderungen zu bewältigen haben, weil wir sehen, dass die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft zunimmt, weil wir die Integrationsfrage beantworten müssen, weil es Migration gibt. Ich glaube, deswegen ist diese Bundesregierung mit Blick auf dieses Thema überhaupt nicht gut aufgestellt. Die von Frau Hendricks angesprochene Trendwende ist keine Trendwende, sondern bedeutet nichts anderes, als dass man eine Nebelkerze zündet, um sein eigenes Versagen zu vernebeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Das Minus bei den Sozialwohnungen ist dramatisch. Wir brauchen eigentlich 150 000 neue Wohnungen pro Jahr und endlich eine andere Logik, die besagt: Bauen, bauen, bauen! Wir müssen sozial bauen. Wir müssen gemeinnützig bauen, und wir müssen noch einmal sozial bauen. Wir brauchen nicht mehr Luxuswohnungen in unseren Städten, sondern mehr sozialen Wohnraum für Rentnerinnen und Rentner, Familien, Studierende und Geringverdiener. Dazu kann eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einen großen Beitrag leisten. Deswegen treten wir Grüne so vehement für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei der Wohnungsgemeinnützigkeit geht es im Kern darum – ich möchte versuchen, das den Kollegen der Union noch einmal ernsthaft zu erklären –, dass wir Unternehmen, aber auch Privatleuten, also ganz normalen Menschen, die eine Anlage tätigen wollen, eine Steuererleichterung dafür geben, dass sie auf Dauer bezahlbaren Wohnraum schaffen. Das hat nichts mit Staat oder Sozialismus zu tun. Vielmehr ist das die einzige Möglichkeit, schnell viel Kapital in den Bereich des sozialen und des sozialgebundenen Wohnraums zu investieren. Diese Idee müsste eigentlich zu einer Partei der sozialen Marktwirtschaft passen. Sie wurde von Ludwig Erhard und anderen nach dem Krieg entwickelt und war sehr erfolgreich. Aber Sie haben sie in der neoliberalen Zeit einfach abgewickelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Öffentliches Geld für öffentliche Güter, Steuererleichterungen für bezahlbaren Wohnraum, das ist unser Konzept. Dabei geht es darum, möglichst viele einzubeziehen. Wir glauben, dass wir damit in den nächsten zehn Jahren 1 Million bezahlbare Wohnungen schaffen werden. Diese gesellschaftliche Rendite ist die beste Rendite, die wir mit einem solchen Konzept erreichen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht dabei um nichts Trivialeres als um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unseren Städten und in unserem ganzen Land. Die Zukunft des Wohnens wird davon abhängen, ob wir die Wohnraumförderung auf neue Füße stellen oder nicht, ob wir bereit sind, Wohnungspolitik als Politik der Daseinsvorsorge zu begreifen, oder ob wir sie als Wirtschaftspolitik begreifen, bei der möglichst hohe Renditen erzielt werden müssen. Um die Beantwortung dieser Fragen ringt das Parlament. Frau Jörrißen, Sie haben in Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, dass Sie im Kern bei der letztgenannten Art der Politik sind, nämlich bei den Investoren, und nicht bei den Menschen im Land. Soziale Wohnungspolitik ist Infrastrukturpolitik. Diese Infrastrukturpolitik ist im Augenblick Aufgabe der Länder. Für eine Trendwende – diese sieht Frau Hendricks schon gekommen; tatsächlich ist sie noch lange nicht eingetreten – müssen die Länder richtig viel Geld in die Hand nehmen. Ab 2019 müssen sie die Kompensationsmittel des Bundes ersetzen. Diese belaufen sich im Augenblick auf 1,5 Milliarden Euro. Ehrlich gesagt fehlt mir angesichts der angespannten Haushalte in fast allen Bundesländern die Fantasie, um mir vorzustellen, dass im Jahr 2020, wo die Schuldenbremse gilt, wo die Länder Sicherheitsaufgaben, Bildungsaufgaben und Aufgaben im Rahmen der Beamtenbesoldung stemmen müssen, Geld für Investitionen in den sozialen Wohnraum vorhanden sein wird. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: In manchen Ländern ist das schon da!) Die Länder brauchen hier unsere Unterstützung. Wir als Wohnungspolitiker im Bund sollten dafür kämpfen, dass der Bund hier wieder eine eigene Kompetenz hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Ja, Frau Jörrißen, Sie haben auf die Länder geschimpft. Es war fast eine Schimpftirade. Aber schauen Sie sich einmal die von Ihnen regierten Länder an! Reden Sie beispielsweise einmal mit Ihren Kollegen in Sachsen! In Sachsen entsteht keine einzige Sozialwohnung. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Weil sie jede Menge Leerstand haben, Herr Kühn!) Das ist ein sozialpolitischer Skandal. Auch von Leipzig oder Dresden, wo Sie wieder eine neue Wohnungsgesellschaft gründen, wissen Sie, dass die Wohnungsmärkte angespannt sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Die Stadtentwicklung in Deutschland ist in Gefahr. Schauen Sie nach Frankreich, wo große soziale Spannungen in den Banlieus herrschen. Oder schauen Sie nach London, eine Metropole, wo sich kein Mensch mit einem normalen Verdienst eine Wohnung leisten kann. Es ist klar, dass wir das in Deutschland nicht wollen. Wir wollen nicht, dass die Innenstädte für Reiche sind und die ärmeren und sozial schwachen Menschen am Rande der Städte, in den Ghettos leben. Das wollen wir nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen auch, warum wir das nicht wollen: weil wir als Grüne davon ausgehen, dass das diese Gesellschaft spalten und diese Gesellschaft am Ende zerreißen wird. Deswegen müssen wir in eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit investieren. Wir müssen uns dieser großen sozialen Frage – ich glaube, das ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit – wirklich annehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Unterschied zur Linken und zu deren Konzept der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit setzen wir nicht auf Zwang und wollen nicht alles in einem System unterbringen. Wir wollen den Menschen vielmehr neue Möglichkeiten geben. Wir glauben daran, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die ein ethisches Investment in ihrer Stadt machen wollen. Wir wollen, dass die Stadtrendite am Ende nicht bei den Investoren landet, sondern bei den Menschen in der Stadt. Dafür werden wir in den nächsten Monaten und auch Jahren weiter hier im Parlament kämpfen; denn die Frage des sozialen Zusammenhalts lässt meine Partei nicht kalt. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Chris Kühn. – Nächster Redner in der Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Linken sehr dankbar, dass sie diese Anfrage gestellt hat, weil dies eine Chance bietet, über das Thema des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Jahrzehnten zu sprechen. Wenn wir hier in diesem Hause eine ehrliche Debatte führen würden, dann müssten viele Asche auf ihr Haupt streuen; denn die Einschätzungen in den letzten Jahrzehnten sind bei ganz vielen verkehrt gewesen. Ich glaube, man kann keine Partei in diesem Deutschen Bundestag davon ausnehmen, wenn ich mir anschaue, was kommunal gemacht worden ist, was in den Ländern gemacht worden ist und was auf Bundesebene gemacht worden ist. Das wäre ein guter Anlass, nicht nur zurückzublicken, sondern auch nach vorne zu blicken und zu fragen, was jetzt getan werden muss, damit wir das hinbekommen, was für viele Menschen in Deutschland existenziell ist. Die alleinerziehende Mutter, die Rentnerin, der Rentner und die ganz normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in angespannten Wohnungsmärkten sind dringend darauf angewiesen, dass sie bezahlbaren Wohnraum finden. Das erfährt man ganz praktisch, wenn man aus der bisherigen Wohnung heraus muss, aus welchen Gründen auch immer, sei es ein Umzug oder etwas anderes. Dann ist es in angespannten Wohnungsmärkten heute fast unmöglich, zu normalen Mieten wieder eine bezahlbare Alternative zu finden. Deswegen muss man gegensteuern. Etwas – das ist schon angesprochen worden – wird mir zu wenig deutlich in der Debatte, nämlich dass wir gemeinsam bei der Föderalismusreform die Entscheidung getroffen haben, dass die Zuständigkeit für die soziale Wohnraumförderung bei den Ländern und damit auch die Verantwortung für bezahlbares Wohnen bei den Ländern liegt. Die Einschätzung damals war, dass wir eine schrumpfende Gesellschaft sind, dass es keines weiteren Wohnraums bedarf, weil immer weniger Leute da sind, und dass es keiner großen Anstrengungen mehr bedarf, um hier einen Ausgleich zu schaffen. Aber wie Karl Valentin über Prognosen so treffend gesagt hat: Das Gefährliche an Prognosen ist, dass sie auf die Zukunft gerichtet sind. – Diese Prognosen sind falsch gewesen. Das sehen wir heute. Jetzt ist die Frage: Was ändert man? Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir vor vier Jahren über die Frage der sozialen Wohnraumförderung hier im Deutschen Bundestag gesprochen haben und dass die Opposition eine Verdoppelung der Mittel für die soziale Wohnraumförderung gefordert hat. Jetzt haben Bundesregierung und Koalition diese Mittel verdreifacht, und es ist immer noch zu wenig. Wir sind aber nicht zuständig. Lieber Chris Kühn, Stichwort „Nebelkerzen“: Sie sollten sich auch einmal anschauen, wie der Neubau von Sozialwohnungen in Baden-Württemberg weitergeht. Sie sollten versuchen, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum es dort 500 Neubauten weniger als im Vorjahr gibt, warum dort 33 Prozent weniger Sozialwohnungen gebaut werden. Mich interessiert, warum große Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg den Anteil der eigenen Mittel im Haushalt reduzieren, während der Bund das Dreifache an Geld in die Hand nimmt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es gibt doch nicht mehr Wohnraum, wenn so etwas passiert. Das zu berücksichtigen, gehört zu verantwortungsvollem Handeln. Mich interessiert in diesem Fall die parteipolitische Farbe der Landesregierung nicht. Auch ich sehe, was in Sachsen los ist – das wurde zu Recht angesprochen –, insbesondere was in Leipzig los ist, was in Dresden los ist. Da keine einzige Sozialwohnung zu bauen, ist ebenfalls etwas, was ein Schlag ins Gesicht der normalverdienenden Menschen ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das Land, das auf dem Gebiet des Wohnungsneubaus am aktivsten gewesen ist, ist das Land, aus dem Michael Groß kommt: NRW hat mittlerweile am stärksten aufgeholt. Doch insgesamt ist das, was wir jetzt über Bundes- und Landesmittel an sozialem Wohnungsbau leisten, noch nicht ausreichend, um das zu kompensieren, was an Sozialbindungen in der nächsten Zeit insgesamt wegfällt. Wir brauchen ein deutliches Plus; das ist doch unbestritten. Aber es ist schon einmal ein Riesenerfolg, dass wir mit der Verdreifachung der Mittel des Bundes jetzt bei den Ländern dafür Sorge getragen haben, dass es insgesamt 70 Prozent mehr bezahlbaren Wohnraum, 70 Prozent mehr Sozialwohnungen gibt. Aber das reicht noch nicht aus. Bloß, die Wahrheit ist doch auch, dass die wenigsten Länder in der Debatte über den Länderfinanzausgleich, die wir jetzt geführt haben, den Bund bei der Forderung unterstützt haben, dass es wieder eine Mitzuständigkeit für den sozialen Wohnungsbau geben soll. Wir können die Mittel für die soziale Wohnraumförderung nur noch bis zum Jahr 2019 ausgeben. Danach sind die Länder selber in der Verantwortung. Da verstehe ich manche wirklich nicht; schließlich wissen wir doch alle, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren die Defizite, die es auf dem Wohnungsmarkt gibt, mit noch so viel Geld nicht ausgleichen können, sondern dass es noch einige Jahre länger brauchen wird. Daher muss der Bund, wenn wir an gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland Interesse haben, wieder stärker Verantwortung übernehmen. Dafür haben wir gekämpft; dafür hat Barbara Hendricks gekämpft. Barbara Hendricks hat nun mit der Verdreifachung der Mittel für die soziale Wohnraumförderung versucht, den entscheidenden Anstoß zu geben, und er hat ja auch gewirkt. Aber alle Länder müssen mitziehen, die die eigentliche Verantwortung haben. Das muss Hauptgegenstand der Debatte heute sein. Wir können uns über vieles unterhalten. Ja, Frau Jörrißen, diejenigen, bei denen die Preisbindung im sozialen Wohnungsbau endet, sind durch das soziale Mietrecht geschützt. Aber dieses Mietrecht hat ein großes Defizit, und Ihre Fraktion weigert sich, dieses Defizit zu beheben. Die Gefahr für Mieter von Wohnungen, die aus der Sozialbindung fallen, ist doch nicht, dass es normale Mieterhöhungen gibt – da gibt es Spielräume; solche Mieterhöhungen können in den meisten Wohnungsmärkten wahrscheinlich einigermaßen verkraftet werden –, sondern dass es dort Luxussanierungen geben wird, die dazu führen, dass die Menschen ihr Dach über dem Kopf verlieren. Dazu haben wir im Koalitionsvertrag klare Vereinbarungen getroffen, (Beifall bei der SPD) und Sie weigern sich, diese in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Diejenigen, die auf diesen Schutz angewiesen sind, können sich bei Ihnen bedanken, wenn dieser Schutz nicht funktioniert. Das zu sagen, gehört, glaube ich, zur Ehrlichkeit in dieser Debatte hinzu. Mein letzter Punkt ist: Ja, man muss aufgrund der letzten Jahrzehnte erkennen, dass wir in Deutschland aus den unterschiedlichsten Gründen insgesamt eine falsche Richtung eingeschlagen haben. Wenn man einen Vergleich mit Wien zieht, Frau Lay, dann stellt man fest: Der Anteil der Sozialwohnungen dort liegt nicht bei 40 Prozent; vielmehr sind insgesamt 70 Prozent des Wohnungsmarktes in der Hand von Kommunen oder von Genossenschaften. Diesen Anteil werden wir in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten nicht erreichen. Aber das, was wir schaffen müssen, ist, durch eine neue Form von Wohnungsgemeinnützigkeit den Anteil wieder deutlich zu erhöhen, der nicht nur den Marktkräften und der Profitorientierung ausgesetzt ist. Wir sind den normalen Rentnerinnen und Rentnern, den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig, dass sie sich ihre Wohnung wieder leisten können. Dafür werden wir Sorge tragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Florian Pronold. – Nächste Rednerin: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor ein paar Tagen gab es gute Nachrichten; denn die Zahl der neuerrichteten Sozialwohnungen in Deutschland ist im letzten Jahr gestiegen. 2016 wurden bundesweit insgesamt 24 550 Sozialwohnungen errichtet; das sind etwa 10 000 Wohnungen mehr als im Jahr zuvor. Das ist ein Fakt. Insofern zeichnet sich schon ein positiver Trend ab, auch wenn wir mehr Wohnungen brauchen; das ist klar. In den letzten Jahren ist in vielen Ballungsgebieten nicht zuletzt auch aufgrund der Zuwanderung die Nachfrage nach Wohnraum sehr stark gestiegen. Damit ist auch der Bedarf an Sozialwohnungen für einkommensschwache Haushalte deutlich gewachsen. Entsprechend hat die Bundesregierung – das wurde schon mehrfach angesprochen – die sogenannten Kompensationsmittel für die Bundesländer in dieser Legislaturperiode kräftig aufgestockt. Von 2016 bis 2019 wurden sie um insgesamt 3 Milliarden Euro erhöht. 2017 und 2018 stehen jährlich mehr als 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit dieser Verdreifachung der Mittel leistet der Bund einen enormen finanziellen Beitrag. Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Diesen wichtigen finanziellen Beitrag des Bundes müssen die Länder jetzt auch für den sozialen Wohnungsbau verwenden. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist nach 2019?) Die Umsetzung liegt seit der Föderalismusreform auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin in der Verantwortung der Länder. Einige Länder gehen mit positivem Beispiel voran; da möchte ich schon Bayern erwähnen. Wir wissen aber auch, dass die Gelder nicht von allen Ländern für den sozialen Wohnungsbau genutzt wurden, sondern in der Vergangenheit teilweise zum Stopfen von Haushaltslöchern, zum Beispiel auch in Berlin. Die Länder müssen hier ihrer Verantwortung gerecht werden und die Mittel zweckgebunden einsetzen. Dazu haben sie sich im Gegenzug zur Erhöhung der Mittel eigentlich auch politisch verpflichtet. Die Zahlen aus dem letzten Jahr bestätigen zwar, dass die Länder ihrer Verantwortung endlich mehr nachkommen und ein Umdenken stattgefunden hat, aber dieser Trend muss in den kommenden Jahren deutlich fortgesetzt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die soziale Wohnraumförderung ist ein Teil der Wohnungsbaupolitik. Wir richten unsere Politik an der sozialen Marktwirtschaft aus und nicht am Konzept der Planwirtschaft, wie das vielleicht einige in diesem Hause gerne hätten. (Beifall bei der CDU/CSU – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und jetzt auch Herr Kühn!) Mit staatlicher Wohnraumförderung allein wird es aber nicht gelingen, dass die 1 Million notwendigen Wohnungen bis 2020 gebaut werden; das muss uns allen klar sein. Wir haben auch andere wichtige Weichen gestellt. Neben der deutlichen Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau haben wir auch das Wohngeld in dieser Wahlperiode deutlich erhöht. Davon profitieren circa 870 000 Haushalte, darunter etwa 90 000 Haushalte, die vorher auf Grundsicherung angewiesen waren. Das ist ein wichtiges Signal für die Mieterinnen und Mieter in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wohngelderhöhung ist bei den stark gestiegenen Mieten längst verpufft! Das wissen Sie!) Auch im Mietrecht haben wir angesetzt. Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt, haben sie aber so ausgestaltet, dass sie nicht zu einer Investitionsbremse wird; denn wir brauchen die privaten Investitionen in den Wohnungsmarkt. Deshalb ist es wichtig, die Rahmenbedingungen insgesamt richtig zu setzen. Das beste Mittel gegen Wohnungsknappheit und hohe Mieten ist doch – das haben wir, das habe ich mehrfach erwähnt in diesem Hohen Hause –: Bauen, bauen, bauen. (Beifall bei der CDU/CSU) All die Maßnahmen, die ich jetzt aufzählen werde, sind keine Nebelkerzen, sondern tragen dazu bei, dass mehr Wohnraum entsteht. Mit der steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus waren wir im letzten Jahr auf einem guten Weg, um den Bau von weiteren Wohnungen anzukurbeln. In den ersten drei Jahren war eine Abschreibung von bis zu 35 Prozent der Investitionen vorgesehen. Das hätte die Investitionen in dem Bereich angekurbelt. Doch leider ist dieser Gesetzentwurf auf der Zielgeraden trotz der Absenkung der Kappungsgrenze aufgrund der Intervention des Koalitionspartners gescheitert. Dabei wäre die steuerliche Förderung ein starkes Signal für mehr Wohnungsbau gewesen. Meine Damen und Herren, wir werden hier nicht lockerlassen und eine steuerliche Förderung auch weiterhin vehement fordern. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen aber auch an weiteren Stellschrauben drehen; das hat die Baukostensenkungskommission im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen herausgearbeitet. Damit mehr investiert wird, müssen auch die Baukosten gesenkt werden. Ein Beispiel ist die Energieeffizienz von Gebäuden. Die EnEV ist zur Erreichung der Klimaziele im Gebäudebereich wichtig. Wir müssen dabei aber immer auch die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten. Die Anforderungen der EnEV 2016 führen zu Kostensteigerungen. Demgegenüber steht eine geringe Einsparung von Treibhausgasemissionen. Als Klima- und Baupolitikerin sage ich: Wir brauchen eine EnEV, die den Belangen des Klimaschutzes effizient und zielgenau Rechnung trägt, die aber auch die Notwendigkeit, dass Wohnraum bzw. bezahlbarer Wohnraum zu schaffen ist, im Blick behält. Wir müssen diesen Ausgleich hinbekommen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist an Ihnen gescheitert! Das ist echt ein Skandal!) Zudem müssen wir bei der energetischen Sanierung von der Fokussierung auf die Gebäudehülle wegkommen. Die Potenziale sind hier weitgehend ausgereizt. Wir brauchen vielmehr ein Gesamtkonzept, das auch die Nutzung der erneuerbaren Energien und den Energieverbrauch generell noch mehr einbezieht. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo ist das Gesamtkonzept der Union?) Das Fehlen von Bauland ist ein weiterer Kostentreiber. Die Bereitstellung von Bauland liegt in der Hand der Kommunen. Mit der kürzlich verabschiedeten Baurechtsnovelle haben wir den Instrumentenkasten der Kommunen erweitert, zum Beispiel durch das Urbane Gebiet, um mehr Wohnraum zu schaffen. Das alles sind wichtige Maßnahmen und Instrumente, mit denen wir an dieser Stelle vorankommen können. Aber – auch das habe ich schon oft betont – eine einseitige Konzentration auf Mietwohnungen greift zu kurz. Deutschland ist, historisch bedingt, ein Land der Mieterinnen und Mieter. Aber 80 Prozent der Deutschen träumen vom eigenen Heim oder von der eigenen Wohnung. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das muss aber auch bezahlbar sein!) Zu Recht! Denn Wohneigentum ist die beste Altersvorsorge. Hinzu kommt, dass jede Eigentumswohnung und jedes Eigenheim die Wohnungsmärkte entlastet. Derzeit liegt die Eigentumsquote in Deutschland bei etwa 52 Prozent. Ich sage ganz offen: Da ist noch Luft nach oben. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb wollen wir die Rahmenbedingungen so anpassen, dass sich auch Familien und Haushalte mit niedrigem oder mittlerem Einkommen den Traum vom Eigenheim erfüllen können. Deshalb wollen wir ein Baukindergeld für den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum schaffen. Wir wollen die Wohnungsbauprämie endlich wieder an die Einkommensgrenzen anpassen und die Einkommensgrenzen an dieser Stelle erhöhen. Das ist dringend notwendig, weil die letzte Anpassung sehr weit zurückliegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesem Strauß an Maßnahmen mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland schaffen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Weisgerber. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Michael Groß. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Pronold, ich möchte zu Beginn der Ministerin sehr herzlich danken, dass sie sich erfolgreich dafür eingesetzt hat, dass wir inzwischen 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgeben können. Damit werden wir in den Jahren 2017, 2018 und 2019 Schätzungen zufolge 45 000 Wohnungen bauen können. Dass hier eine Kehrtwende eingeleitet wurde, ist ein großes Verdienst ihres Hauses und von Ihnen, Herr Pronold. Herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD) Ich möchte auf Frau Weisgerber eingehen. Wir haben in Deutschland ein großes Problem, das insbesondere Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen betrifft. Deutschland ist ein Mieterland. Das bedeutet, dass etwa 57 Prozent der Haushalte Miete zahlen. Die Miete bewegt sich dabei zwischen 4 Euro und 16, 17 Euro pro Quadratmeter in den Großstädten. Darüber reden wir. Herr Kühn hat schon darauf hingewiesen, dass 50 Prozent der Menschen davon betroffen sind, dass wir zu wenig bzw. knappen Wohnraum haben. Was sind das für Probleme? Man wird alt und braucht eine neue Wohnung, weil man sich verkleinern will. Man hat, wenn man Rente bekommt, Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Vergrößert sich die Familie, bekommt man also Kinder, hat man in Großstädten das Problem, eine Wohnung zu finden, die mit dem eigenen Einkommen bezahlbar ist. Deswegen sagen auch wir Sozialdemokraten eindeutig: Wir brauchen wieder eine neue Gemeinwohlorientierung oder neue Gemeinnützigkeit, um für die Menschen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, und darum wollen wir uns kümmern. (Beifall bei der SPD) Das ist für uns Daseinsvorsorge. Das ist die Schaffung von gleichen Lebensverhältnissen. Wir haben schon gehört, dass es immer mehr Baugenehmigungen gibt und dass es auch immer mehr Sozialwohnungen gibt – das findet statt –, aber ein Riesenproblem ist für uns, dass wir als Bund ab 2020 nicht mehr gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern für bezahlbaren Wohnraum sorgen können. Deswegen wollen wir Sozialdemokraten diese gemeinsame Verantwortung auch nach 2020 wieder möglich machen, und deswegen wollen wir eine Grundgesetzänderung anstreben. (Beifall bei der SPD) Die Verbesserungen beim Wohngeld sind schon angesprochen worden, die in der Städtebauförderung auch. Ich will aber noch auf zwei Punkte eingehen. Die Kolleginnen und Kollegen von der Union haben das Mietrecht angesprochen. Herr Pronold hat schon darauf hingewiesen, dass wir uns da viel mehr erhofft haben. Im Koalitionsvertrag haben wir auch wesentlich mehr vereinbart. Ich ärgere mich da massiv. Wenn ich einen Ihrer Kollegen zitieren darf, der in Tempelhof-Schöneberg Abgeordneter ist: Im Bundestag habe ich Gesetzesvorschläge des Justizministeriums entschärft, die Investitionen im Wohnungsbau massiv erschwert hätten. – Er selber sagt, dass er das Mietrecht nicht schärfen wollte. Er sagt, er wollte die Eigentümer schützen. Das ist doch eine Ohrfeige für die Mieter und Mieterinnen, insbesondere hier in Berlin, aber auch in allen anderen Großstädten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Gut, dass du das so klarmachst!) Wir wollten sogar ein Mietrechtspaket II, die Modernisierungsumlage von 11 Prozent auf 8 Prozent senken, eine Kappungsgrenze einführen, eine Härtefallklausel schaffen – alles mit Ihnen nicht machbar. (Ulli Nissen [SPD]: Empörend!) Ich hoffe, dass in der nächsten Legislatur diese Dinge erreicht werden können, weil sie für die Bürgerinnen und Bürger, für die Mieter in diesem Land wichtig sind. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da war eigentlich Applaus vorgesehen!) – Ja. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Thema, das auch schon angesprochen wurde, ist das Thema Bodenpolitik. Ich glaube, dass neben der Gemeinwohlorientierung oder Gemeinnützigkeit ein wichtiges Ziel sein muss, die Kommunen wieder zu stärken, damit sie bei der Bodenpolitik wieder handlungsfähig werden, damit sie eine vorausschauende Bodenpolitik machen können. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) All das, was wir mit Gemeinnützigkeit erreichen können, kann man heute in einer kommunalen Wohnungsgesellschaft entscheiden, nämlich: reinvestieren, keine Ausschüttungen vornehmen, Rendite begrenzen. Deswegen brauchen wir mehr kommunale Wohnungsunternehmen, als wir heute haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 600 kommunale Wohnungsunternehmen halten 60 Prozent der Sozialbindungen, und das müssen wir ausbauen. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Groß. – Nächster Redner: Oliver Grundmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlev Pilger [SPD]) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte hat uns wieder eines gezeigt: Der soziale Wohnungsbau ist ein komplexes Thema. Mit Übereifer und Polemik kommen wir hier nicht weiter, lieber Herr Kollege Kühn. Grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, stimmen wir hoffentlich in einem Punkt überein, nämlich in der Bestandsaufnahme. Es fehlt an günstigem Wohnraum in den Großstädten, und es ist insofern gut, dass wir heute über dieses wichtige Thema sprechen. Fakt ist: Wir brauchen jährlich rund 400 000 neue Wohnungen. Wir brauchen Wohnraum in allen Bereichen, in allen Segmenten. Ja, wir brauchen auch günstigen Wohnraum. Ich hoffe, auch hier sind wir uns noch einig: Der soziale Wohnungsbau wird diesen Bedarf alleine nicht decken können. Meine Kollegen haben es in ihren Reden schon deutlich gemacht: Private Investoren und der Eigenheimbau – auch das sind zentrale Säulen, die wir dringend stärken müssen. Dazu brauchen wir die steuerliche Förderung im Mietwohnungsneubau. Das sind ganz wichtige Anreize für den Wohnungsmarkt. Auch mit einem attraktiven Baukindergeld muss jungen Familien geholfen werden, den Traum vom Eigenheim zu realisieren. Das Thema Baukindergeld wird in der nächsten Legislaturperiode ganz oben auf unserer Agenda stehen. Da hoffen wir, deutlich mehr zu bewirken. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat der Finanzminister das nicht schon lange umgesetzt?) Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir dürfen einen Fehler nicht machen: Wir dürfen die Wohnungsbaudebatte nicht allein auf die Brennpunkte des Wohnungsmarkts verengen. Jetzt auf Teufel komm raus billigen Wohnraum, graue Wohntürme in vielen neuen Satellitenstädten zu schaffen, das führt in eine völlig verkehrte Richtung. Damit schaffen wir den Sanierungsfall für die Zukunft und auch Leerstände von morgen. Hier gibt es genügend Beispiele in der Vergangenheit, beispielsweise in der DDR. Schauen wir auf das europäische Ausland. Die Bilder der Vorortstädte in Frankreich kennen wir alle. Das brauche ich nicht zu wiederholen. Deswegen plädiere ich dafür, nicht an den Symptomen herumzudoktern, sondern das Problem an der Wurzel zu packen. Vor diesem Hintergrund erst einmal eine kleine Bestandsaufnahme: Ja, Städte sind Magnete mit einer großen Anziehungskraft. Viele Menschen zieht es dorthin, aber nicht jede Stadt ist ein pulsierender Jobmotor wie München, Frankfurt oder Hamburg. Nicht jede Stadt bietet einen sicheren Hafen für Vollbeschäftigung. Beispielsweise sind Bremen oder Bremerhaven oder zahlreiche Städte in Nordrhein-Westfalen von Vollbeschäftigung weit entfernt, sie sind teilweise die traurigen Anführer in den Arbeitslosenstatistiken. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Meine Botschaft lautet daher: Schaut aufs Land. Es ist fahrlässig, den ländlichen Raum in der Diskussion über bezahlbaren Wohnraum zu ignorieren. Ja, viele Menschen zieht es vom Land in die Städte, aber wir müssen auch eine Ecke weiterdenken. Der ländliche Raum darf nicht länger Ursache des Problems sein, sondern er muss Teil der Lösung werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will das gerne mit einem Beispiel verdeutlichen. Mein Wahlkreis liegt im Elbe-Weser-Dreieck zwischen der Metropolregion Hamburg und der Großstadt Bremen. Wir sind eine kraftvolle Region im ländlichen Raum, mit einem starken Branchenmix aus Industrie, Handel, Handwerk, Landwirtschaft und vor allem einem starken und gesunden Mittelstand. Ja, wir sind ein Jobmotor. Rund um Zeven beispielsweise haben wir fast Vollbeschäftigung, eine Arbeitslosenquote von 4 Prozent. (Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär: Der Rest arbeitet in Bremen!) Aber wir haben noch mehr. Wir haben ein starkes Miteinander, eine lebendige Vereinsstruktur und ganz viel Grün. Warum Hamburg und Bremen immer weiter verdichten, wenn die schönste Region zum Wohnen genau zwischen diesen beiden Metropolregionen liegt, dort, wo Menschen Urlaub machen? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Bei uns – bei mir in Zeven, Selsingen, Harsefeld, Fredenbeck; ich könnte zahlreiche Gemeinden nennen – sucht der Mittelstand händeringend Arbeitskräfte. Im Handwerk werden dringend Auszubildende gesucht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hanstedt, Jesteburg, Buchholz, Seevetal!) – Genau, lieber Michael. – Dort pulsiert es. Das sind Chancen, die wir nutzen können und die wir nutzen müssen. Die Menschen sehnen sich nach einer Heimat, einem Zuhause, wo sie sich wohlfühlen, wo sie eingebettet sind in ein gutes Umfeld von Familie, von Freunden, von Vereinen, wo sie gute Arbeit finden können, wo sie mit ihren Familien Wurzeln schlagen können. Was sich niemand wünscht, sind anonyme, kalte, graue Vorstädte ohne sozialen Rückhalt, ohne gute Lebens- und Arbeitsbedingungen. Daher müssen wir aufpassen, dass wir keine Ballungszentren schaffen, die am Ende zum Ballungsraum für Probleme werden. Ich glaube, der ländliche Raum kann zu einem ganz wichtigen Entlastungsventil für überhitzte Wohnungsmärkte werden. Aber es stellt sich die Frage: Was müssen wir tun, damit unsere liebenswerte Heimat, der ländliche Raum, eine wirkliche Entlastungsfunktion einnehmen kann? An erster Stelle steht das Thema Verkehrsinfrastruktur. Autobahnen, Straßen, Schienenwege – das sind die Lebensadern einer modernen Volkswirtschaft. Stade, meine Heimatstadt, ist mittlerweile an das SBahn-Netz der Metropolregion Hamburg angeschlossen. Das gibt uns die Möglichkeit, dass Tausende von Pendlern auf die SBahn umsteigen können. Mit meinem VW-Bus, mit dem ich unterwegs bin, brauche ich für die 35 Kilometer Luftlinie von der Tür meines Hauses in Stade bis nach Hamburg teilweise über eine Stunde Fahrzeit, sogar bis zu zwei Stunden. Autobahnen, die wir brauchen, wie die A 26, wurden Jahrzehnte vom politischen Gegner bekämpft. Man hat allein 40 Jahre gebraucht, um sie gerade einmal bis zur Hälfte zu realisieren. Wir sind unglaublich dankbar und stolz auf diese Große Koalition, dass wir den Bundesverkehrswegeplan im letzten Jahr auf die Straße gebracht haben – im Übrigen gegen Grüne und Linke beschlossen, sie haben das ja bekämpft –, damit es endlich weitergehen kann mit unseren dringend notwendigen Verkehrsachsen A 26, A 20 und den zahlreichen Autobahnen und Bundesstraßen in den Wahlkreisen meiner Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich müssen wir die Digitalisierung und den Breitbandausbau schnellstens voranbringen. Die digitale Spaltung muss beendet werden. Wir brauchen flächendeckend Funkmasten. Der Schweizer Käse, den wir haben, muss ein Ende haben. Wenn ich durch meinen Wahlkreis fahre, habe ich dort permanent Abrisse. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Grundmann, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Frau Lay? Oliver Grundmann (CDU/CSU): Ja. Caren Lay (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege. Ich freue mich, dass die Debatte zu unserer Großen Anfrage „Sozialer Wohnungsbau in Deutschland“ zu einer gesamtgesellschaftspolitischen Debatte geworden ist. Ich möchte es gerne konkret machen. Beispielsweise finden die Menschen bei uns in der Lausitz keine Arbeit, es fährt kein Bus vom Dorf in die nächste Stadt. Dank der Schulschließungspolitik Ihrer Kollegen von der CDU finden sie auf dem Land auch keine Schulen mehr. Deswegen ziehen sie beispielsweise nach Dresden oder nach Leipzig, weil sie dort Arbeit, Schule und öffentliche Infrastruktur finden. Dort finden sie aber dann keine bezahlbare Wohnung mehr. Meine Frage an Sie ist: Was raten Sie eigentlich Ihren Kolleginnen und Kollegen von der sächsischen CDU? Sollen sie die fatale Politik der Schulschließungen in ländlichen Regionen beenden oder endlich auch in Sachsen Sozialwohnungen bauen? Sachsen ist eines der wenigen Bundesländer, in denen in den letzten Jahren keine einzige Sozialwohnung gebaut wurde. Ich finde das wirklich beschämend. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Kollegin Lay, ich danke Ihnen für Ihre Frage. Das eine zu tun, bedeutet natürlich nicht, das andere zu lassen. Wir müssen die privaten Kräfte im Wohnungsbau stärken, wir müssen durch entsprechende Anreizsysteme Möglichkeiten schaffen, dass private Bauwillige dort etwas tun, und wir müssen den ländlichen Raum stärken. Ich glaube, da sind die Kolleginnen und Kollegen insbesondere in den östlichen Bundesländern auf einem sehr guten Wege. Den ländlichen Raum müssen wir kraftvoll ausbauen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zu einem weiteren Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: die Geruchsimmissions-Richtlinie. Junge Familien in Niedersachsen, insbesondere bei uns im Elbe-Weser-Raum, dürfen nicht mehr in ihren Heimatdörfern bauen, dürfen nicht dort bauen, wo sie geboren sind, wo sie aufgewachsen sind, wo sie als Kinder gespielt haben, weil es dort eine Vorschrift gibt: die Geruchsimmissions-Richtlinie, die es ihnen verbietet, selbst in Baulücken auf elterlichen Grundstücken günstige Eigenheime zu errichten – nur weil es nach Landluft riecht, die sie seit ihrer Geburt eingeatmet haben, die gesundheitlich nachweislich absolut unbedenklich ist. Aber der niedersächsische Umweltminister stellt sich quer und denkt überhaupt nicht daran, die Geruchsimmissions-Richtlinie zu überarbeiten und das Bauen auf dem Lande zu ermöglichen. Hier hoffe ich auf Unterstützung dabei, das zukünftig aus dem Wege zu räumen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es kann doch nicht sein, dass der ländliche Raum wegen solchen Bürokratieirrsinns weiter ausblutet und unsere Dörfer keine Zukunft haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir es richtig anfassen, dann kann der ländliche Raum einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung der Wohnungsmärkte leisten. Der ländliche Raum und das Umland von Städten können ein leistungsstarkes Entlastungsventil für unsere Städte werden. Aber dann müssen wir ihnen eben auch Chancen geben. Den Blick auf Großstädte zu verengen, ist der falsche Weg. Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren, besteht aus Städten und Dörfern. Deutschland besteht zu 90 Prozent aus ländlichem Raum, und die Hälfte der Menschen lebt auf dem Lande. Daher wiederhole ich meine klare Botschaft: Schaut aufs Land! Wenn die Entwicklungschancen gerecht und gleich verteilt sind und sich damit auch der Wohnungsmarkt in den Städten entspannt, dann eröffnet uns das sehr gute Chancen, dann profitieren wir alle davon – die Städte und das Land. In diesem Sinne: Lassen Sie uns diesen Weg weitergehen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Oliver Grundmann. – Nächster Redner: Carsten Träger für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bezahlbares Wohnen ist eine Frage der Gerechtigkeit. Wir sehen in fast allen Großstädten unseres Landes, dass die Preise so sehr steigen, dass die uralte Faustregel gebrochen wird: Ein Drittel des Einkommens für Wohnen aufzuwenden, ist okay. – Wenn es mehr kostet, wird es eng im Geldbeutel, vor allem, wenn der Geldbeutel nicht so groß ist. Auch in meiner Heimatstadt Fürth ist dieses Problem sichtbar, aber wir gehen es erfolgreich an. Bereits seit dem Amtsantritt des Oberbürgermeisters im Jahr 2002 zeigt die Stadt, wie nachhaltige und gute Planung im Rahmen von engen örtlichen Gegebenheiten funktioniert. Wir sind eine kleine, aber wachsende Großstadt mit bald 130 000 Einwohnern. In den letzten 15 Jahren zogen pro Jahr im Schnitt 1 000 Einwohner zu; denn Fürth ist attraktiv. Wir haben im Schnitt 18 Baudenkmäler pro 1 000 Einwohner. Damit gehört Fürth zu den sechs am besten erhaltenen Großstädten in Deutschland. Das ist ein Topwert, aber natürlich bedeutet es gleichzeitig eine riesige Herausforderung hinsichtlich der städtebaulichen Entwicklung. Herr Kollege Grundmann, Sie sagen selbst, dass Sie vom Land kommen. Dann reden Sie besser nicht von „grauen Wohntürmen“ in irgendwelchen Banlieues. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Das hat mit sozialem Wohnungsbau heutzutage nichts mehr zu tun. Bei uns funktioniert es. Und wie funktioniert es? Über das Programm „Soziale Stadt“. Der Oberbürgermeister Thomas Jung ruft bereits seit seinem Amtsantritt 2002 die zur Verfügung stehenden Fördermittel konsequent ab. Das ist der Schlüssel für viele erfolgreiche Projekte; nicht nur im sozialen Wohnungsbau, aber eben auch im sozialen Wohnungsbau. Es funktioniert, wenn es Hand in Hand geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das Verdienst der Bundesbauministerin Barbara Hendricks und von Ihnen, Herr Staatssekretär Pronold, dass die Erfolgsgeschichte „Soziale Stadt“ weitergeführt und vor allem stärker gefördert wird. (Beifall bei der SPD) Denn das Programm „Soziale Stadt“ erfuhr erst unter Ihrer Regie eine richtige Blüte. Unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung wurden die Mittel zusammengestrichen. Erst in dieser Legislaturperiode haben wir das Programm wieder ordentlich und gut ausgestattet. (Beifall bei der SPD) In der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Fürth schlägt sich nachhaltiges Arbeiten deutlich nieder. Schritt für Schritt, Gebäude für Gebäude, Straßenzug um Straßenzug werden die alten Bauten saniert. Die Kosten werden per Mischkalkulation sozialverträglich umgelegt. Das ist auch im Sinne der Bestandsmieter. Dass bei der Sanierung auch die Ziele der Energie- und Wärmewende vorangetrieben werden, ist kein Zufall, sondern ausdrückliche Absicht. Alle diese Beispiele aus meiner Heimatstadt zeigen: Wenn die SPD Verantwortung trägt, entsteht nachhaltiger, attraktiver und günstiger Wohnraum, auch in einer dynamisch wachsenden Stadt. Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau in Deutschland, damit Wohnen bezahlbar wird und bleibt. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Carsten Träger. – Letzter Redner in der Debatte: Detlev Pilger für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Detlev Pilger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Grundmann, auch ich will keine grauen Trabantenstädte in den Großstädten, das ist ganz klar – aber Carsten Träger hat darauf hingewiesen: es gibt moderne und innovative Entwicklungen beim sozialen Wohnungsbau –, und auch ich will keine ländlichen Räume ohne jegliche Infrastruktur haben; denn aus diesem Grund ziehen die Menschen aus dem ländlichen Raum in die Ballungsgebiete und in die Städte. Wir können stolz darauf sein, Herr Staatssekretär Pronold, dass wir im Haushalt 1,5 Milliarden Euro für den Wohnungsbau eingestellt haben. Das ist eine gute Sache. Aber wir dürften uns einig sein: Der soziale Wohnungsbaumarkt wurde dadurch nicht wesentlich belebt. Die Zahlen wurden genannt: 25 000 Wohnungen werden jährlich gebaut, circa 50 000 Wohnungen fallen jährlich aus der sozialen Bindung. Man sieht: Das bisherige System, den sozialen Wohnungsbau zu forcieren, hat nicht funktioniert. Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus meinem Wahlkreis nennen. Es handelt sich um eine Familie mit vier Personen, zwei davon im Vollerwerb. Ich komme aus Koblenz. Koblenz ist eine wachsende Stadt, aber immer noch eine kleine Großstadt; ähnlich wie die Stadt, aus der Carsten Träger kommt. Dort finden Sie für diese Familie keinen bezahlbaren Wohnraum. Ein anderes Beispiel. Ich bin in Obdachloseninitiativen tätig. Dort gibt es Männer und Frauen, die in Therapie sind, die in Projekten für begleitetes Wohnen leben, und wieder in der Gesellschaft Fuß fassen wollen. Versuchen Sie einmal, für eine solche Person eine Wohnung in einer Stadt zu finden. Ich bin im Beirat der Justizvollzugsanstalt Koblenz. Wir sprechen sehr oft von Resozialisierung. Versuchen Sie einmal für jemanden eine Wohnung zu finden, der eine zweite Chance braucht. Sie haben keinerlei Chance. Wir sind uns an dieser Stelle hoffentlich alle einig, dass auch diese Menschen eine würdige Unterkunft verdienen und dass wir den Auftrag haben, für diese Menschen eine Wohnung zu finden. Es kann unmöglich sein, dass man in Städten ganzen Bevölkerungsgruppen keine Wohnungen mehr anbieten kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In der letzten Woche kam ein Hartz-IV-Empfänger zu mir ins Büro – verheiratet, seine Frau frühverrentet, mehrfach erkrankt –, der seine Wohnung wegen Eigenbedarf räumen soll. Er war zwar langzeitarbeitslos, ist aber nie auffällig geworden, er hat immer die Energiekosten bezahlt. Jetzt muss er auf dem Wohnungsmarkt eine Wohnung finden. Ich bin äußerst gut auf dem Wohnungsmarkt vernetzt. Ich bin seit 30 Jahren Mitglied des Aufsichtsrats einer großen Genossenschaft, davon war ich 15 Jahre Aufsichtsratsvorsitzender, ich habe also gute Verbindungen. Suchen Sie einmal für diesen Mann und seine Frau eine Wohnung. Sie haben keine Chance. Er hat keine Chance, eine Wohnung zu finden, und er ist jetzt von der Zwangsräumung bedroht. Das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen den sozialen Wohnungsbau forcieren. Wie machen wir das? Wir müssen – es wurde mehrfach angesprochen – die Genossenschaften und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften unterstützen und mehr fördern, und auch die Privaten gehören unterstützt. Das hat den Wohnungsbaumarkt stabilisiert, Arbeitsplätze gesichert, Unternehmen stabilisiert. Das, was wir gemacht haben, ist gut; aber dadurch wurde der soziale Wohnungsbau nicht belebt. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollten wir alle gemeinsam machen, egal welches Parteibuch wir haben; (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) denn das führt zur Zufriedenheit vieler Menschen, und das ist unser Auftrag. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Pilger. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12387. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Nein. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen war die Große Koalition, CDU/CSU und SPD. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert und klimafreundlich“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11020, den Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10027 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Wir kommen zu einem neuen Tagesordnungspunkt, und ich bitte Sie, die Plätze zu tauschen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesregierung 2016 Drucksache 18/9495 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Bundesminister Heiko Maas. (Beifall bei der SPD) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist der erste verbraucherpolitische Bericht, der unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegt wird. Mit dem neuen Zuschnitt des Ressorts haben wir zu Beginn der Wahlperiode einen richtigen Schritt getan; denn heute kommt die Stärke des Rechts all denjenigen zugute, die im Wirtschaftsleben etwas schwächer sind, und das sind in der Regel die Verbraucherinnen und Verbraucher. Meine Damen und Herren, ich möchte drei Verbrauchergruppen herausgreifen, denen unsere Arbeit in den letzten Jahren besonders zugutegekommen ist: Das sind die Internetnutzer, das sind Bankkunden, und das sind auch Mieterinnen und Mieter. Die Digitalisierung hat den Zugang zu Wissen und Informationen in den letzten Jahren ganz enorm erleichtert. Damit sind allerdings auch große Unsicherheiten entstanden, zum Beispiel, wenn es um das Kopieren und die Nutzung von Inhalten aus dem Netz geht – Dinge, die uns alle tagtäglich betreffen. Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter – das heißt eben auch: Der Lehrer, der für sein Unterrichtsmaterial einen Text aus dem Netz kopiert, braucht Rechtssicherheit, und ein Schüler, der für sein Referat ein Foto herunterlädt, soll nicht länger von Abmahnungen und Anwaltskosten bedroht sein. (Beifall bei der SPD) Deshalb schaffen wir mit der Reform des Urheberrechts, die im Laufe des heutigen Tages beschlossen werden soll, Rechtssicherheit. Wir erlauben solche Nutzungen per Gesetz, und wir schützen damit die Verbraucherinnen und Verbraucher vor juristischen Risiken und Nebenwirkungen. Mehr Verbraucherschutz im Netz – das heißt darüber hinaus auch: Wir haben die Störerhaftung für die Anbieter von WLANs abgeschafft. Das erleichtert die Errichtung von Hotspots und den Zugang zum Netz für alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir konnten in Europa erreichen, dass das Geoblocking eingeschränkt wird. Was der Verbraucher einmal bezahlt hat, soll er auch überall nutzen können. Auch das gehört zur Freizügigkeit, nämlich der der Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa. (Beifall bei der SPD) Und schon in vier Wochen werden in Europa endlich die Roaminggebühren fallen. Das heißt, in absehbarer Zeit wird die Abzocke von Verbraucherinnen und Verbrauchern beim grenzüberschreitenden Telefonieren endlich ein Ende haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Verbraucherpolitik im digitalen Zeitalter – das heißt auch Datenpolitik. Mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung haben wir die Datensouveränität, also die Selbstbestimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher über ihre persönlichen Daten, ganz erheblich gestärkt. Noch wichtiger ist dabei: Die Grundverordnung wird für alle Unternehmen gelten, die auf dem europäischen Markt tätig sind. Kein Unternehmen kann dann Verbraucherrechte ignorieren, weil es keine Niederlassung in der EU hat oder seine Server irgendwo in Übersee stehen. Das ist im digitalen Zeitalter, das immer mehr unser gesamtes Leben, und zwar beruflich wie privat, bestimmt, ein ganz erheblicher Fortschritt, den wir in dieser Legislaturperiode zusammen erreichen konnten. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein Mieterland. Das wissen wir alle. Deshalb muss Verbraucherpolitik immer auch Mieterpolitik sein. Mit dem Bestellerprinzip bei Maklerkosten haben wir Wohnungssuchende finanziell ganz erheblich entlastet. Wir haben damit das Grundprinzip der Marktwirtschaft, nämlich: „Wer bestellt, bezahlt“, auch bei den Maklerkosten eingeführt. Im Interesse von Mieterinnen und Mietern haben wir zudem einen weiteren juristischen Schritt getan: Bei Neuvermietungen liegt es jetzt nicht mehr allein in der Hand des Vermieters, über die Höhe der Miete zu bestimmen. Wir wissen, dass es in den Ballungszentren Mietsteigerungen von 20, 30 oder 40 Prozent gegeben hat. Deswegen haben wir die Mietpreisbremse eingeführt. Sie ist ein völlig neues Instrument; in der Form hat es sie noch nicht gegeben. Sie hat zum Ziel, die drastischen Erhöhungen von Mieten, welche zu Verdrängungen und zu Monokultur in begehrten Stadtvierteln führen – das will ja niemand – erheblich einzuschränken. Deshalb ist und bleibt die Mietpreisbremse richtig und wichtig. Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Probleme bei der Anwendung der Mietpreisbremse, die es derzeit noch gibt, ganz erheblich verringert werden. Das könnte man ganz einfach erreichen, indem man Vermieter gesetzlich verpflichtet, die Vormiete offenzulegen. Dadurch würde offenkundig, ob die Mietpreisbremse beachtet oder verletzt wird. Bewerberinnen und Bewerber für eine Wohnung, die mit 20 Konkurrenten in der Schlange stehen, müssten sich dann gar nicht erst überlegen, ob sie sich bei ihrem potenziellen neuen Vermieter möglicherweise unbeliebt machen, wenn sie sich nach der Vormiete erkundigen, und deshalb die Wohnung nicht bekommen. Die jetzige Situation führt ja dazu, dass die Mietpreisbremse, die gesetzlich besteht und fixiert ist, bedauerlicherweise noch nicht überall dort, wo sie gebraucht wird, auch in Anwendung kommt. Wie gesagt, das könnte man ganz einfach ändern, indem man den Vermieter verpflichtet, die Vormiete offenzulegen. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, auch bei einem anderen Thema, nämlich beim Thema Finanzen, haben wir in den letzten fast vier Jahren viel für die Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht. Auch das ist ein wichtiges Thema für Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit dem Girokonto für jedermann haben wir endlich dafür gesorgt, dass jeder am bargeldlosen Leben teilhaben kann. Wir haben darüber hinaus Verbraucherinnen und Verbraucher vor der Schuldenfalle Dispokredit besser geschützt. Wir haben die Banken zu mehr Transparenz bei ihren Zinssätzen gezwungen und sie verpflichtet, jedem, der zu tief in den Dispo gerät, eine Beratung und Umschuldung anzubieten. Wir haben außerdem mehr Wettbewerb im Bereich der Konten geschaffen. Verbraucherinnen und Verbraucher können ihr Girokonto heute wesentlich einfacher wechseln, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. In Zeiten steigender Kontoführungsgebühren ist das außerordentlich wichtig. Schließlich haben wir mit dem Kleinanlegerschutzgesetz den Grauen Kapitalmarkt reguliert und die Menschen vor unseriösen und intransparenten Finanzprodukten besser geschützt. Die BaFin hat deshalb jetzt mehr Befugnisse bekommen. Sie kann jetzt gegen schwarze Schafe in der Branche besser vorgehen und notfalls auch Vertriebsverbote verhängen sowie Sanktionen öffentlich bekannt machen. Wenn es das schon vorher gegeben hätte, hätte es einen Fall wie Prokon in Deutschland nie gegeben. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, wir haben in den Jahren dieser Legislaturperiode auch die Strukturen der Verbraucherpolitik verändert: Wir haben mit der Verbraucherschlichtung einen Weg geschaffen, damit Betroffene ihre Rechte gegenüber Unternehmen einfach, schnell und kostengünstig durchsetzen können. Wir haben als eine Art Frühwarnsystem die Marktwächter geschaffen, um Missstände, die es gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern gibt, zu erkennen und sie den Entscheidungsträgern zuzuführen. Wir haben den Verbraucherorganisationen mehr Rechte gegeben, zum Beispiel durch die Ausweitung der Verbandsklage. Wir haben der Verbraucherpolitik auch international zu einem höheren Stellenwert verholfen. Zum ersten Mal hat sich in diesem Jahr ein G-20-Gipfel mit dem Verbraucherschutz beschäftigt. Alle Regierungen dieser 20 Staaten fangen endlich an, die Wirtschaft nicht nur aus Sicht von Staaten, Unternehmen und Managern zu betrachten, sondern auch aus der Perspektive von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Das ist für uns selbstverständlich, aber für viele ist es immer noch revolutionär. Deshalb war es überfällig, dass wir im Rahmen unserer Präsidentschaft dafür gesorgt haben, dass dieser Weg eingeschlagen wird. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, eine weitere kleine Revolution für Deutschlands Verbraucherinnen und Verbraucher würde ich mir auch im Bereich des Prozessrechts wünschen, nämlich in Form der Musterfeststellungsklage. Eigentlich dürfen wir nicht zulassen, dass Großkonzerne mit Rechtsverstößen ungeschoren davonkommen, nur weil sich die Betroffenen verständlicherweise scheuen, gegen Großunternehmen, multinationale Unternehmen eine Klage anzustrengen. Verbraucherorganisationen müssen hier mehr Rechte bekommen. Wo verbraucherrechtliche Streitigkeiten massenhaft auftreten, könnten sie dann mit nur einer Klage die Sache vor Gericht bringen. Das liegt nicht nur im Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern das kann auch im Interesse von Unternehmen liegen; denn Musterklagen können rasch Rechtssicherheit für beide Seiten schaffen. Das ist manchmal besser, als wenn jahrelang die Schadensersatzforderungen wie ein Damoklesschwert über einem Unternehmen hängen. Viele, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, haben eigene Vorschläge dazu gemacht. Auch wenn die Musterfeststellungsklage in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommt: Im nächsten verbraucherpolitischen Bericht sollte sie nicht mehr fehlen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch da geht es wie in der gesamten Verbraucherpolitik vor allen Dingen um eines, nämlich: Recht zu haben, muss auch bedeuten, Recht zu bekommen. Das muss für Verbraucherinnen und Verbraucher künftig genauso zusammenhängen, wie das bei Justiz und Verbraucherschutz heute schon der Fall ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Heiko Maas. – Nächste Rednerin: Karin Binder für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherpolitik wurde in der 18. Legislaturperiode aufgeteilt: Wirtschaftlicher Verbraucherschutz ging an das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, gesundheitlicher Verbraucherschutz blieb beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Wozu führt das? Verbraucherpolitik wird aufgeteilt und damit geschwächt. Sie wird in zwei Ministerien als Anhängsel betrachtet und verliert damit ihre Durchschlagskraft. Dafür gibt es leider zahlreiche Beispiele. Ich beginne mit dem VW-Skandal. Der Abgasskandal, der wahrscheinlich auch Ihnen, den Besucherinnen und Besuchern hier im Bundestag, nicht unbekannt ist, hat deutlich gemacht, dass Verbraucherschutz ganz dringend gestärkt werden muss. Statt jedoch die Verbraucher zu stärken, wird die Automobilbranche vor den berechtigten Ansprüchen von Autokäufern und der geschädigten Gesamtgesellschaft geschützt. Die VW-Fahrer bleiben auf den Kosten und die Gesellschaft auf Umwelt- und Klimaschäden sitzen. Mehrfach wurde im Ausschuss die Beratung dieses Themas angesetzt – und von den Koalitionsfraktionen wieder abgesetzt. Es war also nicht möglich, auch für uns als Opposition nicht, hier tatsächlich die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber der Wirtschaft und Finanzwelt zu stärken. Es gibt heute weder Gruppen- noch Sammelklagen. Herr Minister, warum gibt es noch keine Möglichkeit zur Musterfeststellungsklage? Das wäre wünschenswert. Genau in diesem Fall hätten wir sie gebraucht – nicht in vier Jahren, sondern jetzt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In vier Jahren sind nämlich die ganzen Fristen für die Geschädigten abgelaufen. Und wer klagt dann das Recht ein? Nein, die Unternehmen behalten dann ihre unrechtmäßig erhaltenen Gewinne. So kann man Verbraucherpolitik auch verstehen. Auch in anderen Fällen haben wir leider viel zu wenig Einsatz von Ihnen gesehen, Herr Minister, obwohl von der EU zahlreiche Vorgaben gemacht wurden. Sie haben ja einiges genannt. Gut, das kann man so stehen lassen. Aber statt mit den EU-Richtlinien für einen besseren Verbraucherschutz zu sorgen, haben Sie die Standards zum Teil sogar abgesenkt. Gerade im Zusammenhang mit den Wohnimmobilien wurde das Widerrufsrecht der Bankkunden, der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer, beschnitten. Nach wie vor betragen die Dispozinsen zum Teil über 10 Prozent. Mit welcher Begründung, mit welcher Berechtigung verlangen die Banken so viel Geld und stehlen sich aus ihrer Verantwortung? Den Mieterschutz merke ich positiv an; ich freue mich darüber. Die Linke begrüßt es, dass das Mietrecht inzwischen tatsächlich als Verbraucherschutzrecht anerkannt wird. Leider – Sie haben es auch angesprochen – ist die Mietpreisbremse aber nicht wirksam. Zum Teil erleben die Menschen das Gegenteil: Sie wirkt teilweise sogar mietsteigernd. Warum gibt es denn noch nicht die Verpflichtung der Vermieter, die Vormiete anzugeben? Das wäre doch eine Leichtigkeit. – Tun Sie es doch einfach, Herr Minister! (Beifall bei der LINKEN) Es wurde ein Sachverständigenrat für Verbraucherfragen eingerichtet. Auch das begrüßen wir als Linke. Es geht um die Digitale Agenda, die die Bundesregierung inzwischen erlassen hat. Aber eine umfassende Strategie zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem großen neuen Gebiet gibt es leider noch nicht. Zwölf Empfehlungen hat dieser Sachverständigenrat bereits Anfang 2016 zum besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in der digitalen Welt an das Ministerium übermittelt. Die Bundesregierung hat aber noch nicht einmal die Hälfte dieser bisherigen Empfehlungen aufgegriffen. Auch hier frage ich mich: Warum nicht? Wir haben inzwischen zwei Marktwächter, und zwar zum Thema „Finanzen“ und zum Thema „Digitale Welt“. Wir freuen uns darüber, dass sie eingerichtet wurden. Das forderten wir als Linke schon lange. Leider haben aber auch diese Marktwächter bei festgestellten Problemen keinerlei Durchsetzungskraft gegenüber Unternehmen, und sie haben auch keine Befugnisse gegenüber Behörden, um diese zum Handeln zu bewegen. Die Datenschutzbehörden sind finanziell viel zu schlecht ausgestattet, um Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern durchzusetzen. Die Befunde der Marktwächter finden bei der Bundesregierung leider kein Gehör. Produktergänzende Versicherungen gegen Diebstahl, Schäden oder den Ausfall von Handys oder Reisen sind zum Beispiel nicht reguliert worden, obwohl die Marktwächter hier dringenden Handlungsbedarf sehen. Die Verbraucherorganisationen – vzbv und Stiftung Warentest – wurden finanziell gestärkt. Das alles ist prima, und das unterstützen wir auch. Dennoch reichen die Mittel nicht aus. Gelder aus Kartellstrafen fließen weiterhin in den Bundeshaushalt, anstatt den Verbraucherverbänden zur Verfügung gestellt zu werden, die für ihre wichtige Arbeit wirklich unser aller Dank verdienen. An dieser Stelle möchte ich mich wirklich auch einmal dafür bedanken. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ohne diese engagierte Arbeit wäre Verbraucherschutz in Deutschland wahrscheinlich nicht halb so viel wert. Um all das zu unterstützen, brauchen wir eine Verbraucherbehörde. Die Linke fordert eine finanziell gut ausgestattete und unabhängige Verbraucherbehörde, die tatsächlich auch Befugnisse erhalten muss. Diese Befugnisse sollen dieser Behörde die Möglichkeit geben, Sanktionen gegenüber Unternehmen auszusprechen und die Unternehmen letztendlich auch zur Rückzahlung unrechtmäßiger Einnahmen und Gewinne zu verpflichten. Wir brauchen auch den Schutz von besonderen Verbrauchergruppen. Herr Minister, Sie haben drei Gruppen angesprochen: Bankkunden, Mieterinnen und Mieter und Internetnutzer. Ich finde aber, Sie haben dabei eine besondere Gruppe sehr vernachlässigt, nämlich die vielen Menschen in Deutschland mit geringem oder keinem Einkommen, die von den Banken nach wie vor abgezockt werden. Es gibt bei Banken und Sparkassen ein Basiskonto, wofür die Menschen mit wenig Einkommen zum Teil höhere Gebühren zahlen müssen als andere Kunden, die genügend Geld zur Verfügung haben. Worin liegt da der Sinn? Dass man ausgerechnet den Menschen, die wenig Geld haben, aber ein Konto für den bargeldlosen Zahlungsverkehr brauchen, höhere Gebühren abverlangt, hat doch keinen Sinn. Das Gegenteil wäre notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Das Thema „Nachhaltigkeit und Verbraucherpolitik“ spielt in dem Bericht leider auch keine große Rolle. Wir mussten die CSR-Richtlinie in dieser Legislaturperiode umsetzen, aber das Thema „Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher“, zum Beispiel zu Sozialstandards und Ökostandards, nach denen Unternehmen produzieren, spielt in dieser Richtlinie keine Rolle. Gerade das Thema „Informationsrecht“ bleibt in dem Bericht und blieb in dieser Legislaturperiode leider auf der Strecke. Das Wort „Verbraucherinformationsgesetz“ kommt nicht vor, auch Whistleblowing ist für Sie kein Thema. Klar, das Thema „Sicherheit von Lebensmitteln und verbrauchernahen Produkten“ ist beim Landwirtschaftsminister angesiedelt. Aber ich denke, als Justizminister hätten Sie die Möglichkeit, insbesondere § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches anzugehen. Gerade die Regelungen in diesem Paragrafen behindern Länderbehörden dabei, Verstöße öffentlich zu machen, an denen sich Verbraucherinnen und Verbraucher orientieren könnten – aber eben nur dann, wenn diese Kontrollergebnisse öffentlich gemacht würden. Die Länderbehörden haben schon mehrfach darum gebeten, hier Abhilfe zu schaffen. Das wäre durchaus ein Thema fürs Justizministerium. (Beifall bei der LINKEN) Mein Fazit: Die Aufteilung des Verbraucherschutzes auf zwei Ministerien schwächt den Verbraucherschutz. Die Linke fordert die Zusammenführung und Stärkung in einem eigenen Verbraucherministerium, um der Verbraucherpolitik mehr Durchsetzungskraft gegenüber Wirtschaft und Finanzwelt zu verschaffen. Es betrifft über 80 Millionen Menschen in Deutschland. Es betrifft jeden Einzelnen von uns. Deshalb brauchen wir hier eine starke Verbraucherpolitik. Lassen Sie uns deshalb um ein eigenes Ministerium kämpfen. Ich hoffe, ich habe hierfür auch Ihre Unterstützung. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Karin Binder. – Nächste Rednerin: Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch hat seine ganz besonderen Fähigkeiten. Wir trauen den Menschen und ihren Fähigkeiten. Diese Erkenntnis ist ganz tief verwurzelt in der CDU und in der CSU. Deshalb ist unser erstes Ziel in der Verbraucherpolitik auch immer, den Verbraucher zu stärken, damit er eigenverantwortliche Entscheidungen treffen kann. Dafür schaffen wir die Grundlagen. Wir stellen natürlich auch klare Rahmenbedingungen und Regelungen zur Verfügung. An dieser Prämisse hat die Union in den letzten vier Jahren ihre Verbraucherpolitik ausgerichtet. Wir unterstützen den Verbraucher dabei, auf Augenhöhe mit den Unternehmen zu kommen. Verbraucher können besser beurteilen, was für sie in ihrer ganz speziellen, individuellen Lebenssituation die richtige Entscheidung ist. Das können sie viel besser, als es die Politik könnte. Verbote sind deshalb für uns in der CDU/CSU das allerletzte Mittel. Ihnen allen liegt der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 vor. Auf den gut 48 Seiten: gute Nachrichten für die Verbraucher. Die Liste der umgesetzten Vorhaben zeigt, dass wir in den vier Jahren wirklich sehr viel für Verbraucher auf den Weg gebracht haben: Wir haben die Marktwächter für die Bereiche Finanzen und Digitales geschaffen. Dafür haben wir viel Geld in die Hand genommen. Auch die Verbraucherzentralen haben wir mit einer großen Aufgabe betraut und sie vor eine große Herausforderung gestellt. Wir haben den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen ins Leben gerufen, der auch schon einige Gutachten vorgelegt hat. Mit diesen Sachverständigen haben wir eine gute Diskussion. Manches wird von uns kritisch begleitet, aber immer mit dem Hinweis: Wir wollen etwas nach vorne entwickeln, auch beim Sachverständigenrat. Die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher haben wir deutlich vereinfacht und auch erweitert, beispielsweise durch das Verbandsklagerecht bei Datenschutzverstößen im UKlaG, also dem Unterlassungsklagegesetz. Wir haben die alternative Streitbeilegung, also die Schlichtungsstellen, weiter ausgebaut. Auch im Bereich Finanzen haben wir den Fokus ganz stark auf die Verbraucher gelegt: Wir haben den kollektiven Verbraucherschutz neu bei der BaFin verankert, und wir haben das Kleinanlegerschutzgesetz verschärft, das die BaFin als neues, scharfes Instrument an die Hand bekommen hat. Wir haben – das hat der Minister schon gesagt – den Kontowechsel bei den Banken deutlich erleichtert. Die Dispozinsen sind endlich online einzusehen, sodass man sie jetzt als Kunde auch vergleichen kann. Das sollte im digitalen Zeitalter eine Selbstverständlichkeit sein, aber die Banken mussten in dem Fall wirklich zum Jagen getragen werden. Wir haben die Informationspflichten und Anforderungen an die Immobilienkreditvergabe für Berater deutlich erhöht. Neben der provisionsgestützten Beratung haben wir auch die Honorarberatung gesetzlich geregelt. Am Ende gilt für jeden Kunden: Es gibt mehr Wahlfreiheit bei der Finanzberatung. Ich könnte die Liste noch viel, viel weiter ausführen. Aber Sie sehen schon an den wenigen Beispielen: Verbraucherpolitik findet heute nicht nur im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz statt, sondern betrifft auch viele andere Bereiche. Sie betrifft den Bereich Finanzen, den Bereich Digitales, den Bereich Gesundheit oder auch den Ernährungsbereich. Verbraucherpolitik war und ist immer noch eine Querschnittsaufgabe. Viele drängende Fragen des Verbraucherschutzes konnten wir in dieser Wahlperiode beantworten. Das lässt sich wunderbar auf den 48 Seiten des Berichtes nachlesen. Ja, wir können auf diesen Bericht stolz sein. Aber ausruhen werden wir uns darauf nicht. Wir schauen nach vorne. Was müssen wir heute tun, damit Verbraucher sich auch morgen noch sicher und sorglos in den verschiedenen Märkten bewegen können? Verbraucherinformation und natürlich auch die Rechtsdurchsetzung werden uns ständig weiter beschäftigen; das ist klar. Aber mit der fortschreitenden Digitalisierung wollen wir in den Bereichen „rechtlicher Verbraucherschutz“ und „wirtschaftlicher Verbraucherschutz“ auch neue Akzente setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn ich den Blick in die Zukunft richte, dann sehe ich einen Verbraucherschutz, der es Bürgerinnen und Bürgern noch leichter macht, ihre Interessen selbst zu vertreten und durchzusetzen, und einen Verbraucherschutz, der nicht nur reagiert, sondern manche Konflikte erst gar nicht entstehen lässt. Wir wollen, auch wenn die Welt immer komplizierter wird, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Entscheidungen einfach und in einem überschaubaren Zeitraum selbst fällen können. Dafür steht die richtige Aufarbeitung guter Informationen nach wie vor im Zentrum unserer Bemühungen. Innovative Ideen dazu gibt es zuhauf. Ich nenne Ihnen einige Beispiele. Es gibt zum Beispiel die Idee, manche AGB in Zukunft maschinenlesbar zu machen. Dann stünde am Ende für den Verbraucher vielleicht eine leicht zu verstehende Zusammenfassung, oder am Ende stünde ein Hinweis auf die Besonderheiten ebendieses Vertrages, oder es stünde einfach am Ende, dass diese AGB den Anforderungen des Kunden nicht gerecht werden. Diese Entscheidungshilfe wäre wirklich eine Verbesserung. Denn gelesen werden heute AGBs von den wenigsten Kunden. Eine ähnliche technische Unterstützung könnte es auch bei den Datenschutzerklärungen geben, damit der Kunde leichter nachvollziehen kann, wer, wie und zu welchem Zweck eigentlich seine Daten nutzt. Das gilt umso mehr bei so komplexen Fragestellungen wie beispielsweise bei Daten in einer Cloud oder beim automatisierten Fahren. Dabei fragt sich der Fahrer schon: Wem gehören eigentlich die Daten? Wer nutzt meine Daten, die dort alle gesammelt werden? Im digitalen Verbraucherdatenschutz stellt sich auch die Frage, wie Verbraucher besser Einwilligungen in die Datenverarbeitung händeln können. Auch dazu gibt es ein paar spannende Ansätze. Ich mache es ganz praktisch: Der Nutzer formuliert einmal seine Datenschutzwünsche und hinterlegt diese auf einer Plattform. Wenn er dann zum Beispiel etwas online bestellt, dürfen die verschiedenen Apps, die er dann nutzt, auf seine Lieferadresse, auf seine Kontonummer bzw. seine Kontodaten oder was auch immer zugreifen. Nutzt er aber einen anderen Dienst, sind seine Daten natürlich tabu. Das kann man heute schon teilweise mühsam einstellen. Die Idee ist aber, dass der jeweilige Wille des Nutzers dem Dienstleister automatisch angezeigt wird. Das heißt für uns: Wir werden neue Technologien wie Blockchain oder intelligente Verträge auch im Verbraucherschutz mitdenken, ausprobieren und fördern. Ich möchte Ihnen eine weitere Idee vorstellen. Wäre es nicht gut, wenn der Verbraucher alle Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung weiterhin hätte, er aber nicht darauf zurückgreifen müsste, weil er seine Ziele schneller, quasi automatisch erreichen würde? Ein Beispiel: Die Bahn oder der Flieger hat Verspätung, und dem Kunden wird automatisch – ganz ohne Anstehen in einer langen Schlange und ohne kompliziertes Antragsverfahren – eine Entschädigung überwiesen. Das könnte ganz einfach deshalb so geschehen, weil der Kunde seine Daten ja schon bei der Bahn oder der Fluggesellschaft hinterlassen hat und weil der Buchungsvorgang bekannt ist und es daher keinen Zweifel an dem Ausfall des Fliegers oder der Verspätung des Zuges gibt. Das wäre unbürokratisch, und es ginge schnell. Wir könnten auf diese Weise viele solcher Fälle im Interesse des Verbrauchers einfach lösen. Die Verbraucher müssten dann nicht mehr gegen hohe Abschläge ihre Forderungen an Dienstleister abtreten oder sogar den langen Klageweg einschlagen. Ich sehe die Digitalisierung also als Chance für Verbraucher: ob sie im Supermarkt eine Verpackung einscannen – womit sie mehr und bessere Informationen bekämen, als jemals zuvor auf dem kleinen Etikett zu finden gewesen wären – oder ob sie wissen wollen, wo und in welchen Produktionsschritten ihr Sakko oder ihr Pullover hergestellt worden ist. Und wenn wir an die Informationsportale, ein Klassiker, denken: Diese haben bei weitem nicht ausgedient. Auch sie könnten weiterentwickelt werden. Mein Vorschlag ist: Wir sollten eine Altersvorsorgeplattform schaffen, auf der sich jeder über den Stand seiner Altersvorsorge informieren könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von der SPD, Sie schauen immer zurück. Immer und immer wieder drehen Sie an den gleichen Schrauben, glauben an Verbote, Ampeln und Kontrolle. Wir aber schauen nach vorne und sehen die Chancen der Digitalisierung für innovative und moderne Verbraucherpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) Unser Ziel ist es deshalb, den Verbrauchern von Anfang an – und nicht erst dann, wenn der Schaden entstanden ist – zu helfen. Dafür brauchen wir keine neuen Verbote, sondern wir brauchen intelligente Lösungen. Jeder muss die Chance haben, seine eigenen Entscheidungen bestmöglich zu treffen. Das ist unsere ganz tiefe Überzeugung. So machen wir Politik für Verbraucherinnen und Verbraucher. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Mechthild Heil, auch für Ihre Punktlandung, was die Zeit angeht. – Nächste Rednerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ja eine putzige Ideensammlung, die Frau Heil uns hier vorgetragen hat. Wenn man das alles so hört, fragt man sich, wer hier eigentlich in den letzten zwölf Jahren regiert hat. Wenn Sie so viele tolle Vorschläge haben, wie man die Verbraucher besser schützen kann, dann hätten Sie in den letzten Jahren doch einmal zwei oder drei davon in die Tat umsetzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Es ist aber klar, dass Sie lieber Ideen spinnen, die nach vorne gerichtet sind, statt Bilanz zu ziehen; denn Ihre verbraucherpolitische Bilanz der letzten Jahre sieht ziemlich trübe aus. Dabei sind Sie, gerade was den wirtschaftlichen Verbraucherschutz angeht, gar nicht mal so schlecht gestartet. Sachverständigenrat, Marktwächter und Verbraucherschutzmandat für die BaFin – das waren bei aller Kritik, die man immer im Detail haben kann, strukturell gute Fortschritte für den Verbraucherschutz. Auch das Kleinanlegerschutzgesetz war sicher ein guter Anfang, die Wildwestmethoden auf dem Grauen Kapitalmarkt einzudämmen. Aber dann wird es schon ziemlich dünn und düster. Der Vorschlag, das Kartellamt als Verbraucherbehörde auszubauen, wurde von der CDU ad acta gelegt. Frau Heil, Sie haben gesagt, dass Sie den Menschen vertrauen. Das ist schön und gut, aber Sie sollten nicht Google, Facebook und Co – den digitalen Giganten, die sich zu Monopolisten aufschwingen – vertrauen, sondern Sie hätten das Kartellamt hier mit einem scharfen Schwert ausstatten sollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Diese Fehlentscheidung bei der Frage, welche Rolle das Kartellamt spielen soll, war aber im Grunde genommen das, was Ihre Politik ausgezeichnet hat: im Zweifel gegen die Kunden. Über VW will ich gar nicht reden. Auch im Finanzbereich haben Sie sich immer wieder gegen die Kunden auf die Seite der Anbieter gestellt. Besonders deutlich wird das bei der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Hier haben Sie ohne Not rückwirkend in das Widerrufsrecht Tausender Verbraucherinnen und Verbraucher eingegriffen. Das heißt, Sie haben den Menschen ihr gutes Recht per Federstreich weggenommen, weil die Sparkassen und die Banken das so wollten. Das war eine Dreistigkeit; das war unglaublich. Das war ein riesiger politischer Fehler. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit der gleichen Geschwindigkeit und Beflissenheit Politik für die Bankkundinnen und Bankkunden gemacht hätten. Das von Ihnen angesprochene Konto für jedermann ist nur die Folge der Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Sie sprechen von Wettbewerb beim Girokonto. Wollen wir einmal sehen, ob sich das als Realität herauskristallisiert. Aber Sie hätten noch viele andere Dinge für die Bankkundinnen und -kunden tun können. Stichwort „Abzocke bei den Vorfälligkeitsentschädigungen“: Wer heute ein Häuschen baut und den Kredit vorzeitig ablösen muss, weil die Ehe in die Brüche gegangen ist oder weil etwas anderes Schlimmes passiert ist, ist mit dem Klammerbeutel gepudert. Man hat keine Ahnung, welche Strafgebühren man der Bank zahlen muss. Es gibt überhaupt keine transparente Berechnungsgrundlage. Ich als Kunde weiß nicht, ob mich die Bank zu Recht um Tausende von Euro abzockt. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Das stimmt ja nicht! Das ist ja unglaublich!) Hier Transparenz und Sicherheit zu schaffen, sodass die Kunden wissen, worauf sie sich einlassen, wäre eine Aufgabe für Sie gewesen. Aber da sind Sie gescheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein anderes Thema ist die Restschuldversicherung. Die meisten Menschen wissen nicht: Wer heute einen Kredit aufnimmt, bekommt oft eine Restschuldversicherung untergemogelt, die im Grunde genommen nur die Bank dagegen absichert, dass der Kunde nicht mehr zahlt. In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um ein völlig sinnloses, überteuertes Produkt. Zum Teil führen die Prämien für solche Versicherungen zur Verdopplung oder fast Verdreifachung des Zinssatzes. Mit solchen Versicherungsabschlüssen zulasten der Verbraucher muss Schluss sein. Wenn solche Geschäfte schon getätigt werden müssen, dann sollten die Kunden einen eigenen Vertrag haben und dann sollte der Preis für ein solches oftmals schwachsinniges Produkt in Euro und Cent sowie als Effektivzins ausgewiesen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Heiko Maas als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet ist, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ganz böses Gerücht!) dann muss man sagen, dass Christian Schmidt, der andere Verbraucherschutzminister, gleich liegen geblieben ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider ist meine Redezeit fast vorbei. Eigentlich müsste ich mich über Herrn Schmidt dreimal mehr empören als über Herrn Maas. Nur so viel: Nicht einmal die dürren Versprechen des Koalitionsvertrages haben Sie eingelöst. Restaurantbesucher werden über Gammelbuden noch immer nicht informiert. Bei der Schulverpflegung und der Lebensmittelverschwendung befindet er sich in einer Art politischen Winterschlaf und ist nach vier Jahren noch immer nicht aufgewacht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird auch nichts mehr!) Das ist unglaublich. Dabei wäre es so viel besser gegangen. Diese Koalition hat in ernährungspolitischer Hinsicht vier Jahre total verschwendet. Das ist traurig. Aber das wird hoffentlich am Ende dieses Jahres wieder anders. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Nicole Maisch. – Nächste Rednerin: Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen auf den Tribünen, wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie heute schon viele Dinge gehört haben, dann ist das richtig. Aber man kann Dinge, die man erreicht hat, ruhig mehrfach nennen. Tatsächlich freue ich mich, Frau Maisch, dass Sie unsere Bilanz recht gut finden. Natürlich gibt es noch Möglichkeiten zur Verbesserung. Schließlich brauchen wir auch für die nächste Legislaturperiode Themen. Wir sind in die 18. Legislaturperiode mit dem Ziel gestartet, die Verbraucherpolitik neu aufzustellen. Das haben wir auch gemacht. Unser Ziel ist – ich zitiere – ein „verbraucherfreundlicher, transparenter Markt, auf dem sichere und gute Produkte unter fairen ... Bedingungen hergestellt und angeboten werden“. So haben wir es im Koalitionsvertrag formuliert. Tatsächlich sollen Verbraucherinnen und Verbraucher selbstbestimmt entscheiden und konsumieren können. Institutionell haben wir zu Beginn der 18. Wahlperiode die Verbraucherpolitik neu aufgestellt; das wurde bereits gesagt. Wir haben den Bereich der wirtschaftlichen Verbraucherpolitik in die Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums übertragen. Ausgangspunkt für unsere Verbraucherpolitik ist der reale Verbraucher. Dieses Leitbild konnten wir im Koalitionsvertrag verankern; denn die Konsumenten unterscheiden sich nach Herkunft, Bildung und Einkommen, haben je nach Lebenssituation verschiedene Bedürfnisse und Interessen und zeigen – daraus resultierend – unterschiedliches Verhalten auf dem Markt. Gestützt werden unsere politischen Aktivitäten unter anderem durch Ergebnisse der Verbraucherforschung, die der von uns neu eingerichtete Sachverständigenrat für Verbraucherfragen betreibt. Unterstützt werden unsere Aktivitäten durch veränderte bzw. neu geschaffene Strukturen. So kann etwa die BaFin als Behörde jetzt auch die Marktaufsicht im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes wahrnehmen. Neu ist die Etablierung der Marktwächter – auch darauf ist schon hingewiesen worden –, und zwar für die Bereiche der Finanzen und für die digitale Welt. Diese Marktwächter – so denken wir – haben ihr Ohr am Verbraucher und an der Verbraucherin und nehmen Fehlentwicklungen am Markt als Erste wahr. Sie sind in der Lage, die Vorgänge systematisch zu erfassen und Fehlentwicklungen an die Aufsichtsbehörden und an die Politik weiterzuleiten. (Beifall bei der SPD) Nach dem Motto „Wer recht hat, soll auch recht bekommen“ haben wir die Verbraucherorganisationen mit einem wirkungsvollen Instrument ausgestattet; denn diese können jetzt mit einer Unterlassungsklage gegen Unternehmen vorgehen, wenn diese etwa gegen das Datenschutzgesetz verstoßen, indem sie ohne Zustimmung Daten für Werbung verarbeiten oder mit Adressen oder anderen persönlichen Daten handeln. Ich halte das für sehr wichtig. (Beifall bei der SPD) Die Rechte der Verbraucher auf dem Finanzmarkt sind gestärkt worden. Herr Minister Maas und auch meine Vorrednerinnen haben schon einige Dinge genannt, zum Beispiel die Einführung eines Basiskontos. Darum haben wir jahrelang gekämpft. Ich bin froh, dass wir es jetzt haben und jeder Verbraucher Zugang zu einem Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen hat und damit die Chance hat, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auch das Kleinanlegerschutzgesetz ist schon genannt worden. Ich halte es für wichtig, dass gerade im Bereich des Grauen Kapitalmarkts hier eine ausreichende Transparenz und ein Schutz erreicht worden sind. Der Wohnimmobilienkredit wurde hier ebenfalls angesprochen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir die Darlehensgeber verpflichtet haben, vor der Kreditvergabe tatsächlich die Kreditwürdigkeit der Kunden zu prüfen. Dafür haben wir Standards bei der Beratung eingeführt. Es haben sich Schwachstellen gezeigt. Wir sind so ehrlich und geben das zu. Wir haben im März dieses Jahres die bestehenden Unklarheiten bei der Kreditvergabe, insbesondere für junge Familien, für befristet Beschäftigte und Senioren, beseitigt, und damit ist wieder Rechtssicherheit vorhanden. Thema Mietrechtnovellierung: Auch das ist angesprochen worden. Wir haben das Bestellerprinzip eingeführt: Wer bestellt, der bezahlt. – Das ist ein großer Erfolg. Dafür, dass auch die Mietpreisbremse zieht und die Kosten der Modernisierung Mieterinnen und Mieter nicht überfordern, kämpfen wir weiter. (Beifall bei der SPD) Wir wollen nicht, dass Gering- und Normalverdiener immer schwerer bezahlbaren Wohnraum finden. Aber hier blockiert leider unser Koalitionspartner auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter. (Beifall bei der SPD) Die Musterfeststellungsklage ist genannt worden. Dazu brauche ich jetzt nichts mehr zu sagen. Ich würde aber gerne auf einen zweiten Teil, den anderen Bereich des Verbraucherschutzes, der in den Bereich des BMEL fällt, zu sprechen kommen. Ich finde es schade, dass wir auf dem Lebensmittelmarkt noch lange nicht so viel Transparenz haben, wie wir es mittlerweile auf dem Kapital- oder Finanzmarkt haben. Wir müssen nämlich weg von einem Preiswettbewerb hin zu einem Qualitätswettbewerb kommen. Ich finde es schwierig, dass, wenn es um Lebensmittelbetrug geht, nach wie vor die Grundlage fehlt, gegenüber der Öffentlichkeit Ross und Reiter zu nennen und die Mängel abzustellen, damit dem Betrug nicht weiter Vorschub geleistet werden kann. (Beifall bei der SPD) Wir sind angetreten, die Verbraucherpolitik neu auszurichten. Ich denke, das ist jetzt in großen Teilen gelungen, auch mit der Verlagerung der wirtschaftlichen Verbraucherpolitik in das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Wir werden weiter daran arbeiten. Auf die Transparenz und den Schutz, die wir für die Verbraucherinnen und Verbraucher erzielt haben, können wir stolz sein. Machen wir also weiter. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß. – Nächste Rednerin: Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gitta Connemann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was haben Sie heute Morgen um 7 Uhr gemacht? (Zuruf von der CDU/CSU: Geduscht!) – Geduscht, ist eine Antwort. – Ich war im Tiergarten. Da kamen mir Jogger entgegen. Ihre Ausstattung bestand aus Fitnessarmbändern und Proteinshakes, und sie hatten Musik im Ohr. Das ist Realität nicht nur in Berlin, sondern inzwischen im ganzen Land. Die Sportler glauben, ihren Körpern etwas Gutes zu tun. Aber die Frage ist: Können sie sich wirklich auf die Angaben ihres Activity Trackers verlassen, und ist der Energydrink, den sie konsumieren, wirklich gesund? Hier setzt Verbraucherschutz an. Für meine Fraktion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist das ein Kernanliegen; denn jeder Bürger ist auch immer ein Verbraucher, und die Belange der Verbraucher sind für uns Lebensthemen, auch und gerade im Bereich von Ernährung und Gesundheit, der bis dato kaum angesprochen worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung, über den wir heute sprechen, beweist eines: Der Verbraucherschutz in Deutschland steht auf höchstem Niveau, siehe Ernährung. Essen und Trinken sind so sicher wie nie zuvor, und in Deutschland gibt es bezahlbare und hochwertige Lebensmittel im Überfluss. Diesen Reichtum verdanken wir übrigens unseren Landwirten, Gartenbauern, Fischern, Bäckern, Fleischern, Verarbeitern und der Ernährungsindustrie. An diese gerichtet sage ich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Fraktion, Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Diesen Dank spreche ich auch im Namen meiner Fraktion dem Bundesverband der Verbraucherzentralen aus. Er gibt den Verbrauchern in Deutschland eine unüberhörbare Stimme, und deswegen stärken und unterstützen wir ihn. Auch die Kollegin Mechthild Heil hat es dargestellt. Danke sehr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben gemeinsam vieles auf den Weg gebracht; auch wenn die Kollegin Maisch es in Zweifel gezogen hat. Da habe ich mir schon überlegt: Wie kann ich diesem Zweifel begegnen? Wir haben dargestellt, was an Maßnahmen gemacht worden ist; dies negiert Frau Maisch in Gänze. Da habe ich an einen Satz von Konrad Adenauer gedacht. Er hat einmal gesagt: Wir leben alle unter demselben Himmel. Aber wir haben nicht alle denselben Horizont. Das hat sich heute für mich hier sehr deutlich bestätigt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn man bereit wäre, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, würde man feststellen: Wir haben neuartige Produkte bis hin zu Energydrinks geregelt. Jemand, der heute ein Produkt mit Chia-Samen isst, soll genauso sicher sein wie der Jogger, was die Höchstmengen an Koffein in Energydrinks angeht. Wir haben ein elektronisches Früherkennungssystem für die Lebensmittelüberwachung auf den Weg gebracht; denn das beste Gesetz hilft nicht ohne Kontrolle. Um Lebensmittelbetrügereien wie Pferdefleischskandale zu verhindern, wurden ein europäisches Netzwerk gegründet und eine nationale Kontaktstelle für Lebensmittelbetrug eingerichtet, übrigens beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Seit 2016 gibt es das Bundeszentrum für Ernährung. Dieses neue Zentrum soll die Flut an Informationen zusammenführen, analysieren und auch vermitteln; denn der Verbraucher benötigt am Ende verständliche Informationen. Es muss draufstehen, was drin ist, und es muss drin sein, was draufsteht. Informationen sollen aber auch nicht überfordern. Ein Karottensaft braucht keinen Beipackzettel, eine Kortisonsalbe dagegen schon. Auch deshalb haben wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion stark für eine Reform der Lebensmittelbuch-Kommission eingesetzt. Wir haben diese personell und finanziell mit unserem Koalitionspartner gestärkt, damit Angaben zu Lebensmitteln besser auf dem aktuellen Stand gehalten werden können. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zum Beispiel den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung auf das absolut notwendige Maß beschränkt. Dadurch konnte der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung seit 2011 um 53 Prozent gesenkt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit April ist ein neues Allergieportal in Betrieb. Wir haben uns für diese Einrichtung ganz starkgemacht; denn wir wissen: 20 Prozent der Erwachsenen und zunehmend auch Kinder sind von Allergien betroffen, und sie brauchen eines: unabhängige und wissenschaftlich belegbare Informationen – und, und, und. Besonders wichtig war und ist meiner Fraktion das Thema der Kennzeichnung. Wir sind davon überzeugt, dass der Verbraucher kein Kleinkind ist, das gemaßregelt werden muss. Deswegen lehnen wir Instrumente wie Veggiedays, Lebensmittelampeln oder auch Strafsteuern ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Das sei an dieser Stelle noch einmal wiederholt. Um eigenverantwortlich entscheiden zu können, braucht der Verbraucher aber eines zwingend: Er braucht umfassende Informationen, und er braucht verständliche Informationen. Deshalb haben wir eine europaweit einheitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln eingeführt und umgesetzt. Das geschah übrigens durch das Ministerium von Herrn Bundesminister Schmidt. Der Verbraucher kann sich heute über Inhaltsstoffe, Nährwerte und 14 Allergene informieren. Zusammengefügte Fleisch- und Fischprodukte müssen speziell gekennzeichnet werden, wie übrigens auch der Einsatz von Lebensmittelimitaten, wie zum Beispiel von Analogkäse in veganen Produkten. Auch das ist Verbraucherschutz. Zur Transparenz gehören für uns zwingend verlässliche Herkunftsangaben. Bei Obst, Gemüse, unverarbeitetem und vorverpacktem Fleisch ist das schon heute Pflicht. Aber wir wollen diese Pflicht auf alle Lebensmittel ausdehnen, insbesondere auf tierische Produkte in Fertigerzeugnissen. Für uns gilt: Was aus deutschen Landen kommt, soll auch so gekennzeichnet werden. Dafür brauchen wir, Frau Binder, die Zustimmung der Kolleginnen und Kollegen auf europäischer Ebene; denn tatsächlich dürfen wir nur eingeschränkt alleine kennzeichnen. Das ist ein großes Problem. Im Großen und Ganzen können wir aber feststellen: Im Bereich der Lebensmittel ist der Verbraucherschutz weitgehend reguliert. Die Aufgabe wird zukünftig darin bestehen, diese Regeln umzusetzen und Vollzugsdefiziten zu begegnen. Dies ist übrigens eine große Aufgabe für die Länder; denn die Länder sind zuständig für die Lebensmittelüberwachung. Da wünschte ich mir schon mehr Engagement des einen oder anderen Landes, was sowohl die personelle als auch die finanzielle Ausstattung der Lebensmittelüberwachung angeht. (Beifall bei der CDU/CSU) Für uns als Gesetzgeber auf Bundesebene liegt die Herausforderung der Zukunft auf einem anderen Feld, dem Bereich der Digitalisierung. iPhone, iWatch, Gesundheits-Apps, synthetische Lebensmittel – täglich kommen neue Produkte und Verfahren auf den Markt. Das Verbraucherverhalten ändert sich rasant. Darauf müssen sich nicht nur Verbraucherorganisationen, sondern auch die Politik einstellen. Wir stehen vor einer wirklichen Herkulesaufgabe, nämlich den analogen in einen digitalen Verbraucherschutz zu transferieren, und das auch im Bereich Ernährung und Gesundheit. Ein Beispiel: das Thema Internethandel. Wir haben bereits eine Kontrollstelle für den Onlinehandel mit Lebensmitteln eingerichtet. Denn das Internet ist ein immer größerer virtueller Marktplatz für Lebensmittel, Kosmetika und anderes. Der Internetkauf birgt Gefahren. Nicht selten werden gesundheitsgefährdende Lebensmittel verkauft oder eben Verbraucher getäuscht. Dafür haben wir die Kontrollstelle. Aber wir müssen auch sicherstellen, dass beim Onlinehandel alle anderen lebensmittelrechtlichen Vorschriften zur Anwendung kommen. Angebote, die nicht den europäischen Vorschriften entsprechen, die nicht von registrierten Anbietern stammen, die Verbraucher gesundheitlich schädigen oder täuschen, dürfen nicht beworben werden. Hier brauchen wir klare Regeln – das geht nur europäisch – für die Risikobewertung und effektive Strukturen für die Einfuhrkontrolle und Überwachung des Onlinehandels. Weiteres Beispiel: Informationen über Lebensmittel. Bereits heute informieren sich mehr als die Hälfte der Verbraucher im Internet über Lebensmittel. Das ist eines der Ergebnisse des Ernährungsreports des Ernährungsministeriums aus dem Jahr 2017. Auch hier ist der Verbraucherschutz gefordert. Es geht darum, Onlineinformationen über Lebensmittel genau denselben Vorgaben des Lebensmittelrechts zu unterwerfen, wie wir sie schon für greifbare Produkte haben. Und als letztes Beispiel: digitale Medizinprodukte. Auch hier sind wir gefordert. Jeder dritte Verbraucher nutzt heute schon eine Fitness- oder Gesundheits-App. Sie zählen die Schritte, messen den Puls, überwachen den Schlaf, wollen gegen Tinnitus behandeln. Ohne Frage, diese Produkte werden eine wichtige Rolle gerade auch im Bereich der Prävention einnehmen können, aber sie halten nicht immer, was sie versprechen. Ihre Qualität reicht von sehr gut bis zu äußerst fragwürdig. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzen uns deshalb für verbindliche Mindeststandards bei Datenschutz, Datennutzung und auch Finanzierung ein. Wir fordern ein Impressum mit Pflichtangaben zu Urheber und Aktualität. Der Verbraucher muss erkennen können, ob die Wirksamkeit des Produkts tatsächlich gegeben ist. Denn Versprechen sind das eine, ein wissenschaftlicher Nachweis ist das andere. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für uns ist klar: Bei der Gestaltung des digitalen Wandels wird das Thema Verbraucherschutz eine unverzichtbare Rolle spielen für den Schutz und die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das betrifft uns alle, auch den Jogger heute Morgen im Tiergarten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gitta Connemann. – Nächste Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir den Verbraucherpolitischen Bericht ansehe – gut, dass es wieder einmal einen gibt, Herr Maas –, bin ich an der einen oder anderen Stelle schon erstaunt, weil da geschrieben wird: „verbraucherfreundlicher“, „transparenter“, „sicherer“ usw. Ich finde aber, dass hier relativ wenig passiert ist, wobei ich eines zugebe, auch mit Blick in Richtung der SPD: Es ist auch nicht einfach, nicht wahr? (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Willst du tauschen?) – Nein, ich will nicht tauschen; das hatte ich sowieso nicht vor. Da ich gerade die Rede von Frau Heil und Frau Connemann gehört habe, muss ich sagen: Wenn man Verbraucherpolitik machen will, darf man nicht nur die langweiligen Kämpfe von vor 20 Jahren austragen: „Was ist unser Bild?“, „Wir wollen nicht bevormunden“ usw. Wissen Sie, das hängt einem doch wie Sauerkraut aus den Ohren. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ich sage nur: Veggieday! Super!) – Ja, aber es wird durch Wiederholung nicht besser. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Da ist jemand getroffen!) Wir leben in einer Welt, in der die einen immer größer, stärker und globaler werden, die anderen aber nicht mitwachsen. Welcher individuelle Verbraucher hat denn Juristinnen und Juristen oder eine ganze Rechtsabteilung um sich? (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Oh! Da ist aber jemand echt getroffen!) Welcher individuelle Verbraucher weiß denn, wie ein weltweit tätiger Lebensmittelkonzern oder ein digitaler Konzern in allen Facetten funktioniert? Ich muss in Richtung der CDU/CSU sagen: Sie haben gar nicht den Mut, sich tatsächlich um die Rechte und Interessen der Verbraucher zu kümmern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Und das von Ihnen! – Ach nein?) – Nein. Am Ende scheint es so, als seien Sie der parlamentarische Arm irgendwelcher globalen Großkonzerne. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Hohle Töpfe haben den lautesten Klang! Das sagte schon Shakespeare! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Na! Jetzt ist es aber gut! – Wer forderte doch gleich den Veggieday?) – Ja, es muss gesagt werden, auch wenn Sie jetzt laut rufen. – Was hat denn Ihr Bashing von so etwas wie Lebensmittelampeln damit zu tun, dass der Verbraucher kein Kleinkind ist? Das sind doch klare Sachen. Man guckt drauf und weiß, was in 100 Gramm eines Nahrungsmittels enthalten ist. Stattdessen lassen Sie zu, dass irgendwelche umfangreichen Berechnungen angestellt werden, und Sie loben sich für Dinge, Frau Connemann, die nichts anderes als die Umsetzung des europäischen Rechts sind. Soll ich Sie dafür loben, dass Sie das Recht einhalten? Das wäre auch eine Idee. Unser Bild ist, dass es das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist, zu wissen, was in Lebensmitteln drin ist und wofür sie ihr Geld ausgeben. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Guter Satz!) Information und Wissen dürfen nicht nur in Business-to-Business-Beziehungen, also in den langen Produktions- und Lieferketten, möglich sein, sondern auch der Konsument als Wirtschaftsteilnehmer hat diese Ansprüche. Dieses Recht auf Wissen müssen wir umsetzen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben über Horizonte geredet und ein Zitat angeführt. Ich finde es schön, dass Sie sich mit dem Thema „Hinterm Horizont geht’s weiter“ beschäftigen wollen. Sehen wir uns doch einmal an, was Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft im Alltag bedeuten. Stellen Sie sich vor, dass Sie etwas kaufen, ob für den schönsten Tag Ihres Lebens, zum Beispiel ein Hochzeitskleid, ob für jeden Tag, zum Beispiel etwas zu essen, zu trinken, Kleidung, oder für den letzten Tag, nämlich einen Grabstein. Als Konsument hat man ungeheuer große Schwierigkeiten, herauszufinden: Sind die internationalen Arbeitnehmerrechte, die Umweltrechte usw. eingehalten worden? Sind in der internationalen Produktionskette die Regelungen eingehalten worden, die bei uns Recht sind und die in anderen Ländern deshalb nicht falsch sein können? Sie haben damit Probleme, und Sie drücken sich davor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Iris Ripsam [CDU/CSU]: Wir kaufen deutsche Produkte! – Gegenruf der Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsche Mangos und deutsche Bananen?) – Der Zuruf „Wir kaufen deutsche Produkte!“ war jetzt fürs Protokoll. Kauft der Rest der Welt auch deutsch? Aus welchem Jahrhundert kommen Sie denn? Das ist auf alle Fälle nicht in der EU verankert, junge Frau. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Minister hat gesagt: Es ist gut, dass wir uns im Rahmen der G 20 dafür eingesetzt haben, dass der Verbraucherschutz im Wirtschaftsbereich eine Rolle spielen soll. – Das finde auch ich gut, Herr Maas. Ich sage nur: Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch die Wirtschaft hierzulande betrachten und unsere Stimme erheben. Auch bei VW geht es um Massen von Verträgen. Bei 2,9 Millionen Dieselautos, die hier herumfahren, sind – ich sage es einmal so – die Werte gefälscht, und wir haben es mit betrogenen Verbrauchern zu tun. Angesichts dessen brauchen wir nicht nur eine Gruppenklage – die Musterklage scheitert an der rechten Seite dieses Hauses –, sondern auch Leute, die ihre Stimme erheben und sagen: Die Verbraucher in Deutschland und Europa haben das gleiche Recht wie die in den USA. – Das habe ich vermisst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe auch vermisst, dass Sie sich stärker in Sachen Mietpreisbremse engagieren; früher haben Sie sich dafür gelobt. Ich habe ebenso vermisst, dass Sie beim Thema Textillieferkette deutlicher gesagt hätten, was wir wollen. Herr Müller – der Minister ist nicht da – redet zwar gerne über den grünen Knopf. Er hat sich aber nicht getraut, die Unternehmen in Deutschland zu verpflichten, nicht an einem Textilgipfel in Bangladesch teilzunehmen, wenn die Regierung in Bangladesch nicht dafür sorgt, dass all die Gewerkschafter aus dem Textilbereich, die die Stimme erhoben haben, aus den Gefängnissen entlassen werden. Das ist doch ein Armutszeugnis, oder? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind doch die Christen, und Ihr CSU-Minister macht gar nichts, meine Damen und Herren. Ich hoffe, dass der nächste Verbraucherschutzbericht tatsächlich umsetzt, was drin ist, und dass nicht nur für die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch für den Verbraucherschutzbericht demnächst gilt: Es ist drin, was draufsteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Petra Rode-Bosse für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Petra Rode-Bosse (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Besucher und Besucherinnen! Jetzt eher das ruhige Kontrastprogramm. Wir alle sind Verbraucherinnen und Verbraucher, und das macht den Verbraucherschutz zu einem Thema, das uns alle betrifft. Einerseits ist es einfacher, weil wir konkrete Vorstellungen haben; andererseits ist es schwieriger, weil, wie schon erwähnt, eine Querschnittsaufgabe vor uns liegt, die alle Bereiche der politischen Agenda betrifft. Und: Die Verbraucherinnen und Verbraucher – die Verbraucherin, den Verbraucher gibt es nicht –, sie alle bilden die vielfältige Gesellschaft in Gänze ab. Wir haben also eine sehr heterogene Zielgruppe. Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben schon etliche Errungenschaften und größere Ziele des Verbraucherschutzes dargelegt. Ich möchte einige spezielle, aber sehr wertvolle Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Verbraucherinnen und Verbraucher nennen, zum Beispiel für Menschen in besonderen sozialen Lebenslagen, oft mit niedrigem Einkommen oder mit weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Für diese Gruppe gibt es das Projekt „Verbraucherinformation geht in die Quartiere“. Das ist aufsuchender Verbraucherschutz für Menschen, die nicht selbstständig zu einer Verbraucherzentrale gelangen können oder in einem Umfeld wohnen, wo es keine Verbraucherzentrale gibt. Des Weiteren können wir die älteren Menschen in den Fokus nehmen, die Unterstützung benötigen, um sich in der Flut von immer neuen Regelungen zurechtzufinden. Mit dieser Gruppe befasst sich eine eigene Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das große und wichtige Thema, nämlich der besondere Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher bei wachsender Digitalisierung und zunehmendem Onlinehandel, mit dem wir uns im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz dauerhaft aktiv beschäftigen, ist genannt worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir selbst können Verantwortungsbewusstsein von Verbraucherinnen und Verbrauchern unterstützen, indem wir vorhandene Angebote der Bundesregierung aufgreifen, zum Beispiel die Ende Mai/Anfang Juni bereits zum fünften Mal stattfindenden Aktionstage Nachhaltigkeit. Es wird also etwas getan. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich beteilige mich an diesen Aktionstagen mit zwei Aktionen und erläutere Bürgerinnen und Bürgern die Bedeutung von Nachhaltigkeitssiegeln für die Arbeitsbedingungen in der Produktion. Wenn sich Verbraucher- und Wirtschaftsinteressen im Einklang befinden, können wir ein hohes Maß an Lebensqualität sichern und wirtschaftliches Wachstum fördern. Vermeintliche Interessengegensätze zwischen Wirtschaft und Verbrauchern lösen sich in vielen Fällen bei genauer Betrachtung auf. Es zeichnet Unternehmen nämlich aus, wenn sie sich gegenüber den Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen der Kunden offen zeigen und sich daran orientieren. Das kann ein Qualitätsmerkmal sein und sich wirtschaftlich positiv niederschlagen. Allerdings gibt es in manchen Bereichen noch einen ziemlich hohen Aufklärungsbedarf. Verbraucherbildung sollte deshalb nie nur an Konsumenten, sondern immer auch an Produzenten gerichtet sein. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Ein positives Beispiel ist das Modellprojekt „MitVerantwortung – Sozial und ökologisch handeln“, das die Interessen von Unternehmern und Verbrauchern zusammenbringt. Wir brauchen aktive, aufgeklärte Verbraucherinnen und Verbraucher mit einem reflektierten, selbstbestimmten Konsumverhalten. Dies gilt es mit uns zur Verfügung stehenden Mitteln, die im Bericht genannt worden sind, weiter zu fördern. Besten Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Iris Ripsam für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Iris Ripsam (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung 2016 zeigt auf seinen knapp 50 Seiten einmal mehr, mit welch großem Spektrum von Themen wir es im Verbraucherschutz zu tun haben. Regelmäßig bekommen wir diesen Bericht vorgelegt, und ich glaube, in kaum einem anderen Bereich können wir eine solche Dynamik der Veränderung beobachten. Dadurch ergeben sich natürlich viele Baustellen. Aus diesem Grund sind Verbesserungen im Verbraucherschutz auch immer eine Reaktion auf die derzeitige Istsituation. Vom Ergebnis her können sich die umgesetzten Vorhaben sehen lassen. In einer immer komplexer werdenden Welt mit wachsenden Waren- und Dienstleistungsangeboten müssen jedoch die verbraucherschützenden Maßnahmen immer wieder neu angepasst werden. Diese Maßnahmen betreffen uns ausnahmslos und unmittelbar. Auch wir alle hier sind Verbraucher, quer durch die Fraktionen, auch Sie auf den Tribünen. Wir alle verbrauchen, wir alle konsumieren. Da sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir für die Verbraucherinnen und Verbraucher das Beste erreichen wollen. Ein guter Verbraucherschutz muss den Menschen Schutz bieten, darf keine Entmündigung darstellen und muss kostenverträglich sein. Ein schwieriger Dreiklang. Dem wollen wir als CDU/CSU begegnen, indem wir Verbraucherforschung, Verbraucherbildung, Transparenz und gute Informationen, klare Rechtsrahmen und wirksame Rechtsdurchsetzung voranbringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben schon ein breites Spektrum der von der Regierungskoalition beschlossenen Maßnahmen gehört. Ich will an dieser Stelle den Blick nach vorne richten und zwei Themen konkret ansprechen, auf die wir unser besonderes Augenmerk legen sollten. Zum einen ist dies ein Bereich, der wie kein zweiter einen klassischen Wirtschaftszweig mit modernen digitalen Elementen verbindet: das automatisierte und vernetze Fahren. Vielleicht ist der eine oder andere von Ihnen ja schon einmal in den Genuss dieser neuen Fortbewegungstechnik gekommen – und sei es nur beim Einparken. Diese neue Fahrzeugtechnik wird uns in Zukunft viel Erleichterung bringen, aber auch einiges an schwierigen Aufgaben. Die Digitalisierung wird für den Verbraucherschutz neue Herausforderungen bereithalten, die zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar sind, beispielsweise dass die Autos miteinander kommunizieren, mit intelligenten Verkehrssystemen das Vorankommen erleichtern oder Unfallrisiken verringern können. Die neuen Herausforderungen, die angegangen werden müssen, lauten: Datenschutz und Datensicherheit, Ausbau digitaler Infrastruktur, Rechtssicherheit bei der Nutzung. Dazu stellte die Bundesregierung unter anderem im September 2015 die „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren“ vor. Wir setzen hier verstärkt auf gesellschaftlichen Dialog. Das geht aber auch Hand in Hand mit der Elektromobilität. Hier sind wir beim zweiten wichtigen Themenfeld im Verbraucherschutz: dem Wohnungseigentumsgesetz. Haben Sie einmal überlegt, wie wir die E-Mobilität voranbringen können, wenn wir nicht für die Verbraucher die Möglichkeiten schaffen, in ihren Wohnungseigentumsanlagen Steckdosen zum Aufladen ihrer E-Autos einzubauen? Die dafür benötigte hundertprozentige Zustimmung durch die Eigentümerversammlung ist nahezu unmöglich. Eine moderne, nachhaltige Wohnungspolitik ist so nicht umsetzbar. Hier müssen wir im Sinne der Verbraucher handeln. In Zeiten eines angespannten Wohnungsmarktes, steigender Mieten und fehlenden Wohnraums ist der Eigentumserwerb einer Immobilie für viele eine Option. 1957 prägte Karl Arnold, erster Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und damals stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, den Satz: „Eigentum für jeden.“ 60 Jahre später gilt für uns als Union noch immer: Wir wollen Politik für Wohlstand und Eigentumsbildung gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bau oder Kauf einer Immobilie war damals und ist heute für Verbraucher in aller Regel die weitreichendste finanzielle Entscheidung ihres Lebens. Die Bereitschaft zur Schaffung von Wohneigentum ist durch die gegenwärtige Niedrigzinsphase nochmals gestiegen. Viele sorgen für ihr Alter vor und schaffen zugleich dringend benötigten Wohnraum. Seit damals ist viel passiert: Der Wunsch nach Eigentum ist der gleiche, die Umstände sind andere. Das Wohnungseigentumsgesetz bedarf nach 66 Jahren seines Bestehens einer grundlegenden Reform, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) um Rechtssicherheit beim Wohneigentumserwerb zu schaffen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten, um altersgerechtes Wohnen zu fördern. Dazu müssen wir zum Beispiel das Recht auf Einsicht in das elektronische Grundbuch, die Umsetzung der erwähnten Modernisierungsmaßnahmen und eine Professionalisierung des Verwalterberufs vorantreiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über das Wie scheiden sich erwartungsgemäß die Geister. Natürlich kann es bestimmte Situationen geben, die staatliche Maßnahmen rechtfertigen und erforderlich machen. Wir als Union sind überzeugt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher zu selbstbestimmten Entscheidungen fähig sind. Wir wollen die Verbraucher unterstützen, dass sie ihre Entscheidungen auf selbstbestimmte, mündige Art und Weise treffen. Denn Verbraucher brauchen starke Rechte, aber keine Bevormundung. Dafür stehen wir weiterhin. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/9495 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 g sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf: 43.   a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksache 18/12354 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation Drucksache 18/12331 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresrahmens für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte für den Zeitraum 2018-2022 Drucksache 18/12332 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Akkreditierungsstelle Drucksache 18/12333 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Lutze, Jan Korte, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unentgeltliche Nutzung der WC-Anlagen an Bundesautobahnen und Bahnhöfen Drucksache 18/9223 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Tourismus f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln und kommunale Wirtschaftskreisläufe fördern Drucksache 18/12365 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren – UN-Treaty-Prozess unterstützen Drucksache 18/12366 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ZP 3   a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes zur Beschleunigung von Verfahren Drucksache 18/12360 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken Drucksache 18/12363 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kontogebühren – Transparenz und Verbraucherschutz erhöhen Drucksache 18/12367 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 p sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 h auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 44 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. März 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Personenstandsregistern Drucksache 18/11510 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12123 Die genannten Auszüge und Bescheinigungen, die insbesondere zur Verwendung im Ausland bestimmt sind, werden in den Vertragsstaaten des Übereinkommens ohne weitere Förmlichkeit anerkannt. Die Anpassung des Übereinkommens an Rechtsänderungen in den Mitgliedstaaten der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen macht eine Zustimmung des Deutschen Bundestags zum Beitritt zu dem Abkommen notwendig. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12123, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11510 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ich gehe mal davon aus, dass die Kollegen, die hier stehen, nicht an der Abstimmung teilnehmen. – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist auch in dritter Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 44 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung Drucksache 18/11613 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12125 Mit diesem Gesetz werden den Vollstreckungsbehörden des Bundes weitestgehend die Sachaufklärungsbefugnisse eingeräumt, die Gerichtsvollziehern nach der Zivilprozessordnung zustehen. Außerdem werden den Vollstreckungsbehörden des Bundes und der Länder korrespondierende Übermittlungsbefugnisse eingeräumt. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12125, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11613 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 44 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November 2016 zur Änderung des Abkommens vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11869 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/12398 Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11869 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 44 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr Drucksache 18/11878 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/12398 Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11878 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 44 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsgesetz – EgVG) Drucksache 18/11257 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/12425 Das Verfahren zur Erstellung der Prognosen und die Beteiligung einer unabhängigen Einrichtung werden gesetzlich geregelt. Eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates sieht vor, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen der Bundesregierung jährlich der Europäischen Kommission vorzulegen sind. Die Vorausschätzungen müssen zuvor von einer unabhängigen Einrichtung mit dem Ziel der Befürwortung überprüft werden. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12425, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11257 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 44 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes Drucksachen 18/11494, 18/11880, 18/12181 Nr. 1.6 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/12411 Die Europäische Kommission hat zur Information über die Situation im Straßenverkehr und für die Bereitstellung von Verkehrsdaten für die Bereiche Echtzeitverkehrsinformationen, sicherheitsrelevante Verkehrsinformationen und sicheres Lastkraftwagenparken Spezifikationen festgelegt. Mit diesem Gesetz wird die Bundesanstalt für Straßenwesen als Nationale Stelle benannt, die prüft und bewertet, ob die gestellten Anforderungen durch die Anbieter von Verkehrsinformationen eingehalten werden. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12411, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11494 und 18/11880 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 44 g: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über Soziale Sicherheit Drucksache 18/11879 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/12394 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12394, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11879 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 44 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten Drucksachen 18/11410, 18/12301 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12301, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11410 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 44 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Zweite Verordnung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung Drucksachen 18/11945, 18/12181 Nr. 2, 18/12407 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12407, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/11945 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkte 44 j bis 44 p. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 44 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 433 zu Petitionen Drucksache 18/12114 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 433 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 44 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 434 zu Petitionen Drucksache 18/12115 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 434 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 44 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 435 zu Petitionen Drucksache 18/12116 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 435 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 44 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 436 zu Petitionen Drucksache 18/12117 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 436 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 44 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 437 zu Petitionen Drucksache 18/12118 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 437 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 44 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 438 zu Petitionen Drucksache 18/12119 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 438 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 44 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 439 zu Petitionen Drucksache 18/12120 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 439 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstellung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung Drucksache 18/3279 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/7517 Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7517, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3279 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Provenienzforschung stärken – Bessere Rahmenbedingungen für einen angemessenen und fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Drucksachen 18/3046, 18/7532 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7532, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3046 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in der internationalen Palmölproduktion verankern Drucksachen 18/8398, 18/10611 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10611, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8398 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Frieden und keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas Drucksachen 18/6551, 18/10848 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10848, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6551 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine transparente und geschlechtergerechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good Governance Drucksachen 18/9042, 18/11433 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11433, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9042 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Initiative „She Decides“ unterstützen – Die sexuellen und reproduktiven Rechte und die Selbstbestimmung und Gesundheit von Frauen und Mädchen in Ländern des globalen Südens stärken Drucksachen 18/11177, 18/11649 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11649, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11177 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR Jülich in die USA Drucksachen 18/2624, 18/12408 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12408, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2624 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Aids-Epidemie in Deutschland und weltweit bis 2030 beenden Drucksachen 18/6775, 18/12424 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12424, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6775 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich danke allen Beteiligten für die konzentrierte Arbeit zu diesen Tagesordnungspunkten. (Beifall der Abg. Joachim Poß [SPD] und Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen von Präsident Macron im Bereich der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere zu gemeinsamen europäischen Investitionen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als am 7. Mai 2017 der neue französische Präsident zu den Klängen der europäischen Hymne durch den Hof des Louvre schritt, wurde wahrscheinlich nicht nur für Emmanuel Macron ein Traum wahr. Auch viele unter uns haben sich die Augen gerieben. Wer hätte nach dem Katastrophenjahr 2016 für Europa geglaubt, dass bald ein leidenschaftlicher Europäer im Élysée-Palast sitzen würde? Wenn ich mir an der Stelle einen Blick auf die Regierungsbank erlauben darf? Nicht nur dieses Haus, sondern, ich glaube, ganz Deutschland wartet seit zwölf Jahren darauf, dass die Bundeskanzlerin einmal mit Leidenschaft für Europa kämpft und eine solche Leidenschaft an den Tag legt, die wir bei Emmanuel Macron bereits am ersten Tag seiner Amtszeit gespürt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Karneval ist doch schon zu Ende! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Aber der sensationelle Erfolg von Emmanuel Macron bedeutet nicht, dass man sich als überzeugter Europäer zurücklehnen kann. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass bis zu 45 Prozent der Wähler in Frankreich im ersten Wahlgang antieuropäische Populisten gewählt haben. Wer nach einer Amtszeit von Emmanuel Macron kein Déjàvu durch eine Frau Le Pen möchte, der muss jetzt dringend dafür sorgen, dass es auf die deutsch-französische Agenda kommt, das Vertrauen in Deutschland wiederherzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Übrigens: Ich will das keineswegs nur bei der Politik abladen. Den feinen Unterschied konnte man am Samstag an den Zeitschriften in den Kiosken sehen: auf der einen Seite an der Titelseite des Economist und auf der anderen Seite an der Titelseite eines Nachrichtenmagazins aus Hamburg. Ich warne davor, dass man das Klischee vom faulen Griechen, das auch schon falsch, absurd und europafeindlich war, jetzt durch das Klischee des reformunfreudigen Franzosen ersetzt. Das, meine Damen und Herren, macht Europa kaputt. Davon müssen wir uns dringend verabschieden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dazu gehört für mich auch, dass man nicht, bevor man sich zugehört und bevor man miteinander geredet hat, Nein zu etwas sagt, was Macron gar nicht gefordert hat, nämlich die Einführung von Euro-Bonds, wie es Staatssekretär Spahn machte. Auch so sollten wir in Europa nicht miteinander kommunizieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich rate: Wir müssen nicht und sollten auch gar nicht jeden Vorschlag von Macron ungeprüft übernehmen. (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Genau!) Aber wir sollten gemeinsam Überlegungen anstellen, wie wir mehr in Europas Zukunft investieren können. Dabei geht es gar nicht nur um die Frage, wie viel Geld wir in die Hand nehmen, sondern vor allem darum, worin wir investieren. Das wird die entscheidende Frage. Da sagt meine Fraktion: Wir brauchen dringend einen Zukunftsfonds für nachhaltige Investitionen, einen Green New Deal, wie wir ihn nennen. Dieser soll sich nicht nur auf die Länder der Euro-Region beziehen, sondern auf die gesamte Europäische Union, abhängig davon, wo Bedarf ist. Solidarität muss das Gebot der Stunde für jeden überzeugten Europäer und jede überzeugte Europäerin sein, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die gute Nachricht: Der neue Präsident zeigt Mut. Mit Nicolas Hulot als Umweltminister öffnet sich die Tür auch für eine ökologische Transformation Europas. Präsident Macron hat im Wahlkampf angekündigt – wer Frankreich kennt, weiß, was das bedeutet –, dass der Anteil der Atomenergie in Frankreich von 75 auf 50 Prozent reduziert werden soll. Auch dabei sollten wir unsere Freunde in Frankreich unterstützen. Das sollten wir durch einen geordneten Ausstieg aus der Kohleverstromung flankieren. Das wäre eine Ansage: Deutschland und Frankreich führen wieder beim Klimaschutz und senden ein Signal nach Europa und über Europa hinaus in die Welt. Das würde ich mir wünschen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber wir haben noch andere Chancen. Wir haben jetzt die Chance auf den digitalen Binnenmarkt. Wir haben jetzt die Chance, dass es zu einer europäischen Ladeinfrastruktur kommt, sodass ich eines Tages – hoffentlich eines nahen Tages – mit dem Elektromobil von Spanien bis nach Polen fahren kann. Wir haben die Chance, dass es zu einem gemeinsamen CO2-Mindestpreis in Europa kommt, damit sich Investitionen in erneuerbare Energien und Umwelttechnologien lohnen. Jeder junge Erwachsene, der in Bologna in Arbeit kommt, jedes junge Start-up, das in Bratislava die Gründung wagt, geben Europa wieder neuen Boden unter den Füßen. Wenn wir Europa erhalten wollen, dann müssen wir jetzt in Europa investieren. Nehmen Sie die ausgestreckte Hand von Präsident Macron an! Warten Sie nicht bis nach der Bundestagswahl! (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Frankreich hat einen neuen Präsidenten. Er ist begeistert von Europa. Er ist ein leidenschaftlicher Europäer. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kann das die CSU?) Er ist ein Deutschfranzose, der die deutsch-französische Zusammenarbeit als Motor, als Achse, als Zukunft für Europa sieht. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doppelpass, oder was? Skandal!) Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für Europa in einer vielleicht düsteren Zeit. Aber, meine Damen und Herren und auch Sie, Herr Özdemir, vielleicht haben Sie sich in Ihrer Partei schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum ein Drittel der Franzosen für eine europafeindliche Politik gestimmt hat. Wir sollten uns ab und zu die Frage stellen, warum das in vielen Ländern um uns herum der Fall ist. Aber das ist heute nicht Thema. Wir freuen uns, dass Macron Präsident geworden ist, und wir werden ihm zur Seite stehen. Die leidenschaftliche Europäerin Angela Merkel hat ihm bereits in dieser Woche die Hand gereicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich weiß nicht, ob Sie das vielleicht verpasst haben. Die erste Reise, die Macron gemacht hat, ging nach Berlin, um mit Angela Merkel über die Zukunft zu sprechen, und ich denke, es sind schon wichtige Punkte vereinbart worden. Man will die Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Handelspolitik vertiefen und die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich stärken, bei durchaus unterschiedlichen Wirtschaftssystemen – wir wissen, bei uns ist die Wirtschaft mehr mittelständisch geprägt und die französische Wirtschaft kommt aus der Staatswirtschaft; das ist also kein leichtes Unterfangen –, und man will die bilaterale Zusammenarbeit beim Thema Digitalisierung – das haben Sie angesprochen –, beim Thema Bildungspolitik und beim Thema Verteidigungspolitik angehen. Ich glaube, das sind gute Voraussetzungen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser deutsch-französische Motor für Europa, zu dem wir uns alle bekennen, kann nur funktionieren, wenn Frankreich selber wieder ökonomisch stärker wird, die Hürden und Fesseln überwindet und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit kommt. Der Schlüssel dafür liegt in erster Linie in Frankreich. Der französische Präsident weiß das und hat es auch zum Ausdruck gebracht. Er weiß, dass Frankreich eine Staatsquote von 57 Prozent hat. Das muss man sich einmal vorstellen: Alles, was in Frankreich jeden Tag erwirtschaftet wird, geht zu mehr als die Hälfte – zu 57 Prozent – in den Schlund des Staates und wird dort in irgendeiner Weise verarbeitet. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Schlund des Staates? Es sind Schulen und Polizei und keine Schulden! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eher „la bouche“, Herr Friedrich!) Das ist nicht sehr effizient, wie die Arbeitslosenquote im zweistelligen Bereich zeigt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist eben so: Eine hohe Staatsquote führt zu einer hohen Arbeitslosigkeit, zu einer Jugendarbeitslosigkeit von 25 Prozent, wie in Frankreich. Daran muss er dringend etwas ändern. Auch der Marsch in den Schuldenstaat – auch das wird am Beispiel Frankreich deutlich – ist verhängnisvoll: über 2 Billionen Euro Schulden. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie einfach Ihr Weltbild ist! Wie ganz, ganz schlicht und einfach!) Das ist die Bürde. Das sind die Voraussetzungen, unter denen der neue, junge, mutige Präsident jetzt antritt. Er selbst hat hier in Berlin gesagt, er wisse, dass Frankreich das einzige große europäische Land ist, dem es in den letzten 30 Jahren nicht gelungen ist, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Deswegen wird er das jetzt anpacken. Er wird die Fesseln auf dem Arbeitsmarkt beseitigen, er wird die Staatsquote senken. Dazu ist natürlich nicht nur der Reformwille der Politiker bzw. der Eliten notwendig, sondern auch der Reformwille der Bevölkerung. Das ist wichtig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Reformwille der französischen Bevölkerung kann nicht durch Geld von außen ersetzt werden, auch nicht durch Steuergeld aus Deutschland. Wenn die Grünen jetzt fordern, dass die Deutschen einfach mal ihre Ausgaben für die Europäische Union um Milliarden aufstocken sollen, dann kann ich nur sagen: Auch Sie in der Opposition haben eine Verantwortung für deutsche Steuergelder, die sparsam und zielgerichtet ausgegeben werden müssen. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die gehen da nicht in irgendeinen Schlund, sondern die werden produktiv verwendet!) Und was den Vorschlag des deutschen Außenministers angeht, Frau Staatsministerin, der sagt: „Da gibt es doch irgendwo einen Fonds für Altlasten der Atomenergie; den könnten wir doch gleich mal nehmen“, fällt mir der Satz von Franz Josef Strauß ein: Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass ein Sozi Geld, das irgendwo angelegt ist, nicht noch verbrät. (Dagmar Ziegler [SPD]: Da gibt es noch nicht mal Beifall von Ihren Leuten! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist jetzt äußerst schwach!) Ich glaube, auch das ist nicht der richtige Weg. Wir schauen nach Frankreich und freuen uns. Frankreich hat einen leidenschaftlichen Europäer zum Präsidenten gewählt. Macron liebt Europa, und Macron liebt Frankreich. Wir lieben Europa, und wir lieben Deutschland. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorschläge habt ihr keine!) Das ist eine gute Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich in Europa in den nächsten Jahren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einem Antieuropäer zu reden, ist nicht ganz einfach. Herr Friedrich, das war wieder unterste Schublade. Mit solch einem Deutschland, das Sie hier präsentiert haben, kann Europa nicht aus der Krise geführt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind, glaube ich, alle glücklich, dass der Front National mit Frau Le Pen die Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen hat. Das war ein gutes Signal aus Frankreich. Aber es geht jetzt auch um die guten oder schlechten Vorschläge, die Macron aus Europa – insbesondere aus Deutschland – bekommt. Die Gewerkschaften in Frankreich haben gesagt: Bis zur Auszählung um 20 Uhr waren wir gegen Le Pen. Jetzt aber müssen wir die Politik von Macron verhindern. – Die französischen Gewerkschaften haben unsere Unterstützung verdient. Wir brauchen keine Agenda 2010 bzw. kein Hartz IV für Frankreich. Wir brauchen sozialen Fortschritt in Frankreich. Und dafür steht Macron mit seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht. (Zuruf von der CDU/CSU: Also doch Le Pen?) Macron steht für eine Kürzungspolitik und Finanzmarktderegulierung. Er will die Vermögen- und die Kapitalertragsteuer senken und dafür die Ausgaben für Gesundheit und Arbeitslosenhilfe kürzen. Bereits als Wirtschaftsminister unter Hollande wollte er das Arbeitsrecht viel weiter abbauen, als es gegen den breiten Widerstand der Bevölkerung und mithilfe der Notstandsverordnung möglich war. Nun will er – daraus macht er kein Geheimnis – einen neuen Anlauf nehmen. Es besteht die Gefahr, dass viele Millionen Franzosen durch seine Präsidentschaft in Armut und Perspektivlosigkeit getrieben werden. Ich will es noch einmal gegenüber all jenen wiederholen, die sagen, dass Macron erst einmal sein eigenes Land reformieren soll, bevor wir überhaupt mit ihm ein politisches Geschäft eingehen: Wir brauchen in Frankreich keine Agenda 2010. (Beifall bei der LINKEN) Macron fehlt die Zustimmung für seine Politik. Ich will darauf aufmerksam machen, dass 55 Prozent der Franzosen eigentlich nicht Macron wählen wollten. Vielmehr wollten sie nicht Le Pen wählen. Deshalb steht er mit seiner politischen Botschaft noch auf sehr dünnem Eis. Wir hoffen, dass die Wahlen zur Nationalversammlung so ausgehen, dass er für den Kurs, den ich eben beschrieben habe, keine parlamentarische Mehrheit findet. Aber einige Vorschläge von Macron sollten bedacht werden. Die Einrichtung eines Euro-Zonen-Budgets unter demokratischer Kontrolle, mit dem gemeinsame Investitionen getätigt werden könnten, wäre ein sinnvoller Fortschritt. Allerdings steht zu befürchten, dass eine echte demokratische Kontrolle mit der Bundesregierung nicht zu machen sein wird und dass die Mittel aus dem Budget an strikte Reformauflagen gekoppelt werden würden. Wer Finanzhilfen will, muss dann kürzen, liberalisieren und privatisieren – wie es diese Bundesregierung vielen anderen europäischen Partnern jeden Tag immer wieder ins Stammbuch schreibt, mit verheerenden Auswirkungen auch in Südeuropa. Ein derartiger deutsch-französischer Deal würde der Wirtschaft schaden, die soziale Krise vertiefen und die Demokratie weiter aushöhlen. Wir hätten eine Art auf Dauer geschaltete Troikapolitik mit all den katastrophalen Folgen, die bereits heute sichtbar sind. Am Ende würden dann doch Le Pen und andere Rechtspopulisten profitieren. Wenn die letzten Jahre eines gezeigt haben, dann das: Die neoliberalen Kürzungsorgien haben vor allem den Nationalisten in den verschiedenen Ländern in die Hände gespielt. Ohnehin wird jeglicher sinnvolle Ansatz auf EU-Ebene konterkariert, solange Deutschland nicht seine antieuropäische Wirtschaftspolitik beendet. Wenn die stärkste Volkswirtschaft der Währungsunion immer größere Exportüberschüsse anhäuft, haben andere zwangsläufig immer größere Defizite und damit auch steigende Schuldenberge. Macrons Kritik am deutschen Merkantilismus ist vollkommen berechtigt. Wenn wir der EU eine Chance geben wollen, müssen wir in Deutschland endlich die riesige Investitionslücke schließen und durch kräftige Lohnerhöhungen den Binnenmarkt stärken. Anders wird es nicht gehen. (Beifall bei der LINKEN) Weiterhin müssen wir über die Vermögen sprechen. In Ländern wie Frankreich und Deutschland verfügt das reichste 1 Prozent über Vermögen, die in etwa der gesamten öffentlichen Verschuldung entsprechen. Die Schuldenkrise wird sich nicht überwinden lassen, ohne Teile dieser Vermögen umzuverteilen. Wir brauchen daher eine Vermögensteuer in Deutschland und europaweit. Nur wenn Deutschland bei diesen zentralen Punkten endlich einen Politikwechsel vollzieht, gibt es die Chance auf eine deutsch-französische Achse, die die europäische Integration voranbringt und den Nationalismus zurückdrängt. Nur ein solcher Politikwechsel, ein Neustart für Europa, würde die EU aus der tiefen Krise herausführen. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Für Ende Juni ist ein gemeinsamer Ministerrat von Deutschland und Frankreich geplant. Damit es nicht nur beim Händeschütteln und Kaffeetrinken bleibt, möchte ich Sie bitten, drei Ergebnisse zu erzielen. Erstens. Beschließen Sie mit Frankreich: Es gibt keine Aufrüstung in Höhe von 2 Prozent des BIP. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist doch schon längst beschlossen!) Das wäre ein Signal für das Friedensprojekt Europa. Zweitens. Sorgen Sie dafür, dass die Pannenreaktoren in Cattenom und Fessenheim endlich abgeschaltet werden. Das wäre in umweltpolitischer und klimapolitischer Hinsicht ein Erfolg. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ulrich, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Drittens wäre es gut, die Menschen besser zu verbinden. Wir brauchen wieder eine Nachtzugverbindung von Berlin nach Paris. Auch dafür könnten Sie sorgen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich mache darauf aufmerksam, dass die Ankündigung des Redeschlusses nicht den Schlusspunkt ersetzt, und bitte darum, sich an die verabredeten Redezeiten zu halten. Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ulrich, Ihr Freund in Frankreich, Mélenchon, steht für Europafeindlichkeit und wirklich untaugliche Wirtschafts- und Finanzvorschläge. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo stehen denn Ihre Freunde?) Eine Partei wie die Ihrige, die bis heute ihr Verhältnis zu Europa und insbesondere zum Euro nicht geklärt hat, sollte die Backen nicht so aufblasen, wie Sie das getan haben. Sie haben das Recht dazu verspielt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo sind denn die Sozialisten geblieben in Frankreich?) Die zunehmende Bedrohung von Rechtsstaat, Demokratie, Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz in Ländern außerhalb und leider auch innerhalb Europas – Ungarn ist ein Beispiel dafür; soviel ich weiß, ist ja Herr Friedrich ein Freund Orbans; vielleicht können Sie einmal Ihren Einfluss geltend machen, damit der Zug dort in eine andere Richtung fährt – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt für uns eine Herausforderung dar. Die Bedeutung der Wahl Macrons zum französischen Präsidenten sollte zum jetzigen Zeitpunkt, also vor den Parlamentswahlen, nicht überschätzt werden. Gleichwohl hat Macron den Zögerlichen und Zweifelnden im konservativen Teil der Bundesregierung und der Koalition – wir haben ja Herrn Friedrich vorhin gehört – vor Augen geführt, dass auch mit einem positiven Europabild Wahlen gewonnen werden können. Man sollte also Europa nicht zum Sündenbock für Fehlentwicklungen machen, die meistens im eigenen Land verursacht werden, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in Italien und Frankreich, um das klarzustellen. Aber einen Missbrauch des Europabildes in Wahlkämpfen gibt es auch in Deutschland. Das haben wir in den letzten Tagen und Wochen zum Beispiel in Beiträgen der CDU/CSU oder der FDP nachlesen können. Deshalb ist es gut, dass Frau Merkel nach dem Gespräch mit Macron hier in Berlin eine größere Bereitschaft als bisher gezeigt hat, konkrete Schritte zur Stabilisierung der Euro-Zone ins Auge zu fassen. Das ist aus ökonomischen wie aus politischen Gründen unumgänglich für die weitere Perspektive Europas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich die kritischen Stimmen aus CDU/CSU zur Wahl Macrons – Herr Spahn gehört dazu – anschaut oder die Frage „Was kostet uns Macron?“ in einer Zeitung liest, dann kann man nur fassungslos werden. Herr Spahn, die entscheidende Frage lautet doch eher: Was hätten uns Le Pen und der daraus möglicherweise folgende Zusammenbruch der Euro-Zone gekostet – in ganz Europa und hier in Deutschland? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie viele Hunderttausende Arbeitsplätze wären dann in Deutschland wohl in Gefahr gewesen? Das gilt insbesondere nach Trump, Protektionismus, Brexit und der anhaltenden Diskussion über das Euro-Ende in Italien und anderen Ländern. Wir als Deutsche gehören nun einmal zu den Gewinnern der bisherigen europäischen Entwicklung. Daraus erwächst aber Verantwortung. Diese nehmen wir derzeit in Europa nicht ausreichend wahr. Deswegen müssen wir nachlegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer regiert denn?) Ich wünsche der Bundeskanzlerin mit Blick auf ihre eigene Bundestagsfraktion Überzeugungskraft. Auch Herr Schäuble ist hier besonders gefordert. Es liegt im Interesse nicht nur der europäischen Südstaaten, sondern auch Deutschlands, nun zu einer stärkeren politischen Einbettung der Währungsunion zu kommen. Macron und Gabriel haben dazu bereits 2015 Vorschläge entwickelt. Wir brauchen einen eigenen Euro-Haushalt, der Zukunftsinvestitionen ermöglicht, parlamentarisch kontrolliert ist und durch einen Euro-Minister verantwortet wird. Das bedeutet auch: Wir brauchen eine Wirtschafts- und Sozialunion, die kein Steuerdumping mehr zulässt und auch soziale Mindeststandards festlegt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir werden die Menschen hier in Deutschland und in anderen europäischen Ländern vom Wert unserer demokratischen Errungenschaften nur überzeugen, wenn sie das Gefühl haben, dass wir uns aktiv mit den Schattenseiten von Globalisierung und Digitalisierung auseinandersetzen. Wachsende Ungleichheit ist bekanntlich nicht nur ein soziales, sondern zunehmend auch ein wirtschaftliches Problem. Deshalb: Wenn der Kern unserer gemeinsamen politischen Überzeugung ist, dass das auch in Jahren und Jahrzehnten Bestand haben soll, dann müssen wir jetzt handeln. Wir alle in diesem Parlament sind in der Verantwortung. Aber vor allen Dingen brauchen wir proeuropäische, demokratische und mutige Regierungschefs; auch Chefinnen können dabei sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat Präsident Macron sein Regierungsteam vorgestellt. Entgegen altbewährten Traditionen hat er den Mut gehabt, ein Team aus unterschiedlichen Parteien zu berufen. Er hat damit den ersten Schritt zur Zusammenführung der bürgerlichen Kräfte getan, um zu einer Überwindung der starken Spaltung, die es in Frankreich gibt, zu kommen. Machen wir uns nichts vor: Viele haben Macron nicht um seinetwillen gewählt; sie haben ihn gewählt, weil sie Le Pen verhindern wollten. Herr Ulrich, die Linke hat nicht den Mut gehabt, wie alle anderen Parteien zu sagen: Wählt Macron, auch wenn es nicht unsere Überzeugung und er nicht unsere erste politische Wahl ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ja, jetzt ist es an uns allen, zu überlegen, wie wir mit Macron ein gemeinsames Europa schaffen können. Die Politik der offenen Hände, die sowohl von Macron als auch von unserer Kanzlerin begonnen wurde, sollten wir auch bei den Parlamentswahlen unterstützen, die jetzt in Frankreich anstehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn das ist die eigentliche Herausforderung für den neuen Präsidenten: Wie schafft er es, in seinem eigenen Land eine Mehrheit zu finden, um in fünf Jahren nicht eine erstarkte radikale antieuropäische Fraktion gegen sich zu haben? Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, ein niedriges Wirtschaftswachstum und eine hohe Staatsverschuldung in Frankreich zu verzeichnen. Was wir jetzt brauchen, ist ein Zusammenhalt aller bürgerlichen Kräfte, nicht nur der Parteien: erst das Land, dann die Partei und dann man selbst. Ich glaube, diesen ersten Schritt sind sowohl Macron als auch unsere Kanzlerin bei ihrer Begegnung hier in Berlin gegangen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist ein schönes Signal, dass in Paris wieder ein wenig deutsch gesprochen wird, und zwar in dem Sinne, dass Ministerinnen und Minister berufen wurden, die deutsch sprechen. Damit meine ich nicht die deutsche Sprache und das deutsche Denken, sondern die europäische Ausrichtung in diesem Zusammenhang. Auch wir hier in Berlin müssten ein Stück mehr französisch sprechen, und das meine ich nicht nur sprachlich, sondern – ich sehe, dass viele Mitglieder der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe anwesend sind – im Sinne eines Miteinanders und gegenseitigen Verstehens. Es ist nicht immer nur eine Frage der Sprache, sondern auch eine Frage des Verstehens. Dafür werbe ich sehr. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Très bien!) Uns muss auch klar sein, dass Europa mehr ist als nur Deutschland und Frankreich. Aber wenn Deutschland und Frankreich mit gutem Beispiel vorangehen, haben wir eine gute Chance, dass wir in Europa gemeinsam weiterkommen. Dass wir unterschiedliche Prioritäten sehen, Herr Özdemir, liegt in der Natur der Sache. Aber wenn wir uns im Ziel einig sind, werden wir weiterkommen. Das können wir hoffentlich nach einer erfolgreichen Parlamentswahl in Frankreich, nach der es wahrscheinlich eine Cohabitation gibt. Wenn Macron eine starke Parlamentsmehrheit bekommt, dann haben wir eine Chance, gemeinsam für Europa zu kämpfen und Europa attraktiv zu machen. Ich selbst komme aus einer Stadt, die über viele Jahrhunderte mit Frankreich durchaus nicht immer freundschaftlich verbunden war. Aber in meiner Heimatstadt Mainz gibt es eine lange Verbindung zu Frankreich, Partnerschaften, die auch das wirtschaftliche Interesse im Auge haben und die auch junge Menschen die Zukunft eines gemeinsamen Europas lehren. Meine erste Auslandsreise mit der Schule ging nach Dijon. Leider gehen Auslandsreisen heute eher in die weite Welt als nach Europa. Auch da liegt es an uns allen, die Nähe zu unseren europäischen Partnern wieder zu stärken, und das liegt nicht nur, aber eben doch ganz besonders an Deutschland und Frankreich. Deswegen müssen wir uns hier im Deutschen Bundestag in den nächsten Monaten trotz des Wahlkampfes viel stärker und durchaus positiv mit Europa auseinandersetzen. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass es nicht nur ein gemeinsames Europa der Nationalstaaten gibt, sondern dass wir auch für eine gemeinsame europäische Idee kämpfen müssen. Deswegen sage ich auch hier: Es lebe Europa! Vive l’Europe! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Axel Troost für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es reicht nicht, sich darüber zu freuen, dass Marine Le Pen – wohlgemerkt: dieses Mal – verhindert werden konnte. Vielmehr muss gerade die deutsche Politik, das heißt die Politik von Angela Merkel und insbesondere von Finanzminister Schäuble, endlich verstehen, dass sie ein wesentlicher Grund ist für die massiv gewachsene Anti-EU- und Anti-Euro-Stimmung der Franzosen. (Beifall bei der LINKEN) Im vergangenen Jahrzehnt wurde die EU im Zeichen von globaler Finanzkrise und der Krise der Europäischen Union auf deutschen Druck zum neoliberalen Zuchtmeister unserer europäischen Nachbarn. Die EU steht inzwischen in den meisten Mitgliedstaaten für drei Dinge: Sparen, Sparen, Sparen. Die EU ist in vielen Mitgliedsländern, und zwar sowohl bei der politischen Elite als auch bei der breiten Bevölkerung, ein Synonym für Arbeitslosigkeit und Verarmung, für Sozialabbau, für einen Verlust an Mitbestimmung, für Fremdbestimmung aus Deutschland. Solange die Bundesregierung das nicht zur Kenntnis nimmt und ihre Politik nicht ändert, bleibt sie ein Totengräber der EU, mit oder ohne eine Präsidentin Le Pen. Ich weiß, dass Sie als Bundesregierung das anders sehen; aber es ist völlig egal, wie ich das sehe oder wie Sie das sehen –: Solange sich weite Teile der Bevölkerung der EU durch Ihre Politik angegriffen, gedemütigt, ihrer sozialen Rechte und ihrer Mitsprache beraubt fühlen, müssen Sie erst einmal darüber nachdenken, wie Sie Ihre Politik ändern können, damit man im Rest Europas wieder auf eine Alternative setzen kann. (Beifall bei der LINKEN) Viele von Ihnen wissen, dass ich zu den Abgeordneten gehöre, die sich für eine rot-rot-grüne Machtperspektive aussprechen und sie sich wünschen. Dafür braucht es aber nicht nur rechnerische Mehrheiten; dafür braucht es inhaltliche Kompromisse und ein paar konkrete politische Projekte, die für einen Wechsel stehen. Eine neue deutsche Haltung zu Europa muss eines dieser Projekte sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie jetzt damit?) Ich habe es daher als sehr fruchtbar empfunden, gemeinsam mit Grünen und Sozialdemokraten über die Zukunft der EU nachzudenken und gemeinsame Alternativvorschläge zu entwickeln. Gesine Schwan, Frank Bsirske, Klaus Busch, Harald Wolf und ein paar andere Personen haben zusammen mit mir im Herbst letzten Jahres die Streitschrift „Europa geht auch solidarisch“ herausgegeben. Da haben wir viele Alternativen formuliert, die jetzt auch Ideen sind, die von Macron in die Debatte eingebracht und von Deutschland eingefordert werden. Ich will daraus nur ein paar Beispiele dafür nennen, wie eine alternative Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik für Europa aussehen könnte. Erstens: die Überwindung der Austeritätspolitik und insbesondere eine europäische Investitionsoffensive. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das von Macron ins Spiel gebrachte Budget der Euro-Zone, finanziert über gepoolte Anleihen der Euro-Staaten – um nicht das böse Wort Euro-Bonds zu nennen –, könnte ein Einstieg sein. Zweitens: eine europäische Ausgleichsunion, die nicht nur mehr Wettbewerbsfähigkeit von wirtschaftlich schwächeren Ländern fordert, sondern diesen Ländern auch dabei hilft, dies zu erreichen. Dazu muss Deutschland endlich seine Leistungsbilanzüberschüsse abbauen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Das Europäische Parlament muss deutlich mehr Eigenmittel bekommen und mit demokratisch legitimierten europäischen Institutionen, sei es ein Finanzminister, sei es eine Wirtschaftsregierung, mindestens in der Euro-Zone ein Mindestmaß an Abstimmung in eine expansive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik bringen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Wir brauchen endlich den Einstieg in eine europäische Sozialunion. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) All das klingt im Augenblick so, als sei es verdammt weit weg, verdammt visionär. Das muss es nicht sein. Wenn wir uns aber nicht schnell in diese Richtung umorientieren – das betrifft insbesondere die Mehrheitsfraktion der Sozialdemokraten, die in diese Richtung endlich eine andere Politik betreiben muss; (Joachim Poß [SPD]: Sie müssen unsere Papiere lesen! Dann würden Sie lesen, was wir vorschlagen!) wohlgemerkt: viele einzelne Sozialdemokraten fordern dies ja auch –, dann steigt die Gefahr, dass der Politikertypus Le Pen nicht nur in Frankreich Wahlen gewinnt und dass sich die Frage der Europäischen Union irgendwann ganz anders oder gar nicht mehr stellt. Wir müssen handeln. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Absicht von Manuel Sarrazin war, dass er sich auf der Rednerliste hinter mich hat setzen lassen. Wir haben jetzt die Rednerreihenfolge Petry/Sarrazin; wir sind beide pro Europa. Man sieht, dass Vornamen durchaus eine Bedeutung haben. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der war gut!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben mit der Wahl von Emmanuel Macron eine große Chance, was die Weiterentwicklung Europas angeht. Was haben wir nicht schon alles gehört: Auf der einen Seite war vom neoliberalen Banker die Rede; auf der anderen Seite war zu hören, er sei zu sozial, zu sozialistisch. Es gab die ganze Bandbreite. Nein, ich glaube, es ist eine große Chance; denn Europa braucht das, was gefordert wird: Beschäftigung und Wachstum, Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Wir brauchen Unterstützung in Europa. Die SPD hat dazu ein Papier erarbeitet, in dem tatsächlich alles drinsteht. Axel, wir lassen es dir noch einmal zukommen. Lies es bitte durch. Wenn du es durchgelesen hättest, hättest du hier nicht eine solche Rede gehalten. Das alles ist nämlich Ziel unserer Politik. (Beifall bei der SPD) Wir wissen seit Jahren, dass es Konstruktionsmängel in der Europäischen Union, in der Wirtschafts- und Währungsunion gibt. Wir haben es hier schon öfter betont, aber ich spreche es nochmals an: Der Währungsverband funktioniert nicht ohne eine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: So ist es!) Das ist das Problem, und das müssen wir angehen. Es gibt seit vielen Jahren Vorhaben auf Ebene der Euro-Staaten, die Architektur unseres europäischen Währungsraumes zu stärken. Aber hier gibt es Bremser und Verweigerer, die die Reformen nicht wollen. Dem einen oder anderen fehlt es vielleicht auch an politischem Mut oder politischer Einsicht. Beides müssen wir ändern, um Europa zu modernisieren. Die nun von Macron vorgelegten Ideen, die er 2015 zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel formuliert hatte, sind tatsächlich wegweisend und progressiv. Kern der Forderung ist die Ausgestaltung der Euro-Zone mit einem eigenen Haushalt. Das hat, wie wir im Europaausschuss gehört haben, auch bereits Herr Oettinger gefordert. Er ist also schon ein bisschen weiter als Sie, Herr Friedrich; denn auch er fordert eine Eigenmittelausstattung. Ich habe mit Freude vernommen, dass es Bewegung in dieser Diskussion gibt. Auch die Kanzlerin und Herr Schäuble haben dies ins Auge gefasst. Herr Staatssekretär Spahn, die Erfindung der Nachricht zu den Euro-Bonds ging nach hinten los. Dafür hat Sie die FAZ schon kritisiert. Das sollten wir nicht machen; denn das belastet doch unser Verhältnis. Man sollte auf das rekurrieren, was tatsächlich gemacht wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Fuchs hat Sie dabei noch unterstützt; das war nicht besonders glorreich. Ein Etat für die Euro-Zone ist ins Spiel gebracht worden, und Herr Schäuble kann sich sogar vorstellen, dass es einen Finanzminister der Euro-Zone gibt. Es besteht die Chance, dass wir eine Angleichung sozialer Standards nach oben hinbekommen, dass wir Beschäftigung und Wachstum steigern, dass wir die Jugendarbeitslosigkeit senken und dass wir ein gerechtes und angeglichenes Besteuerungssystem schaffen. Das gilt auch im Hinblick auf legale Steuervermeidungsstrategien. Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, dass die Einnahmen wieder unserem Staate zugutekommen. Auch hier gibt es eine große Chance, die wir gemeinsam mit Macron nutzen sollten. In diesem Sinne werden wir die Reformen in Europa vorantreiben müssen. Manchmal ist der Fortschritt, wie wir wissen, eine Schnecke. Ich habe bei den Konservativen gelegentlich das Gefühl, dass sie bei Reformen, selbst wenn sie im Schneckentempo durchgeführt werden, hinterherhinken. Ihnen da zu helfen, ist aber nicht unsere Aufgabe. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, machen Sie in diesem Sinne mit! Ziel muss es sein, mehr Integration und eine engere Abstimmung in der Wirtschafts- und Investitionspolitik herbeizuführen. (Beifall bei der SPD – Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Von den Bürgern im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird das aber anders gesehen!) – Herr Kollege Murmann, es ist schön, dass Sie sich auf die Wahlen kaprizieren. Das ist auch in Ordnung. Ihrer Freude ist nichts entgegenzusetzen, und auch unserer Enttäuschung ist nichts entgegenzusetzen. Letztlich geht es hier aber um das Ziel, Europa weiterzuentwickeln, und um die Chance, die wir haben, da der französische Präsident als Proeuropäer gewählt worden ist. Diese Chance müssen wir nutzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) Ich appelliere an uns alle: Lassen Sie uns gemeinsam mit unseren französischen Freunden eine deutsch-französische Initiative für die Zukunft der Euro-Zone auf den Weg bringen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das große Friedensprojekt Europa, das große Freiheitsprojekt Europa, das große Sozialprojekt Europa müssen wir in die Herzen der Menschen zurückbringen. Dabei haben wir mit Präsident Emmanuel Macron einen Partner an unserer Seite. Diese Chance sollten wir nutzen. Bonne chance, Monsieur le Président! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Très bien!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines kann man schon einmal ganz objektiv festhalten: Elf Tage Präsident Macron haben – sogar in diesem Haus – mehr Mut zu Europa ausgelöst als elf Jahre Angela Merkel. Das merkt jeder, der dieser Debatte gefolgt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christian Petry [SPD] und Dr. Axel Troost [DIE LINKE] – Lachen bei der CDU/CSU) Dass ausgerechnet Sie, Kollege Friedrich, sich immer noch vom Geist Angela Merkels inspirieren lassen, ist das Lustigste an der ganzen Sache. Nehmen Sie doch einmal das Beispiel von Herrn Macron. Er hat in einer Pressekonferenz etwas ganz Tolles gesagt, konkret etwas angekündigt und ein wichtiges Signal nach Deutschland gesendet. Wir alle haben vor drei Jahren parteiübergreifend Briefe geschrieben, als der Deutschunterricht an französischen Schulen degradiert wurde. Herr Macron hat am Montag in einer Pressekonferenz einfach angekündigt, dass er das ändern wird. Das ist es! Wir müssen beim Thema Europa konkret zusammenarbeiten! Aber was sagen Sie dazu? Sie sagen: Wir finden Sie ganz toll. Sie sind nett. Aber wenn es Geld kostet – ach nein. Ich rede noch ein bisschen darum herum. Wenn fünf Minuten vorbei sind, sage ich Tschüss und hoffe, dass im Wahlkampf nichts mehr dazu kommt. – So geht das doch nicht! Wir müssen konkret anpacken, damit etwas passiert! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Man muss nicht alles, was Herr Macron sagt, toll oder gut finden. Manches ist vielleicht auch noch nicht so weit zu Ende konkretisiert, als dass man nicht noch positiv darauf Einfluss nehmen könnte. Aber das, was die Bundesregierung macht, ist ein weiterer Beweis für die Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition in der Europapolitik. Herr Macron legte vor ein paar Wochen Vorschläge vor. Es folgte ein Interview von Herrn Schäuble. Darin sagte er, er wolle eine Art europäischen Superstaat, der intergouvernemental organisiert sein solle, weil man durch Vertragsänderungen nichts hinbekomme. Am Samstag letzter Woche legte Herr Gabriel ein Papier vor. Im Spiegel war davon zumindest die Rede; ich glaube, zugeleitet wurde uns dieses Papier noch immer nicht. Hat es überhaupt schon jeder gelesen? Darin schreibt er jedenfalls etwas ganz anderes. Am Montag kam dann Frau Merkel und sagte, sie wolle Vertragsänderungen. Ja, was gilt denn nun? Worauf soll sich Frankreich eigentlich einstellen? In der Bundesregierung herrscht reines Chaos. Sie sollten besser konkret anpacken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Ich sage Ihnen eines: 1950 waren es proeuropäische Franzosen, die den Mut hatten, voranzugehen: mit dem Schuman-Plan und mit der Monnet-Methode. 1950 hatte man Mut und Visionen. Sie geben 3 Milliarden Euro im Jahr für Panzer und Korvetten aus, die im Zweifelsfall noch nicht einmal fahren. Wenn wir in Deutschland bereit sind, die Lücke, die der Brexit in den EU-Haushalt reißt, zu schließen – das könnten wir jetzt schon ankündigen –, würde das bestimmt nicht mehr kosten. Wenn jetzt vorschnell Nein gesagt wird, beendet das die positive Debatte in Frankreich und sendet eben nicht das Signal dorthin, dass wir bereit sind, auf Macron zuzugehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehen Sie endlich ein, dass Sie mehr machen müssen als nur, dass es Deutschland in Europa gut geht. Frau Merkel hat gesagt: Wir brauchen ein Frankreich, dem es gut geht, damit auch Europa wieder vorankommt. – Nehmen Sie diesen Geist auf, und machen Sie konkrete Angebote dafür, anstatt über Roadmaps zu reden und Papiere in Zeitungen zu veröffentlichen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch: beim EU-Haushalt anpacken, einen Zukunftsfonds im EU-Haushalt schaffen, der für Investitionen zur Verfügung steht, finanziert aus dem europäischen Kampf gegen Steuervermeidung, in den bestehenden Europäischen Investitionsfonds einzahlen, was Herr Gabriel seit 2013 nicht geschafft hat. Das sind konkrete Vorschläge. Sie müssen jetzt liefern, anstatt immer nur daherzureden und uns vorzuwerfen, wir würden – das haben Sie ja zitiert – Geld in den Schlund werfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eines muss man auch sagen, weil das wirklich eine Gefahr ist, die wir nicht vergessen dürfen: Es ist ganz normal, dass die französische Tradition stärker auf Intergouvernementalismus setzt; das ist ein anderes Staatsverständnis. Wir brauchten immer diesen Dualismus, um Europa voranzubringen, diesen Streit zwischen „Wo stärken wir die europäischen Institutionen, und wo machen wir die Regierungen stärker?“, diesen Streit zwischen „Wo ist der Kern Europas, wie wichtig ist der Osten, wie wichtig sind die Großen, wie wichtig sind die Kleinen?“. Wir haben im Sommer 2015 erlebt, wie Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble die Axt an das europäische Projekt gelegt hat, als er Griechenland hinterrücks aus dem Euro treiben wollte. Wenn ich jetzt lese, wie er Macron interpretiert, mit seinem noch einmal aufgegossenen Modell vom Kerneuropa, dann muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Das ist nicht die Tradition deutscher Europapolitik, diesen Kontinent zusammenzuhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir könnten ein weiteres Angebot an Herrn Macron machen, ein ganz einfaches Angebot. Seit 2012 hat der Europäische Rat Griechenland Schuldenerleichterungen versprochen. Springen Sie über Ihren Schatten, und sagen Sie: Die Schuldenerleichterungen, die seitdem auf dem Tableau stehen, werden wir jetzt gemeinsam mit Frankreich sofort umsetzen. (Margaret Horb [CDU/CSU]: Die sollen ihre Verwaltung ausbauen!) Das wäre ein Signal an den Süden Europas, dass Deutschland zu seiner Verantwortung steht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Christian Petry [SPD]) Wir dürfen uns nicht einfach dahinter verstecken, dass die Proeuropäer in Frankreich gerade die Mehrheit haben. Wir können nicht warten, bis am Ende die Stimmung wieder kippt. Letzter Satz, Frau Präsidentin. – In Frankreich gibt es das Sprichwort „Auch gute Intentionen können zur Hölle führen.“ Wir alle wissen: Wenn wir jetzt nicht gemeinsam daran arbeiten, dass Frankreich wieder so stark wird, dass es gemeinsam mit uns und anderen Staaten in Europa Führung übernehmen kann, dann werden wir uns auf dem Weg dahin befinden. Deswegen: Bonne chance! Anpacken müssen wir! Danke sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Uwe Feiler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Feiler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wahl des neuen französischen Präsidenten Macron ist sicherlich ein Glück für die Europäische Union. Gemeinsame französische und deutsche Impulse für die Europäische Union sind, denke ich, nötiger denn je. Wenn wir eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik betreiben wollen, müssen wir uns miteinander abstimmen, was die wesentlichen Investitionen in den europäischen Ländern anbetrifft. Eine gemeinsame europäische Investitionspolitik würde die wirtschaftliche Zusammenarbeit zweifelsohne erleichtern. Aber auch hier gilt: Keine Reform nur der Reform wegen! Der neue französische Präsident Macron wünscht sich viel mehr Investitionen als bisher. Ich würde mir viel mehr bessere Investitionen wünschen. Ich habe bereits in meiner letzten Rede zum aktuellen Arbeitsprogramm der Europäischen Union gesagt, dass wir eine europäische Politik benötigen, die ein Gesamtkonzept darstellt. Der Haushalt muss eng mit den Prioritäten der europäischen Politik verbunden sein. Wir brauchen eine zukunftsorientierte, weltweitsichtige Politik. Dabei ist der Dreiklang von Strukturreformen, gesunden Staatsfinanzen und Investitionen für mich unabdingbar. (Beifall bei der CDU/CSU) Nichts anderes hat die Bundeskanzlerin im Übrigen am Montag gesagt. Präsident Macron möchte bekanntlich das französische Haushaltsdefizit unter die zulässigen 3 Prozent senken. In Bezug auf die Euro-Bonds hat er des Weiteren betont, er wolle keine Politik der Verantwortungslosigkeit. Das lässt auf eine grundsätzliche gemeinsame Haltung zur Haushaltsdisziplin schließen. Investitionen bringen den notwendigen Fortschritt und sichern den Wohlstand. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das mal Ihrem Staatssekretär erzählt?) Eine neue Investitionspolitik darf jedoch nicht als Abkehr von jeglicher Sparpolitik verstanden werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Investitionspolitik zieht jedoch sofort Fragen zu wichtigen Details nach sich: Wie soll diese Investitionspolitik finanziert werden? Wer soll die Entscheidungsbefugnisse tragen? (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie mal Antworten! Machen Sie mal Vorschläge! Macron hat welche gemacht!) Die tatsächliche Ausrichtung dieser Politik wird also maßgeblich von den weiteren im Raum stehenden Reformen der Währungsunion abhängig sein. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir bereits bestehende Programme für die gesamte EU haben: die Strukturfonds und die Investitionsoffensive EFSI. Hier gilt es unbedingt, jegliche Doppelung zu vermeiden. Dort, wo wir bereits funktionierende Instrumente haben, benötigen wir keine zusätzlichen Programme. (Beifall bei der CDU/CSU) Das würde die europäische Politik noch mehr verkomplizieren und noch mehr unnötige Bürokratie schaffen. Gemeinsame europäische Politik bedeutet für mich, dass der Fokus auf Politikfelder gerichtet ist, bei denen gesamteuropäische Interessen im Vordergrund stehen. Wir müssen uns folgerichtig mit unseren Partnern darüber verständigen, welche Ausgaben einen Mehrwert für alle Partner und für die gesamte Europäische Union bringen. (Margaret Horb [CDU/CSU]: Ganz genau!) Hier könnte das Europäische Semester mit seinen länderspezifischen Empfehlungen und den Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik des Euro-Raums eine gute Grundlage bilden. Die Investitionen sollten nicht losgelöst von den europäischen wirtschaftspolitischen Grundsätzen getätigt werden; das Stichwort „Better Spending“ darf nicht ins Leere laufen. Dabei sollten Effizienz und Wirksamkeit der Investitionen laufend überprüft werden. Auch die Tatsache, dass manche Länder, die dringend Investitionen benötigen, oft an Problemen wie einer ineffizienten Verwaltung scheitern, darf nicht außer Acht gelassen werden. Einfach mehr Geld ist nicht die Lösung des Problems. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei geht es nicht um eine Politik des erhobenen Zeigefingers, um die Durchsetzung eigener Ideen, sondern um einen Austausch zwischen gleichberechtigten Partnern und die Verwirklichung sinnvoller Modelle. Auch Deutschland hat mit Problemen zu kämpfen, die die Umsetzung wichtiger Investitionen behindern. Viele Projekte bei uns scheitern oder verzögern sich beispielsweise aufgrund der enormen Bürokratie (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Berliner Flughafen!) oder schlicht und einfach wegen fehlender Planungskapazitäten in unseren Bundesländern. Das muss sich bei uns ändern. Eine gemeinsame europäische Investitionspolitik muss ein durchdachtes Instrument werden, wenn sie nachhaltig positive Wirkung entfalten soll. Ich hoffe hier auf eine gute Zusammenarbeit mit Frankreich und anderen europäischen Ländern. Dem Präsidenten Macron wünsche ich viel Erfolg mit seinen Reformplänen und weiteren politischen Initiativen. Wir stehen an seiner Seite für ein starkes Frankreich, für ein starkes Europa, für eine starke Europäische Union. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Bernd Westphal hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle sind erleichtert über den Ausgang der Wahl unserer Freundinnen und Freunde in Frankreich. Den Rechtspopulisten ist es nicht gelungen, unser freiheitliches solidarisches Europa mit unseren Werten zu zerstören. Dennoch sind mit den Wahlen vom 7. Mai die Zweifler, Enttäuschten und vermeintlich Abgehängten nicht verschwunden. Viele Menschen werden das Gefühl haben, dass sie in der Politik von Trump, Le Pen, Wilders und Co besser aufgehoben sind. Die Menschen werden sich nicht von selbst von Protektionismus und Populismus abwenden. Ohne eine Politik des sozialen Ausgleichs, ohne soziale Programme, ohne bessere Bildung und Jobs werden wir das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft und eine faire globale Weltwirtschaft nicht zurückgewinnen. Frankreich befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Geringes Wirtschaftswachstum, ein steigendes Haushaltsdefizit und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit haben bei vielen Menschen nicht nur Zweifel an der amtierenden Regierung ausgelöst, sondern das Vertrauen in die Demokratie insgesamt geschwächt. Eine EU ohne Frankreich – das wäre für Deutschland politisch, aber auch wirtschaftlich eine Katastrophe. Frankreich ist unser wichtigster Handelspartner, und wirtschaftliche Kooperation ist mit Wachstum und Wohlstand in beiden Ländern verbunden. Wenn der bayerische Finanzminister sofort allen französischen Vorschlägen zur Reform der europäischen Finanzpolitik eine Absage erteilt, dann ist das nicht nur politisch kleinkariert, sondern auch wirtschaftlich unsinnig. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE] und Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fast schon skurrile Züge nimmt das Ganze an, wenn sogar Vorschläge abgelehnt werden, die gar nicht auf dem Tisch lagen. (Joachim Poß [SPD]: Die gar keiner gemacht hat!) Ich denke hier an Euro-Bonds, die Emmanuel Macron in seinem gesamten Wahlkampf zu keinem Zeitpunkt angesprochen hat. Wir sind jetzt als wirtschaftlich starkes Land in Europa zum Handeln aufgefordert. Wir können und müssen jetzt mit dem neuen französischen Präsidenten mehr tun. Die alten Belehrungen aus den europäischen Spardebatten sind hier sicherlich nicht hilfreich. Jacques Delors hat einmal gesagt: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt.“ Insofern brauchen wir eine sozialpolitische Säule für Europa. Das ist jetzt notwendig: gemeinsames Handeln und gemeinsame Politik. (Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Übertragt ihr die Kompetenzen?) Sicherlich müssen wir nicht allem zustimmen, was der französische Präsident zur Diskussion stellt. Er weiß selbst, dass er Vertrauen zurückgewinnen und vereinbarte Defizitziele einhalten muss. Und er weiß selbst, dass er die Reformen in Frankreich nicht mit dem Geld der deutschen Steuerzahler bewältigen kann. Aber klar ist doch: Die EU braucht dringend Reformen. Wenn dazu vernünftige Konzepte vorgelegt werden, sollten wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen. Ein Euro-Zonen-Budget für mehr Investitionen in soziale Mindeststandards in der EU, wie es Emmanuel Macron vorgeschlagen hat, ist ein Ziel, über das es sich nachzudenken lohnt. Bei solch einem Euro-Zonen-Budget gäbe es sicherlich die Perspektive, es durchzusetzen – vor allem dann, wenn wir dem europäischen Projekt wieder Schwung verleihen wollen. Der Vorschlag eines europäischen Finanzministers mit einem eigenen Budget eröffnet die längst fällige Debatte über die Reform der Euro-Zone. Natürlich wissen wir: Emmanuel Macron wird nicht immer ein leichter Partner für Deutschland sein. Das war auch in den besten Tagen der deutsch-französischen Beziehungen nicht anders. Aber wir müssen jetzt ein Zeichen setzen und die Kritik aus Frankreich ernst nehmen. Wenn es etwa um Risikokapital oder um den Ausbau unserer digitalen Infrastruktur geht, haben wir in unserem Land erheblichen Nachholbedarf. Auch mit den Forderungen Macrons, den deutschen Leistungsbilanzüberschuss etwa durch höhere Löhne oder Investitionen in unserem Land abzubauen, müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das wird aber auch Zeit!) Ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren französischen Freunden gemeinsame Lösungen für eine gemeinsame Zukunft finden und dementsprechend eine wirtschaftlich und politisch starke EU bauen werden. Insofern liegt es in unserem eigenen Interesse, dass Emmanuel Macron als französischer Präsident erfolgreich ist. Inklusives Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit ist die Basis für wirtschaftlichen Erfolg. Eine enge Zusammenarbeit mit Präsident Macron ist nach dem Brexit eine große Chance für Europa. Scheiterte Macron, gäbe es für Deutschland nach den nächsten Wahlen in Frankreich im Jahr 2022 niemanden mehr, mit dem wir mit erhobenem Zeigefinger belehren könnten. Insofern freuen wir uns auf die gute Zusammenarbeit mit den Franzosen und ihrem neuen Präsidenten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Volkmar Klein (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurden jetzt schon – ich glaube, zu Recht – eine ganze Menge guter Erwartungen formuliert. Es ist ja auch in der Tat wohltuend, über Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich zu sprechen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, zwischen CDU und CSU!) Mein Vater wäre begeistert, wenn er das hörte. Er hat Ende der 30er-Jahre noch etwas ganz anderes in den Schulbüchern gelesen. Es ist wohltuend, von der Zusammenarbeit in Europa zu hören, vom Willen zum Erfolg, im Übrigen auch vom Willen zum gemeinsamen ökonomischen Erfolg. Denn wie sollen wir Europäer, die wir prozentual in der Welt immer weniger werden, unsere Wertvorstellungen, unsere Vorstellungen von Freiheit und Menschenrechten, als Erfolgsrezept an die Welt weitergeben, wenn wir nicht einmal selber erfolgreich sind? Für diese Freundschaft, für diese Zusammenarbeit in Europa und für diesen Willen zum Erfolg stehen Angela Merkel und jetzt auch der französische Präsident Macron. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte das, was Macron gesagt hat, mit drei Begriffen zusammenfassen: Er hat von Stabilität, von Eigenverantwortung und von Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Stabilität: Er hat selbstkritisch – das ist auch ein Stück weit berechtigt – angekündigt, das Defizit in Frankreich zu reduzieren. Das Staatsdefizit ist ziemlich groß. Die Gesamtverschuldung liegt bei 96 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gerade nach der Staatsschuldenkrise ist es die richtige Erkenntnis, dass es nicht nur ethisch geboten ist, die Staatsverschuldung zu begrenzen – denn das ist gegenüber künftigen Generationen einfach nicht in Ordnung –, sondern dass die Staatsverschuldung auch eine Gefahr für die Stabilität darstellt. Pluspunkt für Macron: Stabilität anstreben. Eigenverantwortung: Eben wurde schon über Euro-Bonds gesprochen. Es gab unterschiedliche Signale im Wahlkampf. Hier in Berlin hat der neue französische Präsident gesagt: Die Vergemeinschaftung von Schulden führt zu einer „Politik der Verantwortungslosigkeit“. – Nix mit Euro-Bonds! (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn der Staatssekretär? Können Sie das mal dem Staatssekretär erklären?) Der Einzige, der immer noch Euro-Bonds haben will, ist Martin Schulz. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Spahn!) Ich zitiere Macron noch einmal: „Das führt zu einer Politik der Verantwortungslosigkeit.“ Das wollen wir in Deutschland nicht. Deswegen wollen wir auch keinen Martin Schulz. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das Jens Spahn! Der Spahn müsste jetzt einmal sagen: Ich entschuldige mich für die Fake News! – Christian Petry [SPD]: Das ist eine echte Fake News!) Kommen wir zum wichtigsten Punkt: der Wettbewerbsfähigkeit. Sie ist entscheidend für unsere Zukunft. (Zuruf des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE] Macron hat eine ganze Menge angekündigt: Modernisierung des Staates, Senkung der Steuern usw. Ich glaube, dass Frankreich selber entscheiden muss, was die richtigen Strukturreformen für Frankreich sind. Wir müssen das für Deutschland auch selber entscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Wettbewerbsfähigkeit wird einerseits durch die Umsetzung der notwendigen Reformen und andererseits durch Investitionen gestärkt. Dazu gibt es jetzt alle möglichen Vorschläge. Das hört sich fast so an, als ob die Sachlage gar nicht überall registriert wird. Vielleicht hat man die aktuellen Meldungen der Europäischen Investitionsbank übersehen, die mitgeteilt hat: Die seit 2015 zur Verfügung gestellten 4,4 Milliarden Euro aus dem EFSI, aus dem Europäischen Fond für Strategische Investitionen, haben in Frankreich über 22 Milliarden Euro an Investitionen mobilisiert. Natürlich investiert EFSI viel mehr in Frankreich als in Deutschland. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie da nicht eingezahlt?) Das ist ein Teil europäischer Solidarität. Das ist auch richtig so. Das müssen wir weiter stärken. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann zahlen Sie doch ein!) Lasst uns doch überhaupt einmal registrieren, welch gute Instrumente wir haben, und nicht nur darüber philosophieren, was wir noch brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Das hängt doch an Projekten! Informieren Sie sich über die Modalitäten, und reden Sie nicht so einen Unsinn!) Ich will abschließend sagen: Mich freut, dass über die Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit gesprochen wird, auch in Frankreich. Das war bei Lagarde früher in Frankreich und selbst heute beim IWF zeitweise anders. Früher wurde darüber philosophiert, man müsse für eine nivellierte Wettbewerbsfähigkeit in Europa sorgen. Das wäre vielleicht eine gute ökonomische Idee, wenn Europa ein Closed Shop wäre, und dann, wenn Deutschland nicht mehr liefern würde, eben Portugal oder Frankreich liefern würden. Europa ist aber kein Closed Shop. Wenn Deutschland nicht mehr liefert, liefern Indien oder China. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist die einzige Lösung: Alle Staaten in Europa müssen für bessere Wettbewerbsfähigkeit sorgen. Das ist offensichtlich der Plan des neuen französischen Präsidenten. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Klein. Volkmar Klein (CDU/CSU): Er kann sich in der Atmosphäre und in der Tradition der deutsch-französischen Freundschaft darauf verlassen, dass wir ihn dabei unterstützen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Mein Gott, war das schlimm! – Gegenruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist euer Koalitionspartner! – Gegenruf des Abg. Christian Petry [SPD]: Leider!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlass für diese Aktuelle Stunde ist der Besuch des Präsidenten Frankreichs bei unserer Kanzlerin in Berlin. Dieser Besuch ist ein eindeutiges Zeichen Macrons, dass er den Schulterschluss mit Deutschland sucht und wo er die Zukunft Europas sieht: bei Deutschland und bei der Kanzlerin Merkel. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und er war nicht in München!) – Er wird schon noch kommen. Keine Angst! (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn das Ihr Hauptproblem ist; das werden wir lösen können. Nach den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden gab es ein Durchatmen. Man war froh, dass Le Pen und Wilders nicht erfolgreich waren. In diesem Jahr werden wir voraussichtlich auch noch Wahlen in Österreich haben, und dann werden wir auf die FPÖ schauen. Alle sagen: Es ist wichtig, dass es kein Weiter-so mit der nationalistischen Bewegung gibt. Das ist richtig; aber wir müssen uns genau anschauen, wie es zu dieser Bewegung kam. Sicherlich sind die Gründe für das Wählerverhalten in Frankreich andere als die für das Wählerverhalten bei der Abstimmung über den Brexit in Großbritannien. Die Vorschläge, die ich heute gehört habe, hätten nicht dazu geführt, dass die Briten in der Europäischen Union geblieben wären. An dieser Stelle möchte ich betonen: Ich bin froh, dass wir diese Kanzlerin haben; denn wir müssen beim Brexit in der Sache konsequent mit den Briten verhandeln. Aber die Reaktionen auf den Brexit gefielen mir nicht. Mir gefiel nicht, wie man mit dem britischen Volk umgegangen ist. Dieses Beleidigtsein nach dem Motto: „Ihr habt Europa nicht verstanden, sonst hättet ihr anders abgestimmt“, ist der falsche Weg. Wir müssen das, was die Völker bewegt, ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt den klassischen Reflex: Um Europa zu retten, müssen wir es vertiefen. Wir brauchen mehr Europa, und wir brauchen mehr Geld in Europa; dann wird das schon hinhauen. Erstens. Positiv ist, dass Macron erklärt hat – darüber wurde heute viel zu wenig gesprochen –, dass Frankreich zunächst einmal seine Hausaufgaben machen muss. Er hat sein Kabinett vorgestellt. Angesichts einiger Kabinettsmitglieder bin ich hoffnungsfroh, dass sie die Reformen angehen werden. Dort will man eine Agenda 2010 angehen, während einige in Deutschland sie abschaffen wollen. Da bin ich bei Macron: Wir brauchen die Agenda 2010. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das Verhalten der Linken finde ich hochgradig heuchlerisch. Es ist ja nicht nur so, dass die Linke Macron nicht unterstützt hat. Macron geht mit diesem Programm jetzt in eine nationale Wahl, und er braucht Mehrheiten, um die Reformen umsetzen zu können. Ich habe heute viele Wortbeiträge gehört, in denen durchklang, dass es einem am liebsten wäre, wenn er bei der nationalen Wahl scheitern würde. Und dann über Le Pen zu lamentieren, ist unmöglich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Herr Kollege Troost, Macron muss in Frankreich erfolgreich sein – das haben Sie selbst besagt –; denn sonst kommt Le Pen wieder. Also unterstützen Sie ihn und sein Vorhaben, und tun Sie nicht so, als wenn es das Beste wäre, wenn er scheitert. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Dann haben Sie nicht richtig zugehört!) Dann würden Sie sich wieder hierhinstellen und sagen: Um Gottes willen, jetzt kommt Le Pen. – Macron hat das Richtige auf den Tisch gelegt. Wir sollten ihn von deutscher Seite unterstützen und nicht bereits vor den Wahlen bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie geben denjenigen Rückenwind, die gegen Macron arbeiten. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gut, dass Sie keine Zwischenmeldung zulassen!) – Ich würde vor Furcht erstarren. Zweitens. Hier ist völlig untergegangen, dass Wolfgang Schäuble bereits mehrmals erklärt hat, dass von europäischer Seite nationale Anstrengungen unterstützt werden. Wolfgang Schäuble steht dafür ein, dass diejenigen, die Reformen durchführen, mit der Solidarität Europas rechnen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht!) Drittens. Wenn wir über Strukturveränderungen der EU reden, sollten wir uns das anschauen, was realistisch ist. Ein europäischer Finanzminister wäre für manche schön, ist aber Träumerei. Ein europäischer Haushalt? Ich wäre ja schon froh gewesen, wenn sich Rot-Grün an die europäischen Regeln gehalten und nicht den Stabilitäts- und Wachstumspakt gebrochen hätte und durchgesetzt hätte, dass er keine Anwendung findet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Historische Vergleiche!) Den Weg, den Wolfgang Schäuble hinsichtlich der Reformen im ESM geht, halte ich für richtig. Ich halte es für richtig, dass der ESM zukünftig verstärkt darauf schauen soll, dass die europäischen Regeln eingehalten werden und die politische Unabhängigkeit in Europa wieder verstärkt Einzug hält; denn hier gab es zuletzt Fehlentwicklungen. Ich halte die deutsch-französische Freundschaft gerade in der jetzigen Phase, in der die Interessen in Europa so unterschiedlich verteilt sind, für wichtig. Wir haben auf der einen Seite Italien, Griechenland und Portugal und auf der anderen Seite die baltischen Staaten und die Finnen, die diesen Weg mitgehen müssen. Das müssen wir zusammenführen. Lassen Sie mich eines sagen: Wir müssen Nationalismus und antieuropäische Strömungen nicht nur in einem Staat bekämpfen, sondern in allen Staaten. Daher kann man nicht eine Politik machen, die Proeuropäern den Rückenwind nimmt; denn damit bewirkt man gleichzeitig erheblichen Rückenwind für Antieuropäer. Ihre Vorschläge sind völlig ungeeignet. Sie würden den Nationalismus in anderen Staaten in Europa massiv vorantreiben. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes (Hochwasserschutzgesetz II) Drucksache 18/10879 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/12404 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ Drucksachen 18/11099, 18/11225 Nr. 5, 18/12204 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hochwasser sind Ereignisse, vor denen es, wie wir alle wissen, keinen absoluten Schutz gibt. Leider können wir Hochwasser nicht per Gesetz verbieten oder sie auch nur langfristig vorhersehen. Das haben wir in Deutschland zuletzt bei den Hochwassern an Elbe und Donau im Juni 2013 erleben müssen, die zu immensen Schäden geführt haben. Auch die Starkregenereignisse im Mai und Juni des vergangenen Jahres, bei denen es auch Todesfälle zu beklagen gab, sind uns allen noch in schmerzhafter Erinnerung. Die Schäden an privaten Einrichtungen, aber auch an öffentlichen Infrastruktureinrichtungen wie zum Beispiel Bundesautobahnen beliefen sich auf über 8 Milliarden Euro. Das sollten wir auch in vorübergehenden Zeiten des Niedrigwassers nicht vergessen. Leider bestehen keine Zweifel an der Tatsache, dass sich die Hochwasser in den letzten Jahren häufen. Was wir tun können und müssen, ist, uns gegen Hochwasser zu wappnen. Wir haben deshalb das Nationale Hochwasserschutzprogramm auf den Weg gebracht, das der Bund zu einem erheblichen Anteil finanziert. Wir haben darüber hinaus überprüft, ob das bestehende rechtliche Instrumentarium ausreicht. Dies haben wir mit großer Sorgfalt und nach umfassender Diskussion mit den Ländern getan. Ziel ist es, die Schäden in künftigen Fällen so gering wie möglich zu halten. Wir schließen nun mit dem sogenannten Hochwasserschutzgesetz II weitere rechtliche Lücken. Lassen Sie mich die zentralen Punkte des Gesetzentwurfs nennen. Erstens. Wir wollen eine stärkere Vorsorge durch hochwasserangepasstes Bauen in Überschwemmungsgebieten erreichen. Wir wollen aber kein Bauverbot, wie es die Mehrheit im Bundesrat will. In Zeiten knappen Wohnraums können wir unseren Kommunen solche Einschränkungen nicht zumuten. Sie müssen zumindest die Chance auf Entwicklung behalten. Wir wollen aber, dass Belange des Hochwasserschutzes gerichtlich von den Betroffenen eingefordert werden können. Zweitens. Wir wollen, dass auch in Risikogebieten und nicht nur in festgesetzten Überschwemmungsgebieten die private Hochwasservorsorge stärker Berücksichtigung findet. Risikogebiete sind übrigens bereits jetzt nach EU-Recht auszuweisen. Aber Gefahrenkarten nützen natürlich nichts, wenn daraus keine Konsequenzen gezogen werden. 2013 ist es gerade in solchen Gebieten zu erheblichen Schäden gekommen, die in vielen Fällen durch Steuermittel ausgeglichen werden mussten. Das müssen wir für die Zukunft verhindern. Drittens. In Zeiten des voranschreitenden Klimawandels, in denen auch großzügig bemessene Hochwasserschutzanlagen versagen können, ist es wichtig, Anpassungsmaßnahmen durchzusetzen. Solche Maßnahmen können zum Beispiel sein: Energieverteilungs-, Gasversorgungs- oder Klimaanlagen in nicht hochwassergefährdete Gebäudebereiche innerhalb der Gebäude zu versetzen, die Installation von Abschaltmöglichkeiten, Rückstausicherungen, der Schutz der Leitungen gegen Auftrieb und Korrosion und der Schutz von Außenanlagen gegen drückendes Wasser. Dabei werden im Übrigen keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt. Wir wollen außerdem ein Verbot von neuen Ölheizungsanlagen und die Nachrüstung bestehender Anlagen innerhalb angemessener Fristen in hochwassergefährdeten Gebieten. Wer gerade über eine neue Heizung nachdenkt, muss wissen, dass Ölheizungen im schlimmsten Fall mit hohen Folgekosten verbunden sein werden. Darüber hinaus wollen wir die Verfahren beschleunigen, mittels derer Hochwasserschutzeinrichtungen geschaffen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist mir zuletzt auch, dass wir alles Notwendige tun, um der Entstehung von Hochwasser entgegenzuwirken. Natürlich können wir kurzfristigen Starkregen oder wochenlange Regenfälle nicht verhindern. Dennoch gibt es Bereiche, wo wir mehr machen können. Wir geben den Gemeinden mehr Möglichkeiten, Retentions- und Versickerungsflächen auszuweisen und Anforderungen an das hochwasserangepasste Bauen zu stellen. Zudem wollen wir, dass in bestimmten eng begrenzten Bereichen Hochwasserentstehungsgebiete ausgewiesen werden. In diesen Gebieten können dann bestimmte Tätigkeiten wie etwa der Umbruch von Wiesen zu Ackerflächen untersagt werden. Natürlich ist das nur angemessen, wenn die örtliche hydrologische und topografische Situation das erfordert. Die Ausweisung solcher Gebiete ist nur ein Mittel unter vielen, um zu verhindern, dass Bäche oder Rinnsale zu reißenden Strömen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gesetzgebungsverfahren haben die Koalitionsfraktionen im Einvernehmen mit der Bundesregierung eine Reihe von Änderungsvorschlägen aufgenommen zum Ausgleich von Retentionsflächen und zu Anforderungen an Stauanlagen. Außerdem besteht für die Länder keine Pflicht, sondern lediglich eine Option zur Ausweisung von Hochwasserentstehungsgebieten. Auch bei der Einführung von Vorkaufsrechten haben die Länder einen weiten Spielraum. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzentwurf ist die richtige Antwort auf die Hochwasser. Ich bitte Sie daher herzlich um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf das „Blaue Band“ eingehen, mit dem wir die Renaturierung von Fließgewässern und Auen fördern. Uns erreichen vielfältige Anregungen und Projektvorschläge von Ländern, von Gemeinden und von Initiativen vor Ort. Wir wollen mit dem Bundesprogramm eine umfassende Renaturierungsinitiative starten und damit auch Synergien in den Bereichen Gewässerschutz, Hochwasservorsorge, Freizeit, Erholung und regionale Entwicklung ermöglichen. Das Ziel ist der Aufbau eines Biotopverbundes von nationaler Bedeutung. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Renaturierung unserer Bundeswasserstraßen ist eine Generationenaufgabe. Was über viele Jahrzehnte ausgebaut wurde, kann nicht in wenigen Jahren zurückgeführt werden. Deshalb hat sich die Bundesregierung für die Umsetzung des Programms einen Zeithorizont bis 2050 gesetzt. Sie sehen, wir denken durchaus in langen Linien. Vor allem aber haben wir in dieser Legislaturperiode mit der Umsetzung begonnen und die entscheidenden Weichen gestellt. Das erfüllt mich schon ein wenig mit Stolz und Dankbarkeit gegenüber allen, die dabei mitgeholfen haben. Ich bedanke mich sehr beim Kollegen Alexander Dobrindt. Seine Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird zukünftig ein völlig neues Aufgabenfeld haben: befestigen, wo es nötig ist, und entfestigen, wo es möglich ist. Mir ist bereits von vielen Menschen vor Ort Begeisterung über das „Blaue Band“ entgegengebracht worden. Wir werden so schnell wie möglich mit der Erarbeitung von Entwicklungskonzepten an den Nebenwasserstraßen beginnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. André Hahn für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch die von mir betreuten Landkreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Meißen zieht sich ein blaues Band: die Oberelbe – wie ich finde, eine der schönsten Regionen in Deutschland. Allerdings sind Hochwasser in diesem Bereich der Elbe keine Seltenheit. Besonders verheerend waren das Winterhochwasser von 1845 und die sogenannte Jahrhundertflut im August 2002. Damals, 2002, verloren zigtausend Menschen ihren Besitz. Viele von ihnen hatten nicht einmal eine Versicherung gegen die Schäden. Das ist im Übrigen bis heute ein Problem. 2006, 2010 und 2013 gab es erneut starke Hochwasser an der Elbe. Die Abstände werden hier und in anderen Regionen, wie in Bayern und am Rhein, immer kürzer. Die zunehmend extremen Wetterlagen haben unbestreitbar etwas mit dem Klimawandel zu tun. Das ist aber nur eine von mehreren Ursachen für die Entstehung von Hochwasser. Hinzu kommen eine starke landwirtschaftliche Nutzung und eine zunehmende Flächenversiegelung in den Städten und Gemeinden an den Nebenflüssen. Dadurch wird weniger Wasser vom Boden aufgenommen. Außerdem wurden viele Deiche sehr nah am Fluss errichtet. Ein Abfließen des Wassers in ursprüngliche Gewässerauen ist dadurch häufig nicht mehr möglich. Innerhalb Deutschlands müssen sich zehn Bundesländer auf gemeinsame Maßnahmen einigen. Am 10. November 2006 unterschrieben diese zusammen mit dem Bund Maßnahmen gegen Hochwasser. Sie planten unter anderem, weitere Retentionsräume einzurichten, aber auch Bebauungsverbote und Überschwemmungsgebiete festzusetzen. Dieses Ziel unterstützen wir, sofern es sich auf das gesamte Einzugsgebiet der Elbe bezieht. Warum mache ich diese Anmerkung? Anfang Juni 2014 teilte der sächsische Staatssekretär Jaeckel auf einer öffentlichen Veranstaltung zum Hochwasserschutz in Bad Schandau mit, dass das angestrebte Schutzziel bei Hochwasser im Oberen Elbtal nicht erreichbar sei und jeder Bürger in Flussnähe Eigenvorsorge zu treffen habe. Das ist für mich nicht akzeptabel. Auch das Obere Elbtal braucht einen wirksamen Hochwasserschutz. Der internationale Hochwasserrisikomanagementplan für die Elbe muss ab Schmilka, ab der Grenze, und nicht erst ab kurz vor Dresden gelten. (Beifall bei der LINKEN) Heute stimmen wir über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung ab, zu dessen Zielen es gehört, für den Bau von Hochwasserschutzanlagen die Möglichkeiten für beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren auszuschöpfen. Daneben soll es für diese Gebiete Neuregelungen für ein hochwasserangepasstes Bauen und ein Verbot neuer Heizölverbrauchsanlagen geben. Mit dem Gesetz soll das Nationale Hochwasserschutzprogramm in Höhe von circa 5,5 Milliarden Euro flankiert werden. Die Umsetzung ist aus unserer Sicht jedoch unzureichend. Wir meinen, die Flüsse brauchen mehr Raum. Durch die Bodennutzung muss die Wasseraufnahme des Bodens so weit wie möglich gewährleistet werden. Für die Linke heißt das Zauberwort deshalb „Hochwasservorsorge“. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfehlt dieses Ziel leider. Für mich sind die zu erwartenden Auswirkungen auf den Städtebau sehr problematisch. In der Anhörung im Umweltausschuss wurde darauf hingewiesen, dass Risikogebiete nicht hinreichend abgegrenzt seien, was hinsichtlich der Restriktionen für Bauleitplanung und Bauweise zu großen Schwierigkeiten führen kann. Auch müssen die Lasten gerecht verteilt werden. Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung kommen auf die Bürgerinnen und Bürger über 1 Milliarde Euro zu, auf die Wirtschaft knapp 22 Millionen Euro, auf die Verwaltungen in den Ländern nicht einmal 3 Millionen Euro, und für den Bund entsteht gar kein Erfüllungsaufwand. Bei dem Gesetzentwurf, der auf der Zielgeraden noch nachgebessert wurde, und beim Entschließungsantrag der Koalition wird sich die Linke der Stimme enthalten. Neben dem Gesetzentwurf liegt heute – auch die Ministerin hat darauf hingewiesen – auch das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ zur Abstimmung vor. Mit diesem Programm soll verstärkt in die Renaturierung von Bundeswasserstraßen investiert werden. Daneben sollen neue Akzente in Richtung Natur- und Gewässerschutz, Hochwasservorsorge sowie Wassertourismus, Freizeitsport und Erholung gesetzt werden. Dieses Bundesprogramm wird auch seitens der Linken positiv bewertet. Dem Entschließungsantrag der Koalition können wir dennoch nicht zustimmen. Wir haben im Ausschuss sechs konkrete Kritikpunkte benannt. Aufgrund der geringen Redezeit kann ich hier heute nur einen herausgreifen. Es ist essenziell für die Wirkung des Programms, dass andere Vorhaben der Bundesregierung dem damit verbundenen Ziel nicht entgegenwirken. Wir sagen hier: Die geplante Weser- und Elbvertiefung ist definitiv kontraproduktiv und daher abzulehnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gilt jetzt also, die Ziele aus diesem Programm gemeinsam mit den Ländern und Kommunen, den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft durch konkrete Maßnahmen umzusetzen. Dies wird – so ist zumindest meine Hoffnung – auch dem Nationalpark Sächsische Schweiz, den Bewohnern der Region und ihren Gästen zugutekommen – und dies nicht nur heute, sondern hoffentlich auch in der nahen und fernen Zukunft. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Petzold für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Petzold (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor 15 Jahren die Berichterstattung meiner Fraktion zum Hochwasserschutzgesetz übernahm, habe ich mir nicht träumen lassen, dass dieses Thema auch meine wahrscheinlich letzte Rede betreffen würde, die ich heute hier im Deutschen Bundestag halten werde. Erlauben Sie mir, nicht über die Hochwässer von 2002 und 2013 zu sprechen oder über die vielen Dinge, die wir schon gemacht haben. Bund und Länder gemeinsam sind beim technischen Hochwasserschutz in den letzten Jahren ein großes Stück vorangekommen. Wir haben mittels eines Sonderrahmenplans „Präventiver Hochwasserschutz“ viel an Deichen, Poldern und Retentionsflächen getan. Das ist unbestreitbar. Doch es lassen sich bei allen Anstrengungen auch künftig nicht alle Schäden vor und hinter dem Deich verhindern, sodass mittels vorbeugender Maßnahmen mögliche Schäden an baulichen Einrichtungen unserer Bürger, an Gebäuden der Wirtschaft und der Öffentlichkeit, wenn irgend geht, verhindert oder wesentlich gemindert werden müssen. Das ist der Ansatz des Hochwasserschutzgesetzes II, das auch die Umsetzung eines Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag und die Umsetzung der EU-Hochwasserschutz-Richtlinie in nationales Recht bedeutet. Leider fanden sich an einigen Stellen im von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf Regelungen, die die zugrundeliegende EU-Richtlinie sehr restriktiv interpretierten und Auflagen für die Bürgerinnen und Bürger sehr hoch ansetzten und uns zu intensiven Beratungen in der Berichterstatterrunde und auch mit Ihnen, sehr verehrter Herr Staatssekretär, veranlasst haben, die aber sehr positiv verlaufen sind. Unsere Überlegungen haben natürlich immer das Ziel, den Hochwasserschutz so effektiv wie möglich zu machen, aber zugleich auch Belastungen, zum Beispiel für den Wohnungsbau – darüber haben wir heute mehrfach beraten –, angemessen zu gestalten. Hochwasserangepasstes Bauen darf in Risikogebieten den Wohnungsbau nicht mehr als unbedingt notwendig verteuern, da Ballungszentren dort, wo wir den Wohnungsbau am dringendsten benötigen, sehr oft in Risikogebieten liegen. In unseren fachlichen Überlegungen haben wir uns zu Bauplanungen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten zum Beispiel gefragt: Kann der Hochwasserschutz wirklich nicht gegen Erweiterungswünsche im Baubereich „weggewogen“ werden? Das ist eine gefährliche Sache; darin sind wir uns durchaus einig. Ist die Privilegierung von Infrastrukturmaßnahmen wirklich in diesem Umfang geboten? Muss nicht noch mehr auf Anpassung an Hochwassererfordernisse geachtet werden? Wie dem gemeinsamen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zu entnehmen ist, haben wir unter anderem folgende Änderungen in den gemeinsamen Beratungen auch mit unseren Mitberichterstattern von der Opposition erreicht: Die Definition eines Risikogebietes wird durch die Klarstellung konkretisiert, dass es sich im Wesentlichen um Gebiete handelt, in denen statistisch alle 200 Jahre mit einer Überflutung durch ein Hochwasser, also dem HQ 200, zu rechnen ist. Wir alle wissen, was Extremhochwasser – eben wurde es von dem Kollegen der Linken angedeutet – für Probleme bereiten kann. In Risikogebieten wird von der Pflicht zur hochwasserangepassten Bauweise aller baulichen Anlagen auf eine Sollvorschrift abgerüstet. Bei den Bauvorschriften sollen auch mögliche Schäden berücksichtigt werden. Auch hier haben wir uns sehr stark eingebracht. Das Verbot der Errichtung von Heizölverbrauchsanlagen in Risikogebieten wird nur dann aufrechterhalten, wenn andere weniger wassergefährdende Energieträger zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten zur Verfügung stehen oder die Anlagen nicht hochwassersicher errichtet werden können. Der Bauherr hat den Einbau anzuzeigen, und die Behörde kann innerhalb einer vorgesehenen Frist entscheiden. Das ist eine wirklich vernünftige Anpassung an unsere Lebenswirklichkeiten. Von der Untersagung von Maßnahmen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten werden Maßnahmen zur Beseitigung von Pflanzenwuchs und Anlandungen, die den Wasserzufluss oder den Wasserabfluss in Retentionsräumen behindern, explizit ausgenommen. Damit folgen wir einer Petition der Bürger aus Riesa, die uns nachgewiesen haben, dass beim Hochwasser 2013 trotz eines deutlich geringeren Wasserabflusses als 2002 das Wasser genauso hoch an den Deichen stand wie 2002, bedingt durch Auflandung und Verbuschung. Beim Vorkaufsrecht und den Festlegungen zu Hochwasserentstehungsgebieten kommen wir den Anregungen der Länder entgegen. Wir haben auch Klarstellungen im Gesetz. Die Einschränkung in Risikogebieten, zum Beispiel bei der Aufstellung von Bauleitplänen im Außenbereich, darf keinem Bauverbot gleichkommen. Für bauliche Anlagen in Risikogebieten, die aus technischen Gründen nicht hochwasserangepasst errichtet werden können, gilt das Erfordernis der hochwasserangepassten Bauweise nicht. Das gilt zum Beispiel für Fahrsilos in der Landwirtschaft. Bei den Anforderungen an das hochwasserangepasste Bauen ist die Lage des Grundstückes zwingend zu berücksichtigen. Auch das war eine Folge unserer Beratungen. Nach meiner Einschätzung ist es dringend geboten, dass die Hochwasserkarten der Länder periodisch auf ihre Aktualität überprüft werden. Sicherlich kann der Bund hierbei helfen. Deshalb fordern wir in unserer Entschließung, dass die Bundesregierung die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser und gegebenenfalls betroffene Landesbehörden bei der kontinuierlichen Aktualisierung der Gefahren- und Risikokarten nach der Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in allen Belangen unterstützt. Wenn grundstücksgenau ausdifferenziert wird und das aktuelle Kartenmaterial jedem zugänglich ist, ist private und behördliche Planungssicherheit beim Hochwasserschutz problemlos möglich. Frau Bundesministerin, Sie haben eben von den hohen Folgekosten bei der Umrüstung von Heizölanlagen in moderne Heizungsanlagen, die auch – so wollen wir es – ökologisch wirksam sind, gesprochen. Bitte helfen Sie uns, dass wir gerade Familien, die davon sehr stark betroffen sind, in Zukunft auch helfen können. Ich glaube, das ist uns allen, die wir an den Beratungen teilgenommen haben, ein wichtiges Anliegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist meine letzte Rede, und ich darf noch ein paar persönliche Worte an Sie richten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie dürfen. Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ich glaube, auch diese Beratung zum Hochwasserschutzgesetz hat gezeigt, dass wir uns auch bei schwieriger Materie zusammenraufen können, dass wir zwar vielleicht keine einheitliche Meinung erzeugen können, aber uns untereinander verstehen. Dieses Verständnis war für mich in den vergangenen Jahren immer sehr, sehr wichtig, hat mir geholfen und wird manchmal von der Öffentlichkeit gar nicht so wahrgenommen. Die Menschen hören uns hier nur streiten. Dass wir aber miteinander sprechen und miteinander etwas erreichen, müssen wir den Menschen vielleicht auch öfter einmal sagen. Das würde ich Ihnen wünschen. Herzlichen Dank Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Petzold. Das war heute nicht nur Ihre letzte Rede in diesem Haus, sondern wir werden, wie wir wissen, auch zu einem guten Abschluss kommen. Das ist auch der Erfolg. Als Nächstes hat jetzt der Kollege Peter Meiwald für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das kann ich ganz unbedingt so zurückgeben, Kollege Petzold: Vielen Dank für die faire Zusammenarbeit in diesem Bereich! Ziel des Gesetzes, über das wir heute entscheiden, ist, die Verfahren für die Planung, Genehmigung und den Bau von Hochwasserschutzanlagen zu erleichtern und zu beschleunigen, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit zu beschneiden, und vor allem die Entstehung von Hochwasser einzudämmen. Dagegen kann man eigentlich nichts haben; das ist klar. Deshalb eint uns auch das Interesse, dass wir in diesem Bereich vorankommen wollen und müssen. Deswegen begrüßen wir auch grundsätzlich die Zielrichtung des Gesetzentwurfs. Aber – das ist schon von allen anderen angesprochen worden – die Anhörung, die wir im Umweltausschuss durchgeführt haben, hat gezeigt: Es gibt viele Haken und Ösen. Ich verstehe das bei einem Gesetzentwurf der Großen Koalition, die sich letztendlich einigen muss. Für uns sind aber dabei Dinge auf der Strecke geblieben, was es uns nicht möglich macht, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, auch wenn darin einiges enthalten ist, das richtig ist. Dies sage ich vorweg, weil es sonst wieder so klingt, als ob wir uns nur streiten würden. In der Tat: Es hat sich noch einiges geändert. Sie haben durch die Änderungsanträge an einigen Stellen nachgebessert. Das sehen wir auch. Aber es bleiben insbesondere zwei Dinge, die für uns ein großes Problem darstellen. Einmal geht es darum, dass die Bauleitpläne im Innenbereich weiterhin im Rahmen einer zusätzlichen Abwägung ermöglicht werden. Das heißt, wir können weiterhin das Hochwasserrisiko in der Planung – insbesondere auch bei der Planung für Infrastrukturvorhaben – wegwägen. Bei Infrastrukturvorhaben handelt es sich um großvolumige Bauwerke, wo es darum geht, dass am Ende auch Retentionsflächen verlorengehen. Das ist in Bezug auf die heutige Gesetzeslage kein Fortschritt. Es führt dazu, dass die Unterlieger am Ende des Tages die Geschichte wieder ausbaden müssen. Wir hätten uns gewünscht, dass hier insbesondere die Privilegierung der Infrastrukturvorhaben herausgenommen worden wäre. Es wäre wünschenswert gewesen, bei den Infrastrukturvorhaben – gerade bei den Verkehrsinfrastrukturvorhaben – zwingend Ausgleichsmaßnahmen für verlorengegangene Retentionsflächen vorzusehen. Das klingt vielleicht ein bisschen so, als wenn wir uns eigentlich einig sind, es aber noch so ein paar Nerd-Geschichten gibt, an denen man immer herumkritisieren kann. Hierbei handelt es sich aber insbesondere für die Menschen am Unterlauf der Gewässer um ein sehr zentrales Thema. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Problem haben Sie selbst angesprochen. Dabei handelt es sich um die Ölheizungen. Ölheizungen stellen im Überschwemmungsfall eine außerordentliche Gefährdung der Umwelt dar. Deswegen müssen wir so schnell es geht Ölheizungen austauschen und durch weniger gefährliche Heizungssysteme ersetzen. Wir hätten uns da gewünscht  – Sie haben es gerade angesprochen –, dass man nicht Ausnahmen schafft für diejenigen, für die es wirtschaftlich schwierig ist, sondern ein Förderprogramm angeboten hätte, um den Austausch der Anlagen möglich zu machen. Da bleibt dieses Gesetz leider hinter dem Anspruch zurück. Deswegen können wir auch da nicht mitgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hätten sich dabei durchaus die Position des Bundesrates zu eigen machen können. Dieser hatte gefordert, zum Ausgleich der besonderen Belastung eine Unterstützung von staatlicher Seite zu gewähren und entsprechende Fördermöglichkeiten zu schaffen. Es ist schwer verständlich, warum sich diese Bundesregierung bei der gegenwärtigen Haushaltslage dieser Forderung des Bundesrates verweigert. Das hätte, glaube ich, allen die Zustimmung zum Gesetz deutlich einfacher gemacht. Sie nehmen hier ein unverantwortlich hohes Umweltrisiko in Kauf und suggerieren gleichzeitig – auch das haben Sie angesprochen; das ist auch klimapolitisch bedenklich –, dass es mit den Ölheizungen eigentlich noch eine Zeit lang so weitergehen kann. Nein, wir müssen aus dieser Technologie aus dem letzten Jahrhundert aussteigen, gerade in Überschwemmungs- und Hochwassergebieten. Trotz deutlicher Hinweise in der Anhörung im Umweltausschuss haben Sie nicht das Paradoxon aufgelöst, dass es in den neuen Hochwasserrisikogebieten – also den Gebieten, die hinter den Deichen liegen und nur bei Deichbruch oder in Extremsituationen überschwemmungsgefährdet sind – höhere Anforderungen in Bezug auf die Baumöglichkeiten gibt als in den Gebieten vor dem Deich. Das ist den Menschen eigentlich nicht zu vermitteln. Da hätten wir uns eine andere Möglichkeit gewünscht. Es muss auch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar sein, wo wir welche baulichen Auflagen verlangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Forderungen Ihrer Entschließung sind im Grunde genommen hauptsächlich weiße Salbe. Wir können uns dem gar nicht verweigern. Deswegen werden wir uns dazu auch enthalten. Diese Forderungen sind aber Begleitmusik für einen Gesetzentwurf, der eben nicht wirklich zu dem Ziel führt, zu dem wir hinwollen. Die dort genannte bundesweite Vereinheitlichung der Hochwasserkarten hätte die Bundesregierung längst festlegen können. Das ist leider ausgeblieben. Auch die Frage einer denkbaren Pflichtversicherung wird adressiert, am Ende aber nicht beantwortet. Die Bundesregierung ist ja nicht dazu da, Probleme zu beschreiben oder zu benennen, sondern Lösungen anzubieten. Daran sind Sie mit dem Gesetz leider gescheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gilt auch für die angesprochenen Versickerungsmöglichkeiten. Sie haben es deutlich gesagt. Auch da hätten wir uns klarere Vorgaben gewünscht; denn nur das Wasser, welches nicht bei den Gewässern ankommt, wird nicht zu einem Hochwasser. Auch da bleibt dieses Gesetz hinter dem Notwendigen zurück. Als Gesamtbewertung kann man nur sagen: Das ist gut gemeint, an manchen Stellen aber noch nicht gut gemacht. Zwei Dinge fehlen, die ich zum Abschluss noch kurz erwähnen möchte. Einmal geht es dabei um den Klimaschutz. Wenn man den Klimaschutz berücksichtigt, hat man noch nicht alle Probleme geregelt. Es gibt auch Hochwasser, die nicht durch das Klima, sondern durch einfache Wetterereignisse erzeugt werden. Dass die Klimaveränderung aber in starkem Maße für zunehmende Extremwetterereignisse verantwortlich ist, ist klar. Dieser Erkenntnis kann man sich nicht verweigern. Deswegen wäre es gut, auch in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hinzuweisen, dass Klimaschutz der beste Schutz vor Extremwetter- und Starkregenereignissen ist. Deswegen muss auch das Thema Ausstieg aus der Kohle immer wieder adressiert werden, wenn wir über den Hochwasserschutz reden. Dieser Ausstieg ist erforderlich, um die Klimabilanz zu verbessern. Auch Sie, Frau Ministerin, haben vorhin zwar davon gesprochen, den Flüssen mehr Raum zu geben. Es findet sich aber in diesem Gesetz nichts, was uns in dieser Hinsicht voranbringt. Deswegen hoffe ich, dass sich die nächste Bundesregierung diesem Thema wieder zuwenden wird. Es wird da noch Einiges zu tun sein. Im Sinne von Menschen und Umwelt, glaube ich, ist es gut, wenn viele Grüne an dieser Regierung mitwirken. Dann kann es nur besser werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Carsten Träger. Carsten Träger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle erinnern uns noch an das Jahr 2013. Es war nicht nur das Jahr der letzten Bundestagswahl. Nein, es war auch das Jahr, in dem der Klimawandel in Deutschland sichtbar wurde. Es gab große Hochwasserereignisse an Donau und Elbe. Während des Elbhochwassers 2013 stieg das Wasser so hoch wie noch nie zuvor. Katastrophenalarm wurde ausgerufen. Tausende Helfer waren auf den Beinen, haben Millionen von Sandsäcken gefüllt und gestapelt und fehlten natürlich an ihren Arbeitsplätzen. Die Bewohner mussten evakuiert werden, Häuser und Straßen standen unter Wasser; das normale Leben war für fast zwei Wochen lahmgelegt. Die Schäden dieses verheerenden Hochwassers im Juni 2013 im Elbe- und Donaugebiet waren immens. Sie belaufen sich auf mehrere Milliarden Euro. Hochwasser sind Naturereignisse, die sich wiederholen. Sie sind ein Risiko, das nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Aber die Folgen von Katastrophen wie im Jahr 2013 können und müssen abgemildert werden. (Beifall bei der SPD) Hochwasserschäden müssen verhindert oder deutlich reduziert werden – diese Erkenntnis setzte sich 2013 endgültig durch. Milliardenschwere Aufbauhilfeprogramme nach einem Hochwasserereignis aufzulegen, war natürlich notwendig; aber das kann nicht die Lösung für die Zukunft sein. Daher wurde in der Konsequenz das Nationale Hochwasserschutzprogramm beschlossen. Zum ersten Mal gibt es nun eine bundesweite Aufstellung mit vordringlichen, überregional wirksamen Maßnahmen für den Hochwasserschutz. Zentrales Ziel dabei ist: Den Flüssen muss wieder mehr Raum gegeben werden. Wir haben in dieser Legislaturperiode dank unserer Umweltministerin Barbara Hendricks viel für den Hochwasserschutz erreicht. Dazu gehören das Nationale Hochwasserschutzprogramm, das der Bund durch den Sonderrahmenplan „Präventiver Hochwasserschutz“ mit zunächst 330 Millionen Euro maßgeblich finanziert – dies geschah übrigens auf Druck meiner Fraktion; herzlichen Dank an den Kollegen Freese dafür –, das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ und nun das Hochwasserschutzgesetz II, das wir heute beschließen werden. Es flankiert das Nationale Hochwasserschutzprogramm. Mit dem Hochwasserschutzgesetz II erleichtern und beschleunigen wir Planung und Bau von Hochwasserschutzanlagen, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit zu beschneiden. Überschwemmungen und Hochwasserschäden sollen verhindert oder zumindest so weit wie möglich verringert werden. Ich nenne einige Punkte, die uns als SPD-Fraktion besonders wichtig sind. In bestimmten Gebieten darf nicht mehr oder nur noch hochwasserangepasst gebaut werden. Heizölanlagen sind in bestimmten Gebieten verboten; denn ein ausgelaufener Öltank verursacht nicht nur riesige Schäden in Umwelt und Natur, sondern macht auch ein Haus auf ewig unbewohnbar. Die Länder haben zukünftig ein Vorkaufsrecht an Grundstücken, die für Maßnahmen des Hochwasser- oder Küstenschutzes benötigt werden. In Hochwasserschutzgebieten soll das Wasser im Boden versickern oder zurückgehalten werden können. Deswegen darf nicht einfach Grünland in Ackerland umgewandelt werden. Dafür ist eine behördliche Genehmigung erforderlich. Das sind, wie ich finde, lieber Peter Meiwald, doch ganz erhebliche Fortschritte im Hochwasserschutz, auch wenn man natürlich immer mehr fordern kann. Die Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner jedenfalls waren gerade in diesen Punkten schwierig. Zeitweise drängte sich der Eindruck auf, dass hier über ein Heizölanlagenermöglichungsgesetz, ein Landwirtschaftsermöglichungsgesetz, ein Bauermöglichungsgesetz verhandelt wird und nicht über ein Gesetz zur Verbesserung des Hochwasserschutzes und damit zum Schutz von Menschen, von Hab und Gut, von Umwelt und Natur. Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Petzold, haben wir doch einen guten Kompromiss erzielt. Der Hochwasserschutz wird mit diesem Gesetz deutlich verbessert. Deswegen danke ich allen für die Zusammenarbeit, besonders Herrn Staatssekretär Pronold sowie den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium, die viel Geduld aufwenden mussten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und alles Gute. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Vielleicht kann man im Folgenden den Dank bündeln und die Redezeit einhalten; denn wir sind schon ein ganzes Stück in Verzug. Als Nächster hat der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, zunächst mit dem Dank an unsere beiden Bundesminister, an Frau Dr. Hendricks und Herrn Minister Dobrindt. Das Konzept zum „Blauen Band Deutschland“, das Sie gemeinsam vorgestellt haben, hat doch gezeigt, dass sowohl das Infrastruktur- und Bauministerium als auch das Umweltministerium bei bestimmten Dingen gut zusammenarbeiten können. Es liegt aber auch in der Natur der Sache, dass man manchmal dort gegenteilige Meinungen zu vertreten hat. Einen weiteren Dank möchte ich an unseren Haushaltsberichterstatter Cajus Caesar richten. Er hat in der letzten Bereinigungssitzung dafür gesorgt, dass rund 100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasserschutz hinzugekommen sind. Auch das, denke ich, ist sehr wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte mich mit meinen nächsten Worten und Sätzen weniger dem Hochwasserschutz zuwenden – das ist jetzt ausreichend gemacht worden –, sondern ich möchte etwas zum „Blauen Band Deutschland“ sagen. Das Gewässernetz in Deutschland beträgt 400 000 Kilometer. Bundeswasserstraßen sind etwa 7 300 Kilometer; davon sollen 5 300 Kilometer Flussstrecke in das „Blaue Band Deutschland“ integriert werden. Das sind auch Teile des Kernnetzes, aber insbesondere Teile des Nebennetzes. Das „Blaue Band Deutschland“ ist im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode zwischen der CDU/CSU-Fraktion und den Sozialdemokraten beschlossen worden, und auf diesem Beschluss baut es sich auf. Wir wollen mit der Renaturierung großer Flussabschnitte etwas für den Hochwasserschutz tun, aber insbesondere den Biotopverbund, der in Deutschland aufgrund der dichten Besiedlung, die wir haben, und der aufgrund der großen Infrastrukturmaßnahmen oftmals schon zerschnitten ist, wieder in einen besseren Zustand bringen. Es wird so sein, dass viele zusätzliche, verschiedenartige Lebensräume entstehen können und ökologische Trittsteine zu einem großräumigen Verbundsystem aufgebaut werden. Dieses Bundesprogramm fördert die Ziele zu einer Strategie zur biologischen Vielfalt und die Umsetzung von Natura 2000 und der Wasserrahmenrichtlinie. Aber nicht nur Natur- und Artenschutz werden hier im Mittelpunkt stehen, auch Erholung und Wassertourismus sind betroffen und werden positiv weiterentwickelt. Wichtig aus meiner Sicht ist, dass die Akzeptanz erlangt wird, indem man frühzeitig beginnt, alle Akteure an einen Tisch zu bringen, um die Projekte in den nächsten 30 Jahren, wie es von der Ministerin angedeutet wurde, umzusetzen. Ich glaube, wir haben schon gute Beispiele. Im vergangenen Jahr wurde der Elbe-Vertrag nach langer Diskussion von allen Beteiligten unterschrieben. Das ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel. In der Region, in der ich den empirischen Teil für meine Diplomarbeit und meine Dissertation erarbeitet habe, an der Unteren Havel, realisieren wir zurzeit mit Unterstützung durch Bundesmittel in Höhe von 21 Millionen Euro ein großräumiges Renaturierungsprojekt. Dieses ist so gut vorbereitet worden, dass mittlerweile einzelne Landnutzer an den Projektleiter herantreten und sagen: Wir hätten noch dieses und jenes gerne miterledigt, zum Beispiel Altarme freigesetzt, Deiche zurückgenommen. – Hier zeigt sich, dass man, wenn man alle Beteiligten frühzeitig ins Boot holt, solche großräumigen Veränderungen, die in diesem Falle vor allem dem Naturschutz und der Landwirtschaft dienen, auf den Weg bringen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Investitionen, die mit 19 Milliarden Euro in den nächsten 30 Jahren angegeben sind, sind ganz erheblich. Sie stellen aber einen guten Ansatz dar. Wenn man die prioritären Maßnahmen mit etwa 3,5 Milliarden Euro beziffert, ist hier sicherlich der eine oder andere Punkt noch zu betrachten. Ich glaube, man kann viele Maßnahmen durch natürliche Sukzession laufen lassen, ohne umfangreiche Umsetzungsmittel einzusetzen. Kostenreduzierung ist also auch von daher notwendig. Ich will abschließend noch ein, zwei Sätze zum Tourismus sagen. Der Wassertourismus hat sich in den letzten Jahren hervorragend entwickelt. Wir setzen in jedem Jahr mehr als 4,5 Milliarden Euro in diesem Bereich um. Ich denke, dass das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ einen Beitrag dazu leisten kann, dass sich dieses Segment des Tourismus weiterentwickelt. Abschließend: Das Grüne Band, das einmal im Grenzraum zwischen den beiden deutschen Staaten entwickelt wurde, ist ein Erfolg geworden. Ich gehe davon aus und ich bin davon überzeugt: Wenn wir es richtig anpacken, dann wird das Blaue Band auch ein Erfolg. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bitte erlauben Sie mir heute ausnahmsweise, auch die Besucher aus meinem Wahlkreis ganz herzlich zu begrüßen, die mir heute hier zuhören. – Wir alle erinnern uns an die Bilder vom vergangenen Jahr aus Simbach am Inn, einem kleinen Städtchen in Niederbayern im Wahlkreis von Max Straubinger, das am 1. Juni letzten Jahres infolge heftiger Sturzfluten vom Hochwasser völlig zerstört wurde. Das Leid der Menschen, die ihr Hab und Gut oder, noch viel schlimmer, gar Familienmitglieder und Freunde verloren haben, ist unermesslich. Mein Heimatland Bayern hat damals sofort reagiert, unbürokratisch Hilfsgelder zugesagt und schnell ausgezahlt. Das war aber natürlich nur ein erster Schritt, um die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen. Mit dem Hochwasserschutzgesetz II wollen wir weiterhin zusätzlich zu den bereits bestehenden Hochwasserschutzgesetzen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Planungen für Genehmigung und Bau von Hochwasserschutzanlagen erleichtert und beschleunigt werden. Meine Damen und Herren, Hochwasserschutz ist wichtig, vielleicht wichtiger denn je; das steht außer Frage. Aber man sollte die Notwendigkeit von Geboten und von Verboten genau hinterfragen und abwägen und dann die Maßnahmen ergreifen, die für den präventiven Schutz des Eigentums vor Hochwasserschäden wirklich erforderlich sind. Wir in der Union nehmen den Schutz des Eigentums vor zu weit gehenden Eingriffen dabei sehr ernst, so auch beim Vorkaufsrecht der Länder für Grundstücke zum Hochwasserschutz, das von vielen Seiten, darunter auch der Landwirtschaft, stark kritisiert wurde; denn der Verkäufer weiß im Vorfeld nicht, ob ein Bundesland ein Grundstück dann auch kauft. Das sorgt für Verunsicherung und kann letztendlich auch Auswirkungen auf den Grundstückspreis haben. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass das Vorkaufsrecht nun auf die Flächenkulissen beschränkt ist, die für den Hochwasser- und Küstenschutz auch wirklich erforderlich sind. Im Zuge dessen fällt auch das ursprünglich geplante Vorkaufsrecht generell für Gewässerrandstreifen weg, und das ist gut so. Ich denke, dass wir damit eine gute und ausgewogene Lösung für alle gefunden haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei schweren Hochwasserereignissen, wie zum Beispiel letztes Jahr in Niederbayern, entstehen erhebliche Schäden an Häusern und Umwelt durch zerborstene Ölheizungen. Deswegen beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf ein generelles Verbot für die Neuerrichtung von Ölheizungen in Überschwemmungs- und Risikogebieten. Er sieht jedoch, lieber Kollege Träger, sehr eingeschränkt, sehr begrenzt Ausnahmen vor. Diese Ausnahmen sind durch Genehmigungs- und Anzeigepflichten eingegrenzt. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf haben wir im Gesetzgebungsverfahren eine Verbesserung erreicht und zusätzlich klargestellt – das ist ganz wichtig –, dass in diesen Ausnahmefällen die Anlagen hochwassersicher zu errichten sind. Auch das ist in unseren Augen eine ausgewogene Lösung, die wir hier erwirkt haben. Hochwasserangepasstes Bauen spielt beim Hochwasserschutz natürlich eine Rolle. Wir haben uns dafür starkgemacht, dass dabei in Risikogebieten zielgenau und auch wiederum mit Augenmaß vorgegangen wird. Dort, wo ein Bebauungsplan vorliegt, muss die Kommune den Hochwasserschutz bei der Planfeststellung berücksichtigen. Dort, wo kein Bebauungsplan vorliegt, sollen die Behörden vor Ort im Dialog mit den Betroffenen prüfen, ob und wenn ja welche Auflagen für das jeweilige Gebiet erforderlich sind. Dabei muss jede Auflage – das ist ebenfalls wichtig – ins Verhältnis zum möglichen Schaden gesetzt werden. Dies erweitert wiederum den Ermessensspielraum der Baubehörden vor Ort. Das ist auch gut so; denn die Behörden vor Ort kennen die örtlichen Gegebenheiten am besten und können letztendlich passgenaue Lösungen vor Ort finden. (Beifall bei der CDU/CSU) Schließlich haben wir festgelegt, dass Anforderungen an eine hochwasserangepasste Bauweise im Außenbereich nicht gelten, wenn diese technisch nicht möglich ist. Das ist beispielsweise bei Fahrsilos der Fall, da ein solches Silo durch eine Hochwasserschutzmaßnahme nicht mehr befahrbar wäre. Dies ist vor allem eine gute Nachricht an unsere Landwirte. Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass das Hochwasserschutzgesetz II einen guten Rahmen setzt und erlaubt, zielgenaue Maßnahmen mit Augenmaß vor Ort zu treffen, auf mögliche Hochwasser zu reagieren, ohne dabei zu überzogene Auflagen zu treffen und über das Ziel hinauszuschießen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 10 a zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12404, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10879 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12404 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 10 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/12204 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/11099, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Soziale und wirtschaftliche Lage von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen verbessern, Kulturförderung gerecht gestalten Drucksache 18/12373 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keine Widersprüche. Dann ist das so beschlossen. Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht überall auf der Welt ist die Freiheit von Kunst und Kultur eine Selbstverständlichkeit. Autoritäre Systeme fürchten den kritischen Blick vieler Künstlerinnen und Künstler und drangsalieren sie deswegen. Für eine demokratische und offene Gesellschaft ist die Förderung von kultureller Vielfalt daher ganz elementar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Gerade da gegenwärtig der konservative Ruf nach einer Leitkultur wieder lauter wird, ist es umso wichtiger, sich dem entgegenzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Autoritäre Ansagen haben in der Kultur nichts zu suchen. Kultur lebt von der Vermischung und vom Miteinander und nicht davon, dass man bestimmte Menschen im Namen einer Leitkultur ausschließt. Aber ich will hier nicht abstrakt über die Kultur reden, sondern ganz konkret über die Künstlerinnen und Künstler und die Kreativen in unserem Land. Sie geben Impulse und Denkanstöße, irritieren und inspirieren, verändern den Blick und bringen Prozesse, die stecken geblieben sind, wieder in Gang. Ohne dass sie es tun müssen, befeuern insbesondere die Kulturschaffenden in unserem Land den demokratischen Diskurs, den wir in unserer Gesellschaft brauchen, und das, obwohl die Arbeitsbedingungen für Kultur- und Kreativschaffende suboptimal, ja meistens sogar schlecht sind. Mangelnde soziale Absicherung, drohende Altersarmut, oft sehr geringe Einkünfte, manchmal unterhalb des Existenzminimums: Das sind Zustände, die vielen Kreativen täglich große Zukunftssorgen bereiten. Die Bundesregierung hat es versäumt, endlich Lösungsvorschläge zu machen, die zur Lebenssituation von Künstlerinnen und Künstlern und von Kreativen wirklich passen. Meine Damen und Herren, dass Sie es bei Ihrer satten Mehrheit zulassen, dass Kultur- und Kreativschaffende in den Sozialversicherungssystemen ganz oft durch das Raster fallen, lässt den Schluss zu: Das scheint Ihnen egal zu sein. Wir Grüne wollen diese Benachteiligung von Künstlerinnen und Künstlern und von Kreativen nicht länger hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb legen wir mit unserem Antrag ein Konzept mit Lösungen vor, die bei den Betroffenen wirklich ankommen. Drei zentrale Punkte möchte ich Ihnen nennen: Erstens. Selbstständige Kreative müssen sich freiwillig gegen Arbeitslosigkeit versichern können, und zwar mit einer Arbeitslosenversicherung, die für alle Selbstständigen unabhängig von ihrem Verdienst zugänglich und bezahlbar ist. Die bislang existierende Sonderregelung für kurz befristet Beschäftigte läuft bei Kulturleuten oft völlig ins Leere. Diese Regelung entspricht nicht ihrer Lebensrealität. Damit erhalten Sie offenkundig ein Konstrukt aufrecht, das die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer faktisch nicht erreicht. Darum hat meine Fraktion ein sinnvolles Konzept zu Beitrags- und Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung vorgelegt: vier Monate einzahlen, zwei Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ich sage Ihnen. Das würde vielen Kultur- und Kreativschaffenden direkt helfen und ihnen etwas bringen. Darum ist es sinnvoll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die Krankenversicherung muss für Selbstständige bezahlbar sein. Das heißt, eine Absenkung des Mindestbeitrags zur Krankenversicherung für Selbstständige auf das Niveau der sonst freiwillig Versicherten, auf eine Beitragshöhe von 150 Euro, auch für die Kultur- und Kreativschaffenden wäre eine sinnvolle Lösung. Drittens. Viele Künstlerinnen und Künstler sind perspektivisch von Altersarmut betroffen. Ohne Zugangsberechtigung zur Künstlersozialkasse oder zu einem Versorgungswerk fehlen in der Regel die finanziellen Mittel für die Altersvorsorge. Das kann so nicht sein. Deshalb wollen wir Grüne die Selbstständigen ihrem individuellen Einkommen entsprechend in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. Ebenso wollen wir eine Garantierente auch für die Kulturschaffenden, die über der Grundsicherung liegt. Meine Damen und Herren, Existenzängste sind keine gute Basis – für niemanden. Aber gerade für Menschen, die kreative Prozesse gestalten, sind sie Gift. Schutz und Förderung kultureller Vielfalt müssen deshalb mit Entlastung und Unterstützung der Kultur- und Kreativschaffenden einhergehen. Deshalb setzen wir uns mit unserem Antrag dafür ein, die Vergabe von Fördermitteln durch die BKM konsequent an faire Honorare und sozialverträgliche Rahmenbedingungen zu knüpfen, und zwar bei Festangestellten und Selbstständigen im Kultur- und Kreativbereich. Der Bund muss bei fairen Löhnen endlich mit gutem Beispiel vorangehen. Das ist längst überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dies gilt auch für den Bereich der Geschlechtergerechtigkeit. Die eine Sache ist hier die Verteilung von Geld, die andere die der Vielfalt der Perspektive in der Kunst. Dass der Kulturbetrieb ganz selbstverständlich weniger Frauen als Männer fördert, schmälert auch die Chancen der kulturellen Vielfalt. Bei öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen und geförderten Kulturprojekten muss die Gleichstellung von Frauen ein zentraler Punkt sein. Auch hier steht die Bundesregierung in der Verantwortung. Aber die Bundeskulturförderung sollte sich nicht nur an Förderkriterien wie den eben genannten messen lassen. Häufig sind die Förderentscheidungen der BKM schlicht nicht nachvollziehbar. Bei der Garnisonkirche Potsdam, beim Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“ oder beim Freiheits- und Einheitsdenkmal, dem Hin und Her hier, waren sie nicht nachvollziehbar. Meine Damen und Herren, die Förderung von Projekten unter der Formel „von nationaler Bedeutung“ darf nicht weiter vermeintlich staatlicher Willkür ausgesetzt sein. Verbindliche Regeln und klare Kriterien für eine transparente Förderpraxis sind daher dringend notwendig. Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Schluss mit brotloser Kunst! Zeit für soziale Absicherung für Künstlerinnen und Künstler und Kreative! Zeit für transparente Förderpraxis! Unser Antrag sagt, wie es gehen kann. Wir freuen uns über Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ute Bertram ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Ute Bertram (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute sprechen wir über den Kulturverhinderungsantrag der Grünen. (Lachen der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ja, meine Damen und Herren, das ist die Quintessenz des Antrags. Ich glaube Ihnen ja, dass Sie es gut mit der Kultur und den Künstlern meinen. Aber gut gemeint ist eben nicht immer automatisch auch gut gemacht. Kultur braucht Freiheit; da sind wir uns doch einig. Deshalb passt es nicht zusammen, wenn Sie fordern, die Kultur gerecht zu fördern. Was heißt denn „gerecht“? Soll Förderung über die gesamte Kulturlandschaft gewichtet werden? Ich sage Ihnen: Das funktioniert nicht. Nur dann, wenn Künstler, ganz gleich, ob ihre Kunst bildend, musisch, literarisch, darstellend oder was auch immer ist, ohne alle Grenzen arbeiten, können sie ihre volle Kreativität entfalten. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter dem Existenzminimum, oder was?) Ein enges Korsett von Kriterien zur Kulturförderung, wie Sie es vorbringen, schadet der Kultur und ihrer Entfaltungsmöglichkeit. Wenn Sie die Vergabe von Bundesfördermitteln an Kriterien wie „Migrationshintergrund“, „Beeinträchtigung oder Behinderung“ oder an eine Frauenquote knüpfen wollen, dann schaden Sie der freien Entfaltung der Kunst. So fordern Sie zum Beispiel eine feste Ausstellungsvergütung für Künstler. Was im ersten Moment gut klingt, nämlich jungen Künstlern ein Honorar für ihre Kunst zu geben – das hört sich in der Tat erst einmal gut an –, ist aber fatal; denn das wäre das Karriereende von jungen, aufstrebenden Künstlern. Kein Museum würde einem unbekannten Künstler noch eine Chance geben, seine Bilder auszustellen – (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Haben Sie mit ihnen geredet?) eine vertane Chance, wenn es darum geht, jungen Künstlern die Möglichkeit zu geben, sich einen Namen zu machen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben sich mit der Thematik überhaupt nicht auseinandergesetzt! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist das alte Totschlagargument!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kunst und Kultur lassen sich nicht messen, nicht quantifizieren. Ein Porträt ist nicht vergleichbar mit einem Lied, und ein Gedicht ist nicht vergleichbar mit einem Theaterstück. Genauso wenig sind die Kosten dafür miteinander vergleichbar. Um einen 90minütigen Film zu produzieren, braucht man deutlich mehr finanzielle Mittel als für das Schreiben eines Gedichts. Ist dadurch der Film mehr wert oder das Gedicht weniger wert? (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Wir sollen nicht die Werte bemessen!) Kunst und Kultur sind eben nicht nach einem Raster quantifizierbar, mit dem wir Fördergelder gerechter oder gleichmäßiger verteilen. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ist das eigentlich bei Häusern und Brücken auch so? – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben den Antrag nicht verstanden!) Die Haushaltspositionen für die Förderung der unterschiedlichen Kunstgattungen sind unterschiedlich; das ist keine Frage. Aber dadurch kommt keine normative Wertung zum Ausdruck, sondern allein der unterschiedliche Bedarf der verschiedenen Kultursparten. Das ist auch nicht nur im Bereich der Kultur so. Bei der Hochschulbildung gibt es einen unterschiedlichen finanziellen Bedarf in den verschiedenen Studiengängen. Die Ausbildung eines Arztes kostet mehr als die Ausbildung eines Betriebswirtschaftlers oder eines Juristen. Niemand käme auf die Idee, alle Studiengänge zukünftig gleichmäßig zu fördern. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es doch gar nicht verstanden! Darum geht es doch gar nicht!) – Hören Sie doch mal weiter zu! (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre zu!) Dieses Prinzip gilt auch hier im Bereich der Kulturförderung. Einen Film zu drehen, ist ungleich teurer, als ein Gedicht zu schreiben. (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Das sagten Sie schon!) Daher stellen wir für die Filmförderung auch mehr Geld zur Verfügung als für die Literaturförderprogramme. Hier möchte ich erwähnen, dass wir die Filmförderung für 2018 auf 150 Millionen Euro erhöhen. So viel gab es noch nie. Lassen Sie mich hinzufügen: 300 Millionen Euro für Bibliotheken und Museen, 84 Millionen Euro für den Denkmalschutz, 27 Millionen Euro für Theater und Musik. Die Kulturstiftung des Bundes erhält jedes Jahr 35 Millionen Euro für wichtige Projektarbeit. Liebe Kollegen von den Grünen, Sie weisen in Ihrem Antrag zu Recht darauf hin, dass durch den föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland die Kulturförderung in erster Linie Sache der Länder ist. Dem deutschen Staat, also dem Bund, den Ländern und den Gemeinden, ist die Kultur jährlich knapp 10 Milliarden Euro wert. Davon trägt der Bund gemäß der Kulturhoheit der Länder circa 13,6 Prozent für die Aufgaben von überregionaler und gesamtstaatlicher Bedeutung. Den Hauptanteil der Kulturförderung verantworten die Kommunen mit 45 Prozent, und das, obwohl die Länder eigentlich dafür verantwortlich sind. Deren Anteil liegt bei nur 43 Prozent. Wenn Sie ehrlich wären, dann müssten Sie die Politik der Großen Koalition loben. Noch keine Regierung zuvor hat so viel für die Förderung der Kultur bereitgestellt wie die derzeitige. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es einfach nicht verstanden! Es geht nicht um die quantitative Höhe! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Keine Regierung hat so viel für Rüstung ausgegeben!) – Hören Sie doch einmal zu. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das mache ich doch!) – Dann seien Sie bitte auch still. Schauen wir zurück ins Jahr 2005, ins letzte Jahr, in dem die Grünen im Bund Regierungsverantwortung getragen haben. Damals lag der Haushalt des BKM bei 950 Millionen Euro. Heute steht der Haushalt der BKM bei über 1,6 Milliarden Euro. Das ist ein Aufwuchs von über 70 Prozent. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Das können Sie nicht kleinreden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist ein Zuwachs, den es in keinem anderen Ressort jemals gegeben hat. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht!) Ein besonderer Dank gilt hier auch unserer Staatsministerin Monika Grütters und dem Finanzminister Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Dörmann [SPD]: Und unseren Haushältern!) Wenn es uns in unserem Land wirtschaftlich weiter so erfolgreich gehen wird, dann können wir in 2021 (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Mehr für die Kultur ausgeben!) vielleicht sogar eine Verdoppelung des Etats herbeiführen, im Gegensatz zu Ihrer Bilanz. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, so sieht eine aktive und erfolgreiche Kulturpolitik aus. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht gerecht! Darum geht es doch!) Wir bauen keine Luftschlösser mit unrealistischen Forderungen. Wir fördern Kultur real und pragmatisch. Lassen Sie mich auch noch einen Blick auf die Bundesländer werfen, in denen Sie von den Grünen mitregieren. Schauen wir einmal nach Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz oder in mein Bundesland Niedersachsen. Diese drei Länder bilden das Schlusslicht bei den Kulturausgaben mit 62, 68 und in Niedersachsen 71 Euro pro Kopf pro Jahr. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um die Höhe!) Nur zum Vergleich: Das Flächenland Sachsen beispielsweise gibt mehr als 164 Euro pro Bürger pro Jahr aus. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das ist die Wahrheit: Wo Sie regieren, kommen Sie mit der Kulturförderung nicht hinterher. Also machen Sie sich bitte keinen schlanken Fuß in den Ländern, wenn Sie auf der anderen Seite heute hier im Bund mehr Geld für Kultur fordern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um mehr Geld, Frau Bertram!) Mein Fazit ist: Wir haben viel getan bei der Förderung der Kultur. Und natürlich ist das nicht das Ende der Fahnenstange. Deshalb werden wir Ihren Antrag, der in die falsche Richtung geht, nicht mittragen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen nichts für die Gerechtigkeit! Genau das ist es! Darum geht es! Diese Haltung passt nicht!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat die Kollegin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Dank geht an die Grünen, dass wir heute aufgrund ihres Antrages die Gelegenheit haben, grundsätzlich über die Kulturförderung des Bundes zu debattieren. (Ute Bertram [CDU/CSU]: Das machen wir ständig!) Der Hauptstadtkulturvertrag ist letzte Woche unterzeichnet worden. Er bringt für die Kultur einen Aufwuchs. Das ist grundsätzlich erst einmal zu begrüßen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Wir kritisieren aber die fehlende Transparenz und die Nichteinbeziehung der Parlamente. Es geht hier um viel Geld und eine Vertragsdauer von zehn Jahren. Es kann doch nicht sein, dass die Parlamente nicht beteiligt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie in der Hauptstadt Berlin ist bei der Kulturförderung des Bundes immer von der „nationalen Bedeutung“ die Rede. Was genau das ist, ist nicht festgelegt. Es wird auch nicht verhandelt, sondern irgendwie nach Gefühl bestimmt. Schaut man sich die Überraschungen in den Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses an, kann man den Eindruck gewinnen, es ginge eher um die nationale Bedeutsamkeit einzelner Abgeordneter und ihrer Wahlkreise. Das Anliegen des Antrages, die Kulturförderung des Bundes transparenter zu gestalten und vor allem die in den Blick zu nehmen, die Kultur machen und Kunst schaffen, ist auch für uns Linke wichtig. Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zur Kulturförderung waren klar und deutlich: „Objektive und transparente Förderkriterien staatlicher Kulturfinanzierung“ schaffen, heißt es dort. Die Umsetzung steht jedoch zehn Jahre später immer noch aus. Auch eine Kulturentwicklungskonzeption wurde damals eingefordert. Diese soll natürlich nicht die künstlerische Entwicklung vorgeben. Es geht stattdessen darum, gemeinsam eine Idee zu entwickeln, wie wir zusammenleben wollen, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu definieren und daraus ganz konkrete Maßnahmen für die Kulturpolitik auf Bundesebene abzuleiten. Auch eine solche Konzeption würde zu mehr Transparenz führen. Das gälte erst recht, wenn man, wie die Linke schon seit langem fordert, ein Bundeskulturministerium einrichtete und das Kooperationsverbot endlich abschaffte. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Beides bedeutete keineswegs ein Ende der Kulturhoheit der Länder. Vielmehr würden lediglich die Zuständigkeiten gebündelt, die jetzt ohnehin schon auf Bundesebene liegen, jedoch über diverse Ressorts verteilt sind. Angesichts des gesellschaftlichen Wandels könnte es sogar ein Schlüsselministerium werden. Auch Förderprogramme auf Bundes- und Länderebene ließen sich so besser aufeinander abstimmen, und das vorhandene Geld könnte sinnvoller eingesetzt werden. Man könnte endlich das Zuwendungsrecht überarbeiten und die Antrags- und Abrechnungsmodalitäten bei Bundesförderprogrammen vereinfachen. Diese Aspekte aber fehlen uns Linken in dem vorliegenden Antrag. Einige Forderungen der Grünen halten wir für nicht sinnvoll. Das betrifft zum Beispiel die gerechte Verteilung der Fördermittel über die Sparten. Uns wäre eine bedarfsgerechte Förderung wichtiger. Theater haben nun einmal höhere Bedarfe als andere. Auch fehlt uns eine deutlichere Unterscheidung zwischen Künstlerinnen und Künstlern auf der einen Seite und der Kreativwirtschaft auf der anderen Seite. Bei einigen Punkten haben wir weiter gehende Vorschläge, Stichwort: solidarische Mindestrente. Die Künstlersozialkasse wollen wir nicht nur erhalten; hier muss auch der Bundeszuschuss erhöht werden, (Beifall bei der LINKEN) und es müssen Lösungen für die sogenannten hybriden Erwerbsformen gefunden werden, zum Beispiel durch eine Anpassung der Aufnahmekriterien oder der Grenzen für Zuverdienste aus abhängiger Arbeit. Die digitalen Plattformen müssen direkt an der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme beteiligt werden. Absolut richtig ist, dass diese Systeme endlich für die vielen Solo-Selbstständigen geöffnet werden müssen. (Beifall der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Auch der Bundesrat hat sich die Initiative der linken Sozialministerinnen von Thüringen und Brandenburg und der Berliner Senatorin für Gesundheit zu eigen gemacht und die Senkung der Beitragsbemessungsgrenzen gefordert. Auch beim freien Eintritt sollten wir vielleicht noch viel radikaler denken. Wir haben dazu selber ein Modellprojekt für eine einzelne Sparte, nämlich die Museen, angeregt. So könnte man Erfahrungen sammeln, wie es gelingt, durch freien Eintritt für alle und durch verstärkte Angebote der Vermittlung Zugangsbarrieren abzubauen. Vor kurzem sprachen wir hier über unseren Antrag zur Ausstellungsvergütung. Da mussten wir uns anhören, dass jeder frei in seiner Entscheidung ist, den schlecht bezahlten Beruf der Künstlerin oder des Künstlers zu wählen oder nicht. Ist das wirklich das Kulturverständnis der Union? Also, mein Kulturverständnis ist das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Für uns Linke muss staatliche Kulturförderung natürlich dafür Sorge tragen, dass Künstlerinnen und Künstler, dass Kreative von ihrer Arbeit leben können. Die Vergabe öffentlicher Gelder muss an die Einhaltung sozialer Mindeststandards gekoppelt werden. (Beifall bei der LINKEN) Geschlechtergerechtigkeit und Diversität gehören dazu, vor allem aber eine angemessene Vergütung. Dem entsprach ja auch das einhellige Votum der Sachverständigen im Ausschuss. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Den Handlungsbedarf belegen auch die vielen Initiativen von Künstlerinnen und Künstlern wie „art but fair“ oder des „ensemble-netzwerks“ im Theaterbereich. Der Bund hat hier eine Vorbildfunktion, und dieser muss er auch endlich gerecht werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann, SPD-Fraktion, das Wort zu seiner wahrscheinlich letzten kulturpolitischen Rede hier in diesem Hause. – Oder? (Beifall bei der SPD) Siegmund Ehrmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin, das werde ich mir vielleicht nach der Rede noch überlegen. – Zunächst einmal herzlichen Dank für den Antrag, den Sie eingebracht haben, weil er die Chance bietet, einige grundlegende Anmerkungen zu machen. Der Antrag enthält durchaus Erwägenswertes. Aber ich möchte gleichwohl einen Akzent hervorheben, den ich etwas schwach finde. Sie haben sich in sechs der neun Punkte mit Fragen der Kulturförderung auseinandergesetzt. Sie sprechen das Thema der Kulturwirtschaftsförderung an. Sie sprechen natürlich die Frage an, wie faire Einkommen generiert werden können und wie sich die soziale Sicherung darstellt, und gehen auf das Urheberrecht ein. Aber wenn Sie sich darauf konzentrieren, die Kriterien objektiver Kulturförderung zu definieren, wenn Sie sich darauf konzentrieren, zu definieren, was national bedeutsame Kulturprojekte sind, dann ist das ein Akzent, der zu kurz greift. Ich möchte das anhand eines Beispiels deutlich machen. Präsident Macron wurde am 12. Mai im Tagesspiegel zitiert. Es ging um die Frage, wie man bessere Zugänge und bessere Teilhabe organisieren könne. Er spricht das Beispiel der Bibliotheken an. Frankreich verfügt über 7 000 Bibliotheken, wir in Deutschland verfügen etwa über 9 200 öffentliche Bibliotheken. Macron verweist auf die Öffnungszeiten der Bibliotheken in Frankreich, die bei 40 Stunden in der Woche liegen; bei größeren Bibliotheken in unserem Land ist das ähnlich. Macron blickt auch auf Skandinavien und stellt fest: In Kopenhagen beispielsweise gibt es Bibliotheken mit einer Öffnungszeit von 90 Wochenstunden. Er stellt fest, dass die ungünstigen Öffnungszeiten für viele eine Zugangsbarriere darstellen. Die Frage: „Wie organisieren wir Teilhabe?“, ist schon ein wichtiges Thema. Jetzt komme ich auf das zu sprechen, worauf ich im Kern hinauswill. Der französische Präsident könnte aufgrund des zentralistisch organisierten Staats diese Idee – ich sage das etwas salopp – durchstellen. Damit ist das Ding – aus zentralstaatlicher Sicht – gelaufen. Wir im Deutschen Bundestag könnten uns allenfalls mit dem Arbeitszeitgesetz auseinandersetzen und darüber nachdenken, ob es Bibliothekarinnen und Bibliothekaren am Wochenende möglich sein sollte, zu arbeiten. Die konkrete Frage des Ob und des Wie ist eine Frage des Bibliotheksträgers, der Kommune oder des Landes. Das Beispiel zeigt, dass Bundeskulturpolitik in weiten Teilen nur durch Kooperation funktionieren kann. Natürlich hat der Bund originär eigene Zuständigkeiten. Jüngst haben wir uns mit dem Hauptstadtfinanzierungsvertrag beschäftigt, weil der Bund gemäß Artikel 22 des Grundgesetzes verpflichtet ist, diese Aufgabe zu übernehmen. (Beifall des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]) In Artikel 35 des Einigungsvertrages wird die besondere Verantwortung für die kulturelle Infrastruktur in Ostdeutschland hervorgehoben. (Beifall des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]) – Danke schön. – Wir haben die Verantwortung für die Deutsche Nationalbibliothek und für die Stasi-Unterlagen-Behörde. Es gibt auch Institutionen, gegenüber denen wir verpflichtet sind. Ich denke an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, an das Haus der Geschichte, an das Deutsche Historische Museum und, und, und. Das sind originäre Verantwortlichkeiten, hinter denen dann aber ausgedeutet wird, dass das Institutionen von gesamtstaatlicher Bedeutung sind. Neben all diesen Aktivitäten gibt es die Förderung von Projekten und Institutionen. Die Bundeskulturstiftung wurde genannt, aber auch die Fonds, die wir gebildet haben. Die Rahmenbedingungen sowohl der Bundeskulturstiftung wie auch der Fonds, jüngst des Musikfonds, haben wir deutlich verbessert. Die Institutionen arbeiten übrigens nach gewissen Kriterien. Ich bin vorhin wirklich erschrocken, als ich den Begriff „staatliche Willkür“ gehört habe. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das ist sehr scharf!) Ich finde, dieser Begriff ist wirklich schwierig. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vermeintlich!) Zum Begriff „Paternalismus“. Es gibt manchmal Ansätze, bei denen man sich durchaus fragt, was die Gründe sind. Aber gleichwohl: Die Institutionen, in denen Juryentscheidungen Standard sind, sind beispielgebend. Später werde ich eine entsprechende Schlussfolgerung ziehen. Kurzum: Der Bund hat eine Menge angeschoben, aber gelegentlich leiden manche Förder- und Investitionsprogramme Not. Grund ist auch eine mangelnde Abstimmung auf Länderebene. Da weiß die eine Hand manchmal nicht, was die andere tut. (Beifall des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]) Deshalb ist der kooperative Föderalismus auszubauen und zu stärken. Der Bund und die Länder müssen intensiver zusammenwirken. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel aus der Bundeskulturstiftung bringen, wo in der Vergangenheit eine intensive Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern wiederholt erfolgt ist. Ich denke, der „Tanzplan“ war nur möglich durch eine enge Kooperation zwischen Bund und Land, das Projekt „Agenten“ ebenfalls. Das fantastische Programm „TRAFO“ – es geht um ein Modellprojekt in gewissermaßen sich entsiedelnden Gebieten, Stichwort: demografischer Wandel – ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Bundeskulturstiftung mit ihren Möglichkeiten im Rahmen von Modellprojekten gewissermaßen Forschung für uns, für die Gesellschaft insgesamt leistet. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Enquete-Bericht, der von Kollegin Hupach eben angesprochen wurde. Er wurde vor zehn Jahren, 2007, vorgestellt. Ich empfehle allen, einen Blick hineinzuwerfen. Er enthält ein großes Kapitel zum Bereich Kultur und demografischer Wandel. Ich vermute, dass spätestens die Ergebnisse des Transformationsprojektes der Bundeskulturstiftung Bund und Länder veranlassen werden, gemeinsam über die Frage der kulturellen Infrastruktur und der kulturellen Angebote in der Fläche zu reden und dies als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen. Davon bin ich zutiefst überzeugt, und ich erwarte dies auch. Insofern gibt es, wie ich glaube, noch eine ganze Menge zu tun, um den Kulturförderalismus zu stärken, auszubauen und zu weiten sowie insbesondere mit konzeptbasierter Kulturförderung – seitens der SPD haben wir schon versucht, das in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln – Ernst zu machen; das heißt, wir müssen mit den Ländern gemeinsame Ziele, Projekte, Verfahren und Kriterien abstimmen, um die Wirkung der Kulturinvestitionen zu stärken und auf diese Art und Weise Teilhabe zu ermöglichen. Der Antragsteller spricht davon, Kulturförderung gerecht zu gestalten. Auf der einen Seite geht es dann dabei natürlich darum, wie wir mit den Künstlerinnen und Künstlern umgehen; das wird der Kollege Blienert nachher noch in seinen Ausführungen darlegen. Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, wie wir die Teilhabe der Menschen in unserem Land verbessern können. Das geht nur durch stärkere Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen. Dafür brauchen wir Instrumente, damit nicht zu viel parallel läuft. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und keine Leitkultur!) Das Programm „Kultur macht stark“ ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist – das wissen wir – eine Kunst, von der Kunst zu leben. Natürlich gibt es Maler, Bildhauer, Musiker, Schauspieler, die für ihre Auftritte und Werke hohe Gagen und Honorare bekommen; aber das sind die wenigsten. Die allermeisten Künstler leben eher schlecht als recht von ihrer Arbeit. Die Versicherten in der Künstlersozialkasse verdienen im Schnitt weniger als 1 500 Euro im Monat brutto. Kein Wunder also, dass viele Kreative die Kunst doch lieber nur als Hobby betreiben und sich für das ganz normale Überleben einen verlässlichen Brotberuf suchen. Aber natürlich lebt eine Kulturnation wie die unsere wesentlich von denen, die ihr ganzes berufliches Wirken in die Kunst investieren. Schaut man, wie es in anderen Ländern läuft, dann stellt man fest, dass wir ganz gut dastehen. Ein Konstrukt wie die Künstlersozialversicherung zum Beispiel ist weltweit einzigartig. Jetzt weiß ich natürlich, dass viele Unternehmer die KSK lieber heute als morgen abschaffen wollen. Aber ich sage auch: Es steht uns als Kulturnation gut zu Gesicht, dafür zu sorgen, dass unsere Künstler und Publizisten ordentlich renten-, kranken- und pflegeversichert sind. Das zeichnet uns in positiver Weise aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich kann man dieses gute System der sozialen Absicherung der Kreativen noch besser machen, allerdings mit Sicherheit nicht so, wie Sie das in dem vorliegenden Antrag vorschlagen. Ihre Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, scheitern schlicht und ergreifend an der Realität. Die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Sozialversicherung ist zwar hoch, grenzenlos hoch ist sie aber nicht. Jeder Zweig der Sozialversicherung – sei es die Arbeitslosen-, die Renten- oder die Krankenversicherung – ist ein fein ausbalanciertes System. Und an diesen Systemen wollen Sie tiefgreifende Änderungen vornehmen, sozusagen mit dem Vorschlaghammer, und das im Namen der Kunst. Das kann natürlich nicht gut gehen. Denn während Radikalität in der Kunst durchaus ihre Berechtigung hat, ist sie in einer vernünftigen Sozialpolitik fehl am Platz. Die sozialen Sicherungssysteme müssen ihre gesetzlich vorgesehene Funktion erfüllen; das ist klar. Genauso wichtig ist es aber, dass weder Arbeitgeber noch Beitragszahler oder künftige Generationen übermäßig belastet werden. Nicht umsonst hat Rot-Grün mit der Agenda 2010 zum Beispiel die Rahmenfrist in der Arbeitslosenversicherung auf zwei Jahre gesenkt, die Anwartschaftszeit aber bei zwölf Monaten belassen. Das hat Wirkung gezeigt: Seit fast fünf Jahren ist der Beitragssatz stabil. Und so bleibt den Beschäftigten schlicht und ergreifend mehr Netto vom Brutto. Die Lohnnebenkosten bleiben niedrig, ohne dass es dazu kommt, dass die Arbeitslosenversicherung ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen könnte. Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren natürlich verändert; das beschreiben Sie in Ihrem Antrag ganz korrekt, wenn auch etwas überspitzt. Es gibt tatsächlich eine Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse. Es gibt tatsächlich mehr Befristungen. Es gibt tatsächlich mehr Teilzeitbeschäftigungen und Jobwechsel. Da sind die Künstler und Kreativen vorne dabei. Aber all das verhindert trotzdem nicht, dass man beispielsweise in der Arbeitslosenversicherung innerhalb von 24 Monaten 12 Monate Anwartschaft erwerben kann. Das ist auch möglich, wenn man in Teilzeit oder befristet beschäftigt ist. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kurzzeitbefristet! Das wissen Sie!) Rahmenfrist und Anwartschaftszeit sind eben nicht beliebig gewählt. Sie garantieren die Stabilität der Versicherungssystematik. Wir dürfen das, was gut funktioniert, nicht einfach über den Haufen werfen. Wir sollten Änderungen genau an den Stellen beschließen, an denen wir das System zielgenau besser machen können. Natürlich gibt es besonders bei den Kulturschaffenden spezielle Erwerbsbiografien. Die Sonderregelung für überwiegend kurzfristig Beschäftigte beim ALG I zum Beispiel macht genau dort Ausnahmen, wo es strukturelle Nachteile für Künstler gibt, etwa bei Schauspielern, die immer wieder kurze Engagements haben. Sie haben einen Anspruch, wenn sie innerhalb von zwei Jahren sechs statt der sonst üblichen zwölf Monate Anwartschaftszeit erfüllen. Diese Sonderregelung haben wir bis 2018 verlängert. Es bleibt eine Aufgabe für die kommende Legislaturperiode, mit effektiven Instrumenten den Zugang der Kulturschaffenden zur Arbeitslosenversicherung zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir bleiben aber dabei: Wir machen nur dort Ausnahmen, wo es tatsächlich strukturelle und branchenspezifische Nachteile auszubessern gilt. Wir wollen eben nicht durch undifferenzierte Pauschalregelungen, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern, die Stabilität der ganzen Arbeitslosenversicherung gefährden. Gleiches gilt im Übrigen für die Renten- und die Krankenversicherung. Hier haben wir mit der Künstlersozialversicherung seit über 30 Jahren ein besonders gut funktionierendes Instrument, das freischaffenden Künstlern und Publizisten den Zugang zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung garantiert. Wir haben mit dem Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz zu Beginn der Legislaturperiode für ein wirklich stabiles finanzielles Fundament gesorgt und die Künstlersozialversicherung so zukunftsfest gemacht. 185 000 Kulturschaffende verlassen sich darauf. Wir werden auch weiterhin darauf setzen, die Risiken der speziellen Erwerbsbiografien von freien Künstlern und Publizisten so abzufedern. Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Sozialversicherung im Sinne der Kunst- und Kulturschaffenden gestärkt, sondern auch bei den Kriterien der Kulturförderung mehr Wert auf die soziale Dimension gelegt. Gerade bei der Novellierung des Filmförderungsgesetzes haben wir schon viele der Elemente, die Sie hier fordern, verankert. Zum Beispiel erhält die Filmförderungsanstalt eine neue Aufgabe. Sie soll darauf hinwirken, dass in der Filmwirtschaft eingesetztes Personal sozialverträglich beschäftigt wird. Ob und in welchem Maße die sozialen Standards dann tatsächlich eingehalten werden, wird man künftig im Förderbericht nachlesen können. Das wird auch eine wichtige Grundlage für die nächste Novellierung des Gesetzes sein. Wir nehmen aber auch jene in den Blick, die auf der anderen Seite der Leinwand sitzen, und das sind – vor allem wegen des demografischen Wandels – immer mehr alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen. Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen zum Beispiel wird der Zugang zu geförderten Filmen erleichtert. Als Bedingung für eine Förderung muss eine barrierefreie Fassung des Films künftig in den Kinos in geeigneter Weise zugänglich gemacht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sehen also: Die Kriterien sind auf eine vielfältige und sozialverträgliche Förderung ausgelegt. Sowohl bei der Kulturförderung als auch bei der Sozialversicherung haben wir in dieser Legislaturperiode einiges erreicht. Es bleiben auch noch Projekte für die nächste Legislaturperiode übrig. Überall kann man Gutes noch besser machen. Das werden wir mit Sicherheit auch tun. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Burkhard Blienert, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Grünen für den Antrag. Er bietet eine gute Gelegenheit, heute noch einmal Punkte aufzugreifen, über die wir in dieser Woche auch im Kulturausschuss diskutiert haben. Ich möchte gerne den ersten Satz des Antrages zitieren: „Kulturelle Vielfalt ist für eine offene Gesellschaft unverzichtbar …“. Wir haben in dieser Woche im Kulturausschuss über die Thesen der Initiative kulturelle Integration, die vorgestern der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, diskutiert. Anders als die ministeriell verordnete Leitkultur sind die 15 Thesen aus einem gesellschaftlichen Dialog von 28 Mitgliedern aus Zivilgesellschaft, Kultur und Politik heraus entstanden. Ihr Antrag korrespondiert quasi mit diesem grundsätzlichen Bedürfnis, über Kulturpolitik zu reden. Das Ziel der überparteilichen Initiative war es, aufzuzeigen, dass und wie das Zusammenwachsen einer heterogenen Gesellschaft und das Zusammenleben in einem pluralen Deutschland gelingen kann und welchen Beitrag Kultur dazu leisten kann. Kultur kann ein gesellschaftliches Bindemittel sein. Gerade in Umbruchzeiten vermag Kultur Orientierung zu geben und Identität zu stiften. Kulturelles Miteinander kann Neues und Bestehendes zusammenfügen und ein neues Wirgefühl entstehen lassen. Dieses integrative Potenzial von Kultur gilt es natürlich zu aktivieren. Investitionen in die Kultur sind also auch Investitionen in die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und damit auch in unsere Zukunft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine Gesellschaft muss ihren Künstlerinnen und Künstlern daher Wertschätzung entgegenbringen, wenn sie die kulturelle Vielfalt erhalten will. Vor diesem Hintergrund möchte ich den Antrag insgesamt bewerten. Er muss sich eben daran messen lassen, ob er uns in dieser Hinsicht auf parlamentarischer Ebene weiterbringt. Zweifellos steht in diesem Antrag viel Richtiges drin. Er enthält tatsächlich viele Schnittmengen zum kulturpolitischen Programm der SPD-Bundestagsfraktion. Er zeigt Handlungsbedarf hinsichtlich der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden auf. Aber letztendlich ist es doch eher ein Aufsummieren von Defiziten und Vorschlägen. Auf richtige Lösungen geht man nicht ein. Mein Kollege Siegmund Ehrmann hat eben schon auf ein grundsätzliches Problem hingewiesen. Ich möchte nun detailliert auf andere Dinge in Richtung sozialer und gesellschaftlicher Stellung von Kulturschaffenden eingehen. Die Freiheit der Kunst verstehe ich anders, als wir es eben gehört haben. Liebe Frau Bertram, so einengend Freiheit der Kunst zu verstehen, dass wir als Gesellschaft dafür sorgen müssen, dass Kunst- und Kreativschaffende ohne soziale Regeln bleiben, das geht nicht. Das ist auch nicht mein Begriff von Freiheit der Kunst und Kultur. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Da haben wir etwas Besseres verdient. Leider berücksichtigen Sie in Ihrem Antrag nicht, was in dieser Legislaturperiode schon alles passiert ist. Ich verweise auf die Künstlersozialkasse – meine Kollegin Freudenstein ist eben schon darauf eingegangen –, die wir in dieser Legislaturperiode gestärkt und zukunftsfest gemacht haben. Ich möchte auch erwähnen, dass wir mit dem Urhebervertragsrecht die Lage der Urheberinnen und Urheber in Deutschland verbessert haben. Die Novelle des Filmförderungsgesetzes war mit Sicherheit ein Meilenstein und hat wesentliche Grundlagen gelegt, damit wir auch zukünftig viel stärker die soziale Situation von Filmschaffenden verbessern können. In der nächsten Legislaturperiode werden wir unser Engagement fortsetzen und intensivieren müssen, allem voran geht es dabei um die Stärkung der Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung und einen verbesserten Zugang zum Arbeitslosengeld I für kurzfristig Beschäftigte. (Beifall bei der SPD) Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbsbiografien und die schwierigen Einkommensverhältnisse machen es freiberuflichen Kulturschaffenden zunehmend schwer, Risiken von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusorgen. Deshalb werden wir als SPD-Bundestagsfraktion Solo-Selbstständige möglichst umfassend in die verschiedenen Teile der gesetzlichen Sozialversicherung eingliedern und einbinden. Vor allem müssen wir die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit Künstlerinnen und Künstler ihren Lebensunterhalt durch eigenes Schaffen bestreiten können. Die Einführung des Mindestlohns in dieser Legislaturperiode war schon mal ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der SPD) Ich habe eingangs gesagt, dass wir unseren Künstlerinnen und Künstlern mehr Wertschätzung entgegenbringen müssen. Der Begriff der Wertschätzung beinhaltet zwei Aspekte, zum einen den Respekt, den man jemandem entgegenbringt, wenn man ihn oder seine Arbeit wertschätzt, und zum anderen den Wert, dem wir etwas beimessen, sei es der messbare, monetäre oder der nicht messbare, ideelle Wert. Unsere Künstlerinnen und Künstler, ihre Arbeit und der Beitrag, den sie für unsere Gesellschaft leisten, verdienen es, dass wir ihren Wert in dieser vollumfänglichen Form anerkennen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Vorlage auf Drucksache 18/12373 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/12085 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/12403 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung erhält jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth das Wort. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat sich in dieser Legislaturperiode das Ziel gesetzt, konkrete Verbesserungen des Tierwohls in der Breite zu erreichen. Dafür steht insbesondere auch die klare Botschaft der Tierwohlinitiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege zu mehr Tierwohl“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die Bundesminister Christian Schmidt im September 2014 gestartet hat. Die Bundesregierung hat mit ihren zahlreichen Aktivitäten auf dem Gebiet des Tierschutzes ein deutliches Signal gesetzt, wie wichtig ihr das in Artikel 20a Grundgesetz verankerte Staatsziel Tierschutz ist. Tiere müssen artgerecht gehalten werden. Wir müssen die Haltungsverfahren den Tieren anpassen – und eben nicht umgekehrt. Diesem hohen Anspruch müssen wir gerecht werden, und wir müssen entsprechende Rahmenbedingungen vorgeben. Wir sind allerdings überzeugt, dass Verbesserungen nach dem Prinzip der freiwilligen Verbindlichkeit vor allem auch im Dialog mit den betroffenen Tierhaltern zu erreichen sind. So hat die freiwillige Vereinbarung, die Bundesminister Christian Schmidt im Sommer 2015 mit der Geflügelwirtschaft geschlossen hat, dazu geführt, dass seit Sommer 2016 in deutschen Brütereien für deutsche Ställe keine Legehennenküken mehr schnabelkupiert werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt aber eben auch Handlungsfelder, bei denen dieser Weg nicht erfolgversprechend ist und der Weg des Ordnungsrechts beschritten werden muss. Das tun wir heute und hier im Rahmen eines Artikelgesetzes. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden deshalb konkrete Maßnahmen in Bezug auf die Pelztierhaltung in Deutschland ergriffen. Damit wird das Tierwohl erneut vorangebracht; denn die Haltungsbedingungen in deutschen Pelztierfarmen sind bislang nicht zufriedenstellend. Der Verordnungsgeber hatte 2006 Anforderungen an die Pelztierhaltung in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung festgelegt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass diese Anforderungen, deren Erfüllung tierschutzfachlich für die verhaltensgerechte Unterbringung von Pelztieren zwingend erforderlich ist, im Vollzug nicht durchgesetzt werden konnten und wurden. Es geht dabei unter anderem um mehr Platz, um mehr Bewegungsmöglichkeiten und auch um mehr Beschäftigung. Mit diesem Gesetzentwurf stellen wir nun sicher, dass künftig Pelztiere in Deutschland artgerecht gehalten werden. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja!) Dabei weiß ich einerseits, dass dies unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Pelzproduktion und auch aufgrund der Wettbewerbssituation mit anderen Ländern eine große Herausforderung ist, und ich kann auch nicht ausschließen, dass Betriebe unter diesen Rahmenbedingungen aus wirtschaftlichen Gründen die Pelztierhaltung aufgeben. Andererseits weiß ich aber auch, dass manche ein Verbot der Pelztierhaltung gefordert haben. Wir stehen aber nicht für Verbote; das ist nicht unser Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir stehen allerdings für eine artgerechte Tierhaltung, und deshalb regeln wir Anforderungen, die eine artgerechte Tierhaltung sicherstellen. Denn wer seinen Tieren diese Bedingungen bieten kann, der soll auch in Zukunft Pelztiere halten können. Zum Schlachten hochträchtiger Tiere. Mit diesem Gesetzentwurf wird ein wichtiger Schritt hin zu einer Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere getan, indem ein Verbot der Abgabe zur Schlachtung von Tieren – außer bei Ziegen und Schafen –, die sich im letzten Drittel der Trächtigkeit befinden, geregelt wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie? Jetzt doch ein Verbot?) Das ist aus Gründen des Tierschutzes und aufgrund unserer ethischen Überzeugungen geboten. Der Tierschutz ist ein Teil der gesellschaftlichen Werteordnung in Deutschland, und vor diesem Hintergrund wird auch eine Schlachtung von hochträchtigen Tieren von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Wir betreten dabei ein Stück weit Neuland, indem wir auch das ungeborene Tier vor Leiden und Schmerzen schützen. Auch damit wird die im Zuge der gesellschaftlichen Diskussion stattfindende Weiterentwicklung des Tierschutzes deutlich, und das trägt zur Gewährleistung eines ethischen Mindeststandards bei. Und das ist auch gut so. Wir stehen für einen wissenschaftlich basierten und ethisch gebotenen Tierschutz. Vom Abgabeverbot ausgenommen sind, wie gesagt, Ziegen und Schafe, da die Haltungsformen grundlegend anders sind als zum Beispiel bei Rindern und Schweinen. Ziegen und Schafe werden in Deutschland üblicherweise extensiv gehalten. Abläufe in der Tierhaltung sind insgesamt weniger standardisiert, weniger vorhersehbar und stärker von externen Faktoren, wie zum Beispiel der Witterung, aber auch dem Schutz vor Gefahren – ich nenne hier unter dem Stichwort „Herdenschutz“ ausdrücklich auch den Wolf –, abhängig. Insofern reicht der derzeitige Kenntnisstand noch nicht aus, um valide Rückschlüsse zur Durchführung und Praktikabilität verschiedener Methoden zur Trächtigkeitsuntersuchung in der Praxis sowie auf die Umsetzbarkeit von Managementmaßnahmen zur Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere ziehen zu können. Deshalb wird unser Haus zunächst entsprechende Untersuchungen veranlassen, damit wir zu einem späteren Zeitpunkt über die Einbeziehung von Schafen und Ziegen in diese Regelung entscheiden können. Weiter enthält der Gesetzentwurf eine Anpassung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, also des LFGB. Diese Änderung zielt darauf ab, die Bestimmungen des LFGB an die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft anzupassen und das Fettverfütterungsverbot in § 18 LFGB aufzuheben, das im Rahmen der Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionen mit BSE erlassen worden war. Dieses Verbot erging in der EU außer in Deutschland nur noch in Österreich. Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist im Rahmen einer erneuten Bewertung schon im Jahr 2012 zu dem Ergebnis gekommen, dass von der Verfütterung tierischer Fette an Wiederkäuer kein erhöhtes BSE-Risiko ausgeht. Es besteht deshalb seither keine sachliche Rechtfertigung mehr, dieses Verbot aufrechtzuerhalten. (Ute Vogt [SPD]: Nur eine ethische!) Vielmehr laufen wir bei der Aufrechterhaltung des Verbots Gefahr, dass Unternehmen Staatshaftungsansprüche geltend machen oder die Europäische Kommission gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten würde. Daher ist es folgerichtig, dieses Verbot nun wieder aufzuheben. Abschließend noch ein Wort zu dem mit diesem Gesetzentwurf verbundenen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog für Verstöße gegen das Lebensmittelhygienerecht zu erarbeiten. Die Bundesregierung hat den Wunsch der Fraktionen bereits aufgegriffen und in einem ersten Schritt auf der Verbraucherschutzministerkonferenz in Dresden am 27. und 28. April dieses Jahres zu diesem Thema berichtet. In den nun folgenden Diskussionen mit den Ländern wird sich die Bundesregierung selbstverständlich aktiv einbringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie herzlich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dr. Kirsten Tackmann hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! In der heutigen Debatte geht es um die Schlachtung hochträchtiger Tiere, die Pelztierhaltung und Futtermittelrisiken und damit um drei wirklich wichtige Themen. Dennoch möchte ich meine Redezeit nutzen, um unseren Blick zunächst auf ein anderes, aber auch wichtiges und sehr brisantes Thema zu lenken, weil uns das auf gar keinen Fall aus dem Blick geraten darf. Viele landwirtschaftliche Betriebe leben von der Substanz oder sind existenzgefährdet und fühlen sich ein wenig im Stich gelassen. Angesichts dieser Situation stellt aus meiner Sicht ein einfaches Weiter-so in der Agrarpolitik mit Korrekturen hier und da eben nur die Linderung von ein paar Symptomen dar. Als Tierärztin sage ich aber: Wer die ortsansässige Landwirtschaft wirklich will, der muss die Krankheit heilen. (Beifall bei der LINKEN) Leider geht es eben nicht nur um ein einzelnes krankes Organ. Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Bartmer, drückt das laut Agra-Europe so aus: Das derzeitige System muss auf den Prüfstand. – Er warnt vor falscher Gelassenheit und spricht sich für eine schonungslose Analyse und eine öffentliche Debatte aus. Recht hat er. Ja, wir müssen Landwirtschaft neu denken, ohne Richtiges über Bord zu werfen, aber natürlich gemeinsam mit den Betrieben, die wir als Verbündete brauchen. Aber sie brauchen uns auch als Gesetzgeber. (Beifall bei der LINKEN) Denn seien wir doch einmal ehrlich: Im Moment sitzen die Gewinner des Systems warm und trocken in den Konzernzentralen, während die Verlierer in den Ställen, auf Äckern und in Gewächshäusern für unsere Lebensgrundlage schuften und trotzdem ums Überleben kämpfen müssen. Ja, das ist ein krankes System, und das muss geheilt werden. (Beifall bei der LINKEN) Nun zu den drei Vorschlägen, die auf dem Tisch liegen: Immerhin soll nun die Schlachtung hochträchtiger Tiere endlich verboten werden, wobei ich glaube, dass sich viele darüber wundern, dass das überhaupt erlaubt war. Die Ausnahmen, zum Beispiel in Tierseuchensituationen, sind zwar im Grundsatz nachvollziehbar, aber natürlich erwarte ich, dass dann auch gesichert ist, dass Qualen für das ungeborene Leben verhindert werden. Ich sehe hier die Tierärzteschaft tatsächlich in einer besonderen Verantwortung. Dass Schafe und Ziegen zunächst von dem Verbot ausgenommen sind, finde ich nachvollziehbar, aber auch das ist kein Freibrief. Auch hier muss alles dafür getan werden, um die Schlachtung hochträchtiger Tiere tatsächlich zu vermeiden. (Beifall bei der LINKEN) Auch müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, in Zukunft ein Verbot zu ermöglichen. Zum Zweiten soll die Haltung von Pelztieren nicht verboten, aber unter Erlaubnisvorbehalt gestellt werden. Dahinter steht aus meiner Sicht die trügerische Hoffnung, dass sich die Pelztierhaltung angesichts der hohen Tierhaltungsauflagen nicht mehr rechnet und dann einfach aufgegeben wird. Im Gesetzentwurf steht, dass aktuell die Mehrheit der Pelztierfarmen nicht einmal die Mindestanforderungen von 2011 umsetzt. Dabei liegen doch die noch deutlich unter dem, was in den Richtlinien des BMELV für die Haltung von Säugetieren vorgesehen ist. Per Verordnung – das hat die Staatssekretärin schon gesagt – ist das offensichtlich nicht durchsetzbar. Deshalb soll es nun mit so einem schwächlichen Erlaubnisvorbehalt gerichtet werden, mit einer viel zu langen Übergangszeit von fünf Jahren und der übrigens völlig offenen Flanke, was die Konsequenzen sein werden, wenn die Weltmarktpreise wieder ansteigen. Hier stiehlt sich die Koalition aus meiner Sicht schlichtweg aus der Verantwortung. Mode kann aber doch niemals ein vernünftiger Grund sein, Wildtiere zu halten und zu töten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist doch weder mit dem Tierschutzgesetz noch mit dem Staatsziel Tierschutz vereinbar. Deswegen sagt die Linke ganz klar: Dieser Erlaubnisvorbehalt kann allenfalls ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung sein. Ein Ersatz für das von vielen zu Recht geforderte Verbot der Pelztierhaltung im Tierschutzgesetz ist es keinesfalls. (Beifall bei der LINKEN) Damit fährt die Koalition mit einer handbetriebenen Draisine und angezogener Handbremse einem längst abgefahrenen ICE hinterher. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Mit der dritten Neuregelung soll das seit der BSE-Krise bestehende Verbot der Verfütterung von tierischen Fetten an Wiederkäuer aufgehoben werden. Wissenschaftlich sei aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes kein erhöhtes BSE-Risiko für Menschen zu erwarten. Damit müssen diese Fette nicht mehr entsorgt und vernichtet werden, sondern können verfüttert werden. Dennoch bleiben mir zumindest Restzweifel bei der Verfütterung von Wiederkäuern an Wiederkäuer. Denn das sogenannte Kannibalismusverbot kann helfen, unbekannte Risiken zu minimieren. Wir haben doch bei der BSE erlebt, dass Dinge passieren, die die Wissenschaft nicht vorhergesagt hat. Diese Begrenztheit des Wissens muss uns aus meiner Sicht immer bewusst bleiben. Ich erwarte deswegen von den zuständigen Behörden und wissenschaftlichen Einrichtungen, dass sie dieses Restrisiko wirklich im Auge behalten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute Vogt. (Beifall bei der SPD) Ute Vogt (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ – das war das Motto meiner mündlichen Abiturprüfung, und, ehrlich gesagt, dieses Faust’sche Zitat kommt mir auch in den Sinn, wo ich jetzt am Redepult stehe. Ich bin sehr froh, dass wir es nach sehr langem Ringen und vollmundiger Ankündigung durch den Landwirtschaftsminister – ich glaube, schon vor fast zwei Jahren –, das Schlachten trächtiger Tiere endlich zu beenden, heute geschafft haben, einen Gesetzentwurf dazu vorzulegen. Ich bin auch froh, dass wir durch Regelungen zur Pelztierhaltung die Haltung von Pelztieren und insbesondere das Fortbestehen der heute noch existierenden Pelztierfarmen in Deutschland faktisch unmöglich machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist sicherlich ein Erfolg, über den wir froh sein können. Die zweite Seele in meiner Brust ist aber ziemlich traurig, wenn ich heute – das Ende dieser Legislaturperiode ist ja schon in Sichtweite – auf die Bilanz in Sachen Tierschutz schaue. Es ist richtig, Frau Staatssekretärin, dass Sie sich alle Mühe gegeben haben, alle möglichen Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Es gab Kommissionen, Grünbuchprozesse, Gutachten und Studien. Leider gab es nur ganz wenige praktische Konsequenzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben das, ehrlich gesagt, zu Beginn dieser Legislaturperiode im Koalitionsvertrag gemeinsam anders vereinbart. Ich will ganz offen sagen: Es ist nicht unbedingt ein Verschulden der Kolleginnen und Kollegen im Parlament, mit denen wir an vielen Stellen weiter gehende Beschlüsse gefasst haben. Indes hat das Ministerium seine Aufgaben schlicht nicht erledigt. Es hat die Arbeit verschleppt. (Beifall bei der SPD) Ich will Ihnen, um es transparenter zu machen, ein konkretes Beispiel nennen. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, ein Zertifizierungssystem für Tierhaltungssysteme in der Landwirtschaft einzuführen. Wir als Parlamentarier haben uns geeinigt; diese Einigung haben wir in den allerersten Wochen unserer Regierungszeit herbeigeführt. Dort sitzt der Kollege Priesmeier, der sogar erzählen könnte, dass es die gleiche Einigung schon in der letzten Großen Koalition gegeben hat. Am Dienstag dieser Woche hat sich das Ministerium, vertreten durch Herrn Staatssekretär Bleser, erdreistet, uns zu sagen, dass es jetzt tatsächlich gelingen würde, diese Verordnung so weit auf Papier zu bringen, dass man sie im September zum ersten Mal vorstellen könne. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss sagen, dass ich mich für das, was uns das Ministerium da vorgeführt hat, fremdschäme. (Beifall bei der SPD) Deshalb bin ich ein bisschen ratlos. Ich bin mir aber ganz sicher, dass wir dieses Thema auf jeden Fall auch zum Gegenstand von Wahlauseinandersetzungen machen müssen. Denn es kann nicht sein, dass wir Dinge vereinbaren, das Parlament sich einig ist und das Ministerium verbindlich vereinbarte Punkte nicht umsetzt bzw. verschleppt. Wir haben im Jahr 2002 das Grundgesetz geändert. In Artikel 20a heißt es nun: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere ... Diese Grundgesetzänderung hat damals – auch mit Ihren Stimmen – eine Zweidrittelmehrheit erhalten. Ich glaube, dass auch der Kollege Schmidt damals schon im Deutschen Bundestag war. Ich finde es wirklich bestürzend, dass es uns bis heute nicht einmal im Ansatz gelungen ist, die notwendigen tierschutzrechtlichen Veränderungen herbeizuführen, die es gebraucht hätte, um diesen Grundsatz, den wir damals in der rot-grünen Regierungszeit im Grundgesetz verankert haben, weiter mit Leben zu erfüllen. Ich bin zwar dankbar, dass der Gesetzentwurf überhaupt zustande gekommen ist. Ich muss Ihnen aber – das kann ich nicht verhehlen – leider sagen: Aus Tierschutzgründen brauchen wir dringend eine andere Bundesregierung. (Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Dann gebt euch mal Mühe!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier wurden eben Szenen einer Ehe aufgeführt. Natürlich hat die Kollegin Vogt recht: Es ist wirklich traurig, was hier in den letzten Jahren beim Thema Tierschutz zustande gebracht wurde. Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Ich hätte überhaupt nicht mehr damit gerechnet, dass Sie überhaupt noch ein Gesetz machen, das den Tierschutz zumindest in Nuancen verbessern wird. Dafür schon einmal meinen Respekt. Was lange währt, wird endlich schlecht. Das kann man, denke ich, als Überschrift für dieses Gesetz nehmen. Schon vor über zwei Jahren hat der Minister in der Presse angekündigt, er werde die Pelztierhaltung verbieten. Er hat dann einen Gesetzentwurf an die Presse lanciert. Die Union hat ihn daraufhin schnell wieder kassiert. Dabei herausgekommen ist nichts. Das ist wirklich bezeichnend für die gesamte Ära Schmidt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei war der Handlungsdruck doch riesig. Sie alle kennen doch die Bilder von den Nerzfarmen, wo die Tiere ohne Zugang zu Wasser, ohne ausreichend Platz und in engen Käfigen zusammengepfercht gehalten werden, nur damit sich irgendjemand eine Bommel an die Mütze hängen kann. Ich finde, das können wir unter ethischen Gesichtspunkten nicht weiter vertreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mich würde es sehr freuen, wenn dieser Gesetzentwurf tatsächlich ein Verbot der Pelztierhaltung enthalten würde. Aber das ist leider nicht der Fall. Er gießt lediglich – dies wurde bereits ausgeführt – das, was bisher schon in der Verordnung gefordert wurde, in Gesetzestext. Frau Staatssekretärin, das, was Sie hier aufgeschrieben haben, ist nicht artgerecht. Es ist ein bisschen weniger schrecklich. Im Jahre 2017 sollte „ein bisschen weniger schrecklich“ nicht unser Maßstab für den Tierschutz sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Alle Regelungen sind – das wurde schon ausgeführt – sehr alt. Trotzdem schreiben Sie in diesen Gesetzentwurf weiterhin Übergangsfristen hinein, die es erlauben, dass es das, was die Tierschutzverbände immer wieder in den Medien zeigen – die schrecklich kleinen Käfige, Tiere ohne Zugang zu Wasser –, weiterhin geben wird. Das ist das Versäumnis dieses Gesetzentwurfs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim Thema Pelz hätten Sie aus Verbrauchersicht ebenfalls regeln sollen, dass ich als Kundin, wenn ich eine Jacke kaufe, genau weiß, welche Art von Pelz oder tierischen Bestandteil ich kaufe. Als Verbraucher wird man im Laden verarscht. Es gibt Fantasiebezeichnungen wie Gubi oder Goyangi. Dass es sich hierbei um Hunde- bzw. Katzenfell handelt, weiß kein Mensch. Das möchte ich nicht an meiner Jacke haben. Erkennen kann ich es leider nicht. An dieser Stelle hätten mehr Transparenz und mehr Verbraucherschutz Ihnen gut zu Gesicht gestanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem wollen Sie endlich – auch das war vom Minister lange versprochen – das Verbot der Schlachtung trächtiger Tiere regeln. Das ist grundsätzlich gut. Ab einem gewissen Grad der Reifung verendet der Fötus qualvoll, wenn das Muttertier geschlachtet wird. Das kann niemand in diesem Haus wollen. Ich glaube, nicht einmal Herr Stier, der die Pelztierhaltung weiterhin unterstützt; das hat er durch sein Abstimmverhalten im Ausschuss klargemacht. Der gefundene Konsens ist erst einmal gut. Aber das, was Sie hier vorlegen, finde ich nicht wirklich gut gemacht. Sie haben Ausnahmeregelungen ins Gesetz geschrieben, die das gute Ziel des Gesetzentwurfs verwässern. Richtig ist, dass bei Ziegen und Schafen nicht leicht festzustellen ist, ob sie trächtig sind. Die Haltungssysteme sind anders als bei Rindern. Trotzdem muss man solche Probleme, wenn es sie gibt, lösen und darf sie nicht auf Kosten der Tiere ignorieren. Zum Schluss. Dieser Gesetzentwurf ist – das hat die SPD mehr oder weniger offen zugegeben – Teil eines ziemlich ekligen Deals. Bisher war es verboten, Kälbchen zu Kannibalen zu machen. Das heißt, ein Kälbchen, eigentlich ein vegetarisch lebendes Tier, darf nicht mit dem Fett der Artgenossen gefüttert werden. In Zukunft soll das erlaubt sein. Ich muss ehrlich sagen: Das ist nicht nur widerlich, unnatürlich und ethisch bedenklich. Vielmehr steckt mir noch der BSE-Schock in den Knochen. Das haben Sie alle wohl vergessen! Wir alle haben BSE, das durch solchen Kannibalismus bei Wiederkäuern entstanden ist, nicht kommen sehen. Nun sagt Ihnen das Bundesinstitut für Risikobewertung: BSE wird dadurch nicht ausgelöst. – Das ist sicherlich gut. Aber wissen wir denn, welche Tierseuchen es in Zukunft geben wird? Ich bin der Meinung, dass Kannibalismus bei Kälbchen nicht sein muss. Das ist klar abzulehnen. Deshalb erfährt dieser Gesetzentwurf durch uns keine Zustimmung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dieser Gesetzentwurf ist im Grunde genommen genauso wie Ihre Tierschutzpolitik in dieser Legislaturperiode: halbherzig, zu spät, zu wenig, schlecht gemacht. Gut, dass die Amtszeit von Christian Schmidt bald vorbei ist. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Thomas Mahlberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin – Das waren beeindruckende Reden, die ich bislang genossen habe. Frau Kollegin Vogt, anders als ich sind Sie kein Mitglied des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Ich habe das Gefühl, dass wir tatsächlich Meilensteine beim Tierschutz gesetzt haben. Der Tierschutz stand immer im Fokus der gemeinsamen Politik, die wir gemacht haben. (Ute Vogt [SPD]: Was? Gefühlt vielleicht!) Wir haben selbstverständlich einen Fahrplan verabredet. Wir haben als Ausschuss die nun zur Diskussion stehende Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, die ebenfalls einen Meilenstein für den Tierschutz darstellt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meilenstein nennen Sie das? Das ist ein Kieselstein!) Denken Sie daran, wenn Sie auf jemanden zeigen: Vier Finger zeigen immer auf Sie zurück. Ich persönlich habe das Gefühl, dass es Ihnen hier nicht darum ging, einen fachlichen Beitrag zu liefern. Wahrscheinlich haben Sie sich mit Ihrem Kanzlerkandidaten beraten. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!) Nach drei verlorenen Landtagswahlen bricht wohl etwas Panik aus. Jetzt wollen Sie wahrscheinlich einen Strategiewechsel vornehmen. Sie wissen, dass wir wirklich weitergekommen sind. Es ist schade, dass Sie das nicht herausstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will nicht alles wiederholen, was die Staatssekretärin eben gesagt hat. Sie hat in den Gesetzentwurf eingeführt, und ich kann das, was sie gesagt hat, nur unterstützen. Ich werde es gleich noch einmal zusammenfassen. Wir machen wirklich Fortschritte in Sachen Tierschutz. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber welche denn?) Frau Kollegin Maisch, Sie haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, über den ich staune. Er steht in einer Reihe mit Ihren wissenschaftlichen Expertisen, die Sie schon immer hier vorgelegt haben. Sie haben uns einmal gesagt, Sie hätten Glyphosat in der Muttermilch gefunden. Sie haben die ganze Republik verrückt gemacht. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das jetzt mit den trächtigen Tieren zu tun?) Wir haben dann festgestellt, dass die Versuchsansätze falsch waren und das Ergebnis Quatsch war. Dann haben Sie den Leuten gesagt, Glyphosat sei im Bier. Aber man hat festgestellt, dass man 1 000 Liter pro Tag trinken müsste, damit es schädliche Auswirkungen hätte. Alles Quatsch, was Sie gemacht haben. Jetzt legen Sie einen Entschließungsantrag vor, in dem Sie behaupten, es sei unüblich, dass Kälber tierische Fette aus der eigenen Art aufnehmen. Auch das stimmt nicht. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war bisher verboten!) Sind tierische Fette nicht auch in der Milch, die die Kälber von ihren Müttern bekommen? Das ist doch keine Form von Kannibalismus. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unfassbar!) Das verschweigen Sie den Leuten, weil es nicht in Ihre plakative Strategie passt. Natürlich stimmt es auch nicht, dass die Tiere plötzlich Rinderfett bekommen. Sie bekommen vielmehr ein ausgewogenes Futter. In diesem Futter ist selbstverständlich auch Milch. Herr Ostendorff als Bauer könnte das wahrscheinlich viel besser erklären als ich. Ich bin Kaufmann, aber ich weiß natürlich, dass Kälbermilch aus verschiedenen Bestandteilen besteht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum redet eigentlich Herr Stier nicht?) Selbstverständlich sind in dem Futter Bestandteile der Milch enthalten. (Zuruf des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir entnehmen der Milch bestimmte Bestandteile und fügen sie dem Futter zu. Insofern läuft auch dieser Vorwurf völlig ins Leere. Natürlich gibt es Leute, die das ethisch bedenklich finden. Aber wir haben eine fachliche Expertise vorliegen, und um die geht es. Es geht nicht darum, etwas neu zuzulassen oder neu einzuführen. Fette waren bei der Verfütterung immer zugelassen – bis zur BSE-Krise. Wie sagte jemand so schön: Als die Grünen mit den Birkenstockschuhen noch zu den AKW-Demos gegangen sind, gab es bereits die Verfütterung von Fetten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Rede!) Die wurde wegen der BSE-Krise verboten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Mahlberg, das ist jetzt gerade eine gute Stelle, um Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Ostendorff gestatten. Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ja, natürlich. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann leider nicht mit einer Frage dienen, aber schön, dass Sie gestatten, dass ich versuche, Ihren Horizont zu erhellen. Das kann manchmal helfen. Herr Mahlberg, hören Sie also zu. Es geht nicht darum, dass das Kalb die Milch der Mutter zu sich nimmt – das ist in der Biologie so vorgegeben, damit es wachsen und gedeihen kann. In diesem Antrag geht es darum – wenn Sie den Antrag gelesen hätten, hätten Sie das eigentlich auch verstehen können –, dass Rinderfette zukünftig wieder als Milchersatzstoff zugelassen werden. Es geht um Milchersatzstoffe, um die sogenannten Milchaustauscher, MAT abgekürzt. Das Verfüttern solcher Fette ist mit dem Ausbruch der BSE-Krise beendet worden, weil man sah, dass das Risiko, zu erkranken, steigt, wenn das Tier Futter, das aus Tieren der eigenen Art hergestellt wurde, erhält, man also Kannibalismus zulässt. Das ist die Erkenntnis aus der BSE-Krise gewesen. Deshalb hat man sich entschlossen, das zu beenden. Das waren nicht immer nur Bundesregierungen mit grüner Beteiligung; es gab auch in der Zeit unionsgeführter Regierungen eine große Übereinstimmung, Tieren kein Futter, das aus der eigenen Art hergestellt wurde, unterzujubeln, ohne dass sie es merken und ohne dass sie sich dafür oder dagegen entscheiden können. Das ist die Erkenntnis. Die hätten aber auch Sie gewinnen können. Ich hoffe, dass Sie das zur Kenntnis nehmen. Das wäre sehr schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ich nehme das gerne zur Kenntnis, aber, Herr Ostendorff, ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass natürlich arteigene Fette vom Kalb über die Muttermilch aufgenommen werden. Das verschweigen Sie in Ihrem Antrag. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es hier aber nicht!) Sie lassen einfach Fakten weg, und das ist der entscheidende Punkt. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Na selbstverständlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann eben nicht! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Muttermilch wird ersetzt!) Sie könnten den Kannibalismusvorwurf gar nicht aufrechterhalten, wenn Sie diesen Punkt hier mit anführen würden; aber Sie lassen ihn ja bewusst weg. Darin besteht die Fehlinformation, die Sie den Menschen geben. Wir haben Folgendes gemacht – ich finde, man sollte immer auch mit Fachleuten sprechen; auch deshalb reden wir über die erneute Zulassung dieser Fette –: Wir haben Expertisen von entsprechenden Instituten eingeholt, zum Beispiel vom BfR. Ich bin übrigens ganz überrascht, dass Sie dessen Expertise offensichtlich akzeptieren; denn sonst bekämpfen Sie das BfR eigentlich immer, wenn Sie hier am Rednerpult stehen. Aber anscheinend haben Sie mit der fachlichen Expertise in diesem Fall kein Problem. Das BfR sagt: Aus gesundheitlichen Gründen, aus Verbraucherschutzgründen wäre die Zulassung gar kein Problem mehr. – Deshalb bringen wir hier diesen Gesetzentwurf ein. Dieses Produkt wird in der Industrie auch gebraucht. Man braucht ja Fette, um die Milchaustauscher herzustellen. Die Alternative kennen Sie doch, Herr Ostendorff: Man kann auch Palmöl verwenden. Aber wie erklären Sie das den Leuten? Statt ressourcenschonend zu arbeiten, wie wir das hier tun, soll dann lieber Palmöl verwendet werden. Das kann doch auch nicht Ihre Strategie sein. Es ist also ein bisschen unverständlich, was Sie sagen. Wie gesagt, wir haben Fachleute dazu befragt. Wir haben einen kleinen Rundruf durchgeführt. Wir haben Professoren für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule in Hannover, der TU München und der FU Berlin befragt, und wir haben ihnen Ihre Vorschläge vorgelegt. Ich teile Ihnen einmal mit, was sie gesagt haben: „Unsinn hoch drei“, oder: „Völliger Quatsch“. Dieses Ergebnis ist da herausgekommen. Ich finde, es ist doch ein Grundprinzip unserer Arbeit hier – ich kann verstehen, dass Leute sagen, sie betrachteten das Ganze nur aus einem ethischen Blickwinkel –, wissenschaftsbasiert zu arbeiten. Wenn wir diese Expertisen vorliegen haben, dann ist es kein Quatsch, diese Fette wieder zuzulassen – andere haben es bereits gemacht; wir gehören zur Minderheit derjenigen, die es noch nicht getan haben –, sondern es ist einfach dem Ziel geschuldet, ressourcenschonend zu arbeiten und dem Stand der Wissenschaft entsprechend unsere Gesetze zu formulieren. Genau das tun wir an dieser Stelle, und das ist auch absolut richtig. (Beifall der Abg. Marlene Mortler [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch? Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ja, na klar; sonst haben wir gar keinen Dialog hier im Parlament. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es ist aber die letzte Zwischenfrage, die ich jetzt gestatte. – Bitte schön. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Natürlich könnte man fragen, ob es nicht eine Option wäre, den Kälbchen einfach Milch zu geben; aber so weit will ich hier gar nicht gehen. Sie haben eben gesagt, Sie hätten verschiedene Professoren nach einer fachlichen Bewertung unseres grünen Antrags gefragt und Sie hätten das Urteil bekommen, das Sie eben vorgetragen haben: Unsinn hoch drei. – Dürfte ich Sie bitten, die Quelle zu nennen, vielleicht sogar mit Namen! Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ja, das habe ich doch gerade gesagt. Wir haben das bei der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der TU München und der FU Berlin erfragt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie doch einmal die Professoren! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Namen!) – Wir haben selbstverständlich immer bei den Institutionsleitungen nachgefragt. Da ich Ihnen das hier vortrage, ist es zutreffend, dass wir das auch gemacht haben. Das ist jetzt kein Fake oder so etwas. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir auf den Faktencheck gespannt! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Einigen wir uns darauf, dass jetzt der Kollege Mahlberg das Wort hat. Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Wir haben hier einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mit viel Schmerzen!) – Bei uns nicht. Wenn ich es zusammenfassend noch einmal sagen darf: Es geht hier nicht nur um die Frage der Zulassung der Fette, sondern auch um andere Dinge. Wir haben das eben schon in den verschiedenen Redebeiträgen gehört. Ich finde, das ist wirklich ein guter Tag für den Tierschutz, weil wir erstens ein Pelztierhaltungsverbot mit einem entsprechenden Erlaubnisvorbehalt auf den Weg bringen, um Tierschutz auch in diesem Bereich sicherzustellen, weil wir zweitens dafür sorgen, dass hochträchtige Tiere nicht mehr geschlachtet werden, um unnötige Schmerzen und Leiden bei Föten zu vermeiden – für Schafe und Ziegen gibt es eine Ausnahme; wir haben das eben gehört; ich glaube, wir sind uns mit der Bundesregierung einig, dass in diesem Bereich weiter geforscht werden muss, damit wir auch hier zu praktikablen Lösungen kommen –, und weil wir drittens das Verbot aufheben, tierische Fette an Wiederkäuer zu verfüttern, da diese BSE-Schutzmaßnahme – da bin ich mit Ihnen, Herr Ostendorff, völlig einig – nach dem aktuellen Wissensstand absolut unbegründet ist. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, nach der schönen Diskussion, die wir jetzt hatten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt Christina Jantz-Herrmann für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Christina Jantz-Herrmann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir unsere Vorhaben, gegen Pelztierfarmen und gegen das Töten hochträchtiger Tiere vorzugehen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir geht es ähnlich wie Kollegin Maisch; auch ich habe in den letzten Monaten oft nicht daran geglaubt, dass wir in dieser Legislaturperiode tatsächlich diesen Gesetzentwurf vorliegen haben und beschließen werden; denn es ist bereits anderthalb Jahre her, dass wir uns in den Koalitionsfraktionen darauf verständigt haben, hier etwas zu unternehmen. Es ist ebenfalls anderthalb Jahre her, dass Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt dieses Vorhaben medienwirksam – wie so vieles – angekündigt hat. Doch es war ein zähes Ringen mit den Kollegen der Union – das zeigt die Dauer von anderthalb Jahren –, dieses Gesetzespaket in Form zu gießen. Dabei ist es wenig hilfreich für die Sache, wenn ein Minister trotz Ankündigung von seiner eigenen Fraktion bei dem Vorhaben blockiert wird. Er wird nicht nur von seinen Wirtschaftsfreunden blockiert, sondern – wir haben es zuletzt im Landwirtschaftsausschuss gesehen – sogar aus den eigenen Reihen: Ein Kollege aus der CDU, der eigentlich für den Tierschutz zuständig sein sollte, hat gegen das Gesetzespaket gestimmt. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der will auch weiter Fohlenbrennen!) Die SPD-Bundestagsfraktion – Sie sehen es, meine Damen und Herren – hat für dieses Vorhaben intensiv gekämpft; natürlich nicht, um Ehrenrettung des Ministers zu betreiben, sondern – ganz klar –, weil es einfach höchste Zeit war, die unhaltbaren Zustände in der Pelztierhaltung und bei der Schlachtung hochträchtiger Nutztiere zu beenden. (Beifall bei der SPD) Erstens wollen wir mit dem Gesetzentwurf verhindern, dass schmerzempfindliche Tierföten bei der Schlachtung des betäubten Muttertieres qualvoll – so ist es nämlich – verenden; denn Tierföten, wie zum Beispiel im Falle von Kälbern, können zumindest ab dem letzten Drittel der Trächtigkeit bei der Schlachtung des Muttertieres bis zu ihrem eigenen Tod Schmerzen und Leiden empfinden. Indem wir verbieten, dass hochträchtige Tiere überhaupt zum Schlachthof gebracht werden, wollen wir dieser Praxis nun einen Riegel vorschieben. Ausnahmen sollen nur gelten – das ist schon angesprochen worden –, wenn im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation eine Tötung geboten ist. Eine weitere Ausnahme, die wir – aus meiner Sicht: leider – machen müssen, umfasst Schafe und Ziegen. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Bundesregierung auffordern, in diesem Bereich weitere Untersuchungen anzustellen. Denn: Auch wenn es für die Ausnahme jetzt noch Gründe gibt, ist es doch unser Ziel, dass zukünftig auch Schafe und Ziegen in dieses Verbot einbezogen werden. (Beifall bei der SPD) Zweitens wollen wir den Pelztierfarmen in unserem Land endlich ein Ende setzen. Auch wenn es mein persönlicher Wunsch gewesen wäre: Wir können diese Farmen aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit leider nicht sofort schließen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ehrlichkeit!) Der Gesetzentwurf verbietet deshalb die Pelztierzüchtung, räumt aber ein, dass die Farmen befristet genehmigt werden, wenn sie hohe Ansprüche an eine artgerechte Tierhaltung erfüllen. Die Einführung und Einhaltung von solch hohen Tierschutzstandards in der Pelztierhaltung machen diese aber deutlich teurer und sicher auch unrentabel, sodass wir damit den aktuellen Geschäftsmodellen ein Ende setzen werden. (Beifall bei der SPD) Drittens müssen wir – ich sage: müssen – das Fettverfütterungsverbot bei Wiederkäuern, wie Rindern, aufheben. Es gibt leider keine wissenschaftliche Grundlage für ein Fortbestehen des Verbots. Ich persönlich finde das – ich habe es auch schon an anderer Stelle gesagt – ethisch besonders schwierig. Viertens streben wir mit dem Gesetzespaket eine weitere Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches an. Wir führen einen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog ein. Damit legen wir einen ersten Grundstein – ich sage bewusst: ersten Grundstein – für eine Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der staatlichen Kontrollen im Lebensmittelsektor. Sehr geehrte Damen und Herren, es ist bereits bei meiner Kollegin Ute Vogt angeklungen: Der Gesetzentwurf ist ohne Frage ein Kompromiss. Er ist aber der beste Kompromiss – das sage ich ganz offen –, den wir mit unserem Koalitionspartner erreichen konnten. Er ist auch ein Kompromiss zwischen dem Tierschutz und anderen Verfassungsgütern, insbesondere der Berufs- und Gewerbefreiheit. Hier sind dem Tierschutz – viele von uns sagen sicherlich: leider – Grenzen gesetzt. Nach der Güterabwägung dürfen wir Pelztierfarmen nicht direkt schließen, Übergangsfristen allerdings auch nicht beliebig kurz ansetzen. Es wäre rechtssicher ebenfalls nicht möglich, die Fettverfütterung an Wiederkäuer als einziges EU-Land weiterhin verboten zu lassen, wenn es keine wissenschaftlichen Belege gibt, dass aufgrund der Fettverfütterung ein erhöhtes BSE-Risiko für den Verbraucher entsteht. Selbstverständlich – Sie haben es an dieser Debatte schon gemerkt –: Regierungsverantwortung zu tragen, bedeutet immer auch, um Kompromisse zu ringen. Beim Tierschutz ist das Ringen mit der Union – unter uns gesagt – ein tägliches Tauziehen, zumal dann, wenn sich der Minister vor allem im Ankündigen versteht und seine Fraktion nicht immer mitzieht, sondern eher den Status quo erhalten will, egal wie belastend er für die Landwirte und Landwirtinnen, für die Tiere und für die Umwelt ist. Leider viel zu oft mussten wir Herrn Schmidt – auch das ist in dieser Debatte schon angeklungen – beim Tierschutz zum Jagen tragen. Viel zu sehr war der Minister auf sein Konzept der freiwilligen Verbindlichkeit fixiert. Kritische Zungen würden sein Handeln eher als organisierte Unverantwortung beschreiben. Meine Damen und Herren, nach zähem Ringen konnten wir zu einem Gesetzentwurf kommen, der den Tierschutz verbessert. Ich bitte Sie daher, unserem Gesetzentwurf und unserer Entschließung zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften. Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen nach § 31 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung vor. 1 Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12403, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/12085 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Einhaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12403 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12423. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesprogramm Kita- und Schulverpflegung – Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung sicherstellen Drucksachen 18/8611, 18/12178 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Carola Stauche, CDU/CSU-Fraktion. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Carola Stauche (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin, scheidend, und sehr verehrter Herr Präsident! – Gleich zwei Präsidenten sind hier oben; die Ehre hat man nicht immer. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute befassen wir uns wie schon in der letzten Legislaturperiode mit einem Antrag der Linksfraktion zu dem Thema „Kindergarten- und Schulverpflegung“. Sie entschuldigen bitte, dass ich „Kindergarten“ sage; ich komme aus dem Stammland Fröbels und halte das für die richtige Bezeichnung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Antrag, der uns hier vorliegt, ist fast derselbe wie das letzte Mal: wenig ausgewechselt, keine neuen Zahlen, (Karin Binder [DIE LINKE]: Keine neuen Zahlen? Sie haben den Antrag nicht gelesen!) keine neuen rechtlichen Geschichten. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das kennen wir von den Linken! Immer derselbe Mist!) Ich will kurz zusammenfassen, was hier gefordert wird. Hier wird gefordert: kostenloses Essen in Kindergarten und Schule, Verpflegung mit regionalen und saisonalen Ökolebensmitteln unter bundesweit einheitlichen Standards, die streng kontrolliert werden, ebenso Einhaltung arbeitsrechtlicher, tariflicher und sonstiger Bedingungen für die Beschäftigten. Und: Der Bund bezahlt es. (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja! Wer denn sonst?) Man könnte meinen: Das klingt nicht schlecht. (Zuruf von der LINKEN: Ist es auch nicht!) Doch beim genauen Hinsehen wird deutlich: Hier werden Dinge gefordert, die überzogen, unpraktikabel, teuer, gegenüber Bürgerinnen und Bürgern entmündigend sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und überdies nicht mit geltendem Verfassungsrecht vereinbar sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier wird eine Granate nach der anderen abgeschossen! – Karin Binder [DIE LINKE]: Wir sind der Gesetzgeber, Frau Stauche!) Bevor ich das weiter ausführe, will ich eines klarstellen: Sicherlich wollen wir alle, dass Kinder und Jugendliche sich gesund ernähren (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist ja schon mal gut!) und unter bestmöglichen Bedingungen aufwachsen. Wir alle wollen eine gerechte Welt, die für alle Menschen lebenswert ist. Doch teilweise unterscheiden wir uns in Bezug darauf, was wir konkret darunter verstehen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ganz grundsätzlich!) Noch mehr unterscheiden wir uns darin, wie wir unsere Ziele erreichen wollen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt ja fast philosophisch!) Die einen halten es immer und überall für die beste Lösung, einem Teil der Bevölkerung Geld wegzunehmen, um es dann mit der Gießkanne wieder auszuschütten – nach dem Motto: Viel hilft viel. – Wir von der Union stehen jedoch nicht nur für Vernunft und Augenmaß, sondern auch für Mündigkeit und Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Die armen Kinder!) Deshalb sehen wir den Antrag äußerst kritisch. Doch nun komme ich zu einigen Punkten des Antrags im Einzelnen. Extrem befremdlich ist für mich die Passage: Der Bund muss im Rahmen seiner grundgesetzlichen Fürsorgepflicht seine Verantwortung wahrnehmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Er soll eine angemessene Verpflegung in den Einrichtungen durch geeignete Rahmenbedingungen absichern. Kein Zweifel: Der Staat hat eine Fürsorgepflicht, besonders für Kinder und Jugendliche. Ob jedoch das kostenlose Essen in Kindergarten und Schule dazuzählt, zusätzlich zu den vielen anderen Sozialleistungen, kann bezweifelt werden. Ich möchte deutlich betonen: Der Staat übernimmt Verantwortung, übt seine Funktion auf verschiedensten Ebenen aus. Aber nicht alles ist Sache des Bundes. Bildungspolitik und Kinderbetreuung liegen in der Verantwortung der Länder und der Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ein Blick ins Grundgesetz!) Es ist auch nicht so, dass sich der Bund vor seiner finanziellen Verantwortung für die Kommunen drücken würde. Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen, dass der Bund Kommunen und Länder bereits finanziell entlastet hat und weiter entlastet. In der gesamten Legislaturperiode handelt es sich immerhin um 90 Milliarden Euro. (Zuruf der Abg. Katrin Kunert [DIE LINKE]) Doch ist zu beobachten, dass die Entlastung, die für die Kommunen gedacht ist, dort nicht immer vollumfänglich ankommt. Manche Länder verwenden das Geld anderweitig oder geben es zwar weiter, aber kürzen dafür an anderer Stelle. Die Umsetzung des vorliegenden Antrags würde, vorsichtig geschätzt, über 5 Milliarden Euro im Jahr kosten – ohne die Kosten für Neu-, Aus- und Umbau der entsprechenden Infrastruktur und für zusätzliches Personal. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Falsch gerechnet!) Natürlich sollte uns für die Kinder, die bekanntlich unsere Zukunft sind, nichts zu teuer sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach? – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?) Aber: Eine direkte Finanzierung von Kindergarten- und Schulverpflegung durch den Bund ist nicht möglich. (Karin Binder [DIE LINKE]: Warum?) Das lassen die föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland nicht zu. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen das Kooperationsverbot ja abschaffen! – Zuruf von der LINKEN: Ja, noch! Nicht mehr lange!) Die Länder wollen ihre Zuständigkeit auf diesem Gebiet bestimmt nicht abgeben, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie wollen doch nächste Woche sowieso das Grundgesetz ändern!) das heißt, es würde wieder einmal darauf hinauslaufen, dass der Bund zahlt und das Geld bei den Ländern versickert, ohne Nachweis, wofür sie es ausgeben haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die Länder haben zusätzliche Steuereinnahmen – das sollte man nicht vergessen –, auch die Kommunen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dann schaut einmal nach Thüringen!) Auf das bestehende Kooperationsverbot haben im Übrigen auch die Sachverständigen bei der Anhörung zu diesem Antrag im vergangenen Herbst hingewiesen. Hier kamen eine Reihe weiterer Punkte zur Sprache. Hinweisen möchte ich zum Beispiel darauf, dass einheitliche Lösungen für ganz unterschiedliche Herausforderungen nicht praktikabel sind. So gibt es allein schon deutliche Unterschiede bei der Verpflegung im Kindergarten und in der Schule: regionale Unterschiede, unterschiedliche Schulformen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterschiedliche Kinder!) Infrastrukturelle Gegebenheiten sind dabei überhaupt noch nicht berücksichtigt. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit kostenloses Schulessen überhaupt akzeptiert wird. Aktuell werden jeden Tag in Deutschland 4 bis 5 Millionen Essen ausgegeben. Ein nicht unbeträchtlicher Teil davon landet im Müll. (Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Frage ist: Warum?) Wird denn das Essen mehr wertgeschätzt, wenn es ganz und gar kostenlos ist? Oder sollen Schülerinnen und Schüler zum Aufessen gezwungen werden? Weiterhin wird in dem Antrag eine Zubereitung der Mahlzeiten in Kitas und Schulen gefordert. Dafür sind wohl kaum überall die entsprechenden baulichen Voraussetzungen gegeben. In den wenigsten Fällen wäre dies ohne großen Aufwand machbar. Es müssten noch einmal gewaltige Summen ausgegeben werden. Hinzu kommt noch, dass es in der Gastronomie ohnehin bereits einen Arbeitskräftemangel gibt. Woher sollen plötzlich Tausende Köche für die Schulküchen kommen? (Karin Binder [DIE LINKE]: Wenn ich sie anständig bezahle, Frau Stauche, dann krieg ich sie auch!) – Ja, dann sind sie aber auch nicht ausgebildet. Auf der anderen Seite haben zahlreiche Schulen schon jetzt einen erheblichen Investitionsstau. Ist in Anbetracht feuchter Wände und maroder Toiletten eine Schulküche das dringendste Problem, wenn es einen ordentlichen Caterer gibt? Ähnlich verhält es sich mit der Idee, Ernährungsbildung verpflichtend einzuführen. Mahlzeiten sollen mit den Kindern gemeinsam zubereitet werden. Das wäre natürlich ideal. Aber was sollen die Schulen eigentlich noch alles verbindlich leisten? (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele Schulen haben das schon sehr lange!) Zusätzlich zu den herkömmlichen Fächern, die jetzt schon in vielen Ländern nicht ordentlich abgedeckt werden, soll es auch noch Medienkunde, (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Medienbildung!) Nachhaltigkeit, Inklusion, soziale Kompetenz usw. geben. Das alles ist wichtig, aber wir müssen aufpassen, dass wir die Schulen nicht noch mehr mit verpflichtenden Aufgaben überfrachten. Stattdessen sollten wir Spielräume lassen für Initiativen vor Ort, Eigenverantwortung fördern und mit Rat und Tat zur Seite stehen. Hier ist der Bund bereits im Rahmen des neuen Bundeszentrums für Ernährung aktiv, zum Beispiel durch die Einrichtung des Nationalen Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule. Wir haben dazu einiges bei der letzten Ausschusssitzung gehört. Diese Einrichtung soll bereits bestehende Maßnahmen und Initiativen zum Kindergarten- und Schulessen koordinieren, Qualitätsstandards und Konzepte für Qualitätsnachweis bei den Caterern weiterentwickeln sowie alle Beteiligten für hochwertige Ernährung und den Stellenwert der Ernährungsbildung sensibilisieren. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die 20 Minuten Redezeit sind längst vorbei!) Des Weiteren hat der Bund die Vernetzungsstellen für Kindergarten- und Schulverpflegung seit 2008 mit 7,7 Millionen Euro gefördert und unterstützt seit einem Jahr deren Projektarbeiten mit jährlich 1 Million Euro. Aber grundsätzlich gilt auch hier: Die Ausstattung der Vernetzungsstellen Schulverpflegung in den Ländern ist und bleibt Ländersache. Zum Thema Finanzielles noch eine ganz generelle Anmerkung: Natürlich sollen Familien unterstützt werden, die es sich nicht leisten können, Kindergarten- und Schulessen zu finanzieren. Hier gibt es bereits gute Konzepte und Lösungen vor Ort. Aber wieso soll das Essen auch für Kinder kostenlos sein, deren Eltern sich das problemlos leisten können? Das ist für mich ein massiver Widerspruch zum Gerechtigkeitsgedanken, der immer wieder von der Linkspartei sehr strapaziert wird. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Stauche, Sie denken an die Redezeit? Carola Stauche (CDU/CSU): Meine Rede ist zu Ende, ich höre jetzt auf. – (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie haben die längste Redezeit überhaupt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist vermutlich – wie heute schon bei vielen – meine letzte Rede, da ich bei der Wahl zum 19. Bundestag nicht mehr kandidiere. Ich werde das Thema „Gesunde Ernährung und Kindergarten- und Schulverpflegung“ wie viele weitere Themen, mit denen ich mich in den letzten acht Jahren im Bundestag beschäftigt habe, zwar nicht mehr parlamentarisch bearbeiten. Aber ich kann Ihnen versichern: Ich werde als freier, verantwortungsbewusster und engagierter Bürger diese Themen weiter im Auge behalten und auch weiter begleiten. Vielen Dank an dieser Stelle all meinen Kollegen, die mich immer unterstützt haben, und natürlich auch meinen Mitarbeitern und sonstigen Helfern hier im Bundestag und im Ausschuss! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Liebe Kollegin Stauche, anlässlich Ihrer letzten Rede auch von meiner Seite aus herzlichen Dank. Wir alle möchten Ihnen danken. (Beifall) Jetzt kommen wir zu der Kollegin Karin Binder, die für die Fraktion Die Linke spricht. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Stauche, ja, Ihre Argumente waren mir leider schon vorher bekannt. Deshalb gestatten Sie mir, dass ich zu unserem Bundesprogramm „Kita- und Schulverpflegung“ die folgenden Anmerkungen mache. Ich glaube, jedes Kind in Deutschland wäre froh, wenn es im Laufe seines Schultages eine anständige Versorgung erhielte. (Beifall bei der LINKEN) Viele Kinder sitzen nämlich mit hungrigem Magen in der Schule. (Carola Stauche [CDU/CSU]: Wo sind die Eltern?) Da frage ich Sie, Frau Kollegin: Wie absolvieren diese Kinder ihren Schulalltag, und mit welchem Schulabschluss gehen diese Kinder dann von der Schule? Wir wissen, wir haben hier leider ein Problem: Eine viel zu große Zahl von Kindern erwirbt keinen Schulabschluss. Da verlieren wir als Gesellschaft wirklich eine Menge an Zukunftsperspektiven für alle. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben unseren Antrag vorher mit vielen Akteurinnen und Akteuren aus der Zivilgesellschaft reiflich beraten: Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften – der GEW, der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten – über das Thema der Bezahlung der Beschäftigten gesprochen, wir haben mit den Schülerinnen gesprochen, wir haben mit den Lehrern gesprochen, wir haben mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, deren Standards zumindest als Maßstab dienen sollten, gesprochen, wir haben mit dem Deutschen Netzwerk Schulverpflegung und den Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung gesprochen, mit Köchen und mit Caterern. Die meisten dieser Akteure stimmen uns zu und haben uns darin bestärkt, diesen Antrag auf den Weg zu bringen, (Beifall bei der LINKEN) und zwar nicht zum ersten Mal. Ich behaupte eines: Steter Tropfen höhlt den Stein. Viele Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss wissen, dass wir an dem Thema nicht mehr vorbeikommen. Die Qualität des Essens stimmt nicht. Deshalb geht vieles in den Müll, nicht, weil das Essen von jemandem bezahlt wurde; denn die Kinder wissen nicht, von wem. (Zuruf der Abg. Carola Stauche [CDU/CSU]) Liebe Frau Stauche, die Kinder, deren Eltern das Essen nicht bezahlen können, stehen an der Kasse und kriegen nichts, und das finden Sie in Ordnung. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Es gibt doch das Teilhabepaket! Natürlich!) – Die Gutscheine über 10 Euro pro Monat, die über das Bildungs- und Teilhabepaket ausgegeben werden, verursachen einen Verwaltungsaufwand, der immens ist. Was soll denn der Blödsinn? Sie alle wissen, dass Kita- und Schulverpflegung subventioniert wird, und zwar von so vielen Stellen, dass es im Prinzip gar nicht mehr überschaubar ist. Da macht es doch viel mehr Sinn, sie von einer Stelle aus über Steuermittel zu finanzieren, damit alle Menschen in Deutschland einen Beitrag leisten und damit alle Familien entlastet werden. Sie sind doch die Partei, die immer groß predigt, mehr für die Familien zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Aber hier sagen Sie, die Familien sollten selber zahlen. Das ist doch Quatsch. Ich will, dass alle Steuerzahler dazu beitragen, dass alle Kinder anständig versorgt sind, und zwar egal, welches Einkommen die Eltern haben. Kindergeld kriegen doch auch alle, da stört es doch auch niemanden. (Beifall bei der LINKEN) Aber bei der Kita- und Schulverpflegung sollen gerade die armen Kinder außen vor bleiben? Aus Ihren Vorstellungen werde ich nicht mehr schlau. Das ist Diskriminierung pur. Dann haben wir noch das Problem mit der Mehrwertsteuer. Wir hätten im Prinzip schon vor zehn Jahren darangehen können, die blöde Mehrwertsteuer auf Kita- und Schulverpflegung abzuschaffen. Aber nein, der Staat muss 19 Prozent Mehrwertsteuer einnehmen, ausgerechnet bei einer Versorgung, die im Prinzip uns allen zugutekommt. Unser Gesundheitssystem profitiert davon, das Sozialwesen profitiert davon. Die Kommunen und die Schulen profitieren davon, aber auch die Kinder und deren Familien. Alle profitieren davon, wenn wir diese blöde Mehrwertsteuer bei der Schulverpflegung abschaffen. (Beifall bei der LINKEN) Warum haben wir das noch nicht gemacht? Die CDU hat im Ausschuss mittlerweile sogar eingestanden, dass man darüber in der nächsten Legislaturperiode sprechen könnte. Warum haben wir es dann in dieser Legislaturperiode nicht schon gemacht? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Binder, zwei Kollegen hätten gerne eine Zwischenfrage an Sie gerichtet. Karin Binder (DIE LINKE): Aber gerne. Vizepräsident Johannes Singhammer: Wenn Sie das gestatten, dann fangen wir mit dem Kollegen Weiler an. Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU): Frau Kollegin Binder, durch Lautstärke wird Ihre Rede nicht besser. (Zuruf von der LINKEN: Doch! Die ist hervorragend!) Karin Binder (DIE LINKE): Ich will, dass mich alle hören. Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU): Ja, aber nicht alle Menschen sind gehörkrank, also zumindest ich nicht, obwohl ich nicht besonders gut höre. – Gut, aber das war nicht das Thema. (Zurufe von der LINKEN) Ich höre mir Ihre Argumente zwar an, aber ich weiß nicht, wie weit weg Sie von der Basis sind. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin seit 12 Jahren ehrenamtlicher Bürgermeister. Seit dieser Zeit trage ich die Verantwortung für einen Kindergarten mit 12 Mitarbeitern und fast 60 Kindern. Sie haben die Eltern angesprochen, die das Essen nicht bezahlen können. Ich sage Ihnen eines: Eltern, die das Essen nicht bezahlen können, bekommen das Essen vom Träger bzw. vom Landratsamt bezahlt. Es verhungert keiner im Kindergarten. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es ist doch keiner verhungert! Das wäre ja noch schöner! Darum geht es doch gar nicht!) Das ist das Erste. (Zuruf von der LINKEN: Sie haben nicht verstanden, worum es geht!) Zum Zweiten ist es so: Die Verantwortlichen von gut geführten Kindertageseinrichtungen oder Kindergärten legen, wie ich als Bürgermeister auch, Wert darauf, dass die Kindergärtnerinnen mit den Kindern zusammen das Essen vorbereiten. Ob das Essen geliefert wird, ob das Essen bezahlt wird, das spielt überhaupt keine Rolle. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es gibt doch nicht nur Dörfer in Deutschland! Es gibt auch große Städte!) Wir machen das. Und wenn ein Essen, wie bei uns, 1,85 Euro kostet, dann ist das keine Überforderung für die Eltern. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dann weiß ich, was die Köche verdienen bei 1,85 Euro!) Zur Situation im Bundesland Thüringen, aus dem ich komme. Unsere Landesregierung jetzt hat beschlossen, dass ab 2018 das letzte Kindergartenjahr kostenlos ist. Im letzten Kindergartenjahr brauchen die Eltern also nichts mehr zu zahlen. (Beifall bei der LINKEN) – Moment. Ich gebe Ihnen recht: Das ist eine gute Sache. Aber das Land wird, wie in der Vergangenheit auch, dafür nicht aufkommen. Wer muss dafür aufkommen? Das sind die Kommunen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das ist gelogen!) Wir als Kommunen müssen das bezahlen. Das heißt, wir können nicht mehr in Kindergärten investieren, weil wir die Personalkosten vom Land nicht mehr erstattet bekommen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Es geht ums Essen!) Es ist ja schön, wenn Sie all diese Dinge beschließen, aber dann muss ich auch so konsequent sein und den Kommunen das Geld geben, das ihnen zusteht. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch schon lange nicht mehr zum Thema!) Das ist die Fehlleistung, die gerade von links kommt. Wir haben in Thüringen einen linken Ministerpräsidenten. (Beifall bei der LINKEN) Im Bereich Bildung gibt es ein Defizit. Es gibt 500 offene Lehrerstellen, die nicht besetzt werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Schulverpflegung!) Es gibt offene Stellen in den Kitas. Es werden immer wieder gute Vorschläge gemacht, aber es wird nicht gesagt, wie sie gegenfinanziert werden sollen. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt hier Wahlkampf?) Wir mussten mehr Personal einstellen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Weiler. Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU): Und da frage ich mich – – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Weiler, die Redezeit ist für eine Frage oder Anmerkung überschaubar. Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU): Ja, Sie haben recht, Herr Präsident. – Ich frage Sie: Legen Sie die Vorschläge, die Sie hier machen, auch in Thüringen vor? Dann bitten Sie dort den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, dass er den Kommunen endlich das Geld gibt, das den Kommunen zusteht; immerhin hat die Wirtschaft letztes Jahr 600 Millionen Euro und dieses Jahr 280 Millionen Euro erbracht. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: So, wir müssen jetzt zur Beantwortung dieser Frage kommen. Jetzt hat zunächst die Kollegin Binder das Wort. Dann kommt der Kollege Schipanski. – Ich sehe gerade, er verzichtet. Dann hat sich noch Kollege Lenkert zu einer Kurzintervention gemeldet. Frau Kollegin Binder, Sie haben zuerst das Wort. Karin Binder (DIE LINKE): Herr Kollege, Sie haben in Ihrem Beitrag gerade die beste Begründung geliefert, warum der Bund hier in die Finanzierung einsteigen muss: (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der ist überhaupt nicht zuständig!) weil die Kommunen zu wenig Geld haben und weil die Länder das nicht leisten können. Wir haben als Lösung ein gutes Rechenmodell vorgelegt: drei Viertel zu ein Viertel. Drei Viertel sollte der Bund übernehmen, der der Hauptnutznießer dieses Programmes wäre. Mit 4,50 Euro pro Kind und Tag würde der Bund für die Gestehungskosten aufkommen. Die Kommunen, die Länder, die Schulträger würden mit circa 1,50 Euro belastet für all das, was an Infrastruktur dranhängt. Sie hätten also eine hervorragende Lösung, um den Ländern und Kommunen die Versorgung der Kinder zu ermöglichen – mit unserem Programm. Ich frage Sie: Was stimmt daran nicht? (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Alles!) Mit dem unsinnigen Vorurteil, was nichts kostet, ist nichts wert, möchte ich wirklich einmal aufräumen. Wie viele Kinder wissen denn überhaupt, ob oder was ihre Eltern bezahlt haben? Die stehen doch nicht mit dem Geldbeutel an der Kasse, bezahlen ihr Essen und wissen dann, wie viel es wert ist. Die meisten Kinder sind froh über jeden Apfel, über jede Milch, die sie in der Schule kostenfrei über das EU-Schulobstprogramm bekommen. Dieselben Kinder sollen es nicht zu schätzen wissen, wenn sie ein anständiges, qualitativ hochwertiges Mittagessen bekommen, an dem sie möglicherweise sogar selbst beteiligt waren, zum Beispiel bei der Menüauswahl oder der Aufstellung des Programms? All diese Punkte sprechen dafür, dass wir als Gesellschaft dafür aufkommen, um Kommunen, Länder, Eltern zu entlasten, und dafür sorgen, dass ganz viele Kinder, die heute durch den Rost fallen, eine Zukunftsperspektive haben. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb kann ich nur sagen: Springen Sie über Ihren Schatten, und stimmen Sie unserem Antrag zu. Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Lenkert hat jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte hier ein paar Äußerungen klarstellen und dem Kollegen Weiler empfehlen, sich das Gesetz, das in dieser Woche in Thüringen beschlossen worden ist, anzusehen. Den Eltern werden die Kitagebühren für das letzte Kindergartenjahr erstattet – das ist richtig –, und zwar vom Land. Im Gesetz steht ausdrücklich: Das übernimmt das Land. Das Land stellt den Kommunen für die Finanzierung 29 Millionen Euro bereit. (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Woher kommt denn das Geld, Herr Lenkert?) Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Hier wurde festgestellt, dass es in Thüringen zu wenig Lehrerinnen und Lehrer gibt. Ja, das ist richtig. Nach 24 Jahren CDU-Landesregierung haben wir nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Oh! In Bayern stehen Tausende zur Einstellung bereit!) In der Wahlperiode von 2009 bis 2014, CDU-geführte Landesregierung, gingen in Thüringen etwa 3 000 Lehrerinnen und Lehrer in Pension. Eingestellt wurden 1 250. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, weil die Kinderzahlen zurückgingen, Herr Lenkert! Das ist Realität!) Das ist die Realität von Thüringen gewesen. Die neue Landesregierung hat bis heute 250 Lehrerinnen und Lehrer mehr eingestellt, als Sie in der gesamten letzten Wahlperiode, nämlich fast 1 500. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, weil wir mehr Kinder haben!) Das heißt, wir haben Ihren Rückstand aufgeholt. Wir arbeiten daran, aber wir haben es noch nicht geschafft. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie schaffen es nicht! Genau! Sie schaffen es nicht!) Noch kurz zu den Ausführungen der Kollegin Stauche. Die CDU hat die Schulsanierung in Thüringen sträflich vernachlässigt. Es kam zu einem Sanierungsstau. Ihnen war die Schulsanierung nicht einmal 50 Millionen Euro in vier Jahren wert. Wir haben jetzt ein Programm mit 250 Millionen Euro aufgelegt. Das ist verantwortungsvolle Politik. Wir machen es anders als die CDU, die hier im Bundestag erzählt, die Länder hätten zu viel Geld, weswegen sie es kürzen will, aber in Thüringen schreit: Wir haben nicht genug Geld. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine Pflugradt für die SPD. (Beifall bei der SPD) Jeannine Pflugradt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einer hochwertigen Verpflegung in Kita und Schule stimmen wir als SPD-Bundestagsfraktion selbstverständlich zu. Die Forderung der Partei Die Linke nach einer unentgeltlichen Kita- und Schulverpflegung halten wir allerdings für unangemessen. (Karin Binder [DIE LINKE]: Schade!) Warum sollte der Bund sämtliche Kosten für alle Kinder übernehmen? Dass wir diejenigen Eltern und Kinder unterstützen, die sich tatsächlich keine Schulverpflegung leisten können, ist unbestritten. Das ist Teil unseres Systems, und das ist auch gut so. Eine Gegenleistung in Form einer Bezahlung zu erbringen, hat für mich etwas mit Wertschätzung zu tun. Gute und hochwertige Schulverpflegung hat einen Preis, und der sollte für alle Eltern – ich betone: für alle Eltern – bezahlbar sein. Natürlich sind wir, die SPD-Bundestagsfraktion, für eine ausgewogene sowie hochwertige Essensversorgung in Kitas und Schulen, an der jedes Kind teilnehmen kann. Deshalb sollten wir unbedingt gemeinsam eine Lösung suchen, wie der Bund die Länder und Kommunen finanziell unterstützen kann. Denn leider besteht noch immer – das brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen; aber ich weise immer, wenn ich hier stehe, darauf hin – das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich. Ich hoffe, dass es nicht mehr lange bestehen wird. Wir als SPD-Bundestagsfraktion kämpfen dafür, dass es aufgehoben wird. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!) – Das ist nicht falsch, sondern das ist gut. – Wir haben bereits einen Fuß in der Tür. In der nächsten Sitzungswoche werden wir das hoffentlich beschließen. Der Bund engagiert sich dort, wo es ihm laut Grundgesetz erlaubt ist. Seit 2008 unterstützt er die Schulvernetzungsstellen in den Ländern mit über 7,7 Millionen Euro. Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung hier auch in Zukunft gerecht werden und ihre Vernetzungsstellen weiterhin finanzieren. Jüngst hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Bundeszentrum für Ernährung eingerichtet. Das Nationale Qualitätszentrum für gesunde Ernährung in Kita und Schule ist ein Organisationsteil davon. Es arbeitet eng mit den Vernetzungsstellen zusammen. Das Nationale Qualitätszentrum entwickelt gerade unter anderem Standards für die Qualität des Essens für unsere Kinder in Kitas und Schulen. Dabei arbeitet es eng mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zusammen. Das unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich. Auch wir sind dafür, endlich verbindliche statt freiwillige Qualitätsstandards für Schulcaterer und für das Essen in Kita und Schule einzuführen. Denn wie es mit der Freiwilligkeit ist, das wissen wir doch alle. In Berlin und im Saarland sind entsprechende Standards seit Jahren eine Voraussetzung in den Rahmenverträgen für Caterer. Sie gehen also mit gutem Beispiel voran. Dort dürfen nur Caterer Essen an Kitas und Schulen ausliefern, die das Siegel der Deutschen Gesellschaft für Ernährung tragen. Daran sollten sich, denke ich, alle Bundesländer orientieren. Wir dürfen in der Diskussion aber auch nicht vergessen, dass die Bundesländer oder Kommunen selbst die Verantwortung tragen, den Kindern in Kitas und Schulen gutes Essen zu ermöglichen. Doch ob wir in jeder Schule eine Lernküche benötigen – die Einrichtung solcher Küchen wird im Antrag gefordert – und uns diese auch leisten können, das bezweifle ich. Ob alle anderen allgemeinbildenden Fächer, die die Schule während einer Schulwoche anbietet, der richtige Lernort für das Kochen sind, bezweifle ich ebenso. So wie ich die Bundesländer bei der Qualität in der Pflicht sehe, sollten wir den Eltern die Verantwortung überlassen, gemeinsam mit ihren Kindern zu kochen, ihnen aufzuzeigen, aus welchen Bestandteilen Gerichte bestehen, oder gemeinsam mit ihnen einkaufen zu gehen, auch wenn das manchmal schwer fällt und sehr nervig ist. Da spreche ich aus eigener Erfahrung; das können Sie mir glauben. Wir können und sollten den Eltern nicht jegliche Verantwortung abnehmen. (Beifall der Abg. Rita Stockhofe [CDU/CSU]) Ernährungsbildung und -aufklärung halte ich für ausgesprochen wichtig. Doch für ein eigenes Schulfach, so meine ich, reicht das nicht. Es kann sehr gut in den höheren Klassenstufen in den Sozialkundeunterricht integriert werden. In der Grundschule könnte ich mir ein Fach Schulgarten vorstellen. Die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern werden das noch kennen. Auch ich hatte als Kind dieses Schulfach. Es hat mir Spaß gemacht, und zu meinem Schaden war es nicht; das denke ich jedenfalls. Selbst tätig sein, lernen, wie etwas angepflanzt wird, gepflegt werden muss und geerntet wird, das ist, denke ich, wichtig. Kinder lernen, unsere Lebensmittel auch mehr wertzuschätzen, wenn sie wissen, wie viel Arbeit und Mühe es macht, bis etwas auf dem Teller liegt und gegessen werden kann. Des Weiteren stimmen wir für eine Mehrwertsteuerbefreiung oder zumindest für eine Absenkung des Steuersatzes auf 7 Prozent für Kita- und Schulverpflegung. (Beifall bei der SPD) Hundefutter zum Beispiel ist nur mit 7 Prozent besteuert. Nichts gegen Tiere – ich selbst bin Hundebesitzerin –, aber sind Tiere mehr wert als unsere Kinder? Diese Frage stelle ich ganz provokativ in Richtung des Finanzministers Herrn Schäuble. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatte gerade erst wieder angekündigt, dies in der nächsten Legislaturperiode erreichen zu wollen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen immer alles in der nächsten Legislaturperiode erreichen!) Darauf bin ich sehr gespannt. Ich wünsche allen Beteiligten schon jetzt viel Erfolg. Den Antrag der Linken finde ich überzogen, und zwar für alle Beteiligten. Die Forderung nach der frischen Zubereitung von Mahlzeiten an jeder Schule bedeutet, dass jede Schule eine Köchin oder einen Koch sowie Küchenhilfen benötigt. Eine Küche, in der man frisch zubereiten kann, benötigt frische Produkte, die täglich angeliefert werden müssen. Diese Bedingungen erfüllen nicht einmal die Kantinen hier im Bundestag. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!) Wie soll das mit 4,50 Euro pro Kind pro Tag bezahlt und logistisch umgesetzt werden? Aber nicht alles im Antrag ist schlecht. Einige Forderungen unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion. Besonders gut gefällt mir persönlich, dass Sie einen ganzheitlichen Ansatz hinsichtlich der Kita- und Schulverpflegung haben. Denn Essen ist mehr als reine Nahrungsaufnahme. Es verbindet Kinder miteinander. Einer unentgeltlichen Verpflegung in Kita und Schule können wir aber dennoch nicht zustimmen. Ein bisschen ist ja schon über den Freistaat Thüringen gesagt worden. Wie sieht es dort eigentlich wirklich aus? Sie als Linke sind ja dort schon einige Zeit in der Regierungsverantwortung und könnten ein Signal setzen. Ich habe gehört: Das letzte Jahr in der Kita ist kostenfrei. – Das ist ja schön. (Zuruf des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) – Hören Sie doch einfach weiter zu! – Aber laut der gestrigen Aussage der Schulvernetzungsstelle ist die Versorgung der Kinder noch nicht kostenfrei. Setzen Sie ein Signal! Fangen Sie doch dort an! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die SPD regiert in Thüringen, glaube ich, doch auch?) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muss man mal feststellen, dass es offensichtlich für die CDU schwer zu ertragen ist, dass es unter Rot-Rot-Grün in Thüringen vorangeht. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen, aber offensichtlich wird das von Ihnen weniger geschätzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Anders als Frau Stauche möchte ich zunächst der Kollegin Binder danken, dass sie dieses wichtige Thema zum wiederholten Male auf die Tagesordnung gesetzt hat. Wenn wir uns beim Thema Schulernährung auf Sie von der CDU/CSU verlassen hätten, dann wären wir verlassen gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben doch in den letzten vier Jahren nichts auf die Reihe gebracht, um das Essen unserer Kinder in Kita und Schule zu verbessern. Ich finde, die Zwischenrufe „Das geht nicht“, „Das Grundgesetz lässt das nicht zu“ usw. sind sehr bezeichnend dafür, dass Ihnen dieses Thema einfach nicht wichtig ist. Wenn einem etwas wichtig ist, dann kann man sogar das Grundgesetz ändern. Das werden Sie diese Woche auch tun – beim Thema Autobahn. Es schlägt ja das schwarze Herz besonders hoch, wenn es um Beton geht. Da haben Sie kein Problem, das Grundgesetz zu ändern. Wenn es jedoch um Bildung und um Schulessen geht, dann halten Sie am Kooperationsverbot fest, als wäre es eine religiöse – keine Ahnung – Reliquie, Erscheinung, an die man nicht fassen darf. Das finde ich ziemlich peinlich und zeigt politische Handlungsunfähigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich habe vorhin den Zwischenruf gehört, wir hätten ja das tolle Bildungs- und Teilhabepaket, damit wäre für die armen Kinder beim Thema Schulessen alles geklärt. – Mitnichten! Dieses Ding ist ein bürokratisches Monster. Es gibt auch für die ärmsten Kinder immer noch die Zuzahlung von 1 Euro. Daran scheitert es oft bei Familien, die zum Beispiel im Hartz-IV-Bezug sind. Wenigstens diesen Euro hätten Sie in dieser Legislaturperiode wegmachen können. Das wäre das Mindeste gewesen, was Sie für die Kinder, die Probleme bei der Finanzierung des Essens haben, hätten tun können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber schauen wir uns doch einmal an, was der Minister Schmidt gemacht hat. Frau Stauche hat ja gesagt, die Linken könnten alle nicht mit Geld umgehen. Interessant ist, zu schauen, was Herr Schmidt mit unseren Steuergeldern gemacht hat. 2,4 Millionen Euro hat er für eine sogenannte „Macht Dampf!“-Kampagne ausgegeben, 2,4 Millionen Euro für einen Rohrkrepierer! Die Eltern, also Sie und ich, konnten sich im Internet eine Broschüre herunterladen und sollten sich hinterher bei ihrer Schule beschweren, wenn das Essen schlecht ist. Die Idee war schon mal schlecht, aber die Resonanz war noch viel schlechter. Diese Broschüre wurde bundesweit 329 Mal heruntergeladen, zehnmal davon von mir, weil ich ja immer gucke, was der Minister macht. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das heißt, knapp über 300 Leute haben diesen Kram bundesweit heruntergeladen; 2,4 Millionen Euro hat es gekostet. Das ist peinlich! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber das war ja nicht alles. Es gab diese teure Broschüre, aber der Minister hat auch bundesweit Plakate aufgehängt, 2 800 im ganzen Bundesgebiet, 570 allein in Berlin – damit er sie auch mal sieht. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Sachsen-Anhalt mit 2,2 Millionen Einwohnern gab es ganze acht Plakate zur Verbesserung der Schulernährung. Da frage ich mich: Welche Sachsen-Anhaltiner haben denn davon profitiert? Wer hat die überhaupt gesehen? In diesem ganzen Flächenland acht Plakate, und das soll jetzt das Essen der Kinder verbessern? Das ist doch absurd, und das ist peinlich! Das ist ein Geaase mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) An anderer Stelle kriegen Sie jedoch das Portemonnaie nicht auf. Für die Schulvernetzungsstellen, die wirklich eine wichtige Institution sind, um das Essen in Kitas und Schulen zu verbessern, geben Sie 290 000 Euro institutioneller Förderung aus, für alle 16 Bundesländer, für alle Kinder in Deutschland. Dazu gibt es 1 Million Euro an Projektmitteln. Aber wenn man nicht den institutionellen Wums hat, um Projekte zu beantragen, wenn man keine Mitarbeiter, keine Geschäftsstelle hat, wie soll man denn dann Projektmittel beantragen? 2,4 Millionen Euro für etwa 300 Broschüren, die heruntergeladen wurden, das ist kein Problem für Sie. Bei den Schulvernetzungsstellen sparen Sie am falschen Ende. Das ist ziemlich traurig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Und weil der Minister ansonsten nicht so furchtbar viel zum Thema Schulernährung beizutragen hat, reitet er weiter ein totes Pferd, das Schulfach, das keiner will. In jedem dritten Interview sagt er, wir sollten eigentlich ein Schulfach Ernährung haben. Kein Bildungspolitiker, nicht von der CDU – vielleicht irgendeiner von der CSU; ich weiß es nicht –, von der SPD, von den Grünen, von den Linken, will das, aber der Minister fordert und fordert und fordert und lässt sich auch von Experten, die er selber mit Medaillen auszeichnet, führende Ökotrophologinnen, die ihm einen Brandbrief schreiben, er solle das doch bitte lassen, das wäre kontraproduktiv und schädlich, nicht belehren. Aber das alles ficht ihn nicht an. Er fordert es weiter. Konsequenzen hat das ja ohnehin keine – wie das meiste, was er in der Presse angekündigt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, wenn Ihnen das Essen unserer Kinder am Herzen liegt – ich denke, das ist uns allen ein Anliegen –, dann sollten Sie das Kooperationsverbot endlich aufheben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wenn Sie das nicht hinkriegen, dann schaffen Sie wenigstens einen Verpflegungspakt mit den Ländern. (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ah!) Warum muss uns das am Herzen liegen? Warum brauchen wir besseres Essen in Kita und Schule? 16 Prozent unserer Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig, 6,3 Prozent sind sogar adipös. Das ist doppelt so viel wie zu der Zeit, als ich ein Kind war, also in den 90ern. Bei den Erwachsenen ist es noch schlimmer. In meinem Alter sind die meisten Männer schon quasi übergewichtig. Ein Mann, der mit Mitte 30 normalgewichtig ist, ist in seiner Altersklasse in der Minderheit. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie sollten vielleicht etwas zu sich nehmen, damit Sie ein bisschen ruhiger werden!) Ich finde, solche Zustände können uns nicht egal sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nichts gegen dicke Männer, aber es ist natürlich wirklich ein Problem, wenn Kinder und Jugendliche übergewichtig sind, wenn sie Diabetes und Schwierigkeiten mit den Gelenken bekommen. Das können wir alle nicht wollen. Gutes Essen in Kita und Schule ist ein Schlüssel dafür, das zu ändern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es gibt auch Frauen, die korpulente Männer mögen!) Meine Damen und Herren, die letzten vier Jahre wurden vom Minister mehr als schlecht genutzt. Die nächste Ministerin sollte das besser machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Besser kochen! Der nächste Minister soll besser kochen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alois Rainer. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist schon eine interessante Debatte. Es soll um eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung in Kita und Schule gehen, wir debattieren aber zum Teil über übergewichtige Männer mittleren Alters (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja, das ist das Ergebnis!) oder über Mittel für den Schulausbau in Thüringen, der irgendwann mal kommen wird. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es liegt ein Antrag vor, über den wir hier debattieren, weil er eingereicht wurde. Aber wir sind nicht zuständig. Die Zuständigkeit liegt nämlich ganz klar bei den Ländern und bei den Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ganz so einfach wollen wir es uns natürlich auch nicht machen. Man muss einfach festhalten: Wir leben in einem föderalistisch aufgebauten Staatssystem, und darin gibt es nun einmal feste Zuständigkeiten. Ich sage Ihnen auch: Das Kooperationsverbot aufzuheben, wäre meines Erachtens nicht zielführend; es wäre völlig falsch. Und die Schulverpflegung bundesweit zu steuern und zu reglementieren, wäre genauso falsch. (Karin Binder [DIE LINKE]: Es geht nur ums Finanzieren, Herr Kollege, nicht ums Steuern!) – Ja, ich komme noch zum Finanzieren, Frau Kollegin. Kita- und Schulverpflegung müssen diejenigen regeln und auch finanzieren, die vor Ort dafür zuständig sind, und das sind einfach die Kommunen und die Länder. Diese und nicht schon wieder der Bund, der die Kommunen und Länder in dieser Legislaturperiode sowieso schon unterstützt wie noch nie, sind hier die Sachaufwandsträger. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist unumstritten, dass gesunde Ernährung eine große Bedeutung in der Gesellschaft haben muss. Einige Ziele bei der Schulverpflegung empfinde ich als durchaus vernünftig, zum Beispiel, dass sie gesund, abwechslungsreich und regional geprägt ist und dass Ökoprodukte verwendet werden. Allerdings möchte ich hier weniger den Weg der Reglementierung als vielmehr den Weg der Freiwilligkeit vorschlagen. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten: Wenn Kommunen, Schulen und Eltern die Verpflegung auf lokaler Ebene gemeinsam organisieren, dann wird das angenommen und auch unterstützt. Ich könnte das gleiche Beispiel nennen wie der Kollege Albert Weiler. Auch in meiner Kommune hat das über viele Jahre hinweg wunderbar funktioniert. Das geht also sehr gut. (Karin Binder [DIE LINKE]: Aber in einer Großstadt wie München klappt das nie und nimmer!) Natürlich darf gutes Essen – es ist gute Ware – auch etwas kosten. Das ist richtig so. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich meine – so habe ich es auch in der öffentlichen Anhörung gehört –: Viel wichtiger als die Kosten ist, dass man gemeinsam mit dem Caterer, den verantwortlichen Lehrern und den Eltern anhand von Leitlinien für gesunde Ernährung eine ausgewogene Ernährung zur Verfügung stellt. Ich denke, da sind wir uns im Großen und Ganzen einig. Im Übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang auf Bayern verweisen. Bayern hat dazu am Dienstag die Leitlinien Schulverpflegung herausgegeben: Mit gutem Essen Schule machen – Genussort Mensa. Die Broschüre kann ich Ihnen gerne geben. Da kann man nachlesen, dass dieses System in Bayern sehr gut funktioniert. Dabei soll es das Ziel sein, diese Leitlinien im jeweiligen Schulleitbild zu verankern. Gute Schulverpflegung muss als Teil eines gelingenden Schullebens selbstverständlich werden. Lassen Sie mich kurz auf die Forderung in Ihrem Antrag nach unentgeltlicher Essensversorgung eingehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie fordern die Bundesregierung auf, dass der Bund den Ländern eine Pauschale von 4,50 Euro pro Kind bzw. pro Jugendlichen je Verpflegungstag zahlen soll. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Rainer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter? Alois Rainer (CDU/CSU): Natürlich. Vizepräsident Johannes Singhammer: Dann hat sie das Wort. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Vielen Dank, Kollege Rainer. – Sie haben behauptet, in Bayern sei alles in Ordnung. Es gibt ja einen Ministerpräsidenten, der schon vom Paradies spricht. Jetzt gibt es diese Ausschreibungsverordnung. Vielfach wird das Essen nicht in den Schulküchen in Bayern gekocht – vielleicht bei Ihnen, bei mir in Ingolstadt nicht –, sondern es wird von weither angeliefert. Ein Blick auf den Preis zeigt, dass das angelieferte Essen vielleicht um 10 Cent billiger ist. Ich halte dieses Vorgehen für falsch; denn es ist sinnvoll, das Essen vor Ort zu produzieren. Sie selber haben gesagt: Lebensmittel müssen etwas kosten. – Darin sind wir uns einig: Gute Lebensmittel kosten einfach etwas. Sehen Sie nicht Handlungsbedarf dahin gehend, dafür zu sorgen, dass das Essen vor Ort aus regionalen Produkten zubereitet wird? Denn unsere beiden Parteien setzen sich ja explizit für regionale Wirtschaftskreisläufe ein. (Beifall bei der LINKEN) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Kollegin Bulling-Schröter, wir haben uns schon öfter über gute und nachhaltige Verpflegung unterhalten. Natürlich wäre es vernünftig und gut, wenn das Essen vor Ort aus frischen und regionalen Produkten zubereitet würde. Leider Gottes geht das nicht immer. Deshalb gibt es die Informationen der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung Bayern. Es soll wohl auch bei uns in einigen Bereichen noch Nachholbedarf geben. Ich hoffe natürlich, dass wir den einen oder anderen Caterer finden, der das macht. Es ist immer schwierig, eine Kita, die – in Anführungszeichen – nur 30 oder 40 Essen benötigt, wirtschaftlich mit Essen zu versorgen. Trotzdem sind wir, denke ich, auf einem guten Weg. Wir beide können uns dahin gehend weiter austauschen. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Der Mann versteht was von der Sache!) Zurück zu den Kosten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich habe das Ganze kurz überschlagen. Bei 6 Millionen berechtigten Kindern am Tag macht das 27 Millionen Euro täglich. Liebe Freunde, 27 Millionen Euro täglich ist eine unglaubliche Summe. Wenn ich diese Zahl mit circa 200 Schultagen multipliziere – in der Kita sind das noch mehr Tage mit Verpflegung –, komme ich auf ein Ergebnis von circa 5,4 Milliarden Euro. Wenn ich die Kitatage noch hinzunehme, bin ich wahrscheinlich bei circa 6 Milliarden Euro. Das ist eine unglaubliche Summe. Vor allem gibt es über das SGB II schon die Möglichkeit, sich die Kosten erstatten zu lassen. Der Betrag von 10 Euro monatlich bezieht sich auf Vereine. Nein, Familien mit Kindern bekommen die Kosten für die Verpflegung ganz erstattet. Ja, Frau Kollegin Maisch, der eine Euro muss zurückgezahlt werden, weil in den Regelsätzen Ausgaben für Verpflegung enthalten sind. Darüber könnte man diskutieren; da bin ich ganz bei Ihnen. Es ist eben so. Aber die Behauptung, dass Kinder aus finanzschwachen Familien das nicht bekommen, ist meines Erachtens nicht richtig. Das muss man am Ende des Tages ja auch finanzieren. Gerade für finanziell schwächere Familien ist es möglich, hier eine Unterstützung zu erhalten. Es ist vorhin gesagt worden – das ist nicht verwerflich –: Was nichts kostet, ist einfach nichts wert. – Ich bleibe dabei: Das ist einfach so. Wenn das Essen nichts kostet, dann ist es auch nichts wert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch einmal kurz auf eines eingehen: Bildung ist zwar Ländersache, aber unser Landwirtschaftsministerium hat einiges dafür getan. Schon seit 2008 setzt sich das BMEL für eine Verbesserung der Verpflegung in den Kitas und Schulen sowie der vorschulischen Ernährungsbildung ein. Das BMEL hat die Vernetzungsstellen für die Kita- und Schulverpflegung seit 2008 mit insgesamt 7,7 Millionen Euro gefördert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gekürzt!) Ein wichtiger Meilenstein ist meines Erachtens die Errichtung des Nationalen Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule – wir haben uns kürzlich im Ausschuss damit befasst –, das seit Februar 2017 im Rahmen des neuen Bundeszentrums für Ernährung tätig ist. Das Nationale Qualitätszentrum ist ein zentraler Baustein der Qualitätsoffensive für besseres Essen in Kita und Schule. Es bereitet in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ein Verfahren vor, mit dem sich Caterer und Essensanbieter als besonders qualifizierte Vertragspartner für Kitas und Schulen empfehlen können. Ich kann es nur gutheißen, dass es – Frau Pflugradt hat es schon gesagt – Auszeichnungen für Caterer gibt. Das ist gut; daran müssen wir weiter arbeiten, und das wollen wir auch. Denn Qualität muss das oberste Ziel sein. Mit dem Wettbewerb „Klasse, Kochen!“ prämiert das BMEL bereits seit sieben Jahren die besten Schülerideen zur Nutzung von Schulküchen. Mehr als 60 Schulen haben eine hochwertige Schulküche gewonnen. Das ist unglaublich wichtig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, das Ziel muss sein, anhand von Leitlinien bundesweite Qualitätsstandards für das Essen in Kita und Schule zu definieren. In diesem Sinne freue ich mich auf viele weitere Debatten zu diesem Thema. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß das Wort für die SPD. (Beifall bei der SPD) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung hat für die SPD-Bundestagsfraktion ernährungspolitisch die höchste Priorität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich meine damit selbstverständlich eine Schulverpflegung, an der jedes Kind unabhängig vom Geldbeutel der Eltern teilnehmen kann. Die Kollegin Pflugradt hat bereits einiges dazu ausgeführt. Wir wollen und müssen in dieser Frage endlich vorankommen. Nun wissen wir aber auch alle miteinander, wie schwierig die konkrete Umsetzung dieser eigentlich einfachen Idee ist. Wir diskutieren hier ja nicht zum ersten Mal darüber. Und ja, über das ganz konkrete Wie gehen die Vorstellungen auseinander, auch hier in der ersten Reihe. Für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen ist aber klar: Gutes, gesundes und bezahlbares Essen muss in allen Kindertagesstätten und Schulen zum Standard werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Doch damit ist es nicht getan. Gute, gesunde Ernährung muss auch außerhalb der Schule leichter werden. Und weil zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, liebe Karin Binder, inzwischen, glaube ich, alle Argumente ausgetauscht sind, erlaube ich mir, den Bogen etwas weiter zu spannen. Selbst wenn wir nämlich aus der Schule einen Ort machen, an dem gesundes Essen selbstverständlich ist, haben wir immer noch jede Menge anderer Baustellen. Denn während eine ausgewogene Ernährung theoretisch gar nicht so kompliziert ist – viel Obst und Gemüse, wenig Salz und Zucker, viel Wasser und Vollkorn –, ist sie ganz praktisch im Alltag oft ziemlich schwierig. Fast Food und Süßigkeiten an jeder Ecke, verwirrende Nährwertkennzeichnungen, unausgewogene Fertigprodukte, die als gesundheitsfördernd verkauft werden, eine Geschmacksprägung auf zu viel Zucker, Salz und Fett schon im Kindesalter: Die Liste der Dinge, die eine ausgewogene Ernährung erschweren, ist lang. Wenn wir alle Kinder und natürlich auch ihre Eltern, alle Verbraucherinnen und Verbraucher insgesamt dabei unterstützen wollen, gesund zu essen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die gesündere Wahl im Alltag auch zur leichteren wird: Wir brauchen Kassenzonen ohne Süßigkeiten und Fertigprodukte mit weniger Zucker und Salz. Wir brauchen die Ampelkennzeichnung und aus meiner Sicht auch eine gesetzliche Beschränkung für das an Kinder gerichtete Lebensmittelmarketing. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie auf diesem Feld – sie funktionieren nicht. Das hat ja gerade erst eine Studie belegt, die die AOK in Auftrag gegeben hat. Wir reden immer darüber, wie wichtig Ernährungsbildung in Kita und Schule ist. Ja, das ist sie. Aber das Wissen muss auch im Alltag umsetzbar sein. Ich erwarte vom Minister für Ernährung beispielsweise, dass er jetzt endlich mal etwas zur nationalen Reduktionsstrategie im Hinblick auf Zucker, Salz und Fett sowie zur Frage vorlegt, wie er Kinder – wie es in seinem Grünbuch heißt – vor irreführenden Werbeaussagen und falschen Kaufanreizen schützen will. Und von der Lebensmittelwirtschaft erwarte ich deutlich mehr Engagement und weniger business as usual und Blockade. Allen Kindern eine gute und gesunde Ernährung zu ermöglichen, ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit, eine Frage der Chancengleichheit. Deshalb hat das auch für uns höchste Priorität. Und deshalb werden wir auch finanzierbare und tatsächlich umsetzbare Lösungen finden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank für die Punktlandung, was die Redezeit betrifft. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundesprogramm Kita- und Schulverpflegung – Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12178, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8611 abzulehnen. Wer für die Ausschussbeschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Drucksachen 18/11628, 18/12205 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12206 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und darf zu Beginn als erster Rednerin der Kollegin Dr. Edelgard Bulmahn für die SPD das Wort erteilen. (Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 2012 stand Mali am Abgrund. Dieses Land drohte infolge des Putsches, des Wiederaufflammens der Tuareg-Rebellion und des Vormarsches islamistischer Banden zu zerbrechen, zu einem „Failed State“ zu werden. Nur das entschlossene Eingreifen Frankreichs hat Schlimmeres verhindert und die Einleitung eines Friedensprozesses ermöglicht, der 2015 in den Abschluss eines Friedensvertrages mündete – ein umfangreicher Vertrag, der nicht den Abschluss eines Prozesses markierte, sondern vielmehr ein Programm zur Überwindung wirklich tiefgreifender Konflikte darstellte. Und er zeigte einen Weg zu einem dauerhaften Frieden auf. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das militärische Eingreifen damals war notwendig. Es war notwendig, um zum einen die Zivilbevölkerung zu schützen. Es war aber auch notwendig, um überhaupt die Aufnahme eines politischen Verhandlungsprozesses zu ermöglichen, der dann zu diesem Friedensvertrag führte. Der Konflikt selbst wurde dadurch – das ist jedem klar – nicht überwunden. Eine tatsächliche Überwindung des Konfliktes erfordert weitaus mehr. Nachhaltige Friedenssicherung verlangt, dass man die Ursachen eines Konfliktes beseitigt bzw. zumindest mildert sowie Institutionen und Verfahren zur friedlichen Regelung von Konflikten etabliert. Die Konfliktregionen müssen gemeinsam mit den Konfliktparteien die Voraussetzungen und die Strukturen für ein friedliches Zusammenleben schaffen. Das gilt auch für Mali. Entscheidend für den Prozess, der in Mali begonnen wurde, sind der Aufbau und die Stärkung rechtsstaatlicher Strukturen und demokratischer Institutionen. Das ist die entscheidende Voraussetzung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Entscheidend sind auch die Bekämpfung von Armut, Hunger und Not sowie die Verbesserung von Lebenschancen und Perspektiven, also eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Entscheidend sind des Weiteren die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die ein riesiges Problem darstellt, und die effektive Bekämpfung der Korruption. Entscheidend sind ebenfalls die Einhaltung der Menschenrechte, gute Regierungsführung und die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, das die Sicherheit der Menschen gewährleistet und all das, was ich eben beschrieben habe, überhaupt erst ermöglicht und die Voraussetzungen dafür schafft, dass das tatsächlich geleistet wird. Dazu gehören insbesondere der Wiederaufbau von Polizei und Justiz, aber auch eine Armee, die sich dem Leitbild der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der Menschenrechte verpflichtet fühlt. Deshalb ist es notwendig und richtig, dass sich die Bundesrepublik bereit erklärt hat, die malische Armee dabei zu unterstützen, ein entsprechendes Leitbild zu entwickeln und leistungsfähiger zu werden, damit sie die wichtige Aufgabe des Schutzes der Bevölkerung erfüllen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht also – das sage ich insbesondere an die Adresse der Fraktion Die Linke, die sich immer dagegen verwahrt hat – um einen ganzheitlichen und kohärenten Ansatz bei diesem Einsatz, der nicht alleine auf die Stärkung militärischer Strukturen abhebt. Allerdings stellt die Stärkung der militärischen Strukturen in dem Sinne, wie ich es beschrieben habe, eine wesentliche Komponente dar. Die Arbeit der Bundeswehr ist wichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wissen sehr wohl zu schätzen, was die Soldatinnen und Soldaten dort jeden Tag leisten. Wir wissen aber auch, dass die militärische Komponente allein nicht ausreicht; denn Sicherheit lässt sich auf Dauer nur gewährleisten, wenn auch die zivilen Sicherheitsstrukturen gestärkt werden und die Voraussetzungen für Sicherheit der Menschen und Rechtsstaatlichkeit geschaffen werden. Deshalb engagieren wir uns in Mali nicht nur in der Ausbildung von Militär, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Wir engagieren uns mit der EU-Mission EUCAP und der zivilen Komponente, der VN-Mission MINUSMA, in der Ausbildung von Polizeikräften. So sind allein für die Polizeiausbildung in beiden Missionen über tausend Polizistinnen und Polizisten in Mali tätig. Wenn wir heute über die Fortsetzung der Beteiligung an der EU-Mission zur Ausbildung der malischen Streitkräfte entscheiden, sollten wir diese Mission daher nicht isoliert betrachten. Vielmehr müssen wir sie in den Kontext unseres Gesamtengagements stellen und genau in diesem Kontext betrachten und diskutieren. Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär. Erst im Januar hatte MINUSMA, die Friedensmission der UN, einen verheerenden Anschlag mit 80 Toten in einem ihrer Camps zu beklagen. Diese prekäre Sicherheitslage ist zu einem erheblichen Teil die Folge einer zu zögerlichen Umsetzung des Friedensprozesses. Andererseits gibt es deutliche Fortschritte – auch diese sind in Mali zu beobachten –, die Hoffnung auf eine Befriedung und eine Überwindung des Misstrauens zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen machen. Ich nenne als Beispiele die Abhaltung der Kommunalwahlen im vergangenen Herbst, die Einrichtung von Interimsregierungen im Norden und die Durchführung gemeinsamer Patrouillen, in denen regierungsnahe Soldaten oder Polizisten mit ehemaligen separatistischen Tuareg und Rebellengruppen zusammenarbeiten. Ich konnte selber eine solche Patrouille begleiten und beobachten. Es ist wirklich beeindruckend, was dort in den letzten Jahren geleistet worden ist. Diesen Prozess sollten wir offensiv weiter begleiten und unterstützen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es gilt, diesen Prozess so zu begleiten, dass er wirklich Erfolge zeitigt, dass er dazu beiträgt, dass der Friedensprozess gelingt; denn wir wissen, dass das eine erhebliche Rolle spielt und es entscheidend für die weitere Entwicklung Malis, aber auch für die weitere Entwicklung von ganz Westafrika ist. Ich will noch einen kritischen Punkt ansprechen, der uns alle, glaube ich, betrifft und weil wir alle diesbezüglich Verantwortung tragen. Was ein Problem darstellt, ist die schleppende Umsetzung der Vereinbarung zur Dezentralisierung staatlicher Gewalt. Dazu gehören zum Beispiel die stärkere Einbeziehung des Nordens in die nationalen Institutionen, vor allem aber die Verlagerung von Kompetenzen auf die regionale Ebene und der Aufbau von effektiven regionalen Verwaltungsstrukturen und auch einer lokalen Verwaltung. Dazu gehört auch die Zuweisung von finanziellen Mitteln in die Regionen, die diese eigenständig verwalten und verausgaben dürfen. Das ist Teil des Friedensvertrages, und zwar ein ganz wesentlicher Teil. Gerade bei diesem Punkt habe ich bei meiner letzten Reise nach Mali im Februar dieses Jahres leider sehr viel Zögerlichkeit zur Kenntnis nehmen müssen. Hier stehen wir als internationale Partner in der Verantwortung, gegenüber der malischen Regierung sehr deutlich zu machen, dass unsere Hilfe bei der Stärkung des Sicherheitssektors nur dann langfristigen Erfolg bringen kann, wenn auch der Friedensvertrag und insbesondere die konfliktentschärfende Dezentralisierung umgesetzt werden. (Beifall bei der SPD) Das ist die Aufgabe von uns allen. Die Stärkung des Sicherheitssektors, der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit auf der einen Seite und die effektive Dezentralisierung auf der anderen Seite – das sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Stabilisierung Malis, und dafür lohnen sich unsere Unterstützung und unser Einsatz. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für diesen Antrag und für den Einsatz. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Christine Buchholz das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als vier Jahre ist die Bundeswehr nun schon in Mali. Im Mandat heißt es, der Einsatz von Militärausbildern solle dem übergeordneten Ziel dienen, Mali und die Sahelzone zu stabilisieren. Das hört sich auf dem Papier auch wirklich gut an, hat allerdings mit der Wirklichkeit wenig gemein. Die europäische Militärmission in Mali hat das Land weder sicherer noch stabiler oder demokratischer gemacht. Der Grund dafür ist recht einfach: Die Wurzeln der Konflikte in Mali sind zum einen die Dürre, zum anderen aber vor allem die Armut. Verschiedene bewaffnete Gruppen kämpfen vor diesem Hintergrund um die Kontrolle der Handelswege durch die Sahara. Ich sage Ihnen: Diese Probleme lassen sich nicht durch einen internationalen Militäreinsatz lösen. (Beifall bei der LINKEN) Die deutsche Regierung verfolgt zudem ganz andere Ziele und Interessen, als sie in dem Mandat vorgibt. Unter dem Deckmantel der uneigennützigen Ausbildungsunterstützung baut die Bundesregierung eine militärische Dauerpräsenz in Mali auf, um in dieser rohstoffreichen Region an Einfluss zu gewinnen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dazu ist die Beteiligung an EUTM Mali genauso wie an der UN-Mission MINUSMA ein Baustein. Die große Mehrheit der Bevölkerung in Mali hat davon nichts. Deshalb fordern wir, die Linke, den unverzüglichen Abzug der deutschen Soldatinnen und Soldaten aller Missionen aus Mali. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist immer der gleiche Redetext! Wird es nicht langweilig, das vorzutragen?) Tatsache ist: Je länger die internationalen Militäreinsätze laufen, desto unsicherer wird Mali. Opfer sind malische Zivilisten, aber auch malische Soldaten. Frau Bulmahn hat es angesprochen: Im Januar wurden bei einem verheerenden Anschlag auf das Lager einer gemischten Patrouille aus Tuareg und malischen Soldaten 79 Personen getötet. Der Anschlag fand übrigens im nordmalischen Gao statt, in unmittelbarer Nähe zum Camp Castor, wo auch die Bundeswehr stationiert ist. Auch dieses Camp war bereits Ziel von Anschlägen. Ich sage hier ganz deutlich: Wer dem Einsatz weiter zustimmt, riskiert auch das Leben der entsandten Soldatinnen und Soldaten. Das ist ein weiterer Grund, warum wir gegen diesen Einsatz sind. (Beifall bei der LINKEN) Zu einer ehrlichen Bilanz gehört: Im letzten Jahr eskalierte beispielsweise im Zentrum Malis in der Region Ségou ein ethnisch aufgeladener Konflikt. Dort leiden die Peuls, ein traditionelles Hirtenvolk, doppelt: unter Angriffen von Dschihadisten, aber auch unter rassistisch motivierten Übergriffen. Die malische Armee, um deren Ausbildung es hier geht, spielt dabei eine unrühmliche Rolle. Obwohl die europäische Militärmission 10 000 malische Soldaten ausgebildet hat, erwies sich die Armee als unfähig, die Bevölkerungsgruppe der Peuls zu schützen. Schlimmer: Human Rights Watch berichtet – ich zitiere –: Militärs haben mindestens acht Personen hingerichtet, die verdächtigt wurden, Islamisten zu sein. Ein Angehöriger dieser Volksgruppe sagte – ich zitiere aus demselben Bericht –: Es gibt so viele Peuls, die von Militärs gefoltert oder getötet wurden oder einfach verschwanden, aber keiner der Fälle kam jemals vor Gericht. Ich frage: Wo bleibt die Kritik der Bundesregierung an diesen Vorgängen? Die Antwort ist: Es geht bei diesem Militäreinsatz eben nicht um Gerechtigkeit in Mali; es geht vor allen Dingen um die Bundeswehr selbst. Der Einsatz fügt sich ein in einen jahrelang betriebenen Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee im Dauereinsatz. Ein genauerer Blick auf diesen Einsatz zeigt das. So wurde der Einsatz systematisch ausgeweitet. Am Anfang waren die deutschen Militärausbilder nur im sicheren Süden stationiert. In den vergangenen Monaten wurden Militärausbilder direkt an die Konfliktherde herangeschickt, nach Ségou in Zentralmali und nach Gao im Norden Malis. Dort hat sich die Mission übrigens das erste Mal logistisch auf die französische Kampfoperation Barkhane gestützt. Überdies wurden nun auch Truppen der vier Nachbarstaaten Malis ausgebildet, darunter der diktatorisch geführte Tschad. Die Wahrheit ist: EUTM Mali ist nichts anderes als die Ergänzung einer laufenden Kriegsoperation, um in der gesamten Region Einfluss auszuüben. Das ist der zentrale Grund, warum wir diese Mission ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss noch ein Wort zur EU – es handelt sich ja um eine EU-Mission –: Die EU stufte Mali mit deutscher Unterstützung als sicher genug ein, um dem Land ein Rückführungsabkommen für Flüchtlinge aufzuzwingen. Wenn es nun aber um die Rechtfertigung des europäischen Militäreinsatzes geht, dann führt die EU die Unsicherheit in Mali an. Das allein zeigt die ganze Heuchelei hinter diesem Einsatz. Die Linke wird gegen dieses Mandat stimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Jürgen Hardt. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An die Adresse der Kollegin Buchholz gerichtet, möchte ich nur Folgendes anmerken: Im Nordosten von Mali haben gestern von Islamisten angestiftete Menschen ein unverheiratetes Paar zu Tode gesteinigt, weil sie ihre archaischen Vorstellungen von einem angeblich islamischen Recht durchsetzen wollen. Wenn Sie wollen, dass das in Mali zukünftig überall passieren kann, dann müssen Sie für den Rückzug der unterstützenden Kräfte plädieren, dann müssen Sie für das Im-Stich-Lassen der malischen Bevölkerung und der malischen Regierung plädieren. Wir werden das nicht tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Mali-Einsatz – hier sprechen wir über den Ausbildungseinsatz EUTM Mali – ist im Zusammenhang mit dem UN-Einsatz, an dem Deutschland maßgeblich beteiligt ist, zu betrachten. Er ist mit dem Afghanistan-Einsatz mittlerweile der größte Bundeswehreinsatz; nahezu 1 000 Soldaten sind in Mali eingesetzt. Wir haben es mit dieser Ausbildungsmission geschafft, mittlerweile rund 10 000 malische Soldaten und Polizisten und auch Soldaten und Polizisten benachbarter Staaten auszubilden. Es ist eben kein Einsatz, den Europa nur mit Mali durchführt. Vielmehr wollen wir, dass die anderen Staaten der Region, die ebenfalls an Frieden und einer guten Entwicklung dort interessiert sind, im Rahmen der afrikanischen Zusammenarbeit an diesem Friedensprojekt mitwirken und entsprechend gestärkt und unterstützt werden. Wir führen diesen Einsatz vor allem auch deshalb durch, weil wir in Mali eine echte Chance sehen, dass durch unsere Hilfe die Entwicklung besser wird. Wir erleben nach wie vor, dass Mali Durchzugsgebiet für terroristische Gruppen ist. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass südlich der Maghreb-Staaten über Mali auch andere Staaten, die sich hoffnungsvoll entwickeln, zum Beispiel Burkina Faso und Senegal, infiltriert werden. Wir kommen bei der Ausbildung und bei der Stabilisierung des Landes voran, und damit befrieden wir ein Stück weit eine Schlüsselregion in Afrika. Wir werden diesen Einsatz natürlich weiterhin mit einer ganzen Palette an zivilen Maßnahmen unterstützen. Die für die Bevölkerung sichtbare Unterstützung ist gegeben: Die Bundeskanzlerin ist im Oktober letzten Jahres in Mali gewesen und hat mit unmissverständlichen Worten die Unterstützung Deutschlands und Europas manifestiert. Darüber hinaus befördern wir die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir leisten aber auch kulturelle Unterstützung. Mali ist ein Land, das reich an Kultur ist. Wir bemühen uns gemeinsam mit malischen Kräften, dieses Kulturerbe, das für das Selbstbewusstsein einer solchen Nation enorm wichtig ist, zu fördern und zu unterstützen. Es gibt in Timbuktu wichtige historische Handschriften, die mit deutscher und afrikanischer Hilfe restauriert werden, sodass diese Zeugnisse der Vergangenheit, die für ein solches Land identitätsstiftend sind, bewahrt werden. Wir wissen, dass unsere Soldaten in diesem Einsatz Bedrohungen ausgesetzt sind. Es ist schon zur Sprache gekommen: Erst vor kurzer Zeit hat es in der Nähe von Gao einen Anschlag mit sieben toten malischen Soldaten und 17 Verwundeten gegeben; das hätte natürlich auch EUTM- oder MINUSMA-Soldaten, also auch deutsche Soldaten, treffen können. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir alles tun, um unseren Soldaten im Fall des Falles gut helfen zu können. Ich bin stolz darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig mit insgesamt acht Hubschraubern sicherstellt, dass die Soldatinnen und Soldaten oder auch zivile Kräfte im Ernstfall schnell zur medizinischen Versorgungseinrichtung geflogen werden können. Es handelt sich um vier Tiger-Kampfhubschrauber und vier Sanitätshubschrauber, SAR-Hubschrauber vom Typ NH90. Ich würde mir wünschen, dass wir diesen deutschen Beitrag nicht endlos aufrechterhalten müssen, sondern möglicherweise im Sommer nächsten Jahres eine Ablösung bekommen. Ich würde mich freuen, wenn sich zum Beispiel die kanadische Regierung entschließen könnte, uns ihrerseits zu entsetzen, wie man das, glaube ich, militärisch nennt. Wenn Deutschland den Kanadiern sagen würde: „Okay, wenn ihr nach einem Jahr Hilfe sucht und keinen findet, sind wir vielleicht wieder bereit, einzuspringen“, wären die Gespräche, glaube ich, auf einem guten Weg. Gott sei Dank ist der Einsatz in Mali aus deutscher soldatischer Sicht bisher glimpflich verlaufen. Ich möchte unsere Unterstützung für diesen Einsatz, die wir gleich in der namentlichen Abstimmung bekunden werden, mit meinem dringenden Wunsch und meiner Hoffnung unterstreichen, dass alle unsere Soldatinnen und Soldaten mit dem nötigen Soldatenglück heil und unversehrt aus diesem Einsatz zurückkommen und wir nach jeder Etappe des Einsatzes sagen können: Es ist tatsächlich ein kleines Stück besser geworden. – In diesem Sinne werden wir unsere Unterstützung für die Mission in Mali in der vorgesehenen Form fortsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in Mali ist nicht gut. Wir haben das hier schon vor drei Monaten ausführlich diskutiert, als wir das Mandat für die UN-Mission beschlossen haben. Meine Fraktion ist überzeugt, dass es richtig und notwendig ist, dass die UNO in Mali Verantwortung übernimmt, um im politischen Friedensprozess zu vermitteln und diesen militärisch abzusichern. Deshalb haben wir den UN-Mandaten immer zugestimmt. Wir sind auch dafür, dass die Europäische Union die UNO dabei unterstützt, finanziell, mit ziviler Hilfe und mit einer Ausbildungsmission für die malische Armee, gerade weil für die UNO eine politische Lösung im Zentrum steht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb werden wir auch diesem Mandat der Bundeswehr für die europäische Mission heute wieder zustimmen. Wenn wir die Bundeswehr in diesen Einsatz schicken, haben wir aber die Pflicht, uns ein ungeschminktes Bild von der Lage zu machen. Der Friedensprozess ist ins Stocken geraten. Ein Scheitern ist möglich. Ich finde, die Bundesregierung sollte das auch klar so sagen. Der Norden Malis ist weitgehend außerhalb staatlicher Kontrolle. Es gibt permanent Kämpfe mit bewaffneten Gruppen und auch zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen. Die Blauhelmsoldaten geraten dort immer wieder zwischen die Fronten. Aber auch in Zentralmali nehmen Instabilität und Gewalt zu. Die politischen Antworten der malischen Regierung, aber auch der internationalen Gemeinschaft auf diese Entwicklung – das müssen wir, glaube ich, ehrlich einräumen – sind bisher nicht wirklich überzeugend. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die humanitäre Lage ist weiterhin dramatisch. Es befinden sich rund 200 000 Menschen auf der Flucht. 2,5 Millionen Menschen sind von Hunger betroffen. Die bereitgestellte humanitäre Hilfe reicht immer und immer wieder – es ist jedes Mal dasselbe – bei weitem nicht aus. Die Bundesregierung muss das alles in der Europäischen Union massiv zum Thema machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das bisherige Konzept der EU muss jetzt kritisch überprüft werden. Sonst schliddern wir auch im zentralen und südlichen Teil von Mali in eine kaum zu kontrollierende Krise. Es wird höchste Zeit, dass die EU hier eine wirkliche Kraftanstrengung unternimmt und ihr Konzept überprüft und evaluiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie legen uns hier eine zum Teil neue politische Begründung für dieses Mandat vor. Sie erwecken im Text faktisch den Eindruck, dass wir die Bundeswehr für – ich zitiere – „die Umsetzung der migrationspolitischen Ziele der Bundesregierung“ nach Mali schicken. Das stand so nicht in der Begründung für das letzte Mandat. Hier haben wir eine deutliche politische Differenz. Um es klar zu sagen: Wir setzen die Bundeswehr nicht, wie es bei Ihnen heißt, zur verbesserten Migrationssteuerung in Afrika ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer so redet, der untergräbt die Legitimation des ganzen UN-Einsatzes in Mali. Es geht eben nicht um eine Instrumentalisierung des UN-Einsatzes zur Friedenssicherung für eine europäische Politik zur Abwehr der Migration. Wer so etwas unterstellt – sei es auch unabsichtlich –, der richtet enormen politischen Schaden an: für die UNO, für das europäisch-afrikanische Verhältnis und nicht zuletzt für die Bundeswehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der Koalition, ich kann Sie nur auffordern: Lassen Sie das sein! In der Europäischen Union gibt es gerade eine Debatte über die Reform des Instruments für Frieden und Stabilität. Es gibt Vorschläge, die Gelder für zivile Krisenprävention in Mittel für die militärische Ausrüstung von Drittstaaten umzuwidmen, und EUTM Mali wird dabei als mögliches Beispiel angeführt. Da bekommt der Text in Ihrer Mandatsbegründung einen besonders schlechten Beigeschmack. Ich sage Ihnen: So etwas ist dazu geeignet, den ganzen internationalen Einsatz in Mali in breiten Teilen unserer Gesellschaft zu diskreditieren. Gerade weil wir diesen Einsatz für wichtig halten und ihn unterstützen, können wir davor wirklich nur warnen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Thomas Hitschler spricht jetzt für die Fraktion der SPD. (Beifall bei der SPD) Thomas Hitschler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mali ist eines der gefährlichsten Einsatzländer der Welt. Im vergangenen Jahr wurden dort – wir haben das vorhin schon gehört – durch Terroranschläge 70 Menschen getötet und 184 verletzt. Auch in diesem Jahr sieht es nicht besser aus. Am 18. Januar ermordete ein islamistischer Selbstmordattentäter in einem malischen Militärlager 77 Menschen und verletzte mindestens 150 weitere – nur einen Kilometer von der Bundeswehr entfernt. Vor allem der Norden des Landes wird von Dschihadisten terrorisiert. Aber auch im Süden drohen jederzeit Sprengfallen und Anschläge. Bei einer solchen Lage müssen wir uns ganz genau überlegen, ob, warum und wie wir deutsche Soldatinnen und Soldaten einem solchen Risiko aussetzen wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie die beste und für den Einsatz passende Ausrüstung bekommen. Hierbei gilt es, Kolleginnen und Kollegen, aus den Fehlern von Afghanistan zu lernen. Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz brauchen die richtige Ausrüstung von Anfang an und nicht erst dann, wenn es brennt. Ebenso wichtig, sehr geehrter Herr Staatssekretär – da bitte ich Sie auch um Unterstützung –, sind die Betreuungseinrichtungen vor Ort. Bitte sorgen Sie dafür, dass die OASE, also die Einrichtung, in die sich die Soldatinnen und Soldaten zurückziehen können, schnellstmöglich fertig wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Soldaten brauchen materielle Unterstützung; sie brauchen aber auch moralische Unterstützung. Dazu gehört, Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns als Parlament zu unserer Parlamentsarmee bekennen. Dazu gehört, dass wir uns, wenn nötig, vor unsere Soldatinnen und Soldaten stellen und nicht pauschale Urteile über sie fällen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kern des Mandats ist die Ausbildung der malischen Streitkräfte. Seit Beginn der Trainingsmission wurden etwa 10 000 Soldaten ausgebildet; das sind zwei Drittel der malischen Armee. Das ist eine gute Arbeit im Sinne der Sicherheit dieses Landes. EUTM Mali ist keine isolierte Mission. Sie ist Teil eines vernetzten und umfassenden Ansatzes. Dazu gehören die weit größere UN-Mission MINUSMA und EUCAP Sahel Mali zur Ausbildung der malischen Polizei; wir haben schon viel davon gehört. Gerade diese sicherheitspolitischen Maßnahmen schaffen die Voraussetzung für weitere wichtige Projekte, die zur Stabilisierung Malis dringend benötigt werden. Dazu gehört die Unterstützung der Kommission für Wahrheit, Justiz und Versöhnung. Dazu gehört die Zerstörung von Kleinwaffen. Dazu gehören über 33 Millionen Euro für Krisenprävention und humanitäre Hilfsprojekte. Dazu gehören über 240 Millionen Euro im Rahmen bilateraler Zusagen für Entwicklung und Zusammenarbeit seit 2013. All diese Projekte gehören zusammen und haben ein gemeinsames Ziel: Frieden und Sicherheit für die Menschen in Mali wiederherzustellen, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Dieses Ziel verfolgen wir, weil wir bei den Gräueltaten der Dschihadisten im Norden Malis nicht einfach wegschauen können und weil wir es nicht dulden können, wenn im Norden Malis ein zweiter „Islamischer Staat“ entsteht. Dieses Ziel verfolgen wir aber auch, weil die Stabilität Malis für unsere eigenen sicherheitspolitischen Interessen eine enorme Bedeutung hat. Mali liegt in Nordwestafrika ähnlich zentral wie Deutschland in Europa. Damit hat es eine besondere geografische Bedeutung. Mali ist eine Drehscheibe für Handel, für Flüchtlingsbewegungen, aber auch für Waffenschmuggel. Ein Failed State Mali wäre eine Katastrophe für die gesamte Region, die bis an die Mittelmeerküste und damit bis vor unsere Haustür reicht. Damit, Kolleginnen und Kollegen, sind die Probleme Malis auch unsere Probleme hier in Deutschland. Die Frage, ob und warum wir uns in Mali engagieren sollten, sollte damit beantwortet sein. Auch zur Frage nach dem Wie liegen uns konkrete Maßnahmen vor. Funktioniert dieser Ansatz? Gibt es Fortschritte in Mali? Die vorliegenden Berichte belegen: Ja, wenn auch nur langsam. Zwar gibt es weiterhin 37 000 malische Binnenflüchtlinge; aber 80 Prozent konnten bereits in ihre Heimatregionen zurückkehren. Das Friedensabkommen – wir haben es gehört – wird Stück für Stück umgesetzt. Mitglieder der ehemaligen Rebellengruppen wurden in die malischen Streitkräfte integriert. Auch sie werden im Rahmen von EUTM Mali ausgebildet, genauso wie Verbindungsoffiziere der G 5 Sahel. In dieser Gruppe arbeitet Mali mit den Nachbarstaaten Mauretanien, Niger, Burkina Faso und dem Tschad eng zusammen. Das stärkt die grenzüberschreitende Handlungsfähigkeit und damit die Sicherheit in der Region. Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen Mali nicht alleinlassen. Deshalb unterstütze ich die Weiterführung dieses Mandats ausdrücklich. Aber wir müssen auch klar formulieren, welche Meilensteine erreicht sein müssen, damit Mali wieder selbstständig für seine Sicherheit sorgen kann. Das wird seine Zeit in Anspruch nehmen. Aber wir sollten vermeiden, dass wir in eine dauerhafte Präsenz ohne realistisches Ausstiegsszenario rutschen; denn das würde am Ende weder uns helfen noch den Menschen in Mali. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Debatte heute ist etwas unfair. Wir alle reden über die 150 Bundeswehrsoldaten bei EUTM Mali, und bis auf die Linke loben wir sie auch alle; aber eigentlich hätten dieses Lob genauso verdient die Mitarbeiter, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, des Landwirtschaftsministeriums, des Umweltministeriums und des Innenministeriums in Mali im Einsatz sind. Unser Dank gilt natürlich allen gleichermaßen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Der Applaus gibt mir, glaube ich, recht. – Ich wollte mit dieser Aufzählung aber nicht nur danken, sondern auch zeigen, was deutsche Sicherheitspolitik heute ist, nämlich eine ressortübergreifende, vernetzte Antwort auf eine mehrdimensionale Herausforderung, die gute Regierungsführung genauso im Blick hat wie zum Beispiel die Ausbildung von Sicherheitskräften, den Aufbau von Infrastruktur oder den Kampf gegen den Hunger. Der Einsatz EUTM Mali ist in diesem Gesamtansatz ein Puzzlestein mit dem Ziel der Ausbildung der malischen Streitkräfte. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir erinnern uns: 2012 waren es diese Streitkräfte, die nicht in der Lage waren, das Land und die Menschen dort vor den einfallenden Tuareg-Rebellen und den islamistischen Terroristen zu schützen. Infolge dessen ist vieles, was damals über die Jahre hinweg in Mali an Entwicklung stattgefunden hat, zerstört worden. Das wird auch erst wieder aufgebaut werden, wenn ein Mindestmaß an Sicherheit herrscht: Sicherheit für die Bevölkerung und Sicherheit für die Helfer. Die malischen Streitkräfte darauf vorzubereiten, ist Aufgabe von EUTM Mali. Hier geht es um Leistungsfähigkeit, aber auch um die Integrität der Streitkräfte. Ob EUTM Mali ein Erfolg ist, wird man erst sehen, wenn es darauf ankommt, wenn die Streitkräfte der malischen Armee richtig gefordert sind. Aber es wird in keinem Fall gelingen, wenn die Streitkräfte keine Struktur haben, wenn sie keine Ordnung haben, wenn sie keine Kontrolle haben, wenn sie keine vernünftige Führung haben und wenn Menschenrechte nicht beachtet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht völlig ungewöhnlich, dass hier vor einer namentlichen Abstimmung dringender Gesprächsbedarf besteht. Trotzdem bitte ich, diesem Gesprächsbedarf nicht in der Weise nachzukommen, dass man dem Redner nicht mehr folgen kann. Ich bitte also um etwas Disziplin. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Frage ist: Wird der Auftrag ein Erfolg? Ich kann sagen: EUTM Mali hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Ich war 2013 zum ersten Mal in Koulikoro, als dort mit der Ausbildung der ersten Soldaten begonnen wurde. Das war damals noch sehr improvisiert. Dort standen einige Baracken, und die Ausbildung fand teilweise mit Holzgewehren statt; wir haben darüber gesprochen. Im Vergleich dazu ist festzustellen, dass sich die Mission hervorragend entwickelt hat. Ende letzter Woche kam die Meldung, dass mittlerweile 10 000 Soldaten die Ausbildung durchlaufen haben. Das sind – Kollege Hitschler hat es vorhin erwähnt – ungefähr zwei Drittel der malischen Armee. Der letzte Lehrgang dauerte von Januar bis Ende April. In diesem Lehrgang wurden erstmals die Führungskräfte der malischen Armee ausgebildet – Stichwort: Train the Trainer –, um sicherzustellen, dass die Ausbildungsinhalte des Lehrgangs immer wieder an die Truppe vermittelt werden. Wir haben im letzten Jahr das Mandatsgebiet erweitert mit dem Ziel, die Ausbildung auch in die Fläche zu bringen. Das war ein Wunsch der malischen Armee, der nachvollziehbar ist. Wer schon einmal in dem Land war und gesehen hat, in welchem Zustand die Straßen sind, weiß, dass das Sinn macht, um die Soldaten nicht Tausende von Kilometern transportieren zu müssen. Auch das ist gut angelaufen. In Gao und Ségou fanden die ersten Ausbildungslehrgänge statt. Es gibt einen weiteren Meilenstein, über den ich berichten möchte. Ende letzter Woche ist ein gemeinsamer Lehrgang für Verbindungoffiziere der G 5 Sahel in Mali zu Ende gegangen. Offiziere aus Mali, Burkina Faso, Mauretanien, Niger und Tschad haben gemeinsam geübt, um die Interoperabilität ihrer Streitkräfte zu verbessern und die Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen grenzüberschreitende Kriminalität weiter zu stärken. Meine Damen und Herren, all das sind wichtige Schritte. EUTM Mali läuft gut und nimmt an Fahrt auf. Aber das ist nur ein Puzzlestein eines Gesamtansatzes, zu dem wir einen wichtigen Beitrag leisten. Wir leisten auch mit anderen Puzzlesteinen Beiträge; ich habe die anderen Ressorts erwähnt. Auch MINUSMA ist schon angesprochen worden. Es wird noch lange dauern, bis aus den einzelnen Puzzlesteinen ein rundes Bild entsteht. Es bedarf unserer Geduld und wahrscheinlich auch noch einiger Mandatsverlängerungen, bis wir sagen können: Mali ist sicher, Mali ist stabil. Aber es ist in jedem Fall besser, daran zu arbeiten, als zuzusehen, wie dieses Land auseinanderfällt. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner vor der dann folgenden namentlichen Abstimmung ist der Kollege Michael Vietz für die Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bitte um die entsprechende Aufmerksamkeit. Michael Vietz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ist alles gut in Mali? Sicherlich nicht. Aber ohne die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft – und über einen Baustein dieser Einsätze reden wir heute – sähe es nach meiner tiefsten Überzeugung noch viel schlimmer aus. Seit Beginn der europäischen Ausbildungsmission im Süden Malis ist einiges im Friedensprozess bewegt worden. Diese Fortschritte würden wir riskieren, wenn wir unsere Beteiligung an EUTM Mali nicht fortsetzten, unsere Partner im Stich ließen. Erreicht die humanitäre Nothilfe die Menschen in Mali, die diese wirklich benötigen? Gelingt unsere Entwicklungszusammenarbeit auch in entlegenen Teilen des Landes? Wo in Mali finden wir eine funktionierende Zivilgesellschaft und staatliche Strukturen? Unser Einsatz in Mali ist ein wichtiger Teil der Antwort auf diese Fragen. Sicherheit, Stabilität, Frieden – diese Dreifaltigkeit treibt uns in unserem Engagement weiter an. Wir wollen Perspektiven für die Menschen vor Ort mit entwickeln. Deutschland ist weiterhin bereit, Mali auf seinem schwierigen und sicherlich langen Weg zu begleiten, gemeinsam mit unseren Partnern. Wir stehen zu unserer internationalen Verantwortung – auch aus eigenem Interesse. Wir haben ein vitales Interesse daran, Terrorismus, Kriminalität, Armut und Elend entschieden zu bekämpfen. Wenn wir diese Herausforderungen nicht vor Ort angehen, dann kommen sie – eine Binsenweisheit, die nicht wirklich neu ist – unweigerlich zu uns. Der Friedensprozess in Mali gestaltet sich zäh. Mit Beginn des internationalen Engagements hat sich die humanitäre Situation allgemein verbessert. Ein verlässlicher Zugang für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist aber immer noch nicht flächendeckend gegeben. Die Sicherheitslage ist fest verknüpft mit der Gemengelage im westlichen Afrika: fragile Staatlichkeit, internationale Terrornetzwerke und organisierte Kriminalität. Sie destabilisieren die ganze Region und fachen den Konflikt immer wieder an. Der Schmuggel von Drogen, Waffen, Menschen ist allgegenwärtig. Dies hat Auswirkungen auf Deutschland und Europa; es wurde hier ausreichend dargestellt. Daher bleibt es richtig, dass wir uns weiter in Mali einbringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Worum geht es konkret bei der Fortsetzung der europäischen Ausbildungsmission? Um die Weiterentwicklung von Ausbildung und Beratung der malischen Sicherheitskräfte – den Ausbilder ausbilden –, um die Ausbildung auch der Streitkräfte der übrigen G-5-Sahel-Staaten zur Schaffung grenzübergreifender Handlungsfähigkeit, um Schutz und Unterstützung im Sanitätsdienst und in der Logistik, gerade auch um Unterstützung der Einsatzkräfte von MINUSMA im Norden Malis. Durch die Fortsetzung des Mandats senden wir weiterhin ein deutliches Signal an unsere europäischen und westafrikanischen Partner. Deutschland bleibt einer der größten Truppensteller der Mission. Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten dienen dort für unser Land. Erst im März habe ich persönlich Panzerpioniere vom Standort Holzminden, aus dem Zentrum meines Wahlkreises, nach ihrem Einsatz in Mali wieder zu Hause begrüßen können. Ein besonderes Merkmal unserer Pionierausbildung ist die Vermittlung von Menschenrechten. Der menschenwürdige Umgang mit überwältigten Gegnern ist seit Beginn der Mission ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Dies wird auch in der malischen Gesellschaft anerkannt. Das ist eine wichtige Botschaft und spricht für die hervorragende Arbeit unserer Kräfte vor Ort, für die Qualität unserer Bundeswehr. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin stolz auf unsere Soldatinnen und Soldaten und dankbar für den Einsatz, den sie täglich leisten. Meine besondere Anerkennung gilt ihren Angehörigen, die jeden Einsatz mittragen, den Vätern, Müttern und Kindern, die mitfiebern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Haltung und Führung!) Gleiches gilt für die zahlreichen zivilen Einsatzkräfte, wie die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und die Polizisten von EUCAP sowie unsere Einsatzkräfte in der UN-Mission MINUSMA. Wir verfolgen einen vernetzten Ansatz, auch mit bilateralen Abkommen. Projekte der zivilen Krisenprävention kombinieren wir mit Entwicklungszusammenarbeit. Wir leisten einen ausgewogenen Beitrag zur langfristigen Ertüchtigung Malis. Unser dortiges Engagement ist gut abgestimmt. Ich bin der festen Überzeugung, dass Frieden, Stabilität und Sicherheit nur im Zusammenspiel aller Instrumente und Partner möglich sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Beteiligung an der Mission ist weiterhin richtig und notwendig. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte, EUTM Mali. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12205, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/11628 anzunehmen. Wir stimmen über diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Ich bitte, mir ein Zeichen zu geben, ob die Plätze an den Abstimmungsurnen alle besetzt sind. – Ich sehe, dass alle entsprechenden Positionen besetzt sind. Deshalb kann ich die namentliche Abstimmung jetzt eröffnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer ohne Wartezeit seine Stimmkarte einwerfen möchte, sollte dies direkt beim Rednerpult tun. Hier gibt es fast keine Kollegen, die eine Stimmkarte einwerfen möchten. Gibt es ein Mitglied des Hohen Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat und das noch tun möchte? – Ich sehe niemanden, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt.2 Ich bitte, jetzt Platz zu nehmen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen Drucksachen 18/10031, 18/10626 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland) Drucksache 18/8277 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12413 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Internationale rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen Drucksachen 18/9675, 18/11780 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich keiner. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und bitte alle, die sich nicht unmittelbar beteiligen wollen, entweder Platz zu nehmen oder die wichtigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen. Als erste Rednerin darf ich die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD aufrufen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Der vorliegende Antrag der Fraktion der Grünen mit dem Titel „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen“ hat schon bei der ersten Lesung hier dazu geführt, dass wir uns noch einmal überlegt haben, wie wichtig das deutsche Völkerstrafgesetzbuch ist, das 2002 in zeitlichem Zusammenhang zur Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in diesem Parlament einvernehmlich, also über Fraktionsgrenzen hinweg, verabschiedet wurde. Dieses Völkerstrafgesetzbuch schließt die Lücke, die sich international dadurch ergibt, dass beim Internationalen Strafgerichtshof nur Verfahren geführt werden können gegen Personen aus Staaten, die das Römische Statut unterzeichnet und ratifiziert haben, oder aufgrund einer Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. In dem Antrag wird aufgeführt, dass wir zum Beispiel bei Kriegsverbrechen und bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien weder das eine noch das andere als Grundlage haben. Inzwischen ist aber eine ganze Menge Menschen aus Syrien nach Deutschland, nach Europa geflohen. Diese Menschen können Informationen über das, was sie miterlebt haben, Informationen über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über Kriegsverbrechen in Syrien – das sind teilweise ihre Fluchtgründe, die Fluchtursachen –, für eventuelle Verfahren in Deutschland zur Verfügung stellen. Deswegen hatten wir für den 26. April 2017 den Leiter der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch beim Bundeskriminalamt in den Menschenrechtsausschuss, der mit diesem Antrag befasst war, eingeladen. Er hat uns berichtet, dass das, was in Asylverfahren zur Sprache kommt, oft an seine Zentralstelle im BKA weitergeleitet wird. Das Gleiche gilt für den Generalbundesanwalt. Sehr gefreut hat mich ein ausführlicher Bericht in der tageszeitung, taz, vom letzten Freitag über mehrere Verfahren, die im Augenblick in Deutschland und in Spanien aufgrund der Berichte von Flüchtlingen eingeleitet werden gegen konkret identifizierbare Personen. Dazu trägt unser Völkerstrafgesetzbuch bei. Darüber können wir froh sein. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um der Organisation, die solche Klagen hier in Europa unterstützt, dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte, ausdrücklich zu danken. Denn eine der Stärken solcher Nichtregierungsorganisationen mit Fachjuristen ist, dass sie über diese besondere Expertise zu internationalem Recht verfügen. (Beifall bei der SPD) Insofern hat der Antrag zum Völkerstrafrecht auf jeden Fall etwas mitbewirkt. Ich hoffe, dass wir uns über weitere Fortschritte in dieser Hinsicht freuen können. Danke. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Alexander Neu spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir reden heute über zwei Anträge und einen Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen. Der erste Antrag trägt den Titel „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen“. Die Überschrift ist allerdings irreführend, suggeriert sie doch eine allgemeingültige Forderung, nämlich die Verfolgung der Täter ungeachtet der staatlichen Herkunft und des politischen Status. Im Feststellungsteil wird dann Klartext geredet. Es findet eine zeitliche und räumliche Eingrenzung statt: Irak und Syrien, und das seit 2012. Hinzu kommt: Der künftige Straftatbestand des Angriffskrieges wird nicht genannt. Diese Eingrenzung verdeutlicht: Es geht konkret gegen den IS, gegen die syrische Regierung und allenfalls noch gegen die kurdischen Peschmerga. Der Umkehrschluss ist: Ausgenommen davon sind, auch wenn sie Blut an den Händen haben, Teile der internationalen Gemeinschaft sowie die sogenannte moderate Opposition. Ich finde eine Tätereingrenzung erstaunlich angesichts von rund 1,3 Millionen getöteten Zivilisten, die auf das Konto des US-geführten Kriegs gegen den Terror gehen. Nicht wenige dieser Opfer sind keine Kollateralschäden – allein dieser Begriff ist schon pervers –, sondern Opfer unmittelbarer Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zum Beispiel wurde 2004 in Falludscha mit Phosphorbomben gearbeitet. Warum aber diese zeitliche und räumliche Eingrenzung? Warum die Auslassung des künftigen Straftatbestandes des Angriffskrieges? Die relevanten Angriffskriege der letzten 20 Jahre kamen vom Westen: NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, US-geführter Angriffskrieg gegen den Irak 2003. Warum sollen nicht auch westliche Politiker bei entsprechenden Straftaten zur Verantwortung gezogen werden? Ich verstehe es nicht. (Beifall bei der LINKEN) Die Frage bleibt: Warum wollen die Grünen das in ihrem Antrag nicht? (Zuruf der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mein Fazit lautet: Der Antrag der Grünen ist ein Beitrag des in Teilen erfolgreichen Projekts des Westens, den globalen Süden mit einseitiger Anwendung der Strafrechtsnormen zu knebeln, sprich: unliebsame Regierungen strafrechtlich zu verfolgen oder aber durch Einschüchterung gefügig zu machen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem los?) Solche Maßnahmen tragen dazu bei, dass die ersten Staaten bereits die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof aufkündigen. Die Linke muss diesen Antrag aufgrund seiner Einseitigkeit ablehnen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Dem zweiten Antrag mit dem Titel „Internationale rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen“ können wir – ich fasse mich kurz – zustimmen. Abschließend komme ich zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Ziel ist die Schließung einer Rechtslücke. Worin besteht diese Rechtslücke? Sie besteht darin, dass eine materielle verfassungsrechtliche Prüfung der Bundestagsbeschlüsse zur Entsendung der Bundeswehr in Auslandseinsätze auf Initiative der Opposition nicht möglich ist. Die Organklage ebenso wie das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle scheiden als Klageweg laut herrschender Rechtsauffassung bislang aus. Die Linke hat in Karlsruhe geklagt – das Verfahren ist immer noch anhängig –, um eine Klärung herbeizuführen. Die Lösungsvorschläge im Gesetzentwurf, um die bestehende Rechtslücke zu schließen, sind a) eine Erweiterung des Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle oder b) die Schaffung einer neuen Klageart durch den Deutschen Bundestag. Dem stimmen wir ausdrücklich zu. Dennoch gibt es eine kleine Kritik an dem Gesetzentwurf, und zwar mit Blick auf das Quorum. Hier wird seitens der Grünen wieder mit angezogener Handbremse gearbeitet. Das vorgeschlagene Quorum soll verhindern, dass die Linke auch allein gegen Auslandseinsätze klagen kann, wenn die Grünen gegebenenfalls einen Auslandseinsatz unterstützen wollen. (Henning Otte [CDU/CSU]: Versteht ihr euch doch nicht so gut? – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut ja weh! Jetzt auch noch eine Verschwörungstheorie!) Die Linke fordert: Eine einzige Fraktion im Deutschen Bundestag muss die Möglichkeit zur Klage haben. Denn die Prüfung der materiellen Verfassungskonformität bei rechtlich umstrittenen Auslandseinsätzen der Bundeswehr darf nicht am Quorum scheitern, sondern muss rechtlich geklärt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Ich darf jetzt das Ergebnis der eben erfolgten namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali)“ auf den Drucksachen 18/11628 und 18/12205 bekanntgeben: abgegebene Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 500, mit Nein haben gestimmt 64, Enthaltungen 1. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 565; davon ja: 500 nein: 64 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Fraktionslos Erika Steinbach Nein SPD Ulrike Bahr Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Wolfgang Gunkel Cansel Kiziltepe Christian Petry Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Peter Meiwald Corinna Rüffer Hans-Christian Ströbele Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 15 fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Hendrik Hoppenstedt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grünen möchten mit dem Gesetzentwurf erreichen, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden können. Es wird richtigerweise ausgeführt, dass derzeit keine Möglichkeit zur rechtlichen Überprüfung besteht, auch wenn im Falle einer Nichtbeteiligung des Bundestages natürlich ein Organstreitverfahren möglich und häufig genug auch schon angewandt worden ist. Um es vorweg zu sagen: Für mich, vor allen Dingen aber auch für meine Fraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten nur in einen solchen Einsatz entsenden, der mit unserem Grundgesetz vereinbar ist. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wär’s! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das wäre das erste Mal!) Nun wirft uns die Opposition vor, dass einige Einsätze verfassungswidrig seien. Ich möchte das nachdrücklich zurückweisen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Zwar sehe ich zum Beispiel in Bezug auf unseren Einsatz im Nordirak die vom Auswärtigen Amt ins Spiel gebrachte Rechtsgrundlage des Artikels 24 Absatz 2 unseres Grundgesetzes kritisch, weil ein formeller UN-Sicherheitsratsbeschluss, der eigentlich vorhanden sein müsste, tatsächlich fehlt, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!) das heißt aber noch lange nicht, dass der Einsatz rechtswidrig wäre. Artikel 87a Grundgesetz, der auf Verteidigung abstellt, ist in den Augen fast aller Experten, übrigens auch des Wissenschaftlichen Dienstes dieses Hauses, eine tragfähige Rechtsgrundlage. Sie hätte im Übrigen gegenüber Artikel 24 Absatz 2 unseres Grundgesetzes den Vorteil, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Einsatz im Irak ist keine Landesverteidigung!) dass wir nicht mehr, wie im Sicherheitsrat jetzt notwendig, auf das Wohlwollen von Russland oder China angewiesen wären, um unsere Bundeswehr in den Einsatz schicken zu können. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist aber das Konstrukt!) Ich halte diese Unabhängigkeit für einen souveränen Staat eigentlich für eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Zurufe von der LINKEN) Meine Damen und Herren, anders als in fast allen anderen Staaten dieser Welt entscheidet bei uns der gesamte Deutsche Bundestag über die Frage, ob die Bundeswehr in einen Einsatz geschickt wird oder nicht, und nicht, wie fast überall sonst, ein einzelner Premierminister oder Staatschef. (Zuruf des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) In Artikel 20 unseres Grundgesetzes steht, dass wir alle als Gesetzgeber an unser Grundgesetz gebunden sind. Wir müssen uns also, wenn wir über einen Bundeswehreinsatz entscheiden, jedes Mal kritisch die Frage stellen, ob er denn nun verfassungsgemäß ist oder nicht. Sonst dürften wir ihm ja gar nicht zustimmen. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Da haben Sie recht!) Dem misstrauen Bündnis 90/Die Grünen ganz offensichtlich. Daher gibt es jetzt diesen Gesetzentwurf. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir misstrauen offensichtlich Ihnen!) Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetzentwurf aus vier Gründen ablehnen. Erstens. Es gibt kein Oppositionsrecht, nach Karlsruhe gehen zu können, und wir sind Ihnen gleich zu Beginn dieser Wahlperiode bei der Anwendung von Minderheitenrechten weit entgegengekommen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Almosen!) Zweitens. Der Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das sind aber eine Menge Belehrungen heute!) – Hören Sie doch erst einmal zu! – Sie möchten de facto, dass drei Viertel aller Abgeordneten der Oppositionsfraktionen Karlsruhe anrufen können. Das ist sozusagen das, was im Sinn rüberkommt. Da das Bundesverfassungsgericht in 2016 ausgeurteilt hat, dass Oppositionsfraktionsrechte nicht existieren, orientieren Sie sich bei der Bemessung des Quorums an der Anzahl derjenigen Abgeordneten, die die Bundesregierung nicht tragen. Nun sind auch Oppositionsabgeordnete kein Stimmvieh und unterliegen hoffentlich keinem Fraktionszwang. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Anders als ihr! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich habe „auch“ gesagt. – Insoweit stellt sich also die Frage, wie man feststellt, welcher Abgeordnete denn nun eigentlich die Regierung trägt und welcher nicht. Man müsste wahrscheinlich jeden Morgen, wenn sich die Abgeordneten mit ihrer Unterschrift in die Anwesenheitsliste eintragen, gleichzeitig abfragen, ob sie die Bundesregierung tragen oder nicht, (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das haben sie gerade bei der namentlichen Abstimmung bewiesen!) um das notwendige Quorum zu ermitteln. Schon deswegen ist der Gesetzentwurf ablehnungswürdig. (Inge Höger [DIE LINKE]: Unglaublich!) Drittens. Auch rechtssystematisch passt der Gesetzentwurf nicht. In nahezu allen Klageverfahren, die das deutsche Recht kennt – auch in den Klageverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht –, muss der Kläger eine Verletzung seiner eigenen subjektiven Rechte geltend machen. Nur dann hat er eine Klagebefugnis. Das gilt zum Beispiel für das Organstreitverfahren, das Bund-Länder-Streitverfahren und auch die Verfassungsbeschwerde. Anderes gilt in der Tat für die abstrakte Normenkontrolle, mit der meines Wissens jedenfalls nicht Beschlüsse des Deutschen Bundestages angegangen werden können, sodass das Argument auch in dem Fall leider nicht zieht. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Antrag nicht gelesen! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, Gesetzesverstöße!) Viertens. Angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel die Linken gegen jegliche Auslandseinsätze sind, würde Karlsruhe wahrscheinlich bei allen Einsätzen zu einer dauerhaften Kontrollinstanz bezüglich dieser Frage werden. Ich halte die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichtes in unserer gelebten Verfassungswirklichkeit schon jetzt für ausgesprochen weitreichend, und ich habe kein Bedürfnis, diese weitreichenden Kompetenzen noch weiter zulasten des Deutschen Bundestages, der übrigens das einzig direkt gewählte Verfassungsorgan in Deutschland ist, auszuweiten und zu verschieben. Von den Auswirkungen auf die Bündnisfähigkeit unseres Landes will ich gar nicht erst sprechen. Wir würden als NATO-Partner, aber auch als Teilnehmer an UN-Einsätzen zu Recht nicht mehr ernst genommen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist die Motivation!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Neu hat, glaube ich, zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Strafbarkeit des Angriffskrieges gesprochen. Die Kritik daran teile ich, aber das steht hier gar nicht zur Debatte. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Wir haben Ihnen heute drei grüne Antragsinitiativen zur Abstimmung vorgelegt, die auf den ersten Blick zwar sehr unterschiedlich aussehen, aber alle eine gemeinsame Klammer haben. Ob Völkerstrafrecht, Verfassungsrecht oder internationale rechtliche Zusammenarbeit: Immer geht es um Frieden als übergeordnetes Ziel und um die Stärke des Rechts, kurz: um Frieden durch Recht. Wie wichtig gerade die rechtliche Aufarbeitung für die Opfer brutalster Gewalt ist, haben uns die jesidischen Verbände eindrucksvoll verdeutlicht, die uns im letzten Jahr mehrfach im Bundestag besucht haben. Sie sind 2014 Opfer eines Völkermordes geworden. Dennoch fordern sie weder Rache noch Waffen, sondern justizielle Aufklärung. Die Täter sollen ermittelt und vor Gericht gestellt werden. Da weder Syrien noch der Irak Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes sind, kann dessen Zuständigkeit leider nur durch einen Beschluss des Sicherheitsrates herbeigeführt werden. Eine solche Resolution ist in Bezug auf Syrien im Mai 2014 leider gescheitert. Deswegen ist es gut, dass sich die Bundesanwaltschaft der Aufgabe stellt, bei Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht selbst zu ermitteln und Zeugenaussagen zu sammeln. Dabei sollte sie jede erdenkliche Unterstützung bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zudem hat die UN-Vollversammlung im Dezember letzten Jahres einen Mechanismus zur Unterstützung von Strafermittlungen durch einzelne Mitgliedstaaten beschlossen. Hier sollte es unbedingt eine gute Zusammenarbeit geben. Auch wenn eine Überweisung an den Strafgerichtshof für Syrien bereits einmal gescheitert ist, sollten wir nicht aufgeben. Was spricht dagegen, es wenigstens für die Menschenrechtsverbrechen auf dem Gebiet des Iraks noch einmal zu versuchen, da doch die politische Interessenlage der Großmächte dort durchaus eine andere ist? Die gemeinsame Resolution vom November 2015 zeigt, dass nicht jeder Versuch vergebens ist, wenn der ernsthafte politische Wille vorhanden ist. Kontraproduktiv war es allerdings, dass die Resolution vom November 2015 gleich wieder ausgenutzt wurde, um ein militärisches Eingreifen in Syrien zu begründen, obwohl die Einigung doch gerade nur deshalb zustande kam, weil der Wortlaut dies gerade nicht legitimiert. Damit komme ich zu einem weiteren Antrag von uns. – Die Bundeswehr beteiligt sich seit Ende 2015 am Luftkrieg über Syrien, obwohl es dafür kein UN-Mandat gibt. Die Bundeswehr agiert damit außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit im Rahmen einer Koalition der Willigen. Das ist ein Verstoß gegen Artikel 24 unseres Grundgesetzes und damit verfassungswidrig. Der Hinweis auf diese Norm ist weder Rechtsförmelei noch antiquiert, sondern aktueller denn je. Die Anwendung militärischer Gewalt kann immer nur dann zur Konfliktbeendigung beitragen, wenn sich die internationale Gemeinschaft über die gemeinsamen Ziele und die Strategie einig ist. Ohne diese Voraussetzung ist sie weder legitim noch ein geeignetes Mittel, um das Morden zu beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun wissen wir zu gut, dass es auch bei Ihnen in der Koalition erhebliche Zweifel daran gibt, ob die Voraussetzungen nach Artikel 24 Grundgesetz vorliegen. Es wäre daher in unser aller Sinne, dass diese bedeutsame Frage vom Verfassungsgericht geklärt werden könnte. Leider gibt es aber für eine solche Vorlage bislang keinen Rechtsweg zum Verfassungsgericht. Um Klarheit zu schaffen, schlagen wir vor, die Klagemöglichkeiten im Bundesverfassungsgerichtsgesetz um die Überprüfung von Auslandseinsätzen des Militärs zu ergänzen. Wir brauchen eine solche Klärung umso dringender, als die Verteidigungsministerin in ihrem Weißbuch bereits angekündigt hat, dass ein Einsatz, wie er jetzt in Syrien stattfindet, keinesfalls eine Ausnahme bleiben, sondern vielmehr eine Blaupause für die Einsätze der Zukunft sein soll. In unserem dritten Antrag werden die Stärkung und der Ausbau der internationalen rechtlichen Zusammenarbeit gefordert. Wenn wir rechtzeitig Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsjuristen für die Rechtsstaatsförderung in krisengeschüttelte Regionen schicken, brauchen wir am Ende vielleicht keine Soldatinnen und Soldaten zu entsenden. Das gilt genauso in der Zeit nach einem bewaffneten Konflikt. Ein Land, in dem eine Gewaltherrschaft mit Gewalt beendet wurde, findet noch lange keinen Frieden, erst recht nicht, wenn beispielsweise wie in Libyen keinerlei rechtsstaatliche Fundamente vorhanden sind, auf die die Menschen aufbauen können. Ohne internationale Hilfe und ohne Übergangsjustiz hatten die Libyer keine Chance, wenigstens die schlimmsten Kriegsverbrechen juristisch aufzuklären und einen Weg zur Versöhnung zu finden. Lassen Sie uns also künftig mehr in die Rechtsstaatsförderung investieren, sowohl zur Krisenprävention als auch zur Post-Konflikt-Bearbeitung. Frieden durch Recht ist ein langer und mühevoller Weg, aber allemal erfolgversprechender als alles andere. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Bettina Bähr-Losse spricht als Nächste für die Fraktion der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bettina Bähr-Losse (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der freie Zugang zum Recht und zu einem funktionierenden Justizwesen ist unerlässliche Voraussetzung für einen stabilen und nachhaltigen Frieden. Diese Voraussetzung ist bei uns, anders als in vielen fragilen Staaten, Nachkriegsgesellschaften und Autokratien, glücklicherweise gegeben. Es liegt daher nahe, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert, die internationale rechtliche Zusammenarbeit zu stärken und auszubauen. Konkret werden fünf Forderungen aufgestellt. Die erste Forderung lautet: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Stärkung des internationalen Einsatzes von Justizbediensteten möge zügig ihre Arbeit aufnehmen. (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fakt ist: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat bereits im November letzten Jahres getagt und vereinbart, die Abstimmung zwischen Bund und Ländern durch einen gezielten und regelmäßigen Austausch zu verbessern. Die zweite Forderung lautet: Im deutschen Recht soll die Freistellung von Juristinnen und Juristen verschiedener Berufsgruppen besser ermöglicht und Stellen im Bereich der Justiz geschaffen werden, auf die von den Ländern freigestellte Justizbedienstete für die Dauer des Auslandseinsatzes abgeordnet werden können. (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fakt ist: Es bestehen bereits jetzt die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, um eine Entsendung, Zuweisung oder Sekundierung von Personen der infragekommenden Berufsgruppen zu ermöglichen. Die dritte Forderung lautet: Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass auf Ebene der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über deren Programme zur rechtlichen Zusammenarbeit Angebote zu allen Rechtsbereichen, also Straf-, Zivil-, Staats- und Verwaltungsrecht, bereitgehalten werden. (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fakt ist: Nichts ist so gut, als dass es nicht besser werden könnte. Weitere Optimierungen sind meistens möglich. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Allerdings wird bereits jetzt über die Tätigkeit des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit ein breites Fachspektrum abgedeckt, das über das Strafrecht hinaus insbesondere auch das Verfassungs- und Verwaltungsrecht umfasst. In den Forderungen 4 und 5 des Antrags wird die Bereitstellung von Geld für Werbung gefordert. (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was damit konkret gemeint ist, lässt der Antrag leider offen. Fakt ist: Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wirbt bereits jetzt in Gesprächen mit den Ländern sowie der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesnotarkammer und anderen Institutionen für den Einsatz von Rechtsexpertinnen und -experten an internationalen Friedens- und Rechtsstaatsmissionen. Schulungs- und Werbemaßnahmen werden bereits durchgeführt. Abschließend bleibt festzustellen, dass der Antrag suggeriert, dass internationale rechtliche Zusammenarbeit nicht stattfinde und von der Regierungskoalition vernachlässigt werde. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!) Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen dazu beitragen konnte, aufzuzeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Internationale rechtliche Zusammenarbeit liegt selbstverständlich im Interesse der SPD-Bundestagsfraktion. Der freie und gleiche Zugang zum Recht und zu einem funktionierenden Justizwesen ist unerlässliche Voraussetzung für einen stabilen und nachhaltigen Frieden und eine funktionierende Demokratie. Die mit dem Antrag gestellten Forderungen werden aber bereits erfüllt. An Verbesserungen wird bereits an vielen Stellen gearbeitet. Deshalb ist der Antrag abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dr. Patrick Sensburg hat als Nächster das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem die letzten beiden Vorrednerinnen gerade auf den Antrag eingegangen sind, der die rechtliche Zusammenarbeit stärken möchte, der darauf ausgerichtet ist, die internationale rechtliche Zusammenarbeit zu stärken und auszubauen, möchte auch ich noch einmal auf diesen wesentlichen Punkt eingehen; denn ich glaube, es ist gut, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Fokus auf ein so wesentliches Thema lenkt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde den Antrag von seiner Intention her wirklich berechtigt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Wir haben auch im Ausschuss darüber diskutiert, Frau Kollegin Keul. Sie haben dieses Thema stark vorangebracht. Ich finde das richtig. Ich werde noch einiges zum Inhalt sagen, aber ich glaube, mit der Debatte sind wir auf dem richtigen Weg. Als Intention haben Sie den freien und gleichen Zugang zum Recht und zu einem funktionierenden Justizwesen genannt. Das, sagen Sie, sei die unerlässliche Voraussetzung für Stabilität und Nachhaltigkeit. Das ist so, und das ist richtig. Deshalb bemühen wir uns ganz vielfältig – das beschreiben Sie auch in Ihrem Antrag –, über viele Organisationen – die IRZ-Stiftung wurde schon genannt, aber beispielsweise auch über die politischen Stiftungen – einen intensiven Rechtsstaatsdialog zu betreiben, die Voraussetzungen für einen demokratischen Staat in Ländern zu etablieren und Wissenstransfer zu leisten. Von daher gibt es bereits einen Ansatz. Frau Bähr-Losse hat auch gerade beschrieben, was wir in diesem Bereich schon alles machen. Die Erkenntnis, dass Rechtsstaatsdialog und Demokratietransfer wichtig sind, haben wir, und deswegen ist der Antrag auch richtig. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass es wichtig ist, in den Staaten, in denen wir die Chance haben, Grundlagen der Demokratie zu stärken, zu etablieren und wesentliche Aspekte der Gewaltenteilung, aber auch des Funktionierens eines Staates voranzutreiben, dies auch zu tun. Da sollten wir nicht warten, bis möglicherweise in fragilen Strukturen im Grunde die nicht demokratisch legitimierte Seite die Macht ergreift und die kleinen demokratischen Strukturen, die sich teilweise herausgebildet haben, zerstört werden. Deswegen haben wir auch darüber diskutiert, was wir machen können, um Staaten dabei zu unterstützen. Ich denke beispielsweise an den Südsudan, wo in einem Gesellschaftsdiskurs, in einem demokratischen Dialog gerade versucht wird, den nächsten Schritt zu gehen, nämlich eine Verfassung zu schreiben. Hier müssen wir darüber nachdenken, ob wir die Strukturen, die wir zum Beispiel mit der IRZ-Stiftung haben, nicht unterstützen und stärken sollten, um ganz konkrete Projekte zu machen. Das ist der Punkt, an dem ich sage: Da müssen wir mit dem Antrag einen Schritt weitergehen. Wir haben auch schon den Dialog gesucht, und wir müssen jetzt ein bisschen weiter in die Tiefe gehen und überlegen, ob wir nicht beispielsweise für die IRZ-Stiftung für ganz konkrete Projekte, zum Beispiel für den Verfassungsprozess im Südsudan, Gelder bereitstellen, um ihn damit unterstützen zu können. Deutschland engagiert sich da zum Beispiel auch mit dem Max-Planck-Institut in Heidelberg. Das ist ein unheimlich spannender Prozess, bei dem – das ist wirklich interessant – auch wir lernen, unsere demokratischen Strukturen immer wieder zu hinterfragen und zu stärken; denn man sieht im Diskurs mit diesen Ländern, welche Probleme auftauchen können. Deswegen würde ich sagen, dass alle Fraktionen – insbesondere dann, wenn die Kollegen von den Linken einmal aufpassen und die richtigen Anträge lesen – (Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sich diesen Antrag vornehmen und überlegen, für welche Institutionen und politischen Stiftungen – die IRZ-Stiftung und das Max-Planck-Institut hatte ich gerade genannt; dort würde es, glaube ich, gut passen – Mittel im Haushalt eingestellt werden können, um in den Ländern, die wir auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaat unterstützen wollen, konkrete Projekte weiter zu fördern. Für den Antrag wünsche ich mir mehr Konkretheit und Fakten. Natürlich ist es richtig, dass wir Staatsanwälte und Richter, vielleicht aber auch einmal Rechtsanwälte entsenden. Auch das würde mich freuen. Für die ist es natürlich manchmal etwas schwieriger. Aber warum eigentlich sollte es nicht auch über die Kammern, den DAV und die BRAK Möglichkeiten geben, Anwälte in diese Länder zu schicken? Wir sollten also einmal schauen, welche Möglichkeiten und Rahmen wir schaffen müssen. Dabei handelt es sich ja oft um eine Länderthematik. Den Ländern fällt es schwer, Staatsanwälte und Richter freizustellen und sie beispielsweise für ein Jahr in ein anderes Land zu entsenden. Was können wir machen, um dies zu unterstützen? Auch da sind es, glaube ich, wieder Akteure wie Stiftungen und Institutionen, die das zum Beispiel über Drittmittelprojekte ermöglichen könnten. Beim Max-Planck-Institut ginge so etwas. Dort unterrichten viele Staatsanwälte und Lehrer nebenamtlich. Wir sollten das befördern, um hinzubekommen, dass Rechtsstaatsdialog und Demokratietransfer wirklich funktionieren. Ich würde raten, diesen Antrag in seiner Kürze und Knappheit heute nicht anzunehmen, aber den Diskurs – insbesondere im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz – weiter zu führen, um die Gelder, die wir, glaube ich, finden könnten, für diese aus meiner Sicht im Hinblick auf Ihre Intention richtigen Dinge, die wir anpacken sollten, bereitstellen zu können. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 15 a zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10626, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10031 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Tagesordnungspunkt 15 b stimmen wir über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ab. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12413, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8277 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Unter Tagesordnungspunkt 15 c kommen wir zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Internationale rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11780, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9675 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias Drucksachen 18/11621, 18/12207 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12208 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Freitag (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erneut befinden wir heute über die Operation Atalanta. Sie hat – ich denke, darin sind wir uns alle einig – in den vergangenen Jahren ganz unbestritten dazu beigetragen, die Piraterie am Horn von Afrika erheblich zurückzudrängen. Bereits seit 2008 beteiligt sich Deutschland an der Marinemission und schützt somit auch die Transporte des Welternährungsprogramms, der Mission der Afrikanischen Union sowie Seeleute und Handelsschiffe. Lassen Sie uns kurz zurückschauen. Gab es zwischen 2008 und 2012 noch knapp 600 Übergriffe auf Schiffe, sind es zwischen 2013 und 2017 weniger als 10. Das ist ein großer Erfolg dieser Mission. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nach Angaben der Bundeswehr konnte auf diese Weise die Auslieferung von 1,3 Millionen Tonnen Hilfsgüter nach Somalia sichergestellt werden. Ich denke, an dieser Stelle ist es angebracht, den Soldatinnen und Soldaten, die sich in diesem Einsatz engagieren, ein herzliches Dankeschön von unserer Seite für ihre hervorragende Arbeit zu sagen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich leisten sie damit gleichzeitig einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung dieser doch sehr gebeutelten Region. Ohne eine grundlegende Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in dem Land wird es keine nachhaltige Sicherung der Seewege geben. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg hat – das wissen wir – Anarchie im Land hinterlassen, eine Sicherheitslage, die mit „fragil“ nur unzureichend beschrieben ist. Das ostafrikanische Land zählt noch immer zu den ärmsten, aber auch zu den gefährlichsten Staaten der Welt. Außerhalb der Stadtgrenzen von Mogadischu beispielsweise haben staatliche Institutionen kaum Kontrolle. In Zentralsomalia und auch im Süden gibt es weiterhin komplexe Angriffe der islamistischen Terrororganisation al-Schabab. Über 1 Million somalischer Flüchtlinge sind laut UNHCR in benachbarten Ländern am Horn von Afrika registriert. Auch aufgrund der anhaltenden schweren Dürre steht diesem Krisenstaat wohl erneut eine humanitäre Katastrophe bevor. 2011 sind – ich darf das in Erinnerung rufen – bereits 250 000 Menschen verhungert. Nach UN-Angaben sind derzeit rund 50 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen, allein 2,9 Millionen Menschen auf die Verteilung von Nahrungsmitteln. Das Kinderhilfswerk rechnet in diesem Jahr mit 1,4 Millionen akut mangelernährten Kindern. Auch die medizinische Grundversorgung kann nicht gewährleistet werden. Die Entwicklung Somalias zu einem stabilen Staat ist zweifellos eine langfristige Aufgabe. Das Land braucht Hilfe vor allem in der Verwaltung, in der Justiz und im Sicherheitssektor. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber keine Militäreinsätze!) Dazu gehört natürlich auch die Unterstützung beim Aufbau der Sicherheitsbehörden an Land und auf See. Daher beteiligt sich Deutschland auch an der zivilen Mission EUCAP Somalia und an der Ausbildungsmission EUTM Somalia. Staatsminister Roth hat noch vor wenigen Tagen in Brüssel die Forderung nach einer verstärkten Beratung der somalischen Streitkräfte durch die erwähnte EU-Mission bekräftigt. Zudem hat Bundesaußenminister Gabriel angekündigt, die deutsche Nothilfe auf 140 Millionen Euro zu verdoppeln. Vor wenigen Tagen, am 11. Mai, fand die internationale Somalia-Konferenz in London statt. Dort sprach auch UN-Generalsekretär António Guterres die unverzichtbaren Maßnahmen an: Stabilisierung der Sicherheitslage, mehr politische Transparenz und – wir nennen das Good Governance – verantwortungsvolle Regierungsführung. Hoffnung liegt zurzeit auf dem neuen Präsidenten Abdullahi, der im Februar 2017 gewählt wurde. In London hat er den Kampf gegen die größten Feinde Somalias ausdrücklich betont: Terrorismus, Korruption und Armut, und das mit dem Ziel, natürlich ein wirtschaftlich erfolgreicheres Somalia zu schaffen, ein stabiles Land, das endlich wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Aber ich denke, uns allen ist klar: Das Land wird noch sehr lange die Hilfe der internationalen Gemeinschaft benötigen. Der Hauptauftrag der Operation Atalanta bleibt die Abschreckung, die Verhinderung und natürlich auch die Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen genauso wie von bewaffneten Raubüberfällen. Im Rahmen verfügbarer Mittel und Kapazitäten kann die Mission aber auch der Überwachung illegaler Aktivitäten im Bereich der Fischerei dienen, zum Beispiel durch Informationsaustausch zum maritimen Lagebild. Geplant ist, dass im laufenden Jahr eine Übergangsstrategie erarbeitet wird, um die Operation – natürlich unter Beibehaltung der bereits erreichten Erfolge – beenden zu können. Auch das ist im Übrigen ein Beitrag zur nachhaltigen Stabilisierung dieser Region. Eines muss aber auch klar sein: Solange allerdings die grundlegenden Ursachen der Piraterie nicht erfolgreich bekämpft und beseitigt sind, bleibt die Präsenz auch unserer Schiffe vor der Küste Somalias unverzichtbar. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Mandat. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Inge Höger für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund um das Horn von Afrika sind laut Angaben der UN 20 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Es geht um Länder wie Somalia, Jemen und den Südsudan. Es ist die größte Zahl seit Bestehen der Vereinten Nationen. Angesichts der humanitären Katastrophe ist die internationale Hilfe ein erbärmlicher Tropfen auf den heißen Stein. (Beifall bei der LINKEN) Das Antipirateriemandat Atalanta, das heute hier zur Abstimmung steht, zeigt wieder einmal eine völlig falsche Prioritätensetzung. Militär hilft nicht gegen den Hunger. (Beifall bei der LINKEN) Die Deutsche Welthungerhilfe berichtete im April, dass bisher nur 10 Prozent der zur Bekämpfung des Hungers dringend benötigten Gelder überwiesen wurden. Der Hunger ist auch Folge von Klimaveränderungen. Dafür sind die westlichen Industrienationen maßgeblich verantwortlich. Außerdem trägt das saudische Militär mit seiner illegalen Blockade von jemenitischen Häfen zum Hunger in der Region bei. Saudi-Arabien ist ein Verbündeter des Westens und wird politisch und militärisch massiv unterstützt. Es ist eine Schande, dass nach wie vor auch aus Deutschland Waffen nach Saudi-Arabien exportiert werden. (Beifall bei der LINKEN) Angesichts des Hungers in Somalia könnten die Fischer einen wichtigen Beitrag zur Selbsthilfe leisten. Doch internationale Fangflotten plündern legal und illegal die Fischbestände vor der somalischen Küste. Während der Hochphase der Piraterie in der Region hielten sich die internationalen Flotten zurück, und die Bestände konnten sich erholen. Was für die Handelsschifffahrt am Horn von Afrika ein Segen ist, nämlich der Rückgang der Bedrohung durch die Piraterie, ist für die Fischer in der Region ein Fluch. Von 2013 bis Anfang dieses Jahres kam es auf den Seewegen insgesamt nur zu etwa zehn Angriffen auf Schiffe. Das ist gut für die Besatzung, das ist gut für den internationalen Handel, und das ist gut für die internationalen Raubfischer. Die verbrecherische Ausbeutung der somalischen Fischbestände muss dringend beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen in der Region um das Horn von Afrika bemerken die falschen Prioritäten der westlichen Militärmission durchaus. Es ist absurd: Erklärtes Ziel der Atalanta-Mission ist der Schutz des Welternährungsprogramms. Gleichzeitig stehen nicht genügend Gelder zur Verfügung, um den Hunger wirksam zu bekämpfen. Auf der einen Seite sollen kriminelle Piratennetzwerke bekämpft werden. Gleichzeitig wird die illegale Blockade von jemenitischen Häfen unterstützt. Die Menschen in Jemen hungern, und humanitäre Hilfe kommt nicht an. Durch die Unterbindung des regulären Schiffsverkehrs durch saudisches Militär werden kriminelle Netzwerke gestärkt, die angeblich bekämpft werden sollen. Das Problem der Fischerei ist zwar Teil des Atalanta-Mandats, doch während der Dauer des Mandates hat die räuberische Ausbeutung der Fischgründe kontinuierlich zugenommen. Die einzige wirkliche Priorität für das Militär ist der Schutz der Handelsrouten. So werden die Probleme in der Region nicht gelöst, sondern nur verstärkt. Das muss sich grundlegend ändern. (Beifall bei der LINKEN) Somalische Fischer berichten davon, dass ihre kleinen Boote von großen internationalen Trawlern gerammt werden. Auf Fischer wird geschossen, und es kommt immer wieder zu Todesfällen. Gelegentlich wird ihnen sogar der Fang geraubt. Die Fischbestände sind dramatisch geschrumpft. Ein Unrecht rechtfertigt kein anderes; aber wir sollten nicht ignorieren, dass Not und Verzweiflung die Grundlagen für die Piraterie sind. Es ist wenig überraschend, dass seit Beginn dieses Jahres die Zwischenfälle rund um das Horn von Afrika wieder zugenommen haben. 2017 gab es im Einsatzgebiet von Atalanta bisher in etwa so viele Überfälle wie in den vergangenen vier Jahren zusammen. Nun wieder mehr Militär zu schicken, bringt keine dauerhafte Lösung. Not und Hunger in der Region müssen endlich bekämpft werden. Nötig sind ein Ende der Raubfischerei und ein Ende der Rüstungsexporte in die Region, und das sofort. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Johann Wadephul das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kollegin Freitag hat freundlicherweise schon auf die zweite internationale Somalia-Konferenz hingewiesen, die in der Tat wichtig war. Ich fand bemerkenswert – das konnte man im Tagesspiegel dieser Tage nachlesen –, dass Boris Johnson, der britische Außenminister, dort das Wort ergriffen hat und sich zur Situation in Somalia geäußert hat. Er hat natürlich darauf hingewiesen, wie sehr es ihn besorge, dass es dort eine andauernde Dürre gebe und dass dort eine Hungersnot bevorstehe. Er hat aber auch seiner Freude Ausdruck verliehen, dass es einen friedlichen Machtwechsel und einen neuen Präsidenten gebe und dass es auch die Chance gebe, Streitkräfte und natürlich auch eine Sicherheitsstruktur in diesem Land aufzubauen, die dann auch in der Lage sei, gegen die islamistischen Al-Schabab-Milizen zu kämpfen. Ich finde es überraschend, dass gerade ein britischer Außenminister, der bedauerlicherweise an der Spitze derjenigen stand, die dafür plädiert haben, die Europäische Union zu verlassen, an dieser Stelle eine EU-Kommission gelobt und festgestellt hat: Die Europäische Union tut hier etwas Gutes für die Menschen in der Region, aber natürlich letzten Endes auch für den Weltfrieden. – Auch das sollte uns vielleicht zu der Erkenntnis bringen, dass das insgesamt eine gute Sache ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich können wir die Situation und die Lage der Menschen in Somalia nicht einfach so ändern. Der Einfluss der deutschen und der europäischen Politik ist begrenzt. Es gibt islamistischen Terror. Es gibt Clan-Strukturen, die leider immer noch nicht zerschlagen worden sind, Armut und Hungersnot und natürlich auch eine schlechte Agrar- und fast gar keine industrielle Struktur. Aber gerade deshalb ist es doch umso wichtiger, dass wir diesen Einsatz hier unterstützen; das ist nämlich eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass in diesem Land überhaupt wieder Friede, wirtschaftliches Wachstum und auch ein sozialer Standard einkehren können, den sich doch eigentlich alle Menschen wünschen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Mich überrascht eigentlich, dass Sie von der Linksfraktion hier den Anspruch – das gilt auch für Ihren bemerkenswerten Beitrag gerade, Frau Höger – erheben, das sei irgendwie humanitär und besonders edel – so kommen Sie ja immer daher –, gegen militärische Einsätze zu sein. Jeder militärische Einsatz ist natürlich das letzte Mittel und ist natürlich keine Sache, die sich irgendein Abgeordneter, auch kein Regierungsmitglied in der Bundesrepublik Deutschland leicht macht. Niemand freut sich: Hey, toll, wir können Soldaten einsetzen. – Angesichts des Umstandes, dass wir hier wirklich einen großen Erfolg erzielt haben und dass es gelungen ist, die Piraterie fast vollständig zu besiegen – jetzt ist es endlich wieder möglich, dass durch Schiffe des Welternährungsprogramms humanitäre Maßnahmen geleistet werden können –, (Inge Höger [DIE LINKE]: Die Ursachen des Hungers bekämpfen!) muss ich sagen: Sie von der Linksfraktion haben eine inhumane und keine besonders edle, humane Position. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Karin Evers-Meyer [SPD]) Das sollten Sie an der Stelle einmal einsehen. Es ist kein Gegensatz, ebenso für die Handelswege der westlichen Welt – Europas, auch Amerikas; der Golf von Aden ist einer der wichtigsten Handelswege – einzutreten und diese zu verteidigen. Für deren Sicherheit zu sorgen, ist per se nichts Schlechtes, sondern das ist in unserem allseitigen, auch wirtschaftlichen Interesse hier in Deutschland und Europa. Dazu kann man sich, finde ich, durchaus bekennen; aber es ist kein Gegensatz zu humanitärer Hilfe, sondern beides ergänzt sich. Es werden praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Sie verkennen, dass wir seitens der Europäischen Union insgesamt einen umfassenden Einsatz haben, auf den die Kollegin Freitag schon hingewiesen hat. Wir haben nicht nur einen militärischen Ansatz, sondern natürlich auch einen entwicklungspolitischen Ansatz sowie mit dem Versuch, die Sicherheitsstrukturen in dem Land zu verbessern, auch einen darüber hinausgehenden Ansatz. Die Mission EUCAP NESTOR, die Sie sicherlich auch kennen, hilft dabei, die von Ihnen angesprochene Küstengebiets- und Seeraumkontrolle zu verbessern. Es ist notwendig, die Raubfischerei dort zu bekämpfen; ich bitte Sie aber, die Dimension zu wahren. Nur weil es im Bereich der Raubfischerei noch Probleme gibt, ist nicht der gesamte Einsatz gegen die Piraterie schlecht, sondern er ist gut. Vor diesem Hintergrund plädiere ich dafür, dass der Deutsche Bundestag diesen Einsatz, der wirklich zu den erfolgreichsten Einsätzen gehört, die die Bundeswehr in den letzten Jahren durchgeführt hat, fortführt, dass wir uns dort im europäischen Sicherheitsrahmen weiter engagieren und in dieser Region für ein kleines bisschen mehr Frieden und die Chance auf Wohlstand eintreten. Wir sollten zeigen, dass wir das Entfliehen aus einer schlimmen humanitären Situation gewähren und an der Seite der Menschen in Somalia stehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster spricht Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt gute Nachrichten aus Somalia – allerdings ist das Land noch weit entfernt von Stabilität. Ein Symptom dieser Instabilität ist die Piraterie. Es ist richtig, es gibt auch andere Gründe, wie zum Beispiel die Raubfischerei. Aber dieses Symptom wird bekämpft, was auch notwendig ist. Die Mission Atalanta macht das seit neun Jahren ziemlich erfolgreich: Die Piraterie ist tatsächlich zurückgegangen, und die humanitären Hilfslieferungen sind gewährleistet. Das Problem ist aber noch da: In den letzten zwölf Monaten ist die Piraterie zurückgekommen. Es gibt einen massiven humanitären Notstand am Horn von Afrika; allein in Somalia brauchen 7 Millionen Menschen Hilfslieferungen, vor allem vom Welternährungsprogramm. Das Problem in diesen Tagen ist, dass das Welternährungsprogramm immer mehr Schiffe einsetzen muss – nicht nur, weil man mehr Menschen versorgen muss, sondern weil das Welternährungsprogramm nicht mehr genug Geld hat, um die großen Schiffe, die im Übrigen gegen Piratenangriffe immuner sind, zu chartern, und es vermehrt auf kleinere Schiffe zurückgreifen muss. Das stellt ein erhöhtes Risiko für das Welternährungsprogramm dar. Dieses Risiko wird steigen, wenn in den USA die Administration von Präsident Trump tatsächlich den Haushaltsentwurf, den sie vorgelegt hat und mit dem sie 230 Millionen Dollar aus dem Etat des Welternährungsprogramms streichen würde, durch den Kongress bekommt. Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung Präsident Trump beim NATO-Gipfel in diesen Tagen zusichert, dass Deutschland und andere EU-Staaten bereit wären, diese Deckungslücke zu schließen, dass das dann aber nötige und konkrete Sicherheitsausgaben bedeute. Das ist Sicherheit – und nicht die 2 Prozent, von denen Trump und die Bundesregierung die ganze Zeit sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Im Übrigen ist es völlig richtig, dass das, was die Mission Atalanta leistet, langfristig keine Lösung ist. Aber, verehrte Kollegin Höger: Manchmal braucht man kurzfristige Lösungen. Sie können den Seeleuten nicht einfach sagen: Ihr müsst warten, bis es eine langfristige Lösung gibt. – Ja, wir müssen vor allem die Schiffe des Welternährungsprogramms schützen; dafür wird Atalanta gebraucht. Atalanta wird gebraucht, um die Schifffahrt zu sichern, und nicht, um militärische Abenteuer an Land, die es seit ein paar Jahren in diesem Mandat gibt, abzusichern. Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die Bundesregierung versäumt hat, dieses Landelement aus diesem Mandat herauszunehmen. Das ist der Grund, warum die Mehrheit meiner Fraktion nicht wird zustimmen können. Die Bundesregierung hat auch versäumt, ihre Somalia-Politik grundsätzlich zu überprüfen. In diesem Mandat steht zum ersten Mal im Mandatstext selbst drin, dass Atalanta die Unterstützung für die Ausbildungsmission liefern wird. Wir bilden Soldaten aus, die danach aber kein Gehalt bekommen. Wofür bilden wir sie denn dann eigentlich aus? Das ist ein riesengroßes Problem, weil wir Menschen an Waffen ausbilden, von denen wir nicht genau wissen, wo sie am Ende des Tages landen werden. EUCAP NESTOR sollte in drei Staaten die Küstenwache auf Vordermann bringen. Nach Jahren stellte sich heraus: Es gibt gar keine Küstenwache. Was ist die Konsequenz? EUCAP NESTOR wird in EUCAP Somalia umbenannt, statt grundsätzlich zu überprüfen, ob das ein richtiger Beitrag war. Gleichzeitig haben wir Verbündete, die mit dem sogenannten Krieg gegen den Terror viele Perspektiven für eine politische Lösung in Somalia zerstören. All diese Ansätze gehen an den Bedürfnissen des Landes vorbei. Was das Land braucht, ist ein Aufbau von unten. Ich bin sehr dankbar: nicht nur dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten dort einen wahrlich nicht einfachen Einsatz unter schwierigen Bedingungen fahren, sondern auch dafür, dass es auch deutsche NGOs gibt, die tatsächlich versuchen, diesen Ansatz, von unten aufbauend, zu verfolgen. Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung diesen NGOs, diesen Gruppierungen mehr zuhören würde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und auch die Chance, die sich durch die positive Nachricht von der Wahl von Präsident Farmajo ergibt, ergreifen würde, endlich einen Neubeginn ihrer Somalia-Politik zu lancieren, statt immer nur auf alte Rezepte zu setzen. Ja, Symptombekämpfung ist richtig. Auf lange Sicht wird dies allerdings nicht ausreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst möchte ich festhalten: Atalanta ist eine erstklassige, eine erfolgreiche maritime Sicherheitsoperation. Die Piratenangriffe in der Region konnten durch Atalanta und die Schwestermissionen massiv reduziert werden. Wir sollten nicht vergessen, dass auf dem Höhepunkt der Krise am Horn von Afrika im Jahr 2010 49 Schiffe entführt wurden. Über 1 000 Seeleute waren zeitweise Geiseln. Es kam zu Toten. Im Jahr 2011 wurde Lösegeld mit einem Gesamtbetrag von 160 Millionen Dollar gezahlt, das einzig einer kriminellen Elite zugutekam. Durch die maritime Operation gingen diese Zahlen deutlich zurück. Zuletzt gab es lange Zeit überhaupt keine Entführungen mehr. Vor kurzem hat es wieder einige einzelne Angriffe gegeben, in der Intensität aber keinesfalls vergleichbar mit denen früherer Zeiten. Allein das zeigt doch schon den Erfolg der Operation Atalanta. (Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Atalanta ist auch deshalb erfolgreich, weil die Mission in einer einzigartigen Weise auf internationale Zusammenarbeit setzt. Für Atalanta haben neben den EU-Staaten auch andere Länder wie Norwegen, die Ukraine oder Kolumbien Kriegsschiffe gestellt, Neuseeland hat mit Aufklärungsfähigkeiten beigetragen, Serbien und Montenegro mit Stabsoffizieren. Im Februar dieses Jahres wurde sogar eine südkoreanische Fregatte für einige Zeit Atalanta unterstellt. Derzeit beteiligen sich Spanien und Italien mit Schiffen. Deutschland und Spanien stellen die Aufklärungsflugzeuge. Hinzu kam bis Ende 2016 die NATO-Operation Ocean Shield. Aber auch viele andere Nationen beteiligen sich am gemeinsamen Kampf gegen die Piraterie. Ich halte es für wichtig und gut, dass so auch praktische Zusammenarbeit zum Beispiel mit China oder Indien stattfindet. Gerade China übernimmt hier in einer sehr positiven Weise internationale Verantwortung. Die chinesische Lenkwaffenfregatte Yulin hat Anfang April 2017 eingegriffen, um einen bedrohten Frachter zu retten. Sie wurde von einer indischen Fregatte unterstützt. Beide Länder stehen ja sonst nicht für eine so enge Zusammenarbeit. Insofern ist auch das ein positiver Nebenaspekt. Zugleich ist die Mobilisierung der internationalen maritimen Wirtschaft hervorzuheben. Die Selbstschutzmaßnahmen der zivilen Seeschifffahrt und die Best-Management-Practices haben maßgeblich zu den Erfolgen der letzten Jahre beigetragen. Dazu gehören vor allem die Ausweisung bestimmter Korridore sowie der Einsatz privater Sicherheitsteams. Wir haben aber gesehen: Die Situation bleibt sehr fragil. Seit Beginn dieses Jahres hat es wieder eine ganze Reihe von Piratenangriffen gegeben, sogar eine Entführung. Einschätzungen, das Geschäftsmodell der Piraten sei unrentabel geworden, haben sich leider als falsch erwiesen. Warum? Die Zahl der Marineeinheiten wurde zurückgenommen. Einige Frachtschiffe halten sich nicht mehr an die empfohlenen Korridore, kürzen ab, fahren zu nahe an die Küste oder zu langsam und führen keine bewaffneten Teams mehr mit sich. Die weiter existierenden kriminellen Netzwerke sind aufmerksam und schlagen sofort wieder zu. Aber zudem, meine Damen und Herren, bleibt die Situation in Somalia und in der Region natürlich insgesamt komplex und dramatisch; wir haben es hier schon gehört. Viele tiefere Gründe für die Piraterie sind nicht beseitigt. Somalia bleibt ein Failed State – trotz kleiner Hoffnungszeichen durch eine neue Führung im Land. Armut, Hungersnot, Seuchen, die Cholera, organisierte Kriminalität, der Terrorismus halten das Land weiter in ihrem Griff. Terroristen und Kriminelle rekrutieren die Armen und die, die ohne Hoffnung sind. Wenn der Staat kein Geld hat, seine Sicherheitskräfte zu bezahlen, wenn Jobs und Perspektiven fehlen, wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Was folgt daraus? Die Fortsetzung von Atalanta ist derzeit alternativlos. Wir sind auf sichere Handelswege angewiesen. Ein Einstellen der Patrouillen hätte desaströse Effekte für die Handelsschifffahrt und die Lieferungen des Welternährungsprogramms – wichtig gerade wegen der aktuellen Dürre und Hungersnot. Da ist ein umfassender, ganzheitlicher Ansatz richtig. Der braucht viel Geld, der braucht viel Zeit, und er zeigt leider nur langsam Erfolge. Aber wir müssen schließlich weiter die Not und die Armut bekämpfen und versuchen, Berufs- und Lebensperspektiven vor Ort zu schaffen. Wir leisten hier schon sehr viel: über die Entwicklungszusammenarbeit, über die humanitäre Hilfe. Wir dürfen es nicht der al-Schabab überlassen, den hungernden Menschen dort zu helfen, sondern wir müssen uns selbst dort noch stärker engagieren. In diesem Sinne ist auch Atalanta als erfolgreicher und wichtiger Einsatz zur Bekämpfung der Piraterie ein wichtiger Baustein. Ich bitte deswegen, einer Verlängerung dieses Mandats zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten maritimen Mission Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen gemäß § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung vor.3 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12207, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/11621 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Dort fehlt die Opposition. Das ist heute schon wiederholt der Fall gewesen. Ich bitte um Beeilung. – Sind die Plätze jetzt besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Noch einmal eine besondere Durchsage an die CDU/CSU-Fraktion: Hier gibt es noch drei Urnen, bei denen es keinen Andrang gibt. – Hat jetzt jeder seine Stimmkarte abgegeben? – Herr Diaby, jetzt aber schnell. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird später bekannt gegeben.4 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz) Drucksache 18/10860 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12412 b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung der Wahrnehmung sozialer Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus Drucksache 18/6278 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte alle, ihre Plätze einzunehmen. – Wenn die Gespräche auf der rechten Seite außerhalb des Plenarsaals weitergeführt werden, dann können wir mit der Aussprache beginnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Linke, Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes beginnt mit dem Satz: Soziale Grundrechte sind unabdingbar für ein würdiges Leben in einer sozial gerechten Gesellschaft. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte Ihnen sagen: Dem stimmen wir zu. Ich sage das ganz ausdrücklich, weil das ziemlich die einzige Stelle in Ihrem Gesetzentwurf ist, der wir zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Sachverständigenanhörung, die wir zu Ihrem Gesetzentwurf durchgeführt haben, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. So etwas habe ich vorher noch nicht erlebt. Kein Sachverständiger hat Ihrem Gesetzentwurf Zustimmung signalisiert, nicht einmal Ihr eigener, Professor Eichenhofer. Er hat zwar erläutert, dass er grundsätzlich für soziale Grundrechte sei. Ich glaube, Herr Kollege Hoppenstedt war es, der nachgefragt hat. Dann hat Herr Professor Eichenhofer deutlich gemacht, dass er die gesamte Programmatik Ihres Gesetzentwurfes für nicht zustimmungsfähig hält. Ich sage Ihnen: Vernichtend! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ihr Gesetzentwurf ist verfassungsrechtlich ebenso verfehlt, wie er politisch schädlich ist. Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, ist ein fein austariertes, hochfiligranes Konstrukt. Das gilt umso mehr für die Grundrechte. Mit Ihrem Antrag fuhrwerken Sie regelrecht im Grundrechtskatalog herum. Nach Artikel 1 Grundgesetz wollen Sie einen neuen Artikel 1a einfügen, nach Artikel 2 einen neuen Artikel 2a, nach Artikel 3 einen neuen Artikel 3a, einen neuen Artikel 3b, einen neuen Artikel 3c, einen neuen Artikel 3d, nach Artikel 16 einen neuen Artikel 16a. Was für ein Verhältnis Sie zu unserer Verfassung haben, wird im heute in der taz veröffentlichten Interview mit Frau Zimmermann deutlich. Sie fängt an: Wir fordern ein „Recht auf soziale Sicherheit“, ein „Recht auf frei gewählte Arbeit“, ein „Recht auf eine menschenwürdige Wohnung“, ein „Recht auf Bildung“, das „Recht auf politischen Streik“ und noch einiges mehr. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zu diesem „einiges mehr“ gehört übrigens auch die sanktionsfreie Mindestsicherung – so mal ganz nebenbei. Das erwähnen Sie nicht einmal. Da ist man doch fassungslos, mit welcher Beliebigkeit hier neue Grundrechte geschaffen werden sollen, natürlich alles einklagbar vor dem Bundesverfassungsgericht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Sozialausschuss können Sie ja jetzt zumachen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Bartke, ich muss mal Ihren Redefluss unterbrechen. Die Kollegin Zimmermann würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden? Dr. Matthias Bartke (SPD): Aber gerne, Frau Zimmermann. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gut. Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Vielen Dank, Kollege Bartke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Sozialstaat in Deutschland in den letzten Jahren auch durch Ihre Regierung massiv geschliffen worden ist, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist Politik, nicht Grundgesetz! Machen Sie andere Politik!) dass die Altersarmut zunimmt, dass die Kinderarmut zunimmt, dass Millionen Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten und sie ihre Familien davon nicht ernähren können? (Zuruf von der CDU/CSU: Wahlkampfrede!) Nehmen Sie zur Kenntnis, dass von den ganzen entsprechenden Deklarationen, zu denen sich Deutschland bekannt hat – wie zum Beispiel zur sozialen Sicherheit, zur Bildung für alle, aber auch zu einer für alle erschwinglichen Gesundheitsversorgung –, überhaupt nichts greift und dass man solche Sachen dann ins Grundgesetz schreiben muss, damit man es wirklich einklagen kann, dass die soziale Sicherheit ein wesentlicher Punkt ist, wenn es darum geht, unser Land in Zukunft armutsfest zu machen? Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die Situation derzeit so ist? Ihr Kanzlerkandidat hat ja auch deutlich gemacht: Wir brauchen wieder soziale Gerechtigkeit. Sie wollen da ja viel tun, zumindest mit leeren Worten. Ich habe noch nicht erkennen können, dass sich die soziale Situation durch Ihr Wahlprogramm verändern wird. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Matthias Bartke (SPD): Der Punkt ist: Natürlich wollen auch wir soziale Gerechtigkeit, aber wir wollen nicht in der Art und Weise am Grundgesetz herumfuhrwerken, wie Sie es tun wollen; denn damit würden Grundrechte beliebig. Hören Sie meiner Rede weiter zu! Ich werde es noch ausführen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Frau Zimmermann, Sie haben es mit der letzten Antwort im taz-Interview mit Herrn Rath noch einmal wunderbar dokumentiert. Herr Rath von der taz sagt: Nach Ihren Angaben haben wir … 3,5 Millionen Arbeitslose. Hinzu kämen alle, die ihre schlecht bezahlten Jobs in der Wirtschaft aufgeben und nun einen gut bezahlten Job vom Staat fordern. Sie alle hätten nach Ihrem Gesetzentwurf ein Recht auf frei gewählte Arbeit … (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Soziale Sicherheit hätten sie! Soziale Sicherheit!) Er hat es gut auf den Punkt gebracht. Ihre wunderbare Antwort – ganz simpel –: So ein gewaltiges Projekt lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na und? Das ist doch realistisch!) „Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben“ für die Schaffung von mehreren Millionen Arbeitsplätzen! Ich wiederhole mich: Man ist fassungslos. Das ist doch kaum noch satisfaktionsfähig, was Sie da sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn Sie ein Grundrecht auf frei gewählte Arbeit schaffen wollen, so sage ich Ihnen: In einer sozialen Marktwirtschaft ist das nicht möglich. Das Grundrechtskonzept des Grundgesetzes ist ein anderes. Es sieht vor, dass Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Individuums gegen einen übergriffigen Staat sind. Das ist eine Lehre aus der Vergangenheit. Sie wollen mit Ihrem Antrag einen Staat erreichen, der für alles sorgt, und das Bundesverfassungsgericht wird bei Ihnen zur Superinstanz, die über alle Konflikte entscheidet. Meine Damen und Herren, Grundrechte sind einklagbar. Sie müssen daher vom Staat auch gewährleistet werden, (Zuruf von der LINKEN: Ja, eben!) auch in schlechten Zeiten. In Ihrem Antrag postulieren Sie etwas, was für den Staat unerfüllbar ist. Wenn wir die von Ihnen geforderten Grundrechte in die Verfassung schreiben würden, könnten wir die Grundrechte nicht mehr gewährleisten. Das Grundgesetz würde zur leeren Hülse verkommen. Das werden wir zu verhindern wissen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 564. Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein haben gestimmt 71, Enthaltungen 32. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 564; davon ja: 461 nein: 71 enthalten: 32 Ja CDU/CSU Stephan Albani Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Ekin Deligöz Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Anja Hajduk Dieter Janecek Tom Koenigs Dr. Tobias Lindner Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Manuel Sarrazin Kordula Schulz-Asche Markus Tressel Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Fraktionslos Erika Steinbach Nein SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Christian Petry René Röspel Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Christian Kühn (Tübingen) Monika Lazar Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Corinna Rüffer Hans-Christian Ströbele Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Volker Beck (Köln) Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Steffi Lemke Nicole Maisch Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Claudia Roth (Augsburg) Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Nächste Rednerin ist Azize Tank, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Azize Tank (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartke, ich sage es Ihnen gleich am Anfang: Sie haben null Ahnung, was soziale Menschenrechte bedeuten. (Beifall bei der LINKEN) Die aktuellen Herausforderungen einer globalisierten Welt verlangen nach sozialer Gerechtigkeit. Die Ergebnisse des letzten Armuts- und Reichtumsberichtes zeigen erheblichen Handlungsbedarf. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Selbst IWF und OECD kritisieren die soziale Ungleichheit in der Bundesrepublik. Wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen, um ein Auseinanderbrechen unserer Gesellschaft zu verhindern. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Aber doch nicht so! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz ist eine Notwendigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Soziale Menschenrechte schützen die Freiheit vor Elend und Not. Das ist bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergeschrieben. Sie geht von der Einheit bürgerlicher und sozialer Menschenrechte aus. Meine Herren und Damen, schauen Sie sich das erst einmal an, dann können Sie immer noch „Oh!“ sagen. Die Vereinten Nationen haben 1966 wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte im UN-Sozialpakt verbindlich verbrieft. Das ist keine Erfindung der Linken. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da steht doch nicht so ein Zeug drin!) Seit 2008 ermöglicht ein Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt eine Individualbeschwerde nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges. Dieses Zusatzprotokoll wurde bisher von insgesamt 22 Staaten ratifiziert, zum Beispiel von Frankreich, Italien, Spanien. Deutschland gehört bisher leider nicht dazu. Auch die revidierte Europäische Sozialcharta hat Deutschland nicht ratifiziert. Wir wollen mit unserem vorliegenden Gesetzentwurf die individuelle Durchsetzung grundlegender sozialer Menschenrechte ermöglichen. (Beifall bei der LINKEN) Der Beitritt zum UN-Sozialpakt, zu der Europäischen Sozialcharta und der Grundrechtecharta der EU war nicht dazu gedacht, in Deutschland rechtsfreie Räume zu schaffen. Nein, diese Abkommen verpflichten die Bundesrepublik zur Umsetzung sozialer Rechte. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wirkt deshalb auch unmittelbar!) Auch die altmodische Aufteilung von Menschenrechten in bürgerliche und soziale ist juristisch nicht haltbar. Sowohl bürgerliche und politische als auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte stehen allen Menschen zu, unabhängig von ihrer sozialen Stellung und Herkunft. Alle Menschenrechte sind gleichwertig. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Menschenrechte gelten für alle Menschen: egal ob arm oder reich, egal welche Staatsangehörigkeit sie haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber auch heute schon!) Soziale Grundrechte zeigen den Weg. Die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit ist nicht die Rückkehr zu Nationalismus und Chauvinismus. Vielmehr geht es um den Zugang zu sozialen Rechten und um gesellschaftliche Teilhabe für alle. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Soziale Menschenrechte sind unteilbar und universell. Wir brauchen nicht krank zu sein, um das Recht auf Gesundheit zu verteidigen, so wie wir auch nicht wählen gehen müssen, um das allgemeine Wahlrecht anzuerkennen. Die einen sind ohne die anderen nicht denkbar. Die bürgerlichen und politischen Freiheiten können nicht in vollem Umfang wahrgenommen werden, wenn den Menschen elementare soziale Menschenrechte vorenthalten werden. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb müssen soziale Menschenrechte im Grundgesetz als einklagbare Rechte verankert werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht so!) Der aktuelle Zustand ist weder mit der Völkerrechtsentwicklung noch mit den erreichten sozialen Standards der Bundesrepublik vereinbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden alle an unserer Haltung zu sozialen Grundrechten gemessen und nicht an leeren Wahlversprechen zur sozialen Gerechtigkeit in der Zukunft. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Dr. Hendrik Hoppenstedt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich das so höre, Frau Kollegin Tank, denke ich, dass wir in ziemlich unterschiedlichen Welten leben. Aber auch darüber sich hier heute einmal auszutauschen, ist ja interessant. (Zurufe von der LINKEN) Mit Ihrem Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz suggerieren Sie ja in allererster Linie, dass unsere Verfassung insoweit vollständig defizitär wäre. Dass das ganz bestimmt nicht der Fall ist, wussten wir schon vor dem erweiterten Berichterstattergespräch; aber auf Wunsch Ihrer Fraktion haben wir es durchgeführt. Alle Sachverständigen – der Kollege Bartke hat es schon eindrücklich geschildert – haben genau das bestätigt. Selbst Ihr eigener Sachverständiger, der Sympathie für die Aufnahme weiterer sozialer Grundrechte in den Text des Grundgesetzes geäußert hat, schrieb zu Ihrer Forderung nach Gewährleistung des Existenzminimums: Der Gesetzgebungsvorschlag geht nicht über den rechtlichen Status quo hinaus. – Auch im Berichterstattergespräch hat er gesagt, es sei ja nicht so, dass die Verfassung das Soziale nicht schützen würde. Auf Nachfrage hat er weiter gesagt – auch das hat der Kollege Bartke schon gesagt; ich kann ihn hier nur andauernd anführen, weil er es vollumfänglich so dargestellt hat, wie es auch mein Eindruck war –, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass Ihr Gesetzentwurf – ich wiederhole: das sagte Ihr eigener Mann wörtlich – über eine Vielzahl von Inkonsistenzen verfügen würde. Meine Damen und Herren, in Deutschland erhalten bedürftige Menschen seit Jahrzehnten Hilfe und Schutz. Im HartzIV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 hat das Gericht ausgeführt, dass aus Artikel 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ folgt. Daraus ergibt sich ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Sozialleistungen. Jedem Hilfebedürftigen stehen diejenigen materiellrechtlichen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Es gibt also keine rechtlichen Defizite, jedenfalls nicht auf verfassungsrechtlicher Ebene. Weitere von Ihnen geforderte Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes sind entweder überflüssig, widersprüchlich oder mit unserem freiheitlichen Staatsverständnis und der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. Hinter Ihrem Gesetzentwurf steht ein völlig anderes Gesellschaftsbild und ein völlig anderes Sozialmodell, als wir es heute haben. Überflüssig ist zum Beispiel Ihre Forderung, den Staat zu verpflichten, kollektive soziale Sicherungssysteme zu schaffen; denn aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich bereits, dass die Schaffung sozialer Sicherungssysteme zum Schutz der sozialen Existenz Grundaufgabe des Staates ist. Sie wollen ein Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das sanktionsfrei gewährt werden soll. Zugleich soll jeder Mensch das Recht auf frei gewählte oder angenommene Arbeit haben. Wie das zusammenpasst, beantworten Sie leider nicht. Wer soll denn die frei gewählten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen? Der Staat vielleicht? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht!) Zwischen 1949 und 1989 gab es einen Staat, der genau das versucht hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat das nicht wirklich gut funktioniert. (Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) Sie wollen das Streikrecht ohne Einschränkungen gewährleisten, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Grundrecht!) inklusive des Rechts zum politischen Streik. Ich glaube, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Tarifautonomie und mit unserer Koalitionsfreiheit ausgesprochen gut gefahren sind. Sie fordern ein Recht auf eine menschenwürdige und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf Versorgung mit Wasser und Energie sowie eine einkommensgerechte Miete. Der Staat soll für Mieterschutz sorgen und Miet- und Wohnbelastungen ausgleichen. Die Räumung von Wohnraum soll unzulässig sein, wenn kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt wird. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie ignorieren dabei völlig, dass das BGB eine Vielzahl von mieterschützenden Vorschriften enthält. Lesen Sie es doch einfach mal. (Zurufe von der LINKEN) Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass die Ergänzung des Grundgesetzes generell zu einer verbesserten Durchsetzung von Rechten führen würde. Das gilt für Forderungen nach Aufnahme weiterer Staatszielbestimmungen ebenso wie für die Aufnahme von weiteren Grundrechten. Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, sollte die wichtigsten Rechte im Verhältnis zwischen Bürger und Staat regeln, (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) einschließlich der Grundrechte. Je mehr wir dort hineinschreiben, desto mehr werden wir tendenziell unsere Verfassung relativieren (Zuruf von der LINKEN: Autobahnprivatisierung!) und die Durchsetzbarkeit der Ansprüche reduzieren. Ich habe noch nie in meinem Leben ein erweitertes Berichterstattergespräch erlebt – auch das hat der Kollege Bartke schon dargestellt –, in dem ein Gesetzentwurf derartig zerrissen wurde. Das Gespräch war für Ihre Fraktion eine einzige Ohrfeige. Zitat aus der Stellungnahme eines Sachverständigen – diesmal zugegebenermaßen nicht Ihr eigener –: Die vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen sind verfassungsrechtlich verfehlt, verfassungspolitisch uninformiert, handwerklich dürftig und insgesamt politisch schädlich. Es bleibt festzuhalten: Wir leben in einem wohlhabenden und vor allen Dingen sozialen Staat, der weltweit zu den besten Staaten gehört. Seien wir uns dessen bewusst. Wenn wir schon nicht dafür dankbar sind, so würdigen wir es zumindest. Soziale Rechte sind sowohl in der Verfassung als auch einfachgesetzlich bestens abgesichert. Deswegen lehnen wir als Fraktion diesen Gesetzentwurf mit vollem Herzen ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, es lohnt sich, über die Frage, ob wir soziale Grundrechte im Verfassungstext sichtbarer machen wollen, zu reden. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch manche Formulierungen, die Sie für Änderungen des Artikels 3 des Grundgesetzes gefunden haben, halte ich durchaus für diskussionswürdig. Was aber echt nicht geht, ist, das eigene Parteiprogramm ins Grundgesetz schreiben zu wollen, (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) einschließlich der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik aus den guten alten Zeiten. Es ist wirklich unangemessen, wie Sie damit umgehen. (Zuruf von der LINKEN: Oberlehrer!) Ich rate Ihnen, das Interview mit Susanne Baer in der taz zu lesen. Darin geht es um die Bedeutung von Sozial- und Wirtschaftspolitik und um die verfassungsrechtlichen Planken, in deren Rahmen solch eine Diskussion stattzufinden hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sagt: Das Grundgesetz schafft den Rahmen, in dem Gerechtigkeitsfragen von der Gesellschaft und in den Parlamenten beantwortet werden müssen. ... Für diese Diskussion gibt es die Demokratie mit den Parteien, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, der Presse. Das, was Sie machen, beschreibt sie mit dem Satz: Da wird eine Verfassung zum leeren Versprechen. Das möchte ich um der Rechtspositionen willen, die in unserer Verfassung stehen, nicht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie uns daher die Diskussion über seriöse Entwürfe führen. Ich will jetzt deshalb zu dem Gesetzentwurf kommen, den wir hier vorgelegt haben. Darin geht es ganz konkret um verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Ansprüche einer bestimmten Gruppe. Darin geht es um die Frage: Wie geht unser Rechtssystem mit Illegalen um? Das ist – verfassungsrechtlich wie ethisch – für mich der Ausgangspunkt. Hierzu möchte ich die Worte zweier Päpste zitieren. Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als solche unveräußerliche Grundrechte besitzt, die von allen und in jeder Situation respektiert werden müssen. Das sagte der von mir sonst nicht immer geschätzte Benedikt XVI. in der Enzyklika „Caritas in veritate“. Und Johannes Paul II. sagte: Der Status der Ungesetzlichkeit rechtfertigt keine Abstriche bei der Würde des Migranten, der mit unveräußerlichen Rechten versehen ist, die weder verletzt noch unbeachtet gelassen werden dürfen. Dem wird unser aktuelles Ausländerrecht hinsichtlich der Illegalen nicht gerecht. Der Mensch ist, bloß weil er keine Papiere hat, nicht rechtlos gestellt. Er verliert dadurch nicht seine Menschenrechte, das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung und das Recht auf Schutz vor Ausbeutung im Arbeitsverhältnis. Jedoch ist es durch unsere Meldepflichten so geregelt, dass, wenn jemand ohne Papiere seinen Anspruch auf Gesundheitsbehandlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wahrnimmt – hierauf besteht in unserem Rechtssystem ein Rechtsanspruch –, die zuständige Sozialbehörde die Daten an die Ausländerbehörde weitergeben muss. Das führt unmittelbar zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was?) Die Realität, die wir dadurch haben, soweit nicht Caritas oder Malteser Hilfsdienst einspringen, ist, dass Menschen zum Teil erst dann zum Arzt gehen, wenn Krebsgeschwüre aufgebrochen sind. Im Gegensatz zu Ihnen gehe ich jedes Jahr zu einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie, wo Vertreter der katholischen Kirche jährlich über die Situation von Illegalen in Deutschland beraten. Lassen Sie sich das mal von denen, die die Flüchtlingsgesundheitsversorgung machen, eins zu eins erzählen. Das ist himmelschreiend! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich kann nur an den Gesetzgeber appellieren: Das, was wir bei der Bildung in der vorletzten Wahlperiode gemacht haben – da waren Sie dabei –, war, dass man gesagt hat: Von Kindern, die in die Schule gehen, darf die Schulbehörde die Daten nicht an die Polizei und die Ausländerbehörde weitergeben, damit auch Kinder von Illegalen ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können. Zur Durchsetzung der legitimen Ausweisung von Personen darf nicht der Preis gezahlt werden, dass sie ihre Menschenrechte verlieren. Das gilt auch für das Einklagen von Arbeitslohn, der vorenthalten wird, vor Arbeitsgerichten. Mit unserem jetzigen Recht schützen wir die Ausbeuter. Wenn jemand, der einen versprochenen Lohn nicht erhält, zum Arbeitsgericht geht, muss das Arbeitsgericht ihn melden, was zur Abschiebung führt. Also, wessen Recht wird da geschützt? Die Leute gehen natürlich nicht hin. Abgeschoben kriegen Sie sie doch nicht. Aber Sie liefern diese Menschen aus, machen sie rechtlich schutzlos, gefährden ihre Gesundheit. Für die Gruppe der Menschen ohne Papiere stehen zwar die Menschen- und Grundrechte in der Verfassung bzw. im Gesetz, aber durch die Meldepflichten anderer Behörden werden sie faktisch außer Kraft gesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daher appelliere ich an Sie, insbesondere an Sie von der Union, mit zwei unfehlbaren Päpsten an meiner Seite: Geben Sie sich einen Ruck! Nehmen Sie sich dieses Themas an! Und setzen Sie sich auch einmal der Diskussion mit den katholischen Hilfswerken aus. Da ist nie ein CDU-Abgeordneter. Castellucci von der SPD war da. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Beck, jetzt muss ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nehmen Sie sich dieses Problems an, und überlegen Sie, ob wir in der nächsten Legislaturperiode da endlich etwas hinbekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Sebastian Hartmann. (Beifall bei der SPD) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Beck, wer mit zwei Päpsten beginnt und mit einem SPD-Kollegen, dem geschätzten Kollegen Castellucci, endet, der kann eigentlich nur Zustimmung bekommen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie haben tatsächlich einen Gesetzentwurf aufgegriffen, den wir in der vergangenen Wahlperiode als Opposition formuliert haben. Wir haben gemeinsam an der Frage von aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen gearbeitet und einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht. Tatsächlich haben wir in der damaligen Debatte zum Teil auch die damalige Koalition gelobt und sie darauf hingewiesen, dass sie schon ein paar Verbesserungen durchgesetzt hat. Lassen Sie uns auch benennen, dass es ein grundsätzliches Dilemma ist, wenn wir es mit Menschen zu tun haben, die sich illegal in Deutschland aufhalten, weil bestimmte aufenthaltsrechtliche Fragen nicht ausreichend geklärt sind. Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass es um jemanden geht, der es böse meint oder etwas anderes im Schilde führt, sondern es handelt sich vielfach um Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, die über Jahre und Jahrzehnte Beschäftigung ausüben, deren Kinder sogar ohne Aufenthaltsstatus in unsere Schulen gehen. Meine Damen und Herren, das ist in der Tat ein Problem. Zugleich müssen wir aber auch sehen, dass ein handlungsfähiger Staat jederzeit wissen muss, wer sich in seinem Staatsgebiet aufhält. Und das ist die Problemlage. Wir würden allerdings nicht so weit wie die Grünen in ihrem Antrag gehen, pauschal eine Abschaffung von ganzen Gesetzesteilen zu fordern oder sich pauschal auf die EU zu beziehen. Es ist in der Tat richtig, wenn wir einen der drei Punkte einmal herausnehmen, und zwar die Frage der Arbeitsentlohnung von illegal Beschäftigten, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gesundheitsversorgung brennt am meisten auf den Nägeln!) dass wir auf die 2009 beschlossene EU-Richtlinie noch mal eingehen und an dieser Stelle sagen sollten: Ja, in der Tat gibt es das Problem, dass zwar einerseits erreicht werden kann, dass der Lohn gezahlt wird, andererseits aber der Arbeitsrichter eine sogenannte öffentliche Stelle ist, die dann die Daten übermitteln muss. Natürlich ist es, wenn man schon über den Schutz der Bevölkerung spricht, genauso geboten, darauf hinzuweisen: Ja, in der Tat trifft es zu, dass es am Ende, wenn es einen konkreten Notfall gibt, die Behandlung in Aufnahmezentren gibt. Dafür einen großen Dank an die Migrationsdienste, die Fachärzte vermitteln und sich darum kümmern, dass illegal Aufhältige Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen. Zugleich muss man sich aber fragen: Kann es sinnvoll sein, finanz- und gesundheitspolitisch diesen Menschen so lange Krankenschutz vorzuenthalten, bis es dann zu einer Notaufnahme kommt? Es gibt gute Beispiele dafür, was man hier tun kann – auch aus meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen und aus Niedersachsen. Dort gibt es zum Beispiel den anonymisierten Krankenschein; diese Initiative möchte ich ausdrücklich begrüßen. Dadurch kann man möglicherweise eine konkrete Verbesserung und eine finanzielle Auskömmlichkeit im System erreichen und insgesamt auch etwas für den Gesundheitsschutz tun. (Beifall bei der SPD) Wir werden diese Debatte sehr ernsthaft führen, aber wir müssen sie unter anderen Voraussetzungen als denen des Jahres 2015 führen, als Sie den Antrag formuliert und gestellt haben. Wir reden jetzt über eine Vielzahl von Menschen, deren Aufenthaltsstatus infrage steht und überprüft wird. Es sind wahrlich nicht wenige Menschen. Nach einem Zeitungsbericht waren es 2016 allein in Berlin 50 000 Menschen, die von diesen Regelungen möglicherweise umfasst sind. Die SPD wird diesen Ansatz aufnehmen und im Benehmen mit dem Koalitionspartner diskutieren. Dabei können wir sicherlich auf das zurückgreifen, was wir in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet und gemeinsam eingebracht haben, um hier im Plenum zu einer großen, breiten Mehrheit zu kommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Andrea Lindholz. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei Gesetzentwürfe der Opposition. Beide Vorlagen erinnern mich an ein Zitat von Kurt Tucholsky: Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint. Die Linken wollen soziale Grundrechte im Grundgesetz verankern. Sie wollen, dass jeder Mensch den Staat auf einen Arbeitsplatz und bezahlbaren Wohnraum verklagen kann. Im Grunde fordern Sie eine grundlegend andere Wirtschaftsordnung. Sie wollen, dass der Staat wieder über die Wirtschaft bestimmt. Solche Ideen aus der sozialistischen Mottenkiste werden, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch nach Jahren nicht besser. Ausgehend von unserem Grundgesetz, dem Artikel 1 und unserem Sozialstaatsprinzip, brauchen wir keine neuen Kreationen im Grundgesetz. Zur Begründung schreiben Sie: Die bisherige Ausgestaltung des Grundgesetzes reicht nicht aus, um wirksam vor Sozialabbau und sozialer Ausgrenzung zu schützen. Dieser Vorwurf ist vollkommen absurd. Ich darf heute auch einmal Zahlen nennen: Deutschland hat 2015 888,2 Milliarden Euro für Sozialleistungen ausgegeben. Das macht fast ein Drittel unseres Bruttoinlandproduktes aus. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland halbiert. Trotzdem sind die Sozialleistungen um über 220 Milliarden Euro gestiegen. Und Sie reden an dieser Stelle von Sozialabbau! Bei Ihrem Bild von Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wundert es mich nicht, dass Ihnen sowohl in NRW als auch in Schleswig-Holstein der Einzug ins Landesparlament verwehrt wurde. Zum Gesetzentwurf der Grünen: Er ist aus meiner Sicht leider nicht viel besser, gerade wenn man ihn im Lichte des Zuzugs nach Deutschland in den letzten zwei Jahren betrachtet. Sie wollen allen Ernstes öffentlichen Einrichtungen wie Gerichten und Krankenhäusern verbieten, Ausländerbehörden über Menschen zu informieren, die sich illegal in Deutschland aufhalten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie das Gegenteil erreichen von dem, was sie erreichen wollen! Die Leute gehen dort einfach nicht hin!) Wir reden nicht von Menschen ohne Papiere; denn Menschen ohne Papiere können sich auch legal in Deutschland aufhalten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie eigentlich manchmal mit den Kirchen? Kennen Sie noch Kirchen von innen?) Sie begründen das in Ihrem Gesetzentwurf so: Bislang sehen Menschen ohne Aufenthaltsstatus oftmals von der Durchsetzung schadensersatzrechtlicher, arbeitsvertraglicher oder sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ab, weil sie zu Recht befürchten, dass im laufenden Verfahren ihr Aufenthalt den Ausländerbehörden mitgeteilt wird. Durch die Änderung wird ihre Position ... gegenüber ausbeuterischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern gestärkt. Wenn ich das lese, dann frage ich mich, ob ich ein falsches Weltbild habe. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen allen Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten – ich rede von „illegal“ und nicht von Menschen ohne Papiere –, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne legalen Aufenthaltsstatus, ja!) den Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnen, und gleichzeitig sollen die Ausländerbehörden davon nicht erfahren dürfen. Es tut mir leid, aber damit legalisieren Sie den unerlaubten Aufenthalt. Sie laden zur Illegalität ein und untergraben vor allen Dingen den deutschen Rechtsstaat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd! Sicherheitsbehörden müssen natürlich beteiligt werden! Ach, Frau Lindholz!) Unser Aufenthaltsrecht können wir dann bald abschaffen, und wir können das, was Sie wollen, auf einen Punkt bringen: Wer nach Deutschland kommt, erhält ein Bleiberecht und auch vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) So wie Sie sich das vorstellen, funktioniert unser Rechtsstaat nicht. Daher lehnen wir auch Ihren Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Über 1,2 Millionen Menschen sind in den letzten beiden Jahren nach Deutschland gekommen, 485 000 Ausreisepflichtige werden zum Ende dieses Jahres erwartet. Wir wollen, dass diese Menschen ihrer Ausreisepflicht nachkommen, und wir wollen sie nicht in die Illegalität drängen. Der Bund, die Länder, die Behörden und der Bundestag betreiben einen großen Aufwand, um diese Menschen zu registrieren. Im Interesse der inneren Sicherheit gilt: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt und wer sich dauerhaft bei uns aufhält. Wir können Illegalität nicht auch noch zementieren. Die Lösung ist auch nicht, das Leben in der Illegalität zu vereinfachen. Die Lösung muss sein, die Menschen aus der Illegalität herauszuholen. Wir haben mit unserer Bleiberechtsreform dafür gesorgt, dass sich Menschen, die sich seit vielen Jahren mit einem umgekehrten Aufenthaltsstatus in Deutschland aufhalten, gut integrieren und einen Aufenthaltstitel bekommen können. Damit haben wir ein Signal gegen die Illegalität gesetzt. Wir wollen keine unkontrollierte und auch keine unrechtmäßige Zuwanderung. Ihrem Gesetzentwurf können wir daher nicht zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich nicht richtig gelesen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 17 a zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12412, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10860 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Die Grünen. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung. Unter Tagesordnungspunkt 17 b wird interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6278 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksache 18/12298 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Jetzt können wir anfangen. Das Wort hat für die SPD-Fraktion Josip Juratovic. (Beifall bei der SPD) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und über die Mandatsverlängerung für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission. Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die Truppenstärke verringern werden: von bisher 1 350 auf jetzt maximal 800 Soldatinnen und Soldaten. Der negative Beigeschmack bleibt: Eine Truppenstationierung ist auch 18 Jahre nach dem Kosovokrieg noch nötig. Bevor wir in die Diskussion einsteigen, ist mir eines besonders wichtig: Mein großer Dank und Respekt gilt den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kosovo schafft es leider regelmäßig in unsere Nachrichtenticker. Mal höre ich die nationalistischen Töne, wenn die kosovarische Opposition den Grenzverlauf mit Montenegro anzweifelt. Ein anderes Mal lese ich Drohungen von bewaffnetem Widerstand, weil Serbien mit einem Propagandazug an die kosovarische Grenze rollt. Anschließend fordert Kosovo eine Armee, wohl wissend, welche Provokation dies für Serbien ist. Gleichzeitig liebäugeln nicht wenige im Land mit Großalbanien. Doch auch die guten Nachrichten sollen nicht verschwiegen werden. Die lange Zeit verbarrikadierte Brücke von Mitrovica ist wieder offen, und Kosovo hat endlich eine eigene internationale Telefonvorwahl und eigene Kfz-Kennzeichen. So oder so: Die aktuelle Lage im Kosovo und auf dem Westbalkan im Allgemeinen ist desolat. Am eindrucksvollsten wird dies durch jene fast 50 000 Menschen aus dem Kosovo bestätigt, die in den vergangenen Jahren in Deutschland Asyl beantragten, oder, noch schlimmer, mit über 300 IS-Kämpfern aus dem Kosovo. Warum tun sie das? Erstens. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, liegt bei 50 Prozent. Zweitens. Pristina befindet sich seit langem in einer Regierungskrise. Erst vor wenigen Tagen ist die Regierung endgültig zerbrochen. Neuwahlen stehen bevor. Dabei ist das parlamentarische Selbstverständnis schwach oder aber so radikal, dass der parlamentarische Weg gar nicht beschritten wird. Die politischen Eliten kranken an drei Symptomen: Korruption, Vetternwirtschaft und Nationalismus. Was ich hier vermisse, ist das politische Verantwortungsgefühl für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das, obwohl wir seit Jahren mit Unterstützungen im Milliardenbereich im Kosovo aktiv sind! Die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist trotz dieser beeindruckenden Zahl alles andere als glücklich. Selbst im Kosovo wird die EU inzwischen zunehmend mit Skepsis betrachtet. Insbesondere die europäische Rechtsstaatsmission EULEX hat in der Bevölkerung den Ruf, eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu pflegen. Zur Ehrlichkeit gehört dabei aber auch: Wer gezwungen ist, Kompromisse mit Korrupten zu schließen, wird den Verdacht nicht los, selbst korrupt zu sein. Nun könnte man argumentieren, dass wir unser Engagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst überlassen sollten. Dieser Gedanke mag verführerisch sein, weil das so einfach klingt, dies aber wäre verheerend für die Sicherheit und Stabilität Europas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder Punkt mitten in der Europäischen Union, der globalen politischen Interessen ausgesetzt ist. Deshalb müssen wir Deutschen und Europäer uns stärker für eine europäische Zukunft des Westbalkans einbringen, schon unserer eigenen Sicherheit wegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachbarstaaten des Kosovo sind auch nicht gerade Musterbeispiele der Sicherheit und Stabilität. Das gilt zum Beispiel für Kosovos Nachbarn Mazedonien, wo 25 Prozent der Bevölkerung ebenfalls zur albanischen Volksgruppe gehören. Kürzlich haben die Mazedonier ein neues Parlament gewählt. Nach dem Machtverlust tauchten die mazedonischen Nationalisten auf den Straßen auf und stürmten äußerst gewalttätig das Parlament mit dem Ziel, slawische und albanische Mazedonier gegeneinander auszuspielen. Kolleginnen und Kollegen, die Demokratinnen und Demokraten Mazedoniens verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung; denn diese mutigen Menschen verteidigen unter schwierigsten Bedingungen die demokratischen Werte des immer mehr nach rechts außen kippenden Europas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch blicken wir auf Kosovo zurück. Die Verlängerung des KFOR-Einsatzes ist die traurige Bestätigung dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die schleppende EU-Erweiterungspolitik ausgleichen müssen. Kolleginnen und Kollegen, natürlich handeln die Bundesregierung und die EU: Es gibt den Berliner Prozess für bessere Zusammenarbeit auf dem Westbalkan und die deutsch-britische Initiative für Bosnien-Herzegowina. – Trotz aller diplomatischer Bemühungen tragen wir Europäer eine Mitverantwortung für die desolate Lage auf dem Westbalkan, zum Beispiel, wenn Mazedonien seit 2008 auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel wartet, weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert, oder wenn im Kosovo mehr als 1 000 juristische Expertinnen und Experten bei EULEX seit Jahren nicht in der Lage sind, eine effektive Korruptionsverfolgung aufzubauen. Deshalb sollten wir Europäer jetzt dringend politische Handlungsfähigkeit beweisen. Erstens. Das Kosovo braucht endlich gerechte Gleichbehandlung in der Region des Westbalkans. Dazu gehört auch die dringende Umsetzung der Visaliberalisierung. Zweitens. Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24 stehen für die fundamentalen Werte der EU. Wenn man EULEX als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man gerade diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für alle Westbalkanstaaten. Den Skeptikern unter uns will ich sagen: Kapiteleröffnung bedeutet noch lange keinen Automatismus hin zum EU-Beitritt. Die Kapiteleröffnung setzt gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben erfüllen können. Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist aber: Wir müssen in der EU endlich entschlossen politisch handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Soldaten ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren können. Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt Dr. Alexander Neu. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir reden heute wieder über einen KFOR-Einsatz. Wir befinden uns jetzt, glaube ich, im 16. oder 17. Jahr dieses Einsatzes. Es geht also um die Verlängerung eines Militäreinsatzes zur fortgesetzten Besetzung der südserbischen Provinz Kosovo. (Lachen bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Da lachen sogar die Linken! Man muss nicht alles ablesen, Kollege Neu!) – Das zeigt einmal mehr Ihr Selbstverständnis, meine Kolleginnen und Kollegen, und auch, wie sehr Sie sich mit Verfassungsrecht und Völkerrecht auskennen. Vorausgegangen sind dem zwei völkerrechtswidrige Handlungen. Die erste war der NATO-Angriffskrieg im Jahr 1999 gegen den damals souveränen Staat Jugoslawien unter Beteiligung Deutschlands, das zu dieser Zeit von einer rot-grünen Regierung geführt wurde. Dieser Angriffskrieg diente seinerzeit der Unterstützung der UCK, einer terroristisch-nationalistischen Organisation. Ich sage das deshalb, weil vor mir der Kollege auf den Nationalismus auf dem Balkan hingewiesen hat. Der Vorwand für die militärische Unterstützung der UCK war ein angeblicher oder drohender Genozid, der nie stattgefunden hat, also auch nicht bewiesen werden konnte. Die zweite rechtswidrige Handlung bestand darin, dass die Regierung des Kosovo gegenüber Serbien einen Territorialraub beging, begründet mit dem Selbstbestimmungsrecht der albanischen Ethnien. Lassen Sie mich mit dem Blick auf die Krim eine kleine Anmerkung machen. Auch dort hat die Bevölkerung ihr Selbstbestimmungsrecht – allerdings ohne Kriegsführung – geltend gemacht. Aber auch das war ein verfassungswidriger Akt seitens der Bewohner der Krim. Und es war ein Völkerrechtsbruch seitens der Russischen Föderation, die Krim zu integrieren. Warum aber unterstützen Deutschland und der Westen solche Organisationen wie die UCK? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt eine ganz schnöde Antwort: Es geht um geostrategische Machtpolitik. Gerade Serbien hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgreich Widerstand gegen die deutsche und österreichische Imperialpolitik geleistet. Daher musste Jugoslawien nach dem Kalten Krieg zerlegt und Serbien geteilt werden. Unter Ihnen gibt es doch sicherlich den einen oder anderen, der die Aussage vom damaligen Außenminister Klaus Kinkel aus dem Jahre 1992 kennt: Wir müssen Serbien in die Knie zwingen. – Das ist das Vokabular, das zeigt, wie man mit Kleinstaaten umgeht, die einem nicht unbedingt wohlgesonnen sind. Es ist auch kein Zufall, dass Deutschland und Österreich gerade die separatistisch-nationalistischen Kräfte unterstützten, die sie auch schon im Zweiten Weltkrieg unterstützt haben: (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) die Domobrancen in Slowenien, die Ustascha in Kroatien, die Waffen-Gebirgsdivision der SS „Handschar“ in Bosnien-Herzegowina sowie die Waffen-Gebirgsdivision der SS „Skanderbeg“, deren logischer Nachfahre die UCK war. Sehr geehrte Damen und Herren, in dem Antrag der Bundesregierung – das finde ich auch ganz interessant – steht ja – und ich zitiere –: Eine fortgesetzte Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten an KFOR liegt damit im deutschen sicherheitspolitischen Interesse. Wenn man „sicherheitspolitisch“ durch „machtpolitisch“ oder „geopolitisch“ ersetzen würde, käme man der Wahrheit näher. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die deutsche und insgesamt die westliche Außen- und Sicherheitspolitik – man ging Arm in Arm mit den USA vor – nach dem Ende des Kalten Krieges eine rücksichtslose geostrategische Expansionspolitik gewesen ist. Statt ein gemeinsames Haus Europa zu bauen und einen Wirtschaftsraum zu schaffen, der von Vancouver bis Wladiwostok reicht, gab es eine NATO- und EU-Expansion. Das meistgenutzte Instrument der westlichen Geopolitik in Osteuropa ist – als staatliches Emanzipationsprojekt – die Unterstützung und Befeuerung des Nationalismus. Das geschieht mit der Verwendung von Täuschungsbegriffen wie „Demokratie“ und „Freiheit“. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Die Linke scheint nicht ganz glücklich zu sein mit dieser Rede!) Das Ergebnis war und ist ein gewaltiger Nationalismus in der Ukraine und in Jugoslawien in einer militärischen Dimension, die zu mehr als 100 000 Toten führte. Im Baltikum, in Ungarn, Polen und Tschechien, in der Slowakei, in Rumänien und Bulgarien haben wir es teilweise mit reaktionären Regierungen zu tun, die sich bisweilen sogar rassistisch äußern. Die Ausgrenzung von Minderheiten sowie die dezidierte Ablehnung der Aufnahme von Flüchtlingen in Osteuropa sprechen doch Bände, sehr geehrte Damen und Herren. Das können Sie doch nicht leugnen. Das sind die Früchte Ihrer Politik. (Beifall bei der LINKEN) Wegen dieser Politik werden wir den KFOR-Antrag natürlich nicht unterstützen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist nach dem letzten Beitrag sinnvoll, uns jetzt wieder mit der realen Welt zu beschäftigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man hätte ja – wenn man die Beschreibungen zur Kenntnis nimmt, die man hier hört – manchmal Lust, zu sehen, wie eigentlich die Weltkarten von Kollegen aussehen, die sie vielleicht in ihrem Büro haben. Das wäre lustig, wenn es angesichts dessen, um was es hier geht, nicht so traurig wäre. Ich erinnere mich wie viele, die dabei waren, an die Entscheidungen, die wir 1998/99 im Deutschen Bundestag damals noch in Bonn getroffen haben und die keinem von uns leichtgefallen sind. Ich meine die Entscheidungen betreffend die Jugoslawienkonflikte – diesen Flächenbrand und die damaligen Kriegsverbrechen mitten in Europa – in den 90er-Jahren. Wie gesagt, Herr Kollege, wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über das lachen, was Sie hier erzählt haben. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Es ist traurig!) Ich wünschte, dass Sie einmal Gelegenheit hätten, mit den Angehörigen der vielen Opfer zu sprechen, von denen Sie eben behauptet haben, es sei gar nicht bewiesen, dass es sich um Opfer handele. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ich habe dort zwei Jahre gearbeitet und gelebt!) An Zynismus ist das, was Sie gesagt haben, kaum zu überbieten. Es ist einfach peinlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben damals erkannt, dass blutige Konflikte auf unserem Kontinent nicht schon Geschichte waren. Wir sahen die Zündkraft dieser Konflikte auch und gerade für Deutschland. Frieden und Stabilität in Europa sind unser höchstes Gut, heute genauso wie damals, als wir das – auch aus humanitärer Sicht – Notwendige getan haben. Deshalb engagieren wir uns seit mittlerweile fast 20 Jahren auf dem westlichen Balkan sehr stark mit zivilen, aber darüber hinaus auch mit militärischen Mitteln. Wir haben das trotz vieler Schwierigkeiten beharrlich und mit Erfolg getan. Das gemeinsame Engagement mit unseren Partnern in der NATO, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen hat sichtbar Früchte getragen. Wir sehen das insbesondere im Kosovo, wo sich die allgemeine Sicherheitslage deutlich verbessert hat und wo sich die Beziehungen zu Serbien langsam, aber immerhin normalisieren. Nicht alles verläuft spannungsfrei, was die Umsetzung des Normalisierungsabkommens von 2013 zur Eingliederung der kosovo-serbischen Parallelstrukturen angeht. Eine nachhaltige Stabilisierung der Grenzregion im Nordkosovo bleibt daher unsere oberste Priorität; denn dort besteht nach wie vor Eskalations- und Konfliktpotenzial. Einzelne Zwischenfälle wie etwa die Ausschreitungen bei Demonstrationen in Pristina im Januar letzten Jahres verdeutlichen, wie schnell sich die Gesamtlage wieder anspannen kann. Daher bleibt es wichtig, unseren Einsatz mit unseren Partnern für Frieden und Sicherheit im Kosovo fortzuführen. Im Einklang mit den Bekenntnissen des Warschauer Gipfels der NATO von 2016 ist das militärische Kräftedispositiv der KFOR nun erneut an die insgesamt verbesserte Sicherheitslage im Kosovo anzupassen. Es geht neben der Reduzierung der Truppen um eine Schwerpunktverlagerung hin zu mehr Aufklärungs- und Beratungsfähigkeiten. Dies bedeutet für die Bundeswehr nicht nur eine Reduzierung der nationalen Mandatsobergrenze von 1 350 auf 800 einsetzbare Soldatinnen und Soldaten. Es wird auch real auf eine Reduzierung unseres Kräftedispositivs hinauslaufen. Wir schöpfen die Mandatsobergrenze bisher bei weitem nicht aus. Wir werden sowohl die im Kosovo stationierten Soldatinnen und Soldaten zahlenmäßig reduzieren als auch die Reserve, die wir und unsere österreichischen Partner in Deutschland bzw. Österreich vorhalten. Damit reagieren wir auf die Verbesserung der Sicherheitslage. Aber wir erkennen genauso an: Es bedarf weiterhin eines Beitrags zur Stabilisierung des Kosovo. Mit der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo senden wir das Signal: Für Frieden und Stabilität in Europa übernehmen wir weiterhin gemeinsam mit unseren Partnern Verantwortung. Wir wissen, dass noch viel zu tun ist und dass es in den Ländern, zu deren Stabilisierung wir beitragen, vieler Maßnahmen und Anstrengungen bedarf. Wir tun gut daran, selbstkritisch das zu betrachten, was wir tun. Aber wir tun auch gut daran, uns nicht jeden Schuh anzuziehen und nicht selbstanklagend auf uns zu zeigen aufgrund jedes Problems, das auf dem Westbalkan besteht. Wir haben keinen Grund zur Selbstanklage. Wir sind Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Daran wollen wir weiter arbeiten. Dafür bitte ich Sie um Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Tobias Lindner. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär, Sie haben es selbst erwähnt: 1999 hat man zum ersten Mal über dieses Mandat, die Entsendung der Bundeswehr nach Jugoslawien, beraten. Es spricht für Ihr Lebensalter, dass Sie damals in Bonn dabei waren. Ich habe damals als 17-jähriger Schüler die Debatten vor dem Fernsehgerät verfolgt. Natürlich muss man angesichts 18 Jahre Einsatz die Frage stellen: Ist KFOR ein erfolgreicher Einsatz, wenn man bedenkt, dass wir 18 Jahre engagiert sind? Schauen wir auf die Mandatszahlen. Das Ganze hat mit 50 000 Soldatinnen und Soldaten begonnen. Wir sind jetzt bei einer maximalen Gesamttruppenstärke von 4 400 angekommen. Auch die Aufgaben haben sich verändert. Wurden die Streitkräfte primär dafür eingesetzt, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, sind wir heute bei einem Kräftedispositiv angekommen, also eher einer Art Rückversicherung, die bereitsteht, falls die Lage instabil wird oder die Situation eskaliert. Deshalb will ich ganz klar sagen: In diesen 18 Jahren konnten sich staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen entwickeln, wenn auch bei weitem nicht auf dem Niveau, auf dem wir sie gerne hätten. Unter dem Strich muss man sagen: Die Entwicklung der letzten 18 Jahre in dieser Region ist ein Erfolg, und daran hat auch KFOR ihren Anteil. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Wenn man die Frage stellt, ob das Mandat erfolgreich war, muss man aber auch die Frage stellen, ob dieser Einsatz immer noch notwendig ist. Die Bundesregierung selbst sieht die Bedrohungslage als niedrig und die Sicherheitslage als kontrollierbar an. Man muss sagen: Ja, der Einsatz ist leider immer noch notwendig. Sie, Herr Kollege, haben selbst erwähnt, welche Arten von Provokationen es auf verschiedenen Seiten gibt. Sie haben auch von dem Zug gesprochen, der an die Grenze fuhr und der zum Glück noch rechtzeitig aufgehalten wurde. Auf dem stand: Kosovo ist Serbien. – Das sind keine Ereignisse, die zu einer Entspannung der Situation beitragen. Im Gegenteil: Sie tragen ein enormes Konfliktpotenzial in sich. KFOR ist notwendig, damit man im Fall einer Eskalation reagieren kann. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Man muss vor allem folgende Frage stellen: Ist KFOR ausreichend? Darauf ist hoffentlich unsere gemeinsame Antwort, zumindest von vielen in diesem Haus: selbstverständlich nicht. Wenn wir über die Probleme reden, die die Region hat, dann erweist sich, dass Militär maximal einen Rahmen bieten kann, um solche Probleme anzugehen. Aber es müssen die zivilen und die diplomatischen Mittel, die Mittel der wirtschaftlichen Kooperation und die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden. Dazu braucht es in diesem Moment vor allem ein starkes Europa. Wir als Europäische Union müssen die gesamte Balkanregion politisch und gesellschaftlich unterstützen, und wir müssen schauen, dass die Beitrittsperspektive, die durch Verhandlungen eröffnet wurde, auch weiterhin glaubhaft bestätigt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Lassen Sie uns in unser Bewusstsein rücken, dass unsere Gemeinschaft das starke Haus Europa ist, das auch in diesem Fall Orientierung bieten kann. Langfristig muss klar sein: Ich will nicht in 18 Jahren hier stehen und immer noch darüber reden, ob wir dieses Mandat verlängern. Die sinkenden Mandatszahlen sind ein gutes Zeichen. Wir alle sollten über die Perspektive nachdenken, wie wir dieses Mandat in mittlerer Zukunft beenden können. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen den Abzug unserer Truppen mittelfristig in den Blick nehmen. Wir müssen schauen, dass wir auf ziviler Ebene die Voraussetzungen dafür schaffen. Das zu tun, ist wichtig, und es bleibt wichtig. Wir brauchen mehr Diplomatie, wir brauchen mehr Entwicklungszusammenarbeit. Aber wir sollten uns nichts vormachen: Für die nächsten zwölf Monate, über die wir reden, brauchen wir auch noch die KFOR. Das ist unsere Orientierung, aber das ist auch unsere Erwartung an die Bundesregierung. Wenn Sie, Herr Staatssekretär, sagen: „Es ist noch viel zu tun“, dann sagen wir ganz klar: Dann lassen Sie es uns doch tun. Mit dieser Orientierung werden wir wohlwollend in die kommenden Ausschussberatungen gehen und dieses Mandat prüfen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zur Verlängerung des KFOR-Einsatzes kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Letzte Woche hat der kosovarische Ministerpräsident seine Mehrheit im Parlament verloren, und im Juni gibt es Neuwahlen. Bei diesen Neuwahlen wird es im Wesentlichen darum gehen, ob die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien weitergeht oder ob dieser Weg unterbrochen wird. Meine Damen und Herren, täuschen wir uns nicht: Das ist eine Richtungsentscheidung; denn die Normalisierung, die Aussöhnung mit Serbien, ist eine wesentliche Voraussetzung für eine weitere EU-Perspektive des Kosovo. Bei all meinen Gesprächen auf dem Balkan habe ich eins gemerkt: Dort werden die Debatten, die wir hier führen, ganz genau verfolgt, und das auch von denjenigen, die einer weiteren EU-Perspektive und einer weiteren EU-Annäherung kritisch gegenüberstehen. Deswegen sollten wir die Chance, die mit der heutigen Debatte einhergeht, nutzen, um ihnen zuzurufen, dass für uns der Kosovo ein Teil Europas ist, dass wir für Sicherheit, Entwicklung, Frieden auf dem Westbalkan und insbesondere im Kosovo eintreten und dass wir als sichtbares Zeichen unserer Unterstützung die Bundeswehr im Kosovo belassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieses Signal ist wichtig; denn der gesamte Westbalkan ist im Moment in einer kritischen Phase. Ich möchte das an vier Beobachtungen festmachen. Erste Beobachtung. Der Westbalkan hat im Moment in Brüssel nicht die höchste Priorität. Brexit, Ukraine, Nordafrika, Türkei – überall lodernde Brandherde, die die volle Aufmerksamkeit erfordern. Dagegen scheint der Westbalkan fast abgekühlt zu sein; aber ich glaube, der Eindruck täuscht. Zweite Beobachtung, dazu passend: Im Moment ist es doch so, dass die Nationalisten in den verschiedenen Ländern austesten, wie weit sie gehen können. Der Kollege Lindner hat es angesprochen: Einen Zug mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ von Belgrad nach Mitrovica fahren zu lassen, ist doch eine reine Provokation, (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Warum?) bei der es nur darauf ankommt, lieber Kollege Neu, zu schauen, wie wer reagiert. Um im Bild von vorhin zu bleiben: Im Kosovo und auf dem Westbalkan gibt es im Moment viele, die zündeln. Dritte Beobachtung. Andere Länder und andere Mächte bemühen sich momentan sehr intensiv um Einfluss in der Region – Russland vor allem in den slawischen Teilen; China investiert in der ganzen Region. Eine Randnotiz, die das strategische Interesse und die strategische Bedeutung des chinesischen Engagements zeigt: Vor kurzem wurde der serbische Präsident zum Ehrenbürger Pekings ernannt. Die Türkei ist aktiv. Sie sieht sich als Schutzmacht für die Muslime in der ganzen Region, und auch andere arabische Länder investieren zum Teil in Moscheen, aber zum Beispiel auch in Belgrad in die Infrastruktur der Stadt. Sie wollen sich darüber Einfluss sichern. Vierte Beobachtung. Die Anziehungskraft der Europäischen Union lässt im Moment eher nach. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Woher kommt das wohl?) Damit sinkt auch der Einfluss der EU. Der Weg zu einer EU-Mitgliedschaft dauert schon lange und ist ohne klare zeitliche Perspektive. Die EU selbst ist in einer Krise, Stichwort „Brexit“. Es gibt andere Länder, die auch gute Angebote machen, ohne dass es irgendwelche lästigen Reformvorgaben gibt. Der Kosovo und der Westbalkan sind ein Teil Europas. Eine Instabilität innerhalb Europas können wir uns noch viel weniger erlauben als eine Instabilität außerhalb Europas oder an den Grenzen Europas. KFOR ist in einem Teil des Westbalkans, im Kosovo, ein wichtiger Stabilitätsanker. Deswegen wollen und werden wir auch KFOR verlängern. Wir können den Ländern auf dem Westbalkan im Moment keinen schnellen EU-Beitritt versprechen; aber wir müssen ihnen zeigen, dass Europa für sie langfristig der bessere Partner ist und dass es sich lohnt, sich Europa anzunähern. Ich möchte mit einer weiteren Beobachtung schließen. Ich glaube, wir haben da alle Chancen. Immer wenn ich insbesondere mit jungen Leuten auf dem Westbalkan spreche, dann sagen sie mir alle: Wir wollen in die EU. – Lieber Herr Neu, ich habe noch keinen getroffen, der nach Moskau will, und ich habe noch keinen getroffen, der nach Ankara will, (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Neu will nach Moskau!) sondern es ist die EU, die Anziehungskraft hat. Wir sollten den jungen Menschen auf dem Westbalkan diese Perspektive weiterhin geben. Deswegen werden wir den Antrag der Bundesregierung sehr wohlwollend prüfen und ihm zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Brandl war der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. Es wird vorgeschlagen, dass die Vorlage auf Drucksache 18/12298 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik Drucksache 18/12372 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für Bündnis 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich spreche ich hier und heute als grüne Abgeordnete, aber ich möchte auch ganz explizit als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages sagen: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Es muss doch über alle Fraktionsgrenzen hinweg zu unserem Selbstverständnis gehören, dass wir diese Parlamentsarmee auch an ihren jeweiligen Einsatzorten besuchen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mit jedem Einsatz, den wir für die Bundeswehr beschließen – Sie wissen alle, dass sich meine Fraktion aus gutem Grund dabei nicht leichttut –, laden wir enorme Verantwortung auf uns. Wir entsenden Soldatinnen und Soldaten in schwierigste Missionen. Wir sprechen ihnen unser Vertrauen aus, bitten sie aber zugleich, auch uns zu vertrauen. Wie wollen wir dieses gegenseitige Vertrauen aber aufrechterhalten, wenn uns die unmittelbare Begegnung, wenn uns der inhaltliche Austausch verwehrt wird? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Frage stelle ich übrigens nicht, obwohl meine Fraktion gegen den deutschen Tornadoeinsatz über Syrien ist und war, sondern im Gegenteil: Gerade weil wir dem Einsatz nicht zugestimmt haben, ist es doch ein Anliegen und unser Recht, unsere Bedenken vor Ort thematisieren zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist uns nun aber zum wiederholten Male von der türkischen Seite verboten worden. In diesem Punkt kann ich Sigmar Gabriel nur zustimmen: Dieser Zustand ist absolut inakzeptabel! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber: Dieser Zustand ist bereits seit geraumer Zeit absolut inakzeptabel. Was muss also noch geschehen? Wie lange wollen wir denn noch warten? Wann lassen wir den vielen Empörungsrufen endlich auch Konsequenzen folgen? Liebe Kolleginnen und Kollegen: Es reicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Nicht so laut!) Ich höre immer wieder von Abgeordneten aus anderen Ländern, wie sehr wir um unser Prinzip einer Parlamentsarmee in Deutschland beneidet werden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir hören es doch!) Da wäre es doch ein Armutszeugnis, ja, eine Beleidigung gegenüber einem regelrechten Parlamentsprivileg, wenn wir zum wiederholten Male hinnehmen würden, dass wir unserer eigenen Verantwortung nicht nachkommen dürfen. Ich sage hier ganz bewusst: unserer eigenen Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich ist dieser Bundeswehreinsatz in eine gemeinsame Strategie mit Partnern wie den USA eingebettet. Aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass Sigmar Gabriel jetzt glaubt, ausgerechnet Rex Tillerson um Hilfe bitten zu müssen. Ja, was soll das denn? Es war unsere Entscheidung, unsere Bundeswehr in Incirlik zu stationieren, also müssen wir auch die Verantwortung übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Unter den gegebenen Bedingungen ist der Abzug überfällig. Also bitte: Er ist nicht nur anzudenken oder weiter zu erwägen, nur um Zeit zu gewinnen. Es braucht auch kein Ultimatum, das heute wohl Kollege Oppermann gestellt hat. Nein, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, es mit den vielen Respektsbekundungen wirklich ernst meinen, die gestern im Fall Franco A. gegenüber der Bundeswehr geäußert wurden, dann bleibt Ihnen nur eine Wahl: Stimmen Sie dem Antrag zu, und beschließen wir noch heute gemeinsam, die Bundeswehr aus Incirlik abzuziehen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Erlauben Sie mir noch eine kurze abschließende Bemerkung. Ich finde es geradezu unerträglich, wenn die Regierung in Ankara nun die Incirlik-Debatte mit der Entscheidung verknüpft, Angehörigen des türkischen Militärs in Deutschland Asyl zu gewähren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Werter Herr Yildirim, das Grundrecht auf Asyl ist keine Verhandlungsmasse. Bei der Entscheidung, wem wir in Deutschland Schutz bieten, lässt sich unser Rechtsstaat nur von einer einzigen Instanz etwas vorschreiben: Das ist das Recht – das internationale Völkerrecht und das Grundgesetz. Bevor Sie mir da hoffentlich alle zustimmen, sage ich, dass wir dann aber auch aufhören müssen mit Rüstungsexporten in die Türkei. Außerdem dürfen wir uns nicht durch ein Flüchtlingsabkommen abhängig machen, mit dem wir unsere asylpolitische Verantwortung auslagern wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist dann nämlich auch ein Stück weit Verhandlungsmasse. Auch damit muss Schluss sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist nötig, in diese gleich zu Beginn durch Sie, Frau Roth, ordentlich temperierte Debatte (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So bin ich halt!) etwas Ruhe und Gelassenheit zu bringen. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Langweilig!) Ich denke, wir sind uns in zwei Punkten sehr einig, liebe Frau Kollegin Roth: Erstens ist es nicht haltbar, wenn das Besuchsrecht auf Dauer verweigert wird. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn hier „auf Dauer“?) Zweitens ist die Türkei auf dem Weg in einen Unrechtsstaat, und wir müssen sehr sorgfältig überlegen, mit welchen Maßnahmen und Methoden wir auf die Eskalation, die vonseiten der Türkei betrieben wird, reagieren. Ich sage hier sehr deutlich: Ein einseitiger und sofortiger Abzug ist weder im europäischen noch im deutschen Interesse; das sage ich auch im Namen meiner Fraktion. Denn ein solcher Abzug hätte Konsequenzen. Erstens würden wir die Isolierung der Türkei vorantreiben. Zweitens wäre das Gesamtthema eine bilaterale Geschichte zwischen Deutschland und der Türkei. Unser Interesse muss doch sein, dass man sich auf der diplomatischen Ebene der NATO darüber unterhält und wir daraus kein deutsch-türkisches Sonderproblem machen. Entscheidend ist, dass der NATO-Rat dies thematisiert. Das war übrigens, als ich das vor einigen Monaten vorschlug, nicht im deutschen Interesse und auch nicht im amerikanischen Interesse. Es wurde damals verhindert. Heute aber wissen wir – das kann ich auch im Namen meiner Fraktion sagen –, dass es auf wichtigen Überlegungen beruht, dieses Thema in Brüssel zu debattieren. Denn die Türkei ist kein Land, das auf dem Weg zu mehr Demokratie ist, sondern ein Land, das sich vom Wertekanon der NATO verabschiedet. Es ist nicht tragbar, dass sich die Türkei, die Südostflanke der NATO, zunehmend dem Iran und Russland annähert und wir durch einen überzogenen einseitigen Abzug einen Beitrag dazu leisten. Ich bin ein Verfechter des Besuchsrechts, empfehle aber, die Studie des Wissenschaftlichen Dienstes aus dem letzten Jahr zu dieser Frage sehr sorgfältig zu lesen. Die Parlamentskontrolle üben wir nicht durch das Besuchsrecht aus, sondern indem wir Kabinettsentscheidungen unsere Zustimmung geben oder sie verweigern. Für uns ist ganz wichtig, dass die Truppe dort gut geführt wird und dass ein Beauftragter des Bundestages jederzeit Zugang hat, nämlich der Wehrbeauftragte. In der Zeit, in der die Türkei uns Abgeordneten den Zugang verwehrt, machen wir etwas ganz Wichtiges: Wir prüfen Alternativen. Als wir im letzten Jahr dem Vorschlag der Bundesregierung zugestimmt haben, waren Sizilien, Zypern, Jordanien und Katar in der Debatte. Wir haben uns damals entschieden, von einem bewährten NATO-Stützpunkt aus zu agieren. Das war auch in unserem Interesse. Jetzt gibt es sehr erfreuliche Signale aus Jordanien. Unsere Verteidigungsministerin reist am Wochenende dorthin. Gegenwärtig befinden sich dort Teams zur Prüfung. Die Bundeswehr ist in Jordanien sehr willkommen. Wenn die Türkei nicht bereit ist, das Besuchsrecht wieder einzuräumen, dann ist das eine sehr gute Alternative. Wir sollten nicht kurzfristig mit einem einseitigen und sofortigen Abzug reagieren, liebe Frau Roth. Sie wissen selbst, dass es etwa acht bis zehn Wochen dauert, bis die Bundeswehr woanders wieder einsatzfähig ist. Das Oberziel ist doch nicht, unsere Soldaten dort zu besuchen. Das gehört zwar mit dazu, aber das Oberziel ist der Kampf gegen den IS. (Beifall bei der CDU/CSU) Den Kampf gegen den IS ohne deutsche Beteiligung acht Wochen lang fortzuführen, wäre bündnisschädigend. Ich möchte an dieser Stelle einen Vorschlag ansprechen, zu dem Jürgen Hardt und ich heute bereits etwas gesagt haben. Es ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar, dass unser Bundesaußenminister von Washington aus jetzt auch noch den AWACS-Einsatz der NATO zur Debatte stellt; hier stellt Deutschland 30 Prozent des Personals. Plötzlich soll die Bundeswehr auch aus Konja abziehen. Bei aller Koalitionstreue: Es ist ein Schaden, wenn Deutschland plötzlich einen NATO-Einsatz aufkündigt. Ich bekenne hier sehr deutlich: Wir als Union stehen hinter dem AWACS-Einsatz. Wir wollen, dass die NATO zusammenhält und auch im Wahlkampf nicht auseinanderdividiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit dem Wahlkampf doch gar nichts zu tun!) Deswegen werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, sondern ihn an den Auswärtigen Ausschuss überweisen und dort in aller Ruhe debattieren. In der Zwischenzeit erwarten wir die Ergebnisse des Teams der Bundesregierung zu der Frage, was Jordanien zu bieten hat, und wir hoffen, dass die Türkei in den Schoß gemeinsamer NATO-Verantwortung zurückkehrt. Wir sollten uns von der Türkei nicht in eine unnötige Eskalationsspirale treiben lassen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die NATO hat gesprochen, das NATO-Hauptquartier!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Dr. Dietmar Bartsch. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon etwas Besonderes, dass es wenige Wochen vor den Wahlen einen gemeinsamen Antrag von den Grünen und den Linken gibt. Das ist so kurz vor Wahlen sehr unüblich. Es ist sicherlich auch sehr unüblich, dass eine Vizepräsidentin und ein Fraktionsvorsitzender sprechen und dass wir im Übrigen alle unsere politischen Positionierungen in dem Antrag weggelassen haben. Dafür muss es schon einen triftigen Grund geben. (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Ja, das stärkt die Große Koalition!) Und ich sage Ihnen: Es gibt einen triftigen Grund. Hier geht es um das Selbstverständnis von uns als Abgeordnete. Hier geht es um das Selbstverständnis unseres Parlaments, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist so – wir alle wissen das –: Ein weiteres Mal verweigert die türkische Regierung Abgeordneten aller Fraktionen den Besuch in Incirlik. Das ist der schlichte Fakt, und das ist zum wiederholten Mal der Fall. Es ist ein Trauerspiel, Herr Kiesewetter, wie Sie hier irgendwelche, teilweise irren Begründungen finden. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Was?) Es ist völlig inakzeptabel, dass deutsche Parlamentarier nicht die von hier mandatierten Soldaten besuchen können. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie glauben offensichtlich, dass die Kanzlerin beim NATO-Gipfel alles richtet. Die muss das offensichtlich wieder selber machen. Aber ich kann Ihnen eines sagen: Es ist eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. Wir entscheiden und nicht die Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Warum stimmen Sie sonst nicht mit?) Sie wissen überhaupt nicht, ob die Kanzlerin vielleicht sogar froh wäre, wenn Sie mal den Mut hätten. Entscheiden Sie doch mal! Vielleicht wäre das sogar Rückenwind für sie, wenn Sie mit einem Mandat des Deutschen Bundestages Herrn Erdogan etwas Druck machen können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir können doch nicht akzeptieren, was da passiert. Das alles wird hier entschieden, und hier können wir den sofortigen Abzug entscheiden. Das heißt doch nicht, dass wir hinfliegen und die Soldaten zurückholen, sondern das heißt, dass hier beschlossen und danach der Beschluss umgesetzt wird. Die Bundeswehr hat in der Türkei nichts zu suchen. (Beifall bei der LINKEN) Weil Sie das angesprochen haben: Das gilt genauso für die NATO-AWACS im südtürkischen Konya; selbstverständlich. Auch da haben wir nichts zu suchen. Wenn das bei dem einen gilt, dann muss das auch bei dem anderen gelten. Ich bin sehr gespannt, ob wir nach Konya fahren können. (Beifall bei der LINKEN) Es ist doch absurd, wenn Sie deutsche Soldaten in die Türkei entsenden und gleichzeitig immer mehr türkische Militärangehörige – das geht bis hoch zu Generälen – politisches Asyl in Deutschland beantragen. Da ist doch irgendetwas schief. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir im Bundestag haben nur eine einzige Entscheidung zu treffen. Natürlich will ich hier auch Außenminister Gabriel noch einmal würdigen. Es ist ja wohl absurd, dass der zu Tillerson rennt, dem ehemaligen Exxon-Manager, und um Vermittlung bittet. Wo sind wir denn hier hingekommen? Das ist hilf- und konzeptionslose Außenpolitik, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fragen Sie doch noch Herrn Lawrow! Vielleicht kann der auch noch etwas vermitteln – das wäre mal eine Idee –; vielleicht sogar beide zusammen. Ich sage Ihnen: Lassen Sie den ganzen Unsinn! Die Türkei entwickelt sich in Richtung einer islamistischen Diktatur. Ziehen Sie nicht nur die Bundeswehr von dort ab; stoppen Sie vor allen Dingen alle Waffenlieferungen für diese Diktatur! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da wird Krieg gegen Kurdinnen und Kurden geführt. Stoppen Sie auch die EU-Vorbeitrittshilfen! Es gibt keinen Grund, dieses Land noch mit Geld zu fördern. Beenden Sie die militärische und auch die geheimdienstliche Zusammenarbeit mit diesem Despoten! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wäre notwendig. Senden Sie doch von hier mal ein klares Signal in Richtung Türkei! Der Flüchtlingsdeal hält das alles auf. Herr Kiesewetter, Sie sprechen vom Wertekanon der NATO. Ja, aber wenn der gilt, dann muss man die Türkei sogar aus der NATO rausschmeißen. Das wäre die Situation. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen auch: Wir haben die Aufgabe, die Zivilgesellschaft in der Türkei zu unterstützen. Ja, wir wollen, dass die Türkei wieder in eine andere Richtung geht. Wir wollen mit den Menschen der Türkei zusammenarbeiten. Aber das, was dort jetzt geschieht, geht genau in die falsche Richtung. Also, sehr geehrte Abgeordnete von Union und SPD, vielleicht helfen Sie Ihrer Kanzlerin sogar, wenn Sie heute diesem kurzen und schlichten gemeinsamen Antrag zustimmen. Sie können damit auch der Öffentlichkeit zeigen: Dieses Parlament hat ein Stück weit Selbstbewusstsein, und es lässt sich von niemandem etwas diktieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN: Bravo!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat ein schwerwiegender Vorgang zwischen zwei NATO-Partnern. Ich glaube auch, dieser Vorgang ist beispiellos, einmalig in der Geschichte der NATO. Ich befürchte ebenfalls: Es ist kein Ende absehbar. Dennoch glaube ich, ist es gut, dass wir heute versuchen, Argumente in die Debatte einzubringen, die für das Selbstverständnis des deutschen Parlaments, des Parlamentarismus und für eine Parlamentsarmee sprechen. Deswegen sage ich sehr klar für meine Fraktion: Die Antwort, die die türkische Regierung auf das Bemühen, einen Besuch in Incirlik zu erreichen, gegeben hat, grenzt an Erpressung. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es ist Erpressung!) Wenn Rechtsgrundsätze wie das Asylrecht gegen das Recht auf eine Besuchserlaubnis aufgerechnet werden, sage ich sehr deutlich: Wir stehen für das Grundrecht auf Asyl und lassen uns nicht von der türkischen Regierung erpressen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum anderen will ich sehr deutlich sagen: Es ist gut, dass Asylanträge von türkischen Bürgern, egal vor welchem beruflichen Hintergrund sie in der Vergangenheit gestanden haben, ernsthaft geprüft werden und politisches Asyl in Deutschland, wenn die Gründe dafür ausreichen, auch gewährt wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Kollege Kiesewetter, ich muss Ihnen widersprechen. Das, was Sie gesagt haben, ist nicht die Haltung meiner Fraktion. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich möchte sehr deutlich davor warnen, die beiden Institutionen – das Parlament und den Wehrbeauftragten – gegeneinander auszuspielen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beide Institutionen haben ein Besuchsrecht bei den Bundeswehrsoldaten. Ich will gerne daran erinnern, dass wir in den letzten Tagen – vielleicht ist das noch nicht zu jedem in Ihrer Fraktion durchgedrungen – innerhalb der Koalitionsfraktionen versucht haben, einen gemeinsamen Text für die Ausschussberatungen zu erreichen, der auf Grundlage der Protokollnotiz des letzten Beschlusses über den Einsatz in Incirlik gefasst worden ist, dass es nämlich zu den verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundestages gehört, jederzeit Besuche durchführen zu können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hochrangige Gespräche zu führen, ist durchaus ein Anlass, den wir weiterhin würdigen, auch vonseiten der Bundesregierung. Dass der NATO-Rat hiermit befasst werden soll und dass bereits jetzt Handlungsoptionen für die Verlegungen erfolgen sollen, ist, glaube ich, richtig. Umso mehr wünsche ich im Namen meiner Fraktion der Bundeskanzlerin allen Erfolg. Wir werden sie dabei unterstützen, wenn sie am kommenden Donnerstag bei Präsident Erdogan versucht, dieses Besuchserfordernis noch einmal zu unterstreichen. Ich sage aber sehr deutlich: Es darf kein Gnadenakt sein, sondern es muss letztlich zu einer grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen der türkischen Regierung und der Bundesregierung kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es sprechen drei gute Gründe für die Überweisung des Antrages. Zum Ersten spricht dafür, dass die Ergebnisse, die möglicherweise ausgehandelt werden, in den Fachausschüssen gewürdigt werden, insbesondere dann, wenn dieses Besuchsrecht ein für alle Mal geklärt werden kann. Zum Zweiten spricht dafür, dass in den Beratungen der Fachausschüsse auf die Planung einer möglichen Verlegung, die jetzt durchzuführen ist, Einfluss genommen werden kann. Auch darüber muss die Bundesregierung berichten. Ich glaube, auch das ist notwendig. Ich bin zurzeit noch nicht ganz davon überzeugt, dass es Jordanien sein muss. Deswegen gehört eine offene Diskussion in den Fachausschüssen mit dazu. Irgendwelche publikumswirksamen Reisen nach Jordanien helfen an dieser Stelle nicht weiter. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Ein Drittes spricht dafür. Kollege Bartsch, Sie sagen, wir müssten versuchen, die Souveränität auch dieses Parlaments sehr deutlich zu machen. Ich glaube, die Überweisung schafft vielleicht sogar – hier müssen wir uns alle bewegen – die Grundlage für eine gemeinsame Beschlussfassung. Auch das spricht für eine Überweisung. Deswegen, liebe Kollegin Roth, ist die Formulierung „Es reicht!“ für mich kein außenpolitisches Argument. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, wir müssen gerade in der Außenpolitik immer wieder ausprobieren, was vielleicht möglich ist. Ich möchte ein weiteres Argument in diese Debatte einzuführen, warum dieses Parlament versuchen sollte, in der nächsten Sitzungswoche eine gemeinsame Beschlussfassung im Sinne des vorliegenden Antrags herbeizuführen: Es wäre ein deutliches Zeichen nicht nur an einen türkischen Staatspräsidenten, der mittlerweile alle demokratischen Rechte mit Füßen tritt, sondern auch an ein türkisches Parlament, das sich in den vergangenen Monaten auch selbst entmachtet hat. Diese Chance sollten wir vonseiten des Deutschen Bundestages durchaus nutzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum anderen: Ich sagte, „Es reicht!“ ist kein außenpolitisches Argument. Ich finde, wir alle hier im Deutschen Bundestag sollten uns fragen, ob wir nicht auch eine Verantwortung dafür tragen, wie sich die Türkei in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Ich glaube, manches Versäumnis sollten wir – – (Zurufe von der LINKEN: Oh!) – Dazu kann man auch „Oh!“ sagen. Insofern vermute ich, dass mein Appell in diese Richtung vielleicht nicht hilft. – Zumindest ich frage mich, ob manches Verhalten im Zusammenhang mit dem EU-Beitrittsprozess in den vergangenen Jahren nicht genau das provoziert hat, was wir zu Recht immer wieder kritisieren. Es passierte in der Türkei in jüngster Zeit mehr, als dass nur über eine Präsidialverfassung abgestimmt worden ist. Die Türkei versucht, einen anderen regionalpolitischen Weg zu gehen. Sie versucht sozusagen, einer orientalischen Despotie ein Vorbild zu sein, gerade auch im Zusammenhang mit den Umbrüchen in der arabischen Welt. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das sagen Sie schon seit Jahren!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aller Ehren wert, genau für diejenigen zu streiten, die vor wenigen Wochen mit höchstem Mut, teilweise sogar unter Verhaftungs- und möglicherweise Lebensgefahr, dafür gestritten haben, dass die Präsidialverfassung nicht Wirklichkeit wird. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist echt zynisch, was Sie da machen!) Auch das gehört zur Debatte heute Abend dazu. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche zeigt schon ein bisschen, dass das Wahlkampfgetöse (Widerspruch bei der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts mit Wahlkampf zu tun! Das hier wirklich nicht!) insgesamt mit voller Wucht auch den Bundestag erreicht hat. Ich finde schon, dass der Antrag von Grünen und Linken so einzuordnen ist. Sie haben nämlich etwas entdeckt, was zugegebenermaßen (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Parlamentsrecht ist! Richtig! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen jetzt zusammen Wahlkampf!) vielen von uns einleuchtet – gar keine Frage –: der Abzug der Bundeswehr aus Incirlik. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch zu!) Nun wollen Sie – vermeintlich trickreich, nur leider sehr offensichtlich – uns ein Stück weit in die Falle locken, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da sitzen Sie schon drin!) nach dem Motto: Sie haben Konsequenzen gefordert, nun müssen Sie aber bitte auch sofort folgen, sonst würden Sie Ihr Wort nicht halten. – Konkret: Die Bundeswehr soll mit sofortiger Wirkung vom Standort Incirlik abgezogen werden. Doch so einfach ist Weltpolitik nicht, ganz zu schweigen von der Praktikabilität Ihrer Forderung. Selbst in der Opposition sollte man so etwas wissen, und auch Wahlkampfzeiten entschuldigen eine solche Kurzsicht nicht. Wenn man bei den Linken genau hinhört, dann merkt man, dass es gar nicht um die Frage eines Abzugs aus Incirlik geht, sondern darum, einen Einsatz, der sowieso nicht gewollt ist, egal von wo aus er startet, zu beenden. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das habe ich alles weggelassen!) Zunächst lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, warum wir in Incirlik stationiert sind; ein Rückblick ist wichtig. Am 29. Juni 2014 ruft die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Mosul das Kalifat aus. Schätzungen reichen von 10 000 bis 100 000 Kämpfern, die in Syrien und im Irak ganze Gegenden zerstören, Frauen verschleppen und vergewaltigen, aufs Brutalste ermorden. Am 7. Januar 2015 sterben in Paris 130 Menschen, 352 weitere werden verletzt. Mit den Terrorattacken in der französischen Hauptstadt fing die blutige Anschlagsserie des IS in Europa an, die leider noch immer anhält. Am 2. Dezember 2015 stimmten wir hier im Deutschen Bundestag darüber ab, unsere Soldatinnen und Soldaten nach Incirlik zu schicken, um gemeinsam mit unseren Verbündeten den „Islamischen Staat“ zu bekämpfen. Seitdem ist viel passiert. Die Türkei hat sich massiv verändert, die Menschenrechtssituation hat sich gravierend verschlechtert, die Atmosphäre ist aufgeheizt. Die CSU mahnt seit langem, dass eine Türkei, wie wir sie heute erleben, nicht Teil der Europäischen Union sein kann. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war echte Außenpolitik!) Daneben – und darum geht es heute – wird uns zum wiederholten Male der Zugang zu unseren Truppen verweigert. Präsident Erdogan testet immer wieder unsere Schmerzgrenze. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Hat die Union eine?) Das ist natürlich indiskutabel. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und der Zugang zu ihr muss durchgehend möglich sein; da sind wir uns alle einig. Daher habe ich schon früh gefordert, dass alternative Stützpunkte für die Tornados geprüft werden müssen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Abzug gefordert! Mehrfach! Sie!) Und selbstverständlich wurden bereits Alternativstandorte geprüft. Jordanien, Zypern und Kuwait wurden inspiziert. Diese Prüfungen müssen jetzt zügig abgeschlossen werden. Fest steht: Es kann dauerhaft nicht sein, dass Erdogan unsere Soldatinnen und Soldaten als Faustpfand einsetzt. Und trotzdem: Die Türkei ist aufgrund ihrer geostrategischen Lage ein entscheidender Mitspieler im Kampf gegen den „Islamischen Staat“. Seit der Einnahme von Mosul 2015 hat die Terrormiliz schwere Verluste erlitten. Ihr Gebiet ist von der Größe Großbritanniens auf weniger als die Größe Irlands zusammengeschrumpft. Wir müssen daher auch weiter mit Ankara sprechen, wie wir das gemeinsame Ziel, den Kampf gegen den IS, fortführen können. Aus diesem Grund kann Ihr Antrag heute nur abgelehnt werden. Wir müssen zweigleisig fahren, Alternativen vorbereiten, den Druck erhöhen und trotzdem versuchen, in vertraulichen diplomatischen Gesprächen gesichtswahrende und praktikable Lösungen zu finden. Nur so funktioniert eine verantwortungsvolle Politik gegenüber unseren Truppen wie auch mit Blick auf unseren Auftrag. (Beifall bei der CDU/CSU) Daneben wäre auch aus praktischen Gründen ein sofortiger Abzug nicht möglich. Incirlik ist aus militärischer Sicht weiterhin der günstigste Standort für den schwierigen Kampf gegen die Terrormiliz. Richtig ist, dass Jordanien beispielsweise eine Alternative darstellt. Und trotzdem: Es gäbe deutliche operationelle Einschränkungen, gerade in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern. Wir könnten nicht an eine gleich gute Infrastruktur andocken. Der Umzug würde dauern. Das geht nicht, wie von Ihnen gefordert, von heute auf morgen. Es geht allein um ungefähr 180 bis 200 Container Material. Man kann nicht einfach ein Umzugsunternehmen anrufen, dann läuft der Umzug, und morgen ist alles erledigt. Um es klar zu sagen: Es ist möglich, von Jordanien aus Tankflugzeuge zu schicken und Aufklärungsflüge durchzuführen. Aber eine Verlegung benötigt Zeit. Ein Abzug mit sofortiger Wirkung funktioniert nicht. Ich glaube, wir sind uns alle im Bundestag einig: Präsident Erdogan ist ein unberechenbarer Partner geworden. Zum wiederholten Male hat er unser Vertrauen missbraucht und die Karte des Besuchsverbots gespielt. Wir können und werden so nicht weitermachen. Die Bundesregierung bemüht sich daher um eine schnellstmögliche Lösung. Daneben ist es aber auch an der Zeit, dass wir innerhalb der NATO grundsätzlich klären, wie zukünftig eine Zusammenarbeit mit den Türken funktionieren kann; denn die Sperenzchen Erdogans schaden nicht nur dem deutsch-türkischen Verhältnis, sondern dem gemeinsamen Wirken innerhalb der NATO. In der Ruhe liegt die Kraft. Deshalb kann über den vorliegenden Antrag heute nicht entschieden werden. Wir sollten – Herr Kollege Mützenich hat die Gründe angeführt – das Thema in aller Ruhe in den Ausschüssen diskutieren. Klar ist aber auch: Sollte es bei der Haltung der Türkei bleiben, kann die Bundeswehr langfristig nicht in Incirlik stationiert bleiben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf der Drucksache 18/12372 mit dem Titel „Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik“. Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wünschen Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Auswärtigen Ausschuss und mitberatend an den Verteidigungsausschuss. Wir stimmen – so wie wir das hier immer machen – zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Überweisung so beschlossen, und damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/12372 nicht in der Sache ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht Drucksachen 18/11546, 18/11654, 18/11822 Nr. 9 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12415 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zügig einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Plenums zu führen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Durchsetzung bestehender Ausreisepflichten und die Bekämpfung illegaler Migration ist in einem Rechtsstaat das notwendige Gegenstück zur gebotenen humanitären Aufnahme von Schutzbedürftigen. Ende März 2017 standen rund 217 000 Ausreisepflichtigen nur etwas mehr als 7 000 Rückführungen durch die zuständigen Länder gegenüber. Ohne die zwangsweise Rückführung sinkt aber auch die Bereitschaft zur freiwilligen Rückreise. Eine Verbesserung im Bereich der zwangsweisen Rückführung ist daher dringend geboten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darüber hinaus ist es notwendig, die Abschiebung von Gefährdern sicherzustellen. Beides gehen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf an. An diesem Anspruch haben sich auch die parlamentarischen Beratungen orientiert. Ich greife die wichtigsten Änderungen heraus: Wir regeln, dass Gefährder in Abschiebungshaft entsprechend ihrer Gefährlichkeit auch in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden können. Sie sollen auch andere Personen im Gewahrsam nicht gefährden oder für ihre extremistischen Ideen werben können. Damit wir noch besser identifizieren können, wer zu uns kommt, darf das BKA entsprechende Daten mit anderen Staaten austauschen. Wir erhalten dadurch wichtige Erkenntnisse durch diese anderen Staaten. Zudem ändern wir behutsam das Rechtsmittelrecht im Asylverfahren, um eine höchstrichterliche Rechtsprechung und damit mehr Rechtssicherheit herbeizuführen. Das soll insgesamt zur Beschleunigung von Einzelklagen führen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird künftig von anderen Behörden zwingend informiert, wenn Asylberechtigte in ihren Heimatstaat reisen. Wir bekämpfen auf diese Weise Sozialleistungsmissbrauch und überprüfen, ob ein Schutzbedürftiger auch wirklich in seinem angeblichen Verfolgerstaat gefährdet ist. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen haben wir einen weiteren Gesichtspunkt aufgegriffen. Es handelt sich um die Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen. Aus der Praxis hören wir: Scheinvaterschaften sind die neuen Scheinehen. Es gibt hier ein erhebliches Missbrauchspotenzial. Wenn der Anerkennende weder der biologische Vater ist noch eine sozial-familiäre Bindung zum Kind anstrebt, muss der Staat einschreiten. Die Anerkennung erfolgt hier ausschließlich zu dem Zweck, Aufenthaltsrechte zu vermitteln, die ansonsten nicht bestehen würden. Meine Damen und Herren, wir haben uns daher entschlossen, dass missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen gar nicht erst beurkundet und durchgeführt werden können. Meine Damen und Herren, die Änderungen aus dem parlamentarischen Verfahren haben diesen wichtigen Gesetzentwurf weiter verbessert. Ich sage aber auch ganz offen: Wir hätten uns noch mehr vorstellen können. Die Einbeziehung der Bundespolizei in die automatische Sicherheitsabfrage beispielsweise war mit dem Koalitionspartner SPD nicht zu machen. Das wundert mich sehr. Dabei ist die Bundespolizei die Sicherheitsbehörde, die gegen Schleuserkriminalität vorgeht und bei der natürlich die entsprechenden Informationen auch vorliegen, meine Damen und Herren. Auf dem Weg zu noch mehr Sicherheit im Asylverfahren haben wir zudem für das Auslesen der Geodaten aus dem Handy eines Asylbewerbers plädiert. Wir hätten hierdurch wichtige Rückschlüsse auf den Reiseweg und das Herkunftsland erhalten können. Das war allerdings mit der SPD nicht möglich. Ich sage ganz klar: Das sind weiterhin wichtige Punkte für uns, und wir sind natürlich weiterhin gesprächsbereit. Meine Damen und Herren, das beste Recht hilft nicht, wenn es nicht angewendet wird. Der rechtliche Rahmen für die Abschiebung von Ausreisepflichtigen und insbesondere von Gefährdern besteht. Was mancherorts fehlt, ist der Wille zur Durchsetzung. Ich denke zum Beispiel an Schleswig-Holstein mit dem Winterabschiebestopp oder dem Abschiebestopp nach Afghanistan. Das ist nicht verantwortbar. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Wird sich jetzt ändern! – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich appelliere an die Länder, alles für die konsequente Durchsetzung von Ausreisepflichten zu tun. Dazu gehört zum Beispiel auch, ausreichende Haftkapazitäten in den Ländern zu schaffen und auf neue Vollzugshemmnisse zu verzichten. Wir hier im Bundestag haben das Recht optimiert. Der Bund unterstützt die Länder auch operativ. Ohne den Willen zum Vollzug können diese Angebote aber keine positive Wirkung entfalten. Es ist Sache der Länder, den Rechtsstaat auch wirklich durchzusetzen. Wir wollen weiterhin, dass diejenigen Schutz erfahren und integriert werden, die wirklich schutzbedürftig sind. Dazu gehört aber auch, Abschiebungen effektiv durchzusetzen und gefährliche Ausreisepflichtige besser zu überwachen, (Inge Höger [DIE LINKE]: Dann überwachen Sie doch selber!) um auch andere vor ihnen zu schützen. Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Entwurf. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon der Titel des hier zur Diskussion stehenden Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht unterstellt, die Ausreisepflicht würde nicht ausreichend durchgesetzt. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Stimmt ja!) Das ist eine der großen Lügen dieser Großen Koalition. (Beifall bei der LINKEN) Ich kann in der Kürze der Zeit nicht auf alle Aspekte dieses Sammelsuriums flüchtlingsfeindlicher Schweinereien – darum handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes – eingehen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hey!) – Ja, man muss hier wirklich von Schweinereien sprechen. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt geht es los! Wo sind wir denn?) Deshalb möchte ich nur einige wenige Punkte herausstellen. Hier wird das offenbar vorsätzliche Behördenversagen im Fall Anis Amri zur Schaffung eines neuen Abschiebegrunds für Gefährder instrumentalisiert. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der war auch ausreisepflichtig!) Dabei ist nirgendwo gesetzlich definiert, wer überhaupt ein Gefährder ist. Die Einstufung erfolgt nach wie vor nach Gutdünken der Polizei. Faktisch haben wir es hier mit einer Präventivhaft mit aufenthaltsrechtlichen Mitteln zu tun, obwohl gegen die Betroffenen nichts Gerichtsverwertbares vorliegt. Das ist schlicht menschenrechtswidrig. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung machen: In diesem Gesetzentwurf findet eine unzulässige Vermischung von Aufenthalts-, Sicherheits- und Ordnungsrecht statt. Das Aufenthaltsrecht ist definitiv nicht das richtige Instrument, um den Umgang mit Terrorgefahren zu regeln, und zwar schon deshalb nicht, weil viele Gefährder die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Nach dem Willen der Koalition soll eine Überraschungsabschiebung selbst nach mehrjähriger Duldung möglich sein, wenn Flüchtlinge ihre Abschiebung durch fehlende Mitwirkung verhindert haben. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist nur recht und billig!) Das ist rechtsstaatswidrig und im Falle von Kindern sogar ein ganz klarer Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Handys von Flüchtlingen sollen generell zur Identitätsfeststellung durchsucht werden können, wenn – ich betone das – kein Reisepass vorliegt. Dies betrifft mehr als die Hälfte der Asylsuchenden. (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Das ist ja das Merkwürdige!) Die Bundesdatenschutzbeauftragte und der Deutsche Anwaltverein haben diese Vorschrift als unverhältnismäßig und verfassungswidrig gebrandmarkt. Asylsuchende sind doch kein Freiwild, sondern sie haben die gleichen Grundrechte wie wir alle. (Beifall bei der LINKEN – Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Und die gleichen Pflichten!) Schließlich sollen Geflüchtete, die vermeintlich ohne Bleiberechtsperspektive sind, bis zu zwei Jahre in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen. Das muss man sich einmal vorstellen. Für diese Zeit gelten ein Arbeits- und ein Ausbildungsverbot, Sachleistungsvorrang und die Residenzpflicht. Das ist also eine enorme Verschärfung. (Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Im Änderungsantrag folgt nun auch noch die Mär von – wir haben es eben schon gehört – missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen zum Erhalt eines Aufenthaltstitels. Beamte der Ausländerbehörde sollen entscheiden, ob eine Vaterschaft akzeptiert wird oder die Mutter und das Kind abgeschoben werden können. Eine Klage dagegen hat keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, hier werden im Grunde Familien zerrissen. Ich halte es für einen Riesenskandal, dass Sie das so nebenbei mit einem Änderungsantrag einfach durchziehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine Anhörung war von der Großen Koalition nicht gewünscht. Fachverbände haben am Gesetzentwurf ganz massiv Kritik geübt. Es ist eine absolut unparlamentarische Vorgehensweise, wie Sie hier Gesetze durchziehen. Die Koalition wird heute dieses Gesetz verabschieden, aber ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden diesem widerwärtigen Abschiebegesetz unsere Zustimmung verweigern. Es ist wirklich ein einziger Skandal, was Sie hier zusammengeschrieben haben. Danke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Burkhard Lischka hat als nächster Redner für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Burkhard Lischka (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Jelpke, ich habe Ihrer Rede aufmerksam zugehört. Eine solche Rede kann man nur halten, wenn man den eigentlichen Anlass für diesen heute vorliegenden Gesetzentwurf weitestgehend ausblendet, (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nämlich Anis Amri, der am 19. Dezember hier in Berlin 12 Menschen getötet, 60 Menschen zum Teil schwer verletzt hat, ein Attentat, das mitten in der Weihnachtszeit (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war mir überhaupt nicht bewusst, dass es bei dem Vaterschaftsfragen gab!) viel Leid über die Opfer und ihre Angehörigen aus Deutschland, aus Israel, aus Italien, aus Polen, aus der Ukraine, aus Tschechien gebracht hat. Frau Jelpke, Anis Amri war nicht irgendwer. Anis Amri war ein abgelehnter Asylbewerber. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war das Vaterschaftsproblem bei Anis Amri?) Er war vorbestraft, er war gefährlich, er hat mehrfach seinen Hass und seine Anschlagspläne geäußert und sollte abgeschoben werden. Und so jemand kam nicht hinter Gitter. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Den hätten Sie mit dem Strafrecht verfolgen können!) – Entschuldigung, Frau Jelpke, selbstverständlich gehörte Anis Amri hinter Gitter. Wir müssen solche Menschen stoppen, bevor sie zu Mördern werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Mit dem Strafrecht! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist das nicht passiert?) – Frau Jelpke, die Opfer vom Breitscheidplatz könnten noch leben, wenn Anis Amri am 19. Dezember in Abschiebehaft gesessen hätte. Das ist doch eine ganz wesentliche Lehre aus diesem Attentat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hätte sogar in Untersuchungshaft sitzen können, wenn die Polizei ihre Arbeit gemacht hätte!) Dass er nicht in Abschiebehaft saß, muss doch Konsequenzen haben. Wir können doch das Vertrauen in diesen Rechtsstaat nur wiederherstellen, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Indem Sie die Gesetze anwenden!) wenn wir solche Fehler und Versäumnisse klar benennen und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Bei Anis Amri war es so, dass er schon nach einem Tag wieder aus der Abschiebehaft entlassen wurde. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, und warum?) – Offensichtlich, Frau Hänsel, weil es die Sorge gab, dass bei einer längeren Anordnung der Abschiebehaft man Schiffbruch vor einem deutschen Gericht erleiden würde. Deshalb beschließen wir heute Abend ein Gesetz, sodass sich das nicht wiederholt. Ein Gefährder, der abgeschoben werden soll, gehört in Abschiebehaft. Ich weiß ehrlich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, was daran kritikwürdig ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will noch auf einen zweiten Aspekt eingehen. Anis Amri war ja nicht nur gefährlich, er war auch mit 14 unterschiedlichen Aliasnamen und Identitäten unterwegs. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist so etwas möglich? Das frage ich mich!) Dazu könnte man vieles sagen. Bei dieser ganzen Sache haben sich viele deutsche Behörden nicht gerade mit Ruhm bekleckert. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was hat Ihr Kollege Jäger da gemacht in NRW? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wurde nicht ermittelt, angeklagt und verurteilt?) Klar ist: Wir müssen wissen, wer sich in unserem Land aufhält und woher er kommt. Wenn das eben mit anderen Mitteln nicht feststellbar ist, wenn da Zweifel bleiben, trotz Dolmetscher, trotz Sprachidentifizierungssoftware, trotz Text- und Schriftanalyse, trotz einer Anhörung, wo nach regionalen Besonderheiten gefragt wird, dann muss es als letztes Mittel auch möglich sein, sich die Spracheinstellung eines Handys anzuschauen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das zeigt doch übrigens auch der jüngste Fall des Bundeswehroffiziers Franco A. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ein deutscher Terrorist, ja!) Dazu können wir auch vieles sagen. Da haben Mitarbeiter des BAMF bei simpelsten Prüfungsschritten versagt. Aber genauso klar ist: Ein Blick auf das Handy von Franco A., und der ganze Schwindel wäre sofort aufgeflogen. Deshalb ist es übrigens auch in diesem Fall richtig, dass man solche Lücken benennt und schließt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Instrumentalisierung! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man ja gar nicht gebraucht! Er hätte nur einmal auf Arabisch angesprochen werden müssen!) Der Fall Franco A. zeigt auch noch etwas anderes, nämlich dass die Dinge, die wir hier im Deutschen Bundestag beschließen, auch konsequent angewendet werden müssen. Nach bestehender Rechtsgrundlage hätte Franco A. nie eine Asylanerkennung bekommen. Wir müssen die Dinge, die wir hier beschließen, also tatsächlich auch vollziehen. Das ist das A und O. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb verschärfen wir jetzt alles!) Dafür gibt es tatsächlich auch einen Hauptverantwortlichen: Das ist der Bundesinnenminister. Aus dieser Verantwortung werden wir ihn auch nicht entlassen, und ich sage es einmal ganz offen: Hier würde ich mir hin und wieder auch einmal die Tatkraft wünschen, die der Berliner Innensenator Andreas Geisel gerade im Fall Anis Amri gestern noch an den Tag gelegt hat. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, Herr Lischka hat schön illustriert, was der Sinn dieses Gesetzgebungsverfahrens ist: ein großes Blendwerk, eine einzige juristische Blendgranate gegen das exekutive Versagen im Bund und in den Ländern im Fall Anis Amri. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das, was Sie hier vorlegen, hat mit der Problematik doch überhaupt nichts zu tun. Eines will ich Ihnen sowieso sagen: Ja, Leute, die hier kein Aufenthaltsrecht haben, sollen ausreisen. Dafür soll man auch alles im Rahmen des Rechtsstaatlichen tun. Aber am Ende entscheidet sich diese Frage nicht an der Menge der Tinte, die Sie in Gesetzbücher gießen, sondern daran, ob die Bundesregierung belastbare Vereinbarungen mit anderen Regierungen über die Rücknahme von ausreisepflichtigen Personen aus ihren Ländern hinbekommt oder eben nicht. Am Ende können Sie die Leute stattdessen auch nicht jahrelang in Haft nehmen, bloß weil die Bundesregierung ihre exekutiven Aufgaben nicht wahrgenommen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sagen: „Das alles ist jetzt die Antwort auf Anis Amri“, dann erklären Sie mir jetzt doch mal, was das Problem der Vaterschaftsanerkennung, von dem in Ihrem Gesetzentwurf zu lesen ist, mit dem Fall Anis Amri zu tun hat. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eine gute Frage!) Das hat überhaupt nichts damit zu tun. Sie gehen hier robust an das Recht auf ein Familienleben dann heran, wenn Migranten oder Flüchtlinge betroffen sind. Das, was Sie hier machen, ist schofel, respektlos und desintegrativ. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe nichts gegen die ersten Abschnitte zur Vaterschaftsanerkennung, in denen steht, dass man den Vorwürfen gegen diejenigen nachgeht – und das entsprechend anficht –, die Geld dafür nehmen, dass sie eine Vaterschaftsanerkennung aussprechen, oder die sagen, dass sie das machen, damit jemand einen Aufenthaltstitel erwirken kann. Es geht aber nicht, dass man bei jeder Familienkonstellation, bei der eine Vaterschaftsanerkennung einen aufenthaltsrechtlichen Effekt hat – ich denke insbesondere an Mütter, von denen man weiß, dass sie ihren Partner hier nicht heiraten können, weil sie keine Papiere haben –, behauptet, dieses Familienverhältnis existiere nicht, sodass man die entsprechenden Behörden losschickt. Man glaubt ihnen also nicht, dass diese Familienkonstellation existiert. Das ist ein genereller Verdacht gegen alle diese Menschen, und es wundert mich schon sehr, dass Sie hier versuchen, Anis Amri als Blendgranate zu nutzen und das entsprechend zu verkaufen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit diesem Gesetzentwurf schießen Sie in weiten Teilen einfach vollkommen über das Ziel hinaus. Schauen Sie sich an, was Sie hier zur Sicherungshaft aufgeschrieben haben. Sie müssen sich doch einmal in Erinnerung rufen, was uns das Bundesverfassungsgericht zur Sicherungsverwahrung von verurteilten Straftätern gesagt hat. Sie können Menschen doch nicht beliebig ihre Freiheit nehmen, weil Sie denken, dass sie vielleicht mal was machen könnten. Aber sie haben noch nichts gemacht. – Diese Konstruktion wählen Sie hier. Sobald es einen findigen Anwalt gibt, wird Ihnen das Bundesverfassungsgericht das beim ersten Fall um die Ohren hauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Erinnern Sie sich doch daran, dass wir selbst verurteilte, schwergefährliche Sexualverbrecher und Mörder aus der Sicherungshaft entlassen mussten, weil das aus rechtlichen Gründen – ne bis in idem – rechtsstaatlich nicht anders gemacht werden konnte. Das fand ich damals sehr schwierig, und trotzdem war es im Rechtsstaat richtig, auf solche Rechtsgrundsätze zu achten. Und das, was Sie hier heute vorlegen, wiegt doch drei- oder viermal schwerer! Was machen Sie, wenn Sie gegen einen Verdächtigen nichts in der Hand haben, wenn er nicht Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist, also auch keine terroristischen Aktivitäten unterstützt, sondern er nur, wie Sie glauben, den falschen Umgang hat? Viel mehr steht im Gesetz nicht als Voraussetzung, wenn man genauer hinschaut. „Gefahr für die innere Sicherheit“ – was ist denn das bitte schön? Das ist nicht genug. Wenn man noch nicht einmal einen vernünftigen Anfangsverdacht hat, der konkretisiert wird und sich an Tatsachen orientiert, dann ist das hier einfach keine seriöse Gesetzgebung. Wissen Sie, wenn die Polizei hier in Berlin im Fall Anis Amri – das wissen wir; das können Sie in der morgigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung nachlesen – ihren Job gemacht hätte, dann hätte sie ausreichend Beweise für einen Haftbefehl gehabt, aber nicht, weil er vielleicht mal was machen würde, sondern weil er vermutlich Straftaten begangen hat, die eine Verhaftung gerechtfertigt hätten. Es gab ein Totalversagen. Das können Sie hier mit diesem Gesetzentwurf nicht verdecken, mit dem Sie viele rechtsstaatliche Kriterien zerstören. Was bitte schön hat das Auslesen von Handydaten mit Anis Amri zu tun? Es ist ja sogar die Erlaubnis vorgesehen, dass in Zukunft das BKA diese Informationen selbst mit Drittstaaten tauschen darf. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach der Sache mit Trump und Lawrow sollten wir mit der Weitergabe von personenbezogenen Daten von Menschen, die sich noch nichts haben zuschulden kommen lassen, sehr vorsichtig sein. Über diese reden wir bei diesem Gesetzentwurf. Ich bin schon sehr erstaunt über Ihre Rede, Herr Lischka. Sie haben noch nicht einmal versucht, in der Sache zu begründen, sondern haben sich allein auf das Ablenkungsmanöver bezogen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal bitten, zum Schluss zu kommen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld. – Ich hoffe, der Gesetzentwurf wird nicht beschlossen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, das wir verabschieden werden, Herr Kollege Beck, ist aus meiner Sicht eine weitere sehr wichtige Etappe auf dem Weg, ausreisepflichtige Migranten schneller und konsequenter abzuschieben. Wir sprechen zwar bei diesem Gesetzespaket nicht von einem dritten Asylpaket. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es mit Blick auf den Inhalt und den Umfang mit den ersten beiden Asylpaketen durchaus vergleichbar ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel verfassungswidriges Zeug haben Sie in den anderen nicht gehabt!) Es geht darum, dass wir konsequenter die Personen außer Landes bringen, die in unserem Land kein Bleiberecht haben. Ende April dieses Jahres waren das rund 220 000 Menschen, die an sich Deutschland verlassen müssten, das aber aus unterschiedlichen Gründen bislang nicht getan haben. Ich mache, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, keinen Hehl daraus: Mir wäre es sehr lieb gewesen, wenn wir dieses Gesetz deutlich früher verabschiedet hätten. Herr Kollege Beck, ich möchte mit einem Vorurteil aufräumen. Dieses Gesetz hat nicht unmittelbar etwas mit Anis Amri zu tun. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Lischka gerade anders gesagt! Was denn nun? Kann sich mal die Koalition einigen, warum sie das hier überhaupt macht? – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt?) Ein Großteil des Inhaltes dieses Gesetzes geht auf weitaus ältere Vorschläge des Bundesinnenministers zurück. Bundesinnenminister de Maizière hat bereits am 11. August letzten Jahres im Nachgang zu den Anschlägen von Würzburg und Ansbach einen Großteil der Vorschläge, die jetzt Inhalt dieses Gesetzes sind, gemacht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Wenn irgendetwas passiert, holen Sie immer alles aus den Schubladen raus!) Es gibt einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium vom Oktober letzten Jahres, also lange vor dem Anschlag vom Breitscheidplatz. Dieser Gesetzentwurf hat leider nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt, weil er am Widerstand unseres Koalitionspartners gescheitert ist. Ich bin aber froh, dass es jetzt gelungen ist, Herr Kollege Lischka, die Verhandlungen nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz sehr schnell aufzunehmen und diesen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also jetzt doch Breitscheidplatz! Herr Mayer, Sie widersprechen sich jetzt schon selber!) Ich bin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, sehr froh, dass es uns im parlamentarischen Verfahren gelungen ist, den an sich schon sehr guten Gesetzentwurf noch besser zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch wichtige Punkte mit aufgenommen, beispielsweise was die Residenzpflicht für Gefährder betrifft. Herr Kollege Beck, der Begriff „Gefährder“ ist schon klar definierbar. Es handelt sich dabei um Personen der Preisklasse von Anis Amri, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Preisklasse“ ist jetzt kein konkreter Rechtsbegriff!) also um Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, Herr Mayer? Erklären Sie das mal!) Es ist richtig, dass wir jetzt klarmachen, dass diese Gefährder in Abschiebehaft gehören und dass sie in der Abschiebehaft vor allem in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Mayer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zu? (Marian Wendt [CDU/CSU]: Er hat schon geredet!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich, sehr gerne. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gesetzgebungsdiskussionen haben ja immer auch die wichtige Funktion, Voraussetzungen zu definieren und unbestimmte Rechtsbegriffe aufzulösen. Was sind denn die tatsächlichen Voraussetzungen für die Fälle der Gefahr für die innere Sicherheit, die Sie gerade beschrieben haben? Was muss da gegeben sein bei Leuten, die sich nicht strafbar gemacht haben, um die Voraussetzungen zu erfüllen? „Preisklasse Anis Amri“ ist kein Hinweis. Was soll das konkret bedeuten? Was muss vorgefallen sein? Was muss die Polizei in ihren Händen haben, damit diese Regelung tatsächlich greifen kann? Das würde ich gerne mal wissen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das in Ihrem Gesetzentwurf?) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, der Begriff des Gefährders stammt aus dem Polizeirecht, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber gar nicht im Gesetz! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der steht nicht im Gesetz!) und wir haben derzeit in Deutschland ungefähr 600 von den Landeskriminalämtern eingestufte Gefährder. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „Gefahr für die innere Sicherheit“, nicht „Gefährder“!) Dabei handelt es sich um Personen, zu denen nicht etwa irgendwelche vagen Vermutungen vorliegen, sondern es bedarf konkreter Hinweise, dass diese Personen in salafistische bzw. islamistische Netzwerke mit einbezogen sind, dass sie zu Islamisten Kontakt haben, dass sie angekündigt haben, in Deutschland Anschläge zu verüben, oder dass sie sich in salafistischen Kreisen aufhalten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da nirgendwo!) Es ist eben nicht so, wie Sie behaupten, Herr Kollege Beck, dass hier mit reiner Willkür jeder einbezogen werden kann, sondern es bedarf ganz konkreter Hinweise, dass eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit besteht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine tatsachengestützte Gefahrenprognose! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht gar nicht drin im Gesetzentwurf! – Gegenruf von der CDU/CSU: Hören Sie doch auf, Mensch!) Ich bin sogar froh, dass es jetzt gelungen ist, diesen Begriff des Gefährders erstmals im Bundesrecht klar festzulegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin vor allem froh darüber, dass diese Gefährder jetzt auch in normalen Justizvollzugsanstalten untergebracht werden können. Auch in meinem Wahlkreis gibt es eine Abschiebehaftanstalt, und ich sage ganz offen: Es wäre der Bevölkerung nicht zumutbar, dass in relativ kleinen, auch durchaus nicht optimal gesicherten Abschiebehaftanstalten Gefährder untergebracht werden. Sie können vielmehr in Hochsicherheitsgefängnissen oder in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden. Wichtig ist darüber hinaus, dass wir Möglichkeiten schaffen, um konsequent gegen Personen vorzugehen, die unsere Regeln ausnutzen, um sich ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erschleichen. Dabei ist die Mitteilungspflicht von Behörden, die Wind davon bekommen, dass sich ein Flüchtling in sein Heimatland zurückbegibt, gegenüber dem jeweiligen Ausländeramt von entscheidender Bedeutung. Wenn ein Flüchtling in sein Heimatland zurückkehren kann, muss zumindest überprüft werden können, ob die Voraussetzungen für die Einstufung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter überhaupt noch vorliegen. Es ist kein zwingender Automatismus, dass dann der Flüchtlingsstatus aberkannt wird, aber es muss doch zumindest die Möglichkeit bestehen, dass man die Ausländerbehörde in die Lage versetzt, die Tatsachen noch einmal zu überprüfen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Bundeswehrsoldaten, finde ich, sollten wir das ändern!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Mayer, lassen Sie noch eine Zwischenfrage, diesmal der Kollegin Mihalic, zu? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich. Sehr gerne. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben vorhin gesagt, dass der Gefährderbegriff aus dem Polizeirecht stammt. Können Sie mir mal bitte das Gesetz nennen, wo der Gefährderbegriff legal definiert ist? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gut! Sehr gute Frage!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Frau Kollegin Mihalic, ich habe dem Kollegen Beck erläutert, dass der Begriff des Gefährders aus dem Polizeirecht stammt, also aus dem Landesrecht. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Die Länder haben die Befugnis, festzulegen, welche Personen sie für so gefährlich erachten, dass sie sie beispielsweise mit einer Telefonüberwachungsmaßnahme überziehen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nennen Sie mal das Gesetz, das es darstellt! Wo steht es drin?) – Die Länder haben die Befugnis aufgrund ihrer Polizeiaufgabengesetze, festzulegen, wen sie als so brisant und gefährlich einstufen, dass sie davon ausgehen, dass zumindest die Gefahr besteht, dass der Betreffende einen Anschlag in Deutschland unternimmt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben echt keinen blassen Schimmer!) Das ist keine Bundeskompetenz. Ich bin Ihnen ja dankbar, Frau Kollegin Mihalic, dass Sie diese Frage noch einmal stellen. Von daher bezieht sich meine Antwort auch darauf. Kollege Lischka hat insinuiert, als wären jetzt bei allem der Bund und der Bundesinnenminister in der Verantwortung. Man muss nun einmal sehen: Das Bundeskriminalamt hat keinen einzigen Gefährder eingestuft. Alle Gefährder, die wir in Deutschland haben, sind von den Landeskriminalämtern eingestuft worden. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fundstelle! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Fundstelle!) Deswegen ist auch das Hauptversagen, das zu dem Anschlag am Breitscheidplatz geführt hat, bei den Landeskriminalämtern in Nordrhein-Westfalen und Berlin anzusiedeln. Da liegt die Ursache. Da ist geschludert worden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch zum Beispiel aufgrund noch fehlender rechtlicher Instrumente wie der Möglichkeit, Gefährder in Nordrhein-Westfalen oder Berlin präventiv mit einer Telefonüberwachungsmaßnahme zu überziehen, was beispielsweise in Bayern selbstverständlich möglich ist. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einfach, wenn Sie es nicht wissen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss nicht alles wissen, Herr Mayer! Mut zur Lücke! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Antwort!) Ein weiterer wichtiger Punkt ist der schon erwähnte, dass wir auch Regelungen schaffen, um Scheinvaterschaften effektiv bekämpfen zu können. Das, was Sie, Herr Kollege Beck, immer so stereotyp von sich geben, dass hier alle unter Generalverdacht gestellt werden, stimmt einfach nicht. Das trifft einfach nicht zu. Auch hier müssen konkrete Hinweise vorliegen, dass eine Vaterschaft in missbräuchlicher Weise anerkannt wurde, um einen Aufenthaltstitel zu erschleichen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wer entscheidet das denn? Die Ausländerbehörde?) Ich finde, dann ist es auch recht und billig, die Möglichkeit zu schaffen, eine Vaterschaft wieder abzuerkennen. Darüber hinaus ist es auch in sicherheitspolitischer Hinsicht wichtig, dass wir das Bundeskriminalamt in die Lage versetzen, die Daten von Migranten mit den Datenbanken befreundeter Länder abzugleichen. Ich sage zum Abschluss, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ganz deutlich: Dieses Paket ist abgerundet. Es führt zu einem deutlichen Fortschritt, wenn es darum geht, ausreisepflichtige Personen effektiver und konsequenter außer Landes zu bringen. Aber wir hätten uns an der einen oder anderen Stelle durchaus noch mehr vorstellen können, beispielsweise wenn es um das Auslesen eines Handys geht. Herr Kollege Lischka, Sie haben ja die Vorteile erwähnt. Uns wäre es sehr lieb gewesen, wenn wir das Auslesen eines Handys nicht nur zur Feststellung der Identität nutzen könnten, sondern auch zur Feststellung des Reiseweges. Auch die Einbeziehung der Bundespolizei in den automatisierten Datenabgleich ist ein wichtiger Punkt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das sind Punkte, die auf der Agenda bleiben. Sie sind nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. In diesem Sinne bitte ich um die größtmögliche Unterstützung dieses wichtigen und bedeutsamen Gesetzentwurfes. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12415, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11546 und 18/11654 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung mit den Stimmen der Koalition – bis auf zwei Mitglieder der SPD – bei Gegenstimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? – Entschuldigung! Wer stimmt dafür? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgelehnt, Frau Präsidentin! Kein zweiter Versuch! Die Vorlage ist futsch! Die Blendgranate ist geplatzt! – Heiterkeit) – Nein, das muss ich jetzt korrigieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das betraf diejenigen, die dafür gestimmt haben. Jetzt frage ich: Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition und zweier Abgeordneter der SPD-Fraktion angenommen worden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt zwei vernünftige Sozialdemokraten! Sie zeigen es bloß nicht!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelretter entkriminalisieren Drucksache 18/12364 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden zu dieser Debatte sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.5 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/12364 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen Drucksachen 18/11555, 18/11928, 18/12181 Nr. 1.8 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/12405 Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das auch so geschehen.6 Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12405, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11555 und 18/11928 in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/12428 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/12429 abstimmen. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Jetzt lasse ich über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/12430 abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Ich komme zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition ohne Gegenstimmen angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik Drucksache 18/12121 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Aussprache hat Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jemen stirbt – still. Seit über zwei Jahren sehen wir zu – ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft –, wie das arme und stolze Land in die Steinzeit gebombt wird, wie Zehntausende Menschen getötet werden, wie Millionen vertrieben werden, wie sie unter Unterernährung und Krankheiten leiden. Fast 20 000 Fälle von Cholera – Cholera im 21. Jahrhundert! – gibt es bereits, und die Epidemie hat gerade erst begonnen. 500 000 Kinder sind akut mangelernährt. Das heißt, 500 000 Kinder könnten jeden Augenblick an Unterernährung sterben oder werden mit schweren körperlichen und geistigen Folgeschäden rechnen müssen. Wir sehen seit nun über zwei Jahren, wie das reiche kulturelle Menschheitserbe Jemens, die Vergangenheit des Landes, zerstört wird. Aber auch die Lebensadern, die von deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mit finanziert und von deutschen Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern mit aufgebaut wurden, werden zerstört, genauso wie die Zukunft des Landes, nämlich die Kinder und die Familien. Der Krieg im Jemen ist eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit und wird trotzdem kaum wahrgenommen, erstens weil keine Flüchtlinge kommen – schon aus geografischen Gründen und wegen der Sperre kann niemand aus dem Land herauskommen – und zweitens weil die internationale Gemeinschaft, aber auch die Regierungen keine klaren Worte finden, um das auszudrücken, was dort passiert. Ich bin sehr dankbar, dass das Auswärtige Amt sehr viel tut und zahlreiche diplomatische Aktivitäten angestoßen hat. Das ist ein großer Beitrag, um den Konflikt hoffentlich zu beenden. Reicht das? Die Frage ist legitim angesichts einer der größten Katastrophen unserer Zeit. Haben wir, hat Deutschland, hat diese Bundesregierung alles getan, was sie konnte? Die Antwort lautet: Nein. – Während Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie andere Staaten das Rückgrat Jemens weggebombt – und das mit europäischen Flugzeugen und Bomben; auch Deutschland hat seinen Anteil daran –, Schulen, Krankenhäuser, Flüchtlingslager und Zementfabriken zerstört sowie Häfen und Flughäfen geschlossen haben, hat die Bundesregierung nicht nur die Genehmigungen für bereits bestehende Rüstungsexporte nicht widerrufen – das wäre notwendig gewesen –, sondern sogar auch neue Genehmigungen erteilt, die sich auf diese Länder beziehen. Die Damen und Herren der Regierung finden keine klaren Worte. Im Gegenteil: Der ehemalige Bundesaußenminister Steinmeier sprach im Zusammenhang mit dem Krieg im Jemen über legitime saudische Sicherheitsinteressen. Er sagte, das Land spiele weiterhin eine Schlüsselrolle für die Sicherheit und Stabilität in der gesamten Region. Keine Sicherheit für die jemenitischen Kinder! Der Kollege Joachim Pfeiffer von der Union sagte von diesem Pult aus am 8. Juni letzten Jahres, er sei froh, dass Saudi-Arabien dafür sorge, dass auf der Arabischen Halbinsel, also auch im Jemen, das Töten von Menschen und der Bürgerkrieg beendet würden. Es tut mir leid: Das ist einfach nur verblendeter Zynismus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der aktuelle Außenminister, Sigmar Gabriel, hat vorgestern eine Presseerklärung verfasst. Er spricht über die humanitäre Katastrophe, er spricht von Cholera, er spricht von Hunger und von Krankheiten. Das, was er aber nicht schafft, ist, das Wort „Saudi-Arabien“ auszusprechen oder auch nur eines der anderen Länder in dieser Koalition zu nennen. Ich finde, wenigstens das ist man den Menschen im Jemen derzeit schuldig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will nicht falsch verstanden werden: Die Situation im Jemen ist nicht alleine die Schuld der Koalition um Saudi-Arabien. Die Huthis haben diesen Krieg begonnen; der Exdiktator Saleh hat ihn vorangetrieben. Die Iraner schauen auch nicht nur friedlich zu – das ist richtig –, aber genau deswegen kommt niemand auf die Idee, dem Iran Waffen zu verkaufen. Genau deswegen kommt niemand auf die Idee, davon zu sprechen, dass Saleh legitime Sicherheitsinteressen habe, während seine Milizen die Stadt Taizz seit Monaten abriegeln und keine humanitären Güter hineinlassen. Das ist die Heuchelei bei der Art und Weise, wie wir mit dem Jemen umgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten in dieser Lage tun, was wir können. Dazu gehören die Einstellung der Rüstungsexporte und das klare Aussprechen dessen, was notwendig ist und wie die Lage derzeit aussieht. Es reichen keine Ausreden mehr. Das hat auch das Europäische Parlament begriffen. Es hat neulich einen Stopp der Waffenexporte in die Region gefordert, Gott sei Dank auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie. Wir hätten heute die Möglichkeit, diesem wirklich klugen Vorbild zu folgen. Darüber würde ich mich sehr freuen. Ich glaube, das Mindeste, was wir den Menschen im Jemen schulden, ist auszusprechen, was dort gerade passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Johannes Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Nouripour hat zu Recht darauf hingewiesen: Wir erleben im Jemen eine Krise ungeahnten Ausmaßes. Die Choleraepidemie weitet sich offenbar bedauerlicherweise aus. Es gibt viele Todesfälle. Die Provinz Hadramaut erklärte sich für unabhängig. Präsident Hadi hat den Gouverneur der Stadt Aden entlassen. Darauf flohen alle Minister der Hadi-Regierung aus der Stadt. Bedauerlicherweise nehmen die Unabhängigkeitsbestrebungen im Süden wieder zu. Das Land droht erneut auseinanderzubrechen, was eine schlimme Entwicklung wäre. Trotz der militärischen Überlegenheit hat die saudisch geführte Allianz im Kampf gegen die Huthi-Rebellen den Frontverlauf nicht entscheidend verändern können. Die Krisen im Jemen sind vielfältig. Viele von ihnen sind durch die innenpolitischen Entwicklungen hausgemacht. Wer sich die innenpolitische Lage des Jemen anschaut, stellt fest: Die saudischen Luftangriffe sind schlimm, sie sind auch unverhältnismäßig, sie sind aber nur eines von vielen Problemen. Deswegen ist es erstaunlich, dass Ihr Antrag, Herr Kollege Nouripour, nur einen Hauptschuldigen nennt: Saudi-Arabien. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mir, glaube ich, nicht zugehört!) Wenn wir dem Entwurf Ihres Antrags, den Sie vorgelegt haben, folgen würden – vielleicht können wir ihn verbessern –, dann würde Deutschland aus unserer Sicht keinen sinnvollen Beitrag zu einer Friedenslösung leisten, sondern nur den moralischen Zeigefinger heben. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag nicht gelesen! Tut mir leid! Es ist nicht der Antrag, über den Sie sprechen!) Außenpolitik ist aber, glaube ich, ein bisschen mehr. Wenn Sie bewerten, was die deutsche Regierung in der Vergangenheit gemacht hat, dann sollten Sie bitte nicht zu gering schätzen, dass die Bundeskanzlerin in diesen Zeiten – es standen einige Wahlkämpfe an, und es steht der Bundestagwahlkampf bevor – eine Reise in die Region gemacht hat, in Dschidda war und auch mit den Saudis gesprochen hat. Sie hat sehr klare und deutliche Worte auch zu den Luftangriffen im Jemen gefunden. Ich hätte gut gefunden, wenn Sie das gewürdigt hätten. Da Sie es nicht tun, will ich es tun. Ich freue mich, dass die Bundeskanzlerin in der Region gewesen ist und sich klar positioniert hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat sie nicht!) Ich will darauf hinweisen, dass der UN-Sondergesandte für den Jemen, Sheikh Ahmed, der im März hier in Berlin war, gesagt hat, dass man im Jemen keinen Fortschritt erzielt, wenn man die Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens bei den Verhandlungen zu wenig berücksichtigt. Saudi-Arabien ist seit zwei Jahren unter Beschuss ballistischer Raketen durch die Huthis; das muss man sehen. Diese Raketen können sogar die Hauptstadt und sie könnten auch die heiligen Stätten erreichen. Jeder ahnt, was dann in der Region los wäre. Die Huthis greifen mit sprengstoffbeladenen Boten Schiffe in der Meerenge Bab al-Mandab an und verminen den Seeraum. Im Oktober 2016 – so lange ist das noch nicht her – wurde dabei ein Frachter der Vereinigten Arabischen Emirate zerstört. Dem muss man Einhalt gebieten, wenn auch weiterhin Hilfslieferungen in den Jemen gelangen sollen. Ich glaube, das ist unser gemeinsames Interesse. Ich will nicht verschweigen – das habe ich gerade schon angesprochen –, dass die saudischen Luftangriffe erhebliches Leid unter der Zivilbevölkerung hervorrufen und dass es bislang keine positive strategische Veränderung gegeben hat. Wir haben Saudi-Arabien immer wieder gesagt, dass es eine politische Lösung braucht und keine militärische geben wird. Sie sind ja bei einem Besuch des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier dabei gewesen und haben miterlebt, wie er das dort sehr deutlich gesagt hat. Sigmar Gabriel hat sich dem angeschlossen und dazu am 16. Mai 2017 eine entsprechende Erklärung abgegeben. Deswegen möchte ich da den ehemaligen und den jetzigen Außenminister ausdrücklich in Schutz nehmen. Das Außenamt der Bundesrepublik Deutschland hat sich ganz eindeutig hinter die Vermittlungsbemühungen des UN-Sondergesandten gestellt. (Beifall des Abg. Niels Annen [SPD]) Diese Politik werden wir weiterhin unterstützen. Das ist das einzig Sinnvolle, was hier zu einem Ergebnis führen kann. Herr Kollege Nouripour, Deutschland ist hier insgesamt gut positioniert. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind an dieser Stelle auf keinem Auge blind. Im Übrigen ist Deutschland zum Glück in der Lage, auch finanzielle Mittel bereitzustellen. Ich will auf die Geberkonferenz am 25. April dieses Jahres hinweisen, auf der von deutscher Seite 50 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und 55 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit zugesagt wurden. Das ist zwar nur ein minimaler Beitrag zur Linderung der Not, aber ein nicht zu unterschätzender Beitrag insgesamt. Ich glaube, wir brauchen einen Ansatz, der etwas übergreifender ist als derjenige, den Sie in Ihrem Antrag geliefert haben. Ihre Rede hat schon erste Andeutungen enthalten, wie man das noch verbessern kann. Da sollten wir in den Ausschussberatungen ansetzen, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Denn eines ist klar: Das menschliche Leid im Jemen muss verringert werden, und dazu müssen wir an alle appellieren. Dazu brauchen wir Saudi-Arabien, dazu brauchen wir aber auch den Iran, und dazu brauchen wir auch Einfluss auf die Huthis. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Reden wir doch bitte Klartext zum Jemen und zur Mitverantwortung vor allen Dingen der Bundesregierung für die katastrophale humanitäre Situation in diesem Land. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der machtpolitisch motivierte Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen, der vor allem die jemenitische Zivilbevölkerung trifft, ist die Hauptursache für das sich täglich zuspitzende Elend. UNICEF beklagt: Infolge der saudisch geführten Angriffe sind mehr als 1 500 Kinder getötet worden. 2 500 Kinder wurden infolge der Kämpfe verstümmelt. Nach UNO-Angaben sind bis heute etwa 10 000 Zivilisten getötet und etwa viermal so viele verletzt worden, und die Dunkelziffer ist viel höher. Durch die Zerstörung der Infrastruktur im Jemen durch die saudi-arabische Luftwaffe ist jetzt auch noch die Cholera ausgebrochen. Die Vereinten Nationen sprechen von über 180 Toten und 14 000 Verdachtsfällen. Dazu kommt vor allem, dass durch die saudische Blockade jemenitischer Häfen – man spricht auch von der Hungerblockade – 7 Millionen Menschen im Jemen der Hungertod droht. Hunderttausende Kinder sind gefährdet. Das, was hier unter unseren Augen abläuft, ist nichts anderes als ein Massaker ungeheuerlichen Ausmaßes durch die islamistische Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien, Ihrem Verbündeten, besonders bei der Union. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Außenminister Gabriel hat vorgestern im Gespräch mit der saudischen Marionettenregierung des Jemen erklärt, Deutschland wolle bei der Lösung des Konflikts eine aktive Rolle einnehmen. Zugleich muss man aber konstatieren: Deutschland spielt schon eine sehr aktive Rolle. Deutschland liefert weiter Waffen an Saudi-Arabien, und Frau Bundeskanzlerin Merkel hat darüber hinaus bei ihrem jüngsten Besuch bei der Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien zugesagt, saudische Militärs von der deutschen Bundeswehr ausbilden zu lassen. (Zuruf von der LINKEN: Pfui Teufel!) Ich finde Ihre Außenwirtschaftspolitik wirklich unerträglich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Saudi-Arabien ist ein Großkunde der deutschen Rüstungskonzerne. 2016 betrug das Exportvolumen 529 Millionen Euro. Die Saudis bekommen Patrouillenboote und Technik für Radarüberwachung. Diese Kopf-ab-Diktatur darf sich zudem deutsches Waffen-Know-how ins Land holen. Die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall ist an einer Munitionsfabrik vor Ort beteiligt und verdient über Lizenzen kräftig mit. Pro Tag können dort 300 Artilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten produziert werden. Wissen Sie was? In der deutschen Rüstungsexportstatistik tauchen diese Zahlen überhaupt nicht auf. Was Sie mit Ihrer Außenwirtschaftspolitik veranstalten, ist nichts anderes als Beihilfe zum Mord. (Beifall bei der LINKEN) Die saudische Diktatur mordet im Jemen und ist Hauptverantwortlicher für diese humanitäre Katastrophe. Sie unterstützen dieses mörderische Regime, das weltweit islamistischen Terror fördert, und das auch noch militärisch. Eben haben wir noch über die Gefährder gesprochen, die Sie wegsperren wollen. Aber wieso paktieren Sie denn mit denen, die weltweit diese Gefährder fördern? Warum paktieren Sie mit diesen Terrorpaten? (Beifall bei der LINKEN) Wer sich nicht weiter am Massensterben mitschuldig machen und am Massenmord im Jemen beteiligen will, der muss sofort alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und an die anderen Golfdiktaturen stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Wer gerade in dieser Region keine weiteren Fluchtursachen schaffen will, der muss sofort jegliche Ausbildung saudischer Sicherheitskräfte unterbinden. Wer tatsächlich etwas gegen den islamistischen Terrorismus unternehmen möchte, der muss seinem größten Förderer, dem Schreckensregime in Riad, endlich die Rote Karte zeigen. Der saudische König und Diktator Salman ist kein Fall für üppige diplomatische Bankette, wie es Merkel mit Salman übt, sondern ein Fall für den Internationalen Gerichtshof. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wollen keine Pakte, keine Kumpanei mit solchen Terrorpaten wie Salman oder auch Erdogan. Wir wollen eine radikale Wende in der deutschen Arabien-Politik. Wir wollen keine Beihilfe zum Mord leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Niels Annen hat für die SPD-Fraktion als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der SPD) Niels Annen (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist ganz legitim im politischen Meinungsstreit, dass man aus Sicht der Opposition die Koalitionsfraktionen, die Bundesregierung auch einmal ordentlich attackiert. Dagegen hat niemand etwas. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber?) Ich habe dennoch den Eindruck, dass Sie sich das falsche Thema ausgesucht haben. Ich will gerne versuchen, nach dem Beitrag der Kollegin Dağdelen wieder zu den Fakten zurückzukehren und etwas zu dem zu sagen, was im Antrag der Grünen steht. (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben einen Antrag präsentiert, in dem Sie – das sagt der Titel – einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik verlangen, und eine Vielzahl von Forderungen formuliert, die die Bundesregierung und gerade auch das Auswärtige Amt schon längst umsetzen. Ich will das einmal ein bisschen zuspitzen: Wenn das die neue Radikalität der Grünen ist, dann sitzen im Auswärtigen Amt nur Extremisten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Eines ist allerdings richtig – darin sind wir uns in diesem Hause hoffentlich einig –: Der Krieg im Jemen genießt viel zu wenig Aufmerksamkeit in unserem Land und in der Weltöffentlichkeit. Dafür gibt es Gründe. So gibt es bedauerlicherweise auch andere bewaffnete Konflikte, um die wir uns in diesem Hause kümmern. Trotzdem ist das eine Aussage, die, glaube ich, von allen hier geteilt werden kann. Insofern hat Ihr Antrag – bei aller Fehlerhaftigkeit seiner Stoßrichtung – auch etwas Gutes, nämlich dass wir heute über dieses Thema diskutieren. Eines will ich ganz klar und deutlich festhalten: Frau Dağdelen, wir kennen dieses Spiel von Ihnen ja schon aus anderen Debatten. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Spiel?) Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken – leider versucht auch der Kollege Nouripour, diesen Eindruck zu erwecken –, dass wir in Deutschland Verantwortung dafür tragen, dass Saudi-Arabien den Jemen bombardiert. Deswegen will ich hier festhalten: Deutschland beteiligt sich nicht an der Militärkoalition im Jemen, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern liefert die Waffen!) und Deutschland strebt eine solche Beteiligung auch nicht an. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nennt man „Mitverantwortung“!) Die Bundesregierung (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Bewaffnet die eine Seite!) ist überzeugt – das ist öffentlichen Äußerungen und Dokumenten zu entnehmen –, dass keine militärische Lösung für diesen Konflikt anzustreben ist, sondern – im Gegenteil – dass wir eine Befriedung nur dann erreichen können, wenn wir eine politische Lösung erzielen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum dann die Rüstungsexporte?) Es wurde eben von Herrn Nouripour so dargestellt, als würden wir nur zuschauen, als würden wir nichts tun, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Ich habe für die Initiative gedankt! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch, Sie tun schon etwas! Aber das Falsche!) als würde uns der Konflikt nicht interessieren. Außenminister Sigmar Gabriel (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Reden Sie jetzt für die Regierung oder für Ihre Fraktion?) hat erst vorgestern den Premierminister der jemenitischen Regierung getroffen und die Position der Bundesregierung ganz deutlich unterstrichen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Pressesprecher des Auswärtigen Amts spricht hier oder ein Abgeordneter?) Die Bundesregierung – das könnten Sie wissen, wenn Sie sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt hätten und nicht nur versuchen würden, hier einen PR-Effekt zu erzielen – (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ach, nur Sie beschäftigen sich ernsthaft mit diesen Themen? Exportieren Sie mal weiter Waffen!) unterstützt aktiv die Vermittlungsbemühungen des Sondergesandten der Vereinten Nationen; das hat der Kollege Wadephul eben zu Recht erwähnt. Die Bundesregierung ist einer Bitte der Vereinten Nationen nachgekommen und hat angeboten, diesen fragilen politischen Prozess mit einer aktiveren Rolle und mit ihren eigenen Ressourcen stärker zu unterstützen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die Bundesregierung aber nicht von selbst gemacht, sondern das waren die VN!) Ich darf noch sagen: Just in dieser Woche, in der Sie in einer interessanten Koalition in der Opposition versucht haben, den Eindruck zu erwecken, wir würden uns nicht interessieren und die Bundesregierung sei quasi passiv, hatten wir ein Treffen von hochrangigen Vertretern der Konfliktparteien aus dem Jemen, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Oh! Super! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Aber reicht das?) die in Form eines „Track II“, also eines informellen Dialogs, versucht haben, durch das Gespräch und den politischen Dialog Lösungen für diesen Konflikt zu erzielen. Das unterstützen wir. Ich denke, das sollte auch vonseiten des Parlaments unterstützt werden. Das ist auch die Politik der Bundesregierung. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht nicht!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die humanitäre Lage im Jemen muss angesprochen werden, wenn man über diesen Konflikt miteinander diskutiert. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Und die Verantwortung dafür!) Ich bin dankbar dafür, dass das auch geschehen ist. Die humanitäre Lage im Jemen ist katastrophal. 17 Millionen Menschen sind von Nahrungsunsicherheit direkt betroffen. Weit über 3 Millionen Menschen sind mangelernährt. Wir hatten vor kurzem – darauf ist hingewiesen worden – den Ausbruch der Cholera zu beklagen. Das bedeutet, es ist in der Tat an der Zeit, dass wir nicht nur hier im Deutschen Bundestag darüber diskutieren, wie wir die Initiativen unserer Regierung noch stärker unterstützen können, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern dass Sie dieses Thema tatsächlich auch an sie adressieren!) sondern dass wir auch darüber sprechen, wie wir die internationale Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken können. Ich darf darauf hinweisen – auch das steht in scharfem Kontrast zu der Art und Weise, wie die Dinge von der Opposition dargestellt werden –, dass das Auswärtige Amt die Mittel für die humanitäre Hilfe für den Jemen bereits 2016 erhöht hat. Dieses Jahr belaufen sie sich auf 125 Millionen Euro. Deutschland ist damit der drittgrößte Geber für den Jemen. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und liefert gleichzeitig Waffen!) Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Alle Kriegsverbrechen – ganz gleich, von welcher Seite sie begangen werden; das gilt natürlich auch für die saudische Regierung, die hier die größte Verantwortung trägt, weil sie mit der Luftwaffe und ihren übrigen Wirkmitteln eine ganz andere Eskalationsdynamik entwickeln kann – müssen untersucht werden. Das ist die Politik dieser Regierung, der Großen Koalition, nicht nur im Jemen-Konflikt, sondern, wie Sie wissen, auch im Syrien-Konflikt. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch ein Wort zu den Rüstungsexporten und ein Wort zu den Verantwortlichkeiten! Dann kommen wir zusammen!) – Sie können so viel schreien, wie Sie möchten. Ich trage Ihnen hier die Fakten vor. Vielleicht trägt das ja ein bisschen dazu bei, dass wir eine sachliche Debatte miteinander führen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sachlichkeit gehört die Erwähnung der Rüstungsexporte!) – Ich weiß, dass das Zuhören nicht zu Ihren Stärken gehört, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei solchen Reden ist das wahr! Das geht einfach nicht! Das ist kaum zu ertragen!) aber ich will das trotzdem vortragen. – Deshalb hat sich die Bundesregierung in Genf immer dafür eingesetzt, dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine unabhängige Kommission einsetzt. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wie viele Waffen haben Sie denn heute schon vertickt?) Wir wissen, an wem das gescheitert ist. Es lag, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht an der Bundesregierung. Ich möchte Sie gerne einladen, weil Sie das in Ihrem Antrag erwähnt haben, sich noch einmal die Schlussfolgerungen des Rates der EU dazu anzuschauen, mit der Stimme und der Unterstützung der Bundesregierung. Es sind zum Teil exakt die Forderungen, die Sie uns hier zur Beschlussfassung vorlegen. Viele Punkte finden sich dort wieder. Deswegen wäre es, glaube ich, nur fair gewesen, wenn man das zumindest erwähnt hätte, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist fair, wenn jetzt noch ein Satz zu den Rüstungsexporten kommt! Ein einziger! Komm, gib ihn mir!) anstatt hier den Eindruck zu erwecken, wir würden nur zuschauen. Die Europäische Union verurteilt die Angriffe auf Zivilisten und äußert sich ausgesprochen besorgt zum Einsatz unter anderem von Streumunition. Die EU fordert einen sicheren Zugang für humanitäre Helfer, eine Frage, die wir nicht nur für den Jemen miteinander zu diskutieren haben, sondern die wir beispielsweise auch aus dem Krieg in Syrien kennen. Da die Redezeit jetzt quasi abgelaufen ist, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleiben die Rüstungsexporte? Wo bleibt das Wort „Saudi-Arabien“? Wo bleibt die Sozialdemokratie im Europäischen Parlament?) will ich Ihnen das gerne noch einmal zur Lektüre empfehlen. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir betreiben, was den Jemen-Konflikt angeht, eine ausgewogene Politik, sowohl was die humanitäre Hilfe angeht, als auch was die politischen Initiativen angeht. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausblenden der Fakten!) Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass es der ehemalige Wirtschaftsminister und noch amtierende Vizekanzler Sigmar Gabriel gewesen ist, der beispielsweise nach von einer vorherigen Regierung genehmigten Exporten und Lizenzverträgen für die Errichtung einer Fabrik zur Herstellung von Sturmgewehren des Typs G36 die Produktion dadurch gestoppt hat, dass die zentralen Komponenten bis heute nicht geliefert worden sind, was in gewisser Weise sogar vertragswidrig ist, aber aus politischen Gründen die richtige Entscheidung war. Also tun Sie hier nicht so, als würden wir auch an dieser Stelle nicht aktiv werden! Das Gegenteil ist der Fall. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Salman und Erdogan werden es danken!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar, lieber Herr Annen, dass Sie etwas Sachlichkeit in diese Debatte gebracht haben (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Wadephul konnte es ja nicht!) und dass Sie im Großen und Ganzen ein Stück weit relativiert haben, was hier vorgetragen worden ist. Wenn man sich den Antrag der Grünenfraktion anschaut, stellt man fest, dass er zunächst einmal durchaus positive Aspekte enthält – darauf sind die Vorredner eingegangen –, etwa wenn es darum geht, die größte humanitäre und auch Hungerkatastrophe der Welt ein Stück weit in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken und dafür zu sorgen, dass auch unser Haus dieses Thema diskutiert. Was da zu diskutieren ist, haben wir ja gehört. Dabei geht es in der Tat im Ergebnis um nichts anderes als darum, dass das seit Jahren ärmste Land der arabischen Welt im Grunde genommen in die Steinzeit zurückkatapultiert wird. Vieles, was dort passiert ist, ist angesprochen worden. Nach drei Jahren des Bürgerkriegs, nach zwei Jahren des Bombardements sind letztlich das Gesundheitssystem und die Infrastruktur so zerstört, dass auch an sich heilbare oder vermeidbare Krankheiten zu massenhaftem Sterben führen. Es gibt auch schreckliche Verbrechen, die in diesem Zusammenhang begangen werden. Dass auf der Seite der Huthis zehnjährige Kinder an die Waffen und an die Fronten gebracht werden, ist etwas, was ebenfalls zum Gesamtbild gehört. Was Sie in Ihrem Antrag auch noch richtigerweise erwähnen, ist die Tatsache, dass es am Ende keine militärische Lösung, sondern nur eine politische und Verhandlungslösung geben kann. Aber gerade wenn man das als richtig voraussetzt, muss doch klar sein, dass man sich ein Stück weit in die unterschiedlichen Kombattanten hineinfühlen muss, dass man sich anschauen muss, wo die Problemlagen sind, damit man eine Basis für Verhandlungslösungen finden kann. Das setzt voraus, dass man nicht einseitig argumentiert, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eben!) sondern klarlegt, dass man es hier mit vielen Verbrechern zu tun hat. Natürlich ist es so, dass die Saudis gemeinsam mit der Hadi-Regierung Verantwortung tragen. Aber die Hadi-Regierung ist letztlich auch eine legitime und von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannte Regierung. Sie ist von den Huthis vertrieben worden, und nicht nur von denen. Sie haben sich ausgerechnet mit dem früheren Machthaber Saleh verbündet, der vorher Hunderttausende Huthis verfolgt, bekämpft und ermordet hat. Insofern muss man schon das gesamte Bild zeichnen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir alles gesagt!) Es ist auch richtig, dass es an der Hunderte Kilometer langen Grenze zwischen den beiden Ländern auch Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens gibt, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Grenze, nicht im Jemen!) die es zu respektieren gilt. Gleiches gilt letztlich für die Rolle der USA; ich sage das vor dem Hintergrund des anstehenden Besuchs des amerikanischen Präsidenten. Tatsächlich ist es so, dass die Amerikaner hier durchaus eine gute Rolle spielen. Schauen Sie sich beispielsweise die Geberkonferenz an, die Sie angesprochen haben, bei der 1,1 Milliarden Euro eingesammelt worden sind. Allein die Hälfte des Geldes kommt von den USA. Schauen Sie sich doch einmal an, wie sich andere Weltmächte gerieren. Schauen Sie sich einmal an, was China und Russland machen. Ich kann Ihnen sagen: Die tun nichts, gar nichts. Auch das gehört zu dem Gesamtbild. Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass wir in Deutschland eine radikale Änderung der Jemenpolitik brauchen. Ich frage mich: Was sollen wir denn ändern? In dieser Woche war der jemenitische Premier in Berlin. Seit dem vergangenen Sonntag diskutieren unterschiedliche Vertreter jemenitischer Gruppen und Parteien in Berlin, wie man Verhandlungslösungen erzielen kann. Deutschland wirft seine Position in der Region und das Vertrauen, das es genießt, in die Waagschale, um zu Verhandlungslösungen zu kommen. Wenn Sie sich auf die Waffenlieferungen kaprizieren, dann ist es falsch, zu behaupten, dass dort mit deutschen Waffen getötet würde. Man muss sich genau anschauen, um was es geht. Es geht um Patrouillenboote und um Radarsysteme, die letztlich zum Schutz von Küsten und zum defensiven Einsatz verwendet werden. Zur Wahrheit gehört auch, was nicht geliefert wird, beispielsweise Bestandteile für Gewehre des Typs G36 oder Panzerbestandteile, also all die Dinge, die für offensive Einsätze und damit auch für Krieg, Bürgerkrieg und zum Morden eingesetzt werden können. Das gehört doch zum Gesamtbild. Wenn Sie das nicht berücksichtigen, dann werden Sie nie die Basis dafür schaffen, zu einer Verhandlungslösung zu kommen; aber nichts anderes kann das Ziel sein. Im Hinblick auf den Besuch des amerikanischen Präsidenten hoffen wir, dass er auf seinen Verteidigungsminister hört, der genau das statuiert hat: Es kann nur eine Verhandlungslösung geben. – Wir sind bereit, auch in diesen Zeiten unseren Beitrag dazu zu leisten. Ich glaube, dass Deutschland viel dazu beitragen kann und dies auch tut. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12121 mit dem Titel „Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises Drucksache 18/11279 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12417 Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.7 Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12417, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11279 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften Drucksachen 18/11239, 18/11938, 18/12181 Nr. 1.12 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12397 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Sicherheit durch weniger Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken Drucksachen 18/11417, 18/7654, 18/12397 Der Innenausschuss hat den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7654 mit dem Titel „Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken“ in seine Beschlussempfehlung miteinbezogen. Dieser Antrag soll daher jetzt ebenfalls beraten werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden. Dann ist das so geschehen. 8 Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12397, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11239 und 18/11938 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke, bei der es auch eine Enthaltung gibt, und bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 24 b. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf der Drucksache 18/12397 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11417 mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/7654 mit dem Titel „Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Damit ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten Drucksache 18/10485 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12427 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit wir beginnen können. – Als erster Redner in der Aussprache hat Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „In guten wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit“ – (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es romantisch!) diese Worte sind uns wohlbekannt. Die wenigsten werden bei ihrem Eheversprechen tatsächlich darüber nachdenken, was es heißt, in Zeiten der Krankheit für den anderen da zu sein. Ehegatten und Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft können nach geltendem Recht keine Entscheidungen über medizinische Behandlung für ihren Partner treffen, wenn dieser nicht mehr selbst handlungsfähig ist. Auch im Rechtsverkehr können sie ihn dann nicht vertreten. Eine Vorsorgevollmacht würde an dieser Stelle Abhilfe schaffen. Sie kann dauerhaft rechtliche Betreuung vermeiden und das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen in vollem Umfang gewährleisten. Wir halten daher die Vorsorgevollmacht für absolut vorzugswürdig. (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jeder hat es selbst in der Hand, wen er als Bevollmächtigten einsetzen will. Das kann der Ehepartner, aber eben auch das eigene Kind, der Nachbar oder die beste Freundin sein. Was ist, wenn ich selber keine Entscheidung treffen kann? Diese Frage verdrängen viele von uns oder schieben die Beantwortung immer wieder auf. Es wundert mich daher leider nicht, dass Mitte 2015 nur etwa 2,8 Millionen Vollmachten registriert waren. Das sind gerade einmal 4 Prozent der Erwachsenen in Deutschland. Unsere Aufgabe wird es daher weiterhin sein, die Vorsorgevollmacht zu stärken und bekannt zu machen. Bis Vorsorgevollmachten von der Mehrheit der Bevölkerung in Anspruch genommen werden, müssen wir über ergänzende Regelungen nachdenken. Der Bundesrat hat mit seinem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten dafür einen Vorschlag gemacht. Es soll eine gesetzliche Annahme der Bevollmächtigung zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern geschaffen werden. Sie soll für den Bereich der Gesundheitssorge und der Fürsorge greifen. Der Bundesrat will Betroffene mit dieser Regelung entlasten und Betreuerbestellungen vermeiden. Wenn der Partner gerade einen Unfall oder einen Schlaganfall erlitten hat oder schwer erkrankt ist und dadurch handlungsunfähig ist, muss vieles neu geregelt werden. In dieser Situation ist jede Entlastung willkommen. Das Ansinnen des Gesetzentwurfes findet daher unsere volle Unterstützung. Wir sehen gleichzeitig aber auch wichtigen Änderungsbedarf. Der Gesetzentwurf des Bundesrates birgt gleich an mehreren Stellen Missbrauchspotenzial. Dem müssen wir unbedingt vorbeugen. Wir wollen das Vertretungsrecht deshalb auf die Gesundheitssorge beschränken. Eine Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist dann also nicht möglich. Auch die im Bundesratsentwurf vorgesehenen Erklärungen sehen wir kritisch. So ist zum Beispiel vorgesehen, dass der Ehegatte für den Abschluss von Verträgen ein ärztliches Zeugnis vorlegen muss. Ein ärztliches Zeugnis, das sechs Monate alt sein darf, sagt aber wenig über die aktuelle Situation aus. Darauf werden wir also verzichten. In der Anhörung haben unsere Änderungsvorschläge bereits vorgelegen. Die Sachverständigen haben uns einhellig bestätigt: Die von uns vorgesehene enge zeitliche Begrenzung wie auch die Beschränkung auf die Gesundheitssorge beugen Missbrauch vor. Es gab von den Sachverständigen aber auch Kritik, die wir sorgsam abgewogen haben. Wir haben deswegen die entsprechende Anwendung der §§ 1901a, 1901b sowie 1904 BGB in unseren Änderungsantrag aufgenommen. Damit ist ganz klar geregelt: Auch der vertretende Ehegatte muss dem in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen Ausdruck verschaffen. Wenn es keine Patientenverfügung gibt, muss der Ehegatte die Behandlungswünsche des Partners feststellen. Dabei spielen frühere Äußerungen und ethische und religiöse Überzeugungen des Patienten eine Rolle. Auch der behandelnde Arzt hat unter Berücksichtigung des Patientenwillens die medizinischen Maßnahmen mit dem Ehegatten zu erörtern. Für Ärzte schaffen wir außerdem ein unmittelbares Auskunftsrecht. Gegen die Vertretung durch den Ehegatten oder Lebenspartner kann Widerspruch im Zentralen Vorsorgeregister eingetragen werden. Damit der Arzt schnellstmöglich weiß, ob ein solcher Widerspruch oder eine Vorsorgevollmacht vorliegt, wird Ärzten künftig darüber Auskunft erteilt. So kann dem Patientenwillen schneller und effektiver Rechnung getragen werden. Das Für und Wider verbesserter Beistandsmöglichkeiten von Ehegatten und Lebenspartnern haben wir also sorgsam abgewogen. Wir haben so zu einer unkomplizierten, wirksamen Regelung für Notsituationen gefunden, die Missbrauch vermeidet und Betroffene entlastet. (Beifall bei der SPD) Mindestens ebenso sehr beschäftigt hat uns aber die Frage der Vergütung von Berufsbetreuern, die auch in dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt ist. Diese Vergütung ist seit 2005 unverändert. Die Einkommen vergleichbarer Berufsgruppen sind im vergleichbaren Zeitraum deutlich gestiegen, und auch die Kosten der Betreuung sind in die Höhe geklettert. Vor allem die Betreuungsvereine befinden sich in einer absolut prekären finanziellen Situation. Für uns ist es höchste Zeit, zu handeln. Wir haben uns daher entschieden, die Vergütungserhöhung unabhängig von anderen Fragen des Betreuungsrechts schon jetzt zu regeln. In der nächsten Legislatur wollen wir eine umfassende Debatte über die Qualität in der Betreuung führen und damit eine umfassende Reform in Angriff nehmen. Aber so eine Reform braucht Zeit, Zeit, die vor allem die Betreuungsvereine nicht mehr haben. Wenn wir jetzt keine Vergütungserhöhung mehr beschließen, werden wir in der nächsten Legislaturperiode eine ganz andere Strukturdebatte führen müssen; denn dann werden wir nicht mehr auf Ehrenamt und Betreuungsvereine setzen können, weil es eine große Zahl der Betreuungsvereine, die das Ehrenamt begleiten, dann schlicht und ergreifend nicht mehr geben wird. (Beifall bei der SPD) Betreuung bedeutet zum Beispiel Entscheidungen am Lebensende, aber auch ärztliche Zwangsmaßnahmen. Vor allem die unterstützende Entscheidungsfindung und sensible Grundrechteeingriffe setzen eine hohe Qualität der rechtlichen Betreuung voraus. Wir können und wollen es uns als Gesellschaft nicht leisten, dass hier am falschen Ende gespart wird. Die unveränderten Stundensätze führen dazu, dass die Fallzahlen erhöht werden. Darunter leidet unweigerlich die Qualität der Betreuung. Ich freue mich, dass wir uns in der Frage der Vergütungserhöhung in allen im Bundestag vertretenen Fraktionen einig sind. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen es auch nicht bezahlen!) Ich appelliere auch an die Länder, der Erhöhung der Betreuervergütung zuzustimmen. Hier zu kurzfristig zu denken, wäre fatal. Jegliche Qualitätsdebatte könnte dann zu spät kommen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Harald Petzold für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir sprechen heute hier abschließend über den Entwurf eines Gesetzes des Bundesrates zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten in einer geänderten Fassung des Rechtsausschusses. Das heißt, der ursprüngliche Gesetzentwurf liegt nicht mehr zur Abstimmung vor. Er ist ergänzt worden um die durch den Kollegen Bartke vorgestellte Regelung zur Erhöhung der Betreuer- und Vormündervergütung. Worum geht es bei dem Gesetzentwurf? Stellen Sie sich vor, Sie leben mit Ihrem Ehepartner oder Lebenspartner seit vielen Jahren zusammen. Ihr Glück ist ungetrübt. Nicht im Traum würden Sie auf den Gedanken kommen, einmal nicht mehr selbst handlungsfähig oder selbstbestimmt zu sein. Und dann kommt es plötzlich und unerwartet zu einem Unfall oder einer schweren Erkrankung Ihres Partners oder Ihrer Partnerin. Plötzlich stellen Sie fest, Sie haben für einen solchen Fall nicht vorgesorgt. Eine Vorsorgevollmacht ist nicht erteilt worden, und ohne eine solche Vollmacht sind Sie weder als Ehepartnerin oder Ehepartner noch als Partnerin oder Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft berechtigt, Entscheidungen, zum Beispiel über die medizinische Behandlung, für Ihren dann nicht mehr selbst handlungsfähigen Partner zu treffen oder diesen im Rechtsverkehr zu vertreten. Es bedarf dann erst eines gerichtlichen Verfahrens zur Betreuerbestellung, um dem geliebten Ehe- oder Lebenspartner auch rechtlich und in medizinischer Hinsicht beistehen zu können. Eine Vorsorgevollmacht ist daher ein wichtiges Instrument, um selbstbestimmt darüber entscheiden zu können, wer im Falle des Verlustes der eigenen Handlungsfähigkeit oder Selbstbestimmung einmal anstelle derjenigen oder desjenigen handeln und entscheiden soll. Untersuchungen belegen – der Kollege Bartke hat ja darauf hingewiesen –, dass leider viel zu wenige Paare oder Lebensgemeinschaften von diesem Instrument Gebrauch machen. Meist wird es auf später verschoben oder verdrängt. Insofern begrüßen wir natürlich eine gesetzliche Regelung. Das steht außer Zweifel. Aber – das kann ich Ihnen leider nicht ersparen – gut gemeint ist eben nicht gleich gut gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) So komme ich hier für die Linke nach Abwägung aller Kriterien zu dem Schluss, dass die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen zur Einführung eines gesetzlichen Vertretungsrechts weder erforderlich noch sachdienlich sind. So, wie sie hier zur Abstimmung vorliegen, könnten sie sogar stark nachteilige Folgen für die Rechtssicherheit und die Selbstbestimmung von Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern haben bzw. bergen sie die Gefahr des Missbrauchs. Das ist uns in den öffentlichen Anhörungen bestätigt worden. So sind beispielsweise die im Entwurf des Bundesrates vorgeschlagenen Regelungen eines Vertretungsrechts in Angelegenheiten mit vermögensrechtlichen Bezügen viel zu weitgehend gewesen; dies kann zudem eigentlich bereits über bestehende Rechtsinstitute geregelt werden. Dies ist glücklicherweise durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen korrigiert worden. Eine weitere Korrektur betraf die zeitliche Begrenzung der Dauer der Vertretung auf einen überschaubaren Zeitraum von wenigen Tagen oder Wochen. Ich will unsere Zustimmung zu den Änderungsvorschlägen der Koalitionsfraktionen zur Verbesserung der Betreuer- und Vormündervergütung ausdrücklich festhalten. Seit zwölf Jahren ist die Vergütung von gesetzlicher Betreuung nicht mehr erhöht worden. Sie ist dringend notwendig, um das System der Betreuung in den nächsten Jahren aufrechtzuerhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die diesbezüglichen Korrekturen am Gesetzentwurf sind dafür allerdings nur ein erster notwendiger Schritt. Auch das kann ich Ihnen nicht ersparen. Wenn es so wäre, wie Sie es hier vorgetragen haben, Herr Kollege Bartke, hätten Ihre Vorschläge viel weitgehender sein müssen. (Beifall bei der LINKEN) Ich stimme dem Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen zu, die Abstimmungen zu trennen. Wir werden dem Änderungsvorschlag der Koalitionsfraktionen aus den von mir genannten Gründen unsere Zustimmung geben. Mit dem Vorgehen, hieraus ein Omnibusgesetz zu machen, also zwei Dinge miteinander zu verknüpfen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, riskieren Sie die Zustimmung der Bundesländer zu diesem Gesetzentwurf. Sie sind hauptsächlich für die Finanzierung zuständig; das wissen Sie. Insofern halte ich den Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen, diese Abstimmungen voneinander zu trennen, für zielführend. Wir sollten das eine als das eine abstimmen und das andere als das andere. Der Gesetzentwurf insgesamt kann unsere Zustimmung nicht finden. Die Gründe hierfür habe ich vorgetragen. Damit komme ich zum Ende meiner Ausführungen, Frau Präsidentin. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Dr. Sabine Sütterlin-Waack das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die noch hier bei uns auf der Tribüne sitzen! Hinter der Überschrift des Gesetzentwurfs verbirgt sich ein äußerst sensibler und emotionaler Sachverhalt, von dem die Bürger denken, er sei schon lange geltende Rechtslage. Im Falle einer plötzlich auftretenden schweren Erkrankung oder eines Unfalls können Ehegatten und Lebenspartner gegenwärtig nicht füreinander Entscheidungen über medizinische Behandlungen treffen. Ohne Vorsorgevollmacht muss jetzt grundsätzlich ein Betreuer in einem gerichtlichen Verfahren bestellt werden. Dies ist für die meisten Ehegatten und Lebenspartner eine nicht nachvollziehbare Belastung. Deshalb wollen wir nun ein Notvertretungsrecht im eng begrenzten Rahmen der Gesundheitssorge schaffen, und zwar ausschließlich dort. Die Bedenken der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung haben wir dabei berücksichtigt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Nicht wirklich!) Ehegatten und eingetragene Lebenspartner haben ähnliche Pflichten wie ein Betreuer. Das bedeutet, dass die vertretenden Partner grundsätzlich an den Patientenwillen des erkrankten Ehegatten gebunden sind. Damit wahren wir das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen vollumfänglich. Zudem können Ärzte zukünftig Auskunft aus dem Zentralen Vorsorgeregister erhalten. Diese Änderung haben wir als notwendig angesehen, damit die behandelnden Ärzte schnellstmöglich ermitteln können, ob möglicherweise ein Widerspruch gegen das Notvertretungsrecht eingetragen wurde. Ich habe schon in meiner ersten Rede zu diesem Gesetzentwurf gesagt, dass wir die inhaltliche Nähe des Gesetzentwurfs des Bundesrates dazu nutzen wollen, ein weiteres wichtiges Vorhaben im Betreuungsrecht auf den Weg zu bringen: eine Erhöhung der Vergütungssätze für Vereins- und selbstständige Berufsbetreuer. Bald zwölf Jahre ist es her, dass wir mit dem Inkrafttreten des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes ein pauschalisiertes Vergütungssystem für Vereins- und Berufsbetreuer eingeführt haben. Die Stundensätze des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes sind seitdem, also seit zwölf Jahren, nahezu unverändert. Durch einen Änderungsantrag sollen diese nun um 15 Prozent angehoben werden. Ich finde es richtig, dass die Vergütungssätze angehoben werden. Das befürworten im Übrigen auch alle Sachverständigen, die wir in der öffentlichen Anhörung im März gehört haben. Wir wissen alle: Qualitativ hochwertige Arbeit muss auch entsprechend bezahlt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Und die Betreuer müssen genügend Zeit haben, um sich um ihre Betreuten zu kümmern. (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Bedenken Sie bitte: Betreuer üben eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe aus. Sie unterstützen hilfebedürftige Menschen, die ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr ganz allein regeln können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Juristen kennen das Konstrukt: Vertrag zulasten Dritter. – So ähnlich ist es hier. Wir beschließen ein Gesetz, das unmittelbar die Länderhaushalte und nur diese berührt. Wir sehen: Die Situation in den einzelnen Bundesländern ist völlig unterschiedlich. Die Not der Betreuungsvereine ist auch unterschiedlich stark ausgeprägt. In meinem Heimatbundesland Schleswig-Holstein zum Beispiel läuft die Förderung der Betreuungsvereine ganz gut. In anderen Bundesländern ist das weniger der Fall. Die Justizressorts sehen aber geschlossen und unabhängig von der Parteicouleur keinen akuten Handlungsbedarf. Das wurde in einem überfraktionellen Gespräch mit den Vertretern der Länderjustizministerien im Rechtsausschuss vor wenigen Wochen deutlich. Ich habe Verständnis für die Position der Länder, wonach man zunächst das Gesamtbild der Qualität in der rechtlichen Betreuung abwarten will. Die Endergebnisse der beiden Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz werden wir im Sommer dieses Jahres erfahren. Aber mein Appell an die Länder: Dann bekommen wir realistisch betrachtet keine Änderung vor Mitte oder Ende des nächsten Jahres mehr hin. So lange kann insbesondere eine große Zahl von Betreuungsvereinen nicht mehr warten. Wir müssen das bestehende System noch in dieser Legislaturperiode durch eine Anhebung der Vergütung stützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Nur so retten wir insbesondere die Betreuungsvereine, die bekanntlich auch von der Betreuervergütung abhängen, über die nächsten Monate. Und nur dann können wir in Ruhe über die Qualität in der Betreuung eine Strukturdebatte führen. Die allgemeine Preissteigerung über die letzten zwölf Jahre und die Einkommens- und Tarifentwicklung weisen deutlich darauf hin, was zu tun ist: Die Vergütungssätze müssen angepasst werden. Wir argumentieren ja auch nicht ohne empirische Grundlage. Der im Februar veröffentlichte Zwischenbericht zeigt, dass die Schere zwischen tatsächlich geleistetem und vergütetem Aufwand auseinandergeht. Wir brauchen eine schnelle Entlastung; denn wir können und wollen der Schließung von weiteren Betreuungsvereinen nicht mehr tatenlos zusehen. Wir würden sonst die über Jahre gewachsene Betreuungsstruktur verlieren und damit die Privatisierung von Betreuung fördern und das Ehrenamt schwächen. Was einmal verloren ist, meine Damen und Herren, kann nur mit viel Geld und oftmals viel später wieder aufgebaut werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Katja Keul hat als nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade schon gehört: Dem ursprünglichen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten wurde im Wege eines Änderungsantrages, also im Omnibusverfahren, eine Erhöhung der Betreuervergütung angehängt. Aber zunächst zum Betreuungsrecht unter Ehegatten. Die Expertenanhörung im Ausschuss hat meine Bedenken, die ich bereits in der ersten Lesung deutlich geäußert hatte, noch weiter verstärkt. Sie schränken das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ohne Not ganz erheblich ein. Daran ändert auch die Beschränkung auf den Gesundheitsbereich nichts – im Gegenteil. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) In der ersten Zeit nach einem Unfall oder dem Ausbruch einer unerwarteten schweren Krankheit muss häufig über Leben und Tod entschieden werden, sodass die Risiken durch Fehler oder Missbrauch besonders hoch sind. Kann der Betroffene in einer solchen Situation seinen Willen nicht mehr selbst äußern, muss sein mutmaßlicher Wille ermittelt werden. Immer häufiger hilft dabei das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht. Diese Vorsorgevollmacht ist unmittelbarer Ausdruck des eigenen Willens des zu Betreuenden und muss daher weiterhin gefördert und beworben werden. Wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt, entscheidet bislang das Betreuungsgericht nach Anhörung der Beteiligten, wer am besten die Entscheidung für den Betroffenen treffen kann und sollte. Ihre These, die allermeisten Menschen würden ohnehin ihren Ehepartner als Beistand einsetzen wollen und deswegen könne man auf eine gerichtliche Anhörung verzichten, stimmt einfach nicht. Das haben wir ja auch in der Anhörung von der Sachverständigen der Deutschen Stiftung Patientenschutz gehört, die aus ihrer Praxis berichtet hat. Die Gründe, jemand anderen als den Ehegatten zu bevollmächtigen, sind so vielfältig wie das Leben selbst. Vielleicht sind einfach die Kinder oder Enkelkinder besser geeignet. Vielleicht will man den Ehegatten von dieser Entscheidung entlasten. Vielleicht gibt es in dieser Ehe Alkohol- oder Gewaltprobleme, die man bislang unter den Teppich gekehrt hat. Völlig unberücksichtigt bleiben bei Ihrem Vorschlag außerdem alternative Familienmodelle jenseits von Ehe und eigetragener Partnerschaft. Das hat übrigens auch der Deutsche Anwaltverein beanstandet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Der im Gesetzentwurf vorgesehene Automatismus schwächt die Stellung der Vorsorgevollmacht, indem er diese vermeintlich entbehrlich macht. Das führt nicht nur zu mehr Rechtsunsicherheit, sondern auch zu einer größeren Missbrauchsgefahr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Diese Gefahr wollen Sie jetzt eindämmen, indem Sie Ehegatten die Möglichkeit geben, einen Widerspruch gegen die gesetzliche Vermutung ins Zentrale Vorsorgeregister einzutragen. Das ist jetzt wirklich absurd; denn wenn ich schon daran denke, für den Notfall Vorsorge zu treffen, dann regele ich das doch, indem ich eine Vorsorgevollmacht erteile und darin eine ausdrückliche Regelung vornehme. (Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Kann man ja auch machen!) Die gesetzliche Regelung greift ja gerade dann ein, wenn ich keine Vorsorge getroffen habe. Bei Zweifeln bleibt dem behandelnden Arzt also ohnehin nur wieder der Weg zum Betreuungsgericht. Im Verfahren haben Sie jetzt auch noch die Pflicht des Ehegatten gestrichen, sich zu den Ausschlussgründen, wie beispielsweise die Tatsache, dass sie getrennt leben, wenigstens formlos zu erklären. Der Hinweis in der Begründung, dass diese Erklärung vom Arzt ohnehin nicht überprüft werden kann, zeigt gerade auf, dass sich die Bundesregierung selbst der Rechtsunsicherheit bewusst ist, die sie da schafft. Ganz ohne Überprüfungspflicht hat es der Arzt zwar theoretisch leichter, jedoch geht das auf Kosten des Patienten und seines Selbstbestimmungsrechtes. Der Gesetzentwurf birgt viel Risiko und wenig Nutzen. Deswegen können wir diesen Änderungen an den Beistandsmöglichkeiten für Ehegatten nicht zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist aber schade!) Anders verhält es sich mit der Erhöhung der Vergütung für Berufsbetreuer. Hier gibt es in der Tat Handlungsbedarf. Die Konzepte für eine umfassende Reform – dabei geht es auch um die Qualitätssicherung und um einen veränderten Stundensatz – liegen heute noch nicht vor; die Kollegin Sütterlin-Waack hat es ausgeführt. Fakt ist, dass viele Betreuungsvereine bereits schließen mussten oder kurz davor stehen, weil sie die finanziellen Belastungen nicht mehr tragen können. In einer alternden Gesellschaft wird die Zahl der Betreuungen in absehbarer Zeit weiter zunehmen, und wir werden sowohl mehr ehrenamtliche als auch mehr professionelle Betreuer benötigen. Für die Erhöhung der Vergütung der Berufsbetreuer sind wir als Bundesgesetzgeber zuständig, weshalb wir hier heute einen Schritt vorangehen. Weitere Reformen – auch bei der Qualitätssicherung – werden noch folgen müssen. Darin sind wir uns alle einig. Deswegen stimmen wir jetzt getrennt ab: Wir lehnen die Veränderungen an der Beistandsregelung ab und stimmen der Erhöhung der Betreuervergütung zu. Zu dem gesamten Gesetzentwurf werden wir uns deshalb enthalten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mit einem Ehepaar befreundet. Es war im letzten Sommer auf einer Fahrradtour, und es kam, wie es vielleicht kommen musste: Der Mann stürzte. Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf zu und musste einige Tage ins künstliche Koma versetzt werden. Für die Frau waren das bange Tage, weil viele Folgefragen im Raum standen, nämlich zum Beispiel die Frage nach den unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten und auch die Frage nach der Verlegung von einem Krankenhaus ins andere. Das Problem war, dass die Frau keinerlei Entscheidungsbefugnisse hatte, und leider gab es eben auch keine Vorsorgevollmacht. Zum Glück ist der Mann heute wieder gesund, und ja, beide haben daraus gelernt. Beide haben mittlerweile eine Vorsorgevollmacht verfügt. Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der genau dieses Problem aufgreift und für genau diese Notsituation – Kollegin Keul, ich glaube, darum geht es – eine Lösung anbietet. Es wird nämlich gesetzlich eine Bevollmächtigung des Ehegatten bzw. des Lebenspartners für diese schwierige Situation angenommen, und zwar nur für folgende Bereiche: für den Bereich der Gesundheitssorge, das heißt, für Untersuchungen und ärztliche Eingriffe, und für den Bereich der Fürsorge, zum Beispiel, wenn es um die Verlegung in ein anderes Krankenhaus geht. Gerade der Änderungsantrag der Koalition hat eine wesentliche Beschränkung herbeigeführt, und wir können jetzt jegliche Missbrauchsrisiken ausschließen. Es gibt nämlich eben keine Vertretungsvollmacht zum Beispiel in Vermögensfragen, und es gibt zum Beispiel auch keine Befugnis zum Öffnen der Post des Ehegatten. Wenn wir darunter einen Strich machen und uns das faktische Ergebnis anschauen, dann wird das wie folgt sein: Es gibt letztendlich eine Begrenzung für einen überschaubaren Zeitraum. Wir werden mit dieser Regelung wenige Tage überbrücken können. Wir werden den Menschen über eine Notsituation hinweghelfen können. Wenn dieser gesundheitliche Ausfall länger dauert, Kollegin Keul, dann ist es zwangsläufig so, dass ein Betreuer bestellt werden muss oder das Betreuungsgericht entscheiden muss, weil es rechtsgeschäftliche Fragen zu klären gibt. Das heißt, wir wollen hier kein Ersatzinstitut, kein Konkurrenzinstitut zur Vorsorgevollmacht schaffen, sondern es geht ausschließlich darum, den Lebenspartnern, den Ehegatten ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem sie sich über diese Notsituation hinweghelfen. Jetzt sagen Sie: Das ist ein bisschen komisch. Man kann doch nicht automatisch davon ausgehen, dass der eine Ehegatte will, dass der andere Ehegatte in dieser schwierigen Situation entscheidet. – Ich sage ganz ehrlich: Dem widerspricht die Statistik. 70 Prozent aller Lebenspartner und Ehegatten würden sich in diesem Moment genau das wünschen, dass nämlich der liebende Partner diese schwierigen Entscheidungen trifft. Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich kann mir an dieser Stelle einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. Das hört sich an nach dem Motto: Wer ist denn schon der Ehegatte, dass er das entscheidet? – Wir haben gestern an dieser Stelle über die Ehe für alle diskutiert. Da haben Sie die Ehe als Institut in den siebten Himmel gehoben und gesagt: Das ist der Olymp der zwischenmenschlichen Beziehung. – Heute aber sagen Sie: Wer ist denn schon der Ehegatte, dass er das entscheidet? – Ich bin der Meinung, da fehlt Ihnen ein bisschen die Linie. (Beifall bei der CDU/CSU) Ganz abgesehen davon will ich Ihnen sagen, dass Sie nicht unterschlagen dürfen, dass es jederzeit die Möglichkeit einer anderweitigen Regelung gibt. Ich glaube, das ist richtig, und das ist wichtig. Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit darauf verwenden, für den zweiten Teil dieses Gesetzes Werbung zu machen. Es ist schon angesprochen worden: Die Erhöhung der Betreuungsvergütung soll die schwierige Situation der Betreuungsvereine beseitigen. Wir sollten in dieser Situation aber auch an die Länder denken, die mit der finanziellen Folgefrage ihre Schwierigkeiten haben. Wir haben im Moment die Konstellation, dass eine Kostendeckung nicht mehr gegeben ist. Führen wir uns bitte vor Augen, dass die Betreuungskosten auch die Nebenkosten decken müssen: Büro, Mitarbeiter, Fahrtkosten. Es gibt heute schon den Trend, dass die Zahl der Betreuungsvereine immer weiter zurückgeht. Das ist ein unglaublich fatales Signal. Das ist ein Indiz dafür, dass die Bezahlung im Moment nicht ausreichend ist, da die Vergütungssätze seit zwölf Jahren nicht mehr erhöht wurden. Was droht am Ende des Tages? Es droht eine Kompensation auf andere Art und Weise. Die steigenden Kosten können nur aufgefangen werden, indem ein Betreuer mehr Personen betreut. Da sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das kann nicht in unserem Interesse sein. Deswegen möchte ich ausdrücklich um Zustimmung für beide Teile werben, obwohl ich selbstverständlich weiß, dass die Länder ihre Bauchschmerzen haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12427, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/10485 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustimmen, und zwar zum einen über den Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 – Erhöhung der Betreuer- und Vormündervergütung –, zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen. Ich rufe zunächst Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 in der Ausschussfassung auf. Ich bitte nun diejenigen, die Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 sind einstimmig angenommen. Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) Drucksache 18/11847 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/12401 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren Drucksachen 18/7657, 18/12401 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.9 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12401, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11847 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 26 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/12401 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7657 mit dem Titel „Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs Drucksache 18/9416 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12203 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.10 (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Schade eigentlich! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Schade eigentlich!) – Sie haben noch alle Chancen, aber dann jetzt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12203, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9416 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes Drucksache 18/11614 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12406 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.11 Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir verfahren entsprechend unseren Regeln.12 Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12406, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11614 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie den Zusatzpunkt 7 auf: 29 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) Drucksache 18/11612 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12124 ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) Drucksache 18/12179 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.13 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12124, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11612 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/12179 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11397 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11615 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12421 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) Drucksache 18/10965 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/12400 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden.14 Tagesordnungspunkt 30 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12421, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11397 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Parallelgesetzentwurf der Bundesregierung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12421, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11615 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 b. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12400, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10965 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung Drucksache 18/11507 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) Drucksache 18/12418 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.15 Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12418, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11507 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG) Drucksachen 18/12329, 18/12378 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden.16 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/12329 und 18/12378 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom und zur Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/12355 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Saathoff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Watt du sülmst maken kannst, bruukst du neet kopen – was man selber machen kann, braucht man nicht teuer zu erwerben. Das gilt auch für die Energiewende. Energie auf dem eigenen Haus produziert, brauche ich nicht mehr zu kaufen. Wir alle kennen den Spruch: Die Sonne schickt keine Rechnung. Die Energiewende findet derzeit in der Regel bei Menschen statt – das muss man konstatieren –, die über Eigentum oder zumindest über hinreichend Eigenkapital verfügen. Man kann die berechtigte Frage stellen, ob das auch wirklich gerecht ist. Die Energiewende ist richtig, und das EEG ist ein gutes Gesetz, das weltweit – das kann man an dieser Stelle festhalten – viele Nachahmer gefunden hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es gibt noch immer die Notwendigkeit für ständige Anpassungen, nicht weil das Gesetz schlecht ist, sondern weil sich die Welt weiterdreht und die Energiewelt eben auch. Bei der Finanzierung der Energiewende – das ist die feste Meinung der SPD-Fraktion – könnte es gerechter zugehen. Die Finanzierung der Energiewende, also die Zukunft der EEG-Umlage, ist im Moment ein sehr viel diskutiertes Thema. Da geht es zum Beispiel darum, ob man nicht vielleicht die EEG-Umlage sozial gerechter neu verteilen kann oder ob sie nicht sektoraler verteilt werden könnte, also auf Strom, Wärme und gleichzeitig Mobilität. Darüber werden wir viel miteinander in der nächsten Legislaturperiode sprechen müssen. In der nächsten Legislaturperiode wird es uns zentral bei dieser Energiewende darum gehen, dass sie insgesamt gerechter wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit dem Mieterstromgesetz wollen wir sogar noch vor der Wahl einige Schritte in Richtung mehr Gerechtigkeit tun. Es sollen auch Menschen an der Energiewende teilhaben können, die nicht über Eigentum verfügen. Wir wollen also auch die Vorteile und nicht nur die Kosten der Energiewende auf mehr Schultern verteilen. Dass die Energiewende im ländlichen Raum stattfindet, wissen wir alle. Mit dem Mieterstromgesetz wollen wir die Energiewende aus den ländlichen Räumen heraus auch in die urbanen Zentren tragen. Das ist eine der zentralen Absichten dieses Gesetzes. (Beifall bei der SPD) Für das Mieterstromgesetz wollen wir nicht den im EEG 2017 verhandelten und vorgegebenen Weg über eine Verordnung gehen, sondern wir werden eine gesetzliche Regelung im EEG selber treffen. Da gehört sie eigentlich auch hin; denn dadurch können wir wesentlich zielführendere Regelungen treffen, die mit der Verordnung unmöglich gewesen wären. Eine der zentralen Fragen ist: Machen wir ein Gesetz für Mieter oder für Vermieter? Ganz wichtig für uns beim Mieterstromgesetz ist der Schutz der Ersteren, nämlich der Mieter. Klar ist, dass auch die Vermieter oder vielmehr die Gebäudeeigentümer einen Anreiz brauchen, eine PV-Anlage aufs Dach zu schrauben. Aber oberste Priorität für die SPD-Fraktion – das wollen wir an dieser Stelle festhalten – ist, dass die Förderung aus dem EEG den Mietern zu einem wesentlichen Anteil zugutekommen muss. (Beifall bei der SPD) Daher ist geregelt, dass die Mieter bei der Nutzung des Mieterstroms ihren Strom immer mindestens 10 Prozent günstiger bekommen müssen, als er im Regeltarif angeboten wird. Dafür hat die Bundesregierung einen, wie ich finde, guten Gesetzentwurf vorgelegt. Es gibt aber im parlamentarischen Verfahren noch viele Fragen zu klären. Zum Beispiel: Wer soll eigentlich Mieterstrommodelle anbieten können? Wir wollen eine breite Palette von Anbietern. Dazu gehören auch zwingend die Wohnungsbaugenossenschaften. Damit diese Mieterstrom anbieten können, bedarf es eigentlich nur kleinerer Anpassungen im Steuerrecht, die aber existenziell sind. Dafür wollen wir uns als Sozialdemokraten einsetzen. Ich sage ganz deutlich: Wir wollen diese steuerlichen Anpassungen, damit das Modell Mieterstrom auch wirklich so ein Erfolgsmodell wird, wie wir uns das alle wünschen und vorstellen. Aber auch gute Gesetzesvorlagen haben noch Optimierungspotenzial. Die Quartierslösungen, zumindest in einem kleinen Rahmen, müssen möglich sein. Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wenn wir uns die Photovoltaikwelt anschauen, dann wird in meiner ersten Heimat Krummhörn auffallen, dass auf jedem dritten Dach eine Photovoltaikanlage ist. In meiner zweiten Heimat Kreuzberg ist das nicht der Fall. Wir arbeiten mit diesem Mieterstromgesetz daran, dass sich Kreuzberg und Krummhörn, was die Anzahl der Photovoltaikanlagen auf Dächern betrifft, ein Stück weit annähern. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was lange währt, wird endlich gut“, würde ich gern heute sagen. Aber es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern, und wir haben auch sehr lange darauf gewartet, dass Mieterstrom eine gesicherte gesetzliche Grundlage erhält. 2014 hatte die Bundesregierung endlich eine Verordnungsermächtigung dazu versprochen. Es hat noch weitere drei Jahre gedauert, bis nun eine Regelung vorliegt. Den günstigen Strom vom eigenen Hausdach konnten bislang vor allem Eigenheimbesitzer nutzen. Mieterinnen und Mieter blieben bis auf wenige Modellprojekte außen vor. Immerhin bis zu 3,8 Millionen Haushalte – das ist ja nicht wenig – könnten Mieterstrom vom eigenen Dach beziehen, besagt die Mieterstromstudie aus dem Wirtschaftsministerium. Wir als Linke halten Mieterstrom für eine wichtige Form von Bürgerenergien, die die dezentrale Erzeugung von Strom und damit eine bürgernahe Energiewende vorantreibt. (Beifall bei der LINKEN) Mieterstrom kann die Photovoltaik endlich auch in die Städte bringen. Zudem können Mieterstrommodelle zu einer lokalen Verankerung der Energiewende führen, was Akzeptanz für den Umbau unseres Energiesystems schafft, und das brauchen wir. (Beifall bei der LINKEN) Wir unterstützen den Ansatz eines direkten Zuschusses, wie er jetzt vorliegt; denn ein solcher Zuschuss kann besser justiert werden als eine gesenkte oder vermiedene EEG-Umlage, wie sie ebenfalls im Gespräch war. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Zudem entfallen beim Mieterstrom wie auch beim Eigenverbrauch einige Kostenbestandteile wie Netzentgelte, netzseitige Umlagen, Stromsteuer und Konzessionsabgaben, die sich derzeit auf etwa 12 Cent pro Kilowattstunde summieren. Auf der anderen Seite müssen die Betreiber die Kosten der Solaranlage tragen, ohne für jenen Teilstrom, der vor Ort verbraucht wird, die EEG-Einspeisevergütung zu erhalten. Vermieter dürfen den Mietern – das wurde schon gesagt – den Strom nicht höher als 90 Prozent des örtlichen Grundversorgers abgeben. Jetzt kommen aber die Probleme des vorliegenden Gesetzentwurfs. Sie möchte ich kurz benennen. Als wichtigstes Hemmnis können wahrscheinlich die steuerlichen Fragen gelten. Vermieter oder Gebäudeeigentümer werden beim Stromverkauf innerhalb des Gebäudes gewerbesteuerpflichtig. Für Wohnungsunternehmen, die eigentlich von der Gewerbesteuer befreit sind und nur eine verminderte Körperschaftsteuer zahlen, ist das von Belang. Ursprünglich sollten die Vorteile von Wohnungsunternehmen bei der Gewerbe- und Körperschaftsteuer erhalten bleiben. Hier ist also ein Problem, und wir vermuten, dass es für Wohnungsunternehmen dann weniger rentabel ist. Wir wollen ja so viel Mieterstrom wie möglich. Ein weiteres Problem ist, dass es keine Lösung für das Problem der Quartiersversorgung gibt. Der Bezug von Strom vom benachbarten Hausdach beispielsweise gilt nicht mehr als Mieterstrom. Die Versorgung eines ganzen Wohnblocks ist nicht vorgesehen. Das wird Wohnungsunternehmen, die mehrere nahe zusammenstehende Wohnhäuser besitzen, kaum zur Installation einer PV-Dachanlage bewegen, weil sie jedes Haus einzeln abrechnen müssen. (Johann Saathoff [SPD]: Das wollen wir ändern!) Auch Blockheizkraftwerke sind ausgeklammert. (Klaus Mindrup [SPD]: Das haben wir doch schon vor zwei Jahren beschlossen!) Unklar ist, ob eine Ladesäule für Elektroautos, die neben einem Haus steht, überhaupt mit Mieterstrom beliefert werden darf – bitte klären! Ich verstehe nicht, dass in der langen Zeit, die man sich hier gelassen hat, diese relevanten und bekannten praktischen Probleme nicht gelöst wurden. Vielleicht sagt Kollege Bareiß etwas dazu. Ich sage: Es ist immer noch Zeit. Wir können noch einige Dinge klären. Das ist existenziell wichtig. Aber Mieterstrom ist natürlich besonders wichtig. Dass auf diesem Gebiet jetzt endlich etwas passiert, können wir nur begrüßen. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Johann Saathoff [SPD] und Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will in dieser Debatte noch einmal sagen, wie erfolgreich unsere Energiepolitik der letzten Jahre war. Wir haben es geschafft, mit einem Anteil in Höhe von 33 Prozent an unserer Stromversorgung die erneuerbaren Energien voranzubringen. Das ist in der Welt einzigartig; kein Industrieland hat so viel geschafft wie wir in den letzten Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU) Diesen Erfolg unserer Energiepolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss man so einer Debatte voranstellen. Auch andere Bereiche könnte man hier nennen, ich will es aber aufgrund meiner kurzen Redezeit nicht tun. Mit dem Thema Mieterstrom wollen wir diese Erfolgsgeschichte weiterführen. Wir wollen schauen, dass wir im Bereich der Solarenergie die Energiewende auch in die Städte holen. Wir haben die Situation – Johann Saathoff hat es beschrieben –, dass wir die Investitionen im ländlichen Raum gerade im Bereich der Solarenergie getätigt haben. Du hast es für den Norden und für Kreuzberg beschrieben, ich habe mir Marzahn herausgesucht: Allein im Bereich Berlin mit 3,5 Millionen Einwohnern haben wir derzeit 125 Megawatt Solarenergie, im Landkreis Altötting im Süden unseres Landes mit 108 000 Einwohnern haben wir 180 Megawatt Solarenergie; hier zeigt sich das Missverhältnis. Wir haben im ländlichen Raum enorm investiert. In den nächsten Jahren müssen wir schauen, dass wir gerade in den städtischen Gebieten Investitionen tätigen, (Beifall des Abg. Peter Stein [CDU/CSU]) dass wir Leistungen aufbauen, dass wir unsere Energieversorgung dezentral dort aufbauen, wo der Strom gebraucht wird: in den Städten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Schon heute – auch das möchte ich sagen – ist Mieterstrom günstig. Mit 11 Cent ist der Strom, der auf den Dächern produziert wird, für Mieter heute günstiger als ein Strom, der von außen bezogen wird. Netzentgelte, Stromsteuer, Konzessionsabgaben sparen Mieter, wenn sie Mieterstrom nutzen. Aber wir haben auch gespürt, dass diese Begünstigung nicht ausreicht und dass wir noch einen kleinen Anreiz brauchen, damit Mieterstrom auch in der Fläche stärker genutzt wird. Vor diesem Hintergrund wollen wir dieses Gesetz jetzt angehen. Wir haben uns dafür lang genug Zeit genommen – das möchte ich ganz offen sagen –, wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, welche Optionen möglich sind, und uns eine sehr umfangreiche Studie vorgenommen. Jetzt haben wir die verschiedenen Optionen auf dem Tisch. Ich glaube, dass der vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir wollen jetzt den Mieterstrom nach dem EEG fördern, je nach Leistungsklasse mit 2,2 Cent bis 3,8 Cent. Damit wird Mieterstrom wirtschaftlicher. Ich glaube, dass der Mieterstrom damit dazu beitragen kann, dass auch im Solarbereich neue Potenziale entstehen und in den nächsten Jahren gerade in den Städten der Zubau weitergeht. Das ist etwas, das wir für die nächsten Jahre anstreben. Trotzdem gibt es bei allem Vor- und Nachteile; auch das möchte ich an dieser Stelle erwähnen. Wenn wir beispielsweise hier in Berlin, in Kreuzberg oder wo auch immer, mehr Mieterstrom produzieren, wird natürlich der Strom für andere in Berlin teurer werden, weil das innerhalb des Netzgebietes gewälzt wird. Deshalb haben wir ganz klar gesagt: Wir wollen einen Deckel bei 500 Megawatt pro Jahr für neu installierte Solaranlagen einrichten, damit die Förderkosten, die auf uns zukommen können, 73 Millionen Euro in Summe nicht übersteigen. Das ist ein ganz klares Bekenntnis zur Kostentransparenz auf der einen Seite, aber auch zur Kostenminimierung auf der anderen Seite. Wir wollen die Energiewende weiterhin für alle bezahlbar machen, gerade in den Städten, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein weiteres Thema, das uns wichtig gewesen ist, war die Vertragsfreiheit für die Mieter, damit jeder seinen Stromanbieter selber aussuchen kann und nicht auf den Stromanbieter, den der Vermieter wählt, zurückgreifen muss. Die Vertragsfreiheit ist also weiterhin gewährleistet. Wir haben – Johann Saathoff hat es schon beschrieben – eine Obergrenze eingeführt: Maximal 90 Prozent des Grundversorgungstarifs darf der Mieterstrom kosten. Auch das ist ein klarer Schutz für die Verbraucher und ist für uns genauso wichtig gewesen wie der weitere Ausbau der Solarenergie. Mit dem jetzigen Entwurf gehen wir in die richtige Richtung. Wir nutzen das Potenzial der Zukunft, wollen Mieterstrom vor Ort, gerade in den Städten, möglich machen. Wir wollen die Energiewende weiter sinnvoll gestalten. Ich freue mich auf das jetzt anstehende Gesetzgebungsverfahren. Wir wollen es in den nächsten drei, vier Wochen abschließen, damit Mieterstrom in der Breite dann noch stärker möglich ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Julia Verlinden für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schön, dass sich die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen dazu entschieden haben, am Ende der Legislaturperiode nun doch noch ein Mieterstromgesetz einzubringen, das die Solarstromerzeugung unterstützen soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ehrlich gesagt, diese Initiative kommt reichlich spät. Bisher haben Sie in der Großen Koalition ja hauptsächlich darüber nachgedacht, wie Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien verlangsamen können. (Zuruf von der CDU/CSU: Wir denken nach! Ganz genau!) Die Folgen dessen sind aber dramatisch. Andere Länder haben Deutschland bei der Neuinstallation von Wind- und Solarenergie längst überholt. Die wissen, wo die Zukunft liegt. In Deutschland kämpfen die innovativen Erneuerbare-Energien-Unternehmen und die engagierten Bürgerenergiegenossenschaften gegen die Hürden dieser Bundesregierung. Es wird höchste Zeit, die Energiewende auch in die Städte zu bringen. Denn auch Mieterinnen und Mieter wollen sauberen Strom direkt vom Dach ihres Hauses beziehen können. Aber nicht nur Mieterinnen und Mieter profitieren von einem vernünftigen Mieterstromgesetz, sondern auch die Solarwirtschaft kann dadurch neue Impulse bekommen; denn diese Branche haben Sie mit Ihrer Politik leider ziemlich kleingekriegt. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ein Skandal ist!) Aber bevor ich hier zu viel Euphorie aufkommen lasse, muss ich leider noch ein Fass Wasser in das Glas Wein gießen. Der Gesetzentwurf aus dem Wirtschaftsministerium, den die Koalitionsfraktionen hier eingebracht haben, ist noch mit einigen Bremsklötzen versehen. Ich freue mich sehr, dass die Kollegen gerade Punkte genannt haben, die sie noch ändern wollen. So wie das Gesetz jetzt ist, wird es nämlich keinen nennenswerten Effekt auf den Klimaschutz haben. Damit verschenken Sie wertvolle Potenziale, auch für die Energiewende zum Mitmachen. Sie wollen Mieterstrom auf die Mieterinnen und Mieter beschränken, welche genau in dem Haus wohnen, auf dem die Anlage errichtet wird. Damit lassen Sie viele Menschen außen vor, die vom Mieterstrom profitieren könnten. Es gibt nun einmal Häuser, die kein geeignetes Dach für eine Solaranlage haben. Aber Häuser, welche direkt daneben liegen, haben vielleicht ein geeignetes Dach. In einem solchen Fall muss es doch möglich sein, mit einer Anlage auch die Mieter in den umliegenden Häusern mit zu versorgen. Wir brauchen also in diesem Gesetz unbedingt den Quartiersansatz, von dem gerade schon die Rede war. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dies noch in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Denn dann würden alle profitieren, nicht nur die Bewohner eines Hauses mit geeigneter Dachausrichtung. Als Nächstes komme ich zu einem Lieblingsthema der Union, zum sogenannten Deckel. Es gibt den Erneuerbare-Energien-Deckel, es gibt den Wind-Onshore-Deckel, den Wind-Offshore-Deckel, den Netzausbaugebietsdeckel, den 52-Gigawatt-Photovoltaik-Deckel, den Photovoltaik-Jahresdeckel und den Bioenergiedeckel. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zur Freiheit bei der Union! Alles gedeckelt!) Bei der Union gibt es kein Erneuerbare-Energien-Gesetz mehr ohne Deckel. Vor dem Hintergrund der Pariser Klimaschutzziele sind diese Deckel fatal. Angesichts stark gesunkener Preise für erneuerbare Energien tragen auch Ihre Begründungen für diese Deckel nicht mehr. Für das Mieterstromgesetz gilt das ganz besonders. Diese Deckel der Großen Koalition haben keine andere Funktion, als die Energiewende auszubremsen. Das ist grob fahrlässig. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bremsen statt Freiheit!) Die Klimakrise interessiert nämlich nicht, ob die Union beim Ausbau der erneuerbaren Energien doch lieber etwas langsamer machen möchte. Die Klimakrise kommt umso schneller und heftiger, je länger wir für die Umsetzung der Energiewende brauchen. Lassen Sie uns also den neuen Mieterstromdeckel im Gesetzentwurf und am besten auch die anderen Deckel streichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Noch ein Punkt, Johann Saathoff, zum Thema „Gerechtigkeit bei der Energiewende“. Mit fast 2 Cent pro Kilowattstunde subventionieren die privaten Haushalte und der Mittelstand die energieintensiven Unternehmen, die von den üppigen Industrieprivilegien profitieren. Auch da müssen wir etwas ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das parlamentarische Verfahren nutzen, um den Gesetzentwurf zu verbessern und den Mieterstrom zu einem Erfolg werden zu lassen: für die Mieterinnen und Mieter, aber vor allen Dingen für die Energiewende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Klaus Mindrup hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Eben haben wir uns ja noch bei den Freundinnen und Freunden von den Kleingärtnern gesehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich war hier! – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Wir waren im Plenum, nicht bei den Kleingärtnern!) Ich finde, heute ist ein guter Tag: für die Energiewende in Deutschland, für den Klimaschutz, für die Mieterinnen und Mieter, für das Handwerk, aber auch für alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir haben als SPD lange für das Mieterstromkonzept gekämpft. Ich bin jetzt sehr froh, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner dieses Projekt auf den Weg gebracht haben, und ich möchte mich dafür auch ausdrücklich bedanken. Das Mieterstromkonzept hat zwei Säulen. Die erste Säule ist die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung mit hocheffizienten Gaskraftwerken. Das haben wir schon im vorletzten Jahr beschlossen, Frau Kollegin. Das ist bereits auf den Weg gebracht; das läuft. Die zweite Säule ist die Nutzung von Sonnenenergie, von Photovoltaik, um sie dezentral in den Quartieren zu nutzen. Das bringen wir jetzt auf den Weg. Ich möchte eines hervorheben: Dies ist eine Gesetzesinitiative, die aus dem Parlament hervorgegangen ist und die nicht von der Regierung gekommen ist. Das ist etwas ganz Besonderes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum ist das passiert, und warum haben wir so viel Unterstützung? Das liegt daran, dass viele in der Zivilgesellschaft meinen, dass das etwas Sinnvolles ist. Die Wohnungswirtschaft, der Deutsche Mieterbund, die Verbraucherzentrale, die Umweltverbände und viele Energieversorger aus der kommunalen Energiewirtschaft, aber auch die Ökostromanbieter sagen, das sei ein richtiger Weg, den wir hier gehen. Wir können im Bundestag Recht setzen. Wir machen Gesetze. Die Unterstützung für den Mieterstrom ist deswegen so groß, weil Mieterstrom die physikalischen Gesetze beachtet. Es ist nämlich sinnvoll, Strom vor Ort zu erzeugen und zu nutzen; höhere Effizienz. Das wird am Ende auch dazu führen, dass die Kosten der Energiewende volkswirtschaftlich betrachtet geringer sind. Deswegen ist Mieterstrom nicht nur etwas für die betroffenen Mieterinnen und Mieter; er wird die gesamten Kosten der Energiewende begrenzen. Es ist daher auch volkswirtschaftlich sinnvoll, die Dachflächen der Mietshäuser zu nutzen und so die Energiewende in die Städte zu tragen; das haben wir im Prinzip bereits gehört. Wir gewinnen so klimafreundlich erneuerbare Energien. Wir schaffen Arbeitsplätze in der Solarindustrie, Arbeitsplätze im Handwerk und neue Vermarktungswege für den erneuerbaren Strom – das ist mir auch sehr wichtig – jenseits der Strombörse. Die Mieterinnen und Mieter werden in ihrer Vertragsfreiheit nicht beschränkt. Sie bekommen den Strom kostengünstiger. Wenn jetzt gesagt wird: „Das führt zu Kostennachteilen“, dann erwidere ich: Man muss die Ausbauvarianten vergleichen. Was ist teurer, die Energiewende in die Städte zu holen oder den Strom weiterhin nur auf Einfamilienhausdächern und in großen Solaranlagen vor den Städten zu gewinnen? Alle Gutachten sagen, dass der dezentrale Weg der bessere ist. Wir hören jetzt auch Kritik aus der Energiewirtschaft. Es wird gesagt: Es wird weniger Strom durch die Netze geleitet. – Aber dazu muss man sagen: In Zukunft brauchen wir eher mehr Strom für Mobilität, für Wärmepumpen, sodass es sinnvoller ist, den Strom stärker auch vor Ort zu nutzen und damit Reserven in unseren Netzkapazitäten zu haben. Auch das spricht dafür, dass wir diesen Weg gehen. Wir werden an diesem Gesetzentwurf noch etwas verbessern müssen; das ist schon deutlich geworden. Vor allen Dingen macht es keinen Sinn, Mieterstrom nur für einzelne Hausaufgänge zu machen. Wir werden den Quartiersansatz durchbringen. Ich hoffe, dass wir das gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch hinbekommen. Das ist nämlich sehr vernünftig. Mieterstrom ist ein wichtiger Baustein für die zukünftige Energiewende. Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen Ansatz zu unterstützen, und schließe mit dem alten Wort: Zur Sonne, zur Freiheit! (Beifall bei der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Deckel!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Andreas Lenz hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe zahlreich anwesende Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es freut mich, dass wir heute noch über das Gesetz zum Mieterstrom diskutieren können, obwohl es nicht an mir liegt – das muss ich ehrlicherweise sagen –, dass die Debatte heute noch stattfindet. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten Ihre Rede auch zu Protokoll geben können!) Natürlich ist der Gesetzentwurf richtig und wichtig. Mieterstrom bezeichnet die Lieferung von Strom aus einer Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Wohngebäudes an die entsprechenden Mieter. Die Mieter erhalten Strom direkt vom Dach der Wohnanlage und können so von günstigen Strompreisen profitieren. Die Energiewende wird in die Städte getragen. Momentan existieren in der Praxis nur wenige Mieterstrommodelle. Mit dem Gesetz wollen wir daher einen Anreiz dafür setzen, dass zukünftig mehr Mieterstromprojekte umgesetzt werden. Mieterstrommodelle sollen dabei in erster Linie den Mietern zugutekommen. Zudem können sie dazu beitragen, den Zubau bei der Photovoltaik zu steigern. Aktuell wird das gesetzlich verankerte Zubauvolumen von 2 500 Megawatt nicht erreicht. Außerdem ist die Mieterstromförderung deutlich niedriger als die reguläre Förderung nach dem EEG. Es sollen Anlagen bis zu einer Größe von 100 kW gefördert werden. Der Höchstförderbetrag wird letztlich circa 3,81 Cent pro Kilowattstunde betragen. Große Mieterstromanlagen erhalten dabei einen geringeren Förderbetrag als die kleinen. Bei Mieterstrommodellen werden die Dachflächen für Photovoltaik genutzt. Wir haben hier nach wie vor hohes Potenzial. Studien zufolge bietet gerade das Mieterstrommodell auf knapp 370 000 Wohngebäuden für insgesamt 3,8 Millionen Haushalte Zugang zu Photovoltaikstrom aus eigener Produktion. Mir persönlich ist die Photovoltaik auf dem Dach immer noch lieber als auf Freiflächen oder auf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich ist es wie bei jeder Förderung im Rahmen des EEG auch hier so, dass die entsprechenden Kosten von denjenigen Stromverbrauchern getragen werden, die nicht in den Genuss der Förderung kommen. Auch deshalb deckeln wir den Zubau in Höhe von 500 Megawatt jährlich. Zudem sehen wir auch eine Evaluierung dieses Instruments vor und beobachten sie sehr genau. Wichtig ist uns auch, dass die Mieter die Wahlfreiheit haben; das wurde schon mehrfach angesprochen. Mietvertrag und Mieterstromvertrag sind klar zu trennen. Es müssen zwei getrennte Verträge erstellt werden und die Wahlfreiheit der jeweiligen Mieter genau beachtet werden. Der Preis für Mieterstrom ist außerdem auf 90 Prozent des Grundversorgungstarifes begrenzt. Auch hier werden wir die Mieter schützen. Mit dem Mieterstromgesetz bringen wir am Ende dieser Legislaturperiode ein weiteres energiepolitisches Gesetzesvorhaben auf den Weg: nach dem EEG 2014, nach dem EEG 2017, nach der Einführung von Ausschreibungen in der Reformierung des KWKG, nach der Sicherung der Eigenversorgung, nach der Implementierung von Strommarktregeln – um nur einige Punkte anzusprechen, die wir miteinander beraten haben. Wir haben Schritte nach vorne gemacht. Wir haben die Planbarkeit erhöht. Wir haben die einzelnen Faktoren verknüpft, beispielsweise auch hinsichtlich der Synchronisierung des Ausbaus der Erneuerbaren und des Netzausbaus, damit das parallel läuft. Wir haben aber nach wie vor Herausforderungen, die mit weiter steigenden Anteilen an erneuerbaren Energien eher größer als kleiner werden. Es zeigt sich auch, dass einige Annahmen aus der Vergangenheit – ich erinnere nur daran, dass vor sieben Jahren viele gesagt haben, die Rohölpreise werden jährlich um 2 bzw. 3 Prozentpunkte steigen – so nicht eingetreten sind. Wir werden keine Stromerzeugung zum Nulltarif bekommen. Die Energiewende ist also mehr denn je eine Generationenaufgabe. Die Energiethemen werden uns auch in Zukunft beschäftigen, auch hier in der nächsten Legislatur. Deswegen gilt es natürlich auch, vernunftbezogene Ansätze, das Verknüpfen der Bausteine, das Koordinieren der unterschiedlichen Sektoren voranzutreiben. Mein herzlicher Dank geht an die Berichterstatter, an Thomas Bareiß und Johann Saathoff. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trotz zähen Ringens haben wir es immer geschafft, Lösungen zu erzielen. Selbst zum Ende der Legislatur schaffen wir das noch. Das ist hochrespektabel. Ich wünsche noch einen schönen Abend und anschließend eine schöne und gute Nacht bei – wie war es vorher? bei Sonnenschein – Mondschein oder Kerzenschein. Ich weiß gar nicht, ob wir heute einen Mond sehen. Es ist auf jeden Fall ein gutes Gesetz, das wir einbringen. Ich bitte um Unterstützung. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/12355 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors Drucksache 18/11556 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/12410 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.17 Mir liegen mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.18 Entsprechend unserer Regeln nehmen wir sie zu Protokoll und kommen nun zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12410, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11556 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 sowie den Zusatzpunkt 8 auf: 35 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) Drucksache 18/12330 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge Menschen Drucksache 18/12374 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wenn jetzt alle Fraktionen wieder mitmachen, dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Caren Marks, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder brauchen stabile Beziehungen, um stark zu werden. Sie müssen vor Gewalt geschützt sein, und sie benötigen gute Bildungschancen, und zwar von Anfang an. Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, die Reform des SGB VIII, ist ein Gesetzentwurf zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen. Er enthält drei Schwerpunkte: Erstens: die Stärkung von Pflegekindern und ihren Familien. Wie alle Kinder brauchen Pflegekinder gute und stabile Beziehungen und Bindungen. Heute gibt es aber nicht wenige Kinder, bei denen es zwischen leiblichen Eltern und Pflegefamilie hin und hier geht, manchmal sogar mehrfach. Manch stabile Beziehung wird dadurch zerrissen, kaum dass ein Kind sie aufgebaut hat. Mit der Reform des SGB VIII wollen wir regeln, dass über die Perspektive eines Pflegeverhältnisses schneller und vor allem auch transparenter entschieden wird: Soll das Kind nur vorübergehend oder dauerhaft in der Pflegefamilie bleiben? Welche Unterstützung brauchen Pflegekind, Pflegeltern und auch Herkunftsfamilie? Ein Kind aus der Familie zu nehmen, ist und bleibt das letzte Mittel. Deshalb wollen wir auch die Beratung und Unterstützung der Herkunftseltern stärken. Das Jugendamt unterstützt die leiblichen Eltern ebenso wie die Pflegefamilie, stellt Kontakt zwischen einem Kind und seinen leiblichen Eltern her und begleitet sie. Außerdem wollen wir den Familiengerichten eine neue Möglichkeit geben. Sie sollen anordnen können, dass ein Kind auf Dauer in der Pflegefamilie bleibt, wenn ziemlich sicher ist, dass es nicht in seine Herkunftsfamilie zurückgehen kann. Für Pflegekinder in Dauerpflegeverhältnissen soll das mehr Stabilität und mehr Sicherheit bringen. Kinder, die beispielsweise von ihren Eltern schwer misshandelt wurden, müssen die Chance haben, in der Pflegefamilie zu bleiben, anstatt zurückzumüssen und zu erleben, dass die Misshandlungen wieder losgehen. Der zweite Schwerpunkt des Gesetzentwurfes, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen im Kinderschutz. Die Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes hat gezeigt, dass der Kinderschutz in unserem Land besser geworden ist. Sie hat aber auch gezeigt, wo noch Bedarf besteht. Da gibt es zum Beispiel die Befugnisnorm in § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz. Menschen aus verschiedenen Berufsgruppen, die genau davon betroffen sind, haben den Hinweis gegeben, dass diese Befugnisnorm nicht klar genug formuliert ist. Wenn aber eine Ärztin oder eine Hebamme beispielsweise unsicher ist, wann sie von ihrer Schweigepflicht entbunden ist, wird sie sich vielleicht nicht an das Jugendamt wenden. Deshalb formulieren wir die Befugnisse zur Datenweitergabe an das Jugendamt für Berufsgeheimnisträger klarer. Wir wollen ihnen eine klare Orientierungshilfe geben und für mehr Handlungssicherheit im Kinderschutz sorgen. Ärztinnen und Ärzte sagen auch: Wir wollen wissen, was aus unseren Hinweisen wird und wie es mit dem Kind und seiner Familie weitergeht. Vor allem können sie aber auch einen wichtigen Beitrag zur Einschätzung der Gefährdungssituation eines Kindes leisten. Auch deshalb sollen sie einbezogen werden, wenn das Jugendamt dies nach fachlicher Einschätzung für notwendig hält. Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen für den Kinderschutz stärken. (Beifall bei der SPD) Den dritten Schwerpunkt bildet eine verbesserte Heimaufsicht. Kinder und Jugendliche in Heimen sind besonders schutzbedürftig. Wir wollen ihre Rechte stärken, indem wir planen, Beschwerdemöglichkeiten außerhalb der Einrichtung einzuführen. Zudem wollen wir die Voraussetzungen für eine Betriebserlaubnis und die Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden erweitern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Wir hätten gerne mehr gemacht. Wir wollen weiterhin die Zusammenführung der Zuständigkeiten für Kinder und Jugendliche unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe, die sogenannte inklusive Lösung. Für die Kinder und ihre Familien ist es wichtig, dass alle Leistungen für Kinder und Jugendliche aus einer Hand kommen. Egal ob ein Kind eine körperliche, seelische, geistige oder gar keine Behinderung hat: Alles aus einer Hand – das kann nur die Kinder- und Jugendhilfe. Nach zweijährigen intensiven Beratungen gibt es aber noch Diskussionsbedarf – weniger über das, was nötig ist, als über den besten Weg. Deshalb haben wir gemeinsam mit dem Deutschen Verein das Dialogforum „Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“ gestartet. Genau dort setzen wir die Debatte über die Umsetzung der inklusiven Lösung fort. Das wird eine Aufgabe für die nächste Wahlperiode. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber die Verbesserungen für die Pflegekinder und ihre Familien, die Verbesserungen beim Kinderschutz und bei der Heimaufsicht sollten wir jetzt auf den Weg bringen. Ich wünsche uns noch eine gute restliche Debatte zu später Stunde. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Norbert Müller für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute ein zentrales Vorhaben der Koalition im Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik, nämlich die Reform des Sozialgesetzbuches Achtes Buch, also des Kinder- und Jugendhilferechtes. Das SGB VIII wurde nach über 20-jähriger Debatte Anfang der 90er-Jahre als Gesetz mit umfassenden Rechtsansprüchen für Kinder und Jugendliche, für junge Volljährige, für Heranwachsende und für Familien beschlossen. Es folgt einem sozialpädagogischen Leitbild. Deswegen ist es richtig, dass wir das Kinder- und Jugendhilfegesetz insgesamt verteidigen. (Beifall bei der LINKEN) Eine Gruppe wurde damals aber nicht in die Geltung des SGB VIII einbezogen; die Staatssekretärin hat darauf gerade dankenswerterweise hingewiesen. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen fallen eben nicht vollumfänglich unter den Geltungsbereich des SGB VIII. Wir haben hier schwierige Rechtskreise in Bezug auf die Wiedereingliederungshilfe. Das sollte harmonisiert werden. Die große Lösung, hinter der zumindest verbal alle Parteien stehen, ist Ziel Ihrer Koalition gewesen. Die Koalition ist also angetreten, das SGB VIII zu reformieren und Kinder und Jugendliche mit Behinderung vollständig in die Kinder- und Jugendhilfe zu überführen. Was Sie heute zur Geisterstunde – und wir haben gleich Geisterstunde – hier vorgelegt haben, hat damit aber null Komma nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Dazu passt eben auch, dass das, was Sie heute vorstellen, keine große Lösung ist, sondern im Wesentlichen Ausdruck von großem Chaos: ein katastrophaler, intransparenter Gesetzgebungsprozess; acht Gesetzentwürfe bzw. Vorentwürfe oder Arbeitsfassungen haben in anderthalb Jahren das Licht der Öffentlichkeit erblickt – Sie kennen wahrscheinlich noch mehr –; Hunderttausende Beschäftigte, die gnadenlos verunsichert sind; Träger, Familien, Betroffene, die nicht wissen, wohin die Reise eigentlich geht. Sie wissen das; denn wir sind überhäuft worden mit Zuschriften von großen Verbänden, von Trägern, von Beschäftigten, von Mitarbeitern der Jugendämter, von Jugendhilfeausschüssen, von Familien. Das heißt, Hunderttausende Beschäftigte, betroffene Kinder, Jugendliche und Familien sowie große, aber auch kleine Träger wurden durch diesen Gesetzgebungsprozess hoffnungslos verunsichert. Was Sie heute vorlegen, ist abzulehnen. Ich nenne Ihnen kurz drei Gründe, warum wir das insgesamt ablehnen werden: Erstens. Das Jugendwohnen, das Sie mit dem Gesetz auf ein Minimum herunterfahren wollen, bietet Minderjährigen und jungen Volljährigen die Möglichkeit, während ihrer Ausbildung preiswert zu wohnen. Wir haben bereits mehrfach über die Mietensituation in großen Städten geredet. Daher ist das Jugendwohnen dringend notwendig. Anstatt das Jugendwohnen auszubauen, fahren Sie es zurück. Das werden wir nicht mittragen. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Die offene Kinder- und Jugendarbeit – ich finde, das ist der größte Hammer – erschweren Sie noch zusätzlich. An der Stelle, an der wir die Kinder- und Jugendarbeit ausbauen müssten, wird sie erschwert. Was passiert jetzt konkret? Sie sagen, dass in der offenen Kinder- und Jugendarbeit auch dann, wenn die Beteiligten vor Ort ehrenamtlich unterwegs sind und keine öffentliche Förderung in Anspruch nehmen, bestimmte Meldeauflagen erfüllt werden müssen und Schutzkonzepte aufgestellt werden sollen. Also, wenn fünf junge Menschen in der Garage ihrer Eltern ein Jugendprojekt starten, dann sollen sie zukünftig ein Schutzkonzept gegen sexuelle Übergriffe aufstellen, dann sind sie meldepflichtig, dann müssen sie das Projekt beim Jugendamt anmelden und in eine stetige Kooperation eintreten. Das ist völlig irre. Damit erwürgen Sie die offene Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben bereits in Gesprächen darüber geredet: Das muss weg. Das können wir nicht mittragen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Drittens. Sie führen – das war ein besonderer Wunsch einiger Länder; bedauerlicherweise trägt die Bundesregierung das nun mit – doppelte Standards für Kinder und Jugendliche mit ausländischem Hintergrund ein, nämlich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Durch eine Öffnungsklausel werden Sie erreichen – das wird in den Ländern so passieren; das wissen wir ganz genau; Länderausnahmeklauseln waren ja die Zielvorgabe der Bundesländer, die Sie quasi beauftragt haben, zumindest einiger –, dass es in Zukunft ein Kinder- und Jugendhilferecht für deutsche Kinder und Jugendliche gibt und ein Kinder- und Jugendhilferecht mit niedrigeren Standards für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Auch das werden wir in keinem Fall mittragen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben eine große Lösung angekündigt. Sie haben viel Porzellan zerschlagen. Am Ende haben Sie eine große Überschrift produziert: Kinder- und Jugendstärkungsgesetz. Das ist ein Hohn. Sie stärken Kinder und Jugendliche mit dieser Reform des Sozialgesetzbuches VIII nahezu nicht. Das Beste wäre, Sie würden diesen Entwurf zurückziehen und einen Neustart in der nächsten Wahlperiode ermöglichen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig: Eine Reform des KJHG im SGB VIII ist für viele von uns die Königsdisziplin in der Familienpolitik. Viele von uns, von Bayern bis Schleswig-Holstein, kommen aus der Kinder- und Jugendhilfe und wissen, welche Auswirkungen eine Reform haben kann, nämlich gravierende Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse gerade von Kindern. Deswegen ist es für uns wichtig, dass wir uns sehr sorgsam anschauen, was die Bundesregierung, was das Familienministerium vorgelegt hat. Das ist tatsächlich ein bisschen die Kür nach dreieinhalb Jahren Großer Koalition. Ich muss aber eingestehen – es tut mir leid, Frau Parlamentarische Staatssekretärin –: Kür ist der Gesetzentwurf nicht, in Teilen entspricht er noch nicht einmal der Pflicht. Wir haben da deutliche Kritik. Warum ist das Gesetz so wichtig, und warum ist es so wichtig, die Reformen hinsichtlich ihrer Auswirkungen zu überprüfen? Weil wir über Kinder und Jugendliche reden. Im Übrigen will ich eines sagen: Die UN-Kinderrechtskonvention und das Grundgesetz besagen – das ist unser Verständnis –, dass Kinder zum Beispiel ein Recht auf Erziehung durch die Eltern haben. Wenn Sie sagen, dass Sie nicht möchten – das möchten wir auch nicht –, dass Kinder zurückkommen in eine Familie, in der sie Gewalt und Missbrauch erfahren haben, dann kann ich Ihnen nur entgegnen: Das darf es bereits heute nicht geben. – Ich komme aus Hamburg. Wir haben entsprechende Fälle gehabt. Der Fall Yagmur ist, glaube ich, in ganz Deutschland bekannt. In diesem tragischen Fall kam das Kind zu früh zurück zu den leiblichen Eltern und ist dann verstorben. Das darf es aber bereits heute nicht geben. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es aber!) Wir warnen aber davor – das ist unsere große Sorge, Frau Dörner –, mit Gesetzesänderungen, die wir in wenigen Wochen durchbringen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Das werden wir nicht tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gab auch schon am ersten Entwurf Kritik; ich glaube, auch wir als Union haben das deutlich gemacht. Wenn Sie eine solche Reform auf den Weg bringen, dann ist das eine große Reform. 1990/91 hat man viele, viele Monate, ja sogar Jahre gebraucht. Man hat gesagt: Wir brauchen die Verbände, die Träger und die Betroffenen. Wir reden hier über viele Personengruppen und Interessensgruppen und übrigens auch über viel Geld, zum Beispiel über 7 Milliarden Euro für Hilfen zur Erziehung. Der Aufwuchs der Mittel ist uns allen bekannt. Da muss man auch einmal fragen: Wie sind die Strukturen? Diese müssen überprüft werden. Aber all das muss gemeinschaftlich und transparent erfolgen. Dafür braucht man einen offenen Diskurs, und zwar nach Möglichkeit am Anfang einer Legislaturperiode und nicht am Ende. Deswegen muss ich sagen, dass die Kritik vieler Verbände am Verfahren berechtigt ist. Auch das sagen wir ganz deutlich. Deswegen werden wir in den nächsten Tagen und Wochen mit unserem Koalitionspartner genau überprüfen, welche Änderungen wir mitgehen können. Wir werden nach der Anhörung, die wir demnächst durchführen, überprüfen, was noch machbar ist. Allerdings glaube ich, dass man dieses Verfahren deutlich kritisieren muss. Ich warne davor, jetzt kurzfristig noch Schlechtes zu machen, auch wenn man es gut meint. Genauigkeit geht für uns in der Union vor Schnelligkeit; das sagen wir ganz deutlich. Wir brauchen also einen sorgfältigen Prozess. Das steht übrigens auch so in unserer Koalitionsvereinbarung: ein sorgfältig strukturierter Prozess auf einer fundierten empirischen Grundlage. Wir wollen wissen, welche Maßnahmen welche Auswirkungen haben und welche Auswirkungen es durch Änderung des KJHG und natürlich auch des BGB gibt. Ich komme gleich zu dem einen Beispiel, das auch Sie angeführt haben – das ist Ihnen wichtig, und das ist auch uns wichtig –, nämlich die Frage: Wie geht es weiter bei den Pflegekindern? Es gibt Änderungen, die tragbar sind. Zum Beispiel mit denen im Bereich der Heimaufsicht sind wir sehr zufrieden. Da ist eine gute Regelung gefunden worden. Die Änderung hinsichtlich der Hilfen zur Erziehung wurde wieder zurückgenommen. Es gibt weiterhin die Hilfen zur Erziehung und nicht nur Unterstützung sozialräumlicher Art. Auch das war uns wichtig. Wir werden uns das alles anschauen. Über das eine oder andere werden wir noch intensiv diskutieren. Möglicherweise werden wir Änderungsvorschläge einreichen. Wir werden aber auch bei einigen Dingen sagen, dass das mit uns nicht machbar ist. Ich komme jetzt zum Thema Pflegekinder. Dabei geht es um die Kombination von § 36a SGB VIII mit § 91 SGB VIII und § 1697 BGB. Da sind wir in großer Sorge. Wir verstehen, dass sehr viele Pflegeeltern sagen: Wir haben, auf Deutsch gesagt, die Nase voll von diesem Befristungsdogma, davon, dass man nicht weiß, was nach ein, zwei oder drei Jahren mit den Pflegekindern, zu denen man eine Bindung aufgebaut hat, passiert. Wir wollen dauerhaft Stabilität haben. – Das verstehen wir. Aber es wäre in höchstem Maße gefährlich, dass dies durch ein so genanntes Kontinuitätsdogma gelöst wird. Dass das vorgesehen ist, sehen Sie, wenn Sie sich den Gesetzentwurf genau anschauen. Man sagt: Das Ziel ist es, dass es für Kinder eine frühzeitige Perspektivklärung gibt. – Dazu sagt man zunächst einmal: Eine frühzeitige Perspektivklärung ist gut. Dann schaut man auf das Kindeswohl. Das Kindeswohl wird auch und insbesondere über den Begriff der Kontinuität definiert. Aber die Kontinuität als Maßstab für das Kindeswohl zu nehmen, ist zu wenig. Wir haben durch das Grundgesetz sozusagen die Verpflichtung, ethisch-moralische Ansätze zu verfolgen. Wenn wir den Ansatz umsetzen wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass die Eltern, die nach einer kurzen Zeit wieder in der Lage sind, sich um ihre Kinder zu kümmern, weiterhin das Recht haben, über eine Rückholoption die Verantwortung für die Betreuung ihrer Kinder zu bekommen. Es ist also jeweils genau zu überprüfen, ob das Kindeswohl erfüllt ist. Wir haben große Sorge, dass wir das erleben, was wir in den letzten Jahren sehr häufig erlebt haben. Da sind Menschen zu uns gekommen und haben uns gesagt, dass sie nicht mehr an die Kinder herankommen. Sie wollten eigentlich nur eine Kurzzeitpflege für ein halbes Jahr oder ein Jahr, weil sie in der Situation kurzfristig überfordert waren. Diese Eltern kommen zum Teil nicht mehr an ihre Kinder heran bzw. die Kinder kommen nicht mehr zurück. Deswegen haben wir in diesem Bereich – das sage ich ganz offen – große Probleme. Bei uns steht das Kindeswohl im Mittelpunkt. Das heißt aber auch, dass wir sehen müssen: Wie können wir die leiblichen Eltern stärken? Wie können wir die Qualifizierung der Pflegeeltern stärken? In welcher Art und Weise können wir überprüfen, in welcher Situation die Kinder am besten zurechtkommen? Eines sei auch noch gesagt, weil es in der öffentlichen Diskussion nur um Pflegeeltern und leibliche Eltern geht. Es geht auch – schauen Sie ins Gesetz – um die Heimerziehung. Ich sage ganz deutlich: Da gibt es ein Problem. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Weinberg. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Denn Heimerziehung hat nichts mit Bindung zu tun. Gar nichts. (Zuruf von der SPD: Doch!) Genau deshalb werden wir uns den Gesetzentwurf in diesem Bereich sehr intensiv anschauen. In weiten Teilen werden wir die Diskussion mit der SPD führen. Darauf und auf die Anhörung freue ich mich. Allerdings sei diese Kritik an dieser Stelle angebracht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren jetzt rund um Mitternacht über den kümmerlichen Rest eines eigentlich großen und auch wichtigen Reformvorhabens, eines Reformvorhabens – das finde ich eben ganz besonders bitter –, das wir alle im Grundsatz richtig finden. Im Koalitionsvertrag heißt es: Im Interesse von Kindern mit Behinderung und ihren Eltern sollen die Schnittstellen in den Leistungssystemen so überwunden werden, dass Leistungen möglichst aus einer Hand erfolgen können. Das hätten auch wir unterschreiben können. Ein inklusives SGB VIII, ein einheitliches Leistungsrecht, das alle Kinder und Jugendlichen umfasst, unabhängig von einer Behinderung – diese Reform ist überfällig, und es ist bitter, dass dieses Vorhaben in den letzten Jahren so gegen die Wand gefahren wurde, dass der Gesetzentwurf Inklusion leider nur noch in ganz homöopathischen Dosen enthält. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich hoffe sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Bundestag in der nächsten Wahlperiode die Kraft haben wird, sich dieses Themas neu anzunehmen. Im Vergleich zu den ersten Entwürfen – ich nenne sie mal so, obwohl wir ja alle wissen, dass es sich zum Teil nur um Powerpoint-Folien gehandelt hat – fehlen noch einige andere wichtige Aspekte, die wir für eine gute Weiterentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe für sehr essenziell halten. Einen greifen wir mit einem Antrag auf, den wir heute Abend mitberaten. Es geht um die Leistungen für junge Volljährige, für die sogenannten Care Leaver. Wir müssen dringend davon wegkommen, dass mit dem 18. Lebensjahr Schluss ist; denn gerade junge Menschen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, brauchen über den 18. Geburtstag hinaus Unterstützung, um im Leben gut zurechtzukommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Ausweitung der Leistungen für junge Volljährige bis zum 23. Lebensjahr in Verbindung mit der Stärkung des Rechtsanspruchs. Das ist auch ein Auftrag, den uns der aktuelle Kinder- und Jugendbericht ganz klar mit auf den Weg gibt. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt übrigens auch Aspekte aus den ersten Entwürfen, die wir im Gesetzentwurf ausdrücklich nicht vermissen. Damit meine ich die ursprünglich geplante Aufweichung des individuellen Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung. Es ist sehr gut, dass das jetzt vom Tisch ist. So sehr wir die sozialräumliche Ausgestaltung der Angebote für richtig und wichtig finden, so klar halten wir am individuellen Rechtsanspruch fest. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist völliger Unsinn, hier einen künstlichen Widerspruch aufzumachen. Ich hoffe, dass uns eine derartige Diskussion in der nächsten Legislatur erspart bleibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf enthält einige Vorschläge, die wir ausdrücklich begrüßen, beispielsweise den eigenständigen Rechtsanspruch der Kinder und Jugendlichen auf Beratung unabhängig von den Erziehungsberechtigten, die Regelungen zur Heimaufsicht und die Möglichkeit für Familiengerichte, Dauerverbleibensanordnungen erlassen zu können. Jetzt komme ich aber zu dem ganz großen Aber. Auf den allerletzten Drücker wurde eine Öffnungsklausel für die Länder aufgenommen, die faktisch auf eine Zweiklassenjugendhilfe auf dem Rücken unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge hinausläuft. Eine Öffnungsklausel – das klingt erst einmal ganz harmlos. Diese Öffnungsklausel ist es aber ganz und gar nicht; denn sie kann dazu führen, dass die Standards für geflüchtete unbegleitete Jugendliche und einheimische Jugendliche in der Jugendhilfe zukünftig unterschiedlich sind. Das ist aus unserer Sicht völlig indiskutabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Fachverbände laufen Sturm gegen diese Regelung, und das zu Recht. Sie wissen das auch. Das SGB VIII ist schon heute flexibel genug, auch was die Versorgung minderjähriger Flüchtlinge angeht. Es gibt überhaupt keinen Grund für eine Öffnungsklausel. Das Kinder- und Jugendhilferecht muss sich am Wohl und an den Bedarfen des Kindes bzw. des Jugendlichen orientieren. Da darf aus unserer Sicht die Herkunft auf keinen Fall eine Rolle spielen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Christina Schwarzer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Christina Schwarzer (CDU/CSU): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt kaum ein Thema, das so sehr von der Mitarbeit und der Expertise derer abhängt, die tagtäglich an der Basis arbeiten, wie die Kinder- und Jugendhilfe. Aus eigener Erfahrung aus der kirchlichen Jugendarbeit und aus dem Jugendhilfeausschuss in meiner Heimat Neukölln weiß ich: In der Kinder- und Jugendhilfe steckt der Teufel in aller Regel im Detail. Einfache pauschale Lösungen gibt es nicht. Die Arbeit der Praktiker ist von einer großen Individualität geprägt. Daher brauchen wir bei dieser großen Reform die umfassende Expertise derer, die täglich mit den Auswirkungen der gesetzlichen Beschlüsse zur Kinder- und Jugendhilfe zu arbeiten haben. Mir ist es aus diesem Grund ein Herzensanliegen, noch einmal deutlich zu machen: Auch wir teilen die Kritik vieler Verbände an dem Verfahren, das in der letzten Zeit angewandt worden ist. Es gab viel Kritik; wir alle haben viele Briefe und E-Mails bekommen. Ich glaube, das bisherige Verfahren wird der Arbeit derer, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten – um sie geht es ja letztendlich –, nicht gerecht. Vor allen Dingen wird es auch den Eltern und Familien mit ihren Bedürfnissen nicht gerecht. Des Weiteren wird es auch den Fachleuten nicht gerecht, die natürlich ein großes Interesse an einer Weiterentwicklung haben und sich hier umfassend und ernsthaft beteiligen wollen. Diese Beteiligung brauchen wir aber. Wichtig ist zudem vorab noch eines zu erwähnen: Die Fürsorge unserer Kinder und Jugendlichen ist das Recht und die Pflicht der Eltern. So will es im Übrigen unser Grundgesetz, und so wollen wir es auch. Der Staat hat zuallererst die Aufgabe, sich herauszuhalten. Die zweite Aufgabe des Staates ist es jedoch, diejenigen Familien zu unterstützen, die das eben nicht können – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Dabei geht es zunächst um Arbeit in der Familie. An erster Stelle muss unseres Erachtens stehen, Eltern zu befähigen. Dieses Prinzip, das sich aus unserem Grundgesetz ableitet, sollten wir im gesamten Prozess vor Augen haben. Jetzt noch ein paar Worte zu dem eigentlichen Entwurf; einiges ist ja schon gesagt worden. Wir werden den Entwurf in den nächsten Wochen natürlich noch einmal auf Herz und Nieren prüfen. Ich will jetzt aber, wie Kollege Weinberg auch, noch einmal einen Blick auf Artikel 1 § 36a des Gesetzentwurfes werfen. Hier geht es darum, die Eltern zu stärken. Unseres Erachtens ist im Entwurf vorgesehen, das Problem falscher Einzelfallentscheidungen per Gesetz zu lösen. Viele von uns kennen Fälle – lieber Marcus Weinberg, du hast einen erwähnt; bei mir in Neukölln waren es andere Fälle –, in denen Kinder aus Pflegefamilien oder nach einer Heimunterbringung zu früh zurück zu den leiblichen Eltern gegeben worden sind. Wir wissen dabei nicht genau, welche Auswirkungen Fremdunterbringungen auf die Kinder und vor allen Dingen auch auf ihre Entwicklung haben. Im Koalitionsvertrag – das ist eben schon zitiert worden – haben wir beschlossen, Änderungen in der Kinder- und Jugendhilfe auf einer fundierten empirischen Grundlage zu vereinbaren. Diese Grundlage ist aktuell noch nicht gegeben. Was wir aber sehr wohl wissen, ist: Es gibt keine stärkere Bindung als die zwischen Kindern und ihren Eltern. Das sollten wir immer im Hinterkopf behalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Gesetzentwurf sieht eine Perspektivklärung, also die Einschätzung, ob eine Leistung auf Dauer oder nur kurz- oder mittelfristig erfolgt, zu Beginn einer stationären Unterbringung vor. Hier muss deutlich betont werden: „Stationäre Unterbringung“ bedeutet Unterbringung in einer Pflegefamilie oder eben auch in einem Heim. Diese frühe Entscheidung nimmt die Möglichkeit einer umfassenden Einzelfallbetrachtung. Gerade diese ist aber im sensiblen Zusammenspiel von Kindern, leiblichen Eltern und pflegerischer Unterbringung sehr wichtig, und hier gibt es einfach keinen Musterfall. Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist: Bei einem Großteil der Fälle, in denen Kinder in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht werden, haben die leiblichen Eltern selbst um Hilfe gebeten. Sie sind überfordert und suchen nach Unterstützung, um – meist langfristig natürlich – wieder ein stabiles Familienleben aufzubauen. Sie müssen sich darauf verlassen können, diese Unterstützung zu erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn die Eltern Angst haben müssen, ihre Kinder zu verlieren, weil sie sich kurz- oder mittelfristig nicht in der Lage sehen, sich ausreichend um sie zu kümmern, werden sie vermutlich nicht mehr um Hilfe bitten. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Richtig!) Das ist nur ein Beispiel. Bei vielen Themen werden wir sehr genau hinschauen müssen, was wir im Gesetzentwurf vorsehen und welche Auswirkungen das auf einzelne Punkte in der Praxis haben wird. Deswegen bin ich gespannt auf die Diskussionen, die wir in den nächsten Wochen dazu führen werden. Wir haben gestern bereits eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema beschlossen, und ich denke, wir müssen noch viele Experten dazu hören. Eines ist ja klar: Die Reform des SGB VIII ist auch mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf längst nicht abgeschlossen. Vor dieser großen Aufgabe stehen wir jetzt, und ich wünsche mir natürlich, dass wir das Thema auch noch in die nächste Legislaturperiode mitnehmen, und zwar in einem geordneten Verfahren und unter breiterer Beteiligung. Deswegen freue ich mich auf die Debatte. Ihnen wünsche ich noch einen schönen Abend. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/12330 und 18/12374 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fairness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen Drucksache 18/12362 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern Drucksache 18/10981 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.19 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/12362 und 18/10981 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksache 18/11291 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/12422 ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung Drucksachen 18/7655, 18/11785 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden.20 Zusatzpunkt 9. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12422, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11291 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 10. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11785, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7655 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426 Die Stellungnahme bezieht sich auf mehrere Vorschläge für Richtlinien und eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend EU-Regelungen über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ein Notifizierungsverfahren, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen sowie die Elektronische Europäische Dienstleistungskarte. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind offensichtlich damit einverstanden.21 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12426, in Kenntnis der auf Drucksache 18/11229 unter Buchstaben A.8 bis A.11 genannten Unterrichtungen eine Entschließung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 19. Mai 2017, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen und im Übrigen auch allen sicht- und unsichtbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns hier unterstützt haben, alles Gute bis dahin. (Beifall) (Schluss: 0.25 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 18.05.2017 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 18.05.2017 Färber, Hermann CDU/CSU 18.05.2017 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 18.05.2017 Gabriel, Sigmar SPD 18.05.2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 18.05.2017 Klare, Arno SPD 18.05.2017 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 18.05.2017 Lotze, Hiltrud SPD 18.05.2017 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 18.05.2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 18.05.2017 Nahles, Andrea SPD 18.05.2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 18.05.2017 Roth (Heringen), Michael SPD 18.05.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 18.05.2017 Strenz, Karin CDU/CSU 18.05.2017 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.05.2017 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 18.05.2017 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Göppel, Jens Koeppen und Elisabeth Winkelmeier-Becker (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 12) Ich stimme der Aufhebung des Fütterungsverbots von tierischen Fetten an Wiederkäuer nicht zu. Wiederkäuer nehmen von Natur aus nach dem Ende des Säugens am Muttertier kein tierisches Fett auf. Ziegen, Schafe oder Rinder fressen in freier Weidehaltung niemals tierische Lebewesen, weder lebende Tiere noch Aas. Die Verfütterung von tierischen Fetten an Wiederkäuer als Mehl oder in Flüssigkeiten ist deren Verdauungstrakt artfremd. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ausgeführt, dass die BSE-Fälle mittlerweile deutlich zurückgegangen sind. Die Bundesregierung folgert daraus, dass die Verunreinigung von Wiederkäuergewebe mit infektiösem Nervengewebe „unwahrscheinlich“ ist. Mehr Wahrscheinlichkeit hat nach meiner Meinung jedoch die Wirkung des Fütterungsverbots seit dem Jahr 2000. Deshalb sollte es aufrechterhalten bleiben. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Manuel Sarrazin, Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel, Doris Wagner und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Einrichtung der Mission EU NAVFOR Atalanta von Anfang an unterstützt. Die Mission hat die Eindämmung der Folgen der Piraterie vor dem Horn von Afrika zum Ziel, in erster Linie den Schutz humanitärer Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms. Unsere Unterstützung geschah im Wissen darum, dass diese Mission nur eine Symptombekämpfung sein kann, denn die Ursachen für die Piraterie liegen in der andauernden Krise des somalischen Staats. Die im Jahr 2012 erfolgte Ergänzung des Mandats um die Möglichkeit, auch an Land zu operieren, und zwar in einem zwei Kilometer in das Landesinnere reichenden Küstenstreifen, hat den Charakter der Mission verändert. Viele Expertinnen und Experten warnten damals davor, dass Operationen an Land zur Eskalation des Konflikts in Somalia beitragen und die Mission in innersomalische Kämpfe verwickeln könnte – zum Schaden ihres eigentlichen Ziels. Aus diesem Grund hat sich die grüne Bundestagsfraktion bei den Abstimmungen zu diesem Mandat in den vergangenen Jahren mit großer Mehrheit enthalten. In den vergangenen fünf Jahren hat Atalanta lediglich einmal an Land operiert. Das Eskalationsrisiko bei einem erneuten Einsatz dieser Art besteht aber weiter. Gleichzeitig hat sich die humanitäre und politische Lage in Somalia in den vergangenen beiden Jahren verändert. Aufgrund der anhaltenden Dürren hat sich die Abhängigkeit der Bevölkerung von Hilfslieferungen deutlich verstärkt. Die Zahl der Schiffe, die Hilfsgüter durch den Golf von Aden transportieren, ist gestiegen und bedingt einen höheren Schutzbedarf. Nach Jahren eines steten Rückgangs der Piraterieaktivität ist diese in den vergangenen Monaten – auch aufgrund der reduzierten Präsenz von Atalanta und anderen Anti-Piraterie-Missionen – wieder leicht gestiegen. Anfang dieses Jahres wurde eine neue somalische Regierung gewählt. Die somalische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft verbinden mit ihr große Hoffnung auf eine Wende hin zu einer konstruktiveren und weniger korrupten Politik, die zur Stabilisierung des Landes und damit auch zur Eindämmung der Piraterieursachen beitragen könnte. Bis sie die Chance hat, ihr Programm umzusetzen, wäre ein erneutes Erstarken der Piraten auch für diese Regierung eine Gefahr. Wir stehen daher in der Abwägung zwischen den schwerwiegenden Bedenken gegen einen möglichen Einsatz an Land und den Bedrohungen der Piraterie für die humanitäre Versorgung und das Reformprogramm der neuen somalischen Regierung. Angesichts der bisher sehr zurückhaltenden Nutzung der Landoption und des wachsenden Ernsts der humanitären Lage ist unsere Entscheidung für eine Zustimmung zu dem Mandat gefallen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Einrichtung der Mission EU NAVFOR Atalanta von Anfang an unterstützt. Die Mission hat die Eindämmung der Folgen der Piraterie vor dem Horn von Afrika zum Ziel, in erster Linie den Schutz humanitärer Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms. Unsere Unterstützung geschah im Wissen darum, dass diese Mission nur eine Symptombekämpfung sein kann, denn die Ursachen für die Piraterie liegen in der andauernden Krise des somalischen Staats. Die im Jahr 2012 erfolgte Ergänzung des Mandats um die Möglichkeit, auch an Land zu operieren, in einem 2 km in Landesinnere reichenden Küstenstreifen, hat den Charakter der Mission verändert. Viele Expertinnen und Experten warnten damals davor, dass Operationen an Land zur Eskalation des Konflikts in Somalia beitragen und die Mission in innersomalische Kämpfe verwickeln könnte – zum Schaden ihres eigentlichen Ziels. Dies hat dazu geführt, dass sich die Grüne Bundestagsfraktion bei dieser Abstimmung in den letzten Jahren mit großer Mehrheit enthalten hat. In den letzten fünf Jahren hat Atalanta lediglich einmal an Land operiert, das Eskalationsrisiko bei einem erneuten Einsatz dieser Art aber besteht weiter. Gleichzeitig hat sich die humanitäre und politische Lage in Somalia in den letzten beiden Jahren verändert. Durch anhaltende Dürren hat sich die Abhängigkeit der Bevölkerung von Hilfslieferungen deutlich verstärkt, die Zahl der Schiffe, die Hilfsgüter durch den Golf von Aden transportieren, ist gestiegen und bedingt einen höheren Schutzbedarf. Nach Jahren eines steten Rückgangs der Piraterieaktivität ist diese in den letzten Monaten – auch aufgrund der reduzierten Präsenz von Atalanta und anderen Anti-Piraterie-Missionen – wieder leicht gestiegen. Anfang dieses Jahres wurde eine neue somalische Regierung gewählt. Die somalische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft verbinden mit ihr große Hoffnung auf eine Wende hin zu einer konstruktiveren und weniger korrupten Politik, die zur Stabilisierung des Landes und damit auch zur Eindämmung der Piraterieursachen beitragen könnte. Bis sie eine Chance hat, ihr Programm umzusetzen, wäre ein erneutes Erstarken der Piraten auch für diese Regierung eine Gefahr. Wir stehen daher in der Abwägung zwischen den schwerwiegenden Bedenken gegen einen möglichen Einsatz an Land und den Bedrohungen der Piraterie für die humanitäre Versorgung und das Reformprogramm der neuen somalischen Regierung. Angesichts der bisher sehr zurückhaltenden Nutzung der Landoption und des wachsenden Ernsts der humanitären Lage ist unsere Entscheidung für eine Zustimmung zu dem Mandat gefallen. Wir stimmen deshalb diesem Einsatz zu. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelretter entkriminalisieren (Tagesordnungspunkt 21) Kordula Kovac (CDU/CSU): Erst vor zwei Tagen, am 16. Mai 2017, wurde der Tag des Deutschen Brotes gefeiert. Und wir haben ja auch allen Grund zu feiern: Nirgendwo sonst gibt es eine so große Brotvielfalt wie in Deutschland. Mehr als 300 Brotsorten bieten die Bäckerinnen und Bäcker in Deutschland an. Und deutsches Brot ist beliebt: Bei über 90 Prozent der deutschen Haushalte kommt Brot täglich auf den Tisch. Aber es gibt auch weniger schöne Fakten, die so gar nicht zum Feiern anregen: Rund 15 Prozent von Brot und Backwaren in Privathaushalten wandern in den Müll. Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, das uns alle angeht, denn die Dimensionen der Verschwendung sind riesig: Weltweit gehen nach Angaben des WWF entlang der globalen Wertschöpfungskette bis einschließlich des Verbrauchers mindestens 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel verloren. Industrie, Handel, Großverbraucher und Privathaushalte werfen laut einer vom BMEL geförderten Studie der Universität Stuttgart in Deutschland jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Müll. Allein deutsche Privathaushalte schmeißen pro Kopf und Jahr 81,6 Kilogramm Lebensmittel weg. Bei 793 Millionen unterernährten Menschen auf der Welt ist dieses Ausmaß der Verschwendung beschämend. Die Linke greift mit dem vorliegenden Antrag daher ein wichtiges Thema auf. Aber sie verzerren auch die Wirklichkeit. Sie suggerieren eine einfache Problemlösung, die in Wahrheit keine Ursachenbekämpfung ist. Der Antrag selbst führt aus: „Ein Viertel der vermeidbaren Nahrungsmittelverluste fallen im Lebensmittelhandel an.“ Ein Viertel! Das größte Einsparpotenzial zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung liegt aber – zumindest in den Industrienationen – bei uns selbst, beim Verbraucher. In unserer Wohlstandsgesellschaft ist bei vielen das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln verloren gegangen. Anstatt Reste zu verwerten, wird Neues gekauft. Brot ist hier nur ein Beispiel unter vielen. Bevor wir darüber diskutieren, ob und wie weggeworfene Lebensmittel gerettet werden könnten, sollten wir darüber sprechen, wie wir verhindern können, dass Lebensmittel überhaupt erst in der Tonne anstatt auf dem Teller landen. Mit der Informationskampagne „Zu gut für die Tonne“ setzt das BMEL den richtigen Hebel an: Durch Aufklärung sowohl über das erschreckende Ausmaß der Lebensmittelverschwendung als auch Informationen und verbraucherfreundliche Hilfsmittel wie etwa Handy-Apps zur Restevermeidung bzw. -verwertung wird jedem einzelnen von uns beinahe mundgerecht serviert, wie bewusster Umgang mit Nahrungsmitteln aussehen kann. Das Deprimierende ist doch, dass aber nicht nur mangelndes Wissen oder Bereitschaft Ursache für Lebensmittelverschwendung ist, sondern oftmals auch schlicht die Ästhetik. Wir werfen nicht in erster Linie tatsächlich Verdorbenes weg, sondern Produkte, die uns nicht mehr gut und appetitlich genug erscheinen. Das betrifft vor allem Obst und Gemüse: welken Salat, schrumpelige Möhren oder Äpfel mit Druckstellen. Hier ist der Verbraucher genauso in der Verantwortung wie der Lebensmittelhandel. Auch das leidige Thema des Mindesthaltbarkeitsdatums spielt hier eine Rolle. Oftmals werden vor allem Milchprodukte ungeöffnet entsorgt, nur weil das Datum überschritten wurde. Gesunder Menschenverstand bzw. eine gute Nase sollten hier aber eher der „Riecher“ sein. Nichtsdestotrotz stimme ich mit dem Antrag in dem Punkt überein, dass die Politik mehr Verantwortung für die Gestaltung der Rahmenbedingungen dafür übernehmen sollte, dass die kostenfreie Abgabe von genießbaren, aber aus dem Verkauf genommenen Lebensmitteln zwischen Lebensmittelhandel und den gemeinnützigen Vereinen wie den Tafeln verbessert wird. Was jedoch für die Union nicht tragbar ist, ist die Entkriminalisierung von sogenanntem „Containern“, also dem Entwenden weggeworfener Lebensmittel aus Mülltonnen auf dem Grundstück von Lebensmittelläden. Wenn widerrechtlich das Gelände betreten wird, ist dies eine Straftat – egal wo und aus welchen Gründen dies geschieht. Zwar würde durch die Deklaration von Lebensmitteln als herrenlose Sache der Straftatbestand des Diebstahls ausgeschlossen, aber ob man es wirklich als Gesetzgeber verantworten möchte, dass das Klettern in Mülltonnen unser Gesellschaftsbild prägt, möchte ich doch mal an dieser Stelle kritisch hinterfragen. Kurzum: Da der Antrag der Fraktion Die Linke zwar ein wichtiges Thema aufgreift, aber die falschen Mittel wählt, um das Ziel zu erreichen, bitte ich Sie, meine Damen und Herren, gegen den vorliegenden Antrag zu stimmen. Katharina Landgraf (CDU/CSU): Zuerst eine grundsätzliche Anmerkung: Was wir hier heute Abend diskutieren, liegt in erster Linie in der Zuständigkeit der Rechtspolitiker. Die sehen es ganz sicher nicht gerne, wenn wir Landwirtschaftspolitiker uns ins Strafrecht einmischen. Ihr Ansinnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, den Handel per Gesetz zu verpflichten, seine Waren zu verschenken, wenn er diese nicht mehr verkaufen kann, ist schlicht absurd. Noch absurder ist die Idee, die Unternehmen auch noch zu bestrafen, wenn sie dieser Anordnung nicht Folge leisten. Wir können doch nicht in das Eigentumsrecht und die wirtschaftliche Eigenverantwortung der Händler derartig eingreifen. Das möchte ich auch gar nicht. Mir geht es vielmehr darum, das Gesamtproblem der Lebensmittelverschwendung anzupacken. Der Schwerpunkt sollte dabei meines Erachtens auf der Vermeidung der Verschwendung liegen. Dann müssen wir uns gar nicht erst mit dem Problem der Strafbarkeit von sogenannten Lebensmittelrettern beschäftigen. Der EU-Rechnungshof merkt zu Recht an, dass Lebensmittelverschwendung ein Problem entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist. Deshalb sollte ein Vorgehen auf die ganze Kette ausgerichtet sein und potenzielle Vorteile für alle Beteiligten bieten. Unstrittig ist jedoch, dass in vielen Bereichen das bestehende Potenzial zur Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung noch nicht voll ausgeschöpft wird. Daher wird derzeit in der EU-Kommission an einer Leitlinie für Lebensmittelspenden gearbeitet. Dies ist nötig, da momentan im Zusammenhang mit Lebensmittelspenden noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind. Unter anderem müssen die unterschiedlichen Auslegungen von Rechtsvorschriften vereinheitlicht werden, um das Spenden von Lebensmitteln zu erleichtern. Auch in Deutschland bestehen noch viele Unsicherheiten bei Spendern wie bei Nehmern, obwohl das BMEL bereits 2012 einen „Leitfaden für die Weitergabe von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen – Rechtliche Aspekte“ veröffentlicht hat. Eine Klarstellung und Vereinfachung bestehender Rechtsvorschriften durch die EU könnte hier zu einer höheren Spendenbereitschaft führen. Wobei man aber auch sagen muss, dass bereits jetzt schon ein großer Teil beispielsweise an die Tafeln abgegeben wird. Ich hatte erst kürzlich ein Gespräch mit Mitarbeitern der Tafeln aus Sachsen und Brandenburg, und dort wurde deutlich, dass die Spendenbereitschaft der Supermärkte sehr hoch ist und es manchmal gar nicht möglich ist, alle Spenden rechtzeitig abzuholen. Das liegt aber auch an einem anderen Problem: Oft findet sich kein Fahrer, der bereit ist, für das Fahrzeug die Verantwortung zu übernehmen. Solche Aufgaben können meines Erachtens nicht von Ehrenamtlichen übernommen werden. Hier müssen wir überlegen, wie den Tafeln geholfen werden kann, dieses Problem zu lösen. Damit packen wir das Thema an einer richtigen Stelle an, und es könnten noch mehr Lebensmittel „gerettet“ werden und armen Menschen zugutekommen, als dies bei den sogenannten Lebensmittelrettern der Fall ist. Die einzige Möglichkeit für die „Lebensmittelretter“ besteht darin, die Supermärkte oder Betriebe ganz offiziell anzufragen, ob sie die Container nach brauchbaren Lebensmitteln durchsuchen dürfen. Frei nach dem Motto „Fragen kostet ja nichts“. Vielleicht gibt es auch mehr positive Antworten, als man im ersten Moment vermutet. Wenn nicht, muss das Verbot des sogenannten „Containerns“ auf jeden Fall beachtet werden. Ich möchte noch einmal ganz klar sagen, dass kriminelle Handlungen mit welchem Ziel auch immer nicht geduldet werden können. In diesem Fall heiligt der Zweck nämlich nicht die Mittel. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Bis 2030 müssen wir die Lebensmittelverschwendung um die Hälfte reduziert haben. Zumindest, wenn wir die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ernst nehmen, und ich hoffe doch sehr, dass wir das allesamt tun. Bis 2030 sind es noch zwölfeinhalb Jahre. Klingt lang, ist es aber nicht. Es ist also allerhöchste Zeit, dass wir endlich aus dem Knick kommen. Wir reden, debattieren und berichten nun schon viele Jahre über das Thema. 2012 haben wir hier im Bundestag gemeinsam einen fraktionsübergreifenden Antrag verabschiedet, der unter anderem Zielmarken für die Reduktion der Lebensmittelverluste in den einzelnen Branchen vorsah. 2015 haben wir das seitens der Koalitionsfraktionen nochmals bestätigt. Das Europäische Parlament hat gerade erst vorgestern die Kommission aufgefordert, etwas gegen Lebensmittelverschwendung zu unternehmen. Positiv gesprochen zeigt das: Im Prinzip sind wir uns einig, dass etwas passieren muss. Dass es so nicht weitergehen kann. Dass es nicht akzeptabel ist, dass so viele noch essbare Lebensmittel im Müll landen. Und zwar nicht nur im Hausmüll, sondern auch im Müll in der Gastronomie, im Handel, in der Industrie und in der Landwirtschaft. Allein – die bisherigen Maßnahmen haben ganz offensichtlich noch nicht zu einer Änderung der Situation geführt. Der Europäische Rechnungshof hat der Kommission kürzlich bescheinigt, viel zu unambitioniert gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen. Der Bundesrechnungshof hat dem hiesigen Ernährungsministerium ebenfalls bescheinigt, eine ziemlich wirkungslose und dazu schlecht geplante Kampagne gefahren zu haben. Wir haben in Deutschland zahlreiche tolle Initiativen, die versuchen, im Kleinen etwas zu verändern, und die dazu beitragen, das Thema in der Öffentlichkeit und in unserer aller Köpfe zu verankern. Wir haben auch inzwischen eine Plattform, gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die der Wirtschaft Analysen und Instrumente zur Verfügung stellt, Lebensmittelverluste zu reduzieren. Nicht zu vergessen die wichtige Arbeit, die Verbraucherzentralen und Universitäten wie Münster oder Witten/Herdecke bei dem Thema leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ich bin sehr wohl bei Ihnen und Ihrer Forderung, Lebensmittelretterinnen und -retter zu entkriminalisieren. Ich halte auch viel davon, den Handel zu verpflichten, aus dem Verkauf genommene Waren kostenlos an gemeinnützige Organisationen abgeben zu müssen. Aber: Das allein reicht nicht. Es wird auch nicht dazu führen, dass sich überall in der Wertschöpfungskette etwas ändert. Denn auch in der Gastronomie wird viel weggeworfen. In der Landwirtschaft bleibt viel essbares Gemüse einfach auf dem Acker liegen. Wenn wir daran etwas ändern wollen, brauchen wir eine umfassende Strategie, ich glaube sogar, wir brauchen ein Gesetz, das alle Akteure adressiert, das endlich für eine ausreichende Datenlage sorgt, verbindliche Zielmarken für die einzelnen Branchen festlegt und das sicherstellt, dass diese Branchen bei der Umsetzung unterstützt werden. Es reicht mir nicht, nur darüber zu reden, wie noch essbare Lebensmittel nach Feierabend des Supermarktes vor der Entsorgung bewahrt werden. Ja, Lebensmittelspenden zu erleichtern, ist ein wichtiger Punkt. Aber wenn wir Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion nachhaltiger machen wollen, wenn wir dafür sorgen wollen, dass weniger Ressourcen verschwendet werden, dann müssen wir uns vor allem um die Schnittstellen in der Lebensmittelkette kümmern. Ein erheblicher Teil der Verluste entsteht nämlich durch optische Anforderungen, Vertragsklauseln oder bestimmte Unternehmenspraktiken. Keiner verschwendet gern oder gezielt Lebensmittel. Aber offensichtlich braucht es eine übergreifende gesellschaftliche und politische Anstrengung, den Status quo zu ändern. Das, was das Bundesernährungsministerium bisher unternommen hat, reicht nicht. Ich bedaure, dass der Minister es nicht geschafft hat, die Lebensmittelwirtschaft wirklich effektiv in die Pflicht zu nehmen oder für eine bessere Datengrundlage zu sorgen. Für meine Fraktion kann ich nur noch einmal betonen: Wir wollen eine nationale umfassende Strategie gegen Lebensmittelverschwendung mit Zielmarken für die Wirtschaft. Anders werden wir das Ziel, 50 Prozent weniger zu verschwenden, bis 2030 ganz sicher nicht erreichen. Karin Binder (DIE LINKE): In Deutschland landen pro Jahr über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel auf dem Müll. Supermärkte sortieren Lebensmittel mit Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aus, obwohl diese meist deutlich länger genießbar sind. Manche Händler weisen ganze Lkw-Ladungen frischer Lebensmittel ab, weil die Lieferung nicht pünktlich kam. Wenn im Netz mit Orangen eine zerdrückt ist, landet die ganze Packung auf dem Müll. Am häufigsten wird gutes und genießbares Obst, Gemüse und Brot weggeworfen. Zum Anbau dieser Menge an Lebensmitteln werden ungefähr 2,6 Millionen Hektar Nutzfläche benötigt. Das entspricht der Fläche Mecklenburg-Vorpommerns. Auch all die anderen zur Bewirtschaftung benötigten Ressourcen wie Arbeitskraft, Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmittel werden verschwendet. Aber die Vernichtung von Lebensmitteln ist für die Wirtschaft profitabel. Das Retten entsorgter Lebensmittel hingegen ist strafbar. Das ist für die Linke nicht hinnehmbar. Das wollen wir ändern. Über die Hälfte der Lebensmittelverluste könnten wir sofort und ohne zusätzlichen Aufwand vermeiden. Das belegt die Studie „Das große Wegschmeißen” der Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF). Dazu müssten wir in der globalen Erzeugungskette aber sorgfältiger mit den Waren umgehen und gleichzeitig regionale Vermarktung und nachhaltigen Konsum stärken. Für 60 Prozent der Lebensmittelverschwendung ist die Wirtschaft verantwortlich. Ein Viertel der vermeidbaren Nahrungsmittelverluste fallen allein im Lebensmittelhandel an. Um Personalkosten zu sparen, wird bei Discountern und Supermarktketten genießbares Essen weggeworfen. Auch aus Marketinggründen wird Essen vernichtet. Alles soll bis kurz vor Ladenschluss verfügbar sein und immer frisch aussehen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss im Europaparlament stellte dazu fest: In den EU-Mitgliedstaaten ist es für den Handel profitabler, überschüssige Lebensmittel zu entsorgen als zu spenden. Wegwerfen ist also billiger als der achtsame Umgang mit Essen. Dieses Prinzip wird von Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelrettern durch das „Containern“ gestört. Beim Containern geht es um das Retten und Herausfischen weggeworfener, noch genießbarer Lebensmittel aus den Müllcontainern der Supermärkte. Lebensmittelretterinnen und -retter machen damit auf die maßlose Verschwendung und systematische Überproduktion von Lebensmitteln aufmerksam. Das Problem des kapitalistischen Systems ist: Je mehr Lebensmittel kostenlos gerettet werden, desto weniger werden beim Discounter gekauft. Auch deshalb ist Containern unerwünscht. Viele Supermärkte reagieren darauf mit Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl. In Deutschland dürfen Unternehmer also straffrei und bedenkenlos gute Lebensmittel wegwerfen, während Containern strafbar ist. Das ist absurd. 2012 verurteilte beispielsweise ein Gericht in Düren zwei Personen wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl zu hohen Geldstrafen, nachdem sie Lebensmittel aus Containern eines Supermarktes genommen hatten. Der Grund: Abfall ist so lange Eigentum der Supermärkte, bis er von der Müllabfuhr abgeholt wurde. Die Linke fordert deshalb die Umkehr der Rechtslage. Lebensmittelabfälle sollen, wie in anderen europäischen Ländern auch, als „herrenlose Sache“ gelten. Der Handel muss, wie zum Beispiel wie in Frankreich und Italien, gesetzlich verpflichtet werden, genießbare Lebensmittel, die aus dem Verkauf genommen werden, kostenfrei an interessierte Menschen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder gemeinnützige Einrichtungen weiterzugeben. Die Zuwiderhandlung der Märkte muss ordnungsrechtlich geahndet und bestraft werden, damit sich für Aldi, Lidl, Rewe und Edeka die Vernichtung von Essen nicht mehr lohnt. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Jahren diskutieren wir hier regelmäßig im Plenum über das massive Umweltproblem der Lebensmittelverschwendung. Beileibe nicht, weil die Bundesregierung so aktiv wäre, diese zu bekämpfen – das wäre wünschenswert –, sondern weil die Opposition es immer und immer wieder auf die Tagesordnung setzt. Schon alleine deshalb ist Antrag der Linken zu begrüßen. Die Kolleginnen und Kollegen der Linken haben sich wenigstens Gedanken darüber gemacht, wie man Essensretter entkriminalisieren und Lebensmittelmüll reduzieren kann. Diese Vorschläge setzen erst am Ende der Wertschöpfungskette an. Ich finde, man muss früher ran an das Problem. Bekämpft werden müssen die Ursachen von Lebensmittelmüll. Unsere Vorschläge und Forderungen dazu – allen voran die Vereinbarung auf branchenspezifische Reduktionsziele – liegen auf dem Tisch. Und das seit inzwischen über fünf Jahren. 2012 haben wir dazu schon einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Selbst Union und SPD haben das mit gefordert. Doch passiert ist seitdem viel zu wenig. Es ist ja kein Geheimnis, dass Minister Schmidt kein Aktivposten dieser Bundesregierung ist. Sein Credo der „verbindlichen Freiwilligkeit“ hat eine gewisse traurige Bekanntheit erlangt. Der Minister fällt also vor allem durch Nichtstun auf – und durch regelmäßige Presseankündigungen in nachrichtenarmen Zeiten, die dann leider folgenlos bleiben. So zum Beispiel bezüglich der Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums. Das hat er mehrfach angekündigt, wobei er sich nicht so ganz sicher war, ob er es nun abschaffen oder verlängern oder doch lieber einen neuen Begriff einführen will. Da war er nicht ganz konsistent in seinen Interviews. Aber ohnehin hat er dabei immer nur bequem an Brüssel verwiesen; die sollten aktiv werden, nicht er. Pressewirksam hat er auch behauptet, 10 Millionen Euro für die Entwicklung intelligenter Verpackungen auszugeben. Später musste sein Haus dann kleinlaut zugeben, dass zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal eine Ausschreibung für ein solches Forschungsprojekt existierte und auch nicht geplant war, die ganzen 10 Millionen nur für diesen Zweck auszugeben. Aber was hat der Minister tatsächlich gemacht? Er hat die von seiner Vorgängerin Aigner gestartete Kampagne „Zu gut für die Tonne“ weiter fortgeführt. Er behauptet, mit Erfolg. Diese Einschätzung teile ich nicht. Genauso wenig wie der Bundesrechnungshof, der die Kampagne als „unzureichend vorbereitet“ und den „Erfolg (als) nicht nachweisbar“ bezeichnet. Denn belegen kann Minister Schmidt nicht, inwiefern seine Postkarten und Apps tatsächlich dazu führen, dass es in Deutschland weniger Lebensmittelverschwendung gibt. Und was hat er nicht gemacht? Nicht umgesetzt hat er jegliche Forderungen des Parlaments. Er ignoriert die klaren und konkreten Forderungen, die wir hier fraktionsübergreifend bereits 2012 beschlossen haben und die zu Beginn dieser Legislaturperiode noch einmal unter anderem von den Abgeordneten seiner eigenen Fraktion bekräftigt wurden. Allen voran brauchen wir endlich branchenspezifische Reduktionsziele. Gemeinsam mit allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette wie Handel, Industrie und Gastronomie muss festlegt werden, wie viele Verluste bis wann reduziert werden. Angekündigt hat Minister Schmidt auch das bereits seit 2015. Passiert ist nichts. Weitere Ankündigungen: Die Kampagne „Zu gut für die Tonne“ sollte ausgeweitet werden zu einer echten Strategie gegen Lebensmittelverwendung. Für alle Stufen der Wertschöpfungskette sollten die fehlenden Daten zu Ausmaß und Gründen der Lebensmittelverluste ermittelt werden. Für die Erzeugung, aber auch etwa für Discounter gibt es noch immer keine verlässlichen Zahlen. Die lässt der Minister völlig aus dem Blick. Doch diese sind absolut notwendig, um sinnvolle Strategien und konkrete Reduktionsziele zu erarbeiten. Sowohl die EU-Kommission, das Europaparlament als auch die Vereinten Nationen in den SDGs haben konkrete Minimierungsziele beschlossen. Diese Bundesregierung hinkt in ihren Bemühungen hinterher. Mein Fazit daher: Minister Schmidts Regierungszeit waren vier verlorene Jahre für den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Tagesordnungspunkt 22) Margaret Horb (CDU/CSU): Dass Geldwäsche nur wenig mit Seifenlauge und Waschmaschinen zu tun hat, wohl aber in einem Waschsalon stattfinden kann, wissen wir von Al Capone. Es ist bekannt, dass der Unterweltboss die Einnahmen seiner Waschsalons mit Geldern aus illegalen Geschäften aufbesserte und diese Einkünfte somit zu „sauberem“ Geld machte. Dies war durch den Münzbetrieb der Waschmaschinen problemlos möglich. Und es war auch nicht gelogen, wenn er behauptete: „Ich bin im Wäscherei-Business tätig.“ Damals ein durchaus kreativer Ansatz. Heutzutage gibt es durch den technischen Fortschritt nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, illegale Gelder in den legalen Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Mit dem vorliegenden Gesetz zur nationalen Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie beabsichtigen wir, genau das zu erschweren, ja zu verhindern. Die wohl entscheidendste Stärkung der Geldwäschebekämpfung wird mit der Neuausrichtung der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, der sogenannten Financial Intelligence Unit (FIU), erfolgen. Diese Spezialeinheit wird fachlich und organisatorisch neu ausgerichtet und sowohl technisch als auch personell besser ausgestattet. Statt bislang 25 Mitarbeiter – vorrangig Polizisten – werden künftig 165 Fachleute aus unterschiedlichsten Bereichen dieser Einheit angehören. Die FIU wird bei der Generalzolldirektion angegliedert sein – eine sinnvolle Bündelung, da der Zoll bereits durch seinen originären Arbeits- und Geschäftsbereich über entsprechende Spezialkenntnisse verfügt. Neben Polizisten und Beschäftigten der Zollverwaltung werden jedoch auch Unternehmer, Steuer- und Finanzbeamte, Bankangestellte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskartellamtes sowie Beschäftigte aus Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen. Finanzanalytische, steuerliche und kriminalistische, aber auch wirtschaftliche und juristische Perspektiven werden gebündelt und in die Sachverhaltsbewertung einbezogen. Ein strukturiertes und zielorientiertes Vorgehen gegen die international organisierte Kriminalität soll durch die drei Hauptaufgabenbereiche der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen gewährleistet werden: Erstens. Filtern von Verdachtsmeldungen: Eingehende Meldungen mit Verdacht auf Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung werden von den Spezialisten risikobasiert analysiert, aufbereitet und an Polizei und Staatsanwaltschaft vor Ort weitergeleitet. Zweitens. Information und Prävention: Die FIU wird Unternehmen, Verbände und Behörden über neue Arten der Geldwäsche informieren und schulen. Sie koordiniert und stellt somit sicher, dass das Geldwäschegesetz in allen Bundesländern mit gleicher Wirkung umgesetzt wird. Drittens. Daten- und Informationsaustausch auf nationaler und internationaler Ebene: Geldwäsche kennt keine Landesgrenzen – weder innerhalb Deutschlands noch in Europa. Geldwäsche agiert global. Mit diesem Gesetz wird die Grundlage geschaffen, dass der Daten- und Informationsaustausch auf nationaler und internationaler Ebene optimiert und intensiviert wird. Erstmals werden der deutschen Zentralstelle Daten von Finanz- und Verwaltungsbehörden im automatisierten Abruf zur Verfügung stehen, sodass die Datenbasis für die Bewertung und Analyse breiter aufgestellt wird. Denn erst durch den Austausch und die Aufbereitung der Daten, wie der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Thomas Eigenthaler, zu Recht ausführt, können die Ermittlungsbehörden effektiv den Schlag gegen die Geldwäsche führen. Im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung setzen wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf Transparenz und effektive nationale wie internationale Zusammenarbeit. Wir setzen aber auch explizit auf die Kompetenz und das Engagement unserer Zöllner, Finanzbeamten und Polizisten, unserer Fachleute auf allen Ebenen, die Tag für Tag eine großartige Arbeit machen – auch unter Einsatz ihres Lebens. Daher von dieser Stelle unseren ganz besonderen Dank für Ihre Arbeit! Gerade diese Men- und Womenpower vor Ort, auf Länderebene, müssen wir gleichzeitig mit der Verstärkung der FIU auf Bundesebene konsequent aus- und aufbauen. Auch wenn der Steuervollzug und der Bereich der Güterhändler im Nicht-Finanzsektor in das Aufgaben- und Hoheitsgebiet der Bundesländer fallen: Illegaler Internethandel und kriminelle Strukturen der Umsatzsteuerkarusselle operieren weltweit; die organisierte Kriminalität im digitalisierten Wirtschaftsraum kennt keine Ländergrenzen. Das haben wir an der Cyberattacke letzte Woche wieder einmal gesehen. Kompetente und hochmotivierte Fachleute, ausgerüstet und unterstützt mit moderner Technik, sind unsere Waffe im Kampf gegen Geldwäsche. Es waren ja letzten Endes auch die Steuerbeamten der amerikanischen Steuerbehörde IRS, die den „Staatsfeind Nummer eins“ Al Capone hinter Gitter brachten. Nicht wegen seiner illegalen Geschäfte ging er für elf Jahre ins Gefängnis, sondern wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Geldwäsche. Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Mit der Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie unternimmt die Bundesregierung einen weiteren wichtigen Schritt im Kampf gegen die Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Mit ihm passen wir die nationale Gesetzgebung an die 2012 überarbeiteten Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) an. Seit der ersten Lesung im März erreichten uns zahlreiche Änderungsanträge. Als einen Punkt nehmen wir nun Veranstalter und Vermittler von Lotterien aus, die nicht im Internet veranstaltet werden und eine staatliche Erlaubnis haben. Außerdem berücksichtigen wir die Schweigepflicht gegenüber der Financial Intelligence Unit (FIU) bei allen Berufen, die einer Schweigepflicht unterliegen. Bislang trägt die Ausnahme bzw. Rückausnahme im GwG-Entwurf nur der Verschwiegenheitspflicht von Berufsgeheimnisträgern Rechnung, soweit diese eine Rechtsberatung vornehmen. Die Änderungen berücksichtigen nun umfassend alle Tätigkeiten, die einer Schweigepflicht unterliegen, wie zum Beispiel Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte. Wir stellen heute abschließend klar, dass wir die Interessen von Güterhändlern berücksichtigen und für sie eine Erleichterung geschaffen haben. So gilt die Pflicht, interne Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, nunmehr nur für Güterhändler, die Barzahlungen ab 10 000 Euro annehmen oder tätigen. Wir stellen außerdem sicher, dass Unbefugte keinen Missbrauch mit dem Transparenzregister betreiben können, zum Beispiel durch die Abfrage der Personalausweisnummer oder der Umsatzsteuer-ID bei Unternehmen. Auch stellen wir sicher, dass Rechnungen für Onlinegeschäfte oder Strom weiter in bar an der Supermarktkasse bezahlt werden können. Nach intensiver Diskussion und Arbeit bringen wir das Gesetz heute auf den Weg. Es umfasst im Wesentlichen fünf zentrale Punkte: Erstens schaffen wir mit ihm ein elektronisches Transparenzregister. Es erhöht die Transparenz und erschwert den Missbrauch von Gesellschaften und Trusts zu Zwecken der Geldwäsche sowie ihrer Vortaten, wie Steuerbetrug und Terrorismusfinanzierung. Dabei wurde darauf geachtet, dass der Bürokratieaufwand für die Unternehmen möglichst gering bleibt. Zugang erhält nur, wer ein berechtigtes Interesse vorweisen kann. Zweitens ermöglicht das Gesetz die Ansiedlung einer Zentralstelle für Verdachtsmeldungen im Bundesministerium für Finanzen. Die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen war bislang polizeilich ausgerichtet und beim Bundeskriminalamt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern angesiedelt. Mit der Neuausrichtung erhält die Zentralstelle eine Filterfunktion und kann dadurch die Strafverfolgungsbehörden entlasten. Das Gesetz stärkt drittens den risikobasierten Ansatz. Das heißt, die Verpflichteten müssen künftig jede Geschäftsbeziehung und Transaktion individuell auf das jeweilige Risiko in Bezug auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung hin prüfen. Viertens erweitern wir den Verpflichtetenkreis und verschärfen fünftens die Sanktionen und machen Verstöße sichtbar. So beträgt die maximale Höhe des Bußgeldrahmens nunmehr für alle schwerwiegenden, wiederholten oder systematischen Verstöße gegen geldwäscherechtliche Vorschriften 1 Million Euro oder das Zweifache des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils; für Kredit- und Finanzinstitute 5 Millionen Euro sowie die Möglichkeit einer umsatzbezogenen Geldbuße. Für die übrigen Fälle setzen wir den Bußgeldrahmen auf 200 000 Euro fest. Die Aufsichtsbehörden müssen alle unanfechtbar gewordenen Maßnahmen und Bußgeldentscheidungen auf ihrer Internetseite bekanntgeben. Nach der Einführung des Straftatbestandes der Selbstgeldwäsche im November 2015 und der Einführung des Straftatbestandes der Terrorismusfinanzierung im Juli 2015 ist das heutige Gesetz ein weiterer Schritt der Bundesregierung im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in dieser Legislaturperiode. Die Bundesregierung wird weiterhin alles daransetzen, gezielt gegen diese Form der Kriminalität und Bedrohung vorzugehen. Der englische Staatsphilosoph John Locke hat einmal gesagt: „Der beste Weg zur Wahrheit ist, die Dinge so zu betrachten, wie sie sind, und nicht so, wie wir schließen dass sie zu sein hätten.“ Das haben wir auch bei diesem Gesetz getan. Ich möchte allen Fraktionskollegen, dem Koalitionspartner und dem Bundesministerium für Finanzen für die gute Zusammenarbeit danken. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Der Bundestag beschließt heute in zweiter und dritter Lesung das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie. Damit werden die Behörden im Kampf gegen Geldwäsche erheblich gestärkt und die Regeln zur Verhinderung von Geldwäsche deutlich verschärft. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt insbesondere die Einführung eines Transparenzregisters über wirtschaftlich Berechtigte. Dies ist eine wichtige europäische Antwort auf die sogenannten „Panama-Papiere“, die einen tiefen Einblick in die globale Schattenwirtschaft der Briefkastenfirmen gegeben haben. Diese Firmen dienten zur Verschleierung der tatsächlichen Eigentümer und der Herkunft ihrer Vermögen. Damit leisten sie nicht nur Geldwäsche und Steuerbetrug Vorschub, sondern sind auch Teil der wirtschaftlichen und finanziellen Infrastruktur der organisierten Kriminalität und des Terrorismus. Als Briefkastenfirma bezeichnen wir ein Unternehmen, das zwar rechtlich existiert, aber keine wirtschaftliche Aktivität aufweist. Darüber hinaus ist der wirtschaftlich Berechtigte unbekannt. Mit der Einführung eines Transparenzregisters mit Informationen zu den wirtschaftlich Berechtigten wird es mehr Klarheit darüber geben, wer an welchen Unternehmen maßgeblich beteiligt ist. Das hilft Behörden bei der Aufklärung von Geldwäscheverdachtsfällen und wird hoffentlich gezielt dazu beitragen, den Missbrauch von Unternehmensgestaltungen für Geldwäsche zu verhindern. Im Gesetz ist vorgesehen, dass Dritten die Einsicht in das Register nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses ermöglicht wird. Wir haben uns bei der Einführung des Registers für einen öffentlichen Zugang eingesetzt, bei dem einerseits die datenschutzrechtlichen Interessen der wirtschaftlich Berechtigten gewahrt bleiben, andererseits die Öffentlichkeit Einsicht erhalten kann. Diese weitere Öffnung des Registers zur effektiveren Bekämpfung der Geldwäsche ist aber an der mangelnden Bereitschaft der CDU/CSU-Fraktion gescheitert. Dafür hat die SPD-Bundestagsfraktion aber im Ausschussbericht klare Bedingungen für den Nachweis eines berechtigten Interesses festgehalten, mit denen der Zugang für Nichtregierungsorganisationen und Journalisten zum Register erleichtert wird. So wird auf jeden Fall mit dem heute zu beschließenden Gesetz schon die beabsichtigte Wirkung, NGOs und Journalisten einen Zugang zum Transparenzregister zu gewährleisten, erfüllt. Ich bin zudem zuversichtlich, dass uns eine gezielte weitere Öffnung des Transparenzregisters künftig durch die europäische Gesetzgebung vorgegeben wird. Eine mögliche weitere Öffnung des Transparenzregisters ist eine der zentralen Themen im Rahmen der aktuellen Trilogverhandlungen zur Fünften europäischen Geldwäscherichtlinie. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen haben wir genau darauf geachtet, dass durch das Umsetzungsgesetz keine ungewollten Kollateralschäden für einzelne Nischenunternehmen entstehen. Der ursprüngliche Regierungsentwurf hätte Geschäftsmodelle unmöglich gemacht, mit denen unter anderem Stromrechnungen in bar an der Supermarktkasse bezahlt werden können. Für viele Menschen ist dies aber eine wichtige Bezahlmöglichkeit, um Rechnungen zeitnah zu begleichen und Mahngebühren oder andere Konsequenzen zu vermeiden. Um innovative Geschäftsmodelle weiterhin zu ermöglichen und insbesondere im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, hat sich die SPD-Bundestagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, dass wie bisher diese Geschäftsmodelle bzw. Geschäfte ohne höheren Verwaltungsaufwand bis 1 000 Euro möglich sind. Wir haben ebenfalls darauf geachtet, dass keine Schlupflöcher durch Ausnahmeregelungen entstehen. Der BDI hat sich unter anderem dafür eingesetzt, dass Güterhändler ihre Sorgfaltspflichten bei der Geldwäscheprüfung nur dann erfüllen müssen, wenn sie Barzahlungen über 10 000 Euro tätigen oder entgegennehmen. Diese Ausnahme hätte jedoch eine signifikante Absenkung des Schutzniveaus im Geldwäschegesetz zur Folge gehabt. Ein zentrales Ziel des Gesetzes ist es ja, gerade den Nicht-Finanzbereich für Geldwäsche zu sensibilisieren und Geldwäsche so zu erschweren. Das war mit uns nicht zu machen. Nicht zuletzt die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung zum Geldwäschemodell der sogenannten „russischen Waschmaschine“ hat gezeigt, dass Güterhändler oft der neuralgische Punkt bei Geldwäsche sind. Häufig lagen die Beträge dabei unterhalb von 10 000 Euro. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt zudem die Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen. Die oberste Geldwäschebekämpfungsbehörde wird vom Bundeskriminalamt zum Zoll verlagert und dabei personell erheblich aufgestockt. Das ist ein guter und richtiger Beschluss. Darüber hinaus ist im Kampf gegen Geldwäsche eine deutliche personelle Aufstockung der zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder notwendig. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, die Gespräche mit den Ländern im Hinblick auf eine angemessene Ausübung der Geldwäscheaufsicht im Nichtfinanzsektor und im Hinblick auf eine effektive Aufsichtsstruktur voranzutreiben. Die Aufsicht über Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung im Nichtfinanzsektor wird in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt. Hierdurch ergeben sich Effizienzverluste in der Bekämpfung der Geldwäsche, die auch mit einer über Jahre andauernden zu geringen Personalausstattung und fehlender Informations- und Kommunikationstechnologie in Verbindung stehen. Hier sind Verbesserungen dringend geboten, um die allgemeine Schlagkräftigkeit Deutschlands im Kampf gegen die Geldwäsche weiter zu stärken. Dr. Jens Zimmermann (SPD): Die im letzten Jahr bekanntgewordenen Enthüllungen um die sogenannten „Panama Papers“ sowie die erst kürzlich aufgedeckten Konstruktionen der russischen Waschmaschine zeigen, dass Geldwäsche weiterhin ein Riesenproblem ist. Geldwäsche bezeichnet das Einschleusen illegal erwirtschafteten Vermögens – beispielsweise aus Drogenverkäufen, Raubüberfällen oder Betrug – in den legalen Wirtschaftskreislauf, um die illegale Herkunft des Geldes zu verschleiern, das Geld also zu „waschen“. Der weltweite Umfang von Geldwäsche kann nur geschätzt werden. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass jährlich Geldvermögen im Umfang von 1,3 Billionen US-Dollar gewaschen wird. Dies entspricht fast 3 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Alle Indizien legen nahe, dass Deutschland ein attraktives Ziel für die Geldwäscheaktivitäten der internationalen organisierten Kriminalität ist. Alleine in der Bundesrepublik werden schätzungsweise bis zu 100 Milliarden Euro jährlich gewaschen. Wir wissen, dass hiervon auch in starkem Maße der sogenannte Nicht-Finanzbereich betroffen ist, insbesondere dort, wo mit großen Summen – oft in bar – umgegangen wird. Die Milliarden aus illegalen Geschäften, die jährlich von der organisierten Kriminalität in Spielhallen, bei Immobiliengeschäften oder bei Autohändlern gewaschen werden, sind für die Aufsichts- und Ermittlungsbehörden eine große Herausforderung. Geldwäsche schadet der deutschen Volkswirtschaft erheblich. Es werden enorme Summen an illegalem Vermögen gewaschen; dem Staat werden so Milliarden an Steuereinnahmen vorenthalten. Geldwäsche betrifft deshalb nicht nur eine bestimmte Klientel, sondern alle Bürgerinnen und Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen. Deshalb begrüßen wir es als SPD-Fraktion sehr, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem wir die Vierte EU-Geldwäscherichtlinie umsetzen, die Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche deutlich verschärft werden. Wir haben uns in den parlamentarischen Verhandlungen intensiv mit dem Gesetzentwurf beschäftigt und gemeinsam mit unserem Koalitionspartner für viele Verbesserungen an dem Gesetzentwurf gesorgt, um den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Anwendung des Geldwäschegesetzes für die Aufsichtsbehörden und die Verpflichteten zu vereinfachen. Eine der wichtigsten Neuerungen, die mit der Verabschiedung dieses Gesetzes kommen wird, ist die Einführung eines Transparenzregisters über die wirtschaftlich Berechtigten: juristische Personen, eingetragene Personengesellschaften, Trusts und Trust-ähnliche Rechtsgestaltungen. Die Skandale der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Geldwäsche häufig einhergeht mit Unternehmenskonstruktionen, bei denen nicht klar ist, wer eigentlich die Geschicke bestimmt. Mit dem Transparenzregister, das in Zukunft mit den entsprechenden Registern in den anderen EU-Staaten zu einem EU-weiten Transparenzregister vernetzt werden soll, werden wir endlich wissen, wem was gehört und wer an welchen Unternehmen wie beteiligt ist. Hierzu soll das Register als Portal fungieren, über das Dokumente aus anderen öffentlich zugänglichen Registern, beispielsweise dem Handels- oder dem Vereinsregister, abrufbar sind. Neue Meldungen an das Register sollen nur nötig sein, wenn sich die Informationen nicht aus bestehenden Registern ergeben. Im Gesetzentwurf ist ein gestaffelter Zugang zu den Registerinformationen vorgesehen. Behörden erhalten Zugang, soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötig ist. Verpflichtete erhalten Zugang, soweit es zur Erfüllung ihrer geldwäscherechtlichen Sorgfaltspflichten nötig ist. Der Zugang für Dritte ist an ein berechtigtes Interesse geknüpft, das gegenüber der registerführenden Stelle nachgewiesen werden muss. Intensiv diskutiert haben wir in den Verhandlungen die Frage, ob der Zugang zum Transparenzregister öffentlich sein soll. Wir als SPD-Fraktion haben uns in den parlamentarischen Verhandlungen für einen öffentlichen Zugang eingesetzt, bei dem die datenschutzrechtlichen Interessen der wirtschaftlich Berechtigten gewahrt bleiben. Eine Öffnung des Registers zur effektiveren Bekämpfung der Geldwäsche ist an der mangelnden Bereitschaft unseres Koalitionspartners gescheitert. Dafür haben wir aber im Ausschussbericht klare Bedingungen für den Nachweis eines berechtigten Interesses festgehalten, mit denen der Zugang zum Register für Nichtregierungsorganisationen und Journalisten erleichtert wird. Die Frage des öffentlichen Transparenzregisters ist ein zentraler Punkt in den momentan auf EU-Ebene laufenden Verhandlungen für eine Richtlinie zur Überarbeitung der Vierten Geldwäscherichtlinie. Wir werden uns bei der nationalen Umsetzung der nächsten EU-Geldwäscherichtlinie, die voraussichtlich in den nächsten zwei Jahren ansteht, erneut für die komplette Öffnung des Zugangs zum Transparenzregister einsetzen. In den Verhandlungen haben wir uns ebenso intensiv unter geldwäscherechtlichen Gesichtspunkten auch mit Geschäftsmodellen auseinandergesetzt, mit denen unter anderem Stromrechnungen in bar an der Supermarktkasse bezahlt werden können. Der ursprüngliche Gesetzentwurf hätte diese Geschäftsmodelle unmöglich gemacht und wäre damit deutlich über die Vorgaben in der Richtlinie hinausgegangen. Für viele Menschen ist dies aber eine wichtige Bezahlmöglichkeit, um Rechnungen zeitnah zu begleichen und Mahngebühren oder weitergehende Konsequenzen zu vermeiden. Um innovative Geschäftsmodelle weiterhin zu ermöglichen und insbesondere im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher hat sich die SPD-Bundestagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, dass diese Geschäftsmodelle wie bisher ohne höheren Verwaltungsaufwand bis 1 000 Euro möglich sind. Gleichzeitig haben wir als Koalitionsfraktionen im Bericht des Finanzausschusses festgehalten, dass wir von der Finanzaufsicht erwarten, diese Geschäftsmodelle weiterhin genau im Auge zu behalten. Wir waren uns einig, dass mit dem nächsten nationalen Umsetzungsverfahren das Thema noch mal aufgerufen und hinsichtlich der spezifischen Risiken für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung diskutiert werden soll. Im Nicht-Finanzbereich sorgen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für ein wesentlich höheres Schutzniveau. Künftig müssen die Verpflichteten bei Barzahlungen ab 10 000 Euro – bisher waren es 15 000 Euro – in jedem Fall die Sorgfaltspflichten des Geldwäschegesetzes, zu denen unter anderem eine Identifizierung des Käufers gehört, erfüllen. Ein wesentlicher Fortschritt in diesem Zusammenhang, mit dem wir auch internationale Vorgaben zur Geldwäschebekämpfung berücksichtigen, ist die Stärkung des sogenannten risikobasierten Ansatzes. Er zielt darauf ab, dass die geldwäscherechtlich Verpflichteten künftig jede Geschäftsbeziehung und jede Transaktion individuell auf das jeweilige Risiko hin prüfen und gegebenenfalls zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen. Gleichzeitig haben wir vielen Bedenken aus der Praxis – insbesondere aus dem Bereich der Güterhändler – Rechnung getragen und im Ausschussbericht festgehalten, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Aufwand die geldwäscherechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllt und Geldwäscheverdachtsmeldungen abgeben werden müssen. Für eine noch effektivere Geldwäschebekämpfung ist es nötig, dass Bund und Länder bei der Geldwäscheaufsicht besser zusammenarbeiten. Um dies zu erreichen, ist eine genaue Analyse der Aufsichtstätigkeit in den Bundesländern nötig. Als Grundlage hierfür haben wir uns als Koalitionsfraktionen auf eine gesetzlich verankerte Berichtspflicht für die Länder gegenüber dem Bundesfinanzministerium geeinigt. Die jährlichen Berichte über die Aufsichtstätigkeit der Länder im Nicht-Finanzbereich sollen zukünftig zu einer wirksamen Geldwäschebekämpfung beitragen. Zu einer besseren Koordinierung der Bundes- und Landesbehörden soll auch die neue Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen beitragen. Die bisherige Zentralstelle für Verdachtsmeldungen (BKA) wird in die Generalzolldirektion überführt und personell erheblich verstärkt. Die Aufgaben und Kompetenzen der obersten nationalen Geldwäschebehörde werden neu geregelt: Verdachtsmeldungen werden nicht mehr nur entgegengenommen, angereichert und bewertet. Zusätzlich wird die neue FIU eine Filterfunktion wahrnehmen. Nur werthaltige Meldungen werden nach Abgleich mit anderen Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet. Außerdem wird die neue FIU Länder bei der Umsetzung der Aufsicht unterstützen. Insgesamt enthält der vorliegende Gesetzentwurf viele wichtige Maßnahmen, die die Behörden im Kampf gegen die Geldwäsche erheblich stärken. Wir als SPD-Fraktion stimmen dem Gesetzentwurf zu. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wenn die Bundesregierung bei der Bekämpfung von Geldwäsche so weitermacht wie mit dem vorliegenden Gesetz, dann kann man bald schon wieder die Sektkorken in den Steueroasen und Schattenfinanzplätzen dieser Welt knallen hören. Dabei hat der Bundesfinanzminister höchstselbst bei der Vorstellung des Gesetzes Ende Februar verlauten lassen: „Wir brauchen schlagkräftige Instrumente im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.“ Damit hat Herr Schäuble natürlich absolut Recht! Und wie schön, dass ihm dieser Gedanke nach über sieben Jahren im Amt des Bundesfinanzministers auch einmal kommt. Nur leider ist das vorgelegte Gesetz eben nicht sonderlich schlagkräftig. Insbesondere beim geplanten Transparenzregister, sozusagen dem Kernstück des Gesetzes, muss nachgebessert werden, damit nicht durch verschachtelte Gesellschaftskonstruktionen Hintermänner und Profiteure von Unternehmen weiter verschleiert werden können. Zwei Punkte möchte ich insbesondere ansprechen. Erstens. Nach dem Gesetz kann man in Ausnahmefällen immer noch andere Personen, zum Beispiel geschäftsführende Gesellschafter, anstelle der wirtschaftlich Berechtigten in das Register eintragen lassen. Das widerspricht dem Grundgedanken, dass die tatsächlich Handelnden zu identifizieren und notfalls in Haftung zu nehmen sind. Da gehen wir von der Linken nicht mit. Diese Ausnahmen müssen gestrichen werden. Es muss sichergestellt sein, dass stets die wahren wirtschaftlich Berechtigten identifiziert werden, auch wenn die Identifikation aufwendig ist. Denn sonst würden wieder einmal die dreistesten Verschleierungstechniken mit unzähligen hintereinandergeschalteten Gesellschaften belohnt. Zweitens. In manchen Fällen sind nach diesem Gesetz lediglich die wirtschaftlich Berechtigten selbst gegenüber dem Transparenzregister meldepflichtig, insbesondere dann, wenn weitere Gesellschaften dazwischengeschaltet sind. Und wenn diese wiederum in irgendwelchen Steueroasen sitzen, kann man die Mitteilungspflichten schlichtweg nicht durchsetzen. Wer Cocktails schwenkend am Karibikstrand sitzt, kann über Post vom deutschen Transparenzregister doch nur lachen. Wir Linke fordern daher, dass von Anfang an die gesamte Kontroll- und Beteiligungsstruktur durch die Gesellschaften ermittelt werden muss. Anders ist den verschachtelten Konstruktionen der Geldwäscher nicht beizukommen. Und noch eines ist mir wichtig: Beim Transparenzregister ist für mich entscheidend, dass Strafverfolgungsbehörden und Finanzbehörden auf das Register zugreifen können. Das ist aber nur die halbe Miete. Wichtig ist nämlich auch, dass diese Behörden personell so ausgestattet sind, dass sie mit den Daten effektiv arbeiten können, damit Geldwäsche konsequent bekämpft wird. Wie alle, die sich mit der Problematik beschäftigen, wissen, ist das insbesondere bei den Ländern sehr dürftig. Das muss geändert werden. Warum nicht endlich dem Vorschlag der Linken folgen, eine Bundesfinanzpolizei einzurichten? Genug Arbeit hätte sie auf jeden Fall. Bis dahin liegt es auch an der Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern auf Verbesserungen bei der Geldwäschebekämpfung, insbesondere auch im Nicht-Finanzsektor, hinzuwirken. Denn gerade im Nicht-Finanzsektor, also zum Beispiel in der Immobilienbranche oder beim Autohandel, gibt es mangels einer zentralen Aufsichtsbehörde sehr unterschiedliche Handhabungen seitens der Länder. Ich denke, dass uns allen sehr daran liegt, die Geldwäsche effektiv und wirkungsvoll auszumerzen. Mit unseren Vorschlägen bekommt dieses Gesetz die notwendige Schlagkraft und bleibt nicht bloß ein Papiertiger. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Organisierte Kriminalität und internationaler Terrorismus kennen keine staatlichen Grenzen. Die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erfordert daher konzertierte Anstrengungen auf Länder-, Bundes- und europäischer Ebene. Aber die Bundesregierung war und ist kein Vorreiter bei der Bekämpfung der Geldwäsche. Die Bundesregierung hinkt seit Jahren hinterher. Dem Bundesfinanzminister fehlt eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Wie in der Vergangenheit beschränkt er sich auch heute auf eine möglichst halbherzige Umsetzung der europäischen Antigeldwäscherichtlinien. Auf Länderebene hatte der Bundesrat die Bundesregierung schon 2012 im Rahmen seiner Stellungnahme zum damaligen GwG-Ergänzungsgesetzentwurf dazu aufgefordert, die Bekämpfung der Geldwäsche im besonders anfälligen Nicht-Finanzbereich bundeseinheitlich zu übernehmen. Schon damals hieß es zutreffend, die Erfassung der regelmäßig länderübergreifenden Sachverhalte bedeute einen erheblichen Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand; die föderale Zuständigkeitszersplitterung führe zu einer unnötigen Vervielfachung der vorzuhaltenden Ressourcen, und es gelte daher, Vollzugsdefizite gar nicht erst entstehen zu lassen. Der Bundesfinanzminister hat den Vorschlag verworfen. Heute sprechen Experten von einem jährlichen Geldwäschevolumen im Nicht-Finanzsektor von 20 Milliarden bis 30 Milliarden Euro. Mit ihrem Vorschlag aus 2012 sind die Bundesländer aber keinesfalls aus der Verantwortung entlassen. Die Anfragen der Grünenfraktion zum Antigeldwäschevollzug in den Ländern liefern eindrucksvolle und erschreckende Zahlen zur Vernachlässigung des Problems. Organisierte Gewalt- und Drogenkriminalität wird erst dann profitabel, wenn das ergaunerte Geld auch im legalen Geldkreislauf reinvestiert werden kann. Die Verharmlosung des völlig unzureichenden Antigeldwäschevollzugs muss umgehend ein Ende finden! Deshalb haben wir parteiübergreifend im Finanzausschuss die Bundesregierung aufgefordert, die Gespräche mit den Ländern im Hinblick auf eine angemessene Ausübung der Geldwäscheaufsicht im Nicht-Finanzsektor und eine sinnvolle Aufsichtsstruktur zu forcieren. In anderen Punkten ist die Regierungskoalition leider weniger interessiert an klaren Handlungsaufforderungen gegenüber der Bundesregierung. Für welche Anliegen die Bundesregierung in Brüssel bei der Überarbeitung der Vierten AMLD streiten soll, will die Regierungskoalition nicht beeinflussen. Während die Grünenfraktion dieser Tage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Aushöhlung der parlamentarischen Verfassungsrechte kämpft, zeigen SPD und CDU/CSU in vorauseilendem Gehorsam überhaupt kein Interesse daran, auf das Einfluss zu nehmen, was sie anschließend möglichst eins zu eins umsetzen werden. Wie unmündig sich die Kollegen aus der Regierungskoalition damit machen, zeigt die Umsetzung des sogenannten Transparenzregisters. „Wir hätten ja nichts gegen ein öffentliches Register, aber leider müsste das auf EU-Ebene beschlossen werden“ wird einerseits behauptet, während man sich andererseits nicht für eine entsprechende (oder irgendeine andere konkrete) Ausgestaltung der Fünften AMLD einsetzen will. Zu der Rolle rückwärts der Bundesregierung beim Transparenzregister ist im Übrigen bereits alles gesagt worden. Wir unterstützen den entsprechenden Änderungsantrag der Linken, mahnen allerdings auch eine datenschutzsensible Ausgestaltung des öffentlichen Registers an. Selbst wenn sich die Regierungskoalition aus der Verantwortung stehlen möchte: Immer wichtiger wird jetzt, was im Rahmen der Überarbeitung der Vierten AMLD auf europäischer Ebene beschlossen werden wird. Dabei werden wir Grünen uns aktiv nicht nur für ein öffentliches Transparenzregister, sondern insbesondere auch für die europaweite Einführung von Immobilienregistern einsetzen, damit die Strafverfolgungsbehörden ermitteln können, wo Kriminelle ihr Geld parken. Die Feststellung von Immobiliareigentum sowie Rechten an Immobilien ist seit Jahren unter anderem im Bereich der Vermögensabschöpfung ein zentrales Anliegen der Strafverfolgungsbehörden. Die Suche nach Inhabern von Immobilien oder Grundstücken gestaltet sich in Deutschland mangels eines zentralen Immobilienregisters teils sehr aufwendig. Wenn nähere Angaben zur geographischen Lage von Grundstücken fehlen, müssen einzelne Anfragen bei allen Landesvermessungsämtern der Bundesländer erfolgen. In einigen Bundesländern ist selbst eine landesinterne Abfrage ohne Angabe der Gemarkung und Blattnummer nicht möglich. In der Konsequenz muten wir unseren Beamten zu, teilweise händisch Grundbücher zu durchforsten. Das ist kein haltbarer Zustand! Wir brauchen ein Immobilienregister, das nicht öffentlich einsehbar sein, dafür aber Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten beinhalten soll. Denn anders, als es vielfach behauptet wird, ist unser Grundbuch weder darauf ausgelegt noch dazu geeignet, zur Kriminalitätsbekämpfung hinreichend beizutragen. Denn weder ist derzeit in Deutschland Immobilieneigentum zu ermitteln, das durch Eintragung eines lebenslangen Wohnrechts oder als Grundschuld verschleiert wird, noch sind die vielen sogenannten Sharedeal-Konstruktionen im Grundbuch abgebildet, in denen statt der Immobilie selbst einfach eine Eigentümergesellschaft verkauft wird. Während normale Bürgerinnen und Bürger seit vielen Jahren mit stets steigenden Grunderwerbsteuern hadern, erlauben wir es Investoren, diese Steuern zu umgehen, und Kriminellen gleichzeitig, etwa mittels luxemburgischer Gesellschaftsformen, ohne Aufdeckungsrisiko ihre Gelder zu waschen. Das vorgelegte Umsetzungsgesetz enttäuscht insgesamt zu sehr, als dass Sie mit unserer Zustimmung rechnen können. Ob die großen Ankündigungen im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung am Ende erfüllt werden, darf bezweifelt werden. Es widerspräche den bisherigen Erfahrungen. Die Umsetzung der europäischen Richtlinie ist aber erforderlich. Auch trägt die Neufassung zu einer etwas besseren Lesbarkeit bei. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass am Ende Verpflichtete, von denen wir etwas wollen und auf deren Mitwirken wir im Kampf gegen Geldwäsche angewiesen sind, dieses Gesetz verstehen und umsetzen müssen. Auch die Angliederung der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen an den Zoll, statt, wie bisher, an das BKA, wird unterschiedlich beurteilt. Klar ist aber: Die entscheidenden Probleme bei der Geldwäschebekämpfung werden durch sie nicht gelöst werden. Wir werden uns daher enthalten. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 23) Heinrich Zertik (CDU/CSU): Unser Alltagsgeschehen wird schon fast in jeder Minute digital bestimmt: Computer, Smartphone, Tablet sind nicht mehr wegzudenken, und ohne sie wäre die Arbeit nicht zu erledigen. Wir kommunizieren digital und erledigen ganz selbstverständlich Bankgeschäfte, Einkäufe und Urlaubsplanung im Netz. Auch die Politik ist auf diesen Zug aufgesprungen: Vor drei Jahren hat das Bundeskabinett die Digitale Agenda 2014–2017 beschlossen. Meine Kolleginnen und Kollegen in der AG Digitale Agenda und wir im Innenausschuss begleiten diesen Prozess und bringen unsere Ideen ein. Datenschutz und Datenmissbrauch werden kritisch diskutiert. Auch die Sicherheit der Daten wird mit den Fachbehörden diskutiert. Das Netz arbeitet sehr schnell, und wir müssen immer wieder nachbessern, um auf dem neuesten Stand zu sein. Die Datenschutzbeauftragte überwacht alle Gesetzesvorhaben, bei denen Bürgerdaten berührt sind. Ihre Anregungen werden aufgegriffen und fließen in die Gesetzesanträge ein. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland können sich darauf verlassen, dass bei allen Gesetzesvorhaben die Sicherheit ihrer Daten oberste Priorität hat. Auch bei unserem Vorhaben zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises war die Datenschutzbeauftragte einbezogen. Ich kann deshalb nicht verstehen, warum Sie in der Opposition die Einführung des elektronischen Identitätsnachweises immer noch boykottieren. In der letzten Anhörung haben die meisten der anwesenden Experten bestätigt, dass der elektronische Ausweis derzeit das sicherste Dokument weltweit ist. Die sogenannte Zwei-Faktor-Authentifizierung trägt dazu bei. Ohne Pin funktioniert der Ausweis nicht. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem alten Verfahren zur persönlichen Identifizierung. Es spart Zeit und Personal. Es ist bürgerfreundlich und entlastet die Behörden. Das elektronische Auslesen der Daten kann auch die Fehlerquote verringern, die beim händischen Ausfüllen von Formularen entstehen konnte, und bietet damit viel mehr Verlässlichkeit. Davon können Bürgerinnen und Bürger profitieren. Auch die Wirtschaft und die Behörden profitieren davon. Sie sollten deshalb jetzt mehr Anwendungen bereitstellen, bei denen der elektronische Nachweis genutzt werden kann. Daraus entsteht eine Win-win-Situation. Für die Wirtschaft sieht der Gesetzentwurf vereinfachte Verfahren vor, um ein sogenanntes Berechtigungszertifikat zu erhalten. Das ist fortschrittlich. Es trägt dazu bei, dass mehr Anwendungen bereitgestellt werden, bei denen die Kunden die elektronische Ausweisfunktion zur Identifizierung nutzen können. Trotzdem können die Kundinnen und Kunden sicher sein, dass ihre Daten geschützt sind. Wer als Anbieter einmal Daten missbräuchlich verwendet hat, erhält kein Berechtigungszertifikat. Die Kontrolle erfolgt sorgsam und bevor die Berechtigung erteilt wird. Auf eine weitere wichtige Neuerung möchte ich hinweisen. Sie ist auch ein kleiner, aber wichtiger Baustein für die Sicherheitsarchitektur in Deutschland: Das ist der automatisierte Lichtbildabruf. Polizei, Bundesnachrichtendienst, Zoll und der Verfassungsschutz dürfen von nun an jederzeit auf die Lichtbilder zugreifen, um ihre Sicherheitsaufgaben zu erfüllen und Gefahren abzuwenden. Das ermöglicht den Sicherheitsbehörden ein rasches Handeln, wenn Gefahr im Verzug ist. Jeder Abruf muss protokolliert werden und kann dadurch nachverfolgt werden. Deshalb ist es auch richtig, dass die elektronische Funktion im Ausweis dauerhaft eingeschaltet sein soll. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden werden darüber informieren. Die Wahlfreiheit haben die Bürgerinnen und Bürger trotzdem. Sie können die elektronische Funktion abschalten. Es bleibt auch jedem Einzelnen überlassen, ob er diese Funktion nutzen möchte. Ich bin davon überzeugt: Wenn das elektronische Verfahren erst einmal bekannt ist und erfolgreich ausprobiert wurde, wird es sich bewähren, und immer mehr Menschen werden es auch nutzen. Auf europäischer Ebene kommen wir nicht darum herum. Deutschland kann ein Vorreiter sein. Österreich hat den elektronischen Nachweis bereits eingeführt. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz, damit Deutschland konkurrenzfähig bleibt und den Anschluss an die digitale Welt nicht verliert. Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): In der vergangenen Zeit war oft zu hören und zu lesen, dass Deutschland Gefahr läuft, das digitale Zeitalter zu verschlafen. Gerne wird in diesem Zusammenhang auch die deutsche Verwaltung genannt und von ihr das Bild einer behäbigen und ineffizienten Bürokratiemaschinerie gezeichnet. Allerdings entspricht diese Zustandsbeschreibung unserer Verwaltung nicht den Tatsachen, und darüber hinaus schmälert sie die hervorragenden Leistungen der Beamtinnen und Beamten sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Schon zum November 2010 wurde in Deutschland der elektronische Identitätsausweis eingeführt. Der elektronische Identitätsausweis ist ein staatlich zertifiziertes und im weltweiten Maßstab äußerst sicheres Identifizierungsinstrument, das es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen soll, sich im Geschäftsverkehr sicher und eindeutig dem Geschäftspartner gegenüber zu identifizieren. Anwendbar ist der elektronische Identitätsnachweis also zwischen Bürgern und Behörden, aber auch zwischen Bürgern und Unternehmen. Bisher erfolgt der Nachweis der Identität zum Großteil vor allem im Geschäftsleben durch die Eingabe der Personendaten und der Onlineübermittlung von Passwörtern. Diese Vorgehensweise ist jedoch sehr anfällig für Angriffe von Kriminellen. Die Kriminalstatistiken zeigen, dass der Passwortdiebstahl und damit verbunden auch der Identitätsdiebstahl – jedenfalls der Daten, die in dem betreffenden Benutzerkonto hinterlegt sind – in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben. Insbesondere im Onlinebanking wird darüber hinaus vielfältig kulant reagiert, und Vorfälle erreichen folglich nicht das Licht der Statistik. Gleichzeitig wickeln die Bürgerinnen und Bürger aber immer mehr ihre Geschäftsbeziehungen online ab. Heutzutage ist es für viele gelebte Realität, selbst den Abschluss von Versicherungen und Käufe von hohem Wert über das Internet vorzunehmen. Geht bei diesen Geschäftsbeziehungen etwas schief, kann dies für die Geschädigten weitreichende Folgen haben. Hier wollen wir auch als Staat in der Lebensrealität der Menschen präsent werden und für mehr Sicherheit in der digitalen Welt sorgen. Auch im Verhältnis Bürger/Staat könnte der elektronische Identitätsnachweis seine Stärken ausspielen. Viele Behördengänge, die oftmals mit Wartezeiten und längeren Fahrtwegen verbunden sind, ließen sich einsparen, wenn die Bürgerinnen und Bürger konsequenter die eID-Funktion ihres Personalausweises nutzen könnten und würden: Die An- oder Abmeldung des Autos, die Beantragung eines Führungszeugnisses, all dies könnte mit der eID-Funktion bequem von zu Hause aus erledigt werden. Mit der Nutzung der eID verhält es sich nämlich streckenweise wie bei der gegenseitigen Schuldzuweisung von Angebot und Nachfrage: Wird die eID nicht genutzt, weil sie von Staat und Wirtschaft nicht als Anknüpfung angeboten wird oder weil zu wenig Bürger sie tatsächlich nutzen könnten? Ich sage bewusst „könnten“, denn um den elektronischen Identitätsnachweis und seine Funktion auch nutzen zu können, muss die Funktion zunächst einmal eingeschaltet sein. Und hier kommen wir zum Kernpunkt dieses Gesetzesvorhabens: Bislang hatten die Bürgerinnen und Bürger bei der Antragstellung für einen Personalausweis die Wahl, ob sie die eID-Funktion einschalten lassen wollen. Diese bewusste Entscheidung für die Einschaltung entsprach dem sogenannten Opt-in-Verfahren. Wir sind der Meinung, dass wir hier eine Vorzeichenumkehr vornehmen sollten, um die Verbreitung der eID-Funktion stärker zu fördern. Fortan wird die eID-Funktion standardmäßig eingeschaltet sein. Die Bürgerinnen und Bürger werden also nicht extra befragt, sondern bekommen ihren Personalausweis mit aktiver eID-Funktion ausgehändigt. Folgende Anmerkungen sind aber dringendst zu beachten: Die zuständige Behörde ist – ich sage bewusst „ist“, weil es auch im Gesetz als solche Regelung ausgestaltet ist – weiterhin gesetzlich verpflichtet, die Bürgerinnen und Bürger über die Nutzung der eID-Funktion und ihrer Möglichkeiten zu informieren, beispielsweise durch mündliche Belehrung, oder durch das Aushändigen einer leicht verständlichen Informationsbroschüre selber zur Information zu befähigen. Die Behörde ist aber ebenso ausdrücklich verpflichtet, die Bürgerinnen und Bürger über die Möglichkeit der Ausschaltung der eID-Funktion zu unterrichten. Denn anders als dies einige eher mäßig recherchierte Artikel und einige eher mäßig informierte Oppositionspolitiker haben verlauten lassen, besteht für die Bürgerinnen und Bürger im Nachgang der Aushändigung jederzeit die Möglichkeit, die eID-Funktion, beispielsweise durch einen einfachen Anruf, sperren zu lassen. Eine „Zwangsbeglückung“ der Bürger durch den Staat soll gerade nicht stattfinden. Dies wäre auch mit einem sozialliberalen Politikverständnis nicht vereinbar. Die Bürgerinnen und Bürger sind weiterhin der Souverän über die eID und deren Inverkehrbringen. Diese klare Opt-out-Möglichkeit haben wir in den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner durchgesetzt. Wir glauben, dass diese neue gesetzliche Regelung einerseits dem Grundgedanken des Vorhabens, der Förderung der eID-Funktion, Rechnung trägt, aber auch der Freiheit des Einzelnen, diese Funktion nicht eingeschaltet zu haben und auch nicht nutzen zu wollen oder gar zu müssen. Mit diesem Artikelgesetz werden aber noch weitere Regelungen getroffen: Die Sicherheitslage in Deutschland und Westeuropa hat sich in den letzten Jahren aufgrund der anhaltenden Gefahr durch Terroristen deutlich verschärft. Dieser neuen Realität müssen wir auch in gesetzgeberischer Hinsicht Rechnung tragen. Die Tätigkeiten der Sicherheitsbehörden unterliegen heutzutage mehr denn je zeitlichen Zwängen. Oftmals werden Informationen zur Gefahrenabwehr binnen weniger Stunden, manchmal gar Minuten benötigt. Mit diesem Gesetz wird daher die Rechtsgrundlage für einen automatisierten Lichtbildabruf für die Polizeibehörden des Bundes und der Länder, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzbehörden der Länder, den Militärischen Abschirmdienst, den Bundesnachrichtendienst, die Steuerfahndungsdienststellen der Länder, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzollämter eingeführt. Schon bislang bestand für die Sicherheitsbehörden die Möglichkeit, bei der zuständigen Behörde einen Lichtbildabruf zu beantragen. In Fällen, in denen die Anfrage außerhalb der behördlichen Öffnungszeiten erfolgte, konnte das Lichtbild automatisch abgerufen werden. Der bisherige Zwischenschritt, der sicherheitsrelevante Verzögerungen verursachen kann, entfällt nun. Als SPD-Bundestagsfraktion hätten wir uns im Zweifel auch eine Beibehaltung der aktuellen Rechtslage vorstellen können; wir erkennen aber mit der nun gefundenen Kompromisslösung das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger sowie die stark veränderte Sicherheitslage an. Ferner haben wir für die Anknüpfung durch die Wirtschaft klare Regeln geschaffen: An sogenannte Diensteanbieter, denen wir die Nutzung dieser staatlichen Schnittstelle ermöglichen, damit die Onlinegeschäfte vom Mobilfunkvertrag bis zur Warenbestellung über eine sichere beglaubigte Identität ablaufen können, stellen wir hohe Anforderungen. Ein Katalog von Voraussetzungen, der in Summe erfüllt sein muss, sieht unter anderem vor, dass sogenannte Berechtigungszertifikate vom Bund ausgestellt werden, die natürlich jederzeit gesperrt und/oder entzogen werden können. Unbeschadet der datenschutzrechtlichen Vorschriften ist ein betrieblicher Datenschutz vom Diensteanbieter nachzuweisen. Darüber hinaus muss die geplante organisationsbezogene Nutzung zur Erlangung des Zertifikates, um an den „ePerso“ anknüpfen zu können, mit einem berechtigten Interesse nachgewiesen werden. So wird die Einzelfallprüfung zur Regel. Damit soll verhindert werden, dass große Konzerne eine einmal erlangte globale Berechtigung zu einem beliebigen weiteren Zweck in Tochtergesellschaften weiterverwenden können. Jedes Geschäftsmodell und jeder Geschäftszweig muss ein entsprechendes für diese Organisationseinheit nachvollziehbares Interesse darlegen. Dies erhöht die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger und ermöglicht es der Berechtigungsstelle, parzellenscharf Berechtigungen zu sperren oder zu entziehen und darüber hinaus auch Ordnungswidrigkeiten entsprechend zu ahnden. Schließlich wird mit dem Gesetz auch ein neuer Passversagungsgrund geschaffen. Er soll Auslandsreisen verhindern, die mit dem Ziel unternommen werden, eine Verstümmelung weiblicher Genitalien vorzunehmen oder zu veranlassen. Neben dem Strafrecht ist dies ein wichtiger Baustein, um den Missbrauch und die Körperverletzung junger Frauen und Kinder zu verhindern. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gehen. Wir fördern ein sicheres staatliches Instrument und erhöhen so den Schutz für unsere Bürgerinnen und Bürger. Denn innere Sicherheit ist nicht nur Polizei und Pistole – auch im Netz muss der Staat seine Bürgerinnen und Bürger schützen. Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf mit Ihrer Stimme zu unterstützen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will die Onlinefunktion des Personalausweises künftig zur Pflicht machen. Die Bürgerinnen und Bürger können dann nicht mehr, wie bisher, bei der Aushändigung des Dokumentes selbst entscheiden, ob die Funktion aktiviert wird oder nicht. Damit verbunden sind zahlreiche Eingriffe in den Datenschutz, auf die ich gleich noch kommen werde. Außerdem will die Bundesregierung den Polizeibehörden und Geheimdiensten künftig erlauben, sämtliche Passfotos aus den Meldebehörden im automatisierten Verfahren abzurufen. Die bisherige Einschränkung, die den Nachweis einer Eilbedürftigkeit verlangt, wird abgeschafft. Die Datenschützer, die bei der Anhörung des Innenausschusses zu diesem Gesetzentwurf befragt worden sind, waren sich einig: Dieses Gesetz bringt gravierende Verschlechterungen für die Bürger mit sich. Ich zitiere hier nur die Bundesdatenschutzbeauftragte, die sagte, es würden „mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach wie vor das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger übergangen und datenschutzsichernde Standards unterlaufen“. Warum will die Bundesregierung die bisherige Wahlfreiheit bei der Aktivierung der Onlinefunktion abschaffen? Ganz einfach: Die Bürger haben von ihrer Freiheit zu ausgiebig Gebrauch gemacht und sich zu zwei Dritteln gegen die Internetfunktion entschieden. Das passt der Bundesregierung nicht, weswegen sie jetzt die Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden, einfach streicht. Das ist doch wirklich ein Rückfall in den Obrigkeitsstaat. Die neue Regelung soll laut Gesetzesbegründung der Wirtschaft ein großes Potenzial neuer Kunden zuführen. Das ist ein eindeutiger Missbrauch der Ausweispflicht zur Technologieförderung und zur Profitsteigerung, der noch dazu auf Kosten der Sicherheit geht. Der eigentliche Grund, weswegen nur eine Minderheit die Onlinefunktion freischalten lässt, ist doch: Die Leute versprechen sich keinen Nutzen davon, und sie vertrauen der Technologie nicht. Aus gutem Grund. Zur sicheren Identifizierung haben Onlinedienste schon längst andere Verfahren entwickelt, inklusive internationaler Nutzungsmöglichkeit, die Mobiltelefone als Instrumente einsetzen. Das verspricht allemal kundenfreundlicher zu sein als eine rein nationale Lösung, die noch dazu per Gesetz erzwungen wird. Trotz zahlreicher Einwände der Datenschützer in der Anhörung hat die Koalition nicht nachgebessert; im Gegenteil, der Datenschutz wurde sogar noch weiter ausgehöhlt. Ich nenne hier nur einige Beispiele: Die Zertifizierung der Diensteanbieter im Internet wird „entbürokratisiert“, behauptet die Koalition. Tatsächlich wird hier aber am Datenschutz gespart. Die Diensteanbieter werden direkt mit der Zertifizierung berechtigt, die persönlichen Daten der Nutzer zu verwenden, und zwar unabhängig davon, ob diese Daten für den jeweils festgelegten Zweck auch tatsächlich erforderlich sind. Um das zu überprüfen, kommt auf die Datenschutzbeauftragten in Bund und Ländern jetzt erhebliche Mehrarbeit zu – für die es aber keine Aufstockung des Personals gibt. Unterm Strich, so hat der Chaos Computer Club gewarnt, „wird letztlich beim präventiven Datenschutz zurückgesteckt“, und zwar im Interesse der Wirtschaft. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass den Bürgern die jetzt noch bestehende Möglichkeit genommen werden soll, gegen die Übermittlung einzelner Daten Widerspruch einzulegen. Wer das System in Zukunft nutzen will, muss immer sämtliche Daten übermitteln, auch wenn das im Einzelfall gar nicht nötig wäre. Zurückgesteckt wird auch bei den Informationen für die Bürger. Wenn sie schon zur Annahme eines aktivierten E-Passes gezwungen werden, dann müsste man ihnen wenigstens ordentliches Informationsmaterial über die Risiken an die Hand geben. Aber das soll nur auf Anfrage geschehen, und es bleibt den Meldeämtern selbst überlassen, dieses Material zu erstellen. Das ist absolut unzureichend. Dass der Bund sich die Mühe macht, ein bundesweit einheitliches Informationsangebot zu erstellen, das ausführlich über die Risiken aufklärt, wäre doch das Mindeste! Ich will abschließend einen Absatz im Gesetzentwurf ansprechen, den ich für eine regelrechte Sauerei halte: die Erweiterung der Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten, denen künftig erlaubt wird, sich ohne jeden Anlass im automatisierten Verfahren die Passbilder aller Bürgerinnen und Bürger bei den Meldebehörden zu besorgen. Bislang müssen sie dafür wenigstens noch eine Dringlichkeit nachweisen, wodurch der größte Missbrauch verhindert werden konnte. Diese Einschränkung soll jetzt wegfallen. Die Geheimdienste können, wenn sie wollen, eine komplette Bilddatei der Bevölkerung anlegen – wie gesagt, ohne jeden Anlass. Mit dem restlichen Anliegen des Gesetzentwurfs hat das überhaupt nichts zu tun – diese Bestimmung ist wie ein Trojanisches Pferd. Ich finde das wirklich ein Horrorszenario für die Bürgerrechte. In der Anhörung hagelte es hierzu Kritik – und jetzt haben wir einen Änderungsantrag der Koalition, der diese Kritik nicht nur ignoriert, sondern alles noch schlimmer macht: Sie bekräftigen nicht nur diesen Datenrechtsverstoß, sondern weiten den Kreis der dazu Berechtigten gleich noch auf Zollkriminalämter und Steuerfahnder aus. Und die neue Regelung soll nicht, wie zunächst geplant, erst 2021, sondern sofort in Kraft treten. Ich fasse zusammen: Dieses Gesetz versucht zum einen, die Bürger zwangsweise zur Nutzung einer unsicheren und überflüssigen Technologie anzustiften, wobei es unter dem Vorwand der Entbürokratisierung beim Datenschutz spart. Zum anderen baut es ohne jede Begründung die Befugnisse der Geheimdienste aus. Es ist selbstverständlich, dass die Linke ein solches Gesetz, das aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine Farce macht, ablehnt. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie so häufig in letzter Zeit, reden wir heute nicht lediglich über ein parlamentarisches Vorhaben, über das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entschieden werden soll. In einem scheinbar harmlosen Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises verstecken Sie einen Angriff auf die Privatsphäre aller Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die uns wieder einen Schritt näher an den Abgrund staatlicher Totalüberwachung bringt. Aber der Reihe nach: E-Government mit Nachdruck zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe. Und eine datenschutzrechtlich solide Ausgestaltung des elektronischen Personalausweises wäre sicherlich eine solche Förderung. Aber: Seit Einführung der eID-Funktion des Personalausweises haben die Bürgerinnen und Bürger diese in freier Entscheidung zu zwei Dritteln der rund 51 Millionen ausgegebenen Ausweise/eAT deaktivieren lassen. Das liegt vornehmlich daran, dass nie wirklich kommuniziert wurde, worin eigentlich der Mehrwert dieses elektronischen Ausweises liegt. Das hatte eine gewisse Schlüssigkeit, weil der Ausweis bisher auch nie wirklich sonderlich viel Vorweisbares konnte und kann. Die Vorstellung jedenfalls, dass der elektronische Personalausweis zum zentralen Online-Identitätstool der Menschen im geschäftlichen Leben sowie im Umgang mit Behörden werden könnte, ist schon deshalb abwegig, weil es schlicht bis heute an den dazugehörigen Angeboten fehlt. In solchen Fällen gilt bei der Großen Koalition dann offenbar folgende Logik: Die Bürgerinnen und Bürger haben kein Interesse? Dann müssen wir sie eben zwingen! Und so wird die sogenannte eID-Funktion zum elektronischen Identitätsnachweis künftig bei jedem Ausweis automatisch und dauerhaft eingeschaltet. Dies mit der Argumentation, dass so die eID-Funktion schneller verbreitet und dadurch ein Anreiz für Behörden und Unternehmen geschaffen werden soll, mehr Anwendungen bereitzustellen. Nach dem Motto: Wenn ich euch zum Essen zwinge, wird der Appetit schon kommen. – So geht es nicht. So weit, so schlecht. Dem Fass den Boden aus schlägt allerdings der zweite Teil Ihres Gesetzentwurfs, in dem Sie offenbar Orwell’schen Fantasien völlig nachgeben. Nach der ersten Lesung dachten wir – lassen Sie mich dies deutlich sagen –, es könne nicht schlimmer kommen: der fast voraussetzungslose Abruf der Pass- und Personalausweisbilder einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers im automatisierten Verfahren durch die Polizeien und nun auch die bundesdeutschen Nachrichtendienste. Dieses ist nichts anderes als der unverhohlene Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddatenbank aller Bundesbürger. Und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie derzeit am Bahnhof Südkreuz in Berlin die intelligente Videoüberwachung mit Gesichtserkennung an öffentlichen Plätzen testen. Aber wir haben uns getäuscht: Wenn wir den „fast“ voraussetzungslosen Abruf im ersten Entwurf kritisierten, so scheint dies nur ein Anreiz für Sie gewesen zu sein, das „fast“ zu einem „völlig“ werden zu lassen. Denn nun wird ein Änderungsantrag zu Ihrem Gesetzentwurf mitverabschiedet, welcher es nicht einmal mehr nötig macht, dass die Behörde, bei der das Lichtbild abgerufen wird, auf andere Weise nicht erreichbar ist. Diese Absenkung der Voraussetzungen gilt nun auch für die Polizeibehörden des Bundes und der Länder, die Steuerfahndungsdienststellen, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzollämter. Und dies nach einer Sachverständigenanhörung im Innenausschuss, welche eindeutig die Gefahren einer solchen gigantomanischen Datenbank dargelegt hat. Was dies bedeutet, muss man sich einmal klarmachen: Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes dürfen alle oben genannten Behörden jederzeit „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ auf die Onlinedatenbanken, in der die Lichtbilder aller Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik gespeichert sind, zugreifen. Dann können die Abrufmöglichkeiten längerfristig aber auch dazu verwendet werden, im Rahmen der intelligenten Videoüberwachung alle Menschen zu identifizieren, die sich in einem Bahnhof, auf einem Flughafen, in einem Einkaufszentrum oder auf einem öffentlichen Platz wie dem Bahnhof Südkreuz in Berlin aufhalten. Begründet wird diese Verschärfung gegenüber dem ohnehin schon bürgerrechtlich dramatischen Entwurf damit, dass man so „den Aufgaben der Personalausweis- oder Passbehörden als auch der Sicherheitsbehörden als auch der derzeitigen Sicherheitslage gerecht wird“. Nicht gerecht wird dieser Entwurf jedoch den Bürgerrechten in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Denn Sicherheit in einem Rechtsstaat heißt nicht nur „Sicherheit durch den Staat“, sondern immer auch „Sicherheit vor dem Staat“. Indem Sie die Sicherheitsbehörden in diesem Land nach dem Prinzip „Alles was kann, soll auch“ mit Rechten ausstatten, kratzen Sie nicht mehr an unserem freiheitlichen Rechtsstaat, sondern Sie hobeln daran. Und das, obwohl verschiedene Skandale uns immer wieder zeigen, dass die notwendige parlamentarische und rechtsstaatliche Kontrolle der Dienste bis heute völlig unzureichend läuft. Ich habe es bereits in der ersten Lesung gesagt, und ich wiederhole es heute hier: Deutlicher kann man Demokratie- und Rechtsstaatsgleichgültigkeit nicht zum Ausdruck bringen. Dieses Gesetz wird Ihnen noch viel Ärger machen. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Für viele Onlineanwendungen ist eine Identifikation notwendig. Das System „Benutzername/Passwort“ ist nicht die Zukunft. Es ist anfällig für Identitätsdiebstahl und schwer zu handhaben. Für sicherheitssensible Anwendungen ist es schon gar nicht geeignet. Die Frage ist, welche Systeme zukünftig für eine sichere Online-Identifikation sorgen werden. Überlassen wir dies privaten Anbietern, insbesondere den Login-Giganten, deren Rechenzentren nicht in Europa stehen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es Aufgabe des Staates ist, eine Infrastruktur für eine sichere Onlinekommunikation anzubieten. Die Bürger verdienen ein hohes Niveau von Datensicherheit und Datenschutz. Mit dem elektronischen Personalausweis bieten wir in Deutschland das weltweit sicherste System hierfür an. Mit der Onlineausweisfunktion steht eine verlässliche Infrastruktur zur gegenseitigen Identifizierung zur Verfügung. Sie wurde in der Vergangenheit nur weniger genutzt als erwartet. Gründe hierfür sind, dass der Ausweis bisher nicht mobil einzusetzen war und die Anwendung zu kompliziert ist. Bisher brauchte man zum Onlineausweisen zwingend ein spezielles Lesegerät. Nur wenige Menschen haben sich einen solchen Kartenleser installiert. Der elektronische Personalausweis blieb so ein Nischenprodukt. Mittlerweile ist es möglich, den Ausweis auch mobil auszulesen. Immer mehr Smartphones und Tablets bieten diese Möglichkeit. Die vorhandenen rechtlichen Hürden werden wir mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises absenken. Bei der Anhörung im Innenausschuss wurde der Entwurf ausführlich erörtert. Es wurde deutlich, dass die Onlineausweisfunktion auch weiterhin ein Höchstmaß an Datensicherheit bietet. Bei der Anhörung der Sachverständigen wurde aber auch deutlich, dass das geltende Personalausweisgesetz der weiteren Verbreitung in manchen Punkten entgegensteht. Einige Vorschriften sind zu kompliziert und das Gegenteil von anwenderfreundlich. Zu den wesentlichen Änderungen gehört, dass der Personalausweis künftig durchgängig mit einer einsatzbereiten Onlinefunktion ausgegeben wird. Die Zahl der potenziellen Nutzer wird so erhöht. Dies macht es für Behörden und Unternehmen attraktiver, Onlinedienste über den elektronischen Personalausweis anzubieten. Es handelt sich um ein Angebot, nicht um einen Zwang. Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden frei darüber, ob sie die Funktion einsetzen möchten. Wir sind überzeugt, dass die Onlineausweisfunktion das Potenzial hat, im europaweiten Wettbewerb der Identifizierungsmittel eine wichtige Rolle zu spielen – im E-Business ebenso wie im E-Government. Der elektronische Personalausweis bietet hoheitlich geprüfte Identitätsdaten und eine vertrauenswürdige Identifizierung auf höchstem Sicherheitsniveau – nicht nur für Behörden und Unternehmen, sondern gerade auch für die Ausweisinhaber selbst. Dies hebt ihn ab von anderen Methoden der Online-Identifizierung. Deshalb werden wir im E-Government auf den elektronischen Personalausweis als feste Grundlage für Bürger- und Unternehmenskonten bauen. Über den Bundesrat hatten die Länder einige Verbesserungsvorschläge eingebracht. Dies betraf beispielsweise die Regelung zum automatisierten Abruf von Lichtbildern aus den Pass- und Personalausweisregistern – eine Maßnahme, die der öffentlichen Sicherheit dient und mit der Onlineausweisfunktion nichts zu tun hat. Der Vorschlag des Bundesrates hierzu erschien uns sinnvoll, weil er eine Reihe von Präzisierungen mit sich bringt. Wir haben ihn deshalb weitestgehend übernommen. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetz. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses: – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit durch weniger Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Michael Frieser (CDU/CSU): Worum geht es der CDU/CSU, wenn wir heute die Überarbeitung des Waffenrechts beraten? Die Union will die Sicherheit im Umgang mit Waffen erhöhen und die Gefahr eines Missbrauchs verringern. Was wir nicht wollen, ist, Bürgerinnen und Bürger, in diesem Fall Sportschützen und Jäger, ohne Gewinn für die Sicherheit zu drangsalieren. An die Adresse der Grünen: Auch wenn schon Wahlkampf ist – die Bürgerinnen und Bürger erwarten nicht von uns, dass wir hier über Bedarf dramatisieren, ideologischen Zerrbildern hinterherlaufen und uns in „Verbieteritis“ ergehen. Sie erwarten auf aktuelle Probleme angemessene Lösungen. Das Problem – ich nehme das mal vorweg – sind nicht Sportschützen und Jäger, die nach Prüfungen und unter Auflagen legale Waffen legal bei sich zu Hause im Waffenschrank aufbewahren. Das Problem sind die illegalen Waffen, die in Deutschland kursieren. Wer diesen Unterschied nachvollziehen kann, erkennt auch, dass die Union die echten Probleme angeht und die Grünen schon wieder über das Ziel hinausschießen. Es ist ganz wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass für den Kauf, Besitz und Umgang mit Waffen und Munition in Deutschland strenge gesetzliche Regeln gelten. Wir haben bereits jetzt eines der schärfsten Waffenrechte in der EU! Dieses Waffenrecht hat sich insgesamt bewährt. Eine systematische Verschärfung des Waffenrechts ist deshalb nicht notwendig. Es besteht aber ein Anpassungsbedarf durch internationale Vorgaben und Vereinbarungen des Koalitionsvertrages. Auch Anregungen von Praktikern aus den Waffenbehörden der Länder werden in dem vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen und umgesetzt. Ein vieldiskutierter Aspekt des ursprünglichen Gesetzentwurfs ist die Weiternutzbarkeit von Waffenschränken. Ein Waffenschrank gilt bislang gemäß § 36 Absatz 2 WaffG als sicher, wenn er die technische Norm VDMA 24992 erfüllt. Der Maschinenbauverband VDMA hat diese technische Kategorie zurückgezogen. Deshalb muss das Gesetz jetzt angepasst werden. Nun haben zahlreiche Bürgerinnen und Bürger befürchtet, dass sie ihre teuer eingekauften Waffenschränke der gestrichenen VDMA-Kategorie ab jetzt nicht weiternutzen dürfen und sich sofort um die Finanzierung eines neuen kümmern müssen. CDU und CSU nehmen diese Bürgersorgen ernst. Wir wollen das Vertrauen der Sportschützen und Jäger in die bisher geltende Rechtslage schützen. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass das neue Gesetz einen umfassenden und zeitlich unbeschränkten Bestandsschutz für Waffenschränke der Kategorie VDMA 24992 mit den Sicherheitsstufen A und B enthält. Dies bedeutet: Jäger und Sportschützen können ihren Waffenschrank auch in Zukunft nutzen, sofern er den heute geltenden Vorschriften entspricht. Wir setzen nicht nur diese Besitzstandsregelung durch. Wir dehnen sie auch auf Fälle der gemeinschaftlichen Nutzung aus. Personen, die in häuslicher Gemeinschaft leben, werden Sicherheitsbehältnisse der Kategorie VDMA 24992 auch dann mitnutzen dürfen, wenn sie ihre waffenrechtlichen Erlaubnisse erst nach Inkrafttreten des Gesetzes erwerben. Die Besitzstandsregelung kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die häusliche Gemeinschaft erst nach Inkrafttreten des Gesetzes begründet wird. Zudem soll die Möglichkeit bestehen, die Behältnisse diesen Mitnutzern zu vererben. Für alle in Zukunft neu angeschafften Waffenschränke wird das Sicherheitsniveau angehoben und an aktuelle technische Standards angepasst. Auch das Thema Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften von Munition treibt viele um. Der Gesetzentwurf sah zunächst vor, dass schon ein fahrlässiger Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften für Munition zu bestrafen ist. Das geht unserer Meinung nach zu weit. Wir wollen keine vorschnelle Kriminalisierung der Legalwaffenbesitzer. Deshalb werden wir den ursprünglichen Gesetzentwurf, auch auf Anregung vieler Schützen und Jäger, korrigieren. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind die illegalen Waffen, die in unserem Land zirkulieren. Um eine Motivation zu schaffen, diese abzugeben, wird es eine auf ein Jahr befristete Strafverzichtsregelung für den unerlaubten Besitz von Waffen und Munition geben, wenn diese einer zuständigen Behörde oder Polizeidienststelle überlassen werden. Oftmals finden Erben bei Wohnungsauflösungen alte und ungenutzte Waffen und sind dann mit der Entsorgung derselben konfrontiert. Für diese Zielgruppe ist die geplante Amnestie eine gute Lösung. Nach dem Amoklauf an einer Realschule im baden-württembergischen Winnenden im Jahr 2009 gab es ebenfalls eine Amnestie. Polizei und Landesbehörden erhielten deutschlandweit circa 200 000 Waffen, die unschädlich gemacht werden konnten. Ich sagte es eingangs: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten – zu Recht –, dass der Gesetzgeber angemessene Lösungen für aktuelle Probleme erarbeitet. Sie erwarten ein Höchstmaß an Sicherheit, und sie erwarten die Wahrung ihrer Freiheitsrechte. Mit dem Gesetzentwurf zum Waffengesetz liefert die Bundessregierung genau das. Und deshalb sollten wir den Gesetzentwurf heute verabschieden. Oswin Veith (CDU/CSU): Zu später Stunde beraten wir heute abschließend über die Änderungen am Waffengesetz. In den letzten Wochen gab es im Hinblick auf diese Gesetzesänderung sehr viel Gesprächsbedarf. Die große Befürchtung der legalen Waffenbesitzer ist nach wie vor eine einschneidende Verschärfung des nationalen Waffengesetzes. Wie auch schon in meiner letzten Rede zu diesem Gesetzentwurf sage ich: Keine weiteren Verbote, keine weiteren Einschränkungen oder verschärfenden Pflichten für gesetzestreue, legale Waffenbesitzer. Dennoch: Die öffentliche Akzeptanz des privaten Waffenbesitzes steht und fällt mit einem sicheren Waffenrecht. Ein sicheres Waffengesetz bedeutet, dass den Interessen der legalen Waffenbesitzer und den Sicherheitsinteressen der Bevölkerung Rechnung getragen wird. Ein sicheres Waffenrecht heißt aber nicht, dass wir legalen Waffenbesitzern das Leben unnötig schwer machen, indem wir überstrenge gesetzliche Auflagen vorgeben. Der Umgang mit Waffen birgt ein gewisses Gefahrenrisiko; das liegt auf der Hand. Aus diesem Grund haben wir in Deutschland ein sehr strenges Gesetz geschaffen, um diese Gefahren zu minimieren und ein Höchstmaß an Sicherheit für unsere Bürger zu garantieren. Das unterstütze ich. Wollen wir ein höchstmögliches Sicherheitsniveau, führt das aber auch dazu, dass wir unser Waffengesetz auf Aktualität überprüfen und Änderungen vornehmen müssen, wenn sie der Sicherheit dienen. Mit diesem Gesetzentwurf bringen wir unser Waffengesetz auf den neuesten Stand. Was wollen wir ändern, und was haben wir erreicht? Nun, wir wollen in erster Linie die Vorgaben für Waffenschränke an den aktuellen Sicherheitsstandard anpassen. Das bedeutet, dass auch neue Technologien, die einen entsprechend hohen Sicherheitsstandard zur Aufbewahrung von Waffen bieten, künftig eingesetzt werden können. Weiterhin erhöhen wir den Sicherheitsstandard, indem wir eine nicht mehr existente DIN-Norm aus dem Gesetz streichen. Bislang konnten Waffenschränke weiterhin entsprechend dieser DIN-Norm hergestellt werden. Mit der Konsequenz, dass lediglich der Hersteller garantiert hat, dass der Waffenschrank nach dieser DIN-Norm gefertigt wurde – eine nicht ganz unerhebliche Sicherheitslücke. An einer gesetzlichen Änderung der Aufbewahrungsvorschriften für Waffen und Munition führte somit kein Weg vorbei. An diesem Punkt gab es im Vorfeld verständlicherweise heftige Diskussionen, ist die Konsequenz doch, dass veraltete Waffenschränke nicht mehr als sicher gelten und entsorgt werden müssten. Um hier eine komfortable Lösung zu finden, haben wir über einen Bestandsschutz für jene Waffenschränke, die bislang als sicher galten, diskutiert. Ich bin froh, dass die Union diesen Bestandsschutz für Waffenbesitzer, die ihre Waffen nach den derzeit geltenden waffengesetzlichen Regelungen in Waffenschränken lagern, im Gesetzentwurf verankern konnte. Nur für Neuanschaffungen sollen aktualisierte technische Vorgaben verpflichtend sein. Im parlamentarischen Verfahren konnte die Union zudem die Bestandsschutzregeln auf die Fälle erweitern, bei denen die Waffenschränke gemeinschaftlich genutzt werden. Natürlich wollen auch wir nicht, dass in 100 Jahren verrostete und veraltete Waffenschränke weiterhin in Gebrauch sind. Daher haben wir die Vererbung auf einen Erbfall begrenzt. Aus meiner Sicht ein gangbarer und zufriedenstellender Weg. Wir wollen aber nicht nur für sichere Waffenschränke Sorge tragen. Wir wollen auch, dass Waffen nicht in die falschen Hände geraten. In der letzten Zeit wurde vermehrt über gefährliche Reichsbürger berichtet, die in Besitz von Waffen sind. Der hessische Verfassungsschutz gibt eine Zahl von 400 gefährlichen Reichsbürgern an. Ob diese Gefährlichkeit auch die Zuverlässigkeit beim Führen einer Waffe beeinträchtigen kann, dass können nur die Sicherheitsbehörden einschätzen. Mit der Gesetzesänderung werden nun auch alle Waffenanträge im Nationalen Waffenregister erfasst. Darauf haben auch die Sicherheitsbehörden Zugriff und können gegebenenfalls auf mögliche (rechts-)extreme und gefährliche Neigungen des Antragstellers hinweisen. Eine Regelabfrage aller Waffenbesitzer, die von einigen Landesinnenministerien gefordert wird und zur Konsequenz hätte, dass alle Waffenbesitzer unter einen Generalverdacht gestellt werden, wird es mit der CDU nicht geben. Wie Sie sehen, nehmen wir keine drastischen Änderungen am Waffengesetz vor. Vielmehr wird es zukunftsfähig und sicherer ausgestaltet. Das kommt auch unseren Jägern, Sportschützen und Sammlern zugute. Die Befürchtungen von legalen Waffenbesitzern hinsichtlich noch strengerer Regelungen nehmen wir sehr ernst. Ganz klar ist, dass wir nichts verschärfen wollen, was schon scharf genug ist. Und das deutsche Waffengesetz gehört zu den strengsten Waffengesetzen der Welt. Wir wollen keine weiteren Verschärfungen, wir wollen ein sicheres Waffengesetz. Dies ist mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf gelungen. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung. Gabriele Fograscher (SPD): Alle bisherigen Änderungen im Waffenrecht, die wir vorgenommen haben, haben wir mit Augenmaß gemacht. Und wir haben nur Änderungen beschlossen, die einen echten Sicherheitsgewinn mit sich bringen. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart: „Wir werden das Waffenrecht im Hinblick auf die technische Entwicklung und auf seine Praktikabilität hin anpassen. Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hat dabei oberste Priorität. Wir streben eine erneute befristete Amnestie an. Zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit werden wir darüber hinaus gemeinsam mit den Ländern schrittweise das nationale Waffenregister weiterentwickeln.“ Dieser Vereinbarung kommen wir nun nach: Wir passen die Aufbewahrungsstandards an die neuen technischen Entwicklungen an. Dieser Punkt wird kritisch gesehen. Ich habe zahlreiche E-Mails erhalten, in denen es heißt, dass diese neuen Sicherheitsbehältnisse zu statischen Problemen in Wohnungen, vor allem in Altbauten, führen würden. Dazu heißt es in einem Vermerk aus dem Bundesinnenministerium, dass dieser Kritik nicht pauschal zugestimmt werden könne. Schließlich seien Holzmöbel mit Büchern oder Geschirr, große Aquarien oder Wasserbetten vom Gewicht her vergleichbar mit den neuen Sicherheitsbehältnissen. Mit dieser Änderung ist eine Besitzstandsregelung verbunden. Diese haben wir – im Gegensatz zum Gesetzentwurf – noch durch einen Änderungsantrag ausgeweitet. Von der Besitzstandsregelung werden auch in häuslicher Gemeinschaft lebende Waffenbesitzer umfassend profitieren. Häusliche Gemeinschaft umfasst das gemeinsame Bewohnen einer Wohnung oder eines Hauses durch nahe Familienangehörige. Dazu zählen auch Studenten, Wochenendheimfahrer oder nahe Angehörige, die regelmäßig kommen und jederzeit Zutritt haben. Auch im Falle des Todes des bisherigen Besitzers kann der Mitnutzer als Erbe das alte Sicherheitsbehältnis weiternutzen. Um aber das Ziel, langfristig die alten Sicherheitsbehältnisse zu ersetzen, zu erreichen, kann in einem solchen Erbfalle keine neue gemeinschaftliche Aufbewahrung mehr begründet werden. Der Gesetzentwurf vereinfacht das komplizierte Waffengesetz, in dem Verweise, technische Normen etc. künftig auf der Ebene der Rechtsverordnung geregelt sind. Somit wird die Zahl unwillentlich begangener strafbewehrter Rechtsverstöße minimiert. Wichtig für uns ist die Erneuerung der Amnestieregelung. Wir führen wieder eine befristete Strafverzichtsregelung ein, um die Zahl illegaler Waffen zu verringern. Für den Zeitraum von einem Jahr können unerlaubt besessene Waffen oder Munition straflos bei den zuständigen Stellen abgegeben werden. Eine Überlassung der Gegenstände an Berechtigte ist nicht möglich. Wir setzen die EU-Deaktivierungsdurchführungsverordnung um. Damit werden neue Standards für die Unbrauchbarmachung von Schusswaffen sowie die Einzelprüfung jeder deaktivierten Schusswaffe in nationales Recht umgesetzt. In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes hatte ich angekündigt, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion dringend eine Regelung fordern, dass Waffen nicht legal in die Hände von Extremisten gelangen. Mit unserem Änderungsantrag setzen wir dieses wichtige Ziel um. Es kann nicht sein, dass Menschen, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, sie gar abschaffen wollen, legal Schusswaffen besitzen oder erwerben können. Künftig wird es so sein, dass die Waffenbehörden bereits die Anträge auf waffenrechtliche Erlaubnisse und entsprechende Versagungen im Nationalen Waffenregister speichern. Damit erhalten die abfrageberechtigten Stellen wie Polizei und Nachrichtendienste bereits frühzeitig Informationen, wer eine Waffe beantragt. Doppelbeantragungen werden sofort erkannt. Diese Daten im Nationalen Waffenregister werden regelmäßig automatisiert mit dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS abgeglichen. Eine entsprechende Rechtsgrundlage ist bereits im Nationalen Waffenregister enthalten. So erhalten die Dienste die Information, ob eine bei ihnen gespeicherte Person eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt hat. Diese Information wird dann, so keine Informationssperre vorliegt, an die zuständige Waffenbehörde weitergeleitet. Diese kann dann die Erlaubnis verweigern oder entziehen. Der Abgleich zwischen Nationalem Waffenregister und NADIS wird circa alle vier Wochen stattfinden. Dies ist in der Praxis effektiver als die Abfrage durch die örtlichen Waffenbehörden, die vielfach unter Personalmangel leiden. Ein weiterer Vorteil dieser Regelung: Wird eine Person aufgrund zum Beispiel extremistischer Bestrebungen in NADIS registriert, kann durch den automatischen Abgleich mit dem Nationalen Waffenregister festgestellt werden, ob diese legal eine Waffe besitzt. Ist das der Fall, kann die Erlaubnis entzogen werden. Bei dem anderen Verfahren wäre dies nicht möglich. Jetzt geht es darum, die technische Umsetzung für den Datenabgleich möglichst zügig zu schaffen. Dazu hat Staatssekretär Krings auf meine Anfrage in einer Mail vom 9. Mai 2017 erklärt: „Das Bundesministerium des Innern geht davon aus, dass die technische Umsetzung des Abgleichs von in NADIS gespeicherten Extremisten mit im NWR gespeicherten Erlaubnisinhabern binnen weniger Monate erfolgen kann. Die Speicherung von Anträgen im NWR, die ein Einschreiten der Verfassungsschutzbehörden bereits im Vorfeld einer Erlaubniserteilung gewährleisten soll, kann bis zum 1. Januar 2019 erfolgen. Die technische Umsetzung einer Regelanfrage würde einen vergleichbaren Zeitraum beanspruchen.“ Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wir nehmen Sie hier beim Wort und erwarten, dass Sie Ihre Zusage einhalten. Abschließend behandelt wird heute auch der Antrag der Grünen mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“. Dazu habe ich mich bereits in meiner Rede am 10. März dieses Jahres ausführlich geäußert. Das können Sie gerne im Protokoll nachlesen. Ihre Forderungen haben nur Alibicharakter. Ich bleibe dabei: Nicht die Legalwaffenbesitzer sind das Problem. Die übergroße Mehrheit von ihnen ist gesetzestreu und hält sich an die Vorschriften des Waffengesetzes. Anstatt weitere Verschärfungen zu fordern, sollten Sie von den Grünen Ihre Energie lieber darauf verwenden, mit uns Maßnahmen zu entwickeln, damit Kriminelle und Extremisten effizienter am Zugang und an der Nutzung von Waffen und Sprengstoffen gehindert werden. Martina Renner (DIE LINKE): Die Möglichkeiten des Besitzes und Umgangs mit privaten Waffen stehen im Spannungsfeld der Abwägung zwischen persönlichen Interessen von Schützen, Jägern und Sammlern und dem Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger. Der Gesetzgeber agiert in der Frage Restriktion und Kontrolle des privaten Waffenbesitzes weder unter Generalverdacht noch in Unkenntnis der Tatsache, dass der weitaus größere Teil bei Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Waffen verübt wird. Zuschriften mit Bedenken gegen die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie nehmen wir zur Kenntnis. Allerdings sei noch einmal klar gesagt: Wir kennen die Statistiken und wissen um die Tatsache, dass die überwiegende Zahl von Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Pistolen und Gewehren stattfindet. Aber wer uns schreibt, alle Inhaber von Waffenbesitzkarten und scheinen in diesem Land seien gesetzestreue Bürger und es drohe eine Enteignung von Waffenbesitzern und Ähnliches, der sucht nicht wirklich eine sachliche Debatte und verschließt die Augen vor den Gefahren, die mit jeder Form des Waffenbesitzes verbunden sind und minimiert werden müssen. Zu den Fakten: Nur 25 Prozent der bei Straftaten außerhalb des Waffenrechts verwendeten und dann sichergestellten Schusswaffen waren im Jahr 2015 illegale Waffen. In den übrigen Fällen, also bei 75 Prozent, wurden überwiegend erlaubnisfreie und auch legale Waffen eingesetzt und sichergestellt. Diese Zahlen belegen eben, dass auch der legale Waffen- und Munitionsbesitz eine reale Gefahrenquelle ist mit hohem Potenzial, Menschen zu verletzen oder auch zu töten. Die Schützen- und Jägerlobby sollte sich intensiver mit den Zahlen und Vorgängen befassen, auch um jeden Verdacht zu vermeiden, man bagatellisiere oder ignoriere entsprechende Fälle. Dazu nur zwei Beispiele: Ein Schießsportverein in München wird von der Polizei durchsucht, da der Verdacht besteht, er agiere als bewaffneter Arm der rassistischen rechten Pegida-Bewegung in München. Ein Verbot des Vereins wird derzeit durch die Behörden geprüft. In einem anderen Falle sind unter anderem Verantwortliche eines Schützenvereins in Niedersachsen angeklagt, weil 53 waffenrechtliche Genehmigungen unter Mithilfe von Vorstandsmitgliedern erschwindelt worden sein sollen. Kurz gesagt wurde so unrechtmäßiger und illegaler Waffenbesitz und erwerb ermöglicht. Das Zusammenspiel von Hetze gegen Minderheiten und Straftaten auch unter Waffeneinsatz verdeutlicht sich in der Gewalt gegen Geflohene und deren Unterbringung. Die Zahl dieser Angriffe hat sich im Jahr 2016 gegenüber dem Jahr 2015 mehr als verdoppelt. Stieg die Zahl rechter Straftaten unter Einsatz von Schusswaffen von 143 Fällen im Jahr 2010 auf 536 im Jahr 2014, wurden im Jahr 2015 schon 1 253 rechte Straftaten mit Waffenbezug festgestellt. Gemeint sind natürlich nicht nur Waffen im Sinne des Waffengesetzes. Das macht die Gefahr oder das Problem jedoch nicht kleiner. Man muss bei einer Gefährdungsanalyse in diesem Deliktfeld auch in Rechnung stellen, dass allein 750 Neonazis und „rund“ 700 sogenannte Reichsbürger über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen. Die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie ist angesichts dieser Zahlen keine bloße Förmelei. Weitere Fakten: Das Bundeskriminalamt hat schon 2015 festgestellt, dass der illegale Umbau und Handel sogenannter Dekorations- und Salutwaffen massiv zunimmt und einen nicht unerheblichen Teil der Waffenkriminalität ausmacht. Eine solche reaktivierte Salutwaffe hatte der rassistische Hitlerverehrer in München benutzt, um insgesamt neun Menschen überwiegend mit Migrationshintergrund zu töten. Inzwischen wurde auch der Verkäufer dieser Waffe zur Verantwortung gezogen. Er hatte an Menschen zwischen 17 und 60 Jahren ähnliche Waffen verkauft. Noch immer sind solche Dekowaffen – die teils mit nur wenigen Handgriffen, auch unter Anleitung aus dem Internet, wieder schussfähig und damit zur tödlichen Gefahr werden – frei verfügbar. Selbst die verschiedenen Verbände von Schützen und Jägern fordern, dass hier höchste Standards europaweit gelten müssen, damit solche Waffen dauerhaft unbrauchbar sind. Es fehlen aber – und das vermutlich noch viel zu lange – europäische Standards zu Genehmigung, Handel, Kennzeichnung und Deaktivierung von Schusswaffen. Die Tatwaffen der Massaker von Winnenden, Erfurt und Utoya/Schweden – halbautomatische Pistolen – sind bis heute für deutsche Schützen legal verfügbar. Gerade Sportschützen, aber auch Jäger nutzen solche Waffen gerne. Solche Waffen können dazu verwendet werden, in kurzer Zeit gezielt eine Vielzahl von Menschen zu verletzen oder zu töten. Dies gilt nicht nur dann, wenn es sich um ehemalige automatische Waffen handelt, die wieder in solche zurückgebaut werden können. Auch solche Selbstlader, die mit einem größeren Magazin bestückt werden können, stellen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dar und wurden in der Vergangenheit schon für schreckliche Taten missbraucht. Hier ist die Bundesregierung gefordert, Besitz und Nutzung solcher halbautomatischer Waffen endlich zu verbieten, mindestens aber drastisch einzuschränken. Die Behauptung, dass Waffenbesitzer durch die Umsetzung der EU-Richtlinie enteignet würden, ist unhaltbar und falsch. Es sind großzügige und langfristige Übergangsfristen und Vererbungsmöglichkeiten aufgenommen worden. Tatsächlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass solche Systeme, wie sie für die Aufbewahrung für Schusswaffen und Munition verwendet werden, auf dem neuesten technischen Stand sein müssen. Nur auf diese Weise ist gesichert, dass von Besitz und Aufbewahrung potenziell tödlicher Waffen eine möglichst geringe Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger ausgeht. Tragfähige Argumente haben die Kritiker hiergegen nicht liefern können. Entgegen dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen darf ich für unsere Fraktion festhalten, dass der Verfassungsschutz kein Partner in der Zuverlässigkeitsprüfung für waffenrechtliche Erlaubnisse sein kann. Bekanntermaßen wurde V-Leuten der Neonaziszene zugeraten, sich solche Erlaubnisse erst zu beschaffen oder – wie im Falle des Thüringers Tino Brandt – schießen üben zu gehen. So wurden Gefahren von Amtswegen erst geschaffen und verstärkt. Schon deshalb dürfen die Informationen des Verfassungsschutzes hier nicht maßgeblich sein. Auch im Interesse der Rechtswegegarantie müssen Bürgerinnen und Bürger schließlich die Möglichkeit haben, eine vollständige gerichtliche Überprüfung einer Verweigerung oder des Entzugs der waffenrechtlichen Erlaubnis einleiten zu können. Bei Involvierung der Geheimdienste in die Beurteilung ist dies aber von vornherein verunmöglicht. Es bleibt dabei und ist auch nicht zu leugnen: Von Waffen geht grundsätzlich eine potenziell tödliche Gefahr aus. Noch größer ist die Gefahr, wenn Menschen meinen, dass sie sich selbst bewaffnen müssten, oder andere dazu anstacheln – ob Rechtsextremist, Reichsbürger oder als Bürgerwehr. Und diese Gefahr hat gar nichts damit zu tun, ob es legale oder illegale Waffen sind. Wenn wir der Gefahr wirklich Einhalt gebieten wollen, dann kommen wir um wirksame Beschränkungen im Waffenrecht und eine effektive Kontrolle nicht herum. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Bei ‚Gefährlicher und schwerer Körperverletzung‘ nahm die Zahl der Fälle, in denen geschossen wurde, gegenüber dem Vorjahr um 25,4 Prozent auf 805 Fälle zu.“ So heißt es wörtlich im „Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2016“. Die Waffengewalt gegen Geflüchtete, Unterkünfte und Helfer hat sich im Vergleich zum Vorjahr sogar verdoppelt. Auch die Zahl bekannter Rechtsextremisten, die eine Waffenerlaubnis besitzen, hat sich seit 2014 nahezu verdoppelt. Wenn das alles für Sie nicht besorgniserregend ist, für mich ist es das schon. Ich bin darüber besorgt, dass es für Straftäter weiterhin viel zu leicht ist, an eine Schusswaffe zu gelangen. Die Bundesregierung scheint diese Sorge jedoch nicht zu teilen; insbesondere scheint die Bundesregierung nicht wegen der vielen Schusswaffen besorgt zu sein, die Jahr für Jahr in Deutschland abhandenkommen oder gestohlen werden. Die Dunkelziffer ist kaum zu schätzen. Mit Stand vom 30. September 2016 waren allein 15 260 Schusswaffen im nationalen Waffenregister als abhandengekommen gemeldet. Inzwischen dürften es mindestens einige Hundert mehr sein. Ein Trend, an dem auch die jetzt geänderten Aufbewahrungsvorschriften nichts ändern werden, ebenso wenig wie an der aktuellen Aufbewahrungssituation: Waffenschränke, die keinen hinreichenden Schutz gegen Aufhebeln oder Aufbrechen bieten, weil sie noch einem Standard entsprechen, der schon seit 14 Jahren nicht mehr gilt, können nach Ihrem Gesetzentwurf sogar noch an die Enkelgeneration weitervererbt werden. Einzige Voraussetzung: Der Enkel stellt in 30 Jahren oder später – nur eben vor dem Tod des Großvaters – eine eigene Waffe in Großvaters Waffenschrank und erhält einen Wohnungsschlüssel. Wie das später kontrolliert werden soll, bleibt offen. Das gewählte Regelungskonzept erscheint mindestens fragwürdig. Ein regelungstechnischer Sonderfall ist es in jedem Fall. Schon dass es eine spezifisch waffenrechtliche Definition des Begriffs der häuslichen Gemeinschaft gibt, sagt viel über das deutsche Waffenrecht aus, bei dem „kompliziert“ oft mit „streng“ verwechselt wird, selbst wenn erhebliche Regelungslücken bereits offen zutage treten. Denken Sie nur an die bekannt gewordenen Fälle, in denen Schützenvereine eine wichtige Rolle bei der Bewaffnung eigentlich ausgeschlossener Personen gespielt haben: Da ist zum einen der jüngste Fall der Schießsportgruppe München e. V.: Ein eingetragener Verein, von dem nun befürchtet wird, dass schon die Vereinsgründung nicht sportlich motiviert war, sondern als Instrument zur legalen Bewaffnung einer ganzen Bewegung gesehen wurde. Nicht zuletzt die tödlichen Schüsse auf einen Polizisten bei Nürnberg im letzten Jahr und die umfangreiche Waffensammlung des Mannes, dessen Ansichten und Bestrebungen der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen waren, machen die Brisanz einer solchen legalen Möglichkeit der Bewaffnung mit scharfen Schusswaffen deutlich. Kaum weniger besorgniserregend ist die Praxis eines Schützenvereins in Hameln, dessen Funktionäre zahlungswilligen Kunden auch dann zu einer Schusswaffe verhalfen, wenn diese beispielsweise aufgrund einer Vorstrafe keine auf legalem Weg erhalten konnten, es eiliger hatten, als es die Gesetze zulassen, oder aus sonstigen Gründen lieber keinen eigenen Antrag bei der Waffenbehörde stellen wollten. Hier offenbart sich ein Konstruktionsfehler des deutschen Waffenrechts, der eine grundlegende Reform notwendig erscheinen lässt. Gleichzeitig gibt es eine Reihe weiterer Regelungen des geltenden Waffenrechts, die die Belange der öffentlichen Sicherheit nicht hinreichend berücksichtigen. Den daraus resultierenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf haben wir in unserem Antrag „Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“ ausführlich dargelegt, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht. Auch möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal an die Anhörung dazu im Innenausschuss erinnern, bei der viele Experten wichtige Hinweise gegeben haben, die jedoch leider keine Resonanz im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung gefunden haben. Ich bin davon überzeugt, dass diese Untätigkeit Menschenleben kostet! Mir ist das jedenfalls unbegreiflich: Sicherheitsgesetze scheinen bei der Großen Koalition Konjunktur wie nie zu haben – nur beim Waffenrecht halten sie den Ball lieber flach. Dabei wäre das die Art echter sachlicher Sicherheitspolitik, die tatsächlich einen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten kann. Polizisten im Streifendienst werden es Ihnen bestätigen: Weniger Waffen im Umlauf sind ein direkter Beitrag zu mehr Sicherheit. Mehr Sicherheit brächte auch eine Beschränkung der Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen. Die Liste schwerer Straftaten, die in der jüngsten Vergangenheit mit Acetonperoxid, auch bekannt als APEX oder TATP, begangen wurden, ist lang. Die nationalen Tatorte der letzten Jahre lagen unter anderem im Sauerland, in Frankfurt/Oberursel, in Bottrop, Ansbach, Leipzig und Chemnitz. Oder denken Sie auch an die Anschläge in Paris und Brüssel. All diese Täter haben sich für TATP entschieden und die erheblichen Risiken bei dessen Herstellung in Kauf genommen, da sie die notwenigen Ausgangsstoffe relativ leicht beschaffen konnten. Ein sicherheitsrelevanter Umstand, dem viel zu lange zu geringe Aufmerksamkeit zuteilwurde. Inzwischen liegt eine Neufassung der Chemikalien-Verbotsverordnung vor. Doch am Grundproblem ändert sich dadurch wenig, denn ohne entsprechend konkrete Kriterien zur Identifizierung verdächtiger Transaktionen hängt weiterhin zu viel von der Aufmerksamkeit des Verkaufspersonals beispielsweise im Baumarkt ab. Eine sachlich begründete Sicherheitspolitik, die den Rat der Sachverständigen und Experten ernst nimmt und die Praxis im Blick hat, sieht anders aus. Und – damit bin ich wieder beim Waffengesetz – ein Gesetz, dass auf so zentrale Weise Auswirkungen auf die innere Sicherheit hat, sollte so geschrieben sein, dass seine Anwendung möglichst einfach und rechtssicher ist. Das Bestreben, dies zu erreichen, vermag ich weder beim vorliegenden Gesetzentwurf noch beim Änderungsantrag zu erkennen, weshalb wir diesem Gesetz trotz einiger Verbesserungen im Detail insgesamt nicht zustimmen können. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Karsten Möring (CDU/CSU): Die sogenannte Minamata-Konvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013, die wir heute diskutieren, fordert den Ausstieg aus der Quecksilberwirtschaft bis zum Jahr 2020. Minamata ist der Name einer Stadt in Japan, in der eine Quecksilberkatastrophe Mitte letzten Jahrhunderts viele Opfer forderte: Der Chemiekonzern Chisso leitete seinerzeit jahrelang quecksilberhaltiges Abwasser in die vorgelagerte Bucht der Stadt – und vergiftete damit unzählige Menschen. Viele litten unter Lähmungen, Nerven- und Organschäden, Kinder kamen mit Missbildungen zur Welt. Mit der Namensgebung soll an die Opfer erinnert und zugleich vor den Folgen der Quecksilberemissionen und des verantwortungslosen Umgangs mit dem Schwermetall gewarnt werden. Es gibt nur einen Weg, solche Unfälle sicher zu vermeiden: den konsequenten Ausstieg aus der Quecksilberproduktion. Da unsere Wirtschaft heute global vernetzt ist, müssen dabei alle Staaten an einem Strang ziehen. Dieses Kunststück ist beim Insektenvernichtungsmittel DDT und oder den Treibhausgasen FCKW bereits gelungen. Jetzt soll auch Quecksilber weltweit aus Produkten verschwinden – das ist eines der wichtigsten Ziele der internationalen Minamata-Konvention. Ein Meilenstein für die Umwelt: Deutschland hat sich daher seit Verhandlungsbeginn stark für die Konvention eingesetzt. Quecksilber ist ein hochgiftiges Schwermetall, das in hoher Dosierung tödlich ist. Am höchsten ist das Gesundheitsrisiko, wenn Quecksilberdämpfe eingeatmet werden oder Quecksilber in Kontakt mit der Haut gerät. In der Umwelt breitet sich Quecksilber oftmals weiträumig über Wasser und Luft aus. Es wird von Tieren und Pflanzen aufgenommen. Mehr als 20 Prozent der weltweiten Emissionen entstehen als Abfallprodukt bei der Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung – einer der Hauptemittenten ist zum Beispiel China. Durch die Entwicklung von alternativen Technologien und Reinigungsverfahren und einem entsprechenden Technologietransfer zur Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer sollen diese Emissionen langfristig verringert werden. Ziel der Minamata-Konvention ist es, den Ausstoß von Quecksilber weltweit einzudämmen. Sie dient damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt dort, wo Quecksilberemissionen unmittelbar entstehen, aber auch dort, wo sie hintransportiert werden. So müssen die künftigen Vertragsstaaten dafür sorgen, die Verwendung von Quecksilber bei der industriellen Produktion deutlich zu reduzieren. Die Staaten verpflichten sich, ab 2020 keine quecksilberhaltigen Produkte wie Batterien, Beleuchtungskörper, Kosmetika, Seifen, Schalter oder Thermometer mehr herzustellen oder zu verkaufen. Abfälle des hochgiftigen Schwermetalls dürfen nur unter strengen Auflagen gelagert und entsorgt werden. Nach Inkrafttreten der Konvention dürfen in den Vertragsstaaten keine neuen Quecksilberminen mehr eröffnet werden. Für den kleingewerblichen Goldbergbau müssen die Staaten zudem Maßnahmen zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter ergreifen. Viele Goldschürfer setzen beim Schürfprozess Quecksilber ein, welches verdampft und die Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die Umwelt gefährdet. Für neue Kohlekraftwerke gilt der Grundsatz, die beste verfügbare Technik zum Schutz vor Quecksilberemissionen einzusetzen. Ein im Rahmen der Konvention neu einzurichtender Ausschuss soll die Umsetzung der Konvention überwachen. Ende letzten Jahres haben sich Unterhändler des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten auf eine neue EU-Quecksilberverordnung verständigt. Die CDU/CSU bewertet die Einigung als ausgewogenen und realistischen Kompromiss, der viele Themen- und Industriebereiche betrifft. So sieht die neue Verordnung unter anderem ein Verbot bzw. einen streng regulierten Im- und Export vor. Die Verwendung von Quecksilber bei der industriellen Produktion soll außerdem deutlich reduziert werden. In Deutschland und Europa sind im weltweiten Vergleich bereits strenge Vorgaben Quecksilber betreffend in Kraft sind. Von den hohen Standards, die in Minamata beschlossen und jetzt durch die EU umgesetzt werden, profitieren aber natürlich auch die europäischen und deutschen Verbraucher durch einen weltweit sinkenden Ausstoß. Insbesondere die Quecksilberbelastung von Fischen ist nämlich vielerorts auch in Europa schon ein Problem. Es ist richtig, dass wir überzogenen Forderungen, etwa nach einem sofortigen Komplettverbot bestimmter industrieller Prozesse oder einem sofortigen Zahnamalgamverbot, nicht nachgeben. Wir sollten hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Sicherheitsstandards in Deutschland und Europa sind sowohl im Umwelt- als auch im Gesundheitsbereich sehr hoch. Es wurde in diesem Bereich ein Kompromiss mit Augenmaß gefunden: So soll ab dem 1. Juli 2018 Zahnamalgam bei Kindern sowie schwangeren und stillenden Frauen nur noch in absoluten medizinischen Ausnahmen verwendet werden. Bis 2020 wird geprüft, ob Zahnärzte ab 2030 ganz darauf verzichten sollen. Ich denke, dass diese Regelung nicht nur realistischer, sondern auch im Interesse der Patientinnen und Patienten deutlich besser ist als die Idee eines Komplettverbots von Amalgam. Das Inkrafttreten des Übereinkommens erfolgt mit der Ratifikation durch mindestens 50 Staaten. Mittlerweile wurde das Übereinkommen von 128 Staaten gezeichnet und von 35 Staaten ratifiziert. Da die Umsetzung der Verpflichtungen EU-weit im Wege einer unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung erfolgen wird, waren zunächst die entsprechenden Verhandlungen abzuwarten. Nach der Einigung zwischen Kommission, Rat und Europaparlament zum Entwurf der neuen EU-Quecksilberverordnung Ende letzten Jahres hat die Bundesregierung unverzüglich die notwendigen Schritte für die rechtzeitige Ratifikation eingeleitet. Ich bin zuversichtlich: Mit dem Minamata-Übereinkommen rückt das Vorhaben, das giftige Schwermetall weltweit zu verbannen, in immer greifbarere Nähe. Seitdem bemühen sich die Staaten um die Reduzierung der Emissionen und forschen an alternativen Technologien, um Quecksilber in der Produktion erfolgreich zu ersetzen. Politik und Unternehmen müssen diese Herausforderung annehmen – damit sich Ereignisse wie in Minamata nicht wiederholen. Deshalb bitte ich Sie, ja ich fordere Sie auf, jetzt Ihre Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetz zu geben. Ulli Nissen (SPD): Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) machen wir den Weg frei für die Ratifizierung. Gemäß Artikel 59 Absatz 2 Grundgesetz muss hierfür die Zustimmung des Bundestages eingeholt werden. Das tun wir heute, und es wird auch höchste Zeit, dass wir dieses Abkommen ratifizieren. Das Minamata-Übereinkommen über Quecksilber wurde am 19. Januar 2013 in Genf ausgehandelt und am 10. Oktober 2013 von der Bundesregierung in Japan unterzeichnet. Worum geht es in diesem Abkommen überhaupt? Das Minamata-Übereinkommen soll die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor durch den Menschen verursachten Emissionen und der Freisetzung von Quecksilber und Quecksilberverbindungen schützen. Menschen und Umwelt sollen dort geschützt werden, wo Quecksilberemissionen unmittelbar entstehen, aber auch dort, wo sie hintransportiert werden. Der Name geht zurück auf die Stadt Minamata. Mitte der 1950er-Jahre kam es dort bei zahlreichen Menschen und Tieren zu schwersten Gesundheitsschäden. Sie erlitten Schädigungen am zentralen Nervensystem aufgrund chronischer Quecksilbervergiftung. Der Chemiekonzern Chisso hatte jahrelang quecksilberhaltiges Abwasser ungefiltert in die der Stadt vorgelagerte Bucht eingeleitet. Die Quecksilberverbindungen waren über das Trinkwasser und Lebensmittel, vor allem über Fisch, aufgenommen worden. Symptome der sogenannten Minamata-Krankheit sind Müdigkeit, Lähmungen, Missbildungen, Organ- und Nervenschäden sowie Schädigungen am Immunsystem. Schätzungen zufolge wurden etwa 17 000 Menschen durch die Quecksilberverbindungen mehr oder weniger schwer geschädigt. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 3 000 geschätzt. Indem das Abkommen nun den Namen trägt, soll auch an die Toten und die tragischen Ereignisse gedacht werden. Und natürlich soll das Übereinkommen dafür sorgen, dass zukünftig niemand mehr zu Schaden kommen wird. Mit dem Übereinkommen von Minamata sollen negative Einflüsse durch den Umgang mit Quecksilber verringert und Risiken minimiert werden, indem Nutzung, Produktion, Lagerung und Handel reguliert werden. So wird es ab 2020 verboten sein, quecksilberhaltige Produkte wie bestimmte Leuchtmittel oder Thermometer zu produzieren oder zu verkaufen. Zudem wird es strenge Auflagen für Lagerung und Entsorgung von Quecksilberabfällen geben. Auch sollen neue Quecksilberminen verboten werden. Für kleingewerblichen Bergbau müssen die Vertragsstaaten zudem Maßnahmen zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter treffen. Für Kohlekraftwerke gilt es die beste verfügbare Schutztechnik vor Quecksilberemissionen zu nutzen. Wir finden also zahlreiche gute und wichtige Maßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt. Warum hat es denn nun fast vier Jahre gedauert von der Unterzeichnung bis zur Ratifizierung? Der Grund lag darin, dass einiges im EU-Recht angepasst werden musste. Denn auch wenn vieles im Minamata-Übereinkommen EU-weit bereits geregelt war, gab es doch einige regulatorische Lücken. So fehlten zum Beispiel Regelungen über die Einfuhr von Quecksilber, die Ausfuhr bestimmter mit Quecksilber versetzter Produkte, die Verwendung von Quecksilber in bestimmten Herstellungsprozessen und auch über die Verwendung von Quecksilber im kleingewerblichen Goldbergbau oder beispielsweise die Verwendung von Quecksilber in Dentalamalgam. Im Sinne der Rechtsklarheit sollten die aus dem Übereinkommen erwachsenden Verpflichtungen, die noch nicht in EU-Recht umgesetzt waren, in einem einzigen Rechtsakt zusammengefasst werden. Dieses EU-Ratifikationspaket wurde am 6. Dezember 2016 abschließend ausgehandelt. Neben dem Gesetzentwurf haben wir heute auch den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegen: „Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren“. Da wir dies ja nun gerade tun, ist Ihr Antrag damit auch überflüssig. Und es wird Sie nicht verwundern, dass wir ihn ablehnen werden. Das Minamata-Übereinkommen tritt 90 Tage nach der Ratifizierung durch den 50. Unterzeichnerstaat in Kraft. Bis heute waren es 44 Staaten der 128 Unterzeichner, die das Abkommen bereits ratifiziert haben. Im Ausschuss – das sei noch kurz erwähnt – haben alle Fraktionen dem Gesetzentwurf zugestimmt. Denn natürlich ist es nur zu begrüßen, dass Deutschland nun als 45. Staat das Übereinkommen ratifiziert. Von 24. bis 29. September dieses Jahres wird in Genf die erste Vertragsstaatenkonferenz des Minamata-Übereinkommens stattfinden. Auf dieser Konferenz sollen sich die Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, über weitere Maßnahmen austauschen. Dabei kann es um technische, administrative, aber auch finanzielle Angelegenheiten gehen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Dass Quecksilber giftig ist, wissen fast alle. Dass es, einmal freigesetzt, sich in der Natur nicht abbaut und dann irgendwann in unserer Nahrung landet, ist eine Tatsache. Aus diesem Grund wird die Verwendung von Quecksilber für Industrieprozesse und in den meisten Gebrauchsgegenständen seit Jahren eingedämmt und verboten. Aber bei Energiesparlampen wird weiter Quecksilber erlaubt, und das gelangt beim Zerbrechen der Lampe oder bei falscher Entsorgung in die Umwelt. Auch die Kohlekraftwerke sind als Quecksilberschleudern bekannt. Die Linke begrüßt deshalb die Ratifizierung des Minamata-Abkommens ausdrücklich und wird dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen; denn mit diesem Abkommen verpflichten sich die Staaten, Quecksilberemissionen zu verringern. Es ist höchste Zeit, dass das Abkommen in Kraft tritt und die noch fehlenden Ratifizierungen durch andere Staaten schnell zustande kommen. Trotz allem Positiven, was das Abkommen bringt, stellen sich uns konkrete Fragen: Wird die Bundesregierung ihren politischen Einfluss nutzen, um bilateral weitere Staaten zur Ratifizierung zu bringen und Impulse zu setzen, dass das Abkommen schnell in Kraft treten kann? Wie lange wird es nach Inkrafttreten des Abkommens dauern, bis wir einen nationalen Maßnahmenplan vorliegen haben, der wirksam den Quecksilberausstoß in Deutschland signifikant reduzieren kann? Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Großen Koalition: Einigen Ihrer Freunde aus der Kohleenergiewirtschaft wird dieses Abkommen Sorgenfalten ins Gesicht treiben. Pro Jahr emittiert der deutsche Kohlekraftwerkpark 9 Tonnen Quecksilber. 9 Tonnen Quecksilber – das entspricht einer Kugel mit einem Durchmesser von 1 Meter. Eine solche Quecksilberkugel steigt allein aus unseren Kohlekraftwerken jährlich in die Atmosphäre auf. Diese Quecksilbermenge muss dann mit Filtern oder über die Abschaltung der Kraftwerke verringert werden. Wird das Minamata-Abkommen zu einem zügigen Kohleausstieg in Deutschland führen, oder setzt die Bundesregierung auf technischen Umbau der Kraftwerke, damit die Quecksilbergrenzwerte eingehalten werden? Und wer soll diesen Umbau bezahlen? So oder so: Es wird deutlich, dass der ach so billige Kohlestrom gar nicht so billig ist und unsere Gesellschaft die Folgekosten für Umwelt und Natur irgendwann zahlen muss. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie strenge Regeln für die Einhaltung der notwendigen Grenzwerte schafft. Verzichten Sie auf lange Übergangsbestimmungen; unsere Gesundheit ist keine Verhandlungsmasse! Die Linke fordert, dass die Kosten für die Quecksilberreduktion von den Kraftwerksbetreibern zu zahlen sind und nicht auf die Strompreise umgelegt werden dürfen. Aber wahrscheinlich werden CDU/CSU, SPD, eventuell die FDP und diese falsche Alternative vor der Kraftwerkslobby einknicken und die Kosten den Stromkunden aufdrücken oder unsere Natur weiter mit Quecksilber belasten. Deswegen nenne ich Ihnen die wirkliche Alternative: Die Linke fordert einen zügigen Ausstieg aus der Kohle. Das ist der einzige Weg, mit dem Problem gesundheitspolitisch, umweltgerecht und sozial verantwortungsvoll umzugehen. Alles andere wäre Hinhaltetaktik. Wir freuen uns über die Ratifizierung des Abkommens. Es ist ein wesentlicher Schritt vorwärts. An der Art der Umsetzung in Deutschland werden wir bewerten, wie ernsthaft und auf wessen Kosten die anderen Parteien das Problem Quecksilber angehen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach jahrelangen Vorarbeiten wurde im Oktober 2013 das Minamata-Übereinkommen zu Quecksilber unterzeichnet. Ich begrüße die Konvention, denn die Auswirkungen von Quecksilber auf die Gesundheit sind gravierend. Bei Erwachsenen führen Quecksilbervergiftungen zu irreparablen Schädigungen der inneren Organe wie etwa der Leber und der Nieren sowie des Nervensystems. Hochgradig gefährdet sind Föten, Säuglinge und Kleinkinder, da eine Quecksilbervergiftung in der frühkindlichen Entwicklungsphase zu Missbildungen, geistiger Behinderung, Krampfanfällen, Seh- und Hörverlust, verzögerter Entwicklung, Sprachstörungen und Gedächtnisverlust führt. Da Quecksilber (Hg) weder biologisch noch chemisch abbaubar ist, reichert es sich in der Nahrungskette an. Gerade organische Quecksilberverbindungen sind hochtoxisch und können zu einer chronischen Quecksilbervergiftung, auch bekannt als Minamata-Krankheit, führen. Chronische Vergiftungen entstehen unter anderem über die Aufnahme von Quecksilber am Arbeitsplatz wie etwa durch das Einatmen von Quecksilberdämpfen im Gesundheitswesen oder in Laboren, Unfälle oder schlecht verarbeitetes Zahnmetall (Amalgam). Eine weitere Ursache für chronische Quecksilbervergiftungen ist die Aufnahme von Quecksilber über die Nahrungskette. Gerade in der marinen Nahrungskette reichern sich organische Quecksilberverbindungen in Lebewesen an. Als erster Unterzeichnerstaat haben die USA bereits am 6. November 2013 die Minamata-Konvention ratifiziert. Mittlerweile sind 43 Staaten hinzugekommen, darunter auch Japan, Kanada und China. Nun wird die Konvention endlich auch von Deutschland ratifiziert und umgesetzt. Wir Grüne haben die Bundesregierung schon vor einem Jahr mit unserem Antrag aufgefordert, endlich die erforderlichen Schritte zur Ratifizierung in die Wege zu leiten. Es ist zwar zu begrüßen, dass Deutschland die Minamata-Konvention nun ratifiziert. Allerdings stellen sich mir durchaus einige Fragen: Warum ist Deutschland bei einem umweltpolitischen Thema mal wieder Nachzügler? Wieso fehlt ein Fahrplan zur konkreten Umsetzung der Konvention in praktische Politik völlig, obwohl Sie mehr als drei Jahre Zeit dafür hatten? Laut dem Umweltinformationsportal des Bundes wurden von 2013 bis 2015 über 20 Tonnen Quecksilber in die Luft emittiert. Quecksilber ist schon heute im Fettgewebe von Fischen in allen Gewässern Deutschlands ubiquitär, das heißt überall nachweisbar. Angesichts dieser Tatsache ist das, was Sie betreiben, nicht mehr Regieren mit ruhiger Hand, sondern fast schon fahrlässige Körperverletzung. Was wir dringend brauchen, ist ein Fahrplan für den Quecksilberausstieg. Hier möchte ich Ihnen das Gutachten einer medienübergreifenden Quecksilberminderungsstrategie für Nordrhein-Westfalen aus 2016 ans Herz legen. Vielleicht finden Sie ja dort die ein oder andere hilfreiche Anregung. Auch begrüße ich die neue Verordnung der EU über Quecksilber, denn bisher gab es kaum verbindliche Vorgaben im europäischen Recht zur Begrenzung von Quecksilberemissionen. Weder das Merkblatt „Beste verfügbare Technik“ für Großfeuerungsanlagen (BVT-Merkblatt) aus dem Jahr 2006 noch die Industrieemissionsrichtlinie aus dem Jahr 2010 enthielt bisher Emissionsgrenzwerte für Quecksilber aus Kohlekraftwerken. Es liegt jetzt an der Bundesregierung, die Verordnung konsequent anzuwenden. Zwar wurden in den vergangenen Jahren die BVT-Merkblätter überarbeitet; allerdings wäre dies kein Hinderungsgrund gewesen, schärfere Umweltvorschriften in der Verordnung über Großfeuerungs-, Gasturbinen und Verbrennungsmotoranlagen (13. BImSchV) sowie der Verordnung über die Verbrennung und die Mitverbrennung von Abfällen (17. BImSchV) einzuführen und die Bevölkerung effektiv vor Quecksilber zu schützen. Diese Auffassung wird auch in dem genannten Gutachten vertreten. Steigen Sie endlich in den Kohleausstieg ein! So können Sie quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die klimapolitischen Ziele erfüllen und die Bevölkerung vor Quecksilberemissionen schützen. Dazu wäre es sinnvoll, endlich die immissionsschutzrechtliche Privilegierung der Kohleverstromung aufzuheben und die Einhaltung von strengen Emissionsgrenzwerten für krebserzeugende Stoffe sicherzustellen, indem man sich beispielsweise an den US-Grenzwerten für Quecksilberemissionen orientiert. In der Gesundheitspolitik sollten wir es Schweden und Norwegen nachmachen, die Amalgamfüllungen bereits verboten haben. Folgen Sie doch einfach einer Studie im Auftrag der EU-Kommission zur Abschätzung der Auswirkung verschiedener Handlungsoptionen bezüglich Zahnamalgam. Diese hat nämlich bereits festgestellt, dass ein Amalgamverbot gesamtwirtschaftlich die vorteilhafteste Lösung wäre. Das Europäische Parlament hat wenigstens bewirkt, dass in der oben genannten Verordnung festgelegt wurde, dass ab dem 1. Juli 2018 Dentalamalgam nicht mehr für die zahnärztliche Behandlung von Milchzähnen, von Kindern unter 15 Jahren und von Schwangeren oder Stillenden verwendet werden darf. Allerdings mit der Ausnahme, dass eine Behandlung mit Dentalamalgam aufgrund medizinischer Erfordernisse bei einem Patienten als zwingend notwendig angesehen wird. Sie sehen: Die heutige Ratifizierung der Minamata-Konvention ist ein notwendiger, richtiger Schritt zur Reduzierung der Belastung unserer Bevölkerung und unserer Umwelt mit giftigem Quecksilber. Hinreichend ist er nicht! Es bleibt viel zu tun für die nächste Regierung, im Interesse von Umwelt und Gesundheitsschutz – hoffentlich dann unter starker grüner Beteiligung! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll nun auch im Strafverfahren eine gesetzliche Grundlage für die Einführung der elektronischen Akte geschaffen werden. Dies soll als Voraussetzung für einen Medienwechsel geschehen, welcher den technischen Fortschritt nachvollziehen und die Strafjustiz modernisieren wird. Wenn in der Privatwirtschaft und in vielen Behörden bereits digital gearbeitet wird und die Vorzüge der elektronischen Aktenführung genutzt werden, darf die Justiz in Strafverfahren nicht hinter modernen Standards zurückbleiben. Ich begrüße daher das Anliegen dieses Gesetzentwurfes, auch für Strafsachen den elektronischen Rechtsverkehr einzuführen und die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung zu schaffen. Straf- und Ermittlungsakten könnten mit dem Inkrafttreten der Neuregelung elektronisch angelegt und geführt werden. Insoweit wird auch für den Bereich der Strafsachen die Rechtsgrundlage geschaffen, welche für andere Verfahrensarten bereits existiert. So haben wir schon Regelungen in den §§ 298a ZPO, § 46e ArbGG, § 52b FGO, § 65b SGG und § 55b VwGO. Auf dieser Grundlage ist der elektronische Rechtsverkehr beispielsweise in Nordrhein-Westfalen bei allen Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsgerichten sowie in bestimmten Zivilverfahren, wie im Mahnverfahren oder in Registersachen, und bei einzelnen Land- und Amtsgerichten eröffnet. Verfahrensbezogene Dokumente können elektronisch eingereicht werden. Die Ausdehnung auf das Strafverfahren ist daher nur folgerichtig. Ebenfalls begrüßenswert ist, dass erstmals ein Stichtag festgesetzt werden soll, ab dem bundesweit die Führung der elektronischen Akten gesetzlich verpflichtend wird. Bis zum 25. Dezember 2025 würde die elektronische Aktenführung dabei lediglich eine Option darstellen. Ab dem 1. Januar 2026 sollen neu anzulegende Akten dann nur noch elektronisch zu führen sein. Damit soll die flächendeckende verbindliche Einführung der elektronischen Aktenführung im Bereich der Strafjustiz bereits jetzt gesetzlich vorgegeben werden. Ein einheitlicher Stichtag bietet Planungssicherheit und erhöht zudem die Chance, alle Beteiligten frühzeitig in die Umsetzung einzubinden. Diese Chance sollte genutzt werden, zum Wohle einer effektiven, modernen und effizienten Strafjustiz. Im Zusammenhang mit der Zulassung elektronischer Strafakten soll zugleich die elektronische Kommunikation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten sowie der elektronische Rechtsverkehr im Strafverfahren unter Absenkung bestehender Zugangshürden neu geregelt werden. Das bundeseinheitliche Vorgehen bei der Einführung der elektronischen Akte in der Justiz minimiert Medienbrüche und fördert länderübergreifend sinnvolle Lösungen für einheitliche Standards und bundeseinheitliche Austauschformate. Ich halte die lange Übergangsfrist bis zur verbindlichen Einführung am 1. Januar 2026 für sinnvoll, um die entsprechenden Fachverfahren für vollelektronische Geschäftsprozesse pilotieren zu können. Die bisher durchgeführten Modellprojekte und Pilotprojekte, wie z. B. eIP in Bayern, VIS-Justiz in Baden-Württemberg oder e2A in Nordrhein-Westfalen betreffen ausschließlich das Zivilrecht. Was genau versteht man unter einer „eAkte“? Sie wird beschrieben als „ein definiertes System elektronisch gespeicherter Daten“. Dies ist im Hinblick auf die schnell fortschreitende Entwicklung der Informationstechnik grundsätzlich sachgerecht. Allerdings wird dadurch umso wichtiger, dass Bund und Länder bei den für ihre jeweiligen Bereiche zu erlassenden Regelungen von gleichen Voraussetzungen ausgehen. Die elektronische Akte ist deutlich mehr als die Papierakte. Die mit einer elektronischen Aktenführung einhergehende automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten ermöglicht im Vergleich zur papierbasierten Aktenführung eine wesentlich einfachere und schnellere Recherche, Filterung oder Verknüpfung von Daten. Dies bedeutet letztlich auch eine Beschleunigung der Arbeitsprozesse insgesamt – bei der täglichen Arbeit bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften. Neben der höheren Informationsqualität und Informationsaktualität zählt auch der Platzgewinn. In der breiten Öffentlichkeit fehlt jedoch oft das Vertrauen, dass Daten elektronisch besser geschützt sind als in Papierform. Die Datensicherheit und der Datenschutz sind ein großes Thema und genießen auf nationaler und europäischer Ebene einen hohen Stellenwert. Viele fürchten die Manipulation der Daten durch Hackerangriffe oder auch staatliche Kontrolle. Dabei ist die Sicherheit von elektronischen Akten keinesfalls geringer als von Akten in Papierform. Wir müssen daher genau regeln, innerhalb welcher Grenzen die Strafverfolgungsbehörden die in den Akten gespeicherten Daten verwenden dürfen und welche Personen Zugriff erhalten. Dies ist mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf gelungen. Zum einen haben wir die unbestimmten Rechtsbegriffe wie „Rahmenbedingungen“ und „geltende Standards“ näher bestimmt, so zum Beispiel durch Einführung des Begriffs „Stand der Technik“. Des Weiteren haben wir Schutzziele klarer benannt, indem wir das Verhältnis zur „Grundnorm“ § 9 BDSG konkreter herausgearbeitet haben. Ein wichtiges Anliegen für uns war die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung – vor allem, den barrierefreien Zugang zur Justiz zu verbessern. Mit diesem Gesetzesentwurf wird hierfür eine wichtige Voraussetzung geschaffen. Durch viele Gespräche mit zum Beispiel sehbehinderten Menschen konnten deren Interessen so gut wie möglich im Gesetz Berücksichtigung finden. Die flächendeckende Umstellung des Strafverfahrens auf elektronische Arbeitsgrundlagen ist ein ambitioniertes Vorhaben, welches nur gelingen kann, wenn es gründlich vorbereitet und sorgfältig durchgeführt wird und wenn hierbei alle Beteiligten intensiv und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit der heutigen Beratung möchten wir den Gesetzentwurf zur Einführung der elektronischen Akte im Strafverfahren zum Ende bringen. Ich möchte den Beteiligten für die guten Verhandlungen und den gelungenen Abschluss danken. Es steht ein zukunftsweisender Gesetzentwurf zur Abstimmung. Viele Anwaltskanzleien verzichten heute bereits auf die Papierakte, sodass nach Akteneinsicht nur noch eine Kopie in digitaler Form vorliegt. Die Vorteile lassen sich nicht von der Hand weisen: Umfangreiches Aktenmaterial muss zur Hauptverhandlung nicht in den Gerichtssaal geschleppt werden. Der Strafverteidiger hat die Akte handlich und leicht transportabel auf dem Laptop dabei. Aber auch Ermittlungsbehörden und Gerichte sichten bereits heute große digitalisierte Aktenbestände am Bildschirm. Selbst die Papierakte besteht aus einer Vielzahl von Dokumenten, die auch elektronisch vorliegen, wie beispielsweise der Mailverkehr oder Vernehmungsprotokolle. Die Einführung der elektronischen Akte im Strafverfahren ist der logische Schritt, damit der technische Fortschritt nachvollzogen wird. Die Modernisierung der Strafjustiz ist uns ein großes Anliegen, zumal die elektronische Gerichtsakte in den anderen Verfahrensordnungen bereits im Jahr 2013 beschlossen wurde. Ich bin überzeugt, dass die elektronische Aktenführung bei den Praktikern in der Justiz und Anwaltschaft auf Zustimmung stoßen wird. Um einen behutsamen Übergang zu schaffen und mögliche Startprobleme zu beseitigen, wird die elektronische Verfahrensakte erst im Jahr 2026 verpflichtend sein. Die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung wird aber bereits ab dem Jahr 2018 bestehen. Wir haben ein Gesetz geschaffen, das wichtige Weichen für die Strafjustiz stellt und weit in die Zukunft reichen wird. Bereits in der ersten Lesung war es mir sehr wichtig, auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Datenschutzes hinzuweisen. Die elektronische Verfahrensakte stellt einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Nur bei einem absoluten Datenschutz wird dieser Grundrechtseingriff gewährleistet sein. Ein Abfließen von Informationen aus der Ermittlungsakte an die Öffentlichkeit würde die Beschuldigtenrechte massiv einschränken. Einer Bekanntgabe über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens folgt oftmals eine Vorverurteilung durch Medien und die Öffentlichkeit, sodass die Unschuldsvermutung wertlos erscheint. Es freut mich deshalb, dass in den Verhandlungen nochmals eine Klarstellung erreicht wurde, dass die technischen Rahmenbedingungen auch dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen müssen. In Zeiten von immer mehr Datenskandalen ist es die Pflicht des Staates, sensible Daten aus Ermittlungsverfahren mit höchster Sorgfalt zu behandeln. Zu dieser Pflicht gehört es auch, die technischen Voraussetzungen des Datenschutzes an den Fortschritt anzupassen. Nachdem die Bedenken aus unserer Sicht ausgeräumt werden konnten, bleibt mir nur, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Ich verspreche mir mit der Einführung der elektronischen Akte eine Vielzahl von Synergieeffekten. Insbesondere das Versenden der Akten zwischen Staatsanwaltschaft und den ermittelnden Polizeibehörden oder an den Strafverteidiger zur Akteneinsicht nimmt derzeit noch viel Zeit in Anspruch. Mit einem schnellen Zugriff auf die elektronische Akte wird sich die Verfahrensdauer zwischen einer Tat und deren Aburteilung voraussichtlich erheblich verkürzen. Dies wäre ein großer Schritt für mehr Vertrauen in und Akzeptanz der Justiz. Ich kann nur um Zustimmung zu diesem Gesetz bitten. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Im 21. Jahrhundert sind wir in der Epoche der Digitalisierung angekommen. Auch wenn für den einen oder die andere das Internet noch Neuland ist, führt kein Weg davon zurück. Ohne elektronischen Datenverkehr und den Zugang zu Informationen ist das heutige Leben unvorstellbar. In weiten Bereichen der privaten, geschäftlichen und öffentlichen Kommunikation hat sich die elektronische Dokumentenerstellung, -übermittlung und -speicherung durchgesetzt. Auch in den meisten gerichtlichen Verfahrensordnungen besteht seit vielen Jahren die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung. Strafakten sind dagegen bislang noch in Papierform zu führen, obwohl die Mehrzahl der darin befindlichen Dokumente bereits mittels elektronischer Datenverarbeitung erstellt wurde und zunehmend auch elektronisch übermittelt werden wird. Daher wird mit diesem Gesetz nun auch in Strafverfahren eine gesetzliche Grundlage für die Einführung einer elektronischen Akte als Voraussetzung für einen Medienwechsel geschaffen, die den technischen Fortschritt nachvollzieht und die Strafjustiz modernisiert. Die mit einer elektronischen Aktenführung einhergehende automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten ermöglicht im Vergleich zur papierbasierten Aktenführung eine wesentlich einfachere und schnellere Recherche, Filterung oder Verknüpfung von Daten. Zugleich werden die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr in Strafsachen an die Regelungen angeglichen, die für die übrigen Gerichtsbarkeiten bereits im Jahr 2013 geschaffen wurden. Damit die Bundesländer nicht zu sehr überfordert werden, sieht der Gesetzentwurf eine optionale elektronische Aktenführung bis zum 31. Dezember 2025 vor und verlangt sie erst ab dem 1. Januar 2026 als verpflichtend und flächendeckend. Somit haben die Justizverwaltungen der Länder nun acht Jahre Zeit, sich vorzubereiten und sie umzusetzen. Wie mein Kollege Dirk Wiese bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes richtig betont hat, ist diese Anpassung dringend notwendig, denn alleine der Prozess der Erstellung von Strafakten entbehrt derzeit einer gewissen Logik. Nach dem fachlichen Austausch wurden die Expertenmeinungen berücksichtigt und die Nachbesserungen mit dem Änderungsantrag der Koalition eingepflegt. Die Ergänzung in § 32 Absatz 2 dient der Klarstellung, dass die durch Rechtsverordnung zu bestimmenden datenschutzrechtlichen und technischen Rahmenbedingungen stets dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen müssen. Für mich als Sozialdemokraten war besonders wichtig, das Thema Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Es soll ausdrücklich klargestellt werden, dass in allen Verfahrensordnungen auch die Anforderungen an die Barrierefreiheit der elektronischen Akten in den jeweiligen Rechtsverordnungen geregelt werden müssen. Die ausdrückliche Einbeziehung der Barrierefreiheit in die Verordnungsermächtigung stärkt das Recht der Betroffenen auf barrierefreien Zugang zu den Akten. Zudem soll die Einhaltung der Anforderungen an die Barrierefreiheit in der vorgesehenen Evaluierung überprüft werden. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir diskutieren heute hier abschließend über die gesetzlichen Grundlagen für die Führung elektronischer Akten in Strafsachen. Das ist ein scheinbar trockenes und unspannendes Thema. Ist es aber nicht, denn mit der Einführung elektronischer Aktenführung könnte die Akteneinsicht auch in Zivilverfahren in Zukunft über ein elektronisches Akteneinsichtsportal möglich werden. Und das wäre eine gute Sache, wie alle bestätigen werden, die schon einmal mit so einem Verfahren zu tun hatten. Das Gesetzesvorhaben ist damit ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um den Herausforderungen der Digitalisierung im Justizalltag insbesondere auch in Strafverfahren gerecht werden zu können. Der Gesetzentwurf sieht vor, ab dem 1. Januar 2018 für einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2025 elektronische Akten in Strafsachen führen zu können, um sie danach ab dem 1. Januar 2026 verpflichtend und flächendeckend einzuführen. So viel zum positiven Teil des Vorhabens. Denn die Umsetzung des Gesetzesvorhabens ist mal wieder, wie so oft bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung, eine Mischung aus ein paar guten und vielen mangelhaften oder schlechten Bausteinen. So besteht bei der Überführung der Aktendokumente von stofflichem in elektronisches Medium die Unsicherheit, ob die elektronische Akte im Vergleich zu dem, was bisher in der Strafrechtspflege unter einer Akte zu verstehen war, auseinanderfallen könnte. Hier sind Fragen bezüglich der Aktenvollständigkeit und Authentizität offen geblieben. Um diese Unsicherheiten ausräumen zu können, wäre es notwendig, eine umfassende Dokumentations- und Kontrollpflicht im Gesetz zu verankern. Davon ist allerdings in dem heute zur Abstimmung stehenden Entwurf nichts zu erkennen. Alle Versuche, hier nachhaltige Verbesserungen zu erreichen, waren vergebens, auch wenn die Koalitionsfraktionen mit einem eigenen Änderungsantrag wenigstens die schlimmsten Mängel gemildert haben. Für die Linke ein klarer Kritikpunkt. Darüber hinaus werfen die im Gesetz geregelten Einsichtsmöglichkeiten eines nicht anwaltlich vertretenen Verletzten Fragen bezüglich des Schutzes der Persönlichkeitsrechte von Zeugen und Beschuldigten auf. Für die Linke nicht nachvollziehbar. Unklar bleibt, wie die Akteneinsicht für einen Beschuldigten geregelt sein soll, der sich in Untersuchungshaft befindet. Darauf ist nachdrücklich aufmerksam gemacht worden. Ergebnis: Null Reaktion der Koalitionsmehrheit. Für die Linke völlig unverständlich. Schließlich fehlen im Gesetzentwurf verbindliche Aussagen zur Frage sicherer Übertragungswege sowie notwendiger technischer Infrastruktur. Dabei betont der Gesetzentwurf in seiner Begründung diese Dinge ausdrücklich. Zu Recht, wie die Linke meint. Aber die konkrete Ausgestaltung hält damit nicht Schritt. Dies betrifft insbesondere den elektronischen Datenaustausch zwischen Verteidiger und Gericht. Was in aller Welt hat Sie darüber hinaus geritten, den Betrieb der notwendigen technischen Infrastruktur auch für private Auftragnehmer offen zu halten? Damit besteht berechtigterweise Grund zu der Annahme, dass sich die sensiblen Akten dann nicht mehr in der alleinigen Kontrolle der Justiz befinden. Auch die nachträglich eingearbeitete Zugangsbeschränkung durch die öffentliche Hand heilt aus Sicht der Linken diesen Mangel nicht und räumt die auch in der Anhörung vorgetragenen Bedenken nicht hinreichend aus. Alles in allem: Ein notwendiges Gesetz, aber oberflächlich und nicht in allen Fragen nachhaltig gestaltet. Die Linke wird ihm deshalb nicht zustimmen und sich stattdessen der Stimme enthalten. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letzte Woche durften wir erleben, wie kriminelle Elemente mit dem größten Cyberangriff der Geschichte weltweit Krankenhäuser und sonstige sensible Infrastruktur lahmlegten, um Lösegeld für die Freigabe der Daten zu erpressen. Die Einführung der elektronischen Akte auch im Strafverfahren ist zwar ein hehres Ziel und kann am Ende, wenn sie gelingt, vielleicht sogar eine Arbeitserleichterung in der Praxis erbringen. Der Nutzervorteil muss aber im Verhältnis stehen zu den Risiken, die durch die elektronische Akte entstehen – und davon sind wir heute noch weit entfernt. Trotzdem will die Bundesregierung, dass wir hier heute das Jahr 2026 als einheitlichen Verbindlichkeitstermin für alle Verfahrensordnungen beschließen, obwohl das Gesetz bislang weder datenschutzrechtlichen noch grundgesetzlichen Maßstäben genügt. Wir stehen mit unserer Kritik keinesfalls alleine da. Viele unserer Bedenken im Hinblick auf die elektronische Akte in Strafsachen wurden in dem Berichterstattergespräch im Januar bestätigt. Der Richterbund etwa hat zu Recht darauf hingewiesen, dass neben datenschutzrechtlichen Aspekten die Nutzervorteile im Vordergrund stehen müssten – schließlich soll die elektronische Aktenführung Prozesse und Abläufe erleichtern. Praktiker, die bereits Erfahrung mit der elektronischen Akte haben, berichten jedoch über erhebliche Arbeitserschwerung in den Abläufen. Aufgrund der Mängel und Unklarheiten werden derzeit elektronische Zweitakten neben der Papierakte geführt. Das ist keine Arbeitserleichterung, sondern bürokratische Absurdität. Zunächst einmal müssten die entsprechenden Pilot- und Modellprojekte vernünftig ausgewertet werden, bevor womöglich auf Kosten des Datenschutzes und der Rechte der Betroffenen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Auch aus den Reihen der Strafverteidiger wurden berechtige Bedenken geäußert. Es sei etwa wichtig, die Aktenauthentizität und Aktenintegrität sicherzustellen, da ansonsten eine Verletzung des Rechts auf eine effektive Strafverteidigung aus Artikel 6 EMRK verletzt würde. Um dieses Recht zu gewährleisten, muss die Strafverteidigung Einblick in die Akten nehmen könne, so wie sie dem Gericht vorliegen. Aus Praktikersicht muss unbedingt geklärt werden, wie Beweisdokumente übermittelt werden müssen, auch die vorgesehene Löschung der Beweismittel nach sechs Monaten sei unverantwortlich, solange das Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Der Datenschutz wird bei dem Gesetzentwurf noch immer sträflich vernachlässigt. Die Datenschutzbeauftragte stellte in der Anhörung klar, dass die technische Datensicherheit Aufgabe des Gesetzgebers sei und diese Aufgabe gerade bei so sensiblen persönlichen Daten nicht durch Verordnungsermächtigung delegiert werden dürfe. Und die Bundesregierung hat mit ihrem Änderungsantrag nicht wirklich nachgebessert. Selbst die Bedenken ihrer eigenen Datenschutzbeauftragten nimmt sie nicht ernst und behauptet wider besseres Wissen, dass weitere Konkretisierungen im Bereich des Datenschutzes nicht erforderlich seien. Strafakten dürfen kein Informationspool werden, es darf nicht zu einer unzulässigen Aufweichung der Zweckbindung beim Zugang zu den Daten kommen. Durch die vorgesehenen Regelungen besteht die Gefahr, dass die Funktion der Strafakte als Verwaltungsgedächtnis aufgeweicht und sie zunehmend zum Daten- oder Informationspool wird. Das wäre allerdings mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Mit dem Änderungsantrag haben Sie jetzt zwar an verschiedenen Verfahrensordnungen geschraubt, die maßgeblichen Kritikpunkte haben Sie jedoch nicht aufgegriffen. Die für den Bereich des Ermittlungs- und Strafverfahrens maßgebliche EU-Richtlinie wurde mit dem neuen Bundesdatenschutzgesetz zwar umgesetzt, aber das ersetzt keinesfalls die bereichsspezifischen, datenschutzrechtlichen Regelungen in der Strafprozessordnung selbst. Soll es wirklich 17 verschiedene Rechtsverordnungen von Bund und Ländern dazu geben? Gerade die besondere Sensibilität des Umgangs mit höchstpersönlichen Daten von Beschuldigten, Zeugen und Nebenklägern und das durch Digitalisierung und neue Zugangs- und Verbreitungsmöglichkeiten geschaffene Gefahrenpotenzial für Grund- und Verfahrensrechte erfordern eine besondere Sorgfalt im Gesetzgebungsverfahren. Die sehe ich hier aber nicht, im Gegenteil. Sie zäumen das Pferd von hinten auf und schaffen gesetzliche Tatsachen ohne Rücksicht darauf, ob die Umsetzung überhaupt leistbar und verantwortbar ist. Auch für den elektronischen Rechtsverkehr gilt: Erst müssen wir die Risiken beherrschen, bevor wir das System umstellen und uns in neue Abhängigkeiten begeben. Solange dies nicht gewährleistet ist, werden wir einer gesetzlichen Umstellungspflicht nicht zustimmen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 28) Marian Wendt (CDU/CSU): Mit dem heute zu beschließenden Open-Data-Gesetz veröffentlichen wir die Datenbestände der unmittelbaren Bundesverwaltung als Open Data. Dies ist der erste große Schritt zu einer allgemeinen Öffnung der Datenschätze in Deutschland. Der Bund ist damit Vorbild für alle Länder und Kommunen, die zwar teilweise schon eigene Projekte zur Veröffentlichung der Verwaltungsdaten haben, welche aber noch nicht ausreichend gut koordiniert und vereinheitlicht sind. Daten werden zu Recht häufig als das neue Öl bezeichnet. In Ländern, die bereits eine etablierte Strategie zur Veröffentlichung ihrer jeweiligen Datenschätze haben, zeigt sich, wie groß der aus ihnen zu schöpfende Nutzen sein kann. Großbritannien hat mit seiner umfassenden Initiative, alle Regierungsdaten offenzulegen, bereits einen großen Mehrwert für seine Bürger geschaffen. Die britische Regierung schätzt den positiven Effekt auf über 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein; das ist ein dreistelliger Milliardenbetrag. Welche Daten wie genutzt werden können und welche Daten nicht, ist im Vorhinein nur sehr schwer abschätzbar. Das macht eine selektive Strategie bei der Veröffentlichung von Daten sehr schwer. Der Schlüssel dazu, wirtschaftlichen Nutzen zu stiften, liegt darin, die gesamte Bandbreite aller möglichen Daten freizugeben. Natürlich geschieht dies mit der Voraussetzung, dass Datenschutz sowie sicherheits- und urheberrechtliche Interessen mitbedacht sind. Sie müssen stets Teil der Erwägungen zu Open Data sein. Mit dem Verweis auf die Einschränkungsgründe für die Veröffentlichung im Informationsfreiheitsgesetz haben meine Kollegen und ich eine gute, abwägende Lösung gefunden, die bereits in der Praxis erprobt ist. Dass kleine und neue Unternehmen, also Start-ups, durch den wesentlich vereinfachten Informationszugang einen leichteren Marktzutritt bekommen, finde ich besonders wichtig. Große, etablierte Unternehmen wie Google oder Amazon haben bereits große Datenbasen, aus denen sie schöpfen können. Neue Unternehmen mit innovativen Ideen haben jetzt die Möglichkeit, aus dem Datenstroh sprichwörtlich Gold zu spinnen. Die Anlehnung des Open-Data-Gesetzes an die zehn Prinzipien der Sunlight Foundation, die meine Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion auch in unserem Thesenpapier zu Open Data aufgegriffen haben, ist ein richtiger Schritt. Dieses Gesetz orientiert sich an international anerkannten und mittlerweile in verschiedenen Ländern erprobten Grundprinzipien für Open Data. Diese sind im Übrigen auch von der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages in der vergangenen Wahlperiode für ein Open-Data-Gesetz empfohlen worden. Der breite Konsens, der in der politischen Debatte innerhalb und außerhalb des Bundestages herrscht, stimmt mich zuversichtlich. Open Data benötigt aber auch einen Kulturwandel in den Verwaltungen. Einen Kulturwandel weg von den Verwaltungen mit Herrschaftswissen, weg von dem Gedanken „Da könnte ja jeder kommen“. Mit Open Data kann jeder kommen und die Daten nutzen. Das ist gerade der Schlüssel. Experimentieren, ausprobieren und dann sinnvolle Möglichkeiten finden, die Daten zu nutzen – da liegt ein Schlüssel zu Open Data. Aber es muss auch einen Wandel geben, was die Ausstattung von Verwaltungen und deren Arbeit angeht. Nur ein Wechsel von Papier auf elektronische Dokumente reicht nicht. Es muss auch ein umfassender Wandel einsetzen in der Frage, wie Verwaltungen arbeiten. Der vielfach bewährte Grundsatz des Förderns und Forderns könnte auch in diesem Zusammenhang die nötigen Anreize bieten. Die Digitalisierung der Verwaltungen – das zeigt der kürzlich veröffentlichte Evaluierungsbericht zum Regierungsprogramm 2020 – ist noch nicht weit genug fortgeschritten. In Zeiten eines scheinbar wachsenden Misstrauens in den Staat und seine Organe wird Open Data zu mehr Vertrauen in den Staat führen. Entscheidungen werden nachvollziehbarer. Willkür wird ein Riegel vorgeschoben, und dies kann den Menschen glaubwürdig gezeigt werden. Verwaltungshandeln, das durch offenliegende Entscheidungsgrundlagen nachvollziehbarer und transparenter ist, fördert auch innerhalb der Verwaltungen die Anreize zu mehr Sorgfalt und Genauigkeit. Bürger können so besser beteiligt werden und haben die Möglichkeit, eben ohne großen bürokratischen Aufwand Entscheidungen in Eigenregie zu hinterfragen. Dies steigert die Legitimität unseres staatlichen Handelns erheblich. Dabei ist klar festzuhalten: Ein neues Informationsfreiheitsgesetz ist das Open-Data-Gesetz nicht. Es geht nicht um den Rechtsanspruch des Einzelnen gegenüber der Verwaltung in ausgewählten Verwaltungsverfahren, sondern eben um die große und zusammenhängende Veröffentlichung von Daten der Verwaltung. Daten sind in diesem Sinne die erhobenen Rohdaten, die in einem Verwaltungsvorgang als Entscheidungsgrundlage dienten oder dienen, nicht aber der Vorgang selbst. In den Debatten der vergangenen Wochen ist klar geworden, dass Deutschland in Bezug auf die Veröffentlichung von Verwaltungsdaten jetzt einen großen Schritt braucht. Diesen Schritt gehen meine Kollegen und ich mit diesem Gesetz. Ich persönlich freue mich auf die innovativen Ideen, die das Leben der Menschen in unserem Land lebenswerter und besser machen. Ideen, die nachhaltig Werte schaffen werden. Denn im Grunde ist Open Data genau dies: eine Strategie, wirtschaftliches Handeln der Menschen zu ermöglichen, das vorher eben nicht möglich war. Saskia Esken (SPD): In einem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2013 heißt es: „Transparenz ist konstitutiv für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Transparenz stärkt die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, erleichtert Planungsentscheidungen, wirkt Staatsverdrossenheit entgegen und erschwert Manipulationen und Korruption.“ Mit der Offenlegung von Daten der Verwaltung und mit der Transparenz ihres Handelns, also mit den Projekten um Open Data und Open Government, verfolgen wir zentrale innenpolitische Projekte der digitalen Agenda, die die Bundesverwaltung modernisieren und für die Gesellschaft öffnen. Die SPD-Bundestagsfraktion will das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Informationsfreiheit seitens der Verwaltung weiterentwickeln. Wir wollen, dass die Verwaltung ihr Wissen nicht auf Anfrage, sondern proaktiv und lesbar für Menschen und Maschinen öffentlich macht, sodass jeder und jede darauf zugreifen kann. Wir wollen also einen Rechtsanspruch auf offene Daten, auf Open Data. Diese Transparenz ist gut für die Bevölkerung, da sie ohne die Mühe des Antragstellens auf Verwaltungsdaten zugreifen kann. Die Transparenz signalisiert den Bürgerinnen und Bürgern, dass der Staat keine Geheimnisse vor seinem Auftraggeber, dem Volk, hat. Die Transparenz wirkt sich aber auch für die Verwaltung positiv aus, denn sie muss nur einmal gründlich überlegen: Eignet sich diese Information zur Veröffentlichung, oder unterliegt sie einem Ausnahmetatbestand, zum Beispiel dem Datenschutz? Die Transparenz und der freie Zugang zum Wissen der Verwaltung können zu neuen, nützlichen Anwendungen führen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können: ein Stadtplan, der Pollenkonzentrationen anzeigt, aus Verkehrsdaten zusammengestellte Routenplaner für Fahrradwege in Großstädten oder eine Zusammenführung der Wartelisten aller Kitas in einem Bezirk – der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt, ebenso wenig wie dem gesellschaftlichen Mehrwert. Ich freue mich deshalb, dass die Koalition nach langem Warten noch in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Open-Data-Gesetzes als Änderung des E-Government-Gesetzes zur Beratung eingebracht hat. Leider konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner nicht auf einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Open Data verständigen. Das Gesetz enthält nun aber in einem ersten Schritt die Verpflichtung der unmittelbaren Bundesbehörden, ihre Daten proaktiv der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. In den parlamentarischen Beratungen ist es uns darüber hinaus gelungen, den Gesetzentwurf zu verbessern. Wir haben den Katalog der Ausnahmetatbestände, die die Veröffentlichung der Daten verhindern, auf das Nötige beschränkt. Er entspricht jetzt dem Ausnahmekatalog aus dem Informationsfreiheitgesetz. Damit sorgen wir für Einheitlichkeit und Rechtsklarheit; denn es wäre widersinnig, wenn die Behörden Daten nicht offenlegen müssten, die sie dann aber auf Verlangen nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgeben müssten. Auch ist es uns gelungen, die Verpflichtung für die Offenlegung der Daten festzuschreiben, die vor Inkrafttreten des Gesetzes erhoben worden sind, sofern diese bereits in elektronischer Form vorlagen und verwendet wurden. Es ist uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein großer Schritt in Richtung offener Verwaltungsdaten gelungen, doch wir wollen uns auf diesem Gesetz nicht ausruhen. Ich erwarte insbesondere, dass uns die Evaluation des Gesetzes zur Weiterentwicklung hin zu einem Rechtsanspruch auf Open Data führen wird. Der richtige Regelungsstandort wäre unserer Auffassung nach das Informationsfreiheitsgesetz, das die SPD zu einem Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz weiterentwickeln will. Ich würde mich sehr freuen, wenn uns dies in der nächsten Legislaturperiode gelänge. Sebastian Hartmann (SPD): Mit der Änderung des E-Government-Gesetzes beschließen wir heute das erste bundesweite Open-Data-Gesetz. Damit setzen wir ein Vorhaben um, das die SPD im Koalitionsvertrag durchsetzen konnte und worauf wir lange gedrängt haben: ein Gesetz, das die unmittelbaren Bundesbehörden zur Bereitstellung offener Daten in einheitlichen maschinenlesbaren Formaten und unter freien Lizenzbedingungen anhält. Das ist ein großer Schritt im Sinne einer nutzerfreundlichen und transparenten öffentlichen Verwaltung, der nach dem von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2005 auf den Weg gebrachten Informationsfreiheitsgesetz aber auch notwendig geworden ist. Bereits damals hat sich die SPD als Vorreiter darangemacht, die Behörden transparenter zu gestalten, und auch heute ist es die SPD, die vorangeht in dem Bestreben nach einer effizienten und offenen Bundesverwaltung. Denn offene Daten sind heute mehr denn je von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Innovationskraft der Wirtschaft und mehr Teilhabe für interessierte Bürgerinnen und Bürgern. Offene Daten ermöglichen Impulse für Innovationen und liefern neue Geschäftsmodelle für Unternehmen. In der ersten Lesung zur Änderung des E-Government-Gesetzes hatte ich einige Punkte des Regierungsentwurfes angesprochen, bei denen noch Nachbesserungsbedarf bestand. Gemeinsam mit den Unionskollegen haben wir nun substanzielle Verbesserungen erreicht. So wird der Übergangszeitraum für die Behörden der unmittelbaren Bundesverwaltung für die erstmalige Bereitstellung der Daten von drei auf zwei Jahre begrenzt. Zudem sind nun nicht nur die Daten bereitzustellen, die nach dem Inkrafttreten erhoben wurden. Auch maschinenlesbare Rohdaten, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes entstanden sind, aber weiterhin oder erneut verwendet werden, sind nun in dem Gesetz mit eingefasst. Vor allem haben wir die verschiedenen Ausnahmeregelungen auf den bereits bestehenden und in den Verwaltungen bekannten Katalog des Informationsfreiheitsgesetzes beschränkt. Ausgenommen sind solche Daten, die Persönlichkeitsrechte betreffen, Belange der äußeren oder inneren Sicherheit berühren sowie den Schutz des geistigen Eigentums und des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses Dritter verletzen. Dadurch, dass wir auf den Ausnahmekatalog des IFG verweisen, geben wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Verwaltungen eine klare und bereits bekannte Regelung an die Hand und machen es nicht komplizierter, als unbedingt notwendig. Es gibt noch weitere Punkte, die wir explizit in die Evaluation aufgenommen haben, da sie für eine zukünftige Weiterentwicklung des Open-Data-Gesetzes zu prüfen sind. Die Erweiterung des Anwendungsbereiches auf mittelbare Bundesbehörden, unter anderem die Bundesagentur für Arbeit oder der Einbezug von Forschungsdaten, sind Aspekte, die wir genau prüfen werden. Aber nun haben wir einen ersten Schritt getan, und das Gesetz bietet schon heute in Verbindung mit dem vorliegenden Änderungsantrag eine große Chance für einen echten Schub der Digitalisierung Deutschlands. Wir haben uns in weiten Teilen mit unserem Anliegen einer modernen und transparenten Verwaltung durchsetzen können. Für einen umfassenden Rechtsanspruch und eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses werden wir uns auch weiterhin einsetzen. Das Open-Data-Gesetz sehe ich als einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem modernen und umfassenden Transparenzgesetz, in dem das Informationsfreiheitsgesetz, das Open-Data-Gesetz und weitere Gesetze zu Auskunftsrechten gegenüber Bundesbehörden zusammengefasst werden. Dafür setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion weiterhin ein. Aber nun stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu und nehmen damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Als ich hier vor nicht allzu langer Zeit zur ersten Lesung des vorliegenden Gesetzes geredet habe, habe ich Kritik sowohl im großen Ganzen als auch an einzelnen Details geübt. Mit Blick auf die Änderungen, die die Koalition noch am Entwurf vorgenommen hat, kann ich feststellen: Die Kritik im Detail scheint an vielen Stellen angekommen zu sein, die größeren Probleme bleiben bestehen. Es ist zu begrüßen, dass jetzt einige sinnlose Beschränkungen wegfallen sollen, die im ursprünglichen Entwurf für die Veröffentlichung offener Daten vorgesehen waren. Das betrifft einige Ausnahmeregelungen, die über jene des Informationsfreiheitsgesetzes hinausgehen, die Anwendung auf in der Vergangenheit erhobene Datensätze und die begrenzte Zuständigkeit der Beratungsstelle. Aber größere Lücken bleiben bestehen. Insbesondere wird das Gesetz weiterhin nur Behörden der unmittelbaren Bundesverwaltung zur Bereitstellung von Daten verpflichten. Dass Sie jetzt diesen Punkt noch einmal explizit in den Evaluationsauftrag aufnehmen – wie auch die Ausnahme für zu Forschungszwecken erhobene Daten –, ist reine Kosmetik. Denn natürlich sollte von einer Evaluation zu erwarten sein, dass sie sämtliche Einzelregelungen in den Blick nimmt. Evaluationsaufträge ersetzen aber keinen politischen Willen. Entweder will man durch die öffentliche Hand erhobene Daten in möglichst großem Umfang der Allgemeinheit zur Verfügung stellen – oder eben nicht. Andere große Lücken verbleiben im Gesetzentwurf und fehlen nun auch in der Liste der zu evaluierenden Fragen. Insbesondere sollen weiterhin keine Daten veröffentlicht werden, die die öffentliche Verwaltung selbst betreffen, also etwa keine offenen Haushaltsdaten oder Daten über Zuwendungen. Auch soll es nach wie vor keinen durchsetzbaren rechtlichen Anspruch auf die Veröffentlichung geben. Daraus wird die diesem Gesetz zugrunde liegende Linie deutlich sichtbar: Offene Daten werden hier ausschließlich als wirtschaftlicher Faktor gesehen, und daran hat auch der Änderungsantrag an keiner Stelle etwas bewegt. Auch wenn das ein wichtiger Aspekt ist, wäre es ein großer Fehler, die Potenziale offener Daten für die Demokratie zu ignorieren. Offene Daten können dazu beitragen, Informationsgefälle zwischen Politik und Öffentlichkeit abzubauen. Sie können eine Grundlage nicht nur für wirtschaftliche Verwertung, sondern auch für politische Beteiligung und zivilgesellschaftliches Engagement sein. Um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen, führt kein Weg daran vorbei, gesetzlich ein umfassendes, im Einzelfall durchsetzbares Recht auf die Veröffentlichung von Informationen zu schaffen. Dazu brauchen wir die Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem echten Transparenzgesetz, wie es mehrere Bundesländer schon vorgemacht haben. Ein überzeugender Schritt in diese Richtung ist der vorliegende Gesetzentwurf nicht. Aber selbst als reines Open-Data-Gesetz überzeugt es nur begrenzt. Da das Thema nicht erst seit gestern auf der Agenda steht, hätte man hier mehr erwarten können. Als Fazit am Ende der Legislaturperiode bleibt festzustellen: Den tatsächlichen Übergang zur Öffnung der staatlichen Datenbestände, der sich mit dem Begriff Open Data verbindet, hat diese Bundesregierung nicht in die Wege gebracht. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es kommt vielleicht nicht ganz überraschend am Ende einer Regierungsbilanz, die im Bereich der Digitalpolitik vor allem durch Kompetenzstreitigkeiten und ein Wirrwarr an Zuständigkeiten geprägt war und in der wir von wenig ambitionierten Visionen – ich sage nur: 50 Mbit pro Sekunde – und handwerklich schlechten Gesetzen – ich sage nur: Störerhaftung – beileibe genug gesehen haben: Auch im Bereich der offenen Daten springt die Große Koalition einmal mehr zu kurz. Besonders enttäuschend – und da spreche ich sicher nicht nur für meine Fraktion – war in dieser Hinsicht auch Ihr Änderungsantrag, sehr geehrte Damen und Herren der Großen Koalition. Nachdem Ihr Gesetzentwurf von verschiedensten Seiten aus in der Kritik stand, gerade auch vonseiten der Fachszene und der Fachverbände, hätten nicht nur wir uns von Ihrem Änderungsantrag noch ein paar grundsätzliche Nachbesserungen erhofft. Diese sind leider ausgeblieben. Geringfügige Verbesserungen wie beispielsweise die Verkürzung der Übergangsfrist zur Bereitstellung von Daten durch die Behörden bei unverhältnismäßig hohen Aufwänden von drei auf „nur“ zwei Jahre und eine – wenn auch nur partiell geltende – Rückwirkung bei der Bereitstellung bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobener Daten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass keine der offensichtlichen und überfälligen Stellschrauben angegangen wurde. Im Gegenteil erweitern Sie in Ihrem Änderungsantrag auch noch die Ausnahmevoraussetzungen unter Bezugnahme auf das elf Jahre alte Informationsfreiheitsgesetz. Offene Daten haben – da sind wir uns ja alle einig – eine enorme Bedeutung für Mitbestimmung, Teilhabe, Transparenz und nicht zuletzt auch für die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung durch Bürgerinnen und Bürger, und – das möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal explizit erwähnen – sie leisten einen wichtigen Beitrag, um das Informationsungleichgewicht zwischen öffentlicher Verwaltung und Gesellschaft zu verringern. Zugleich haben sie einen großen Wert für alle, die aus diesen Informationen mehr machen, als es die Behörden mit ihren begrenzten Ressourcen tun können und sollten. Also für die, die kreativ sind, querdenken, mittels neuer Auswertungen, Anwendungen und Verknüpfung mit anderen Daten zusätzliches Wissen generieren, Prozesse vereinfachen oder zusätzliche Angebote schaffen, die uns allen zugutekommen. Es hätte sich also wirklich sehr ausgezahlt, mutiger zu sein in diesem Gesetzentwurf. Durch eine umfassende Berücksichtigung der Datenbestände nicht nur der Bundesbehörden, sondern auch der öffentlichen Stiftungen und Körperschaften hätten Sie zeigen können, dass Deutschland nicht vorhat, bei Open Government weiterhin auf den hinteren Plätzen der Industrienationen zu verharren. Sie hätten zeigen können, dass es ein Ziel dieser Regierung ist, eine transparente, bürgerfreundliche und leistungsstarke digitale Verwaltung zu etablieren, die keine Angst davor hat, in ihrem Verwaltungshandeln einer informierten Bewertung der Bürgerinnen und Bürger zu unterliegen. Sie hätten mit modernen Datenschutzstandards und deren konsequenter Berücksichtigung im Zuge der Prozesse der Bereitstellung offener Daten beweisen können, dass für Datenschutz und IT-Sicherheit auch in deutschen Behörden höchste Ansprüche gelten, anstatt sich hier auf elf Jahre alte Standards zu verlassen, die aus einer Zeit stammen, in der mit dem Begriff „Big Data“ noch niemand etwas anzufangen wusste. Und nicht zuletzt hätten Sie der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft auf Grundlage der mit ihren Steuergeldern erhobenen Daten ein echtes Angebot machen können für moderne, innovative und auf hohen Datenschutzstandards basierende neue und kreative Anwendungen und Dienstleistungen. Meine Damen und Herren der Großen Koalition, Sie hätten hier die Gelegenheit zu einer wirklichen Reform und dem Vorlegen eines echten und umfassenden Transparenzgesetzes gehabt. Diese Chance haben Sie vergeben. Wir können Ihrem Gesetzentwurf deshalb so nicht zustimmen. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf werden rund 300 Behörden des Bundes verpflichtet werden, ihre Daten für den Bürger zu öffnen. Mit der Regelung wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Die Offenlegung erklären wir zum Standard. Die Nichtveröffentlichung wird fortan zur Ausnahme. Open Data, das heißt die Bereitstellung von Datenbeständen zur freien Verwendung, ist ein Thema, das sich international, aber vor allem auch in Europa rasant weiterentwickelt. Die Bundesregierung geht nun innerhalb von Deutschland voran. Mit der Erklärung zur Teilnahme an der internationalen Open Government Partnership hat die Bundesregierung im vergangenen Dezember bekräftigt, dass sie mehr Offenheit anstrebt. Solch ein Kulturwandel ist jedoch nicht einfach zu erwirken und kann nicht von oben verordnet werden. Man muss diesen Wandel schrittweise herbeiführen. Dieses Gesetz bildet eine Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Daten und macht dies zugleich zur öffentlich-rechtlichen Aufgabe. Ganz bewusst ist im Gesetz die Evaluierung der Regelung vorgesehen. So verpflichtet sich die Bundesregierung, die erzielten Wirkungen mit den Absichten zu vergleichen. Das eröffnet die Möglichkeit, je nach Entwicklung Anpassungen vorzunehmen und das Thema weiterzuentwickeln. Sicherlich wird es bei der Umsetzung des Gesetzes Herausforderungen geben. Die Verwaltungskultur wandelt sich nicht automatisch, nur weil ein neuer Gesetzestext existiert. Es wird stark auf die Vermittlung von Wissen und auf geeignete Beratung ankommen, um den Open-Data-Gedanken in der Verwaltung zu vertiefen. Das Gesetz sieht daher die Einrichtung einer Beratungsstelle vor, die diesen Wissensaufbau begleiten und gestalten soll. Hier wird der Veränderungsprozess koordiniert und das Thema insgesamt weiterentwickelt. Hinzu kommt, dass die Beratungsstelle nun auch als Ansprechstelle für die Länder dienen soll. Bereits in der ersten Lesung hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass Open Data nur dann erfolgreich werden kann, wenn alle Ebenen an einem Strang ziehen. Das kann aber nicht von einer einzigen Beratungsstelle organisiert werden. Hier ist letztlich auch jeder Einzelne gefragt, die Botschaft in seinen Wahlkreis zu tragen und für ein gemeinsames Vorgehen zu werben. Die Gelegenheit ist günstig: Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme die Initiative der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt. Zudem hat die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, dass auch die Länder Open-Data-Gesetze erlassen werden. Diesen Schwung müssen wir nutzen, um Open Data weiter voranzubringen. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt eine wichtige Grundlage für mehr einheitliches Open Data in Deutschland vor. Ich bitte Sie daher, das Thema gemeinsam zu unterstützen und dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. André Hahn (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des EGovernment-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 28) Ich enthalte mich bei diesem Gesetzentwurf aus folgenden Gründen: Der Vorstoß, eine „Open Data“-Regelung für von Bundesbehörden erhobene Rohdaten zu schaffen, ist vor allem durch einen behaupteten wirtschaftlichen Nutzen in Milliardenhöhe motiviert, nicht durch Transparenzziele. Es gibt daher auch keinen Rechtsanspruch von Bürgerinnen und Bürgern auf die von öffentlichen Stellen erhobenen Daten und damit, anders als im Informationsfreiheitsgesetz (IFG), auch keine Einklagbarkeit. Gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz werden sogar zusätzliche Ausnahmetatbestände geschaffen. Für die betroffenen Verwaltungen ist keine angemessene personelle Verstärkung zur Umsetzung der Vorgaben des Gesetzentwurfs vorgesehen. Die Linke sieht deshalb im Ausbau des IFG hin zu einem Transparenzgesetz den deutlich besseren Weg, die Ziele von „Open Data“ zu verwirklichen. Anstelle mühsamer Kleinarbeit der Bürgerinnen und Bürger, für ihr Anliegen die jeweils zuständigen Stellen zu finden und mit kostenpflichtigen Anträgen zur Herausgabe von Informationen zu bewegen, stünde dann eine weitgehende Veröffentlichungspflicht der Behörden. Die Koalition hat zu ihrem Änderungsantrag eine ergänzte Fassung vorgelegt. Sie enthält – im Übrigen ohne jeden Sachbezug – eine weitere Änderung, mit der die Frist zur Beantragung von Entschädigung nach dem Dopingopferhilfegesetz um ein Jahr verlängert werden soll. Diese Änderung findet meine ausdrückliche Zustimmung, auch wenn eine gänzliche Streichung der Frist die bessere Lösung wäre. Allerdings wird es dem Leid der Opfer des Dopings in der DDR nicht gerecht, diese Fristverlängerung in einem völlig sachfremden Änderungsantrag zu verstecken. Zudem fehlt im Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer weiterhin die Öffnung gegenüber Opfern von systematischem Sportdoping in der alten Bundesrepublik bezüglich einer vergleichbaren finanziellen Unterstützung. Aus den angeführten Gründen enthalte ich mich bei der Abstimmung zum Ersten Gesetz zur Änderung des EGovernment-Gesetzes. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) – des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatztagesordnungspunkt 7) Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Gesetze, die nur punktuell verbessert und optimiert werden müssen, sind mir am liebsten. Einmal sehen wir, dass das Gesetz im Prinzip genau richtig ist. Es funktioniert. Aber die Praxis ist oft unberechenbar. Ein guter Gesetzgeber weiß das, und er weiß auch, dass er deshalb Gesetze überprüfen, auswerten und gegebenenfalls anpassen muss. Beim Personenstandsrechts-Änderungsgesetz ist genau dies der Fall. Wir haben 2009 eine sinnvolle und dringend notwendige Modernisierung des Personenstandsrechts durchgeführt. Jetzt passen wir es an, damit es noch näher am Bürger und noch näher an unserem Zeitgeist ist. Einmal mussten wir vor acht Jahren, wie bei so vielen Änderungen, den modernen technischen Anforderungen gerecht werden. Deshalb wurden die behördlichen Verfahren dem technologischen und gesellschaftlichen Wandel angepasst. Besonders in der Praxis führte das zu optimierten Arbeitsabläufen. Mit der Änderung der personenstandsrechtlichen Vorschriften in Form des Personenstandsrechts-Änderungsgesetzes soll die Entwicklung der vergangenen Jahre in diesem Bereich fortgeführt werden. Wir haben gesehen, dass einzelne Punkte in der Praxis noch nicht optimal funktionieren. Deshalb werden wir mit dem Personenstandsrechts-Änderungsgesetz speziell Regelungslücken und noch vorhandene Schwachstellen in den Arbeitsprozessen der Standesämter beheben. Eine weitere sinnvolle Anpassung ist die Entlastung des Standesamtes 1 in Berlin. Hierzu wird die Zuständigkeit für die Beurkundung von Personenstandsfällen und Namenserklärungen von Deutschen im Ausland auf die regionalen Wohnsitzstandesämter verlagert, wenn der Betroffene einen früheren Wohnsitz im Inland hatte. Auch die Entgegennahme namensrechtlicher Erklärungen, für die kein inländischer Personenstandseintrag besteht, wird Aufgabe der lokalen Standesämter. Das soll nicht dazu führen, dass das Standesamt I in Berlin in Zukunft ohne Arbeit dasteht. Es soll auch nicht dazu führen, dass andere Standesämter mit Arbeit überflutet werden. Es soll einfach gerechter aufgeteilt werden. Dies führt aber nicht nur zu der nötigen Entlastung der dortigen Standesbeamten, sondern auch zu einem deutlich optimierten und deshalb auch schnelleren Bearbeitungsverfahren. Für die im Ausland lebenden Deutschen ist die Beantragung der hier betroffenen Beurkundungen in Zukunft auch kein (großer) zeitlicher Aufwand mehr. Die zweite große Anpassung ist diejenige, bei der es um den Bereich der Vornamen geht. Wir alle kennen das aus unserem Bekannten-, Freundes- oder Verwandtenkreis. Da bekommen die Kinder nicht immer nur einen Vornamen, sondern gerne zwei oder drei. Die werden dann kombiniert oder aneinandergereiht. Da heißt dann die Emilie nicht nur Emilie, sondern Emilie Rosa. Und vielleicht möchte sie sich irgendwann einmal entscheiden, wie sie genannt wird: ob Emilie oder Rosa oder beides. Die Anpassung der Gesetzgebung an die gesellschaftliche Entwicklung spiegelt sich in diesem Entwurf in der Möglichkeit, die Reihe der Vornamen in Zukunft per Antrag beim Standesamt selbst bestimmen zu können, wider. Hiermit werden wir verhindern, dass zum Beispiel Versicherungen, Banken, Fluggesellschaften etc. den im Alltag ungebräuchlichen Vornamen vor allem im postalischen Verkehr verwenden. Das kenne ich nur zu gut. Da denkt man sich, wenn man einen Katalog oder einen Werbebrief eines Nachbarn sieht, schon dann und wann mal: Ach, so heißt der. – Und dann trifft man ihn, kommt zum Du und merkt auf einmal, dass er gar nicht so heißt, wie es auf dem Brief steht, weil er eben seit der Schulzeit schon immer den zweiten Namen zum Rufnamen hatte. Und das soll eben jeder selbst am besten wissen, was der Rufname ist und was für ein Name auf dem Brief stehen soll. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die betroffenen Bürger in ihrer Individualität und freien Bestimmung der eigenen Lebensweise zu unterstützen. Einen letzten Punkt spreche ich noch an: Die Verlängerung der Fortführungsfrist der Sterbefallbeurkundung auf 80 Jahre für Sterbefälle in ehemaligen Konzentrationslagern bedarf in der Regel keiner ausführlichen Begründung. Viele Schicksale der Vermissten sind nicht geklärt, sodass auch die Arbeit des Sonderstandesamts in Bad Arolsen im Sinne der Hinterbliebenen noch lange nicht getan ist. Neben der Optimierung der Beurkundungsmodalitäten und dem damit einhergehenden Bürokratieabbau kann mit Einsparungen von etwa 406 000 Euro gerechnet werden. Geringe Kosten und kürzere Wartezeiten sind Indiz einer modernen Verwaltung, die mit dieser Änderung geschaffen werden soll. Und der Verbraucher muss mit keinen zusätzlichen Kosten rechnen. Alles in allem sind die Änderungen des Personenstandsrechtsgesetzes angebracht und werden zu positiven Entwicklungen führen. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung. Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Die Dokumentation der familienrechtlichen Verhältnisse erfolgt nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes ausschließlich durch den Standesbeamten. Er beurkundet die Personenstandsfälle (Eheschließungen, Begründungen von Lebenspartnerschaften, Geburten und Sterbefälle) in den von ihm geführten Personenstandsregistern (Heiratsregister, Lebenspartnerschaftsregister, Geburtenregister und Sterberegister). Die Vorschriften für die Beurkundung des Personenstands sind durch das Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts vom 19. Februar 2007 neu geregelt worden. Das Reformgesetz ist am 1. Januar 2009 in Kraft getreten und enthält als Kernelement vor allem die Beurkundung in elektronisch geführten Personenstandsregistern, die nach einer Übergangszeit von fünf Jahren seit dem 1. Januar 2014 obligatorisch ist. Nähere Ausführungsvorschriften, insbesondere auch zu den technischen Vorgaben zur Durchführung der elektronischen Personenstandsregistrierung und des elektronischen Datenaustausches, wurden in der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes geregelt, die ebenfalls am 1. Januar 2009 in Kraft trat. Mit dem Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften vom 7. Mai 2013 wurden erste Erfahrungen der Standesämter und Rechenzentren mit dem neuen Recht und der Anwendung der elektronischen Prozesse in das Personenstandsgesetz und die Personenstandsverordnung übernommen. Inzwischen liegen weitere Erfahrungswerte aus der standesamtlichen Praxis vor, die eine Anpassung des personenstandsrechtlichen Regelungswerks erforderlich machen. Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt Schwachstellen und Regelungslücken in den personenstandsrechtlichen Vorschriften. Auf Grundlage der Empfehlung des Bundesrates sowie des Berichtes und der Beschlussempfehlung des Innenausschusses werden entsprechende Änderungen vorgenommen, die seit der ersten Reform des Personenstandsrechts im Jahr 2009 notwendig geworden sind. Ich möchte beispielhaft auf zwei wesentliche Punkte eingehen: Der Entwurf erweitert die Zuständigkeit des Wohnsitzstandesamts für die Nachbeurkundung von Geburten, Eheschließungen, Lebenspartnerschaften und Sterbefällen von Deutschen, die im Ausland leben. Bislang war allein das Standesamt I in Berlin für diese Fälle verantwortlich. Zur Verkürzung von Wartezeiten wird künftig die Zuständigkeit auf die regionalen Wohnsitzstandesämter verlagert, wenn der Betroffene einen früheren Wohnsitz in Deutschland hat. Gerade die begrenzte Zahl der Fälle führt nach unserer Ansicht nicht zu einer übermäßigen Belastung einzelner Standesämter, weshalb wir an dieser Änderung festhalten werden. Darüber hinaus eröffnet das Gesetz betroffenen Personen zukünftig die Möglichkeit, die Reihenfolge ihrer Vornamen durch eine Erklärung vor dem Standesamt neu zu bestimmen. Damit wird verhindert, dass zum Beispiel Fluggesellschaften oder Banken anstatt des Rufnamens den in der Vornamensreihenfolge im Ausweisdokument stehenden ersten Namen verwenden. Die noch geltende Regelung führt bei den Betroffenen häufig zu Unmut, da im Alltag oft nicht der Rufname Verwendung findet. Ich denke, dass wir mit dieser Reform des Personenstandsrechts die Schwachstellen, die seit der letzten Reform verblieben sind, beseitigen können. Deswegen werbe ich um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. Teil dieser Debatte ist auch der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze. Das Transsexuellengesetz soll nach Vorstellung der Grünen durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt und einzelne Paragrafen des Personenstandsrechts im Hinblick auf selbst bestimmte Geschlechtsidentität geändert werden. Der Gesetzentwurf wird nun an den Innenausschuss überwiesen. Die weiteren Beratungen im parlamentarischen Verfahren werden zeigen, ob die vorgeschlagenen Änderungen sinnvoll sind. Gabriele Fograscher (SPD): Das Personenstandsrecht regelt die Anzeige und Dokumentation familienrechtlicher Verhältnisse gegenüber der zuständigen Behörde, dem Standesamt. Beim Standesamt werden Personenstandsfälle, also Eheschließungen, Begründungen von Lebenspartnerschaften, Geburten und Sterbefälle, in den dort geführten Personenstandsregistern beurkundet. Zum 1. Januar 2009 hatten wir das Personenstandsrecht umfassend reformiert. Schwerpunkte der Reform waren: die Einführung elektronischer Personenstandsregister anstelle der bisherigen papiergebundenen Personenstandsbücher, die Begrenzung der Fortführung der Personenstandsregister durch das Standesamt sowie die Abgabe der Register an die Archive, die Ersetzung des Familienbuchs durch Beurkundungen in den Personenstandsregistern, die Reduzierung der Beurkundungsdaten auf das für die Dokumentation des Personenstandes erforderliche Maß, die Neuordnung der Benutzung der Personenstandsbücher sowie die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für eine Testamentsdatei. 2013 gab es einige technische und redaktionelle Änderungen aufgrund einer Evaluierung des Gesetzes. Geändert wurde auch die Regelung zum Geschlechtseintrag. Seit dem 1. November 2013 gilt die Regelung: Wenn ein Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann, kann auf diese Angabe im Geburtenregister verzichtet werden. Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften beschließen wir weitere Verbesserungen. Beurkundungsmodalitäten werden optimiert und angepasst. Die Praxis hat gezeigt, dass es bei Beurkundungen durch das Standesamt I Berlin zu sehr langen Wartezeiten kommt. Das Standesamt I Berlin ist das sogenannte Auslandsstandesamt der Bundesrepublik Deutschland. Seine Aufgaben sind vielfältig. Dazu gehören unter anderem: Beurkundung von Geburten und Sterbefällen Deutscher ohne Inlandswohnsitz, die sich im Ausland ereignet haben; Beurkundung von im Ausland geschlossenen Ehen und Lebenspartnerschaften Deutscher ohne Inlandswohnsitz; Beurkundung von Geburten und Sterbefällen auf deutschen Seeschiffen; Ausstellung von Ehefähigkeitszeugnissen für Deutsche, die niemals einen Inlandswohnsitz hatten; Ausstellung von Bescheinigungen über die Namensführung von Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern; Führung der Konsular- und Kolonialregister; Führung der beim ehemaligen Standesamt I Berlin (Ost) sowie von den Auslandsvertretungen der DDR in der Zeit von 1948 bis 1990 angelegten Personenstandsbücher; Führung von deutschen Standesamtsregistern ehemaliger besetzter Gebiete; Führung des sogenannten Wehrmachtfamilienbuchs (Einträge zu im Ausland geschlossenen Ehen von Angehörigen der ehemaligen deutschen Wehrmacht). Um das Standesamt I Berlin zu entlasten und Bearbeitungszeiten zu verkürzen, werden künftig die ehemaligen Wohnsitzstandesämter für Deutsche im Ausland für die Beurkundungen von Personenstandsfällen und Namenserklärungen zuständig. Personen, die mehrere Vornamen haben, deren erster Vorname aber nicht der Rufname ist, bekommen von vielen Einrichtungen wie Banken oder Versicherungen Post, in denen meist nur der erste Vorname in der Anschrift steht, aber nicht der Rufname. Das führt oftmals zu Irritationen. Deshalb regelt das Gesetz, dass erstmals Personen die Reihenfolge ihrer Vornamen per Erklärung beim Standesamt ändern können. Damit wird ermöglicht, dass der gebräuchliche Vorname als Erstes in den Ausweisdokumenten steht und nicht ein Name, der im täglichen Leben nicht gebräuchlich ist. Seit Jahren mahnen meine Fraktion und ich eine Novellierung des Transsexuellengesetzes von 1980 an. Mehrere Vorschriften dieses überholten und nicht mehr der Lebenswirklichkeit entsprechenden Gesetzes sind inzwischen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft und somit als nicht anwendbar erklärt worden. Leider konnten wir unseren Koalitionspartner nicht überzeugen, hier Änderungen herbeizuführen. Das werden wir dann in der nächsten Wahlperiode in einer anderen Konstellation machen müssen. Deshalb begrüße ich es umso mehr, dass die Bundesregierung eine Anregung des Bundesrates aufgenommen hat und wir als Koalitionsfraktionen diesen Vorschlag in unseren Änderungsantrag aufgenommen haben. Wir werden § 3 Transsexuellengesetz – Verfahrensfähigkeit, Beteiligte – ändern. Das bisherige Recht schreibt vor, dass für Verfahren nach diesem Gesetz ein Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt werden muss. Diese Vertreter sind per Rechtsverordnungen der Landesregierungen entweder die Staatsanwaltschaften bei Land- oder Oberlandesgerichten oder bestimmte Behörden der Innenverwaltung. Aufgrund der steigenden Anzahl der Verfahren hat der Verwaltungsaufwand stark zugenommen. Da aber die Einwirkungsmöglichkeiten des Vertreters des öffentlichen Interesses sehr gering sind, kann durchaus auf diese Institution verzichtet werden. Da wir als SPD-Bundestagsfraktion bereits mehrfach Versuche unternommen haben, das Transsexuellengesetz zu reformieren, begrüßen wir den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen. Viele Ideen, die dieser Gesetzentwurf enthält, finden unsere Unterstützung. Inzwischen gibt es auch einen Antrag des Landes Rheinland-Pfalz, dem Brandenburg, Bremen und Thüringen beigetreten sind. Dieser fordert die Aufhebung des Transsexuellengesetzes sowie die Erarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung. Gerne hätten wir in dieser Legislaturperiode Verbesserungen für die betroffenen Menschen geschaffen, doch leider macht da unser Koalitionspartner mal wieder nicht mit. Ich unterstütze ausdrücklich die Aussage von Heiko Maas, dass es mit der SPD nur einen Koalitionsvertrag geben wird, der die Ehe für alle beinhaltet, und füge hinzu: Es wird auch nur einen Koalitionsvertrag mit uns geben, der eine Modernisierung des Transsexuellengesetzes vorsieht. Petra Pau (DIE LINKE): Wir debattieren heute abschließend über einen Gesetzentwurf der Koalition zu einigen Änderungen im Personenstandsrecht und in erster Lesung über einen Entwurf der Grünen für ein Gesetz zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität. Zunächst zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Der Gesetzentwurf enthält im Nachgang zur vorangegangenen größeren Änderung des Personenstandsrechts der 16. Wahlperiode ein paar kleinere Änderungen, die insbesondere auf die Bedürfnisse von Deutschen im Ausland und Personen, die im Alltag ihren zweiten Vornamen gebrauchen und dies auch im Behördenverkehr und bei Beurkundungen tun wollen, stärker Rücksicht nehmen wollen. Beispielsweise müssen Anträge auf Personenstandsurkunden vom Ausland aus zukünftig nicht mehr beim Standesamt I Berlin gestellt werden. Wer im Ausland lebt und vorher in Deutschland gemeldet war, kann zukünftig bei der regional zuständigen Meldebehörde Urkunden beantragen. Mit einem Änderungsantrag wurden hierzu noch Übergangsregelungen ergänzt, die für die Verwaltungsabläufe wichtig sind. Das sind alles kleine, aber sinnvolle Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger, die wir begrüßen. Wir werden dem Gesetzentwurf daher zustimmen. In eine ganz andere Richtung geht der Gesetzentwurf der Grünenfraktion zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität. Dadurch soll das derzeit geltende Transsexuellengesetz ersetzt werden. Auch die Linke sieht die Probleme beim geltenden Transsexuellengesetz. Daher begrüßen wir, das Thema noch einmal ernsthaft anzugehen und zu überlegen, wie wir die Bedürfnisse von Trans- und Intersexuellen und Transgender besser berücksichtigen können. Leider kommt der Gesetzentwurf nun etwas kurz vor knapp; eine wirklich gründliche Beratung wird angesichts von drei verbleibenden Sitzungswochen schwierig. Worum geht es genau? Uns allen erscheint es vollkommen normal, dass uns ab Geburt ein bestimmtes Geschlecht zugeschrieben wird, männlich oder weiblich. Einen entsprechenden Eintrag gibt es in Personenstandsurkunden, im Personalausweis und im Reisepass. Nun gibt es Menschen, die sich dem Geschlecht in ihrem Personalausweis nicht mehr zurechnen und die dann gern ihren Vornamen und den entsprechenden Eintrag ändern wollen. Das ist bislang nur möglich, wenn zuvor hohe Hürden genommen werden. Schon für eine Änderung des Vornamens brauchen die Betroffenen nach derzeitiger Rechtslage ein psychologisches Gutachten. Wer seinen Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern lassen will, muss sich also medizinisch befunden lassen. Damit werden die betroffenen Menschen weiterhin als irgendwie abnormal bis krank behandelt. Dieser Umgang stammt noch aus einer Zeit, als Transsexualität im Wesentlichen als psychiatrische Störung gesehen wurde. Gerade angesichts der zunehmenden rechten Hetze gegen sexuelle Vielfalt sind wir als Gesetzgeber gefragt, hier ein deutliches Zeichen zu setzen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Rechte von Transpersonen sind Menschenrechte. Und das muss sich auch in unserem Recht widerspiegeln. Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften vereinfacht die Änderung der Reihenfolge von Vornamen. Diesen liberalen Geist wünsche ich mir von Union und SPD auch dann, wenn es um Transpersonen geht. Der Gesetzentwurf vereinfacht das Verfahren zur Personenstandsänderung für Transpersonen ein kleines bisschen, indem die nach bisherigem Recht vorgeschriebene Beteiligung des Vertreters des öffentlichen Interesses entfällt. Beteiligte des Verfahrens sind also nur noch die Antragstellenden. Das ist eine Minimaländerung und kein großer Wurf. Dabei gibt es personenstandsrechtlich einigen Nachbesserungsbedarf, dem man nicht durch minimales Herumdoktern am Transsexuellengesetz gerecht wird. Schauen Sie sich das Transexuellengesetz einmal an: Es ist über 30 Jahre alt, und viele Einzelbestimmungen wurden mittlerweile durch das Bundesverfassungsgericht in insgesamt sechs Urteilen für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz liegt in Trümmern. Zwei wissenschaftliche Gutachten aus diesem Jahr, von der Bundesvereinigung Trans* und vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin, kommen zum gleichen Ergebnis: Es gibt dringenden Reformbedarf! Das Transsexuellengesetz baut unbegründete Hürden für die Änderung des Vornamens und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit auf. Transpersonen, die ihren Personenstand ändern wollen, müssen Zeit und Geld investieren, um zwei Gutachten bei Gericht vorlegen zu können, die ihre sexuelle Identität „bescheinigen“. Was für ein Unsinn! Niemand außer den Betroffenen selbst kann Auskunft über das Geschlecht geben. Sexuelle Identität lässt sich nicht diagnostizieren. Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass ihre Geschlechtsidentität respektiert wird. Wer im Laufe des Lebens feststellt, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht der tatsächlichen Geschlechtsidentität entspricht, dem steht es zu, dass seine Identität anerkannt wird. Deshalb haben wir Grüne heute einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt: das Selbstbestimmungsgesetz. Ein neues Gesetz muss den Respekt für die Identität der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das Recht ist schließlich für die Menschen da und nicht umgekehrt! Die Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität ist ein Menschenrecht. Wenn der Staat schon darauf besteht, das Geschlecht seiner Bürgerinnen und Bürger zu registrieren, dann sollen sie das frei und unkompliziert selbst bestimmen dürfen. Andere Länder machen es vor, zum Beispiel Argentinien, Malta, Dänemark, Irland, Norwegen. Allesamt sind sie weiter als Deutschland! Das Selbstbestimmungsgesetz soll das Verfahren zur Änderung der Vornamen und zur Anpassung der Geschlechtszugehörigkeit vereinfachen. Beides soll nur noch vom Geschlechtsempfinden des Antragstellenden abhängig sein. Statt entwürdigender Gutachten zur Geschlechtsfeststellung und Verfahren vor dem Amtsgericht sollen Vornamen- und Personenstandsänderung im Rahmen eines einfachen Verwaltungsaktes beim Standesamt erfolgen. Denn geschlechtliche Identität kann man nicht diagnostizieren. Lediglich Betroffene können darüber kompetent Auskunft geben. Mit Vollendung des 14. Lebensjahres sollen diese Vorgänge auch ohne das Mitwirken eines gesetzlichen Vertreters möglich sein. Ab diesem Alter misst die Rechtsordnung Minderjährigen die Fähigkeit bei, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen. Das muss auch für identitätsbezogene Entscheidungen gelten. Beratungen sollen über mögliche Folgen aufklären. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, Beratungsstellen auszubauen. Nach einer Personenstandsänderung muss es den Betroffenen möglich sein, eine Ehe in eine Lebenspartnerschaft zu überführen oder umgekehrt. Dadurch werden Zwangsoutings vermieden, solange die Lebenspartnerschaft noch nicht durch die Ehe für alle überwunden ist. Das Offenbarungsverbot, also das Verbot, die Eintragungsänderung ohne berechtigtes rechtliches Interesse auszuforschen oder zu offenbaren, soll verschärft werden. Betroffene müssen vor Behörden und Unternehmen durchsetzen können, Unterlagen und Zeugnisse entsprechend ihrer Geschlechtsidentität ausgestellt zu bekommen. Wir brauchen eine Politik, die vom Respekt der geschlechtlichen Identität und Vielfalt der Menschen ausgeht anstatt von irgendwelchen Normalitätsvorstellungen, denen sich der Mensch zu unterwerfen hat. Unser Vorschlag für ein Selbstbestimmungsgesetz stellt die Selbstbestimmung und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld – des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) (Tagesordnungspunkt 30 a und b) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wenn ein Mensch durch fremdes Verschulden zu Tode kommt, dann muss der Rechtsstaat darauf eine Reaktion folgen lassen. Diese Reaktion ist gerade für die Hinterbliebenen unglaublich wichtig. Sie finden sich und ihre schwere, schier unerträgliche Situation im Rechtsstaat anerkannt. Der Staat reagiert auf zwei Wegen: zum einen über das Strafrecht. Hier geht es um Sanktion, um Schuld und Sühne. Der zweite Weg ist das Zivilrecht. Hier geht es um die Frage, inwieweit der Schmerz, das Leid der Angehörigen durch Schmerzensgeld Anerkennung erfahren kann. Dabei sind wir uns alle einig, dass Geld einen solchen Verlust niemals wird aufwerten können. Bei selbstkritischer Betrachtung müssen wir feststellen, dass gerade auf der zivilrechtlichen Seite eine Regelungslücke besteht. Der bayerische Justizminister Winfried Bausback hat das sehr zutreffend umschrieben: Wenn ein junges Ehepaar das Kind auf dem Schulweg durch einen Verkehrsunfall mit dem Fahrrad verliert, hat der Staat zur Antwort, dass er den Verlust des Fahrrades ausgleicht – durch Schadensersatz –, aber nicht den Verlust des Kindes in Form von Schmerzensgeld. Die Voraussetzungen, welche die Rechtsprechung für Schmerzensgeld infolge eines Schockschadens von Angehörigen formuliert, sind sehr hoch. Es muss zu einer Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens von einigem Gewicht und einiger Dauer kommen. Die bloße Trauer genügt dafür nicht. Deshalb war es gerade der CSU ein Anliegen, die Beseitigung dieser Regelungslücke in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln. Als dann in den Folgemonaten aus dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz keinerlei Vorschläge unterbreitet wurden, brachte Bayern bereits im Jahr 2015 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat ein. Der vorliegende Entwurf schließt die Gesetzeslücke und stellt den Schmerzensgeldanspruch der Hinterbliebenen in das Ermessen des Gerichts. Zum Schluss möchte ich noch einige Sätze über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen verlieren. Mir ist schon wichtig, dass wir parteiübergreifend den Handlungsbedarf im Opferentschädigungsgesetz erkannt haben. Bereits vor dem Anschlag in Berlin hat das zuständige Ministerium mit umfassenden Reformüberlegungen im Entschädigungs- und Schadensersatzrecht begonnen. Es handelt sich hier um eine komplexe Materie mit vielen inneren Zusammenhängen. Daher wäre es nicht richtig, eine Einzelfrage nun vorab herauszulösen und isoliert zu entscheiden. Ich glaube, es ist verantwortungsbewusst, die umfassende, konsistente und in sich schlüssige Gesamtreform abzuwarten. Allerdings bitte ich die Opposition auch darum, nicht immer wieder den Eindruck zu erwecken, als stünden die Verletzten durch Autoattacken schutzlos da. Der Entschädigungsfonds der Verkehrsopferhilfe verfügt allerdings über eine Deckelung von 7,5 Millionen Euro, die beseitigt werden muss. Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Heute können wir endlich den Gesetzentwurf zur Einführung eines Hinterbliebenengeldes abschließend beraten und beschließen. Dieser Gesetzentwurf stützt sich auf den Koalitionsvertrag, in den die Union dieses Vorhaben hineinverhandelt hat. Wie bei vielen anderen unserer Punkte stand die Einführung eines Hinterbliebenengeldes auf der Prioritätenliste von Bundesjustizminister Heiko Maas nicht oben. Aus diesem Grund hat es bedauerlicherweise fast vier Jahre gedauert, bis wir heute das Gesetz beschließen können. Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, sollen als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch bekommen, der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt. Anders als andere europäische Rechtsordnungen sieht das deutsche Haftungsrecht bislang kein Hinterbliebenengeld oder Angehörigenschmerzensgeld vor. Nur bei sogenannten Schockschäden werden neben den materiellen Schäden auch die immateriellen Folgen ersetzt. Bei diesen wird ein am Geschehen an sich unbeteiligter Dritter durch das Miterleben oder die Benachrichtigung über den Tod nach einem Unfall psychisch so stark belastet, dass dieser Schock selbst Krankheitswert hat. Dann hat der Verursacher den Dritten in dessen eigener Gesundheit verletzt. Dafür müssen nach ständiger Rechtsprechung die medizinisch fassbaren Auswirkungen nach Art und Schwere deutlich über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Bleibt der unmittelbar Verletzte am Leben, hat er derzeit Anspruch auf Ersatz sämtlicher Vermögens- und auch Nichtvermögensschäden. Im Falle seines Todes können die Angehörigen aber nur Ersatz der durch die Tötung zugefügten Vermögensschäden fordern, wie Beerdigungskosten und gegebenenfalls Unterhalt. Das heißt, ein Schädiger steht im Falle der Tötung eines Dritten wirtschaftlich besser da als bei einer Körperverletzung. Das ist ein Wertungswiderspruch und nicht gerecht. In der Anhörung wurde die Frage der Kommerzialisierung von persönlichem Leid problematisiert. Damit haben wir uns selbstverständlich auch zuvor schon auseinandergesetzt. Deshalb sei noch einmal betont, dass es nicht um die materielle Bewertung menschlichen Lebens geht, sondern um eine symbolische Anerkennung seelischen Leids. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der tiefe seelische Schmerz, unter dem man ein Leben lang leidet, wenn etwa das eigene Kind bei einem Unfall getötet wird, von der deutschen Rechtsordnung bislang überhaupt nicht anerkannt wird. Das gilt umso mehr, weil beispielsweise für entgangene Urlaubsfreude, Ehrverletzungen und Kfz-Nutzungsausfall Entschädigung gezahlt werden muss. Während Hinterbliebene in Deutschland ihren Trauerschmerz nach einem solchen Schicksalsschlag bislang entschädigungslos verarbeiten müssen, sehen andere europäische Rechtsordnungen Ansprüche auf Angehörigenschmerzensgeld vor. Selbstverständlich kann kein Geld der Welt die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen wirklich ausgleichen. Das will und kann das Gesetz auch nicht. Der Anspruch ist daher auf einen symbolischen Ausgleich des Trauerschmerzes gerichtet. Damit setzt die Rechtsgemeinschaft aber zugleich ein Zeichen der Solidarität mit den Hinterbliebenen. So wird mit dem Hinterbliebenengeld gezeigt, dass ein Tod mehr auslöst als Beerdigungskosten und entgehenden Unterhalt. Künftig wird ein Ersatzpflichtiger denjenigen Hinterbliebenen, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld leisten müssen. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist bewusst eng gefasst, lässt aber auch die erforderliche Flexibilität. Das besondere persönliche Näheverhältnis wird bei Ehegatten, Lebenspartnern, Elternteilen oder Kindern vermutet. Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften setzt der Anspruch ein zwischen den Partnern bestehendes „besonderes persönliches Näheverhältnis“ voraus, das dem Verhältnis entspricht, das typischerweise zwischen Ehegatten, Lebenspartnern sowie Eltern und Kindern besteht. Über die konkrete Anspruchshöhe werden die Gerichte entscheiden. Diese werden berücksichtigen, dass für den Anspruch kein Gesundheitsschaden nachgewiesen werden muss und Ziel des Hinterbliebenengeldes ein symbolischer Ausgleich ist. Dabei ist klar, dass sich die Summen in das eher restriktive deutsche Schadensersatzrecht einfügen müssen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Auch in der Anhörung waren sich die Sachverständigen einig, dass die künftig als Hinterbliebenengeld gezahlten Beträge aufgrund Gesetzeszweck und Regelungssystematik hinter den für Schockschäden zugesprochenen Summen zurückbleiben, das heißt niedriger sein müssen als beispielsweise Schadensersatz für nachgewiesene Gesundheitsschäden. Die anfänglich vom Koalitionspartner publizierten Überlegungen, jedem anspruchsberechtigten Hinterbliebenen könnten bis zu 60 000 Euro zustehen, waren rein politisch motiviert und sind in der Sache völlig abwegig. Sie finden in diesem Gesetz keine Grundlage. Wir als Union wollen das gut austarierte deutsche Schadensersatzrecht nicht auf den Kopf stellen. Zu Irritationen geführt hat die vom BMJV im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung skizzierte Berechnung der weiteren Kosten, die lautet: „Angesichts der durchschnittlichen Beträge von etwa 10 000 Euro, die derzeit von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als Entschädigung für sog. Schockschäden, die über das gewöhnliche Maß an Trauer und seelischem Leid hinausgehen, zugesprochen werden, ist mit jährlichen Gesamtkosten durch die Zahlung von Hinterbliebenengeld von nicht mehr als rund 240 Mio. Euro zu rechnen.“ Nachdem das BMJV zunächst aus bestimmten Gründen komplett auf Ausführungen zum Erfüllungsaufwand und zu Kosten verzichten wollte, wurde dann im Ergebnis „mit dem dicken Daumen“ auf der Grundlage der Schockschadenrechtsprechung eine theoretische Maximalsumme berechnet. Tatsächlich sollen die Summen nach dem Willen des Gesetzgebers leicht unter denen der Schockschadenrechtsprechung liegen. Die CDU/CSU-Fraktion wollte schließlich im Rahmen der parlamentarischen Beratungen eine Änderung beim Zugewinnausgleich regeln und Schmerzensgeldansprüche vom Zugewinnausgleich ausnehmen. Entschädigungen für immaterielle Schäden sollen dem Anfangsvermögen zugerechnet werden, denn sie sind der höchstpersönlichen Sphäre eines Ehegatten zuzuordnen. Sie stehen gerade nicht im Zusammenhang mit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft. Gerade beim Hinterbliebenengeld wird die enge Verbindung zum persönlichen Schicksal des Geschädigten und zu dessen sehr individuell empfundenen Trauer besonders deutlich. Diese gehört nicht in den Zugewinnausgleich, denn der andere Ehegatte wird regelmäßig nicht so mitbetroffen sein, dass seine nachträgliche Beteiligung über einen Zugewinnausgleich gerechtfertigt wäre. Deshalb hatte auch der Rechtsausschuss des Bundesrates gefordert, das Schmerzens- und Hinterbliebenengeld künftig aus dem Zugewinnausgleich herauszunehmen. Mit dem Koalitionspartner war das in der ablaufenden Wahlperiode nicht mehr umsetzbar; deshalb werden wir dies auf unsere Agenda für die kommende Wahlperiode setzen. Ich freue mich, dass wir fraktionsübergreifend dieses Gesetz nun beschließen werden. Es ist für die Tausenden von Angehörigen, die einen geliebten Menschen verloren haben, ein Zeichen des Mitgefühls und der Anteilnahme unserer Rechtsgemeinschaft. Dr. Johannes Fechner (SPD): Wir freuen uns sehr, dass wir nach intensiven und guten Beratungen, für die ich allen Beteiligten danke, heute das parlamentarische Verfahren abschließen und für Hinterbliebene eine eigene zivilgesetzliche Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung schaffen. Damit stehen wir den Hinterbliebenen zur Seite und stellen klar: Das seelische Leid von Menschen, die einen nahestehenden Menschen durch einen Unfall oder eine Straftat verloren haben, wird künftig nicht mehr ohne Anerkennung bleiben. Der Tod eines nahestehenden Menschen ist der schlimmste Verlust, den man sich vorstellen kann, und wir werden das Leid der Hinterbliebenen nicht durch Geld aufheben können. Aber zumindest ein Stück weit kann das Leid von Hinterbliebenen durch eine Geldzahlung gelindert werden, und dafür ist im Bürgerlichen Gesetzbuch eine eigene Anspruchsgrundlage für Hinterbliebene erforderlich. Es ist nach heutiger Rechtslage zu kompliziert und zu schwierig für Angehörige von Todesopfern, nach den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes festgelegten Grundsätzen Entschädigungszahlungen zu erlangen. Denn nach heutiger Rechtslage haben Angehörige nur dann einen Anspruch, wenn sie eine über das Maß der normalen Trauer hinausgehende seelische Beeinträchtigung nachweisen können. Dies gelingt nur selten. Es war mir persönlich und der SPD-Fraktion deshalb ein großes Anliegen, für die Angehörigen eine klare Rechtsgrundlage für eigene Ansprüche zu schaffen, bei denen die Hürden für eine Entschädigungszahlung nicht derart hoch sind. Deshalb wird das Bürgerliche Gesetzbuch künftig mit dem neuen Absatz 3 des § 844 BGB den Personen einen Entschädigungsanspruch gegen den Schädiger gewähren, die einen nahestehenden – nicht notwendigerweise verwandten – Menschen durch eine Straftat oder einen Unfall verloren haben. Systematisch richtig ist der Anspruch im Gesetz im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Ansprüche Dritter infolge unerlaubter Handlungen verortet. Der Begriff „Hinterbliebene“ ist bewusst gewählt. Damit sind auch Mitglieder von Patchwork-Familien oder unverheiratete Partner erfasst. Wir haben uns gegen den deutlich engeren Begriff der „Angehörigen“ entschieden. Denn Verwandtschaft allein sagt nichts über das Näheverhältnis zweier Menschen aus. Dieses kann bei nichtverwandten Menschen so eng sein, dass der Verlust eines nahestehenden Menschen erheblichen seelischen Schmerz auslöst. Beispielsweise kann ein unverheirateter Partner dem Verstorbenen so nahegestanden haben, dass wir ihm oder ihr zum Ausgleich seines seelischen Leides einen eigenen Anspruch geben sollten. Umgekehrt besteht kein Bedürfnis, Familienangehörigen, die schon über Jahre keinen Kontakt mehr miteinander haben, quasi automatisch und in jedem Fall einen Entschädigungsanspruch zu gewähren. Wir haben uns daher für die Lösung entschieden, die für nahe Familienangehörige ein Näheverhältnis vermutet. Das wird in § 844 Absatz 3 Satz 2 BGB geregelt. Diese gesetzliche Vermutung legt ein intaktes Familienverhältnis zugrunde und erspart den Hinterbliebenen, die Existenz dieses Regelfalls darzulegen und gegebenenfalls beweisen zu müssen. Die Betroffenen sollen damit im Unglücksfall nicht noch belastet werden. Wenn dies tatsächlich nicht der Fall ist, kann die Vermutung vom Anspruchsgegner im Einzelfall widerlegt werden. Damit können Fälle ausgeschlossen werden, in denen zwischen den privilegierten Anspruchstellern und dem Opfer nur noch ein formales familienrechtliches Band, aber möglicherweise gar kein Kontakt mehr bestand. Die gewählte Formulierung stellt also auf die individuellen Verhältnisse im Einzelfall ab und kommt so zu ausgewogenen und angemessenen Lösungen. Was die Höhe des Anspruchs angeht, so haben wir uns dafür entschieden, diese Festlegung der Rechtsprechung zu überlassen, die den Einzelfall beurteilen und dann konkrete Summen festlegen kann. Wir als SPD-Fraktion hätten uns vorstellen können, in der Gesetzesbegründung Näheres zur Höhe des Anspruchs zu regeln. Denn wir müssen vermeiden, dass Hinterbliebene zwar eine eigene Anspruchsgrundlage haben, aber dann womöglich nur kleinere Beträge erhalten. Dies wäre zum Beispiel mit der Vorgabe von Entschädigungssummen oder Mindestsummen möglich gewesen. Immerhin: Wir haben in der Gesetzesbegründung den klaren Hinweis auf die bisherige deutsche und europäische Rechtsprechung. Die Urteile, auf die in der Gesetzesbegründung verwiesen wird, sollen den Gerichten als Orientierung dienen. In den Beispielsfällen wurden Zahlungen von bis zu 25 000 Euro zugesprochen, was als Mindestbetrag gelten sollte. Aus meiner Sicht könnte sich diese Rechtsprechung durchaus dahin gehend entwickeln, dass höhere Beträge zugesprochen werden. Denn ich finde, wenn wir schon eine Anspruchsgrundlage schaffen, dann sollte auch gewährleistet sein, dass Zahlungen in angemessener Höhe mindestens im Umfang der in der Gesetzesbegründung zitierten Rechtsprechung erfolgen. Dieser Lösungsweg wurde von den Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss als gangbar beurteilt. Die Einzelfallbetrachtung hat den Vorteil, dass das persönliche Leid, das bei jedem Hinterbliebenen unterschiedlich ausfällt, Grundlage für den individuellen Entschädigungsanspruch ist. Deshalb ist die Feststellung der konkreten Summen sehr gut bei den Gerichten aufgehoben – der Gesetzgeber kann in allgemeingültigen Regeln nur generell geltende Richtwerte vorgeben. Nicht zuletzt die Germanwings-Katastrophe hat uns gezeigt, dass Hinterbliebene eine klare Rechtsgrundlage und einen eigenen Rechtsanspruch auf Entschädigungszahlungen haben müssen. Nach der Germanwings-Katastrophe mussten Angehörige in der schweren Zeit der Trauer in komplizierte Verhandlungen eintreten. Es darf nicht sein, dass Hinterbliebene in der schweren Zeit der Trauer in ein unwürdiges Geschacher mit dem Schädiger oder dessen Versicherungen eintreten müssen, nur weil eine klare Rechtsgrundlage fehlt. Dies wird ihrer Situation nicht gerecht. Künftig wird das nicht mehr vorkommen. Mit der neuen Regelung steht eine eindeutige Anspruchsgrundlage im Gesetz, mit der sichergestellt ist, dass das Leid von Hinterbliebenen durch eine Geldzahlung ein Stück weit gelindert wird. Natürlich können wir nicht verhindern, dass Ansprüche gegen den Täter oder den Unfallverursacher ins Leere laufen, wenn der Täter oder Unfallverursacher kein Vermögen hat. Wie etwa der Täter des schrecklichen Anschlages auf den Berliner Breitscheidplatz. Ich möchte deshalb noch einmal ausdrücklich loben, dass die Bundesregierung mit Kurt Beck einen Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen der Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlages auf dem Breitscheidplatz bestimmt hat, um die Entschädigung der Opfer dieses schlimmen Anschlages zu gewährleisten. Nach meinem aktuellen Kenntnisstand konnte allen Opfern bzw. deren Hinterbliebenen geholfen werden. Neben Leistungen des Härtefallfonds für Betroffene und Hinterbliebene bei terroristischen Straftaten sowie Leistungen der Verkehrsopferhilfe werden auch Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zur Verfügung gestellt. Eine Lücke im Opferentschädigungsgesetz, die – wie von den Grünen gefordert – eine Änderung des Gesetzes erforderlich macht, ist demnach nicht gegeben. Tatsächlich würde eine Änderung der Rechtsnorm, wie sie von den Initiatoren vorgeschlagen wird, statt zu besseren Hilfsmöglichkeiten für Geschädigte nur zu einer Entlastung der Versicherungswirtschaft führen und den Steuerzahler mit den Kosten belasten. Dies wäre eine Schieflage, die nicht gewollt sein kann. Ich freue mich sehr, dass wir das Hinterbliebenengeld einführen und damit für die Hinterbliebenen eine Grundlage für ihre Ansprüche schaffen, um ihr großes Leid zumindest ein Stück weit zu lindern. In der Zeit der Trauer werden ihnen künftig komplizierte Rechtsstreitigkeiten um Anspruchsgrundlagen und ihnen letztlich zustehende Entschädigungszahlungen erspart bleiben. Lassen Sie uns diesem Gesetz mit breiter Unterstützung zustimmen! Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir diskutieren heute hier abschließend über Gesetzentwürfe zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld bzw. über Opferentschädigung. Dem sind viele, teilweise wenig fruchtbare Debatten vorausgegangen, in denen die Fraktionen der Großen Koalition ihr Nichtstun in dieser wichtigen Frage verteidigt haben und auf der anderen Seite die Opposition Druck machen musste, damit dann im März dieses Jahres sowohl durch die Koalitionsfraktionen als auch durch die Bundesregierung endlich ein wortgleicher Vorschlag für die Regelung dieser wichtigen Frage vorgelegt worden ist. Dies war dann auch der Beginn, den Gesetzentwurf der Bündnisgrünen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz endlich zu behandeln. Sonst wäre wahrscheinlich auch dieser Gesetzentwurf immer noch im Stadium der Nichtbehandlung – wie die Gesetzentwürfe von Linken, Bündnisgrünen und Bundesrat zur Öffnung der Ehe für Menschen gleichen Geschlechts; wir haben darüber erst gestern wieder hier sehr ausführlich diskutiert. Bereits in meiner Rede zur ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe habe ich betont, dass wir gesetzliche Regelungen zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld für sehr wichtig halten und grundsätzlich unterstützen. Denn mit diesen Gesetzen wird endlich dafür gesorgt, dass Angehörige von Todesopfern fremdverschuldeter Straftaten Anspruch auf ein Schmerzensgeld gegenüber den Verantwortlichen der Straftat haben. Bisher haben sie einen solchen Anspruch nämlich nur dann, wenn sie im Falle des Todes eines nahen Angehörigen durch eine fremdverschuldete Straftat eine eigene Gesundheitsbeschädigung im Sinne unseres Bürgerlichen Gesetzbuches erleiden. Dafür müssen sie psychische Beeinträchtigungen medizinisch fassbar nachweisen können, die über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene im Todesfall erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Lediglich bei einem sogenannten Schockschaden konnte bisher Schadensersatz eingefordert werden, darüber hinaus für materielle Schäden wie Beerdigungskosten, entgangenen Unterhalt oder entgangene Dienste. Für ihr seelisches Leid erhielten die Hinterbliebenen bisher keinerlei Entschädigung. Das führte beispielsweise zu der absurden Situation, dass die Hinterbliebenen der furchtbaren Flugzeugselbstmordkatastrophe der Germanwings die Hinterbliebenen auf den Goodwill der Fluggesellschaft angewiesen waren, um für ihr seelisches Leid eine Entschädigung zu erhalten. Hinterbliebene sollen also künftig im Sinne einer Anerkennung ihres seelischen Leids wegen der Tötung eines ihnen besonders nahestehenden Menschen von dem hierfür Verantwortlichen eine Entschädigung verlangen können. Das ist gut so und wird von der Linken vorbehaltlos unterstützt. Bedauerlich finde ich, dass die Forderungen der Opferverbände, wie zum Beispiel des Weißen Rings, keine Berücksichtigung gefunden haben. Darum hatte ich Sie in der ersten Lesung ausdrücklich gebeten. Damit werden Angehörige von schwerstverletzten Opfern einer fremdverschuldeten Straftat auch künftig leer ausgehen. Ein wie vom Weißen Ring gefordertes Trauergeld für Angehörige schwerstverletzter Opfer wird es also nicht geben. Ihre lebenslange Aufopferung zur Pflege eines schwerstverletzten nahen Angehörigen wird dadurch genauso als eigener Schmerzensgeldanspruch unberücksichtigt bleiben wie ihr tagtägliches Konfrontiertsein mit dem Leid des schwerstverletzten nahen Angehörigen. Für die Linke sage ich hier: Dies ist nicht gerecht. Letzten Endes beeinträchtigt dieser Mangel allerdings die Bereitschaft meiner Fraktion Die Linke zur Zustimmung zu diesem Gesetz nicht. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind uns hier alle einig, dass es künftig bei schuldhafter Tötung einer Person für die Trauer und den Schmerz eines nahen Angehörigen eine Entschädigung in Geld geben soll. Gleiches soll bei Gefährdungshaftung, wie beispielsweise bei Flugzeugabstürzen, gelten. Trotz dieser Einigkeit im Parlament war diese Grundsatzfrage bis zuletzt nicht unumstritten – und deshalb muss sie hier in der Debatte noch einmal begründet werden. Zunächst einmal fällt auf, dass ein solches Schmerzensgeld im internationalen Vergleich durchaus üblich und Deutschland hier bislang einsame Ausnahme ist. Warum also die Trauer in Italien oder in Frankreich bezifferbar ist, in Deutschland aber nicht, ist schon schwer genug zu erklären. Auch die Experten in der Anhörung waren überwiegend der Auffassung, dass ein solch immaterieller Entschädigungsanspruch für eine Trauer unterhalb der Schwelle eines medizinisch nachweisbaren Schockschadens kein unüberwindbarer Systembruch oder gar eine Abkehr von der Schuldrechtssystematik im BGB wäre. Letztlich ist auch der medizinisch nachweisbare Verlust eines Beines nur ein Indiz für das Leid und die Schmerzen, die mit dem Schmerzensgeld beziffert werden. Auch in einem solchen Fall ist das Schmerzensgeld nicht dazu da, das Bein zu ersetzen. Und auch für Todesangst wird bereits nach jetziger Rechtslage ein Schmerzensgeld anerkannt, das im Falle des tatsächlichen Todes sogar an die Angehörigen vererbt werden kann. Für die nähere Ausgestaltung des Hinterbliebenengeldes gibt es allerdings unterschiedliche Optionen. Die Expertenanhörung hat bestätigt, dass es sinnvoll ist, den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht formal festzulegen, also beispielsweise auf Ehegatten und Kinder. Das würde zwar die Darlegungs- und Beweislast im Prozess erheblich erleichtern, dafür aber sehenden Auges zu Ungerechtigkeiten im Einzelfall führen. So sind sehr enge Näheverhältnisse außerhalb der Eltern-Kind-Beziehung ebenso vorstellbar wie Eheleute, die ihre Ehe nur noch formal aufrechterhalten. Dass in der Regel Angehörige die Trauernden sind, kommt in der Vermutungsregel zum Ausdruck. Trotzdem bleibt genügend Spielraum, um andere Verhältnisse im Einzelfall zu berücksichtigen. Weiteres Thema in der Anhörung war die Frage, ob wir als Gesetzgeber die Anspruchshöhe im Gesetz näher bestimmen sollten. So ist durchaus verständlich, dass gerade die Haftpflichtversicherer gerne genauer wüssten, auf was sie sich einstellen müssen. Es sprechen aber gute Gründe dafür, es bei der „angemessenen Entschädigung in Geld“ zu belassen. Zum einen machen feste Geldbeträge im Laufe der Jahre immer wieder Gesetzesanpassungen erforderlich. Zum anderen ist davon auszugehen, dass sich relativ schnell handhabbare Tabellen entwickeln werden, wie es schon beim Schmerzensgeld der Fall war. Die Rechtsprechung hat bereits bewiesen, dass sie in der Lage ist, selbst Bemessungskriterien zu entwickeln, die auch die erforderliche Rechtssicherheit schaffen werden. Zuletzt ging es noch um die Frage, wo der neue Anspruch systematisch anzusiedeln ist: im Schuldrecht bei § 253 BGB oder – so wie es jetzt im Gesetzentwurf steht – im Deliktsrecht bei § 844 BGB. Wir Grüne hätten den Anspruch ja lieber im allgemeinen Schuldrecht, also beim § 253 BGB gesehen, damit klargestellt ist, dass alle Arten von Anspruchsgrundlagen – also auch die vertraglichen – davon erfasst sind. Das Gegenargument, dass im allgemeinen Teil nur die Ausgestaltung der Ansprüche geregelt ist und das Hinterbliebenengeld als eigene neue Anspruchsgrundlage deswegen in den besonderen Teil gehöre, hat zugegebenermaßen auch etwas für sich. Diese kleine Uneinigkeit wird uns somit nicht daran hindern, Ihrem Gesetzentwurf insgesamt unsere Zustimmung zu geben. Immerhin waren wir es, die in dieser Legislatur als Erstes Initiativen für die Einführung eines Hinterbliebenengeldes vorgelegt hatten. Wir haben heute aufgrund des Sachzusammenhanges auch unseren Antrag zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) zur zweiten Lesung vorgelegt. Nach diesem Gesetz können Opfer von Gewalttaten Leistungen bekommen, wenn beim Täter kein Schadensersatz zu holen ist. So kann es bei schweren Verletzungen beispielsweise eine lebenslange Rente geben. Allerdings gilt dies aufgrund einer Ausnahmevorschrift nicht: wenn eine Gewalttat durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verübt wurde. Dann soll nur der Verkehrshilfefonds der Haftpflichtversicherer eintreten, der aber nicht dieselben Leistungen gewährt wie das Opferentschädigungsgesetz. Wir wollen, dass alle Opfer von Gewalttaten künftig gleich behandelt werden, unabhängig davon, ob die Tatwaffe eine Schusswaffe, ein Messer oder eben ein Kfz ist. Und auch wenn Sie diesen Antrag heute ablehnen, wird das Thema Opferentschädigung damit nicht zu Ende sein. Dass es bei der Opferentschädigung weiter gehenden Reformbedarf gibt und dies in der nächsten Legislatur dringend wieder aufgerufen werden muss, steht wohl außer Frage. Gut ist es jedenfalls, dass wir das Hinterbliebenengeld jetzt auf den Weg gebracht haben und heute hier gemeinsam verabschieden. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung (Tagesordnungspunkt 31) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Die strategische Partnerschaft zwischen der EU und der Staatengemeinschaft Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) wurde 1999 mit dem Ziel begründet, den Dialog beider Regionen durch regelmäßige Gipfeltreffen zu vertiefen. Auch wenn sich die Zusammenarbeit beider Regionen auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und wissenschaftlich-technologischem Gebiet seitdem verbessert hat, bleibt festzustellen: Lateinamerika ist in unserer öffentlichen Wahrnehmung in den letzten 20 Jahren eher in den Hintergrund gerückt. Die 2010 beschlossene Gründung der EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung soll diesem Trend entgegenwirken und helfen, die strategische Partnerschaft mit neuem Leben zu erfüllen. Diese ursprüngliche Gründung als Stiftung nach deutschem Recht diente lediglich einer beschleunigten Arbeitsaufnahme. Von Beginn an war es Konsens zwischen der Europäischen Union und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik, den biregionalen Charakter der Stiftung zu betonen. Im Oktober letzten Jahres wurde daher beschlossen, sie in eine internationale Organisation umzuwandeln. Ziel der Stiftung ist es, den lateinamerikanisch-europäischen Dialog zu stärken, das gegenseitige Verständnis zu fördern und die politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Regionen unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure wie akademischer Einrichtungen weiter zu vertiefen. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass die Stiftung der Partnerschaft eine erhöhte Präsenz in der Öffentlichkeit verleiht. Die Bundesregierung hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Freie und Hansestadt Hamburg zum Sitz bestimmt wurde. Hamburg hat durch internationalen Handel und Schifffahrt seit Jahrhunderten gewachsene historische Verbindungen nach Lateinamerika. Ende des 19. Jahrhunderts verließen zahlreiche Auswanderer Europa über den Hamburger Hafen in Richtung Südamerika. Neben der Städtepartnerschaft mit León in Nicaragua verdeutlichen die 20 konsularischen Vertretungen lateinamerikanischer Staaten in Hamburg die enge Bindung. Durch die Wahl der Hansestadt unterstreicht Deutschland sein Interesse an einer engen Partnerschaft mit der Zukunftsregion Lateinamerika/Karibik. Auch wenn die Krisenherde und Bedrohungslagen in Osteuropa, im Mittleren Osten und in Nordafrika und nicht zuletzt auch die dynamische wirtschaftliche Entwicklung Asiens viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Lateinamerika ist und bleibt für uns in Deutschland und Europa eine wichtige Partnerregion. In der EU und Lateinamerika leben zusammen über 1 Milliarde Menschen. Die EU und die CELAC-Staaten stellen mit insgesamt 61 Staaten ein Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen, darunter fast die Hälfte der G-20-Staaten. Sie produzieren gemeinsam 40 Prozent des Weltsozialproduktes. Die EU ist der größte ausländische Investor in der Region, der zweitgrößte Handelspartner der lateinamerikanischen und karibischen Staaten und der größte Geber der Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika und der Karibik. Mit kaum einer anderen Region der Welt sind wir Europäer historisch enger verflochten und kulturell stärker verbunden. Dies bildet die Grundlage für gemeinsame Werte und eine dauerhafte Zusammenarbeit. An diese Gemeinsamkeiten gilt es immer wieder anzuknüpfen, zum beiderseitigen Vorteil, aber auch in gemeinsamer Verantwortung. Die Gründung der EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung als Folge der strategischen Gespräche zwischen der EU und Lateinamerika kommt zum richtigen Zeitpunkt, denn gegenwärtig bietet sich ein günstiges Zeitfenster der Gelegenheit zur Revitalisierung der Beziehungen zwischen beiden Regionen: Nach den Wahlen in Argentinien, Peru, den politischen Veränderungen in Brasilien sowie durch den fortschreitenden Friedensprozess in Kolumbien zeichnet sich ein politischer Wandel ab, der sich trotz mancher Rückschläge positiv auf den gesamten Kontinent auswirken könnte. Die relative politische Öffnung in Kuba wurde anfänglich als ein positives Signal wahrgenommen. Allerdings implizieren die damit verbundenen wirtschaftlichen Chancen bisher leider keine direkte Stärkung der Demokratie oder eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtslage. Die anfänglich positive Entwicklung in Venezuela – 2015 erreichte die Opposition eine Zweidrittelmehrheit bei den Parlamentswahlen – wurde durch das Vorgehen der chavistischen Regierung konterkariert. Leider ist in Venezuela eine friedliche und demokratische Veränderung nicht absehbar; das Land leidet unter einer katastrophalen wirtschaftlichen und humanitären Entwicklung. Präsident Nicolás Maduro versucht mit allen Mitteln, die Rechte der Oppositionsparteien zu unterdrücken und ein Votum über seine Abwahl zu verhindern. Deshalb steht das Land am Rande eines Bürgerkrieges. Aber auch die Veränderungen der geopolitischen Lage für Lateinamerika lassen ein verstärktes Interesse Europas an der Region geboten erscheinen. Während die USA unter Donald Trump offenbar stärker auf Abschottung und Protektionismus setzen und sich eher von ihren südlichen Nachbarn distanzieren, weitet China seinen Einfluss in der Region aus. Die Beziehungen zu Lateinamerika als ein traditioneller und auch für die Zukunft wichtiger Partner Europas müssen gestärkt werden. Wir können unsere Partner in Lateinamerika nur ermutigen, wirtschaftlich wie politisch auf verstärkte Zusammenarbeit und regionale Integration zu setzen. So wäre eine stärkere Annäherung von Mercosur und der Pazifik-Allianz zweifelsohne wünschenswert, nicht nur was die Größe und Relevanz des gemeinsamen Marktes, sondern vor allem was die grundsätzliche wirtschaftspolitische Ausrichtung angeht. Die vier Mitgliedsländer des Mercosur erwirtschaften fast 40 Prozent des gesamten BIP Lateinamerikas. Die vier Länder der Pazifik-Allianz könnten sich zu einer Drehscheibe des Handels zwischen Atlantik und Pazifik entwickeln und so von der wirtschaftlichen Dynamik in Ostasien profitieren. Bei einer erfolgreichen marktwirtschaftlich geprägten Integration könnten beide Regionalbündnisse ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten, die Wertschöpfungsketten in den Mitgliedsländern zu verlängern und ihre Industrien insgesamt zu stärken. Dies könnte auch der Diskussion um ein Freihandelsabkommen mit der EU neue Impulse geben. Wir müssen mit der größten Aussicht auf Erfolg die geeigneten politischen Partner stärken, die mit unserem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell inhaltlich übereinstimmen. Doch der Kontinent weist immer noch sehr unterschiedliche wirtschaftliche und politische Entwicklungen auf. Immer noch leben in Lateinamerika 180 Millionen Menschen in Armut, vor allem die indigene Bevölkerung. Der Zugang zu zentralen öffentlichen Gütern wie Bildung und Gesundheit ist für große Teile der Bevölkerung nicht gesichert. Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) gilt für alle Staaten dieser Welt, und ihre Umsetzung stellt die grundlegende Voraussetzung für eine breite Teilhabe an Wohlstand und Entwicklung dar – auch in Lateinamerika. Deutschland kann mit seiner auf fortgeschrittene Partnerländer zugeschnittenen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit Staaten Lateinamerikas bei der Umsetzung der Sustainable Development Goals unterstützen. Schwerpunkte des gemeinsamen Handelns orientieren sich am Bedarf der Partner, der Leistungsfähigkeit Deutschlands und an der Umsetzung globaler internationaler Vereinbarungen. Viele lateinamerikanische Länder erweisen sich dabei als sehr verlässliche Partner. Lateinamerika ist in einer volatiler gewordenen Welt trotz mancher sozialer und wirtschaftlicher Probleme ein relativ stabiler und friedlicher Kontinent. Diesen Zustand gilt es durch partnerschaftliche Zusammenarbeit zu festigen. Wir müssen daher die Partnerschaft mit Lateinamerika pflegen und weiter ausbauen, um dem politischen Dialog zwischen beiden Seiten in allen Politikbereichen eine neue Qualität zu verleihen. Gemeinsam können wir die Globalisierung im Sinne unserer Werte und Interessen prägen. Dafür bietet die EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung die richtige Plattform. Deshalb unterstützt die CDU/CSU-Fraktion ihre Gründung nachdrücklich. Klaus Barthel (SPD): Heute schaffen wir für die Bundesrepublik Deutschland die Voraussetzungen für die Umwandlung der EU-Lateinamerika-Karibik-Stiftung (EU-LAK-Stiftung) in eine internationale Organisation. Noch in diesem Jahr soll dann das entsprechende Übereinkommen in Kraft treten, wenn mindestsens acht EU-Staaten – das ist schon erreicht – und acht LAK-Staaten unterzeichnet haben. Diese gemeinsame Stiftung ist ein Ergebnis der bereits 1999 ausgerufenen strategischen Partnerschaft der EU mit Lateinamerika und der Karibik. Nun könnte man sagen: ein bescheidenes Ergebnis in Relation zum geradezu inflationär gebrauchten Pathos der strategischen Partnerschaften. Dennoch: Die Stiftung verfolgt einen richtigen Ansatz, nämlich einen biregionalen zwischen zwei global wichtigen Großräumen mit zusammen 1 Milliarde Einwohnerinnen und Einwohnern. In einer Welt mit immer mehr nationalistischen Abschottungstendenzen, mit immer mehr bilateralen statt multilateralen Abkommen ist das ein wichtiger Ansatz. Das gilt sowohl für die Stärkung der Kooperation innerhalb der Regionen als auch zwischen den Regionen. Diese Kooperationsstruktur erhält mit der Gestalt der internationalen Organisation – statt wie bisher einer Stiftung deutschen Rechts – einen wesentlich verbindlicheren Charakter. Das gilt sowohl für den Zugzwang bei den – bescheidenen – Beiträgen als auch bei der Mitarbeit. Gelingen wird das Projekt aber nur, wenn wir Europäerinnen und Europäer und auch insbesondere wir Deutsche mit Hamburg als Sitzland auf jeden Anflug von Überheblichkeit verzichten. Aus guten Gründen sind hier viele unserer Partnerländer nach jahrhundertelanger Bevormundung empfindlich. In einem Dialog auf Augenhöhe gibt es genug zu tun: Kooperation und Forschung auf wissenschaftlichem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet, Erstellung von Studien dazu, eine personelle und institutionelle Infrastruktur können Grundlage für ein Mehr sein, also für eine Vertiefung der Kooperation, die auf gegenseitigem Wissen und Empathie beruht. Ziel muss es natürlich sein, nicht nur freundlich miteinander zu reden, sondern auch zu helfen, Probleme zu lösen und gemeinsamen Nutzen zu erzeugen. Gelingen kann dies nur, wenn, wie explizit im Gesetz formuliert, die Zivilgesellschaft gestaltend einbezogen wird. Das darf aber nicht so gelesen werden, dass es hier vorrangig um wirtschaftliche und unternehmerische Interessen geht, die erfahrungsgemäß als Erste die entsprechenden Ressourcen mobilisieren können. Die Stiftung wird hoffentlich ein eigenes Konzept zur zivilgesellschaftlichen Beteiligung entwickeln, damit die strategische Partnerschaft auch wirklich mit Leben erfüllt werden kann. Wenn wir auf die Probleme unserer Regionen blicken, sehen wir genügend gemeinsame Probleme, Fragestellungen und Lösungsbedarfe. Wachsende Ungleichheit, wirtschaftliche und finanzielle Krisen, Gefährdungen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Spaltungen und Konflikte innerhalb und zwischen den Staaten, Folgen des Klimawandels – trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen existieren zahlreiche Parallelen. Mit gegenseitigen Fingerzeigen wird man nichts erreichen. Deshalb will ich an dieser Stelle auch nicht auf einzelne Probleme in einzelnen Partnerstaaten eingehen, schon allein weil eine Auswahl willkürlich und einseitig wäre. Im heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf ist nachzulesen, welche Tätigkeiten und Arbeitsformen mit der Stiftung möglich sind und mit Leben gefüllt werden. Zu begrüßen ist auch der finanzielle deutsche Beitrag von jährlich knapp 300 000 Euro, der hoffentlich auch von den anderen Mitgliedstaaten aufgestockt werden wird. Zu hoffen bleibt auch, dass die Stiftung so arbeiten wird, dass sie weit über das bisher vorgesehene Maß eine eigene positive Dynamik entfalten wird. Heike Hänsel (DIE LINKE): Die EU-LAK-Stiftung hat das Ziel, die Partnerschaft zwischen der EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik zu stärken. Das ist natürlich zu begrüßen, zumal der EU nicht die von den USA dominierte OAS gegenübersteht, sondern die CELAC. Die CELAC wurde auf Initiative der linken Regierungen der Region gegründet, um ein Gegengewicht gegen die Einmischung aus dem Norden zu bilden. Entsprechend werden die lateinamerikanischen Staaten darauf achten, dass sich die EU-LAK-Stiftung nicht in die politischen Verhältnisse in den Ländern einmischt. Da haben ja auch deutsche Stiftungen eine belastete Vorgeschichte. Wie etwa die FDP-nahe Naumann-Stiftung am Putsch in Honduras mitwirkte, um den gewählten Präsidenten Zelaya zu stürzen, das war wirklich unwürdig und kriminell. In diesem Sinne muss die Stiftung hier Wiedergutmachungsarbeit leisten und sich für friedliche, solidarische Beziehungen einsetzen, statt Regime Changes zugunsten des neoliberalen Nordens zu unterstützen. Wir sind zum Beispiel gespannt, welche Position die Stiftung gegenüber Brasiliens rechtem Putschpräsidenten Temer einnimmt. Noch ist über die Pläne ja nicht viel bekannt. Es gibt lediglich ein Verzeichnis von Institutionen, in denen durchaus auch progressive Akteure aus Deutschland wie amerika21 und die Lateinamerika-Nachrichten zu finden sind. Ich hoffe, dass viele zivilgesellschaftliche Organisationen mit innovativen Ideen durch die Stiftung unterstützt werden. An solchen Ideen mangelt es dem Kontinent wahrlich nicht, und Deutschland kann in vielerlei Hinsicht von Lateinamerika lernen. Ich denke da an das ALBA-Bündnis oder die Vorschläge von Bolivien und Ecuador für ein entwicklungsförderliches Handelsmandat. Daran könnte sich die EU ein Beispiel nehmen, statt mit ihrer neoliberalen Handelspolitik die Armut im Globalen Süden weiter zu verschärfen. Diesen Diskurs könnte die Stiftung wissenschaftlich weiter voranbringen und Stimmen aus dem Süden auch hierzulande Gehör verschaffen. Ein konkretes Projekt, das die EU-LAK-Stiftung unterstützen könnte, ist die kolumbianische Universität für den Frieden, die in vielen Teilen des Landes aktiv ist und den Prozess für Frieden und Wiedergutmachung voranbringt. Sie wurde von der ökumenischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden geschaffen, arbeitet an der Basis; ausreichende finanzielle Unterstützung blieb ihr aber bisher versagt. Bisher hat die EU die eigenständige Entwicklung Lateinamerikas leider nicht unterstützt, sondern durch Spaltung untergraben, etwa wenn es darum ging, die Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien abzuschließen, oder mit dem Mercosur-Bündnis nach dem Putsch in Brasilien. Der EU geht es in Lateinamerika weniger darum, die soziale Entwicklung zu fördern, sondern eher darum, Absatz- und Rohstoffmärkte für die eigene Wirtschaft zu erschließen. Die CELAC und die EU haben in dieser Hinsicht unterschiedliche Auffassungen; wohl deswegen haben die Verhandlungen auch ganze fünf Jahre gedauert. Es ist bedauerlich, dass noch so wenig bekannt ist, vor allem über die politische Ausrichtung. Aber wir begrüßen die Einrichtung der Stiftung – unter der Maßgabe, dass sie nicht als Instrument zur Einmischung und Kontrolle über Lateinamerika genutzt wird, sondern auf Augenhöhe arbeitet und fortschrittlichen Ideen auf beiden Seiten Gehör verschafft. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Gründung der Internationalen EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung im Jahr 2011 war ein positives Zeichen in Richtung einer stärkeren Zusammenarbeit und eines verstärkten Austausches zwischen diesen beiden Weltregionen. Die Pläne zur Gründung dieser Institution lagen zu dem Zeitpunkt bereits Jahre zurück, und die breite Tragfähigkeit des Beschlusses zeigte, dass auf EU-Ebene und in den lateinamerikanischen und karibischen Partnerländern ein Konsens bestand, die gegenseitigen Verbindungen zu stärken. Die Umwandlung der Stiftung in eine internationale Organisation, die nach nunmehr sechsjährigem Bestehen vollzogen werden soll, ist überfällig und nicht zu beanstanden. Gerade in Zeiten, in denen den Beziehungen zwischen den USA und den Ländern Lateinamerikas und der Karibik starke Veränderungen bevorstehen zu scheinen, scheint der Zeitpunkt reif, den gegenseitigen Beziehungen neue Impulse zu verleihen, wie zum Beispiel auch Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik jüngst argumentierte. Mit ihrer wirtschaftlichen Stärke, dynamischen Zivilgesellschaft und gemeinsamen Wertebasis können die EU und die LAK wichtige Bündnispartner auf der Suche nach Lösungen für weltweite Herausforderungen wie die Wirtschafts-, Klima- und Ernährungskrisen sein. Doch damit die EU-LAK-Stiftung ihrem Auftrag gerecht werden kann, den gemeinsamen Dialog zu fördern, sollten endlich die schon seit der Gründung bestehenden Kritikpunkte angegangen werden. Die anstehende Veränderung der Rechtsform sollte dazu genutzt werden, auch eine Veränderung der inhaltlichen und organisatorischen Strukturen voranzutreiben. Hierzu zählen zuvorderst ein verstärkter Fokus auf die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie ein Ende der Intransparenz von Mandat und Funktionsweise der Stiftung. Die Stiftung muss sich stärker der Zivilgesellschaft öffnen, da sie sonst weiterhin im Verdacht stehen wird, die vor allem auf wirtschaftlichen Interessen beruhende Zusammenarbeit der sie tragenden Regierungen zu fördern. In Zeiten, in denen Räume für kritische Zivilgesellschaft weltweit in höchst besorgniserregendem Maße eingeschränkt werden, müssen dagegen Zeichen gesetzt werden. Sowohl in Lateinamerika als auch in Europa erleben wir in einigen Ländern einen Rechtsruck, in dessen Folge die Zivilgesellschaft massiv unter Druck gerät. Bislang hat die EU-LAK-Stiftung eine Stärkung der kritischen Zivilgesellschaft jedoch vermissen lassen. Auch die für das restliche Jahr angekündigten Gesprächsrunden fallen durch Begriffe wie „strategische Partnerschaft“ auf, aber sparen eine Beleuchtung von Problemfeldern in den teilnehmenden Ländern aus. Doch wenn beispielsweise in Brasilien Aktivisten und Gewerkschafter unter Druck gesetzt, Minderheitenrechte eingeschränkt und die Umweltressourcen schonungslos wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden, wenn in Venezuela, wo die Lage noch viel dramatischer ist, die Regierung eine Hungerkrise provoziert und de facto gegen das gewählte Parlament putscht, dann müssen auch die Themen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte viel stärker auf die Prioritätenliste einer Organisation wie der EU-LAK-Stiftung gesetzt werden. Auch bei den Themen von Ökologie und wirtschaftlicher Diversifizierung bzw. Nachhaltigkeit gilt es, im Rahmen der EU-LAK-Stiftung einen Dialog auf Augenhöhe zu führen. In manchen Ländern der LAK-Region gibt es ein Phänomen einer neuartigen Umweltausbeutung, bei der Raubbau und Rohstoffexport im Zentrum der wirtschaftlichen Strategie stehen und menschenrechtliche und ökologische Aspekte vernachlässigt werden. Dieses Phänomen steht in direktem Zusammenhang mit wirtschaftlicher Nachfrage und dem energieintensiven und wenig nachhaltigen Lebensmodell in der EU. Die Partnerschaft zwischen der EU und den LAK-Ländern birgt ungemein viel Potenzial; das ist offensichtlich. Die Stiftung, bald voraussichtlich in der Rechtsform einer internationalen Organisation, könnte ein Instrument sein, diese Partnerschaft durch zivilgesellschaftlichen Austausch weiter zu befördern. Leider konnte sie diesem Anspruch bislang aufgrund der intransparenten Arbeitsweise und einem zu starken Fokus auf offizielle Ebenen nicht gerecht werden. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG) (Tagesordnungspunkt 32) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Ende letzten Jahres haben wir alles getan, um Schlimmeres für die Verlage zu verhindern: Aufgrund europäischer und nationaler Rechtsprechung mussten sie nicht nur erhebliche Rückzahlungen leisten, sondern wurden zukünftig von den Ausschüttungen der VG WORT ausgeschlossen. Wir haben eine gesetzliche Lösung beschlossen, die einen wirtschaftlichen Ruin vieler Verlage – vorerst – verhindert hat; eine Übergangslösung, bis wir auf europäischer Ebene endgültig Rechtssicherheit herstellen können. Heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der alles Vorherige und alle politischen Zusagen an die Verlage als Farce erscheinen lässt. Im Koalitionsvertrag, den wir heute umsetzen wollen, haben wir uns darauf geeinigt, eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzuführen, die den Belangen der Wissenschaft, Bildung und Forschung stärker Rechnung trägt. Allerdings müssen hierbei die Interessen der Urheber und Verlage ausreichend berücksichtigt werden. Der Gesetzentwurf von Bundesminister Maas ist aber weit von einem solchen Interessenausgleich entfernt. Vielmehr sieht er einen Eigentumseingriff vor, der Wissenschafts- und Presseverlagen sowie Autoren die Grundlage ihres wirtschaftlichen Daseins und ihrer Existenz nehmen wird. Hier kann auch das Interesse der Allgemeinheit kein ausreichend schweres Gewicht in der Waagschale bilden. Die Begrenzung der Rechte des Urhebers ist kein Novum. Auch das geistige Eigentum unterliegt der Sozialgebundenheit, sodass das Recht seiner Verwertung in einem gewissen Umfang zurückstehen muss, wenn es um den Zugang der Allgemeinheit zu Bildung und Forschung geht. Auch sehe ich die Notwendigkeit, die aktuellen gesetzlichen Regelungen der Wissenschaftsschranke neu zu regulieren und zu strukturieren, um Übersichtlichkeit zu schaffen und die Anwendung zu vereinfachen. Das war und ist unser ausdrückliches Ziel. Aber hierbei geht es wie immer um das richtige Maß. Und der uns vorliegende Entwurf schießt weit über das Ziel hinaus. Auch wenn Eigentum verpflichtet, darf es zu keiner Enteignung führen. Versagt eine Beschränkung der Rechte privatwirtschaftliches Agieren und macht sie die Refinanzierung von Investitionen unmöglich, dann können wir das nicht unterstützen. Eine solche Konsequenz ist untragbar. Regelungen, die gesetzliche Nutzungsbestimmungen vor Lizenzangeboten den Vorrang gewähren und damit Lizenzen letztlich unerheblich machen, nehmen nicht nur jeden Anreiz für Publikationen, sondern machen privatwirtschaftliches Handeln letztlich unmöglich. Autoren und Wissenschaftsverlage haben künftig keinen Einfluss mehr darauf, zu welchen Konditionen und zu welchem Preis ihre Inhalte genutzt werden dürfen. Denn ein angemessenes Angebot soll nach Vorstellung von Minister Maas irrelevant sein. Regelungen, die einen erlaubnisfreien Nutzungsumfang von 15 Prozent gewähren, bedrohen den Primärmarkt vieler Verlage. Denn wer wird sich ein Buch kaufen, wenn er sich die entscheidenden Passagen „zusammenkopieren“ kann? Regelungen, die künftig erlauben, „einzelne Artikel“ aus Zeitungen und Zeitschriften vollständig zu nutzen, gefährden das primäre Geschäftsmodell von Zeitungen und damit die freie Presse. Wer hierbei ins Feld führt, dass den Rechteinhabern doch ausdrücklich das Recht auf eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke und Inhalte zugesprochen wird, den kann ich nur fragen, ob er ernsthaft annimmt, dass hier nicht ganz andere Interessen vordergründig eine Rolle spielen werden. Die Länder haben ihre berechtigten fiskalpolitischen Interessen. Dies hat sich bereits im Beschluss des Bundesrates gezeigt. Wie viel den Ländern Bildung und Forschung wert ist, zeigt sich in der Forderung, dass der erlaubnisfreie Nutzungsumfang von den 15 Prozent auf die bereits aus dem Referentenentwurf vorgeschlagenen 25 Prozent zurückgedreht werden sollte und die vorgesehene Vergütungspflicht für nichtkommerzielle Nutzung zu hinterfragen ist. Sie haben großes Interesse daran, die Ausgaben für Bildung und Forschung zu deckeln. Da kommen ein Vorrang der gesetzlichen Nutzungsbestimmungen und eine pauschale Vergütungsregel gerade recht. Letztlich birgt ein „unkontrollierter“ Zugang zu Werken zudem die Gefahr des Missbrauchs. Wenn Verlage nicht in der Hand haben, darüber zu entscheiden, in welchem Umfang und zu welchem Preis ihre Werke genutzt werden, wer garantiert ihnen dann, dass Nutzer Nutzungsgrenzen nicht überschreiten werden? Denn wer wird kontrollieren, ob nur 15 Prozent oder vielleicht doch ein bisschen mehr oder doch erheblich mehr genutzt werden? Für ein zukunftsfähiges Deutschland wollen wir den einfachen Zugang von Studenten und Lehrenden zu wissenschaftlicher Literatur ermöglichen. Es ist nicht unser Ziel, Bildung und Forschung unnötig Steine in den Weg zu legen. Aber dieses Ziel darf nicht einhergehen mit einer Absage an die freie Marktwirtschaft. Derzeit gilt das Gebot des Lizenzvorrangs. Verlage haben es in der Hand, ein angemessenes Angebot für die Nutzung von Werken zu unterbreiten. Sollten sie dazu nicht in der Lage sein, dann greifen die gesetzlichen Nutzungsvorgaben. Daran sollten wir grundsätzlich festhalten. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung über das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz. Hinter diesem sperrigen Namen verbirgt sich die Einführung einer sogenannten Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht. Das Urhebergesetz sieht bereits jetzt in einzelnen Vorschriften gesetzlich erlaubte Nutzungen für Unterricht, Wissenschaft und Institutionen vor. Die Vorschriften regeln, unter welchen Voraussetzungen urheberrechtlich geschützte Werke für die Zwecke von Bildung und Wissenschaft verwendet werden dürfen, ohne in jedem Einzelfall Rechte zu klären und Erlaubnisse einholen zu müssen. In der Regel ist die gesetzlich erlaubte Nutzung mit einer Vergütungspflicht verbunden. Das ist auch sinnvoll: Schulen und Universitäten sind in hohem Maße auf den Zugang zu urheberrechtlich geschütztem Material für Lehre und Forschung angewiesen. So kann ein Hochschullehrer zum Beispiel schon nach geltender Rechtslage „kleine Teile“ eines Werkes zu Unterrichtszwecken vervielfältigen und an seine Studierenden weiterleiten, ohne dafür immer eine Genehmigung vom Verlag einzuholen zu müssen. Diese Vorschriften sind aber teilweise unverständlich formuliert und über das gesamte Urhebergesetz verstreut. Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren durch die Digitalisierung vieles verändert hat. Das gilt insbesondere für die Verbreitung und die Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte. Wir wollen das Urheberrecht deshalb an dieser Stelle modernisieren und an die Veränderungen der letzten Jahre anpassen. Schließlich sind die gesetzlichen Erlaubnistatbestände für Bildung und Wissenschaft seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr angefasst worden. Es ist das dritte große Reformvorhaben, das wir in dieser Legislaturperiode im Urheberrecht verabschieden wollen. Zuletzt haben wir Ende des vergangenen Jahres schon das Verwertungsgesellschaftengesetz sowie das Urhebervertragsrecht reformiert. Begrüßenswert ist, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen selbstständigen Abschnitt für die erlaubnisfreien Nutzungen von Bildung und Wissenschaft einführen und praxistaugliche und verständliche Regelungen formulieren. Sie sorgen für eine einfachere Handhabung der Ausnahmetatbestände. Davon werden die Anwender, also zum Beispiel Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Lehrende an den Hochschulen, Studierende sowie Beschäftigte in Bibliotheken und Archiven, profitieren. Das entspricht auch unserem Wunsch nach einem wissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheberrecht. Als Gesetzgeber ist es aber auch unsere Aufgabe, die Interessen der Urheber und Wissenschaftsverlage im Blick zu behalten. Denn wie immer im Urheberrecht gilt: Wir müssen einen gerechten Interessensausgleich zwischen Urhebern, Nutzern und Verwertern schaffen. Deshalb haben wir uns auch von dem ersten Vorschlag verabschiedet, dass 25 Prozent eines urheberrechtlich geschützten Werkes ohne Genehmigung des Rechteinhabers für Unterricht und Lehre sowie für die wissenschaftliche Forschung genutzt werden können. Zum einen ist eine derart weite Ausdehnung des Nutzungsumfangs nur schwerlich mit dem Schutz des Eigentums aus Artikel 14 GG zu vereinbaren. Zum anderen besteht die Gefahr, dass keiner mehr die wissenschaftlichen Werke kaufen würde. Nicht zuletzt aus diesem Grund war der ursprüngliche Referentenentwurf zu weitgehend. Jetzt sieht der Entwurf vor, dass erlaubnisfreie Nutzungen für Unterricht und Lehre sowie wissenschaftliche Forschung in der Regel noch in einem Umfang von 15 Prozent zulässig sind. Der Gesetzgeber hat stets die Pflicht, mit Weitsicht zukunftstaugliche Regelungen zu schaffen: Die Digitalisierung umfasst mittlerweile nahezu alle Bereiche wissenschaftlichen Arbeitens. Die urheberrechtliche Situation hat sich ebenfalls grundlegend geändert. Wie im Koalitionsvertrag eindeutig vereinbart, wollen und brauchen wir für Wissenschaft und Bildung noch in dieser Legislaturperiode eine gute Lösung im Urheberrecht. Unser ausdrückliches Ziel ist es, dass die Stärken und Vorteile der analogen Welt auch im digitalen Zeitalter weiterbestehen. Dies bedeutet nicht zuletzt, eine stets angemessene Vergütung der Urheber zu gewähren. Aus praktischer Sicht ist es von großer Bedeutung, dass bürokratischer und kostenintensiver Aufwand bei Nutzung und Abrechnung vermieden wird. Die im Entwurf ausdrücklich erlaubte pauschale Abrechnung der Nutzungsvergütungen ist aus dieser Perspektive richtig. Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir brauchen im Bereich der Bildung und Wissenschaft ein transparentes und benutzerfreundliches Urheberrecht, das dem digitalen Zeitalter gerecht wird. Der parlamentarische Prozess bedeutet daher immer auch, einen Interessenausgleich zwischen den Urhebern und Nutzern zu schaffen. Wir wollen uns im Verfahren im Detail mit den Regelungen auseinandersetzen und einen angemessenen Ausgleich der verschiedenen Interessengruppen finden. Der Entwurf bedarf Nachbesserungen. Darüber wird zu sprechen sein. Christian Flisek (SPD): Wir sprechen heute über einen Gesetzentwurf, der endlich Rechtssicherheit in ganz wichtige Bereiche unserer Bildungs- und Wissenschaftslandschaft bringen wird. In Lehre und Forschung, an den Schulen und Universitäten und in den Bibliotheken und Archiven wird dieser Gesetzentwurf für klare Verhältnisse sorgen. Die Probleme der aktuellen Rechtslage sind bekannt: Die bisherigen gesetzlichen Nutzungserlaubnisse im Urheberrechtsgesetz sind veraltet, unübersichtlich geregelt und selbst für Expertinnen und Experten kaum verständlich. Aufgrund etlicher auslegungsbedürftiger Begriffe führen jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit auf allen Seiten. Der Gesetzentwurf reagiert auf diese Missstände. Er errichtet einen praktikablen Rechtsrahmen für die Nutzung von wissenschaftlichen Arbeiten und Lehrmaterial in Unterricht und Lehre. Der Gesetzentwurf sieht kein vergütungsfreies Nutzungsrecht vor. Er sieht einen vergütungspflichtigen Mindeststandard an Nutzungsrechten vor, damit Lehrer, Professoren, Bibliothekare und Archivare wissen, was sie nutzen dürfen und was nicht. Zurzeit versinken die Bibliothekare der Universitäten in zahllosen, ganz unterschiedlich ausgestalteten Lizenzverträgen. Die Unübersichtlichkeit führt dazu, dass Professoren und Dozenten entweder auf Nutzungen ganz verzichten oder dass illegal genutzt wird – beides ist nicht gut. Zugleich profitieren die Rechtsinhaber, also zum Beispiel Autoren und Fachverlage; denn sie erhalten eine angemessene Vergütung für Nutzungen, die ansonsten oft unterblieben wären oder rechtswidrig (und damit ebenfalls ohne Vergütung) stattgefunden hätten. Nachdem wir schon Anfang des Jahres in der SPD-Fraktion sowohl Verlage als auch Vertreter von Universitäten und Bibliotheken angehört haben, haben wir in den letzten Wochen zahlreiche bilaterale Gespräche geführt. In den letzten Tagen haben sich nun Zeitungsverlage zu Wort gemeldet, die Sorge um ihre Archive haben. Auch damit werden wir uns im parlamentarischen Verfahren intensiv beschäftigen. Eines ist besonders zu betonen: Es ist für mich ganz entscheidend, dass die gesetzlichen Regelungen nicht kategorisch ausgehebelt werden können. Ein pauschaler Vorrang von Lizenzangeboten würde den Zweck des Gesetzes vereiteln: Ein Vorrang von Lizenzangeboten würde erneut zu Rechtsstreitigkeiten führen, weil niemand weiß, was denn ein „angemessenes Angebot“ ist. Die Konsequenz wäre wieder Rechtsunsicherheit sowie eine Überlastung der Bibliothekare an Universitäten und anderen Einrichtungen aufgrund zahlreicher unterschiedlicher Lizenzangebote und verträge. Das wollen wir aber gerade verhindern! Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Anpassung der urheberrechtlichen Schranken für die Zwecke von Bildung und Wissenschaft überfällig zu nennen, wäre eine maßlose Untertreibung. Die Diskussion darum ist so alt wie der erste Einzug der Digitalisierung in die Bildungs- und Forschungseinrichtungen selbst. Seitdem müssen sich Lehrende und Forschende für ihre tägliche Arbeit mit einem unübersichtlichen, anachronistischen Regelwerk mit erheblicher Rechtsunsicherheit herumschlagen. Profitiert haben jedenfalls die Urheberinnen und Urheber niemals davon. Dennoch hat sich trotz zahlreicher Ankündigungen und Vorschläge lange nichts getan. Selbst nachdem Ende letzten Jahres im universitären Bereich die Aushandlung eines tragfähigen Rahmenvertrags derart scheiterte, dass der Rückfall in vordigitale Zeiten nur notdürftig verschoben wurde, wussten wir bis zuletzt nicht, ob der vorliegende Gesetzentwurf tatsächlich das Licht der Welt erblicken würde. Dass er nun vorliegt, in einer Form, die unbestritten eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo wäre, stellt insofern eine Erleichterung dar. Bildungs- und forschungsfeindlich sind die darin vorgesehenen Regelungen nicht mehr. Allerdings: Im Koalitionsvertrag bemühen Sie das Wort „freundlich“, und so weit würde ich noch nicht gehen. Zumal gegenüber dem Referentenentwurf der Umfang der erlaubten Nutzung noch einmal deutlich eingeschränkt wurde – von 25 auf 15 Prozent in den zentralen Erlaubnistatbeständen. Hier scheint es dann doch ein Einknicken vor der reichlich fragwürdigen Kampagne der Verlage gegeben zu haben. Für uns bleibt der Goldstandard eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, wie wir sie seit jeher fordern und wie sie mit diesem Entwurf gerade nicht umgesetzt wird. Es ist nicht verständlich, warum die erlaubte Nutzung für die Zwecke der Bildung und Wissenschaft überhaupt eingeschränkt werden sollte. Faire Vergütungsregeln vorausgesetzt, deckt sich eine allgemeine Schranke auch mit den Interessen der Urheberinnen und Urheber. Sie hätte darüber hinaus den Vorteil der Offenheit gegenüber neuen technischen Entwicklungen. Der jetzt vorliegende Entwurf hingegen wird regelmäßiger Überarbeitung bedürfen, um nicht hinter die Zeit zurückzufallen. Bereits jetzt spart er zum Beispiel eine Regelung zum Verleih von E-Books aus, wie wir sie hier bereits vor zwei Jahren gefordert haben. In Anbetracht all dessen gilt es jetzt, den vorliegenden Entwurf zügig, aber gründlich daraufhin zu überprüfen, wo er im Sinne eines möglichst bildungs- und forschungsfreundlichen Urheberrechts noch nachjustiert werden kann. In jedem Fall muss noch vor der Wahl ein Gesetz daraus werden, das dann so schnell wie möglich zur Anwendung kommen sollte. Das Ziel bleibt aber – jedenfalls für uns –, zu einer Regelung zu kommen, die tatsächlich im Sinne einer allgemeinen Schranke die Nutzung für Zwecke der Bildung und Wissenschaft ungehindert erlaubt. Nur so kommen wir zu einem Urheberrecht, das nicht nur – wie es hier im Titel des Gesetzes heißt – an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft angeglichen ist, sondern auch ihre Zukunft im Blick behält. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Große Koalition ist spät dran, wenn es darum geht, das Urheberrecht endlich anzupacken, um es zugunsten von Bildung und Wissenschaft zu modernisieren: Zu später Stunde steht ihr Vorschlag auf der Tagesordnung, wie sie die Schrankenregelungen im Urhebergesetz reformieren will. Das steht symptomatisch dafür, wie die Große Koalition das Thema die gesamte Legislaturperiode verschleppt hat. Seit 2007 wird darüber diskutiert, dass die kleinteiligen und höchst komplizierten Schranken im Urhebergesetz Bildung und Forschung nicht in die Lage versetzen, die digitalen Potenziale zu nutzen. Wir Grünen im Bundestag fordern daher schon seit langem die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Mit einer solchen „Schranke“ könnten viele Nutzungs- und Vergütungsregeln klar und verständlich geregelt werden. Wir halten sie für den besten Weg, um das Urheberrecht für Forschung, Lehre und Lernen im digitalen Zeitalter fitzumachen. Diese Lösung wird auch seit Jahren von vielen Vertreterinnen und Vertretern aus der Wissenschaftscommunity favorisiert. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich die Koalitionspartner diesen Ansatz ebenfalls zu eigen gemacht und angekündigt, eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzuführen. Als Grüne im Bundestag haben wir in dieser Wahlperiode der Regierungskoalition immer wieder Beine gemacht, ihr Versprechen einzulösen und eine weitreichende und zukunftsfeste Lösung zu schaffen. Wir haben das getan, unter anderem auch per parlamentarischem Antrag „Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten“. Unseren Vorschlag haben Sie abgelehnt, obwohl er eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke gebracht hätte, die es Lehrenden, Lernenden und Forschenden erleichtern würde, publizistische Werke jedweder medialer Art für den nichtgewerblichen wissenschaftlichen Gebrauch generell genehmigungsfrei und ohne Einschränkungen zu nutzen. Kurz vor Ende der Wahlperiode und Ihrer Koalition haben Sie sich entschieden, etwas anderes zu liefern als das, was Sie in Aussicht gestellt haben. Ihr Entwurf zu einem Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz enthält nämlich keine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Das alles zeigt: Den großen angepeilten Wurf haben Union und SPD nicht hinbekommen. Stattdessen werden im Gesetzentwurf einige Erlaubnistatbestände zur Nutzung erweitert. Dort, wo überfällige Erleichterungen für Bildung und Wissenschaft ins Auge gefasst werden, finde ich das richtig. So wird zum Beispiel die VG-WORT-Problematik gelöst. Ich erkenne auch den Versuch der Koalition an, verständliche und rechtssichere Regelungen zu finden. Klar ist zugleich: Die Beratungen im Bundestag haben jetzt erst begonnen. In den kommenden Wochen werden wir weiter prüfen, ob die vorgeschlagene Alternative in Gänze trägt, um das Wissenschaftsurheberrecht fair und innovationsfreundlich zu gestalten. Auf die Prüfung durch die Sachverständigen im Rahmen der Anhörung im Rechtsausschuss am 29. Mai bin ich gespannt. Im Gesetzentwurf ist die Rede davon, dass die „Ausgaben für Zahlungen an Verwertungsgesellschaften (gesetzliche Vergütung) … sich in dem Maße erhöhen [werden], als die Begünstigten zukünftig von den erweiterten gesetzlichen Nutzungsbefugnissen Gebrauch machen“. In diesem Zusammenhang stellt sich mir eine Frage, die sich auch aus einem Vergleich zwischen Referentenentwurf und tatsächlichem Gesetzentwurf ergibt: Es sollen nun nicht mehr 25 Prozent, wie im Referentenentwurf vorgesehen, sondern lediglich 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes genehmigungsfrei nutzbar sein. Der Bundesrat setzt sich in seiner Stellungnahme dafür ein, zu den ursprünglich angepeilten 25 Prozent zurückzukehren. Warum ist die Bundesregierung vor einer Ausweitung auf 25 Prozent zurückgeschreckt? Unsere Position in der Sache war immer, den für Bildung und Wissenschaft notwendigen Zugang zu Wissen unter angemessenen und für alle Seiten fairen Bedingungen zu gewährleisten. Wir wollen den Modernisierungsstau im Urheberrecht auflösen. Dieser große Wurf kommt nicht. Wenigstens aber hoffe ich, dass der Regierungskoalition bei der Beratung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz auf den letzten Metern nicht die Puste ausgeht. Es wäre schlecht für den Innovationsstandort und für alle Lehrenden und Lernenden in Deutschland, wenn wir in der nächsten Legislaturperiode wieder bei null anfangen müssten und altbekannte Debatten wiederholen. Dann doch lieber jetzt Schritte in die richtige Richtung gehen. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Seit fast zwei Jahrzehnten diskutieren wir über die „Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ – jetzt liegt der Vorschlag auf dem Tisch. Wie immer im Urheberrecht geht es um den Ausgleich einer Vielzahl von Interessen: um die Rechte von Autoren und Verlagen und um die Interessen der Nutzer, der Bildungseinrichtungen sowie ihrer Träger, die das deutsche Bildungssystem finanzieren. In der Wissensgesellschaft sind insbesondere Forscher und Wissenschaftler sowohl Nutzer bestehender Werke als auch Schöpfer neuer Inhalte: Sie bauen auf vorhandenem Wissen auf und benötigen deshalb einen gut funktionierenden Zugang zu Büchern, Zeitschriften und Daten – analog wie digital. Und als Schöpfer neuer Werke haben sie Interesse an deren Verbreitung, natürlich auf Grundlage des Urheberrechtsschutzes. Unser Entwurf regelt den Zugang zu geschützten Inhalten: Welche Texte dürfen Hochschuldozenten für ihre Studierenden in den Digitalen Semesterapparat einstellen, ohne zuvor eine Lizenz erwerben zu müssen? Aber auch: Können beispielsweise unsere Kinder Fotos aus dem Internet in ihre Präsentation für den Geschichtsunterricht einfügen, ohne eine Rechtsverletzung zu riskieren? Grundlage hierfür sind die „Schrankenbestimmungen“ des Urheberrechtsgesetzes, also Regelungen, die eine Nutzung auf gesetzlicher Grundlage erlauben; deshalb auch die Bezeichnung „Bildungs- und Wissenschaftsschranke“. Nun, entsprechende Vorschriften bestehen bereits im geltenden Recht. Was wollen wir im Interesse von Bildung und Wissenschaft ändern? Erstens. Die derzeit geltenden Bestimmungen sind sehr kompliziert, daher kaum verständlich und teilweise auch veraltet. Die Rechtsanwender wissen deshalb häufig gar nicht, was erlaubt ist und was nicht. Der Entwurf schafft deshalb klare Regeln. Nur verständliches Recht wird auch akzeptiert und gelebt – eine wichtige Voraussetzung für den Respekt vor dem geistigen Eigentum, gerade auch in den Schulen und Universitäten. Zweitens. Wir schaffen einen klar definierten Basiszugang zu Inhalten, und zwar unabhängig von etwaigen Lizenzvereinbarungen oder Verlagsangeboten. So dürfen beispielsweise künftig in jedem Fall 15 Prozent eines Textes für Unterrichtszwecke digital verfügbar gemacht werden. Auch das schafft Klarheit für alle Beteiligten. Selbstverständlich werden Universitäten weiterhin Bücher kaufen und elektronische Angebote der Verlage lizenzieren. Wissenschaftler und Studierende brauchen in der Regel nämlich den Zugang zur vollständigen Monografie oder zur kompletten elektronischen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift. Aber die Dozentin, die für die Teilnehmer des nächsten Seminars Kopien eines einzelnen Aufsatzes aus einer Fachzeitschrift braucht, muss künftig nicht mehr nach Verlagsangeboten suchen oder gar den Preis und die Lizenzklauseln auf Ihre Angemessenheit beurteilen – in der Praxis ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit. Diese lebensfremde Regelung schaffen wir deshalb ab. Drittens. Autoren und Verleger erhalten für die gesetzlich erlaubten Nutzungen eine angemessene Vergütung. Denn wir beschränken das exklusive Verwertungsrecht der Urheber und der Unternehmen, die in die Herstellung und Verbreitung der Inhalte investieren. Die Vergütung ist also die Kompensation für die gesetzlich erlaubte Nutzung. Wir stellen gleichzeitig klar, dass nicht jede kleinteilige Nutzung individuell abgerechnet werden muss. Es kann nicht sein, dass die Erfassung und Abrechnung auf Nutzerseite mehr kostet, als Autoren und Verlage am Ende des Tages als Vergütung erhalten. Mit einer Änderung des Verwertungsgesellschaftengesetzes Ende 2016 haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Autoren ihre Verleger auch weiterhin an diesen Vergütungen beteiligen können. Und auf europäischer Ebene setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass im europäischen Recht klargestellt wird, dass gemeinsame Verwertungsgesellschaften von Autoren und Verlegern möglich bleiben. Dies dient allen Beteiligten: Autoren und Verleger können ihre gemeinsamen Interessen gebündelt wahrnehmen. Und für die Nutzerseite – also Bibliotheken oder die Träger von Bildungseinrichtungen – ist es ebenfalls besser, wenn eine gemeinsame Verwertungsgesellschaft von Autoren und Verlegern in einem One-Stop-Shop ihr Ansprechpartner ist. Wir verstehen die Sorgen einiger Wissenschaftsverlage, sind aber sicher, dass deren Geschäftsmodell auch im digitalen Umfeld eine Zukunft hat, nämlich als Dienstleister der Wissensgesellschaft. Dieses Geschäftsmodell ist durch einen lizenzfreien, zugleich aber vergüteten Basiszugang zu urheberrechtlich geschützten Inhalten nicht infrage gestellt. Ich bin überzeugt, dass uns ein fairer Interessenausgleich gelungen ist. Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass der Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens noch in dieser Legislaturperiode gelingen wird. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Tagesordnungspunkt 34) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Wir verabschieden heute in zweiter Lesung ein Gesetz, welchem eine besondere Bedeutung zukommt. In der momentanen Debatte, die fast nur noch von Protektionismusfreunden, weltweiten Freihandelsfeinden und Realitätsverweigerern in der Opposition geprägt wird, kommt das Thema Freihandel zu oft unter die Räder. Das hier vorliegende Vertragsgesetz regelt den Beitritt Ecuadors zum bereits bestehenden Handelsabkommen der Europäischen Union mit Peru und Kolumbien. Mit dem Handelsübereinkommen sollen mögliche Wettbewerbsnachteile für deutsche und europäische Unternehmen beim Marktzugang in der Republik Ecuador gegenüber anderen Industrieländern verhindert werden. Es ist davon auszugehen, dass davon die breit aufgestellte deutsche Wirtschaft profitieren wird. Ich möchte Ihnen hier nochmals kurz die Genese der Verhandlungen verdeutlichen, damit Ihnen die zeitliche Dimension der geführten Verhandlungen bewusst wird. Ursprünglich war Ecuador Verhandlungspartner eines Assoziierungsabkommens mit den anderen Andenstaaten Kolumbien, Peru und Bolivien, welches im April 2007 von der EU unter deutscher EU-Präsidentschaft initiiert wurde. 2008 verließen Bolivien und Ecuador jedoch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Andengemeinschaft diese Verhandlungen. 2009 wurden die Gespräche dann auf der Grundlage eines neuen Mandates als Freihandelsverhandlungen mit Kolumbien und Peru fortgeführt und im Mai 2010 abgeschlossen. Mit der EU kam es dann erst 2012 zur Unterzeichnung eines Vertrages in Form eines gemischten Abkommens. Der Deutsche Bundestag hat dem Abkommen am 1. August 2013 seinen Segen gegeben. Bis heute haben aus unterschiedlichen Gründen Österreich, Belgien und Griechenland die Ratifizierung in den nationalen Parlamenten immer noch nicht abgeschlossen. Einige schaffen es eben schneller, andere brauchen Jahre. Somit ist das Abkommen bisher nur in der vorläufigen Anwendung. Leider auch eine europäische Realität. Die Entscheidung Ecuadors, dem bestehenden Handelsabkommen beizutreten, hat das Land 2013 gefasst, da die mit Peru und Kolumbien geschlossene Übereinkunft die Möglichkeit eines Beitritts weiterhin offengehalten hat. Ecuador hat sich nun zu einem Beitritt entschlossen. 2014 sind dann die Verhandlungen abgeschlossen worden. 2016 wurde das Übereinkommen unterzeichnet und vom EU-Parlament bestätigt. Seit dem 1. Januar 2017 wird das Handelsübereinkommen vorläufig angewendet und beschränkt sich damit auf die Teile des Abkommens, welche in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen. Es handelt sich daher bei dem Beitritt Ecuadors ebenfalls um ein sogenanntes gemischtes Abkommen, das die Notwendigkeit eines Vertragsgesetzes auslöst und damit ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren durchläuft. Nach Frankreich und Finnland sind wir zum jetzigen Zeitpunkt der dritte Mitgliedstaat der EU, welcher das Abkommen förmlich notifiziert. Das werte ich als weiteres starkes Signal Deutschlands für den Freihandel. So viel zur Genese und zur zeitlichen Dimension. Nun aber einige Bemerkungen zum Inhalt und zur Bedeutung des Handelsvertrages. Der Beitritt Ecuadors zum Handelsübereinkommen ist ein wichtiger Schritt zum Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und Ecuador. Es deckt 99 Prozent der EU-Ausfuhren ab, darunter 100 Prozent der industriellen Güter und 85 Prozent der landwirtschaftlichen Güter. Ecuador erhält mit Inkrafttreten des Beitritts 100 Prozent Zollfreiheit auf seine Industriegüter. Ersten Berechnungen zufolge ist mit nur geringen EU-Mindereinnahmen durch ausfallende Zölle zu rechnen – nach zehn Jahren circa 80 Millionen Euro. 17 Jahre nach Inkrafttreten werden nahezu alle Zölle abgeschafft sein. Der Beitritt stellt somit einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Marktzugangshindernissen dar und soll mögliche Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen beim Marktzugang gegenüber anderen Ländern wie die USA, China oder Kanada verhindern. Insbesondere die Automobilindustrie, der Maschinenbau, die chemische Industrie sowie der Dienstleistungsbereich werden vom Beitritt profitieren können. Das Handelsübereinkommen geht in vielen Bereichen über Standards der WTO hinaus und lässt sich daher gut den neuen, modernen Handelsabkommen zuordnen. Beispielhaft lassen sich Kompromisse zu nichttarifären Handelshemmnissen, Dienstleistungen und Streitschlichtung beim Schutz von Rechten des Eigentums nennen. Und es greift weitere Themen auf, die in der WTO sonst nicht verhandelt werden, wie Investitions- und Wettbewerbsregeln, Umwelt- und Sozialstandards mit einem Nachhaltigkeitskapitel. Des Weiteren sind weitreichende Monitoring- und Dialogplattformen implementiert. Das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung deckt dabei die sozialen und ökologischen Komplexe ab. Es enthält unter anderem die Übereinkunft der Vertragsparteien, die Verpflichtungen aus einer Reihe internationaler Übereinkünfte einzuhalten, darunter die arbeitsrechtlichen Mindestnormen der internationalen Arbeitsorganisation sowie multilaterale Umweltübereinkünfte. Darüber hinaus sind Bestimmungen zum Handel mit forstwirtschaftlichen Erzeugnissen und Fischereierzeugnissen, zur biologischen Vielfalt, Klimaschutz etc. enthalten. Ferner legt das Handelsübereinkommen Mechanismen fest, mit denen die Durchführung der Bestimmungen überwacht wird. Dies wird die Beziehungen konstruktiv voranbringen und deutlich verbessern. Der Beitritt Ecuadors zum Handelsübereinkommen von Peru und Kolumbien ist Garant für mehr Handel, Investitionen, Arbeitsplätze und größeres Wirtschaftswachstum zugunsten aller Bevölkerungsschichten in Ecuador. Damit kann das Land in seinen Anstrengungen für mehr Entwicklung, Stabilität und die Stärkung der Menschenrechte unterstützt werden. Ich möchte hier auch ganz generell nochmals eine Lanze für den Freihandel brechen. Gerade wir als Deutsche haben in den letzten Jahrzehnten mit am meisten von freien Märkten profitiert, wir sind ja praktisch die Erfinder von Freihandelsabkommen. Ich kann ja durchaus nachvollziehen, dass es in einzelnen Parteien hier im Hohen Haus schwer zu verkraften ist, dass ein Land freiwillig einem Freihandelsvertrag beitreten möchte. Dies rechtfertigt aber in keiner Weise eine Blockadehaltung, welche den Menschen in Ecuador bestimmt nicht helfen wird. Die Europäische Union setzt mit ihren Freihandelsabkommen Maßstäbe für die Welt. Die Gestaltung eines fairen und freien Welthandels ist für uns die beste Möglichkeit, unseren Wohlstand zu sichern und anderen Teilen der Welt zu Wohlstand zu verhelfen. Deswegen stimmt die CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetzentwurf zu. Klaus Barthel (SPD): Heute geht es um den Beitritt Ecuadors zum Freihandelsabkommen der EU mit Peru und Kolumbien. Dieses ursprüngliche Abkommen hat die SPD-Bundestagsfraktion am 21. März 2013 abgelehnt und damit Pflöcke gesetzt für die Neuausrichtung unserer Handelspolitik in der Zukunft. Wir können heute noch jeden Satz der seinerzeitigen Begründung unterschreiben, die uns auch in der Debatte um CETA geleitet hat. Und egal wie in der nächsten Legislaturperiode über die nationale Ratifizierung von CETA entschieden werden wird: Beispielsweise in der Frage der verbindlicheren Durchsetzung von ökologischen und sozialen Standards sind wir zwar nicht am Ziel angekommen, aber viel weiter als seinerzeit bei Kolumbien und Peru. Heute sehen wir: Das sogenannte Nachhaltigkeitskapitel des Kolumbien-Peru-Abkommens stellt sich bisher als genau der zahnlose Tiger heraus, als den wir es seinerzeit gebrandmarkt haben. Die SPD hat im Ausschuss für Wirtschaft und Energie dazu einen Bericht der Bundesregierung angefordert, der das eindrucksvoll belegt. Zwar haben in den knapp vier Jahren seit Inkrafttreten sage und schreibe drei Unterausschusssitzungen „Handel und nachhaltige Entwicklung“ stattgefunden, mit jeweils im Anschluss einem „öffentlichen Dialog“. Wenn man allerdings nach konkreten Veränderungen in den Ländern sucht, etwa auch nach einer Überprüfung der Ankündigungen der Regierungen Perus und Kolumbiens, wird man wenig finden, auch im Bericht der EU-Kommission vom Februar 2016. Zwar sind Nachfragen und Präsentationen seitens der EU erwähnt, aber keinerlei Analysen über tatsächliche Veränderungen. Wenn man diese Berichte so liest und im Land nach dem proklamierten gesellschaftlichen Dialog fragt, bekommt man den Eindruck, als bewege man sich in ganz verschiedenen Welten. Gerade in Kolumbien wäre dies aber angesichts der notwendigen Umsetzung des Friedensprozesses dringend geboten. Das Land steht am Scheideweg. Nach der Entwaffnung der FARC-Guerilla ist jetzt die Regierung am Zug, Menschen und Natur vor neuer Gewalt zum Beispiel durch Paramilitärs, Vertreibung, Banden- und Drogenkriminalität und Umweltzerstörung zu schützen und für Wahrheitsfindung, Aussöhnung und Gerechtigkeit zu sorgen. Uns erreichen aber alarmierende Berichte über Morde, Einschüchterung, Entführungen und ein Machtvakuum in vielen Gebieten, aus denen sich die FARC zurückgezogen hat. Gleichzeitig lesen wir, dass sich der Palmölexport in die EU in drei Jahren mehr als verdoppelt hat, was in der Regel mit Vertreibung und Naturzerstörung einhergeht, zumindest wenn es keine entsprechende Flankierung gibt. Die Zeit reicht nicht aus, um im Detail über den Zusammenhang von Handel, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Recht und Gerechtigkeit zu referieren. Bisher lässt sich jedoch feststellen – auch mit Blick auf Peru –, dass die Verheißungen des Freihandels keineswegs in Form einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen angekommen sind. Dabei hätten auch wir in Deutschland und in der EU ein dringendes Interesse an ökologischer Nachhaltigkeit – Stichwort zum Beispiel Klimaschutz und Walderhaltung – und noch mehr sozialer Gerechtigkeit in den Partnerländern, Stichwort Absatzmärkte durch mehr Kaufkraft statt Ausplünderung von Rohstoffen und Agrarflächen, friedliches Wachstum statt Bürgerkrieg und Gewalt. Der Beitrag der Handelspolitik dazu stellt sich eben nicht automatisch ein, sondern bedarf massiver Anstrengungen. So dringend geboten und so löblich das Engagement der Bundesregierung, auch in Gestalt des Sonderbeauftragten Tom Koenigs, im kolumbianischen Friedensprozess ist, so dringend geboten wäre die Flankierung dieser Bemühungen durch die EU-Handelspolitik und die ernsthafte Anwendung des Nachhaltigkeitskapitels des Freihandelsabkommens. Ein weiterer Punkt unserer Kritik war und ist der bilaterale Charakter des Abkommens, der Nachbarländern wie Ecuador keine Chance lässt, ihren eigenen Weg zu gehen. Aus guten Gründen hatten Ecuador und Bolivien seinerzeit die Verhandlungen verlassen. Da Ecuador ähnliche Produkte wie Kolumbien und Peru ausführen will und die Zollpräferenzen verloren hat, sieht es sich nun zu einem Beitritt gezwungen, damit es wichtige Absatzmärkte in Europa nicht verliert. Bilaterale Abkommen nehmen also auf differenzierte Interessenlagen keine Rücksicht, schaffen aber Sachzwänge für andere Staaten. Ein Beweis mehr dafür, dass nur multilaterale, zumindest regionale Handelsbeziehungen und Handelsregeln dauerhaft mehr Fairness statt einseitiger Interessendurchsetzung bringen können. Nachdem die USA jahrhundertelang ihrem „Hinterhof“ in Lateinamerika die Bedingungen diktiert haben und sich jetzt von ihren südlichen Nachbarn abwenden, besteht die Chance für die EU darin, genau nicht in die postkolonialen Fußstapfen des großen Nachbarn zu treten, sondern echte Partnerschaft auf Augenhöhe, sei es ökonomisch oder politisch, anzustreben. Die Story EU-Kolumbien-Peru-Ecuador wird diesem Anspruch nicht gerecht. Wenn wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Beitrittsgesetz dennoch zustimmen, dann nur deshalb, um kurzfristig großen Schaden von Ecuador abzuwenden, der durch den Verlust seiner Zollpräferenzen gegenüber der EU entstünde. Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieses Abkommen als Grundlage für Lern-, Veränderungs- und Neugestaltungsprozesse dient. Vielleicht gelingt dieses ja schon im Zuge der Verhandlungen mit dem Mercosur, die jetzt wieder in Gang gekommen sind. Die EU-Kommission wäre gut beraten, solche Lernprozesse aufzunehmen, anstatt zu glauben, die Antwort auf Trump und den wachsenden Protektionismus sei ein Weiter-so in Gestalt einer neoliberal geprägten Handelspolitik. Heike Hänsel (DIE LINKE): Gerechtes Handelsabkommen zwischen Ecuador und EU aufbauen! Wir entscheiden heute im Deutschen Bundestag über das Freihandelsabkommen mit Ecuador. Viel weniger zu entscheiden hatte dabei allerdings Ecuador selbst: Die EU hat dem Andenland in den Verhandlungen die Pistole auf die Brust gesetzt. Die Regierung von Ecuador hat sich immer gegen die neoliberale Freihandelspolitik gestellt, hat auf regionale Integration und soziale Wirtschaftsentwicklung gesetzt – statt sich ihre Politik von den reichen Ländern diktieren zu lassen. Ecuador und Bolivien haben eigene Vorschläge für ein entwicklungsförderliches Handelsabkommen gemacht; alle wurden brüsk von der EU zurückgewiesen. Nach jahrelangem Druck in den Verhandlungen hat Ecuador nur die Wahl, sich der neoliberalen Handelslogik der EU anzuschließen – oder all seine Zollpräferenzen zu verlieren. Das hätte fatale Auswirkungen für die ecuadorianische Wirtschaft. Diese erpresserische Politik der EU lehnen wir entschieden ab! Ecuador hat seit dem Amtsantritt von Rafael Correa deutlich gemacht, wie soziale Entwicklung gelingen kann: Die Armutsrate wurde drastisch gesenkt, Bildung und Gesundheit sind heute kostenlos, die Kriminalitätsrate ist deutlich gesunken. Das alles wurde möglich durch soziale Umverteilung: Der reichen Oberschicht wurden die Steuern erhöht, zugunsten der großen Mehrheit. Daran könnte sich auch die Bundesregierung ein Beispiel nehmen. Außenpolitisch hat sich Ecuador zum Sprachrohr des Globalen Südens gemacht, zum Beispiel im Menschenrechtsrat der UN. Dort hat die Regierung von Correa den UN-Treaty-Prozess gestartet, um ein internationales Abkommen gegen Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen zu erwirken. Aber den blockiert die Bundesregierung. Genau wie sie auch die Yasuní-Initiative in Ecuador blockiert hat und dadurch effektiven Klimaschutz in Verbindung mit sozialer Entwicklungspolitik verhindert hat. Außerdem ist Ecuador in dem Handelsbündnis ALBA engagiert, um Handelspolitik grundlegend anders zu gestalten. Stattdessen muss das Land jetzt seinen Markt und seine Rohstoffe für die EU-Konzerne öffnen. Zu 90 Prozent sollen nun die Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel gestrichen werden, dem billigen Milchpulver aus der EU ist dann Tür und Tor geöffnet, keine Chance für lokale, nachhaltige Produktion. Das sehen wir heute schon in Kolumbien und Peru, die diese Abkommen mit der EU schon viel früher abgeschlossen haben. Diese Politik ist unverantwortlich. Am Beispiel Ecuador zeigt sich heute einmal mehr, wie die EU mit ihren sogenannten Partnerländern im Globalen Süden umgeht. Progressiven Regierungen, die wirklich die Situation der Bevölkerung verbessern wollen, wird kein Raum gelassen. Gegenüber der mächtigen EU bleibt Ecuador nur die Wahl zwischen Pest und Cholera – das war im Kolonialismus übrigens auch nicht anders. Dieser neoliberalen Handelspolitik können wir als Linke nicht zustimmen. Genauso wenig wollen wir aber der Bevölkerung von Ecuador noch größeren wirtschaftlichen Schaden zufügen. Deswegen enthalten wir uns heute und fordern die Bundesregierung auf: Lernen Sie von Regierungen wie Ecuador, und sorgen Sie endlich für gerechte, solidarische Handelsbeziehungen mit Lateinamerika und dem Globalen Süden! Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Handelsabkommen der Europäischen Union mit Peru und Kolumbien war schon damals ein Fehler. Es ist stark an den Interessen transnationaler Konzerne ausgerichtet. Die dringend nötige Diversifizierung der lateinamerikanischen Wirtschaft wird durch das Abkommen unterbunden statt befördert. Uns liegen dazu mittlerweile die ersten empirischen Belege für die negativen Auswirkungen des Abkommens mit Peru und Kolumbien vor. Das Transnational Institute dokumentiert in seiner Studie, dass die beiden Länder sogar stärker als bisher als Rohstofflieferanten fungieren. So sind die Ausfuhrmengen etwa an Kohle und Palmöl gestiegen, während gerade die weiterverarbeitende Industrie etwa im Textilbereich Einbußen verzeichnet. Auch die Regelungen zur Kapitalverkehrsfreiheit begünstigen Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung, statt diesen einen Riegel vorzuschieben. Auch verbindliche Menschenrechts-, Öko- und Sozialstandards sucht man vergebens. Gerade erst saßen zwei Menschenrechtsaktivisten aus der südamerikanischen Andenregion in meinem Büro. Sie berichteten von schweren Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen im Bergbausektor. Luft und Böden werden verseucht. Das Wasser verschmutzt, und Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben. Oft helfen korrupte Eliten oder gar staatliche Sicherheitskräfte dabei, die rücksichtslose Politik der Unternehmen gegen den Willen der Bevölkerung umzusetzen. Wir dürfen die Konzerne damit nicht davonkommen lassen. Hierzu braucht es mehr Transparenz, gesetzliche menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und wirksame Sanktionen, aber auch eine Abkehr von der auf Extraktivismus basierenden deutschen und europäischen Rohstoffpolitik. Gerade Handelsabkommen wie mit Peru und Kolumbien und nun Ecuador leisten solchen Entwicklungen Vorschub. Die Einhaltung internationaler Konventionen zu Menschenrechts- und Arbeitsstandards, Umweltstandards und verantwortungsvoller Regierungsführung muss deshalb wirksam in den Handelsabkommen verankert werden. All das macht deutlich, dass Ecuador und Bolivien damals aus gutem Grund aus den Verhandlungen ausgestiegen sind. Statt auf eine gemeinsame Lösung mit der Andengemeinschaft zu setzen, haben die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten das Abkommen mit nur zwei Staaten abgeschlossen und so eine Spaltung der Andengemeinschaft vorangetrieben. Leider hat nun die verfehlte Reform des Allgemeinen Präferenzsystems dazu geführt, dass Ecuador seinen präferenziellen Zugang zum europäischen Markt verliert. Und natürlich hätte dies deutliche Auswirkungen auf das Land. Ecuador drohen damit wichtige Einnahmen und Arbeitsplätze wegzubrechen. Gerade die entwicklungspolitischen Erfolge der letzten Jahre könnten durch die Verluste konterkariert werden. Wenngleich wir das Abkommen mit Peru und Kolumbien damals abgelehnt haben, ist es in Kraft getreten und hat leider Fakten geschaffen. Diese jetzt zu ignorieren, würde unter Umständen zulasten der ecuadorianischen Entwicklungserfolge gehen. Wir werden uns deshalb enthalten. Wir wollen deutlich machen, dass wir dem Abkommen sehr kritisch gegenüberstehen. Allerdings müssen wir den nun geschaffenen Tatsachen Rechnung tragen und dürfen Ecuador nicht aufgrund einer verpassten Reform der europäischen Handelspolitik den vergünstigten Zugang zum europäischen Markt verweigern. Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karin Binder, Nicole Gohlke, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke und Alexander Ulrich (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Tagesordnungspunkt 34) Nein zu EU-Handelsabkommen mit Ecuador! Ja zu nachhaltiger Entwicklung! Mitten in der Nacht zum Freitag fand die zweite Lesung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung über den Beitritt Ecuadors zum Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits – Drucksache 18/11556 – statt, welches der Zustimmung der nationalen Parlamente unterliegt. Unter Rücksichtnahme auf die ecuadorianische Regierung und das linke Regierungsbündnis Alianza Pafs hat die Fraktion Die Linke bei der Abstimmung für eine Enthaltung plädiert. Wir lehnen sowohl den Inhalt als auch die Bedingungen, unter denen das Handelsabkommen zustande kam, strikt ab. Der Beitritt Ecuadors zu dem Handels- und Investitionsschutzabkommen, das seit dem 26. Juni 2012 für Kolumbien und Peru gilt, ist aus einer ökonomischen Drucksituation heraus erzwungen worden. Aufgrund der Zollvorteile der konkurrierenden Nachbarstaaten im EU-Handel und des gleichzeitigen Entzugs der Zollermäßigungen aus dem ASP-System der EU hat die ecuadorianische Regierung dem äußeren Druck nachgegeben. Der bevorstehende Verlust der Zollpräferenzen für die wichtigsten Exportgüter Ecuadors, darunter Bananen, Garnelen, Thunfisch und Palmöl, zwang die Regierung in die Verhandlungen. Der niedrige Ölpreis und das schwere Erdbeben von 2016, das einen erheblichen Teil der ecuadorianischen Exportgüterproduktion schwächte, erschweren zunehmend die Refinanzierung der dortigen Sozialprogramme. Das Handelsabkommen forciert den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse und sichert so den Zugang der EU-Konzerne zum ecuadorianischen Markt. Es treibt die Rohstoff-Extraktion voran, die Privatisierung im öffentlichen Bereich sowie den Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum durch Patente – ohne mit der Stärkung sozialer und ökologischer Maßnahmen ein Gegengewicht zu schaffen. Für Kleinproduzenten wirkt die ungeschützte Konkurrenz aus der EU existenzgefährdend. Patente ersetzen günstigere Generika, die bisher eine breite Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten wie HIV/Aids ermöglichten. Die traditionelle Handelsstruktur zwischen den Industriestaaten als Fertigwarenexporteuren und den Entwicklungsländern als Rohstoffanbietern wird so bewusst aufrechterhalten und gestärkt. Auf eine nachhaltige Entwicklungspolitik, die auf wirtschaftliche Diversifizierung unter Beachtung sozialer und umweltverträglicher Standards setzt, wird verzichtet. Unsere Ablehnung richtet sich nicht gegen die ecuadorianische Regierung und die Politik unserer Schwesterpartei Alianza Pafs, sondern gegen die erpresserische Handelspolitik der EU sowie die auf die Exportwirtschaft ausgerichtete Politik der Bundesregierung. Die Linke lehnt alle neoliberalen Handels- und Investitionsschutzabkommen ab. Bei dieser Ablehnung bleiben wir. Ein Bruch mit der neoliberalen Außenwirtschaftspolitik der EU ist eine wichtige Voraussetzung für weltweite ökonomische Entwicklung und sozialen Frieden. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fairness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen – des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern (Tagesordnungspunkt 36 a und b) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Die Reform des Leistungssports und der Spitzensportförderung war und ist ein zentrales Versprechen im Koalitionsvertrag. Die Bundesregierung hat – zusammen mit dem organisierten Sport, den Bundesländern, vielen Wissenschaftlern und Expertengruppen – ein wegweisendes Reformpapier erarbeitet. Noch im letzten Jahr konnte das Kompendium der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) im Dezember 2016 wurden die Reformbestrebungen mit großer Mehrheit bestätigt. Das umfassende Konzept verspricht eine Vielzahl an innovativen Neuerungen und nachhaltigen Verbesserungen für die im Mittelpunkt stehenden Athleten und Athletinnen. Mit dem Reformkonzept und dem heute eingebrachten Antrag lösen wir in diesem Sinne unser Versprechen ein und untermauern unser Engagement für eine Erneuerung des Spitzensports in Deutschland. Die Unionsmitglieder im Sportausschuss haben sich mit der Gesamtthematik lange befasst, einzelne Aspekte intensiv beraten und die Reform nicht zuletzt mit dem vorliegenden Antrag konstruktiv begleitet und geprägt. Wir gehen in der parlamentarischen Initiative auf zahlreiche „Bausteine“ des Reformprojektes differenziert ein und tragen an verschiedenen Stellen zu einer „Feinjustierung“ bei. Dabei haben wir insbesondere die Fragen und Sorgen unserer Athleten und Athletinnen aufgegriffen und in den Mittelpunkt gestellt. Mit einigen Präzisierungen im Antrag können wir zudem hoffentlich so manches Missverständnis im öffentlichen Diskurs aufklären. Zu den Forderungspunkten im Antrag: Für das Gelingen des Reformprozesses halten wir eine unabhängige sowie hauptamtlich geführte Athletenvertretung für unverzichtbar. Dies wollen wir auch finanziell unterstützen. Welchen Mehrwert und Fortschritt dies bedeuten kann, sieht man eindrucksvoll an den aktuell eingebrachten Vorschlägen der Athletenvertretung zur „Dualen Karriere“ bei der Bundeswehr. Die Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat prompt reagiert und konkrete Verbesserungen angestoßen, wovon künftig viele Sportler und Sportlerinnen profitieren werden. Wir wollen aber auch Initiativen mit der Wirtschaft, den Handwerkskammern und Bildungsträgern in den Blick nehmen, um eine bessere Vereinbarkeit von Spitzensport und (schulischer, beruflicher, akademischer) Ausbildung zu ermöglichen. Die sportliche und berufliche Entwicklung von Leistungssportlern soll sich dahin gehend ebenso in der Reform widerspiegeln. Deshalb fordern wir eine enge Abstimmung mit den Bundesländern, zum Beispiel bei der Nachwuchsförderung (unter anderem bezüglich wohnortnaher Angebote). Die durch Thomas de Maizière angestoßene BMI-Initiative „Sprungbrett“ bildet in diesem Kontext eine Art „Klammer“ und steht für die sportpolitische Prämisse, die Athleten und Athletinnen nach der sportlichen Karriere nicht einfach sich selbst zu überlassen. Die angesprochene „Nach-Aktiven-Förderung“ sichert einen geordneten Übergang der Athleten in den Beruf und ermöglicht zugleich, sich zum Ende der (sportlichen) Karriere nochmals komplett auf das Training bzw. den Zielwettkampf zu konzentrieren. In unserem Antrag setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass nach Lösungen für einen Ausgleich bei der Alterssicherung gesucht wird. Erst am Mittwoch, dem 17. Mai 2017, haben wir dies im Sportausschuss erneut mit der Athletenvertretung diskutiert. Der Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention macht im Übrigen deutlich, dass wir bei allen Punkten im Antrag auf die Inklusion und Gleichbehandlung von Spitzensportlern mit bzw. ohne Behinderungen setzen. Die Athleten und der Schutz ihrer Gesundheit stehen für uns an erster Stelle! Übergeordnet ist damit das Bekenntnis zum humanen Leistungssport verbunden. Es bedeutet aber auch gleichsam die „Null-Toleranz“ gegenüber Doping oder anderen Formen der Manipulation. Im engeren Sinne sind unter dem Gesundheitsaspekt natürlich genauso konkrete Präventionsmaßnahmen bezüglich der Vermeidung akuter oder chronischer Sportverletzungen zu verstehen. So muss zum Beispiel chronischen Gehirnerschütterungen bzw. Kopftraumata entschieden begegnet werden. Zum Gesundheitsschutz zählt zudem die Unversehrtheit der Person: Die Safe-Studie der Deutschen Sportjugend (DSJ) wie auch einzelne Vorfälle an Trainingsorten haben auf erschreckende Weise neuen Handlungsbedarf gegen sexualisierte Gewalt im Sport offengelegt. Lassen Sie mich das ganz deutlich sagen: Die Bundesregierung wird die staatlichen Zuwendungen künftig von wirksamen Präventionskonzepten abhängig machen, um alles nur Erdenkliche gegen derartige Vorkommnisse und Gefahren zu unternehmen. Niemand wird bestreiten, dass für eine erfolgreiche Umsetzung der Leistungssportreform auch die Trainer und Trainerinnen und ihr Arbeitsumfeld in den Blick genommen werden müssen: Mit unserem Antrag wollen wir dazu beitragen, dass das Berufsbild „Trainer“ geschärft wird und die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden. Die angestrebte Konzentration von Olympia- und Bundesstützpunkten soll einer deutlichen Verbesserung der Trainingsbedingungen dienen und auf einer faktengestützten Analyse basieren. Insgesamt gilt es, der Sportinfrastruktur des Spitzensports einen größeren Stellenwert beizumessen und behinderten Leistungssportlern moderne und praxistaugliche Trainingsmöglichkeiten zu bieten. Das beste Reformkonzept ist nichts wert, wenn es in der „Schublade“ verschwindet und nicht konsequent umgesetzt wird. Deshalb freue ich mich sehr, dass nach dem Beschluss des Reformvorhabens mit der Realisierung bereits begonnen wurde. So konnte zum Beispiel die Potenzialanalyse-Kommission (PotAS-Kommission) am 8. Mai 2017 in Berlin vorgestellt werden. Ende dieses Jahres sollen schon erste Arbeitsergebnisse vorliegen. Dahin gehend begrüßen wir im Antrag ausdrücklich, dass die Ergebnisse zu den Förderkriterien (60 Attribute) künftig für jeden im Internet abrufbar sind bzw. transparent dargestellt werden. Wir wollen gleichsam die Potenzialanalyse fortlaufend evaluieren und davor bewahren, durch immer mehr Variablen zu einem „Bürokratiemonster“ zu werden. Die Verwaltungskosten müssen in einem „gesunden Verhältnis“ zu den Sportfördersummen stehen. Die Liste der Förderattribute zeigt, dass wir die olympischen (Sommer-/Winter-)Sportverbände bei ihrer Arbeit unterstützen wollen, gegebenenfalls nicht genutzte Potenziale für die Athleten und Athletinnen zu aktivieren. Und schließlich: Der dritte Fördercluster mit bis dato festgestellten „wenig Potenzialaussichten“ bedeutet nicht das Ende! Hier soll den (gegebenenfalls betroffenen) olympischen Verbänden eine Basisförderung auf vier Jahre in Aussicht gestellt werden, damit ein Anschluss bzw. eine Rückkehr an die Weltspitze möglich bleibt. Unser Sportminister Thomas de Maizière (BMI) hat zudem immer wieder betont, dass auf Reformen auch Investitionen folgen. Kurzum: Auch als Haushaltsgesetzgeber wollen wir als Parlamentarier zu einer Modernisierung des Spitzensports beitragen und uns für entsprechende Rahmenbedingungen einsetzen. Der Unionsantrag zur Reform des Leistungssports bzw. der Spitzensportförderung befasst sich ferner intensiv mit der Wertedimension und dem Schutz der Integrität des Sports: Die Forderungen der Union im Antrag können dahin gehend in direkter Verbindung zum neuen Anti-Doping-Gesetz und zum Gesetz zur Bekämpfung von Spiel- und Wettmanipulation gesehen werden. Beides sind Erfolge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der 18. Wahlperiode und ein Zeichen für eine verantwortungsvolle Sportpolitik. Nach den strafrechtlichen Verschärfungen brauchen wir allerdings nunmehr eine verstärkte Ermittlungsarbeit sowie die Einrichtung weiterer Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Und: Es gilt, vor allem eine breite sowie offene Debatte über die Bedeutung des Spitzensports und dessen Wertekanon zu führen. Ich bin zuversichtlich, dass zum Beispiel der Fair-Play-Preis vonseiten der Bundesregierung wieder enger begleitet und unterstützt wird, wie auch andere programmatisch-pädagogische Maßnahmen ergriffen werden. Denn: Das Strafrecht soll – dem Grundsatz nach – immer die Ultima Ratio darstellen! Eine Reform des Spitzensports und Unterstützung durch die Bundesregierung machen allerdings nur Sinn, wenn von einer Chancengleichheit der Athleten im internationalen Wettbewerb (um Platzierungen und Medaillen) ausgegangen werden kann. Das russische Staatsdoping zu Olympischen Spielen, die neuen Auffälligkeiten bei (Doping-)Nachtests oder die gänzlich unterschiedlichen (Doping-)Kontrollsysteme in verschiedenen Ländern untergraben das Vertrauen in den fairen internationalen Wettbewerb. Deshalb fordern wir im Antrag, auf Ebene der Weltsportministerkonferenz und des Europarates den Kampf gegen Doping im Sport zu verstärken und sich für eine größere Unabhängigkeit der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) einzusetzen. Über eine fraktionsübergreifende parlamentarische Initiative zur Reform des Spitzensports hätte ich mich gefreut. Der Antrag der Opposition überzeugt leider nicht, da fachliche Fehler offensichtlich werden. Zudem verbleiben die Forderungen auf dem Niveau von Allgemeinplätzen. Positiv beim Grünen-Antrag ist, dass nicht – wie zuletzt – mit „Kopieren“ und „Einfügen“ gearbeitet wurde. Allen an der Reform beteiligten Personen sei hier nochmals ganz herzlich für ihren Einsatz gedankt. Ich bin sicher, dass sich die Arbeit gelohnt hat und wir die Rahmenbedingungen für unsere Athleten und Athletinnen deutlich verbessern werden. Jeannine Pflugradt (SPD): Für mich ist der deutsche Spitzensport unmittelbar mit der Umsetzung dualer Laufbahnen verbunden. Da Athletinnen und Athleten keinen anerkannten Beruf – Stichwort: Berufssportler – mit monatlichem Grundgehalt ausüben, sind sie auf einen zweiten – den beruflichen – „Karriereweg“ angewiesen. Die Bundespolitik ist deshalb als Förderer des Spitzensports – unabhängig von Bundeswehr, Bundespolizei, Zoll und schon bestehenden Projekten wie dem BMI-Projekt „Sprungbrett Karriere“ sowie der Stiftung Deutsche Sporthilfe – besonders gefordert, Akteure des Sports, des Bildungssektors, der Wirtschaft und der Landespolitik zu einer engeren Zusammenarbeit zu bewegen und auf eine intensive Unterstützung der Athletinnen und Athleten zu drängen. Um eine dauerhafte Spitzenposition im internationalen Sport einzunehmen, bedarf es eines wirksamen Fördersystems, dessen Wirksamkeit sich nicht allein anhand der Höhe der bereitgestellten finanziellen Mittel messen lässt. Die deutsche Spitzensportförderung hat einen humanen Anspruch und übernimmt auch nach der sportlichen Laufbahn Verantwortung für ihre Athletinnen und Athleten. Deshalb nimmt die Förderung der dualen Laufbahn hierzulande zu Recht eine besondere Stellung ein. In richtiger Abstimmung miteinander verstärken sich Spitzensport und Berufs- bzw. Bildungslaufbahn gegenseitig. Erfolgsentscheidend dabei ist, ob einer individuell für die Athletin oder den Athleten entwickelten ganzheitlichen Strategie gefolgt wird. Eine solche Strategie setzt bestenfalls schon im Kindesalter an und orientiert sich stark an den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen der Athletinnen und Athleten. Besondere Wichtigkeit erlangt eine ganzheitliche Strategie in der Zeit nach dem Schulabschluss. Für Jugendliche und junge Erwachsene sollten sich in dieser wichtigen Umbruchphase aussichtsreiche Perspektiven für ein Leben mit und nach dem Spitzensport eröffnen. Derzeit gibt es 37 Laufbahnberaterinnen und -berater des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die aufgrund der Anzahl der Spitzensportler keine ganzheitliche, langfristig angelegte sowie individuelle Laufbahnberatung anbieten können. Hier, denke ich, ist eine Aufstockung der Zahl der Beraterinnen und Berater sehr sinnvoll und notwendig. Bedauerlicherweise sind mir im neuen Förderkonzept für den Spitzensport zu viele Fragen um das Thema „Duale Karriere“ bei Spitzensportlern offen geblieben. Das Konzept rund um die Entwicklung der PotAS-Kommission enthält weitgehend oberflächliche sowie vage Informationen und nur wenig Neues in diesem Bereich. Den Athleten in den Mittelpunkt des Förderkonzepts zu stellen, bedeutet nicht nur, ihn in bestimmte Fördercluster einzuordnen, sondern ihn als Mensch mit außergewöhnlichen sportlichen sowie gesellschaftlichen Leistungen zu betrachten. Ein praktikables sowie funktionelles Nebeneinander beider Laufbahnen ist für jeden Athleten unermesslich und steigert die Qualität der Leistung. Deshalb spreche ich mich dafür aus, gemeinsam mit den Bundesländern auf die bundesweit flächendeckende Einführung von Profilquoten für einen erleichterten Hochschulzugang der Athletinnen und Athleten in allen Bachelor- und Masterstudiengängen hinzuwirken. Wir sollten in Zeiten des digitalen Wandels gemeinsam mit den Bundesländern eine Flexibilisierung der Studienbedingungen durch mehr E-Learning-Angebote, weniger Präsenzpflicht, mehr Blockunterricht, ein größeres Angebot an Fernstudiengängen und eine Verringerung der örtlichen Bindung bei der Ableistung von Prüfungen erreichen. Und wir sollten gemeinsam mit den Akteuren der Wirtschaft, den Handwerkskammern und den Bildungsträgern auf eine Entlastung der Athletinnen und Athleten hinwirken, indem nach § 8 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) und § 27 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerkes (HwO) mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze in Teilzeit sowie mehr Möglichkeiten der Arbeit im Homeoffice geschaffen werden. Spitzensportlerinnen und Spitzensportler verdienen es, dass wir ihnen die bestmöglichen Rahmenbedingungen für beide „Karrierewege“ ermöglichen. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Wenn wir an den Leistungssport denken, haben wir sofort drahtige Athletinnen und Athleten vor Augen, die unter vollem körperlichen Einsatz sportliche Höchstleistungen vollbringen. Wir denken an die Olympischen und Paralympischen Spiele, an Medaillen, an volle Stadien und ein begeistertes Publikum. Wir alle sehen die Erfolge am Ende einer langen Phase der Vorbereitung – der Blick in das Vorfeld dieser Höchstleistungen entzieht sich den meisten. Doch dieser Blick lohnt sich! Die Athletinnen und Athleten sind in ihrer Wettkampfvorbereitung von einem Kompetenznetzwerk umgeben: Trainerinnen und Trainer, Physiotherapeuten, Sportpsychologen – sie alle unterstützen die Sportler auf vielfältige Weise. Dazu kommt eine sportwissenschaftliche Betreuung. Hier wird ausgelotet, wo es noch Stellschrauben gibt, um die Leistungen zu verbessern, sei es beim Sportler selber oder beim Sportgerät. Das Ziel ist, Leistungen mit wissenschaftlichen Instrumenten zu optimieren und dabei Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Drei solcher Institute sind fester Bestandteil unserer Spitzensportförderung: das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), die Trainerakademie (TA) und das Institut zur Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Und das eine davon – das FES – befindet sich in meinem Wahlkreis Treptow-Köpenick. Ein tolles Team arbeitet hier täglich daran, die bestmöglichen technischen Voraussetzungen für unsere Spitzensportlerinnen und Spitzensportler zu schaffen. Davon konnte ich mich mehrfach überzeugen. In ihrer Arbeit kommt es manchmal auf minimale Veränderungen am Sportgerät an. Nehmen wir den Bob-Sport. Da geht es zum Beispiel um vibrationsarme Hauben, um aerodynamische Sitze, um komplizierte Lenksysteme und um auf jedes Eis abgestimmte Kufen. Das ist ein hochkomplexer Vorgang, und der technologische und internationale Wettstreit um das beste Material und die beste Konstruktion schreitet ständig fort. Millisekunden entscheiden über Sieg oder Niederlage, und damit steht auch die Technologie im Wettkampf. Fest steht, die Arbeit der wissenschaftlichen Institute ist für den Erfolg der Athletinnen und Athleten ganz maßgeblich, und ihre Bedeutung nimmt mit dem Fortschritt bei Analyse und Technik zu. Im internationalen Wettbewerb ist die Anwendung wissenschaftlicher Techniken bei der Optimierung des Zusammenspiels zwischen Sportgerät und Sportler längst zu einem entscheidenden Parameter geworden. Hier gibt es kein Zurück. Das bedeutet auch, dass die Institute finanziell so gestellt werden müssen, dass der Leistungssport davon profitieren kann. Die gerade laufende Reform der Spitzensportförderung ist für uns Anlass, diesen Anspruch noch einmal deutlich zu machen. Wissenschaft und Spitzensport sind untrennbar miteinander verbunden, und wir wollen, dass sich dieser Grundsatz in einer verstetigten Förderung der Institute IAT, FES und der Trainerakademie niederschlägt. Deswegen haben wir diesen Aspekt und weitere uns wichtige Punkte in unserem Antrag aufgegriffen. Lassen Sie uns gerne in den Ausschussberatungen dazu ins Gespräch kommen. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Eigentlich sollten die Anträge der Koalition und der Grünen zum Konzept der Spitzensportreform ohne Debatte in den Sportausschuss überwiesen werden – dies hat die Linke nicht akzeptiert. Statt einer echten Debatte als Tagesordnungspunkt 36 um 5 Uhr morgens vor einem sicherlich nahezu leeren Plenarsaal werden nun die Reden zu Protokoll gegeben. Warum haben wir als Linke eine Diskussion gefordert? Am 28. September 2016 stellten Bundesinnenminister de Maiziere und DOSB-Präsident Hörmann dem Sportausschuss ihr Konzept zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ vor. Am 3. Dezember 2016 stimmte der DOSB auf seiner Mitgliederversammlung diesem nach massiver Kritik mit Datum vom 24. November 2016 nur leicht veränderten und noch immer unvollständigen Konzept bei nur einer Gegenstimme zu. Ich war ja in Magdeburg dabei und verstehe das bis heute nicht. Für den Sport sind mit diesem Konzept sehr gewichtige und tiefgreifende Entscheidungen verbunden, die meines Erachtens die Mitwirkung des Parlaments erfordern. Dies hat die Linke mehrfach im Sportausschuss und in Anfragen an die Bundesregierung deutlich gemacht. Trotzdem erfolgte keine förmliche Einbindung des Parlaments. Erst mit dem Antrag der Grünen von Ende Januar wurde ein Weg geschaffen, das Thema doch noch in dieser Wahlperiode im Bundestag zu debattieren. Die in dem Antrag formulierten Forderungen stimmen weitgehend überein mit den Positionen, die die sportpolitischen Sprecher und Sprecherinnen der Linken im Bundestag und in den Landtagen in einer „Magdeburger Erklärung“ am 7. November 2016 bereits öffentlich gemacht hatten. Zur Erinnerung hier noch einmal die fünf Punkte: „1. Nicht akzeptabel ist zuerst das intransparente Verfahren. Gremium und Arbeitsgruppen aus DOSB, BMI und Sportministerkonferenz (SMK) tagten hinter verschlossenen Türen. Wichtige Akteure wie die Sportpolitiker und Sportpolitikerinnen des Bundestages und der Landtage oder der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (adh) waren nicht beteiligt und werden jetzt vor vollendete Tatsachen gestellt … 2. Nicht akzeptabel ist insbesondere die ausschließliche Fixierung auf Podiumsplätze bei Olympischen Spielen, Paralympics und Deaflympics. Medaillen dürfen nicht das einzige Kriterium einer künftigen Förderung des Spitzensports sein. Vielmehr ist das Verhältnis des Spitzen- und Leistungssports zum Schul- und Breitensport zu klären. Wir brauchen dringend eine öffentliche Diskussion über den Stellenwert des Sports in der Gesellschaft. 3. Nicht akzeptabel sind weiterhin die wenig substanziellen Vorschläge zur Nachwuchsentwicklung und zur „Dualen Karriere“. Letztere darf nicht nur bei Bundeswehr, Polizei und Zoll, sondern muss auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes und in der Privatwirtschaft möglich sein. Zweifelhaft scheinen auch die Wirksamkeit der computergestützten Potenzialanalyse und der Sinn der geplanten neuen Kaderstrukturen. 4. Nicht akzeptabel ist die aktuelle Situation der Trainerinnen und Trainer. Der organisierte Sport braucht gut ausgebildetes Personal und in angemessener Zahl Trainerinnen und Trainer mit langfristigen Tarifverträgen, die in der Eingruppierung mindestens denen von Lehrerinnen und Lehrern an öffentlichen Schulen anzugleichen sind. 5. Nicht akzeptabel sind schließlich auch die Vorschläge zur künftigen Förderung des Spitzensports von Menschen mit Behinderungen. Wenn überhaupt, kommen die Paralympics und Deaflympics in diesem Konzept nur am Rande vor. Notwendig ist aber eine gleichwertige Förderung für Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Trainern und dem sonstigen Personal in diesem Bereich. Der Behindertensport darf nicht länger schlechter gestellt werden, im Gegenteil: Behindertenbedingte Nachteile und Mehraufwendungen müssen künftig ausgeglichen werden.“ Insofern werden wir also den Antrag der Grünen auch unterstützen. Seit gestern liegt nun doch noch ein Antrag der Koalition zur Spitzensportreform vor – acht Monate, nachdem die von ihr getragene Regierung ihr Konzept vorstellte und seitdem viel Unruhe und Chaos schuf. Allerdings entsprechen die im Antrag enthaltenen Feststellungen und Forderungen doch erkennbar dem unverbindlichen Ton des eigentlichen Konzeptes. Auch in den einzelnen Handlungssträngen – die zudem zuerst von den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln abhängig gemacht werden – fehlt die gerade von den Aktiven gewünschte Klarheit. Wie eine Monstranz tragen der organisierte Sport und das Innenministerium seit Monaten die Floskel vor sich her „Die Athletin, der Athlet stehen im Mittelpunkt“. Allerdings fehlt jede inhaltliche, vor allem aber finanzielle Unterfütterung eines solchen Bekenntnisses, auch im Antrag der Koalition. Zumindest haben Union und SPD eine Forderung von Sporthistorikern und Sportphilosophen aufgegriffen, die die Linksfraktion seit geraumer Zeit auch im politischen Raum erhebt: Es muss endlich eine gesellschaftliche Debatte zur Bedeutung des Spitzensports geben. Dies ist übrigens ein weiterer Grund für mich, zumindest diese Protokoll-Debatte im Bundestag zu führen. Die Koalitionsfraktionen sind trotz der im Antrag eingeforderten Gesellschaftsdebatte weiterhin nicht bereit, im Sportausschuss öffentlich zu tagen. Fraglich ist zudem auch, ob die Anträge angesichts der wenigen Sitzungswochen bis zur Bundestagswahl überhaupt noch abschließend im Plenum debattiert werden. Nunmehr hat die Öffentlichkeit wenigstens durch die zu Protokoll gegebenen Reden die Möglichkeit, zu erfahren, wie sich die Fraktionen zu den beiden Anträgen, aber auch zur Spitzensportreform an sich positionieren. Das vom Bundesinnenminister präsentierte Konzept zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ lag der Bundesregierung bei ihrer Kenntnisnahme in der Kabinettssitzung am 15. Februar 2017 ebenso wie dem DOSB am 3. Dezember 2016 nur unfertig vor. Alle Erfahrungen und Berichte aus den Sportfachverbänden verdeutlichen zudem akuten Nachbesserungsbedarf. Ich meine: Diese Baustellen müssen endlich in einem transparenten Verfahren zwischen dem DOSB und seinen Mitgliedsverbänden sowie der Politik mit ihren Vertreterinnen und Vertretern aus Bundesregierung, Bundesländern und Bundestag bearbeitet werden. Die derzeit erlebbare Ignoranz und Selbstherrlichkeit der Verantwortlichen im Bundesinnenministerium könnten perspektivisch zum Sargnagel für das Konzept werden und damit dem Leistungs- und Spitzensport großen Schaden zufügen. Bei der Diskussion zum 13. Sportbericht der Bundesregierung am 19. Januar 2017 hatten wir mit Blick auf die überfällige gesellschaftliche Debatte einen Entschließungsantrag vorgelegt, der fünf Kernforderungen sportpolitischer Leitlinien der Linken enthielt: Erstens soll der Sport als Staatsziel im Grundgesetz verankert und endlich ein Sportfördergesetz erarbeitet werden. Zweitens soll jede Sportförderung des Bundes auch einer zunehmenden breiten sportlichen Betätigung für alle und der Gesundheit der Menschen von frühester Kindheit bis ins hohe Alter dienen. Drittens soll die Spitzensportförderung angemessene, verlässliche und langfristige Rahmenbedingungen für die Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Trainer und weitere Akteure schaffen. Viertens muss die Sportstätteninfrastruktur in Bund, Ländern und Kommunen erhalten und systematisch verbessert werden. Und fünftens brauchen wir einen konsequenten Kampf gegen Doping, Betrug und Korruption im Sport. Die Linke begrüßt das grundsätzliche Ansinnen, die Spitzensportförderung neu zu strukturieren. Das vorgelegte Konzept zur Reform halten wir aber nach wie vor in mehrfacher Hinsicht für äußerst problematisch. Es fehlen weiterhin wichtige Bestandteile wie beispielsweise das Finanzierungskonzept. Zumindest ist uns bisher keines bekannt. Angesprochen habe ich auch schon die prekäre Personalsituation bei Trainerinnen und Trainern, und völlig unzureichend sind auch weiterhin die Möglichkeiten für eine duale Karriere von Spitzensportlern. Die Athletenkommission drängt zu Recht nachdrücklich und öffentlich auf eine Fürsorgepflicht des organisierten Sports und der Politik für seine herausragenden Präsentanten – und das sind nun einmal die Sportlerinnen und Sportler, die die Erfolge erringen. Auch die aus Sicht der Linken nicht akzeptable Fixierung auf Medaillen bei Paralympics und Olympischen Spielen muss korrigiert werden und darf aus unserer Sicht nicht vorrangiger Maßstab für die Sportförderung von Innenministerium, DOSB und der Deutschen Sporthilfe sein. Und klar sollte auch sein: Die Zukunft des Sports darf definitiv nicht über eine computergestützte Potenzialanalyse definiert und auf eine medaillenorientierte Kaderschmiede reduziert werden. Ich bin sicher, dass wir zur Zukunft des Sports und des Spitzensports nicht das letzte Mal in diesem Hause diskutieren. Ernsthafte Korrekturen sind in dieser Wahlperiode mit der jetzigen Koalition leider nicht mehr zu erwarten. Es bleibt die Hoffnung, dass nach der Bundestagswahl mit anderen Mehrheiten und deutlich mehr Druck aus den Reihen des organisierten Sports, vor allen vonseiten der Athletinnen und Athleten, ein wirklich zukunftsfähiges Konzept entsteht. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister De Maizière, die Reform der Spitzensportförderung, die Sie derzeit bereits umsetzen, gehört aus grüner Sicht dringend überarbeitet. Warum, ist ganz einfach zu erklären. Die gewünschte Vorbildwirkung des Sports und der tatsächliche Zustand des funktionärsdominierten Spitzensports klaffen zurzeit weit auseinander. Innenministerium und Deutscher Olympischer Sportbund haben aber nie eine sachgerechte Analyse dazu durchgeführt. Es wäre dringend notwendig gewesen, Situation und Zustand des Spitzensports bereits im Vorfeld der Reform zu diskutieren, und zwar mit einer breiten Öffentlichkeit, mit Sportlerinnen und Trainern, Wissenschaftlerinnen und Bürgern. Stattdessen sind Ihre Vorschläge an Schreibtischen und in Geheimrunden gefallen. Am Ende haben Sie leider Vorschläge aus einem verengten Sportverständnis heraus vorgelegt. Für uns steht fest: Spitzensport darf keine Möglichkeiten der Machtdemonstration mehr bieten. Einen Rückfall in den Kalten Krieg darf es nicht mehr geben. Es muss Schluss sein mit staatlichem Doping in einigen Ländern, um mehr Medaillen zu gewinnen. Ein Geheimdienst wie in Russland hat im Sport nichts zu suchen. Wir müssen endlich Prinzipien eines humanen Spitzensports verankern. Es darf nicht sein, dass im Spitzensport einige Länder Kleinkinder über Jahre mit brachialen Methoden trimmen, um sie dann nach und nach – oft halbkaputt – wieder auszusortieren. In solcher Gesellschaft wollen wir uns nicht wiederfinden. Ist das der Sinn von Olympischen Spielen? Wollen wir da mitmachen? Begeistert uns nicht vielmehr diese olympische Idee, die so oft wiederholt wird, aber von der Wahrheit weit entfernt ist, der Traum vom friedlichen Kräftemessen mit Menschen aus aller Welt, von spannenden Wettkämpfen mit Fairness im Vordergrund, vom großen Sportfest, „Dabei sein ist alles“, eine gute Platzierung ein Riesenerfolg? Die Reform der Spitzensportförderung aus dem Innenministerium will die Gelder nun so verteilen, dass Deutschland sich im Medaillenspielgel im Idealfall bald irgendwo zwischen China und Russland wiederfindet. Daran gibt es berechtigte Kritik. Der Sportphilosoph Gunter Gebauer hat das in einer öffentlichen Anhörung des Sportausschusses zu Recht als „schlechte Nachbarschaft“ bezeichnet. Das bestehende, kranke Spitzensportsystem wird damit nicht hinterfragt, nicht kritisiert oder gar verändert, sondern es wird in seiner einseitigen Medaillenausrichtung zementiert. Dabei könnte und sollte Deutschland einen anderen Weg gehen und Vorbild sein. Und genau das ist der Grund, warum diese Reform dringend überarbeitet werden sollte. Dass eine Reform bitter nötig ist, darin waren und sind wir uns einig. Wir sagen, es braucht eine Reform, weil die Situation von Athletinnen, Athleten, Trainerinnen und Trainern im Spitzensport häufig prekär ist. Sie, Herr De Maizière, sagen, es braucht eine Reform, weil diese Athletinnen und Athleten zu wenige Medaillen gewinnen. Wir sagen, es braucht eine Reform, weil der Sport und die Sporttreibenden drohen in Doping-, Spielbetrugs-, Korruptions-, und Manipulationsskandalen verloren- und kaputtzugehen. Sie, Herr De Maizière, sagen, wir brauchen eine Reform für mehr Medaillen, um dort anzukommen, wo die dreisten Dopingnationen schon sind. Wir sagen, es braucht eine Reform, weil die Gelder für den Spitzensport derzeit vollkommen intransparent vergeben werden. Sie sagen, die Gelder sollen an diejenigen vergeben werden, die mehr Medaillen bringen. Wir möchten die Athletinnen und Athleten, die Menschen und den Sport in den Mittelpunkt stellen. Ihnen geht es um den „Return on Investment“, als wäre der Sport Teil der Marktwirtschaft, der Staat der Investor, Athletinnen und Athleten die Medaillenproduzenten. Kein Wunder aber, dass die Reform breit kritisiert wird: Sie haben im Vorfeld keine öffentliche Debatte geführt. Die Erfahrungen von Trainerinnen und Trainern und Athletinnen und Athleten haben kaum Eingang in die Vorschläge gefunden. Die Sportwissenschaft hat gefehlt. Sie haben den Spitzensport vom Breitensport getrennt, als gäbe es das eine ohne das andere. Wer hätte denn bei den Geheimverhandlungen, die Sie mit dem DOSB – und ohne den Sportausschuss – geführt haben, kritischen Input geben können? Dass das Grundgerüst der Reform, Potenzial vorherzusagen, aus wissenschaftlicher Sicht gar nicht möglich ist, haben Sie ja bereits während der Anhörung im Sportausschuss von zahlreichen Expertinnen und Experten erklärt bekommen. Kurz gesagt: Keine Debatte, falsches Ziel, falsche Schwerpunkte, schlechtes Ergebnis. Deshalb, sehr geehrter Herr Minister, fordern wir in unserem Antrag ein Gesamtkonzept zur Sportentwicklung. Athletinnen, Athleten, Trainerinnen und Trainer müssen im Mittelpunkt stehen, mit besseren Beteiligungs- und Mitspracherechten. Wir fordern ein fundiertes Konzept zur Dualen Karriere und zur Vereinbarung von Studium und Sport. Besonders die Förderung durch staatliche Arbeitgeber bedarf an mancher Stelle dringender Überarbeitung. Trainerinnen und Trainer brauchen echte Berufsperspektiven, aber keine Kettenverträge. Doping, Korruption, Spielmanipulation, sexualisierte, physische und psychische Gewalt müssen wirksam und glaubwürdig bekämpft werden, in weltweiter Kooperation. Wie das aussehen kann, haben wir in zahlreichen Initiativen in den letzten Monaten ausgeführt. Klar ist: Hier muss dringend etwas geschehen. Mit dem aktuellen Konzept, Herr Minister, schaden Sie dem Sport in Deutschland; da müssen Sie noch ordentlich nachbessern. Dass das Ihre eigenen Koalitionsfraktionen auch so sehen, können Sie in deren Antrag nachlesen, in 20 Punkten! 20! Dass es acht Monate gedauert hat, bis sich die Regierungsfraktionen endlich auf eine offizielle Meinung in einem Antrag einigen konnten, ist allerdings peinlich. Abgesehen davon stimmen mich die beiden Anträge, die wir heute in den Sportausschuss überweisen, bezüglich einer guten Debatte im Sportausschuss jedoch optimistischer. Ich freue mich auf die Diskussion und hoffe auf eine tatsächlich grundlegende Überarbeitung der Spitzensportreform. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Bundesregierung begrüßt es, dass sich der Deutsche Bundestag zur Reform des Leistungssports und der Spitzensportförderung positioniert. Es war uns sehr wichtig, den für das Projekt zuständigen Sportausschuss kontinuierlich zu informieren und von dort auch Impulse für unsere Arbeit zu erhalten. BMI und DOSB haben dem Ausschuss mehrfach berichtet. Im September 2016, als schließlich die Konturen der Reform erkennbar waren, trugen der Bundesinnenminister und der DOSB-Präsident deren Eckpunkte vor, und im Monat darauf folgte eine Sachverständigenanhörung. Namens der Bundesregierung danke ich den Mitgliedern des Sportausschusses für die konstruktive Zusammenarbeit bei dem Reformvorhaben. Danken möchte ich auch dem Haushaltsausschuss; denn Teile der Reform waren schon relevant für den Haushalt 2018. Hinweise auf fehlende Etatreife an der einen oder anderen Stelle nehmen wir als Ansporn für eine zügige Umsetzung der Reform, und ich hoffe, die anderen Beteiligten sehen dies genauso. Inzwischen wurde das Reformkonzept von der DOSB-Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit verabschiedet, und auch das Bundeskabinett hat die Reform zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Abschluss des Reformkonzepts entspricht auch der Zielstellung des Koalitionsvertrags zum Thema Sport. Deutschland soll als erfolgreiche Sportnation erhalten bleiben. Die Spitzensportreform fand in der öffentlichen wie in der politischen Diskussion sowohl Zustimmung als auch Kritik. Beides wird in den Anträgen, über die der Bundestag heute abstimmt, reflektiert. Der Antrag der Koalitionsfraktionen unterstützt unser Konzept. Selbst der Antrag der Grünen enthält eine Reihe von Maßnahmen, die im Konzept bereits zu finden sind, wie etwa verbesserte Möglichkeiten einer Dualen Karriere sowie Verbesserungen bei der beruflichen Situation der Trainer. Auch bei der Bekämpfung von Doping und Spielmanipulation hat die Bundesregierung mit von ihr initiierten und inzwischen in Kraft getretenen Gesetzen ihre Entschlossenheit bewiesen. Hier hätten Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bei einem sorgfältigen Lesen des Konzepts sowie einer aufmerksamen Bewertung der Sportpolitik der Bundesregierung in dieser Wahlperiode auf manchen Spiegelstrich verzichten können. Der Reformprozess ist aber bei Weitem nicht zu Ende. Wir haben bereits einige wichtige Schritte bei der Umsetzung unternommen. Hervorheben möchte ich die Einsetzung der PotAS-Kommission durch Bundesinnenminister Thomas de Maizière und DOSB Präsident Alfons Hörmann am 8. Mai 2017. Es ist uns gelungen, Mitglieder zu gewinnen mit Erfahrungen jeweils als aktive Athletin, Verbandsverantwortlicher und Wissenschaftler. Weitere Umsetzungsmaßnahmen werden nunmehr rasch folgen; einige sind auch bereits eingeleitet. So sind wir im BMI zurzeit im Gespräch mit Vertretern der Länder, um an verschiedenen Nahtstellen Fragen der gemeinsamen Finanzierung zu klären. Sportpolitisches Förderziel des Bundes ist es, dass sich Deutschland als Sportnation noch besser präsentiert – erfolgreicher, aber zugleich fair und sauber. Fairness, Achtung sportlicher Regeln und Werte sowie ein kompromissloses Nein zu Doping gehören genauso zum deutschen Spitzensport wie Leistung und Erfolg. Die Spitzensportreform auf der einen sowie das Anti-Dopinggesetz und die Neuauflage des Dopingopfer-Hilfefonds auf der anderen Seite sowie das Gesetz zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe möchte ich hier noch erwähnen. Sie ergänzen sich und runden eine erfolgreiche Sportpolitik der Bundesregierung, ausgerichtet an Leistung und Fair Play, in dieser nunmehr zu Ende gehenden Wahlperiode ab. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung (Zusatztagesordnungspunkte 9 und 10) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Ein erfüllter Kinderwunsch ist für viele Ehepaare die Vervollkommnung ihrer persönlichen Lebensplanung, weil sie Liebe und Fürsorge für einen Menschen übernehmen wollen und in diesem und durch diesen Menschen die Fortsetzung ihrer persönlichen Vita erleben möchten. Ein unerfüllter Kinderwunsch ist demgegenüber für so manches Paar eine psychische und emotionale Belastung, die bis zum Scheitern dieser Verbindung führen kann. Lange Zeit konnte dies nur durch die Aufnahme eines bereits geborenen Menschen in die Obhut der Familie gelöst werden. Die Adoption, juristisch übersetzt: die Annahme an Kindes statt oder als Kind, durch Begründung eines rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses ohne biologische Abstammung wurde schon durch das römische Recht und im Römischen Reich begründet und ermöglicht. Wie lange das emotionale Bedürfnis zur Begründung einer Familie schon existiert, wird hierdurch eindrucksvoll belegt. Zwischen 1940 und 1960 wurden in England in einer sogenannten Fruchtbarkeitsklinik erste Forschungen über die künstliche Befruchtung durchgeführt. Aufgrund der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz für eine Samenspende musste der damalige Begründer der Klinik, Berthold Wiesner, mit eigenem Samen die Forschung betreiben. Nach entsprechenden Aufzeichnungen führte dies zu circa 600 Kindern aus seiner Abstammung. 1978 kam mit Louise Joy Brown das erste sehr unpassend als „Retortenbaby“ bezeichnete und im Reagenzglas gezeugte Kind zur Welt. Der medizinische Fortschritt, der durch die künstliche Befruchtung, die Insemination, also die Überwindung biologischer Fruchtbarkeitshindernisse, ermöglicht wurde, setzte sich dann – medizinisch konsequent – auch in der sogenannten heterologen Insemination fort, bei der der Samen nicht vom Ehepartner der Frau stammt, sondern durch die sogenannte Samenspende einer Drittperson gewonnen wird. Bei nüchterner medizinischer Betrachtung ist der Sachverhalt relativ unspektakulär und für die Eltern sehr erfreulich. Doch dies ist nur die Sichtweise der Eltern. Also wo liegt das Problem? Zu Beginn dieser Entwicklung schien die Frage des emotionalen Befindens des gezeugten Kindes bei Kenntnis seiner Zeugung und seiner genetischen Abstammung nicht im Fokus der handelnden Personen, also der Eltern, gewesen zu sein. Vielleicht hat man diese Frage auch nicht erkannt. Abstammung ist ein Teil der Individualität. Wir definieren uns aus unserer Umwelt und aus den Personen, mit denen wir verwandt sind, insbesondere aus den Personen, aus denen wir hervorgegangen sind oder zumindest hervorgegangen zu sein glauben. Insofern kann es eigentlich nicht zufällig sein, dass seit jeher eine gewisse Tendenz vorhanden war, diese Abweichung von der normalen bzw. als solcher empfundenen, aber nicht zutreffenden Abstammung gegenüber dem Kind verborgen zu halten. Die Rechtsprechung hat dies dann zunächst für die Frage der Adoption im Sinne der Persönlichkeitsidentifikation entschieden und ein Recht auf Kenntnis um die Abstammung anerkannt. Der BGH hat dies dann im Jahre 2015 auch zugunsten des durch künstliche Befruchtung durch Samenspende gezeugten Kindes fortgeschrieben. Das Samenspenderregistergesetz regelt deshalb, aber auch nur konzentriert auf den dortigen Sachverhaltskomplex, das Recht des Kindes bzw. seiner gesetzlichen Vertreter auf Kenntnis des genetischen Erzeugers und die dazu notwendigen Strukturen. Die Vorenthaltung dieser Kenntnis wäre eine unvertretbare Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Kindes, die durch kein Interesse eines Außenstehenden, auch wenn es sich bei der Mutter sogar um den leiblichen Elternteil handelt, gerechtfertigt werden könnte. Gleichwohl ist dies kein Prozess, der ohne Auswirkung auf die psychische Situation des Betroffenen wie auch seines Umfeldes bleiben kann. Hier bedarf es der vorgesehenen Beratung- und Informationsangebote. Denn plötzlich entspricht das soziale Gefüge nicht mehr der Vorstellung. Dem trägt das Gesetz Rechnung. Eine Betroffenheit gibt es aber auch für einen weiteren Beteiligten, den Samenspender. Aus seiner medizinischen Bereitschaft wird auf einmal ein konkretes menschliches Gegenüber, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Der anonyme Spender wollte jedoch gerade nicht familiäre Verantwortung übernehmen. Eine solche Konsequenz muss zum Erhalt der Spendenbereitschaft vermieden werden. Diesem Regelungsbedarf trägt das Gesetz durch den Ausschluss der rechtlichen Feststellung der Abstammung Rechnung. Die Erfüllung eines Informationsanspruchs zur Abstammung, der zu den elementarsten Interessen eines Menschen gehört, wird durch das Gesetz für einen notwendigerweise streng reglementierten Bereich ermöglicht. Die Abstammungsregelung für den Spender ist hierbei jedoch nur ein notwendiger und folgerichtiger Annex eines speziellen Falles und dient in keiner Weise als Blaupause für eine generelle Abstammungsdiskussion. Dazu sind die Rechtspolitiker zu einem späteren Zeitpunkt berufen. Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetz. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Zu wissen, wer die eigenen, leiblichen Eltern sind, ist das Recht eines jeden Menschen. Jeder von uns hat das Recht, zu erfahren, von wem er abstammt. Dies muss auch für diejenigen Menschen, die mithilfe einer Samenspende gezeugt wurden, gelten. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit der Würde des Menschen aus Artikel 1 Absatz 1 GG abgeleitet. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Recht in einem Urteil vom 31. Januar 1989 wie folgt beschrieben: „Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Verständnis und Entfaltung der Individualität sind aber mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden. Zu diesen zählt neben anderen die Abstammung. Sie legt nicht nur die genetische Ausstattung des Einzelnen fest und prägt so seine Persönlichkeit mit.“ Die Abstammung nehme auch eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbstverständnis ein. Dass die Kenntnis der eigenen Abstammung damit das Persönlichkeitsrecht umfasst, bestätigte zuletzt auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2015. Seit fast 20 Jahren besteht damit ein persönliches Auskunftsrecht auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen. Die Frage ist, ob die Angaben, die nach der TPG-Gewebeordnung in den Entnahmestellen zu dokumentieren sind, dies noch hinreichend gewährleisten. Vielmehr mussten wir in der Vergangenheit feststellen, dass die Suche der Betroffenen nach der eigenen Herkunft oftmals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war: Welche Entnahmeeinrichtung ist die richtige? Erhalte ich dort auch die richtigen Daten? Sind die Daten überhaupt noch vorhanden? Ein langer Weg für die rund 1 000 Kinder, die jährlich mit Hilfe einer anonymen Samenspende in Deutschland gezeugt werden. Zudem waren und sind Erb- und Unterhaltsansprüche auf beiden Seiten gesetzlich nicht vollständig ausgeschlossen, was zu großen Problemen führt bzw. führen kann. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft bei Samenspenden gesetzlich zu regeln. Dies wird jetzt umgesetzt. Es wird ein zentrales Samenspenderregister beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) eingerichtet. Dort können Personen, die mittels heterologer Verwendung von Samen im Rahmen einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung gezeugt wurden, künftig auf Antrag Kenntnis über ihre Abstammung erlangen. Neben den geweberechtlichen Anforderungen werden dort alle notwendigen verpflichtenden Aufklärungs-, Dokumentations- und Meldepflichten verwaltet – unter Gewährung des höchstmöglichen Datenschutzstandards. Diese Daten werden beim DIMDI maximal 110 Jahre gespeichert. Dies sichert einen uneingeschränkten und nachhaltigen Auskunftsanspruch der Spenderkinder. Wer sind meine Eltern? Wer sind meine Großeltern? Diese Fragen werden künftig über eine zentrale Informationsstelle schneller und leichter beantwortet. Damit folgen wir dem ausdrücklichen Wunsch des Spenderkindes. Kindeswohl statt Anonymität des Spenders. Genau das ist der richtige Weg. Vor jeder Samenspende muss aufgeklärt werden. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für die heterologe Verwendung von Samen. Zukünftig müssen sowohl der Samenspender als auch die Empfängerin der Samenspende darüber aufgeklärt werden, dass potenzielle Kinder Zugang zu den Daten haben. Dabei muss auch klar sein, dass der Anspruch des Spenderkindes bei erteilter Auskunft nicht erlischt. Dies gilt sowohl bei einer Auskunftserteilung an gesetzliche Vertreter vor Vollendung des 16. Lebensjahres des Spenderkindes als auch bei selbst eingeholter Auskunft. Letztlich haben wir auch geregelt, dass der Spender nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden kann. Eine ergänzende Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch soll die gerichtliche Feststellung der rechtlichen Vaterschaft des Samenspenders künftig ausschließen. Damit sind Ansprüche im Bereich des Sorge-, Unterhalts- und Erbschaftsrechts gegenüber dem Spender nicht möglich. Wir greifen damit gezielt das Anliegen der Betroffenen auf, das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung und das Finden ihrer biologischen Väter sicherzustellen. Mit dem vorliegenden Entwurf des Samenspenderregistergesetzes gehen wir einen wichtigen und richtigen Schritt in Richtung Zukunft. Verfahren werden vereinheitlicht und vereinfacht. Die Rechte der biologischen Spender werden klar geregelt. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung. Mechthild Rawert (SPD): Menschen, die durch Samenspende gezeugt wurden, haben das Recht, ihre Abstammung zu kennen, das heißt ihren genetischen Vater. Diesem Recht entsprechen wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes. Wir schaffen damit die Voraussetzungen, ein bundesweites Samenspenderregister beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) einzurichten. 110 Jahre werden die Daten zu den Spendern aufbewahrt, und genauso lang bestehen Auskunftspflichten gegenüber den Kindern von Samenspendern darüber, wer ihr genetischer Vater ist. Es folgt aus dem Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes, dass Kinder von Samenspendern die Möglichkeit erhalten müssen, zu erfahren, woher sie genetisch stammen. Es ist enorm wichtig für die Betroffenen: Das Wissen um die Abstammung prägt die Persönlichkeit mit. Der Regelungsbedarf, der zu diesem Gesetz führte, ergab sich aus mehreren Gerichtsurteilen, zuletzt dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2015. Dieses Urteil stellt klar, dass durch Samenspende gezeugte Personen unabhängig von ihrem Alter ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben. Wir regeln mit dem Gesetz auch, dass der Samenspender weder durch das Kind noch durch dessen Eltern als rechtlicher Vater belangt werden kann, zum Beispiel für Erbschafts- oder Unterhaltsansprüche. Die biologischen Spender werden entlastet, bei Wunsch des Kindes auf Kenntnis der Abstammung Verantwortung übernehmen zu müssen. Ich gehe davon aus, dass dank der nun hergestellten Rechtssicherheit die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme, eines Kennenlernens erleichtert wird. Dieses Gesetz ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Es gibt weiteren Reform- und Regelungsbedarf, denn der Themenkomplex ist riesig; außerdem hat er eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz. Die reproduktive Medizin, ihre technischen Möglichkeiten, ihre ethischen Fragen und gesellschaftlichen Auswirkungen sind zunehmend drängende gesellschaftspolitische Themen. Es geht schließlich um tiefsitzende Wünsche, um die Freiheit, unterschiedliche Familienformen selbstbestimmt zu gestalten und zu verantworten, es geht um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und die Erfüllung im Leben. Dieser Gesetzentwurf nimmt ausschließlich Bezug auf die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung, auf die „offizielle“ Samenspende. Wir müssen aber auch diskutieren über gleiche Chancen für alle beim Thema der privaten Spende. Gerade lesbische oder alleinstehende Frauen greifen oft auf diese Möglichkeit zurück, weil für sie von vielen Ärztinnen und Ärzten, von Ärztekammern die künstliche Befruchtung abgelehnt wird. Sie greifen aber auch darauf zurück, weil sie bewusst andere familiale Verantwortungsgemeinschaften leben wollen. Ich befürworte, dass für lesbische Frauen bzw. Paare oder alleinstehende Frauen die gleichen Rechte gelten wie für heterosexuelle Menschen, wenn es um die künstliche Befruchtung geht. Ich bin der Meinung, dass eine heterologe Insemination allen Frauen, das heißt unabhängig von sexueller Identität oder Familienstand, offenstehen sollte. Offen ist auch noch die Frage, welche Regelungen wir hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der Abstammung finden, wenn der biologische Spender in einer ausländischen Samenbank aufgeführt ist; offen sind auch die Regelungen bei einer Eizellspende im Ausland. Darf es, kann es eine Ungleichbehandlung der Beteiligten bezüglich der Rechtsfolgen geben im Vergleich zu Menschen, die im Inland gespendet haben bzw. gezeugt wurden? Das Themenfeld ist groß: Wir müssen auch über die abstammungsrechtlichen Fragen diskutieren, die durch die beiden Studien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgeworfen werden: „Geschlechtervielfalt im Recht“ und „Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen“. All diese Fragen werden wir intensiv diskutieren, wenn die Ergebnisse des Arbeitskreises Abstammung im Sommer 2017 vorliegen. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat im Februar 2015 diesen interdisziplinären Arbeitskreis eingerichtet. An ihm sind Sachverständige für die Bereiche Familienrecht, Verfassungsrecht, Ethik und Medizin bzw. Psychologie zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Bundes- und Landesministerien beteiligt. Ich bin schon jetzt sehr gespannt auf diese gesellschaftliche und politische Debatte und die weiteren Regelungen, die wir treffen werden, um dem gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Vielfalt gerecht zu werden. Wir wollen für viele Menschen gute Voraussetzungen für ein erfülltes Familienleben, ohne Rechtsstreitigkeiten schaffen. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen soll ein bundesweites Samenspenderregister geschaffen und anonyme Samenspenden sollen untersagt werden. Das begrüße ich, da Spenderkinder nur auf diesem Wege endlich die Möglichkeit erhalten können, zu erfahren, von wem sie abstammen. Ein solches Gesetz war längst überfällig; zu lange schon bestand Rechtsunsicherheit für Samenspender und eine unerträgliche Situation für die Spenderkinder. Doch hat die Bundesregierung leider einen sehr schlampigen Gesetzentwurf vorgelegt, der viele Fragen offenlässt. Die meisten Schwangerschaften nach Samenspende entstehen in Deutschland nicht durch ärztliche Eingriffe mit Unterstützung von Samenbanken, sondern im privaten Raum. Diese Kinder haben weiterhin kein Auskunftsrecht über ihre genetischen Verwandtschaftsverhältnisse. Es ist richtig, eine rechtliche Verwandtschaftsbeziehung zwischen Samenspender und Spenderkind grundsätzlich auszuschließen. Warum soll es aber kategorisch ausgeschlossen werden, dass ein genetischer Vater auch rechtlicher Vater werden kann, falls sich eine entsprechend gute und vertrauensvolle Beziehung zwischen genetischem Vater und Kind entwickeln sollte? Hier hätten wir uns eine Ausnahmemöglichkeit gewünscht, wenn beide Seiten dies wünschen. Es ist für mich auch nicht akzeptabel, dass bei den Festlegungen zur rechtlichen Vaterschaft bei künstlicher Befruchtung weiterhin getrennt wird zwischen verheirateten und nichtverheirateten Paaren. Der männliche Partner der Beziehung soll nur dann automatisch rechtlicher Vater sein, wenn das Paar verheiratet ist. Für Unverheiratete oder erst recht für alleinstehende Frauen oder lesbische Paare gibt es keine gesetzliche Regelung, sodass die konservativen Richtlinien der Ärztekammern für künstliche Befruchtung weiterhin gelten. Zu kritisieren bleibt auch, dass ein Auskunftsanspruch eines Spenderkinds erst ab 16 gilt. Real fängt bei vielen die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität in der Pubertät an. Bereits ab 14 ist man in Deutschland religionsmündig und eingeschränkt straffähig. Aus unserer Sicht wäre dies eine bessere Altersgrenze auch für das Auskunftsrecht gewesen. Auch wäre es wünschenswert, wenn bestimmte grundlegende persönliche Eigenschaften des Samenspenders, also zum Beispiel Beruf, Hobbys und dergleichen, gespeichert würden. Dann könnten sich die Spenderkinder auch ohne Kontaktaufnahme mit dem genetischen Vater eine Vorstellung von ihm machen. In Großbritannien gilt die Regelung, dass Samenspender einen persönlichen Brief hinterlegen sollen. Das könnte eine Lösung sein. Das Nichtwissen über die eigene Abstammung bleibt aber aus anderen Gründen weiter bestehen: Im Geburtenregister gibt es nämlich keinen Hinweis darauf, dass die Zeugung per Samenspende erfolgte. So wissen die Betroffenen nicht, dass der rechtliche auch der genetische Vater ist, wenn sie von ihren sozialen Eltern nicht über ihre genetische Herkunft aufgeklärt worden sind. Aber das betrifft auch die Enkel, denen ebenfalls ein Recht auf Kenntnis der Abstammung zugestanden werden sollte. Eine Fußnote im Geburtenregister für weiter gehende Daten könnte eine Lösung darstellen. Leider fehlt eine Regelung für dieses Problem im Gesetzentwurf, genauso wie Auskunftsrechte für Enkel und Kontaktmöglichkeiten für Halbgeschwister, also Kinder des gleichen Samenspenders. Es fehlen weiter gehende Regelungen für die heute lebenden Spenderkinder, die ihr Recht auf Kenntnis der Abstammung nach wie vor nicht umsetzen können. Über 100 000 so gezeugten Menschen in Deutschland wird dieses Gesetz leider nicht mehr helfen. Besonders unglücklich finde ich es, dass die Zahl der per Samen eines einzelnen Spenders gezeugten Kinder nicht begrenzt wird. So kann es zu einer unübersichtlich großen Zahl an genetisch verwandten Spenderkindern kommen, verbunden mit der Gefahr, unwissentlich mit einem Halbgeschwisterkind eine Familie zu gründen, und dem damit verbundenen höheren Risiko von Erbkrankheiten. Außerdem fehlt eine Regelung zur Embryonenspende, sodass die Rechtsunsicherheiten in diesem Bereich bestehen bleiben. Zeugungen in Form von Embryonenspenden sind zwar gesetzlich nicht zulässig, aber es gibt sie dennoch. Darum muss auch für die auf diesem Wege gezeugten Kinder gesorgt werden. So geht dieses überfällige Gesetz zwar in die richtige Richtung, doch weist es bedauerlich viele handwerkliche Mängel und Regelungslücken auf. Deswegen kann sich die Linke nur enthalten. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit Ihrem Gesetz führen Sie endlich ein Samenspenderegister ein, und das ist zunächst einmal zu begrüßen. Leider haben Sie die familien- und verfassungsrechtlichen Implikationen Ihres Gesetzes völlig verkannt. Aber zuerst zum positiven Teil: Das Verfassungsgericht hat seit den 80er-Jahren mehrfach klargestellt, dass Kinder einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Auskunft gegenüber ihren Eltern haben. Niemand bestreitet mehr, dass die Kenntnis der eigenen Abstammung zentral bei der eigenen Identitätsfindung sein kann und die Unkenntnis entsprechend zu gravierenden psychischen Belastungen führen kann. Deswegen ist eine anonyme Samenspende auch jetzt schon unzulässig und eine Verletzung der Rechte des Kindes. Es gibt aber bislang einen leider sehr unterschiedlichen Umgang mit den Auskunftspflichten gegenüber den Kindern, bis hin zur gezielten praktischen Verhinderung. Solange die Rechtslage nicht geklärt ist, will man die eigenen Kunden vor etwaigen Erb- oder Unterhaltsansprüchen schützen. Es ist also richtig und wichtig, dass Sie den Auskunftsanspruch der Kinder zumindest gegenüber den Samenbanken gesetzlich verankern. Leider beschränken Sie sich auf die Samenbanken und versäumen es, den Auskunftsanspruch auch für die privaten, also vertraulichen, Spenden im BGB allgemein zu verankern. Dafür nehmen Sie dem Kind durch eine einfache Ergänzung des § 1600d BGB mal eben das Recht, die Vaterschaft des biologischen Vaters feststellen zu lassen. Die Interessenlage der Samenbanken und ihrer Kunden ist zwar klar und eindeutig – wer Auskunft erteilen muss, will auch vor etwaigen Erb- oder Unterhaltsansprüchen abgesichert sein. So einfach ist das allerdings nicht, und hier liegt das Grundproblem Ihres Gesetzes: Sie bringen im Gesundheitsressort ein neues Registergesetz auf den Weg, ohne die familienrechtlichen Folgen zu Ende zu denken. So hat das Kind grundsätzlich Recht auf zwei Elternteile. Die einseitige Streichung des Feststellungsrechtes ginge allein zulasten des Kindes und ist damit verfassungsrechtlich unhaltbar. Wir müssen sicherstellen, dass das im Wege der Samenspende gezeugte Kind seinen zweiten Elternteil nicht von vorneherein verliert, weil dieser es sich möglicherweise anders überlegt. Es muss schon vor der Zeugung möglich werden, in einer Elternschaftsvereinbarung die rechtliche Elternschaft des Wunschvaters vertraglich und verbindlich zu regeln. Das schafft nicht nur Sicherheit bei Spenden über Samenbanken, sondern gerade auch für sogenannte vertrauliche Spenden im privaten Umfeld, vor allem wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Diese Vereinbarung sollte beim Jugendamt protokolliert werden und mit einer entsprechenden Belehrung über den zukünftigen Umgang mit dem Auskunftsrecht gegenüber dem Kind zu dessen Wohl verbunden sein. Außerdem müssen wir dem Kind einen gesetzlichen Weg eröffnen, künftig die biologische Vaterschaft des Spenders feststellen zu lassen, ohne dabei zugleich die rechtliche Vaterschaft neu zuzuordnen. Eine solche gerichtlich festgestellte biologische Vaterschaft ohne Statusänderung haben wir bereits vor einigen Jahren ins Gesetz eingeführt, als es um die Durchsetzung von Umgangsrechten des biologischen Vaters ging. Es handelt sich also nicht um eine völlig neue Konstruktion. Nur wenn dem Kind ein solcher Weg zur Verfügung steht, ist es verfassungsrechtlich vertretbar, im Gegenzug das Anfechtungsrecht der Kinder gegenüber dem rechtlichen Vater auszuschließen. Im Ergebnis würde die Elternschaftsvereinbarung sowie eine Minderjährigenadoption wirken, bei der das Kind ja ebenfalls kein Anfechtungsrecht erhält. Nach vielen Gesprächen mit den Verbänden sowohl der Eltern als auch der Kinder kann ich Ihnen sagen: Der Ausgleich der durchaus gegenläufigen Interessen ist alles andere als banal. Die Eltern wünschen keinen zusätzlichen Druck zur Aufklärung ihrer Kinder durch einen Eintrag im Geburtenregister, während die Spenderkinder gerne an ihrem Anfechtungsrecht gegenüber dem rechtlichen Vater festhalten, was aber die Rechtsunsicherheit aufseiten der Spender nicht aufheben würde. Unser Vorschlag, den wir hier heute zur Abstimmung stellen, ist das ausgewogene Ergebnis eines Abwägungsprozesses zwischen Auskunftsanspruch auf der einen und Anfechtungsrecht auf der anderen Seite. Mit Ihrem Gesetz haben Sie es sich schlicht zu einfach gemacht und die Grundrechte des Kindes nicht beachtet. Weil das Samenspenderegister jetzt immerhin teilweise den Auskunftsanspruch des Kindes sichert, wird sich meine Fraktion heute enthalten. Die Nachbesserung im Familienrecht ist allerdings unverzichtbar und sollte so schnell wie möglich erfolgen. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 11) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Der vorliegende Entschließungsantrag zu dem im Januar 2017 von der EU-Kommission vorgelegten Dienstleistungspaket soll mit Nachdruck die kritische Haltung der CDU/CSU-Fraktion verdeutlichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die vom Bundestag am 9. März 2017 verabschiedeten Subsidiaritätsrügen und Verhältnismäßigkeitsbedenken nun auch zielführend nachverfolgen. Daher soll der heutige Antrag die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen im Rat der EU unterstützen und gleichzeitig unseren Bedenken Rechnung tragen. Das vorliegende Dienstleistungspaket geht weit über die Grenzen des Notwendigen hinaus. Es enthält zu viel Bürokratie und unnötige Regelungen, die besonders den vielen kleinen und mittelständischen Dienstleistungsanbietern nicht zumutbar sind. Und es sind ja gerade die rund 2,5 Millionen dem Dienstleistungssektor zuzurechnenden Betriebe in Deutschland, die unbürokratischer und leichter ihre Dienstleistungen auch im europäischen Binnenmarkt sollen anbieten können. Dies wird mit dem vorliegenden Paket der Kommission nicht nur nicht gewährleistet, sondern es konterkariert auch bereits beschlossene Regelungen – zum Beispiel im Bereich der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen oder dem Einheitlichen Ansprechpartner der Dienstleistungsrichtlinie von 2006. Wir müssen hier wachsam sein, damit Doppelstrukturen vermieden werden. Doch am schwersten wiegen die Bedenken des Bundestages im Bereich der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Regelungen, welche in den im März erhobenen Subsidiaritätsrügen zum Ausdruck kamen. Ich möchte betonen, dass wir das Ziel der Kommission – die Vollendung des Binnenmarktes für Dienstleistungen – unterstützen. Das haben wir in unserer Stellungnahme vom 23. Juni 2016 deutlich gemacht. Dennoch sehen wir bei dem vorliegenden Paket dringenden Überarbeitungsbedarf. Ich möchte dies im Folgenden ausführen. Bei dem Richtlinienvorschlag zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens dienstleistungsbezogener Genehmigungsverfahren geht es bei unserer Kritik im Kern um zwei Punkte: die Begründungspflichten und Notifizierungsfristen sowie das vorgesehene Beschlussrecht der Kommission, welches vorsieht, dass hier nationale Gesetzgeber mit einem De-facto-Prüfvorbehalt der Kommission belegt werden. Über die Länge von Fristen und den Umfang von Begründungspflichten lässt sich streiten: Der vorliegende Entwurf ist besonders in Hinsicht auf die Verhältnismäßigkeit, gelinde gesagt, fragwürdig. Wirklich problematisch wird es jedoch, wenn umfangreiche Begründungspflichten und kurze Fristen mit einem Prüfvorbehalt der Kommission verquickt werden. Deshalb wurde dieser Punkt mit der Rüge vom März auch ausdrücklich an dieser Stelle angemahnt. Denn die Regelungen sehen vor: Wenn die Kommission Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer geplanten Vorschrift mit der Dienstleistungsrichtlinie sieht, ist eine dreimonatige Frist vorgesehen. Während dieser darf die geplante Vorschrift, vorbehaltlich der von der Kommission geforderten Änderungen, nicht in Kraft treten. Bestehen dann noch weiterhin Bedenken, kann die Kommission den Erlass der Vorschriften per Beschluss ganz untersagen. Ein Mitgliedstaat müsste somit den Weg vor den Europäischen Gerichtshof beschreiten, bevor er sein Gesetzgebungsrecht wahrnehmen kann. Das geht zu weit! Dass die Kommission hier ihre Kompetenzen überschreitet, sollte offensichtlich sein. Denn es gibt bereits den im Vertrag von Lissabon vereinbarten Weg der Klage vor dem EuGH, wenn die Kommission der Meinung ist, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Pflichten verstoßen hat. Diesen Weg „umschiffen“ zu wollen, stellt nicht nur in den Augen von Bundesrat und Bundestag eine Überschreitung der Kompetenzen der Kommission dar – auch unsere Freunde und Partner in den beiden Kammern des französischen Parlaments haben hier eindeutig in Form einer Subsidiaritätsrüge Stellung bezogen. Daher fordern wir mit dem Entschließungsantrag von heute ganz deutlich: Wir müssen uns auch bei den anderen Mitgliedstaaten dafür einsetzen, dass dieses Notifizierungsverfahren nur dann zustimmungsfähig ist, wenn die Vorschläge so abgeändert werden, dass der „präventive Prüfvorbehalt“ der Kommission entfällt. Ähnlich kritisch ist die Situation bei der vorgeschlagenen Richtlinie über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen. Ich betone: Die ständige Rechtsprechung des EuGH ist eindeutig: Die Reglementierung von Berufen ist Sache der Mitgliedstaaten. Natürlich ist es für einen funktionierenden Binnenmarkt – zumal bei Dienstleistungen – notwendig, eine inhaltliche Annäherung der verschiedenen europäischen Berufsreglementierungen zu erzielen. Nur so können wir guten Gewissens die beruflichen Qualifikationen anderer Mitgliedstaaten anerkennen – guten Gewissens nicht zuletzt auch im Interesse der Verbraucher, die als Kunden Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Aber mit der Anerkennungsrichtlinie existiert bereits eine Regelung, die sicherstellt, dass weitere nationale Berufsreglementierungen nicht zu marktverzerrenden Effekten führen. Bereits jetzt wird so anhand von vier Prüfkriterien, welche auf der EuGH-Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit basieren, die Verhältnismäßigkeit neuer, nationaler Reglementierungen festgestellt – oder eben nicht. Dass nun mit dem vorliegenden Vorschlag der Kommission elf (!) neue Prüfkriterien hinzukommen sollen, reicht aber noch nicht; nein, diese elf Kriterien werden noch um zehn weitere ergänzt! Die Kommission mag dies für effektive, engmaschige Harmonisierung auf dem Weg zu einem „durchharmonisierten“ Dienstleistungsbinnenmarkt halten. Ich nenne es unverhältnismäßige Bürokratie, unzulässiges Einschränken nationaler Entscheidungshoheiten und ganz generell „Herumdoktern“ an der falschen Stelle. Besonders im Dienstleistungssektor, der in hohem Maße von Innovation, Qualität und Flexibilität abhängt, droht eine Überregulierung nicht nur den Dienstleistungsmarkt zu bremsen, sondern ihm gar zu schaden. Hier gehört nicht durchharmonisiert; hier gehört Innovation, Qualität und Flexibilität gefördert. Dass dies auf der Basis verlässlicher Qualitätsstandard geschehen muss, ist, wie bereits erwähnt, mit der Anerkennungsrichtlinie sichergestellt. Und sollten hier Veränderungen objektiv notwendig sein, sind wir auch immer für Argumente und Anpassungen mit Augenmaß offen. Aber auf einen Schlag 21 neue Kriterien einzuführen, das grenzt an puren Aktionismus, ist unverhältnismäßig und droht durch seine Engmaschigkeit die Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten in Bereichen einzuschränken, in denen Harmonisierungsverbot herrscht – so zum Beispiel in der Bildungspolitik. Dies ist insbesondere bei uns in Deutschland mit unserem Meisterbrief und unserem vielgelobten dualen Ausbildungssystem nicht akzeptabel! Daher war und ist hier eine Subsidiaritätsrüge angebracht, und deshalb fordern wir auch heute mit diesem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass klargestellt wird, dass die Reglementierung von Berufen eine autonome Entscheidung der Mitgliedstaaten ist und auch in Zukunft bleiben wird. Das Harmonisierungsverbot im Bereich der Bildungspolitik muss respektiert werden. Gegen den Vorschlag einer Richtlinie sowie einer Verordnung zur Einführung der Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte haben wir keine Subsidiaritätsrüge erhoben. Die Zuständigkeit der Kommission steht hier außer Frage. Doch die vorliegende Ausgestaltung der Kommission wirft massive Fragen der Verhältnismäßigkeit auf. Offensichtlich sollen hier Doppelstrukturen geschaffen werden. Wie verhält sich die geplante Dienstleistungskarte zum erst 2013 eingeführten Berufsausweis? Ungeklärt. Auch die geplanten, für die Erteilung der Dienstleistungskarte zuständigen „koordinierenden Behörden“ im Herkunfts- und Aufnahmestaat tragen das Risiko der Schaffung von Doppelstrukturen in sich. Wie verhalten sich die geplanten „koordinierenden Behörden“ zum mit der Dienstleistungsrichtlinie verfolgten Konzept der Einheitlichen Ansprechpartner? Ebenfalls ungeklärt. Hier setzt auch einer der Hauptkritikpunkte an der Dienstleistungskarte an. Diese soll von den Mitgliedstaaten als Nachweis dafür akzeptiert werden, dass der Inhaber in seinem Herkunftsstaat niedergelassen und berechtigt ist, die ausgewiesene Dienstleistung anzubieten. Jeder Mitgliedstaat soll zu diesem Zweck eine – oben bereits erwähnte – koordinierende Behörde einrichten. Die Dienstleistungskarte wird bei der koordinierenden Behörde des Herkunftsstaates gestellt. Dieser prüft die Unterlagen und leitet sie an den Aufnahmestaat weiter. Der Aufnahmestaat hat dann innerhalb von nur vier bis sechs Wochen den weitergeleiteten Antrag zu prüfen und gegebenenfalls Widerspruch einzulegen. Kann der Aufnahmestaat diese Prüffrist nicht einhalten, soll eine Genehmigungsfiktion greifen – mit anderen Worten: Die Karte gilt dann als erteilt und kann auch nicht im Nachhinein entzogen werden. Dies ist die Einführung des Herkunftslandprinzips durch die Hintertür und das muss verhindert werden! Wieder ist es die Mischung aus zu kurz bemessenen – aber verhandelbaren – Prüffristen gepaart mit einer – bei Nichteinhaltung – automatisch greifenden Kompetenzaneignung der Kommission, die eine Zustimmung zur Dienstleistungskarte in der hier vorliegenden Form unmöglich macht. Daher sagen wir ausdrücklich: Die Bundesregierung muss klären, in welchem Verhältnis die vorgeschlagenen Regelungen zu bereits bestehenden Strukturen stehen, insbesondere mit Bezug zum Berufsausweis und dem Konzept des Einheitlichen Ansprechpartners. Vor allem aber muss sie darauf hinwirken, dass die Regelungen nicht faktisch auf eine Einführung des Herkunftslandprinzips und eine Änderung geltenden Rechts in den Mitgliedstaaten hinausläuft. Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zum Instrument der Subsidiaritätsrüge sagen. Da gab es ja durchaus Kritik, dass eine solche Rüge gar nicht angebracht sei und wir hier nur aktiv würden, „um der Kommission eins auszuwischen“. Hierzu sage ich: Das ist sachlich nicht richtig! Ich habe Ihnen gute Gründe für die beiden erhobenen Subsidiaritätsrügen zum Notifizierungsverfahren und zur Verhältnismäßigkeitsprüfung genannt. Wir haben eben bewusst von einem solchen Schritt bei der Dienstleistungskarte abgesehen, da wir hier keine Kompetenzüberschreitung der Kommission sehen, sondern die inhaltliche Unverhältnismäßigkeit des Richtlinienvorschlags deutlich machen. Daher ist der Vorwurf, wir würden Stimmung gegen die EU machen konstruiert. Wir als Deutscher Bundestag haben die Pflicht, frühzeitig und klar unsere Position zu verdeutlichen. Ich kann nicht deutlich genug die Worte von Kommissionspräsident Jean-Claude Junker anlässlich des 70jährigen Bestehens des Niedersächsischen Landtags unterstreichen: Klopfen Sie der Kommission auf die Finger, wenn wir die Finger zu weit ausstrecken. Wenn die Parlamente sich nicht einmischen, dann mischen die Populisten sich ein. Genau das tun wir heute. Wir mischen uns ein, und wir gestalten konstruktiv mit. Dieses starke Signal an die Kommission ist meiner Meinung nach zutiefst europäisch: Wir zeigen der Kommission deutlich auf, dass sie hier an den Realitäten vorbei gezielt hat. In enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern und durch das Instrument der Subsidiaritätsrüge unterstützen wir die von uns allen gewünschte Konsolidierung des europäischen Dienstleistungsmarkts. Und wir bewahren die Kommission davor, in unseren Wahlkreisen von den rund 2,5 Millionen Betrieben mit ihren über 32 Millionen Beschäftigten abermals als ausuferndes Bürokratiemonster wahrgenommen zu werden. Das ist proeuropäisches Verhalten und im Sinne unseres gemeinsamen Binnenmarktes. Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Entschließungsantrag zuzustimmen. Sabine Poschmann (SPD): Wie im März bereits angekündigt, haben wir in der Zwischenzeit einen Entschließungsantrag erarbeitet, in dem wir uns kritisch mit der Dienstleistungskarte auseinandersetzen. Diese ist Teil der Vorschläge der Europäischen Kommission für ein Dienstleistungspaket, mit der sie den Marktzugang von Dienstleistern vereinfachen und den Wettbewerb beleben will. Die ebenfalls im Paket enthaltenen Richtlinienvorschläge zum Notifizierungsverfahren und zur Verhältnismäßigkeitsprüfung hatten wir im März bereits gegenüber der Kommission gerügt, weil wir das Subsidiaritätsprinzip der EU-Verträge verletzt sahen. Die Idee der Dienstleistungskarte mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen. Sie soll Handwerkern aus der Baubranche sowie Architekten und Ingenieuren erlauben, überall in der EU ohne großen bürokratischen Aufwand tätig zu sein. So soll es im Herkunftsland eine Behörde geben, bei der der Dienstleister seine Unterlagen digital und in seiner Landessprache einreichen kann. Diese prüft und gibt sie an das Aufnahmeland weiter. Hier wird erneut geprüft, und das Einverständnis führt zur Ausstellung der Karte – Ausgabe wiederum im Herkunftsland. Doch bei diesem Vorschlag gibt es gravierende Bedenken unsererseits. Der Prüfungszeitraum im Aufnahmeland beträgt lediglich vier Wochen bei vorübergehender und sechs Wochen bei dauerhafter Dienstleistungserbringung. Kann in dieser Zeit beispielsweise aufgrund von fehlenden Kapazitäten nicht widersprochen werden, gelten die Angaben der Karte dennoch als anerkannt, und zwar dauerhaft. Eine so kurze Prüffrist für einen derart komplexen Vorgang käme daher einer Einführung des Herkunftslandprinzips gleich – demzufolge die gesetzlichen Bestimmungen des Heimatlandes auch für das Aufnahmeland gelten, zumal keine weiteren Anforderungen im Nachhinein an den Besitzer einer Karte gestellt werden dürfen. Ferner können die konkreten Unterlagen des Dienstleisters, wie Ausbildungsabschlüsse, die nur der Behörde im Herkunftsland vorliegen, jenseits der Grenze nicht kontrolliert werden. Die nationalen Kontrollrechte des Aufnahmelandes werden so umgangen; denn dieses würde vielleicht zu einer anderen Einschätzung kommen. Auch kann mit falschen Angaben zur Branchenzugehörigkeit und zur Selbstständigkeit der branchenspezifische Mindestlohn umgangen werden. Wir sehen zudem die Gefahr, dass die Karte an sich auch als Beleg für eine selbstständige Tätigkeit herangezogen werden könnte, obwohl der Besitzer tatsächlich abhängig beschäftigt ist. Damit würde natürlich die Sozialversicherungspflicht umgangen und die Scheinselbstständigkeit gefördert werden. Tief in die Souveränität der Mitgliedstaaten greift der Vorschlag ein, eine koordinierende Stelle einzurichten. Ihre Aufgabe wäre es, die Unterlagen für die Karte zu sichten, zu vergleichen und zu prüfen. Diese Behörde müsste in Deutschland auf Bundesebene entstehen und widerspricht somit unserer föderalen Struktur – zumal wir auf Länderebene Berufskammern haben, die im Gegensatz zu der neuen Behörde über das notwendige Know-how verfügen. Darüber hinaus würden hier unnötige Doppelstrukturen entstehen. Deshalb bekräftigen wir mit dem vorliegenden Antrag unsere Forderung, den Vorschlag zur Dienstleistungskarte grundsätzlich zu überarbeiten. Auch drängen wir erneut darauf, dass die Vorschläge zum Notifizierungsverfahren sowie zur Verhältnismäßigkeitsprüfung abgeändert werden. Ein Gutachten aus dem BMWi bestätigt, dass die EU mit dem Vorschlag zum Notifizierungsverfahren ihre Kompetenzen überschreitet. Deswegen wissen wir auch unsere Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries hinter uns. Sie hat ebenfalls Widerstand bei der Dienstleistungskarte angekündigt und wird die Interessen des Parlaments gegenüber der Europäischen Kommission vertreten. Es kann nicht sein, dass Wettbewerb vor Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechte geht. Aber das scheint der EU in diesem Punkt wichtiger zu sein. Deregulierung kann offenbar nur erreicht werden, wenn Anforderungen an Qualifikation des Dienstleisters sowie Qualität der Dienstleistung gesenkt werden. Aber ist das wirklich das, was wir wollen? Zumal das dann bedeuten würde, dass der Meisterbrief und somit unsere duale Ausbildung grundsätzlich ebenfalls in Gefahr ist. Da sagen wir eindeutig Nein; da gehen wir nicht mit. Wir bleiben dabei: Berufsausübungsregeln und Honorarordnungen sind sinnvoll, wenn sie für Qualität, Verbraucherschutz und den Schutz der Beschäftigten sorgen. Deswegen bleiben wir hier hart und werden unsere Zuständigkeit und unsere Standards weiter verteidigen. Klaus Ernst (DIE LINKE): Wenn die Große Koalition ausnahmsweise mal etwas Richtiges macht – was selten genug vorkommt –, hat sie unsere Unterstützung. Bei der Kritik am EU-Dienstleistungspaket ist das der Fall. Das Paket ist Teil der Binnenmarktstrategie der Kommission vom Oktober 2015, in welcher die Kommission bereits Maßnahmen für einen Binnenmarkt ohne Grenzen für Dienstleistungen angekündigt hatte. Mit dem EU-Dienstleistungspakt möchte die Kommission die Notifizierung von Dienstleistungsberufen sowie die Verhältnismäßigkeit nationaler Regeln zur Berufszulassung verändern und eine Elektronische Europäische Dienstleistungskarte einführen. Das soll einer angeblich mangelnden Mobilität der Unternehmen und Beschäftigten auf dem Arbeits- und Dienstleistungsmarkt aufgrund von vorhandenen Reglementierungen entgegenwirken. Ich möchte diese drei Punkte kurz erläutern: Die bestehende EU-Dienstleistungsrichtlinie regelt, dass bestimmte nationale Rechtsvorschriften zu Dienstleistungsberufen und qualitativen Anforderungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht widersprechen dürfen und im Sinne des Allgemeininteresses begründet sein müssen. Neue oder geänderte Regelungen und Anforderungen zur Berufszulassung müssen der EU-Kommission mitgeteilt, das heißt notifiziert werden. Nun will die Kommission, dass bereits Entwürfe von berufsreglementierenden Rechtsvorschriften spätestens drei Monate vor deren Erlass notifiziert werden. Darauf soll eine Konsultationsphase folgen. Bei Bedenken kann die Kommission die Stillhaltefrist um weitere drei Monate ausdehnen, in der das Gesetz oder die Vorschrift nicht erlassen werden dürfen. Die Kommission soll zudem das Recht bekommen, die Unvereinbarkeit des geplanten nationalen Rechtsakts mit der Dienstleistungsrichtlinie festzustellen und vom EU-Mitgliedstaat zu verlangen, von diesem Abstand zu nehmen. Gegen diesen Beschluss wiederum könnte der Mitgliedstaat vor dem Europäischen Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage erheben. Wir sagen: Diese Regelungen würden die Entscheidungsfreiheit nationaler Gesetzgebung über die Maßen einschränken. Das Gleiche gilt für den Richtlinien-Entwurf zur Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen. Dieser hat das Ziel, Kriterien festzulegen, nach denen die Mitgliedstaaten vor Erlass von einschränkenden Bestimmungen zum Zugang oder zur Ausübung reglementierter Berufe deren Verhältnismäßigkeit prüfen sollen. Hier kritisieren wir erstens, dass die EU nicht zuständig ist. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten in eigener Regelungsbefugnis bestimmen können, welche Berufe auf welchem Niveau reglementiert werden. Zweitens stößt die angestrebte Vereinheitlichung der Verfahren aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausbildungs-, Zulassungs- und Qualifikationsanforderungen an klare Grenzen. Etwa viele Handwerksberufe sind in Deutschland aus gutem Grund reglementiert. Bereits vollzogene Deregulierungen haben gezeigt, dass dies prekäre Soloselbstständigkeit befördert und sich in der Folge negativ auf Beschäftigung und Ausbildung auswirkt. Das wollen wir nicht. Mit der Richtlinie zur Elektronischen Dienstleistungskarte sollen Dienstleistungsanbieter einen Ansprechpartner im Heimatland und in ihrer eigenen Sprache bekommen, bei dem sie die Dienstleistungskarte beantragen können. Diese soll die Niederlassung im Herkunftsland belegen und nachweisen, dass ihr Inhaber berechtigt ist, die ausgewiesene Dienstleistung im Aufnahmeland auszuüben. Dafür prüft die Koordinierungsstelle im Herkunftsland den Antrag und die Dokumente und leitet sie dann an die Koordinierungsstelle im Aufnahmeland weiter. Letzteres bleibt formal zuständig für die Anwendung der nationalen Vorschriften und die Entscheidung, ob der Antragsteller in seinem Hoheitsgebiet überhaupt Dienstleistungen anbieten darf. Laut Richtlinienentwurf hat allerdings die zuständige Behörde des Aufnahmestaates nur zwei Wochen Zeit, um den Antrag auf Zulassung als Dienstleister zu prüfen. Reagiert er nicht innerhalb von vier Wochen nach Übersendung des Antrags, stellt der Herkunftsstaat die Dienstleistungskarte aus, die laut Richtlinien-Entwurf unbegrenzt gültig sein soll. Das ist natürlich absurd! Die Prüf- und Einspruchsfristen im Aufnahmeland sind viel zu kurz. Dazu kommt, dass das Aufnahmeland schwerlich in der Lage sein wird, zu kontrollieren, ob die übermittelten Daten korrekt und aktuell sind – zumal der öffentliche Sektor in den EU-Mitgliedstaaten zusammengespart wurde und an Personalnot leidet. Die Dienstleistungskarte in der vorgeschlagenen Form wird Schmutzkonkurrenz und Scheinselbstständigkeit im Dienstleistungsbereich weiter befördern. Der Bundestag hatte zusammen mit dem Bundesrat bereits eine Subsidiaritätsrüge zum EU-Dienstleistungspaket erhoben. Mit einem zweiten Entschließungsantrag bekräftigt die Große Koalition einige inhaltliche Kritikpunkte. Die Kritik müsste jedoch tiefer gehen: Wer den europäischen Binnenmarkt mit den Freiheiten für Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu den größten Errungenschaften Europas zählt, ist in der Pflicht, das Funktionieren mit guten Regeln und gemeinsamen hohen Standards zu sichern. Ansonsten kommt es zu einer Abwärtsspirale bei Standards, Sozialabgaben und auch Steuern – das lehren uns nicht zuletzt die bisherigen Erfahrungen. Das bislang dominante Wettbewerbs- und Konkurrenzmotiv im Binnenmarkt hat über Vorschriften und Richtlinien einen Prozess des stetigen Sozial- und Lohndumping befördert, der heimische Anbieter von Dienstleistungen stark unter Druck gesetzt hat. Zugleich ist durch die massive Rückführung der öffentlichen Beschäftigung und den Abbau der Kapazitäten in den Behörden eine schnelle, sachliche Prüfung zur Aufdeckung von Verstößen gar nicht mehr möglich. Doch nur ein soziales Europa wird Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern haben. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Dienstleistungsfreiheit ist eine der vier zentralen Säulen der EU, und es ist Aufgabe der Kommission, den gemeinsamen Binnenmarkt weiterzuentwickeln. Deshalb haben wir auch die Subsidiaritätsrüge zum Dienstleistungspaket nicht mitgetragen. Wenn Hürden für die europaweit tätigen Dienstleister bestehen, dann müssen sie natürlich abgebaut werden. Aber die Veränderungen müssen immer den hart erkämpften Grundsätzen der Dienstleistungsrichtlinie entsprechen. Konkret bedeutet dies, dass immer die Arbeits- und Sozialstandards des Ziellandes garantiert werden müssen. Die Regeln im Zielland müssen einheitlich sein, denn nur so ist ein fairer Wettbewerb möglich – zum Schutz der Beschäftigten, aber auch der Betriebe. Dafür haben wir uns immer eingesetzt, und nach diesen Grundsätzen bewerten wir auch das geplante Dienstleistungspaket. Wir begrüßen es, dass sich die Regierungsfraktionen jetzt nicht mehr mit der Frage beschäftigten, ob die Kommission tätig werden darf, sondern sich endlich inhaltlich mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Kommission auseinandersetzen. Und wir begrüßen auch den vorliegenden Entschließungsantrag, dem wir zustimmen werden. Denn auch wir wollen die Einführung des Herkunftslandprinzips um jeden Preis verhindern. Nationale Standards und Arbeitnehmerrechte dürfen der Dienstleistungsfreiheit nicht untergeordnet werden. Die drei wesentlichen Aspekte des Dienstleistungspaketes möchte ich kurz ansprechen. Beim sogenannten Notifizierungsverfahren soll die Kommission ein Einspruchsrecht erhalten und bei berufsreglementierenden Regelungen in Deutschland bereits früher eingreifen können. Dieses veränderte Verfahren betrachten wir mit Sorge; denn so könnte der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten stark eingeschränkt werden. Und das lehnen wir ab; denn nationale Berufsreglementierungen sind uns wichtig. Die geplante Dienstleistungskarte könnte, gut ausgestaltet, zu mehr Transparenz führen. Voraussetzung dafür wäre aber, dass solch eine Karte im Aufnahmestaat und nicht im Herkunftsstaat beantragt wird. Ist das nicht der Fall, dann wird – aufgrund der sehr kurzen Fristen und der Genehmigungsfiktion im vorgelegten Entwurf – das Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt. Und das lehnen wir strikt ab. Sichergestellt werden muss auch, dass die Entsenderichtlinie Beachtung findet und branchenspezifische Mindestlöhne nicht durch die Branchenzuordnung umgangen werden können. Denn Mindestlöhne sind elementar wichtig, um einen Wettbewerb über die niedrigsten Löhne zu verhindern. Davon profitieren die Beschäftigten und auch die verantwortlich handelnden Betriebe. Und schlussendlich haben wir auch noch Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Berufsreglementierungen sollen weiterhin in der Kompetenz der Mitgliedstaaten bleiben. Wir fordern die Bundesregierung auf, bei den Verhandlungen die geltenden Sozial- und Arbeitsstandards zu verteidigen, aber gleichzeitig konstruktiv an der Weiterentwicklung des europäischen Dienstleistungsmarktes mitzuwirken. Eines ist mir aber noch wichtig: Die Regierungsfraktionen verteidigen gerade sehr stark nationale Interessen. Vor diesem Hintergrund fordern wir aber auch konsequentes Handeln bei anderen relevanten Themen. Die Bundesregierung muss sich genauso stark auf europäischer Ebene für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ einsetzen. Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit müssen auf nationaler und europäischer Ebene verhindert werden. Elementar wichtig sind dafür effektive Kontrollen. Deshalb muss die Finanzkontrolle Schwarzarbeit endlich mit ausreichend Personal ausgestattet werden. Wer für einen fairen Wettbewerb kämpft, der muss die Betriebe und die Beschäftigten gleichermaßen schützen. 1)  Anlage 2 2) Ergebnis Seite 23692 C 3)  Anlagen 3 und 4 4)  Ergebnis Seite 23706 C 5)  Anlage 5 6) Anlage 6 7)  Anlage 7 8)  Anlage 8 9)  Anlage 9 10)  Anlage 10 11)  Anlage 11 12)  Anlage 12 13)  Anlage 13 14)  Anlage 14 15)  Anlage 15 16)  Anlage 16 17)  Anlage 17 18)  Anlage 18 19)  Anlage 19 20)  Anlage 20 21)  Anlage 21 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 III Plenarprotokoll 18/234