Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 240. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Inhalt: Gedenken an Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl Präsident Dr. Norbert Lammert 24479 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 24530 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 14 c, 14 d und 15 b 24484 A Zur Geschäftsordnung 24484 B Tagesordnungspunkt 7: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) Drucksachen 18/7823, 18/12847 24484 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12848 24484 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern Drucksachen 18/11414, 18/12841 24484 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 24484 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) 24486 D Dr. Katarina Barley, Bundesministerin BMFSFJ 24488 A Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24489 A Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 24491 B Harald Weinberg (DIE LINKE) 24493 A Dr. Karl Lauterbach (SPD) 24493 D Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 24495 A Mechthild Rawert (SPD) 24496 B Erich Irlstorfer (CDU/CSU) 24497 A Petra Crone (SPD) 24498 A Tagesordnungspunkt 8: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Umsetzung der Hightech-Strategie – Fortschritt durch Forschung und Innovation – Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2017 Drucksache 18/11810 24499 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2017 Drucksache 18/11270 24499 D c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Bundesregierung Drucksache 18/9670 24499 D d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Programme zur Innovations- und Technologieförderung im Mittelstand in der laufenden Legislaturperiode, insbesondere über die Entwicklung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) für das Jahr 2016 Drucksache 18/12442 24500 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern Drucksachen 18/8711, 18/12776 24500 B Michael Kretschmer (CDU/CSU) 24500 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 24501 D René Röspel (SPD) 24503 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24504 C Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 24506 C Karin Binder (DIE LINKE) 24508 C Dr. Daniela De Ridder (SPD) 24509 C Patricia Lips (CDU/CSU) 24510 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 24511 C Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) 24512 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökologische Modernisierung angehen und die Klimaschutzlücke schließen Drucksache 18/12796 24514 D b) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: CO2-Bremse einführen – Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen Drucksache 18/10640 24515 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute Drucksachen 18/8876, 18/10387 24515 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht voranbringen – Aktionsplan Faire Wärme starten Drucksachen 18/10979, 18/11651 24515 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen Drucksachen 18/9801, 18/11244 24515 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen Drucksachen 18/12095, 18/12633 24515 B g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung Drucksache 18/10370 24515 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24515 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 24518 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 24519 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 24520 A Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 24521 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24522 C Andreas Jung (CDU/CSU) 24523 D Heike Hänsel (DIE LINKE) 24525 B Frank Schwabe (SPD) 24526 A Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 24527 A Andreas Rimkus (SPD) 24528 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 24529 A Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) Drucksache 18/12727 24531 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom und zur Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/12728 24531 A c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12729 24531 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fremdrentengesetzes (FRG) Drucksache 18/12718 24531 B b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung zwecks Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk Drucksache 18/12105 24531 C c) Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umweltverschmutzung durch Mikroplastikfreisetzung aus Kosmetika und Waschmitteln beenden Drucksache 18/10875 24531 C d) Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtssicherheit für bürgerschaftliches Engagement – Gemeinnützigkeit braucht klare Regeln Drucksache 18/12559 24531 C e) Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewährleisten Drucksache 18/12783 24531 D f) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Notz, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Freiwilligendienste ausbauen und weiterentwickeln, Engagement anerkennen und attraktiver machen Drucksache 18/12804 24531 D h) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen Drucksache 18/12795 24532 A Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz Drucksache 18/12097 24532 A Zusatztagesordnungspunkt 4: g) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das freiwillige und ehrenamtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe stärken Drucksache 18/12802 24532 B Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundesbehörden (Presseauskunftsgesetz) Drucksachen 18/8246, 18/12603 24532 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst Drucksachen 18/11533, 18/12836 24533 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (elDAS-Durchführungsgesetz) Drucksachen 18/12494, 18/12833 24533 B d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 Drucksachen 18/12513, 18/12717, 18/12815 24533 C e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts Drucksachen 18/9534, 18/10025, 18/10307 Nr. 4, 18/12830 24533 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hofabgabe als Voraussetzung für den Zugang zur Altersrente für Landwirte abschaffen Drucksachen 18/2770, 18/3455 24534 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekommunalisierung unterstützen Drucksachen 18/10282, 18/11019 24534 B i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Zeitumstellung Drucksachen 18/10697, 18/11809 24534 B j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Illegalen Elfenbeinhandel stoppen – Afrikanische Elefanten schützen Drucksachen 18/10494, 18/11815 24534 C k) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbrauchertäuschungen beenden – Klare Lebensmittelkennzeichnung durchsetzen Drucksachen 18/10861, 18/11823 24534 D l) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kinder- und Jugendhilfe – Beteiligungsrechte stärken, Beschwerden erleichtern und Ombudschaften einführen Drucksachen 18/5103, 18/11886 Buchstabe b 24534 D m) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kreis der Anspruchsberechtigten und die Bezugsdauer in der Arbeitslosenversicherung erweitern Drucksachen 18/11419, 18/12167 24535 A n) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern Drucksachen 18/11416, 18/12629 24535 B o) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken – Hygiene-Smiley für Lebensmittelbetriebe bundesweit ermöglichen Drucksachen 18/4214, 18/12636 24535 B p) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Harald Ebner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtssicherheit und Transparenz bei Lebensmittelkontrollen endlich herstellen Drucksachen 18/9558, 18/12837 24535 C q) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken Drucksachen 18/8874, 18/12849 24535 D r) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge Menschen Drucksachen 18/12374, 18/12851 24535 D s)–w) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 444, 445, 446, 447 und 448 zu Petitionen Drucksachen 18/12561, 18/12562, 18/12563, 18/12564, 18/12565 24536 A Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Diskriminierung bekämpfen – Verbandsklagerecht einführen Drucksachen 18/10864, 18/11448 24536 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes – Eine Reform ist überfällig Drucksachen 18/9055, 18/11639 24536 D Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) Drucksache 18/12801 24536 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Drucksachen 18/12091, 18/12824 24537 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543 24537 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fahrverbot für laute Güterwagen Drucksachen 18/10033, 18/11144 24537 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europapolitik der Bundesregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und Europäischem Rat 24537 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24537 D Thorsten Frei (CDU/CSU) 24539 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) 24540 B Angelika Glöckner (SPD) 24541 C Carsten Körber (CDU/CSU) 24542 D Andrej Hunko (DIE LINKE) 24543 D Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) 24544 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24545 C Matern von Marschall (CDU/CSU) 24546 D Christian Petry (SPD) 24547 D Alexander Radwan (CDU/CSU) 24549 A Ronja Kemmer (CDU/CSU) 24550 A Tagesordnungspunkt 10: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) Drucksachen 18/12357, 18/12846 24551 A – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksachen 18/12358, 18/12846 24551 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksachen 18/12100, 18/12846 24551 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksachen 18/12101, 18/12846 24551 B Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) 24551 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 24552 C Gabriele Fograscher (SPD) 24553 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24554 B Helmut Brandt (CDU/CSU) 24555 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 24557 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 24557 D Dr. Rolf Mützenich (SPD) 24558 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24559 A Namentliche Abstimmung 24559 D Ergebnis 24560 C Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/12298, 18/12694 24563 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12695 24563 C Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) 24563 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 24565 C Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) 24566 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24568 C Florian Hahn (CDU/CSU) 24569 C Namentliche Abstimmung 24570 D Ergebnis 24572 D Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Hochschulen fördern Drucksachen 18/8420, 18/8421, 18/8889, 18/9127, 18/12409 24571 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schulsozialarbeit an allen Schulen sicherstellen Drucksachen 18/2013, 18/11803 24571 B Xaver Jung (CDU/CSU) 24571 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 24575 B Elfi Scho-Antwerpes (SPD) 24576 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24578 B Uwe Schummer (CDU/CSU) 24579 C Martin Rabanus (SPD) 24581 A Christina Schwarzer (CDU/CSU) 24582 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 24583 C Christina Schwarzer (CDU/CSU) 24584 A Zusatztagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens Drucksachen 18/11277, 18/12785 24584 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze Drucksachen 18/11272, 18/12785 24584 D Bettina Bähr-Losse (SPD) 24584 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 24586 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 24587 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24589 A Dr. Johannes Fechner (SPD) 24590 B Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 24591 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 24592 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24593 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 24594 B Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft Drucksache 18/12382 24595 A b) Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bienengiftige Insektizide vollständig verbieten – Bestäuber, andere Tiere und Umwelt wirksam schützen Drucksache 18/12384 24595 B in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 37: f) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Marktkonzentration im Agrarmarkt stoppen – Artenvielfalt und Ernährungssouveränität erhalten Drucksache 18/12797 24595 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24595 B Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMEL 24596 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 24597 D Rita Hagl-Kehl (SPD) 24599 A Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) 24601 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24602 B Artur Auernhammer (CDU/CSU) 24603 A Zusatztagesordnungspunkt 8: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Drucksachen 18/12038, 18/12379, 18/12641 Nr. 1.1, 18/12786 24604 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR ergangenen Unrechtsurteile Drucksachen 18/10117, 18/12786 24604 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12828 24604 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Individuelle und kollektive Entschädigung für die antihomosexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten Drucksachen 18/10118, 18/12786 24604 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 24605 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 24606 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 24607 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24609 A Johannes Kahrs (SPD) 24611 A Gudrun Zollner (CDU/CSU) 24612 A Tagesordnungspunkt 16: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesweiten Aktionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft auflegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig wohnen Drucksachen 18/7415, 18/8081, 18/10928 24613 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformieren Drucksachen 18/11049, 18/10810, 18/12632 24613 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Spekulation mit Immobilien und Land beenden – Keine Steuerbegünstigung für Übernahmen durch Share Deals Drucksachen 18/8617, 18/12818 24614 A Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 24614 A Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 24615 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 24616 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24618 B Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) 24619 B Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/12733 24621 A Jens Spahn, Parl. Staatssekretär BMF 24621 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 24622 B Johannes Kahrs (SPD) 24623 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24623 C Alois Karl (CDU/CSU) 24624 C Tagesordnungspunkt 18: a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein Institut für humanitäre Angelegenheiten schaffen Drucksache 18/12530 24625 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung – Für eine flexible, wirksame und zuverlässige humanitäre Hilfe Drucksachen 18/8619, 18/10627 24625 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24625 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 24626 D Inge Höger (DIE LINKE) 24628 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 24629 B Tagesordnungspunkt 15: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Drucksachen 18/11939, 18/12845 24630 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 24630 C Birgit Menz (DIE LINKE) 24631 B Josef Göppel (CDU/CSU) 24632 A Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24633 B Carsten Träger (SPD) 24634 B Tagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz Drucksachen 18/8130, 18/12620 24635 C Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) Drucksachen 18/10144, 18/12591 24635 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes Drucksachen 18/12510, 18/12827 24636 B Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern Drucksache 18/12780 24636 C Eckhard Pols (CDU/CSU) 24636 C Birgit Wöllert (DIE LINKE) 24637 C Ulrike Bahr (SPD) 24638 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24639 D Paul Lehrieder (CDU/CSU) 24640 D Tagesordnungspunkt 23: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gesamtkonzept Elbe: Strategisches Konzept für die Entwicklung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen Drucksachen 18/11830, 18/12181 Nr. 1.3, 18/12844 24642 A b) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den Weg bringen – Sohlerosion stoppen Drucksache 18/12787 24642 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI 24642 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 24643 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) 24644 A Dagmar Ziegler (SPD) 24644 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24645 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) 24646 C Gustav Herzog (SPD) 24647 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 24647 D Dagmar Ziegler (SPD) 24648 B Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822 Nr. 5, 18/12842 24649 C Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum Drucksachen 18/10190, 18/12831 24650 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren Drucksachen 18/8084, 18/12831 24650 A Marcus Held (SPD) 24650 B Thomas Lutze (DIE LINKE) 24651 A Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 24652 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24653 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 24654 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes Drucksachen 18/12493, 18/12832 24655 C Tagesordnungspunkt 27: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation Drucksachen 18/12331, 18/12716, 18/12820 24655 D Tagesordnungspunkt 28: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen Drucksachen 18/12363, 18/7904, 18/12775 24656 B b) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nachtzugverkehr als Teil moderner und klimafreundlicher Mobilität ausbauen – Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches Nachtzugnetz Drucksache 18/12560 24656 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI 24656 C Sabine Leidig (DIE LINKE) 24657 C Kirsten Lühmann (SPD) 24658 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24659 D Daniela Ludwig (CDU/CSU) 24660 D Nächste Sitzung 24661 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 24663 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Emmi Zeulner (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) (Tagesordnungspunkt 7 a) 24663 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Nicole Gohlke, Christine Buchholz, Birgit Menz, Cornelia Möhring, Martina Renner und Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) 24664 A Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) 24664 D Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 24664 D Thomas Lutze (DIE LINKE) 24665 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) 24665 C Josef Rief (CDU/CSU) 24665 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) 24666 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 24667 A Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 24667 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24668 C Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV 24669 A Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) 24669 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 17) 24670 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 24670 B Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 24670 D Dr. Matthias Bartke (SPD) 24671 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 24672 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 24673 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24673 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) 24674 B Wilfried Oellers (CDU/CSU) 24674 C Tobias Zech (CDU/CSU) 24675 D Bernd Rützel (SPD) 24676 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) 24677 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24678 A Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Brähmig und Andreas G. Lämmel (beide CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) 24678 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Tagesordnungspunkt 24) 24679 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 24679 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 24680 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 24681 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 24682 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24683 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes (Tagesordnungspunkt 26) 24684 A Lena Strothmann (CDU/CSU) 24684 A Sabine Poschmann (SPD) 24685 D Thomas Lutze (DIE LINKE) 24686 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24687 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (Tagesordnungspunkt 27) 24687 D Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) 24687 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 24688 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 24689 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24689 C 240. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Exzellenzen! Verehrte Gäste! Deutschland trauert um Helmut Kohl. Am vergangenen Freitag ist unser langjähriger Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner pfälzischen Heimat im Alter von 87 Jahren verstorben. Dass wir seiner an diesem Ort, im Reichstagsgebäude in der Mitte Berlins, der Hauptstadt des vereinten Deutschlands, gedenken, wäre undenkbar ohne die weltgeschichtlichen Veränderungen, die sich untrennbar mit seinem Namen verbinden. „Welches Haus wurde tiefer gezeichnet von den Spuren der Geschichte?“, fragte Helmut Kohl selbst an dieser Stelle, als neu gewählter Bundeskanzler bei einer Veranstaltung im Januar 1983 hier im Reichstagsgebäude, als unmittelbar dahinter Mauer und Stacheldraht Berlin noch teilten und damit Deutschland und Europa. „Kein Haus“, so der Kanzler damals, „verkörpert mehr als der Reichstag die Geschichte der Deutschen und ihre Hoffnung, in einem freien Europa in Frieden zu leben.“ Die Geschichte der Deutschen und ihre Hoffnung, in einem freien Europa in Frieden zu leben – Helmut Kohl hat diese Hoffnung nie aufgegeben, und wir verdanken es wesentlich ihm, dass sie heute Realität ist: die friedliche Einheit unseres Landes in einem freien und befriedeten Europa. Als sich 1989 die von manchen längst abgeschriebene Chance ergab, ergriff Helmut Kohl mit dem sicheren Instinkt, der den großen Staatsmann auszeichnet, die Initiative: Mit seinem am 28. November 1989 vor dem Bundestag im Bonner Wasserwerk verkündeten Zehn-Punkte-Programm gab er der friedlichen Revolution in der DDR ihre ehrgeizige politische Richtung: hin zur deutschen Einheit. Es war eine Sternstunde unserer Parlamentsgeschichte und seine politische „Glanzleistung“, wie sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt anerkennend befand. Dessen Standfestigkeit als Bundeskanzler beim für die weitere politische Entwicklung bedeutsamen und zugleich hochumstrittenen NATO-Doppelbeschluss hatte Helmut Kohl schon als Oppositionsführer voll mitgetragen und später ausdrücklich bekräftigt, auch als er sich – nun selbst im Amt – heftigen Protesten Hunderttausender Demonstranten im Bonner Hofgarten ausgesetzt sah. „Ein Politiker, der nicht ein Stück Utopie in seinen Zielen hat, ist ein armer Mann“, vertraute der junge Helmut Kohl 1968 dem Spiegel an; damals ging das noch. (Vereinzelt Heiterkeit) Dass die Einheit Deutschlands und Europas keine Utopie blieb, ist maßgeblich seiner Hartnäckigkeit in Grundsatzfragen und seinem entschlossenen Zugriff in der konkreten historischen Situation zu verdanken. Kohl bewies 1989 eine Weitsicht, die im Westen des geteilten Landes vielen längst abhandengekommen war. Die Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsangehörigkeit zum Beispiel, für die es auch in Teilen seiner eigenen Partei zeitweise durchaus Sympathien gab, hat es mit ihm nie gegeben. Was folgte, war die beispiellose Erfolgsgeschichte einer ebenso besonnenen wie zielgerichteten Diplomatie, ihr Ergebnis die deutsche Einheit im Staaten- und Werteverbund des Westens, im Einvernehmen mit allen unseren Nachbarn und mit Unterstützung wichtiger Partner in der Welt. Kohl wusste, dass dieses große nationale Ziel nur über die Einigung Europas zu erringen war. Die Union der europäischen Staaten war ihm dabei aber nie allein ein Mittel, sondern immer ihr eigener Zweck: das große Friedensprojekt auf dem ehemals verfeindeten Kontinent, das er am Ende seiner Amtszeit auch über die gemeinsame Währung unumkehrbar zu machen suchte. Die große Anteilnahme in unseren Nachbarstaaten und die weltweiten Reaktionen auf seinen Tod unterstreichen die herausragende Leistung Kohls als Ehrenbürger Europas. Ihm wird deswegen am Samstag der nächsten Woche in Straßburg ein bislang einzigartiger Akt der Würdigung zuteilwerden. Aber es versteht sich beinahe von selbst, dass Art und Ort der Würdigung einer herausragenden politischen Lebensleistung in und für Deutschland bei allem Respekt nicht nur eine Familienangelegenheit sind. Und der Deutsche Bundestag ist dafür wohl der bestmögliche Ort: in Anwesenheit des Bundespräsidenten und seiner Amtsvorgänger, der Kanzlerin und der Mitglieder der Bundesregierung, zahlreicher Botschafter und Vertreter des Diplomatischen Korps unter Führung seines Doyens, des Nuntius. Meine Damen und Herren, Helmut Kohl wurde 1930 genau an dem Tag geboren, als hier im Reichstagsgebäude ein Misstrauensantrag gegen die damals neu gebildete Regierung unter Heinrich Brüning eingebracht wurde und scheiterte – die erste der Präsidialregierungen, die, wie wir heute wissen, das Ende der Weimarer Republik einläuteten und den Weg in die Diktatur wiesen. An deren Ende standen der vollständige moralische Zusammenbruch und ein Krieg, der sich schicksalhaft in die Familienbiografien von Generationen einschrieb, auch in die Helmut Kohls. 1989 vor der Dresdner Frauenkirche, als der Wille der Menschen zur Einheit für alle spürbar war, erinnerte Kohl an seine Jugend im Krieg mit dem nie ganz verwundenen Tod des älteren Bruders an der Front, und vor der Kirche, die damals noch Ruine war, erneuerte er das Versprechen, das sich seine Generation gegeben hatte: Nie wieder Krieg! Von deutschem Boden muß in Zukunft immer Frieden ausgehen – das ist das Ziel unserer Gemeinsamkeit! Ausdruck dieses bleibenden Auftrags und Symbol der Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen ist der unvergessene Händedruck mit François Mitterrand über den Gräbern von Verdun 1984. Zehn Jahre später markierte der feierlich begangene, friedliche Abzug der letzten russischen Soldaten aus Berlin den, wie Helmut Kohl es damals nannte, „Schlusspunkt der Nachkriegsgeschichte Europas“, und alle, die damals dabei waren, haben es ganz genau so empfunden. Eine Sowjetunion, in die die einst Rote Armee hätte zurückkehren können, gab es schon nicht mehr, dafür aber die allgemeine Erwartung auf einen dauerhaften Frieden. Undenkbar schien damals jedenfalls, dass die von Boris Jelzin ausgerufene „Periode der Freundschaft und Zusammenarbeit“ zwanzig Jahre später von der heutigen russischen Führung mutwillig aufs Spiel gesetzt werden könnte – mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und den andauernden militärischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine. Helmut Kohl dachte in historischen Perspektiven; denn er wusste um die identitätsstiftende Kraft der Geschichte. Zitat: Politik ohne Geschichte ist wurzellos, bleibt ziellos, ohne Grund und Perspektive. Wer die Zukunft politisch gestaltet, muß aus der geschichtlichen Erfahrung leben, ohne bei ihr stehen zu bleiben. Die politischen Akzente, die er mit dieser Begründung in seiner Amtszeit – auch gegen Widerstand – zu setzen wusste, werden bleiben; sie prägen unser Geschichtsbewusstsein und unsere Erinnerungskultur: das Deutsche Historische Museum in Berlin etwa und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, die unsere nationale Geschichte immer auch europäisch einbetten, aber auch die Neue Wache Unter den Linden, die uns als Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft an die entsetzlichen Verirrungen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert erinnert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste, in den vielen Nachrufen der vergangenen Tage dominieren fast zwangsläufig die immer wieder gezeigten Bilder seiner Kanzlerschaft, die mit 16 Jahren länger währte als alle anderen, und zudem die viele Menschen berührende Tragik seiner letzten Lebensjahre. Dahinter tritt aber auch die Persönlichkeit Helmut Kohls wieder stärker hervor, die fast niemanden gleichgültig lässt. Legendär sind seine integrierende Kraft wie seine polarisierende Wirkung – im Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb der Union. Ich denke an den leidenschaftlichen Parlamentarier, an den in vielerlei Hinsicht wuchtigen Debattenredner und Oppositionsführer im Bundestag, der in Zeiten Herbert Wehners und Helmut Schmidts hart austeilte und ebenso heftig einstecken musste – ein Mann, der zuvor in seiner rheinland-pfälzischen Heimat der jüngste Parlamentarier im Landtag gewesen war, jüngster Fraktionsvorsitzender und jüngster Regierungschef, ein kraftvoller Modernisierer und mutiger Reformer, freilich zu einer Zeit, als Studenten eher die Revolution erwarteten und einforderten, und über den gleichwohl der Spiegel – ausgerechnet der Spiegel – 1969 schrieb – Zitat –: Wann immer … alte Zöpfe abgeschnitten wurden – Kohl … führte die Schere ... Den Menschen zugewandt interessierte er sich auch später, im Bundestag, sehr für neue, junge Abgeordnete, und ich weiß aus eigener Erfahrung: Er beobachtete intensiver, als diese es sich oft hatten vorstellen können, ob sie sich auch so entwickelten, wie er das von ihnen erwartete. Sein Gedächtnis, in politischen wie privaten Dingen, war dabei phänomenal. Und nicht selten verblüffte er seine Gesprächspartner mit Nachfragen oder Beschreibungen aus ihrem Verantwortungsbereich zu Vorgängen, die sie noch gar nicht kannten, er aber wohl. Die Christlich Demokratische Union, in der er fest verwurzelt war, verstand er immer als seine Familie, ihre Fraktion im Bundestag, die er 2012 noch einmal besuchte – wer dabei gewesen ist, wird sich daran immer erinnern –, bezeichnete er als „seine Heimat“, sie war sein Zuhause. Bodenständig war er und blieb er, was die, die ihn notorisch unterschätzten, als provinziell missverstanden. Ausgestattet mit einem deftigen Charme und einem ausgeprägten, mitunter spöttischen Humor verbanden sich in ihm Gestaltungsanspruch und Machtbewusstsein, ein unbedingter Wille und die bemerkenswerte Begabung, breite Bevölkerungskreise anzusprechen – dank eines ganz besonderen Gespürs für Menschen. Dabei gelang ihm, auch in den internationalen Beziehungen politisch enge und persönlich freundschaftliche Beziehungen zu den wichtigen Staatschefs in aller Welt aufzubauen, in Frankreich genauso wie in den USA und in Russland. Er war die „personifizierte vertrauensbildende Maßnahme der Weltpolitik“, wie er dieser Tage in manchen Medien treffend gewürdigt wurde. Typisch dafür, und im Gedächtnis der Polen vermutlich stärker verankert als bei uns, sind die Umstände seines Staatsbesuchs in Warschau am 9. November 1989 – ein Besuch, den Kohl zwar unterbrach, um im welthistorischen Moment in Berlin zu sein, aber eben nicht abbrach, sondern zur Überraschung seiner Gastgeber am 11. November fortsetzte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen schreibt der bedeutende Schweizer Historiker Jacob Burckhardt: Sprichwörtlich heißt es: „Kein Mensch ist unersetzlich.“ – Aber die wenigen, die es eben doch sind, sind groß ... Der große Mann ist ein solcher, ohne welchen die Welt uns unvollständig schiene, weil bestimmte große Leistungen nur durch ihn innerhalb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und sonst undenkbar sind; er ist wesentlich verflochten in den großen Hauptstrom der Ursachen und Wirkungen. „Undenkbar“? Helmut Kohl hat ebenso wenig alleine die deutsche Einheit ermöglicht wie Otto von Bismarck den deutschen Nationalstaat. Aber beide fundamentalen Veränderungen der deutschen Geschichte lassen sich ohne deren beider Namen schwerlich vorstellen. Die Bonner Republik begann mit Konrad Adenauer; und sie endete in der Kanzlerschaft Helmut Kohls, der zugleich dazu beitrug, dass ihre Grundpfeiler auch die Berliner Republik trugen. In bedeutenden Persönlichkeiten spiegeln sich regelmäßig ihre Epochen. Helmut Kohls historische Größe wird darin deutlich, dass er nicht nur eine Ära mitprägte, sondern das Verbindungsglied zweier Epochen geworden ist: Die eine half er glücklich zu überwinden, für die andere – unsere in einem vereinten Europa – legte er die bleibenden Grundlagen. So war für ihn auch geradezu selbstverständlich, was für viele – auch für mich – damals durchaus diskussionsbedürftig war: dass ein in Frieden wiedervereinigtes Deutschland nicht länger von Bonn, sondern wieder von Berlin regiert und parlamentarisch kontrolliert werden müsse. Das viele Licht um große Persönlichkeiten wirft Schatten. Das gilt auch für Helmut Kohl, der selbst sein Leben als einen Weg von großen Erfolgen und schweren Niederlagen beschrieben hat. 1976 hatte Kohl als Kanzlerkandidat die Union mit 48,6 Prozent der abgegebenen Stimmen bei hoher Wahlbeteiligung zum zweitbesten Ergebnis aller bisherigen und, wie wir inzwischen wissen, auch künftigen Bundestagswahlen geführt (Unruhe) – bis heute stattgefundenen Bundestagswahlen – (Heiterkeit) und wurde Oppositionsführer, weil es zu den ungeschriebenen Regeln einer parlamentarischen Demokratie gehört, dass ein Land auch gegen die mit Abstand stärkste Partei regiert werden kann, wenn es entsprechende parlamentarische Mehrheiten gibt. Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen, die er selbst erlitt und die er anderen zufügte. Manche Fehler räumte Kohl selbst ein. Dass sein Abschied nach dem Verlust der Regierungsverantwortung auch aus der aktiven Politik so wurde, wie es – in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz – die Umstände der „kreativen Verschleierung von Parteispenden“ am Ende erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit Kohls zusammen. Sein Tod bedeutet einen tiefen Einschnitt. Mit der Generation Schumacher, Heuss und Adenauer verschwanden einst die Biografien, die weit vor die NS-Zeit ins Kaiserreich zurückreichten. Mit den verstorbenen Willy Brandt, Walter Scheel, Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog, Hans-Dietrich Genscher und nun auch Helmut Kohl werden uns die Generationen fehlen, für die die Epoche der Weltkriege keine Erzählung, sondern eine Erfahrung war – und Europa deshalb immer auch eine Frage von Krieg und Frieden. Sich dieses Erbes zu vergewissern, ist offensichtlich notwendiger denn je. Helmut Kohl hat Konrad Adenauer, dessen Erbe er sich maßgeblich verpflichtet fühlte, als einen – Zitat – „Glücksfall für Deutschland“ bezeichnet. Er selbst war es auch: ein Glücksfall für Deutschland und für Europa. Wir Deutschen können uns glücklich schätzen angesichts von Persönlichkeiten seines Formats, um die uns manche Nachbarn beneiden. Wir verneigen uns in Respekt und Dankbarkeit vor dem Lebenswerk Helmut Kohls, dem Kanzler der Einheit und Ehrenbürger Europas. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen. Wir wünschen ihnen in ihrer Trauer Kraft und Trost. Ich möchte Sie bitten, sich als Zeichen des Respekts, unserer Dankbarkeit und unserer Trauer im Gedenken an Helmut Kohl von den Plätzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich) – Ich danke Ihnen. (Die Anwesenden nehmen wieder Platz) Wir unterbrechen nun diese Sitzung und setzen sie in wenigen Minuten mit der vereinbarten Tagesordnung fort. (Unterbrechung von 9.25 bis 9.30 Uhr) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach der die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte erweitert werden soll: ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antisemitismus entschlossen bekämpfen Drucksache 18/12784 ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Kindern das Schwimmenlernen ermöglichen – Auswirkungen von Privatisierungen und Schwimmbadschließungen ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Verlegung des Bundeswehrkontingents von Incirlik nach Al Azraq zügig durchführen Drucksache 18/12779 (ZP 1 bis 3 siehe 239. Sitzung) ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 36) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fremdrentengesetzes (FRG) Drucksache 18/12718 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung zwecks Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk Drucksache 18/12105 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umweltverschmutzung durch Mikroplastikfreisetzung aus Kosmetika und Waschmitteln beenden Drucksache 18/10875 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtssicherheit für bürgerschaftliches Engagement – Gemeinnützigkeit braucht klare Regeln Drucksache 18/12559 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewährleisten Drucksache 18/12783 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Notz, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Freiwilligendienste ausbauen und weiterentwickeln, Engagement anerkennen und attraktiver machen Drucksache 18/12804 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das freiwillige und ehrenamtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe stärken Drucksache 18/12802 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Federführung strittig h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen Drucksache 18/12795 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 37) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) Drucksache 18/12801 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Drucksachen 18/12091, 18/12824 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fahrverbot für laute Güterwagen Drucksachen 18/10033, 18/11144 ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europapolitik der Bundesregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und Europäischem Rat ZP 7    – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens Drucksache 18/11277 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze Drucksache 18/11272 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12785 ZP 8  a)  – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Drucksachen 18/12038, 18/1237, 18/12641 Nr. 1.1 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR ergangenen Unrechtsurteile Drucksache 18/10117 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12786 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12828 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Individuelle und kollektive Entschädigung für die antihomosexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten Drucksachen 18/10118, 18/12786 ZP 9 Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/12733 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Ulle Schauws, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten ermöglichen Drucksache 18/12803 ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen Drucksache 18/12794 Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Nach dem Tagesordnungspunkt 37 – hier geht es um die abschließenden Beratungen ohne Debatte – soll die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangte Aktuelle Stunde mit dem Titel „Europapolitik der Bundesregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und Europäischem Rat“ aufgerufen werden. Der Tagesordnungspunkt 13 – Spitzensportförderung – soll abgesetzt werden. Die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b – hier geht es um Pestizidreduktion in der Landwirtschaft – sollen nunmehr in Verbindung mit dem bisher ohne Debatte vorgesehenen Tagesordnungspunkt 37 f aufgerufen werden. Die Tagesordnungspunkte 14 c und 14 d – hier geht es um den Einsatz von Glyphosat – werden abgesetzt. An der Stelle des nach hinten rückenden Tagesordnungspunktes 15 a – Bundesnaturschutzgesetz – soll mit einer Debattenzeit von 38 Minuten der Entwurf eines Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes auf der Drucksache 18/12786 in Verbindung mit dem Gesetzentwurf auf der Drucksache 18/10117 und dem Antrag auf der Drucksache 18/10118 abschließend beraten werden. Der Tagesordnungspunkt 15 b soll abgesetzt werden. Der Tagesordnungspunkt 22 – Bekämpfung von Diskriminierung – soll nunmehr in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 37 ohne Debatte aufgerufen werden. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Sind Sie mit diesen Veränderungen der Tagesordnung, die Ihnen vermutlich sofort einleuchten, in genau dieser Reihenfolge einverstanden? – Das ist doch gut so. Dann ist die neue Tagesordnung so beschlossen. Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, müssen wir noch einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung der von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens auf den Drucksachen 18/11277 und 18/12785 und zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung auf den Drucksachen 18/11272 und 18/12785 zu erweitern und im Anschluss an Tagesordnungspunkt 12 mit einer Debattenzeit von 38 Minuten zu beraten. Über diesen Geschäftsordnungsantrag stimmen wir jetzt ab. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist jedenfalls bei einer erkennbaren hinreichenden Mehrheit der Aufsetzungsantrag gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) Drucksache 18/7823 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/12847 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12848 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern Drucksachen 18/11414, 18/12841 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Reform der Pflegeausbildung ist der Schlussstein in einer Reihe von Pflegegesetzen, mit denen wir die Pflege reformiert haben. Sie ist der Schlussstein, der am schwierigsten zu setzen war. Wir hatten im Mai des letzten Jahres eine Anhörung zu dem Thema und haben erleben müssen, dass die Fachwelt tief gespalten bei der Frage ist, ob wir in Zukunft die Ausbildung spezialisiert machen oder generalistisch und breit halten wollen. Wir haben in der Tat in der sich anschließenden Diskussion innerhalb der Fraktionen auf die Bedenken, die uns vorgetragen wurden, reagiert. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich, weil es Forderungen gab, noch einmal eine Anhörung durchzuführen: Dieses Anliegen ist dadurch obsolet, dass wir auf das eingegangen sind, was uns damals vorgetragen wurde. Ich möchte am Anfang meiner Rede ganz herzlich meinem Kollegen Lauterbach für eine verlässliche Zusammenarbeit – nicht nur in diesem Punkt – danken. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen, Herr Lauterbach, damit schade. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Natürlich!) Das kann ich nicht beurteilen. Nehmen Sie es als unvermeidbaren Kollateralschaden und nicht als bedingten Vorsatz. Wir haben gemeinsam eine ganze Menge in der Gesundheitspolitik bewirkt. Wenn ich davon spreche, dass die Reform der Pflegeausbildung der Schlussstein ist, dann muss ich etwas ausholen, um auf das Gewölbe insgesamt einzugehen; denn Pflege war das Topthema dieser Legislatur. Ich danke an dieser Stelle ganz herzlich dem Gesundheitsminister dafür, dass er die Akzente so gesetzt hat. Ich danke ihm auch für seine Kompromissbereitschaft in diesem heute zu beratenden speziellen Punkt. Ich möchte in den Dank die Kollegin Schön einschließen, die Berichterstatterin ist, sowie die Kollegen Irlstorfer, Rüddel und Riebsamen, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass wir heute an diesen Punkt kommen. Vielen herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD] – Petra Crone [SPD]: Wir waren auch beteiligt!) – Natürlich gilt das ganz genauso, Frau Crone, mit der gleichen Herzlichkeit für die Arbeitsgruppe der SPD. (Zurufe von Abgeordneten der SPD: Ah!) Aber ich gehe jetzt einmal davon aus, dass der Kollege Lauterbach, der dafür zuständig ist, in seiner Rede noch entsprechend darauf eingehen wird. (Zuruf von der SPD: Wir sagen dazu nichts!) Ich gehe jetzt auf die Verbesserungen ein, weil sie eine Rolle spielen, also entscheidend sind. Wir haben die Rahmenbedingungen für die Pflege, insbesondere für diejenigen, die täglich einen harten Job auf diesem Gebiet machen, deutlich und erkennbar verbessert. Wir haben dafür gesorgt, dass im Krankenhausbereich ein Pflegepersonalzuschlag von insgesamt 500 Millionen Euro bereitgestellt wird, um sicherzustellen, dass die Personalkosten in Zukunft kein Steinbruch mehr sind, um Geld zu sparen. Wir haben ein Pflegestellen-Förderprogramm mit einem Umfang von 660 Millionen Euro aufgelegt. Wir haben zur Tariflohnschere gesagt: Die Tariferhöhungen werden zur Hälfte refinanziert. Wir werden gemeinsam mit der Selbstverwaltung eine Personaluntergrenze definieren, damit in pflegeintensiven Bereichen keine Unterbesetzungen vorkommen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Tarifbezahlung in der Altenpflege nicht mehr als unwirtschaftlich hingestellt wird. (Mechthild Rawert [SPD]: Hart erkämpft! – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Wir haben dafür gesorgt, dass vorsätzliche personelle Unterdeckungen sanktioniert werden. Da wir das gemeinsam mit der SPD gemacht haben, wundere ich mich über die Zwischenrufe an dieser Stelle. (Petra Crone [SPD]: Wir haben nur gelacht!) Wir haben dafür gesorgt, dass die unterstellten Personalkosten von den Einrichtungen nicht nur angemessen nachgewiesen, sondern auch tatsächlich gezahlt werden. Außerdem haben wir dank dem Pflegebeauftragten auch dafür gesorgt, dass es zu einer Entbürokratisierung in der Pflegedokumentation kommt. Warum erzähle ich das einleitend, bevor ich auf den Gesetzentwurf als solchen eingehe? Mich hat in der Diskussion vieles geärgert – das sage ich ganz ehrlich –, insbesondere dass die, die ganz besonders für die Generalistik waren, eigentlich nur berufspolitische Argumente vorgetragen haben, obwohl es doch viele gute andere Argumente dafür gibt, eine Ausbildung, die sich in weiten Teilen überschneidet, stärker zu verzahnen. Es gibt auch gute Argumente dafür, übergeordnet auszubilden; schließlich leben wir in einer Zeit, in der es immer mehr Multimorbidität gibt, in der wir mehr Kenntnisse über den Umgang mit Alten in Krankenhäusern brauchen. Für all das gibt es Argumente. Aber am meisten geärgert hat mich, dass man all jenen, die kritisch mit dieser Thematik umgegangen sind, in die Schuhe schieben wollte, sie wollten den Beruf nicht aufwerten und nicht dafür Sorge tragen, dass die Löhne steigen. Wenn das so wäre, dann hätten wir all die Dinge, die ich gerade beschrieben habe, so nicht gemacht. Dass man uns das so in die Schuhe schieben wollte, war unlauter. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt immer noch ein paar, die mit dem Kompromiss, der aus meiner Sicht das Thema „generalistische Ausbildung“ schwerpunktmäßig im Bereich der klassischen Krankenpflege intelligent verzahnt, und mit dem Erhalt des Berufsbildes der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege kritisch umgehen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Kritik, die die Opposition nachher in allen Farben vortragen wird, kann eigentlich noch gar nicht vorgetragen werden, weil man noch gar nicht wissen kann, was am Ende kommt. Denn das Entscheidende ist doch, meine Damen und Herren, dass wir hier nur einen Rahmen vorgeben. Dieser Rahmen muss in der nächsten Legislatur – so ist es halt – gefüllt werden mit der Verordnung zu den Lerninhalten, die der nächste Deutsche Bundestag festlegen wird. Wir haben dafür gesorgt, dass das mit Zustimmung des Deutschen Bundestags stattfinden wird, dass das also nicht alleiniges Regierungshandeln bleibt, sondern dass der Bundestag bei dieser wichtigen Frage auch im Boot bleibt. Es ist äußerst wichtig – so glaube ich –, dass das so kommt. Weiter haben wir dafür gesorgt, dass Hauptschüler und Quereinsteiger mit an Bord bleiben. Das muss und wird sich bei den Lerninhalten niederschlagen. In meinem Bundesland arbeiten bis zu 40 Prozent Hauptschüler in der Altenpflege. Es macht überhaupt keinen Sinn – wie es uns der Deutsche Pflegerat nahegelegt hat –, die ganze Ausbildung so hoch zu hängen, dass wir diese wichtigen Leute, die mit Fachkenntnis, aber auch mit Empathie pflegen, am Schluss verlieren. Das war das eigentliche Anliegen, warum wir diese Reform, Herr Kollege Lauterbach, so gestrickt haben, wie wir sie gestrickt haben. Ich glaube, das ist etwas, was man gar nicht massiv und lange genug hervorheben kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Nun wird es in den Grundzügen so sein, wie ich es schon beschrieben habe: Die Krankenpflege wird durch eine generalistische, breite Ausbildung ersetzt, sodass derjenige, der eine Krankenpflegeausbildung gemacht hat, am Ende beispielsweise auch in der Altenpflege tätig werden kann. Die Alten- und die Kinderkrankenpflege bleiben erhalten, es gibt aber zwei gemeinsame Jahre. Nach diesen zwei gemeinsamen Jahren wählt der bzw. die Auszubildende den weiteren Weg. Im dritten Jahr kann man sich für eine Spezialisierung, etwa als Altenpfleger oder Kinderkrankenschwester, entscheiden oder sich anders orientieren und eine generalistische Ausbildung anstreben. Diese Wahlfreiheit ist eigentlich der Kern dieses Kompromisses. Nicht die Politik entscheidet, sondern es entscheidet der Arbeitsmarkt, es entscheiden insbesondere diejenigen, die die Ausbildungen absolvieren. Ich glaube, es liegt sehr nahe, das so auszugestalten, und es ist auch richtig, das so zu machen. Nun weiß niemand, wie diese Entscheidungen ausgehen, aber es gibt schon erste Vorwürfe. Deshalb sage ich Ihnen: Es gibt keinen Automatismus im Gesetz, wie immer behauptet wird. 2020 wird das Gesetz in Kraft treten, und das Ergebnis wird im Jahr 2026 evaluiert. Sechs Jahre später wird also evaluiert, und dann entscheidet der Deutsche Bundestag frei, wie er immer frei entscheidet, in welche Richtung das Ganze gehen wird. Er entscheidet ganz unabhängig, ob er das eine oder das andere fortsetzen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gegen den Arbeitsmarkt oder gar gegen die Auszubildenden entscheiden wird. Insofern ist mir gar nicht bange, dass das, was in diesem Gesetz angelegt ist, tatsächlich gelingt. Die große, wichtige Botschaft in dem Zusammenhang ist: Wir schaffen über den Ausbildungsfonds das Schulgeld ab. Es ist unsäglich, dass es noch Bundesländer gibt, die Schulgeld verlangen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt kann man sagen: Das dauert ja noch, bis das Ganze in Kraft tritt. – Ich lege denjenigen, die es bisher noch nicht abgeschafft haben – Nordrhein-Westfalen beispielsweise unter der alten SPD-Regierung –, nahe, das Thema entsprechend zu bearbeiten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schulgeld gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht! Sie haben überhaupt keine Ahnung!) – Das Schuldgeld gibt es nicht mehr? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Herr Laumann hat das Schulgeld hinterlassen!) – Ja, dann sind wir ja froh – ich traue Ihnen das zu, dass das stimmt –, wenn es abgeschafft worden ist. Wenn der Herr Laumann das schon gemacht hat, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der hat es gerade nicht gemacht!) dann ist das wunderbar. Dann nehme ich alles zurück. Trotzdem bleibt der Hinweis an die Länder, die es noch nicht getan haben (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade NRW hat eine sehr gute Umlage! Das war das Beispiel! Das ist unverschämt, was Sie sagen!) – ich bin ja nun nicht für die Länder zuständig –, es rechtzeitig zu tun. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, wir sind hier einen richtigen Weg gegangen. Wir sorgen für eine neue Finanzierungsgrundlage, und wir sorgen für eine inhaltliche Reform. Das wird letztlich von den Auszubildenden – nicht von der Politik – sinnvoll entschieden. Und wenn ich mir das Geschreie hier anhöre, ist es gut, dass das nicht die Politik macht. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia Zimmermann das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition! Mit dem Pflegeberufereformgesetz haben Sie große Erwartungen geweckt. Sie haben eine Reform der Pflegeberufe versprochen. Tatsächlich haben Sie jetzt ein großes Durcheinander vorgelegt, und Sie nennen das auch noch „Kompromiss“. Ja, und tatsächlich ist es ein Kompromiss, aber auf rein politischer Ebene. Mit Fachlichkeit hat diese Gesetzesvorlage jedenfalls nicht viel zu tun, und eine Reform ist es schon gar nicht. (Beifall bei der LINKEN) Vor über einem Jahr haben Sie uns einen Gesetzentwurf vorgelegt. Monatelang haben Sie nicht nur uns, sondern vor allen Dingen auch die Betroffenen, also die Schulen, die Auszubildenden, am Ende auch die Menschen mit Pflegebedarf und deren Angehörige, im Regen stehen lassen. Kein Bild, kein Ton – meine Damen und Herren, so geht das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Was Sie jetzt im Eilverfahren vorgelegt haben, verbessert gar nichts. Das wissen Sie offenbar selbst; denn Sie haben eine bereits terminierte Anhörung mit den Stimmen der SPD abgesagt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zehn Jahre Eilvorlage!) Zwölf Stunden vor den Beratungen haben Sie uns 46 Änderungsanträge auf 81 Seiten vorgelegt, die bereits 14 Tage vorhanden waren. Nennen Sie das einen demokratischen Prozess? Ich nicht! (Beifall bei der LINKEN – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Bleiben Sie bei der Wahrheit!) Inzwischen haben Sie Ihr eigenes Gesetz so sehr verändert, dass nicht einmal mehr Ihre einstigen Unterstützerinnen und Unterstützer sich damit noch identifizieren können. Ich habe Ihnen einige Zitate von Verbänden mitgebracht, die normalerweise Ihre Positionen vertreten: Dieser Alternativvorschlag ist berufspolitisch rückständig und pädagogisch unsinnig. Das sagt der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe. Bereits jetzt ist absehbar, dass die Kapazitäten für bestimmte Ausbildungsabschnitte nicht flächendeckend zur Verfügung stehen. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Woher wissen die denn das?) Das birgt die Gefahr, dass sich die Ausbildungszeit verlängert und der Fachkräftemangel eher verstärkt wird. Das sagt der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Der disqualifiziert sich selber!) Nach einem unvorstellbaren Gewürge gibt es jetzt einen Kompromiss von Union und SPD. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Politik lebt von Kompromissen, Frau Kollegin!) Unsere Befürchtung bleibt: Dank dieses bürokratischen Kuddelmuddels werden Unternehmen weniger ausbilden. ... Die alten Menschen und die Altenpflege werden zum Opfer dieser Reform. Das sagt der Arbeitgeberverband Pflege. (Petra Crone [SPD]: Auf die Seite würde ich mich auch schlagen! Sehr erstaunlich! – Weitere Zurufe von der SPD) Ich sage, meine Damen und Herren: Deutlicher geht es nicht mehr. Dieses Gesetz macht die Pflegeausbildung nicht attraktiver. Im Gegenteil: Durch die Unübersichtlichkeit der verschiedenen Ausbildungsgänge und -abschlüsse wird kaum noch jemand wissen, wofür sie oder er sich entscheiden soll. Angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen, der geringen Bezahlung und der katastrophalen Personalsituation gibt es dann nicht mehr viele Gründe, sich überhaupt noch für den Pflegeberuf zu entscheiden. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz wertet den Pflegeberuf auch nicht auf. Im Gegenteil: Es wird dazu führen, dass die Altenpflege weiter abgehängt wird, statt dass sie gefördert wird. Es wird im schlimmsten Fall sogar zu einer Deprofessionalisierung der Pflegekräfte in allen Bereichen führen, (Maria Michalk [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) weil die fachlichen Kompetenzen der verschiedenen Pflegeberufe nicht gestärkt werden. Dieses Gesetz verbessert die Ausbildungsbedingungen nicht. Im Gegenteil: Die praktische Ausbildung wird noch unübersichtlicher, als sie ohnehin schon ist. Bis heute liegt keine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung vor – trotz Ihrer Zusicherung, diese Verordnung zur Gesetzesverabschiedung im Entwurf vorzulegen. Die Finanzierung der Ausbildung ist bis heute nicht vollständig geklärt. Nach seriösen Berechnungen wird Ihr Finanzplan nicht aufgehen. Außerdem werden mit Ihrem Entwurf die Ausbildungskosten auf Menschen mit Pflegebedarf in stationären Einrichtungen umgelegt. Das darf nicht sein. Was wollen Sie den Menschen denn eigentlich noch zumuten? (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist keine gute Entscheidung für die Pflege. Keine Entscheidung wäre besser als das, was uns hier vorliegt. Mit diesem faulen Kompromiss mit dem trügerischen Namen „Pflegeberufereformgesetz“ haben Sie einen Koalitionsstreit auf dem Rücken der Pflegekräfte und der zu pflegenden Menschen ausgetragen. Das ist unglaublich. (Beifall bei der LINKEN) Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, braucht es nicht nur eine viel bessere Ausbildungsreform; man muss vor allem die Rahmenbedingungen verbessern, und zwar sofort. Die Pflege braucht eine feste Personalbemessung – nicht erst nach 2020 in der Altenpflege und nicht nur für ausgewählte Bereiche im Krankenhaus. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Pflege braucht eine allgemein verbindliche tarifliche Bezahlung in allen Bereichen, die von den Kassen finanziert werden, und die Pflege braucht mehr Mitbestimmung aller Beteiligten: der Pflegekräfte, der Angehörigen und der Menschen mit Pflegebedarf. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, nur so kann eine gute Pflege gelingen, und dafür setzen wir Linke uns ein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung hat nun die zuständige Bundesministerin Frau Dr. Barley das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade gestern habe ich an dieser Stelle den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung vorgestellt. Ein wichtiges Element darin war die Aufwertung sozialer Berufe. Genau mit diesem Vorhaben machen wir Ernst. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das so wäre!) Das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe ist ein großer Schritt in Richtung einer Aufwertung der sozialen Berufe. Sehr geehrte Frau Zimmermann, wenn die Linke jetzt anfängt, den Arbeitgeberverband Pflege und den Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands zu zitieren, dann sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, ob Sie da vielleicht nicht auf einer etwas schiefen Ebene sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: Dann ist da was schief! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Möglicherweise sind sie klüger geworden!) Heute hat sich Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund dahin gehend geäußert, dass diese Reform längst überfällig sei und insbesondere im Bereich Mitbestimmung ganz große Fortschritte bringen werde. Wer einmal Angehörige selbst gepflegt hat, der weiß, was das für eine Herausforderung ist – emotional, körperlich, mental –, aber auch wie bereichernd diese Tätigkeit sein kann. Wer diese Tätigkeit als Beruf wählt, der wählt den Dienst am Menschen mit all den Herausforderungen, und das verdient erst einmal unseren allerhöchsten Respekt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Eine neue Struktur der Pflegeausbildung ist deswegen vor allem eine Sache von Wertschätzung, von Gerechtigkeit und von Weitsicht – (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nur Worthülsen!) Wertschätzung dafür, was diese Männer und Frauen jeden Tag leisten, Gerechtigkeit, weil wir vor allen Dingen die Altenpflege deutlich aufwerten, und Weitsicht, weil wir die Pflege attraktiver machen müssen. Denn wir wissen: Nachwuchs wird schon heute dringend gesucht, und wir müssen sicherstellen, dass die pflegebedürftigen Menschen auch in Zukunft alle Unterstützung bekommen, die sie brauchen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Wir brauchen eine generalistische Pflegeausbildung, weil immer mehr ältere Menschen im Krankenhaus liegen, die mehr pflegerische Zuwendung brauchen als jüngere, weil in den Pflegeheimen eine steigende Anzahl von Menschen lebt, die auch Krankenpflege brauchen, und weil in der wichtigen ambulanten Pflege Akutpflege und Langzeitpflege beherrscht werden müssen, weswegen diese Bereiche nicht getrennt werden können. Was ist hieran nun das Neue? Wir reagieren darauf, indem wir Krankenpflege und Altenpflege einander annähern, indem Pflegekräfte eine moderne, generalistische Ausbildung erhalten, die EU-weit anerkannt ist. Deren Abschluss eröffnet sogar noch die Möglichkeit zum Pflegestudium, das heißt, wir schaffen auch mehr Aufstiegschancen in der Pflege. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Außerdem wird es eine Differenzierung im dritten Ausbildungsjahr geben. Ich gebe zu: Das ist nicht die von mir favorisierte Lösung gewesen. Wir haben aber gehört, dass es nach sechs Jahren eine Evaluierung geben wird, und wir werden sehen, ob sich dann Änderungsbedarf zeigt. Einen Punkt, der mir besonders wichtig ist, möchte ich noch ansprechen: Es gibt nur wenige Berufe, in denen man zur Ausbildung noch Geld mitbringen muss und keine Ausbildungsvergütung erhält. Interessanterweise sind das meistens Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig sind. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr als Männer!) Ich halte es für einen riesigen Erfolg, dass wir die Ausbildungsfinanzierung neu regeln, das Schulgeld abschaffen und einen Ausbildungsfonds einrichten, der eine sichere Finanzierungsgrundlage bietet. Alle Auszubildenden werden eine angemessene Vergütung erhalten. Der Fonds ist nicht gedeckelt, das heißt, es wird jeder Bedarf gedeckt werden, es wird keine Platzbegrenzung geben. Eine solche moderne Pflegeausbildung, sehr geehrte Damen und Herren, ist eine Frage von Wertschätzung, von Gerechtigkeit und von Weitsicht. Wir brauchen gut ausgebildete, motivierte, engagierte Menschen in den sozialen Berufen, die sich um andere Menschen kümmern, die das – gerade in der Pflege – auch ein Stück weit als Berufung empfinden, damit unser Land für alle lebens- und liebenswert bleibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bedanke mich sehr, insbesondere – das vielleicht zuletzt, da ich noch ein paar Sekunden Redezeit habe – für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit. Das kann ich zwar jetzt nicht aus eigener Anschauung sagen, weil der Großteil des Prozesses unter meiner Vorgängerin Manuela Schwesig abgelaufen ist, aber das gesamte Haus hat mir versichert, dass es ein ausgesprochen produktives Zusammenwirken gab. An dieser Stelle dafür herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die zuletzt vorgetragene Vermutung kann der gleich folgende Bundesminister für Gesundheit ja möglicherweise bestätigen. Vorher hat aber die Kollegin Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach etwa einem Jahr Stillstand stolpert diese Koalition heute auf den letzten Metern in die Reform der Pflegeausbildung, (Maria Michalk [CDU/CSU]: Stillstand? – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist die Zielgerade, nicht stolpern! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schlussspurt!) über die mit äußerst harten Bandagen gestritten wurde und eigentlich auch immer noch wird. Es geht nicht um irgendetwas, es geht um die grundlegende Veränderung dreier Berufsbilder. Sie betrifft Millionen von Menschen: Pflegebedürftige, Patientinnen und Patienten zu Hause, in Pflegeheimen, in Krankenhäusern. Sie betrifft natürlich auch die Pflegekräfte von morgen, nämlich die zukünftigen Auszubildenden. Ich frage Sie: Hält dieser Gesetzentwurf insgesamt das, wofür er angetreten ist, (Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja!) was Sie uns versprechen? Wird er die Pflegeberufe attraktiver machen, und wird er die Pflegeberufe aufwerten? (Mechthild Rawert [SPD]: Ja!) Wird dieser Gesetzentwurf mehr Menschen für die professionelle Pflege gewinnen? (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja!) Wir Grünen sagen dazu ganz klar Nein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das haben sie auch schon einmal differenzierter gemacht!) Um die Ziele – Attraktivität und Aufwertung – zu erreichen, muss die Reform ein klares Berufsbild vermitteln und ein verlässliches Umsetzungskonzept liefern. Von beidem sind wir ganz weit entfernt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben viel Unsicherheit sowie viele Fragen, die uns von der Koalition und der Bundesregierung niemand eindeutig und schlüssig beantworten konnte und auch nicht kann. An drei Beispielen möchte ich das gerne deutlich machen. Erstens. Wir brauchen eine neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Diese Verordnung ist quasi der Ausbildungslehrplan. Darin steht, was die Schulen den Pflegeazubis beibringen sollen. Diese Verordnung liegt uns noch nicht vor. Wir beschließen also heute ein Gesetz, dessen Inhalt wir eigentlich nicht kennen. Bei so einer umstrittenen Reform sollten jedoch alle von Anfang an ganz genau wissen, was auf sie zukommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Herr Nüßlein, Sie haben die Wahlfreiheit angesprochen. Dieses Gesetz wirbt mit einer Wahlfreiheit. Konkret bietet es aber nur eine Scheinwahl. Azubis, die sich für einen Abschluss in der Alten- oder in der Kinderkrankenpflege entscheiden, können nach zwei Jahren in die generalistische Ausbildung wechseln. Diese Wahlfreiheit funktioniert. Azubis aber, die sich für die Generalistik entschieden haben, haben keine Wahl. Sie können nach zwei Jahren nicht in die Alten- oder Kinderkrankenpflege wechseln. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie können wählen! Sie können am Anfang wählen!) Ich frage Sie: Was ist das für eine Wahlfreiheit, die nicht allen Azubis zusteht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist falsch!) Es kann doch gut möglich sein, dass jemand nach zwei Jahren lieber in die Alten- oder in die Kinderkrankenpflege wechseln möchte. Fehlanzeige, für diejenigen lässt das Gesetz im Moment nichts anderes zu. Es ist richtig und wichtig, dass wir Ende 2025 eine Evaluierung vorsehen und schauen, wie viel Prozent der Azubis sich für die spezialisierte Ausbildung der Alten- und Kinderkrankenpflege entschieden haben. Meine Damen und Herren, aber diese blanken Zahlen dürfen nicht das Entscheidungskriterium für oder gegen die Zukunft eines Berufsbildes sein. Es muss die Qualität eine Rolle spielen, und es muss geschaut werden, welche Qualitäten die zukünftigen Pflegekräfte mitbringen. Es kann sein, dass die Mehrheit der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen im Jahr 2025 zurückmeldet, dass die generalistisch ausgebildeten Kräfte nicht qualifiziert genug sind und die spezialisierten Kräfte viel besser sind. Hier brauchen wir eine ehrliche Analyse. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja, macht der Bundestag immer!) Drittens. Bei der praktischen Umsetzung ist noch ganz vieles offen. Im Rahmen der zweijährigen generalistischen Grundausbildung müssen alle Azubis praktische Einsätze in allen Bereichen absolvieren. Das ist sehr ambitioniert. Grundsätzlich wird es schwierig, ausreichend Praxisplätze in der Pädiatrie zu finden. Es steht immer noch im Raum, dass auch Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen geeignete Praxisorte sein sollen. Das ist und bleibt für die Pflegeausbildung einfach absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So schön Sie das auch reden, es drohen einige Schwierigkeiten in der Umsetzung. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, angesichts dieser Probleme wäre es notwendig gewesen, zu diesem Kompromiss die Fachleute aus der Wissenschaft und von den Fachverbänden noch einmal anzuhören. Aber dem haben Sie sich kategorisch verweigert. Die Probleme bleiben trotzdem ungeklärt. Das ist unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Auswirkungen dieser Reform werden uns noch sehr lange beschäftigen. Sie produzieren hier die eierlegende Wollmilchsau, ein Fabelwesen, das alles können soll, und das auf einen Schlag. Alles, woran es in der Pflege hakt, soll auf einmal vom Tisch sein. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Eine Reform der Pflegeausbildung ist nicht das Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel, gegen schlechte Bezahlung, gegen den Pflegekräftefrust. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist wahr! Das hat ja auch niemand gesagt! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Haben wir das je behauptet, Frau Kollegin?) – So wurde das immer kolportiert. – Eine Pflegeberufereform macht noch keine Attraktivitätssteigerung des Berufes aus. Gerade der Fachkräftemangel ist doch der Dreh- und Angelpunkt, und hier brauchen wir eigene Maßnahmen. Das haben Sie in dieser Wahlperiode nicht wirklich und ehrlich angepackt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In unserem Antrag „Eine Lobby für die Pflege“, über den heute ebenfalls hier abgestimmt wird, haben wir einige notwendige Maßnahmen genannt. Da geht es um die schnellstmögliche Einführung eines Personalbemessungsinstruments in der Altenpflege und im Krankenhaus. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Da geht es um die Unterstützung familienfreundlicher, mitarbeiterorientierter Arbeitsbedingungen. Da geht es um die Unterstützung angemessener Gehälter in der Pflege, zum Beispiel durch einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag „Soziales“. Es geht um die Stärkung der professionellen Pflege in den Gremien und in der Selbstverwaltung. Es geht um eine nachhaltige und eine gerechte Finanzierung der Pflege durch eine Bürgerversicherung. – All das sind unerledigte Aufgaben. So bleibt am Ende die bittere Erkenntnis: Die Pflegekräfte warten noch immer auf Hilfe, und es bleibt sehr viel zu tun – für Sie. Denn das hier ist heute meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. Ich habe mich entschieden, nicht ein weiteres Mal zu kandidieren. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist wirklich schade!) Ich war hier zwölf Jahre Mitglied – drei Legislaturen, in denen sehr viel passiert ist, und das meine ich nicht nur politisch. Diese zwölf Jahre waren auch für mich persönlich sehr wichtige Jahre, und ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt – über Politik, über Strategie, über menschliche Abgründe, über persönliche Grenzen und auch über Grenzüberschreitungen, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So schlimm bei den Grünen?) aber auch viel über Toleranz, über Verständnis und auch über Empathie. Ich habe selbst manchmal umparken müssen im Kopf, und dafür bin ich sehr dankbar. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das hat aber gut funktioniert!) Ich muss sagen – auch das gehört zu meinem Umparken im Kopf –: Es gibt in allen Fraktionen wunderbare Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit. Wir alle treten für unsere Parteien und für unsere Fraktionen an, und jeder und jede mit vollster Überzeugung. Es gab viele harte politische Auseinandersetzungen, und wir haben in dieser Legislatur eine Mehrheit, die für mich persönlich und, wie ich glaube, für viele in der Opposition eine echte Herausforderung war und auch noch ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Soll es ja auch sein!) Aber ich akzeptiere das; denn jeder und jede von uns ist demokratisch gewählt und hat hier seinen Platz. Auch dafür bin ich dankbar. Ich bin dankbar dafür, Teil einer funktionierenden Demokratie zu sein. Ich bin dankbar dafür, dass ich hier morgens im Parlament beispielsweise den Gesundheitsminister Gröhe sehr scharf kritisieren kann und trotzdem sicher bin, dass ich mich abends deshalb nicht in irgendeinem Gefängnis wiederfinde. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Ja. Es gibt jedoch viele Länder, die gar nicht weit von uns entfernt sind und in denen das der Alltag und die Realität ist. Wir nehmen das als viel zu selbstverständlich hin. (Beifall im ganzen Hause) Ich bin dankbar dafür. Das muss uns bewusst sein, und dafür müssen wir kämpfen. In den zwölf Jahren war die Pflege mein zentrales politisches Arbeitsfeld. Für mich ist und bleibt die Pflege eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Ich würde mir wünschen, dass Pflege noch viel, viel stärker in den Fokus rücken würde. Das sehen meine pflegepolitischen Kolleginnen und Kollegen Pia Zimmermann, Mechthild Rawert, Erwin Rüddel und auch Erich Irlstorfer sicherlich genauso. Es war und es ist schön, mit euch zu arbeiten, und wir haben alle gemeinsam für eine gute Pflege gekämpft. Danke dafür! Oben auf der Tribüne sitzt auch mein ehemaliger Kollege Willi Zylajew. Ich freue mich, dass wir immer noch über gute Pflege streiten. Wir haben das hier acht Jahre lang gemacht, wir tun das immer noch. Und das zeigt mir: einmal Pflege, immer Pflege. Das Thema lässt uns einfach nicht los. Ich möchte mich bei allen Akteuren bedanken, die mich hier in Gesprächen, in Diskussionen, in Auseinandersetzungen und insbesondere auch mit ihrer Kritik weitergebracht haben. Stellvertretend nenne ich hier natürlich an allererster Stelle die Pflegekräfte und die pflegenden Angehörigen selbst. Da sind die Leistungserbringer in all ihren unterschiedlichen Verbänden: die Berufsverbände, die Gewerkschaften, das Bündnis für gute Pflege und auch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Und ganz besonders – das darf natürlich nicht fehlen; das wissen Sie alle selbst – sind da meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich erwähnen muss; denn ohne unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären wir alle nichts. Mein wunderbares Büro hat immer für meine Arbeitsfähigkeit gesorgt, und es hat mich jahrelang unermüdlich mit enormem Fachwissen und mit unglaublicher Loyalität unterstützt und begleitet. Ganz zum Schluss möchte ich einen ganz großen Dank – wahrscheinlich im Namen von uns allen – den Plenarassistenten und -assistentinnen aussprechen, die für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Ich glaube, sie haben den meisten Applaus verdient. (Beifall) Ich gehe heute mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge. Trotzdem ist es eine gute Entscheidung, auch mal loszulassen. Für mich ist es der richtige Zeitpunkt. Vielen Dank und allen eine gute weitere Zeit. (Beifall) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Frau Scharfenberg, den Dank für die gute Zusammenarbeit und die guten Wünsche gebe ich im Namen des Hauses und auch persönlich gerne zurück. Wenn jetzt noch der Bundesgesundheitsminister anschließend feierlich versichert, dass er gelegentliche Kritik an der Bundesregierung im Allgemeinen und womöglich an seiner Amtsführung nie zum Gegenstand von Strafanzeigen machen oder den Versuch unternehmen würde, Abgeordnete ins Gefängnis zu bringen, (Heiterkeit) dann würde diese Debatte einen zusätzlichen Höhepunkt erreichen. (Heiterkeit und Beifall – Tino Sorge [CDU/CSU]: Dafür gibt es ja die Immunität!) Hermann Gröhe hat das Wort. Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Unser Präsident hat in gewohnt heiterer Weise einen sehr ernsten Hinweis, nämlich dass wir dankbar dafür sein können, uns in Freiheit zu streiten, aufgenommen. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht selbstverständlich, ja!) Ich finde, es sollte immer wieder daran erinnert werden: Wir streiten uns – manches eint uns –, aber das tun wir immer mit der Kraft des Arguments und aufgrund der Mehrheit, mit der uns die Wählerinnen und Wähler ausgestattet haben, und wir brauchen keine Sorge vor Repressalien haben, die in anderen Ländern der Welt notwendige Debatten erst gar nicht möglich machen. (Beifall im ganzen Hause) Im Beitrag der Kollegin Scharfenberg ist eines deutlich geworden: Das Fundament, auf dem wir streiten, ist, dass wir gemeinsam den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Pflegekräften den Rücken stärken wollen. Es ist Aufgabe der Opposition, zu mahnen und zu drängen. Unsere Aufgabe ist es, zu handeln. Ich sage sehr selbstbewusst: In dieser Legislaturperiode ist so viel wie in keiner zuvor für die Pflege getan worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ab 1. Januar dieses Jahres wurde der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff umgesetzt. Endlich gibt es gleichberechtigten Zugang zu allen Leistungen der Pflegeversicherung auch für demenziell Erkrankte. Zehn Jahre lang wurde darüber gestritten. Noch in dieser Legislaturperiode hat die Opposition im Zusammenhang mit dem Pflegestärkungsgesetz I behauptet: Das Pflegestärkungsgesetz II wird nie kommen. – Am 1. Januar 2017 ist es Realität geworden. Auch über die Pflegeberufereform diskutieren wir seit zehn Jahren. Deswegen ist es originell, dass mancher pendelt zwischen den Argumenten „zu viel Zeit gelassen“ und „übers Knie gebrochen“. Seit zehn Jahren diskutieren wir über die Frage, ob es nicht angemessen ist – und ich bejahe dies eindeutig –, die Pflegeberufe in einem einheitlichen Berufsbild – bei Vertiefung in speziellen Bereichen in konkreten Tätigkeitsfeldern – zusammenzuführen, weil es die Berufe aufwertet und weil es die Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten unserer Pflegekräfte erhöht. Darin weiß ich mich von vielen aus der Pflegebranche unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Crone [SPD]) Die Kollegin von der Linken spricht von einem Koalitionsstreit. Sie fordern eine zweite Anhörung. Mit Verlaub: Hätten Sie doch bei der ersten schon zugehört, (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!) dann wüssten Sie, dass es nicht um ein Hakeln in der Koalition geht, sondern dass diese umfassende Ausbildungsreform mit ganz vielen Hoffnungen und auch mit Sorgen verbunden ist, Sorgen zum Beispiel der privaten Arbeitgeber – das haben Sie eindrucksvoll unterstrichen – und Hoffnungen zum Beispiel der Wohlfahrtsverbände, des Pflegetags und des Pflegerats. Jeder artikuliert hier die Sorgen und zitiert die Verbände, denen er sich besonders nahe fühlt. Ich habe beim Pflegetag einen großen Rückenwind, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) übrigens nicht nur in Bezug auf die Generalistik, sondern ausdrücklich auch für den Kompromiss erfahren. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Ich will mit Dank an die Kollegen Nüßlein und Lauterbach auch sagen, dass ich es für richtig halte, dass in dieser Weise nach einem Kompromiss gesucht, ja gerungen wurde, der das Ziel hat, die Hoffnungen wie die Sorgen ernst zu nehmen. Wir wollten nicht rechthaberisch fragen, wer denn nun mit seinen Hoffnungen recht hat, sondern haben gesagt: Die jungen Leute, die eine Ausbildung beginnen, sind Expertinnen und Experten für ihren eigenen Lebensweg. Sie werden – da bitte ich Sie, sich die Regelungen zum Wahlrecht noch einmal anzusehen – beginnen mit einer gemeinsamen Ausbildung und werden dann nach einer Vertiefung in Alten- und Kinderkrankenpflege nach zwei Jahren die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, ob sie den Abschluss in der Kinderkranken- und Altenpflege oder den generalistischen Abschluss mit einem Vertiefungsschwerpunkt wählen. Wir legen dies in die Hand der jungen Leute. Wir werden uns nach einigen Jahren ansehen, wie die Erfahrungen damit sind, dann wird der Bundestag erneut entscheiden. Ich glaube, das ist eine gute Lösung, eine Lösung, die Vertrauen zu denjenigen aufbaut, die wir für einen Pflegeberuf gewinnen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen, meine Herren, ich bin in der Tat davon überzeugt, dass wir die Attraktivität der Berufe umfassend stärken, und zwar nicht nur durch die Generalistik, den erweiterten Einsatz und die Aufstiegsmöglichkeiten. Ich nenne beispielhaft, weil gerade von Wertschätzung für die Pflege die Rede war, § 4, in dem es um vorbehaltene Tätigkeiten geht. Erstmalig entsprechen wir mit diesem Gesetz dem klaren Grundsatz: Pflegen kann nicht jeder. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Es wird klar, dass bestimmte Tätigkeiten nur ausgebildeten Fachkräften vorbehalten sind. Das ist ein deutliches Zeichen der Wertschätzung und steht in dieser Klarheit erstmalig in diesem Gesetz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ein weiterer Punkt. Wir wollen die praktische Ausbildung stärken. Deswegen gibt es erstmalig eine klare Regelung zur Praxisanleitung. Das heißt, der Auszubildende wird eben nicht allein in der Arbeit eingesetzt und soll sich dort bewähren, sondern er erhält durch Fachkräfte eine Praxisanleitung. Das ist ein großer Fortschritt hin zu einer besseren Berufsausbildung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist ein Aberwitz – das ist schon angesprochen worden –, dass wir uns angesichts des Mangels von Arbeitskräften in der Altenpflege in einigen Bundesländern noch Schulgeld leisten. Das gehört dann endlich der Vergangenheit an. Das ist ein wichtiger Schritt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage sehr deutlich: Die Debatte muss weitergehen. Wir haben im Gesundheitswesen auch andere Mangelberufe; ich denke an Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Absolut!) Wir haben gestern im Rahmen der Gesundheitsministerkonferenz mit den Ländern darüber gesprochen. Es bleibt wahrlich genug Arbeit zu tun. Wie gesagt: In Mangelberufen des Gesundheitswesens sollte Schulgeld endlich der Vergangenheit angehören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schließlich ergänzen wir die starke Berufsausbildung, die wir mit diesem Gesetz schaffen, um eine aus der Pilotphase in den Regelbetrieb überführte hochschulische Pflegeausbildung, die an die Seite der Berufsausbildung tritt und deren Ziel es ist, die Erkenntnisse der Pflegewissenschaften in den Pflegealltag hineinzutragen und so zu einer guten Verbindung nicht zuletzt für hochkomplexe Pflegebedarfe, für Leitungsaufgaben etc. zu kommen. Auch das ist ein starkes Signal, dass wir in der Pflege die Berufs- und Betätigungsfelder deutlich ausweiten. Meine Damen, meine Herren, wir haben natürlich nie behauptet – Kollegin Scharfenberg, da muss ich Ihnen widersprechen –: Das ist der eine Weg, der den Fachkräftemangel behebt. – Aber – erstens – haben wir heute einen Ausbildungsrekord in der Alten- und Krankenpflege. Das ist eine gute Nachricht. Das zeigt, wie viel Solidarität in dieser Gesellschaft steckt, wie viele Menschen in diesem Bereich tätig werden wollen. Zweitens ist diese Ausbildungsreform eingebettet in eine umfassende Politik: Wir haben in dieser Legislaturperiode die Zahlung von Tariflöhnen gestärkt; zusätzliche Betreuungskräfte werden eingesetzt; am 1. Januar dieses Jahres wurden in elf Bundesländern bessere Personalschlüssel eingeführt; wir bringen Personalbemessungsverfahren in Kranken- und Altenpflege und Mindestpersonalvorgaben auf den Weg. Im nächsten Jahr soll die Einigung in der Krankenpflege erfolgt sein. Die Schlüsselverbesserungen in der Altenpflege sind zum Jahresbeginn in Kraft getreten. Also: Dieses Konzept ist ein Baustein, eingebettet in eine Politik, die sich fest dem Ziel verschrieben hat, die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte in unserem Land nachdrücklich zu stärken. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu diesem guten Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Harald Weinberg erhält nun für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jetzt ist wieder ein Redner der Opposition am Zuge, insofern wird es natürlich wieder etwas kritischer; das ist logisch. Mehr als zehn Jahre Diskussion um eine notwendige Reform der Pflegeausbildung liegen hinter uns. Im Mai 2016 wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt. In der Anhörung, die dann folgte, gab es massive Kritik an diesem Gesetzentwurf; es wurde im Prinzip kein gutes Haar daran gelassen. Die Koalition – das hat man während der Anhörung deutlich gemerkt – hat sich an dieser Stelle auch beharkt. Es gab sehr unterschiedliche, fast unvereinbare Positionen, und kurz vor Ende der Wahlperiode haben wir jetzt einen Kompromiss, der uns im Ausschuss in Form von sage und schreibe 46 Änderungsanträgen auf 80 Seiten vorgelegt wurde, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist gut! Eine Sternstunde des Parlaments!) die wir einmal kurz durchgezogen bekommen haben. Gestern ist der Ausschussvorsitzende, der leider heute nicht da ist, wegen seiner Art und Weise, wie er den Ausschuss geführt hat, sehr gelobt worden. Diesem Lob möchte ich mich erst einmal ausdrücklich anschließen. Es war wirklich eine sehr gute Arbeit, die Edgar Franke da im Ausschuss gemacht hat. Aber an dieser Stelle, so muss man sagen, war es keine Sternstunde des Ausschusses, an dieser Stelle überhaupt nicht, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese 46 Änderungsanträge auf diese Art und Weise durchzuziehen und uns dann auch noch zu sagen, es habe sich substanziell nichts geändert und deswegen gebe es keine zweite Anhörung. Das war nicht in Ordnung, muss ich ehrlich sagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist klar: In der Politik muss es Kompromisse geben. Öfter wird dann gesagt, wenn alle unzufrieden seien, dann sei der Kompromiss am besten gelungen. Nun, das mag ja zwischen Herrn Irlstorfer und Bettina Müller, die heute leider auch nicht da ist, zwischen Herrn Lauterbach und Herrn Nüßlein stimmen. Aber das Problem hier ist ein ganz anderes: Es lässt die vom Gesetz Betroffenen ratlos und entsetzt zurück. Da gibt es eine gehörige und auch nachvollziehbare Angst, dass diese Verschlimmbesserung, die wir jetzt in Gestalt dieses Kompromisses haben, in der Umsetzung enorme Probleme bereiten wird. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Etliche Einrichtungen der Pflegeausbildung fürchten zu Recht, dass sie dabei auf der Strecke bleiben könnten. Alleine die Organisation der Praxisphasen überfordert vor allen Dingen kleinere Ausbildungseinrichtungen in einer ganz besonderen Art und Weise, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das können Sie doch gar nicht wissen!) und das ist nicht in Ordnung. Nahezu unvereinbare Ausgangspositionen sind zu einem schlechten Kompromiss zusammengeschustert worden; das muss man sagen. Dabei hätte mit unserem Antrag ein Konzept einer integrierten Ausbildung vorgelegen, deren nähere Betrachtung und Einbeziehung wirklich sinnvoll gewesen wären. Das haben Sie allerdings leider nicht gemacht. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das Konzept wollten wir ja auch nicht!) Ich will allerdings noch deutlich sagen: Es gibt natürlich auch ein paar Punkte, die ich für positiv halte und herausstellen möchte: Das Wegfallen des Schulgeldes ist schon genannt worden. Die Möglichkeit der Interessensvertretung, über die Mitbestimmung auf die Ausbildung Einfluss zu nehmen, ist ein weiterer positiver Punkt. Auch die Ausbildungsumlage und den Fonds will ich als positiven Punkt benennen. Aber: Manchmal ist ein Kompromiss schlechter als der bestehende schlechte Zustand. Das ist hier eindeutig der Fall. Viele Verbände – damit meine ich jetzt nicht in erster Linie die Arbeitgeberverbände, vielmehr andere – sagen: Lieber kein Gesetz in dieser Wahlperiode als ein solches Gesetz. – Das ist die Aussage einiger betroffener Verbände. Sie werden leider nicht gehört werden. Sie werden das jetzt durchziehen, Sie werden das jetzt mit Ihrer Mehrheit verabschieden. Unsere Stimmen werden Sie dazu auf jeden Fall nicht bekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Karl Lauterbach ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich noch einmal auf die Probleme zu sprechen kommen, die dieses Gesetz lösen wird, wenn sie auch nicht komplett gelöst werden; aber wichtige Beiträge zu einer Lösung werden geliefert. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland zu den letzten Ländern in Europa gehört, in denen es die geteilte Ausbildung noch gibt. Sie ist medizinisch nicht mehr sinnvoll, weil wir mittlerweile in der Krankenhaus- und der Krankenversorgung zunehmend geriatrische und palliativ zu versorgende Patienten haben, die auch pflegerisch betreut werden müssen. Wir haben in den Pflegeeinrichtungen zahlreiche Patienten, die auch akut krank sind, die an Diabetes leiden, die psychiatrische Erkrankungen haben, die dement sind; auch die Demenz ist eine Erkrankung. Das heißt, hier werden medizinische Kenntnisse in der Zukunft viel wichtiger werden. Ferner haben wir schon bei Kindern Pflegebedürftigkeit, so bei Kindern, die mit Stoffwechselstörungen geboren werden und dann nach vier oder fünf Jahren pflegebedürftig werden. Zusätzlich haben sie auch die Krankheiten, die Erwachsene entwickeln. Der Altersdiabetes bei Kindern ist zum Beispiel keine Seltenheit mehr, und auch Suchterkrankungen, die wir in der Vergangenheit nur bei Erwachsenen gesehen haben, bekommen schon Kinder. Damit ist klar: Die Bedarfe überschneiden sich immer mehr. Die Ausbildung muss daher ganzheitlich sein. Ich gebe zu, dass es richtig gewesen wäre, wenn wir die Verordnung für die Lehrinhalte schon fertig gehabt hätten; das ist ganz klar. Aber wir müssen hier auf die Fachverbände vertrauen, die das vorbereiten. Ich stehe mit einigen dieser Verbände in engem Kontakt. Ich bin mir sicher, dass das Wichtigste die gemeinsame Ausbildung ist. Auf dem Weg zur gemeinsamen Ausbildung wird heute der wichtigste Schritt seit zehn Jahren unternommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heute ist es die Ausnahme, dass jemand, der eine Ausbildung beginnt, weiß, was er in den nächsten 30, 40 Jahren in einem Beruf machen will. Bei einer Ausbildung im Bereich Pflege ist das derzeit aber notwendig: Wenn ich eine Ausbildung im Bereich Kinderpflege absolviere, bin ich festgelegt auf die Kinderpflege, und wenn ich eine Ausbildung im Bereich Altenpflege absolviere, kann ich nicht in der Krankenpflege arbeiten. Das ist nicht zeitgemäß. Durch diese Regelung verlieren wir Zahlreiche, die eigentlich weiter in dem Beruf arbeiten wollen, aber nicht in der Sparte, in der sie ausgebildet wurden. Mit diesem Gesetz haben sie die Möglichkeit, in jedem Bereich der Pflege zu arbeiten. Das ist erstens eine Erweiterung des Spektrums und bietet zweitens bessere Möglichkeiten, eine neue Arbeit zu finden, wenn man sich räumlich verändert, wenn man einfach eine andere Tätigkeit ausüben oder das Gelernte in einem anderen Bereich anwenden möchte. Das ist eine wesentliche Flexibilisierung der Berufsausbildung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) In den nächsten Jahren haben wir jedes Jahr mit mindestens 50 000 zusätzlichen Pflegebedürftigen zu rechnen, netto. Das entspricht einer halben Million in zehn Jahren, und das ist eine ganz konservative Berechnung. Daher muss der Beruf attraktiver werden. Der Beruf wird aber nur attraktiver werden, wenn er auch besser bezahlt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Beruf des Altenpflegers zählt zu den zehn Berufen, die am schlechtesten bezahlt werden. (Mechthild Rawert [SPD]: Eine Schande! – Gegenruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) – Das ist eine Schande. – Das ist ein hochqualifizierter Beruf, der zu schlecht bezahlt wird. Die Angleichung der Ausbildung wird langfristig auch zu einer Angleichung der Tarife führen. Frau Zimmermann, es hat mich überrascht, dass Sie sich hier ausgerechnet auf den Arbeitgeberverband Pflege beziehen. Er hat doch über Jahre hinweg diese Reform nur bekämpft, damit die Altenpflege nicht zu teuer wird. Das war doch der Grund. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist richtig, dass wir die Personalbemessung eingeführt haben. Wir haben sie im Bereich der Krankenpflege eingeführt, für alle personalintensiven Bereiche. Wir haben das nicht, wie Sie gesagt haben, ab dem Jahr 2020 vorgesehen, sondern ab dem Jahr 2018. Wir haben das ebenfalls für den Bereich der Altenpflege vorgesehen. Somit haben wir dann die entsprechenden Tarife und Personalbemessungen in fast allen bedeutsamen Bereichen der Pflege, einschließlich der Intensivpflege. Das sind doch wichtige Schritte nach vorne. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben den Pflegebedürftigkeitsbegriff geändert. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber Sie stellen das Personal dafür nicht ein, um das umzusetzen! Das sind doch alles nur Worthülsen!) Dadurch wird in den Vordergrund gerückt, was der Einzelne noch kann. Auch daran haben wir zehn Jahre gearbeitet. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso seid ihr nicht in der Lage, jetzt eine Verordnung vorzulegen, nach zehn Jahren?) Es kann doch nicht abgestritten werden, dass dies, in der Summe betrachtet – mit Mehrausgaben für die Pflege von insgesamt 6 Milliarden Euro pro Jahr; das sind 25 Prozent Mehrausgaben in einem Bereich der sozialen Sicherung in einer Legislaturperiode –, eine sehr gute Legislaturperiode für die Pflege – damit meine ich insbesondere die Pflegebedürftigen – gewesen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zum Abschluss. Auch ich will danken. Ich möchte mich bei Herrn Gröhe bedanken für die sehr gute Zusammenarbeit. Herr Kollege Nüßlein, ich mache das kürzer, um Ihnen nicht zu schaden, um uns beiden nicht zu schaden. (Heiterkeit des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Ich möchte mich aber auch ausdrücklich bei unserer Arbeitsgruppe bedanken. Wir haben einige Drehungen und Wendungen vornehmen müssen. Der Prozess war zum Teil, ich sage mal: spitzenlastig. Aber jetzt haben alle mitgezogen, und wir haben alle gemeinsam ein gutes Ergebnis gefunden. Auch dafür möchte ich ausdrücklich danken. (Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Ich wünsche uns eine gute Umsetzung dieser wichtigen Reform. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Da die Redezeit abgelaufen ist, kann ich jetzt keine Zwischenfrage mehr zulassen. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 133 000 Menschen beginnen pro Jahr derzeit eine Ausbildung im Bereich der Krankenpflege, der Altenpflege oder der Kinderkrankenpflege – 133 000 Menschen, die für uns, für unsere Gesundheit bzw. für die Pflege im Alter verantwortlich sind, die uns in schwierigen Phasen des Lebens helfen, die betreuen, pflegen, den Heilungsprozess unterstützen. Wir alle sind darauf angewiesen, dass Menschen sich mit Herz, mit Verstand, mit Sachkenntnis und mit Empathie dieser anspruchsvollen Aufgabe widmen. Wir sind darauf angewiesen, dass sich genügend Menschen für diese Berufe entscheiden. Ja, wir wollen, dass mehr Menschen diese Berufe ergreifen, damit die Situation in den Heimen, bei den Pflegediensten und in den Krankenhäusern besser wird, im Sinne der Beschäftigten und natürlich auch im Sinne der zu Pflegenden. Wir sind darauf angewiesen, dass die Menschen, die in der Pflege arbeiten, eine gute, ja eine optimale Ausbildung erhalten. Dem dient dieser Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe, den wir heute verabschieden werden. Der Gesetzentwurf hat mehrere Ziele: Wir wollen die Ausbildung modernisieren. Alle, die in der Pflege arbeiten, brauchen eine gute Ausbildung, und zwar eine Ausbildung, die sich auf die geänderten Anforderungen einstellt. Mein Vorredner hat es gesagt: Viele Bewohner in Pflegeheimen sind mehrfach krank und chronisch krank. Das ändert die Anforderungen an unsere Pflegekräfte. Sie brauchen mehr Krankenpflegekompetenz, mehr medizinische Kompetenz. Umgekehrt ist es so, dass in den Krankenhäusern sehr viele alte und an Demenz erkrankte Menschen sind. In den Krankenhäusern gibt es also einen höheren Pflegebedarf. Die Krankenpfleger müssen daher mehr Fähigkeiten im Bereich der Altenpflege erhalten. Deshalb legen wir heute eine Reform vor, die in den ersten zwei Jahren eine gemeinsame Ausbildung vorsieht und auch eine komplett generalistische Ausbildung ermöglicht. Es gab hierzu viele Modellprojekte in unserem Land. Auch in meinem Heimatland, im Saarland, hat man die Generalistik erprobt, und zwar mit sehr, sehr guten Ergebnissen, die teilweise auch sehr überraschend waren. Wir wollen die Ausbildung attraktiver machen. Das gelingt uns durch mehr Durchlässigkeit in den verschiedenen Bereichen. Es ist gesagt worden: Nicht jeder will an dem Arbeitsplatz, an dem er sein Berufsleben begonnen hat, 40, 50 Jahre lang arbeiten. Wir erhöhen durch die generalistische Ausbildung die Durchlässigkeit. (Mechthild Rawert [SPD]: Hart erkämpft!) Wir wollen mehr Möglichkeiten schaffen, in verschiedenen Bereichen zu arbeiten, und wir schaffen das Schulgeld ab. Es ist wirklich verrückt, dass es das in einigen Bundesländern noch gibt. Wir machen die Ausbildung attraktiver und wollen so für mehr Nachwuchs sorgen, wodurch auch der Pflegemangel in den Einrichtungen beseitigt werden soll. Wir wollen die Finanzierung der Ausbildung auf sichere Beine stellen und sie vor allem zukunftsfest machen. Was uns besonders wichtig ist: Wir wollen die Wahlfreiheit erhalten. In den Verhandlungen war immer ein großes Thema – auch das ist zur Sprache gekommen –, wie wir das schaffen können. Wie ist es mit denjenigen, die eigentlich nur in der Kinderkrankenpflege arbeiten wollen, und wie ist es mit denen, die in der Altenpflege arbeiten und gerne nur in diesem Bereich arbeiten wollen? Mit dem Gesetz, den Reformen und dem Kompromiss, den wir heute vorlegen, gewährleisten wir, dass alle interessierten jungen Menschen eine generalistische Ausbildung machen können, dass sie aber auch die Möglichkeit haben, nur Kinderkrankenpfleger oder nur Altenpfleger zu werden. Damit geben wir die Entscheidungsfreiheit in die Hände der jungen Menschen. Sie entscheiden selbst, wohin ihr Weg geht. Nach sechs Jahren werden wir eine Evaluation vornehmen. Das, finde ich, ist eine sehr praxistaugliche Lösung und ein guter Kompromiss, den wir gemeinsam gefunden haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Es wird doch gar nicht evaluiert! Es wird doch nur gezählt, wer was macht!) Als Unionsfraktion war uns wichtig, dass wir möglichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, im Bereich der Pflege zu arbeiten. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir die Möglichkeit schaffen, nach zwei Jahren mit einem Abschluss, nämlich dem Pflegeassistenzabschluss, die Ausbildung zu beenden. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist falsch! – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, da seid ihr euch wohl noch nicht ganz einig! Interessant!) Dafür brauchen wir die Länder; das ist völlig klar. Wir wollen, dass auch diejenigen, die vielleicht keine generalistische Ausbildung machen wollen, die Möglichkeit haben, einen Abschluss zu erlangen. Deshalb schaffen wir eine möglichst große Wahlfreiheit. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie sich Ihr Paket lieber noch mal durch! Wir scheinen es besser zu kennen als Sie! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen hilft! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ruhe, jetzt!) Wir geben allen jungen Menschen, die in der Pflege arbeiten wollen, die Chance, dies zu tun; dafür haben wir viel verhandelt und sind viele Kompromisse eingegangen. Wir wollen die Ausbildung zukunftsfest machen. Es ist schon gesagt worden: Wir werden mit diesem Gesetzentwurf nicht alle Probleme lösen. Aber mit ihm und den vielen anderen Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legislaturperiode verabschiedet haben, haben wir in der Pflege Meilensteine gesetzt. Es liegt noch Arbeit vor uns, und wir haben noch viel zu tun. Aber dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Baustein. Deshalb danke ich allen, die dazu beigetragen haben, dass wir zu einem Ergebnis gekommen sind. Ich bin mir sicher, dass wir die Situation an vielen Stellen verbessern werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich möchte als Erstes diejenigen begrüßen, die die Pflege sind, die Vertreterinnen und Vertreter von Berufsverbänden, Gewerkschaften und Pflegekammern. Seien Sie willkommen! Nehmen Sie teil! Gestalten Sie mit! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich stehe hier stellvertretend für meine Kollegin Bettina Müller, die heute nicht da sein kann. Ich möchte ihr ganz herzlich für ihren Einsatz danken, den sie zur Durchsetzung unserer Vorstellungen und während der nicht ganz komplikationslosen Debatten in diesem Kontext geleistet hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich danke an dieser Stelle auch Petra Crone ganz besonders; aber sie spricht ja gleich noch. Frau Schön, wir wollen die Generalistik, damit niemand mehr sagen kann, es gehe nur um die Kolleginnen und Kollegen in der Altenpflege oder nur um diejenigen, die in der Kinderkrankenpflege tätig sind. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Berufspolitik! Sage ich doch!) Wir wollen das abschaffen. Dieses „nur“ ist genau das, was Pflegefachkräfte nicht brauchen. (Beifall bei der SPD) Sie brauchen eine Aufwertung ihrer Berufe und keine Dequalifizierung, wie Sie es vorhin mit diesem „nur“ in Ihren Ausführungen dargestellt haben. Lesen Sie das im Protokoll nach! (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Opposition sitzt auf der anderen Seite, Frau Kollegin!) Richtigstellen möchte ich auch – der Begriff „Zwischenprüfung“ ist irritierend; es erfolgt eine Wissensabfrage –: Durch dieses Bundesgesetz wird es keinen Ausbildungsabschluss nach zwei Jahren geben. Wir halten daran fest: Fachkraft ist mensch in Deutschland nach einer dreijährigen Ausbildung. Daran wird nicht gerüttelt, schon gar nicht in der Pflege. (Beifall bei der SPD) Wir wollen die Generalistik aus verschiedenen Gründen; einige sind schon erwähnt worden. Wir wollen sie aufgrund der zusammenwachsenden Pflegesettings, mit anderen Worten: für eine bessere Versorgungssicherheit. Wir wollen sie auch, damit wissenschaftlich fundierte Qualitäts- und Kompetenzzuwächse, die ja in der Wissenschaft Pflege zu verzeichnen sind, tatsächlich in der Pflege ankommen. Uns geht es aber auch um die professionell Pflegenden selbst. Es geht um ihre Höherstellung, um Wertschätzung und um eine andere Rolle in einem häufig hierarchischen Gefüge im Bereich der Gesundheit und Pflege. Wir wollen in der Pflege Augenhöhe für die Pflegenden erreichen; das haben sie und auch wir, die Patientinnen und Patienten und Pflegebedürftigen, verdient. (Beifall bei der SPD) Deswegen haben wir die Vorbehaltsaufgaben klar benannt und die hochschulische Pflegeausbildung etabliert. Wir wollen die Generalistik auch, damit die Pflegefachkräfte berufliche Chancen für einen breiteren Einsatz ihrer Kompetenzen haben, und zwar von der Prävention bis hin zur Palliative Care. Dafür brauchen wir eine generalistische Ausbildung. (Beifall bei der SPD) Und ja – ich liebe es, auf den schnöden Mammon zu sprechen zu kommen –, auch Frauen bezahlen ihre Wohnungen nicht allein von Luft und Liebe. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen in diesen Bereich investieren. Wir sind die Einzigen, die hier investieren und wirklich eine Gleichstellung dieser Berufe erreichen wollen. Katarina Barley hat schon darauf hingewiesen – und der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung macht es auch –: Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen in diesem Sektor. Wir brauchen eine Aufwertung der Berufe, und wir brauchen mehr Geld für diejenigen, die für uns und unsere Gesundheit arbeiten. Danke an die Pflegenden! Wir diskutieren diese Fragen mit Sicherheit weiter. Lassen Sie uns nicht im Stich! Ich freue mich schon auf die kritischen Auseinandersetzungen und darauf, wie es weitergeht. Hauptsache, Sie sprechen mit einer Stimme und bleiben an unserer Seite! Danke. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Erich Irlstorfer hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben debattiert, diskutiert, gestritten und uns wieder versöhnt. Heute bringen wir ein Gesetz auf den Weg, das richtig, gut und ordentlich ist. Selten prallten die Überzeugungen in der gesundheits- und pflegepolitischen Debatte so stark aufeinander wie in diesem Gesetzgebungsverfahren. Aber es ist mir wichtig, zu unterstreichen, dass diese Diskussion in jeder Phase immer mit hoher Fachlichkeit geführt wurde. Sowohl die Befürworter einer spezialisierten Ausbildung als auch die Verfechter der vollständigen Generalistik hatten gute Argumente für ihre jeweilige Position. Was sich zu Anfang als klarer Weg angebahnt hatte, stellte sich im Verlauf der Debatte, vor allem im Austausch mit den Betroffenen, den Akteuren der Szene, als schwieriger und komplexer dar, als ursprünglich angenommen. Spätestens nach der öffentlichen Anhörung im vergangenen Frühjahr war uns Abgeordneten der Union klar, dass wir noch einen deutlichen Änderungsbedarf an dem Gesetz hatten. Klar war allerdings für alle Akteure, dass die Pflege in Deutschland eine neue Ausrichtung benötigt. Wir dürfen niemanden, keine einzige helfende Hand, egal mit welchem Schulabschluss und mit welcher schulischen Ausbildung, abweisen. Das war uns wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Genau!) Eine gute Pflegepolitik ist und wird auch künftig eine tragende Säule der Sozialpolitik in unserem Land sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, umso erfreulicher ist es, dass die Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU und SPD nun den Kompromissvorschlag, den die Union eingebracht hat, umsetzen. Bundesminister Gröhe, Karl Lauterbach, Georg Nüßlein und alle meine Vorredner haben die neuen Regelungen für die Pflegeausbildung bereits erläutert. Die abgeänderte Fassung des Gesetzes berücksichtigt auch die kritischen Stimmen. Es ist mir wichtig, das festzuhalten. Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, was wir in unseren pflegepolitischen Debatten stets betont haben und uns als Union besonders am Herzen liegt: Der Zugang für Haupt- und Mittelschüler zur Pflegeausbildung wird erhalten bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD]) Das ist ein Signal für den Ausbildungsmarkt und die Jugendlichen in unserem Land. Die duale Ausbildung hat Zukunft. Akademisierung und duale Ausbildung sind auf Augenhöhe. Das ist die Basis für die Wertschätzung in der Pflege, die wir benötigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Schulabschlüsse allein sind nicht ausschlaggebend. In diesem Zusammenhang haben wir erreicht, dass die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung dem nächsten Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung zugeführt wird. Das ist nicht selbstverständlich gewesen, wenn wir auf andere Gesetzgebungsverfahren schauen. Damit haben wir dem Parlament die Chance eingeräumt, ganz genau zu schauen, ob alle Schülerinnen und Schüler die neuen Prüfungsanforderungen bewältigen können. Wir wollen mit diesem Gesetz keinen Bahnhof der Enttäuschten erzeugen. Deshalb gehen wir ins Detail. Deshalb braucht das Haus Zeit, und diese Zeit nehmen wir uns. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist klar, dass wir auch den Einrichtungen, den Trägern und den Schulen Zeit zur Vorbereitung geben müssen. Die neuen Anforderungen in der Praxis umzusetzen, wird nicht einfach. Deswegen hilft es zu diesem Zeitpunkt wenig, wenn die Opposition versucht, ein Gefahrenszenario für die Pflegeschulen heraufzubeschwören. Wir müssen als Politik der betroffenen Szene die Möglichkeit geben, die neue Pflegeausbildung zu etablieren. Sollten wir hier wider Erwarten Schwierigkeiten feststellen oder sollten Komplikationen auftreten, steht es doch dem Gesetzgeber frei – das haben wir selbst in der Hand –, nachzusteuern. Wenn es Schwierigkeiten gibt, werden wir das machen; da bin ich mir sicher. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der ganzen Diskussion ist das Thema Bezahlung immer wieder aufgepoppt. Ich kann nur sagen: Für das Thema Bezahlung sind in erster Linie die Tarifpartner zuständig und nicht die Politik. Das ist richtig so, und das ist gut so. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Na ja!) Zum Schluss möchte ich mich für die Zusammenarbeit bedanken. Wir haben in dieser Legislatur für die Pflege – und somit für die Menschen in Deutschland – viel erreicht. Wir haben sie weiterentwickelt und zukunftsfest gemacht. Dafür bedanke ich mich. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Petra Crone für die SPD. (Beifall bei der SPD) Petra Crone (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Endlich, endlich, nach langem Ringen beschließen wir heute das Gesetz zur Reform der Pflegeausbildung. Nein, es ist nicht die reine Lehre, die ich mir gewünscht hätte. Aber ich freue mich trotzdem, dass wir heute gemeinsam einen ganz großen Schritt gehen. Lange schon haben wir an diesem Gesetzentwurf gearbeitet. Ich erinnere mich, dass schon darüber gesprochen wurde, als die Gesundheitsministerin noch Ulla Schmidt hieß. Eine überwiegend generalistische Ausbildung war und ist unser Ziel, und das haben wir endlich erreicht. Die Verhandlungen waren nicht leicht – das möchte ich nicht verhehlen –, aber ich bin davon überzeugt, dass wir am Ende überzeugen werden und sicherlich die meisten die generalistische Ausbildung wählen werden. Deutschland braucht einen Pflegeberuf, der auf die wahren Bedürfnisse in der Pflege kranker Menschen jeden Alters eingeht. (Beifall bei der SPD) Klar, wir wollen alle mit 100 Jahren kerngesund sterben. Aber das Leben ist leider nicht so. Wer ältere Angehörige oder Freunde mit altersbedingten Handicaps wie etwa Demenz in den Krankenhäusern begleitet hat, weiß von großen Problemen zu sprechen. Diese Menschen werden in Zukunft auf Pflegekräfte treffen, die auch in der Altenpflege ausgebildet sind. Wenn sie dann, früh entlassen, in die stationären Senioreneinrichtungen oder in die ambulante Betreuung zurückkehren, treffen sie dort auf Pflegekräfte, die sich auch in der Krankenpflege bestens auskennen. (Beifall bei der SPD) Andererseits sind wir es den Pflegerinnen und Pflegern unbedingt schuldig, bessere Bedingungen für sie zu schaffen. Das machen wir mit diesem Gesetz. Das Schulgeld wird im ganzen Land abgeschafft; stattdessen gibt es für alle eine Ausbildungsvergütung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Pflegeberuf wird attraktiver, weil es nun viele Einsatz-, Wechsel- und Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Alle, die die generalistische Ausbildung durchlaufen haben, egal mit welchem Schwerpunkt, werden gleich bezahlt. Das kommt besonders denjenigen zugute, die in der Altenpflege arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zudem werden die Pflegeaufgaben in der Zukunft ausschließlich Pflegekräften vorbehalten sein. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nirgendwo!) Ich verhehle nicht: Das Gesetz gefällt nicht allen. Besonders die privaten Pflegeanbieter haben sich immer lautstark gegen eine Ausbildungsreform gewandt. An deren Ende stehen nämlich besser und breiter ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger, und die müssen auch besser bezahlt werden. (Beifall bei der SPD) Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich wundere mich ein bisschen darüber, dass sich gerade die Linken und auch die Grünen auf diese Seite schlagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber die Gruppe der Befürworter ist wesentlich größer – ich schaue an dieser Stelle hoch zur Besuchertribüne –: der Deutsche Pflegerat – der Deutsche Pflegetag hat das deutlich gezeigt –, die Wohlfahrtsverbände, vorneweg die Caritas, die Diakonie, die AWO und viele mehr. Ja, viele haben sogar sehnlichst auf dieses Gesetz gewartet, wie die hervorragende und innovative Fortbildungsakademie für Gesundheitshilfe in Olpe, in meinem Wahlkreis. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!) Sie alle haben erkannt: Wir werden die demografische Entwicklung nicht aufhalten. Jeder und jede weiß um den Mangel an Arbeitskräften in der Pflege, und es brennt besonders in der Altenpflege. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir gut ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger, und wir brauchen auch Pflegeassistenten und akademisch ausgebildete Pflegekräfte. Lassen Sie uns alles dafür tun, die jungen Leute zu unterstützen, die mit Begeisterung den Pflegeberuf wählen, und dazu beitragen, dass es immer mehr werden. Lassen Sie uns alle Register ziehen, dass sie diesen Beruf lieben und dafür brennen, ohne auszubrennen. (Beifall bei der SPD) Deshalb bin ich auch begeistert von der Initiative unserer Arbeitsministerin Andrea Nahles für eine bessere Bezahlung in der Pflege. (Beifall bei der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ich dachte, das ist Sache der Tarifparteien!) Lassen Sie uns zusammen mit den Gewerkschaften dafür kämpfen! Richten Sie in den Ländern Pflegekammern ein! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rheinland-Pfalz ist schon mit gutem Beispiel vorangegangen. Liebe Kollegen und Kolleginnen, auch wenn es über zwei Legislaturperioden hinweg Diskussionen, Gespräche, Verhandlungen und leider auch Stillstand gegeben hat, bin ich alles in allem doch zufrieden. Es ist gut, dass wir heute, kurz vor Ende meiner Zeit als Abgeordnete, ein Gesetz verabschieden, das die Pflege in Deutschland ein ganzes Stück zukunftsfester macht. Ich danke allen Beteiligten, die beharrlich und mit großer Geduld daran gearbeitet haben. Ich danke dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Ministerium für Gesundheit, übrigens auch den Staatssekretärinnen Frau Ferner und Frau Widmann-Mauz für ihre Beharrlichkeit. Ich danke auch den Ländern, die alle mit eingebunden waren, und den Kolleginnen und Kollegen. Letztendlich bedanke ich mich bei dem Präsidenten, dass er mir noch eine Minute für meine letzte Rede geschenkt hat, und ich danke allen dafür, dass sie meiner letzten Rede gelauscht haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Es waren genau anderthalb Minuten, Frau Kollegin Crone, aber es hätten auch noch 10 oder 15 Sekunden mehr sein können bei Ihrer letzten Rede hier im Deutschen Bundestag. (Petra Crone [SPD]: Schade, dass Sie das jetzt erst sagen!) Das ist eine gute Gelegenheit, Ihnen herzlich zu danken für Ihre Arbeit hier im Hause und Ihnen alles Gute für die nächsten Jahre zu wünschen. (Beifall) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe. Hierzu liegt mir eine Erklärung zur Abstimmung der Kollegin Emmi Zeulner vor, die wir wie üblich dem Protokoll beifügen.1 Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12847, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/7823 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer möchte dagegenstimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis, mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposition, dieser Gesetzentwurf angenommen. Unter dem Tagesordnungspunkt 7 b geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12841, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11414 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Antragsteller. Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist die Beschlussempfehlung wiederum mit den Koalitionsstimmen mehrheitlich angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 e auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Umsetzung der Hightech-Strategie – Fortschritt durch Forschung und Innovation Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2017 Drucksache 18/11810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2017 Drucksache 18/11270 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Bundesregierung Drucksache 18/9670 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Programme zur Innovations- und Technologieförderung im Mittelstand in der laufenden Legislaturperiode, insbesondere über die Entwicklung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) für das Jahr 2016 Drucksache 18/12442 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern Drucksachen 18/8711, 18/12776 Nach dem dafür üblichen Schichtwechsel der Beteiligten und Interessierten möchte ich Ihr Einvernehmen zu der Vereinbarung feststellen, dass auch diese Aussprache 60 Minuten dauern soll. – Das ist ganz offenkundig so. Dann verfahren wir auch so. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Kretschmer erhält als Erster das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands ist alle Jahre wieder eine gute Gelegenheit, um zu schauen, wie die Forschungspolitik und die technologische Leistungsfähigkeit sich in unserem Land entwickelt haben. Wenn man diesen Prozess über Jahre verfolgt, dann weiß man, dass es Zeiten gibt, in denen in diesem Bericht kritisch und mahnend aufgezeigt worden ist, wo die Defizite in der Bundesrepublik Deutschland sind, wo wir zurückfallen und wo andere besser und schneller sind als wir. Dann ist es richtig, hier kritisch darüber zu diskutieren, Veränderungen anzumahnen und diese dann auch zu vollziehen. Der EFI-Bericht des Jahres 2017 ist ein anderes Dokument, ein Dokument, in dem deutlich beschrieben wird, wie sich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten zehn Jahren im internationalen Wettbewerb zurückgemeldet hat, wie wir in Forschung und Entwicklung investiert haben und wie wir am Ende eine große Leistungsfähigkeit für unsere Wirtschaftsnation Deutschland zurückgewonnen haben. Das ist ein gutes Signal. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind eben nicht durch Zufall Innovations- und Exportweltmeister geworden, sondern durch eine kluge Politik. Zu Beginn der 2000er-Jahre gab die Bundesrepublik Deutschland, die Wirtschaft und der Staat, ungefähr 50 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Wir haben es geschafft, diesen Betrag innerhalb von zehn Jahren zu verdoppeln. Wir sind jetzt bei ungefähr 90 Milliarden Euro. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Diese 90 Milliarden Euro sind das Resultat einer gemeinsamen Kraftanstrengung; sie beruhen auf unserer gemeinsamen Politik, die die Wirtschaft animiert und Möglichkeiten geschaffen hat. Zum einen wurden wirtschaftliche Möglichkeiten durch Steuerpolitik und andere Maßnahmen sowie durch eine gute Exportpolitik eröffnet, zum anderen waren es Möglichkeiten durch eine Forschungsförderung, die es Unternehmen erleichtert, sich in diesem Bereich zu betätigen und damit etwas Gutes für sich selbst und für die eigenen Mitarbeiter zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Diesen Weg gilt es fortzusetzen; denn das Wichtigste in der Forschungspolitik ist, dass sie nachhaltig ist, kein Strohfeuer, das in einem Jahr auflodert und schon im nächsten Jahr wieder erlischt. Es hat nur Wert, wenn es wirklich über Jahre und Jahrzehnte betrieben wird. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 1998!) Das werden wir in den nächsten Jahren fortsetzen; zumindest ist das unser fester Wille. Man darf Forschungs- und Entwicklungspolitik nicht als Aufgabe eines einzigen Ressorts begreifen; das ist eine Aufgabe der gesamten Bundesrepublik und der gesamten Gesellschaft. Das beginnt schon in den Schulen und mit dem gesellschaftlichen Klima, das wir haben und das entweder offen oder nicht offen für Innovationen ist. Dieses Klima muss sich dann im Wirtschaftsministerium und im Forschungsministerium sowie in anderen Ressorts wiederfinden. Es ist der große Erfolg dieser Bundesregierung, dass sie es geschafft hat, über Ressortgrenzen hinweg Forschung und Entwicklung sowie Innovation zu einem gemeinsamen Schwerpunkt zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Aufgaben in der Zukunft sind klar. Die Projektförderung, die im Bundesministerium für Bildung und Forschung angesiedelt ist, die aber auch im ZIM und bei der Industriellen Gemeinschaftsforschung wichtige Ankerpunkte hat, muss als stabiles Fundament weiterentwickelt werden. Zusätzlich setzen wir uns für die steuerliche Forschungsförderung ein. Wir sind alle miteinander der Meinung, dass dieses Projekt auch in der nächsten Legislaturperiode gelingen wird. Ich halte das für einen ganz wichtigen Beitrag, um international wettbewerbsfähig zu sein. Wir kämpfen für die steuerliche Forschungsförderung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Darüber hinaus gilt es, die wichtigen Instrumente, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wie den Hochschulpakt, auch in den kommenden Jahren zu sichern. Sicherlich bedarf es einer neuen Ausrichtung. Man kann nicht einfach alles weitermachen wie bisher. Die CDU/CSU ist der Meinung, dass wir darüber sprechen müssen, ob im Bereich der dualen Bildung mehr geschehen muss. Ich bin entschieden der Meinung, dass wir die duale Berufsausbildung stärken und das Konzept der „Höheren Beruflichen Bildung“ durchsetzen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – René Röspel [SPD]: Konsens überall!) – Wenn die SPD Konsens andeutet, dann ist das schon einmal die halbe Miete. (René Röspel [SPD]: Habe ich schon früher gesagt!) Trotzdem muss man auch im Bereich der akademischen Bildung gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz und dem Wissenschaftsrat darüber sprechen, dass auch dort Veränderungen notwendig sind. Der Bologna-Prozess ist ein Erfolg, aber er ist in die Jahre gekommen, und es ist Zeit, darüber nachzudenken, ob man ihn neu ausrichten muss. Das muss passieren, wenn wir über die Frage sprechen, wie es mit dem Geld weitergehen soll, wenn der Hochschulpakt ausgelaufen ist. Wesentliche Träger unserer Forschung in Deutschland sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wir waren es, die gemeinsam mit den Ländern zunächst eine Steigerung um 3 Prozent vereinbart haben und dann um 5 Prozent, und wir als Bund haben uns in dieser Legislaturperiode bereit erklärt, den Aufwuchs von 3 Prozent alleine zu tragen, weil wir für Verlässlichkeit stehen. Unser gemeinsames Anliegen muss sein, dass bei dem Pakt für Forschung und Innovation in der kommenden Legislaturperiode wieder eine gemeinsame Finanzierung mit den Ländern erreicht wird, und zwar über das Niveau von 3 Prozent hinaus. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu! Hat ja lang genug gedauert!) Der Vorschlag, mit den Bundesländern einen Digitalpakt zu schließen, ist aus meiner Sicht richtig. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Butter bei die Fische! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn das Geld dafür?) Wir müssen in die digitale Bildung investieren. Es ist ein gutes Ergebnis, dass es dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gelungen ist, mit den Ländern gemeinsame Eckpunkte zu erarbeiten. Das ist die Voraussetzung dafür, dass es in diesem Punkt nach der Bundestagswahl schnell losgehen kann. Der Digitalpakt ist eine wichtige Angelegenheit. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann darf der Bund aber nicht fehlen!) Wir haben heute Morgen an Helmut Kohl erinnert. Ich bin als ehemaliger Ostdeutscher tief beeindruckt von dieser Persönlichkeit und tief bewegt durch das, was seit 1990 in den neuen Bundesländern passiert ist. Die 90er-Jahre waren davon geprägt, dass man investiert hat: in die Infrastruktur, in Krankenhäuser, in Schulen, in Straßen, in das, was in 40 Jahren DDR kaputtgegangen ist. Aber spätestens seit den 2000er-Jahren ist das eigentliche Aufbau-Ost-Ministerium das Bundesministerium für Bildung und Forschung, und zwar deswegen, weil es mit einem ganz intelligenten Forschungs- und Förderkonzept unter dem Namen „Unternehmen Region“ es geschafft hat, Potenziale zu entwickeln und dazu beizutragen, dass wir im Wettbewerb um Exzellenz bestehen können. Wir haben mittlerweile eine solche Exzellenz erreicht, dass beispielsweise beim Digital-Gipfel der Bundesregierung in der vergangenen Woche ICCAS als das Referenzprojekt für den digitalen Operationsraum verwendet wurde. Das zeigt, dass wir in den neuen Ländern erfolgreich gewesen sind. Ich wünsche mir sehr, dass wir in der kommenden Legislaturperiode mit dem Programm „Innovation und Strukturwandel“ diesen Forschungsansatz auf Gesamtdeutschland ausweiten, damit wir auch in Regionen in den alten Bundesländern, die Probleme haben und mit Strukturwandel konfrontiert sind, wie bei der Braunkohle, mit diesen erfolgreichen Konzepten helfen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Ich komme zum Schluss. Uns hat in den letzten Wochen die Reform des Urheberrechts sehr bewegt. Ich will es an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, die Wissenschaftsschranke einzuführen. Die Gespräche darüber sind schwierig, die Interessenlage ist sehr unterschiedlich. Wir wollen diese Wissenschaftsschranke. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch!) Wir arbeiten daran, und wir wollen sie noch in dieser Legislaturperiode beschließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – René Röspel [SPD]: Wir unterschreiben sofort! Dann muss man auf uns zukommen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph Lenkert nun das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste für technologische Leistungsfähigkeit und Forschungsqualität sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. (René Röspel [SPD]: Das stimmt!) Liebe Studenten, Doktorandinnen, Postdocs und Wissenschaftlerinnen und Ingenieure, ohne Sie, ohne Ihre Neugier würde es keine Forschung geben. Regierungen, Politiker, aber eben auch Unternehmen können bestenfalls den Rahmen liefern. Entscheidend für jede Forschung, für den Forschungsstandort sind Sie. Sie sind die Haupttriebkraft des wissenschaftlichen Fortschritts, und dafür sage ich Danke. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei meinen Besuchen in Laboren, Instituten und Hochschulen verstand ich nicht alles, was mir erklärt wurde. Aber immer spürte ich die Leidenschaft der Forschenden. Wenn es um ihre Idee geht, überwinden sie alle Hemmnisse, auch das schlimmste, das kurzgefasst lautet: Das war schon immer so; das haben wir immer schon so gemacht. – Ich selbst arbeitete in der Entwicklung und bewundere, wie es viele von ihnen schaffen, gefühlt rund um die Uhr im Labor zu sein und parallel dazu zu publizieren. Dabei müssen sie auch häufig neue Finanzierungsquellen zur Umsetzung ihrer Ideen finden. Respekt! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sehen und fühlen die Einsatzbereitschaft des Forschungspersonals. Trotzdem macht die Regierung der Wissenschaft das Arbeiten eher schwerer. Warum zwingen Sie Hochschulen in aufwendige Exzellenzbewerbungen und Drittmittelbeschaffungen? (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Absolut richtig!) Warum läuft so viel über befristete Projektfinanzierung? Damit schränken Sie offensichtlich die Forschungsfreiheit ein, weil Sie die Forschung in Bahnen zwängen, für die es extra Gelder gibt. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke steht für die Freiheit der Wissenschaft, für eine Wissenschaft frei von politischen und finanziellen Zwängen. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern für Studentinnen und Studenten, Doktorandinnen und Doktoranden, Postdocs, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Ingenieure stabile, bessere Rahmenbedingungen, damit wir Lösungsvorschläge auf bekannte Probleme wie Klimawandel und die Folgen, Digitalisierung, aber auch wachsende Armut, soziale Ausgrenzung und daraus entstehende Fluchtbewegungen erhalten, damit wir Fragen gestellt bekommen, die unbequem sind, aber unausweichlich auf die Gesellschaft zukommen. Deshalb fordern wir eine höhere Grundfinanzierung für Hochschulen – ja –, und dafür sollten wir den 13 Grundgesetzänderungen der letzten Sitzungswoche eine 14. hinzufügen: Liebe CDUler, ich sage heute einmal nicht „Aufhebung des Kooperationsverbotes“. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es wäre richtig!) Ich fordere, für ein umfassendes Kooperationsgebot für Bildung, Lehre und Forschung in Artikel 91 Grundgesetz Änderungen vorzunehmen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!) Wir fordern längere Vertragslaufzeiten in der Forschung, mehr Dauerstellen in der Wissenschaft, damit sich unser forschender Nachwuchs ohne Existenzangst ganz auf die Forschung konzentrieren kann. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ein Recht auf planbare Perspektiven – beruflich und familiär. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Linke sagt, mit mehr Grundfinanzierung braucht es weniger öffentliche Drittmittelprojekte. Das erspart unserem wissenschaftlichen Nachwuchs und dem erfahrenen Personal das Schreiben von Projektanträgen, stupide Projektabrechnungen und das Zittern vor Auswahlkommissionen – Zeit, die heute für die eigentliche Forschung fehlt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zuletzt noch zwei Punkte, die den Betroffenen und mir sehr am Herzen liegen. Auch Sie erhielten Post von dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Strohschneider. Bitte folgen Sie der Bitte zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz. Wenn Sie den Forderungen der Verlagslobby nachgeben, steigern Sie nur deren Profite und schaden unserem Forschungsstandort, den Studierenden und der Wirtschaft außerhalb des Verlagswesens. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der zweite Punkt betrifft das Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau, IGZ, in Erfurt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit überwältigender Mehrheit haben wir vor wenigen Wochen die Stärkung des Gartenbaus mit seinen 700 000 Beschäftigten hier im Bundestag beschlossen. Da ging es auch um die Sicherung der Forschung für den Gartenbau. Der Freistaat Thüringen und das Thüringer Landwirtschaftsministerium stehen für den Fortbestand des Standortes in Erfurt. Thüringen hat alle Vorbedingungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erfüllt. Liebe Koalition, woran klemmt es denn noch? (Zuruf von der CDU/CSU: Das erzählen Sie jetzt das fünfte Mal!) Den Kolleginnen und Kollegen des IGZ läuft die Zeit davon. Gibt es bis Juli keine belastbare Vereinbarung, müssen die Kündigungen ausgesprochen werden. Selbst wenn der nächste Bundestag dann mit dem Haushalt 2018 die Rettung des Standortes Erfurt beschließen sollte: Es wäre zu spät. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, lassen Sie uns das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zum Handeln treiben, und zwar schnell. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ralph Lenkert. – Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir. – Nächster Redner in der Debatte: René Röspel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) René Röspel (SPD): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Morgen! Lieber Kollege Kretschmer, Sie haben nichts Falsches gesagt, wenn Sie eingeführt haben, dass in den letzten zehn Jahren deutlich mehr für Forschung ausgegeben worden ist. Das ist auch gut so. Aber trotzdem ist es nicht wirklich wissenschaftlich, wenn man eine Frage immer nur auf ein bestimmtes Intervall reduziert. Also: Wenn ich ein Blatt mit ganz vielen roten Punkten vor mir liegen habe, und dabei ist ein schwarzer Punkt, ich den schwarzen Punkt herausschneide und um die Ecke gehe und sage, ich habe gerade ein Blatt mit einem schwarzen Punkt gehabt, dann ist das richtig, aber es ist eben auch nicht ganz richtig, weil dieses Blatt viele rote Punkte gehabt hat. Deswegen ist es wissenschaftlich nicht korrekt, nur einen bestimmten Zeitraum oder ein Intervall herauszunehmen – die Mathematikerin Frau Professor Wanka wird das ja vielleicht gleich auch noch ausführen können –, sondern man muss einen breiteren Zeitraum nehmen. Ich habe das einmal gemacht, habe die letzten 40 Jahre betrachtet. Wer das nachvollziehen will: Ich habe gleich zur Ansicht den Bericht zur Technologischen Leistungsfähigkeit von 1998 für Sie vorliegen – von der damaligen Kohl-Regierung noch gemacht. Da sieht man über die Jahre, wie sich das mit den Investitionen in Forschung und Entwicklung immer als Anteil am Bruttoinlandsprodukt entwickelt. Dabei sieht man ganz gut: In den 80er-Jahren gibt es mehr Investitionen in Forschung und Innovation. – Jetzt ist Herr Riesenhuber weg. Ich hätte ihn gelobt. (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Da ist er! Erste Reihe!) – Oh, Pardon! Wie konnte ich Sie, so ruhig sitzend, übersehen? – Herr Riesenhuber hat eine gute Tradition sozialdemokratischer Forschungsminister übernommen und weiter ausgebaut. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann stellt man fest: 1988 bricht die Kurve ab, also zwei Jahre vor der Wiedervereinigung – nicht dass das als Argument kommt! Es geht runter auf das historische Rekordtief in der Ära Kohl/Rüttgers, nämlich 1996/97, wo so wenig wie nie in den Jahrzehnten vorher in Forschung und Entwicklung investiert worden ist. Dann kommt es wirklich mit der Regierungsübernahme von Rot-Grün. Ab 1999 gehen die staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung nach vielen Jahrzehnten endlich wieder nach oben. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was richtig gut war!) Das haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten gemeinsam in dieser Koalition bzw. mit den Grünen fortgesetzt. Das ist die richtige Betrachtung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hat also weit vor der Zeitrechnung 2005 angefangen. Die SPD, die in den letzten zwei Jahrzehnten 16 Jahre mitregiert hat, hat Deutschland wieder zu einem Standort gemacht, an dem mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird. (Beifall bei der SPD) Wir freuen uns über jeden, der dabei mitmacht. Übrigens gab es vier Jahre, in denen wir nicht an der Regierung beteiligt waren. Sie erinnern sich vielleicht daran, was da passiert ist. Da hat die FDP die Mövenpick-Hotelsteuer durchgesetzt, und es hat einen katastrophalen Wandel in der Energiepolitik gegeben. Die Laufzeiten der Atomkraftwerke sind verlängert worden. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sind Sie bei der falschen Novelle, oder wo sind wir jetzt?) Das kostet den Steuerzahler heute 6 Milliarden Euro, (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: 7!) weil die Brennelementesteuer zurückgezahlt werden muss. Das zahlt leider nicht die Haftpflichtversicherung der Kanzlerin; denn die leistet bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz nicht. Es geht aber nicht nur darum, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, sondern auch darum, Impulse für Forschung und Entwicklung zu setzen. Tatsächlich war es die SPD, die mindestens zwei wesentliche Impulse gesetzt hat. Noch unter der Forschungsministerin Edelgard Bulmahn, in rot-grüner Zeit, ist der Pakt für Forschung und Innovation, den Herr Kretschmer auch gerade erwähnt hat, auf die Gleise gesetzt worden – mit einem großen Erfolg, weil erstmals seit vielen Jahren und Jahrzehnten sich die Forscherinnen und Forscher in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen darauf verlassen konnten, dass sie in jedem Jahr mehr Geld zum Investieren bekommen: erst 3 Prozent, dann 5 Prozent, jetzt 3 Prozent. Das war ein großer Anschub. Das hat Deutschland wieder attraktiv gemacht, weil man wusste: Hier wird Forschung verlässlich finanziert. Ein zweiter wichtiger Impuls war die Exzellenzinitiative – sie war sehr umstritten, auch unter einer sozialdemokratischen Bundesbildungs- und -forschungsministerin auf den Weg gebracht –, die eine ungeheure Dynamik in die deutsche Forschungs- und Hochschullandschaft gebracht und Deutschland wieder zu einem sichtbaren Standort von Wissenschaft und Forschung gemacht hat. Auch das ist ein sozialdemokratischer Erfolg. (Beifall bei der SPD) Darüber, dass es uns 2007 in der Großen Koalition gelungen ist, den Hochschulpakt auf den Weg zu bringen, weil nämlich die Hochschulen dringend Unterstützung brauchten, um mehr in Hochschulstudiengänge investieren zu können, freuen wir uns gemeinsam mit den Kollegen von der Union. Die große Frage wird sein – der EFI-Bericht 2017 bescheinigt uns nämlich, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen ein großes Problem ist –: Wie werden wir diesen Hochschulpakt nach 2020, wenn er nämlich ausläuft, weiter finanzieren? Wir sind der Überzeugung, dass wir die Hochschulen weiter unterstützen müssen, damit mehr Studienplätze, vernünftig ausgestattet, zur Verfügung gestellt werden können. (Beifall bei der SPD) Wir haben auch in dieser Legislaturperiode eine Reihe von Impulsen setzen können – mit den Kollegen von der Union; ich danke Stefan Kaufmann und einigen anderen, die das mitgemacht haben –, zum Beispiel für ein Thema, das sehr viele Menschen ihr Leben lang interessieren wird, nämlich das Thema Arbeit. Das ist nicht nur eine Frage des Geldverdienens; es geht auch darum, dass man in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt sich selbst zu erarbeiten. Das ist auch eine Frage des Selbstwertgefühls. Dabei ist die Frage zu stellen: Wie schaffen wir es denn, in einer veränderten Arbeitswelt – Stichwort „Digitalisierung der Arbeitswelt“ – Arbeit so zu gestalten, dass Menschen möglichst lange zufrieden und gesund arbeiten können? Das ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Es gab das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ in den 70er-Jahren, sozialdemokratisch initiiert. Herr Riesenhuber, vielen Dank; Sie haben es weitergeführt und ausgebaut. Aber auch das ist zum Ende der 90er-Jahre hin reduziert worden. Wie schaffen wir es also, dass Menschen arbeiten können, ohne dabei kaputtzugehen? Das ist eine große Herausforderung. Wir machen jetzt endlich wieder mehr Arbeitsforschung in diesem Land und bauen ein Projekt auf, damit wir für die Herausforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt gewappnet sind. Damit einher geht etwas, was uns auch im Bericht der EFI seit Jahren vorgeworfen wird: dass wir zu schlecht aufgestellt sind im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen. Auch das ist ein Bereich, den wir stärker bearbeiten und erforschen lassen wollen. Wie verändern sich Dienstleistungen? Welches große Potenzial an Arbeit, Technologie und Wertschöpfung steckt darin? Ein dritter Bereich ist die Produktionsforschung. Auch hier gibt es einen großen Wandel. Wie wird künftig produziert? Welche Produkte kommen am Weltmarkt an? Was bedeutet das für eine Fabrik? Was bedeutet das für die Arbeitswelt? Auch hier werden wir mehr investieren. Ich bin sehr froh, dass im Rahmen von ZIM – das ist auch Bestandteil dieses Tagesordnungspunktes – gerade für mittelständische Unternehmen ganz viel kleines Geld zur Verfügung gestellt wird, um neue Produkte zu entwickeln und Material und Werkstoffe zu verbessern. Am Ende kann man nur sagen: Das ist ein Erfolg, den wir in den letzten Jahren gemeinsam – übrigens mit allen Fraktionen hier – hinbekommen haben und der auch fortgesetzt werden muss. Deswegen schaue ich jetzt in die Zukunft: Wir, die SPD, werden am kommenden Sonntag unser Wahlprogramm beschließen. Wir haben konkrete Vorschläge, wie es weitergehen soll. Gute Forschung ist nur dann möglich, wenn es gut ausgebildete Menschen in diesem Land gibt, und das fängt im Kindergarten und in der Schule an. Insofern ist das Konzept, das Martin Schulz vorgestellt hat, Vorrang für Investitionen in Kitas und Bildung, der richtige Weg. Wir müssen mehr in Schulen investieren, und wir sind sehr der Auffassung, dass die Reichen in diesem Land einen größeren Teil dazu beitragen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, René Röspel. – Nächster Redner in der Debatte: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Danke an meinen Vorredner, an die Aufwüchse bei Bildung und Forschung seit 1998 zu erinnern. Wichtig ist: Dieses Wachstum muss jetzt auch weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich habe mich ja gefragt: Was will uns die Bundesregierung eigentlich mit dieser Debatte kurz vor dem Ende der Wahlperiode sagen? Aus ökologischer Sicht könnte man Sie für die Wiederverwendung Ihrer Imagebroschüren loben. Dabei haben Sie jedoch nicht auf deren politisches Verfallsdatum geachtet. So hat uns Wirtschaftsstaatssekretär Machnig kurz vor dieser Debatte Ihre gestoppten Ideen zur steuerlichen Forschungsförderung geschickt. Notwendig und überfällig wäre stattdessen ein abgestimmter Gesetzentwurf des Kabinettstrios Zypries, Wanka und Schäuble. Unser Innovationsstandort könnte schon so viel weiter sein, wenn Sie sich als Koalition nicht ständig selbst blockieren würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ohne steuerliche Forschungsförderung drosseln Sie die Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen. Sie hemmen Innovation, wir wollen Sie entfachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn als Grüne im Bundestag waren wir die erste Fraktion, die einen sofort umsetzbaren Gesetzentwurf für einen KMU-Forschungsbonus vorgelegt hat. Gestern hat der Bundestag unseren Antrag zur Gründungsförderung debattiert – ein weiterer grüner Beitrag für mehr Innovation in diesem Land. Bei Ihnen erleben wir hierbei Fehlanzeige und Leerstellen, und das ist schlecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Unvermögen steht symptomatisch für Ihre innovationslose Innovationspolitik, Frau Wanka. Beispiel Hightech-Strategie: Neues wird dort kaum gewagt, altes Wachstumsdenken dominiert. Sie verharren bei einem engen wirtschafts- und technologiefixierten Innovationsansatz. Wir wollen unsere Republik zum Pionierland für technische und für sozialökologische Innovation machen. Darin liegen Chancen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das trifft es gerade nicht, Kollege!) Nachhaltigkeit und die Ausrichtung auf große globale Herausforderungen müssen endlich Leitschnur für die Hightech-Strategie werden. Beispiel Klimaforschung: Wir alle kritisieren, dass Präsident Trump aus dem globalen Klimaschutz aussteigt. Warum lässt die Koalition aber seit Jahren die Chance verstreichen, ein Rahmenprogramm zur Klimafolgenforschung auf die Beine zu stellen? Wir haben ein solches Rahmenprogramm eingefordert. Es wäre ein ökologisches wie wissenschaftliches internationales Leuchtturmprojekt. Die UN-Klimaschutzziele und das Pariser Klimaabkommen machen das dringend notwendig. Der Bedarf liegt auf der Hand. Sie sind auch hier Tu-nichts-Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beispiel Digitalisierung: Außer Reden wenig gewesen. Wir sagen: Industrie 4.0 braucht Bildung 4.0. Moderne digitale Infrastruktur ist in Schulen und Hochschulen leider weiter Mangelware. Unsere Republik wird seit zwölf Jahren von CDU-Forschungsministerinnen regiert und ist in dieser Zeit ein digitales Entwicklungsland geblieben. Frau Wanka, Sie sind versetzungsgefährdet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist absurd, was du erzählst! – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Realitätsverweigerung!) Genauso ist es beim wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht. Es wird seit Jahren diskutiert, wurde von der Enquete-Kommission empfohlen. Die Wissenschaftscommunity braucht endlich Schrankenregelungen und keine Blockade der CDU/CSU-Rechtspolitiker auf den allerletzten Metern. Geben Sie sich einen Ruck, anstatt den Regierungsentwurf zu schreddern. Die Maas-Novelle wäre für Lehrende und Lernende ein Schritt in die richtige Richtung. Er muss jetzt kommen, und zwar ohne weitere Verwässerungen der Union. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Beispiel finanzielle Prioritäten: Statt Klein-Klein muss Forschungsförderung auf starke, von Neugier getriebene Grundlagenforschung sowie große Herausforderungen ausgerichtet sein, zum Beispiel Forschen gegen Klimawandel, gegen Hunger, gegen Fluchtursachen, gegen armutsassoziierte Krankheiten und Ressourcenknappheit. Hier wären Gelder viel besser angelegt als in Milliardengräbern wie ITER zur Kernfusionsforschung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen raus aus der Atomforschung und rauf mit Forschung für erneuerbare Energiesysteme. So würden Bundesmittel sinnvoll und verantwortungsvoll für die Zukunft eingesetzt. (Zuruf von der CDU/CSU: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!) Mich macht in diesen Tagen fassungslos, dass Sie als Koalition auf den letzten Metern hohe Milliardensummen für Korvetten-Kriegsschiffe und Panzer ausgeben wollen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) anstatt für Kitas, Schulen und Labore. Das ist ein Unding, meine Damen und Herren. Das sage ich auch, weil wir als Ausschussmitglieder alle wissen, dass die Unionsfraktion seit Jahren, seit zwölf Jahren, eine massive Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung verhindert. Auch das ist ein Unding. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Die löst auch nichts!) Wir sagen: Das umstrittene 2-Prozent-Ziel bei Verteidigung darf doch nicht das wichtige 3,5-Prozent-Ziel für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in der Bedeutung überholen. Investieren in unsere Investitions- und Wissensgesellschaft muss klar Priorität haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was brauchen wir noch, um mehr Innovationen zu entfachen? Erstens – das wird vielleicht manche in der Union verwundern –: mehr Bildungsgerechtigkeit. Bildung und Teilhabe aller an unserer Wissensökonomie sind unerlässlich. Unser Land wird nicht nur gerechter, sondern auch kreativer und innovativer, wenn wir niemanden zurücklassen und wenn wir den Fachkräftemangel ernsthaft bekämpfen, zum Beispiel bei den technischen Berufen. Das steht jetzt an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Zweitens: mehr Pluralität, Vielfalt und Interdisziplinarität in der Forschung. Das erweitert Horizonte. Beispiel: Die Finanzwissenschaften haben bei der Vorhersage der globalen Finanzkrise versagt. Deshalb tut mehr Pluralität not. Drittens. Wir brauchen mehr Forschung jenseits des Mainstreams. Ein Beispiel: Wir wollen die Methoden zum Ersatz von Tierversuchen endlich massiv stärken, um Tierleid zu reduzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die Ideen, mehr Bürgerwissenschaften, Citizen Science, zu puschen und einen Experimentiertopf für die „Daniel Düsentriebs“ und Tüftler der Republik zu schaffen, um auch unkonventionelle Ideen zu generieren. Auch das wäre etwas Neues. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Es braucht mehr Freiräume und eine garantierte Wissenschaftsfreiheit. Dazu braucht es hierzulande mehr Planungssicherheit, also eine verlässliche Grundfinanzierung unserer Hochschulen, anstatt sich immer von Pakt zu Pakt zu hangeln. International müssen wir gegen jedwede Wissenschaftsfeindlichkeit und -diffamierung ankämpfen, weil so etwas Kooperation erschwert. Ob Massenentlassungen von Wissenschaftlern in der Türkei, verfolgte Forscher in Despotien, Trumpismus, Brexit oder Ungarn: Gängelungen von Forscherinnen und Forschern dürfen nirgends um sich greifen, zum Grundrechteschutz und aus Innovationsgründen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Fünftens. Wir brauchen klare Karriereperspektiven für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler statt ein weiteres Befristungsunwesen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ihre Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: War ein voller Erfolg!) wird alle Ziele verfehlen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wider besseres Wissen so was zu behaupten!) Schlechte Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem und die Frustrierung von Talenten sind aber auch innovationsfeindlich, genauso wie die Unterrepräsentanz von Frauen in Spitzenpositionen der Wissenschaft. Daher wollen wir einen Aufbruch für mehr Personal an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen, für „mehr Dauerstellen für Daueraufgaben“ jenseits der Professur und im Mittelbau sowie mehr Diversity und Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft. Denn Ideen, die unsere Welt verbessern, entstehen in klugen Köpfen, und die brauchen bessere Bedingungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zusammengefasst: Unsere Republik muss zum Pionierland für sozial-ökologische Innovationen werden. Dazu gehören viele neue Impulse wie die genannten, super Bedingungen für Wissenschaftsfreiheit, gute Forscherkarrieren und Vielfalt sowie eine bessere Finanzierung von Forschung und Entwicklung. Was diese Koalition nicht geschafft hat, müssen wir in der nächsten Wahlperiode mit einem Modernisierungsschub nachholen. Denn Zukunft wird aus Mut, Neugier und Kreativität gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächste Rednerin: für die Bundesregierung Ministerin Dr. Johanna Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gehring, warum diskutieren wir das heute hier? Aus Achtung vor dem Parlament. Sie haben beschlossen, dass wir einen Bericht dazu zu machen haben. Den machen wir gerne, und er ist gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Lenkert, ich habe hier ja nur wenige Minuten zum Reden. Deswegen habe ich eine große Bitte; ich assistiere gerne. Wir hatten vor einiger Zeit hier eine Debatte zum Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den fanden Sie ja nicht so gut! Da haben Sie gesagt, die Daten sind schlecht!) Da ging es darum, wie viele Dauerstellen wir geschaffen haben und wie die Karriereverläufe sind. Zu all dem, was Sie heute angesprochen haben, habe ich da Stellung genommen, habe die Fragen beantwortet. Ich bitte Sie, da noch einmal nachzuschauen; Sie können auch gerne mit mir darüber reden. Herr Röspel, ich bin ja für lange Geschichtszüge. Man muss aufpassen, ob man Legenden strickt. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist es! – René Röspel [SPD]: Das ist keine Legende! Also, das ist klar!) – Lassen Sie mich doch mal reden. – Wenn man jetzt die Zeit von Rot-Grün betrachtet, dann stellt man fest, dass ich diesbezüglich nicht nur – wie Sie mir positiv unterstellen – mit den Zahlen rechnen kann, sondern auch Zeitzeugin bin. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt auf Ihre Legende!) Ich hatte für unsere Institute zu sorgen – die ehemalige Finanzministerin kann sich vielleicht noch erinnern –, als der Bund nicht bereit war, Mittel zur Finanzierung von Tarifsteigerungen zu zahlen. Wir mussten das dann erwirtschaften, und das im Osten. Noch ein Fakt, was die Zahlen angeht: Die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung war über die gesamte Zeit von Rot-Grün hinweg in der Summe so groß wie bei mir in einem Jahr. (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Es geht um den Anteil in Prozent! Das ist doch ein Aufwuchs!) – Das müssen wir jetzt nicht vertiefen. – Ansonsten habe ich keine Lust, nur über die Vergangenheit zu reden. Dafür ist mir die Zeit zu schade. (René Röspel [SPD]: Ein richtiges Intervall nimmt man schon! Sie kennen das aus der Mathematik, oder?) – Herr Röspel, das geht von meiner Zeit ab. Tut mir leid. So. (Rainer Spiering [SPD]: Ah, so geht das!) – Ja, das ist Strategie. Wir haben heute als Thema: Wie sind wir aufgestellt? Deutschland ist im Hinblick auf Dienstleistungen und Produktion ein Spitzenstandort, gerade was die Produktion von Hightechgütern anbetrifft. Die Hightech-Strategie, über die wir hier reden, ist ein ganz entscheidendes Instrument, eine Grundlage dafür. Nun ist es immer schwierig, wenn man sich selber lobt; das kommt nicht so gut an. Deswegen greife ich mal das auf, was diejenigen sagen, die uns bewerten: die OECD. Ich mache jetzt fünf Ausrufezeichen – Sie wissen, wie falsch uns die OECD sonst an vielen Stellen einschätzt. An dieser Stelle spricht uns die OECD – nachdem sie das mit der beruflichen Bildung verstanden hat – ein großes Lob aus. Sie verweist darauf, dass Länder wie Korea und Frankreich Anregungen aus unserer Hightech-Strategie entnehmen, dass sich Horizon 2020 an diesem Vorbild orientiert. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen Sie aber Rosinenpickerei!) Im EFI-Bericht wird darüber hinaus eine Bilanz der ganzen Jahre, also nicht nur der letzten zwei oder drei Jahre, gezogen, und sie fällt sehr positiv aus. Sehr geehrter Herr Gehring, dass Sie und Ihre Fraktion uns mit Ihrem Antrag unterstützen und loben, kann man auch mal erwähnen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie machen doch keine steuerliche Forschungsförderung!) Denn jeden der Punkte, die Sie im Antrag genannt haben – mehr Forschung für Nachhaltigkeit, Reallabore, soziale Innovationen –, sind wir angegangen. Da haben wir viel vorzuweisen. Zu allen Wünschen, die Sie hier aufgezählt haben – Nachhaltigkeit und anderes –, kann ich Ihnen Dinge nennen, die wir gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nutzen Sie Ihre Chance!) Solch einen positiven Impuls aus der Opposition kann man ja auch mal aufnehmen. Jetzt zu den Ergebnissen: 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, lieber Herr Riesenhuber, für F und E haben wir jetzt in Deutschland als große Industrienation – nicht als kleines Land – erreicht. Wir wollen und müssen weitermachen. Wenn wir sagen, dass wir in Richtung 3,5 Prozent gehen, dann geht es um richtig viele Milliarden, die wir brauchen, die wir wollen und die wir auch einstellen werden. Aber um die 3 Prozent zu erreichen, müssen sich Wirtschaft und Wissenschaft gegenseitig animieren. Wir haben im Rahmen der Hightech-Strategie neue Instrumente eingeführt, um die Wirtschaft zu Forschungsstärke anzuregen. Eines der Instrumente, gegen das niemand etwas sagen kann, das allenthalben gelobt wird, ist der Spitzencluster-Wettbewerb. Ohne den Standort Dresden mit dem Spitzencluster Silicon Saxony, lieber Michael Kretschmer, gäbe es nicht dieses Zentrum in Europa und eine Investition von Bosch in Arbeitsplätze in Milliardenhöhe. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, so ist es!) Herr Gehring, Sie sagen, wir haben die Digitalisierung verschlafen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, haben Sie!) Ich habe vergessen, was Sie gelernt haben. Die Grundlage für Digitalisierung ist die Mikroelektronik. Ohne die Mikroelektronik sind wir nicht in der Lage, bei der Digitalisierung ganz vorne mitzuspielen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der Ausbildung von Herrn Gehring zu tun?) Wir haben es gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium geschafft, die Bundesregierung insgesamt, für den Bereich Mikroelektronik über eine Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen, und zwar so, dass es nicht beihilfeschädlich ist. Wir haben die Chance, in Europa zu investieren. Es muss nicht immer nur Deutschland sein. Das ist die Basis unserer Initiative. Die Investition in die Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland in Höhe von 350 Millionen Euro ist die größte Investition, die es in diesem Bereich jemals gab. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Thema KMU haben wir analysiert. Das Motto lautet: Vorfahrt für den Mittelstand! Die Effekte werden wir im Moment noch nicht messen können. Eines ist klar – hier waren wir schon bei den letzten Koalitionsverhandlungen nicht weit auseinander mit der Forschungs- und Wissenschaftsseite –: Wir brauchen steuerliche FuE-Förderung. Das kommt noch, das ist aus meiner Sicht sicher. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber am Sankt-Nimmerleins-Tag!) – Nein. – Aber man kann dabei auch einiges falsch machen. Bei der Anwendung dieses Instrumentes kommt es entscheidend darauf an, zu prüfen, ob es auf Deutschland passt, ob es das Fraunhofer-Institut eher stört und ob es die guten Mechanismen, die wir haben, befördert oder nicht. Darüber muss man diskutieren, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange diskutieren Sie denn schon?) und das tun wir. Diese Entscheidung könnte eine Fehlentscheidung sein, wenn man sich jetzt nicht für die richtigen Instrumente entscheidet. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwölf Jahre hätte die Union Zeit gehabt! Das glauben Sie doch selber nicht, dass das jetzt kommt!) Soziale Innovationen sind für uns ein besonderes Thema. Das zeigt unser großes Programm „Zukunft der Arbeit“. Ich kann es nicht ertragen, in den Reden immer dieselben Fragen zu hören; denn wir sind schon bei den Antworten. (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Die haben wir aber nicht! Wir haben das Programm gestartet! Mit großer Verspätung!) Wir reden mit Frau Nahles darüber, wie man diese Antwort übersetzen kann. Es geht stark darum, dass man alle in der Bundesrepublik erreicht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nutzen Sie die Chance!) Mit unserem Programm „Innovative Hochschule“ gibt es zum allerersten Mal ein Transferprogramm, das in jeder Ecke Deutschlands, wenn ein überzeugender Antrag vorliegt, zu langfristigen Transfermechanismen und nicht zu einseitigen Projekten führt. Damit wollen wir deutschlandweit einen Transfer von Ergebnissen erreichen. Der Bund zahlt 90 Prozent. Das war unsere Initiative. – So viel zu diesen Punkten. (Beifall bei der CDU/CSU) Man kann an dieser Stelle vieles sagen. Es liegen dicke Papiere und viele andere Materialien vor. Sehr zu empfehlen sind unsere Informationsmaterialien, wobei wir von unserem ursprünglichen Ziel nicht abgehen und weitermachen. Wir haben uns überlegt, dass es nicht nur darauf ankommt, Arbeitsforschung zu betreiben; das wird schon seit vielen Jahren gemacht, dafür gab es auch immer Mittel in Millionenhöhe. Wenn ich mir so anschaue, was die Sozial- und Geisteswissenschaftler bei der EU an Mitteln beantragen, muss ich sagen: Das ist viel zu wenig; dabei sind die Mittel vorhanden. Laut unserem Programm ist es nicht genug, ein neues Arbeitsforschungsprogramm, Papers und Artikel zu erstellen. Vielmehr ist das Programm immer an den Praxisbezug gebunden, zum Beispiel mit einem kleinen oder größeren Unternehmen. Wenn Deutschland von außen eingeschätzt wird, dann wird unsere Forschungsstärke genannt. Als Mangel wird immer angeführt: Es müsste mehr Gründungen geben. Für Gründungen ist nicht in erster Linie unser Haus zuständig, aber natürlich interessiert uns dieses Thema. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist gut, dass Sie das interessiert!) Unsere Maßnahmen bezüglich Wagniskapital und anderen Instrumenten haben in der Szene positiv gewirkt. Trotzdem gibt es Potenziale, die wir nicht heben. Deswegen sind wir dabei, einen Fünfpunkteplan zu erstellen, um innovative Gründungen zu befördern. Ich nenne ein Beispiel: Innovative Gründungen sind sehr von der Branche abhängig. Im IT-Bereich braucht man ganz andere Möglichkeiten als im Bereich der Lebenswissenschaften. Deswegen sehen wir bei all unseren Programmen eine Komponente vor, die Gründungen befördern soll. Validierung ist für uns ein weiteres wichtiges Thema. Für Validierung gibt es, glaube ich, ausgefeilte Instrumente. Hier geht es aber auch darum, etwas für Sprunginnovationen bereitzustellen. Das betrifft auch die Frage, wie öffentliche Unterstützung für junge Menschen in Deutschland aussehen kann, die ein hohes Risiko eingehen, um etwas zu erreichen. Ich glaube, wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen. Es gibt trotzdem noch viel zu tun. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist richtig!) Es gibt Stellen, an denen wir deutlich besser werden können. Ich bin aber der Meinung, wir sind gut aufgestellt, und danke allen, die sich in diesem Bereich engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Wanka. – Nächste Rednerin: Karin Binder für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Liebe Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Liebe Frau Wanka, ich spreche hier heute als Verbraucherpolitikerin insbesondere zum Aktionsplan Nanotechnologie 2020 aus Ihrem Ministerium, zu dem Sie hier leider kein Wort verloren haben. Aus verbraucherpolitischer Sicht ist Nanotechnologie aber für mich eines der wesentlichen Themen, weil diese Technologie nicht nur Chancen bietet, sondern auch eine Menge an Risiken birgt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Seit elf Jahren wird die Forschung im Bereich Nanotechnologie mit rund 5 Milliarden Euro gefördert. Wenn ich Ihren Aktionsplan aber richtig verstehe, geht es in erster Linie um ein groß angelegtes Firmensponsoring. Mittels der neuen Hightech-Strategie soll dafür gesorgt werden, dass deutsche Firmen auf dem internationalen Markt in dieser neuen Technologie wettbewerbsfähig sind. Dabei stellen sich mir aber schon einige Fragen. Diese Technologie hat eine Bedeutung, die annähernd an die Bedeutung der Atomtechnologie oder der Gentechnologie herankommt. Es geht bei Nanopartikeln, die auf künstlichem Wege erzeugt werden, um eine Vielzahl von Stoffen, von denen jeder für sich eine andere Wirkung entfaltet. Das Beispiel Silber kennen Sie wahrscheinlich alle. Silber ist als Stoff an sich völlig harmlos, wird als Schmuck getragen. Silber in Nanopartikelgröße wirkt toxisch. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Jetzt sprechen Sie doch einmal zum Thema! Was hat das denn mit der Leistungsfähigkeit Deutschlands zu tun?) Man hat mal gemeint, man könne durch den Einsatz von Silbernanopartikeln eine Weile hinauszögern, dass Socken zu stinken beginnen, hat dann aber gemerkt, dass Silber nicht nur antiseptische, sondern auch toxische Wirkung hat, dass es gefährlich wird. Man musste also wieder einen Schritt zurückgehen. So kann auch jeder andere Stoff in Nanopartikelgröße Risiken bergen, die wir heute noch nicht kennen. Hier braucht man Langzeitforschung, eine Forschung, die auch mehrere Generationen in den Blick nimmt. Denn auf ein Kind wirkt eine Hautcreme, die künstlich erzeugte Nanopartikel enthält, längerfristig möglicherweise gesundheitsschädlich, während es einem Erwachsenen nichts ausmacht. Nanopartikel dringen in Zellen ein, und diese verändern sich dadurch. Das alles haben wir noch nicht im Blick, weil es noch kaum Messverfahren bzw. Prüfverfahren gibt, die zumindest bei den Kontrollbehörden zum Einsatz kommen könnten. All diese Risiken hat man noch nicht wirklich behandelt, hat sie noch nicht wirklich im Fokus, vielmehr geht es in Ihrem Aktionsplan nur um Wettbewerbsfähigkeit. Ich bin sehr wohl dafür, dass wir neue Technologien nutzen, gerade wenn es darum geht, Oberflächenbeschaffenheit und Ähnliches zu verbessern und für günstigere Produktionsprozesse zu sorgen. Ich denke aber, trotz allem haben die Menschen das Recht darauf, zu wissen, welche Risiken diese Technologie birgt. Da sehe ich noch ein riesengroßes Problem. Es darf nicht sein, dass die einen den Nutzen haben in Form von höheren Profiten und die anderen die Risiken in Form von Gesundheits- und Umweltgefährdung. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb müssen wir hier viel mehr investieren, um die Risiken zu erforschen. Das tun die Firmen nämlich nicht, das kostet sie nämlich bloß Geld. Aber unsere Gesellschaft kostet ein vorschneller Einsatz Gesundheit und Leben. Ich denke, hier müssen wir ran. Frau Wanka, da sehe ich Sie in der Pflicht. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich sage Tschüss. Es waren spannende zwölf Jahre. Ich danke vielen Menschen, auch Menschen, die nicht in diesem Raum sind, für die angenehme Zusammenarbeit, für die spannende Zeit. Ich wünsche allen viel Erfolg. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Karin Binder. – Ich glaube, das wünschen wir Ihnen auch. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit, nicht zuletzt in der Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnenkommission. Alles Gute! Wir denken an Sie. Jetzt kommt als nächste Rednerin – sie steht schon da – Dr. Daniela De Ridder für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir diskutieren heute über die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands und damit auch die Hightech-Strategie der Bundesregierung. Frau Präsidentin, ich weiß nicht, woran Sie denken, wenn Sie den Begriff „Hightech“ hören. Ich denke dabei unter anderem ganz spontan an Haushaltsroboter, saisonal bedingt an Rasenmäherroboter. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es geht dabei um sehr viel mehr. Es geht dabei um die digitale Wirtschaft und die entsprechenden gesellschaftlichen Prozesse, die damit einhergehen. Es geht um nachhaltiges Wirtschaften. (Vizepräsidentin Claudia Roth hält ihr Smartphone hoch) – Sie wollten mir die Antwort nicht schuldig bleiben. Wunderbar. – Auch das gehört zum technologischen Fortschritt. Beispielsweise beeinflusst das, was Sie gerade hochgehalten haben, unsere innovativen Arbeitswelten; denn das trägt ja ebenfalls zum Fortschritt bei. Es geht auch um gesundes Leben. Insofern hoffe ich, dass Sie das Handy so benutzen, dass Sie nicht nur das Ohr daran haben, sondern auch uns lauschen. Auch das gehört ja mit zu diesen Prozessen. Es geht aber ebenfalls um intelligente Mobilität. Und nicht zuletzt geht es um zivile Sicherheit. Im Zeitalter von Big Data und Fake News ist es unerlässlich, dass wir uns auch damit befassen. Letztendlich geht es darum, dass wir große gesellschaftliche Herausforderungen lösen; wir haben es eben schon einmal gehört. Dies können wir nur, indem wir innovativ sind, und dazu gehört ganz elementar die Forschung in Zusammenarbeit mit KMUs und mit dem Mittelstand. Ich bin sehr froh, dass ich die Chance habe, lieber Kai Gehring, einmal darüber aufzuklären, dass das, was wir schon entwickelt haben, keineswegs trivial oder unintelligent ist. Ich will das anhand eines Beispiels deutlich machen. Am Campus Lingen in meinem Heimatwahlkreis gibt es das Projekt „Dorfgemeinschaft 2.0“; es wird mit 5 Millionen Euro vom BMBF gefördert, im Übrigen eines von fünf Modellvorhaben. Da geht es um die Beantwortung folgender Frage: Wie entwickelt sich eigentlich der demografische Wandel im ländlichen Raum, was tut sich da, und was muss zukünftig getan werden, damit gerade auch ältere Menschen an der Gesellschaft partizipieren können? Da geht es um Mobilität und ÖPNV, da geht es um Smart Homes und intelligente Systeme, da geht es aber auch um Pflege und damit ein Stück weit um Robotik in der Pflege, aber auch um deren Akzeptanz bei Älteren. Das ist ein Projekt, das an der Fachhochschule angesiedelt ist. In der Tat gehören auch die Fachhochschulen zu den innovativen Forschungseinrichtungen, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja!) die wir in dieser Legislaturperiode sehr deutlich und sehr weitgehend unterstützt haben. Ich nenne hier beispielhaft die Initiative FHprofUnt, in deren Rahmen Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften mit Unternehmen kooperieren. Ich nenne die Förderlinie IngenieurNachwuchs für kooperative Promotionen, ich nenne auch die Initiative FH-Invest, bei der es um mehr Overhead für die Fachhochschulen geht, und nicht zuletzt die Fördermaßnahme FH-Impuls, die mit 100 Millionen Euro – man höre und staune! – für acht Jahre gefördert wird. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) – Vielen Dank. – Genannt sei aber auch das Programm „Innovative Hochschule“. Das ist zugegebenermaßen kein reines Fachhochschulprojekt, aber darin stecken 550 Millionen Euro bis 2027. Ich wäre aber nicht Mitglied der SPD, würde ich mich mit diesen Erfolgen schon zufriedengeben. Und würde die SPD sagen, wir hätten schon genug getan, könnte man auch behaupten, morgen würde die Welt stehen bleiben. Es gilt also die Losung Willy Brandts, der sagte: Wer morgen sicher leben will, muss heute schon für Reformen sorgen. – Deshalb will ich noch einmal eine Lanze für die Fachhochschulen und ihre Nachwuchsförderung brechen. Es geht also darum, dass wir die Akteurinnen und Akteure unterstützen müssen. Hier habe ich nicht ganz verstanden, Frau Wanka, warum es uns in dieser Legislaturperiode nicht gelungen ist, ein gesondertes Nachwuchsprogramm für Fachhochschulen aufzulegen. Unsere SPD-Fraktion hat doch mit den Perspektivprofessuren ein sehr gutes Konzept entwickelt; und wir glauben, dass es nicht geht, ohne dies noch einmal deutlich zu flankieren und auszubauen und mit 1 Milliarde Euro zu unterstützen. Denn gerade die angewandte Forschung, für die Sie sich eben deutlich ausgesprochen haben, kommt nicht ohne mehr Ressourcen, schon gar nicht ohne mehr Personalressourcen aus. Die Fachhochschulen haben bei ihrer Forschung oft erlebt, dass sie durch das Raue gehen müssen. Um es auf Latein zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: per aspera ad astra. Aber diesmal dürfen Sie vielleicht durch das Smart Home gehen, wenn wir ihnen den Weg ein wenig ebnen. Es geht darum, dass wir deutlich machen: Die Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind wie kaum eine andere Institution Träger von Innovationen. Stärken und stützen wir sie! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. De Ridder. – Nächste Rednerin: Patricia Lips für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Patricia Lips (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde schon vieles dazu gesagt, aber auch ich möchte es noch einmal betonen: Über Deutschlands Grenzen hinweg hören wir immer wieder, wie überragend positiv unser Wirtschafts- und Forschungsstandort eingeschätzt wird und wie attraktiv sich der Wissenschaftsbereich im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zeigt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man zollt uns in hohem Maße mehr als nur Anerkennung und Respekt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das EFI-Gutachten wurde bereits erwähnt. Auch ich zitiere gerne daraus: ... beachtliche Verbesserungen in den Bereichen der öffentlichen und privaten FuE-Ausgaben, bei der Positionierung deutscher Forschungseinrichtungen ... hinsichtlich Attraktivität und Exzellenz ... (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Die Autoren zitieren aber auch sehr pointiert unseren früheren Bundespräsidenten Roman Herzog mit den Worten: Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland. Genau hier liegt unsere Aufgabe für die Zukunft. Wir haben bereits viel erreicht; darauf können wir selbstbewusst verweisen. Deswegen sollten wir uns hier nicht gegenseitig schlechtreden, wie es teilweise geschehen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Auf unseren Erfolgen dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Wir müssen besser werden, erst recht, weil andere Nationen dieser Welt rasch aufholen. Wir sehen, dass sich die Welt an anderen Orten in manchen Bereichen sozusagen etwas schneller dreht als bei uns. Ich denke zum Beispiel an die Bereiche Gesundheit und IT-Forschung, an die Chancen, die Telemedizin und Digitalisierung bieten. Ich denke vor allem an den innovativen Gründergeist in anderen Ländern. Auch an dieser Stelle haben wir viel getan, wir können aber noch eine Schippe drauflegen. (René Röspel [SPD]: Stimmt!) Ich denke auch an die Konkurrenz in Fernost, die ihre Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung immer mehr erhöht. Der globale Wettbewerb wird gerade im digitalen Zeitalter immer schärfer und stellt eine immer größere Herausforderung dar. Wir sehen: Es bleibt noch einiges zu tun, um Deutschland nicht nur als Innovationsmotor innerhalb Europas zu stärken, sondern auch im globalen Kontext bzw. im globalen Wettbewerb seine Spitzenposition zu erhalten. Wir haben das 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der Investitionen in Forschung und Entwicklung gemeinsam erfolgreich umgesetzt. Natürlich, Kai Gehring, wollen wir uns neue, ehrgeizige Ziele stecken. Wir peilen mittelfristig natürlich ein Ziel jenseits der 3 Prozent an. Alles andere wäre falsch. Konkret wird es dabei darum gehen, zusätzliche Mittel in zukunftsweisende Schlüsseltechnologien zu investieren. Dabei geht es um Themen wie Digitalisierung, Mobilität, Gesundheitsforschung, Energie oder autonome Systeme – Stichworte: Robotik und Stadtentwicklung –, um nur einige zu nennen. Dies sind bereits wichtige Bausteine der Hightech-Strategie der Bundesregierung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klassenzimmer statt Korvetten!) Der Bund hat in den letzten Jahren seinen Beitrag zu einem weiteren Aufwuchs der Forschungsausgaben im Rahmen dieses Ziels geleistet. Wir dürfen aber, Kolleginnen und Kollegen, eines nicht vergessen: Den größten Teil dieser Ausgaben trägt die Wirtschaft selbst. Ein Aufwuchs bedeutet somit eine weitere große Herausforderung für unsere Betriebe. Lassen Sie mich Folgendes sagen: Es gibt rund 3,6 Millionen kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland; das sind rund 99 Prozent aller Betriebe in unserem Land. Viele von ihnen sind unglaublich innovativ. Das sind diese Daniel Düsentriebs, von denen heute schon gesprochen wurde. Deren Leistungskraft kann uns gerade deshalb nicht egal sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Förderung der Entwicklungsarbeit dieser Unternehmen hat einen historischen Höchststand erreicht. Dennoch ist die Innovationsquote in der Fläche gesunken. Damit müssen wir uns befassen. Dieser Rückgang der Innovationsquote mag damit zu tun haben, dass aufgrund der guten Konjunkturlage der eine oder andere Betrieb den Druck, etwas verändern zu müssen, nicht spürt. Hier müssen wir die Unternehmen ermuntern. Gerade im Bereich der Digitalisierung tun sich manche Betriebe noch immer schwer damit, die Dimension der Herausforderungen zu erkennen und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Ich bin dem Ministerium mit Johanna Wanka an der Spitze dankbar, dass es gemeinsam mit uns frühzeitig reagiert und gezielt Programme auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch die bisherige Projektförderung für und in innovative Unternehmen hat sich bewährt. Wir wollen sie weiterentwickeln. Wir wollen sie als Forschungspolitiker aber um das Element einer steuerlichen Förderung ergänzen, wo immer es um den Einsatz von innovativen Entwicklungen geht. In der Tat sehen wir hier ein ganz wichtiges Element. Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen vor allem Unterstützung – nicht nur aus der Politik, sondern auch aus der Gesellschaft –, wenn wir unser einzigartiges Innovationsmodell erfolgreicher Geschäftszweige in kleinen, mittleren und großen Unternehmen mit tollen neuen Ideen, aber auch unseren Ruf in Verbindung mit Qualität, Präzision und Gründlichkeit in Zeiten eines massiven Wandels erfolgreich weiterentwickeln wollen. Wir haben in diesem Hause in der vergangenen Legislaturperiode viel bewegt. Lassen Sie uns in den Bemühungen nicht nachlassen – als Voraussetzung für den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Wohlstand in diesem Land. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Patricia Lips. – Nächster Redner: Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Frau Lips, wir sind auf das, was wir in den letzten vier Jahren bewegen konnten, genauso stolz wie Sie. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Ich knüpfe an die letzte Bemerkung von Herrn Kretschmer an: In der nächsten Woche wollen wir uns wiedersehen, und dann wollen wir hier einen guten Gesetzentwurf verabschieden, der die Austauschmöglichkeiten in der Wissenschaft fördert. Da sind Sie in der Bringschuld. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn Sie es schaffen, dann freuen wir uns. Wenn Sie es nicht schaffen, tragen Sie die Verantwortung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir schaffen das!) Wir wollen gerne mitgehen, wenn es um das 3,5-Prozent-Ziel geht. Wir wollen gerne mitgehen, wenn es darum geht, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Hochschulen und die Fachhochschulen zu stärken. Wir gehen selbstverständlich auch mit, wenn es in der nächsten Legislaturperiode – gerne unter unserer Führung – darum geht, kleine und mittlere Unternehmen zu stärken. Wir haben nämlich die Grundauffassung, dass die Hightech-Strategie ein Element der gesamten Wissenschafts- und Bildungsstrategie ist; beides denken wir ja in Deutschland zusammen. Diese Wissenschafts- und Bildungsstrategie hat ein breiteres Spektrum; man darf sie nicht nur auf Hightech beziehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zum Abschluss zwei allgemeine Bemerkungen dazu. Erstens. Hightech ist gut. Aber sind wir nicht immer, wenn wir an Hightech denken, dazu verpflichtet, genauso auch im Zuge der Vermittlung an Lowtech zu denken? Um es anschaulich zu machen: Der afrikanische Kontinent hat bestimmt mehr Hightech-Produkte in Form von Handys als Toilettenanlagen, die der Gesundheit der afrikanischen Bevölkerung dienen würden. (Dagmar Ziegler [SPD]: Das stimmt!) Wenn dieses Thema von der Bill-Gates-Stiftung aufgegriffen wird, dann ist das gut. Aber noch besser wäre es, wir würden unseren Minister Müller und andere unterstützen, in ihrer Afrika-Strategie genau das zu transportieren, was bei uns von höchstem Menschenverstand erarbeitet wurde und unter einfachsten Bedingungen umsetzbar ist. Auch dies ist ein Element einer Wissenschaftsstrategie: Hightech und Lowtech. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir werben immens dafür, dass wir dies zusammen denken. Ich kann es auch konkreter machen: Wenn die wunderbaren Humboldt-Preise, mit 5 Millionen Euro ausgestattet, vergeben werden, dann hört man ganz aufmerksam zu, wenn es um Proteinforschung geht. Aber die Freude im Herzen ist erst recht groß, wenn es zum Beispiel um Immunologie, um Infektionsforschung, um Impfstrategien und Ähnliches geht; denn dies hat für die Menschen großen Nutzen. Wenn wir es als Konsens betrachten können, Hightech und Lowtech in Verantwortung für die großen Gestaltungsaufgaben in der Zukunft zusammen zu denken, dann haben wir hier ein gutes nationales Signal gesetzt. (Beifall bei der SPD) Ein zweiter Gedanke. Hier geht es um eine nationale Hightech-Strategie. Aber wir als SPD werben dafür – wir wissen, dass auch die Regierung versuchte, das zu erreichen –, dass dies auch auf der europäischen Ebene als Gemeinschaftsaufgabe stärker in den Vordergrund gestellt wird. Ich darf polemisch fragen: Weshalb ist die Europäische Kommission darauf gekommen, die Zukunft Europas in fünf Büchern zu beschreiben, die sich mit dem Binnenmarkt, der Migration, der Verteidigung, der Währungsunion und dem EU-Haushalt auseinandersetzen? Warum fehlt das sechste Buch? Weshalb gibt es kein Buch über Wissenschaft, Forschung und Bildung, also über das, was gemeinsam in der Lissabon-Strategie im Jahre 2000 als die Zukunftsvision für Europa beschrieben worden ist? Es geht nicht an, dass es einen bildungs- und forschungsstarken Norden und einen bildungs- und forschungsschwachen Süden gibt. Griechenland zum Beispiel stellt weniger als 0,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Wissenschaft und Forschung zur Verfügung. Wie soll Europa zusammenwachsen, wenn wir nicht eine europäische Gesamtstrategie entwickeln? Wie soll es denn in Europa weitergehen, wenn wir das Brexit-Problem nicht so lösen, dass es nach wie vor auch eine Zusammenarbeit im Bereich Bildung und Forschung über Europa hinaus – also egal ob Großbritannien in der EU ist oder nicht – gibt? Wie soll denn die europäische Idee weitergetragen werden, wenn wir nicht in Europa eine Zukunftsidee mobilisieren? Das könnten wir doch tun, indem wir bei den jungen Menschen mit Wissenschafts-, Forschungs- und Bildungsaustausch eine Vision aufmachen. 9 Millionen Menschen haben von Erasmus profitiert. Das muss der Europäischen Kommission doch eine Vision wert sein. Deshalb sei hier zum Schluss ganz direkt gesagt: Ja, wir haben eine gute deutsche Hightech- und eine gute deutsche Wissenschaftsstrategie, aber es muss erst recht darum gehen, dass wir in Europa zu einer solchen Zukunftsvision finden, die alle Menschen mitreißt, weil sie darin einen Nutzen für sich und die Zukunft sehen können. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Dieter Rossmann. – Jetzt gebe ich das Wort unserem so jung gebliebenen Alterspräsidenten, einem Kollegen, der – man glaubt es gar nicht, wenn man ihn sieht – seit 1976, also seit 41 Jahren, die deutsche Politik und deren Häuser mitgeprägt hat. Ich könnte jetzt noch lange reden, aber er ist jetzt dran. Zu seiner letzten Rede gebe ich Professor Dr. Heinz Riesenhuber das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die herzliche Begrüßung und freue mich, dass sie nicht von meiner Redezeit abgeht. (Heiterkeit) Ich habe mich über diese Debatte gefreut. Es gab hier durchaus – und das ist auf dem Weg zu den richtigen Zielen notwendig – Dissense, und es wurden verschiedene Akzente gesetzt. Es gab eine breite Diskussion über das, was wir noch zu erledigen haben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja!) Wenn wir nichts mehr vor uns hätten, dann könnten wir aufhören und uns zur Ruhe setzen. Einige tun das. (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für diese Debatte charakteristisch war aber: Viele sprachen über die Erfolge, und jeder hat sie sich zugeschrieben. Gell, Herr Röspel? (René Röspel [SPD]: Ja, stimmt ja auch!) Das finde ich prima. Wenn jeder von den Erfolgen begeistert ist, dann muss das, was wir gemeinsam hingekriegt haben, eine gute Sache sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das haben wir jetzt in dieser Debatte in einer wirklich vorzüglichen Weise gesehen. Uns liegt eine Reihe von Vorlagen vor, die wir heute zu diskutieren haben. Die Hightech-Strategie – Frau Wanka hat darüber gesprochen – ist wirklich eine interessante Weiterentwicklung dessen, was wir über die Jahre an Förderung von einzelnen Techniken gehabt haben. Aus der ungeheuren Fülle von Möglichkeiten, die ständig neu aus der Grundlagenforschung entstehen, wird das gebündelt und herausgelöst, was hilft, die Probleme auf dieser Welt zu lösen, und zwar in vielen Bereichen: Gesundheit, Kommunikation, Umwelt, Mobilität. Daraus entsteht eine umfassende Strategie, die Neues schafft, ohne dass der Staat sich anschickt, Einzeltechniken auszuwählen. Der Staat kann die Forschung nicht erfinden und die Zukunft nicht bauen. Er kennt die Vergangenheit, die Zukunft aber nur begrenzt. Der Staat hat schon eine große Leistung vollbracht, wenn er die Leute nicht bei der Arbeit stört. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Er muss aber flankierend Möglichkeiten aufbauen, sodass jeder eine Nische finden kann, wo seine Arbeit hineinpasst. Das leistet die Hightech-Strategie. Wir haben die Grundlagenforschung, die Quelle allen Wissens, stetig weitergeführt. Dafür, dass sie sich in Freiheit entwickeln kann, braucht sie einen verlässlichen und dauerhaften Rahmen. Diesen haben wir über die Jahre stetig weiterentwickelt. Und die Grenzen zwischen der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung werden immer offener. Schauen Sie sich nur die Biotechnologie oder die Materialforschung an. Das ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ist gepriesen worden. Das ist ein großartiges System, das wir immer weiter ausgebaut haben – finanziell und übrigens auch intellektuell. Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bleibt natürlich weiterhin eine Aufgabe. Frau Binder, Sie haben hier über die Nanotechnologie gesprochen. Wenn Sie den vorzüglichen Aktionsplan der Bundesregierung durchlesen, dann sehen Sie, dass die Risiken und der Umgang mit diesen Risiken in einer verantwortlichen Weise Seite um Seite überzeugend dargestellt werden. Es war in den letzten 40 Jahren – und schon länger – immer unsere Stärke, dass wir zwar neue Techniken wollten, die hilfreich und erfolgreich sind, dass wir dabei aber Rücksicht auf die Natur genommen haben, die Gefährdungen und Risiken im Blick hatten und uns bewusst waren, dass wir verantwortlich für die Einhaltung der ethischen Grundsätze sind, nach denen wir leben. Das war die große Stärke unserer umfassenden Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die EFI, die Expertenkommission Forschung und Innovation, begleitet uns nun seit zehn Jahren – ich möchte Professor Harhoff und seinen Kollegen für diese vorzügliche Arbeit danken –, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und zwar zielbewusst und mit Entschlossenheit und Sensibilität für das Mögliche. Diese Arbeit führte zu einer Diskussion über Chancen und über ungehobene Potenziale, aber auch über Defizite. Dies alles gehört dazu. Die EFI soll nicht das Parlament in seiner Weisheit preisen, obwohl uns das beglücken würde, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sondern die EFI soll zeigen, wohin man gehen kann. Ein Blick auf die Paradigmen für die kommenden Jahre zeigt mir: Es gibt viele einzelne Bereiche, an denen wir zu arbeiten haben. Die Informationstechnik ist angesprochen worden. Die EFI macht hier konkrete Vorschläge zu einem ZIM-ähnlichen Projekt für die mittelständischen Unternehmen ausschließlich auf dem Gebiet der Informationstechnik. Aber es scheint mir doch eine faszinierende Sache zu sein, dass wir bei dem, was wir für die nächsten Jahre vorgesehen haben, auch mit neuen Instrumenten arbeiten. Indem wir bei den Investitionen für Forschung auf einen Anteil von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes kommen wollen, und zwar spätestens 2025, bieten wir das Potenzial für eine stetige Weiterentwicklung der Projektförderung. Damit haben wir das Potenzial für neue Schwerpunkte, insbesondere in der Informationstechnik. Aber wir haben damit auch das Potenzial, neue steuerliche Instrumente zur Forschungsförderung einzuführen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Los geht’s!) Wir fördern mit unserem großartigen Steuersystem alles: von der Familie bis zur Schnittblume. Das ist eine großartige und differenzierte Leistung. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber wenn die Zukunft von einer Wissensgesellschaft, die wir aufbauen, von einer Innovationsgesellschaft, die wir brauchen, und von einem zuversichtlichen Unternehmungsgeist geprägt sein soll, dann ist die sehr grundsätzliche Frage: Wie organisieren wir es, dass das, was an Neuem entsteht, auch im Steuersystem so gefördert wird, dass die Bereitschaft wächst, Neues zu entwickeln? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sehe hier voller Respekt unseren innovativen Finanzminister, dessen Dynamik ich immer bewundert habe. Wir haben kürzlich über die geschätzten 600 Millionen Euro pro Jahr entschieden, die der Finanzminister im letzten Herbst für den Erhalt der Verlustvorträge im Falle eines Anteilseignerwechsels bei innovativen Unternehmen bereitgestellt hat. Das ist eine Ermutigung für Bereiche, in denen wir noch besser werden können: Bei der Gründung von Wagniskapitalfonds und der Gründung von technikorientierten Unternehmen sind wir weit unter unserem Potenzial. Auch hinsichtlich des Aufbaus von Forschung in mittelständischen Unternehmen hat die Innovationsfreude des Mittelstands in den letzten Jahren nicht sehr dynamisch zugenommen; das ist eine der höflicheren Aussagen. Das heißt, es gibt eine Fülle von Feldern, in denen wir uns engagieren können. In Deutschland gibt es 5 000 Business Angels, in den USA sind es 300 000. Die Mischung aus Erfahrung, die sie innovativen Start-ups zur Verfügung stellen, und aus dem Geld, das sie für die Gründung neuer Unternehmen von jungen Leuten mitbringen, ist eine großartige Kombination, aus der wir mehr machen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, über mehr als 40 Jahre hatte ich die Freude und die Ehre, diesem Hohen Haus in den Bereichen Forschung, Innovation, Energie und Umwelt zu dienen. Das war immer eine großartige Zeit. Die Situationen waren verschieden, die Herausforderungen jeweils anders. Aber ich muss sagen: Die großartigste Zeit war die Zeit der deutschen Einheit, als deutsche Beamte, über die man manchmal Kritisches sagt, wirklich gearbeitet haben, ohne dass man sie darum gebeten hat, und zwar aus der Begeisterung für das, was wir gemeinsam entwickeln wollten. Das Ganze ist zu einem großartigen Erfolg geworden, trotz allem, was noch in den Wissenschaftsgebieten in den neuen Ländern offen ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jetzt wollen wir in die Zukunft gehen. Wir haben die letzten 40 Jahre, die ich näher miterlebt habe, mit Freuden und mit Erfolg bestanden. Es war eine Freude, immer wieder tüchtige Leute in allen Fraktionen zu finden, die mit Begeisterung, Neugier und Leidenschaft an unseren Themen gearbeitet haben. Und es war immer wieder eine gute Sache, was für tüchtige Regierungen aus diesem Parlament hervorgegangen sind, die oft sogar mit Weisheit regiert haben. (Heiterkeit) Jetzt wollen wir in die nächsten 40 Jahre aufbrechen. Da wollen wir mal sehen, was aus Deutschland wird. Dann setzen wir uns wieder zusammen und reden darüber, was wir hier in Deutschland gemeinsam erreicht haben (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) als unseren Beitrag für eine friedliche Welt mit Lebenschancen für alle Menschen. Dafür arbeiten wir alle, jeder an seinem Platz. (Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Professor Dr. Heinz Riesenhuber. Vielen Dank für 41 Jahre intellektuelle Brillanz. Vielen Dank für Ihre Lust und Leidenschaft an der klugen Kontroverse, am klugen Streit. Ich weiß aus der Grünenfraktion, dass es immer Spaß gemacht hat, sich mit Ihnen auf hoher Ebene klug zu streiten, und ich möchte mich – ich glaube, im Namen aller – bei einem legendären Gastgeber bedanken, der die Parlamentarische Gesellschaft in einer Zeit von Stress, Streitereien und Hektik zu einem Ort der Ruhe, einem Sehnsuchtsort für manche und einem Ort der Heimat gemacht hat. (Heiterkeit) Auf jeden Fall können Sie heute Abend die nächsten 40 Jahre vorbereiten. Vielen Dank auch für die große Leidenschaft, mit der Sie dem Parlament ein ganz besonderes Gesicht gegeben haben. Ich danke Ihnen von Herzen. (Beifall) Ich schließe damit die Aussprache. Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11810, 18/11270, 18/9670 und 18/12442 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 8 e. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12776, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8711 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 g auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökologische Modernisierung angehen und die Klimaschutzlücke schließen Drucksache 18/12796 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CO2-Bremse einführen – Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen Drucksache 18/10640 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute Drucksachen 18/8876, 18/10387 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht voranbringen – Aktionsplan Faire Wärme starten Drucksachen 18/10979, 18/11651 e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen Drucksachen 18/9801, 18/11244 f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen Drucksachen 18/12095, 18/12633 g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung Drucksache 18/10370 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zunächst Bärbel Höhn – nach der Rede sage ich auch noch etwas zu ihr – für Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So, wie Professor Riesenhuber das hier gemacht hat, schaffe ich das nicht. Ganz interessant ist, wie er seine Reden immer vorträgt. Man könnte sagen: Das ist der, der mit der Luft oder mit dem Pult tanzt. Insofern: Alles Gute für Professor Riesenhuber. Ich werde mich aber gern seiner Idee anschließen, in 40 Jahren hier noch einmal vorbeizugucken, um zu sehen, was dann sein wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich würde mich auch gern seiner Freizügigkeit bezüglich der Redezeit anschließen wollen. Ansonsten werde ich meine Rede aber ein bisschen anders halten; jeder ist eben anders, und das zeigt die Vielfalt des Parlaments. Ich möchte diese Klimadebatte mit Bezug auf eine Klimakonferenz beginnen, die am Anfang dieser Legislaturperiode, 2013, in Warschau stattgefunden hat. Überschattet wurde diese Klimakonferenz durch die Zerstörung, die der Taifun „Haiyan“ damals auf den Philippinen ausgelöst hat. A. G. Saño hat uns erzählt, wie er diesen Taifun wirklich nur durch Zufall überlebt hat. 10 000 Menschen sind gestorben, 4 Millionen Menschen sind obdachlos geworden, sehr viele Millionen Menschen haben ihr Hab und Gut und ihre Arbeit verloren und leben immer noch in einem Provisorium. Das, meine Damen und Herren, sind die Folgen der Klimakrise. Deshalb verlangen diese volatilen Staaten, dass wir, die Industrieländer, die Ursachen für diese Klimakrise endlich angehen und beseitigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Über 90 Prozent der Klimaerwärmung sind bisher in die Meere gegangen. Das führt dazu, dass die Wasseroberfläche sich erwärmt und dass die Wirbelstürme durch dieses Mehr an Energie sehr häufig die schlimme Kategorie von 4 oder 5 erreichen und entsprechende Zerstörungen nach sich ziehen. Neben diesem millionenfachen Leid der betroffenen Menschen hat uns der Ökonom Nicholas Stern mit seinen Klimastudien sehr deutlich und klar gemacht: Die Überwindung der Klimakrise ist billiger, als die Schäden zu bezahlen, die passieren und immer gravierender werden, wenn wir nichts tun. Das bedeutet: Wir müssen endlich anfangen, etwas zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Momentan gibt es in Afrika eine der schlimmsten Dürren, die wir je erlebt haben. 23 Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. Das betrifft den Osten Afrikas und den Tschadsee. Betroffen sind Millionen Menschen, die auf der Flucht sind und sterben. Laut Berliner Zeitung hatte – das macht es vielleicht deutlich – der Tschadsee einmal die Größe Deutschlands; jetzt hat er die Größe Berlins. Es herrschen Temperaturen von über 55 Grad. Weil es kein Wasser mehr gibt, können die Menschen nicht mehr fischen, sie können keine Landwirtschaft mehr betreiben, sie können kein Einkommen mehr erzielen. Deshalb hungern sie, und deshalb fliehen sie. Wer die Möglichkeit und das Geld hat, also die Wohlhabenderen unter diesen Menschen, der flieht nach Europa. Die meisten bleiben in Afrika. Wenn wir diese Klimakrise nicht stoppen, dann haben wir, wie uns der Bundesentwicklungsminister sehr deutlich gesagt hat, in Zukunft mit 100 Millionen Klimaflüchtlingen zu rechnen. Da tragen wir eine Verantwortung. Deshalb müssen wir hier in Deutschland endlich handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Warum hier in Deutschland? Unser CO2-Ausstoß pro Kopf ist im Jahr zehnmal höher als der einer Person auf den Philippinen, und er ist 200-mal höher als der eines Menschen, der im Tschad lebt. Das heißt, wenn wir allein die letzten 25 Jahre zusammenzählen – und wir haben schon vorher sehr viel CO2 in die Atmosphäre geschickt –, dann haben wir in dieser Zeit pro Person in Deutschland 5 000-mal mehr CO2 in die Atmosphäre geschickt als die Menschen in diesen Dürrregionen Afrikas. Dieses CO2 bleibt Hunderte von Jahren in der Atmosphäre. Das heißt, je später wir handeln, desto drastischer müssen wir den Strukturwandel vollziehen. Das bedeutet andersherum: Wir haben keine Zeit zu verlieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Deshalb macht es mich in einer solchen Situation fassungslos, wenn Abgeordnete der CDU, der Berliner Kreis, jetzt Chancen in der Klimaerwärmung sehen. (Andreas Rimkus [SPD]: Unerträglich ist das!) Sie stellen eine eisfreie Nordpassage, neue Fischfangmöglichkeiten und Rohstoffabbau in den Vordergrund. Meine Damen und Herren, das ist zynisch angesichts der Dürrekatastrophen und Überschwemmungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das Öl unter dem Nordpol muss im Boden bleiben. In diesem Monat hat in New York die erste UN-Ozeankonferenz stattgefunden. Die UN-Botschafterin von Mikronesien sagte: „Stirbt der Ozean, sterben wir.“ Ein Wirtschaftssystem, das auf kurzfristigen Profit setzt und die Nachhaltigkeit unserer Lebensgrundlagen nicht berücksichtigt, ruiniert uns und sich selbst. Die Überfischung, die Vermüllung, die Erwärmung der Meere müssen aufhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier in Deutschland handeln. Wir haben international durchaus einen guten Ruf, weil wir auf Klimakonferenzen eine positive Rolle spielen. Aber in Deutschland haben wir Stillstand. Wir haben seit zwei Legislaturperioden, von 2009 bis 2016, den CO2-Ausstoß nicht mehr reduzieren können. Wir haben ein Plateau. Seit acht Jahren ist nichts mehr passiert. Das geht nicht so weiter. Da helfen die schönsten Reden nichts. Es ist blamabel, dass Deutschland seinen CO2-Ausstoß nicht mehr reduziert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Letztes Jahr ist der Klimaschutzplan aufgestellt worden. Das war eine Aufgabe, die aus dem Paris-Beschluss resultierte. Der Plan war am Ende eine Ansammlung von „könnte“, „müsste“, „prüfen“ und „verstetigen“. Am Anfang hat die Bundesumweltministerin richtige Forderungen aufgestellt. Sie hat damals sogar den Kohleausstieg innerhalb von 25 bis 30 Jahren und eine Abgabe für Kohlekraftwerke gefordert. Am Ende aber standen Subventionen von 1,6 Milliarden Euro für Methusalem-Kohlekraftwerke. Das war ein großer Fehler. So können wir nicht weitermachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Am Ende ist die Politik vor der Demo der IG BCE und dem Braunkohlefreund Laschet eingeknickt. Das können wir nicht weiter so betreiben, weil das am Ende schlimme Folgen für die Menschen in den betroffenen Regionen hat. Wir reden im Zusammenhang mit Großbritannien vom harten oder weichen Brexit. Wir müssen das bei dieser Strukturänderung genauso sehen. Je weniger Zeit wir für den Strukturwandel haben, weil wir am Anfang die Probleme nicht anpacken, desto härter ist dieser Strukturwandel und desto schlimmer ist er für die Betroffenen in den Regionen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen klimaschädliche Subventionen abbauen und dürfen sie nicht permanent erhöhen. Allein in den vier Jahren von 2008 bis 2012, im wesentlichen unter Schwarz-Gelb, sind die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen laut UBA von 48 Milliarden Euro auf 57 Milliarden Euro in Deutschland angestiegen. Das sind fast 10 Milliarden Euro in vier Jahren. Das muss ein Ende haben. Wir können nicht auch noch die Klimakrise subventionieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Kohle- und Atomkonzerne können sich momentan wirklich nicht über die Entscheidungen der Bundesregierung beklagen. Eine schlecht gemachte Brennelementesteuer ist gerade von den Gerichten kassiert worden. Das kostet uns 6,3 Milliarden Euro plus Zinsen in Höhe von 6 Prozent. – Wo kriegt man eigentlich 6 Prozent Zinsen? Hat der Finanzminister so viel Geld, dass er 6 Prozent Zinsen zahlen kann? – Das hat die Aktienkurse der Atomkonzerne hochschnellen lassen. Das geht in eine falsche Richtung, weil es die falschen Strukturen zementiert. Damit muss wirklich Schluss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Kanzlerin Merkel hat sich beim Petersberger Dialog klar zum Klimaschutz bekannt. Sie hat gesagt, nichts könne und werde sie bei der Durchsetzung aufhalten. Ich habe mich gefragt, was sie damit eigentlich gemeint hat. Ich kann mich an eine Kanzlerin erinnern, die persönlich nach Brüssel geeilt ist und dort schon beschlossene ehrgeizige Grenzwerte für Pkws aufgeweicht und den Autobauern in Deutschland damit das Zeichen gegeben hat: Macht weiter so, ihr braucht nichts zu ändern. – Das war verheerend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seit dieser Zeit wird der Unterschied zwischen Theorie und Praxis beim Spritverbrauch der Autos immer größer. 2009 betrug der Unterschied noch 10 Prozent, mittlerweile sind es 40 Prozent. Das heißt, auch wenn sie es nicht gewollt hat, so war es doch ein Zeichen an die Automobilhersteller: Ihr könnt jetzt anfangen, zu tricksen und zu schummeln. – Das war ein schwerer Fehler, weil dadurch die notwendige Umstrukturierung der Automobilindustrie nicht eingeleitet wurde und weil damit mittelfristig Hunderttausende von Arbeitsplätzen hier gefährdet werden. Das darf in Zukunft nicht mehr sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen Planungssicherheit, was den Kohleausstieg angeht, und wir brauchen eine Verkehrswende und keine vagen Umschreibungen. Meine Damen und Herren, ich komme an das Ende meiner letzten Rede hier im Bundestag. Ich möchte nach 27 Jahren, die ich als Parlamentarierin und als Ministerin gearbeitet habe, noch einen ganz wichtigen Punkt ansprechen. Ich habe eben mehrfach von Langfristproblemen gesprochen. Ich glaube, ein Problem unserer Politik ist, dass wir viel zu häufig viel zu kurzfristig entscheiden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Wir befinden uns in Zeiten von vierteljährlich stattfindenden Bilanzpressekonferenzen der Wirtschaft und sozusagen im Dauerwahlkampf, und das gibt den Takt vor. Das ist ein ganz großer Fehler, weil wir immer wieder danach handeln: Das Hemd ist uns näher als die Jacke. Es ist ja noch Zeit. Die Langfristprobleme brauchen wir nicht anzugehen. Ich kann einfach nur sagen: Ich sehe das mit großer Sorge. Ich habe Kinder, und ich habe Enkelkinder. Ich möchte, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern – die meisten von Ihnen haben ebenfalls Kinder und Enkelkinder, und wenn Sie keine haben, kennen Sie Leute, die welche haben – diese Welt so übergeben, wie wir sie selber vorgefunden haben. Wir können nicht den uns nachfolgenden Generationen die Konsequenzen aus den Fehlern, die wir machen, aufbürden. Das geht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was mir Hoffnung gemacht hat: Wir haben auch auf diesen Feldern durchaus Erfolge gehabt, und zwar immer dann, wenn wir fraktionsübergreifend, über Legislaturperioden hinweg und unabhängig von Mehrheitsverhältnissen gearbeitet haben. Das war lange Zeit beim EEG so, das war vor zehn Jahren beim Klimaschutz so, und das war in dieser Legislaturperiode bei der Suche nach einem Atommüllendlager der Fall. Insbesondere den Abgeordneten, die dabei mitgemacht haben und die in ihren eigenen Fraktionen – häufig anders als wir Grünen – wirklich harte Arbeit leisten mussten, möchte ich meinen ganz großen Dank aussprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der Linken) Ansonsten möchte ich mich dem anschließen, was Elisabeth Scharfenberg heute Morgen gesagt hat. Sie hat all den Mitarbeitern gedankt. Mir fehlt dazu jetzt die Zeit. Darüber hinaus fand ich es gut, dass diejenigen, die nicht meiner Meinung waren, mir trotzdem zugehört haben. Auch dafür herzlichen Dank! Ich fand es gut, dass ganz viele der Kollegen meiner Meinung waren und dass wir gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht haben, die sehr viel Spaß gemacht haben. Dass so etwas auch möglich war, war gerade für mich als Oppositionsabgeordnete gar nicht so schlecht. Ich möchte mich natürlich insbesondere bei den Mitgliedern des Umweltausschusses bedanken. Sie haben mir die Arbeit als Vorsitzende erleichtert. Die Arbeit mit Ihnen war wirklich sehr angenehm. Ich möchte mich auch beim Ministerium und bei der Ministerin bedanken, weil wir gerade auf internationalen Konferenzen wirklich sehr gut zusammengearbeitet haben und auch erreicht haben, Deutschland dort gut zu repräsentieren. Also herzlichen Dank allen, die in diesem Sinne hier ihre Arbeit geleistet haben. Ich wünsche für die Zukunft nachhaltige und weise Entscheidungen zum Wohle unserer Bevölkerung. Ich habe noch eine Info – sie wird viele von Ihnen interessieren –: Auch wenn ich gehe, werden die Bundestagsbienen, wenn Sie es wollen, hierbleiben können. Insofern: Machen Sie es weiterhin gut. Danke schön. (Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der SPD erheben sich) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Bärbel Höhn. Wir danken von ganzem Herzen. Ich danke im Namen des ganzen Hauses einer streitbaren Kämpferin gegen die Klimakrise, einer leidenschaftlichen Politikerin für Umwelt, für Naturschutz, für die bäuerliche Landwirtschaft und einer sehr parteiischen Ausschussvorsitzenden – ich weiß, wovon ich rede –, parteiisch für die Interessen der Mitglieder des Umweltausschusses in diesem Haus. Vielen herzlichen Dank! Alles, alles Gute! Wie hat Trude Herr gesungen: Niemals geht man so ganz Irgendwas von mir bleibt hier ... Es bleibt viel hier. Wir werden uns wahrscheinlich in Bonn bei der großen UN-Klimakonferenz im November dieses Jahres wiedersehen. Bärbel, vielen Dank und alles Gute! (Beifall) Ganz schön wehmütig heute. Ich muss wohl Taschentücher verteilen. Nächste Rednerin: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Bedauern“ und „Ärger“ sind die Worte, die beschreiben, was ich fühlte, als Trumps Drohungen, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, Realität wurden. Diejenigen, die in Paris dabei waren, haben das sogenannte Momentum von Paris gespürt. Alle waren mit an Bord. Einer ist jetzt von Bord gegangen. Mit dieser Entscheidung des zweitgrößten Treibhausgasemittenten schadet Trump nicht nur dem Klima, sondern er schadet auch seinem eigenen Land. Er hat sogar der US-Wirtschaft damit eigentlich einen Bärendienst erwiesen. Ich erinnere mich gut an die Worte des damaligen US-Außenministers Kerry in Marrakesch bei der Klimakonferenz. Er sagte: Der Markt in den USA will dieses Abkommen, der Markt will die Entwicklung von Umweltinnovationen, von erneuerbaren Energien. Schon längst hat die US-Wirtschaft die Chancen einer nachhaltigen Energie- und Industriepolitik erkannt, und Investitionen werden verstärkt von fossilen Energien in erneuerbare Energien und Umwelttechnologien gelenkt. Ich bin überzeugt: Viele Menschen, Kommunen, US-Bundesstaaten und die Wirtschaft in den USA denken anders. Es gibt ja schon einzelne Bundesstaaten, zum Beispiel Kalifornien und Colorado, die sich distanziert haben. Auch über 82 Bürgermeister haben sich zusammengeschlossen und trotzen der Antiklimapolitik Trumps. Sie verfolgen weiterhin den Klimakurs, der unter Obama eingeschlagen wurde, und das 2Grad-Ziel, und das ist gut so. Meine Kolleginnen und Kollegen, warum rede ich über die USA? Weil die Welt seit dem 1. Juni in Sachen Klimaschutz noch enger zusammengerückt ist. Es ist eine noch stärkere Jetzt-erst-recht-Stimmung entstanden. Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Austritts gab es – das ist ebenso ein gutes Signal gewesen – eine gemeinsame Klarstellung Deutschlands, Italiens und Frankreichs, dass es mit ihnen keine Neuverhandlungen des Abkommens geben wird. Das ist aus meiner Sicht nur konsequent. Klimaschutz wird ohne die politische Spitze der USA sicherlich schwieriger, aber er wird auch ohne sie gelingen. Das Gute ist, dass wir die wirtschaftlichen Vorteile haben werden, wenn wir uns bei der Entwicklung von Umweltinnovationen an die Spitze der Bewegung setzen. Bei mir im Wahlkreis wurde das weltweit größte Prüfzentrum für Großkugellager eingeweiht. Solche Projekte müssen in Deutschland stattfinden. Das schafft und sichert Arbeitsplätze, das verbindet Umwelt- und Klimapolitik mit Chancen für die Wirtschaft, meine Damen und Herren. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt jemand von der CSU!) Der Klimaschutz wird gelingen, weil Staaten wie Deutschland voranschreiten. Wir machen die „German Energiewende“, wie es auf internationaler Ebene heißt. Alle Staaten schauen gespannt, wie wir das bewältigen. Ein Beispiel dafür, wie wir es bewältigen, ist der Klimaschutzplan 2050. Sie waren dabei. Wir haben auf der internationalen Klimakonferenz in Marrakesch dafür Lob und Anerkennung geerntet. Wir waren die Ersten, die einen solchen Langfristplan vorgelegt haben. Das müssen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, von der Opposition, auch einmal anerkennen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Kennt den Herr Dobrindt auch?) An dieser Stelle möchte ich sagen – das möchte ich auch im Namen der Union sagen –: Die Berliner Erklärung, werte Kollegin Höhn, ist eine Erklärung von ganz wenigen Abgeordneten. Ich möchte mich als Klimapolitikerin ganz klar davon distanzieren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage das auch im Namen der meisten Kollegen hier im Saal, auch der Union. Meine Damen und Herren, wir wollen Klimaschutzpolitik, die sich ambitionierte Ziele setzt. Diese Ziele müssen aber auch erreichbar sein. Dabei müssen wir immer die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft Deutschlands, unsere Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze beachten. Wir nehmen damit unsere Verantwortung sowohl gegenüber dem Klima und der Umwelt als auch gegenüber den Menschen, den Unternehmen mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahr. Unsere Schlagworte, die wir auch in den Klimaschutzplan hineingebracht haben, sind dabei: Technologie- und Innovationsoffenheit, Europakonformität, Anreiz statt Zwang, Versorgungssicherheit, Kosten-Nutzen-Analyse. Denn mit jedem eingesetzten Euro müssen wir schauen, dass wir so viel CO2 wie möglich einsparen. Wenn wir Festlegungen für die kommenden Jahrzehnte treffen, dann müssen diese gut überlegt sein. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung intensiv um den Plan gerungen hat. Der Klimaschutzplan zeigt den Weg hin zu einer weitgehenden Treibhausgasneutralität im Jahr 2050 auf. Dazu gehört auch der schrittweise, sozialverträgliche und durch Strukturmaßnahmen begleitete Ausstieg aus der Kohlenutzung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin Weisgerber, lassen Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Leidig von der Linken zu? Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ja, bitte. Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Kollegin Weisgerber, ich habe gerade vernommen, dass ein zentrales Anliegen Ihrerseits ist, dass mit jedem investierten Euro möglichst viel Klimaschutz gemacht werden kann. Nun arbeite ich als verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Verkehrsausschuss. Dort haben wir in dieser Legislatur und in diesem Jahr mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 das größte Investitionsprogramm der Bundesregierung, sozusagen ein aktives Investitionsprogramm, verhandelt, und Sie haben es mehrheitlich beschlossen. Ich würde gern von Ihnen wissen, wie Sie es einschätzen, dass für 55 Milliarden Euro neue Autobahnen gebaut werden sollen, dass mit diesem Plan, den Sie mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, auf 40 Prozent mehr Lkw-Verkehr auf unseren Straßen gezielt wird und wie dort das Verhältnis zum Klimaschutz ist. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Zum Bundesverkehrswegeplan ist ganz klar zu sagen: Wir brauchen die Infrastruktur. Wir brauchen die Investitionen in die Straßen. Wir müssen in dem Zusammenhang auch auf alternative Antriebsarten setzen. Deswegen haben wir im Verkehrssektor mit der Bundesregierung im letzten Jahr ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Elektromobilität verabschiedet: steuerliche Abschreibungen für Dienstwagen, 300 Millionen Euro für Ladesäulen, die Kaufprämie. Die Ladesäuleninfrastruktur wird insgesamt vorangebracht. Wir brauchen nämlich die alternativen Antriebsarten. Wir brauchen natürlich den Bahnverkehr, aber auch die Investitionen in die Straßen sind für den wirtschaftlichen Aufschwung und für unsere wirtschaftliche Situation in Deutschland wichtig. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Fürs Klima aber schlecht!) Meine Damen und Herren, ich fahre mit meiner Rede fort. – Ich habe gerade über den Kohleausstieg gesprochen. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Regionalentwicklung“ soll in dem Bereich den Strukturwandel letztendlich gestalten. Es ist wichtig, dass die Kommission schnellstmöglich die Arbeit aufnimmt. Dabei müssen auch die Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. Zum Beispiel wird heute weit über die Hälfte des Gipsbedarfs in Deutschland in Form von REA-Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen von Kohlekraftwerken gedeckt. Fällt der REA-Gips als wichtiger Baustoff weg, wird mehr Gips in der Natur abgebaut. Sie sehen: Die Frage des Kohlebergbaus und des Strukturwandels betrifft nicht nur den Kohlesektor, sondern hat auch Auswirkungen auf die verschiedensten Sektoren und Bereiche. Ein weiteres Novum des Klimaschutzplans ist, dass er ein neues nationales Klimaziel von 55 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 festlegt. Dazu wird zum ersten Mal auch ganz konkret festgelegt, wie die Minderungsziele in den einzelnen Sektoren sind: in der Energiewirtschaft, im Gebäudebereich, im Verkehr, in der Industrie, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft. Zudem skizziert der Klimaschutzplan auch schon erste Maßnahmen. Im nächsten Jahr werden wir ein umfassendes Maßnahmenpaket bekommen, das letztendlich dann auch den weiteren Weg beschreibt. Dieses Maßnahmenpaket wird alle fünf Jahre fortgeschrieben. Wir haben in den einzelnen Sektoren in den letzten Jahren schon wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht; ich kann jetzt nur einige nennen. Was den Verkehrsbereich betrifft, so habe ich die Maßnahmen zur Elektromobilität dank der Zwischenfrage bereits erwähnt. Im Gebäudebereich haben wir das Gebäudesanierungsprogramm bis 2018 verstetigt und auf 2 Milliarden Euro aufgestockt. Außerdem sage ich – das sagen auch die Grünen in einem ihrer Anträge, die ich umfassend studiert habe –, (Beifall der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass wir dringend die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung brauchen. In dieser Aussage sind wir uns einig. Zudem gibt es das Marktanreizprogramm für die erneuerbaren Energien im Wärmebereich. In der Landwirtschaft haben wir die Energieberatung für landwirtschaftliche Unternehmen eingeführt. Die Düngeverordnung ist durch Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. In der Industrie setzen wir auf das europäische Instrument des Emissionshandels, das durch eine umfassende Reform gerade auf neue Füße gestellt und gestärkt wird. Insgesamt ist es uns gelungen – das muss an der Stelle auch einmal gesagt werden –, das Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln; das ist auch eine Leistung. Wir brauchen aber auch die Akzeptanz der Bürger. Deswegen ist es aus meiner Sicht gut, dass zum Beispiel eine Forderung wie die Halbierung des Fleischkonsums aus dem Klimaschutzplan gestrichen wurde; denn das wäre eine Bevormundung der Bürger gewesen. Meine Damen und Herren, werte Präsidentin, ich komme zum Schluss. Der Klimaschutzplan ist ambitioniert. Er gibt der Wirtschaft einen klaren Pfad vor, und er gibt ihr damit auch die notwendige Planungssicherheit. Lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Jahren an der Umsetzung des Klimaschutzplans arbeiten. Wenn im nächsten Jahr das Maßnahmenpaket vorliegt, haben wir wiederum eine Möglichkeit, die Klimapolitik aktiv mitzugestalten und der Welt zu zeigen, dass es Deutschland weiterhin ernst meint mit dem Klimaschutz. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Weisgerber. – Nächste Rednerin: Eva Bulling-Schröter für die Linksfraktion. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Deutschland hat einen Klimaplan, und keiner hält sich daran. Genau das ist nämlich der Zustand der deutschen Klimapolitik. Es klafft eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Seit 2009 steht die deutsche Klimapolitik nämlich so gut wie still, und das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In all diesen Jahren sitzen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Wirtschaftsliberale im Kanzleramt. Sie sind verantwortlich für das Verfehlen der deutschen Klimaschutzziele. Trotzdem – und besonders gerne im Wahljahr – geht Kanzlerin Merkel mit einem Sauberfrauimage hausieren und behauptet, Deutschland sei ein Vorzeigeland in Sachen Klimaschutz. Beim anstehenden G-20-Gipfel in Hamburg wird sie sich vor Trump und der Staatenwelt wieder als große Klimaretterin aufplustern. Ich sage Ihnen: Das ist Wahlkampfheuchelei auf Kosten der Umwelt und auf Kosten der Menschen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Seit acht Jahren stößt Deutschland fast dieselbe Menge an Klimagasen in die Luft. 2009 waren es 907 Millionen Tonnen CO2, 2016 waren es 906 Millionen Tonnen CO2. Der Verkehr verursachte sogar noch mehr Emissionen als 1990. Klimasauerei also seit dem Mauerfall. Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen, und zwar krachend, obwohl wir seit Jahren vom Abriss der schmutzigen DDR-Industrien profitieren; denn ein Großteil der deutschen Emissionsminderungen geht auf das Konto der ostdeutschen Deindustrialisierung. Das sollten wir nicht vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Und was macht die Regierung? Sie stellt sich ernsthaft hin und klopft sich auf die Schulterpolster. Sie lobt sich für eine Klimaschutzpolitik, die ihren Namen wirklich nicht verdient hat. Ich sage Ihnen: Das ist Verrat am Pariser Klimaschutzabkommen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist keine Klimaschutzpolitik nach Plan, das ist Klimaschmutzpolitik. Wir alle wissen, dass die Zeit, die Klimaveränderungen aufzuhalten, immer knapper wird. Ein Jahr mit Hitzerekord jagt das nächste. 2015 und 2016 waren die wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Schlimme Hitzewellen stehen an, um nur eine Folge zu nennen. Ein Drittel der Menschheit ist von lebensbedrohlich ansteigenden Temperaturen betroffen. Machen wir weiter wie bisher, sind im Jahr 2100 drei Viertel der Erdbevölkerung an mindestens 20 Tagen im Jahr lebensgefährlichen Hitzewellen ausgesetzt. Und es trifft eben nicht nur Menschen in Pakistan oder Nigeria: In Europa hat die Hitzewelle von 2003 über 70 000 Menschen das Leben gekostet – 70 000 Menschen. Das heißt also: Die deutsche Klimaschutzlücke kostet Menschenleben. Wer das nicht versteht, der hat seinen Auftrag als Politikerin oder Politiker eben nicht verstanden, der handelt grob fahrlässig und auch unmenschlich. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ihren Beruf verfehlt haben auch die hier im Hause, die sich gegen eine Klimaschutzgesetzgebung stellen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Mitglieder des Bundestages, die gewählt sind, um Gesetzgebung zu betreiben, weigern sich, ein Gesetz zum Klimaschutz zu erlassen. Der Klimaschutzplan ist ja nur ein Ersatz für ein Gesetz. Nichts davon, was in dem Papierchen steht, ist verbindlich. Das muss man wissen. Nichts von diesem weichgespülten Dekarbonisierungsfahrplan hat Gesetzeskraft. Was hören wir aus Nordrhein-Westfalen? CDU und FDP machen den Trump, und kassieren Deutschlands erstes Landesklimaschutzgesetz. Da kann ich nur sagen: Pfui! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist das? Das ist ein Dienst am Kapital, an Privatprofiten von wenigen und ein Angriff auf die Allgemeinheit. Wir aber sind Politikerinnen und Politiker und dem Grundgesetz verpflichtet. Artikel 20a fordert den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, also auch des Klimas, gerade auch für die kommenden Generationen, und zwar – ich zitiere – „durch die Gesetzgebung“. Daher: Geben Sie sich endlich einen Ruck, und hören Sie nicht mehr auf die Lobbys der Autohersteller, der Kohle-Dinosaurier, der Erdölindustrie. Verabschieden Sie endlich ein Klimaschutzgesetz, das seinen Namen auch verdient. Steuern Sie um. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss: Im November findet die Weltklimakonferenz in Bonn statt. Ich denke, es wird viele NGOs, viele Initiativen geben, die dort ihre Meinung sagen und demonstrieren. Ich fordere schon heute, dass wir gemeinsam dort demonstrieren und sagen: Wir wollen keine Klimaveränderungen. Wir wollen eine konsequente Klimapolitik. – Wir sehen uns also spätestens in Bonn wieder. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Eva Bulling-Schröter. – Nächste Rednerin für die Bundesregierung: Ministerin Dr. Barbara Hendricks. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Frau Kollegin Höhn, herzlichen Dank für alles. Frau Bulling-Schröter, auch Ihnen herzlichen Dank. Ich will Ihnen aber auch versichern: Ich habe gar keine Schulterpolster. (Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die letzten vier Jahre waren gute Jahre für den Klimaschutz. Als eines der ersten Länder überhaupt haben wir eine Langfriststrategie in Richtung Treibhausgasneutralität verabschiedet, mit klaren Zielen für das Jahr 2030 und mit einer klaren Orientierung in Richtung 2050, nämlich weitgehende Treibhausgasneutralität. Das ist eines der ambitioniertesten Vorhaben in der Geschichte unserer Volkswirtschaft. Es ist auch ein wirklich ambitioniertes Vorhaben im Vergleich zu dem, was die anderen Industrieländer bisher geliefert haben. Natürlich: Es geht immer noch mehr. Das sage ich auch mit Blick auf das 2020-Ziel. Aber auch diesem Ziel sind wir ein großes Stück näher gekommen. Das Aktionsprogramm „Klimaschutz“ hat die Lücke, die uns die Vorgängerregierung dort überlassen hat, deutlich verringert. Wie gesagt, wir sind noch nicht am Ziel – das ist richtig –, aber das Ziel ist und bleibt erreichbar. Davon bin ich nach wie vor überzeugt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle gemacht. Wir haben begonnen, die schmutzigsten Kraftwerke abzuschalten. Wir haben die Mittel für den Energie- und Klimafonds um über 50 Prozent auf über 3 Milliarden Euro erhöht. Wir geben damit mehr Geld für den Klimaschutz aus als je zuvor. Wir haben die Untätigkeit bei der Energiewende beendet. Vor allem haben wir etwas wirklich Großes, etwas Entscheidendes für die Zukunft des Planeten erreicht: das Abkommen von Paris, das erste weltweit bindende Klimaschutzabkommen. Das ist deutlich mehr, als wir vor vier Jahren zu hoffen gewagt hätten. Falls Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nicht immer ganz zufrieden sind: Pragmatische Schritte sind allemal mehr wert als bloße Worte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt!) In den Ländern, in denen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, mit der CDU regieren – in Hessen und in Baden-Württemberg –, ist Ihr Eifer durchaus überschaubar. (Beifall bei der SPD) Fakt ist: Unsere Klimapolitik wirkt – national und international. Das habe ich gerade auch in den vergangenen Wochen wieder erlebt: in New York bei der UN-Konferenz zum Schutz der Meere – dies haben Sie schon angesprochen, Frau Kollegin Höhn –, auch in Kalifornien, wo wir eine engere Zusammenarbeit beim Klimaschutz vereinbart haben, und beim G-7-Umweltministertreffen in Italien. Die Ankündigung von Präsident Trump, aus dem Pariser Abkommen auszusteigen, hat uns natürlich enttäuscht. Selten wurde eine politische Entscheidung aufgrund so vieler falscher Annahmen getroffen. Diese Ankündigung übergeht all jene Menschen, die schon heute unter dem Klimawandel leiden, und all diejenigen, die nach uns kommen. Sie haben eindrücklich in Ihrer Rede darauf hingewiesen, Frau Kollegin Höhn. Fakt ist aber auch: Diese Entscheidung hat die übrigen Länder enger zusammengebracht – von China über Indien bis hin zu Kanada und auch Russland. Das gibt dann auch wieder neue Motivation für die Klimakonferenzen in Bonn und in Polen. Paris ist kein Selbstläufer – ja, das ist klar, das haben wir auch nie geglaubt. Aber wir wollen Paris zum Erfolg führen. Ich habe die Hoffnung, dass die klare Botschaft der anderen Staaten, die schon vom G-7-Gipfel ausging, auch vom G-20-Gipfel in Hamburg ausgehen wird. Den Kampf gegen den Klimawandel werden wir als Weltgemeinschaft gemeinsam führen und auch gemeinsam gewinnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt ist doch auf ihrem Weg in Richtung Treibhausgasneutralität nicht mehr aufzuhalten. Die Frage für uns ist nur, ob wir dem Fortschritt auf diesem Weg hinterherlaufen oder ob wir voranschreiten. Wir brauchen eine langfristig verlässliche Politik, die klare Signale gibt. Das liegt natürlich auch im Interesse der betroffenen Branchen – eine Selbstverständlichkeit. Die schlechteste Wirtschaftspolitik ist eine, die Veränderungen aus dem Weg geht, die auf kurzfristigen Gewinn anstelle von nachhaltigem Wohlstand setzt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Ihrer Politik zu tun? Das verstehe ich nicht!) Das hat aber noch nicht jeder verstanden; ich dachte wirklich, wir wären da weiter. Die Art und Weise, wie Umweltpolitik von der zukünftigen Koalition in NRW allem Anschein nach begriffen wird, überrascht mich schon. Die Kolleginnen und Kollegen in Düsseldorf scheinen zu glauben, es reiche aus, sich auf die Mindestvorgaben aus Brüssel zu beschränken. Sie hoffen, dass der Emissionshandel dann schon alles richten wird. Das ist nicht genug für ein Bundesland, das zu den innovativsten Wirtschaftsräumen ganz Europas gehört. (Beifall bei der SPD) Beim Lesen des Koalitionsvertrages hatte ich den Verdacht, dass die Thesen des Berliner Kreises in der Union doch mehr Beachtung finden, als man annehmen möchte. Ausgerechnet dem IPCC, also gerade dem Gremium, das politikwissenschaftlich zu Klimafragen berät, zu unterstellen, es betreibe einen „Weltrettungszirkus“, ist schon erstaunlich. (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Das ist nicht gesagt worden!) Wenn der Berliner Kreis – Herr Kollege Lengsfeld, vielleicht nehmen Sie das zur Kenntnis – vorschlägt, die wissenschaftliche Beratung auszudünnen und das IPCC nur noch alle zehn Jahre zu Wort kommen zu lassen, dann sage ich: Willkommen, Herr Kollege, im postfaktischen Zeitalter! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Unsere Antwort auf den Klimawandel kann nicht sein, die Wissenschaft zu ignorieren. Ich danke Ihnen, Frau Kollegin Weisgerber, dass Sie hier sehr deutlich eine andere Position der Union vertreten haben. Meine Hochachtung dafür! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit, dass wir Klimaschutz als eine Komponente unseres politischen Handelns insgesamt begreifen. Der Energiesektor und der Gebäudesektor sind hier ja in den vergangenen Jahren in eine beachtliche Vorleistung getreten. Es wird Zeit, dass der Verkehrssektor und die Landwirtschaft folgen. Der Umweltschutz ist eben kein Gegner unserer Automobilkonzerne oder der Landwirte. Im Gegenteil: Nur wenn sich die deutschen Autobauer von Diesel und Benzin nach und nach verabschieden, werden sie in Zukunft erfolgreich sein. Nur wenn die Landwirtschaft ihre Umweltprobleme in den Griff bekommt, ist sie zukunftsfähig. Klimaschutz ist kein Gegner – er ist Partner. Zugleich gilt: Wir müssen die Akzeptanz beim Klimaschutz im Auge behalten. Die Unterstützung für eine ehrgeizige Klimaschutzpolitik in Deutschland ist hoch. Aber auch das ist nicht für alle Zeit gesichert. Es wäre Augenwischerei, wenn wir davon ausgingen, der notwendige Wandel geschähe, ohne dass Interessensgegensätze auftreten. Es kommt insofern darauf an, die Akzeptanz immer wieder aufs Neue durch eine breite Beteiligung zu fördern. Der Klimaschutzplan 2050 bietet da eine Fülle von Anknüpfungspunkten. Uns kommt es darauf an, die Chancen und die Lasten dieses Wandels fair zu verteilen. Wir brauchen einen gerechten Wandel. Ich glaube übrigens, das wollen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Aber man muss eben auch mit den Menschen reden, die zum Beispiel Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren, und man muss verlässlich sein. Sie beschließen im November auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Münster das Kohleausstiegsjahr 2025, im Januar in der Bundestagsfraktion 2037, und im Wahlprogramm steht jetzt 2030. Sie haben Klimaschutz und Kohleausstieg zu Ihren wichtigsten Themen für die nächste Legislatur erklärt. Kann man dann derart beliebig damit umgehen? (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben ja auch 25 bis 30 gesagt! Da sind doch auch fünf Jahre dazwischen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Annalena Baerbock? Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich habe Ihrer Rede jetzt sieben Minuten gelauscht. Sie haben in alle Richtungen ausgeteilt und beschrieben, wer alles etwas falsch macht. Nun befinden wir uns gerade weltweit in einer dramatischen Situation. Der Klimakollaps schreitet immer weiter voran. Trump tritt aus dem Klimaabkommen aus. Wir haben uns schon gefragt, wie die Antwort der Bundesregierung darauf lautet, außer Empörung nach dem ersten Tag. Ich hatte gehofft, dass Sie hier und heute im Deutschen Bundestag kurz vor dem G-20-Gipfel eine klare Ansage machen, wie die Bundesregierung, vor allem Sie als Bundesumweltministerin, auf diesen Zustand in der Welt reagiert. Wir hatten schon gestern im Ausschuss eine Diskussion darüber geführt, in der ich Sie gefragt habe: Was ist mit dem Emissionshandel? Sie wollten ihn doch vom Kopf auf die Füße stellen; das war Ihre Ansage. Jetzt folgt die Tagung des Europäischen Rates. Von Deutschland kommt nichts, um den Emissionshandel wirklich anzuschärfen. Man unterstützt manchmal irgendwelche Länder, aber eigentlich will man die Stahlindustrie sichern. Eine andere Frage ist: Was ist mit dem Kohleausstieg? Sie hatten mehrere Jahre angekündigt, dass da etwas kommen muss. Jetzt soll 2018 eine Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Gestern habe ich dazu im Ausschuss die Frage gestellt: Wenn Trump jetzt aussteigt, müssen wir Europäer dann nicht sagen: „Jetzt erst recht“? (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Haben wir doch!) Macron hat dazu einen Aufschlag gemacht. Auch hier stellt sich die Frage: Was sagen eigentlich die Bundesregierung und die deutsche Umweltministerin dazu? Wollen wir gemeinsam mit Macron das Thema angehen und die europäischen Klimaziele, den Ausstoß um mindestens 40 Prozent zu mindern, anschärfen? Dazu haben Sie nichts gesagt. Jetzt werfen Sie uns auch noch vor, dass wir einen ganz konkreten Vorschlag machen, wie wir aus der Kohle aussteigen können. Sie haben das in den letzten vier Jahren nämlich nicht gebacken gekriegt. Ich kann Ihnen unseren Vorschlag genau erklären. Wir haben es durchgerechnet: Wir müssen ein CO2-Budget für jedes Kraftwerk erstellen, aus dem hervorgeht, welche Werte es erreichen muss, damit die Pariser Klimaziele eingehalten werden. Außerdem müssen 20 Kraftwerke abgeschaltet werden, damit wir das Klimaziel – das war der Auftrag Ihrer Bundesregierung – für das Jahr 2020 erreichen können, und zwar gemeinsam mit den Regionen, damit es sozialverträglich abläuft. Sie können unsere Vorschläge gerne kopieren. Dann erreichen Sie auch das deutsche Klimaziel. In den letzten vier Jahren haben Sie das nicht geschafft. Herzlichen Dank (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Baerbock, nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir auch in den Klimaschutzplan 2050 hineingeschrieben haben, dass wir im Jahr 2018, also im nächsten Jahr, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist alles immer komischerweise im nächsten Jahr!) die Kommission einsetzen werden, die einen sozialverträglichen Kohleausstieg vorbereiten wird, der die Menschen mitnimmt. Selbstverständlich werden wir unsere Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele in Europa umsetzen. Wir wissen auch, dass es „mindestens“ 40 Prozent heißt. Selbstverständlich werden wir spätestens bis zum Jahresende die Erneuerung des europäischen Emissionshandels hinbekommen, verbunden mit einem Burden Sharing zwischen den europäischen Ländern. Natürlich gibt es unterschiedliche Interessenlagen – das ist klar –, aber das werden wir hinbekommen und die Menschen mitnehmen; denn – wie ich eben schon ausgeführt habe – die Akzeptanz für den Klimaschutz wird man nur erhalten, wenn man die Menschen mitnimmt. Es geht um einen gerechten Klimaschutz. Sie versprechen zum Beispiel einen Beteiligungsprozess, verschicken aber das Ausstiegsdatum gleich mit. So gelingt Beteiligung nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sagen: Wir können über alles reden, aber 2030 ist Schluss. Das ist also nur die Illusion einer Beteiligung. Sie nehmen die Menschen nicht ernst. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über Klimaschutz kann man nicht verhandeln! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ankündigungsministerin!) Sie entscheiden auf Parteitagen über die Köpfe der Menschen hinweg. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch auch raus! Sie haben doch auch „25 bis 30 Jahre“ gesagt!) Andersherum wird ein Schuh draus: Wir müssen – und zwar direkt nach der Bildung der neuen Regierung – alle Akteure an einen Tisch holen: die Gewerkschaften, die Arbeitnehmervertreter, die Unternehmen, die Regionen, die Umwelt- und die Wirtschaftsverbände. Wir müssen gemeinsam einen sozialverträglichen Ausstieg erarbeiten. Wir brauchen jetzt keine Debatten über Jahreszahlen, sondern eine Debatte über neue Chancen für die Menschen und Regionen, wenn der Braunkohleabbau und die Kohleverstromung einem Ende zugeführt werden. Die Akzeptanz unseres Weges zur Treibhausgasneutralität hängt an der Frage der Gerechtigkeit. Das scheinen Sie manchmal aus dem Blick verloren zu haben. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein!) Dieser Prozess ist der Lackmustest für unsere Klimaschutzpolitik. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Und nur wenn wir den Kohleausstieg sozialverträglich organisieren, werden wir glaubhaft den Transformationsprozess unserer Volkswirtschaft insgesamt angehen können. (Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nur wenn wir in Deutschland einen sozial gerechten Weg in Richtung Treibhausgasneutralität finden, werden andere Länder uns folgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der britische Philosoph Alfred North Whitehead hat einmal gesagt: Die Kunst des Fortschritts besteht darin, inmitten des Wechsels Ordnung zu wahren und inmitten der Ordnung den Wechsel zu wagen. Ich denke, das haben wir in den vergangenen vier Jahren geschafft. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Stillstand!) Daran werden wir anknüpfen können, in welcher Rollenverteilung auch immer. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Barbara Hendricks. – Nächster Redner in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich den guten Wünschen und dem Dank an die ausscheidende Kollegin anschließen. Liebe Bärbel Höhn, ich sage es mit Respekt vor Ihrer Arbeit: Ich bin mir sicher, dass Sie hier mehr Spuren hinterlassen werden als den von Ihnen initiierten Bundestagsbienenstock. Alles Gute weiterhin! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Honig ist gut!) – Der Honig ist exzellent. Wir werden ihn weiterhin genießen. Ich will ganz bewusst, weil es mehrfach angesprochen wurde, die fraktionsübergreifenden Gemeinsamkeiten und den Konsens, den wir in vielen Fragen haben, an den Beginn meiner Rede stellen. Es ist so, wie schon Anja Weisgerber betont hat: Ja, wir haben in diesem Haus einen breiten Konsens darüber, welch große Herausforderung, welch große Bedrohung unserer Zeit der Klimawandel im globalen Maßstab ist. Der Klimawandel bedroht viele Menschen in ihren Lebensgrundlagen. Es geht um die Veränderung unserer Welt, es geht um unsere Lebensgrundlagen. Deshalb haben wir allen Grund, gemeinsam dafür zu ringen, zu mehr Klimaschutz zu kommen. Für uns Christdemokraten geht es dabei auch um die Bewahrung der Schöpfung. Deshalb halten wir es für ein ganz wichtiges Ziel, hinter dem wir, CDU, CSU und unsere gemeinsame Fraktion, in großer Geschlossenheit stehen. Uns ist es in besonderer Weise wichtig gewesen, dass die Unterzeichnung des Klimaabkommens erreicht wurde. Es gibt auch da, wie ich finde, beim Eintreten für die Ziele eine große Kontinuität der verschiedenen Bundesregierungen unterschiedlicher Farben. Es war wichtig und richtig, dass es gelungen ist, im Jahr 2015 in Paris das Weltklimaabkommen zu erreichen. Das war ein Durchbruch. Jetzt muss es darum gehen, es in allen Ländern konsequent umzusetzen, es damit zum Erfolg zu machen und so den Klimaschutz gemeinsam voranzubringen. Deshalb eint uns auch die Ablehnung und die Empörung über den amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der quasi mit einem Federstrich aus dem Klimaschutzabkommen aussteigen will, nicht mehr mitmachen will nach dem Motto „America first – und nach mir die Sintflut“ und Klimaschutz den anderen überlassen möchte. Das können wir nicht akzeptieren. Deshalb ist es unsere Haltung, die Bundesregierung auch in Vorbereitung des G-20-Gipfels in Hamburg darin zu unterstützen, all diejenigen zu überzeugen, zu sammeln und zu bestärken, die dieses Abkommen unterschrieben haben. Wir brauchen hier ein klares und starkes Signal für den Klimaschutz. Die Bundesregierung arbeitet dafür. Dafür hat sie die Unterstützung, wie ich glaube, des ganzen Hauses. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Selbstverständlich stellen wir uns der Diskussion, was es für Deutschland bedeutet. Ich möchte Ihnen widersprechen, Frau Höhn, wenn Sie sagen, wir müssten endlich beginnen, Klimaschutz zu machen. Das wird, wie ich finde, unserer Klimapolitik nicht gerecht. Es wird übrigens auch der Politik Ihrer eigenen Regierungszeit nicht gerecht. Deutschland hat längst begonnen, Deutschland gehört zu den prägenden Kräften, Deutschland gehört zu den Vorreiterkräften. Jetzt gilt es, darauf aufzubauen und das, was wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, in den nächsten Jahren konsequent umzusetzen. Ich will ausdrücklich anknüpfen an die Ausführungen der Bundesumweltministerin und auch von Anja Weisgerber, die beide den Klimaschutzplan 2050 genannt haben. Dieser Plan ist die Grundlage für unser Bemühen und Bestreben in den nächsten Jahren. Deshalb müssen wir bei den Themen Kohle, Verkehr, Landwirtschaft, Energieeffizienz und Wärme konsequent vorangehen. Ja, ich halte es für richtig und notwendig, dass wir da eine Schippe drauflegen, dass wir alles versuchen, diesen Prozess zu beschleunigen. Wir dürfen nicht warten. Wir müssen hier engagiert und konsequent vorangehen. Deshalb halte ich es auch für notwendig, dass wir das Thema Kohleausstieg angehen und, so wie es verabredet ist, die Kommission sofort zu Beginn der nächsten Legislaturperiode einsetzen. So können wir mit den Beteiligten zu einem Ergebnis kommen, und so können wir unter Berücksichtigung der Strukturfragen in den Regionen, unter Berücksichtigung der Belange der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, schrittweise aus der Kohle aussteigen und damit schrittweise den Umbau zu einer dekarbonisierten Energiewirtschaft schaffen. Das ist notwendig, und ohne das wird es überhaupt gar nicht gehen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann mal los!) Ich bin auch der Meinung, dass wir den Verkehrssektor in den Blick nehmen müssen; (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Idee!) Ich bin da allerdings anderer Meinung als die Kollegin Leidig. Ich glaube, man sollte das nicht allzu sehr gegeneinander ausspielen. Natürlich brauchen wir den Ausbau von Schiene. Wir brauchen aber auch den Ausbau der Straße – und zwar dort, wo wir Stauschwerpunkte haben –, weil Stau kein Beitrag zum Klimaschutz ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Weniger Verkehr!) Gerade im ländlichen Raum brauchen wir neben dem Ausbau von Schienen auch den Ausbau von Straßen. Wir brauchen aber auch umweltfreundliche Autos, die auf diesen Straßen fahren. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Deshalb unterstützen wir die Bemühungen, die die Bundesregierung im Bereich des Nationalen Aktionsplans ja schon angestoßen hat: Elektromobilität, Elektroautos, Ökostrom als Benzin von morgen – das ist unser Ziel, das müssen wir auf die Straße bringen; in diesem Bereich muss es auch noch schneller gehen. Aber da ist ja vieles schon auf den Weg gebracht worden, worauf man jetzt aufbauen kann. Unsere Antworten sind nicht die Verbote und Befristungen, die die Grünen jetzt beschlossen haben – das ist übrigens auch die Meinung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten –; vielmehr sind wir der Überzeugung, dass man auch da mit allen Beteiligten, gemeinsam mit der Automobilindustrie und mit der Forschung, alles dafür tun muss, damit das Auto der Zukunft, das Ökoauto, made in Germany ist, das wir dann in alle Welt exportieren. So leisten wir einen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgase in unserem Land. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind gespannt darauf!) Letzte Bemerkung. Ich bin sehr dankbar, dass die Bundeskanzlerin in dieser Woche angekündigt hat: Ja, wir wollen einen neuen Versuch unternehmen, um die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung auf den Weg zu bringen. – Wir haben es hier im Bundestag ja schon beschlossen. Es ist an den Ländern und am Bundesrat gescheitert. Jetzt unternehmen wir einen neuen Anlauf. In NRW, so habe ich gesehen, steht es im Koalitionsvertrag. Sie wollen es jetzt wie viele andere Länder auch unterstützen. Dann sollte es doch eine Chance geben. Das müssen wir schaffen; anderenfalls werden wir der Verantwortung, die wir hier für Klimaschutz haben, und der besonderen Bedeutung, die Energieeffizienz dabei hat, nicht gerecht. Es gibt also viel zu tun. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen mit der Leidenschaft, die ja bei allen hier zum Ausdruck gekommen ist, daran weiter zu arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Andreas Jung. – Nächste Rednerin: Heike Hänsel für die Linksfraktion. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Von den Folgen der Erderwärmung sind bereits jetzt diejenigen Länder am härtesten betroffen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben: die Länder des Südens. Ganz aktuell erleben wir in Ostafrika die größte humanitäre Katastrophe seit Gründung der Vereinten Nationen. Über 25 Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. Auch die Klimazerstörung hat mit der von ihr ausgelösten langanhaltenden Dürre dazu beigetragen. Es ist die ökologische Schuld des Nordens, und deswegen braucht es nicht nur mehr Hilfsgelder von hier, sondern es braucht endlich eine ernsthafte, echte Klimaschutzpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Es wurde auch angesprochen: Die Warnungen vor dreistelligen Millionenzahlen von Klimaflüchtlingen in den nächsten Jahrzehnten häufen sich. Diese Klimazerstörung ist auch eine der großen Fluchtursachen, die endlich bekämpft werden muss. Für uns ist aber auch Folgendes wichtig: Klimaschutz ist nicht nur eine Frage alternativer Technologien, alternativer Energieträger, sondern wir müssen uns auch mit diesem herrschenden Wirtschaftssystem und seiner globalen Handelsordnung auseinandersetzen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir nicht aus dieser neoliberalen Globalisierung herauskommen, die auf Ausbeutung der Rohstoffe, auf Profitmaximierung für wenige setzt, können wir die Klimaschutzziele nicht erreichen. Dazu gehört auch der zerstörerische Freihandel, der Land Grabbing vorantreibt, der kleinbäuerliche Existenzen zerstört und der Monokulturen von Palmöl und Soja fördert, soweit das Auge reicht. All das muss endlich aufhören. Freihandel ist kein Beitrag zum Klimaschutz. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen keinen grünen Kapitalismus, sondern endlich internationale solidarische Zusammenarbeit. Dafür haben wir Vorschläge unterbreitet, zum Beispiel den Vorschlag, auf UN-Ebene zugunsten der Länder des globalen Südens einen Fonds zur Kompensation der Folgen des Klimawandels und des Kolonialismus einzurichten, der von den Industriestaaten finanziert wird. Diese Maßnahme muss verbunden sein mit einem solidarischen Wissens- und Technologietransfer, um eine globale Energiewende zu ermöglichen. Die Energiewende muss als globales Gemeinschaftsgut angesehen werden. Sie darf nicht länger als Handels- und Renditeobjekt oder als neuer finanzieller Exportschlager angesehen werden. (Beifall bei der LINKEN) Wichtig ist auch, dass wir die sogenannten Klimafinanztransfers für den Süden nicht mit den Mitteln der Entwicklungsfinanzierung verrechnen. Wir brauchen eine eigenständige Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen. Die soziale und die ökologische Entwicklung müssen zusammengehen. Für den G-20-Gipfel werden bereits Zeichen gesetzt. Angela Merkel rüstet sich für das Treffen mit Donald Trump. Sie ist extra nach Rom gefahren, um sich den Segen des Papstes dafür zu holen. Ich möchte aber davor warnen, Angela Merkel in Hamburg als Klimaretterin zu betrachten; denn sie hat gesagt, sie will, dass in Hamburg ein Bekenntnis zum Freihandel abgegeben wird. Was für eine fatale Ankündigung! Genau das wollen wir nicht. Wir wollen nicht noch mehr Freihandel und noch mehr Ausbeutung, sondern endlich eine international gerechte Handelsordnung. Das ist der beste Beitrag zum Klimaschutz. (Beifall der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Roth, da sind Sie ja vielleicht auch dabei. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Entschuldigung, der Vorsitz hat gewechselt. – Dafür werden am 8. Juli dieses Jahres in Hamburg viele auf die Straße gehen. Es gibt ein breites Bündnis für mehr Klimaschutz und gegen Freihandel. Sie alle sind eingeladen, hinzukommen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, man ist vor so mancher Überraschung nicht gefeit. – Als Nächster hat das Wort: Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Ähnlichkeit ist frappierend!) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Viele Dankesworte sind schon gesagt worden. Ich will mich anschließen und mich bedanken bei Bärbel Höhn, aber auch bei Eva Bulling-Schröter und Josef Göppel, der heute leider nicht anwesend sein kann. Eure Arbeit ist beeindruckend. Ihr habt ganz viel getan für den deutschen und den europäischen Klimaschutz. Ihr habt das mit voller Leidenschaft gemacht. Ich glaube, wir haben das fraktionsübergreifend gut gemacht. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Klimaschutz ist das so eine Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen. In der Tat kommt man sich oft so vor wie bei der Echternacher Springprozession. Das ist aber auch bei anderen politischen Themen der Fall. Das, was Trump an Realitätsverweigerung betreibt, schlägt dem Fass aber in der Tat den Boden aus. Die entscheidende Frage ist, wie wir damit umgehen, wie wir darauf reagieren. Es ist richtig, sich dagegen zu positionieren; das stimmt. Noch viel richtiger und wichtiger ist es aber, mit stärkeren Ambitionen in Europa und in Deutschland darauf zu reagieren. Daher brauchen wir für den G-20-Gipfel in Hamburg eine klare Position. Wir und die anderen 19 Staaten müssen sagen: Wir wollen weitermachen mit einem ambitionierten Klimaschutz. Ich glaube, das ist unsere gemeinsame Erwartungshaltung. Was wurde in den letzten vier Jahren eigentlich erreicht? Man muss sich immer wieder klarmachen – das vergisst man in der aktuellen Debatte gerne –, dass das für 2020 angestrebte Klimaschutzziel – bis 2020 minus 40 Prozent gegenüber 1990 – im Jahr 2007 entwickelt wurde, rund um die Klimakonferenz auf Bali. Dieses Ziel haben wir seit langem, aber wir haben lange nichts getan, um dieses Ziel zu erreichen. Zum Teil wussten wir zwischendurch gar nicht mehr, wo wir auf dem Weg zur Erreichung dieses Ziels stehen. Es ist das Verdienst dieser Bundesregierung, insbesondere dieser Bundesumweltministerin, dass wir uns ehrlich gemacht haben, dass wir uns klargemacht haben, wo wir stehen, dass wir uns klargemacht haben, dass das, was wir bisher gemacht haben, nicht ausreicht, um unsere Ziele zu erreichen. Hier im Deutschen Bundestag wurden Programme dieser Bundesregierung verabschiedet, die aber am Ende nicht ausgereicht haben. Das muss man ehrlicherweise sagen. Wir sind zwar einen Schritt weitergekommen auf dem Weg zur Erreichung des 40-Prozent-Ziels; aber es ist dringend notwendig, dass die neue Bundesregierung und die neue Koalition, wie auch immer sie sich zusammensetzen werden, schon in den Koalitionsverhandlungen neue Maßnahmen beschließen und diese zu Beginn der Legislaturperiode umsetzen, damit wir dieses 40-Prozent-Ziel noch erreichen können. Das Thema Kohleausstieg ist angesprochen worden. Es ist schwierig. Wenn es konkret wird, wird es immer sehr schwierig. Aber ich glaube, es ist mittlerweile über alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens, dass es eine Beendigung der Nutzung von Kohle in diesem Land geben wird. Die Frage ist, in welchen Zeiträumen und wie wir das so machen – das ist jedenfalls das zentrale Anliegen meiner Fraktion –, dass, wie es bei uns heißt, die Menschen nicht ins Bergfreie fallen. Das wird zu organisieren sein. Dazu gibt es viele Hinweise, in den Ministerien, aber auch im Wahlprogramm der SPD. Das wird eine Aufgabe, vielleicht eine zentrale Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein. Bei vielen Zielen, die zu erreichen gewesen wären, sind wir leider nicht in der Spur – das muss man ehrlicherweise sagen –, weder mit Blick auf 2020 noch mit Blick auf 2050. Da muss noch vieles dazukommen. Am Dienstag haben wir in der SPD-Fraktion ein Papier verabschiedet – Klaus Mindrup hat das über alle Arbeitsgruppen hinweg koordiniert –, in dem wir zum Beispiel deutlich gemacht haben, dass die Ausbauziele im Erneuerbare-Energien-Bereich nicht ambitioniert genug sind. Wenn wir andere Sektoren im Wärme- und im Verkehrsbereich mit einbeziehen wollen, dann müssen diese Ziele deutlich angehoben werden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir machen in unserem Wahlprogramm deutlich, dass es nicht ausreicht, von einer Senkung der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 zu reden, sondern dass wir uns mehr am oberen Ende orientieren müssen. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, allerdings nicht, um die Wirtschaft zu gängeln, sondern – ganz im Gegenteil – um verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir brauchen auch Hilfestellungen für den europäischen Emissionshandel. Wenn der Emissionshandel das zentrale Instrumentarium sein soll, dann muss er auch beweisen, dass er es kann. Wenn er es eigenständig nicht kann, dann braucht er Hilfestellungen. Das sind aus unserer Sicht CO2-Mindestpreise, die möglichst im EU-Kontext, zumindest aber mit einer Reihe europäischer Staaten zu verabreden sind. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. – Als Nächster hat Dr. Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir gegen Ende der Wahlperiode noch einmal Gelegenheit haben, grundsätzlich über die Frage des Klimaschutzes miteinander zu debattieren und deutlich zu machen: An welchen Stellen gibt es Gemeinsamkeiten und Schnittmengen, und an welchen Stellen unterscheiden sich unsere Positionen? Zunächst: Als Christdemokrat ist mir der Klimaschutz ein Kernanliegen. Es geht um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, und es geht um die Bewahrung der Schöpfung. Das ist eine ethische Frage. Es ist aber auch eine Frage der Vernunft, auch der ökonomischen Vernunft, dass wir den Klimawandel auf ein verantwortbares Maß begrenzen. Meine Damen und Herren, der Klimaschutz ist eine globale Herausforderung. Deswegen war es so wichtig, dass es in Paris gelungen ist, diesen internationalen Vertrag abzuschließen. Das war ein riesiger Fortschritt. Aber wir wissen eben auch: Der Vertrag steht zunächst einmal nur auf dem Papier. Die 29 Artikel von Paris sind teilweise sehr vage und weich formuliert. Der Vertrag bietet viele Schlupflöcher. Dahinter steckt schlicht und ergreifend der Umstand, dass wir es mit unterschiedlichen Interessen zu tun haben. Es gibt Länder, die für weitgehenden Umwelt- und Klimaschutz streiten. Aber es gibt eben auch Länder, die ganz andere Ziele haben, die vor allem auf mehr Wohlstand und Wachstum setzen. Deswegen wird die Umsetzung dieses Vertrages alles andere als ein Selbstläufer werden. Ich bin zutiefst überzeugt: Wir werden bei der Umsetzung umso besser vorankommen, je besser es uns gelingt, diese Interessengegensätze zu überwinden, also Umwelt- und Klimaschutz auf der einen Seite und Wirtschaft und Wohlstand auf der anderen Seite zusammenzubringen. Diesen Weg müssen wir gehen. Schaffen werden wir das nur mit neuen Technologien, mit Innovationen, mit Forschung und Entwicklung, mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und Anreizen. Da haben wir eine ganze Menge gemacht. Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben hier vor kurzem ein neues Verpackungsgesetz beschlossen. Dieses Gesetz setzt ganz konkrete Anreize, Verpackungen mehr als bisher zu recyceln und zu neuen Rohstoffen zu machen. Das heißt, dass mehr von dem, was die Bürger in den Gelben Sack sortieren, recycelt wird und weniger verbrannt wird. Auch das ist ein ganz konkreter Beitrag zum Klimaschutz. Das ist ein schönes Beispiel, das zeigt, wie Umweltschutz und Wirtschaft vernünftig zusammengehen können. In diesem Weg stecken erhebliche wirtschaftliche Chancen. Es geht um die Märkte der Zukunft. Das ist sicherlich auch ein wesentlicher Grund dafür, dass der amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner unsäglichen Entscheidung, aus diesem Klimaschutzabkommen auszusteigen, bisher keine wirklichen Nachahmer gefunden hat. Das war die eigentliche Sensation der letzten Klimakonferenz in Marrakesch, und bis heute ist es bemerkenswert, dass er keine wirklichen Nachahmer gefunden hat. Damit das so bleibt, ist es entscheidend, dass wir immer wieder unter Beweis stellen: Klimaschutz und eine starke Wirtschaft sind keine Gegensätze, sondern beides geht zusammen. Das ist der Weg, den wir weitergehen, unser Weg zur Umsetzung des Klimaschutzabkommens. Die Grünen vertreten in dieser Frage zum Teil einen anderen Weg. Das ist ein eher rückwärtsgewandter Weg, der vor allem auf Verzichten, auf Einschränken, auf Deindustrialisieren und auf Verbieten setzt. Sie wollen zum Beispiel die Kohleverstromung ab einem bestimmten Zeitpunkt verbieten. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Frau Weisgerber auch gesagt!) Ministerin Hendricks hat darauf hingewiesen: Dafür haben Sie ganz unterschiedliche Zeitpunkte genannt. Zunächst haben Sie 2030 gefordert, im letzten Jahr war es 2025. Heute liegt ein Antrag der Grünen zur Abstimmung vor, in dem steht, dass dies innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte erreicht werden soll. Ich frage Sie: Was gilt denn nun? (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Paris gilt!) Diese ganze Unentschlossenheit, dieses Hin- und Herschwimmen in Bezug auf das konkrete Datum zeigt eigentlich nur die ganze Misere Ihres Ansatzes. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Misere, weil Sie nichts machen!) Es macht nämlich wenig Sinn, heute politisch ein Ausstiegsdatum festzulegen, ohne zu wissen, wann und wie dieser Ausstieg zu erreichen ist. Wir wissen heute nicht, wann genau die Kohle in großem Stil durch saubere Alternativen zuverlässig und zu vertretbaren Preisen ersetzt werden kann, sodass an jedem Ort in Deutschland zu jedem Zeitpunkt des Jahres ausreichend Strom zur Verfügung steht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen es nicht, und deswegen macht es nur wenig Sinn, dieses Datum heute festzulegen. Viel wichtiger ist es, dass wir die Alternativen voranbringen. Das ist die eigentliche Voraussetzung für den Ausstieg aus der Kohle. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Voranbringung der Alternativen muss Hand in Hand gehen mit der Reduzierung der Kohleverstromung. (Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, wir müssen die Alternativen, die erneuerbaren Energien voranbringen und die Stromnetze ausbauen, bei den Speichertechnologien entscheidend vorankommen (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier verschenkte Jahre!) und auf Forschung und Entwicklung sowie neue Technologien setzen, und vor allem müssen wir für neue Technologien offen sein. (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist der Weg, den wir gehen und auch weiterhin gehen werden. Dafür werbe ich, weil wir auf diesem Weg dem weltweiten Klimaschutz mit Sicherheit einen besseren Dienst erweisen, als wenn wir Ihren Weg gehen würden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen Bärendienst erweisen!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Gebhart. – Als nächster Redner spricht Andreas Rimkus für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Andreas Rimkus (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende auf den Rängen! Das Ende einer Legislaturperiode ist für jeden von uns vermutlich immer auch eine Gelegenheit für einen Rückblick auf das Geschaffte. Für mich bietet heute der Antrag der Fraktion der Grünen mit dem Titel „Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökologische Modernisierung angehen und die Klimaschutzlücke schließen“ einen guten Anlass dazu. Sie schreiben nämlich von einem Bekenntnis der Kanzlerin zum Pariser Abkommen und knüpfen dann mit den Worten an – ich zitiere –: „Doch den warmen Worten folgen zu Hause keine Taten.“ Was für eine gute Gelegenheit, gemeinsam mit Ihnen die letzten vier Jahre noch einmal Revue passieren zu lassen. Ziemlich zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen wir das Elektromobilitätsgesetz, das erstmals gesetzlich festlegte, wie wir elektrische Antriebe definieren. Darüber hinaus haben wir – besonders wir als SPD-Fraktion – für die Ausfinanzierung des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie gesorgt und uns auch für seine Weiterführung starkgemacht. Nicht unwesentlich ist dies verbunden mit dem Vorankommen beim wichtigen Ausbau der Versorgung mit Wasserstofftankstellen. In dieser Legislatur haben wir außerdem verschiedene Förderrichtlinien auf den Weg bringen können, die eins deutlich machen: Elektrische Antriebe sind auf unseren Straßen schon längst Realität. Projekte zu innovativen Ideen, die Umrüstung des ÖPNV und den Ausbau der Ladeinfrastruktur konnten wir mit diesem Geld voranbringen. Und es geht weiter: Die Verlängerung der Regelung im Hinblick auf Steuerbegünstigungen für Elektrofahrzeuge und die Kraftstoffe Erdgas und Autogas sind ebenfalls ein wichtiger Bestandteil einer technologieoffenen Förderung. Auch weiterhin werden wir unseren Blick für die unterschiedlichen technologischen Möglichkeiten offenhalten. Nach schwierigen Verhandlungen konnte die so wichtige Ladesäulenverordnung auf den Weg gebracht werden. Sie bildet die Grundlage für die Schaffung eines europäischen Systems. Denn was bringt mir ein Fahrzeug, das ich nach dem Verlassen Deutschlands nicht mehr laden kann, weil der Stecker nicht passt? Ein wichtiges Thema beispielsweise für Handwerksbetriebe war die Anpassung der Gewichtsklassifizierung bei der Fahrerlaubnis. Für Nutzende, die ihr Fahrzeug gern bei ihrem Arbeitgeber laden, haben wir die Anrechnung als geldwerten Vorteil aufgehoben und die Regelung sogar auf betriebliche Fahrzeuge erweitert. Letztlich möchte ich die Beschaffungsinitiative des Bundes nicht unerwähnt lassen. Immerhin haben wir uns gemeinsam zum Ziel gesetzt, dass endlich 20 Prozent der Fahrzeuge im Fuhrpark des Bundes mit elektrischen Antrieben ausgestattet sein sollen. Zum Umweltbonus. Auch wenn der Verkauf von Elektrofahrzeugen nur schleppend vorangeht, verzeichnen wir doch ein stetiges Wachstum. Es gilt wie so oft im Leben: Wir müssen so geduldig sein, dass ein Kamel hysterisch erscheint. – Das ist nicht von mir, sondern von Rafik Schami. Aber es könnte von mir sein; denn ich glaube, an diesem Spruch ist etwas dran. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich könnte diese Liste fortführen. Ich möchte aber die Zeit nutzen, um über das zu sprechen, was vor uns liegt. Ich habe gerade isoliert die Maßnahmen im Verkehrssektor beschrieben. Aber im Wesentlichen geht es doch darum, die Maßnahmen für die Zukunft zu beschreiben, um die Sektoren zusammenzubringen: Energie, Verkehr und Immobilien. Diesen Prozess haben wir als SPD-Fraktion bereits begonnen und gemeinsam mit den Berichterstattern aus den Bereichen Verkehr, Wirtschaft, Umwelt und Landwirtschaft das Positionspapier „Investieren für Arbeit, Innovation, Klimaschutz und gutes Leben“ erarbeitet. Ressortübergreifend konnten wir damit den Aufschlag für eine gemeinsame Vision machen. Um es auf den Punkt zu bringen: In der Sektorenkopplung liegt die Zukunft. Mobilität wird ohne das Stromnetz künftig nicht mehr denkbar sein. Neben der Batterietechnologie wird im Besonderen dem Wasserstoff eine zentrale Bedeutung zukommen. Daher haben wir uns in dem Papier speziell dem Thema der Anerkennung und Förderung des grünen Wasserstoffs gewidmet. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, für meine Fraktion kann ich also sagen, dass es auch in der nächsten Legislatur nicht bei warmen Worten bleiben wird. Ich freue mich schon darauf, daran mitarbeiten zu dürfen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mal gucken!) Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik findet nicht nur im Formulieren von Zielen und Visionen statt – ich denke, darüber haben wir heute sehr viel gehört, und wir sind uns in vielen Zielen sehr einig –, sondern Politik findet auch sehr konkret statt. Deswegen möchte ich heute nach vielen Diskussionen, die ich vor allen Dingen mit den Kollegen und Kolleginnen von den Grünen hier im Plenum des Deutschen Bundestages, im Wirtschaftsausschuss, aber auch bei vielen Veranstaltungen geführt habe, Bilanz ziehen und ein paar Sachen klarstellen. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und die Bundesregierung unter Führung unserer Bundeskanzlerin, haben die Energieeffizienz immer als zweite Säule der Energiewende verstanden und danach gehandelt. Wir haben alleine für die Jahre 2016 bis 2020 rund 17 Milliarden Euro für Energieeinspar- und Energieeffizienzprogramme zur Verfügung gestellt. Wir haben in den letzten Jahren einen riesigen Strauß an Initiativen und Impulsen auf den Weg gebracht. Dennoch muss ich mir heute anhören, dass wir immer noch nicht genug machen. Man merkt: Wir sind schon ein bisschen im Wahlkampf. Ich möchte heute ganz konkret auf den Antrag der Grünen, der auf der Tagesordnung steht, zum Thema „Klimaschutz in der Wärmeversorgung“ eingehen. Ich habe bereits bei der ersten Beratung Ihres Antrags betont, dass ich Ihrem Ziel einer nachhaltigen und sozial gerechten Wärmeversorgung durchaus zustimme. Aber es macht mich langsam ein bisschen ärgerlich, dass Sie beim Klimaschutz und auch bei der Förderung der Energieeffizienz prinzipiell den Ansatz verfolgen: alles oder nichts, schwarz oder weiß, gut oder böse. In der politischen Umsetzung bedeutet das dann: umfangreiche Förderung mit Mitnahmeeffekten für die Guten und ein Verbot für die Bösen. So können Sie auf lange Sicht – aus meiner Sicht zumindest – keine Politik machen. Ich vermisse da jeglichen Realitätssinn. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen möchte ich mir einmal einige Ihrer Forderungen ganz konkret anschauen. Sie wollen mehr Geld für energetische Sanierung. Um genau zu sein: Sie wollen 7 Milliarden Euro und würden damit die jetzigen Mittel verdoppeln, obwohl diese Gelder schon in den letzten Jahren gar nicht abgeflossen sind. Warum sollen wir diese Mittel dann verdoppeln? Das leuchtet mir gar nicht ein. Sie wollen den CO2-Ausstoß stärker als Steuerungsgröße verankern. Ich denke, das kann auch ein richtiger Ansatz sein. Darüber lassen wir auch durchaus mit uns diskutieren. Wenn der CO2-Ausstoß volkswirtschaftlich für alle Sektoren einen Preis hätte, hätten wir ein einheitliches marktwirtschaftliches Instrument, durch das sich die CO2-ärmste Technologie aufgrund ihres Preises auch durchsetzen könnte. Aber für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, gibt es eben Technologien, die in dieser Marktwirtschaft nicht mitmachen sollen, wie zum Beispiel auf fossilen Rohstoffen basierende Heizungsanlagen. Sie wollen eine Erneuerbare-Energien-Pflicht im Gebäudebereich und laufen damit Gefahr, die negativen Erfahrungen aus Baden-Württemberg auf das gesamte Bundesgebiet zu übertragen. Außerdem, denke ich, sollte man seine Vorhaben auch immer zu Ende denken. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Batterien, die ja nach Ihren Plänen im großen Umfang als Speicher in den Heizungskellern benötigt würden und deren Herstellung noch mit unglaublich hohen CO2-Emissionen verbunden ist. Hier muss eine ordentliche Bilanz her, oder es muss – wie Sie immer fordern – der ökologische Rucksack geschnürt werden. Was wir aber auf alle Fälle brauchen – ich glaube, da müssen wir uns einig sein –, ist noch viel Forschung und Entwicklung auf diesen Feldern. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach all dem, was wir in den letzten Jahren bei der Energiewende angeregt und initiiert haben, stehen wir heute offenkundig in manchen Bereichen vor Zielkonflikten. Wo wollen wir hin? Wollen wir vor allem CO2 einsparen oder wollen wir die erneuerbaren Energien nur um ihrer selbst willen fördern? Und wie können wir das, was wir wollen, kostengünstig erreichen? Für mich ist ganz klar, dass wir unsere ambitionierten Ziele nur dann erreichen, wenn wir als Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen – und das haben wir in dieser Legislaturperiode gemacht –, die sehr viel Raum für Innovationen und verschiedene Lösungskonzepte lassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aufgrund des Tempos, in dem neue Technologien entwickelt werden, keine Entscheidungen treffen dürfen, die Lock-in-Effekte nach sich ziehen. Frühzeitige technologische Festlegungen unterbinden nämlich Innovationen und treiben die Kosten langfristig in die Höhe. Wir alle wissen nicht, welche Möglichkeiten uns in ein paar Jahren zur Verfügung stehen. Ist Gas in ein paar Jahren vielleicht ausschließlich grün? Das wäre sehr schön. Dann wäre es aber sehr schade, wenn die jetzt existierende Infrastruktur bis dahin durch eine falsche Politik Schaden genommen hätte, nur weil heute noch ein fossiler Energieträger durch sie hindurchfließt. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Energiewende als eine Herausforderung für Wissenschaft und Forschung verstehen müssen. Die Politik muss diese Entwicklung bestmöglich flankieren, zum Beispiel durch die schon in der vorigen Debatte erwähnte steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für Forschung auch in Unternehmen, die hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich kommt. Technologieoffenheit ist für uns in der CDU/CSU-Fraktion ein Muss, und diese Technologieoffenheit muss auch für fossile Energieträger gelten. Mit Blick auf die aktuellen Zahlen wird klar: Wir könnten im Sinne des Klimaschutzes sehr viel auch relativ einfach erreichen. Denn 54 Prozent der Heizungen in Mehrfamilienhäusern und 50 Prozent der Heizungen in Einfamilienhäusern sind 18 Jahre alt oder älter und folglich nicht sehr effizient. Bei neuen Heizungen wären Einsparungen bis zu 30 Prozent möglich. Weshalb soll man das jetzt schlagartig verbieten? Das leuchtet mir nicht ein. Es geht doch darum, dass wir insgesamt mehr CO2 einsparen. Denn das ist eines der entscheidenden Treibhausgase, und deswegen sind alle Maßnahmen sinnfällig, die dazu beitragen, statt Maßnahmen festzulegen, die darauf zielen, dass die Menschen warten, bis es vielleicht in zwei, drei, vier oder fünf Jahren eine andere Technologie gibt, die als optimal gilt und deshalb eingesetzt wird. Deswegen ist es aus meiner Sicht kontraproduktiv, die Förderung solcher Heizungsumrüstungen – beispielsweise von alten Gas- auf neue Gasheizungen – jetzt einfach abzuwürgen. Dies richte ich auch ganz bewusst an das Bundeswirtschaftsministerium mit Blick auf seine jüngst veröffentlichte neue Förderstrategie. Wir brauchen in Sachen Klimaschutz und Energieeffizienz den größtmöglichen Instrumentenkasten, und wir müssen alle Wege nutzen, um CO2 einzusparen. Deswegen bitte ich alle Kollegen ganz herzlich, dass wir in diesem Sinne weitermachen. Lassen Sie uns alle Möglichkeiten nutzen und vielleicht die etwas weniger vollkommenen jetzt schon nutzen, statt auf die ganz vollkommenen in der Zukunft zu warten. Denn das tut, glaube ich, dem Klima auch nicht gut. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 9 a. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12796 mit dem Titel „Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökologische Modernisierung angehen und die Klimaschutzlücke schließen“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Nein. Der Antrag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Grünen und der Linken abgelehnt. Tagesordnungspunkt 9 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10640 mit dem Titel „CO2-Bremse einführen – Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt. Tagesordnungspunkt 9 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10387, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8876 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 9 d. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht voranbringen – Aktionsplan Faire Wärme starten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11651, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10979 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen. Tagesordnungspunkt 9 e. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klare CO2Reduktionen im Flugverkehr schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11244, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9801 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen. Tagesordnungspunkt 9 f. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12633, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12095 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gibt es wieder keine. Die Beschlussempfehlung ist erneut mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 9 g. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10370 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt kommen wir zu den Überweisungen im vereinfachten Verfahren. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12097 mit dem Titel „Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz“ zu erweitern und sofort als Zusatzpunkt 12 im vereinfachten Verfahren ohne Debatte zu überweisen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c sowie Zusatzpunkte 4 a bis 4 f und 4 h auf sowie den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf: 36.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) Drucksache 18/12727 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom und zur Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/12728 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12729 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss ZP 4   a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fremdrentengesetzes (FRG) Drucksache 18/12718 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung zwecks Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk Drucksache 18/12105 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umweltverschmutzung durch Mikroplastikfreisetzung aus Kosmetika und Waschmitteln beenden Drucksache 18/10875 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtssicherheit für bürgerschaftliches Engagement – Gemeinnützigkeit braucht klare Regeln Drucksache 18/12559 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewährleisten Drucksache 18/12783 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Notz, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Freiwilligendienste ausbauen und weiterentwickeln, Engagement anerkennen und attraktiver machen Drucksache 18/12804 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen Drucksache 18/12795 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz Drucksache 18/12097 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/12097 – Zusatzpunkt 12 – soll federführend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie mitberatend an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Zusatzpunkt 4 g: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das freiwillige und ehrenamtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe stärken Drucksache 18/12802 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Federführung strittig Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12802 mit dem Titel „Das freiwillige und ehrenamtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und der Katastrophenhilfe stärken“ an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das heißt Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, das heißt Federführung beim Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis e, g bis w sowie 22 a und b sowie Zusatzpunkte 5 a bis d auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 37 a: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundesbehörden (Presseauskunftsgesetz) Drucksache 18/8246 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12603 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12603, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8246 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 37 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst Drucksache 18/11533 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/12836 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12836, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11533 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Regierungskoalition und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie eben angenommen. Tagesordnungspunkt 37 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (elDAS-Durchführungsgesetz) Drucksache 18/12494 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/12833 Die genannte, in der EU unmittelbar geltende Verordnung soll grenzübergreifende digitale Transaktionen wie Vertragsabschlüsse und Einkäufe im Internet erleichtern und zu einer europaweiten Akzeptanz von elektronischen Signaturen, Siegeln und Zeitstempeln nationaler Vertrauensdienste in allen EU-Mitgliedstaaten führen. Das jetzt zu beratende Durchführungsgesetz erweitert die Anwendungsmöglichkeiten für elektronische Vertrauensdienste, insbesondere für das in der Verordnung erstmals geregelte elektronische Siegel. Das Gesetz enthält außerdem Regelungen zu Zuständigkeiten und Befugnissen der beteiligten Behörden sowie zu Ordnungswidrigkeiten. Die Bundesregierung wird ermächtigt, Einzelheiten durch Rechtsverordnung zu regeln. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12833, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/12494 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 37 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 Drucksachen 18/12513, 18/12717 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/12815 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12815, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/12513 und 18/12717 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts Drucksachen 18/9534, 18/10025, 18/10307 Nr. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12830 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12830, den Gesetzentwurf auf den Drucksachen 18/9534 und 18/10025 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 37 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hofabgabe als Voraussetzung für den Zugang zur Altersrente für Landwirte abschaffen Drucksachen 18/2770, 18/3455 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3455, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2770 abzulehnen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekommunalisierung unterstützen Drucksachen 18/10282, 18/11019 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11019, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10282 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 37 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abschaffung der Zeitumstellung Drucksachen 18/10697, 18/11809 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11809, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10697 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 37 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Illegalen Elfenbeinhandel stoppen – Afrikanische Elefanten schützen Drucksachen18/10494, 18/11815 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11815, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10494 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 k: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbrauchertäuschungen beenden – Klare Lebensmittelkennzeichnung durchsetzen Drucksachen 18/10861, 18/11823 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11823, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10861 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 l: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinder- und Jugendhilfe – Beteiligungsrechte stärken, Beschwerden erleichtern und Ombudschaften einführen Drucksachen 18/5103, 18/11886 Buchstabe b Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11886, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5103 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 m: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kreis der Anspruchsberechtigten und die Bezugsdauer in der Arbeitslosenversicherung erweitern Drucksachen 18/11419, 18/12167 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12167, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11419 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 37 n: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern Drucksachen 18/11416, 18/12629 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12629, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11416 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 o: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken – Hygiene-Smiley für Lebensmittelbetriebe bundesweit ermöglichen Drucksachen 18/4214, 18/12636 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12636, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4214 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 37 p: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Harald Ebner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtssicherheit und Transparenz bei Lebensmittelkontrollen endlich herstellen Drucksachen 18/9558, 18/12837 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12837, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9558 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltung? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 q: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken Drucksachen 18/8874, 18/12849 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12849, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8874 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 r: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge Menschen Drucksachen 18/12374, 18/12851 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12851, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12374 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 37 s bis 37 w. Tagesordnungspunkt 37 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 444 zu Petitionen Drucksache 18/12561 Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 444 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 t: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 445 zu Petitionen Drucksache 18/12562 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 445 ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 37 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 446 zu Petitionen Drucksache 18/12563 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 446 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 v: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 447 zu Petitionen Drucksache 18/12564 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 447 ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 37 w: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 448 zu Petitionen Drucksache 18/12565 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 448 ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 22 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Diskriminierung bekämpfen – Verbandsklagerecht einführen Drucksachen 18/10864, 18/11448 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11448, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10864 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 22 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes – Eine Reform ist überfällig Drucksachen 18/9055, 18/11639 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11639, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9055 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Zusatzpunkt 5 a: Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) Drucksache 18/12801 Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Zusatzpunkt 5 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Drucksachen 18/12091, 18/12824 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12824, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12091 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 5 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10241 mit dem Titel „Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/981 mit dem Titel „Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der vorangegangenen Abstimmung angenommen. Zusatzpunkt 5 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fahrverbot für laute Güterwagen Drucksachen 18/10033, 18/11144 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11144, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10033 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europapolitik der Bundesregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und Europäischem Rat Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass wir heute zumindest eine Aktuelle Stunde zum Thema Europa haben. Eigentlich hätte Frau Merkel heute hier stehen müssen, um eine Regierungserklärung abzugeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber Sie stehen doch da!) Denn zur anständigen Beteiligung des Parlaments gehört es, dass die Kanzlerin vor dem Europäischen Rat eine Regierungserklärung abgibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben wir im Ausschuss schon gehört!) Das hat sie nicht gemacht. Ich frage mich, warum. Liegt es daran, dass die Bundesregierung keine Positionen hat, dass die Bundesregierung nichts sagen kann, dass die Bundesregierung nichts sagen will? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben klarere Positionen als die Grünen!) Dazu kann man nur sagen: Das ist ziemlich erbärmlich. Damit werden Sie den Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, noch nicht einmal in Ansätzen gerecht. Da hilft auch Ihr ganzes Geschrei nichts. Ihr Geschrei bestätigt es, dass Sie erbärmliche Positionen dazu haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Themen und die Debatten, die anstehen, sind gewaltig. Die begonnenen Brexit-Verhandlungen, die Überwindung der ökonomischen und sozialen Krise in Teilen Europas, die europäische Migrationspolitik, der Rückzug der USA vom Pariser Klimaabkommen, der Kampf gegen den Terrorismus: Das alles ist von elementarer Bedeutung für die Zukunft der EU. Und was tut die Bundesregierung? Sie schweigt, sie taucht ab, sie ist nicht vorhanden. Nehmen wir Griechenland. Jeder weiß, dass es einen Schuldenschnitt für Griechenland braucht, wenn wir die Leiden der griechischen Bevölkerung und das ökonomische Elend beenden wollen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist wohl war!) Der IWF, den Sie mit dabei haben wollten, fordert ihn auch. Und was tun Sie? Sie drücken sich, Sie verweigern sich. Und warum? Weil die CDU/CSU, weil die Bundesregierung zu feige ist, den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl die Wahrheit zu sagen. Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nehmen wir den Brexit. Die Bundesregierung sollte sich für den Zusammenhalt der EU starkmachen, aber eben nicht nur mit schönen Worten. Wenn Sie den deutschen Beitrag zum EU-Haushalt anteilig um 8 Prozent erhöhen würden, dann wäre die finanzielle Lücke, die durch den Brexit entsteht, geschlossen. Aber Ihnen ist der Zusammenhalt der Europäischen Union noch nicht einmal 8 Prozent Erhöhung wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Zusammenhalt gehört eben auch finanzielle Solidarität. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen Freitag ist Altkanzler Helmut Kohl gestorben. Sie alle wissen: Wir Grünen hatten viel Streit mit Helmut Kohl, so viel Streit, dass ich mir – das gebe ich ganz offen zu – früher nie hätte vorstellen können, einmal Teile seiner Politik zu loben. Aber in einem entscheidenden Bereich will ich das heute tun, nämlich Europa. Es war der grüne Außenminister Joschka Fischer, der die Europapolitik Helmut Kohls fortgesetzt hat, und es ist Helmut Kohls eigene Partei, die hier sitzt und sein Lebenswerk demontiert. Damit müssen Sie endlich aufhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt Kohl’scher Zurückhaltung und Achtung der Interessen der kleineren Länder erleben wir seit Jahren Merkel’sche Ignoranz. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur noch peinlich!) Was das Einbinden der kleineren Länder angeht, erleben wir seit Jahren einen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, der triumphierend erklärt, in Europa werde jetzt wieder Deutsch gesprochen, obwohl in der momentanen Lage die Verhältnisse in der Europäischen Union so schwierig sind. Hören Sie endlich auf, auftrumpfend aufzutreten. Fangen Sie endlich an, unseren europäischen Partnerinnen und Partnern auf Augenhöhe zu begegnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) Die EU ist in einer Krise. Die Franzosen wählen einen überzeugten Europäer zum Präsidenten. Macron hat große Visionen und konkrete Ideen für Europa: gemeinsam mehr investieren, um die Jugendarbeitslosigkeit zu senken, ein europäisches Budget, das diesen Namen auch verdient, und – um das Ganze zu erreichen – einen europäischen Finanzminister, der es steuert und verwaltet. Was haben wir von Ihnen, von der Bundesregierung dazu gehört? Die Kanzlerin blieb mal wieder wolkig, zögernd und unklar. Jetzt kann man sagen: Das kennt man von ihr, das ist die Art, wie sie sich ausdrückt. – Aber im Ausland ist das leider mit einigem Recht als Nein verstanden worden, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Im Ausland ist die Kanzlerin anerkannt!) zumal andere Mitglieder der Union in der üblichen peinlichen Art und Weise sofort anfingen, Macron munter zu kritisieren. Es wurde ihm in den Mund gelegt, dass er für Euro-Bonds geworben hat. Es gab wieder die schönen typischen Aussagen, Herr Macron müsse einmal seine Hausaufgaben machen, als wenn er ein Schuljunge wäre. So begegnet man seinen Partnerinnen und Partnern auf europäischer Ebene eben nicht auf Augenhöhe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) Europa hat durch die Wahl von Macron vielleicht eine letzte Chance bekommen. Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, achten Sie auf die Zeit. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Macron wirbt vor dem europäischen Gipfel für eine Allianz des Vertrauens, wie sie Mitterrand und Kohl hatten. Jetzt muss ein europäischer Aufbruch gelingen, um diesem Kontinent endlich wieder Mut und Zusammenhalt zu geben. Es sind Mut und Vision gefragt und nicht Ihr weiteres peinliches Draufdreschen auf die europäischen Partnerinnen und Partner. Reißen Sie sich endlich zusammen. Erinnern Sie sich an Ihr europäisches Erbe, und sorgen Sie dafür, dass diese Europäische Union zusammenhält. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. – Das Wort hat nunmehr der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hofreiter, ich habe überhaupt nicht verstanden, worüber Sie eigentlich sprechen. (Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU] – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist leider das Problem bei der Union, dass sie nicht versteht, was es bedeutet!) Ich habe es wirklich nicht verstanden; denn die Themen, die europapolitisch wichtig sind, diskutieren wir jede Woche hier im Parlament und in den Ausschüssen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube Ihnen, dass Sie das nicht verstanden haben! Das ist Teil des Problems! Es ist Teil des zentralen Problems, dass Sie das nicht verstehen!) Die Positionierungen, die die CDU/CSU-Fraktion vorgenommen hat, sind klar proeuropäisch, weil (Beifall bei der CDU/CSU) wir glauben, dass wir in Europa gemeinsam bessere Ergebnisse erreichen als alleine. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wäre es!) Das ist der entscheidende Punkt. Ja, das letzte Jahr war ein schwieriges Jahr. Wir stehen auch vor Krisen und Herausforderungen. Sie haben den Brexit angesprochen. Zur Wahrheit gehört dazu, dass es die Bundesregierung durch ihre Arbeit auch ermöglicht hat, dass die Brexit-Verhandlungen erstens gut angelaufen sind und dass wir zweitens die Situation 27 : 1 haben, also Geschlossenheit in Europa. Das ist der effektive Beitrag der Bundesregierung. So zu tun, als würde sich die Union oder die Regierung in die Büsche schlagen, ist einfach erbärmlich, um ihre Wortwahl zu wählen, lieber Herr Kollege Hofreiter. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht ist es einfach die Wirklichkeit!) Ich glaube umgekehrt: Aufgrund der Geschichte der Europäischen Union kann man feststellen, dass sie sich in den Krisen und aus den Krisen heraus entwickelt hat. Sie hat es üblicherweise geschafft, aus den Krisen besser herauszukommen, als sie hineingegangen ist. Wenn man sich die Situation ehrlich anschaut, dann ist es doch ein Zerrbild, nur von Problemen zu sprechen und die Chancen zu übersehen. Sehen Sie nicht, dass es auch ein positives Momentum gibt? Ich nenne einmal die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir haben Themen, bei denen wir erkennen, dass es einen europäischen Mehrwert gibt. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Rüstung für alle!) Wir haben Themen, bei denen wir erkennen können, dass es überhaupt keine nationalen Lösungen mehr gibt, sondern dass wir zusammenarbeiten müssen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Rüstung für alle? Toller Mehrwert!) Weil Sie ein ganzes Tableau von Themen aufgetischt haben, will ich heute nur zu einem sprechen. Es ist ein Thema, von dem ich glaube, dass wir es nur gemeinsam angehen können. Das ist die Bewältigung der Migrations- und Fluchtherausforderungen. Ich glaube, wir brauchen mehr europäische Zusammenarbeit. Wir müssen schauen, wie wir die Dinge hinbekommen; denn sie laufen derzeit nicht so, wie sie laufen sollen. Ich will ausdrücklich sagen – ich habe das gestern auch dem Staatsminister gesagt –: Ich halte es für richtig, dass man vor dem Rat ein Stück weit die Themen abgrenzt, von denen man weiß, dass man keine schnelle und einvernehmliche Lösung finden wird – wie etwa den gemeinsamen Verteilmechanismus in Europa –, sie eher etwas zurückstellt und zunächst die Themen herausgreift, bei denen man tatsächlich Lösungen finden kann. Denn die Nutzung des Momentums, von dem ich vorhin gesprochen habe, setzt eben auch voraus, dass wir nicht einzelne Länder in Europa ausgrenzen, sondern gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft angehen und bewältigen. Ich halte es also für wichtig, hier nicht das Trennende herauszustellen, sondern, ganz im Gegensatz, das Gemeinsame. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir die Migrationsherausforderungen bewältigen möchten, dann reicht es nicht, den Blick auf das Heute und Jetzt zu werfen, auf den Bürgerkrieg in Syrien, einem relativ kleinen Land mit gut 20 Millionen Einwohnern, oder auf die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe, die aus Afghanistan, einem ebenfalls relativ kleinen Land mit gut 30 Millionen Einwohnern. Die Herausforderungen der Zukunft werden auf dem afrikanischen Kontinent liegen. Er hat derzeit 1,2 Milliarden Einwohner, zur Mitte des Jahrhunderts werden es 2,5 Milliarden, zum Ende des Jahrhunderts 4 Milliarden sein. Insofern müssen wir uns darüber im Klaren sein, wie wir diese Herausforderung bewältigen können. Wenn wir die Offenheit, denen zu helfen, die unsere Unterstützung wirklich benötigen, erhalten möchten, dann setzt dies voraus, dass wir unsere Grenzen kontrollieren und sicherstellen, dass diejenigen, die unberechtigt in Europa sind, tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden; (Beifall bei der CDU/CSU) es bedeutet, dass wir Fluchtursachen bekämpfen müssen, dass wir besser werden müssen, als wir es beispielsweise im Falle der Nigerianer sind. Dazu hat die Europäische Stabilitätsinitiative aktuelle Zahlen veröffentlicht. Die Nigerianer bilden eine der größten Gruppen der Flüchtlinge aus Westafrika. Letztes Jahr sind 19 000 Nigerianer nach Europa gekommen. 520 sind als Flüchtlinge anerkannt worden, 4 200 haben subsidiären Schutz bekommen. Tatsächlich sind von den 14 000, die dann unberechtigt in Europa waren, 120 abgeschoben worden. Das funktioniert so nicht. Wir müssen deshalb schauen, dass wir den Außengrenzschutz hinbekommen, wir müssen schauen, dass wir das gemeinsam und europäisch machen. Wir müssen aber genauso schauen, dass diejenigen, die nicht bleibeberechtigt sind und keine Bleibeperspektive haben, nach Möglichkeit gar nicht nach Europa kommen, dass wir andere Möglichkeiten finden, beispielsweise in Nordafrika, beispielsweise durch eine gemeinsame Anstrengung an der Grenze zwischen Niger und Libyen. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir die Probleme an der Wurzel packen, wenn wir doch konstatieren müssen, dass wir die Auswirkungen am Ende kaum mehr im Griff haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist genug zu tun. Ich glaube, die Herausforderungen sind riesig. Aber gemeinsam werden wir das schaffen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege Frei. – Als Nächster hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU ist in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Ich glaube, das kann man nicht mehr verleugnen. Der Brexit war ein Ausdruck dessen. Wenn auch der neue französische Präsident heute in einem Interview sagt, er verstehe die Angst, dass Europa zerfällt, ist das ein weiterer Beleg dafür, in welch schlimmer Situation die EU ist. Anstatt hier im Parlament eine Debatte darüber zu führen, mit welcher Position die Bundesregierung in den nächsten Rat geht, verweigert sich die Bundesregierung Angela Merkel dieser Diskussion. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie weigert sich überhaupt nicht! Sie hat im Ausschuss informiert!) Deshalb ist die Aktuelle Stunde dringend notwendig. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist schon ein symbolhaftes Zeichen, dass die Bundeskanzlerin sehr wohl vorgestern beim BDI über Europa geredet hat, aber es hier im Bundestag zwei Tage später nicht tun will. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hier redet sie immer, aber nicht, wenn Sie reden wollen!) Deutlicher kann man nicht zeigen, dass sich die Bundeskanzlerin als Lobbyistin der Wirtschaft und Industrie versteht, wenn sie nicht hier dem Parlament Rede und Antwort stehen will. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie hat hier mehr über Europa geredet als Sie!) Warum will man es wohl nicht? Man müsste dann hier vielleicht mal vor der Bundestagswahl die Tatsachen auf den Tisch legen, zum Beispiel hinsichtlich der Griechenland-Rettung. Was haben Sie denn vor zwei Jahren beschlossen? Sie haben doch beschlossen: Ohne IWF-Beteiligung gibt es nichts. – Und was ist jetzt? Man kann es doch fast nicht mehr verheimlichen, dass der IWF ausgestiegen ist und sich nicht mehr beteiligt. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo steht denn das?) Anstatt zu sagen: „Jawohl, wir haben den Bundestagsbeschluss gebrochen, der IWF macht nicht mehr mit“, macht man vor der Bundestagswahl gar nichts. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden sehen, dass man nach der Bundestagswahl sehr schnell sagen muss: Der IWF ist nicht mehr dabei. – Wir sagen ganz deutlich: Sie wollen der deutschen Bevölkerung nicht die Wahrheit sagen. (Beifall bei der LINKEN) Wir, die Bundestagsfraktion Die Linke, haben immer gesagt, dass die Griechenland-Rettung ein fatales Signal ist. Die sogenannte Griechenland-Rettung war ja keine Rettung der Griechen, sondern eine Rettung des Geldes der Finanzwirtschaft, auch deutscher und französischer Banken. Die griechische Bevölkerung hat von diesem Milliardenregen nichts bekommen. Vielmehr folgte ein Sozialabbau auf den nächsten, und dort, wo noch etwas zu verdienen war, hat man die Griechen gezwungen, zu privatisieren, zum Beispiel auch Flughäfen, Stichwort: Fraport. Diese Griechenland-Rettung ist gescheitert, und das müssen Sie auch so benennen. Es braucht unbedingt einen Schuldenschnitt. Wir brauchen eine Schuldenkonferenz in Europa, um diese Probleme politisch zu lösen. Wir als Linke fordern Sie auf, dafür europäisch zu werben. (Beifall bei der LINKEN) Zur Frankreich-Wahl. Interessant ist ja, dass die Kanzlerin und der SPD-Kanzlerkandidat sich fast schon drängeln, wenn es darum geht: Wer ist der Partner von Macron? Ich möchte daran erinnern: Ihre Partnerparteien haben bei der französischen Wahl drastische Niederlagen eingefahren. Macron gehört weder den Sozialdemokraten noch der Union. Ihre Partnerparteien sind grandios abgewählt worden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!) Wenn jetzt aus Ihren beiden Parteien der Hinweis kommt, Macron sollte jetzt mal schnell reformieren, dann sagen wir als Linke ganz deutlich: Frankreich braucht alles, aber keine französische Agenda 2010. (Beifall bei der LINKEN) Ein französischer Präsident, der gerade einmal 20 Prozent tatsächliche Zustimmung in der eigenen Bevölkerung hat, sollte sich gut überlegen, was er macht. Wir als Linke sind eindeutig auf der Seite der französischen Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die deutlich machen: Dann sehen wir uns auf der Straße wieder. – Widerstand ist angesagt gegen eine Agenda 2010 in Frankreich. (Beifall bei der LINKEN) Dass die Sozialdemokratie diese Politik auch noch gut findet, ist nicht nachzuvollziehen. Eigentlich sollte sich die Sozialdemokratie an der Frage orientieren: Warum hat Corbyn in England so gut abgeschnitten? Corbyn hat mit einem progressiven linken Programm 40 Prozent erzielt; davon können Sie mit Ihrer Agenda-2010-Politik in Deutschland nur träumen. Wie Sie zu Corbyn und seinen Inhalten stehen, das kann man heute noch auf der Internetseite der SPD-Bundestagsfraktion nachlesen. (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!) In einem Interview mit der Welt wird Herr Oppermann gefragt, wie er zu Corbyn, zur EU, zur Innenpolitik in Großbritannien und zu Labour steht. Thomas Oppermann sagt – ich zitiere –: Jeremy Corbyn hat die einst bedeutende Labour Party kampfunfähig gemacht. … Nach dem Brexit ist die Partei zerrissen. Corbyn lehnt ein Plädoyer für Europa ab. Labour ist deshalb völlig orientierungslos und wird bei der Wahl voraussichtlich eine katastrophale Niederlage erleiden. Corbyn ist ein Alt-Linker, der ähnlich wie Wagenknecht Europa als eine Festung des Kapitalismus betrachtet. Er ist deshalb unfähig, die positiven Werte Europas – Frieden, Demokratie, Wohlstand, Reisefreiheit – angemessen zu würdigen. Ich kenne viele wirklich gute Akteure bei Labour. Aber wenn ich mir Labour heute ansehe, leide ich wie ein Hund. Wenn ein SPD-Fraktionsvorsitzender bei 40 Prozent für Labour leidet wie ein Hund, dann ist klar, für welche Politik die SPD steht. (Norbert Spinrath [SPD]: Bekennt ihr euch doch mal zu Europa!) Sie sollten sich an Corbyn ein Beispiel nehmen und Ihre unsoziale Politik beenden. (Beifall bei der LINKEN) Wir in Europa brauchen dringend mehr Investitionen. Deutschland ist nicht Lösung des Problems, sondern Teil des Problems. Die riesigen Außenhandelsüberschüsse sind ein riesiges Problem für die Euro-Zone. Das sagt der neue französische Präsident, nicht nur Trump und andere. Deswegen müssen die riesigen Außenhandelsüberschüsse endlich abgebaut werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste hat das Wort die Kollegin Angelika Glöckner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Angelika Glöckner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es, dass wir heute hier über Europa reden und wir uns mit diesem aus meiner Sicht so wichtigen Thema befassen. Wir alle wissen: Noch immer ist in der EU vieles nicht so, wie wir es uns wünschen. Ich danke an dieser Stelle Staatsminister Roth, der uns gestern im Europaausschuss über die Themen, die heute im Europäischen Rat anstehen, informiert hat. Vielen Dank für die umfassenden und wie immer kompetenten Informationen. Ich teile die Auffassung einiger meiner Vorredner und drücke mein Bedauern darüber aus, dass die Bundeskanzlerin heute nicht hier spricht, um uns ihre Positionen zu verdeutlichen. Ich glaube, das wäre ein wertvoller Beitrag gewesen, um der oft bemängelten Intransparenz europäischer Politik ein Stück entgegenzuwirken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Europa ist und bleibt ein wichtiges Gebilde; denn nirgendwo auf der Welt – das möchte ich auch betonen, Herr Ulrich – leben Menschen so frei, so friedlich und so demokratisch wie in dieser EU. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In einer Zeit, in der andere Regionen in der Welt wachsen und immer mehr an Bedeutung gewinnen, wie etwa in Asien oder Lateinamerika, ist es wichtig, auch künftig gehört zu werden. Die Menschen hier in Europa müssen deswegen künftig geschlossen mit einer starken Stimme sprechen. Dies wird nur dann gelingen, wenn die EU zusammenhält und sich die Mitgliedstaaten nicht auseinanderdividieren lassen. Wir wissen aber: Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die europäische Uneinigkeit während der Flüchtlingswelle und zuletzt der Brexit haben das Vertrauen der Menschen in die EU erschüttert und gefährden den Zusammenhalt der EU. In vielen Gesprächen erzählen mir die Menschen immer wieder, dass sie in erster Linie von der EU erwarten, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht und dass sie hinreichend sozial abgesichert sind. Dafür braucht es auf jeden Fall eine gute nationale Sozialpolitik der einzelnen Mitgliedsländer in der EU. Wir von der SPD-Fraktion, Herr Ulrich, haben in der laufenden Periode vieles auf den Weg gebracht. Ich würde mir wünschen, dass Sie das einfach einmal realisieren. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was denn? Das glauben Sie doch wohl selber nicht!) Wir haben beispielsweise den Unterhalt für Alleinerziehende auf den Weg gebracht. Wir haben geholfen, finanzschwache Kommunen zu stärken. Wir haben die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes auf den Weg gebracht und damit gerade für die unteren Lohnbereiche das Lohnniveau erheblich angehoben. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Was hat das denn mit Europa zu tun?) Erkennen Sie das an, und blenden Sie diese Wirklichkeit nicht immer aus! Diese Errungenschaften wollen wir auch nach der Bundestagswahl ausbauen, verfestigen und verbessern. (Beifall bei der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mit wem? Mit denen da drüben?) Wir wissen aber auch – das dürfen wir nicht ausblenden –: Leider sieht die Realität in anderen Staaten der EU anders aus. Auch wenn sich Europa insgesamt gesehen langsam erholt, gibt es nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern. Anstatt dafür zu sorgen, dass sich soziale Standards für die Menschen spürbar verbessern, werden vor allem in den ärmeren Mitgliedstaaten weitere Einschnitte vorgenommen. Desolate Haushalte sollen durch konsequente Sparvorgaben im Rahmen des Fiskalpakts aufgebessert werden. Das führt zu weiteren sozialen und finanziellen Einschnitten bei den Menschen. Aber genau das wiederum – das wissen wir auch – bremst den Konsum und verhindert, dass die Konjunktur anspringt. Dies zeigt einmal mehr: Das Spargebot alleine führt in eine Wachstumsfalle. Ohne eine verstärkte unterstützende und solidarische Rolle Europas werden die gebeutelten Mitgliedstaaten da nicht mehr herauskommen. Deswegen muss ganz oben auf unserer europäischen Agenda mit Blick auf die Zukunft eine sozialere Europapolitik stehen. Vor allem muss ganz oben auf der Agenda die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stehen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist nach wie vor mit 40 Prozent in einigen EU-Ländern erschreckend hoch. Die Jugendgarantie, die hilft, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, muss weiterhin finanziert werden und, wenn nötig, nachgebessert werden. Vor allem aber muss die Bildung in staatlicher Hand bleiben. Übertriebene Sparanforderungen anderer europäischer Mitgliedstaaten dürfen nicht dazu führen, dass Bildung vom Geldbeutel der Eltern abhängig wird. Bildung in der EU muss für alle zugänglich sein und zugänglich bleiben. Die Regelungen zur Entsendung von Arbeitnehmern müssen überarbeitet werden. Die Zahl der entsandten Arbeitnehmer steigt stetig an. Dabei kommt es besonders in einigen Branchen zu gravierenden Problemen bei der Einhaltung von Lohn- und Arbeitsstandards. Freizügigkeit darf eben nicht zur Ausbeutung und zu schlechten Arbeitsbedingungen führen und darf erst recht nicht dazu genutzt werden, um Sozialdumping zu betreiben. Sozialdumping, liebe Anwesende, ist ein Spaltpilz, deshalb muss es unterbunden werden. Es bedarf der Umsetzung des Prinzips: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Was wir aber insgesamt gesehen auf den Weg bringen müssen, ist, dass wir Anreize schaffen für weitere Investitionen vor allem in arbeitsplatzschaffende Infrastrukturprojekte. Es muss gelingen, dass wieder mehr Menschen vor allem auch in den wirtschaftlich schwächeren Ländern Europas erwerbstätig werden, dass sie mehr Geld in der Tasche haben, damit konsumieren können, sodass so die Konjunktur endlich wieder anspringen kann. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin. Angelika Glöckner (SPD): Wir müssen auch – meine letzte Bemerkung – dafür sorgen, dass wir insgesamt höhere soziale Standards haben. Wir müssen wichtige Standortvorteile hier in Europa schaffen, und deswegen bin ich Andrea Nahles sehr dankbar dafür, dass sie versucht, eine europäische Grundsicherung voranzubringen. Ich kann nur sagen: Vizepräsidentin Michaela Noll: Das war ein schöner Schlusssatz. Angelika Glöckner (SPD): Ich bin sofort fertig. – Der Proeuropäer Macron hat eine neue Chance erhalten. Diese gilt es zu nutzen, und ich wünsche mir für Europa, dass wir vieles auf den Weg bringen werden. Die SPD hat viele gute Vorschläge gemacht. Wir werden sie am Wochenende bei unserem Bundesparteitag vertiefen und werden weiterhin Verantwortung für ein sozialeres Europa übernehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Als Nächster hat das Wort der Kollege Carsten Körber für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Carsten Körber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Morgen ist es genau ein Jahr her, dass die Briten für den Brexit gestimmt haben. Mit dem Nein zu Europa kehrt Großbritannien einem Staatenbündnis den Rücken, das das erfolgreichste und das friedlichste der Geschichte ist. Mit der Entscheidung zum Brexit hat Großbritannien nach meiner festen Überzeugung den falschen Weg eingeschlagen. Wenn Sie mich Anfang des Jahres gefragt hätten, wie es wohl 2017 mit der EU weitergeht, dann wäre ich mir der Antwort nicht so sicher gewesen. Doch dann kamen Trump, Erdogan und Putin, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Putin war schon da!) und man hat festgestellt, dass die Idee eines gemeinsamen Europas vielleicht doch nicht so schlecht ist. Ich bin sehr dankbar, dass auch die Franzosen sich zum richtigen Zeitpunkt daran erinnert haben. Die Idee der europäischen Einigung ist so aktuell und so wichtig wie nie zuvor. Auch deshalb stimmt es mich zuversichtlich, dass die Zustimmung der Menschen zu Europa in jüngster Zeit spürbar gestiegen ist. Gestiegen ist auch die Einsicht in die Notwendigkeit einer engen und guten Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Gute Politik braucht gute Argumente, einen klaren Kopf und Besonnenheit, und genau das zeigt, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Europapolitik unserer Bundesregierung. Aber was heißt das konkret? Schauen wir einmal nach Portugal. Die portugiesische Regierung will einen Teil ihrer IWF-Kredite vorzeitig zurückzahlen. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Eine linke Regierung!) Das Land kann sie zurückzahlen, weil es eben die notwendigen Reformen erfolgreich umgesetzt hat, und so kann Portugal heute auf dem Kapitalmarkt günstigere Kredite als beim IWF bekommen und somit Hunderte Millionen Euro sparen. Auch Griechenland hat nun endlich diesen erfolgreichen Reformkurs eingeschlagen. Es hat seine Hausaufgaben gemacht und sich im letzten Jahr deutlich besser entwickelt als zuvor noch prognostiziert. Allein von den 140 vereinbarten wirtschaftspolitischen Maßnahmen hat Griechenland 136 umgesetzt, und die restlichen vier folgen demnächst. Damit sind nun die Vorbedingungen erfüllt, um im Rahmen des ESM-Anpassungsprogramms die Tranche von 8,5 Milliarden Euro auszuzahlen. Das dritte Griechenland-Hilfspaket hat ein Gesamtvolumen von 86 Milliarden Euro. Davon sind dann gut 40 Milliarden Euro ausgezahlt; das heißt inklusive der 8,5 Milliarden Euro. Das sind circa 47 Prozent des Gesamtvolumens. Wir befinden uns aktuell im zweiten von drei Programmjahren. Es ist derzeit nicht zu erwarten, dass zum Ende der Programmlaufzeit diese 86 Milliarden Euro vollständig ausgeschöpft werden. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Deswegen brauchen wir den IWF auch nicht mehr!) Diese Gesamtsumme von 86 Milliarden Euro ist aber bei der Berechnung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands in vollem Umfang berücksichtigt. Das bedeutet: Wenn diese 86 Milliarden Euro eben nicht ausgeschöpft werden, dann verbessert sich auch die Schuldentragfähigkeit Griechenlands, und das bedeutet wiederum, dass Griechenland die Chance hat, schneller wieder auf die Beine zu kommen, als von uns angenommen. Jetzt ist es an uns, unseren Teil zu tun und zu zeigen, dass wir eben in Europa der zuverlässige Partner sind. Europa ist unsere Zukunft. Europa ist unser Schicksal. Ohne diese feste Überzeugung unseres jüngst verstorbenen Altkanzlers Helmut Kohl würde ich als in der DDR Geborener heute nicht in diesem Hohen Hause unseres wiedervereinigten Vaterlandes sprechen können. (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Gegenruf von der CDU/CSU: Das war ja wohl peinlich!) Die deutsche Einheit und die europäische Einigung waren für Kohl immer zwei Seiten derselben Medaille. Die Worte Kohls sind für mich Mahnung und Auftrag zugleich. Nehmen wir sie als Auftrag und Richtschnur unseres Handelns! Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, sein Werk, die Einheit unseres Vaterlandes, aber vor allem die Einheit Europas, voranzutreiben und weiter zu vertiefen, und zwar in seinem Sinne: in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Körber. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Die Linke Andrej Hunko. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde zur Europapolitik der Bundesregierung ist notwendig geworden, weil die Kanzlerin sich weigert, hier vor Beginn des Europäischen Rats zu reden (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist doch absurd!) – so ist es –, um zu verdecken, dass der IWF bei der Vereinbarung mit Griechenland nicht, wie versprochen, mit an Bord geholt wurde, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) weil der IWF einen Schuldenschnitt fordert. Den gibt es nicht. Dieser Schuldenschnitt ist aber notwendig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch diese Debatte ist notwendig, und es ist ein Skandal, dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung hier nicht angemessen vertreten sind. (Beifall bei der LINKEN – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Ein Zeichen, dass Sie keine Ahnung haben!) Wir haben viele ganz wichtige Themen zu besprechen. Ein ganz wichtiges Thema ist gerade schon von Herrn Körber angesprochen worden: der Brexit. Wir müssen darüber reden, wie die Brexit-Verhandlungen laufen und was der Brexit für die Menschen in Großbritannien und in Europa bedeutet, die hier bzw. dort leben. Herr Körber, ich will Ihnen sagen: Großbritannien bleibt Teil Europas. Diese Insel wird nicht verschwinden, sie wird europäisch bleiben. Wir brauchen Verhandlungen, die am Ende zu einem guten Ergebnis für die Menschen in Großbritannien und in der EU führen. Dazu gehören auch Regelungen für die 3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien und für die Briten, die in der EU leben. Ich sage ganz deutlich: Wenn man mit Drohszenarien arbeitet, wie das im Augenblick auf beiden Seiten der Fall ist, wird es nicht oder nur sehr schwer möglich sein, diese Regelungen zu vereinbaren; denn dann wird das für beide Seiten zum Verhandlungsgegenstand. Auf britischer Seite findet das bereits statt: Die 3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien werden drangsaliert, bekommen 86-seitige Vorlagen zum Bleiberecht usw. Das darf nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen faire Verhandlungen. Wir brauchen keine Drohszenarien. Wir brauchen vor allen Dingen Regelungen für die Menschen hier und dort. Die Situation in Großbritannien ist nach der Wahl sehr offen. Es gibt keine feste, klare Regierung. Theresa May hat die Wahlen verloren, sie hat keine Mehrheit mehr. Sie versucht jetzt, die sehr fragwürdige nordirische DUP in die Regierung einzubinden. Wir wissen nicht, wie sich die Situation in Großbritannien entwickeln wird. Nach den Wahlen liegt Labour in allen Umfragen vorne. Herr Ulrich hat eben schon darauf hingewiesen, dass es ein Phänomen ist, dass die Sozialdemokraten in Großbritannien – also Labour – unter einem linken Vorsitzenden so stark sind wie nirgendwo sonst in Europa. Herzlichen Glückwunsch an Jeremy Corbyn zu diesem Ergebnis. (Beifall bei der LINKEN) Die Situation in Großbritannien ist sehr fragil. Wir brauchen hier keine Drohszenarien und keinen Zeitdruck, sondern faire Verhandlungen über den Brexit, in denen auch der künftige Status verhandelt wird. Alles andere fände ich abenteuerlich. Lassen Sie mich zu den Reaktionen auf den Brexit und die Trump-Wahl noch ein paar Worte sagen. Es wird viel darüber geredet, dass man die EU jetzt durch eine stärkere Militarisierung zusammenhalten müsse. Ein EU-Hauptquartier wird eingerichtet, in den europäischen Staaten soll aufgerüstet werden, EU-Entwicklungsgelder sollen in Gelder zur militärischen Unterstützung umgewidmet werden, zum Beispiel in Afrika. Wir halten das alles für völlig falsch. (Beifall bei der LINKEN) Das ist nicht der Weg, wie man die EU zusammenhalten kann. Was wir brauchen, ist mehr Kooperation. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das zeigt, wo die Kooperation fehlt. Ich komme aus Aachen. 50 Kilometer westlich von Aachen, in Tihange, haben wir einen Schrottreaktor, ein marodes Atomkraftwerk, und es gibt keine europäischen Instrumente, um damit umzugehen. 30 Kilometer nordöstlich haben wir den Klimakiller Nummer eins, einen riesigen Braunkohleabbau von RWE. 50, 60 Kilometer nordwestlich, in den Niederlanden, gibt es hochmoderne Gaskraftwerke, die stillgelegt worden sind, und das, obwohl Gas noch am ehesten eine Brückentechnologie wäre. Hier gibt es überhaupt keine transnationale Kooperation. Aber hier würde ich sie zum Beispiel für sinnvoll halten. Leider ist die Politik der Bundesregierung nicht darauf ausgerichtet. Wir brauchen eine europäische Kooperation – keine Frage –, aber kein militarisiertes Europa als Block gegenüber anderen Regionen in der Welt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat Carsten Schneider für die SPD-Fraktion das Wort. Ich bin sehr zuversichtlich, dass der erfahrene Kollege von der SPD-Fraktion weiß, dass jeder Redner in einer Aktuellen Stunde fünf Minuten hat. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin, für den Hinweis; ich habe das im Blick. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über die Europapolitik zeigt durchaus auch Unterschiede zwischen den Parteien. Zwar geht es im Titel der von der Fraktion Die Grünen beantragten Aktuellen Stunde um die Haltung der Bundesregierung. Ich spreche aber für die SPD-Fraktion und will sagen: Es gibt angesichts der Herausforderungen, die wir in Europa haben, keine wichtigere Hausaufgabe für die nächste Bundesregierung und den nächsten Bundestag, als Europa zusammenzuhalten, es fortschrittlich zu gestalten und es demokratisch und wirtschaftlich stärker zu machen; das ist gar keine Frage. (Beifall bei der SPD) Wir hätten hier und heute auch leicht eine andere Debatte führen können, nämlich dann, wenn die Wahlen in Österreich, in den Niederlanden und in Frankreich anders ausgegangen wären. In allen drei Ländern wurde uns prophezeit bzw. bestand die Möglichkeit, dass sehr rechte und sogar rechtsextremistische Parteien die Mehrheit bekommen oder sogar den Präsidenten stellen. All das ist an uns vorbeigegangen, aber es war möglich. Das hätte unsere nationale Politik natürlich in enormem Maße beeinflusst. Das heißt, Europapolitik ist im Kern Bundestagspolitik, und Bundestagspolitik ist auch das, was wir in Europa tun. Ich finde, wir sollten das, was der Kollege Hofreiter angesprochen hat, sehr ernst nehmen und nicht immer mit dem Finger auf andere Parlamente und Nationen zeigen. Das sage ich sowohl mit Blick auf die CDU/CSU als auch mit Blick auf die Linken. Ich fange mit den Linken an. Herr Ulrich – ich sehe ihn gerade nicht – hat darauf hingewiesen, was der Präsident in Frankreich angekündigt hat – die Arbeitsmarktreform etc. –, und gesagt, wie furchtbar das alles sei und dass er das auf gar keinen Fall umsetzen dürfe. Ich denke, wir können sehr froh sein, dass Herr Macron Präsident geworden ist. Als er gewählt wurde, fiel, glaube ich, uns allen ein Stein vom Herzen, dass es nicht Marine Le Pen geworden ist. Sie hätte nämlich Frankreich aus der EU geführt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die erste Reaktion namhafter Kollegen vonseiten der Union war, darauf hinzuweisen, was alles nicht geht, dass er Euro-Bonds wolle etc. Das alles ist Blödsinn. Das hat Herr Macron nie gefordert. Im Gegenteil: Im Jahre 2015 hat er in einem Aufsatz mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sehr deutlich gemacht, dass wir eine reformierte Europäische Union bzw. Euro-Zone brauchen, insbesondere im Bereich der Wirtschaftspolitik und der Finanzpolitik, eine gemeinsame Verschuldung aber nicht sinnvoll sei. Das ist nicht das Thema. Ich finde, das Willkommenssignal, das da vonseiten der Union gekommen ist, war absolut nicht in Ordnung. Es entsprach eher dem, was der Kollege Hofreiter – ich will ihn jetzt nicht zitieren – hier deutlich gemacht hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu den Vorwürfen der Linkspartei will ich sagen: Herr Macron hat vor der Wahl sehr klar gesagt, was er tun will, und er hat ein sehr, sehr eindeutiges Mandat bekommen. Man könnte fast meinen, er hat sogar ein zu starkes Mandat, wenn man sich die Sitzverteilung in der Nationalversammlung ansieht. Aber das ist eine urfranzösische Angelegenheit. Die Franzosen haben gewählt, wir haben das zu respektieren, und sie werden ihre Probleme lösen. Was wir tun können, ist, dass wir unseren gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum – das ist der Punkt – für die Zukunft stärken. Als meine Kollegin Glöckner vorhin den Mindestlohn angesprochen hat, kam der Zuruf: Was hat das mit Europa zu tun? Ich sage Ihnen: sehr viel. Der Leistungsbilanzüberschuss, den wir in Deutschland haben – der Kollege von der Linkspartei hat ihn bereits angesprochen –, ist nämlich in der Tat ein Problem. Es wäre kein Problem, wenn er einmal auftauchen würde; aber er taucht jetzt das x-te Mal in Folge auf. Wir haben gegenwärtig einen Überschuss von 9 Prozent. Es kommt also dazu, dass innerhalb der EU – aber auch weltweit – Schulden aufgebaut werden, während wir Überschüsse haben. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Ja, so ist es!) Wir brauchen eine Abstimmung der Wirtschaftspolitik in den nationalen Parlamenten der einzelnen Länder. Die Franzosen erwarten, dass die Strukturreformen, die sie im Inneren machen, mit Investitionen in Deutschland gepaart werden. Ich glaube, das ist die richtige Antwort. Sowohl die öffentliche Hand als auch die privaten Unternehmen müssen ermuntert werden, mehr in den Bereich „Forschung und Entwicklung“ zu investieren. Daneben müssen wir die Binnennachfrage stärken, indem es höhere Löhne gibt und indem wir – das haben wir Sozialdemokraten vorgeschlagen – die Steuern senken und den Solidaritätszuschlag halbieren, und zwar nicht bröckchenweise, sondern in einem Schritt. Das würde die Kaufkraft sofort stärken. (Beifall bei der SPD) Wir dürfen die einmalige Chance nicht verspielen, das, was viele Staatsmänner in Deutschland, Frankreich und ganz Europa aufgebaut haben – auch Helmut Kohl; das sage ich hier ganz ausdrücklich –, weiterzuentwickeln. Dafür sind die nächsten fünf Jahre entscheidend. Ich finde, die Bevölkerung hat das Recht, zu erfahren, was welche Partei will. Ich warte noch auf die Vorschläge der Union, weil ich von ihr heute noch nichts Konkretes gehört habe. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. Meine Einschätzung war richtig. – Als Nächster hat Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nächste Woche soll der Haushaltsausschuss eine Tranchenzahlung an Griechenland freigeben. Wir Grüne begrüßen das, wir halten das für notwendig, weil wir im Gegensatz zur Bundesregierung hier im Bundestag immer deutlich gemacht haben, dass Griechenland im Euro bleiben soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Unionsfraktion hat aber ein großes Problem damit. Wolfgang Schäuble hat ihr hoch und heilig versprochen, dass sich der IWF am dritten Programm beteiligen wird. Gleichzeitig hat er alles dafür getan, dass sich der IWF jetzt de facto nicht beteiligen wird. Der IWF hat immer klargemacht, dass es ohne Schuldenerleichterungen keine finanzielle Beteiligung des IWFs gibt; trotzdem hat Wolfgang Schäuble alle Schuldenerleichterungen blockiert. Wir sagen: Das war ein großer Fehler. Griechenland braucht Klarheit in Bezug auf Schuldenerleichterungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE]) Jetzt soll sich der IWF alibimäßig an der Seitenlinie beteiligen. Sie in der Union wissen aber selbst, dass das nicht das ist, was Sie wollten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, an Ihrer Stelle wäre ich jetzt ganz schön angefressen, weil Ihr Finanzminister Sie bei dem Thema „IWF und Griechenland“ so hinter die Fichte geführt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist doch Blödsinn!) – So ist es doch! Der IWF wird sich de facto nicht beteiligen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sind Sie der IWF?) Dabei hat sich die griechische Regierung an die Absprachen gehalten. Sie hat zum Teil schmerzhafte Reformen durchgeführt. Trotzdem gibt es keine Klarheit in Bezug auf Schuldenerleichterungen. Warum ist das so? Das ist so, weil Wolfgang Schäuble jetzt Wahlkampf in Deutschland macht. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: So ist es!) Diese Schuldenerleichterungen wären extrem notwendig gewesen für Investoren und für die wirtschaftliche Stabilität in Griechenland, damit die Unsicherheit nicht weiter steigt. Trotzdem macht Wolfgang Schäuble Wahlkampf in Deutschland. Er will den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl nicht die Wahrheit erzählen. Das ist nicht nur ein unehrlicher Wahlkampf in Deutschland, sondern auch ein Wahlkampf auf dem Rücken Griechenlands und Europas. Ich finde das schäbig und unehrlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Vergeblicher Profilierungsversuch der Grünen!) Seit fast einem Jahrzehnt ist Europa in einer Wirtschafts- und Finanzkrise und vor allen Dingen in Nord und Süd gespalten, mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit und vor allem auch großer Armut im Süden Europas. Natürlich gibt es auch hausgemachte Probleme innerhalb Europas, in den einzelnen Mitgliedstaaten, zum Beispiel die schlechte Justiz- und Steuerverwaltung in Griechenland; wir haben auch gesehen, dass es in Spanien und in Irland große Probleme im Banken- und Immobiliensektor gab. Trotzdem muss man feststellen, dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble seit 2010, seit Beginn der sogenannten Euro-Krise, den ökonomischen Kurs in Europa maßgeblich mitbestimmt haben. Dieser harte Sparkurs hat Europa nachweislich nicht aus der Krise geführt, sondern – im Gegenteil – Europa gespalten und die Krise verschärft. Deswegen muss dieser Kurs endlich beendet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung kontert auf dieses Argument ja gern, andere Länder hätten sich nicht an die Regeln gehalten. Nur verschweigen Wolfgang Schäuble und diese Bundesregierung, dass sie sich selbst nicht an die europäischen Regeln halten. Carsten Schneider hat es gesagt: Seit vielen Jahren hat Deutschland einen extrem hohen Leistungsbilanzüberschuss; er ist größer als in allen anderen Ländern der Welt. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Freuen Sie sich doch!) Das verstößt gegen europäische Vereinbarungen und Regelungen, weil unserer Leistungsbilanz in anderen Ländern Defizite gegenüberstehen und das zu einem massiven Ungleichgewicht in Europa führt. Ich finde, es verbittet sich für Wolfgang Schäuble und diese Bundesregierung, andere Länder in Europa wie ein Schulmeister zu belehren. Man sollte sich als Unionsfraktion und als Bundesregierung an die eigene Nase fassen und etwas mehr Demut und Zurückhaltung üben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ein kraftvoller Beitrag zum Umfragetief!) Sie wissen es selber: Überschüsse wie Defizite gefährden Europa in seinem Kern; denn ohne eine gemeinsame Finanzpolitik, ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und ohne gemeinsame Sozialstandards wird keine Währungsunion auf Dauer überleben können und der Euro früher oder später gegen die Wand fahren. Deswegen brauchen wir eine Weiterentwicklung Europas: einen stärkeren EU-Haushalt, sozial-ökologische Investitionen und eine Steuerbetrugsbekämpfung. Wir wollen eine europäische Arbeitslosenversicherung, weil wir ein soziales Europa wollen. All diese Punkte könnte man aufgreifen und umsetzen. Das hieße, den Ball von Macron aufzunehmen. Was machen Sie? Sie blockieren und sagen Nein. Sie wiegeln ab. Ich finde, das ist keine verantwortliche Haltung gegenüber Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass diese Bundesregierung vor allen Dingen auf nationale Interessen setzt. Doch ich sage Ihnen klar: Germany first kann nicht die Leitlinie der deutschen Europapolitik sein. Es wird Zeit, dass ab Herbst eine deutsche Bundesregierung wieder auf Augenhöhe mit ihren europäischen Partnern verhandelt, europäische Interessen in den Vordergrund stellt und für ein solidarisches Europa und ein europäisches Deutschland eintritt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun hat der Kollege Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Matern von Marschall (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Damit es einmal gesagt ist: Die Bundeskanzlerin trifft sich zu dieser Stunde mit ihren Kollegen beim Europäischen Rat. Deswegen kann sie nicht hier sein. – So weit zur Kritik aus dem linken Spektrum des Parlaments. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich finde es bemerkenswert, Herr Kollege Hofreiter, Herr Kollege Hunko, dass Sie den Mut haben – was die Grünen angeht, gerade angesichts sinkender Umfragewerte –, transparent zu machen, was Ihr Wahlprogramm ist, nämlich zulasten Deutschlands an andere europäische Länder Geld zu zahlen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das verbirgt sich nämlich hinter dem Begriff „Schuldenschnitt“. Es ist sehr bemerkenswert, dass Sie das so deutlich in Ihren Wahlkreisen sagen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen das sehr deutlich in unseren Wahlkreisen!) Ich bin sicher: Das wird die Umfragewerte noch weiter nach unten treiben. Sagen Sie das nur deutlich genug. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine peinliche Rede!) Ich komme zur europäischen Arbeitslosenversicherung, einem Lieblingsthema auch von Teilen der SPD. Erklären Sie bitte einfachen Arbeitern in Ihrem Wahlkreis, dass sie anderen Ländern in Europa, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und nicht wettbewerbsfähig sind, zusätzlich die Arbeitslosenversicherung bezahlen sollen. Ich bin ziemlich sicher, dass das ein willkommener Grund ist, die Umfragewerte Ihrer Parteien weiter nach unten zu drücken. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine populistische, peinliche Rede! Diese Rede zeigt das ganze Europabild der Union!) Also bitte: Kommunizieren Sie auch das! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Schneider, Sie haben völlig richtig gesagt, Herr Macron habe nie die Einführung von Euro-Bonds gefordert. Die Einführung von Euro-Bonds hat Herr Schulz gefordert. Das sei in Erinnerung behalten! (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, was Sie machen? Sie bestätigen komplett meine Vorwürfe!) Frau Kollegin Glöckner von der SPD, wenn Sie sagen, das Spargebot führe in die Wachstumsfalle, dann erklären Sie bitte den Wählerinnen und Wählern, was Sie damit meinen, im Zweifelsfalle wohl eine Vergemeinschaftung der Schulden, ebenfalls zulasten Deutschlands. Erklären Sie bitte auch das Ihren Wählerinnen und Wählern, und schauen Sie danach bitte erneut auf Ihre Umfragewerte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal was von Investitionen gehört? Kennen Sie den Unterschied zwischen Investitionen und Schulden?) Und jetzt kommen wir zu Helmut Kohl, dem wir heute Morgen in diesem Hause in großer Würde gedacht haben. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hatte Mut!) Herr Kollege Körber, ich finde es sehr bemerkenswert, dass Sie dankbar an Helmut Kohl erinnert haben. (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer tut das nicht?) Besonders unschön dagegen fand ich den Zwischenton der schwäbischen Kollegin Hänsel, die das mit einer gewissen Despektierlichkeit kommentiert hat. Das möchte ich, auch wenn es nicht in Worte zu fassen ist, hier in Erinnerung rufen. Das war mehr als peinlich. Sie ist aber nicht mehr anwesend, um diese Anmerkung entgegenzunehmen. Die Welt hat sich, seit Helmut Kohl uns das Geschenk gemacht hat, die deutsche Wiedervereinigung untrennbar mit der europäischen Einheit zu verknüpfen, rasant verändert. Wir müssen die Herausforderungen der Gegenwart, die von der Digitalisierung gekennzeichnet ist – im Guten wie im Schlechten –, annehmen, und dazu brauchen wir Stärke, Kraft und Geschlossenheit in Europa. Deswegen ist es für uns von außerordentlicher Bedeutung, dass insbesondere unsere französischen Nachbarn – wir erinnerten uns heute Morgen auch an das berühmte Bild von Helmut Kohl und Mitterrand 1984 in Verdun – wieder an Kraft gewinnen, und das werden sie dank der von Macron angekündigten Reformen können. Von linker Seite ist schon kritisch angemerkt worden, es könnte sich dabei um so etwas wie die Schröder’sche Reformagenda handeln. Ich wäre ausgesprochen dankbar, wenn es sich um eine derartige Reformagenda handeln würde. Die parlamentarische Mehrheit dafür ist vorhanden. Ob allerdings Macron in der Lage sein wird, den erwartbaren Protesten auf der Straße kraftvoll zu begegnen und seine Agenda durchzuhalten, bleibt abzuwarten. Wir wünschen ihm das sehr. Wir würden uns im Übrigen auch wünschen, dass die Kolleginnen und Kollegen von SPD das so sehen und sich hinter die Reformen stellen, weil sie genauso wie die Reformen, die Gerhard Schröder seinerzeit mit großem Erfolg auf den Weg gebracht hat, in Frankreich Erfolg bringen könnten. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn nur ein gemeinsames starkes Europa, in dem wir nicht alleine eine Führungsrolle übernehmen wollen, sondern in dem wir „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt“ dienen, wie es in der Präambel des Grundgesetzes heißt, kann uns in die Zukunft führen. Dafür werbe ich, ich hoffe, in Ihrer aller Namen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Christian Petry für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Marschall, danke für Ihren Redebeitrag, aber ich habe selten so viel Unsinn gehört wie in den letzten fünf Minuten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von Marschall [CDU/CSU]: Die linken Kollegen klatschen besonders laut!) Das kann man an ein paar Beispielen festmachen. Eines vorweg: Wenn Sie in Europa so auftreten, wie Sie hier gerade aufgetreten sind, dann muss ich Herrn Hofreiter recht geben. Das geht so nicht. Was Sie hier vermitteln, ist keine Partnerschaft. Sie legen ein Sendungsbewusstsein an den Tag, die deutschen Interessen, die wir vertreten wollen, in den Vordergrund zu stellen. Mit gleicher Augenhöhe und Partnerschaft hat das gar nichts zu tun. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von Marschall [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!) Sie haben die Eigenmitteldebatte als „Sozialisierung der Schulden“ – ich habe dieses konservative Schlagwort schon ein paar Mal gehört – bezeichnet. Eigenmittel sind dafür da, Aufgaben der Europäischen Union zu erledigen; das ist damit gemeint. Die Europäische Union soll neue Aufgaben wahrnehmen. Sie soll die Außengrenzen sichern. Sie soll die Flüchtlingsproblematik in den Griff bekommen. Sie soll viele soziale Aufgaben übernehmen. Dazu ist Geld notwendig, und dafür haben wir zurzeit ein Umlagesystem. Wenn man wie der französische Präsident darüber nachdenkt – auch Martin Schulz denkt darüber nach –, dafür Eigenmittel einzusetzen, dann geht es nicht um Schulden, sondern um die Frage der Aufgabenerledigung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie Ihre Propaganda fortsetzen wollen, dann halte ich das nicht für zielführend, sondern eher für schäbig. Tut mir leid! Aber zurück zum Thema. Hinter dem Titel der Aktuellen Stunde verbirgt sich ja ein ganzer Bauchladen. Statt uns über Griechenland, das dritte Paket, die 8,5 Milliarden Euro, zu unterhalten und darüber, dass wir dort auf einem guten Weg sind, führen wir eine Scheindebatte über den IWF, und es ist zusehends eine Scheindebatte. Die Refinanzierung über den IWF ist für viele Länder teurer als die Refinanzierung am europäischen Kapitalmarkt; das wissen wir. Wir haben gestern gehört, dass Portugal für 3 Prozent zehnjährige Anleihen bekommt und beim IWF für 5 Prozent und dass man die Kredite dort ablösen will. Wir müssen Griechenland in die Lage versetzen, sich in diesem Sinne selbst zu refinanzieren. Das ist viel wichtiger, als eine Scheindebatte über den IWF zu führen. Es ist gut, dass der IWF mit im Boot bleibt, auch wenn er sich etwas ausgeklinkt hat; aber langfristig gesehen bin ich persönlich der Auffassung, dass wir die Probleme europäisch lösen müssen. Das ist mir ganz klar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehört, die Volkswirtschaft entsprechend wiederaufzubauen. Nachdem nun beim Staatshaushalt viel passiert ist und die Sanierung angelaufen ist, müssen Beschäftigung und Wachstum im Mittelpunkt stehen, um Griechenland voranzubringen. Das bezieht sich aber auf alle südeuropäischen Länder. Macron wurde genannt. Ein weiterer Punkt ist die Weiterentwicklung der Europäischen Union. In der Zeit vom 17. Mai wird kommentiert: Für einen europäischen Finanzminister muss die Eurozone zu einer echten Fiskal- und Transferunion werden – ähnlich wie sie in Deutschland und Österreich bereits existiert. Das ist eine Forderung, die zu einer institutionellen Reform führen würde, und das ist letztlich auch das, was Macron angekündigt hat, nämlich dass man darüber nachdenkt. Aber das kann nicht nach der Marke von Merkel und Schäuble sein, nämlich dass wir nur mit intergouvernementalen Vereinbarungen arbeiten und keine echten Kompetenzen des Parlamentes und keine echte demokratische Kontrolle haben; denn nur so wird ein Schuh draus, nicht anders. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch auf einen saarländischen Europaabgeordneten, Josef Leinen, zu sprechen kommen. Josef Leinen hat den europäischen Vertrag mit ausgearbeitet; 2004 ist er vorgelegt worden. Leider ist die europäische Verfassung nicht ratifiziert worden. Dort müssen wir wieder ansetzen. Der Vertrag von Lissabon von 2009 hat das Ganze weiterentwickelt, aber die Fehler sind immer noch da. Der Europäische Rat ist mit seinem Einstimmigkeitsprinzip der Bremsklotz in Europa. Die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Rat und Parlament funktioniert, aber letztlich sind die vielen nationalen Interessen im Europäischen Rat – das werden wir jetzt wieder erleben – die Ursache dafür, dass wir in weiten Teilen Stillstand haben. Das wiederum können wir jetzt gemeinsam mit unserem französischen Partner versuchen zu überwinden. Das sollte unser Ansporn, unsere Aufgabe sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein letztes Thema ist der Brexit; er steht ebenfalls im Titel dieser Aktuellen Stunde. Wir sollten jetzt nicht in das Spiel verfallen: mein Corbyn, dein Corbyn. Wessen Corbyn ist er denn nun? Ist er der Corbyn der Linken oder der der Sozialdemokratie? – Ich bin froh, dass sein soziales Programm in Großbritannien gut angekommen ist. Wir als SPD haben auch ein soziales Programm, und das spornt uns selbstverständlich an. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich habe an der Überreaktion von Herrn Ulrich gemerkt, dass Sie davor Angst haben, dass wir dies nun übernehmen. Ich habe es gemerkt, weil Sie immer lauter und lauter argumentiert haben. Letztlich sind wir auf einem guten Weg. Ein letzter Satz zu Europa. Ich bin froh, wenn wir gemeinsam an dieser Europäischen Union arbeiten, wenn wir gemeinsam die Freiheit und die Freizügigkeit verteidigen und ausbauen. Insofern ist das heute eine gute Debatte, um daran zu erinnern, dass wir gemeinsam Europa stark erhalten und machen müssen. In diesem Sinne: Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen heute eine Debatte über Europa, und wir haben schon viel dazu gehört. Manches davon ist schwer vorstellbar, zum Beispiel, wie Macron angeblich Deutschland und Merkel sieht. Ich kann zum Fraktionsvorsitzenden der Grünen nur sagen: Zum Glück hält Macron die deutsche Bundeskanzlerin für eine der wichtigsten Verbündeten für die Weiterentwicklung Europas, und es ist gut so, dass er das so sieht. (Beifall bei der CDU/CSU) Letztendlich kam hier – wie auch beim letzten Mal – zum Ausdruck, dass ein unterschiedliches Europabild existiert. Auch beim letzten Mal – und das war noch vor der Wahl in Frankreich – wurde Macron massiv kritisiert. Wir haben einen Gleichklang in Europa. Das eine ist die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten – das beinhaltet auch Reformen und, für sich selbst verantwortlich zu sein –, und das andere ist europäische Solidarität. Macron hat im Wahlkampf erklärt, dass er Reformen will. Es gab viele hier im Parlament, die das für falsch halten und die auch in Deutschland die Agenda 2010 zurücknehmen wollen. Ich bin froh, dass Macron die Eigenverantwortung Frankreichs ernst nimmt, sich an die Reformen macht und sich von der deutschen Opposition dabei nicht bremsen lässt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum Thema Solidarität: Wolfgang Schäuble und Angela Merkel haben immer diesen Konnex hergestellt. Schauen wir uns heute Griechenland an – vorher war es ähnlich in Portugal, Spanien und Irland –: Das System der Eigenverantwortung gepaart mit europäischer Solidarität hat Stück für Stück zum Erfolg geführt. Ihnen stinkt nur, dass wir in Griechenland diese Fortschritte gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn man genau schaut, was Sie möchten, dann stellt man fest, dass es Ihnen gar nicht darum geht, wie das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ist. Sie akzeptieren nur ein Europa, das zentral und links ist. Wenn es nicht zentral und links ist, dann lehnen Sie Europa ab. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Links wäre nicht schlecht!) – Eben. Sie akzeptieren es nur dann. – Das ist der grundsätzliche Unterschied: Europa ist noch ein Zusammenschluss von 28 souveränen Staaten. Es gibt nun einmal unterschiedliche Meinungen in den Ländern innerhalb der Europäischen Union. Darum ist es sehr gut, dass wir Angela Merkel an der Spitze haben, die hier ausgleicht und im Gegensatz zu Ihnen die Eigenheit der Mitgliedstaaten respektiert. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) Das ist der Unterschied zu Ihnen. Ihr Vorwurf, den Sie gegen Angela Merkel erheben, richtet sich gegen Sie selber. Sie wollen Ihre nationale Politik gegenüber den anderen Staaten durchsetzen, ob sie es wollen oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie eine europäische Arbeitslosenversicherung oder andere Maßnahmen fordern, dann fordern Sie nicht nur den Beitrag der Deutschen. Reden Sie doch einmal mit den Bürgern und den Politikern der baltischen Staaten. Sind die davon begeistert, wenn sie zukünftig in die entsprechenden Kassen einzahlen müssen? Sie bringen damit den Spaltpilz in die europäischen Völker hinein. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerade in der Zeit des Brexit bin ich froh, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr souverän reagiert hat und den Fokus darauf legt, dass es in Europa weitergeht. Ich möchte daran erinnern, wie die nationalen Parteien in Deutschland darauf reagiert haben. Wie ein beleidigtes Kind hat man gemeint, die Briten zur Raison rufen zu müssen, mit allen Folgen. Wir haben zu dem Zeitpunkt noch nicht gewusst, wie das Verfahren in Europa ist. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War das Ihre Regierung?) – Nein, das war nicht unsere Regierung. Haben Sie vergessen, was Angela Merkel hierzu gesagt hat? Wenn sie hier ist, sollten Sie, Frau Kollegin Brantner, auch zuhören. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie diese Frage nämlich nicht gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Angela Merkel hat klipp und klar dazu gesagt, dass wir auf der einen Seite Großbritannien Brücken bauen müssen, weil Großbritannien weiterhin ein wichtiger Partner innerhalb der NATO und ein wirtschaftlicher Partner sein wird, wir aber auch konkret an der Einheit Europas weiterarbeiten müssen und keinen Blueprint für andere Staaten machen dürfen. Das war die Position Angela Merkels, als sie hier im Deutschen Bundestag geredet hat. Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin kritisiert, dass sie hier nicht redet; aber wenn sie redet, dann hören Sie nicht zu oder verstehen es nicht. Das ist natürlich sehr schade. In der heutigen Phase sollten wir uns daran orientieren, was andere europäische Regierungen und Völker eindeutig zum Ausdruck bringen. Sie sind froh, dass Angela Merkel Kanzlerin ist, und sie sind froh, dass sie in der Tradition von Helmut Kohl an der Einheit Europas weiterarbeitet. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich mal in Europa umgehört?) Sie ist ein verlässlicher Partner, und das sehen die anderen Europäer genauso. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege Radwan. – Als letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde spricht nunmehr die Kollegin Ronja Kemmer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ronja Kemmer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich haben wir in den letzten Monaten hier im Haus über die Brexit-Verhandlungen und die anderen Themen diskutiert. Im Europaausschuss tun wir dies jede Woche. Da Sie die Kanzlerin angesprochen haben, die hier zahlreiche Regierungserklärungen zum Europäischen Rat und zu europäischen Themen gegeben hat, ist Ihre Begründung, dass sie sich dieser Diskussion nicht stellen würde, geradezu absurd. (Beifall bei der CDU/CSU) In puncto Brexit schreiten die Verhandlungen voran, doch die Zeit drängt. Die Frist von zwei Jahren für die Verhandlungen ist relativ knapp bei der Masse an Themen, die es zu behandeln gilt. Die Neuwahlen in Großbritannien haben dieses Unterfangen nicht gerade erleichtert. Natürlich stellt die EU keine Zwangsmitgliedschaft dar, sondern ist in ihren Festen als Friedens- und Wertegemeinschaft begründet. Ihren Kern hat diese Gemeinschaft in der Erkenntnis, dass die Herausforderungen in einer komplexen und auch globalisierten Welt eben nicht rein nationalstaatlich zu lösen sind. Die Briten haben sich leider anders entschieden. Die Brexit-Verhandlungen müssen nun in einem partnerschaftlichen Geiste geführt werden; aber es muss schon klar sein, dass es keine Rosinenpickerei an verschiedenen Stellen geben darf. Denn der Grundstein der europäischen Idee ist, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Dazu gehört insbesondere die Wahrung der Rechte von EU-Bürgern, die in Großbritannien leben. Deswegen kann es keinen freien Warenverkehr ohne Personenfreizügigkeit geben. Großbritannien hat als wirtschaftsstarkes Mitglied stets viele Sonderkonditionen für sich beansprucht. Manch anderes Land hätte sich sicherlich auch über diese Vereinbarungen gefreut. Eines ist klar: Die finanziellen Verpflichtungen, die Großbritannien in der EU eingegangen ist, müssen auch eingelöst werden. Schließlich haben die europäischen Partner ihren Teil der Vereinbarungen auch immer eingehalten. Hier geht es um Vertrauen, hier geht es um Redlichkeit. Deswegen können wir nur gemeinsam an Großbritannien appellieren, der Verantwortung gegenüber den europäischen Nachbarn gerecht zu werden. Meine Damen und Herren, das Referendum mit seinen Folgen muss jedoch auch eine Mahnung sein. Die EU steht vor einer ihrer größten Bewährungsproben. Das zeigt sich, wenn wir zurückblicken. Dies veranschaulicht uns auch, dass das europäische Projekt immer wieder aufs Neue begründet werden muss. In den vergangenen Tagen rückte durch den Tod von Bundeskanzler Kohl die europäische Einigung wieder ganz stark in unser öffentliches Bewusstsein. Seine herausragenden Verdienste, die Einheit unseres Vaterlandes, die Aussöhnung mit Frankreich, aber auch die Sicherung des Friedens in Europa, stehen für alle Zeiten für sich. Ich selbst wurde 1989, im Jahr des Mauerfalls, geboren. Ich hatte das Glück, in einem friedlichen und freien Europa aufwachsen zu dürfen. Stacheldraht und Schlagbäume kenne ich größtenteils nur aus Erzählungen. Ich gehöre einer Generation an, die niemals einen Krieg erleiden musste. Doch gerade wir Jüngeren dürfen nicht in eine Stimmung der Selbstverständlichkeit verfallen; denn es hat sich leider gezeigt, dass dies zu fatalen Ergebnissen führen kann. Die längste Friedensperiode auf unserem Kontinent seit über 70 Jahren hat keine Ewigkeitsgarantie. Diese Errungenschaften müssen immer wieder aufs Neue erarbeitet und verteidigt werden. Dies ist eine permanente Herausforderung, die den Einsatz aller Generationen fordert. Viele junge Briten waren ja für den Verbleib in der EU, haben aber kaum an der Abstimmung über den Brexit teilgenommen. Insofern müssen wir selbstkritisch festhalten: In Reden über Europa haben wir uns vielleicht zu oft auf Erreichtes von gestern berufen und aktuelle Herausforderungen ausgeblendet. Aber einfache Lösungen für diese Herausforderungen gibt es eben nicht. Wir brauchen die Europäische Gemeinschaft mehr denn je, um die großen Fragen anzugehen. Regulierungen im Klein-Klein, die zum Teil von Mitgliedstaaten, zum Teil von Institutionen eingefordert werden, entfernen die Menschen vom europäischen Projekt und fördern populistische Strömungen. Der Brexit zeigt also auch, dass nichts so bleibt, wie es ist, wenn man nichts dafür tut. Insofern leben wir in einer guten Zeit, in der es sich lohnt, politisch zu werden. Wir brauchen aktive Menschen aller Generationen, persönliches Engagement und auch ein offenes Bekenntnis zu unseren Werten und Idealen. Auch diesbezüglich hat das Wirken von Helmut Kohl ein wunderbares Zeugnis abgelegt; denn Einigkeit und Recht und Freiheit sind für das Schicksal unseres Landes und unseres Kontinents von entscheidender Bedeutung. So löst der Brexit in vielen anderen Ländern eine hoffnungsvolle Gegenbewegung für Europa aus, sei es Pulse of Europe, seien es die Ergebnisse der Wahlen in unseren Nachbarländern, die jüngst stattgefunden haben. Zum Ende möchte ich der Opposition noch eines mit auf den Weg geben: Ihre ständige Nörgelei an der Europapolitik der Regierung führt auch zu einem Erstarken der europakritischen Stimmen. Stattdessen sollten Sie einmal anerkennen, was die Kanzlerin jeden Tag, auch in diesen Stunden, für diese Wertegemeinschaft und für den Zusammenhalt in dieser Gemeinschaft leistet. Ich glaube, wir können es nur schaffen, wenn wir gemeinsam für unsere Überzeugungen und für die kommenden Generationen eintreten und für die kommenden Generationen ein Europa in Frieden und Freiheit gestalten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf. – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) Drucksache 18/12357 – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12358 – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12100 – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12101 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/12846 Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gleis 17, Waggon 1, rein und ab. Mit diesem Satz antwortete im Jahr 2015 ein Kreisrat der NPD auf die Frage von Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, was mit straffälligen Asylsuchenden geschehen solle. Das Gleis 17 im Bahnhof Berlin-Grunewald steht heute symbolisch für die Deportation der Berliner Juden. Von dort fuhr der erste Transport, mit dem in den Jahren von 1941 bis 1945 rund 50 00  Berliner Juden vor allem in das Konzentrationslager Theresienstadt und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Die widerliche Einlassung des NPD-Funktionärs steht exemplarisch für das Denken und Handeln seiner Partei. Sie missachtet die Menschenwürde, sie will unsere freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen. Ihr biologistischer Rassismus, ihr militanter Antiliberalismus, Antiindividualismus und Antisemitismus begründen eine Wesensverwandtschaft zur NSDAP. Gleichwohl wird die Arbeit dieser Partei bis heute ganz wesentlich aus Steuergeldern finanziert. Denn nach dem Parteiengesetz erhalten alle Parteien, die bei Parlamentswahlen einen bestimmten Anteil von Stimmen auf sich vereinigen, staatliche Mittel zu ihrer Finanzierung. In den letzten Jahren waren das im Falle der NPD mehr als 1,2 Millionen Euro pro Jahr. Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, werden wir die Grundlage dafür legen, um der NPD diese Finanzierung entziehen zu können. Denn jeder Cent für die NPD ist ein Cent zu viel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lange Zeit ist sehr kontrovers diskutiert worden, ob ein solcher Ausschluss von der staatlichen Teilfinanzierung zulässig ist, weil er tief in die verfassungsrechtlich gesicherte Stellung der politischen Parteien eingreift und ihre Chancengleichheit beeinträchtigt. Diese Kontroverse hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 17. Januar 2017 entschieden, als es darauf aufmerksam machte, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber sehr wohl freistehe, neben dem Parteiverbot weitere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Parteien mit verfassungsfeindlichen Zielen zu schaffen. Der Bundesrat auf der einen Seite, die Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der anderen Seite haben diesen Hinweis mit zwei Gesetzesinitiativen aufgegriffen, die die gleiche Zielsetzung verfolgen. Unser Gesetzentwurf erscheint mir insbesondere deshalb vorzugswürdig, weil er neben dem Wegfall der staatlichen Teilfinanzierung und der steuerlichen Begünstigungen für Parteien auch den Wegfall der steuerlichen Begünstigung von Zuwendungen an verfassungswidrige, aber nicht verbotene Parteien regelt. Klar ist dabei auch: Der Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien kann nur eines von vielen Instrumenten sein, mit denen sich die wehrhafte Demokratie gegen jede Form von Extremismus verteidigen muss, und zwar gleichgültig, ob dieser Extremismus vom linken oder vom rechten Rand des politischen Spektrums kommt. Die Möglichkeit des Ausschlusses von der staatlichen Teilfinanzierung ist ein wichtiges Signal in einer Zeit, in der das rechtsextremistische Personenpotenzial nach einem jahrelangen Rückgang wieder Zulauf erhält und sich sein linksextremistisches Pendant auf einem zu hohen Niveau stabilisiert. Der Ausschluss einer Partei von der staatlichen Teilfinanzierung greift in gravierender Weise in die verfassungsrechtlich gesicherte Chancengleichheit von Parteien ein. Es bedarf deshalb eines Verfahrens, das so ausgestaltet sein muss, dass nicht einmal der Anschein entstehen kann, dass ein solcher Ausschluss von anderen Parteien instrumentalisiert werden soll, um sich missliebiger Konkurrenz zu entledigen. Es ist deshalb richtig und wichtig, dass allein das Bundesverfassungsgericht über den Ausschluss entscheiden wird und andere Ideen, die zunächst ventiliert worden waren, nicht weiterverfolgt wurden. In den parlamentarischen Beratungen sind zwei Korrekturen vorgenommen worden. Erstens. Der Gesetzentwurf sah ursprünglich eine Frist von vier Jahren vor, nach deren Ablauf die sanktionierte Partei eine Überprüfung verlangen kann. Wir werden diese Überprüfung nun so ausgestalten, dass es nach einer Frist von sechs Jahren zu einem automatischen Erlöschen des Ausschlusses von der staatlichen Teilfinanzierung kommt – verbunden mit der Möglichkeit für die antragsbefugten Stellen, eine Verlängerung des Ausschlusses zu beantragen. Auf diese Weise bleiben Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag Herren des Verfahrens. Darüber hinaus werden wir – zweitens – durch den Änderungsantrag, den wir im Ausschuss vorgelegt haben, den Ausschluss von der Teilfinanzierung auch auf Ersatzparteien erstrecken, um Umgehungsversuchen entgegenzutreten. Ich wünsche dem Gesetzentwurf eine breite Zustimmung und würde mich freuen, wenn auch die beiden Oppositionsfraktionen diesen Vorschlägen zustimmen und wir damit gemeinsam die wehrhafte Demokratie in Deutschland stärken können. Als Unionsfraktion erwarten wir, dass nach Inkrafttreten des Gesetzes mit einem gründlich vorbereiteten Antrag zeitnah ein Verfahren zum Ausschluss der NPD aus der Teilfinanzierung auf den Weg gebracht wird, und ich persönlich möchte dafür werben, dass dies mit Beteiligung dieses Hohen Hauses geschehen kann. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Neofaschistische Parteien sollen vom Staat nicht länger gefördert werden. Das ist der Kern der Gesetzentwürfe, die wir heute hier besprechen. Ich will vorausschicken: Der Entzug der Parteienfinanzierung ist zweifellos ein schwerer Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien. Es geht im Fall der NPD – wir haben es eben schon gehört – darum, dass sie mehr als 1 Million Euro im Jahr bekommt. Deren Verlust wird sie schwer treffen. Da werden wir alle hier im Saal wahrscheinlich sagen: Recht so. – Aber wir müssen natürlich die rechtlichen und politischen Fragen ernst nehmen, die sich ergeben, wenn man eine Partei, die nicht verboten ist, von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Linke hat es sich in der Tat nicht leicht gemacht. Wir haben ausführlich darüber diskutiert, und wir haben zur Sachverständigenanhörung sogar jemanden eingeladen, der ein expliziter Kritiker dieser Neuregelung ist. Herr Lichdi hat dabei betont, dass das Grundgesetz keine „Verfassungstreuepflicht der Parteien“ kennt und demokratiefeindliche Parteien deswegen nicht schlechtergestellt werden dürfen. Für einen Teil meiner Fraktion ist dieses Argument so gewichtig, dass sich einige Abgeordnete heute enthalten werden. Eine Mehrheit in meiner Fraktion nimmt dieses Argument ebenfalls sehr ernst, möchte ihm aber entgegenhalten: Es gibt auch keine Pflicht der Gesellschaft, Parteien zu finanzieren, die demokratische Grundrechte einschränken wollen, die sogar ebendieser Gesellschaft das Existenzrecht absprechen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und eine dermaßen faschistische Ideologie verbreiten. Das Grundgesetz selbst kennt das Verbot einer Partei. Von daher liegt es auf der Hand, dass man auch eine minderschwere Sanktion wie den Entzug staatlicher Wahlkampfkostenerstattung zulassen kann – (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) immer vorausgesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung trifft, und so steht es auch in der Gesetzesvorlage. Für mich jedenfalls ist Faschismus keine Meinung im demokratischen Wettbewerb, sondern ein Verbrechen, und Verbrechen dürfen sich nicht lohnen. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen – das ist die mehrheitliche Meinung in meiner Fraktion – sollen Naziparteien keinen Cent mehr vom Staat bekommen, und niemand, der Naziparteien Geld spendet, soll das von der Steuer absetzen dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich möchte kritisch anmerken, dass die jetzt vorgesehene Geltungsdauer eines Finanzierungsverbots von sechs Jahren sehr lang ist. Mein Kollege hat das eben erläutert; das sind die Änderungen, die vorgenommen wurden. Ich denke, dass nach vier Jahren der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Da ja sowieso das Bundesverfassungsgericht entscheidet, finden wir es auch nicht richtig, dass nicht einmal mehr eine mündliche Anhörung stattfinden soll. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Abschließend möchte ich noch zu einem Punkt etwas sagen, in dem wir uns in meiner Fraktion sehr einig sind: Was wir heute beschließen, kann kein Ersatz sein für eine entschlossene Politik gegen Rechtsextremisten und neofaschistische Parteien. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen allen entgegentreten, die Menschen nach zweierlei Maß messen und sie auf Grundlage von Religion, Herkunft oder anderen Äußerlichkeiten unterschiedlich behandeln wollen. Wir lehnen jede Form von Rassismus, jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab. Wir müssen auch jenen entgegentreten, die zum Beispiel die Flüchtlingsfrage immer wieder zum Anlass nehmen, dumpfe Wahlkampfparolen von sich zu geben. Deswegen sage ich zum Schluss: Unsere heutige Entscheidung muss Verpflichtung sein, endlich mehr in dieser Gesellschaft gegen Rassismus und gegen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit zu tun, sonst werden wir weder Demokratie noch Frieden haben. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Gabi Fograscher für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die wehrhafte Demokratie bekämpft ihre Feinde mit rechtsstaatlichen Mitteln, und sie hat das Recht und auch die Pflicht, diese Mittel auszuschöpfen. Bei der Parteienfinanzierung ist eine mehr als groteske Situation entstanden: Wir finanzieren bis heute mit Steuermitteln eine Partei, die NPD, die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuft wurde. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar dieses Jahres heißt es: Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde … und den Kern des Demokratieprinzips … Das Material, das für das Verbotsverfahren zusammengestellt wurde, zeigt: Diese Partei hat menschenverachtende und rassistische Ziele. Sie lehnt unsere Demokratie und unsere Werte ab. Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht mit folgender Begründung nicht verboten: Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt. Das Bundesverfassungsgericht hat uns als verfassungsänderndem Gesetzgeber aber in der Urteilsbegründung den Hinweis gegeben, dass man verfassungsfeindliche Parteien von der staatlichen Teilfinanzierung ausschließen kann. Das werden wir heute tun. Die NPD erhält mehr als 1 Million Euro jährlich aus der staatlichen Teilfinanzierung – mehr als 1 Million –, um ihr menschenfeindliches Gedankengut und ihre antisemitische und rassistische Hetze zu verbreiten. Das ist unerträglich. Es ist auch für die Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbar, dass eine Partei, die die staatliche Ordnung bekämpft, mit Steuermitteln finanziert wird. Jede in Deutschland zugelassene Partei nimmt an der staatlichen Teilfinanzierung teil. Für eingeworbene Spenden und für erzielte Stimmen bei Wahlen ab einer bestimmten Grenze erhält jede Partei Geld vom Staat. Zusätzlich sind die Parteien von der Körperschaftsteuer befreit, und Zuwendungen können Spenderinnen und Spender steuerlich geltend machen. Parteien haben Verfassungsstatus. Sie wirken an der politischen Willensbildung mit. Sie sind unverzichtbare Elemente in einer Demokratie. Für die vielfältigen Aktivitäten braucht eine Partei Geld. Sie erhält dieses aus Mitgliedsbeiträgen, aus Spenden, aus Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit. Das Parteiengesetz regelt, dass sie Geld vom Staat erhält, um illegitime Einflussnahme zu verhindern und Chancengleichheit im politischen Wettbewerb zu ermöglichen. Es ist widersinnig, auf der einen Seite Parteien, die gegen diesen Staat agieren, mit Steuergeldern zu fördern und auf der anderen Seite nicht genug Mittel für den Kampf gegen Extremismus zu haben. Wir wollen, wie ich bereits gestern an einer anderen Stelle der Debatte angekündigt habe, die Gelder, die wir durch diese Gesetzesänderung der Partei entziehen, in den Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus investieren. (Beifall bei der SPD) Über den Änderungsantrag hat Herr Harbarth schon gesprochen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass das Bundesverfassungsgericht den Ausschluss einer Partei von der Finanzierung befristet für sechs Jahre feststellen soll. Dieser Ausschluss kann auf Antrag der ursprünglichen Antragsteller, also Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung, verlängert werden. Über den Verlängerungsantrag kann auch ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Ein unbefristeter Ausschluss, so wie er zunächst vorgesehen war, hätte so auf Antrag der betroffenen Partei alle vier Jahre überprüft werden können. Durch die jetzt vorgenommene Änderung behalten aber die Antragsberechtigten das Heft des Handelns in der Hand. Die Feststellung des Ausschlusses von der staatlichen Finanzierung ist auf Ersatzparteien zu erstrecken. Zur Begründung dieser Änderung erklärte der Sachverständige Herr Volkmann in der Anhörung: Man muss eine Regelung für Ersatz- und Nachfolgeorganisationen treffen. Sonst hat man das Problem, dass sich die NPD auflöst, in PDN umbenennt – so einen ähnlichen Fall hat es auch schon einmal gegeben –, und die kann dann staatliche Finanzierung beanspruchen. Beim Parteiverbot erstreckt sich der Rechtsfolgenausschluss zwingend auch auf etwaige Ersatz- und Nachfolgeorganisationen. Das ist meines Erachtens etwas, was man für den Ausschluss von der Finanzierung unbedingt aufnehmen müsste. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies haben wir aufgenommen und entsprechend geregelt. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass eine Partei die Bestrebungen einer von der Finanzierung ausgeschlossenen Partei weiter verfolgt oder fortführt. Somit ist sie als Ersatzpartei ebenfalls von der Finanzierung auszuschließen. Für uns ist klar: Die heutigen Änderungen sind keine Lex NPD. Die Änderungen werden für alle Parteien gelten, die sich gegen unsere Verfassung und unsere Werte stellen. Dieser Ausschluss ist für uns nur ein Baustein im Kampf gegen Extremismus. Wir lassen nicht nach im Kampf gegen Extremismus, wir dürfen auch nicht nachlassen. Für uns ist durch diese Gesetzesänderungen das Problem des Extremismus ganz und gar nicht erledigt. Im Gegenteil: Diese Koalition hat auf Initiative unserer Familienministerin hin die Gelder für Prävention auf über 100 Millionen Euro verdreifacht. (Beifall bei der SPD) Wir werden die Forderungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus zügig umsetzen. Prävention, politische Bildung, Unterstützung von Projekten der Zivilgesellschaft, Extremismusforschung sind und bleiben dauerhafte Aufgaben für die Politik und für die Gesellschaft. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesen Änderungen, damit die Unterstützung von Verfassungsfeinden mit Steuermitteln endlich ein Ende hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte Rede in diesem Haus. Ich danke allen aus allen Fraktionen, mit denen ich in den letzten Jahren zusammenarbeiten durfte, und allen, die mich in den letzten Jahren unterstützt haben. Ich wünsche Ihnen allen für die Zukunft alles Gute. Herzlichen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir wünschen natürlich auch Ihnen, Frau Kollegin Fograscher, für die Zukunft alles Gute bei der Umsetzung Ihrer Pläne. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wenn wir die Hand an das Grundgesetz legen, dann obliegt es uns, wirklich seriös zu arbeiten, mit kühlem Kopf und klarem Verstand, weil es schließlich um die Prinzipien der Demokratie geht. Ihre Vorlage entspricht diesen Ansprüchen nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wissen Sie, zugegebenermaßen ist die NPD ein Feind der Verfassung. Sie ist auf der anderen Seite aber auch ein politischer Zwerg – das wissen Sie. Sie suchen sich diesen politischen Zwerg isoliert aus dem Gesamtpaket heraus – als Teil von Rechtsextremismus, Rechtsradikalität und Rechtsterrorismus in dieser Gesellschaft – und wollen der Partei mal eben per Verfassungsänderung – ich sage: mal eben per Verfassungsänderung – das Geld streichen und suggerieren, damit wäre das Problem gelöst. Es ist damit aber nicht gelöst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe eher den Eindruck, es geht um die Schmach der Innenminister, die zweimal groß die Notwendigkeit eines Parteiverbots begründet haben, wozu das Verfassungsgericht am Ende aber zweimal Nein gesagt hat. Meine Damen und Herren, Sie suggerieren damit, dass das Problem aus der Welt geschafft wird, wenn diese 1 Million Euro – oder demnächst noch weniger – nicht an diese Partei gehen. Aber ich sage Ihnen: Wir haben Pegida, wir haben die Nach-Lucke-AfD. Sie können uns doch nicht ernsthaft verkaufen, dass damit jetzt ein Problem zu lösen wäre – und dann noch in diesem Tempo. Ich finde, in so einer Situation braucht man einen wirklich kühlen Kopf und Zeit; sonst kommen Fehlentscheidungen dabei heraus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will zitieren, was Herr Voßkuhle in seinen einleitenden Worten gesagt hat; es taucht später noch einmal im Urteil an ein oder zwei Stellen auf. Er hat am 17. Januar gesagt: Ob in einer solchen Situation … andere Reaktionsmöglichkeiten sinnvoll sind, wie zum Beispiel der Entzug der staatlichen Finanzierung, hat … der verfassungsändernde Gesetzgeber zu entscheiden. Meine Damen und Herren, das Gericht hat aber nicht gesagt, dass sich daraus ein Zwang ergibt; es hat uns kein Datum für irgendetwas gesetzt, sondern nur gesagt, dass es abseits der Frage des Verbots oder Nichtverbots mildere Mittel geben könnte, über die wir entscheiden könnten. Das ist aber keine Aufforderung, dann mal eben zum Ende der Legislaturperiode das Ganze zu schleifen. Wir haben in unserer Verfassung, in Artikel 20 Absatz 2, sozusagen als Grundlage unserer Demokratie die freie und gleiche Willensbildung des Volkes. Dazu gehört Artikel 21, der besagt: „Die Parteien“ – in Mehrzahl, als Antwort auf das, was in diesem Haus, im Reichstag, unter Herrschaft der NSDAP einmal stattfand, nämlich die Ausgrenzung und Verhaftung – „wirken bei der … Willensbildung … mit.“ Bei allem Ärger über die NPD: An dieser Stelle machen Sie eine Lex NPD. Ein Einzelfallgesetz sollte es bei der Verfassung nicht geben. Wir sollten uns stattdessen überlegen, was so eine Änderung eigentlich im historischen Kontext bedeutet. Man kann ihr nicht zustimmen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) weil Artikel 21 tatsächlich Teil unserer Demokratie ist; er ist wirklich die Basis. Auf dieser Grundlage organisieren sich die Bürger. Sie haben gesagt, die NPD erfülle verfassungsfeindliche Kriterien. Das Verfassungsgericht hat aber übrigens auch gesagt, es brauche den präventiven Schutz durch ein Verbot nicht, sondern die Kraft der freien Auseinandersetzung. Da kann ich Ihnen sagen: Für die Demokratie in diesem Land haben zum Beispiel – neben vielen anderen – die Bürgerinnen und Bürger in Leipzig im Kampf gegen Legida mehr getan, als Sie es heute mit dieser Regelung tun; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) denn sie haben sich immer wieder aufgemacht und gekämpft. Das ist die Kraft der freien Auseinandersetzung. Diesen Rechtsextremismus lassen wir uns nicht gefallen, meine Damen und Herren. Sie setzen meines Erachtens ein fatales Zeichen mit Blick auf die Demokratie. Sie wollen mal einfach ein Grundprinzip abschaffen? Wir haben Hate Speech, wir haben neue Parteien, neue Bewegungen. Die Frage lautet doch: Wie können wir in der Demokratie mit diesen Dingen umgehen, wie können wir sie bekämpfen? Nicht mit einer Lex NPD. Ich finde, wir bräuchten in der nächsten Legislaturperiode eine Kommission, die sich ausführlich mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes befasst, die sich mit dem Internet und dem Rechtsextremismus dort befasst, die sich mit den Grenzen und dem Umfang des Parteienverbots befasst, die sich bei allem Verdruss, den die Menschen über Parteiendemokratie äußern – manche behaupten, die Parteien würden sich den Staat zur Beute machen –, mit der Frage befasst, wie man im 21. Jahrhundert Demokratie gestaltet, auch über das Internet. Wer hier wählen darf, wenn er seinen Lebensmittelpunkt hier hat, ob Jüngere als 18-Jährige wählen dürfen – das alles müssten wir diskutieren, Sie tun es aber nicht. Das würde Sinn machen und wäre angemessen. Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Schauen Sie einmal: So sieht der Artikel 21 Grundgesetz heute aus. (Die Rednerin hält ein Schriftstück hoch) Im Absatz 1 – „Die Parteien wirken … mit“; hier in grüner Schrift – steht das Positive, Absatz 2 – hier in roter Schrift – enthält die Verbotsregelung. 38 Wörter hat der erste Absatz. Man sieht: Das Grüne steht in einem gewissen Verhältnis zum Roten, dem Verbot. Wenn Ihre Änderungen durchkommen, bleibt das Grüne, das Positive, zur Parteiendemokratie bestehen, aber aus 38 Wörtern im zweiten Absatz werden bei einem Verbot 109 Wörter. 38 Wörter für die Demokratie, 109 Wörter dagegen. Das sieht dann so aus. (Die Rednerin hält ein weiteres Schriftstück hoch) Das hat eine Schieflage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann Ihnen das auch auf das digitale Zeitalter bezogen erläutern: 275 Zeichen für die Demokratie, 855 Zeichen für Verbotsregeln. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch die Verbotspartei! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann müsstest du den ganzen Absatz 2 streichen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Künast. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mein letzter Satz. – Es braucht einen aufrechten Gang unsererseits, einen breiten Kampf gegen Rechtsextremismus, eine gute Finanzierung. Zu der 1 Million Euro, die Sie meinen der NPD entziehen zu können: (Burkhard Lischka [SPD]: 1 Million für Nazis fordern Sie!) Darüber müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Schauen wir einmal, ob Sie entsprechend handeln würden. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Künast. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Machen Sie sich aber nichts vor: Diese Million geht doch nicht in die Projekte, sondern die geht an eine andere Partei, deren Namen Sie kennen. Sie müssen sich schon dazu bekennen, Demokratie durchzuhalten und neues Geld lockerzumachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, ich kann mit meinem Beitrag wieder etwas Sachlichkeit und Ruhe in diese Debatte bringen, sie hat es auch nötig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit der Verabschiedung der hier vorliegenden Gesetzentwürfe hat das bislang geltende „Alles oder Nichts“-Prinzip in Sachen staatlicher Parteienfinanzierung auch für verfassungsfeindliche Parteien ein Ende. Das ist gut so, Frau Künast. Es ist ein Widerspruch, einer Partei, die unsere Demokratie abschaffen will, Steuermittel zu geben und sie damit noch in diesem Ziel zu unterstützen, während wir gleichzeitig Steuermittel für die Bekämpfung ebenjenes radikalen Gedankenguts ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der AfD?) Das ist ein Widerspruch, den wir hiermit auflösen wollen. Kritiker der hier vorliegenden Gesetzentwürfe sehen in dem Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Finanzierung einen unzulässigen Eingriff in den Grundsatz der Chancengleichheit. Richtig ist, dass unser Grundgesetz politischen Parteien eine besondere Rolle einräumt. Als verfassungsrechtlich garantierte Institutionen tragen sie zur politischen Willensbildung maßgeblich bei, indem sie unterschiedliche Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme anbieten. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen muss eine Demokratie aushalten, um so einer möglichst großen Anzahl von Menschen ein politisches Recht auf Teilhabe zu garantieren. Das ist die eine Seite. Aber – und das ist für mich das Entscheidende –: Es ist auch Aufgabe der Politik, die Demokratie vor Bestrebungen, diese zu zerstören, zu schützen. Das Parteiverbot wurde von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Dritten Reich als Instrument zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Parteien eingeführt. Zu Recht stellen Grundgesetz und Rechtsprechung hohe Anforderungen an ein Parteiverbot. Im Zuge der Weiterentwicklung der Rechtsprechung sowohl durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wie auch durch das Bundesverfassungsgericht ist im Verlauf der letzten Jahre noch das Erfordernis einer konkreten Gefahr hinzugekommen. Damit sind die Anforderungen an ein Parteiverbot noch weiter gestiegen; denn die Frage, welche Gefahr von einer verfassungsfeindlichen Partei tatsächlich ausgeht, ist nur schwer zu beantworten. Deshalb müssen wir, muss die Politik zumindest unterhalb der Schwelle eines Parteiverbots Sanktionsmöglichkeiten für extremistische Parteien haben. Nur so sind wir in der Lage, Instrumente der wehrhaften Demokratie zu erhalten. Dieses Spannungsfeld, das unbestreitbar besteht, haben wir nach meiner Meinung mit dem Gesetzentwurf gut aufgelöst. Wir haben Parteiprivilegien wie Versammlungsrecht oder Werbung eben nicht angetastet, sondern lediglich die staatliche Parteienfinanzierung. Damit bleiben wir weit hinter den Auswirkungen eines Parteiverbotes zurück. Eben weil aber das Recht auf politische Teilhabe hoch ist und Parteien auch einem Wandel unterliegen, ist es nötig, den Ausschluss von der Parteienfinanzierung zeitlich zu begrenzen; dazu ist eben schon vorgetragen worden. Die Regelungen hierzu haben wir mit Änderungsanträgen angepasst. Mit der Regelung – diese wurde auch von den Sachverständigen in der Anhörung vorgeschlagen –, dass nach Ablauf einer Frist von sechs Jahren Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung – diesen drei kommt Antragsrecht zu – einen Antrag auf Verlängerung des Ausschlusses von der Finanzierung stellen können, sind wir nach meiner festen Überzeugung einen verfassungsfesten Weg gegangen. Lassen Sie mich festhalten: Ich denke doch, dass alle demokratischen Parteien ein Grundkonsens verbindet, dem das Wertesystem des Grundgesetzes und das Bekenntnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat zugrunde liegen. Dies unterscheidet extremistische Parteien von demokratischen Parteien. Und genau dieser Unterschied rechtfertigt in meinen Augen auch – das haben die Sachverständigen eindeutig bestätigt – die jetzt von uns vorgenommene Durchbrechung des Gleichheitsgebots und stellt einen hinreichenden Grund für eine Differenzierung in Sachen Parteienfinanzierung zwischen demokratischen und extremistischen Parteien dar. Lassen Sie mich abschließend noch eins klarstellen: Keiner von uns, Frau Künast, ist so naiv, zu glauben, dass sich extremistische Grundeinstellungen mit dem Entzug der Teilfinanzierung für verfassungsfeindliche Parteien erledigen würden. Längst schon stehen andere extremistische Gruppierungen wie Kameradschaften, wie Antifa-Gruppen bereit. Gerade auf kommunaler Ebene ist die NPD in einigen Regionen stark verwurzelt. Politik und Gesellschaft stehen deshalb auch weiterhin in der Verantwortung. Die öffentliche Auseinandersetzung mit extremistischen Gruppierungen ist nicht nur ein wichtiges, sondern mit Sicherheit das wichtigste Mittel überhaupt bei deren Bekämpfung. Dafür geben wir – Frau Fograscher, Sie haben das eben erwähnt – sehr viel Geld aus, allein in 2017 für die Initiative „Demokratie leben!“ vom Bundesfamilienministerium 104,5 Millionen Euro – ein stolzer Betrag. Da kann man doch nicht sagen, Frau Künast, wie Sie das heute in der FAZ getan haben, wir würden zu wenig gegen Extremismus tun. Nein, wir haben in den letzten Jahren die Gelder verdreifacht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!) Das beweist, dass wir die Probleme richtig erkannt haben und bekämpfen. Auch Ihren Vorwurf einer übereilten Verfassungsänderung muss ich entschieden zurückweisen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Die Grundgesetzänderung wurde gründlich vorbereitet und durch die Änderungsanträge im Anschluss an die Sachverständigenanhörung noch einmal optimiert. Ein wirklich gutes Zeichen der gemeinsamen Bekämpfung von Extremismus wäre es, wenn alle Fraktionen diesem Gesetz ihre Zustimmung geben würden. Darum werbe ich. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir einen Hinweis. Wir befinden uns noch in der Debatte und werden noch zwei Redner hören. Ich bitte also die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt hereingekommen sind, sich in den Reihen ihrer Fraktionen zu platzieren und dafür zu sorgen, dass wir die Debatte geordnet zu Ende führen können. Dazu hat nun der Kollege Matthias Schmidt für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es ist mir eine Freude, vor vollem Haus reden zu können. Da kann es auch ruhig ein bisschen unruhig und lebhaft werden. Das empfinde ich jetzt gar nicht als so schlimm. Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn der Debatte eine Sache feststellen, die mir wirklich sehr wichtig ist: Das Gesetz, das wir heute beschließen wollen, ist ausdrücklich keine Lex NPD. Aber im Fall der NPD haben wir nun einmal ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar dieses Jahres. Ich war sowohl bei der mündlichen Verhandlung als auch bei der Urteilsverkündung dabei. Ich hätte mir sehr ein anderes Urteil gewünscht – wie möglicherweise viele hier im Haus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gleichwohl: Dieses Urteil ist ein wegweisendes Urteil. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich festgestellt: Die NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele, nämlich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, aber die NPD besitzt keine Wirkmächtigkeit. – Salopp gesagt: Die wollen die Demokratie abschaffen, aber sie schaffen es nicht einmal ansatzweise. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht einen Weg eröffnet – Frau Künast hat schon zitiert, was es uns mit auf den Weg gegeben hat –: Wenn wir einer verfassungsfeindlichen Partei den Geldhahn zudrehen wollen, dann ist das Parteienverbotsverfahren nicht die einzige Möglichkeit dazu. Vielmehr hat der Verfassungsgesetzgeber die Möglichkeit, hier eine Änderung herbeizuführen. Genau dies plant die Große Koalition heute durchzuführen, und das ist gut überlegt. Es stärkt im Übrigen die wehrhafte Demokratie, die an vielen Stellen in unserem Grundgesetz durchscheint, in Artikel 9 Absatz 2, in Artikel 18 und in Artikel 20 Absatz 4 und selbstverständlich auch in Artikel 21 Absatz 2. Genau an dieser Stelle werden wir heute ein wenig nachschärfen. Frau Künast, Sie haben gesagt – ich habe mitgeschrieben –, wir würden einfach mal ein Grundrecht abschaffen. Das ist kein Grundrecht, was wir da abschaffen. Das ist es nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die SPD-Fraktion hat sich das, was sie hier macht, sehr gut überlegt; denn zufällig heute jährt sich zum 84. Mal das Verbot der SPD durch die Nationalsozialisten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Am 22. Juni 1933 ist meine Partei verboten worden. Und wir gehen hier ganz sauber, sachlich, ruhig und kühl vor. Aber eine Partei, der das Bundesverfassungsgericht bescheinigt, die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen zu wollen, hat keine Unterstützung durch die Demokratie verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir ist das unter anderem deshalb so wichtig, weil bei mir im Wahlkreis die Bundeszentrale der NPD ist. Ich habe mit den Kollegen von der NPD, mit den damaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt zusammen in der Bezirksverordnetenversammlung gesessen, und wir mussten uns da parlamentarisch auseinandersetzen. Das war auch in Ordnung. Aber die NPD hat eben mehr gemacht. Sie hat das Geld genutzt, um Kiezfeste zu organisieren, um Demonstrationszüge durchzuführen, um CDs vor Schulhöfen zu verteilen oder gar Kinderfeste zu veranstalten. Genau dem wollen wir heute einen Riegel vorschieben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit uns, mit den Demokraten, hat immer die Zivilgesellschaft mit auf der Straße gestanden und hat mit uns gegen die NPD und gegen deren Aktionen demonstriert. Diese Zivilgesellschaft braucht unsere Unterstützung. Sie muss wissen: Wir als Gesetzgeber stehen an ihrer Seite, und wir tun alles, um rechtsextreme Bestrebungen zu bekämpfen. (Beifall bei der SPD) Dies wollen wir heute tun. Wir fügen dem Grundgesetz einen weiteren Mosaikstein hinzu: für eine starke, streitbare Demokratie. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute aus guten Gründen eine Änderung unseres Grundgesetzes. Zukünftig werden verfassungsfeindliche, aber nicht oder noch nicht verbotene Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung und der steuerlichen Begünstigung ausgeschlossen sein. Dies folgt einem einfachen Motto: Der Staat muss nicht diejenigen finanzieren, die ihn beseitigen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Ganze wird in Artikel 21 des Grundgesetzes verankert. Artikel 21 ist mehr, Frau Kollegin Künast, als nur ein Sammelsurium von Buchstaben. Es ist die zentrale Norm der politischen Teilhabe in unserem Land. Unsere Demokratie hält auch extreme und radikale Parteien aus, mit denen wir uns im politischen Wettbewerb messen müssen. Aber unser Grundgesetz hat aus historischen Erfahrungen heraus und aufgrund bitterer Stunden ein Schutzschild um sich selbst gezogen: Das Machbare wird nicht allein durch die Mehrheit bestimmt, sondern auch durch den Kern unserer Verfassung: durch Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!) Wer Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit angeht und sie nicht zur Grundlage seines Handelns macht, der hat in unserer wehrhaften Demokratie keinen Platz und darf auch nicht finanziert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesem Zusammenhang möchte ich die wichtigste Erkenntnis des Urteils vom 17. Januar 2017 in Erinnerung rufen: Nach ihrer Programmatik und Zielsetzung ist die NPD eine verfassungsfeindliche Partei, welche unsere Ordnung beseitigen möchte. Ein Parteiverbot wurde nicht ausgesprochen, weil sie nicht das Programm dazu habe, sondern weil sie – ich möchte sagen: glücklicherweise – derzeit nicht in der Lage ist, Einfluss zu nehmen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine weitere Kategorie definiert, nämlich die Kategorie der verfassungsfeindlichen, aber derzeit nicht relevanten Partei. Es ist uns, dem Gesetzgeber, unbenommen, auf diese neue Kategorie zu reagieren und zu handeln. Ich meine, wir müssen auch darauf reagieren, weil es niemandem erklärbar ist, dass zukünftig Wahlwerbung in Form von rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen Sprüchen und Plakaten, die den Wesenskern unseres Grundgesetzes verletzen, durch den Staat finanziert wird. Das ist niemandem zu vermitteln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ja, es geht auch um die Chancengleichheit der Parteien; das ist ein wichtiger Verfassungsgrundsatz. Aber die Chancengleichheit findet dort ihre Grenzen, wo es Ansatzpunkte für eine verfassungsrechtlich zulässige Ungleichbehandlung gibt. Diese verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung hat ihren Kern in der Feststellung, dass eine Partei verfassungsfeindlich ist. Wenn eine Partei verfassungsfeindlich ist, muss niemand mehr ihre Finanzierung dulden. Das gilt für die NPD; das wird nach dieser Grundgesetzänderung und weiteren Gesetzesänderungen aber auch für zukünftige extremistische Parteien gelten, egal ob im linken oder im rechten Spektrum. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten Sitzungswoche in diesem Hohen Hause viele notwendige und gute Grundgesetzänderungen beschlossen, von denen einige im Detail vielleicht etwas technisch sind, durch die aber viele Milliarden Euro bewegt werden und durch die sicherlich das Zusammenwirken von Bund und Ländern besser gestaltet wird. Heute geht es um eine weitere, eine andere Grundgesetzänderung, bei der es auf den ersten Blick nicht um viel Geld geht, die aber wichtige Signale gibt, nämlich dass wir den Feinden unserer Verfassung keinen Meter Platz lassen, dass wir ein wichtiges Symbol für unsere wehrhafte Demokratie setzen und dass verfassungsfeindliche Parteien, auch wenn sie wenig Relevanz haben, nicht durch diesen Staat gefördert werden. Deswegen bitte ich Sie, und zwar die Abgeordneten von allen Parteien in diesem Hause um Zustimmung zu dieser notwendigen und guten Grundgesetzänderung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole meine Bitte: Nehmen Sie bitte Platz. Wir sind noch nicht ganz am Ende der Debatte. Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Rolf Mützenich das Wort. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Am Ende der Aussprache muss ich persönlich, aber auch für meine Fraktion auf die grundsätzlichen Bemerkungen der Kollegin Künast eingehen. Sie hat in ihrer Rede einen Zusammenhang zu dem zur namentlichen Abstimmung anstehenden Gesetzentwurf konstruiert, den ich im Namen meiner Fraktion eindeutig zurückweisen will. (Beifall bei der SPD) Sie haben behauptet, dass sich diejenigen, die diesen Gesetzentwurf heute unterstützen, der notwendigen Auseinandersetzung mit dem Faschismus, mit der NPD und mit anderen Extremisten entziehen. Sie haben hier behauptet, dass diejenigen, die in Leipzig oder Dresden demonstrieren, mehr für den Kampf dagegen tun als wir heute als Parlamentarier. Ich weise das zurück, insbesondere weil ich in meinen Reihen, in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, viele Kolleginnen und Kollegen weiß, die von Mitgliedern der NPD angegriffen worden sind. Wir gehen auf dem Weg zu unserem Fraktionssaal an den Namen derjenigen vorbei, die sich gegen das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gestemmt haben. In dieser Tradition stehen wir. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen sehr eindeutig, liebe Kollegin: Wir lassen uns nicht absprechen, dass wir auch unabhängig von diesem Gesetzentwurf weiterhin gegen die NPD arbeiten werden. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Renate Künast. (Zurufe von der SPD: Entschuldigen!) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Mützenich! Liebe Sozialdemokraten! Ich habe vorhin gesagt, hier in diesem Saal sind Entscheidungen getroffen worden, und in Erinnerung daran sollten wir auch jetzt agieren. Ich habe schon gar nicht der Sozialdemokratie abgesprochen, dass sie etwas erlitten hat und dass sie weiß, was Rechtsextremismus heißt. Aber an einem ändert das nichts: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass diese isolierte Grundgesetzänderung weniger ist, als immer wieder und jede Woche mutig auf die Straße zu gehen und sich der Debatte auszusetzen, wie es zum Beispiel in Leipzig geschieht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Lieber wieder hinsetzen!) Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich niemandem von Ihnen abgesprochen, (Glocke der Präsidentin) auch bei diesen Demonstrationen dabei zu sein. Das weiß ich von diversen bzw. sogar vielen Kollegen aus diesem Haus; das habe ich gar nicht infrage gestellt. (Burkhard Lischka [SPD]: Wir haben eine Tradition, die Sie offensichtlich nicht haben! Das ist das Problem! – Weiterer Zuruf von der SPD: Was maßen Sie sich an?) Herr Lischka, ich mache mir am heutigen Tag Sorgen. (Burkhard Lischka [SPD]: Ich mache mir im Augenblick Sorgen um die Grünen!) – Er ruft gerade, er mache sich Sorgen um die Grünen. Tun Sie das, fahren Sie dabei aber nicht mit einem Zug. (Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Ach, hätte sie doch lieber geschwiegen!) Herr Lischka, wir haben an dieser Stelle einen Kampf zu führen, der mehr beinhaltet als nur die NPD-Finanzierung. Sie wissen, dass viele dieser Menschen am Ende woanders hingehen werden. Angesichts geringerer Parteibindungen, eines Verdrusses über demokratische Prinzipien mit der Folge, dass Menschen nicht wählen gehen, in Anbetracht von Hate Speech und vielem anderen müssen wir uns vor Augen halten, dass wir einen Beitrag zur Demokratie leisten müssen. Die Menschen fragen sich: Welche Spenden fließen an Parteien? Deshalb sage ich noch einmal: Ich fände es richtiger, wenn dieses Haus eine Kommission einsetzen würde, die sich grundsätzlich mit der Demokratie beschäftigt und dann auch diese Frage klärt. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) Ich hielte das für einen echten Gewinn, meine Damen und Herren. Was ich nicht erleben will, ist, dass diese Regelung gegen uns gewandt wird. Es hat Politiker gegeben, die aufgrund von Hate Speech Menschen als „Mob“ und „Pack“ bezeichnet haben. Am Ende standen diese Menschen mit dem Schild „Wir sind das Pack“ da und haben sich noch mehr zusammengeschlossen. (Burkhard Lischka [SPD]: Mit einem Galgen standen die da! Bleiben wir doch bei der Wahrheit!) – Ja, zum Beispiel mit einem Galgen. – Auch ich habe viel Hate Speech abbekommen. Aber auch der Hass gegen die Ungerechtigkeit – so hat es Bert Brecht gesagt – verzerrt die Züge. Wir müssen denen zeigen, dass wir zur Demokratie, zu demokratischen Inhalten und demokratischen Verfahren stehen. Diese Aufgabe ist größer als dieser eine Satz des Bundesverfassungsgerichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war ja gründlich daneben! Aber total!) – Ja, klar! Das müssen Sie ja jetzt rufen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21). Mir liegen zu dieser Abstimmung zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.2 Entsprechend unseren Regeln nehmen wir diese zu Protokoll. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/12357 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung, soweit wir das hier vorne feststellen können, mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Mehrheit der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung einiger Abgeordneter der Linken angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfes die Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich ist; das sind mindestens 420 Stimmen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ist das an allen Abstimmungsplätzen der Fall? – Das ist so. Ich eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. (Unterbrechung von 15.54 bis 16.00 Uhr) Vizepräsidentin Petra Pau: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil wir, wenn ich jetzt gleich das Abstimmungsergebnis mitgeteilt habe, zu weiteren Abstimmungen kommen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 579. Mit Ja haben 502 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 57 Kolleginnen und Kollegen, und 20 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 579; davon ja: 502 nein: 57 enthalten: 20 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner HonD Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Klaus Ernst Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Andrej Hunko Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jutta Krellmann Sabine Leidig Ralph Lenkert Dr. Gesine Lötzsch Niema Movassat Thomas Nord Harald Petzold (Havelland) Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Pia Zimmermann Nein BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten DIE LINKE Herbert Behrens Christine Buchholz Roland Claus Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Sigrid Hupach Susanna Karawanskij Katrin Kunert Stefan Liebich Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Martina Renner Frank Tempel Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Dann kommen wir nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/12358 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion und großer Teile der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/12846 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/12100 zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss, auch das Begleitgesetz auf Drucksache 18/12101 zu dem eben genannten Gesetzentwurf des Bundesrates für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/12298, 18/12694 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12695 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich muss man eine Debatte über die Verlängerung des deutschen Anteils an der Kosovo Force einleiten mit den Worten: Alle Jahre wieder. Tatsächlich reden wir hier seit 18 Jahren – immer fast genau am gleichen Tag im Juni – über diesen Dauereinsatz. Das Einzige, was sich dabei wirklich ändert, sind die Obergrenzen der Einsatzkräfte. Beim ersten Bundestagsmandat lag diese noch bei 8 500 Mann. Im vergangenen Jahr ging dann die Obergrenze runter auf 1 350 Soldatinnen und Soldaten. Damit belegt Deutschland Platz drei bei den Truppenstellern für KFOR, die gegenwärtig eine Gesamtstärke von 4 400 Kräften aufweist. Jetzt soll für das bevorstehende Jahr die Obergrenze für die Bundeswehrsoldaten erneut herabgesetzt werden, nämlich auf 800, also gerade noch ein Zehntel der Startgröße von 8 500 Kräften. Auch der Text von Antrag und Begründung der Bundesregierung zur KFOR-Verlängerung ist übrigens jedes Jahr fast derselbe. Wir finden dort vertraute Formeln: Die Lage im Kosovo sei überwiegend ruhig und stabil, aber es gebe immer noch ein Konflikt- und Eskalationspotenzial, und es könne zu unerwarteten Zwischenfällen kommen. Ich füge hinzu: wie etwa zuletzt im Januar, als plötzlich die Serben einen Zug nach Mitrovica schickten, auf dem geschrieben stand: Kosovo ist Serbien. Ja, es gibt die einheimischen Polizeikräfte der Kosovo Security Force und auch die Einsatzkräfte der Kosovo Armed Forces, aber es besteht eben ein Restbedarf an der internationalen Streitmacht von KFOR, auch wenn sich das Aufgabenspektrum immer mehr verschiebt: weg von Eingreiffällen hin zu Aufklärungs- und Beratungsaufgaben. Wer die Lage im Kosovo ein wenig kennt und dann noch den Blick auf die Gesamtsituation in der Westbalkanregion richtet, der wird nicht der Aussage widersprechen, dass KFOR tatsächlich immer noch gebraucht wird, auch im 18. Jahr nach dem Kosovo-Krieg. Und weil das so ist, wird die SPD-Fraktion dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, wie alle Jahre wieder, und es ist schon richtig: Das anerkennenswerte Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten im Kosovo liegt in unserem ureigenen Sicherheitsinteresse, und es entspricht unserer Verantwortung als Beteiligte an dem Kosovo-Krieg von 1999. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden, auch noch nach 18 Jahren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Also alles gut? – Nein, es ist nicht alles gut. Die Lage im Kosovo bereitet uns Sorgen, und zwar erhebliche. Am 11. Juni fanden vorgezogene Neuwahlen statt, nach einem Misstrauensvotum der Opposition, das auch von einer der Regierungsparteien unterstützt wurde. Als stärkste Kraft ging aus den Wahlen die sogenannte Koalition der Kommandanten hervor, eine Dreierkoalition ehemaliger UCK-Kriegsherren. Ihr Kandidat für den Regierungschef ist Ramush Haradinaj, ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher, der nur deswegen nicht hinter Gittern sitzt, weil Zeugen ihre Aussage zurückzogen oder unter ungeklärten Umständen ums Leben kamen. Zweitstärkste Kraft wurde die linksnationalistische Gruppierung Vetevendosje, auf Deutsch Selbstbestimmung, mit Albin Kurti als Premierministerkandidat. Dieser fordert öffentlich eine Vereinigung des Kosovo mit Albanien und den Abbruch der Verhandlungen mit Serbien, solange Belgrad nicht die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt hat. Einer dieser beiden Wahlgewinner ist auf jeden Fall an der nächsten Regierung beteiligt. Da bleibt es rätselhaft, wie die Hauptaufgaben des Kosovo gelöst werden sollen, und die heißen: Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption sowie Aufarbeitung der Kriegsverbrechen. Es ist deprimierend, dass trotz KFOR und der größten Rechtsstaatsmission, die je von der EU entsandt worden ist, nämlich EULEX Kosovo, der zwischenzeitlich bis zu 2 000 Polizisten, Richter, Gefängnis- und Zollbeamte angehörten, und trotz aller Anstrengungen der Fortschritt so gering ist. Die Neue Zürcher Zeitung hat die Lage im Kosovo kürzlich mit einem Satz auf den Punkt gebracht. Dieser lautet – ich zitiere –: „Arbeitslosigkeit, Korruption und Auswanderung lähmen die Gesellschaft …“ Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei annähernd 70 Prozent. Die korrupten Eliten plündern weiter das Land aus. Kritiker sagen: Sie lassen sich ihr Stabilitätsversprechen teuer bezahlen, auch aus den umfangreichen Hilfszahlungen, die aus dem Ausland kommen. Wer soll sich da wundern, dass vor allem junge Leute die Flucht ergreifen? Wir haben in Deutschland nicht vergessen, wie viele Menschen im Jahr 2015 aus dem Kosovo und anderen Westbalkanstaaten nach Deutschland flohen, weil sie einfach in ihrem eigenen Land keine lebenswerte Perspektive für sich erkennen konnten. Man kann nicht über KFOR reden und beschließen, ohne die Frage zu stellen, wie es eigentlich politisch im Kosovo und in der ganzen Westbalkanregion weitergehen soll und welchen Herausforderungen wir uns dort stellen müssen. Seit 2014 gibt es den sogenannten Berlin-Prozess, aber Beobachter vermissen da konkrete Fortschrittsprojekte. Eine neue Südosteuropastrategie der EU wird immer dringlicher, nachdem die 2003 gegebene EU-Beitrittsperspektive mit ihren quälend langsamen Umsetzungsschritten längst nicht mehr die erhofften positiven Wirkungen erzielt. Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel am 31. Mai bei der Aspen-Südosteuropa-Außenministerkonferenz einige sehr konkrete Vorschläge gemacht, die aus meiner Sicht die Unterstützung dieses Hauses verdienen. Er hat dafür geworben, dem Erweiterungsprozess mit den Westbalkanländern einen neuen Push zu geben. Er fordert, mehr Mittel konkret zur Linderung sozialer Notlagen einzusetzen. Es gehe darum, in einem Berlin-Prozess reloaded die regionale Kooperation zu stärken und dabei sichtbare Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. Große Infrastrukturprojekte wie etwa die Autobahn, die Serbien, Kosovo und Albanien verbinden soll, müssten beschleunigt werden, aber auch die IT-Infrastruktur müsse verbessert werden, zum Beispiel über einen regionalen IT-Gipfel. Schließlich sollte ein Fonds aufgelegt werden, um die duale Ausbildung, mit der Deutschland so gute Erfahrungen gemacht hat, vor Ort zu etablieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aus solchen Bausteinen sollte eine neue EU-Strategie für Südosteuropa errichtet werden. Europa konnte die vier blutigen Balkankriege der 90er-Jahre nicht verhindern. Die EU hat daraus aber gelernt und hat der ganzen Region ab 1999 mit dem Stabilitätspakt für Südosteuropa und 2003 mit der EU-Beitrittsperspektive das Tor zu einer positiven Europazukunft aufgestoßen. Jetzt muss eine Erosion dieser positiven Europavision in einer Region verhindert werden, in der sich längst andere Player an einer offensiven Einflusspolitik alter Schule versuchen, ohne dabei das Wohlergehen der Menschen in dieser Region im Auge zu haben. Es ist jetzt Zeit, politisch zu handeln – jenseits der Sicherungsaufgaben, für die wir KFOR weiter brauchen. Aber das ist bereits eine Aufgabe für den nächsten Bundestag. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Rede verabschiede ich mich nach mehr als 30 Jahren und nach acht Wahlperioden aus dem Deutschen Bundestag. Ich habe mich in dieser ganzen Zeit vor allem mit der internationalen Politik beschäftigt, mit dem Schwerpunkt auf Russland, Osteuropa, Zentralasien und Südosteuropa. Wir haben in Deutschland eine parlamentarische politische Kultur mit bemerkenswerten Rechten des Bundestages bei internationalen Fragen entwickelt. Dabei sprechen wir nur über einen Ausschnitt, wenn wir auf die strikte Genehmigungspflicht jedes auch noch so begrenzten Auslandseinsatzes der Bundeswehr verweisen. In Wirklichkeit hat sich der Bundestag erhebliche Mitwirkungs- und Kontrollrechte auf allen Feldern der Außen-, Sicherheits- und internationalen Politik unseres Landes gesichert, und er hat bisher alle Versuche abgeschmettert, diese Rechte einzuschränken. Solche Versuche hat es durchaus gegeben. Gerade die heutige 19. Debatte um den Einsatz im Kosovo ist ein guter Hintergrund, um auf dieses Alleinstellungsmerkmal unserer parlamentarischen politischen Kultur hinzuweisen. Wer einmal einen Blick darauf wirft, welche Rechte zum Beispiel unsere französischen Kolleginnen und Kollegen bei der Pariser Außen- und Sicherheitspolitik haben, weiß, wovon hier die Rede ist. Ich plädiere nachdrücklich dafür, an diesem Alleinstellungsmerkmal festzuhalten, so unbequem es für das Regierungshandeln manchmal auch sein mag. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Noch nie waren parlamentarische Mitwirkung und Kontrolle bei der Bewältigung internationaler Herausforderungen so nötig und wichtig wie heute. Wir sind konfrontiert mit den Folgen von politischen Entscheidungen, die sich über Regeln und Prinzipien einschließlich des Völkerrechts hinweggesetzt haben. Der Kosovokrieg, so hat es Kofi Annan einmal gesagt, bewegte sich in einer Grauzone des Völkerrechts. Die Folgen beschäftigen uns bis heute. Der Irakkrieg, an dem Deutschland zum Glück nicht teilgenommen hat, war völkerrechtswidrig und hinterließ eine ganze Failing-State-Landschaft, die sich als Biotop für den islamistischen Terror erwiesen hat. Der Missbrauch der Bengasi-Resolution des UN-Sicherheitsrats vom März 2011 hat uns letztlich vor schier unlösbare Probleme in Libyen gestellt, hat internationales Vertrauen zerstört und nebenbei wahrscheinlich noch das Prinzip der Schutzverantwortung auf Dauer diskreditiert. Wer heute die russische Seite auf ihre Regelverletzungen im Ukraine-Konflikt anspricht, bekommt immer dieselbe Antwort: Und was habt ihr im Kosovo, im Irak und in Libyen gemacht? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) In dieser Falle stecken wir. Da herauszukommen und neues Vertrauen zu schaffen, wird sehr viel Kraft kosten. Eine Anstrengung, die ohne den konstruktiven und kreativen Einsatz von Parlamentariern und Parlamenten nicht gelingen wird. Eine Weltpolitik als Reparaturbetrieb hat keine Zukunft. Unser Ziel muss die globale Verantwortungspartnerschaft bleiben, in die wir alle relevanten Staaten mit einbeziehen müssen. Dass es sich lohnt, sich dafür einzusetzen, soll meine letzte Botschaft von diesem Pult aus gewesen sein. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Anfügen möchte ich nur ein kurzes Wort des Dankes: an meine Mitarbeiter, die ich sehr vermissen werde, an die Beschäftigten dieses Hohen Hauses, die ihre Arbeit ebenso lautlos wie effizient und freundlich verrichten, und an alle Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, immer mit Respekt und immer fair. Ich danke Ihnen. (Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: „... immer mit Respekt und immer fair“: Kolleginnen und Kollegen des gesamten Hauses haben Ihnen eben mit ihrem Beifall hier zugestimmt. Ich denke, ich spreche im Namen aller Abgeordneten und auch der von Ihnen angesprochenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung, wenn wir Ihnen für Ihre weiteren Unternehmungen – ich bin fest davon überzeugt, wir werden von Ihnen hören – alles Gute wünschen. (Beifall) Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Erler, auch ich bedanke mich – auch im Namen meiner Fraktion – für die Zusammenarbeit und wünsche Ihnen vor allen Dingen für die Zukunft alles Gute. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Danke schön!) Aber eines erlauben Sie mir dann doch: (Michael Brand [CDU/CSU]: Ich wusste es! Es ist ein vergiftetes Lob!) Bei der Beurteilung des Jugoslawien-Kriegs war Ihr ehemaliger Bundeskanzler Gerhard Schröder etwas eindeutiger. Er sagte: Ich habe als Kanzler damals mit dem Jugoslawien-Krieg gegen das Völkerrecht verstoßen. Das sagte selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie haben das Putin-Zitat vergessen!) Ich finde, das gehört bei der eindeutigen Einordnung der Geschichte zur ehrlichen Debatte dazu. Im Mandatstext für Ihren KFOR-Einsatz sagen Sie: Der Auftrag und das Ziel sind die „Unterstützung zur Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multiethnischen und friedlichen Kosovo“. Dann schauen wir uns das einmal an. Seit 18 Jahren steht die Bundeswehr mittlerweile im Kosovo. Milliarden wurden für diesen Einsatz ausgegeben, Milliarden versickerten als Wirtschaftshilfe im Land. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. War die Lage im Kosovo schon immer politisch heikel, haben jetzt die Extremisten im Kosovo endgültig Oberwasser bekommen. „Radikale Parteien gewinnen Parlamentswahl im Kosovo“, so die Schlagzeile auf tagesschau.de. (Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) – Hören Sie mal lieber zu, Herr Kauder! – In der Tat könnte die Bilanz des Engagements der Bundesregierung nicht negativer sein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ich zuhören soll, müssen Sie besser werden! Sonst wird es nichts!) So wird mit dem ehemaligen UCK-Kommandanten und mutmaßlichen Kriegsverbrecher – Ihr Verbündeter, Herr Kauder – Ramush Haradinaj, (Michael Brand [CDU/CSU]: Unverschämtheit!) unterstützt von einem völkisch-nationalistischem Parteienbündnis, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Antidemokrat erster Klasse künftig an der Spitze des Kosovo stehen. Mit deutschen Truppen wird sozusagen ein Gebilde geschützt, an dessen Spitze ein Mann – ja, man muss das sagen – mit NPD-Ideologie steht, dessen Ziel es ist, den gesamten Balkan in Brand zu setzen. Diese Bundesregierung treibt gleichzeitig unverdrossen den EU-Beitritt dieses Kosovo voran. Gemeinsam mit der Europäischen Union werden die eigenen Kriterien einfach so in den Staub getreten. Blicken wir zurück: Haradinaj und seine Gruppe waren wegen gewaltsamer Verschleppung von Zivilisten, Entführung, Freiheitsberaubung, Folter, Mord, Vergewaltigung angeklagt worden. Haradinaj wurde vom Haager Gericht freigesprochen aus dem ganz einfachen Grund, weil kein Zeuge mehr gegen ihn aussagen konnte oder auch wollte. (Michael Brand [CDU/CSU]: Niemand im Parlament verteidigt Haradinaj! Niemand!) Von den ursprünglich zehn Zeugen gegen ihn überlebte nur ein einziger Zeuge. Dieser zog seine Aussage zurück, nachdem er knapp einen Anschlag überlebt hatte. Ich möchte an die anderen neun Zeugen erinnern, die alle ums Leben gekommen sind oder ermordet wurden. Einer wurde von einem Jeep überfahren, ein anderer mit einem Messer erstochen, zwei wurden erschossen, die anderen bei professionell organisierten Attentaten getötet. Eine eindrucksvolle Bilanz Ihres Verbündeten auf dem Weg zum Rechtsstaat im Kosovo, würde ich sagen. Das Schweigen der Bundesregierung zu diesen Vorgängen spricht Bände. Es untergräbt aber auch die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union insgesamt in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. (Beifall bei der LINKEN) Haradinaj fordert ein Großalbanien. Mit Gewalt soll bis zu einem Drittel des serbischen Territoriums annektiert werden. Die Stadt Nis soll selbst dazugehören zu diesem völkischen Albtraum. Ich finde, es ist wirklich beschämend, dass diese Leute die Garanten der Bundesregierung für eine demokratische Entwicklung im Kosovo sein sollen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Bundesregierung unterstützt nämlich im Rahmen der KFOR-Soldaten solche Leute. Ich würde sagen, jeder vernünftige Mensch würde die Unterstützung dieses Kosovo endlich einstellen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zu dieser Schreckensbilanz kommt ja noch eines hinzu: dass sich unter den Augen deutscher Truppen das Kosovo zu einem islamistischen Terrorzentrum entwickelt hat. So sagte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine Anfrage, dass durch saudische Gelder die Förderung des Islamismus extremst vorangetrieben wird. Die Konsequenzen sind wirklich verheerend. Auf die Bevölkerung hochgerechnet, hat keine Region, keine einzige Region in Europa so viele Leute zu den islamistischen Mörderbanden nach Syrien gesandt wie der Kosovo. Wie gesagt: Ich finde, das ist eine Schreckensbilanz. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es verwundert mich auch nicht, dass dies bei den Beratungen zu KFOR nicht einmal Gegenstand im Kabinett gewesen ist, wie mir die Bundesregierung mitteilte. Sie agieren nach dem Prinzip der drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Ich finde, damit muss Schluss sein. Diese verheerende deutsche Politik auf dem Balkan muss beendet werden. (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?) Es kommt noch hinzu: Serbien wollen Sie auch noch zu einer völkerrechtswidrigen Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zwingen, indem Sie mit dafür sorgen, dass dies unter Bruch des europäischen Rechts zu einem Kriterium der Beitrittsverhandlungen wird. Den Extremisten, den Nationalisten im Kosovo rollen Sie im Gegenzug den roten Teppich aus. Ich finde, die Förderung dieser großalbanischen Nationalisten auf dem Balkan muss aufhören. (Henning Otte [CDU/CSU]: Wie viele Minuten sind das jetzt?) Wir brauchen eine Umkehr in der deutschen Außenpolitik: zurück zum Völkerrecht, zurück zur Rechtsstaatlichkeit, zurück zur Demokratie. Deshalb sagen wir: Stellen Sie Ihre Unterstützung ein, und ziehen Sie endlich die Bundeswehr aus dem Balkan ab! (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vom Balkan, nicht aus! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ja, Herr Lehrer! Oberlehrer! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei Ihnen nötig! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Unterstützen Sie mal die Islamisten da!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Franz Josef Jung für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Dağdelen, wenn man Ihre Ausführungen hier hört, dann muss man schon deutlich sagen, dass erstens die Angriffe auf die Bundesregierung mit Nachdruck zurückgewiesen werden müssen (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Warum denn?) und zweitens Sie offensichtlich völlig vergessen haben, dass auf dem Balkan durch Massenvergewaltigungen und Massenhinrichtungen eine Situation von kriegerischer Auseinandersetzung entstanden ist, die ohne das Eingreifen der NATO und damit auch unserer Bundeswehr nicht wieder in Stabilität und Frieden übergegangen wäre. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Rechtfertigen Sie den Völkerrechtsbruch? – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Hören Sie mit dieser Legende auf!) Wir reden heute über die Verlängerung des KFOR-Mandats, um weiterhin eine Stabilisierung und eine friedliche Entwicklung auf dem Balkan und konkret im Kosovo zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was für eine friedliche Entwicklung? – Weitere Zurufe von der LINKEN) Meine Damen und Herren, es liegt auch in unserem Sicherheitsinteresse, dass sich die Region weiter stabilisiert, dass die Länder auf ihrem Weg zur Europäischen Union von uns unterstützt werden, dass wir vermeiden, dass Konflikte neu ausbrechen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalbanien! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie mal ruhig hier! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie waren bei mir auch nicht ruhig! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein bisschen sehr gewöhnlich hier! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Unverschämt!) Da kann ich nur das unterstreichen, was Herr Erler gesagt hat. Eine Provokation wie beispielsweise der Zug mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ muss in Zukunft unterbleiben, weil dies nur zusätzliche Konflikte schürt und nicht zu einer friedlichen und stabilen Entwicklung im Kosovo beiträgt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es ist zutreffend: Seit 18 Jahren ist KFOR auch mit unseren Soldatinnen und Soldaten im Kosovo engagiert. Mittlerweile sind die kosovarischen Sicherheitskräfte in der Lage, Sicherheit herzustellen, beispielsweise bei Großdemonstrationen oder gewaltsamen Ausschreitungen. KFOR stellt heute eine Rückversicherung dar, falls die Lage wieder instabil werden sollte. Hier denke ich insbesondere an das Nordkosovo. Wir müssen auch sehen, dass die Stabilisierungserfolge dazu geführt haben, dass die 50 000 Soldatinnen und Soldaten, die ursprünglich im Kosovo waren – davon immerhin 6 440 Bundeswehrsoldatinnen und soldaten –, auf insgesamt 4 400, davon 550 Bundeswehrsoldaten, reduziert wurden. Deswegen können wir jetzt das Mandat von 1 350 Soldatinnen und Soldaten auf 800 zurückführen. Aber ich denke, es bleibt unser Ziel, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, um auch dieses Mandat zu einem guten Abschluss zu führen. Dazu gehört, dass weiterhin die Normalisierung der Beziehungen mit Serbien unterstützt wird, sodass alle Bürger des Kosovo in Frieden und in sicheren Grenzen leben können. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Mit Erpressungen!) Kosovo muss ein stabiler multiethnischer Staat sein, in dem alle Minderheiten, auch die Serben, in Frieden und Freiheit gleichberechtigt leben können. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalbanien!) Meine Damen und Herren, es braucht dazu auch wieder einen neuen Impuls. Es ist wahr, dass die illegalen serbischen Doppelstrukturen im Bereich Justiz und Sicherheit abgebaut worden sind, dass beispielsweise die Brücke in Mitrovica wieder geöffnet wurde, aber es bedarf noch des serbischen Gemeindeverbandes – das muss jetzt von kosovarischer Seite ermöglicht werden –, um eine weitere stabile und friedliche Entwicklung im Kosovo zu bewirken. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalbanien!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den Wahlen ist noch nicht klar, wie die neue Regierung aussehen wird. Aber eines muss klar sein: dass der Normalisierungsprozess weiter intensiviert wird, dass die Rechtsstaatlichkeit vorangebracht wird, dass organisierte Kriminalität und Korruption bekämpft werden und dass auch der Kampf gegen den IS im Kosovo entsprechend intensiviert wird, weil das die Voraussetzung für eine zukünftig auch in wirtschaftlicher Hinsicht positive, stabile und friedliche Entwicklung in dieser Region ist. Daher wollen wir mit KFOR und mit unseren Soldatinnen und Soldaten diesen Prozess intensiv unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Mit Kriegsverbrechern!) Im Wahlkampf – es wurde angesprochen – sind verschiedene Dinge artikuliert worden. Ich glaube, eines muss man sehr deutlich sehen: Eine Forderung zur Schaffung von Großalbanien ist genau das Gegenteil von dem, was friedliche Entwicklung und Stabilisierung bedeutet. Deshalb müssen solche Forderungen in Zukunft unterbleiben und möglichst schnell vom Tisch, weil dies zu keiner positiven Entwicklung im Kosovo führen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Das gefährdet eine friedliche und europäische Entwicklung. Deshalb bleibt, glaube ich, der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten hier notwendig. Ich denke, man muss auch deutlich machen – ich habe die Zahlen gerade noch einmal in Erinnerung gerufen –, welchen Beitrag unsere Soldatinnen und Soldaten dort geleistet haben. Im Übrigen haben – auch das gehört zu einer solchen Debatte – Soldatinnen und Soldaten, die sich dort für eine friedliche Entwicklung eingesetzt haben, ihr Leben gelassen. Deshalb gehört es im Rahmen dieser Debatte auch dazu, unseren Soldatinnen und Soldaten für diesen Einsatz zu danken, den sie für Frieden und Stabilität im Kosovo geleistet haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was für eine Stabilität?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, da dies auch meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein wird, will ich noch drei Bemerkungen machen. Erstens. Ich habe meine Abgeordnetentätigkeit – wenn ich die Mandate auf Kreis-, Landes- und Bundesebene zusammenzähle, komme ich auf 45 Jahre – immer mit großer Freude und Engagement wahrgenommen. Ich bedanke mich für die gute und freundschaftliche Zusammenarbeit, auch für die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich will hinzufügen: Ich glaube, unser System der repräsentativen parlamentarischen Demokratie hat sich in Deutschland bewährt und sollte auch in Zukunft unser Prinzip des Parlamentarismus in Deutschland bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Ich sage auch, dass ich meine Regierungsfunktionen, sowohl in Hessen als auch im Bund, gerne wahrgenommen habe, am liebsten – das gebe ich zu – das Amt des Verteidigungsministers. Mir war es immer ein Herzensanliegen, mich für unsere Soldatinnen und Soldaten einzusetzen. Ich habe das im Fall des Kosovo erlebt. Es gibt keinen Berufsstand, der schwört, dass er das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer, das heißt unter Einsatz seines Lebens, verteidigt. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hier einen wichtigen Dienst für unsere Sicherheit, für eine friedliche Entwicklung, und deshalb haben sie auch unsere Unterstützung und unseren Dank verdient. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einen dritten Punkt möchte ich gerne noch ansprechen: Zum Höhepunkt meines politischen Lebens gehört, dass wir die Einheit unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wurde, erreichen konnten. Unter der Verantwortung und Führung unseres damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit, haben wir dies geschafft. Ich bin dankbar, dass ich damals die ersten Kontakte zu Reformkräften der Ost-CDU hatte, dass ich die Allianz für Deutschland mitgründen durfte und dass ich die erste Großveranstaltung von Helmut Kohl mit 160 000 Bürgerinnen und Bürgern in Erfurt mitorganisieren durfte. Meine Damen und Herren, wenn die Allianz für Deutschland am 18. März 1990 nicht erfolgreich gewesen wäre, wäre der 3. Oktober 1990 so nicht erfolgt. Das ist meine felsenfeste Überzeugung. Dafür bin ich umso mehr dankbar. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerade am heutigen Tag verneige ich mich deshalb in Verehrung und Dankbarkeit vor dem großen europäischen und deutschen Staatsmann Helmut Kohl. Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich auch meiner Familie danken. Ohne meine Frau wäre all das so nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank. Und alles Gute dem Deutschen Bundestag. Besten Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE] – Die Abgeordneten der CDU/CSU erheben sich) Vizepräsidentin Petra Pau: Alles Gute auf dem weiteren Weg. – Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Erler, lieber Kollege Jung, solche Abschiede gehören zum Wesen der parlamentarischen Demokratie; denn sie bedeuten Wechsel und Rotation. Sie bringen immer etwas Wehmut mit sich. Deswegen möchte auch ich an dieser Stelle Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, dass wir in den vergangenen Jahren immer, und zwar ausnahmslos, mit Respekt miteinander umgegangen sind und sehr fruchtbar miteinander arbeiten konnten. Schönen Dank dafür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben wegen der Parlamentsgebundenheit von Bundeswehreinsätzen im jährlichen Rhythmus – das schon seit vielen Jahren – immer wieder Debatten um Mandate. Das bringt das Problem mit sich, dass manchmal die politische Komplexität, die hinter diesen Mandaten steckt, ein wenig unterzugehen droht. Deswegen möchte ich heute gerne die Gelegenheit ergreifen, nicht nur über das Kosovo, sondern über den gesamten Westbalkan zu sprechen. Mit der Annexion der Krim, dem Krieg in der Ukraine, mit der noch größeren Katastrophe in Syrien, mit dem Failed State Libyen scheint das Kosovo und der Westbalkan eigentlich eine Region zu sein, die relativ ruhig ist und auf die wir nicht so stark schauen müssen. Hier, meine ich, sollten wir im Sinne eines vorsorgenden Blicks etwas genauer hinschauen. Der Westbalkan ist in keiner guten Verfassung. Leider muss ich sagen, dass ich mehr Brisanz und mehr Sprengstoff in der Region sehe, als bei uns öffentlich wahrgenommen wird. Wenn wir uns noch einmal die Situation in den Folgerepubliken des ehemaligen Jugoslawiens anschauen, so stellen wir fest: Slowenien ist auf einem guten Weg. Es ist langjähriges Mitglied der Europäischen Union. Auch Kroatien ist unter dem Dach der Europäischen Union, obwohl es immer wieder starke innenpolitische Herausforderungen gibt. Serbien stellt sich stabil dar. Darüber gibt es bei uns eine große Erleichterung. Allerdings sollten wir ehrlicherweise zugeben, dass diese Stabilität einen politischen Preis hat; denn es gibt in diesem Land starke autoritäre Tendenzen, die ausgehen von dem jetzigen Präsidenten und ehemaligen Premier Vucic. Wir sollten sehr entschieden bleiben und die Augen nicht verschließen, weil wir Angst vor den Konsequenzen der Wahrheit haben. Die innere Verfasstheit des heutigen Serbiens passt nicht zum Wertekanon der EU. Es bleibt da also noch sehr viel zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bosnien und Herzegowina sind in einem dysfunktionalen Staatsaufbau festgefahren, den die internationale Gemeinschaft mit zu verantworten hat. Das Land findet aber auch nicht die eigene politische Kraft, sich daraus zu befreien. Es gibt nationalistische Tendenzen, und die entsprechenden Kräfte nutzen diese Dysfunktionalität, um ihre Machtposition zu stabilisieren. Es ist ein Land in besorgniserregender Agonie. Die Jungen und gut Ausgebildeten verlassen das Land. Ich meine, wir sollten hier ehrlich genug sein, um festzustellen, dass die Frage, wie man diesem Land die positiven Impulse, die es eigentlich bräuchte, von außen geben könnte, bei uns eine gewisse Ratlosigkeit hinterlässt. Immer mal wieder droht Herr Dodik mit einer Sezession, vielleicht nur spielerisch – wir wissen es nicht so genau. Aber auch das destabilisiert das Land immer wieder. Mazedonien befindet sich im Würgegriff einer autoritären Clanstruktur. Der Weg in eine politische Transformation war durch ungeheuerliche Vorgänge im Land lange verstellt, und es droht immer das Wiederaufflammen der ethnischen Konflikte in diesem albanisch-slawischen Land. Es bleibt also bei der Fragilität dieses Landes. Über all dem – das ist eben ausführlich dargelegt worden – schwebt das Damoklesschwert der Fantasie von einem ethnisch homogenen Großalbanien, und eine solche Entwicklung würde das Land tatsächlich wieder in Flammen setzen. Dass die Partei von Albin Kurti, einem Nationalisten und erklärten Großalbaner, bei den Wahlen im Kosovo zur zweitstärksten Kraft geworden ist und Haradinaj, wie wir alle wissen, dem Haager Gerichtshof nur aufgrund der Zeugensituation entkommen ist – das alles ist nicht beruhigend. Wir haben im Jahre 2014 viel von Christopher Clark gehört und durch sein Buch Die Schlafwandler gelernt, wie fragil der Westbalkan ist und wie wichtig er für uns in Europa immer gewesen ist, welche explosive Kraft der Balkan gehabt hat. Es kommt jetzt etwas Neues hinzu: Russland drängt als Player auf den Westbalkan. Wir haben also eigentlich wieder die tektonischen Verhältnisse, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben: eine serbische Orthodoxie, die sich gen Russland orientiert, ein christlich-katholisches Kroatien mit der Verbindung nach Rom und eine muslimische Bevölkerung mit der Bindung an das Erbe des Osmanischen Reichs. Wer sich mit diesen Fragen, mit den langen Linien der Geschichte, nicht auseinandersetzt, wird die Schwierigkeiten, die wir derzeit auf dem Balkan haben, nicht verstehen können. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin gleich fertig. Nur noch eine Frage an Sie, Frau Dağdelen: Ist denn dann die Konsequenz, zu gehen, was dazu führen würde, dass die ganze Region wieder in Flammen aufgeht? Ich meine, dass wir gerade wegen oder trotz der Schwierigkeiten die Verpflichtung haben, zu bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Florian Hahn hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitrovica im Norden des Kosovo ist seit dem Kosovokrieg eine geteilte Stadt: im Süden die Kosovo-Albaner, im Norden die Kosovo-Serben. Die Brücke, die beide Seiten verbinden sollte, ist ein Symbol für den Konflikt der beiden ethnischen Gruppen im jüngsten Staat Europas. Aus Sicherheitsgründen wird die Brücke von KFOR-Soldaten bewacht; sie ist nicht für den Verkehr freigegeben und lediglich für Fußgänger geöffnet. Kontakt zwischen Kosovaren auf beiden Seiten der Brücke gibt es nur eingeschränkt. Die Kosovo-Serben im Norden planen sogar wieder, eine Mauer zu errichten, die erst Anfang dieses Jahres eingerissen wurde. Das Beispiel der Stadt Mitrovica zeigt uns: Die Situation im Norden des Kosovo ist weiter angespannt. Obwohl man positiv bewerten muss, dass nach Aussage der OSZE die Neuwahlen im Juni dieses Jahres ohne größere Vorkommnisse durchgeführt wurden, wird das Ergebnis die Spannungen wohl weiter verschärfen. Aus der Wahl sind Parteien und Bündnisse hervorgetreten, die für wenig Kompromissbereitschaft stehen und die als populistisch, nationalistisch und radikal gelten. Stärkste Kraft wurde ein Zusammenschluss, der von drei ehemaligen UCK-Kommandeuren angeführt wird, mit dem sehr umstrittenen Spitzenkandidaten Haradinaj. Das müssen wir im Blick behalten. Die Koalitionsverhandlungen werden wahrscheinlich lange dauern, und das wird Zeit kosten, was dazu führen wird, dass sich wichtige Reformschritte im Kosovo verzögern. Das ist für eines der ärmsten Länder Europas fatal. Als Teil Europas, als potenzieller EU-Beitrittskandidat braucht das Land weiterhin unsere Unterstützung, zum Beispiel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland ist der größte bilaterale Geldgeber in der Entwicklungszusammenarbeit. Im Zentrum steht die Bekämpfung der massiven Arbeitslosigkeit, insbesondere von Jugendlichen. Wir stärken zudem kleine und mittlere Unternehmen und Unternehmen in den Industriesektoren, indem wir den Energienetzausbau und den Ausbau der Abwasser- und Abfallentsorgung fördern. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland an der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX aktuell mit 23 Soldaten, die Kosovo beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung unterstützen. Wir leisten auch diplomatische Unterstützung. Für eine langfristige Stabilität muss sich der Kosovo wieder mit seinem Nachbarn Serbien verständigen. Deutschland setzt sich für den Dialog der beiden Länder und für die Umsetzung des Normalisierungsabkommens aus dem Jahr 2013 ein, weil der Prozess auch hier von Spannungen geprägt ist. Aber wir brauchen eben auch militärische Unterstützung. Es besteht im Norden des Kosovo weiterhin Eskalations- und Konfliktpotenzial. Die kosovarische Polizei verfügt zwar über immer bessere Fähigkeiten, und die Lage ist im Moment grundsätzlich ruhig. Allerdings ist sie nur schwer berechenbar. Kosovo braucht weiterhin die KFOR-Truppen im Land. Das Engagement der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ist sehr wichtig. Deutschland ist zusammen mit den USA und Italien der größte Truppensteller. Durch die verbesserte Sicherheitslage können wir jedoch die Mandatsobergrenze auf jetzt 800 Soldatinnen und Soldaten weiter senken. Wir treiben auch die Anpassung des deutschen Beitrags in Form von Eingreifkräften sowie Aufklärungs- und Beratungskräften voran. Meine Damen und Herren, das ist ein vernetzter Ansatz. So gestalten wir verantwortliche Politik. An dieser Stelle möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten danken, die wir seit 1999 Jahr für Jahr in den Kosovo entsenden und die dort ihren Dienst tun. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wie lange denn noch?) Sie verdienen die beste Ausbildung und die beste Ausrüstung. Deshalb geht an dieser Stelle mein herzlicher Dank an Sie, Frau Ministerin. Sie haben sich genauso wie Ihre Vorgänger, genauso wie du, lieber Franz Josef Jung, für eine Verbesserung in diesem Bereich eingesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die KFOR-Mission ist die tragende Säule des umfassenden vernetzten Ansatzes, den wir gemeinsam mit unseren Partnern im Kosovo verfolgen. Nur in einem sicheren Umfeld sind politische Fortschritte und Entwicklungen möglich. Meine Damen und Herren, lieber Franz Josef Jung, sehr geehrter Dr. Erler, sehr geehrte Frau Beck, ich möchte mich herzlich für Ihre Beiträge nicht nur in dieser Debatte, sondern in den vielen anderen Debatten, die wir geführt haben, bedanken. Man muss nicht immer einer Meinung sein, aber Sie haben zumindest immer wichtige Beiträge geliefert, um gemeinsam zu überlegen, welche Lösungen es gibt. Unsere Frau Kollegin Dağdelen kann sich davon ein Scheibchen abschneiden; (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Kannibalismus! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist keine Scheibe, das ist ein Riesenstück! – Peter Beyer [CDU/CSU]: So viele Scheiben verkraftet sie gar nicht!) denn sie hat heute nur dargestellt, was alles schlecht läuft, und dafür nur die Bundeswehr verantwortlich gemacht. Das ist falsch. Sie haben keine einzige Lösung präsentiert, Frau Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU  – Zurufe von der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir brauchen einen langen Atem, damit in Zukunft Brücken in Mitrovica die Menschen verbinden und nicht trennen. Sie sollen auch nicht durch Mauern getrennt werden. Daher bitte ich Sie, der Verlängerung des KFOR-Mandats zuzustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/12694 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 18/12298 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ein kleiner Hinweis für die Kolleginnen und Kollegen, die noch abstimmen wollen: Hier vorn ist das ohne Probleme möglich. Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3 Ich bitte diejenigen, die noch im Saale sind, um die notwendige Aufmerksamkeit, um auch die folgende Abstimmung nicht nur vornehmen zu können, sondern vor allen Dingen das Ergebnis der Abstimmung zweifelsfrei feststellen zu können. Dafür wäre es hilfreich, wenn diejenigen, die sich hier weiter an der Abstimmung beteiligen wollen, einfach ihren Platz einnehmen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12819. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die SPD-Fraktion nimmt an dieser Abstimmung bis auf eine Kollegin nicht teil. Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der Fraktion Die Linke und einer Kollegin der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Hochschulen fördern Drucksachen 18/8420, 18/8421, 18/8889, 18/9127, 18/12409 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schulsozialarbeit an allen Schulen sicherstellen Drucksachen 18/2013, 18/11803 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Xaver Jung (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wir alle wissen, beginnt Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Wer sich die gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre anschaut, sieht erfreuliche Fortschritte hin zu mehr Inklusion. Vielen Dank an alle, die dabei mithelfen. Inklusion ist aber inzwischen bei Schülern, Eltern und Lehrern auch ein sehr emotionsgeladenes Thema; denn teilweise macht sich im Bildungsbereich ein unseliger Aktionismus auf Kosten der betroffenen Kinder und Jugendlichen breit. Wie schaut sie denn in der Praxis aus, die oft übereilte, zwanghafte inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern in Regelschulen? Wir erhalten inzwischen jede Menge negativer Erfahrungsberichte aus den Ländern, und das Schlimme ist: Das alles war vorhersehbar und vorhergesagt; Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Kinder mit starken Verhaltensauffälligkeiten haben keine Rückzugsräume mehr und belasten deshalb mit extremen Verhaltensweisen ihre Mitschüler und Lehrer. Sie bekommen nicht die notwendige zusätzliche Betreuung, sondern werden mit 25 weiteren Kindern in einer Klasse unterrichtet. Kinder, die mit ihren Mitschülern nur begrenzt kommunizieren können, werden ausgeschlossen und verbringen die Pause allein auf dem Schulhof. Andere lernbehinderte Schüler sind frustriert, weil ihnen die Klassenkameraden im Leistungsvergleich immer voraus sind. Lehrerinnen und Lehrer sind schlichtweg überlastet, weil die notwendige permanente Doppelbesetzung nicht erfolgt. Dafür vorgesehenes Personal wird stattdessen oft für Krankheitsvertretungen eingesetzt, ich sage: missbraucht. Kurzum: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Hier wird ein ideologischer Ansatz, der in der Theorie sehr schön erscheint, durch mangelnde Ressourcen in der Praxis zu einem negativen Szenario. Wer so Inklusion betreibt, muss sich über Akzeptanzprobleme nicht wundern. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer so redet, auch nicht!) Wer Förderschulen so wie Sie, Herr Mutlu, schließt, qualitativ gleichwertige Angebote in Regelschulen aber nicht bereithält, der betreibt das Gegenteil von Inklusion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer quantitative Standards statt qualitativer Standards als Vergleichsmaßstab nimmt, der betreibt schlechte Inklusion, und wer sich wie Sie aus politischer Ideologie heraus (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie betreiben Ideologie, nichts anderes!) einem realistischen Blick auf diese Herausforderung verschließt, der betreibt das Gegenteil von gelingender Inklusion. Was Eltern, Schüler und Lehrer davon halten, hat sich bei der NRW-Wahl gezeigt: gar nichts. Die Regierung wurde auch deshalb abgewählt. Wir hingegen wollen eine gelingende Inklusion. Das schließt ein, dass jedes Kind, welches nicht die gleichen Chancen auf eine freie geistige Entfaltung wie seine Mitschüler hat, auf eine Schule gehen darf, die ihm ein unbeschwertes Leben ermöglicht und keinen täglichen Kampf bedeutet. Wie die Erfahrung zeigt, ist dies eben nicht immer die Regelschule mit ihren Klassenverbänden; denn es gibt zum Beispiel Gehörlose, die sich lieber mit anderen Gehörlosen in Gebärdensprache unterhalten, statt isoliert auf dem Pausenhof zu stehen. Das müssen wir respektieren, und dem müssen wir Rechnung tragen. Für eine gelingende Inklusion braucht es ein System, in dem es die Wahl zwischen allgemeinen Schulen und spezialisierten Förderschulen gibt. Diese Förderschulen garantieren eine liebevolle und individuelle Behandlung für diejenigen, die nicht zwangsinkludiert werden wollen. So sehen das übrigens auch die Lehrerinnen und Lehrer. Eine Forsa-Umfrage hat ergeben, dass 97 Prozent fordern, dass Förderschulen erhalten bleiben. Die Jugendlichen sehen das laut ihrer Erklärung von Lissabon genauso. Es geht darum, jeden Schüler bestmöglich individuell zu fördern und zu fordern, und zwar am Lernort seiner Wahl. Dafür stehen wir als CDU/CSU. Wie können wir das verwirklichen? Es braucht mehr Ressourcen seitens der Länder, und es braucht einen realistischen Blick auf die Chancen und Herausforderungen. Dazu gehört, die Bildungsziele am einzelnen Schüler zu orientieren. Das hat übrigens auch die Deutsche Kinderhilfe bei einem von mir organisierten Treffen zum Thema Dyskalkulie und Legasthenie so gesehen; Frau Dr. Hein, Sie waren dabei. Es wurde ausdrücklich gewünscht, dass eine gesonderte Förderung möglich bleibt. Bei alldem müssen wir behutsam vorgehen. Schritt für Schritt muss evaluiert werden, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Wir haben bereits verschiedene gute Maßnahmen auf den Weg gebracht. Zahlreiche Forderungen aus dem Antrag haben wir bereits aufgenommen. Wir sind dabei, diese umzusetzen. Wir fördern als Bund die schrittweise Umsetzung der Behindertenrechtskonvention im Rahmen des Nationalen Aktionsplans. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit acht Jahren warten wir darauf!) Der Bund betreibt Forschungsförderung und initiiert die Weitergabe der Erkenntnisse an alle Beteiligten. Der Bund finanziert und organisiert unter anderem die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, die sich ausdrücklich Fragen inklusiver Bildung im Bereich der frühen Bildung widmet. Seit Beginn dieses Jahres regelt das neue Bundesteilhabegesetz Fragen der Früherkennung und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen. Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung sind schon lange inklusiv aufgestellt. Davon abgesehen hat der Bund die Länder im Bildungsbereich mittlerweile erheblich entlastet, damit diese selbst tätig werden. Wir gehen also schrittweise und mit Augenmaß voran, kontinuierlich, aber mit Bedacht. So werden wir ein gutes System in ein noch besseres System überführen. Dafür stehen wir als CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich möchte Ihnen kurz das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 513, mit Nein haben gestimmt 55, Enthaltungen 5. Damit ist die Beschlussempfehlung über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 573; davon ja: 513 nein: 55 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner HonD Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Klaus Ernst Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Hans-Christian Ströbele Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Corinna Rüffer Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke. – Bitte schön. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wussten Sie eigentlich, dass gehörlose Menschen nur in sehr wenigen Schulen in Deutschland Abitur machen können? Ein Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle hat das kürzlich in einer Podiumsdiskussion erklärt, und einige im Auditorium waren darüber sehr verwundert. Ohne Abitur zu studieren, ist nahezu unmöglich. Wir wissen alle, dass die allermeisten Förderschulen jeder Art nur den Hauptschulabschluss, im besten Fall den Realschulabschluss anbieten und die allerwenigsten überhaupt zum Abitur führen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Geht es nur noch ums Abitur und nicht mehr um andere Schulabschlüsse?) Es sind immer die wenigen Ausnahmebeispiele, die zeigen, dass es eigentlich doch geht. Das zeigt auch die engagierte Arbeit der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung in unserem Land. An der Uni Halle hat sich ein Arbeitskreis Inklusion gebildet, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, die großen und kleinen Hürden bei der Inklusion an der Hochschule aufzuzeigen und um Abhilfe zu ringen. Dabei betont man: Das Thema Inklusion ist ein Thema für alle, und es geht um alle. Inklusion heißt nämlich, alle sind drin: Kinder und Jugendliche, Studierende und Auszubildende, mit und ohne Handicap, unabhängig von Herkunft und Geschlecht, mit unterschiedlichen Interessen und mit unterschiedlichem Leistungsvermögen. Niemand ist außen vor. (Beifall bei der LINKEN) Darum muss auch niemand, wie man so häufig hört, inkludiert werden. Es geht darum, gute individuelle Förderung für alle, für jeden Einzelnen, zu schaffen und die notwendigen Hilfen für jeden bereitzustellen. Das kann ein Rollstuhl sein, die Unterstützung durch Gebärdensprache, persönliche Assistenz oder ganz einfach die Zeit, um im eigenen Tempo lernen zu können, langsamer als andere oder aber auch schneller als andere. Der Nationale Aktionsplan 2.0 zur Inklusion wirbt mit dem Slogan „Einfach machen“. Das kann man sehr unterschiedlich auslegen. Na klar, Inklusion fängt im Kopf an. Aber sie ist nicht voraussetzungslos. Wenn „einfach machen“ bedeutet, dass die notwendigen Rahmenbedingungen nicht im Ansatz bereitgestellt werden, dann geht Inklusion schief. Dann werden Regierungen zu Recht abgestraft, wie wir es in NRW gesehen haben. Das Problem ist nur: Nun wird es wieder mehr Exklusion geben. Das ist das eigentlich Schlimme an dieser Geschichte. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben super Förderschulen in NRW!) Nun kommen Sie mir nicht wieder mit der Ausrede – Herr Jung hat das eben nicht getan –, dafür seien die Länder zuständig. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat die Bundesrepublik als Ganzes unterschrieben, nicht nur die Länder. Darum muss es auch eine gemeinsame Aufgabe sein, Inklusion umzusetzen. Warme Worte in Aktionsplänen reichen da nicht aus. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht zum Beispiel um die Räume, in denen gelernt wird. Der Raum ist bekanntlich der dritte Pädagoge. Da könnten Sie gleich einmal kreativ sein und die Mittel für die Sanierung von Schulen an finanzschwache Kommunen so vergeben, dass daraus Schulen der Zukunft werden, mit Raumkonzepten, die inklusives Arbeiten erleichtern. (Beifall bei der LINKEN) Es geht dabei auch um Schalldämmung und breite Flure, um flexible Raumkonzepte und bessere Arbeitsbedingungen für Lehrende, für Schulsozialarbeit und Therapieräume, wenn sie denn nötig sind. Wir haben Ihnen im vergangenen Jahr und in diesem Jahr insgesamt vier Anträge zur inklusiven Bildung vorgelegt, und zwar zu allen Bildungsbereichen, von der Kita bis zur Hochschule. Viele Befunde treffen überall gleichermaßen zu. Manches ist aber auch unterschiedlich. Da ich nur fünf Minuten für alle Anträge habe, will ich exemplarisch nur drei Dinge nennen: Erstens. Inklusive Bildung kann nur gelingen, wenn die Größen der Lerngruppen und Betreuungsgruppen stimmen. In zu großen Schulklassen mit nur einer Lehrkraft ist Inklusion schwierig; das sehe ich ganz genauso. Aber auch eine Erzieherin mit zwölf Kindergartenkindern kann sich nicht allen gleichermaßen widmen. Zweitens. Gute inklusive Arbeit erfordert nicht nur gut ausgebildete und besser vorbereitete Lehrkräfte, sondern auch Schulsozialarbeit, schulpsychologische Betreuung, pädagogische Fachkräfte für die Ganztagsbetreuung, notwendige Assistenz oder Therapieangebote nach Bedarf. Wir nennen das Multiprofessionalität in der Bildung. Davon sind die meisten Schulen noch weit entfernt. Drittens. Vollständig verabschieden muss man sich – das werden Sie gar nicht gerne hören – von dem Begriff der Ausbildungsreife als Voraussetzung für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung. (Beifall bei der LINKEN) Jedem jungen Menschen muss die Möglichkeit gegeben werden, berufliche Bildung zu erwerben. Dafür sind unter Umständen individuelle Hilfen notwendig. Einige Instrumente dafür gibt es bereits, etwa die assistierte Ausbildung. Sie müssen aber verbessert werden. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur Schulsozialarbeit sagen. Den entsprechenden Antrag legen wir nun schon zum zweiten Mal vor. Die zentrale Forderung darin, nämlich die Aufnahme eines eigenständigen Paragrafen im Kinder- und Jugendhilferecht, hat es sogar schon bis in die Koalitionsvereinbarung in Sachsen geschafft. Deshalb bin ich guter Hoffnung, dass auch bei Ihnen demnächst der Groschen fallen wird. Schulsozialarbeit leistet nämlich mehr, als zurzeit durch das Gesetz möglich ist. Sie leistet mehr als Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, sie ist darüber hinaus direkt auf die Schule bezogen. Sie kann dort ein dauerhaftes Angebot schaffen. (Beifall bei der LINKEN) Damit sie an allen Schulen bereitgestellt werden kann, muss sie ins SGB VIII bzw. ins Kinder- und Jugendhilferecht aufgenommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Sie werden in der nächsten Woche versuchen, hier wieder etwas zu ändern, und es ist jetzt schon klar, dass das unzureichend sein wird. Deshalb muss dieses Thema in der nächsten Wahlperiode wieder angefasst werden. Ich hoffe, Sie sind dann so schlau und machen das einfach. Das wird helfen, die Schulsozialarbeit an jeder Schule anzubieten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Elfi Scho-Antwerpes für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Elfi Scho-Antwerpes (SPD): Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inklusion ist kein beliebiges Thema. Man kann politisch über vieles streiten, zum Beispiel darüber, ob wir Steuern senken oder erhöhen, Inklusion lässt sich aber nicht verhandeln. Inklusion ist so etwas wie die Seele einer Gesellschaft und sollte auch die Seele unserer Gesellschaft sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sag das zur CDU/CSU!) Das schließt die inklusive Bildung natürlich ein. Jedes Kind ist einzigartig und muss die Förderung erhalten, die es benötigt. Nun hört man allenthalben großes Klagen darüber, wie schlecht es um die inklusive Bildung in Deutschland bestellt sei. Ich sage auch als überzeugte Paritäterin: Wir sind auf dem Weg – nicht nur bei der Bildung, sondern insgesamt bei der Teilhabe an der Gesellschaft. Der Weg hin zur Inklusion ist zugegebenermaßen ein langer und teilweise anstrengender Weg – das ist eine Mammutaufgabe –, den wir alle gemeinsam gehen sollten: Kinder, Eltern, pädagogisches Personal. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen!) Nur so können wir auch Ängste abbauen, damit der Lernort an einer Schule zu einem Lebensort an der Schule wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist nicht hinnehmbar, dass es bei der inklusiven Bildung für Kinder und Jugendliche ideologische Grabenkämpfe gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen eine Haltung zum Kind. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie eine Oppositionsrede!) Ich habe jetzt wahrgenommen, dass die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen in Sachen inklusiver Bildung im Gegensatz zu Rot-Grün auf der Bremse steht. Das ist skandalös. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die schwarz-gelben Pläne werden die Anzahl der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen an Regelschulen weiter verringern; das ist nachzulesen. Dabei brauchen wir hier dringend mehr und nicht weniger sowie gut ausgebildetes Personal, wie wir eben auch gehört haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Dr. Mathias Edwin Höschel [CDU/CSU]: Sie hatten Ihre Chance! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt!) Letztendlich ist das Landespolitik, wie übrigens vieles von dem, was Sie in Ihre Anträge geschrieben haben, Frau Hein, auf Länderebene verhandelt werden müsste. Richtig ist aber, dass das Personal an den Schulen schon in der Ausbildung auf die Inklusion vorbereitet und vorhandenes Personal konsequent weitergebildet werden muss. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!) Es ist gut, dass wir im Bundestag weiterhin intensiv über Inklusion sprechen. Das Tor zu dem beschriebenen Weg ist das von uns beschlossene Bundesteilhabegesetz, in dem das Thema Bildung ein eigenes Kapitel bekommen hat. Es ist nicht so, dass Kinder und Jugendliche mit ihren Talenten und Ideen ein Problem in unseren Bildungseinrichtungen wären, wenn sie ein Handicap haben. Das Problem lag immer in einem Bildungssystem, das diesen Teil der Schüler und Schülerinnen sowie Studierenden ausgeschlossen hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die vielleicht größte Leistung des Bundesteilhabegesetzes ist es, die Gesellschaft in die Verantwortung zu nehmen, allen eine Teilhabe am Leben zu gewährleisten. Es geht nicht länger darum, dass der einzelne Mensch seine möglichen Defizite ausgleichen muss. Das ist ein Paradigmenwechsel. In Bezug auf die inklusive Bildung hat es hier Verbesserungen gegeben. Lenken wir unseren Blick auf die Hochschulbildung, die Sie in Ihrem Antragskonvolut hervorheben: Voraussetzung zum Studium ist fortan nur noch eine Hochschulzugangsberechtigung. Das gilt nach dem Bundesteilhabegesetz jetzt auch für Menschen mit Behinderung, die hier endlich gleichgestellt sind. Wir schaffen Zugänge. (Beifall bei der SPD) Außerdem ist klar, dass der Erwerb einer solchen Berechtigung durch den Besuch weiterführender Schulen förderungsfähig ist. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Leistungen zur Teilhabe an Bildung dürfen nicht nur dann gewährt werden, wenn das Teilhabeziel erreicht werden kann. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Die Leistungen sind damit erfolgsunabhängig. Auch das war vor unserem Gesetz nicht der Fall. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Eingliederungshilfe an Schulen. Bisher war sie nur vormittags möglich, jetzt auch ganztags; und das ist gut so. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Ich möchte es bei diesen Schlaglichtern belassen, um zu verdeutlichen: Wir sind auf der Reise. Viele Kitas, Schulen und Hochschulen sind schon lange erfolgreich unterwegs. Jeden Tag stehen Pädagoginnen und Pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher bereit und leisten hervorragende Arbeit. Sie sind die Helden. (Beifall bei der SPD) Von der Arbeit der Lehrer und Lehrerinnen und Erzieher hängt der Bildungserfolg in der inklusiven Bildung erheblich ab. (Zuruf des Abg. Xaver Jung [CDU/CSU]) Der Bund setzt mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung erhebliche Anreize, Best-Practice-Beispiele zu implementieren und innovativen Unterricht in Deutschland zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für inklusive Bildung bzw. das Lernen und Lehren in heterogenen Gruppen. Entsprechende Projekte sind in der Qualitätsoffensive in einer deutlichen Mehrheit vertreten. Neben den inhaltlichen Konzepten und der Befähigung des pädagogischen Personals sei die Schulinfrastruktur erwähnt, die der inklusiven Bildung ebenfalls gerecht werden muss. In einem Wort: Barrierefreiheit! Der Bund hat mit der Übernahme der BAföG-Kosten in den Ländern Mittel freigesetzt, um hier zu investieren. Diese Kosten belaufen sich auf jährlich 1,2 Milliarden Euro. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Linksfraktion, während Sie Anträge schreiben, sind wir schon längst unterwegs. Weil ich eine große Verfechterin der frühkindlichen Bildung bin – wie auch Sie, Frau Hein; das weiß ich –, möchte ich noch eine Anmerkung machen. Wir haben den Kitaausbau stark forciert. Manuela Schwesig hat in ihrer Zeit als Familienministerin hier großartige Akzente gesetzt. Erwähnen möchte ich auch Verena Bentele, die nicht nur unsere Behindertenbeauftragte ist, sondern auch zwölffache Olympiasiegerin. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Paralympics!) Sie ist vierfache Weltmeisterin im Skilanglauf und Biathlon. Sie ist ein Vorbild für die Kinder und Jugendlichen. Das brauchen sie. Kinder lernen Akzeptanz und Vielfalt vor allem im Umgang untereinander. Auch in den Köpfen müssen die Barrieren weg. Es hilft der Gesellschaft, wenn die Inklusion schon in der Kita gelebt wird. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin. Elfi Scho-Antwerpes (SPD): Vielfalt ist Normalität. Ich bedanke mich sehr herzlich fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Als Nächster hat der Kollege Mutlu von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Jung, gerne erinnere ich Sie daran, dass wir seit acht Jahren zur Inklusion verpflichtet sind. Daher ist es fehl am Platze, hier von „Aktionismus“ zu reden. Ich kann Ihnen auch noch sagen: Inklusion ist für ideologische Grabenkämpfe ungeeignet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das müssen Sie sagen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: So weit, so gut!) Inklusion ist und bleibt eine echte Chance für jede Schülerin und jeden Schüler. Inklusion ist ein Menschenrecht, das wir nicht einfach nach Belieben oder nach parteipolitischer Couleur aushebeln können. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 in diesem Hause haben wir uns dazu verpflichtet, alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten. Diese Ratifizierung ist keine folgenlose Unterschrift. Sie war eine Selbstverpflichtung, die wir im Bund und in den Bundesländern gemeinsam umsetzen müssen. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD] – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!) Meine Damen und Herren, die aktuelle Studienlage ist eindeutig. Etliche wissenschaftliche Erhebungen und Studien zeigen: Kinder, die inklusiv unterrichtet werden, lernen besser als Kinder an Förderschulen. Sie erreichen auch mehr als in Förderschulen. (Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] und Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig! – Xaver Jung [CDU/CSU]: Das glauben Sie auch noch! Das ist Ideologie!) Viele Eltern sind froh, dass ihre Kinder die Möglichkeit haben, Regelschulen zu besuchen und dort individuelle Förderung zu erhalten. Denn im Jahr 2014 kam jede zweite Schülerin bzw. Schüler ohne Hauptschulabschluss von einer Förderschule. Viele von ihnen kommen von Förderschulen, an denen ein Schulabschluss nicht vorgesehen oder gar nicht erst möglich ist. Was soll aus diesen jungen Menschen werden? Diese Frage richte ich insbesondere an die CDU, deren Kollegen aus Niedersachsen in ihrem Wahlprogramm für 2018 erstmals eine Atempause von der Inklusion angekündigt haben. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Atempause von einem Menschenrecht? Geht’s noch? Wo leben Sie? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Inklusion gelingt nur mit Förderschulen!) Natürlich ist Inklusion eine Herausforderung für die Schulen und Lehrkräfte – das will auch keiner verhehlen –, und es gibt etliche Fragen, die wir im Prozess beantworten müssen. (Xaver Jung [CDU/CSU]: Ihr habt versagt bei den Grünen!) Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen, und natürlich kostet das alles auch mehr Geld. Inklusive Bildung gibt es eben nicht zum Nulltarif, und das sollten Sie von der CDU/CSU endlich lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat ihr selbstgestecktes Ziel vom Dresdener Bildungsgipfel, 10 Prozent des BIP für Bildung und Forschung auszugeben, immer noch nicht erreicht. Dieses Versprechen muss eingelöst werden. Wir brauchen dringend mehr Investitionen in die Bildung statt in die Rüstung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Xaver Jung [CDU/CSU]: Populist!) Der Bund muss seinen Teil dazu beitragen, inklusives Lernen zu ermöglichen, ohne dass die Qualität verloren geht. Da sind wir, glaube ich, alle – auch die mit den Scheuklappen – einer Meinung. Lehrerinnen und Lehrer müssen dabei tatkräftig unterstützt werden. Wir dürfen die Lehrkräfte und die Schulen nicht weiter im Regen stehen lassen. Inklusion ist nämlich eine von vielen Aufgaben, die sie vor Ort stemmen müssen. Deshalb brauchen wir auch eine neue Bildungsphilosophie, eine neue Haltung, die das abbildet, was längst Realität ist. Verschiedenheit und Pluralität sind nämlich Normalität, auch wenn es manchen in diesem Hause leider immer noch nicht passt. Das Abwehrende, der Sonderstatus und die Andersartigkeit befallen Menschen, die am inklusiven Unterricht teilgenommen haben, viel seltener als andere. Es gibt auch keinen Qualitätsverlust; denn jeder und jede wird inklusiv gefördert. Das sollte auch die CDU/CSU endlich lernen. So gelingt mehr Bildungsgerechtigkeit. Wir dürfen auch nicht zulassen, dass die Uhr wieder zurückgedreht und die Spaltung der Gesellschaft durch eine separierende Bildungspolitik, die die Andersartigkeit manifestiert, weiter verstärkt wird. Zur Zementierung von Bildungsbenachteiligung trägt auch das leidige Kooperationsverbot bei, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) auch wenn Sie das nicht hören wollen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Tätä, tätä, tätä!) Sie werden das so lange hören, bis dieses Kooperationsverbot endlich der Geschichte angehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Schleswig-Holstein hat es schon erreicht!) Wir brauchen – das sage ich als Gegensatz zu Ihren Postulaten – eine gemeinsame Bildungsstrategie, egal ob es um den Personalschlüssel in Kitaeinrichtungen, bundesweite Qualitätsstandards an Ganztagsschulen, Barrierefreiheit, die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften, den Einsatz multiprofessioneller Teams oder die Schulsozialarbeit geht. Deshalb sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Weiterentwicklung unseres Bildungssystems hin zu einem inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystem ist eine Mammutaufgabe – da bin ich bei dir, Elfi –, die aber einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung bedarf. Es ist eine Aufgabe, die viele Bundesländer nicht alleine stemmen können. Deshalb brauchen wir mehr Kooperationen und müssen weg vom Kooperationsverbot. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab, und lassen Sie uns gemeinsam diese Mammutaufgabe stemmen! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: So wird das nichts! Chance verpasst! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Inklusion gelingt nur mit der Förderschule!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Wenn jeder, der heute gefordert hat, die ideologischen Scheuklappen abzulegen und keine Schlachten zu führen, das auch wirklich praktizieren würde, egal von welcher Seite, dann gäbe es diese Debatte nicht. Vielleicht sollten wir unseren eigenen Worten folgen und das nicht zum Thema von Wahlkämpfen oder zu einem ideologischen Thema machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen gerade Sie sagen!) Wir wissen das. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Witz war gut!) – Wissen Sie, Herr Mutlu, Lautstärke hat mit Wahrhaftigkeit wenig zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Erfahrung ist: Je lauter der Kehlkopf, umso geringer die Wahrhaftigkeit. Das möchte ich nun aber beiseitelassen. Mir ist wichtig – und ich hoffe, das gilt über alle Fraktionsgrenzen hinweg –, dass Bildung der Schlüssel zur Teilhabe ist, um Inklusion sachlich und fachlich zu bewerkstelligen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie mal an!) Deshalb haben wir im Bundesteilhabegesetz der Teilhabe an Bildung ein eigenes Kapitel gewidmet, um Teilhabe an allen Schulen zu organisieren, auch an den Hochschulen. Wir finanzieren erstmals über die Eingliederungshilfe auch Assistenzleistungen, und zwar von der Grundschule über die weiterführenden Schulen bis zum Bachelor- und Masterstudium. Wir haben nicht nur die Instrumente in einem Kapitel formuliert, sondern wir haben vonseiten des Bundes im Zuge der Reform der Eingliederungshilfe den Ländern und Kommunen auch 5 Milliarden Euro an Entlastungen gewährt. Von den 5 Milliarden Euro, die die Länder und Kommunen einsetzen sollen, um die Reform der Eingliederungshilfe umzusetzen, sind 2,5 Milliarden Euro bereits vor zwei Jahren über Kosten der Unterkunft und Mehrwertsteuerpunkte mobilisiert worden. Weitere 2,5 Milliarden Euro werden 2018 vom Bund finanziert werden. Herr Mutlu, ich mache mir große Sorgen um Sie. Wenn es wirklich einmal kein Kooperationsverbot, wie auch immer es formuliert sein mag, mehr geben sollte, dann haben Sie doch gar kein Thema mehr, über das Sie reden können. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da machen Sie sich keine Sorgen! Bei Ihren Fehlern machen wir viel gut! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das wird Herr Mutlu auch noch überstehen!) Seit Jahren haben Sie das eine Thema, das wie das Monster von Loch Ness immer wieder hochkommt. Wenn man all dies aus Ihren Reden wegnimmt, dann bleibt nicht mehr allzu viel an Substanz. (Beifall bei der CDU/CSU) Noch nie hat der Bund mehr Geld, Milliarden Euro, für die Finanzierung länderspezifischer Aufgaben an die Länder und an die Kommunen geleitet wie derzeit. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war ein harter Kampf mit Ihnen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu mussten Sie getrieben werden!) Dies sind die erwähnten 5 Milliarden Euro im Rahmen der Reform der Eingliederungshilfe, aber auch weitere 800 Millionen Euro, die im Zuge der Verbesserung der Eingliederungshilfe beispielsweise für das Budget für Arbeit, für Ausbildung und andere Themen mobilisiert werden. Das heißt, es gibt eine permanente Kooperation zwischen Bund, Ländern und auch Kommunen. Ihr Kooperationsverbot ist eine Fiktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Die brauchen Sie, damit Sie weiter Ideologie verbreiten können. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie das Grundgesetz!) – Ich kenne das Grundgesetz sehr gut, Herr Mutlu, und ich brauche deshalb auch nicht herumzuschreien. Das Wichtigste, was Schule angeht, ist, den Menschen ernst zu nehmen. Und wer Menschen ernst nimmt, der sagt vor allem: Es muss Wahlfreiheit geben, es muss Differenzierung geben, es muss Optionen und Alternativen geben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts verstanden!) Deshalb ist es eben nicht der richtige Standpunkt, zu sagen: Nachts sind alle Katzen grau, es gibt nur noch ein Modell der Schule, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner gesagt!) sondern: So wie Menschen unterschiedlich sind, so brauchen wir auch differenzierte Schulangebote. Wir wollen die beste Schule für jeden Einzelnen. Das ist der Ansatz, den wir miteinander haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die inklusive Schule!) Dann können sich Menschen auch für eine Förderschule entscheiden, wenn es ihr freier Wille ist. Dann haben auch Sie nicht vorzuschreiben: Das Kind geht nicht in die Förderschule, es muss in der Regelschule aufgenommen werden. – Nein, die Wahlfreiheit gilt für alle. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mir gar nicht zugehört!) Wir brauchen differenzierte Systeme in den Regelschulen, wir brauchen spezielle Förderschulen und auch die Kooperation und das Zusammenwirken von Regel- und Förderschulen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kenne Förderschulen in Neubrandenburg, aus denen Regelschulen entwickelt wurden, und ich kenne auch entsprechende Kooperationsmodelle von Förder- und von Regelschulen unter einem Dach. Wir sollten hier ideologisch etwas abrüsten (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Richtige!) und den Menschen, den Angehörigen und den Betroffenen, mehr zutrauen und ihnen diese Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Schulformen zugestehen, mit dem Gedanken, dass sie am besten wissen, was der beste Weg für ihre Kinder ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um ein Menschenrecht! Verstehen Sie das nicht?) Zum nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrag. Der nordrhein-westfälische Koalitionsvertrag ist nicht gegen Inklusion. Das Problem in Nordrhein-Westfalen – ich komme zufällig daher – war ein im Vergleich zu fast allen anderen Bundesländern völlig unterfinanziertes Bildungssystem. In einem völlig unterfinanzierten Bildungssystem stellt sich natürlich richtigerweise die Frage, ob die Aufgaben, deren Übertragung notwendig, sinnvoll und richtig ist, auch übertragen werden können; denn es braucht Räumlichkeiten, es braucht eine entsprechende Lehrerausbildung, es braucht entsprechendes zusätzliches Personal, und es braucht kleinere Klassen. Das bedeutet, dass auch die Voraussetzungen für die Inklusion geschaffen werden müssen. Das ist etwas, was Bund, Länder und Kommunen gemeinsam bewirken müssen. Zuerst müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Es darf aber nicht so vorgegangen werden, dass ein paar Förderschulen geschlossen werden, die Personalstellen und das Geld auf die Regelschulen übertragen werden und dann geschaut wird, was passiert. Das war die Art und Weise, wie in Nordrhein-Westfalen vorgegangen wurde. Das war ein Verbrechen gegen die Eltern, gegen die Schüler und gegen die Lehrer. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Da haben Sie nicht zugehört!) Wir sollten hier keine Schaukämpfe gegeneinander austragen, sondern die Inklusion ernst nehmen. Sie ist ein Prozess, den wir über das Bundesteilhabegesetz vorantreiben werden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Leute in die Irre geführt!) Wir, Bund, Länder und Kommen, wollen die UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam umsetzen. Kooperation ist nicht verboten, sie wird vielmehr gelebt. Jeder handelt nach seinen Kompetenzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten aufhören, zu reden! Sie sollten einfach mal handeln! Wir brauchen Taten!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Martin Rabanus das Wort. (Beifall bei der SPD) Martin Rabanus (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schummer, das war schon ein denkwürdiger Beitrag, den Sie hier gerade abgeliefert haben. Das hätte ich, ehrlich gesagt, von einem Landesvorsitzenden der Lebenshilfe in Nordrhein-Westfalen so nicht erwartet, zumal das Ganze ein bisschen durcheinanderging. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und weil es weltfremd war!) Entweder machen wir Inklusion und meinen das tatsächlich ernst, oder wir machen weiter wie bisher und lassen die Sondereinrichtungen bestehen. Ich weiß nicht, wie Sie es hinbekommen wollen, Inklusion und Exklusion zusammenzubringen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nicht!) Das finde ich schon erstaunlich. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über inklusive Bildung, von der Kita über die Schule und die berufliche Bildung – ich finde es gut, dass es dazu einen eigenen Antrag gibt – bis hin zur akademischen Bildung. Die SPD steht seit Jahren für die inklusive Bildung und für die Inklusion. Ich bin froh, dass sich auch die CDU heute – das war in dem Beratungsprozess in den letzten Jahren nicht immer so – uneingeschränkt hinter das Bundesteilhabegesetz stellt. Es ist sehr schön, dass wir das jedenfalls heute aus der Debatte mitnehmen können. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunder geschehen!) Inklusion ist dabei natürlich mehr als Integration. Das ist nicht nur Semantik. Wir reden über Teilhabe und nicht nur über das Dabeisein. Wir reden davon, dass alle Menschen – lassen Sie es mich einmal so sagen – auf dem Platz des Lebens stehen und mitspielen können und nicht nur auf den Tribünen sitzen müssen. (René Röspel [SPD]: Ein schönes Bild!) Das ist es, worum es tatsächlich geht. Die UN-Konvention – das ist gesagt worden – ist vor über zehn Jahren von der Vollversammlung der UN beschlossen worden. Sie ist seit Ende März 2009 geltendes Recht in Deutschland. Wo stehen wir? Ich bin bei denjenigen, die sagen: Wir sind in den letzten Jahren wesentliche Schritte vorwärtsgekommen. Das Bundesteilhabegesetz ist genannt worden. In die Schul- und Hochschulgesetze der Länder hat die Inklusion im Wesentlichen Eingang gefunden. Wir haben im Bereich der Wissenschaft vieles getan. Wir forschen, und wir haben einen Nationalen Aktionsplan dazu. Inklusion ist Bestandteil der Bildungsberichterstattung geworden. All das, finde ich, darf man nicht verschweigen, soll man nicht verschweigen; all das ist gut so, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir natürlich nicht an einem Endpunkt sind und dass auch die Bundesländer an ganz unterschiedlichen Positionen stehen. In Berlin ist der Ressourcenvorbehalt bei der Inklusion gefallen. Sorry, wenn ich das so sagen muss. In meinem Heimatland Hessen, schwarz geführt, grün mitregiert, ist der Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz leider nicht gefallen. Wir haben also unterschiedliche Konstellationen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Ich will auf das Thema der beruflichen Bildung eingehen; denn ich habe gesagt, dass ich es gut finde, dass es diesen Antrag gibt. Auch hinsichtlich der beruflichen Bildung haben wir einiges getan. Im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung haben wir die assistierte Ausbildung eingeführt. Lassen Sie mich dazu sagen: Ich würde mir wünschen, dass das ein Dauerinstrument wird und wir über 2018 hinaus diese assistierte Ausbildung anbieten können. (Beifall bei der SPD) Wir haben im Bereich der Weiterbildung für Benachteiligte vieles getan. Wir haben die Dimension Inklusion sogar beim Meister-BAföG eingeführt. Auch das ist gut so. Aber ich glaube, wir müssen uns entscheiden. Inklusion ist etwas, worüber sich irgendwie alle einig sind, wobei aber die letzte Konsequenz fehlt. Wenn das Recht auf Inklusion ein Menschenrecht ist, dann muss die Umsetzung auch mit letzter Konsequenz angegangen werden. Wir als SPD wollen das. Wir wollen Verbindlichkeit. Wir wollen Verlässlichkeit und Inklusion für alle im Bildungssystem und darüber hinaus. Wenn wir das ernst meinen, dann müssen wir an drei Punkten ansetzen. Erstens. Das Bildungssystem muss so umgebaut werden, dass sich das System den Menschen anpasst und nicht umgekehrt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist tatsächlich so: Wir stellen Ausbildungsreife fest. Wir stellen Schulreife fest. Wir stellen Studienreife fest. Aber was wir genau brauchen, ist ein Paradigmenwechsel: Das System muss sich auf den Menschen einstellen. Zweitens. Wir brauchen ein Unterstützungssystem, das stabil ist, das die Institutionen zum einen, zum anderen aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen – damit meine ich nicht nur Lehrkräfte, sondern auch multiprofessionelle Teams – unterstützen kann. Drittens. Wir brauchen die notwendigen Ressourcen dafür. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Das, liebe Freunde von der CDU/CSU, liebe Koalitionspartner, kann ich Ihnen nicht ersparen: Ja, das Kooperationsverbot im Bildungsbereich ist aufgebrochen. Jetzt müssen wir es abschaffen. (Xaver Jung [CDU/CSU]: Das gibt es gar nicht! Sie können es nicht abschaffen!) Dafür werden wir als SPD auch in der nächsten Wahlperiode werben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Christina Schwarzer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Bitte schön. Christina Schwarzer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Inklusion ist natürlich auch mir als Mitglied des Landesvorstands der Lebenshilfe Berlin besonders wichtig. Aber über Inklusion, lieber Özcan Mutlu, haben wir uns genügend ausgetauscht. Ich will meine Rede ausschließlich auf die Schulsozialarbeit lenken; denn darum geht es nämlich auch in Ihrem Antrag. Ich sehe dieses Thema auch durch die Brille einer ehemaligen Kommunalpolitikerin. Ich weiß, viele von Ihnen sind natürlich auch noch in der Kommunalpolitik tätig. Dort habe ich 14 Jahre lang Politik im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gemacht. Das Thema Schulsozialarbeit ist mir natürlich mehr als vertraut. Sie hat für die Entwicklung unserer Kinder, aber auch für das Bildungssystem selbst, einen immensen Stellenwert, besonders an sogenannten Brennpunktschulen. Schulsozialarbeiter sind Schnittstelle zwischen Eltern und Schülern, Lehrern und den außerschulischen Aktivitäten. Sie unterstützen Kinder und Jugendliche bei gesellschaftlicher Teilhabe und ebnen den Weg für gleiche Startchancen bei der Bildung, um einen guten Schulabschluss zu ermöglichen. Die Lebens- und Entwicklungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen werden durch die pädagogische Arbeit der Schulsozialarbeiter nachhaltig verbessert. Sie hilft, eigenverantwortlich ins Berufsleben zu starten. Ich kenne keine Schule, die auf die wichtige Arbeit der Schulsozialarbeiter jemals wieder verzichten möchte, gerade weil die Sozialarbeiter an den Schulen einen hervorragenden Job machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da haben wir was durchgesetzt! Späte Einsicht!) Ich habe die Qualität der Arbeit der Schulsozialarbeiter als durchweg sehr gut wahrgenommen. Die Schüler bringen oft vielfältige Probleme mit. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie in den letzten vier Jahren im Deutschen Bundestag für die Schulsozialarbeit getan?) – Darüber können wir uns gleich unterhalten. Warten Sie vielleicht erst einmal meine Rede ab, Kollege Mutlu. Regen Sie sich nicht immer so auf, und dann erkennen Sie irgendwann die Richtigkeit meiner Antwort. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gebe Ihnen die Antwort: Sie haben nichts getan! – Zuruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]) – Genau, Kollege Schipanski. Sie kennen schon meine Antwort. Aber lassen Sie mich noch ausführen: In den Schulen gibt es vielfältige Probleme. Sie fangen bei kleinen Streitigkeiten an, die man zu Hause hat, und reichen zum Beispiel bei uns in Berlin, aber auch in anderen Bundesländern bis hin zu kriminellen Karrieren. Von den Themen her ist eben alles dabei. An allen Schulen habe ich Schulsozialarbeiter erlebt. Vor allen Dingen habe ich sie immer als Anwälte der Jugendlichen erlebt, die sich mit vollem Einsatz und mit bestem Wissen und Gewissen um die Kinder und Jugendlichen bemühen und ihnen bei Bedarf auch Grenzen aufzeigen. Dafür meine große Anerkennung und meinen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Aber unsere Erfahrung aus der Kommunalpolitik sagt uns: Die Schulsozialarbeit funktioniert nur, wenn sie möglichst kleinteilig und bedarfsgerecht organisiert ist. Der Grund liegt auf der Hand. Zum Beispiel hat die Sozialarbeit bei mir in Berlin-Neukölln ganz andere Aufgaben als in ländlichen Gebieten zu bewältigen. Sie steht vor anderen Herausforderungen und muss andere Hilfe leisten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Schwarzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hein? Christina Schwarzer (CDU/CSU): Nein, ich möchte erst ausführen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke. Christina Schwarzer (CDU/CSU): Für diese Erkenntnis muss man nicht besonders weit über den Tellerrand hinausschauen. Diese Unterschiede gibt es allein schon hier in Berlin. Das heißt für mich, die Schulsozialarbeit muss auf kleinstmöglicher Ebene organisiert sein. Damit gilt: Dort, wo organisiert, gelenkt und entschieden wird, muss die Finanzierung auch angesiedelt sein. Dennoch: Obwohl wir bei der Schulsozialarbeit von einer Aufgabe sprechen, die im föderalen System klar den Ländern und den kommunalen Gebietskörperschaften zugeordnet ist, stellte der Bund in den Jahren 2011 bis 2013 zusätzliche Mittel zur Verfügung, um bei dieser Aufgabe zu unterstützen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!) In Zahlen: In den Jahren 2011, 2012 und 2013 hat der Bund jeweils 400 Millionen Euro für Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horten zur Verfügung gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Stichwort heißt jedoch „Anschubfinanzierung“. Gemeinsam wurde eben auch vereinbart, dass das Projekt 2013 – die Anschubfinanzierung – aufhört. Eine dauerhafte zweckgebundene Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund verbietet das Grundgesetz. Das hatten wir schon. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir das Kooperationsverbot haben!) – In der Tat. Herr Mutlu hat aufgepasst. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss abgeschafft werden!) Durch die Forderung, die Finanzierung im SGB VIII zu verankern – Frau Kollegin Hein, wir hatten das ja gestern schon im Ausschuss –, umgehen Sie diesen Fakt. Aber Tatsache ist doch: Schulsozialarbeiter arbeiten im schulischen Raum, und ohne Wenn und Aber sind wir hier im Bereich der Länderkompetenzen und der Kompetenzen der Kommunen. Darum widerspricht eine dauerhafte Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund dem Anspruch der Länder auf ihre Bildungshoheit. Die Verantwortung der Länder für den Bildungsbereich spielt auch bei der Finanzierung eine große Rolle. Dennoch hat der Bund die Länder und die Kommunen in den vergangenen Jahren sehr stark unterstützt. Die Zahlen habe ich eben schon genannt. Wir sehen, der Bund nimmt die Aufgabe, die Kommunen und die Länder bei ihren vielfältigen Aufgaben zu unterstützen, sehr ernst. Die Schulsozialarbeit ist aber auch aus gutem Grund ureigene kommunale Aufgabe. Sie ist in den Regionen am besten aufgehoben, weil dort die Bedarfe am deutlichsten erkennbar sind, weil dort eben die Experten sitzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Kollegin Hein hat jetzt um das Wort für eine Kurzintervention gebeten. Frau Kollegin Hein, ich betone noch einmal „kurz“. – Ich möchte nur alle darauf hinweisen: Wir sind schon über eine Stunde in Verzug. (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!) Ich bitte alle, sich an die Redezeiten zu halten und auch einmal zu überlegen, ob jede Intervention nötig ist. Ich bin wirklich für eine lebendige Debatte. Frau Hein, Sie dürfen jetzt, aber kurz. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da ich selten eine Kurzintervention mache, nehme ich sie heute auch einmal für mich in Anspruch. Zunächst einmal haben Sie sehr gut beschrieben, was Schulsozialarbeit alles leisten kann an Schulen. Sie haben nur einen Fehler gemacht: Sie wissen zum einen nicht, dass es nicht an jeder Schule Schulsozialarbeit gibt. In Berlin ist das etwas anders, in einigen anderen Bundesländern auch. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt ja auch Rot-Rot-Grün!) Aber sie ist bei weitem nicht flächendeckend im Angebot. Gerade weil der Pakt ausgelaufen ist, den die SPD damals mit dem Bildungs- und Teilhabepaket initiiert hat, weil das Geld nicht mehr da ist, kann sie auch nicht mehr so finanziert werden. Für die Jugendarbeit greift § 11 SGB VIII und für die Jugendsozialarbeit an Schulen § 13 SGB VIII. Das sind die beiden Paragrafen, nach denen die Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund zurzeit möglich ist. Die Maßnahmen sind zum großen Teil projektfinanziert, also endlich. Ich wollte Sie gern fragen, ob Sie nicht auch finden, dass wegen der Eigenständigkeit der Schulsozialarbeit diese im SGB VIII verankert werden sollte – als eigenständiger Paragraf –, damit gesichert ist (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das können doch die Länder machen!) – ich gebe Ihnen recht, die Kommunen und die Länder sind zuständig –, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!) dass an jeder Schule künftig Schulsozialarbeit angeboten werden kann, die nicht zulasten der Jugendarbeit und nicht zulasten der Jugendsozialarbeit geht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Frau Kollegin Schwarzer, möchten Sie darauf antworten? – Bitte schön. Christina Schwarzer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Hein, Sie haben sich eben Ihre Antwort eigentlich selbst gegeben. Ich glaube, ich habe das auch fünfmal in meiner Rede gesagt. Die Kommunen und die Länder sind dafür verantwortlich. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das kann man ja ändern!) Und wenn die Kommunen und die Länder wollen, dass Schulsozialarbeit an jeder Schule stattfindet – Berlin gibt dafür sehr, sehr viel Geld aus; (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rot-Rot-Grün!) im Übrigen auch zu Recht –, sollen sie dafür Geld ausgeben. Eine Änderung im SGB VIII, über die wir ja gerade verhandeln, wird es nicht geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt schließe ich diese Aussprache, und wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 12 a. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8420 mit dem Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8421 mit dem Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8889 mit dem Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9127 mit dem Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Hochschulen fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Tagesordnungspunkt 12 b liegt die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Schulsozialarbeit an allen Schulen sicherstellen“ vor. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11803, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2013 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Damit kommen wir zu Zusatzpunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens Drucksache 18/11277 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze Drucksache 18/11272 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12785 Zu dem Gesetzentwurf zur Ausgestaltung des Strafverfahrens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Debatte 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hier keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bettina Bähr-Losse, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bettina Bähr-Losse (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute soll der Bundestag eines der größten Gesetzesreformpakete dieser Legislaturperiode beschließen. Der vorliegende Entwurf sieht vor, das Gesetz zur effektiveren Ausgestaltung des Strafverfahrens mit den Gesetzen zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und weiterer Gesetze zu verbinden und um Regelungen zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Onlinedurchsuchung und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung zu ergänzen. Ich gebe zu: Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. Man sollte vielleicht überdenken, ob es immer sinnvoll ist, solche großen Gesetzespakete zu schnüren und im Gesetzgebungsverfahren Einzelpakete als Junktim zu behandeln, oder ob es nicht transparenter wäre, die jeweiligen Gesetzentwürfe einzeln zu behandeln. Nichtsdestotrotz sehe ich in den nun vorliegenden Gesetzentwürfen eine überwältigende Leistung an parlamentarischer Arbeit. Jeder einzelne Gesetzentwurf nimmt gezielt Verbesserungen vor, sei es im Bereich der Strafprozessordnung oder sei es im Bereich der Strafverfolgung. Zum Ende der Legislaturperiode wird damit zum Abschluss gebracht, was sich die Koalition am Anfang vorgenommen hat. Das Vorhaben geht auf die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag zurück, das allgemeine und auch das Jugendstrafverfahren effektiver auszugestalten. Der Gesetzentwurf basiert auf der Arbeit einer eigens eingesetzten Expertenkommission. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur wurde nichts übernommen!) Im Anschluss an die ersten Lesungen der Entwürfe gab es intensive Beratungen, Berichterstattergespräche, Gespräche auf Fraktionsvizeebene und auch Gespräche im Koalitionsausschuss, und es gab zu allen – ich betone: zu allen – Aspekten öffentliche Anhörungen: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles für die Katz!) zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur geplanten Änderung des Strafgesetzbuches, zur geplanten Änderung der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und weiterer Gesetze. Auch die sogenannte Quellen-TKÜ und die Onlinedurchsuchung wurden intensiv erörtert. Insbesondere die Bedenken kritischer Sachverständiger sind in unsere Beratungen eingeflossen. Einige stellen jetzt die Behauptung auf, dieses Gesetz oder Teilaspekte davon seien quasi über Nacht und durch die Hintertür durchs Parlament gedrückt worden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Montag!) Diejenigen, die das tun, verkennen aber, dass es sich um einen fast vierjährigen Prozess handelt, (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beweisen Sie das mal!) an dem ich selber leider nur einige Monate teilnehmen konnte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hierzu eine andere Auffassung zu vertreten, ist selbstverständlich legitim. Ich halte den Umstand, dass bis kurz vor Ende einer Legislaturperiode um einzelne Positionen gerungen wird, aber für nachvollziehbar und legitim, wenn es um den schmalen Grat zwischen der Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates einerseits und der Wahrung und Gewährleistung von Grundrechten andererseits geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit einem Nacht-und-Nebel-Gesetz hat das aber rein gar nichts zu tun. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit einem Hauruckverfahren!) Nun zum Inhalt. Ich möchte nur die wichtigsten Aspekte herausstellen. Ein Teil des Paketes ist die sogenannte StPO-Reform, die ein ehrgeiziges und wichtiges Ziel verfolgt, nämlich die Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfahren in allen Stadien. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die geblieben?) Es geht hier etwa um Ablehnungsverfahren bei Befangenheitsgesuchen, die Möglichkeit einer Fristsetzung für Beweisanträge und die audiovisuelle Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen, um nur drei Beispiele zu nennen. Der Gesetzgeber begegnet ja häufig der Kritik, dass viel zu viel Zeit zwischen Straftat und Gerichtsverfahren vergeht. Diesem Problem soll im Gesetzentwurf auf der Ebene der Strafprozessordnung begegnet werden. Ein zweites Ziel, das mit der Reform der Strafprozessordnung verfolgt wird, ist die Anpassung an die rasante technische Entwicklung der letzten Jahre. Hierzu ein kurzer Blick in die Geschichte der Spurensicherung und Strafverfolgung: 1897 überführte Scotland Yard den ersten Täter anhand seiner Fingerabdrücke. Fingerabdrücke als Beweismittel wurden erstmals 1896 in Argentinien und 1901 in Großbritannien vor Gerichten zugelassen. In Großbritannien und den USA ist der genetische Fingerabdruck in Strafprozessen als Beweismittel zur Identifizierung oder zum Ausschluss eines Tatverdächtigen seit 1987 zugelassen. 1997 ist in Deutschland erstmals eine rechtliche Regelung der Voraussetzungen für den Einsatz des genetischen Fingerabdrucks in Kraft getreten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht hier ja gar nicht zur Debatte!) Das liegt nun aber auch schon wieder 20 Jahre zurück, und die Möglichkeiten der DNA-Analyse haben sich rasant weiterentwickelt. Die Forensik hat wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der DNA-Analyse erzielt. Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Denjenigen, die meinen, dass dadurch eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen erfolge, halte ich entgegen, dass zahlreiche andere Verdächtige demgegenüber entlastet werden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) die vielleicht vorher unter Generalverdacht gestanden haben. Ist der Täter oder die Täterin blond und blauäugig, werden nun einmal die Schwarzhaarigen und die Braunäugigen entlastet. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Im Übrigen wäre eine Öffentlichkeitsfahndung ohne klare Benennung von Äußerlichkeiten wenig erfolgversprechend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Drittens wollen wir unseren Strafverfolgungsbehörden mit den Regelungen zur Quellen-TKÜ und zur Onlinedurchsuchung ermöglichen, darauf reagieren zu können, dass auch Kriminelle neue technische Möglichkeiten nutzen. Die vorgeschlagenen Regelungen halten sich streng an die Vorgaben, die auch bei der Wohnraumüberwachung gelten. Traf man sich vor 20 Jahren noch in einer Wohnung, um kriminelle oder terroristische Aktivitäten zu planen, kann man sich heutzutage in einem Chatroom treffen. Der Gesetzgeber muss hierauf eine Antwort finden. Strafverfolger dürfen Kriminellen nicht hinterherhinken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Oft ist zu hören, dass die Polizei schon jetzt in der Lage sei, die Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger zum Zwecke der Verhütung terroristischer Aktivitäten zu überwachen und entsprechend auszuwerten. Das stimmt aber gar nicht. Besonders schwierig wird es für die Ermittler, wenn es um Datenmaterial geht, das durch sogenannte Messengerdienste ausgetauscht wurde. Wenn Behörden keinen Zugriff auf diese Daten haben, entstehen in der Folge Räume, in denen Strafverfolgung unmöglich ist. Das ergibt sich dann von selbst. Unser Ziel muss also sein, die Behörden überhaupt erst in die Lage zu versetzen, ermitteln zu können. Die technische Entwicklung erlaubt uns dies jetzt erfreulicherweise. Deshalb treten wir mit unserem gemeinsamen Gesetzentwurf dafür ein, dass es künftig eine gesetzliche Regelung gibt, auf deren Grundlage besonders schwere Straftaten durch den Einsatz der sogenannten Quellen-TKÜ verfolgt werden können. Dabei möchte ich einen Aspekt betonen, der uns besonders wichtig ist. Diese Form der Überwachung, die vor der Verschlüsselung von Daten ansetzt, muss den Vorgaben genügen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil im letzten Jahr aufgestellt hat. Die entworfene Regelung berücksichtigt also insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ist begrenzt auf den Schutz hinreichend wichtiger Rechtsgüter und gewährleistet dabei auch den Schutz Dritter. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit und kommen Sie zum Schluss. Bettina Bähr-Losse (SPD): Ich überspringe jetzt einfach einen Teil. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ja, bitte bis zum letzten Satz. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Bettina Bähr-Losse (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir unserer Justiz Mittel an die Hand, um auf die Herausforderungen der Gegenwart überhaupt reagieren zu können. Ich bitte deshalb um Unterstützung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Am besten bis zum letzten Satz!) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Führerscheinentzug als Hauptstrafe, Überwachung von Anbahnungsgesprächen des Verteidigers mit inhaftierten Mandanten, Blutentnahmen ohne richterlichen Vorbehalt, Videoaufzeichnung der ersten Vernehmung eines Beschuldigten – all das war Gegenstand des Gesetzes in der ersten Lesung. Daneben gab es noch einige Regelungen zur Veruntreuung von Arbeitsentgelt und zum Naturschutz; Naturschutz haben wir auch positiv gesehen. Alles in allem Pillepalle im Vergleich zu dem, was uns heute vorliegt. Experten halten es für eines der invasivsten Überwachungsgesetze der vergangenen Jahre. Heute soll hier in diesem Haus dieses Gesetz mit nachträglichen Änderungen verabschiedet werden, Änderungen, welche den Ermittlungsbehörden den Zugriff auf private Geräte, Handys, Laptops und Tablets ermöglichen sollen – heimlich, zur Strafverfolgung, ohne dass sich die Verdächtigen wehren können. Die geplanten Maßnahmen sind noch weitgehender als der große Lauschangriff aus den 90ern. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) – Genauso ist es. – Aber wieso findet sich dazu kaum Resonanz in der Bevölkerung? Hier wird wieder einmal mit einem Verfahrenstrick gearbeitet. Diese massiven Grundrechtseingriffe wurden im Wege eines Änderungsantrages bezogen auf ein Gesetz mit ganz anderen Maßnahmen kurzfristig durchgebracht. Die einzige Schnittmenge ist das Wörtchen „StPO“. Das Thema soll eben kleingehalten werden. Was will die Bundesregierung erreichen? Bei der Quellen-TKÜ wird eine Schadsoftware auf das Gerät eines Verdächtigen aufgespielt, ein sogenannter Staatstrojaner, der die laufende Kommunikation mitliest. Wesentlich eingriffsstärker ist die Onlinedurchsuchung. Aber auch hier muss eine Software auf dem Gerät des Verdächtigen installiert werden, allerdings kann dann auf sämtliche gespeicherte Inhalte zugegriffen werden, also die gesamte Festplatte ausgelesen werden. Wie wird die Software durch Ermittler installiert? In vielen Fällen werden sie bestehende Sicherheitslücken nutzen müssen, um sich von Ferne Zugriff auf das Gerät zu verschaffen. Doch wenn solche Sicherheitslücken notwendig sind, werden staatliche Stellen bestimmt wenig Interesse daran haben, sie den Softwareherstellern zu melden, was wiederum auch Cyberkriminellen die Nutzung dieser Lücken ermöglicht und diesen somit Vorschub leistet. Die Cyberkriminellen können sich vorab schon einmal bei der Bundesregierung bedanken. Aus einer Ausnahmemaßnahme zur Terrorabwehr soll nun eine Standardmaßnahme der Polizei werden. Wo bislang abgehört wurde, soll nun der Staatstrojaner eingesetzt werden. Das Gesetz sieht nicht nur vor, die laufende Kommunikation mitzulesen, sondern auch, den Zugriff auf gespeicherte Kommunikation zu erlauben. Experten befürchten daher, dass die Quellen-TKÜ so quasi zu einer Onlinedurchsuchung unter viel geringeren Voraussetzungen wird. Beide Instrumente gibt es im Übrigen schon, sie werden aber kaum angewandt: Die Onlinedurchsuchung darf etwa nur zur Prävention von äußerst schweren Verbrechen, also beispielsweise zur Terrorabwehr, genutzt werden. Auch die Quellen-TKÜ wurde bislang nur vereinzelt zum Einsatz gebracht. Doch nun sollen diese Maßnahmen nicht nur präventiv, sondern auch zur Strafverfolgung genutzt werden, in einem Anwendungsfeld, das seinesgleichen sucht. Man hätte die Anwendung zumindest auf schwerste Straftaten beschränken müssen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schon im Jahr 2008 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts geurteilt, dass Onlinedurchsuchungen nur zur Abwehr von Gefahren – ich zitiere jetzt mal – für „Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“, dienen dürfe. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Dass Drogenhandel und Verstöße im Asylverfahrensrecht den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen bedrohen, das kann mir hier in diesem Hause keiner erklären. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schon heute gibt es bei den Strafverfolgungsbehörden Begehrlichkeiten – das wissen wir aus der Stellungnahme des Oberstaatsanwalts beim BGH –, die Eingriffsschwelle zu senken. Er sagte: Die Schwere des Eingriffes kann man eigentlich erst feststellen, wenn man die Beweismittel gesichert hat. – Deswegen: Wenn ich es beantrage, kann ich noch gar nicht die Schwere bejahen. Daher müsste die Regelung zur Schwere des Eingriffes eigentlich aus dem Gesetz heraus. Ich bin gespannt, was das Verfassungsgericht zu diesem Gesetz sagen wird. Es wird mit Sicherheit vor dem Verfassungsgericht landen; denn es entspricht nicht den Vorgaben der Entscheidung von 2008. Diese Regierung wird aus den Watschen, die sie sich permanent vom Verfassungsgericht holt, nicht klüger; (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das waren die Grünen – die letzte Klatsche!) aber das wundert mich nicht. Bei der ersten Lesung des Ursprungsgesetzes, Herr Fechner, hatte ich noch die Hoffnung, in den Beratungen etwas retten zu können. Was heute hier von der Koalition im Omnibusverfahren, im Übrigen am Bundesrat vorbei, ohne Beteiligung der Bundesdatenschutzbeauftragten, ohne Beteiligung der Verbände, ohne Diskussion in der Öffentlichkeit, verabschiedet werden soll, ist mit Worten jenseits der Fäkalsprache nicht mehr zu beschreiben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Dann lassen Sie es auch sein!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Elisabeth Winkelmeier-Becker. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Strafverfolgung ist ein wesentlicher Teil des rechtsstaatlichen Handelns. Wenn Straftaten begangen werden, dann ist der Staat den Opfern schuldig, dafür zu sorgen, dass die Täter ermittelt werden und dass spürbare Sanktionen verhängt werden. Das ergibt sich aus seinen Schutzpflichten, und dafür hat er auch das Gewaltmonopol. Dafür sorgen eine unabhängige Justiz und handlungsfähige Strafverfolgungsbehörden. Aber in der Praxis ist das nicht so einfach, sondern es gibt da offenbar auch Defizite. Die Praxis zeigt, dass wir da teilweise an den Belastungsgrenzen angekommen sind. Taten werden nicht aufgeklärt. Gestern haben wir in der Anhörung zum Wohnungseinbruchsdiebstahl gehört, dass die Aufklärungsquote bei diesem Delikt unter 20 Prozent liegt. Gerichtsverfahren dauern lange. Es kommt vor, dass Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil die sechsmonatige Frist nicht eingehalten werden kann. Es werden viel zu viele Verfahren eingestellt, bei denen es eigentlich gut gewesen wäre, eine Gerichtsverhandlung durchzuführen – damit sie einen bleibenden Eindruck bei dem Täter hinterlässt, damit das Opfer ihm in die Augen blicken kann, damit es einen Ausgleich geben kann. Auch unter Gesichtspunkten der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit wäre es besser, wenn nicht so viele Verfahren eingestellt würden. Es wird kritisiert, dass Deals gemacht werden. Oft ist der Hintergrund, dass die Arbeitsbelastung zu hoch ist, dass sich abzeichnet, dass ein Verfahren rechtlich und auch tatsächlich sehr kompliziert wird. All das trägt natürlich nicht dazu bei, dass sich die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen in der Bevölkerung erhöht. Es trägt auch nicht zu mehr Gerechtigkeit bei. Das Problem liegt in einer sehr hohen Arbeitsbelastung der Gerichte, der Ermittler, der Staatsanwälte und der Justizangestellten. Deshalb haben wir uns in Nordrhein-Westfalen für die neue Koalition vorgenommen, hier à la longue ganz deutlich aufzurüsten, sowohl, was die personelle Ausstattung angeht, als auch, was die technische Ausstattung angeht. (Beifall bei der CDU/CSU) – Das ist schon mal einen Applaus wert; das finde ich auch. Dabei zeigt der Vergleich, dass wir mit der Anzahl von 24 Richtern pro 100 000 Einwohner gar nicht so schlecht dastehen. Wir wissen auch, dass sich diese Zahlen nicht beliebig steigern lassen. Deshalb müssen wir auf der einen Seite die Ressourcen verbessern; auf der anderen Seite wird es darauf ankommen, mit den knappen Ressourcen sorgsam umzugehen, diese Ressourcen sinnvoll und vor allem effizient einzusetzen. Das ist ein Beitrag zu mehr Rechtsstaatlichkeit, zu mehr Vertrauen in den Rechtsstaat und auch zu mehr Gerechtigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist durchaus erkennbar, dass bei uns noch Potenzial vorhanden ist. Ein Vergleich: Das Landgericht Hamburg hatte einen Fall abzuurteilen, in dem es um Piraten ging, die am Horn von Afrika ein deutsches Schiff angegriffen hatten. Für das Verfahren waren 106 Hauptverhandlungstage angesetzt, die Kosten: 4,5 Millionen Euro. Bei einem vergleichbaren Fall in Frankreich dauerte die Hauptverhandlung drei Wochen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt doch sehr auf die Beweislage an, Frau Kollegin! Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!) Da zeigt sich eine gewissen Unwucht und dass wir in diesem Bereich auf jeden Fall noch Potenzial haben; denn Frankreich wird man sicherlich nicht nachsagen können, dass dort der Rechtsstaat nichts gilt; ganz im Gegenteil. Wir haben deshalb schon im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir in den Strafverfahren, in den Jugendstrafverfahren, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze selbstverständlich, die Verfahren praxistauglicher ausgestalten wollen. Das ist der rote Faden, der sich durch die Regelungen zieht, die wir Ihnen heute zur Abstimmung vorlegen. Es beginnt beim Ermittlungsverfahren. Wir schaffen – die Kollegin Bähr-Losse hat es schon dargestellt – damit eine sichere Rechtsgrundlage für Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchungen. Es ist einfach Unsinn, wenn die Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit nicht die Möglichkeit haben, sich daran zu orientieren, wie Täter und Banden heutzutage agieren. Derzeit heißt es zu oft, dass wir dem Täter nicht auf die Spur kommen können. Mit Telekommunikation herkömmlicher Art bekommen wir eigentlich nur noch mit, wer gerade welche Pizza bestellt, wir erfahren aber nicht mehr, was die Bandenmitglieder verabreden, um ein Verbrechen oder einen Angriff zu begehen, möglicherweise sogar einen terroristischen Anschlag zu planen. Es ist aus den genannten Gründen notwendig, dass wir für die Maßnahmen eine klare Rechtsgrundlage schaffen. Sie beinhalten zugegebenermaßen schon auch Eingriffe in die Grundrechte, aber sie sind an klare Voraussetzungen gebunden, nämlich dass Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer schweren Straftat ist. Ein paar Beispiele dafür, um welche Taten es gehen kann: Terrorismus, Geldwäsche, Abgeordnetenbestechung, Kinderpornografie, Mord, Bandendiebstahl. In solchen Fällen können die Maßnahmen wichtige und unverzichtbare Anhaltspunkte liefern, und dann sind sie auch verhältnismäßig, und dann sind sie auch gerechtfertigt. Es sind die hohen rechtlichen Hürden und auch die hohen technischen Hürden, die dafür sorgen, dass eine Maßnahme nie und nimmer zu einer Standardmaßnahme werden kann. Vielmehr handelt es sich um sehr gezielte Maßnahmen, die allenfalls in wenigen Einzelfällen zum Einsatz kommen. Ich weiß nicht, woher Sie nehmen, dass eine Maßnahme zu einer Standardmaßnahme werden könnte. Weder die rechtlichen Voraussetzungen lassen diesen Schluss zu, noch die Erfahrungen mit diesem Instrument im präventiven Bereich. Mit den Maßnahmen wird sehr restriktiv umgegangen, und genauso wird das – das ist meine feste Überzeugung – hier im Bereich der Ermittlungen, im Bereich der Strafverfolgung geschehen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist eine falsche Überzeugung!) Es wird außerdem Vereinfachungen im Ermittlungsverfahren geben. Auf den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme im Zusammenhang mit Verkehrsstraftaten kann guten Gewissens verzichtet werden, weil der telefonisch erreichte Richter im Zweifel ohnehin nur das bestätigen kann, was ihm der Polizeibeamte vor Ort schildert. Wir schaffen die Pflicht von Zeugen, bei der Polizei zu erscheinen. Wir regeln die Erfassung von sogenannten DNA-Beinahetreffern, wo es Sinn macht. Wir hätten gerne auch noch die DNA-Analyse in Bezug auf Merkmale wie Augenfarbe oder Haarfarbe aufgenommen, aber dazu sah sich das Justizministerium leider nicht in der Lage. In einem nächsten Schritt haben wir Beschleunigungen für den Gang des Verfahrens vorgesehen. Es gibt häufig den Fall, dass Befangenheitsanträge und Beweisanträge eher taktisch gestellt werden. Das Gericht soll blamiert werden, als hilflos vorgeführt werden, indem man mal zuerst mit einem Befangenheitsantrag beginnt und den ganzen Zeitplan durcheinanderbringt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die doch befangen sind, die Richter?) Wir haben jetzt geregelt, dass wenigstens bis zur Verlesung der Anklageschrift erst einmal weitergemacht werden kann. Danach wird sich alles Weitere finden. Beides führt zu mehr Effizienz ohne substanzielle Eingriffe in die Rechte des Angeklagten oder Nachteile für die Wahrheitsfindung. Der letzte Schritt. Bei den Sanktionen haben wir in Zukunft die Möglichkeit, ein Fahrverbot als Nebenstrafe festzusetzen; denn häufig ist es so, dass zum Beispiel eine Bewährungsstrafe doch nur als Freispruch zweiter Klasse empfunden wird. Hier brauchen wir eine zusätzliche Sanktion, die auch für den Täter spürbar ist – ohne die Nachteile einer Haftstrafe. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt müssen Sie zum Schluss kommen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): So bin ich optimistisch, dass wir mit diesem Paket schon einiges erreichen, liebe Frau Präsidentin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollten wir hier über die große Strafprozessreform reden, die der Bundesjustizminister schon vor Jahren angekündigt hat. Dabei ist aber nichts rausgekommen, außer ein paar kleinen Mäuschen, die hier schon erwähnt worden sind, wie zum Beispiel, dass der Richtervorbehalt bei der Blutentnahme wegfällt. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist ein großer Vorteil für die Praxis!) – Ja, sensationell; eine wirklich große Leistung. – Oder dass jetzt bei bestimmten – das gilt nur bei Tötungsdelikten – Vernehmungen von Beschuldigten ein Band mitläuft oder eine Tonaufnahme gemacht wird, das ist auch nicht revolutionär, das ist auch keine große Veränderung. Aber ich will mich an diesen einzelnen Punkten gar nicht mehr aufhalten, weil wir das bereits in der ersten Lesung getan haben. Übrigens haben wir auch den Aspekt behandelt, der weniger die Strafprozessordnung, sondern eher das Strafrecht betrifft, dass man Führerscheinentzug oder Fahrverbot jetzt auch für Nichtverkehrsstraftaten anwenden will. Das alles wäre hier heute fast nichts gewesen. Deshalb haben Sie noch rechtzeitig – oder vielmehr: nicht mehr rechtzeitig, nämlich nach Dienstschluss am letzten Freitag – einen Änderungsantrag eingebracht und wollten am Montag eine Sondersitzung für die Telekommunikationsüberwachung, also für Onlinedurchsuchungen und Quellen-TKÜ, haben, damit das im Rechtsausschuss noch schnell beschlossen werden kann – das ist nicht gemacht worden. Dann hat man es Dienstag gemacht, wo es schnell durchgepeitscht wurde. Ich sage Ihnen: Das ist ein Hauruckverfahren, (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ist doch wie ein Sondervotum!) das unzulässig ist, zumindest wenn es darum geht, ein Gesetz zu machen, das mehr in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift als damals der große Lauschangriff, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) und zwar nicht nur in die von Verdächtigten und Beschuldigten, sondern möglicherweise auch in die Grundrechte von anderen Personen. Es könnte nämlich sein, dass, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Verdächtiger einen PC oder ein Handy von jemand anderem benutzt hat, dann auch der fällig ist, dann auch der in der Überwachung ist. Es geht hier um einen operativen Eingriff in Grundrechte. Das muss ausführlich beraten werden. Deshalb haben wir gesagt: So kann man das nicht machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was haben Sie unter der Überschrift „Wir müssen etwas gegen Terrorismus tun“ jetzt gemacht? Da geben wir Ihnen ja recht – auch mit Blick auf die Strafverfolgung; denn hier geht es ja nur um die Strafverfolgung –: Wir müssen etwas gegen Terrorismus tun; das stimmt. Aber wenn man den Gesetzentwurf nun betrachtet, sieht man: Es hat Auswirkungen quer durch das Strafgesetzbuch. Sie wollen es auf insgesamt 70 Paragrafen, glaube ich, anwenden. Erklären Sie mir, wo die schwere Straftat ist, (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Kinderpornografie zum Beispiel!) wenn es beispielsweise auf gewerbsmäßige Hehlerei angewendet werden soll. Wird da der Staat aus den Angeln gehoben, oder warum? (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Hehlerei ist nicht okay!) Daran zeigt sich, dass Sie etwas ganz anderes vorhaben: Sie wollten das Strafgesetzbuch ganz breit erfassen, nahezu alle Delikte. – Hehlerei ist übrigens nicht einmal ein Verbrechenstatbestand, sondern ein Vergehenstatbestand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) So kann man das nicht machen, und so ist das auch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang zu bringen. Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere verlangt: Wenn man solche Onlinedurchsuchungen machen will, dann muss man garantieren, dass dies technisch und rechtlich vorher so geprüft wird und überprüfbar bleibt, dass man feststellen kann, was mit dieser TKÜ wirklich gemacht wird. Wenn es heißt, sie laufe nach drei Monaten aus, muss überprüfbar sein, ob sie tatsächlich ausläuft. Kann das der Richter feststellen? Da reicht der Richtervorbehalt nicht, sondern da braucht man einen Vorbehalt von Datenschutzbeauftragten oder meinetwegen auch von Spezialisten vom Chaos Computer Club, die man da hinzuziehen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Mit diesem Gesetz greifen Sie substanziell in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, und dies gerade in dem Kernbereich privater Lebensführung. Dazu haben Sie in das Gesetz hineingeschrieben: Wenn allein dieser Kernbereich betroffen ist, dann ist das unzulässig. – Das wird ja fast nie der Fall sein. Selbst bei einem Liebesgeflüster oder selbst beim Gespräch mit einem Psychologen oder Psychiater wird natürlich auch einmal über etwas anderes gesprochen. Das heißt, Sie öffnen selbst diesen Kernbereich der privaten Lebensführung für derartige Onlinedurchsuchungen. Das ist grundgesetzwidrig, das ist mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise zu vereinbaren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Sie sagen zwar: Rechtsanwälte, Ärzte, Pfarrer sollen davon ausgenommen sein. – Aber Sie nehmen die Helfer der Rechtsanwälte nicht aus. Wie stellen Sie sich denn das in meinem Büro als Rechtsanwalt vor? Bei mir dürfen Sie es nicht einsetzen, aber bei einem Mitarbeiter, der da bei mir im Büro sitzt, dürfen Sie es einsetzen. Wie wollen Sie da noch das Anwaltsgeheimnis wahren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wollen sie ja nicht!) wie wollen Sie da noch das Arztgeheimnis wahren, wie wollen Sie die Vertraulichkeit des Gesprächs mit Geistlichen, mit Pfarrern oder anderen wahren? Nein, dieses Gesetz darf so nicht durchkommen. Dieses Gesetz muss spätestens in Karlsruhe fallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Dr. Johannes Fechner das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich möchte gleich vorab sagen: Das Allerwichtigste – bei Strafgesetzen oder der Reform der Strafprozessordnung – ist es, wenn wir die Strafjustiz entlasten wollen, für mehr Personal zu sorgen. Wir brauchen mehr Richterinnen und Richter, wir brauchen mehr Staatsanwälte. Damit können wir der Justiz den größten Dienst erweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir können die hohe Arbeitsbelastung gerade in der Strafrechtspflege aber auch durch eine effektivere Ausgestaltung des Strafverfahrens erreichen, und genau dem dient dieses Gesetz. So ist es in der Tat – Kollege Wunderlich hat es angesprochen – zukünftig nicht mehr erforderlich, dass für eine Blutalkoholprüfung extra ein Richter seine Anordnung geben muss. Das hat viele Kräfte gebunden, und es wird von allen Berufsverbänden begrüßt, dass wir die Richter hiervon entlasten. Mit dieser Maßnahme erreichen wir beispielhaft das Ziel, die hohe Belastung in der Justiz zu reduzieren. Wenn sich die biotechnischen Möglichkeiten der DNA-Analyse weiterentwickelt haben, dann sollten wir diese Möglichkeiten auch nicht ungenutzt lassen. Wir wollen deshalb, dass der sogenannte Beinahetreffer auch von der Strafprozessordnung erfasst wird und dort geregelt ist. Das sind Fälle, in denen der Abgleich von Spuren und DNA-Material ergibt, dass die Spuren zwar nicht vom Täter, aber von einem nahen Verwandten stammen. Zukünftig kann also nicht nur auf die völlige Übereinstimmung von Spur und Täter hin untersucht werden, sondern auch, ob es eine Ähnlichkeit gibt, die auf ein Verwandtschaftsverhältnis schließen lässt. Auch das ist ein ganz wesentlicher Vorteil. Ich persönlich wünsche mir auch, dass wir rasch in der nächsten Legislaturperiode die Frage der Weitergabe von Ergebnissen aus DNA-Analysen an die Polizei regeln, was die persönlichen Merkmale angeht, also etwa Augenfarbe oder Haarfarbe. Dazu hatten wir ein umfangreiches Symposium beim BMJ; herzlichen Dank für diese gelungene Veranstaltung, die den Handlungsbedarf gezeigt hat. Um dies einzuarbeiten, hat jetzt zum Ende der Legislaturperiode die Zeit nicht mehr gereicht. Aber ich finde: Wenn mit Sicherheit gesagt werden kann, wie die Haarfarbe oder die Augenfarbe eines Täters ist, dann sollte die Polizei diese Informationen bekommen, um die Ermittlungskräfte gezielt einsetzen zu können, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir gestalten den Strafprozess an vielen Stellen effektiver. Der Verteidiger erhält bei umfangreichen Verfahren die Möglichkeit zu einer sogenannten Opening Speech, und bei Tötungsvorwürfen muss die Beschuldigtenvernehmung zukünftig auf Video aufgenommen werden. Herr Ströbele, Sie haben recht: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe immer recht!) Wir wären hier viel weiter gegangen. Wir hätten die im sehr guten Referentenentwurf vorgesehene Formulierung des § 58a StPO gerne bei allen Straftaten angewandt; denn wir erhalten aus der Praxis immer wieder Hinweise, dass gerade die Opfer von Sexualstraftaten ihre Aussagen leider zurückziehen. Mit der Videoaufzeichnung hätten wir die Möglichkeit, im Prozess auf diese Aussagen zurückzukommen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das wäre ein Schritt!) Deswegen geht der Vorwurf an den Koalitionspartner: Wir könnten mehr Vergewaltiger und mehr Menschenhändler verurteilen, wenn Sie diese Regelung nicht blockiert hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Zu der Frage der Verwertung der Ergebnisse von DNA-Analysen. Wir müssen – das habe ich schon ausgeführt – mit dem technischen Fortschritt gehen. Es kann nicht sein, dass nur die eine Seite, dass nur Terroristen und Kriminelle vom technischen Fortschritt profitieren. Nein, auch die Polizei muss hier Schritt halten und auf Augenhöhe mit den Terroristen und Kriminellen agieren können. Deswegen ist es richtig, dass wir eine klare rechtsstaatliche Grundlage für die TKÜ und die Onlinedurchsuchungen schaffen. Wir orientieren uns dabei an der Wohnungsüberwachung – mit ganz klaren rechtsstaatlichen Grundsätzen. Es kann nicht einfach ins Blaue hinein angeordnet werden, dass ein Handy von der Polizei gehackt wird. Nein, ein Richter muss feststellen, dass Tatsachen vorliegen, die einen Verdacht auf eine ganz bestimmte Straftat, und zwar eine schwere Straftat, die im Gesetz abschließend geregelt ist, begründen. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man kann darüber diskutieren, ob es auch weniger getan hätte; keine Frage. Aber wir haben eine klare Regelung: Nur bei einer schweren Straftat darf dieses Instrument angeordnet werden. Ich finde, das ist eine rechtsstaatliche Lösung. Die Polizei muss auf dem neuesten technischen Stand sein, um mit Terroristen und Kriminellen mithalten zu können. Weil Frau Künast direkt danach gefragt hat, will ich Folgendes nicht unerwähnt lassen: Ja, wir tun mit diesem Gesetz auch etwas für den Naturschutz. Wir verschärfen das Bundesnaturschutzgesetz, um den illegalen Wildtierhandel zu bekämpfen. Nach dieser Neuregelung macht sich strafbar, wer leichtfertig ein geschütztes Tier tötet oder geschützte Pflanzenarten zerstört. Hierfür erhöhen wir die Höchststrafe von einem auf drei Jahre. Das ist nicht ganz unwichtig, wie ich finde. Deswegen will ich es in dieser Rede zumindest kurz erwähnen. Abschließend sage ich: Ein gutes Gesetz – – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber jetzt kommen Sie zum Schluss, ja? Dr. Johannes Fechner (SPD): Jetzt haben Sie mich im Schlusssatz unterbrochen, Frau Präsidentin. Ich muss noch einmal anfangen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Dann muss man damit früher anfangen. Dr. Johannes Fechner (SPD): Abschließend: Das ist ein gutes Gesetz. Stimmen wir also zu! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster hat jetzt Professor Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann an die Rede meines Vorredners anknüpfen: Das ist ein gutes Gesetz. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das Strafprozessrecht effektiver und praxistauglicher zu gestalten. Das ist ein guter Ansatz gewesen; denn über die Jahre hat sich das Strafprozessrecht aufgrund vieler Gesetzesänderungen auseinanderentwickelt. Das wieder zusammenzuführen, war der Ansatz. Das ist uns nur in Teilen gelungen; da stimme ich dem Kollegen Ströbele zu. Es wäre mehr möglich gewesen. Der erste Vorschlag der Kommission beim Justizministerium zeigt: Es war größer geplant. Aber wir haben viele Hürden nehmen müssen. Wir haben über einzelne Regelungen gestritten. An dieser Stelle gilt mein Dank dem Justizministerium, dem Justizminister Maas und insbesondere Staatssekretär Lange. Wir haben oft zusammengesessen und über viele Formulierungen und einzelne Wörter diskutiert, debattiert und gestritten. Im Ergebnis haben wir nach meiner Meinung eine wirklich tragbare und gute Lösung für die Reform des Strafprozessrechts gefunden. Dafür ein Dankeschön! (Beifall des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD]) Die einzelnen Punkte sind erwähnt worden: Mit Befangenheitsanträgen soll nicht mehr erreicht werden können, dass ein Verfahren endlos in die Länge gezogen wird; Beweisanträge müssen bis zum Ende einer Frist gestellt werden; die Erscheinungspflicht des Zeugen wird geregelt – er kann nicht einfach sagen: ach, was interessiert es mich, wenn die Polizei mich zur Befragung lädt –; und die audiovisuelle Vernehmung ermöglicht es, später noch einmal zu schauen, was der Zeuge bei seiner Vernehmung wirklich gesagt hat. Ob es, wenn das weiter ausgedehnt worden wäre, uns mehr Klarheit und Transparenz gebracht hätte oder mehr Revisionsgründe, das kann man unterschiedlich beleuchten. Wir haben ja Expertenanhörungen zu diesen Themen durchgeführt. Wir haben dreieinhalb Jahre über diese einzelnen Punkte diskutiert. Von daher freue ich mich, dass Frau Kollegin Bähr-Losse die Genese, die Entwicklung dieses Gesetzentwurfs dargestellt hat. Ich verstehe nicht, wie man angesichts dessen als Oppositionspolitiker sagen kann: Dieser Gesetzentwurf ist in wenigen Tagen entstanden. Herr Kollege Ströbele, Sie waren doch bei der Expertenanhörung, in der auch über die Quellen-TKÜ diskutiert worden ist, dabei. Ich habe in dieser Anhörung selbst die Frage nach der Notwendigkeit der Quellen-TKÜ gestellt. Vielleicht haben Sie das nicht mitbekommen; dann verstehe ich, dass Sie sagen: Das kommt jetzt spontan. – Aber das ist doch nicht spontan. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stand im Gesetz überhaupt nicht drin!) Das war im Gesamtpaket der Strafprozessordnungsreform drin. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war im Gesetzentwurf nicht drin!) Dann ist es herausgenommen und in zwei Teile getrennt worden, weil wir aus der letzten Legislaturperiode den § 81a StPO noch als sogenanntes Leftover, als Überbleibsel, hatten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war bis Freitag in dem Gesetz überhaupt nicht drin!) Wir sind froh, dass wir den § 81a StPO in dieser Legislaturperiode durchbekommen haben. Wir beide waren doch gemeinsam mit dem Kollegen van Essen damals Berichterstatter. Wir wären doch beide froh gewesen, hätten wir den § 81a StPO schon damals durchbekommen. (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: So, so! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Jetzt ist uns das endlich gelungen, und nun hängen Sie sich an zwei Punkten auf und blockieren dieses gute Gesetz, nämlich an der Quellen-TKÜ und an der Onlinedurchsuchung. Beides sind Bereiche, die wir ohnehin schon haben. Es ist derzeit ohne Weiteres möglich, den Telefonverkehr von Verbrechern und Menschen, die im Verdacht stehen, schwere und schwerste Straftaten begangen zu haben, abzuhören. Das kennt jeder, der schon einmal den Tatort gesehen hat. Nun ist es so, dass im Tatort nicht alle Leute per Messenger telefonieren. Aber in der Realität machen das die Menschen inzwischen. Nur noch 15 Prozent der Kommunikation erfolgen unverschlüsselt. Sehen Sie sich einmal an, was die Kids machen; die drücken auf den Hörer bei WhatsApp. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann führen Sie es doch für Terrorismus ein!) Diese Kommunikation von Verbrechern bzw. Menschen, die im Verdacht stehen, schwere und schwerste Straftaten begangen zu haben, wollen wir genauso erfassen wie die Kommunikation in normalen Telefonaten. Das ist berechtigt. Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt durch die Quellen-TKÜ. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Bereich ist die Onlinedurchsuchung. Es ist heutzutage Alltag, dass ein Handy, das an einem Tatort gefunden wird, ausgelesen wird; das ergibt sich aus § 110 der StPO. Wenn man kein Handy findet, aber weiß, dass schwerste Straftaten im Raum stehen, deren besondere Schwere sogar festgestellt worden ist und werden muss – das haben Sie eben unterschlagen, Herr Kollege Ströbele; in § 100b des Gesetzes steht nämlich auch drin, dass die besondere Schwere der einzelnen Tat festgestellt werden muss –, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können Sie vorher doch gar nicht feststellen!) dann muss es auch möglich sein, ein Handy online zu durchsuchen, genauso wie es durchsucht werden kann, wenn es an einem Tatort beschlagnahmt wird. Wir eröffnen damit die Möglichkeit, Straftaten zu verhindern, sie zu verfolgen und die Täter dingfest zu machen. Das ist nichts Aufregendes, und das ist nichts, was man skandalisieren muss. Das sind die Dinge, die in der normalen – nicht der digitalen – Welt schon bisher möglich waren. Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt auch im Hinblick auf die digitale Kommunikation. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Sensburg, Sie wissen doch, dass das nicht stimmt!) Herr Kollege Wunderlich, wenn Sie im Jahre 1990 stehen bleiben, dann werden Sie halt Straftaten nicht mehr ermitteln. Täter kommunizieren heute digital. Daher geben wir unserer Polizei und den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, auch diese Kommunikation in ganz besonders schweren Fällen abzurufen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Insbesondere bei Kids, wie Sie gerade gesagt haben!) Das ist auch richtig so. Deswegen: Unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, vor allen Dingen für die perfekte Einhaltung der Zeit. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Er hat den Ehrgeiz, das genauso zu machen wie der Kollege Sensburg. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ich tue, was ich kann. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Fechner, Ihre Aussage, dass wir mit diesem Gesetz mehr Vergewaltiger verurteilen könnten, wenn die Union nicht wäre, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja!) bedarf natürlich der Kommentierung durch mich; (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das überrascht mich nicht!) das wird Sie nicht überraschen. Ich möchte an dieser Stelle schon darauf hinweisen, dass wir heute vor allem deswegen mehr Vergewaltiger verurteilen können, weil wir einen neuen Straftatbestand haben, nämlich den berühmten Grundsatz „Nein heißt Nein“. (Marianne Schieder [SPD]: Aber bestimmt nicht wegen der Union!) Für diesen Straftatbestand hat die Union gekämpft, (Widerspruch bei der SPD) dafür haben die Frauen in der Union und glücklicherweise auch die Frauen in der SPD gekämpft, aber leider nicht der SPD-Bundesjustizminister. Diese Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Maas wollte das auch nicht! Da haben Sie recht!) Aber ich nehme Sie als geläutert wahr. Sollten wir wieder einmal rechtspolitische Koalitionsverhandlungen führen, können wir gerne über die Versuchsstrafbarkeit beim Cyber Grooming verhandeln. Das ist uns nämlich ein großes Anliegen, das aber die ganze Zeit von der SPD blockiert wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, dass ich als letzter Redner zwei Teilaspekte aus dem Gesetzespaket, das uns vorliegt, herausgreife. Zunächst noch ein paar Sätze zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens. Der Titel sagt es schon: Es geht um Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung. Wir alle kennen ja aus dem Studium den Satz: Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen. Es geht um bestimmte Komponenten, die – ich will es einmal so sagen – eine Straffung des Befangenheitsrechts darstellen, das – die Praktiker wissen das – in der Vergangenheit immer wieder gezielt zur Verfahrungsverzögerung missbraucht worden ist – so muss man es schon fast nennen –, und zwar, wie die Kollegin Winkelmeier-Becker eben gesagt hat, zum Beispiel durch die Formulierung des Ablehnungsgesuchs kurz vor Beginn der Hauptverhandlung. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben. Die Hauptverhandlung kann jetzt beginnen und bis zur Verlesung des Anklagesatzes fortgesetzt werden. Zudem hat der Vorsitzende nun die Möglichkeit, eine Fristsetzung für die schriftliche Begründung des Ablehnungsgesuchs zu formulieren. Auch das führt letztlich dazu, dass Verfahren nicht weiter verschleppt werden. Ich möchte auch noch einige Sätze zur Änderung des Beweisantragsrechts sagen. Auch das ist mittlerweile leider ein sehr missbrauchsanfälliger Bereich. Hier wird neu eingeführt – ich habe das in der ersten Lesung schon skizziert –, dass der Vorsitzende nach Ende der Beweisaufnahme eine angemessene Frist setzen kann, binnen der weitere Beweisanträge gestellt werden dürfen; danach ist das eben einfach nicht mehr möglich. Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir hier einen praxistauglichen Instrumentenkasten haben, der letztendlich dazu führt, dass wir die Strafverfahren werden straffen können. Im zweiten Teil meiner Rede möchte ich noch ein paar Sätze zum Fahrverbot als Sanktion sagen; das ist die eigentliche Zielsetzung meiner Berichterstattung. Sie kennen die Rechtslage. Bisher ist es so, dass es das Fahrverbot als Sanktion nur dann gibt, wenn die Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Diese Verbindung wollen wir aufheben, und das aus guten Gründen. In einem Rechtsstaat manifestiert sich der staatliche Strafanspruch in der Verurteilung. Strafe und auch Nebenstrafe sollen das Tatunrecht sühnen, Genugtuung für das Opfer sein und auf den Täter einwirken. Diese dritte Komponente, diese Spezialprävention, ist im Jugendstrafrecht noch einmal sehr viel intensiver. Hier steht der Erziehungsgedanke über allem. Man will auf den Täter, der im jugendlichen Alter noch formbar ist, einwirken. Deswegen glaube ich, dass es richtig ist, dass nach dem vorliegenden Entwurf der Instrumentenkasten an Nebenstrafen erweitert wird und auch ein Fahrverbot zulässt, wenn die Straftat nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wird. Das Fahrverbot bleibt Nebenstrafe. Im Erwachsenenstrafrecht wird die Dauer von maximal drei Monaten auf maximal sechs Monate erhöht; im Jugendstrafrecht bleibt es bei drei Monaten, eben wegen des Erziehungsgedankens. Das Fahrverbot soll in Betracht kommen, wenn es zur Einwirkung auf den Täter erforderlich scheint und – das kommt dem Täter ja zugute – zur Vermeidung einer Freiheitsstrafe zielführend ist. Wir erhoffen uns hiermit ein Instrument, das effektiv einwirken kann, nämlich zielgenau, spürbar und der Schuld angemessen. Ich glaube, wir sind hier auf dem richtigen Weg. Ich will noch ein Missverständnis aus dem Weg räumen, weil das immer wieder proklamiert wird: Die Anhörung hat sehr deutlich ergeben, dass sich vor allem die Praxis ein solches Instrument wünscht. Das wollen wir heute beschließen. Deswegen bitte ich um Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Christian Ströbele hat um das Wort zu einer Kurzintervention gebeten. Bitte, Herr Ströbele. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Ich will zu dem, was der Kollege Sensburg gesagt hat, zwei Anmerkungen machen. Erstens. Wir streiten nicht darüber, dass man bei terroristischen Gefahren für alle Eventualitäten Erkenntnis- und Aufklärungsmöglichkeiten schafft. Das habe ich im Rechtsausschuss auch so gesagt. Das heißt, wir können bei solchen Tatbeständen durchaus darüber reden. Ärgerlich und in gewisser Weise auch unwahrhaftig ist, dass Sie mit dieser terroristischen Gefahr geradezu Handel treiben, indem Sie sagen: „Da muss man doch etwas machen“ – da stimmt Ihnen fast jeder zu –, aber wollen, dass die Maßnahmen auch auf eine ganze Serie von Straftatbeständen im Strafgesetzbuch – die Zählungen gehen auseinander; bei manchen sind es 50, bei anderen 70 – angewandt werden können. Zweitens. Der Richtervorbehalt hat Sinn und ist auch hier sinnvoll. Darüber streiten wir ja auch nicht, obwohl das von Ihnen in der Diskussion im Rechtsausschuss bestritten worden ist. Allerdings ist angesichts der Tatsache, dass es hier um eine komplizierte und von den technischen Kenntnissen her problematische Angelegenheit geht, die Frage berechtigt, ob eine Richterin oder ein Richter einer Strafkammer, also Juristen, tatsächlich die Expertise haben, um beurteilen zu können, ob dieses Instrument mit den zu erwartenden Folgen wirklich so konzentriert eingesetzt werden kann, wenn der Staatsanwalt den Antrag stellt. Das Bundesverfassungsgericht hat verlangt, dass eine obligatorische, also verpflichtende, unabhängige Prüfung des jeweiligen Verfahrens durchgeführt werden muss. Das muss doch jedem einleuchten. Ich bin nicht so vermessen, und Sie hoffentlich auch nicht, zu sagen: Das kann ich beurteilen. – Das können nur Fachleute beurteilen. Deshalb muss es eine Verpflichtung geben, Datenschutzbeauftragte oder meinetwegen auch andere Fachleute einzubeziehen, die den Richtern beratend und sachkundig zur Seite stehen. Ansonsten ist es eine für die wirklichen Gefahren unwirksame Kontrolle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Herr Kollege Sensburg, möchten Sie darauf antworten? – Bitte schön. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, ich antworte darauf kurz. Es ist richtig, dass Sie gesagt haben, wir müssten darüber reden. Wir reden auch. Sie machen immer ein Redeangebot. Das klingt so versöhnlich, und Herr Kollege Ströbele, ich mag Sie ja auch. Aber man muss irgendwann vom Reden zum Erarbeiten des Gesetzes übergehen, damit man Straftaten verhindern kann. Sie müssen also auch einmal schauen, wie wir gemeinsam zu einem Konsens kommen. Mit unserem Koalitionspartner sind wir zu einem Konsens gekommen. Ich will Ihnen jetzt nicht den gesamten Straftatenkatalog vorstellen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Seiten!) Aber hier geht es um Straftaten wie die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, um Kinderpornografie, Mord und Totschlag oder um schweren Raub mit Todesfolge. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „gewerbliche Hehlerei“!) Ich könnte Ihnen alles vorlesen. Sie haben gesagt, es stehe auch etwas zum Asylgesetz drin. Es geht um das Einschleusen mit Todesfolge. Das sind für mich so schwere Straftaten – das hat nichts mit Terrorismus zu tun –, dass wir sie in einem Katalog regeln, sodass wir die Möglichkeit haben, der Polizei hier die digitale Kommunikation zugänglich zu machen. Es gibt Personen, die im Verdacht stehen, diese Art von schweren Straftaten zu begehen oder begangen zu haben. In diesen Fällen möchten wir nicht nur das normale Telefonat, das kaum einer mehr nutzt, mithören können, sondern auch die Kommunikation über Messenger-Dienste. Sonst macht polizeiliche Ermittlungsarbeit präventiv, aber auch repressiv keinen Sinn. Wir erlauben dieses Instrument, damit Strafverfolgung in der digitalen Welt weiterhin möglich ist, auf richterliche Anordnung und wenn die besondere Schwere der Straftat festgestellt wird. Darauf könnten auch Sie sich einlassen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) – Nein, Herr Wunderlich, ich lasse jetzt keine Beiträge mehr zu. Wir fangen keine Debatte von Tisch zu Tisch an. Ich beende die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11277 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Opposition und zwei Abgeordnete aus der SPD-Fraktion. Wer enthält sich? – Keiner. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12834. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Opposition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11272 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b sowie 37 f auf: 14.   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft Drucksache 18/12382 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bienengiftige Insektizide vollständig verbieten – Bestäuber, andere Tiere und Umwelt wirksam schützen Drucksache 18/12384 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft 37.   f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marktkonzentration im Agrarmarkt stoppen – Artenvielfalt und Ernährungssouveränität erhalten Drucksache 18/12797 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte die Agrarpolitiker und -politikerinnen, jetzt zügig die Plätze einzunehmen, und alle anderen, die nötigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen, damit wir weitermachen können. – Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ganz aktuell häufen sich dramatische Berichte über den beängstigenden Rückgang der Zahl der Vögel, Bienen und anderen Insekten und von Wildkräutern in unseren Agrar- und Kulturlandschaften. Eine der maßgeblichen Ursachen ist der flächendeckende Pestizideinsatz: 34 000 Tonnen Wirkstoff jedes Jahr in Deutschland. Die Gifte gelangen in die Böden, ins Grundwasser, in die Luft und in unser Essen. „Wir brauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik.“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sagt eine Behörde des Bundes, nämlich das Bundesamt für Naturschutz. „Das System ist jetzt an einer Stelle angekommen, wo es sich nicht weiter selbst korrigieren kann.“ Das sagt Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. Wir müssen vermeiden, dass die Agrarwirtschaft weiter an dem Ast sägt, auf dem sie selber sitzt, wenn durch derartige Fehlentwicklungen nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sondern auch ihre eigenen Produktionsgrundlagen zerstört werden. Wenn Böden belastet und verdichtet werden und ihre Fruchtbarkeit und damit ihre wichtigen Funktionen verlieren, wenn Ökosysteme zerstört werden und Nützlinge und Bestäuber fehlen, dann lässt sich auch nichts mehr anbauen. Das ist dann das Gegenteil von Nachhaltigkeit, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was unternimmt die Bundesregierung, wenn die konventionelle Agrarwirtschaft schon selbst um Hilfe ruft? Nichts, rein gar nichts außer ein paar Versprechungen und Ankündigungen hier und ein paar flotten Bauernregeln da, die dann aber doch lieber schnell wieder einkassiert werden. Das ist nach vier Jahren ein Armutszeugnis. Da gibt es bei Minister Schmidt etwas mit dem wohlklingenden Titel „Nationaler Aktionsplan Pflanzenschutz“. Was ist bis jetzt, zum Ende seiner Amtszeit, dabei herausgekommen? Herr Bleser – der Minister ist nicht anwesend; Sie vertreten ihn –, Sie haben uns kürzlich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt: „Zielquoten für die Reduzierung der Anwendung sowie erreichte Reduktionen können zurzeit noch nicht angegeben werden.“ Ja wann denn dann bitte? Wie lange wollen Sie denn noch herumlaborieren? Das ist eine Bankrotterklärung. Bis Sie damit fertig sind, sind Vögel und Bienen ausgestorben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind ja nicht einmal bereit, in Brüssel einem Verbot der schlimmsten bienengiftigen Pestizide, den Neonikotinoiden, zuzustimmen, wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hat. Bei Minister Schmidt und der Großen Koalition sind jedenfalls Bärbel Höhns Bundestagsbienen nicht in guten Händen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Glyphosat, weltweit das Ackergift Nummer eins, auch in Deutschland, wollen Sie neu zulassen, obwohl nach wie vor weitere und neue Zweifel an seiner Unbedenklichkeit aufkommen. Das ist verantwortungslos. Dabei geht es auch ganz anders in der Landwirtschaft. Der Ökolandbau macht es schon seit Jahrzehnten vor; aber auch die konventionelle Landwirtschaft kann mit wesentlich weniger Pestiziden auskommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die dänischen Bauern behandeln ihre Pflanzen dreimal seltener mit Pestiziden als deutsche. Französische Forscher haben vorgerechnet, dass 40 bis 60 Prozent der Pestizide eingespart werden können, und zwar ohne signifikante Ertragseinbrüche. Wer nachhaltige Landwirtschaft, gesunde Ökosysteme, gesunde Lebensmittel ohne Rückstände will, der muss runter vom hohen Pestizideinsatz. Wie wollen wir denn sonst unseren Planeten unseren Kindern hinterlassen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nachdem der Nationale Aktionsplan komplett gescheitert ist, haben wir unseren Antrag zur Pestizidreduktion vorgelegt. Darin fordern wir ein klares Ordnungsrecht bei der Anwendung und den Zulassungsverfahren, die Unterstützung pestizidarmer und pestizidfreier Landwirtschaft durch Anreizsysteme und eine deutliche Stärkung der Forschung und Entwicklung für alternativen Pflanzenschutz. Wir machen hier ein Angebot. Eine andere Landwirtschaft ist möglich. Wir wollen, dass es bei uns auch in Zukunft in der Landwirtschaft noch Bäuerinnen und Bauern gibt und dass sie davon leben können. Nachhaltige Landwirtschaft braucht die Agrarwende, liebe Kolleginnen und Kollegen, und die wird es ganz offenbar nur mit Grün geben. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatsekretär Peter Bleser. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Bleser, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Ebner, Sie erfüllen in geradezu hervorragender Weise das Klischee, das ich von den Grünen habe. Sie reden hier immer noch von der Agrarwende. Stattdessen brauchen wir einen Aufbruch in die Zukunft, um die 10 Milliarden Menschen, die die Vereinten Nationen für 2050 prognostizieren, auch ernähren zu können. Die werden Sie nicht mit Ökoschrebergärten in den Vorstädten von Großstädten ernähren können. Dazu brauchen Sie eine effiziente, leistungsfähige Landwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Urban Farming!) Die Urbanisierung wird dazu führen, dass zwei Drittel der Menschen in Ballungsgebieten leben werden, so die UN. Daher müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht nur ausreichend Lebensmittel erhalten, sondern dass sie hochqualitative und sichere Lebensmittel erhalten, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Pestizide!) und dafür stehen wir. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Grünen haben es sich in den letzten Jahren zu eigen gemacht, eine ganze Berufsgruppe zu verachten, zu schmähen, zu verunglimpfen (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wer hat denn gerade die Landwirte als Schrebergärtner bezeichnet?) und sie in ihrer Situation, die wirtschaftlich mit Sicherheit nicht einfach war in den letzten Monaten, zusätzlich noch öffentlich zu stigmatisieren. Das mit Minderheiten zu tun – das sage ich Ihnen ganz klar –, ist nicht nur unanständig, sondern einer demokratischen Partei nicht würdig. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine falsche Behauptung von Ihnen! Das ist komplett unterirdisch!) Wer glaubt, mit Strafsteuern auf bestimmte Lebensmittel oder Empfehlungen bei der Ernährung und Vorschriften wie dem Veggieday und ähnlichen Vorschlägen die Menschen gängeln und sie mit Verboten belasten zu müssen, der erfüllt das Image einer Gängelungs- und Verbotspartei, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, das war der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung!) und das tun Sie in hervorragender Weise. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen Strafsteuern auf Pflanzenschutzmittel und Düngemittel. Das alles führt doch nicht zu dem Ergebnis, das wir wollen, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht gerade das Strafgesetz verschärft?) sondern im Grunde genommen nur zu einer Verlagerung der Produktion. Das hilft den Menschen überhaupt nicht. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie nicht die Reduzierung von Pestiziden? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Bleser, Ihr Bauernverband ist auch schon ganz blass!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind diejenigen, die auf wissenschaftlicher Basis Pflanzenschutzmittel oder Düngemittel zulassen oder eben nicht. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der war gut! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wissenschaftliche Basis von Monsanto!) Wir vertrauen unseren Wissenschaftlern in der Europäischen Union, aber auch in unseren Einrichtungen, dem BfR und dem BVL. – Übrigens, BVL und BfR haben Sie eingerichtet, Frau Künast. – Diesen vertrauen wir, weil diese Experten nicht nur bei uns, sondern weltweit anerkannt sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Vorgehensweise unterscheidet uns wesentlich von Ihnen, die Sie aufgrund ideologischer Vorgaben meinen, Fakten ignorieren zu können und sich gewissen Verhaltensweisen in Übersee anschließen zu müssen. Die Wissenschaftler in der Europäischen Chemikalienagentur, ECHA, die Wissenschaftler in der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, und die Experten aller Mitgliedstaaten kommen einvernehmlich zu dem Ergebnis, dass der Wirkstoff Glyphosat keine gesundheitliche Gefährdung verursacht. Auf dieser Grundlage müssen wir eine Entscheidung treffen und nicht auf der Grundlage irgendwelcher Umfrageergebnisse oder Stimmungen, die Sie wahrzunehmen glauben. Ebenso ist der Antrag der Grünen „Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft“ zu bewerten. Auch da gilt: Ängste schüren hilft nicht; wir müssen vielmehr die Fakten betrachten. Man kann auch hier zu dem Schluss kommen, dass selbstverständlich alles getan werden muss, dass Bienen nicht gefährdet werden, aber es muss auch die Möglichkeit geben, zu unterscheiden und diese Mittel dort einzusetzen, wo eine Gefährdung nicht zu erwarten oder ausgeschlossen ist. Deswegen haben wir uns darüber hinaus in unserem Haus darauf verständigt, die Forschung über Pflanzenschutzmittel, die schonender sind, wesentlich zu erhöhen. 14,6 Millionen Euro haben wir seit 2014 dafür ausgegeben. Ich habe einen Förderbescheid für Maßnahmen erteilt, mit denen ganz gezielt durch Vergrellen und Anlocken im Obstbau Insektizide vermieden werden können. Ich hoffe sehr, dass die Forschung, die darüber betrieben wird, entsprechende Ergebnisse bringt. Dann brauchen wir andere Mittel nicht mehr einzusetzen, Stichwort „hormoneller Einsatz“. Wir haben gerade im Pflanzenschutz durch Digitalisierung eine Menge erreicht. GPS-gesteuert wird eine Überlappung bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln oder Dünger automatisch verhindert. Dadurch wird der Einsatz deutlich reduziert. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sinken die Mengen dann nicht?) – Das werde ich Ihnen gleich noch sagen, Herr Ebner. – Darüber hinaus haben wir Forschungsarbeiten gefördert, in denen untersucht wird, wie die Düngung sehr nah am Saatkorn ausgebracht werden kann. Wir fördern auch den ökologischen Landbau; auch das gehört dazu. Wir werden dafür die Mittel erhöhen. Nicht zuletzt sind wir gerade auf europäischer Ebene auch mit Ihren Parteifreunden einer Meinung, wenn es darum geht, eine Ökoverordnung auf den Weg zu bringen, die hilft. Lieber Herr Kollege Ebner, wir haben noch ein weiteres Thema in dieser Woche im Ausschuss besprochen. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wer den Pflanzenschutzeinsatz auf ökologischen Vorrangflächen bei großkörnigen Leguminosen verbietet, der muss auch die Konsequenzen tragen. Dann wird der Proteinimport eben wieder aus Übersee kommen, um die bei uns nicht erzeugten Mengen zu ersetzen. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein. Wir fördern den Eiweißpflanzenanbau in Deutschland mit immerhin zusätzlich 6 Millionen Euro. Insofern ist kontraproduktiv, was in Brüssel mithilfe Ihnen nahestehender Kollegen beschlossen worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben im letzten Jahr über 1 200 Forschungsprojekte gefördert, die die Nachhaltigkeit und die Biodiversität stärken sollen, um damit auch den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens nachzukommen. Ich will Ihnen, Herr Ebner, noch etwas sagen. Sie haben völlig recht: Der Pflanzenschutzmitteleinsatz ist in den letzten Jahren sehr unterschiedlich gewesen. In einigen Jahren ist er gestiegen, in anderen Jahren aber wieder gesunken. Das bedeutet doch nur eines: Die Landwirte setzen Pflanzenschutzmittel nur dann ein, wenn sie sie einsetzen müssen. Gerade im letzten Jahr haben Betriebe aus dem ökologischen Anbau mehrfach die Forderung erhoben, weil es eine hohe Feuchtigkeit gab, die Mittel weit über die vom BfR als zulässig erachteten Höchstmengen zu erhöhen. Das haben wir nicht gemacht, weil der Gesundheitsschutz für uns vorgeht. Ich schließe ab mit der Feststellung, dass die Grünen es immer noch nicht verstanden haben, ihre Ziele in der Agrarpolitik an die Realitäten anzupassen. Aber in einem Punkt sind sie auf einem guten Weg: Bei den Umfrageergebnissen nähern sie sich den 5 Prozent, aber von oben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte den zweiten Punkt, der hier heute zur Debatte steht, nämlich die Marktkonzentration im Agrarmarkt, zum Thema meiner Rede machen. Das ist aus Sicht der Linken ein besonders wichtiges und ernsthaftes Thema. Die Megafusion von Bayer und Monsanto ist eben nur ein Beispiel, wenn auch ein besonders bedrohliches, ehrlich gesagt. Die rasant wachsende Konzernmacht gibt es unterdessen aber auf allen Stufen der Lebensmittelproduktion. Sie ist eine sehr reale Bedrohung für die ortsansässigen Landwirtschaftsbetriebe. Zuerst verlieren sie direkt oder indirekt Agrarflächen an Agrarkonzerne, die in ebenso unsichtigen wie bestens vernetzten Strukturen bundes- oder auch weltweit agieren. Die inzwischen insolvente Heuschrecke KTG mit ihren über 90 Tochtergesellschaften ist nur ein Beispiel dafür. Dass nach ihrer Insolvenz die Flächen nicht wieder bei der ortsansässigen Landwirtschaft gelandet sind, sondern bei der nächsten Heuschrecke, sagt auch sehr viel über das falsche System. Das können wir doch nicht dulden. (Beifall bei der LINKEN) Aber auch beim Saatgut, bei Düngemitteln, beim Pflanzenschutz, bei Schlachthöfen oder bei Molkereien stehen die Landwirtschaftsbetriebe immer öfter einer Konzernübermacht gegenüber, die zunehmend mehr als der Gesetzgeber bestimmt, was auf Feldern und in Ställen passiert, vom Lebensmitteleinzelhandel einmal ganz zu schweigen. Hier kaschieren nur noch die unterschiedlichen Namen der Supermärkte, dass dahinter nur vier große Ketten stehen. Das ist doch eine bedenkliche Entwicklung und aus unserer Sicht, aus Sicht der Linken nämlich, ein Systemfehler. (Beifall bei der LINKEN) In der sogenannten freien Marktwirtschaft heißt das Erfolgsprinzip nicht soziale oder ökologische Verantwortung, sondern Maximalprofit um fast jeden Preis. Der wird unterdessen natürlich am leichtesten mit erpresserischer Marktübermacht durchgesetzt; das ist doch klar. Die Konzerne sind die Profiteure des Modells des bedingungslosen „Wachse oder weiche“, und das wird uns dann auch noch als Erfolg dargestellt. Aber auch ein Tumor wächst, und man würde nie auf die Idee kommen, das für gut zu befinden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verliererinnen und Verlierer dieses Systems sind wir alle; denn diese Konzerne sind doch keine gemeinnützigen Vereine. Deswegen sagt die Linke ganz klar: Ihnen dürfen wir nicht überlassen, was auf unseren Tellern landet. (Beifall bei der LINKEN) Ihr Geschäftsmodell nimmt die Ausbeutung von Mensch und Natur billigend in Kauf, und die Zeche dafür zahlen wir am Ende alle. Deshalb wollen wir Linken gerade bei der Versorgung mit Lebensmitteln keine erpresserische Abhängigkeit von Konzernen. Verlierer wäre übrigens auch die Politik, die erpressbar wäre von Strukturen, die „too big to fail“ sind, wie bei den Banken. Das wollen wir Linken verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Konzerne sollen nicht darüber bestimmen können, welche Lebensmittel wie produziert werden, was sie kosten und wer den Zugang zu ihnen hat. Die Konzernübermacht muss beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Vor ihr zu kapitulieren und beim Wachsen nur noch zuzusehen, ist aus unserer Sicht völlig unverantwortlich. Deswegen ist für uns als Linke hier Widerstand Pflicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen dafür ein breites Bündnis auf den Straßen und den Plätzen, aber auch in den Parlamenten. Die Megafusion von Bayer und Monsanto kann und muss verhindert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber es geht eben um mehr als diese Fusion. Wer eine Landwirtschaft will, die mit Respekt vor Mensch und Natur wirtschaftet und trotzdem von ihrer Arbeit leben kann, darf sie nicht von Gewinnen und Aktienständen von Konzernen abhängig machen. Das gilt ausdrücklich weltweit; denn die Folgen dieser Konzernübermacht sind in den ärmeren Regionen der Welt noch viel verheerender als bei uns. Insofern greift aus unserer Sicht der Antrag der Grünen zu kurz; denn die Kritik an der Megafusion von Bayer und Monsanto, von Dow und DuPont, von ChemChina und Syngenta darf sich nicht auf die Folgen für Umwelt und Ernährungssouveränität beschränken. Es müssen auch die sozialen Folgen thematisiert werden, wie etwa die wachsende Armut aufgrund existenzieller Abhängigkeit von solchen Strukturen. Das gilt nicht nur, aber eben auch für die Landwirtschaft. Zum Pflanzenschutz, dem zweiten Thema dieser Debatte. Ja, die besonders bienengefährlichen Wirkstoffgruppen, wie zum Beispiel Neonikotinoide, müssen aus linker Sicht verboten werden. (Beifall bei der LINKEN) Aber Pflanzenschutzmittel sind nur ein Teil des Problems; denn die Bestäuber und ihre wildlebenden Verwandten haben mehr Probleme als Pflanzenschutzmittel. Sie sind nicht nur besonders wichtig, weil sie die Nutzpflanzen bestäuben, sondern auch, weil sie eine sehr wichtige ökologische Rolle spielen. Deswegen ist es auch im Interesse der Landwirtschaft selbst, eine insektenfreundliche Bewirtschaftung der Flächen vorzunehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rainer Spiering [SPD]) Dabei geht es wirklich nicht nur um die Honigbiene, sondern auch um die wildlebenden Bestäuber. Wir brauchen also eine insektenfreundliche Landwirtschaft. Viele Betriebe sind da längst auf dem Weg mit Blühstreifen, mit Randgestaltungen von Feldern, von Wäldern und von Gewässern – dies übrigens, obwohl auch manche hier in diesem Saal es immer noch ignorieren, dass wir da ein Problem haben. Aber wir müssen die Betriebe bei diesen Maßnahmen besser unterstützen. Wir müssen ihnen die Maßnahmen dann auch erleichtern, und zwar aus unserer Sicht auch durch mehr Forschung. Denn am Ende steht die Aufgabe – das ist eigentlich die spannende Debatte –, dass Insektenfreundlichkeit und Ertragssicherung nicht gegeneinander stehen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Rita Hagl-Kehl für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Rita Hagl-Kehl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lebensmittelsicherheit ist wohl eine der wichtigsten und dringendsten Aufgaben des Verbraucherschutzes. Es stimmt, dass wir mehr Sicherheit und mehr Schutz der Umwelt und der Gesundheit durch innovative Landwirtschaft, technologische Entwicklungen und strenge Regularien in Deutschland erreicht haben. Trotz dieses Fortschritts müssen die stetig steigenden Ansprüche der Verbraucher berücksichtigt werden. Sie wollen gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel. Der Verbraucher will auch nachhaltige und umweltschonende Produktionsweisen. (Zuruf von der CDU/CSU: Und billiger!) Eine Studie bestätigt, dass 60 Prozent der Deutschen durch die Rückstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln beunruhigt sind. Es ist also nicht so, wie es der Herr Staatssekretär vorhin angedeutet hat, dass wir erst die Menschen verunsichern. (Beifall bei der LINKEN) Diese Ansprüche sind auch ein Schwerpunkt der Arbeit der sozialdemokratischen Agrarpolitik. Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, wir wollen aber auch eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, und wir wollen gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel, die in Deutschland wettbewerbsfähig produziert werden können. Außerdem ist für uns die Biodiversität natürlich ein wichtiger Faktor, der nicht zu vernachlässigen ist. Wie ist jetzt die Situation? Wir haben wirklich einen intensiven Einsatz von Pestiziden. Wir haben überschrittene Höchstrückstandswerte in Gewässern. Die Kosten trägt der Verbraucher, der für sein Trinkwasser entsprechend mehr bezahlen muss. Wir haben überschrittene Höchstrückstandswerte in Lebensmitteln. Auch wenn die Rückstandsschwellen hochgesetzt werden, ist das nicht zu vernachlässigen. Wahrscheinlich hätten wir dann, wenn das nicht passieren würde, noch viel höhere Rückstandswerte. Wir haben Schäden an Bienen und Wirbeltieren. Wie die Kollegin Frau Dr. Tackmann bereits gesagt hat, ist die Biene eines der wichtigsten Tiere auch in der Landwirtschaft; ich glaube, sie wird in Deutschland als drittwichtigstes angesehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Deshalb dürfen wir die Gesundheit der Bienen nicht gefährden. Die Biene ist aber nicht nur durch die Varroamilbe gefährdet, sondern die Tiere, die dann eben schon geschwächt sind, sterben viel leichter an der Varroamilbe. Ich möchte keine Zustände wie in China, dass wir dann mit irgendwelchen Stäbchen umherlaufen und die Bäume besamen müssen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Blüten bepinseln!) – Ja, Blüten bepinseln, okay. Wir haben eine steigende Abnahme der biologischen Vielfalt in Deutschland. Das ist wirklich sehr erschreckend. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Deswegen ist der Pflanzenschutzmitteleinsatz dringend zu reduzieren. Wie kann man das tun? Man muss wieder vermehrt auf ackerbauliche Alternativen setzen, (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) und diese Alternativen – auch wenn sie mehr kosten als der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – werden zum Beispiel auch vom JKI, vom Julius-Kühn-Institut, empfohlen. Die konventionellen Pestizide sollen nach Möglichkeit – diese Möglichkeiten bestehen oft – durch biologische Pflanzenschutzmittel ersetzt werden. Wir brauchen eine konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung des bereits vorher genannten Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und den Umgang damit. Bisher sind die Ergebnisse noch sehr spärlich. Aber daran muss man konsequent weiterarbeiten. Wir brauchen eine stärkere und gezielte Förderung von sicheren Alternativen. Dafür müssen die Fördermittel bereitstehen. Da nehmen wir den Herrn Staatssekretär gern beim Wort, der gesagt hat: Es gibt genügend Fördermittel. Wir brauchen auch eine Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen. Der Herr Minister hat einmal das 20-Prozent-Ziel in den Raum gestellt. Ich habe noch nicht bemerkt, dass wir es zum Ende der Legislaturperiode erreicht haben. Also sind wahrscheinlich die Anstrengungen noch zu gering. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier stimme ich auch nicht mit der Pressemitteilung vom Chef des Bayer-Konzerns, Herrn Baumann – es geht auch um Monsanto und Bayer –, überein, der sagt: Durch die ökologische Produktion können wir die Welt nicht mehr ernähren. – Das ist für mich – tut mir leid – geringer Schwachsinn; (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) denn wir müssen die Welt nicht ernähren, sondern wir müssen die anderen Länder befähigen, sich selbst zu ernähren. Es kann nicht alles nur von Deutschland ausgehen, sondern wir brauchen auch Produktion in anderen Ländern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit einem 20-Prozent-Ziel wird die Welternährung bestimmt nicht gefährdet, aber wir hätten viel für unser Land erreicht. Positiv zu bewerten ist auch das Umdenken, das in der Gesellschaft und in der Wirtschaft sowie in der Agrarpolitik bereits stattfindet. Die EU-Kommission beabsichtigt, drei der meistverwendeten Neonikotinoide zu verbieten – ein Schritt in die richtige Richtung. Das EU-Parlament hat beschlossen, dass Pestizide auf ökologischen Vorrangflächen nicht mehr verwendet werden dürfen. Da stimme ich auch nicht mit dem Herrn Staatssekretär überein: Für mich ist es ein Widerspruch in sich, wenn man auf ökologischen Vorrangflächen, für die es Fördermittel gibt, Pflanzenschutzmittel, Pestizide ausbringt. (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Eiweißproduktion!) – Die Eiweißproduktion kann bestimmt nicht von den ökologischen Vorrangflächen abhängig gemacht werden. Das müsste man auf eine breitere Basis stellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das muss man dem Staatssekretär noch mal erklären!) Bei der Glyphosat-Zulassung sprechen wir auf EU-Ebene mittlerweile nicht mehr von 15 Jahren, sondern nur mehr von 10 Jahren, und es ist eine Einschränkung der Anwendung in der Nähe von Spielplätzen und Parks geplant. Wir haben dem Herrn Minister schon vor langer Zeit vorgetragen, dass man dieses Mittel auf kommunaler Ebene verbieten kann. Man kann es für die privaten Anwender verbieten. Es muss wirklich nicht sein, dass jeder Schrebergärtner mit Glyphosat arbeitet. Das gilt auch für die Bahn innerorts. Wir haben die Vorschläge gemacht. Vom Ministerium ist auf diese Vorschläge nicht eingegangen worden, obwohl andere Länder wie zum Beispiel die Niederlande – die sind bekanntlich auch in der EU – es bereits so machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Monsanto verkauft neuerdings sein Mittel Roundup, das eigentlich das Glyphosat-Urmittel war, sogar ohne Glyphosat. Es geht also anscheinend. Es ist zwar ein sehr hoher Preis, der jetzt für Essig verlangt wird, aber wenn man auf dem richtigen Weg ist, ist das nicht verkehrt. Dem, dass die Wissenschaft bei Glyphosat zu einem einstimmigen Ergebnis gekommen ist, kann ich nicht zustimmen, weil das Krebsforschungsinstitut der WHO – da sind bestimmt renommierte Wissenschaftler – ein anderes Ergebnis erzielt hat. Gleichzeitig muss man sagen: Wenn Studien nicht veröffentlicht werden, dann schränkt man die Wissenschaft ein; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn ein Wissenschaftler kann nur mit veröffentlichten Studien arbeiten. Was hier gemacht wird, das ist – das sage ich, auch wenn ich „nur“ Geisteswissenschaftlerin bin – eine Einschränkung der Wissenschaft; denn wenn die Quellen nicht vorliegen, kann man nicht bewerten, ob das, was hier gemacht wurde, stimmt oder nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun zu einem Punkt, der bei Pflanzenschutzmitteldiskussionen auf keinen Fall fehlen darf, und das ist unsere Kritik auch an dem Antrag der Grünen. Man hat das Zulassungsproblem, das wir in Deutschland mittlerweile haben, nicht bedacht. Wenn wir neue Wirkstoffe und Alternativen wollen, dann brauchen wir auch eine gute Zulassungsquote. Die ist bei uns momentan sehr schlecht. Wir haben ein EU-Audit vom Jahr 2016. Bei uns liegt die Zahl der benötigten Tage für eine Zulassung bei 757. Vorgegeben von der EU sind eigentlich 120 Tage. Das schränkt natürlich viel ein. Die Erklärung war von der Presse und der Wirtschaft sowie unserem Koalitionspartner schnell gefunden: Das UBA, also das Umweltbundesamt, ist schuld. – Nur: Diese Erklärung greift etwas zu kurz; denn erhebliche Verfristungen entstehen auch in anderen Behörden. Die Hälfte der Verfristungen entsteht zum Beispiel beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Tatsächliche Ursache für die Verzögerung sind eher die hohen Antragszahlen. Die meisten Firmen versuchen eben, ihre Wirkstoffe in Deutschland zuzulassen, weil wir hier sehr strenge Kriterien haben. Deswegen ist eine Zulassung in Deutschland in diesem System die sichere Gewähr dafür, dass ein Wirkstoff auch in anderen Ländern zugelassen wird. Wir haben ständig wachsende Anforderungen, die ja auch irgendwo ihre Berechtigung haben, die aber natürlich die Zulassung verzögern. Oft werden auch die Auflagen von der federführenden Behörde, in diesem Fall dem BVL, nicht akzeptiert, zum Beispiel wenn sie vom UBA kommen. Die SPD sieht hier dringenden Handlungsbedarf. Die Zulassungsverfahren müssen auf jeden Fall verbessert werden. Wir brauchen mit Blick auf das UBA die Beibehaltung der Einvernehmensfunktion. Wir brauchen aber auch eine Bündelung der Untersuchungen bei den zuständigen Behörden, und wir brauchen mehr Personal, nicht nur beim UBA, sondern bei allen Behörden, die mit diesem Thema befasst sind. Die Anträge der Grünen enthalten viele Forderungen, die die SPD-Bundestagsfraktion als richtig und wichtig einschätzt. Aber wir werden den Anträgen trotzdem nicht zustimmen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert mich jetzt gar nicht!) Das Problem der Zulassung – es fehlt in dem Antrag – habe ich bereits genannt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hättet ihr halt einen Zusatzantrag gestellt!) Außerdem können wir bei Glyphosat nicht sofort den Hebel umlegen. Vielmehr brauchen wir einen Ausstiegsplan. Die Landwirte müssen Verlässlichkeit haben. Im Vorfeld muss natürlich auch eine bessere Beratung stattfinden. Wir haben gleichzeitig einige der Forderungen, die hier gestellt wurden, bereits berücksichtigt. Das betrifft zum Beispiel die Thematik der Neonikotinoide oder den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, der ausgebaut und weiterentwickelt werden muss. Auf Drängen der SPD wurden die Haushaltsmittel für die Forschung zum integrierten Pflanzenschutz 2017 bereits erhöht, genauso wie auf Drängen der SPD auch die Forschungsmittel für den Ökolandbau im Haushalt erhöht wurden. Ich sage herzlichen Dank und hoffe, dass wir hier weiterhin auf einem guten Weg sein werden. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ingrid Pahlmann hat als nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns alle in unserer politischen Arbeit dafür einsetzen, Mensch und Umwelt zu schützen. Die Frage ist, wie man das tut und mit welcher Herangehensweise. Eine pauschale Pflanzenschutzmittelreduktion, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ist für mich definitiv nicht der richtige Weg. Auch für uns steht der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher an erster Stelle. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland unterliegt strengen Kriterien. Sie ist sicher verbesserungsbedürftig, besonders was die Dauer der Anerkennungsverfahren betrifft; Frau Hagl-Kehl hat es schon erwähnt. Bei den Zulassungsbehörden stauen sich die Anträge. Die Resistenzbildung aufgrund fehlender Alternativen ist das Problem, das wir im Bereich der Pflanzenschutzmittel haben. Aber die Intention Ihres Antrags ist eine andere. Der Antrag dient der Instrumentalisierung grüner agrarpolitischer Ziele. Sie verunsichern wieder einmal Verbraucherinnen und Verbraucher, indem Sie Horrorszenarien an die Wand malen. Sie reden von Pestiziden, von Ackergiften, der Verunreinigung von Wasser, Böden und Lebensmitteln und bedienen sich dabei äußerst fragwürdiger Statistiken über den Anstieg des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Eine Statistik hat es immerhin schon in die Rubrik „Unstatistik des Monats“ geschafft. Das ist auch eine Auszeichnung. Noch einmal: Wir haben die sichersten Lebensmittel weltweit. (Beifall bei der CDU/CSU) Selbstverständlich müssen Pflanzenschutzmittel ausreichend reguliert werden. Aber das werden sie auch. Wir haben in Deutschland und in Europa eines der strengsten Regulierungssysteme der Welt. Diesen hohen Standard wollen wir von der Union beibehalten. Sicherheit und Qualität sind für die CDU/CSU grundsätzlich elementare Faktoren, auch in der Nahrungsmittelversorgung. Das scheint mir bei Ihnen gar kein Thema zu sein. Ohne chemische Pflanzenschutzmittel sind sowohl die Sicherheit als auch die Qualität unserer Nahrungsmittel, die uns allen so absolut selbstverständlich erscheinen, definitiv nicht zu erreichen; das muss jedem klar sein. Pflanzenschutzmittel werden zum Schutz der Pflanze angewendet. Sie verweisen in Ihrem Antrag auf die Pestizidaktionspläne in anderen Ländern. Gern möchte ich Ihnen an dem konkreten Beispiel Dänemark begründen, warum es so einfach eben nicht ist. Dänemark hat bereits 1987 ein Reduktionsprogramm für den chemischen Pflanzenschutz aufgelegt. Die verwendete Menge an Pflanzenschutzmitteln bzw. die Zahl der Anwendungen sollte danach halbiert werden. Das ambitionierte Ziel wurde jedoch verfehlt. Der angestrebte Behandlungsindex konnte nicht erreicht werden. Seit dem Jahr 2000 steigt auch die Behandlungshäufigkeit in Dänemark wieder kontinuierlich an. Trotzdem gilt der dänische Aktionsplan bei vielen immer noch als Vorbild für eine europäische Regelung. Dabei wurde in Dänemark durch die Reduktion von Pflanzenschutz und Düngung nur eines erreicht: Die Dänen müssen nun qualitativ hochwertigen Brotweizen importieren, weil sie nicht in der Lage waren, mit diesen Reduktionsvorgaben Qualität zu produzieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei Ihrem Antrag zum Bienenschutz bin ich theoretisch bei Ihnen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Theoretisch!) Auch uns liegt das Thema sehr am Herzen, und wir haben dasselbe Ziel vor Augen: die Erhaltung dieser so wichtigen Art. Rund 80 Prozent unserer Pflanzen müssen bestäubt werden, um Ernten zu erhalten. Deswegen kämpfen wir schon lange für den Bienenschutz. Bereits im Sommer 2015 wurde von unserem Bundeslandwirtschaftsminister eine Eilverordnung erlassen, die Bienen von neonikotinoidhaltigem Staub schützen soll. Aus dieser wurde dann ein dauerhaftes Verbot. Einfuhr und Aussaat von Saatgut, das mit in Deutschland nicht zugelassenen Neonikotinoiden behandelt wurde, sind ausnahmslos verboten. Ich finde, das ist ein Erfolg für den Bienenschutz. Aber auch hier tun Sie so, als ob die Landwirtschaft allein für den Rückgang der Bienen verantwortlich wäre. Auch das kann man so nicht stehen lassen. In den vergangenen Jahren sind zum Beispiel die Bienenvölker durch Züchtung – hin zu mehr Ertrag und geringerer Aggressivität – anfälliger gegenüber Krankheiten, Viren und Parasiten geworden. Auch der an sich sehr schöne Anstieg im Bereich der Hobbygärtner, die leider nicht alle organisiert und beim Veterinäramt gemeldet sind, erschwert bei Krankheitsausbrüchen die gezielte Behandlung der Völker und stellt so ein hohes Risiko für andere Bienenvölker dar. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gärtner oder Imker?) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, so einfach, wie Sie die Welt darstellen möchten – an allem Übel sind die Landwirte mit ihren Handlungen Schuld –, ist die Welt nicht. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das mit der Wissenschaftsbasis? Hören Sie doch einmal auf die Wissenschaft!) Es gibt eben viele verschiedene Faktoren, die auf Abläufe Einfluss nehmen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts hören, nichts sehen!) Wir von der Union stehen für Wissenschaftlichkeit, wenn es um den größtmöglichen Schutz von Mensch, Tier und Umwelt geht. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie drücken sich doch vor der Realität!) Unverantwortlich ist allerdings das politisch motivierte Hochpuschen von Risiken, die so nicht vorhanden sind. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer Augen zu!) Die Stärkung von Forschung und Entwicklung zur Produktion zielgenauerer und noch umweltfreundlicherer Produkte liegt im Interesse von uns allen; da müssen wir dranbleiben. Den Aufwuchs in diesem Bereich hat Peter Bleser genannt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr seid die Sachwalter des Vorsorgeprinzips!) Allerdings ist angemessener Pflanzenschutz für die Ernährung von über 7 Milliarden Menschen auf dieser Welt unverzichtbar. Wir von der CDU/CSU-Fraktion arbeiten weiter an konkreten Lösungen für konkrete Probleme. An reiner Stimmungsmache werden wir uns nicht beteiligen und deshalb Ihren Antrag ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Verständnis, dass ich keine Zwischenfragen zulassen werde. Wir hängen schon um 90 Minuten. Das jetzige Debattenende ist um 0.45 Uhr. Realistischerweise wird man noch einige Minuten hinzurechnen müssen. Deshalb bitte ich um Verständnis. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Zeitnot ersetzt nicht die Demokratie!) Katharina Dröge hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kollegen von der CDU, die Mehrheit der Redner und Rednerinnen hier im Raum hat erkannt, welche Probleme der hohe Pestizideinsatz in der Landwirtschaft verursacht. Es hat mich nicht überrascht, dass Sie nicht zu diesen Menschen gehören, die das erkannt haben. Was mich allerdings wirklich überrascht hat, ist, dass es ein Thema gibt, das Sie und Herr Bleser in Ihren Reden komplett ignoriert haben. Das ist das, was auf dem Markt für Agrochemiekonzerne passiert. Was wir dort erleben, ist eine gigantische Fusionswelle in einem Ausmaß, das wir bislang noch nicht beobachten konnten. Die größten der Großen – Bayer, Monsanto, Syngenta, ChemChina, Dow und DuPont – fusionieren gerade miteinander. Ihnen ist das noch nicht mal eine Erwähnung wert. Das wundert mich schon. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das, was im Bereich für Pestizide und Saatgut passiert, ist ein gigantisches Anwachsen von Marktmacht. Wenn eine Handvoll Unternehmen zwei Drittel des Marktes für Pestizide und Saatgut dominiert, dann ist das ein Problem, mit dem Sie sich beschäftigen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was ist die Folge? Bauern werden von den gigantischen Konzernen unter Druck gesetzt: sowohl beim Angebot als auch bei den Preisen. Beim Angebot setzen die Konzerne auf Totalherbizide wie Glyphosat. Es gibt weniger Innovationen im Markt. Das belegen Studien. Es wird am Ende auf Monokulturen hinauslaufen im Bereich des Saatgutes. Am Ende bedroht die Marktmacht dieser Agrochemiegiganten sogar die Ernährungssouveränität ganzer Volkswirtschaften. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Insofern ist es für uns ein Handlungsauftrag, uns die Fusionskontrolle auf europäischer Ebene ganz genau anzuschauen, und zwar nicht nur aus den wettbewerbspolitischen Gründen, aus denen wir als grüne Bundestagsfraktion sagen, dass die Fusion sowieso untersagt werden müsste. Wir haben bei den Fusionen, die jetzt schon genehmigt wurden, gesehen, dass die Kommission die Fusionen durchwinkt. Deswegen sagen wir: Wenn eine Fusion in so einem Ausmaß Umweltschutzaspekte betrifft, wie es im Agrochemiebereich der Fall ist, dann müssen Aspekte des Umweltschutzes gleichwertig neben der Fusionskontrolle und den Wettbewerbsaspekten stehen. Dazu haben wir als grüne Bundestagsfraktion ein Rechtsgutachten vorgelegt. Wir als Bundestagsfraktion haben Sie zigmal dazu befragt, was Sie dafür tun, ob Sie nach Brüssel gehen, ob Sie gegebenenfalls klagen wollen. Sie haben kein einziges Mal darauf geantwortet. Sie haben dieses Problem überhaupt nicht auf dem Schirm. Deshalb ist es notwendig, dass es heute eine klare Stellungnahme des Deutschen Bundestages gibt. Denn es geht um nicht weniger als unsere Gesundheit und unsere Ernährung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte zeigt uns einmal mehr: Hier hat eine Partei nicht Angst vor irgendwelchen Pflanzenschutzmitteln, sondern vor der Fünfprozenthürde. (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) In den Anträgen wird wieder ein Weltuntergangsszenario beschrieben, das so nicht zutrifft. Welche Aufgabe haben wir eigentlich in der Zukunft, meine sehr verehrten Damen und Herren? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vizevorsitzende des Umweltausschusses!) Wir haben in der Zukunft die Aufgabe, 10 Milliarden Menschen auf dieser Welt zu ernähren. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und Ihnen eine gesunde Welt zu hinterlassen! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lesen Sie mal den TAB-Bericht zu dieser Frage!) Nach wie vor stirbt alle zehn Sekunden ein Kind den Hungertod, und wir diskutieren hier darüber, wie wir die Produktion unserer Landwirtschaft reduzieren, wie wir sie nach unten fahren. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir wollen sie besser machen und gesünder und ressourceneffizienter und nachhaltiger, Herr Kollege! Nachhaltiger!) So kann es nicht gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben hier schon oft über Glyphosat diskutiert. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch gar nichts verstanden! Gar nichts!) Ich will gar nicht groß darauf eingehen; aber ich empfehle jedem, die bekannte Menge von 1 000 Litern Bier pro Tag zu genießen – erst in dieser Menge ist das darin enthaltene Glyphosat gefährlich – und das drüben im Biergarten zu machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, kürzlich gab es eine Diskussion im Europäischen Parlament, auch getrieben von dieser Angst und der Hysterie darum, keine Pflanzenschutzmittel mehr auf die ökologischen Vorrangflächen auszubringen. Wir haben mit den entsprechenden Greeningmaßnahmen erreicht, dass in Europa 1,4 Millionen Hektar Eiweißpflanzen regional angebaut werden, dass mit diesen 1,4 Millionen Hektar Eiweißpflanzen regionale Eiweißversorgung stattfindet. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie das nicht auf den regulären Ackerflächen?) Was ist jetzt die Folge? Die Umweltorganisationen in Südamerika schlagen Alarm: Jetzt wird noch mehr Regenwald gerodet. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nun völliger Quatsch! Das ist lächerlich! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das erzählen Sie wider besseres Wissen!) Diese Regenwaldrodungen haben Sie zu verantworten, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, Mann, Mann! Peinlich ist das! Peinlich!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird hier auch sehr viel über Marktkonzentration gesprochen. Das bewegt mich auch. Gerade heute Mittag wurde eine Molkerei in meinem Wahlkreis von einem französischen Molkereikonzern übernommen. Da müssen wir fragen: Warum ist es so weit gekommen? Warum haben wir hier nicht besser reagiert? Stattdessen wird hier nach der Übernahme von Monsanto durch Bayer ständig ein Angstszenario schon fast zelebriert. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist das gleiche System!) Zur gleichen Zeit, zu der Bayer Monsanto übernommen hat, wurde ein anderer Chemiekonzern von den Chinesen übernommen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat die Kollegin angesprochen! Nicht zugehört, Herr Kollege, oder was? – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht auch in dem Antrag! Müssen Sie mal lesen!) Ich möchte fragen: Wäre es zu dieser Betroffenheit gekommen, wenn Monsanto von den Chinesen übernommen worden wäre? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo! Nicht zugehört, oder was? Die Kollegin hat von ChemChina gesprochen! Hallo! Zuhören! Was für eine Ignoranz!) Nein, keine Aktuelle Stunde – alles wäre gut gewesen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine Ignoranz!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen in Zukunft – ich bin hier unserem Bundeslandwirtschaftsministerium sehr dankbar – nach wie vor verantwortungsbewusst mit den Möglichkeiten im Pflanzenschutz umgehen. Gerade unsere deutsche Landwirtschaft, unsere gut ausgebildeten Bäuerinnen und Bauern machen das, und deshalb müssen wir an dieser Stelle Respekt vor der Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin dankbar, dass wir mit einzelnen Forschungsvorhaben unsere Landwirtschaft weiter modernisieren und damit auch nachhaltiger gestalten. Eine nachhaltige Landwirtschaft ist auch die Grundlage dafür, dass wir die Megaherausforderung der Welternährung bewerkstelligen. Wir dürfen auch nicht das Thema Klimawandel aus dem Blick verlieren. Wir haben heute im Bundestag schon über Klimawandel diskutiert. Der Klimawandel wird ganz neue Herausforderungen an unsere landwirtschaftliche Produktion stellen. Deshalb brauchen wir moderne Produktionsverfahren, und die kann es nur mit einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft und mit den mit ihr verbundenen landwirtschaftlichen Organisationen geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sollten weniger darüber diskutieren, was wir alles zu verbieten haben, und wir sollten weniger darüber diskutieren, was alles schlecht ist auf der Welt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Bienensterben, Vogelsterben, Insektenverluste! Kein Thema für euch! Für den stellvertretenden Vorsitzenden des Umweltausschusses! So ein Armutszeugnis!) Vielmehr sollten wir darüber diskutieren, welche Lösungsansätze wir finden können, um die große Herausforderung der Welternährung anzunehmen und um unsere eigene deutsche Landwirtschaft, die Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern weiter zu unterstützen. Unser Bundeslandwirtschaftsministerium macht das, unsere Fraktion auch, und ich hoffe, auch die Kolleginnen und Kollegen hier im Hause. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umwelt und Ökologie, das ist ein Fremdwort für den Kollegen!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen über die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 14 a und 14 b. Interfraktionell wird die Überweisung dieser Vorlagen auf den Drucksachen 18/12382 und 18/12384 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 37 f. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12797 mit dem Titel „Marktkonzentration im Agrarmarkt stoppen – Artenvielfalt und Ernährungssouveränität erhalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf: a)    – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Drucksachen 18/12038, 18/12379, 18/12641 Nr. 1.1 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR ergangenen Unrechtsurteile Drucksache 18/10117 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12786 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12828 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Individuelle und kollektive Entschädigung für die antihomosexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten Drucksachen 18/10118, 18/12786 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen. Als erster Redner in dieser Aussprache hat Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige Debatte über Antisemitismus hat mich dazu verleitet, noch einmal nachzulesen, was am 8. Mai 1985 unser ehemaliger Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1945 sagte, nämlich dass dies der Tag der Befreiung war: der Befreiung vom Joch einer gewählten Diktatur, der Befreiung von menschenverachtender Ideologie und der Befreiung von Naziherrschaft, doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht für alle Menschen in diesem Land, nicht für Menschen, deren einziges Schicksal es war und ist, das Normalste, das Beste, das Menschen geschehen kann, zu tun, nämlich Zuneigung zu zeigen, sich zu lieben. Ich jedenfalls habe nie verstanden, wie die junge Bundesrepublik Deutschland, gerade wieder aus dem dunklen Tal des Nationalsozialismus in einer freiheitlichen Gesellschaft angekommen, allen Erkenntnissen zum Trotz und ohne Scham genau das gleiche schändliche Treiben fortgesetzt hat, von dem das Land erst kurz zuvor befreit wurde. Dass dies dann auch noch unter den Augen und mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts, genau dem Gericht, das eigentlich die höchste Instanz des Rechtsstaats sein sollte, das den Schutz und die Würde des Menschen, wie es in Artikel 1 des Grundgesetzes steht, sicherstellen sollte, macht mich auch heute noch fassungslos; denn das Gegenteil war der Fall. Gerade das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat es legitimiert, ja hat es ermöglicht, dass ein wütendes Schnüffeln der Strafverfolgungsbehörden ausgelöst wurde, Razzien durchgeführt wurden, massenhafte Verhaftungen stattgefunden haben, es zu Verurteilungen gekommen ist, Menschen ihre Existenz verloren haben, berufliche Existenzen zerstört, Familien vernichtet, Menschen ruiniert wurden. Unzählige unbescholtene Bürger dieses Landes wurden in Verzweiflung getrieben, einige begingen Selbstmord. Wie viele dies im Einzelnen sind, wissen wir heute nicht mehr. Bei der Replik dessen dachte ich mir: Sollte der ideologisch verseuchte Arm des Jahres 1933, als dieses unsägliche Gesetz geschaffen wurde, wirklich so weit reichen? Und doch sollte es nach von Weizsäckers Rede noch 32 Jahre dauern, bis dieses himmelschreiende Unrecht in Deutschland aufgehoben wurde. Nicht so – das sage ich auch, meine Kolleginnen und Kollegen –, wie ich mir das gewünscht hätte: endlich auch mit der Anerkennung gleicher Rechte für homosexuelle und heterosexuelle Menschen, mit gleicher Schutzaltersgrenze, mit nichts anderem als der Beendigung der Diskriminierung. (Beifall bei der SPD) Doch dies war mit unserem Koalitionspartner auch 62 Jahre nach dem Tag der Befreiung nicht zu machen; denn offensichtlicher als das, was uns jetzt zur Entscheidung vorliegt, kann Ungleichbehandlung nicht sein. Ich habe mich persönlich mit vielen anderen – unter ihnen Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstelle, unser Bundesminister Heiko Maas, Johannes Kahrs, Eva Högl und viele in der Sozialdemokratie und in der Community – über Jahre hinweg eingesetzt, um dieses Unrecht endlich anzuerkennen und zu beseitigen. Und was wird geschaffen? Neues Unrecht, neue Diskriminierung. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Blödsinn!) Es wurde nämlich mit der Rehabilitierung von Männern, deren Partner mindestens 16 Jahre alt waren, eine neue Diskriminierung geschaffen; denn das Sexualstrafrecht für Heterosexuelle sieht Straffreiheit bei einvernehmlichem Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen ab 14 Jahren vor. Zwei Strafrechte, zwei Gesetzbücher – seltsam. Mich macht es nur ärgerlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Doch, meine Kolleginnen und Kollegen, den heutigen Tag lauthals als zynische Rehabilitierung zu bezeichnen, wie manche Gazetten dies machen, von vergifteter Wiedergutmachung zu sprechen, das ist – das sage ich – der Sache nicht angemessen. Genau die Kompromisslosigkeit, die diese Schreiber an den Tag legen, ist in Wirklichkeit zynisch; denn sie, die Kompromisslosen, nehmen in Kauf, dass täglich weitere Opfer sterben, dass die Betroffenen nicht in Würde und versöhnt mit ihrem Vaterland sterben können. Und zwar für was? Vielleicht für politischen Landgewinn, für eine höhere Auflage. Ich finde das persönlich einfach nur schäbig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU] – Manfred Grund [CDU/CSU]: Wen meinen Sie denn jetzt?) Ich hätte mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb aber auch gewünscht, dass außer diesem Hohen Hause, dem Deutschen Bundestag, auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts im Laufe der Jahre Größe gezeigt hätten, indem sie nämlich eingestanden hätten, dass auch Richter irren können, dass Fehler möglich sind, dass Fehler, die man gemacht hat, nicht schlimm sein müssen, sondern man sich dafür entschuldigen kann. Doch dazu ist bis heute leider noch nichts gekommen; aber vielleicht ist die Zeit hierfür noch nicht reif. Heute danke ich deshalb im Wesentlichen jemandem aus der Sozialdemokratie, der in der Bundesrepublik Deutschland begonnen hat, dieses Unrecht aufzuheben, jemandem, der von vielen schon vergessen wurde, nämlich unserem ehemaligen Justizminister und Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Ohne ihn und seine Initiativen wären auch wir, die wir alles darangesetzt haben, die Diskriminierung immer mehr zu beenden, nicht da, wo wir jetzt sind. (Beifall bei der SPD) Wir sind noch nicht am Ende. Ich nenne die Ehe für alle, Adoptionsrecht, Finanzierung des Aktionsplans gegen Trans- und Homophobie. Wir haben noch viel zu tun. Wir packen es an, und wir setzen dies auch um. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Harald Petzold hat für die Fraktion Die Linke als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschließen heute das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung von schwulen Männern, die nach dem 8. Mai 1945 nach dem § 175 des Strafgesetzbuches für einvernehmliche sexuelle Handlungen verurteilt worden sind. Es ist ein Gesetz, das überfällig ist, weil es Tausenden schwulen Männern, die zu Unrecht verurteilt worden sind – der Kollege Brunner hat es genannt –, endlich Gerechtigkeit widerfahren lässt, indem die Urteile aufgehoben werden und eine symbolische Entschädigung gezahlt wird. Es ist ein Gesetz, dessen Auswirkungen leider Tausende Betroffene schon nicht mehr miterleben können, weil sie inzwischen verstorben sind, und das trotzdem wichtig ist, weil es den Lebenden sozusagen deutlich macht, dass ihr Leiden und ihr Kampf um Gerechtigkeit eben nicht umsonst gewesen sind und dass wir in der Lage sind, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein Gesetz, das vielen in diesem Haus, vielleicht sogar – so möchte ich es sagen – fast allen, die heute hier im Saal sitzen und an der Diskussion teilnehmen, ein Herzensanliegen ist. Ich habe allen Grund, den Dank, den ich in meinem Beitrag zur ersten Lesung an alle gerichtet habe, zu wiederholen und insbesondere die Kollegin Zollner noch einmal persönlich herauszuheben, weil sie in der Fachpresse als Einzige derjenigen, die ganz aktiv mitgewirkt haben, eben nicht genannt worden ist, was nicht so ganz in Ordnung ist. Wenn sich alle so verhalten hätten wie die genannte Kollegin, vor allen Dingen in der CSU, dann hätten wir ein faireres Verfahren gehabt, und ich hätte möglicherweise keinen Grund, heute auch eine Kritik vorzutragen. Zu der muss ich leider später noch kommen; das hat auch die Kollegin Zollner nicht verhindern können. Ich will die Danksagung gern auch noch auf diejenigen Kolleginnen und Kollegen aus den vergangenen Legislaturperioden erweitern, die ebenfalls viele Jahre mit dafür gekämpft haben, dass es heute dieses Gesetz gibt. Ich denke an Barbara Höll und an Christina oder jetzt Christian Schenk von der Linken, ich denke an Christine Scheel, ich denke an Margot von Renesse, ich denke an Jörg van Essen. All diese Kolleginnen und Kollegen haben ja ebenfalls in den vergangenen Jahren mit dazu beigetragen. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber leider – dieses Wasser in den Wein kann ich Ihnen leider nicht ersparen – ist der vorliegende Gesetzentwurf auch zum Gegenstand eines aus meiner Sicht sehr unwürdigen Schachers gemacht worden, vor allen Dingen innerhalb der Koalitionsfraktionen. So ist es leider passiert, dass durch einen Änderungsantrag – der Kollege Brunner hat es hier vorgetragen – neues Unrecht geschaffen worden ist. Bundesweit gilt die Schutzaltersgrenze von 14 Jahren für einvernehmliche sexuelle Handlungen, und dies mit drei Ausnahmen, die in § 182 geregelt sind, nämlich das Ausnutzen einer Zwangslage, Sex gegen Entgelt und das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Keiner dieser Fälle berührt unser Gesetzesvorhaben, das wir heute umsetzen wollen. Trotzdem konnten sich einige Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen aus der Unionsfraktion offensichtlich nicht verkneifen, mit Schutzalter 16 eine neue Diskriminierung in den Gesetzentwurf hineinzubringen und damit denjenigen, die eigentlich entschädigt und rehabilitiert werden sollen, doch so einen Makel von Jugendgefährdung anzukleben, der schon immer vor allen Dingen Lesben und Schwulen angehangen wird, und ein bisschen davon bleibt dann doch in der Bevölkerung hängen. Damit schaffen wir eine neue Diskriminierung, und das kann nicht sein. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich halte das für unwürdig, und mir fehlen eigentlich die Worte für so eine miese Kiste. Mir fehlen auch die Worte dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass ihr euch auch noch mit auf diesen Änderungsantrag gesetzt habt, dass ihr nicht zumindest gesagt habt: (Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Ohne uns hätte es nichts gegeben! Sonst hätte es keine Aufhebung gegeben!) „Macht diesen Scheiß wenigstens alleine!“, dass ihr nicht einmal das fertigbringt. Ihr plustert euch in der Öffentlichkeit immer so auf, und wenn es um die Abstimmung geht, habt ihr keine Eier, um das einmal zu verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein bisschen unparlamentarisch, Herr Kollege!) Ich finde es auch sehr schade, dass die Vorschläge und Anträge, die wir als Linke gestellt haben, um das Gesetz noch zu verbessern, keine Berücksichtigung und keine Mehrheit im parlamentarischen Verfahren gefunden haben. Ich nenne hier insbesondere die individuelle Entschädigung. Meine Fraktion hatte vorgeschlagen, dass hierzu das Strafrechtsentschädigungsgesetz zur Grundlage genommen wird. Dies ist von den Koalitionsfraktionen mit der Begründung abgelehnt worden, dass dieses Gesetz vor allen Dingen für zu Unrecht Verurteilte geschaffen worden sei. Ja worüber haben wir denn die ganzen Wochen geredet? Über zu Unrecht Verurteilte. Auf wen, wenn nicht auf diese Verurteilten, ist dieses Gesetz anzuwenden? Insofern ist es nicht nachvollziehbar, was Sie da an Begründungen genannt haben, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Genauso wenig nachvollziehbar ist Ihre Ablehnung der besonderen Zuwendung an Haftopfer in Höhe von 300 Euro bei Haftstrafen über 30 Tage, Ihr Widerstand gegen die Übertragung der Ansprüche aus der Individualentschädigung auf Lebens- und Ehepartner, wenn der Anspruchsberechtigte zwischen dem Beantragen der Entschädigung und ihrer Bewilligung versterben sollte, und vor allem Ihre Haltung zur Kollektiventschädigung. Zur Kollektiventschädigung werden wir in der nächsten Legislaturperiode eine neue Initiative ergreifen, weil das, wie ich denke, nicht zur heutigen Abstimmung passt. Wir werden hier dem Gesetzentwurf zustimmen, auch wenn ich diese Kritik hier vorgetragen habe; (Beifall der Abg. Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]) denn wir wollen, dass das gesamte Haus deutlich macht, dass dieses Unrecht wiedergutgemacht werden muss. Das wollen wir nicht mit Kampfabstimmungen überschatten. Insofern hätte ich mir auch gewünscht, dass wir heute nicht auch über einen Gesetzentwurf der Grünen abstimmen müssten. Bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf werden wir uns – leider – enthalten, aber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Also auch keine Eier!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Dr. Sabine Sütterlin-Waack für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte schon im Rahmen der ersten Lesung meine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass wir den Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen in die parlamentarische Beratung geben konnten. Ungleich größer wird heute meine Freude sein, wenn wir das Gesetz nachher beschließen. Dies ist heute meine letzte rechtspolitische Rede und in gewisser Weise schließt sich der Kreis. Meine erste Rede in diesem Hohen Haus hat sich mit dem Thema Gleichstellung in einem weiter gefassten Sinne befasst. Ohne diesen einzigartigen und vielleicht sogar historischen Gesetzentwurf abwerten zu wollen, sage ich: Wir befassen uns auch heute mit diesem Thema. Bis ins Jahr 1969 waren im alten Bundesgebiet einfache homosexuelle Handlungen kriminalisiert und strafbewehrt. Bis 1994 galten diskriminierende Jugendschutzbestimmungen. Zumindest für die junge Bundesrepublik kann man sagen, dass die durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber drastisch verschärften Strafrechtsparagrafen unverändert in das Strafgesetzbuch Einzug fanden. Demnach war der Straftatbestand der Unzucht zwischen Männern schon durch eine Umarmung in wollüstiger Absicht oder gar schon durch Handlungen erfüllt, bei denen überhaupt keine körperliche Berührung stattfand. Gerade im Bereich der Justiz und besonders in den Fachabteilungen des Bundesjustizministeriums gab es auch nach Kriegsende eine personelle Kontinuität. Das stand einer liberaleren Bewertung oder wenigstens einer Rückbesinnung auf die Gesetze der Weimarer Zeit vehement im Weg. (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) Natürlich ist das nicht die ganze Erklärung. Zurückblickend muss man deutlich sagen: Das entsprach auch dem gesellschaftlichen Mainstream. Besser als mit Ovid kann man es kaum sagen: Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen. Es ist eine besondere Stärke des Rechtsstaats, sich selbst zu korrigieren. Nicht weniger, aber auch nicht mehr machen wir heute. Vor mehr als 15 Jahren hat sich der Deutsche Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg bei den betroffenen Männern für ihr erlittenes Unrecht entschuldigt, entschuldigt für Urteile, die aus heutiger Sicht in höchstem Maße grundrechts- und menschenrechtswidrig erscheinen, (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) entschuldigt für die Stigmatisierung und Kriminalisierung homosexueller Handlungen mit allen dramatischen Folgeerscheinungen; denn mit dem Richterspruch endete für viele der damals verurteilten Männer auch ihr gesellschaftliches Leben. Er markierte einen Bruch im Lebenslauf und war eine Zäsur zum Schlechteren. Eine Verurteilung war nicht nur ein Strafmakel, sondern auch eine Aburteilung im gesellschaftlichen Gefüge. Wessen homosexuelle Identität in der Nachkriegszeit durch einen Prozess oder eine Verurteilung offenbart wurde, der war mehrfach bestraft. Wir kennen das, meine Damen und Herren, aus unseren persönlichen Beziehungen: Manchmal ist eine einfache Entschuldigung zu wenig. Es müssen Taten folgen. – Deshalb beraten wir hier heute abschließend einen Gesetzentwurf, mit dem wir die verurteilen Männer rehabilitieren und die Urteile pauschal aufheben. Es ist unser gemeinsames Ziel, den Betroffenen, nunmehr oftmals hochbetagten Männern, stellvertretend für unseren Rechtsstaat die Möglichkeit zu geben, sich mit dem deutschen Staat zu versöhnen. Wir bringen heute einen einmaligen und beispiellosen rechtspolitischen Vorgang zu Ende, mit dem wir in gewisser Weise auch verfassungsrechtliches Neuland betreten. Meine eigenen Erfahrungen zeigen mir: Neues, unbekanntes Terrain betritt man nicht stampfend und springend, sondern vorsichtig und bedächtig. Vor allem aufgrund der komplexen und komplizierten verfassungsrechtlichen Folgefragen, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rehabilitierungsgesetzentwurf stehen, haben wir der Entschuldigung nicht sofort auch eine Aufhebung und Entschädigung folgen lassen können. Wir als CDU/CSU-Fraktion haben uns im Vorfeld der Entstehung des Gesetzentwurfs mit Fragen der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung intensiv beschäftigt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese verfassungsrechtlichen Prinzipien einem verfassungskonformen Rehabilitierungsgesetz nicht entgegenstehen. Es ist die spezifische Aufgabe des Gesetzgebers, abstrakt-generelle Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus handelt es sich bei der Aufhebung der Urteile um eine begünstigende staatliche Maßnahme. Der Vertrauensschutz ist daher nicht berührt. Oft wurde in den vergangenen Jahren die Sorge zum Ausdruck gebracht: Was machen wir denn mit den aufgrund ebenfalls aufgehobener Straftatbestände Verurteilten? Was machen wir mit den verurteilten Ehebrechern und den wegen schwerer Kuppelei Verurteilten? – Uns hören ja auch jüngere Bundesbürger zu; ich sehe da oben auf der Tribüne viele. Ihnen sage ich: Ja, auch das war damals in der Bundesrepublik Deutschland einmal strafbewehrt. Hier kann man jedoch ganz deutlich aufzeigen: Weder beim Ehebruch noch bei der Kuppelei haben wir es mit einem massiven Eingriff in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts der privaten Lebensgestaltung zu tun. Außerdem haben wir es beim vorliegenden Gesetzentwurf mit einem eng umgrenzten Personenkreis der Betroffenen zu tun. Opfer, die sich auf die mit dem Urteil verschaffte Genugtuung verlassen dürfen, gibt es auch nicht, da es sich um einvernehmliche Handlungen handelt. Auch Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit bleiben, wie angedeutet, von der vorliegenden Aufhebungslösung unberührt. Eine Aufhebung im Sinne des vorliegenden Rehabilitierungsgesetzes ist ja keine direkte Reaktion auf ein bestimmtes Urteil oder ein spezifisches Strafverfahren. Uns geht es um die generelle Aufhebung und eben nicht um den Einzelfall. Darüber hinaus korrigieren wir durch die Aufhebung der Gesetze nicht die Justiz, die zur Gesetzesanwendung verpflichtet war und ist. Deswegen darf man auch nicht von Fehlurteilen oder Ähnlichem sprechen. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 175 StGB – der Kollege hat das schon angesprochen –, die uns heute in so vielen Punkten fremd erscheint, steht einer Aufhebung nicht entgegen. Das oberste Gericht stellte damals lediglich fest, dass der Gesetzgeber den umstrittenen Paragrafen so erlassen durfte. Andersherum kann man daraus nicht den Schluss ziehen, der Gesetzgeber dürfe die Vorschrift nun nicht ändern, aufheben oder eben die Betroffenen rehabilitieren. Ich möchte aber nicht, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf ausschließlich durch die Brille der Verfassungsjuristen sehen. Ein Rehabilitierungsgesetz ist nicht nur rechtlich möglich, sondern auch menschlich zwingend notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Ich habe bereits auf die Situation der Betroffenen hingewiesen. Wir gehen von ungefähr 3 000 noch lebenden Betroffenen aus. Diese Zahl ist jedenfalls noch im Bundeszentralregister verzeichnet. Die Aufhebung ist für den Betroffenen mit einer Entschädigung wegen des durch die Verurteilung erlittenen Strafmakels verbunden. Vorgesehen ist ein pauschaliertes Entschädigungsmodell, damit eine möglichst schnelle Bearbeitung der Entschädigungsansprüche gelingt. Wir haben uns für eine niedrige Nachweisschwelle entschieden. Das heißt, die Betroffenen müssen lediglich die Bescheinigung der Rehabilitierung vorlegen und die Zeiten ihres erlittenen Freiheitsentzuges wenigstens nachvollziehbar belegen. Sie müssen sich also nicht noch einmal einem ausführlichen Verfahren stellen. Hinsichtlich der im Gesetzentwurf vorgesehenen Summen haben wir im Ausschuss keine Änderungen mehr beschlossen. Je aufgehobener Verurteilung oder Unterbringung werden 3 000 Euro gezahlt, je angefangenem Jahr der Freiheitsentziehung 1 500 Euro. Angesichts der dramatischen Folgen der Verurteilung für die Betroffenen kann diese Entschädigung nur als Symbol dienen. Sie ist dennoch ein wichtiges Symbol. In meinen Gesprächen wurde immer wieder deutlich: Es geht den Betroffenen zuvorderst um die Aufhebung des Strafmakels. Sehr nachhaltig bleibt mir die Aussage eines Betroffenen in Erinnerung, der sagte, dass er nicht als verurteilter Krimineller sterben wolle. Forderungen nach Entschädigungszahlungen standen nie im Vordergrund. Eine Kollektiventschädigung ist im vorliegenden Gesetzentwurf zwar nicht direkt verankert, aber bereits erfolgt. Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung erhält im Haushaltsjahr 2017 erstmalig eine institutionelle Förderung in Höhe von 500 000 Euro aus dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ziel der Förderung ist es, die Arbeit der Stiftung zu stärken, zum Beispiel das Zeitzeugenprojekt „Archiv der anderen Erinnerungen“. Meiner Fraktion war es besonders wichtig, dass wir mit dem Rehabilitierungsgesetz keine Wertungswidersprüche schaffen, das heißt, dass keine Rehabilitierung für Handlungen erfolgt, die nach damaligem Recht auch im heterosexuellen Bereich strafbar waren oder nach heutigem Recht strafbar sind. Im Gesetzentwurf gelang das bis auf eine Ausnahme sehr gut. Mit dem hier so stark kritisierten Änderungsantrag der Koalition reagierten wir auf eine potenzielle verfassungsrechtliche Schwachstelle des Rehabilitierungsgesetzes. Ich weiß, das wird nicht von allen so gesehen, und ich habe auch Verständnis für diese Kritik. Ich weiß auch, dass wir einigen Männern damit die Hoffnung auf Rehabilitierung nehmen. Kein Verständnis habe ich allerdings für das Schwingen der Homophobiekeule. Ich sage es ganz deutlich: Wir mussten eine Antwort auf die dargestellten Bedenken geben; denn ein Scheitern des Gesetzes wäre unverzeihlich. Ich denke, wir haben eine vertretbare Lösung gefunden. Am Ende möchte ich mich ganz ausdrücklich bei allen Kolleginnen und Kollegen über jedwede Parteigrenzen hinweg für die außerordentlich gute und oft freundschaftliche Zusammenarbeit bei diesem Thema und auch bei vielen anderen Themen bedanken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Frau Dr. Sütterlin-Waack, das war voraussichtlich Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Ich möchte Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute und viel Glück für die voraussichtlich neue Aufgabe wünschen. (Beifall) Als nächster Redner hat Volker Beck das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch von mir, Frau Sütterlin-Waack, alles Gute für Ihr neues Amt, in dem Sie den Rechtsstaat weiter mitgestalten dürfen, und viel Glück und Erfolg dabei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist das erste Mal, dass ich für Volker Beck klatsche!) Auch für mich schließt sich heute ein Kreis. 1989 habe ich als Schwulenreferent der grünen Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Streichung des § 175 Strafgesetzbuch für meine Fraktion geschrieben. 1993 hörte der Rechtsausschuss erstmals einen Vertreter der schwulen Bürgerrechtsbewegung an; ich war damals der Sprecher des Schwulenverbandes und auf Einladung der FDP-Fraktion als Sachverständiger geladen. 1994 wurden die letzten Reste des § 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Heute ist ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt die Menschenrechtsverletzungen an den homosexuellen Männern in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ausdrücklich an und sagt: Dieses Unrecht darf keinen Bestand haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist gut, dass für viele Homosexuelle endlich das Stigma des Kriminellen beseitigt wird. Weniger gut ist, dass das viele nicht mehr erreicht, weil sie in der Zwischenzeit verstorben sind. Meine Damen und Herren, das Urteil war ein Aspekt von dem, was die Menschen ruiniert hat, aber auch schon das Ermittlungsverfahren konnte den sozialen Tod bedeuten. Es war mit Schande und Schmach sowie der Vernichtung der bürgerlichen Existenz verbunden. Deshalb bitte ich Sie, noch einmal zu erwägen, ob Sie unserem Änderungsantrag hinsichtlich der Entschädigungsleistungen nicht zustimmen wollen. Wir entschädigen jetzt ja alleine Haftschäden. Für viele Menschen war aber schon durch ein Ermittlungsverfahren oder auch durch ein Strafrechtsurteil ihre bürgerliche Existenz und ihre Berufskarriere vernichtet. Im Entschädigungsrecht ist es eigentlich üblich, dass der Staat, wenn er einen Schaden verursacht hat, auch Berufs- und Rentenschäden zu entschädigen hat. Das haben wir beim Bundesentschädigungsgesetz und auch beim Allgemeinen Kriegsfolgengesetz so gemacht. Warum machen wir das bei dieser Gruppe nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leute wurden aus dem Beamtenverhältnis entlassen, haben ihre Wohnung verloren, ihren Arbeitsplatz verloren. Auf all dies gibt die Entschädigungsregelung, die Sie gewählt haben, in vielen Fällen leider keine Antwort. Wir haben eine flexible Regelung vorgeschlagen. Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde, und treten Sie unserem Antrag bei! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Johannes Kahrs [SPD] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass diese Rehabilitierung heute beschlossen wird. Es ist mir völlig unverständlich, welche Regelungstechnik Sie gewählt haben. Es gibt ja ein Vorbild. Die Paragrafen, die wir aufheben, haben wir für die Zeit zwischen 1933 und 1945 schon einmal aufgehoben, nämlich mit dem NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz. So, wie es da gemacht wurde, schlagen wir es auch in unserem Gesetzentwurf vor. Wir werden aber Ihrem geänderten Entwurf am Ende zustimmen, weil es entscheidend ist, dass die Rehabilitierung für die betroffenen Menschen heute beschlossen wird. Aber dass Sie mit dieser kleinen Nickeligkeit eine symbolische Sperre bei der Rehabilitation einziehen, was für lesbische Frauen und in heterosexuellen Beziehungen nicht strafbar war, und nicht alle rehabilitieren wollen, finde ich der Sache nach und auch von der Botschaft her, die wir senden, einfach nicht angemessen. Das macht die heutige Entscheidung bitter. Ein bisschen Gift musste offensichtlich noch sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Am Ende des Tages wird Ihre Nickeligkeit keine Rolle spielen, weil die Urteile, aus denen Sie die Tatbestände, die Sie hier beschreiben, entnehmen könnten, gar nicht mehr vorliegen. Wir wissen nur, nach welchen Paragrafen die Menschen verurteilt worden sind. Mehr ist auf uns in den meisten Fällen nicht überkommen. Also fragt man sich doch: Warum musste diese Regelung unbedingt sein? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich erwähnte es gerade: Ich gehöre noch zu der Generation, die unter dem § 175 Strafgesetzbuch, zumindest in seiner Jugendschutzform, groß geworden ist. Weit über die Bedeutung des Strafrechtlichen hinaus hat dies das Leben meiner Generation geprägt. Es war nicht nur so, dass ich damals bei meinen ersten sexuellen Erfahrungen „Opfer eines Strafrechtsparagrafen“ gewesen war. Ich hatte nicht vor dem Sexualpartner Angst, aber sehr wohl vor Polizei und Justiz und davor, dass meine Homosexualität dadurch ans Licht kommen könnte. Das war prägend. Jedoch auch in anderen Bereichen, die darüber hinausgingen, etwa im Mietrecht oder bei der Frage von Infoständen, wurde uns gesagt: Ihr seid jugendgefährdend. Ihr dürft euch am öffentlichen Leben nicht in gleicher Weise beteiligen. – Ich finde, die Vertreter der Parteien, die dafür gesorgt haben, dass dieser Paragraf so lange im Gesetzbuch stand, sollten sich dafür bei den betroffenen Menschen entschuldigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass das nicht meine letzte, sondern meine vorletzte Rede im Bundestag ist, weil wir in der nächsten Woche vielleicht den Gesetzentwurf zur Eheöffnung noch beschließen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber manchmal kommt es anders. Deshalb will ich am Schluss mit Erlaubnis der Präsidentin zum Abschied noch ein paar Worte an Sie richten. Ich war 23 Jahre leidenschaftlich gern Abgeordneter für die Grünen. Ich danke meinen Wählerinnen und Wählern und meiner Partei für das mir entgegengebrachte Vertrauen; ohne die hätte ich nicht das bewirken können, was ich vielleicht bewirkt habe. Ich bin dankbar für die vielen interessanten und bereichernden Begegnungen hier im Hohen Haus mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen. Was außerhalb des Parlaments vielleicht zu wenig bekannt ist, ist die Tatsache, dass trotz allen Streits und aller Auseinandersetzungen hier im Plenum und in Talkshows die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Fraktionen über sachliche Themen immer wieder funktioniert hat. Man hat auch jenseits der Koalition manchmal ein offenes Ohr bei der Bundesregierung gefunden, wenn es um konkrete Anliegen von Menschen oder Bürgern ging, die Hilfe brauchten, sowie auch bei kleineren politischen Aktionen. Ich glaube, dass wir als Abgeordnete in diesen Zeiten selbstbewusst herausstreichen müssen, welch ein Gewinn ein demokratisches Parlament ist. Parteien und Fraktionen haben eine große Bedeutung an integrativer Kraft für die politische Meinungsbildung. Gleichzeitig müssen wir als Abgeordnete aber auch sagen: Wir sind ein selbstbewusstes Parlament – gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber denjenigen, die derzeit den Parlamentarismus denunzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Wir haben eine große Verantwortung in der Kontrolle der Regierung. Der einzelne Abgeordnete kann manchmal mehr bewirken, als die Presse glauben mag und auch manche von uns glauben mögen. Ich will insbesondere den jüngeren und neuen Abgeordneten des nächsten Deutschen Bundestages sagen: Wir sind nicht Dezernenten für einen Fachbereich. (Johannes Kahrs [SPD]: So ist es!) Vielmehr sind wir frei gewählte Abgeordnete – in allgemeiner, unmittelbarer und freier Wahl gewählt –, Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, auch nicht an solche der Koalitionsführung, der Fraktionsführung oder der Parteiführung. Am Ende müssen wir in jeder Frage selber entscheiden, wo unser Herz und wo unser Standpunkt unter Abwägung aller Aspekte ist. Wenn das Parlament seitens der Medien Neiddebatten unter Druck kommt. – Auf der Pressetribüne ist keiner mehr anwesend. Sie sind wahrscheinlich gerade am Feiern, aber das Parlament arbeitet immer noch. Die Statusrechte und die Ausstattung der Parlamentarier – dafür habe ich viele Jahre gestritten und auch gekämpft – sollen die Sicherheit und die Unabhängigkeit der Abgeordneten sichern, und sie sind keine Privilegien, sondern zwingende Voraussetzung, dass man zum Beispiel in presserechtlichen Auseinandersetzungen die nötigen Ressourcen hat, um sich gegen falsche Anwürfe zu verteidigen, und dass man unabhängig seiner politischen Arbeit nachgehen kann. Ich möchte alle ermutigen, diese Frage der Unabhängigkeit sowohl gegenüber Populisten als auch gegenüber manchmal nickeligen Presseanfragen stolz und selbstbewusst zu verteidigen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ein schöner Schlusssatz, Herr Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Satz noch. – Die Demokratie ist nicht unfehlbar in ihren Ergebnissen. Das Gute an der Demokratie ist, dass sie ihre Fehler einsehen und korrigieren kann, und ich glaube, das haben wir am heutigen Tage auch mit diesem Gesetzgebungsverfahren gezeigt. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Beck, das war – wahrscheinlich – auch Ihre letzte Rede. Sie waren sechs Legislaturperioden im Bundestag und haben in unterschiedlichen Funktionen mitgewirkt. Ich will insbesondere auch an Ihre Tätigkeit als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe erinnern. Ich wünsche auch Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute und viel Glück. Vielen Dank. (Beifall – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) Als nächster Redner hat Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 86 Prozent der Deutschen befürworten die Rehabilitierung der 175er. Zwischen 1949 und 1994 wurden etwa 64 000 homosexuelle Männer verurteilt. Das hat also 64 000 Männer und deren Partner und Freunde getroffen. Es hat die getroffen – das ist schon gesagt worden –, die verfolgt worden sind. Aber es hat auch diejenigen getroffen, die sich nicht getraut haben und die sich versteckt haben. Homosexuelle Handlungen, um die es hier geht, waren ein Kuss und Umarmungen; das war das berühmte Kuscheln und die Nacht zusammen zu verbringen. Das alles stand unter Strafe. Wenn man schwul ist, gehört das aber zum Leben. Das gehört zu einem selber; das macht einen Menschen aus. Wenn man das nicht darf und wenn man dafür verurteilt wird, dann ist das schändlich. Aber viele haben es gar nicht erst so weit kommen lassen: Das waren dann die ewigen Junggesellen; das waren diejenigen, die sich nicht getraut haben und deren Leben damit auch von Anfang bis Ende – lassen Sie es mich unparlamentarisch sagen – versaut worden ist. Ich kenne viele von ihnen – ich habe mit vielen von ihnen gesprochen –, und es ist für jeden von ihnen eine Tragödie. Jeder hat sich irgendwie arrangiert; aber sie konnten nicht heiraten, sie konnten nicht zusammen sein, sie konnten nicht händchenhaltend über die Straße gehen, sie konnten sich nicht einmal küssen. Das war alles rechtswidrig, und das ging bis 1994. Das ist gar nicht so lange her. Auch an diese Menschen wollen wir heute denken. Wir werden diejenigen, die betroffen waren, entschädigen, aber nur diejenigen, die verurteilt worden sind. All den Menschen mit diesen Biografien, die ihr Leben nicht so leben konnten, wie sie es eigentlich gewollt hätten, bieten wir nichts. Ich glaube aber, dass wir als Parlament sagen müssen, dass es uns leidtut; denn wir gehören alle zu Parteien, die auch in jener Zeit in den Parlamenten vertreten waren. Aber auch in einer Demokratie kann Unrecht geschehen. Ich persönlich bin wirklich froh und stolz darauf, dass es uns gelungen ist, diesen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen. Ich möchte mich zuallererst bei Heiko Maas bedanken, dass er dieses Gesetzesvorhaben immer wieder angeschoben hat. Es hat häufig genug gestockt, es war häufig genug in schweren Fahrwassern, und die Kollegen im Rechtsausschuss haben sich dafür eingesetzt und gekämpft. Das war nicht ganz einfach. Die Kollegin Sütterlin-Waack hat die Probleme geschildert. Ich habe mich vor kurzem mit ihr darüber unterhalten, warum es denn schon wieder verdammt noch mal nicht weitergeht. Sie sagte mir, woran es lag. Dann sind wir Sozialdemokraten über ein Stöckchen gesprungen, was uns nicht leichtgefallen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben noch einen Änderungsantrag gemacht. Das war sehr schwierig. Dafür haben wir auch Dresche bezogen. Aber die Alternative wäre gewesen, dass die CDU/CSU dieses Gesetz heute nicht hier hätte beschließen lassen. Dann hätten wir es nicht gehabt, und das wäre nicht akzeptabel gewesen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]) Deswegen, liebe Frau Sütterlin-Waack, noch einmal vielen Dank für den Einfluss, den Sie und viele der Kollegen in Ihrer eigenen Fraktion ausgeübt haben. Es ist immer so: Wenn man redet, dann erwischt man immer die Falschen, denn diejenigen, die heute hier sitzen, waren meistens Teil der Lösung; diejenigen, die heute hier nicht sitzen, waren das Problem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen muss man sagen: Es war gut, dass wir es noch geschafft haben. Ich möchte mich ganz besonders bei dem Kollegen Brunner bedanken, den ich immer wieder losgehetzt habe, der immer wieder ranmusste, damit es vielleicht doch noch klappt. Ich persönlich bin stolz darauf. Im Koalitionsvertrag steht: Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechterstellen, werden wir beseitigen. In diesem Punkt haben wir das – bis auf diesen einen Änderungsantrag – geschafft. Es gibt aber noch andere Punkte, die offen sind, und auch wenn es nicht jeder hören möchte, muss ich es noch einmal sagen: Die Öffnung der Ehe für alle wird kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union; zur Not auch ohne Sie, aber sie wird kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nächste Woche!) – Volker, bevor du dich aufregst: Wir alle kennen die parlamentarischen Spielregeln. Ihr habt in Baden-Württemberg gegen die Öffnung der Ehe gestimmt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Wir als Sozialdemokraten können hier nicht für die Öffnung der Ehe stimmen, weil es einen Koalitionsvertrag gibt, an den wir uns alle zu halten haben. Wir alle kennen diese Zwänge. Trotzdem wird die Öffnung der Ehe kommen, ob mit oder ohne die Union; das ist mir langsam auch egal. Dann wird das der Bundeskanzler Martin Schulz eben regeln müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Gudrun Zollner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich im September 2013 den Einzug in den Deutschen Bundestag geschafft hatte und dem Familienausschuss zugeteilt wurde, habe ich mich für die Themen Alleinerziehende und LGBTI als Berichterstatterin der Unionsfraktion beworben – aus Überzeugung und weil ich etwas bewegen wollte. Zwei Vorhaben lagen mir besonders am Herzen: das Unterhaltsvorschussgesetz und der § 175. Beides sind Themen, die schon jahrelang in diesem Hohen Hause debattiert wurden und bei denen sich bei manchen die Euphorie in Grenzen hielt, was eine Reformierung bzw. die Rehabilitierung anbelangt. Ich wollte meine Zeit hier im Deutschen Bundestag dafür nutzen, um mich für Alleinerziehende und die LGBTI-Themen einzusetzen. Das hieß teilweise, dicke Bretter zu bohren, auch mit einem gewissen Quäntchen an Hartnäckigkeit; vor allem aber hieß es, miteinander zu reden, aufzuklären und zu überzeugen. Und Aufklärung tat wirklich not. (Johannes Kahrs [SPD]: Das stimmt!) Den § 175 oder zumindest die Bedeutung kannten viele, (Johannes Kahrs [SPD]: In der Union nicht!) aber die tragischen Schicksale, die dieser Paragraf für die betroffenen Männer mit sich brachte, kannten die wenigsten. Es war dieser Paragraf, der homosexuelle Männer zu Verbrechern machte, durch den viele ihre Arbeit und ihr Ansehen verloren, an dem Familien zerbrachen, der sie in den sozialen Tod trieb. Überzeugung brachten das Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie unionsinterne Expertengespräche. Sie zeigten Möglichkeiten zur verfassungsgemäßen Umsetzung. Trotzdem war es für unsere Juristen eine Herausforderung; wir betraten schließlich verfassungsrechtliches Neuland. Aber wir haben es geschafft. Wir beschließen heute die Rehabilitierung der nach § 175 verurteilten Männer. Wer hätte das am Anfang dieser Legislaturperiode gedacht? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Hier möchte ich Friedrich Hebbel zitieren: „Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben.“ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich freue mich besonders für die betroffenen Männer, die endlich ein Stück ihres Lebens zurückbekommen. Wir können mit der heutigen Rehabilitierung das Leid durch die fortgesetzte Kriminalisierung und Stigmatisierung der Betroffenen nicht mindern, aber wir können ihnen ihre Ehre zurückgeben – endlich. (Beifall im ganzen Hause) Wir setzen aber auch ein Zeichen für unsere Gesellschaft. Deutschland bezieht Position – gegen Diskriminierung und gegen Ausgrenzung. Auch über unsere nationalen Grenzen hinaus wollen wir ein positives Signal an Länder senden, in denen Homosexualität immer noch stark geächtet wird. Neben der Individualentschädigung kommen wir auch der Forderung nach einer Kollektiventschädigung nach, und zwar in Form einer institutionellen Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bereits in diesem Haushaltsjahr. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass ich an diesem einmaligen Vorgang mitwirken durfte, erfüllt mich mit Stolz. Schade finde ich nur, dass ich bei der ersten Lesung von einigen Medien als einzige der acht Rednerinnen und Redner nicht einmal namentlich erwähnt wurde. Vielleicht passt es einigen ideologisch nicht, dass sich eine CSU-Politikerin für LGBTI-Themen einsetzt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Viele meiner Unionskolleginnen und -kollegen treten für die Rechte Homosexueller ein, und zwar aus Überzeugung, auch wenn uns leider oft etwas anderes unterstellt wird. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir alle wissen aber auch: Politik besteht aus Kompromissen. Das erleben wir tagtäglich bei unserer Arbeit. Kein Gesetz verlässt das Plenum ohne Kompromiss. So auch dieses. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir oft respektvoller miteinander umgehen. Ich möchte Brücken bauen. Lassen Sie uns aufeinander zugehen, so wie wir es interfraktionell bei der Rehabilitierung nach § 175 verurteilter Männer geschafft haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich daher heute bei den Kollegen der interfraktionellen Gruppe, bei Harald Petzold und bei Karl-Heinz Brunner, auch wenn er über uns heute ein bisschen geschimpft hat, für die gute Zusammenarbeit bedanken, ganz besonders aber bei meiner Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack. Ihr möchte ich gleichzeitig ganz herzlich zu ihrer bevorstehenden Berufung als Justizministerin des Landes Schleswig-Holstein gratulieren. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Sabine, alles Gute und danke für das vertrauensvolle und freundschaftliche Miteinander. Vielleicht war es auch für mich als Listenkandidatin heute die letzte Rede zu diesem Thema hier im Hohen Haus. Danke auch an den Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh, für seine Arbeit am Archiv der Erinnerungen, und danke an alle Männer, deren Strafmakel wir heute beseitigen konnten, für ihre Geduld im Glauben an unseren Rechtsstaat. Ab heute sind sie moralisch, politisch, gesellschaftlich und nun endlich auch rechtlich rehabilitiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12786, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/12038 und 18/12379 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12835 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden. (Beifall im ganzen Hause) Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhebung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR ergangenen Unrechtsurteile. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12786, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/10117 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/12786 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10118 mit dem Titel „Individuelle und kollektive Entschädigung für die antihomosexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesweiten Aktionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft auflegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig wohnen Drucksachen 18/7415, 18/8081, 18/10928 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformieren Drucksachen 18/11049, 18/10810, 18/12632 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Spekulation mit Immobilien und Land beenden – Keine Steuerbegünstigung für Übernahmen durch Share Deals Drucksachen 18/8617, 18/12818 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Sprache (Heiterkeit) – nein, natürlich die Aussprache und gebe damit die Möglichkeit zur Sprache. Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold für die Bundesregierung das Wort. – Herr Staatssekretär. (Beifall bei der SPD) Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Sprache“ ist ein gutes Stichwort, finde ich. Wenn wir lesen „Wohnungswirtschaft“ und „Kündigungsschutz“, dann verdeckt das ein bisschen, worum es geht. Es geht um viele Menschen, die große Sorge haben, dass sie sich das Leben in ihrer angestammten Wohnung in Zukunft nicht mehr leisten können, wenn eine Modernisierungsankündigung kommt; es geht um Rentnerinnen und Rentner, die in einer Wohnung leben, die eigentlich zu groß ist, die gern wechseln würden, die aber in ihrem Kiez keine bezahlbare neue Wohnung finden; es geht um explodierende Mieten in vielen Regionen Deutschlands, die vielen, vielen Menschen einen ganz großen Teil dessen, was sie hart erarbeiten, aus dem Geldbeutel nehmen. Darum geht es heute: Wie können wir das verändern? Diese Große Koalition und vor allem die SPD-geführten Ministerien haben in dieser Legislaturperiode unheimlich viel nicht nur auf den Weg gebracht, sondern auch umgesetzt. Wir haben die soziale Wohnraumförderung verdreifacht, wir haben die Städtebauförderung verdoppelt, wir haben die Regelungen zu den Maklergebühren durchgesetzt, wir haben die Mietpreisbremse eingeführt, wir haben das Wohngeld erhöht. In den letzten 20 Jahren ist auf Bundesebene nie so viel gemacht worden für die soziale Wohnungspolitik wie in dieser Legislaturperiode. Darauf können wir stolz sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trotzdem lohnt es, in dieser Debatte nicht nur nach vorn zu blicken und zu schauen, was noch zu tun ist, sondern auch eine kritische Reflexion zur Wohnungspolitik in den letzten Jahrzehnten vorzunehmen. Bevor die Große Koalition an die Regierung kam, erfolgten die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch Schwarz-Gelb, die Föderalismusreform, die die Zuständigkeit der Länder für den sozialen Wohnungsbau begründet hat, der De-facto-Ausstieg vieler Länder aus dem sozialen Wohnungsbau, der Rückgang bezahlbaren Wohnraums und von Sozialwohnungen in ganz Deutschland und der Verkauf öffentlicher Wohnungsunternehmen auf allen Ebenen und übrigens unter Beteiligung aller hier vertretenen Fraktionen, je nachdem, in welcher Verantwortung sie vor Ort waren. Das alles geschah wohl unter der Annahme, dass es irgendwann in Deutschland kein Wohnungsproblem mehr gibt, weil ja die Bevölkerungszahlen sinken. Aber wie wir alle sehen, ist diese Prognose nicht eingetreten, sondern wir haben einen enormen Handlungsbedarf, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Ich bin der festen Überzeugung: Wohnen ist ein wichtiges soziales Gut, und vor allem Boden darf kein Spekulationsobjekt sein. Deswegen begrüße ich die Initiative der Länder zur Besteuerung von Share Deals. Es kann nicht sein, dass Grundstücksgeschäfte grunderwerbsteuerbefreit bleiben, wenn sie von großen Gesellschaften gemacht werden, und die Familie, die Eigentum erwerben will, darauf bis zu 6,5 Prozent Grunderwerbsteuer zahlen muss. Das ist ungerecht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer macht die denn so hoch? Rot-Rot-Grün!) Und ich freue mich auf die Diskussion über die Gemeinnützigkeit. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer verteuert denn den Wohnungsbau?) – Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, melden Sie sich. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Wie immer gern. Wir haben ja schon in finanzpolitischen Zeiten viel gemacht, und wir können gern auch über diese Frage reden; dann gebe ich Ihnen auch die entsprechenden Antworten. Aber mir geht es jetzt darum: Ist gemeinnützige Wohnungswirtschaft eine Lösung für die Zukunft? Ich persönlich bin der Auffassung – auch mein Ministerium; wir haben jetzt einige Veranstaltungen dazu gemacht –, dass wir alles tun müssen, damit nicht profitorientierte Wohnungsgesellschaften auf dem Wohnungsmarkt wieder stärker werden. Wenn man sich zum Beispiel die Mieten in München und Wien anschaut, sieht man, dass diese höchst unterschiedlich sind. Pro Quadratmeter wird in Wien nur ungefähr die Hälfte von dem bezahlt, was man in München zahlt. Und warum? Der Unterschied ist, dass in Wien 70 Prozent des Wohnungsbestands in genossenschaftlicher Hand oder in der Hand kommunaler Wohnungsbaugesellschaften ist. In München sind es – je nachdem, wie man rechnet – 10 bis 15 Prozent. Deswegen müssen wir alles tun, damit gemeinwohlorientierte Unternehmen oder diejenigen Unternehmen, die nicht so stark am Profit orientiert sind, wieder stärker werden und einen größeren Anteil auf den Wohnungsmärkten bekommen. (Beifall bei der SPD) Unser Ziel ist es, dass alle diejenigen gestärkt werden, die sich als Wohnungsunternehmen besonders engagieren – für Schuldnerberatung, für Begegnungen zwischen Nachbarn, für Integration, für Gemeinschaftsräume, für Grünflächen, auch für die Integration von Menschen mit Handicap –, die eine Sozialrendite erwirtschaften; das sind insbesondere die Genossenschaften und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Das Wichtigste wäre, dass sie von allen politischen Ebenen die Grundstücke, die sie für den Neubau dringend brauchen, endlich preisgünstiger bekommen (Beifall bei der SPD) und dass alle dazu beitragen, dass es eine an sozialen Gesichtspunkten orientierte Wohnungspolitik gibt. (Ulli Nissen [SPD]: Wichtige Forderung!) Diejenigen, die meinen, Wohnungsgemeinnützigkeit löse alle Probleme auf dem Wohnungsmarkt, gehen allerdings fehl in ihrer Annahme. Es wird sehr lange dauern, bis sich der Anteil erhöht. Wer die Gutachten, die dazu gemacht werden, genau liest, sieht auch, dass es da auf alle Fälle noch einige ungelöste Fragen gibt. Außerdem fehlt es vor allem an Partnern aus der Wohnungswirtschaft, die die neue Gemeinnützigkeit wollen, wenn diese ähnlich ist wie die, die wir in den 90er-Jahren hatten. Deswegen, glaube ich, kommt es darauf an, dass wir überlegen, wie wir diejenigen stärken, die nicht den Tanz ums goldene Kalb vollführen und nicht den Profiten nachjagen, wie wir die Gemeinnützigkeit wieder in ein neues Licht bringen und auf dem Wohnungsmarkt zu neuem Leben verhelfen. Das ist unser Anspruch. Ich glaube, das ist aber nur ein Teil der Lösung. Wir haben auch andere Themen in den Beratungen. Ich finde, dass es genauso wichtig ist, über die anderen Instrumente zu reden. Dazu gehört, dass wir die Mieterinnen und Mieter endlich wirksam schützen, auch durch rechtliche Gegebenheiten. Dazu gehört die Nachbesserung bei der Mietpreisbremse. Einer meiner Nachredner lässt sich auf der einen Seite hier im Deutschen Bundestag dafür loben, dass er für die Mietpreisbremse kämpft (Ulli Nissen [SPD]: War das der Luczak?) – Herr Luczak –, und auf der anderen Seite vor Ort dafür loben, dass er hier alles dafür getan hat, dass sie nicht zur Wirkung kommt. (Ulli Nissen [SPD]: Ja! Ich erinnere mich daran, Herr Luczak! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nein!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich finde es auch schade, dass Worte und Taten dann nicht zusammenpassen, wenn es ums Regieren geht. Wenn ich mir den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein anschaue, dann lese ich dort: Die Erfahrungen mit ... der ... Mietpreisbremse und der Kappungsgrenzenverordnung zeigen ..., dass der angestrebte Effekt ... nicht eingetreten ist. Deswegen werden wir die entsprechenden Verordnungen ... ersetzen. Hier den Robin Hood für die Mieterinnen und Mieter zu spielen und dort, wo man in Verantwortung geht, den Sheriff von Nottingham zu geben, das hilft den Menschen nicht, die Angst davor haben, ihre vier Wände zu verlieren. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie das bei der SPD immer so ist: Man könnte nach dieser Rede glauben: Es ist alles in Ordnung, und alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben eine bezahlbare Wohnung. (Ulli Nissen [SPD]: Das wäre schön, ja!) Ich will daran erinnern, dass heute Wohnungsbau-Tag in Berlin ist. Was passt da eigentlich besser, vor allem vor dem Hintergrund, dass wir am Ende einer Legislaturperiode sind, als mit konkreten Lösungen zu den Fragen, die Herr Pronold hier eben deutlich analysiert hat, zu kommen? Wir haben heute die zweite Lesung unseres Antrags zur Einführung einer neuen gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft. Wir haben eine Lösung vorgelegt, die es möglich macht, genau die Probleme, die hier besprochen worden sind, anzugehen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke schlägt Ihnen also vor, die Wohnungspolitik gemeinwohlorientiert zu organisieren. Auf dem Wohnungsbau-Tag warf die Wohnungswirtschaft der Politik heute Staatsversagen vor, und die Politik warf der Wohnungswirtschaft Marktversagen vor. Die Menschen haben deshalb trotzdem keine bezahlbare Wohnung. Dabei verhält sich der Markt – auch der Wohnungsmarkt – genauso, wie er ja nach Ansicht der Wissenschaft auch funktionieren soll: Markt ist Wettbewerb, Wettbewerb ist Geschäft, und ein gutes Geschäft ist nur dann ein gutes Geschäft, wenn es auch etwas abwirft, also Gewinn. Versagt hat aber der Staat – leider –, weil er erstens alle Wohnungen komplett zur Ware und damit marktfähig gemacht hat, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Plattenbauten!) weil er zweitens das öffentliche Wohnungswesen privatisiert hat, weil er sich drittens aus der Wohnraumversorgung komplett verabschiedet hat – wir als Bund spätestens nach 2020 – und weil er viertens Milliarden öffentlicher Gelder in private Profite umwandelt. Das gilt übrigens für alle Parteien, die am Staat irgendwo beteiligt sind; das will ich hier deutlich sagen. Von all dem hatten Wohnungssuchende bisher nichts. Deshalb wollen wir die Wohnungspolitik vom Kopf auf die Füße stellen und die Wohnung wieder zum Allgemeingut machen. (Beifall bei der LINKEN) Das, was wir wollen, hat sich auch längst und vor allem schnell herumgesprochen. Umso mehr und umso erbitterter formiert sich auch der Widerstand, vor allem aus Teilen der Immobilienwirtschaft und selbstverständlich auch bei unseren politischen Gegnern. Unserem Konzept und den wissenschaftlichen Gutachten werden mittlerweile nicht nur flächendeckend Gegengutachten und jede Menge aufgeregte Polemik entgegengestellt. Auch die Debatte ist zunehmend intensiver geworden und vor allem durch Schärfe und wenig Sachlichkeit geprägt. Deshalb will ich hier einmal einiges klarstellen: Unser Antrag, die neue Wohnungsgemeinnützigkeit einzuführen, soll das bisherige System der Wohnungswirtschaft nicht abschaffen – so weit gehen wir gar nicht –, sondern es um mehr als nur ein Segment erweitern. Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit soll und kann auch nicht per Dekret erzwungen werden. Das kann niemand verordnen; das ist auch nicht umsetzbar. Sie kann sich nur durch eigenes, ökonomisch sinnvolles Handeln der Träger dauerhaft etablieren und einen öffentlichen Daseinsvorsorgeauftrag verlässlich und aus eigener Wirtschaftskraft erfüllen. Der Staat soll nach unserem Konzept die Wohnungswirtschaft nicht ersetzen, wie das in diversen Debatten immer behauptet wird, sondern er soll nur die Rahmenbedingungen setzen, die es gemeinnützigen Unternehmen oder Unternehmensteilen ermöglichen, Menschen mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen, anstatt öffentliches Geld über den Umweg von Wohngeld oder Kosten der Unterkunft in direkte Unternehmensgewinne umzuwandeln. (Beifall bei der LINKEN) Daran sollen nach unseren Vorstellungen alle, nicht nur kommunale Wohnungsunternehmen, sondern auch die privaten und die genossenschaftlichen, partizipieren. Einzige Voraussetzung ist: Diese wirtschaftlichen Vorteile sollen sie in dauerhafte Sozialwohnungen investieren und diese vorhalten; denn das ist ja der Sinn der Gemeinnützigkeit, sonst wäre es ja keine. Der Clou ist: Wir haben mit einem neuen Gutachten nachgewiesen, dass das geht, und zwar auch mit unter 5 Euro Nettokaltmiete, wenn alle zusammenarbeiten – Bund, Länder und Gemeinden. (Beifall bei der LINKEN) Das geht einfach, indem erstens der Bund ermöglicht, dass Wohnungsunternehmen das können, was die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss auch kann, nämlich Umsatzsteuer dadurch zu sparen, dass sie gemeinnützigen Zwecken zugeordnet werden. Das können zweitens die Länder, indem sie in der föderalen Verantwortung auf eigene Steuern verzichten, zum Beispiel auf die Gewerbesteuer, dafür aber zinslose Kredite und Wohnungszuschüsse geben. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen wirklich dringend zum Schluss kommen. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Das können drittens die Kommunen dadurch, dass sie geeignete Grundstücke über Erbpacht oder durch verbilligte Konzeptvergabe zur Verfügung stellen. Dann sind alle in der Verantwortung, und alle haben ihren Teil geleistet. Lassen Sie uns das wenigstens in der nächsten Legislatur angehen. Wir werden sehen, dass dann auch die Wohnungswirtschaft diese Möglichkeiten nutzen wird. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dr. Jan-Marco Luczak hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt wird es spannend! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der Robin Hood der CDU!) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Jedenfalls nicht der Sheriff, Herr Kühn. – Meine Damen und Herren! Wir diskutieren ja unter diesem Tagesordnungspunkt insgesamt vier Anträge. Sie erlauben mir, dass ich mich auf zwei von diesen konzentriere, bei denen es um das Mietrecht geht. Das Mietrecht haben wir hier im Hohen Haus schon oft debattiert. Ich glaube, das zeigt ein Stück weit, dass wir alle miteinander dieses Thema sehr ernst nehmen, weil es um Menschen geht, die Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren, und die sich oftmals auch existenziell bedroht fühlen. Ich glaube, wir sind uns da im Ziel völlig einig. Wir wollen den Mieterinnen und Mietern in unserem Land selbstverständlich helfen. Wir wollen gewährleisten, dass sie auch weiterhin bezahlbar wohnen können. Wir wollen vor allem nicht, dass Menschen, insbesondere junge Familien, aus ihren angestammten Kiezen verdrängt werden. Der einzige Punkt, bei dem wir uns unterscheiden, ist der Weg dorthin. Das sehen wir auch an diesen Anträgen. Die Wohnungsmärkte sind sehr differenziert; daher brauchen wir, wie ich immer sage, auch differenzierte Antworten. Normalerweise werfe ich der SPD und den Linken vor, dass sie etwas einfache, oftmals ideologische Antworten geben. Der Antrag der Grünen ist aber sehr differenziert. Dort sind insgesamt 15 Punkte mit entsprechenden Unterpunkten aufgeführt. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie uns loben, dann müssen wir etwas falsch gemacht haben, Herr Luczak! – Ulli Nissen [SPD]: Er sucht einen Koalitionspartner!) Das summiert sich dann auf insgesamt 36 Forderungen. Ich hätte mir an dieser Stelle trotzdem etwas mehr gewünscht, nämlich dass Sie, nachdem Sie sich die Mühe gemacht haben, Forderungen aufzustellen, einen eigenen Gesetzentwurf formulieren. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es aber los!) Das macht es etwas einfacher, diese Dinge zu formulieren. Für uns ist klar: Wir wollen einen Ausgleich zwischen den Mietern auf der einen Seite und den Vermietern und Eigentümern auf der anderen Seite. Ich glaube, wir haben – das hat der Staatssekretär schon dargestellt – in dieser Legislaturperiode eine ganze Menge auf diesem Gebiet gemacht. Wir haben das Bestellerprinzip eingeführt. Wir haben das Wohngeld angehoben. Wir haben die Mittel für die Städtebauförderung verdoppelt und die Mittel für die soziale Wohnraumförderung sogar verdreifacht. Insgesamt stellen wir den Ländern jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. (Ulli Nissen [SPD]: Wann kommt das Bestellerprinzip für den Immobilienkauf?) Hier muss man eine große Klammer machen: Viele Länder geben es leider immer noch nicht dafür aus, wofür es eigentlich ausgegeben werden soll, nämlich für den Wohnungsbau. Wir müssen in Zukunft viel stärker darauf schauen, dass die Gelder, die wir als Bund zur Verfügung stellen, auch zweckgebunden dahin fließen, wo sie hinsollen, nämlich in den Neubau von Wohnungen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Mindrup [SPD]: Das geht mit der Gemeinschaftsaufgabe!) Natürlich haben wir in dieser Legislaturperiode auch die Mietpreisbremse beschlossen. Daran entzündet sich sehr viel Streit: Funktioniert sie, funktioniert sie nicht? Manche Gutachten sagen: ja, viele sagen auch: nein. Das gebe ich offen zu. Es ist wie bei Juristen. Man fragt zwei Juristen und erhält drei Meinungen. Vielleicht kann man auch einmal den Direktor des Deutschen Mieterbundes fragen. Er hat gesagt: Wenn Mieter vor Gericht gehen und sich auf die ihnen eingeräumten Rechte berufen, dann bekommen sie recht. – Ich kenne kein einziges Urteil – auch der Deutsche Mieterbund kennt kein einziges Urteil –, wo die Mieter nicht recht bekommen haben. Man muss auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass das, was wir gemacht haben, tatsächlich nur dann Wirkung entfalten kann, wenn die Mieter ihre Rechte wahrnehmen. Ich kann alle Mieter nur auffordern: Tun Sie das. Überprüfen Sie Ihre Mieten. – Wir als Gesetzgeber haben natürlich die Erwartung, dass sich die Vermieter und Eigentümer an das Gesetz halten. (Ulli Nissen [SPD]: Aber Rückzahlungsanspruch bitte ab Mietbeginn, Herr Luczak!) Selbstverständlich können die Mieter ihre Rechte dann vor Gericht gerne geltend machen. Vonseiten der Grünen und der Linken wird vorgeschlagen, dass wir die Ausnahmen bei der Mietpreisbremse streichen. Es geht um die Ausnahme für den Neubau, um die Ausnahme für die umfassende Modernisierung, um die Ausnahme für die Vormiete. All diese Punkte haben wir hier schon diskutiert. Ich wundere mich über das, was ich im Antrag der Grünen zu dem Punkt Modernisierung lese. Dort wird formuliert, dass unsere Wohnungsmärkte für die Zukunft fit gemacht werden müssen, dass es angesichts der Klimakrise dringend notwendig sei, auch im Gebäudebestand deutlich mehr Energie einzusparen. Dort steht mit Blick auf den demografischen Wandel, dass man vermehrt altersgerechte und barrierefreie Wohnungen braucht. Ja, Sie haben völlig recht, das ist absolut richtig. Nur die Frage ist: Wie kommen wir dahin? Wir bekommen altersgerecht umgebauten Wohnraum und energetisch sanierten Wohnraum nur dann, wenn in den Wohnungsbestand investiert wird und neue Wohnungen entsprechend gebaut werden. Das können wir als Staat nicht alleine leisten. Es ist ganz klar, dass wir auch privates Kapital, private Investitionen benötigen. Deswegen ist es richtig, dass wir die Ausnahmen von der Mietpreisbremse für die umfassende Modernisierung haben und dass wir sie auch für den Neubau haben, ansonsten wäre die Folge, dass niemand mehr in den Wohnungsneubau, niemand mehr in den Umbau des Wohnungsbestandes mit Blick auf altersgerechten Umbau und energetische Sanierung investiert. Wir haben uns gesamtgesellschaftliche Ziele gesteckt, nämlich Klimaschutz zu gewährleisten und den Herausforderungen der älterwerdenden Gesellschaft zu begegnen. Deshalb glaube ich, dass das, was Sie hier vorschlagen, also die Ausnahmen für die Mietpreisbremse abzuschaffen, den Mietern unter dem Strich Steine statt Brot geben würde. Deswegen werden wir als Union das nicht mittragen. (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ich könnte jetzt noch ganz viele Punkte ausführen, zum Beispiel was die Linken zum Kündigungsschutz ausführen. Ich kann, auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nur sagen: Wir haben ein sehr ausdifferenziertes Kündigungsschutzsystem; nur wenn es berechtigte Interessen gibt, kann man einem Mieter kündigen. Das finde ich auch richtig so. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, ich möchte auch Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Denn die Wohnung ist für die Menschen existenziell; sie ist ihr Lebensmittelpunkt. Man kann sie nicht einfach kündigen; es ist kein normales Gut. Wir haben ein wirklich sehr ausdifferenziertes System. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, die Bitte ist wirklich nachdrücklich. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU/CSU hat ja so wenig Redezeit!) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Was Sie hier vorschlagen, ist letztlich eine Überbürdung. Sie verlassen den Gedanken des sozialen Ausgleichs und setzen plötzlich nur noch aufseiten der Vermieter und Eigentümer an. Das ist für ein soziales Mietrecht, das die Interessen beider Seiten im Blick haben muss, nicht angemessen. Deswegen werden wir diesen Antrag nicht mittragen, meine Damen und Herren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich habe vorhin schon einmal darauf hingewiesen, Herr Kollege Luczak und Frau Kollegin Bluhm, dass wir wirklich schon eine sehr große zeitliche Verzögerung haben. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, nicht so stark zu überziehen. Die anderen Kollegen haben sich daran gehalten, haben es gut gemacht. Ich bitte, das wirklich zu berücksichtigen. Es ist einfach nicht fair gegenüber den anderen Kollegen, die dann um Mitternacht und später reden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jetzt hat Herr Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es ja gut, dass wir hier zum wiederholten Male über Wohnungsgemeinnützigkeit und die Lage auf unseren Wohnungsmärkten sprechen. Es ist ein Erfolg der Opposition, dass Sie von der Großen Koalition sich heute substanziell mit diesen Themen auseinandersetzen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Die Menschen erwarten von uns, dass wir Antworten auf die galoppierenden Mieten in unseren Städten geben. Wir bieten hier als Opposition Antworten. Herr Luczak, Sie haben gesagt, der grüne Antrag habe ziemlich viele Unterpunkte. Wir geben die Antworten mit Blick auf die Wohnungsgemeinnützigkeit. Aber wo sind heute die Antworten der Union auf die galoppierenden Mieten in Deutschland? Da ist leider Fehlanzeige; da kommt von Ihnen leider nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden dafür sorgen, dass die Mietpreisbremse funktioniert, dass es in Zukunft nicht mehr passiert, dass 1 Milliarde Euro zu viel Miete in Deutschland gezahlt wird. Ich sage Ihnen eines: Sie haben Ihr Versprechen aus dem letzten Wahlkampf, die Mieten zu deckeln, gebrochen. Daran werden wir Sie in den nächsten 90 Tagen bis zur Bundestagswahl erinnern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Situation in den deutschen Städten ist doch dramatisch. Wir haben entfesselte Wohnungsmärkte, wir haben soziale Verdrängung, und der Geldbeutel entscheidet doch längst darüber, ob jemand die Wohnung bekommt oder nicht. Ich sage Ihnen: Die deutsche Gesellschaft zerreißt im Augenblick an dieser Frage. Ich will, dass der Kitt in dieser Gesellschaft nicht weiter an der Mietenfrage zerbröselt. Deswegen haben wir diese Anträge heute hier gestellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ursächlich dafür ist doch die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch Schwarz-Gelb im Jahr 1990. Sie ist ursächlich dafür, dass der soziale Wohnungsbau niedergegangen ist, wir mittlerweile Spekulation in unseren Städten haben und der Mietendruck zugenommen hat. Deswegen wollen wir eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen. Diese neue Wohnungsgemeinnützigkeit wird dafür sorgen, dass wir sukzessive wieder einen Bestand an bezahlbarem Wohnraum aufbauen, der der Spekulation entzogen ist. Den brauchen wir dringend; denn im Augenblick verlieren wir jedes Jahr im Schnitt 25 000 Sozialwohnungen. Ich glaube, diese Entwicklung müssen wir stoppen, und wir Grüne werden sie mit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland auch stoppen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will eines sagen, Herr Pronold: Ihre Rede war eine super Begründung für die neue Wohnungsgemeinnützigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin total happy, dass mittlerweile ein Fan der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit auf der Regierungsbank sitzt. Ich bin mir sicher, dass es in der nächsten Wahlperiode Konstellationen gibt, die geeignet sind, dieses Thema voranzutreiben und gemeinsam entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Wir Grünen werden alles dafür tun, dass die Stadtrendite endlich in der Stadt bleibt und nicht auf den Konten der Hedgefonds weltweit landet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Pronold, Sie haben gesagt, die Praxis der Share Deals müsse beendet werden. Ja, wir wollen diese Praxis beenden. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber wir nicht!) Wir Grüne haben das Thema Share Deals hier ins Parlament eingebracht, weil es doch absurd ist, dass jemand, der eine Immobilie, ein kleines Haus kauft, die volle Grunderwerbsteuer zahlt und jemand, der große Wohnungsbestände kauft und das Steuerinstrument der Share Deals nutzt, keinen Cent Grunderwerbsteuer zahlen muss. Das geht nicht. Das ist sozial ungerecht. Es macht auch wohnungspolitisch keinen Sinn. Wir Grüne wollen das beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch!) Ich bin sehr gespannt, Ulli Nissen und Florian Pronold, wie sich die SPD zu unserem Antrag verhält. Wenn ihr es beenden wollt, dann stimmt doch unserem Antrag hier zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Geld, das durch die Praxis der Share Deals verloren geht, ist doch das Geld, das den Ländern und Kommunen fehlt, um in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Deswegen muss sich hier endlich etwas ändern. Wir Grünen wollen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, und wir werden weiter dafür streiten. Ich sage Ihnen: Bei uns wird es nicht so sein wie bei der CDU, nämlich dass ein Thema wie die Mietpreisbremse im Wahlkampf zwar auftaucht und im Titel eines Gesetzes erscheint, dann aber inhaltlich im Gesetz keine Rolle spielt. Das wird es mit uns nicht geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir als Grüne haben in unser Programm hineingeschrieben, was wir wollen: die Wohnungsgemeinnützigkeit und Änderungen bei der Mietpreisbremse. Wir werden uns um das Thema „Bezahlbarer Wohnraum in Deutschland“ kümmern. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Dem Bürger genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist eine wichtige und dringliche politische Aufgabe. Das Ziel muss sein, jährlich 350 000 Wohnungen zu bauen. Lassen Sie mich aber deutlich sagen: Die Anträge der Linken und der Grünen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sind gut!) zur Situation auf dem Immobilienmarkt in Deutschland, die wir heute beraten, bewirken genau das Gegenteil und sind deshalb grundsätzlich zu kritisieren. Aus vordergründigen politischen Beweggründen wird eine Immobilienblase geradezu herbeigeredet, geradezu erwünscht und gegen rentierliche Groß-Investitionen etwa von Versicherungen geradezu gehetzt. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich denn die Studie von Prognos angeschaut, die uns an die Hand gegeben worden ist, wie die Situation in Deutschland ist?) Diese rentierlichen Großinvestitionen sind für den Wohnungsbau dringend notwendig, (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) weil die institutionellen Anleger sonst gleich auf den Kapitalmarkt gehen, ohne dass der Wohnungsbau davon profitiert. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gehen doch auf den Wohnungsmarkt, weil dort die fetten Renditen sind! Das ist doch die Wahrheit!) Lassen Sie Ihre Ideologie zum Wohle der Wohnungssuchenden einfach einmal beiseite. Mit dem Vorwurf der Profitgier helfen Sie niemandem, schon gar nicht den Wohnungssuchenden. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Wahrheit ist: Wir müssen Nachfrage und Angebot zusammenbringen und die Rahmenbedingungen verbessern, damit wieder mehr Wohngebäude errichtet werden. Um die Situation in einzelnen Gebieten in Deutschland zu entspannen, müssen wir den Wohnungsbau weiter mit marktwirtschaftlichen Maßnahmen ankurbeln. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist da Ihr Instrument?) Um in Städten, in Ballungszentren oder in Universitätsstädten für ausreichenden und vor allem bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, brauchen wir zielgerichtete Fördermaßnahmen, zum Beispiel durch Verbesserungen bei der steuerlichen Abschreibung, wie wir sie eigentlich in dieser Legislaturperiode durchsetzen wollten. Aber da hat sich unser Koalitionspartner leider vom Acker gemacht. (Klaus Mindrup [SPD]: Zu Recht!) Entscheidend ist doch, dass die Privatwirtschaft Anreize erhält, um ausreichend Wohnungen zu bauen. Meine Damen und Herren, die Staatswirtschaft schafft es nicht, die 350 000 Wohnungen für die Wohnungssuchenden zu bauen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Hat sie noch nie geschafft!) Die Mobilisierung von privatem Kapital ist unverzichtbar. Das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben. Das ist eine Tatsache. Da besteht Handlungsbedarf. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen nicht immer neue Vorschriften mit ideologischem Hintergrund. Ich bedaure außerordentlich, dass unser Koalitionspartner den Gesetzentwurf der eigenen Ministerin zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus zerredet und letzten Endes gestoppt hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Ulli Nissen [SPD]: Sie wollten ja nicht mitmachen, Herr Kollege!) Wir haben bis zuletzt gekämpft. Aber Ihre Ideologie hat auch vor der Ministerin nicht haltgemacht. (Ulli Nissen [SPD]: Wir wollten langfristige Bindung und die Obergrenze! Ohne die Obergrenze konnten wir natürlich nicht mitmachen!) Dies ist ein Schaden für potenzielle Mieter, den wir schnellstens revidieren werden. Wenn wir hier die entsprechende Mehrheit haben, werden wir die steuerlichen Anreize für den Wohnungsbau zum Wohle der Wohnungssuchenden beschließen. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Warum sollen wir Geld bezahlen, wenn wir keine Obergrenze haben?) Eines müssen Sie sich merken: Es geht auch uns grundsätzlich um die Mietpreisentwicklung. Je höher die Kosten, desto höher die Mieten. Sie haben immer wieder durch Steuererhöhungen und durch Regulierung die Baukosten erhöht, und damit erhöhen Sie gleichzeitig die Mieten. Auch das ist eine Tatsache. Durch Ihre Politik kam es zu den Mietpreiserhöhungen, die hausgemacht waren. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn seit zwölf Jahren in Deutschland?) Es ist erstaunlich, dass Sie diesen Widerspruch nicht zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Mieterfreundlich ist letzten Endes etwas anderes. Schauen Sie sich insbesondere die Grunderwerbsteuersätze an. Dort, wo die Grunderwerbsteuersätze niedrig sind – wie beispielsweise in Bayern mit 3,5 Prozent –, gibt es weniger Share Deals, (Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug!) weil es die Leute und letztlich die Investoren aufgrund eines niedrigen Grunderwerbsteuersatzes nicht nötig haben. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nürnberg auch nicht! Fürth auch nicht! Würzburg auch nicht!) Bei einem Grunderwerbsteuersatz von 6,5 Prozent wie in Brandenburg, von 6 Prozent wie in Berlin oder von 5 Prozent wie in Baden-Württemberg wollen die Menschen aus Gründen der Rentierlichkeit Steuern sparen. Das heißt, Sie beklagen etwas, was Sie durch einen hohen Grunderwerbsteuersatz selbst herbeiführen, meine Damen und Herren. Das ist die Tatsache, die Sie letzten Endes mal zur Kenntnis nehmen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie nehmen als Erstes immer Steuererhöhungen vor. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn seit zwölf Jahren? – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die Mehrwertsteuer erhöht? – Ulli Nissen [SPD]: Hessen!) Letzten Endes zahlt es der Bürger, letzten Endes zahlt es der Wohnungssuchende, und letzten Endes zahlt es der Mieter, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beende diese leidenschaftliche Aussprache, und wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 16 a. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf der Drucksache 18/10928. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7415 mit dem Titel „Bundesweiten Aktionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft auflegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8081 mit dem Titel „Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig wohnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/12632. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11049 mit dem Titel „Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10810 mit dem Titel „Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 16 c. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Spekulation mit Immobilien und Land beenden – Keine Steuerbegünstigung für Übernahmen durch Share Deals“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12818, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8617 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/12733 Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Plätze einzunehmen, damit wir zügig fortfahren können. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen. Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär Jens Spahn für die Bundesregierung das Wort. – Herr Staatssekretär. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Spahn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte das gedacht? Als Portugal im Jahr 2011 seine europäischen Partner um Finanzhilfen bat, war das Land von einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise gezeichnet. Die Arbeitslosigkeit war enorm gestiegen, portugiesische Zehnjahresanleihen lagen Anfang 2011 bei einem Zinssatz von fast 7 Prozent. Das waren über 4 Prozentpunkte mehr, als etwa Deutschland zu zahlen hatte. Wann das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen würde, stand in den Sternen. Ohne externe Hilfe jedenfalls – das war damals klar – würde das kaum gelingen. Für die portugiesische Regierung war damals aber auch klar: Im Gegenzug für die Unterstützung – am Ende wurden Hilfsgelder im Umfang von fast 77 Milliarden Euro gewährt, von denen zwei Drittel von den beiden europäischen Rettungsschirmen EFSF und EFSM und ein Drittel vom IWF bereitgestellt wurden – würde man sich zu umfassenden Reformen verpflichten müssen. Das war ohne Zweifel bittere Medizin, es waren schwierige Reformen und Veränderungen; es bedeutete auch Einschnitte, die vorzunehmen waren. Aber es war – das ist eben das, was wir heute feststellen können – am Ende wirksam: Das portugiesische Staatsdefizit wurde enorm zurückgeführt. Es liegt nun, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, aktuell deutlich unter 3 Prozent und wird wahrscheinlich bald sogar unter 2 Prozent liegen. Die portugiesische Wirtschaft wächst, die defizitäre Leistungsbilanz wurde nachhaltig verbessert. Die Arbeitslosigkeit, die einmal erheblich höher lag, ist mittlerweile auf unter 10 Prozent gesunken. Allein letztes Jahr sind etliche neue Jobs entstanden. Das zeigt also: Durch das Anpassungsprogramm, durch die Reformen, die im Rahmen dieses Hilfsprogramms miteinander vereinbart wurden, hat Portugal Erfolg gehabt. Es hat den Zugang zurück zu den Kapitalmärkten gefunden, kann sich also selbst wieder refinanzieren, und das Land steht wirtschaftlich und finanziell wieder auf eigenen Beinen. Das ist noch kein Grund zur Euphorie; wir sind noch nicht durch. Aber es ist erst einmal ein Zeichen dafür, dass Reformen und Veränderungen wirken. Wir haben keinen Mangel an Schulden in der Euro-Zone. Es sind auch nicht Schulden, die am Ende über die Probleme hinweghelfen, sondern es geht darum, teilweise auch harte Reformen durchzubringen, um Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum wiederzuerlangen. Dann lässt es sich vor allem eben auch mittel- und langfristig wieder auf eigenen Beinen stehen. Das zeigt Portugal, und das ist Anlass zur Freude, auch heute am Donnerstagabend. (Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt eben auch – darum geht es in diesem Antrag –, dass Portugal wieder eigene Möglichkeiten hat, an die Finanzmärkte zu gehen. Portugal will jetzt sogar vorzeitig einen Teil der IWF-Kredite, der Kredite des Internationalen Währungsfonds, zurückzahlen. Insgesamt geht es dabei um 9,4 Milliarden Euro, die in den nächsten 30 Monaten in einzelnen Tranchen vorzeitig zurückgezahlt werden sollen. Um Portugal dies zu ermöglichen, müssen wir als europäische Geldgeber auf die Anerkennung der sogenannten Parallelitätsklausel verzichten. Es war eigentlich vorgesehen, dass dann, wenn Portugal an den IWF zurückzahlt, es parallel auch an die europäischen Geldgeber zurückzahlen müsste, es sei denn, wir sagen ausdrücklich, dass das nicht notwendig ist. Wir brauchen heute die Zustimmung des Deutschen Bundestages, damit wir in den Gremien in Europa in der nächsten Woche zustimmen können. Wir befürworten das sehr und ausdrücklich, weil es Portugal entlastet. Die IWF-Kredite sind relativ teuer, über 4,5 Prozent Zinsen sind zu zahlen. Das ist deutlich mehr, als Portugal an den Kapitalmärkten zahlen müsste. Es entlastet Portugal dann eben beim Zinsdienst und wird damit den Schuldenstand um ein Drittel Prozentpunkt des portugiesischen Bruttoinlandsprodukts entsprechend senken. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Portugal eine vorzeitige Rückzahlung an den IWF leistet. Es gab schon vor zwei Jahren eine solche Zahlung in zweistelliger Milliardenhöhe, und auch da können wir in der Rückschau sagen: Das war eine richtige Entscheidung, weil es eben die Zinskosten für Portugal gesenkt und entsprechend Spielraum für Wachstum und Investitionen geschaffen hat, aber vor allem eben auch Vertrauen auf den Finanzmärkten stärkte. Schauen wir uns für die Bewertung einmal alle fünf Programmländer an. Über vier Programmländer diskutieren wir im Moment kaum, weil wir eigentlich nur über eines diskutieren, über Griechenland. Zu den Programmländern gehören aber auch Portugal, Spanien, Zypern und Irland. Auch diese vier Länder waren in der schweren Finanzkrise darauf angewiesen, dass die europäische Solidarität gilt. Diese Solidarität haben wir mit den Rettungsschirmen gezeigt. Es war aber immer klar: Solidarität gibt es nur gegen Solidität, gegen die Bereitschaft zu Reformen, also zu Veränderungen, damit man das Problem bei den Wurzeln packen kann. Eines ist dabei wichtig: Es geht nicht um dieses große Wort der Austerität, um das Sparen um des Sparens willen. Im Übrigen war die Frage der Haushaltsdisziplin immer nur ein kleiner Bestandteil der notwendigen Reformen. Am Ende geht es darum, dass man durch Strukturreformen zu wirtschaftlichem Wachstum kommt, damit die Länder wieder in der Lage sind, auf eigenen Beinen zu stehen. Heute gehören diese genannten vier Länder zu den Ländern mit den höchsten Wachstumsraten in der Euro-Zone. Wir sehen, dass die Arbeitslosigkeit in diesen Ländern zurückgeht und sie, wie Portugal, in der Lage sind, Kredite vorzeitig zurückzuzahlen. Abschließend sei all denjenigen, die auch in diesen Monaten, Wochen und Tagen das Heil der Euro-Zone in mehr Schulden suchen, zugerufen: Wir haben keinen Mangel an Schulden in der Euro-Zone; wir haben einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und einen Mangel an Strukturreformen. Portugal hat gezeigt, was Reformen bringen können. Andere Länder wollen über Schuldenschnitte diskutieren. Portugal will vorzeitig zurückzahlen, und das sollten wir honorieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Richard Pitterle hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Portugal wurde durch die Finanzkrise so schwer getroffen, dass es 2011 einen Kredit in Höhe von 78 Milliarden Euro aufnehmen musste, und zwar jeweils zu ungefähr einem Drittel beim Internationalen Währungsfonds und den beiden europäischen Institutionen EFSF und EFSM. Nun geht es Portugal wieder deutlich besser. Deshalb will es einen Teil dieser Kredite vorzeitig zurückzahlen, aber nur an den IWF, weil dadurch die meisten Zinsen gespart werden. Damit müssen aber alle Gläubiger einverstanden sein. Daher muss heute auch der Bundestag ein Votum abgeben. Ich kann Ihnen gleich sagen: Die Linke wird dem Ansinnen Portugals zustimmen. Die vorzeitige Schuldentilgung ist gleich in doppelter Hinsicht positiv: Zum einen erhält Portugal wieder mehr finanziellen Spielraum – nach Berechnungen der EU könnte Portugal rund 660 Millionen Euro an Zinsen sparen; Geld, das im eigenen Land deutlich besser genutzt werden kann –, zum anderen erhält Bundesfinanzminister Schäuble einen kräftigen Dämpfer. Der Minister ist nämlich hinlänglich bekannt dafür, dass er seine strenge Austeritätspolitik auf der europäischen Bühne mit allen Mitteln verteidigt und auch Portugal weiter aufzwingen wollte. Diese Austeritätspolitik ist jedoch vor allem eine Politik des Kaputtsparens. Darunter haben auch die Portugiesen lange gelitten. Bereits Anfang 2015, also vor über zwei Jahren, haben wir hier eine ähnliche Debatte geführt; das ist erwähnt worden. Auch damals konnte Portugal einen Teil der Kredite vorzeitig zurückzahlen. Die Gesamtsituation im Land war damals jedoch alles andere als gut: Lohnkürzungen und Rentenkürzungen waren die Resultate der ab 2011 amtierenden konservativen Regierung Portugals, die Schäubles Mantra folgte. Über 2 Millionen Portugiesen, fast ein Viertel der Bevölkerung, lebte in Armut oder knapp an der Grenze dazu. Das haben wir als Linke immer wieder kritisiert. Daher freut es uns umso mehr, dass sich Portugal aus diesem Würgegriff befreien konnte. Dass Portugal nun insgesamt auf dem Weg der Besserung ist, ist nicht das Verdienst des von Schäuble geforderten Sparkurses. Nein, das ist das Verdienst der inzwischen von den linken Parteien getragenen portugiesischen Regierung. (Beifall bei der LINKEN – Margaret Horb [CDU/CSU]: Das glaubst du doch selbst nicht, oder?) Ende 2015 haben die Portugiesen nämlich ihre Mitte-Rechts-Regierung und damit auch den von Schäuble und Co verordneten strengen Sparkurs abgewählt. (Beifall bei der LINKEN) Die neue Regierung hat vor ungefähr anderthalb Jahren einen anderen Weg eingeschlagen und damit richtig gelegen. Anstatt das Land weiter kaputtzusparen, wurden zum Beispiel Löhne und Renten erhöht. Steuererhöhungen, die vor allem die unteren Einkommensschichten trafen, wurden zurückgenommen. Dadurch wurde der Binnenkonsum angekurbelt. Die Leute haben schlicht wieder mehr Geld zum Ausgeben, was der portugiesischen Wirtschaft direkt zugutekommt. Das wiederum hat Arbeitsplätze geschaffen. Die Steuereinnahmen sind gestiegen. Den Menschen in Portugal geht es insgesamt besser, und das ist gut so. (Beifall bei der LINKEN) Der Bundesfinanzminister hingegen hat noch Mitte letzten Jahres behauptet, dass Portugal wegen der Abkehr vom strengen Sparkurs schon bald ein neues Rettungsprogramm brauchen würde. Da lag Herr Schäuble völlig daneben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir Linken wünschen Portugal deshalb weiterhin „mais Bloco de Esquerda“ und „mais CDU“, übersetzt: mehr CDU. Damit sind jedoch keineswegs die Herren hier zur Rechten gemeint, sondern das Wahlbündnis der portugiesischen Kommunisten und Grünen, die die portugiesische Regierung mittragen und somit einen großen Anteil an der guten Entwicklung Portugals haben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Johannes Kahrs. (Beifall bei der SPD – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich twittere jetzt: „Linke will mit CDU koalieren!“ – Gegenruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]: Wir sind flexibel! – Gegenruf des Abg. René Röspel [SPD]: Der war gut! – Vereinzelt Heiterkeit) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Flexibilität der Linken wollen wir heute nicht reden; dazu würde mir allerdings einiges einfallen. Wir reden heute über Portugal. Portugal ist auf einem guten Weg; wir haben das eben schon von Staatssekretär Spahn gehört. Das liegt daran, dass Portugal in Zeiten der Krise Unterstützung und Kredite bekommen und am Ende sich selbst geholfen hat. Weder Portugal noch Spanien noch Griechenland wird von Deutschland oder vom ESM gerettet. Portugal können nur die Portugiesen retten, Griechenland nur die Griechen. Wir können dabei nur helfen. Portugal ist, wie gesagt, auf einem guten Weg. Das Ergebnis ist, dass das Land Staatsanleihen platzieren kann. Es ist nicht so, dass Portugal IWF-Kredite vorzeitig aus eigenem Vermögen zurückzahlt, sondern die Portugiesen schichten um. Das heißt, sie finanzieren die Rückzahlung der IWF-Kredite mit Staatsanleihen, die sie jetzt aufnehmen. Sie profitieren davon, dass die Zinsen, die sie für die Staatsanleihen zahlen, deutlich niedriger sind als die Zinsen, die sie für den IWF-Kredit zahlen müssten. Das ist ein richtiger Schritt und zeigt, dass die Märkte Vertrauen haben. Das heißt aber noch nicht, dass in Portugal alles gut ist. Deswegen ist es wichtig, dass man Portugal auch weiterhin unterstützt. Man muss dafür sorgen, dass es zu einer Reindustrialisierung Portugals kommt, sodass Portugal langfristig auf eigenen Beinen stehen kann. Der IWF hat hier eine gute Rolle gespielt und sich mit viel Geld beteiligt. Da Staatssekretär Spahn eben in aller Freundschaft über Griechenland gesprochen hat, könnte man jetzt über die Frage diskutieren, warum der IWF beim dritten Griechenland-Kredit nicht mitmacht. Ich glaube, diese Diskussion werden wir im Haushaltsausschuss führen. Dort werden wir dann über die Frage diskutieren, warum uns 2015 eine Teilnahme des IWF versprochen worden ist und warum es sie bis heute nicht gibt. Die gute Nachricht ist: Die Euro-Krise ist auf dem Rückzug. Es geht vielen Ländern deutlich besser. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Länder wie Deutschland, indem sie Geld bezahlt, die richtigen Diskussion geführt und die Länder unterstützt haben, solidarisch waren und ihren Teil dazu beigetragen haben, dass der europäische Gedanke funktioniert, dass die Menschen in Portugal eine Perspektive bekommen haben, dass sich die Arbeitsmarktlage verbessert und Jugendliche wieder einen Ausbildungsplatz finden. Die Situation ist nicht so gut, wie wir uns das wünschen würden. Aber sie ist deutlich besser als gedacht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ein bisschen Wasser in den Wein gießen, weil wir an zwei Stellen etwas recht Bemerkenswertes erleben. Auf der einen Seite gibt es in Portugal eine linke Minderheitenregierung, die sogar von Kommunisten toleriert wird, die es seit ihrem Amtsantritt geschafft hat, klar auf Stabilität zu setzen, und die die Stabilität bzw. das Vertrauen in das Land, in Portugal, zur obersten Priorität gemacht hat. Das ist nicht das, was man von Kommunisten erwartet; da ist ja sonst eigentlich immer Revolution angesagt. Auf der anderen Seite haben wir den Bundesfinanzminister, der im letzten Jahr dermaßen foul gespielt hat, dass er heute eigentlich hier hätte reden und sich für sein schlechtes Gerede über Portugal hätte entschuldigen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Er hat an der Stabilität gezündelt. Wir haben also eine linke Regierung, die dort eine kluge Politik macht und sagt: Wir schaffen dadurch Spielräume, dass wir keinen Schmarrn machen. Diese Spielräume nutzen wir, um sie beispielsweise durch eine teilweise Rücknahme von Rentensenkungen auch den Menschen zugutekommen zu lassen. – Anstatt das zu belohnen, wurde von Herrn Schäuble im letzten Jahr ideologische Parteipolitik auf dem Rücken der Anleihekosten Portugals gemacht. Das musste hier schon noch einmal gesagt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das hat nichts mit Stabilität zu tun, genauso wenig wie das, was im Fall Griechenland geschieht. Wir beschließen hier durch die Umschichtung, wie Herr Kahrs das richtig beschrieben hat, eine Schuldenerleichterung für Portugal in Höhe von ungefähr 300 bis 600 Millionen Euro. Das bringen wir hier ins Plenum. Herr Spahn hat gesagt, dass wir die ganze Zeit über Griechenland, aber nicht über die anderen Länder reden. Genau das ist das Problem. Sie reden die ganze Zeit schlecht über Griechenland und haben am Ende wegen der Bundestagswahl nicht einmal den Allerwertesten in der Hose, heute hier im Bundestag Schuldenerleichterungen für Griechenland zu beschließen. Es weiß jeder, dass nach der Bundestagswahl Schuldenerleichterungen anstehen, wenn der IWF an Bord bleiben soll. Sie haben aber einfach nicht den Mut, das hier zu sagen. Sie tricksen hier bis nach der Wahl. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Weil es nicht richtig ist! Blödsinn!) Damit sorgen Sie nicht für Stabilität. Wenn wir im Wahlkampf wieder Griechenland-Debatten führen – die Menschen und die Presse wissen doch, dass da getrickst wird –, dann sorgen Sie genau dafür, dass das stabile Umfeld dort, in dem auch linke Regierungen etwas kommunizieren und vernünftig bleiben können, kaputtgemacht wird. Das heißt, die Bundesregierung sorgt nicht für Stabilität, sondern inzwischen sorgen dort die Linken gegen die Bundesregierung für Stabilität. Das ist doch absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deswegen finde ich es lobenswert, dass die Linkspartei zustimmt. Wir werden auch zustimmen. Portugal ist auf einem guten Weg, und ich möchte an dieser Stelle auch noch sagen: Wir können es uns meiner Ansicht nach durchaus erlauben, dass wir, wenn die Portugiesen jetzt an den IWF zurückzahlen, von der Gleichzeitigkeit an dieser Stelle Abstand nehmen. Wir haben sowieso nie strikt gesagt, der IWF sei bei solchen Programmen am wichtigsten. Wenn Portugal sein Sonderziehungsrecht beim IWF ausübt, macht das Sinn. Wie gesagt: Je nachdem, ob sie zehnjährige oder fünfjährige Staatsanleihen ausgeben, wären das bei dem jetzigen Marktpreis Zinsersparnisse in Höhe von 300 bis 600 Millionen Euro. Dieses Geld wird die portugiesische Regierung einsetzen können, um den Menschen in Portugal zu zeigen, dass auch ein harter und anstrengender Weg Sinn machen kann und dass die Politik Spielräume zurückgewinnen kann, die dann auch für politische Entscheidungen der Parteien – abhängig von ihrem jeweiligen Programm – genutzt werden können. Deswegen sage ich von meiner Stelle aus: Gut, dass Portugal hier heute geholfen wird. Gut, dass der Deutsche Bundestag hier im Plenum den Mut hat, das zu tun. Ich würde mich freuen, wenn Sie endlich auch einmal eine mutige und auf Stabilität ausgerichtete Griechenland-Politik hinbekommen würden. Vielleicht haben wir nach der Bundestagswahl ja die Verantwortung dafür, sodass wir diesen Job dann für Sie übernehmen; darauf hoffe ich sehr. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Danke sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Alois Karl für die Fraktion der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD]) Alois Karl (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen des Deutschen Bundestages! Sehr geehrte Zuhörer im Auditorium! Lieber Herr Sarrazin, mit Interesse habe ich Ihre Rede verfolgt, insbesondere den Abschluss, dass Sie vielleicht in die Situation kommen werden, regierungsbeteiligt an der Lösung der Schuldenproblematik Griechenlands mitzuwirken. Ich glaube, das ist für Sie ein Wunschtraum und für uns ein Albtraum. Ich meine, dort führen keine großen Wege hin. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin mir auch sicher, dass die Probleme in Griechenland, die Sie geschildert haben und die natürlich da sind, in gar keiner Weise Geldprobleme sind. Geld hat Griechenland genug, es fehlt aber am Reformwillen und an den Reformen, die durchgeführt werden müssen. Herr Schäuble, den Sie jetzt zweimal zitiert haben, hat in den letzten Tagen ja gesagt, dass das jetzt möglicherweise das letzte Rettungsprogramm für Griechenland ist, weil sie sich jetzt auf einen guten Weg gemacht haben. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Maßnahmen, die in den letzten vier, fünf Jahren von Griechenland eingefordert worden sind, so Platz greifen und zu so guten Ergebnissen führen, wie das jetzt in Portugal auch der Fall ist. Einige der Kollegen sind heute nicht hier, weil sie wichtige Termine haben, zum Beispiel eine Zusammenkunft in der Parlamentarischen Gesellschaft, wo sie etwas feiern. Auch Portugal kann heute feiern, wenn wir diesen Beschluss fassen. Alle Fraktionen hier haben erklärt, dass man Portugal helfen wird, sodass es auch dort eine Gelegenheit zum Feiern gibt. Uns geht es fast schon wie den Pfadfindern: Jeden Tag eine gute Tat. Wer heute noch keine gemacht hat: Heute am späten Abend wäre durch den Beschluss, den Portugiesen dabei zu helfen, ihre Schulden besser zu verwalten, eine gute Tat möglich. Ich freue mich, dass wir zustimmen. Das haben wir auch vor zweieinhalb Jahren schon gemacht – übrigens auf Vorschlag des mit Ihnen befreundeten Herrn Schäuble –, sodass man seinerzeit in Portugal über 12 Milliarden Euro hat umschichten können, damit Portugal eine deutlich verbesserte Zinssituation erreichen konnte, so wie das hier der Kollege Spahn ausgeführt hat. In der Tat war nach dieser Weltfinanzmarktkrise vor acht, neun Jahren Portugal genauso wie Griechenland, Zypern und Irland in einer ganz schwierigen Situation. Wir haben in Europa immense Rettungsschirme aufgespannt, übrigens auch in Deutschland. An einem einzigen Tag haben wir Kredite in Höhe von 480 Milliarden Euro für die deutschen Banken und für die Wirtschaft bereitgestellt. Ich glaube, wir haben alles richtig gemacht. Auch wenn das ganz schwierige Situationen waren, haben wir, im Nachhinein betrachtet, die richtigen Entscheidungen getroffen und die Rettungsschirme aufgespannt. Wir haben den EFSF und den EFSM gegründet, wodurch Portugal Finanzhilfen in Höhe von 26 Milliarden und 24,3 Milliarden Euro bereitgestellt wurden. Der Internationale Währungsfonds hat den Portugiesen weitere 26,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Portugiesen haben mit diesem Geld in der Tat etwas gemacht: Sie haben Reformen angestoßen. Sie haben sich teilweise entschuldet. Das Defizit ist auf unter 3 Prozent gesunken und geht auf 2 Prozent zu. Wir sind mit der Situation sehr zufrieden. Ähnlich wie 2015 glauben wir, dass wir auch dieses Mal den Beschluss fassen können, ja fassen müssen, die Parallelitätsklausel nicht anzuwenden. Diese Klausel bedeutet, dass ein Schuldnerland dann, wenn es einem der Geldgeber seine Schulden zurückzahlt, auch bei allen anderen seine Schulden tilgen muss. Das schaffen die Portugiesen natürlich nicht. Aber wenn sie dem IWF das Geld zurückzahlen, nützt ihnen das am meisten. Ihnen nützt das, und uns schadet es nicht. Unter Freunden ist es üblich, dass man sich gegenseitig hilft, insbesondere dann, wenn es einem nicht schadet. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Zinsgewinne von fast 700 Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Die Portugiesen können dieses Geld in der Tat gut gebrauchen. Wir gehen aus dieser Sache nicht als Verlierer und nicht einmal neutral heraus, sondern wir gewinnen, weil damit die Schuldentragfähigkeit von Portugal gestärkt wird. Gestärkt werden dadurch auch unsere Kredite, die wir Portugal gewährt haben, die dadurch risikoärmer werden. Außerdem haben wir Vertrauen in die Wirtschaft von Portugal. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind, wie wir das in unserer Oberpfälzer Heimat sagen, in einer Win-win-Situation. Daher sollten wir hier zustimmen. Wir sollten den Portugiesen helfen, wie das unter Freunden üblich ist. Uns bringt das keinen Schaden. Im Gegenteil: Wir werden damit die Freundschaft zu Portugal weiter festigen. Ich denke, wir alle stimmen zu. Vielen herzlichen Dank. Ihnen einen schönen Abend. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 18/12733 mit dem Titel „Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Eine Gegenstimme. – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen des gesamten Hauses bei einer Gegenstimme des Kollegen Willsch angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein Institut für humanitäre Angelegenheiten schaffen Drucksache 18/12530 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung – Für eine flexible, wirksame und zuverlässige humanitäre Hilfe Drucksachen 18/8619, 18/10627 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch erhebt sich keiner dagegen. Dann ist das so beschlossen. Ich darf mir den Hinweis erlauben, dass die Kollegen, die den vorausgehenden Tagesordnungspunkt bestritten haben, alle außerordentlich diszipliniert und präzise die Redezeiten eingehalten und gelegentlich sogar nicht vollständig ausgeschöpft haben. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit wir das letzte Mal über humanitäre Hilfe diskutiert haben – vor fast einem Jahr –, hat sich die Situation nicht gebessert, weder kurzfristig noch langfristig. Im Augenblick sind mindestens 125 Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Auch der finanzielle Bedarf bei der humanitären Hilfe ist explodiert. Er wird für dieses Jahr auf 23,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Deutschland ist laut den Vereinten Nationen mit insgesamt 2,8 Milliarden der drittgrößte Geber im humanitären Bereich. Das ist ein Haufen Geld. Rechnete man die 21 Prozent Beitrag an die Europäische Union noch hinzu, wären es etwa 3,5 Milliarden. Das ist natürlich weit entfernt vom Gesamtbedarf. Das Weiße Haus hat dem Kongress vorgeschlagen, die humanitären Gelder um 30 Prozent zu kürzen. Da die Amerikaner der größte Geber sind, wäre das ein Betrag von ungefähr 2 Milliarden Dollar, die dann weniger zur Verfügung stünden. Es ist also überhaupt nicht vorstellbar, wie dieses Problem quantitativ zu lösen ist. Deshalb diskutieren wir – und so hat auch der World Humanitarian Summit in Istanbul diskutiert – die Frage nicht mehr quantitativ, sondern qualitativ. Wir müssen uns darum kümmern, wie der humanitäre Bedarf erst gar nicht entsteht oder sich zumindest reduzieren lässt. Da muss es ein Umdenken auch im Umfeld der humanitären Hilfe, im Umgang mit Konflikten, geben. Viel stärker muss die Konfliktprävention betont werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Dazu gehört auch ein systematisches Umsetzen der SDGs. Denn das vermindert die Vulnerabilität der Gesellschaften, die unter Umständen in solche Krisen kommen. Deutschland hat eine Riesenverantwortung. Das erste humanitäre Prinzip Menschlichkeit bedeutet auch eine globale Verantwortung. Man kann das unterschiedlich formulieren; denn es klingt etwas allgemein. Aber eine Ausprägung ist zum Beispiel das viel gepriesene „Wir schaffen das“ der Kanzlerin. Das hat ihr in Istanbul ein ganz anderes Standing als den anderen gegeben, weil Deutschland im Humanitären fast beispielhaft ist. Der humanitäre Bedarf entsteht da, wo Politik versagt. Es widerspricht auch nicht den humanitären Prinzipien, wenn man sagt: Hier kommt Politik ins Spiel. Im Gegenteil: 90 Prozent der Opfer von Kriegen sind Zivilisten. Das humanitäre Völkerrecht wird bewusst und massiv verletzt. Es geht nicht nur darum, wie viel wir leisten – die quantitative Diskussion ist fast ausgeschöpft –, sondern, wie. Das Thema des Zugangs: welche Leistungen, die Art der Leistungen. 65 Millionen Menschen sind auf der Flucht; davon sind zwei Drittel IDPs. Auch darüber muss man einmal diskutieren. Auch das wäre eines Kongresses würdig: über den Umgang mit IDPs zu reden. Beim humanitären Weltgipfel – das habe ich schon gesagt – waren wir hochrangig vertreten, aber inhaltlich haben wir fast nichts beigetragen. Offensichtlich fehlt bei uns eine öffentliche Diskussion, aber auch eine Expertendiskussion um das Wie der humanitären Hilfe. Der Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe ist zwar wichtig, kann aber diese strategische, diese strategiebildende Leistung nicht erbringen. Auch den NGOs kann man das nicht zuweisen und sagen: „Ihr könnt ja mal vordenken“; denn es ist ja der Staat, der in ungeheurer Weise da tätig ist. Die strategischen Entscheidungen werden deshalb gar nicht erst in Deutschland gefasst, sondern in internationalen Organisationen, und wir sind weder beteiligt, noch leisten wir einen Beitrag. Ich wünsche mir, dass wir nicht nur einer der größten Geber, sondern auch einer der innovativsten strategischen Geber würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb schlagen wir dieses Institut für humanitäre Angelegenheiten vor. Das ist genau der Weg, wie man sich aus den immer nur um das Finanzielle und die Quantitäten kreisenden Diskussionen befreit und Ideen entwickelt. Die Flüchtlinge verändern auch die Gesellschaften, das muss man mitbetrachten, und zwar nicht nur in Jordanien, dem Libanon und der Türkei, sondern auch in Deutschland. Und IDPs im Lande verändern die politische, aber auch die humanitäre Situation. Betrachten wir die Krisen im Sudan oder in Venezuela, wo sehr reiche Länder in humanitäre Krisen hineinlaufen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Koenigs, Sie denken an die Redezeit. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich denke an die Redezeit. Ich kann Ihnen sogar zusichern, dass ich dann, wenn ich dieses hier beende, von dieser Stelle aus nicht mehr reden werde. (Heiterkeit) Die Flüchtlinge verändern auch die Aufnahmegesellschaft. Darauf müssen wir antworten. Das sind neue Herausforderungen, das sind auch neue intellektuelle Herausforderungen. Dafür brauchen wir einen Ort der Diskussion. Die Engländer haben so einen Ort geschaffen durch das ODI, das Overseas Development Institute. Wir haben in der Außenpolitik die Stiftung Wissenschaft und Politik. Hier wäre ein Institut für humanitäre Angelegenheiten die richtige institutionelle Antwort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb plädieren wir dafür, und deshalb schlagen wir das vor. Wir hoffen, dass das wenigstens in der nächsten Legislaturperiode angegangen wird; denn wir haben im Bereich der Menschenrechte sehr gute Erfahrungen mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So kämen wir auch in die internationale Diskussion positiv hinein. Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. Guten Abend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Sehr geschätzter Kollege Koenigs, nachdem wir vernommen haben, dass das Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag war, möchte ich Ihnen an dieser Stelle herzlich danken für Ihr parlamentarisches Wirken über viele Legislaturperioden. Herzlichen Dank. (Beifall) Für die Unionsfraktion hat jetzt der Kollege Frank Heinrich das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Sehr geehrter Herr Koenigs! Ebola 2014 in Westafrika: 28 000 Menschen erkranken, etwas weniger als die Hälfte von ihnen stirbt. 2015, wir erinnern das Erdbeben in Nepal: Die Welthungerhilfe hat bis heute über 150 000 Menschen mit Nothilfemaßnahmen versorgt. In den Jahren 2015/2016 – Sie haben es gerade genannt – kamen viele Flüchtlinge nach Deutschland, hauptsächlich aus den Regionen um Syrien und den Irak. Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren etwa 1 Million Menschen aufgenommen. Ganz aktuell ist die Hungerkatastrophe vor allem im Osten Afrikas und im Jemen. 20 Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. Allein dafür werden 4,4 Milliarden US-Dollar an Hilfe benötigt. Die vergangenen vier Jahre haben wohl jedem vor Augen geführt, warum wir humanitäre Hilfe leisten. Die Bundesregierung stellt 2017 knapp zehnmal so viel an finanziellen Mitteln für Krisen zur Verfügung wie noch vor fünf Jahren, und offensichtlich haben wir als Parlament wie auch als Regierung begriffen, dass wir eine Verantwortung mittragen. Trotzdem: Unsere zentralen Herausforderungen sind erstens, wie gerade genannt, dass die Not zugenommen hat. Zweitens muss der Zugang zu humanitärer Hilfe je länger je besser gewährleistet werden. Wir haben das in Syrien erlebt, und wir wissen, was im Südsudan passiert. Das World Food Programme und andere Organisationen leiden darunter, dass sie einfach nicht an die Orte gelassen werden, selbst nicht in die extremsten Gebiete, in denen die Hungersnot groß ist, wo zwei von 10 000 Menschen oder vier von 10 000 Kindern pro Tag sterben. Drittens müssen die Einhaltung und die Akzeptanz des humanitären Völkerrechts gewährleistet werden. Der Blick in die Zukunft zeigt, dass die globale Finanzierung der humanitären Hilfe schwieriger wird. Sie, Herr Kollege, haben das Stichwort gerade genannt. Keiner weiß, wie stark die Zuwendungen des größten Gebers tatsächlich reduziert werden. Wir hoffen, dass sich das Parlament gegen den Präsidenten durchsetzt. Man kann nur ahnen, was anderenfalls passieren würde. Auch die Konflikte und die Notlagen werden nicht weniger. Ich glaube, deshalb ist der Antrag richtig. Ich hoffe, wir tragen ihn in die nächste Legislaturperiode. Wir müssen uns trauen, humanitäre Hilfe tatsächlich neu zu denken. Ein Beispiel ist das gerade von mir genannte World Food Programme. Diese Organisation hat im Südsudan, aber auch in anderen Regionen gemerkt: Wenn man mit relativ kleinen Luftschiffen, mit kleinen Hubschraubern in die Regionen fliegt, dann kann man nur wenige Hilfsgüter mitnehmen. Deshalb muss man einen anderen Weg finden und die Hilfe umstrukturieren. Das World Food Programme hat auf Air-Drop-Maßnahmen zurückgegriffen und spart damit 45 Millionen US-Dollar pro Jahr. Ein zweites Beispiel ist die Initiative des Auswärtigen Amtes #CSRhumanitär. Die Schirmherrschaft haben die Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler und mein Kollege Michael Brand. Das ist eine tolle Initiative, in die Unternehmen mit ihren Fähigkeiten, Kenntnissen und ihrem Know-how eingebunden werden, um dem wachsenden humanitären Bedarf tatsächlich begegnen zu können. Dabei arbeiten sie direkt mit den Akteuren, die im humanitären Bereich engagiert sind, zusammen, so zum Beispiel bei der sanitären Versorgung, der Bereitstellung von Notunterkünften sowie im Bereich der Bildung und Gesundheit. Wir müssen uns trauen, humanitäre Hilfe neu zu denken. Nicht das Wieviel – wir stimmen sicher darin überein, dass es mehr sein darf –, sondern das Wie der humanitären Hilfe muss neu gedacht werden. Der humanitäre Weltgipfel im letzten Jahr wurde gerade genannt. Das war eine gute Gelegenheit dafür. Wichtige und richtige Perspektivwechsel sind auf den Weg gebracht worden, zum Beispiel im Bereich von Bildung mit Blick auf lokale Akteure. Wir hatten dabei drei klare Prioritäten. In Istanbul wurden wir anders wahrgenommen, als wir teilweise hier wahrgenommen wurden. Der erste Punkt ist: Es bedarf einer soliden finanziellen Grundlage, damit die Hilfsorganisationen nicht ständig befürchten müssen, dass das Geld im nächsten Vierteljahr oder in einem halben Jahr weg ist. Diese Organisationen brauchen Planungssicherheit. Deutschland ist in dieser Hinsicht proaktiv, wir gehen mit gutem Beispiel voran. Der zweite Punkt ist, dass diese Hilfe sofort und verlässlich verfügbar sein muss; denn wenn eine Krise kommt – sie kündigt sich meistens nicht vorher an –, dann bleibt keine Zeit mehr für komplizierte Abstimmungsprozesse. Der dritte Punkt ist: Wir müssen die Krisenprävention verstärken und die Stabilisierung und Konsolidierung des Friedens noch besser Hand in Hand gehen lassen, damit humanitäres Leid – das ist eine entscheidende Fluchtursache – von vornherein möglichst verhindert wird. Finanzielle Mittel reichen nicht aus, um das Leid der Menschen zu reduzieren. Genau aus diesem Grund hat die Bundesregierung diese Leitlinien verabschiedet: Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern. Um Frieden zu fördern, hat das Auswärtige Amt die Initiative „Friedensverantwortung der Religionen“ gegründet. Ende Mai kamen über 100 Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Religionsgemeinschaften zu der Auftaktveranstaltung. Das war eine illustre Runde: Bischöfe, Ajatollahs, Priester, Rabbiner, Brahmanen, Imame. Das sind für viele Menschen weltweit die wichtigsten Ansprechpartner vor Ort. Sie spielen eine zentrale Rolle in der Friedensbildung und in der Krisenprävention. Ich selber war Heilsarmeeoffizier. Die Heilsarmee arbeitet oft in diesen Krisengebieten, wenn die Katastrophe ausgebrochen ist. Eine Freundin von mir ist direkt vor Ort. Sie ist immer eine der Ersten. Sie erzählte, wie wichtig es ist, nicht nur innerhalb der eigenen Organisation Kontakte zu suchen, sondern eben diese Geistlichen, die Priester und Imame aufzusuchen und sich relativ schnell zu verständigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Ebolakrise waren es genau die Geistlichen, die die Bewohner in den Dörfern erreichen konnten. Ohne die hätte es noch viel länger gedauert, die Epidemie einzudämmen, und das hat schon viel zu lange gedauert. Humanitäre Hilfe neu denken: Jetzt ist die Zeit günstig, weil dieser Gedanke in unserem Volk angekommen ist, nicht nur in unserem Parlament. Es bietet sich jetzt eine reale Chance, auch im Bundestag die humanitäre Hilfe besser aufzustellen. Die Krisen haben uns gezeigt, dass neben dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, den wir vertreten, das Thema auch andere Ausschüsse betrifft: den Auswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss, den Bildungsausschuss und den Innenausschuss. Im Kontext der Ebolakrise war auf einmal der Entwicklungshilfeminister zusammen mit dem Gesundheitsminister vor Ort. Alle haben auf einmal mit humanitärer Hilfe zu tun und müssen deshalb auch mehr einbezogen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, noch einmal danke für den Antrag; denn es ist wichtig, dass wir uns mit diesen Themen eingehender und tiefer beschäftigen. Ihr Vorschlag lautet, das Institut für humanitäre Angelegenheiten zu gründen. Unser, mein Vorschlag ist, nicht gleich alles infrage zu stellen, was wir schon haben – das tun Sie nicht –, sondern das, was da ist, tatsächlich zu nutzen. Wir sollten anfangen, auch außerhalb unseres Ausschusses über humanitäre Hilfe zu diskutieren und dabei das Wie genauer unter die Lupe zu nehmen. Es gibt den von Ihnen genannten Koordinierungsausschuss im Auswärtigen Amt, in dem sich Hilfsorganisationen regelmäßig über humanitäre Hilfe austauschen. Wir könnten daran sehr oft teilnehmen. Bisher haben wir das oft wegen fehlender Terminabstimmung nicht geschafft. Aber ich bin begeistert und ich bin froh über die Konstruktivität, mit der dort gearbeitet wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich plädiere dafür, den Dialog zwischen diesem Ausschuss und dem Deutschen Bundestag zu stärken. Wir sollten schauen, wie wir das in der nächsten Legislatur besser koordiniert bekommen, um das ganze Wissen erstens sichtbarer zu machen und das Gremium zu stärken und um es zweitens in unsere aktuelle Arbeit verstärkt einfließen lassen zu können. (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Wir sollten die Expertise und das Potenzial nutzen. Herr Koenigs, Sie wissen selbst, dass nicht alle Organisationen diesen Antrag unterstützen; wir haben mit verschiedenen gesprochen. Nicht alle sehen einen solch starken Bedarf. Allerdings tragen sie die Hauptmotivation des Antrags mit: dass wir mehr denken, dass wir neu strukturieren. Das unterstütze ich. Lassen Sie uns die Strukturen verändern, die Diskussionen in andere Ausschüsse tragen, den Austausch mit der Zivilgesellschaft stärken. Das können wir mit einem finanziellen Aufwand leisten, der ein wenig geringer ist, als wir möglicherweise für die Schaffung eines solchen Instituts brauchen, und mit Ressourcen, die uns dafür schon jetzt zur Verfügung stehen. Wir müssen uns trauen, humanitäre Hilfe neu zu denken. Ich wünsche Ihnen für die Zusammenarbeit alles Gute. Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Inge Höger. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl der humanitären Krisen hat weltweit in erschreckendem Maße zugenommen. UNICEF warnt, dass in diesem Jahr etwa 2 Millionen Kinder am Horn von Afrika, im Südsudan, in der Tschadsee-Region und im Jemen lebensbedrohlich mangelernährt und vom Hungertod bedroht sind – 2 Millionen Kinderleben! Das kann und darf uns nicht egal sein. Auch immer mehr erwachsene Menschen sind wegen Mangelernährung so geschwächt, dass sie an heilbaren Krankheiten sterben und dass Epidemien um sich greifen. Im Jemen sind über 100 000 Menschen an Cholera erkrankt. 1 100 sind bereits gestorben. Wie viele noch sterben werden, weiß niemand. Die saudische Blockade hat die jemenitische Ökonomie weitgehend zerstört, und sie behindert auch die humanitäre Hilfe. Durch Luftangriffe wurden Dutzende von Krankenhäusern zerstört und wurde medizinisches Personal einschließlich Angehöriger internationaler Hilfsorganisationen getötet. Wie kann es sein, dass an die verantwortlichen Golfstaaten nach wie vor Waffen geliefert werden? Die Rüstungsexporte müssen sofort gestoppt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Klimawandel verursacht immer mehr Extremwetterlagen, Stürme, Dürren und Überschwemmungen. Diese Katastrophen zerstören Ernten, töten und verletzen Menschen direkt und indirekt. Den betroffenen Menschen schulden wir unmittelbare Nothilfe, aber auch einen grundlegenden Politikwechsel. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen fordert die Linke einen konsequenten sozialökologischen Umbau. Es ist dringend nötig, die humanitäre Hilfe auszubauen. Es ist unerträglich, dass sie seit vielen Jahren drastisch unterfinanziert ist. Es darf nicht sein, dass bei Notlagen nur selektiv geholfen werden kann, weil das Geld nicht reicht. Es ist gut, Institutionen zu haben und zu stärken, die es sich zur Aufgabe machen, die humanitäre Hilfe zu verbessern. Es lohnt sich, die internationale Kooperation zu verbessern und in die Fortbildung der humanitären Akteurinnen und Akteure zu investieren. Vor allem muss alles dafür getan werden, dass humanitäre Hilfe neutral und allein an sachlichen Kriterien orientiert arbeiten kann. Eine Instrumentalisierung für Machtpolitik oder gar für militärische Interessen muss ausgeschlossen werden. Eines jedoch ist klar: Alle noch so gut ausgestatteten Beratungsinstitute und Hilfsfonds bleiben machtlos, wenn bewusst humanitäre Katastrophen ausgelöst oder diese zumindest in Kauf genommen werden. Ich nenne hier nur beispielhaft den Krieg gegen den Irak oder in Libyen oder die Verweigerung legaler Einreisemöglichkeiten für Menschen, die Schutz in Europa suchen. Dass immer mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist ein Ergebnis der EU-Abschottungspolitik. Schaffen Sie endlich legale Einreisemöglichkeiten für Menschen in Not! (Beifall bei der LINKEN) Wie kann es ein, dass sich Deutschland an einer sogenannten Antiterrorkoalition beteiligt, die durch ihre Bombardements die humanitäre Notlage im Irak und in Syrien noch verschärft? Wie kann es sein, dass Verbündete Deutschlands weißen Phosphor über zivilen Stadtvierteln einsetzen – zum Beispiel in Mosul oder Rakka? Weißer Phosphor frisst sich durch die Haut bis auf die Knochen. Da diese Verbrennungen meist großflächig sind, sterben Betroffene langsam, sofern sie nicht vorher schon durch Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atemwege oder Vergiftungen sterben. Wer so eine vollständig inhumane Waffe einsetzt, stellt kurzfristige militärische Erfolge über Menschenleben und füttert am Ende doch die Propagandamaschine des IS. Das ist falsch und unerträglich. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir die humanitäre Lage wirklich weltweit verbessern wollen, dann muss nicht nur deutlich mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, sondern auch die deutsche und die europäische Außenpolitik müssen sich grundlegend ändern. Notwendig sind eine Abkehr von der militärischen Außenpolitik, eine verantwortungsvollere Klimapolitik und ein Ende der Rüstungsexporte. Angesichts der globalen Situation haben wir hier keine Zeit zu verlieren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als abschließende Rednerin hat jetzt die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir sind uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass humanitäre Hilfe ein wichtiges Thema ist und dass wir alles tun wollen und sollen, um die humanitäre Hilfe kompetent, nach den Prinzipien der humanitären Hilfe und international abgestimmt zu leisten. Wir sind uns, – glaube ich, – auch einig über die fünf Punkte, die Tom Koenigs genannt hat und die in dem von ihm mit formulierten Antrag stehen: Wir brauchen für die deutschen Nichtregierungsorganisationen, die mit großer Sorgfalt, mit großem Engagement humanitäre Hilfe leisten, Beratungsangebote und Austauschmöglichkeiten. Humanitäre Hilfe sollte ein Thema für Forschung sein, und konkrete Projekte oder auch Länderstrategien sollten evaluiert werden. Die internationale Zusammenarbeit ist ebenso wie der Dialog und die Reflexion in Deutschland sehr wichtig. Schließlich brauchen diejenigen, die als humanitäre Helferinnen und Helfer in andere Länder gehen, eine sorgfältige Vorbereitung und Ausbildung. Die Frage ist: Was sind die besten Mittel und Wege, um diese fünf Ziele zu erreichen? Wenn wir jetzt nicht am Ende einer Legislaturperiode wären, dann wäre eigentlich mein Vorschlag, dass wir im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe eine Anhörung machen und uns genau aus diesen verschiedenen Bereichen – aus dem Auswärtigen Amt, aus dem neu geschaffenen zuständigen Grundsatzreferat für humanitäre Hilfe, von den großen Hilfsorganisationen, vielleicht auch von einigen der kleinen Hilfsorganisationen, die auf bestimmte Themen oder bestimmte Länder spezialisiert sind, von den Wissenschaftlern und den politischen Stiftungen, die sich mit dem Thema befassen, und eventuell auch von den internationalen Organisationen – in einer dreistündigen Anhörung möglichst viele unterschiedliche Einschätzungen erläutern lassen. Wir können das in dieser Legislaturperiode nicht mehr machen. Aber diejenigen von uns, die wieder antreten und hoffentlich auch wiedergewählt werden, können das in der nächsten Legislaturperiode machen. Es kann gut sein, dass der Vorschlag, den einige der deutschen Hilfsorganisationen gemacht haben, nämlich ein solches Institut für humanitäre Angelegenheiten in Deutschland zu gründen und dafür vielleicht auch deutlich weniger als 1 Prozent der Gelder, die im Bundeshaushalt für humanitäre Hilfe zur Verfügung stehen, bereitzustellen, schließlich als gemeinsamer Vorschlag der verschiedenen Akteure dabei herauskommt. Ich glaube auch, dass der Vorschlag, den einige der Hilfsorganisationen erarbeitet haben, eine sorgfältige Diskussion im Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe erfahren wird, der nicht wie wir an Wahlperioden gebunden ist, sondern der kontinuierlich arbeitet – mit mehreren Treffen im Jahr und oft auch einem zweitägigen Treffen, bei dem für Grundsatzdiskussionen Zeit ist. Insofern bin ich froh, dass du, Tom Koenigs, dieses Thema als dein Abschlussthema gewählt hast. Es ist ein Thema, das uns allen, glaube ich, am Herzen liegt. Wir alle sollten und können uns vornehmen, dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode weiterzuverfolgen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass vor allem unser Koalitionspartner und wir sagen: Da ist zunächst einmal noch mehr Diskussionsbedarf, bevor wir die Schaffung eines solchen Instituts beschließen. Ich sehe zwar viele Parallelen zum Deutschen Institut für Menschenrechte, aber es gibt auch Unterschiede. Das Deutsche Institut für Menschenrechte – dafür haben wir gemeinsam gekämpft – beobachtet auch die Menschenrechtssituation in Deutschland, berichtet dazu, ist als kritisches Pendant zu Regierung und Parlament tätig. Demgegenüber gibt es im Bereich der humanitären Hilfe, wenn überhaupt, nur sehr wenige Aufgaben, die in Deutschland anfallen; die meisten Aufgaben sind international. Ich möchte als Letztes auch noch einmal auf das hinweisen, was Frank Heinrich eben schon zu Recht angesprochen hat. Die humanitäre Hilfe hat natürlich auch ihren Platz in den Leitlinien des Auswärtigen Amtes. Nachdem wir es in dieser Legislaturperiode geschafft haben, sie im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe deutlich häufiger und deutlich fundierter als in der letzten Legislaturperiode zu behandeln, sollten wir uns für die nächste Legislaturperiode vornehmen, sie auch in die anderen Ausschüsse einzubringen, die thematisch etwas dazu beitragen können und die mit den Bedingungen zu tun haben, unter denen humanitäre Hilfe in vielen Krisen- und Konfliktregionen oder dort, wo Naturkatastrophen oder gesundheitliche Krisen sind, arbeitet. Wenn wir das schaffen, dann haben wir auf jeden Fall aus der heutigen Diskussion etwas gelernt und können etwas mitnehmen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12530 mit dem Titel „Ein Institut für humanitäre Angelegenheiten schaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag der Fraktion der Grünen? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung – Für eine flexible, wirksame und zuverlässige humanitäre Hilfe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10627, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/8619 abzulehnen. Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 a auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Drucksache 18/11939 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/12845 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich keiner. Dann sind alle damit einverstanden. Deshalb kann ich auch sofort die Aussprache eröffnen. Ich erteile als erster Rednerin Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit fast zehn Jahren gibt es die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Sie ist mit ihren konkreten Zielen bis zum Jahr 2020 nach wie vor ein, wie ich finde, anspruchsvolles Programm. Trotz einiger Erfolge in den letzten Jahren haben wir jedoch die Trendwende dahin, den Artenverlust zu stoppen, bisher nicht geschafft. Weil es absehbar wurde, dass wir die Ziele der Nationalen Strategie verfehlen könnten, haben wir unsere Anstrengungen verstärkt. Das Bundesumweltministerium hat vor fast zwei Jahren die Naturschutz-Offensive 2020 gestartet. Wir haben die zehn Handlungsfelder mit dem größten Bedarf identifiziert. 40 konkrete Maßnahmen sollen bei der Umsetzung der Nationalen Strategie helfen und eine neue Dynamik in das Thema „Schutz der biologischen Vielfalt“ bringen. Eine dieser Maßnahmen – damit sind wir bei unserem Tagesordnungspunkt von heute Abend – ist Gegenstand der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. Es handelt sich um die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Naturschutzgebieten in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone. In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt haben wir uns verpflichtet, für alle Arten und Lebensräume der Küsten und Meere eine signifikante Verbesserung des Erhaltungszustandes zu erreichen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Derzeit sind rund ein Drittel der marinen Lebewesen in Nord- und Ostsee in ihrem Bestand gefährdet. Die Ursachen der Gefährdung liegen vor allem in schädlichen Fischereipraktiken, in der Überfischung der Meere und in einer Vielzahl von weiteren Nutzungen. Die kumulativen Auswirkungen dieser Nutzungen auf die Natur bereiten immer größere Probleme. Denken Sie zum Beispiel an den Meeresmüll, der viele Ökosysteme und Arten bedroht. Ich bin sehr froh, dass wir kürzlich auf der G20-Konferenz in Bremen einen Aktionsplan gegen Meeresmüll finalisieren konnten, der auch Teil des G20-Gipfels der Staats- und Regierungschef in Hamburg sein wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen für einen besseren Schutz. Er erlaubt es, die Natur der Nord- und Ostsee in Zukunft umfassender und zielgenauer zu schützen. Übrigens haben wir hier durch die Beratungen im Umweltausschuss eine wichtige Verbesserung des Gesetzentwurfes erreicht. Denn jetzt ist klargestellt, dass auch in Zukunft die Ausweisung neuer Schutzgebiete allein durch das fachlich zuständige Ministerium geschieht, nämlich durch das Bundesumweltministerium. Die fachlich betroffenen Ressorts werden natürlich wie bisher beteiligt. Ein weiterer Beitrag zu mehr biologischer Vielfalt in Deutschland ist die Erweiterung der Liste der gesetzlich geschützten Biotope um Höhlen und naturnahe Stollen. Diese Regelung unterstützt zum Beispiel die Erhaltung des Lebensraums für Fledermäuse und zahlreiche andere hochspezialisierte Arten. Auch beim Artenschutz gibt es Verbesserungen. Wir werden die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in das Gesetz übernehmen. So gewährleisten wir nicht nur ein hohes Schutzniveau für gefährdete Arten in Deutschland, sondern erhöhen auch die Rechtssicherheit für Vorhabenträger und für die Verwaltung. Auch hier hat die Arbeit des Umweltausschusses zu einer Verbesserung des Entwurfs beigetragen, namentlich zu einer klareren und eindeutigeren Formulierung des Gesetzeswortlauts. Ich will die Gelegenheit nutzen, mich bei den Mitgliedern des Umweltausschusses dafür herzlich zu bedanken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Änderungen sind für den Naturschutz in Deutschland wichtig. Ich würde mich deshalb freuen, wenn der Deutsche Bundestag heute grünes Licht für die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes gibt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Menz für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Menz (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Mit dem Entwurf zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes wurde seitens der Bundesregierung der Versuch unternommen, unter anderem – ich zitiere – „die Grundlagen für einen umfassenderen Schutz der Natur in Nord- und Ostsee sowie für die beschleunigte Errichtung eines Biotopverbundes an Land“ zu legen. Nun hört sich diese Absicht sehr gut an, und es ist auch dringend geboten; denn vor allem der ökologische Zustand von Nord- und Ostsee ist mehr als bedenklich. Gründe dafür gibt es viele: Überfischung, Umweltverschmutzung, Lebensraumzerstörung durch Schleppnetzfischerei oder Rohstoffabbau. Aber auch Lärmverschmutzung durch zunehmenden Schiffsverkehr und militärische Übungen gefährden nicht nur den ökologischen Zustand der Gewässer, sondern auch die darin lebenden Arten wie zum Beispiel den Ostseeschweinswal, von dem es nur noch 450 Exemplare gibt. Mit der Novellierung hätte die Chance bestanden, insbesondere beim nationalen Meeresschutz ein paar Schritte voranzukommen. Aber seit Jahren sind in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee Meeresschutzgebiete im Rahmen von Natura 2000 ausgewiesen, ohne dass bisher ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen wurden. Es darf dort munter weiter gefischt sowie Sand- und Kiesabbau betrieben werden – und das in einem ausgewiesenen Schutzgebiet. Das aktuelle europäische Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Unterschutzstellung von Natura-2000-Gebieten in der AWZ dauert an und ist nur ein Beleg für die unzureichende Meeresschutzpolitik, die die Bundesregierung auf nationaler Ebene in den letzten Jahren betrieben hat. Die Vermutung liegt nahe, dass die deutschen Prioritäten bezüglich der Meerespolitik nicht etwa beim Schutz von Meeresumwelt oder der Artenvielfalt liegen, sondern anders geartet sein müssen. Wie sonst würde sich die noch im Entwurf enthaltene Einvernehmensregelung bezüglich der Ausgestaltung der AWZ-Verordnungen erklären? Diese Regelung hätte einen effektiven Meeresschutz verhindert, da sie den einzelnen Ministerien die Möglichkeit gegeben hätte, die für den Meeresschutz dienlichen Verordnungen aufgrund anderer, meist wirtschaftlicher Interessen zu blockieren. So etwas darf nicht sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen verbindliche Regelungen, die die Gebiete in Nord- und Ostsee auch effektiv schützen und ihnen Zeit zur Erholung geben, damit diese auch für folgende Generationen erhalten bleiben. Solche Regelungen gibt es derzeit aber nicht. Doch nicht nur zu Wasser erfolgt der Schutz von Natur und Tier schleppend, auch an Land kommt die Bundesregierung nicht in Schwung. Exemplarisch steht dabei die Schaffung – man müsste eigentlich sagen: die Nichtschaffung – eines Biotopverbundes an Land. Ziel eines solchen Verbundes ist es unter anderem, heimische Arten und Artengemeinschaften sowie deren Lebensräume nachhaltig zu schützen. Seit dem Jahr 2002, also seit sage und schreibe 15 Jahren, ist dessen Realisierung vorrangig Aufgabe der Länder, welche bisher jedoch nicht ausreichend umgesetzt werden konnte, da es bisher weder Fristen noch Anreize oder andere Mechanismen gibt, die eine Umsetzung beschleunigen würden. Was macht die Bundesregierung? Sie legt eine Frist für das Jahr 2027 fest, welche überhaupt nicht im Einklang mit den Zieljahren anderer Biodiversitätsziele steht. Noch schlimmer macht es der Änderungsantrag der Großen Koalition mit der Forderung, sich, wenn überhaupt, erst in der nächsten Legislaturperiode mit einer Frist zu beschäftigen. Bitte führen Sie sich vor Augen: Wir erleben gerade das größte Artensterben seit dem Zeitalter der Dinosaurier. Die Rote Liste der Weltnaturschutzunion weist derzeit etwa 24 000 Tier- und Pflanzenarten aus, die vom Aussterben akut bedroht sind. Auch in Deutschland können wir beobachten, dass immer weniger Tier- und Pflanzenarten Raum zum Leben haben. Die schnellstmögliche Umsetzung eines Biotopverbundes ist daher dringend notwendig, um dem auch hierzulande stattfindenden Artensterben entgegenzuwirken. Dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen. Er ist in dieser Form ein Schlag ins Gesicht engagierter Naturschützer. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Josef Göppel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Josef Göppel (CDU/CSU): Verehrte Kolleginnen und Kollegen! So unterschiedlich sind die Sichtweisen, Frau Kollegin: Ich sehe dieses Gesetz als ein schönes Beispiel für selbstbewusstes parlamentarisches Handeln. Aus meiner Sicht sind zunächst einmal drei Paragrafen besonders erwähnenswert: der § 57 Bundesnaturschutzgesetz, mit dem es dank des selbstbewussten parlamentarischen Handelns gelungen ist, die Ausweisung von Meeresschutzzonen außerhalb der Zwölfmeilenzone vor der Küste rechtlich so abzusichern, dass diese Schutzgebiete in den nächsten Jahren wirklich zum Tragen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Regierungsentwurf. Zu Recht, Frau Ministerin, haben Sie sich in dieser Beziehung beim Ausschuss für Umwelt bedankt. Es ist weiter auch der § 44 zu nennen. Darin geht es um die Verletzung oder den Tod von Arten im Zusammenhang mit Eingriffen in die Natur. Manche sagen ja: Wenn das jetzt an die Signifikanz einer Maßnahme gebunden wird, heißt dies, dass eine Maßnahme nur dann, wenn durch sie die Gefahr eine bestimmte Schwelle überschreitet, nicht zulässig ist. Ich möchte Sie darauf hinweisen: Die Formulierung ist anders, als die öffentliche Diskussion vielfach glauben macht. Es ist nicht so, dass es nur um Populationen und deren Erlöschen geht. Im Gesetzestext heißt es: Wenn für Exemplare der betroffenen Arten ein erhöhtes Verletzungs- oder Todesrisiko besteht, dann sind die Maßnahmen zu unterlassen, und vorher sind Schutzmaßnahmen vorzunehmen. Die Regelung bezieht sich also wirklich auch auf eine nennenswerte Zahl einzelner Exemplare und nicht lediglich auf die Auslöschung der Gesamtpopulation. Schließlich geht es um den § 21. Das ist in der Tat kein besonderes Ruhmesblatt für uns im Umweltausschuss; denn wenn eine Frist von zehn Jahren für eine Maßnahme vorgesehen ist, die eigentlich schon seit dem Jahr 2002 laufen soll, dann kann man nicht sagen, sie wäre überstürzt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eines hinweisen: Der nationale Biotopverbund ist von seinem Charakter her auf lineare Strukturen angelegt, die die großräumigen Schutzgebiete verbinden sollen. Deswegen reicht es keinesfalls, auf die europäischen Schutzgebiete auch noch das Etikett „nationales Biotopverbundsystem“ zu kleben. Es ist fachlich schon zu Zeiten von Wolfgang Haber, dem großen bayerischen Naturschützer und Landschaftspfleger, so konzipiert worden, dass die großen Schutz- und Rückzugsräume durch lineare Strukturen verbunden werden müssen, wenn sie wirken sollen und wenn den Mitgeschöpfen des Menschen in der technisierten Welt noch Lebensraum bleiben soll. Deswegen dürfen wir denen, die in der nächsten Wahlperiode dem Deutschen Bundestag angehören, anempfehlen, in den Koalitionsverhandlungen auf diesen Punkt besonders Wert zu legen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass der Mensch trotz aller Technik und aller zivilisatorischen Errungenschaften, die wir heute haben, auf die natürlichen Grundlagen des Lebens angewiesen bleibt: auf ackerfähige Böden, auf Weideflächen, auf Fischgründe, auf Wälder. Die Grundlagen für die Erzeugung von Lebensmitteln im umfassenden Sinn sind auch notwendig zur Aufnahme unserer zivilisatorischen Reststoffe. Ein Kollege hat in diesem Zusammenhang neulich zu mir gesagt: Aber unsere Kernkompetenz ist doch Wirtschaft. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Auch das stimmt nicht!) Gestatten Sie mir an der Stelle einen Vergleich aus dem Alltagsleben. Ein kleiner Junge sitzt auf dem Arm seines Großvaters. Er streckt seine Hände hoch und ruft: Ich bin größer als du. – So wie diesem kleinen Jungen ist uns oft nicht bewusst, was uns trägt. Das steckt in diesem Bundesnaturschutzgesetz auch drin. Man hat gedacht, dass der unserem Wirtschaftssystem innewohnende Wachstumszwang hin zu den Oligopolen seine Begrenzung durch die soziale Marktwirtschaft findet. Heute hat der Entwicklungsminister Gerd Müller ein Buch vorgestellt mit dem Titel Unfair! Für eine gerechte Globalisierung. Es ist unverkennbar, dass die jetzige Globalisierung am ehesten zu vergleichen ist mit den wild dahinbrausenden Rössern eines antiken Wagenrennens. Eines Tages wird der Wagen aus der Kurve getragen und ist führungslos. Deswegen brauchen wir eben keinen Rückzug der sozialen Marktwirtschaft auf internationaler Ebene, sondern gerade wir Deutsche dürfen mit großer Glaubwürdigkeit dafür eintreten, dass eine soziale und ökologische Marktwirtschaft die Dinge am besten ordnet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Es gab schon einige – ich erinnere an Ernst Ulrich von Weizsäcker oder an Franz Josef Radermacher –, die Schritte dorthin aufgezeichnet haben. Wie oft schauen wir gleichgültig zu, wenn wieder irgendwo ein Stück dieser atmenden, offenen, fruchtbaren Erde zugebaut wird. (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wie gleichgültig beobachten wir zum Beispiel den landfressenden erdgeschossigen Gewerbebau, der landauf, landab immer noch große Flächen in Anspruch nimmt, obwohl es andere technische Möglichkeiten gäbe. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) Ich möchte darum bitten und ich fordere uns alle auf: Unterziehen wir uns der Mühe, auf diese Sachverhalte immer wieder hinzuweisen und Anstöße zu geben. Neulich hat einer in einer Diskussion gefragt: Ja, wie machen wir es denn dann richtig? – Es gibt für die praktische Politik eine klare Richtschnur: Immer dann, wenn sich eine Maßnahme den Kreisläufen der Natur nähert, ist sie richtig. Das ist eine gute und kluge Messlatte für alle, die unser Land und die Heimat lieben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Steffi Lemke spricht jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit dem Positiven: Es ist gut, dass mit dieser Bundesnaturschutzgesetznovelle die Rechtsgrundlage für die Ausweisung der Meeresschutzgebiete außerhalb der Zwölfmeilenzone geschaffen wird. Schade ist, dass das Ganze so lange dauert. Der Hintergrund ist ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland, weil Deutschland mit der Ausweisung dieser Meeresschutzgebiete säumig ist. Aber es ist gut, dass es jetzt kommt. Ich möchte mich in einem Punkt dem Lob für den Änderungsantrag anschließen. Es ist gut, dass die aus meiner Sicht komplett absurde Idee, den Nutzerressorts bei der Ausweisung dieser Schutzgebiete ein Vetorecht einzuräumen, von den Koalitionsfraktionen gestrichen worden ist. Das wäre im deutschen Naturschutzrecht ein einmaliger Vorgang gewesen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte in den Dank unbedingt die Umweltverbände mit einschließen; denn nur auf den Druck der Umweltverbände hin hat die Koalition diesbezüglich gehandelt. Dieser Punkt in der Novelle ist definitiv positiv. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass die SPD dafür die zeitliche Zielvorgabe für den Biotopverbund im Gesetz aufgeben musste, dass die SPD das für diesen Erfolg an die CDU geopfert hat, haben der Kollege Göppel und die Kollegin Menz von der Linksfraktion vor mir bereits ausgeführt; das ist schade. Das ist der erste schlechte Punkt an der Novelle. Meine Hauptkritik besteht darin, dass die Novelle an den real existierenden Problemen des Naturschutzes und des Artenschutzes komplett vorbeigeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir bekommen fast im Wochenrhythmus vom Bundesumweltministerium und seinen nachgeordneten Behörden neue Berichte und Katastrophenmeldungen über den Zustand der Natur in Deutschland. Das Artensterben schreitet in einem so rasanten Tempo voran, dass wir fast nicht hinterherkommen, diese Berichte überhaupt noch zu lesen und zu analysieren. Der jüngste Bericht, der „Agrar-Report zur biologischen Vielfalt“, wurde in dieser Woche von einer nachgeordneten Behörde des Bundesumweltministeriums, dem Bundesamt für Naturschutz, vorgestellt und zieht eine desaströse Bilanz für den Artenschutz und den Zustand der Natur vor allem in agrarisch genutzten Gebieten. Es ist eine Katastrophenbilanz, die dort gezogen wird. Es ist ein Armutszeugnis für die Naturschutzpolitik dieser Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann ich Ihnen – liebe Frau Hendricks, Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr schätze, und Ihr Ressort ist auch nicht der Verursacher für diese Problematik – trotzdem nicht ersparen: Sie haben in dieser Legislaturperiode nicht genug für den Artenschutz und für den Naturschutz getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Rückgang bei den Vögeln ist so dramatisch, dass zwei Drittel als gefährdet gelten. Unsere Enkel werden Vogelarten, die wir für vollkommen normal halten, wie den Kiebitz oder das Rebhuhn, nicht mehr kennen, wenn die Politik der Großen Koalition fortgesetzt werden sollte. Sie werden sie dann nur noch aus Lehrbüchern kennen. Das Gleiche können wir für Moore und Insekten sagen. Inzwischen sind in einzelnen Regionen 80 Prozent der Insektenbiomasse verschwunden. Es ist doch vollkommen klar, dass das Auswirkungen auf das gesamte Wirtschaftsleben – nicht nur auf die Agrarwirtschaft – in Deutschland haben wird, dass es unser gesamtes Leben infrage stellt, wenn das Artensterben in so galoppierender Weise weiter voranschreitet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil die Novelle all diese Aspekte in keiner Weise aufgreift – die gesamte Agrarproblematik bleibt dort außen vor –, geht sie an den real existierenden Problemen vorbei. Sie haben mit einer anderen Novelle vor wenigen Wochen hier im Haus, die das Baugesetzbuch betraf, beim Ziel, den Flächenfraß in Deutschland zu stoppen, noch eins oben draufgesetzt. Das zeigt, dass die Prioritätensetzung in Ihrem Ministerium sehr stark auf den Bereich Bauen und nicht auf den Bereich Naturschutz oder Umweltschutz ausgerichtet war. Von daher ist Ihre Naturschutzbilanz und Ihre Artenschutzbilanz, Frau Hendricks, negativ. Sie ist eine Katastrophe angesichts dessen, was wir jede Woche neu lesen müssen, angesichts dessen, was wir zu verlieren drohen: die wunderbare Natur, die Naturlandschaften, die wir alle noch kennen und in die wir gehen, um uns zu erholen. Diese würden wir verlieren, wenn Sie mit Ihrer Politik fortfahren würden. Das ist am 24. September bei der Bundestagswahl änderbar; daran werden wir arbeiten. Herr Präsident, wenn ich noch einen Satz sagen darf: Herr Göppel, ich möchte Ihnen für Ihre Rede und für Ihre Arbeit im Ausschuss persönlich sehr danken. Sie werden dem nächsten Hohen Haus sehr fehlen, Sie werden Ihrer Fraktion sehr fehlen. Aber ich hoffe, dass Sie dem Naturschutz erhalten bleiben, an anderen Stellen, an denen Sie in Zukunft wirken werden. Ich würde mich freuen, wenn wir uns in diesem Zusammenhang wiedersähen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Göppel wird noch eine weitere Rede in der nächsten Sitzungswoche halten. Sonst hätten wir alle natürlich schon die passenden Worte gefunden. – Vielen Dank aber. Zum Ende der Aussprache hat der Kollege Carsten Träger für die Fraktion der SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was würden Sie sagen: Wer soll in der Regierung für Naturschutzgebiete zuständig sein? (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Ich! – Heiterkeit) Wahrscheinlich sagen Sie jetzt: das Ministerium für Umwelt und Naturschutz. – Genau. So sehen wir das auch, und deshalb beschließen wir das heute auch so. Wahrscheinlich werden Sie jetzt fragen: Ja, und das soll eine tolle Leistung sein? – Und ich sage Ihnen: Ja, das ist eine tolle Leistung des Parlaments und in diesem Fall der SPD-Fraktion; (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denn zwischenzeitlich sah der Regierungsentwurf nämlich vor, dass das Verkehrsministerium, das für Fischerei zuständige Ministerium, das Wirtschaftsministerium und das Forschungsministerium ein Quasivetorecht erhalten sollten, ausgerechnet also diejenigen Ministerien, die in den Meeresschutzgebieten ganz andere Interessen als den Schutz von Natur und Arten haben. Wenn nach einem einstimmigen Kabinettsbeschluss praktisch jede und jeder vom Gegenteil des Beschlusses überzeugt werden muss, dann ist das eben doch ein schweres Stück politischer Arbeit, und deshalb ist es jetzt ein großer Erfolg. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Namentlich geht es um den § 57 der Novelle, der die Ausweisung der Meeresschutzgebiete betrifft. Es ist schon angesprochen worden: Alle Naturschutzverbände haben völlig zu Recht Alarm geschlagen. Sie befürchteten, dass dringend notwendige Schutzmaßnahmen unmöglich werden, und sie befürchteten, dass wir einen Präzedenzfall für andere Umweltbelange schaffen, wenn die Nutzer gleichberechtigt mit den Naturschützern verhandeln – wohlgemerkt in Bezug auf Naturschutzgebiete. Auch der Bundesrat und die Experten in der Ausschussanhörung haben ganz klar zum Ausdruck gebracht, was sie von dem Vorschlag des Einvernehmens halten: nämlich nichts. Denn selbstverständlich werden ja bereits heute die Belange der betroffenen Ressorts berücksichtigt, aber dies eben durch die bestehende Formulierung einer Beteiligung, und sie ist längst gute politische Praxis. Deshalb ist es ein Gebot der Vernunft und Ausdruck der Klugheit des Parlaments, die uns ja gelegentlich abgesprochen wird, dass wir eben nicht abnicken, sondern dass wir diesen Änderungsvorschlag zurückweisen und bei der guten alten Regelung bleiben. Ich freue mich sehr, dass wir und dass du, Josef, unseren Koalitionspartner überzeugt haben. Nach meinem Empfinden haben wir das ganz gut gemacht. (Beifall bei der SPD) Wenn uns sogar Steffi Lemke dafür lobt, dann will das ja wahrlich etwas heißen. Ich möchte noch zwei andere Punkte loben. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe, du hast die Kritik auch zur Kenntnis genommen!) – Ja. Das habe ich aber jetzt, weil du vor mir gesprochen hast, herausgenommen; sonst hätte ich es noch erwähnt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind dem Wunsch der Naturparke nachgekommen. Die Novelle schreibt jetzt den gesetzlichen Auftrag für die Naturparke fest – Bildung für nachhaltige Entwicklung –, und wir stellen Höhlen und naturnahe Stollen als Lebensraum für Fledermausarten und andere schützenswerte Arten unter Schutz. Auch das sind gute Punkte. Trotzdem ist es aber richtig: Es gibt noch viel zu tun im Naturschutz. Ich hoffe sehr, dass wir auch nach der Wahl eine Mehrheit dafür haben werden. Wie es nicht kommen darf, zeigt uns der Koalitionsvertrag von NRW. Ich darf einen Satz daraus zitieren, aus dem Kapitel „Naturschutz“ wohlgemerkt: Um den weiteren Verlust biologischer Vielfalt zu stoppen, wollen wir auf eine bessere Ursachenermittlung statt Beschränkungen ... setzen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Hinzu kommt eine Rolle rückwärts im Bereich der erneuerbaren Energien durch überdimensionierte Abstandsregelungen bei der Windkraft. Dieser Koalitionsvertrag sollte uns eine Lehre sein. Er zeigt, warum es eine Neuauflage von Schwarz-Gelb nicht geben darf; aber lassen wir uns durch NRW nicht die Petersilie verhageln. Heute ist ein guter Tag für den Meeresschutz. Arbeiten wir daran, dass es noch viele weitere gute Tage geben wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12845, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11939 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/12852. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12853. Wer für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz Drucksachen 18/8130, 18/12620 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Daraus schließe ich, dass Sie alle damit einverstanden sind.4 Deshalb kommen wir auch unmittelbar zur Abstimmung. Es liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.5 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12620, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8130 abzulehnen. Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Darf ich noch einmal nachfragen: War das bei der Fraktion Die Linke ein unterschiedliches Stimmverhalten? (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ja! Ich stimme mit der CDU!) – Sie haben dafürgestimmt. Gut. – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie mit den Stimmen der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke, bei einer Ausnahme. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Einer einzigen!) Damit können wir diesen Tagesordnungspunkt verlassen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) Drucksache 18/10144 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12591 Diese Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe allgemeines Einverständnis dazu.6 Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12591, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/10144 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch keine. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes Drucksache 18/12510 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/12827 Auch diese Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe auch dazu ausschließlich Einverständnis.7 Deshalb kommen wir unmittelbar zur Abstimmung. Auch dazu liegen mir zwei Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.8 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12827, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/12510 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. – Enthaltungen gibt es auch nicht. Der Gesetzentwurf ist damit mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 21, den ich hiermit aufrufe: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern Drucksache 18/12780 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen sehe ich keinen. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Eckhard Pols für die Fraktion der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eckhard Pols (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hilfe für Kinder mit psychisch erkrankten Eltern begleitet mich schon einige Jahre. Durch Gespräche zum Thema Kindergesundheit – auch mit dem Chefarzt der Kinder- und Jugendabteilung der Psychiatrischen Klinik in Lüneburg, Dr. Naumann – bin ich auf dieses Thema aufmerksam geworden. Dass etwas passieren muss, kann bei geschätzt 3 bis 4 Millionen betroffenen Kindern mit einem vorübergehend oder dauerhaft psychisch erkrankten Elternteil niemand bezweifeln. Viele Familien finden geeignete Wege, mit der Belastung umzugehen und negative Folgen für ihre Kinder zu vermeiden. Klar ist auch, dass nicht jede psychische Störung eines Elternteils zwangsläufig zu einer eingeschränkten Erziehungskompetenz führt. Häufig genug erfahren Kinder und Jugendliche aus betroffenen Familien jedoch unzureichende Unterstützung und Fürsorge oder leiden unter den Auswirkungen elterlichen Verhaltens, was sich negativ auf ihre Entwicklung auswirken kann. Statistiken besagen, dass Kinder und Jugendliche von psychisch kranken Eltern ein drei- bis vierfaches Risiko haben, selber psychisch zu erkranken. Bei einer Expertenanhörung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages im Jahre 2013 wurde als Ursache für dieses erhöhte Risiko ein Zusammenspiel aus sozialen Komponenten, besonders schwierigen Lebens- und Entwicklungsbedingungen sowie genetischen Faktoren genannt. Eine besondere Belastung für Kinder und Jugendliche entsteht durch die Tabuisierung psychischer Erkrankungen der Eltern durch die Familien, was Isolation und Ausgrenzung der Kinder zur Folge haben kann. Hinzu kommen häufig finanzielle Probleme, wenig soziale Unterstützung, Desorientierung, sozialer Rückzug, Ängste und Schuldgefühle. Es stellt sich also die Frage, was wir tun können, um Kindern in dieser Situation zu helfen. Wie so häufig sind auch hier Prävention und das frühe Bereitstellen von Hilfen Schlüssel zum Erfolg. Kinder haben weitaus bessere Chancen als Erwachsene, ein normales Leben zu führen, wenn sie frühzeitig Unterstützung erhalten. Gleichzeitig dürften sich die Kosten für die Gesellschaft und für unser Gesundheitssystem verringern. Hierbei spielen kommunale Angebote wie lokale Initiativen und ehrenamtliches Engagement eine wichtige Rolle. Wir als Bund sind aufgefordert, in unserem Aufgabenbereich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Hilfebedarf betroffener Kinder und Jugendlicher umfasst ein breites Spektrum von niederschwelliger punktueller Unterstützung bis hin zur Intervention im Falle einer drohenden Kindeswohlgefährdung. Ein frühzeitiges Erreichen der Familien zu Beginn der Behandlung der Eltern und die Identifikation der spezifischen familiären Belastung sind hier unerlässlich. Hierdurch kann die Entwicklung der Kinder gezielt gefördert und ihre psychische Widerstandsfähigkeit gestärkt werden, und das ist unerlässlich für das Kindeswohl. (Beifall bei der CDU/CSU) Familien mit psychisch kranken Eltern benötigen häufig Hilfen, die auf verschiedenen landesrechtlichen Vorschriften und verschiedenen Sozialgesetzbüchern beruhen. Wie so oft hapert es auch hier an den Schnittstellen der Problematiken und an nicht immer eindeutigen Zuständigkeiten. Die Kooperation und die Koordination der unterschiedlichen Hilfsangebote und Leistungserbringer für Kinder und Erwachsene spielen eine zentrale Rolle. Aufgrund ihrer Krankheitsbilder sind die Betroffenen oft nicht in der Lage, alle verfügbaren Informationen und Hilfeleistungen selbst anzufordern und für sich in Anspruch zu nehmen. Aufsuchende Hilfen sind hier die naheliegende Lösung. Es ist nun endlich Zeit, Ansätze auszuarbeiten, um eine optimale interdisziplinäre Versorgung der betroffenen Familien zu gewährleisten. An dieser Stelle möchte ich euch, liebe Ulrike Bahr und liebe Beate Walter-Rosenheimer, einmal ausdrücklich Danke sagen. Ich finde es großartig, dass wir hier interfraktionell einen breiten Konsens gefunden haben und diesen Antrag auf den Weg bringen. Auch dir, lieber Paul Lehrieder, sage ich als Ausschussvorsitzendem herzlichen Dank, dass du uns dabei unterstützt hast. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Du hast großen persönlichen Einsatz gezeigt und dich für dieses Thema starkgemacht, sodass wir endlich etwas in die Hand bekommen, um den Betroffenen helfen zu können. Ziel ist es, diesen Kindern zu helfen und klarzustellen, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Wir wollen deshalb die Einrichtung einer zeitlich befristeten interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Beteiligung der zuständigen Bundesministerien, des Bundesfamilienministeriums, des Bundessozialministeriums und des Bundesgesundheitsministeriums, beschließen, die genau das leisten wird. Diese Arbeitsgruppe soll zu fünf Untersuchungsschwerpunkten berichten. Da meine Redezeit abläuft, überlasse ich es Paul, etwas dazu zu sagen. Ich glaube, dass wir heute einen großen Schritt machen, um die Situation der Betroffenen zu verbessern, und hoffe, dass der breite Konsens zur Erreichung dieser Verbesserung über diese Legislaturperiode hinaus auch in der kommenden Legislaturperiode Bestand hat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Birgit Wöllert spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Wöllert (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste, die Sie es zu dieser späten Stunde hier noch aushalten! (Dagmar Ziegler [SPD]: Es ist doch schön hier!) Aber das Thema ist ja auch wichtig. Lange, viel zu lange wurde darüber diskutiert, wie Kinder psychisch kranker Eltern vor eigenen psychischen Erkrankungen bewahrt werden können und wie man ihnen gute Entwicklungschancen ermöglicht. Statt der von der Kinderkommission geforderten Expertenkommission wird in dem uns nun vorliegenden Antrag eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gefordert. Dieser Arbeitsgruppe sollen konkrete Arbeitsaufgaben übertragen werden. Über deren Ergebnisse soll dann im Juli 2018 dem Bundestag berichtet werden. Auch gegen die geforderten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ist natürlich nichts einzuwenden. Die aufgeführten Professionen sollten unserer Meinung nach allerdings um Fachkräfte der Kinder- und Jugendsozialarbeit ergänzt werden; diese fehlen bei Ihnen nämlich. (Beifall bei der LINKEN) All dem können wir in der Hoffnung zustimmen, dass dies wenigstens ein Anfang ist. In den letzten Jahren ist die Zahl der psychisch Erkrankten laut Statistiken der gesetzlichen Krankenversicherung ständig gestiegen. Gleichzeitig ist unser vielfach strukturiertes Gesundheits- und Sozialsystem immer komplizierter geworden. Daraus resultiert, dass es schwer ist, die richtigen Hilfs- und Unterstützungsangebote zu finden und miteinander zu vernetzen. In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion zu diesem Thema konnte die Bundesregierung zwar keine genauen Zahlen zu betroffenen Kindern und Jugendlichen nennen. Fallzahlen, die auf Hochrechnungen beruhen, gehen aber von 3,8 Millionen betroffenen Kindern und Jugendlichen aus; davon sind etwa 15 Prozent Kinder unter drei Jahren. Ebenfalls in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage wurde uns mitgeteilt – das hatte der Kollege Pols schon genannt –, dass gesichert ist, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern ein erhöhtes genetisches wie auch ein vor allem aus sozialen Komponenten abzuleitendes Krankheitsrisiko haben. Unter diesem Aspekt gesehen, ist der Hinweis im Antrag völlig richtig, dass diese Kinder und Jugendlichen ein unterstützendes soziales Umfeld brauchen, das von alltagspraktischer bis zu ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung reicht. Hier ist zu ergänzen, dass Gesundheitsvorsorge und Prävention noch dazukommen müssen; denn wenn eine Behandlung notwendig sein sollte, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Gerade das soll ja verhindert werden. Hier bin ich bei dem Punkt, den ich aus gesundheitspolitischer Sicht als zu kurz gekommen betrachte. Auf unsere Frage nach bundesrechtlich geregelten Leistungen mit Rechtsanspruch verweist die Bundesregierung auf Leistungen der Kinderrehabilitation, die von der Deutschen Rentenversicherung erbracht werden. Diese Rehamaßnahmen richten sich aber ausschließlich an Kinder und Jugendliche, die selbst an einer schweren chronischen Krankheit leiden. Eine psychosoziale Belastungssituation durch die Erkrankung der Eltern reicht eben gerade nicht aus, um eine Rehaleistung in Anspruch zu nehmen. Genau das muss geändert werden. (Beifall bei der LINKEN) Laut der Antwort auf meine schriftliche Frage an die Bundesregierung sinkt die Zahl der gewährten Rehaleistungen insgesamt seit 2007 konstant. Das heißt also: Weil auch gesundheitsgefährdete Kinder Anspruch auf eine Reha haben, müsste es laut Aussagen der Deutschen Rentenversicherung schon jetzt möglich sein, diese Kinder mit einzubeziehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Wirksamkeit präventiver Angebote für Kinder psychisch kranker Eltern einschätzt, wurden wir auf Projekte wie STEEP und die Entwicklungspsychologische Beratung hingewiesen. Diese Projekte waren aber gerade nicht für die betroffenen Kinder konzipiert, von denen wir hier reden. Was noch schlimmer ist: Die Projekte sind ausgelaufen; sie wurden nicht kontinuierlich fortgeführt. Sie gehörten zu den Frühen Hilfen – es war also nur der Bereich der Kinder bis zu drei Jahren abgedeckt –, und jetzt ist davon zum größten Teil nichts mehr da. Die angesprochenen Hilfen zur Erziehung sind richtig. Aber auch hier ist ein Antrag durch die Eltern Voraussetzung; denn Hilfen zur Erziehung werden auf Antrag gewährt. Wir bedauern sehr, dass das ideologische Dogma der CDU/CSU-Fraktion verhindert hat, die bisherige gemeinsame sachorientierte Arbeit auch zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu führen. Lassen Sie sich einmal vom Kollegen Irlstorfer berichten, wie peinlich solche Dogmen werden können. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Wöllert, denken Sie an Ihre Redezeit. Birgit Wöllert (DIE LINKE): Das haben wir in der letzten Gesundheitsausschusssitzung erlebt, als Ihre Kollegen vor Schreck den eigenen Antrag ablehnten, weil wir ihm zustimmten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die Fraktion der SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Heute machen wir einen Schritt hin zu Lösungen für eine völlig unterversorgte Personengruppe. Seit ich im Deutschen Bundestag wirken darf, begleitet mich dieses Thema, und ich bin sehr froh, dass wir diesen Schritt jetzt endlich gehen, und zwar gemeinsam mit einem interfraktionellen Antrag. Ich möchte Ihnen mit einem Beispiel illustrieren, was es für die ganze Familie bedeutet, wenn ein Elternteil psychisch erkrankt, und wie schwierig es ist, abgestimmte Hilfen zu bieten, obwohl viele Menschen mitbekommen, dass in der Familie etwas nicht rundläuft. Aber es hat eben niemand eine Gesamtverantwortung oder auch bloß die Autorität, eine Gesamtversorgung mit unterschiedlichen Hilfen zu steuern. Frau Mayer, wie wir sie einmal nennen wollen, lebt in Augsburg. Sie ist in einem Altenheim in Teilzeit beschäftigt und mit einem Polizisten verheiratet, der im Schichtdienst arbeitet und sich außerdem mit viel Sport fit halten muss. Schon immer hat die Mutter die Verantwortung für die Kinder ganz überwiegend übernommen. Die Großeltern wohnen weit entfernt und können nicht einspringen. Seit zwei Jahren hat Frau Mayer immer mal wieder psychische Krisen mit akuter Angst und Wahnideen, die in Schüben verlaufen. Der Sozialpsychiatrische Dienst hatte sie phasenweise betreut. Die Schwangerschaft mit ihrem dritten Kind war für Frau Mayer problematisch. Sie entwickelte starke Ängste, die zwar ihrer Frauenärztin und dem Hausarzt auffielen, die beide aber nicht weiter zum Thema machten. Während akuter Krisen geht Frau Mayer nicht aus dem Haus, auch nicht zum Einkaufen. Das müssen während dieser Phasen ihr Ehemann oder die älteste Tochter, elf Jahre alt, erledigen. Seit der Geburt ihres dritten Kindes vor vier Monaten schafft sie die Grundversorgung der Familie zunehmend nicht mehr. Sie verwahrlost nach außen, schämt sich sehr und ist überzeugt davon, keine gute Mutter mehr zu sein. Das prägt ihr Verhalten den Kindern gegenüber, das von hoher Sprunghaftigkeit und emotionaler Instabilität gekennzeichnet ist. Zunehmend werden die Kinder auch ein Bestandteil ihrer Ängste. Das führt dazu, dass sie die Kinder möglichst bei sich in der Wohnung haben möchte. Sie ist aber nicht in der Lage, sich länger mit ihnen zu beschäftigen. Die Kinder zeigen alle auf ihre Art, dass sie unter der Situation leiden. Der Nachbarin ist aufgefallen, dass das vier Monate alte Baby sehr viel weint. Sie hat aus Sorge um das Kind das Jugendamt angerufen. Die Mutter hat die letzte vorgesehene Untersuchung des Babys beim Kinderarzt versäumt. Ihr mittleres Kind, ein sechsjähriger Junge, steht kurz vor dem Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Er hat wieder angefangen, nachts einzunässen, träumt schlecht und wacht manchmal schreiend auf. In den Kindergarten kommt er oft ohne Frühstücksbrot und fällt den Erzieherinnen manchmal durch unpassende Kleidung auf. Er ist ein sehr unauffälliges und ängstliches Kind, zieht sich immer mehr zurück und hat keine Freunde. Im Kindergarten bekommt er zusätzliche Sprachförderung. Die große Schwester besucht die Realschule. Sie ist eine gute Schülerin, jedoch insgesamt sehr zurückhaltend. Es fällt auf, dass sie sehr umsichtig ist, dabei aber kaum eigene Bedürfnisse anmeldet oder durchsetzt. Mittags nach der Schule geht sie direkt nach Hause. Manchmal geht sie alleine einkaufen. Der Bruder erzählt, dass seine Schwester das Essen macht, wenn Mama wieder komisch ist. Die wenigen Freunde der Familie haben sich zurückgezogen und machen sich aus der Ferne Sorgen. Das Beispiel zeigt: Die schwierige Lage der Familie ist eigentlich vielen bekannt. Der Sozialpsychiatrische Dienst hatte schon Kontakt. Der Hausarzt und die Frauenärztin haben die Probleme zumindest im Ansatz gesehen; die Hebamme und der Kinderarzt sehen sie auch. In der Kita, der Schule und auch beim Jugendamt liegen Informationen vor. Aber niemand handelt; denn es gibt keine geregelte und vor allem finanzierte Netzwerkarbeit der jeweiligen Systemvertreter. Die Akteure aus dem Gesundheits- und Jugendhilfebereich, aus den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen brauchen einen rechtlichen und finanziellen Rahmen für die Möglichkeit einer anonymisierten Fallbesprechung. Bei Familie Mayer – wie auch bei vielen anderen ähnlich gelagerten Fällen – sind zwar zeitgleich mehrere Unterstützersysteme und Fachkräfte aktiv, aber sie wissen nichts voneinander und nehmen nur ihre eigene Fachlichkeit wahr. Familien mit einem psychisch kranken Elternteil, dessen Erkrankung vielleicht in Schüben verläuft, bedürfen einer flexiblen Unterstützung, die sich mal an die kranke Mutter, mal an die Kinder und dann wiederum an alle richtet. Je nach dem aktuellen Bedarf der jeweiligen Familienmitglieder ist mal das eine Unterstützersystem, dann wieder ein anderes stärker im Einsatz und damit federführend. Mit unserem Antrag wollen wir jetzt eine Grundlage für eine verbindliche und verpflichtende Kooperation der verschiedenen Leistungsträger schaffen. Eine Arbeitsgruppe aus Fachleuten, begleitet von den beiden zuständigen Ministerien, wird die Schnittstellen zwischen den Sozialgesetzbüchern identifizieren, Vorschläge zur Vernetzung erarbeiten und Regelungslücken ermitteln, damit es nicht mehr vom Wohnort und von Modellprojekten vor Ort abhängt, ob die Kinder der Familie Mayer frühzeitig die nötige Hilfe bekommen. Aufgabe für die nächste Wahlperiode wird es dann sein, auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe ein Rahmenkonzept für die Gestaltung von komplexen, mischfinanzierten Hilfen für Familien mit psychisch kranken Eltern zu entwickeln. Diese Probleme – das möchte ich noch einmal betonen – sind keine Nischenprobleme. Psychische Erkrankungen sind nicht selten. Mehr als 3 Millionen Kinder sind zumindest vorübergehend betroffen. Für sehr sinnvoll halte ich es deshalb auch, über psychische Erkrankungen mehr und breiter aufzuklären. Zu wenig Wissen über Krankheitsanzeichen und -verläufe auf der einen Seite, Tabus und Scham auf der anderen schaffen ein Klima, das es den Kindern fast unmöglich macht, sich Erziehern oder Lehrern, Freunden oder Nachbarn zu offenbaren. Für Kinder ist es nicht einfach, wenn die geliebten Eltern plötzlich seltsam, komisch oder beängstigend wirken. Noch schlimmer ist es aber, wenn daraus ein Familiengeheimnis gemacht werden soll, wenn weitere Vertrauenspersonen mit Unverständnis reagieren, wenn die Kinder vielleicht wegen ihrer komischen Eltern gemobbt oder gemieden werden. Hier hilft nur ein dreistufiges Vorgehen, wie im Antrag beschrieben, nämlich erstens allgemein der Stigmatisierung psychisch Erkrankter entgegenzuwirken, zweitens alle Fachleute, die mit Kindern oder Eltern arbeiten, entsprechend fortzubilden und drittens, kindgerechte Materialien für die betroffenen Kinder selbst in die Breite zu tragen. Der Dachverband Gemeindepsychiatrie zum Beispiel hat dazu schon sehr gute Materialien bereitgestellt. In der Umsetzung des vorliegenden Antrags freue ich mich auf eine engagierte Aufklärungsarbeit und auf die Vorschläge der Arbeitsgruppe zur besseren Kooperation der Hilfesysteme, die wir dann im nächsten Jahr im neuen Bundestag beraten werden. Ich möchte es nicht versäumen, besonders dem Bundesverband für Erziehungshilfe, AFET, und dem Dachverband Gemeindepsychiatrie für ihre jahrelange beharrliche Begleitung und Lobbyarbeit ganz herzlich zu danken; denn wir alle wissen seit Max Weber: Politik ist das starke und langsame Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer für Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung: Mir fällt heute Abend wirklich ein Stein vom Herzen. Endlich haben wir diese wichtige Abstimmung über unseren interfraktionellen Antrag. Wir alle wissen, was für ein Prozess und was für ein langer Weg das war und dass es keine ganz einfache Geburt war, den Antrag noch in dieser Legislatur auf den Weg zu bringen. Für mich als klinische Psychologin, als Mutter von fünf Kindern und auch als Politikerin ist dieses Thema eine Herzensangelegenheit. Ich habe bereits 2013 als Vorsitzende der Kinderkommission das Thema bearbeitet, und wir haben damals eine Stellungnahme dazu vorgelegt, die sehr klar auf diesen dringenden Handlungsbedarf hingewiesen hat; du wirst dich erinnern, Eckhard. Sie alle wissen, dass es dann einen Antrag der Grünen gab, den wir im Dezember 2015 verabschiedet haben, und dass dann auf unsere Initiative hin Bewegung in die Sache kam. Ich bin sehr froh, dass wir in dieser Sache Verbündete gefunden haben und dieser gemeinsame Antrag möglich war. – Sie können gerne klatschen; denn es ist wirklich toll, dass wir das geschafft haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mein Dank geht an Sie, Herr Lehrieder, weil Sie ein wirklich äußerst engagierter und verlässlicher Mitstreiter an meiner Seite waren. Ihre Arbeit war sehr von Ihrem persönlichen Engagement geprägt, das man immer merken konnte. Mein Dank geht auch an Sie, liebe Frau Bahr, für die tolle Zusammenarbeit und natürlich an dich, Eckhard Pols, als Berichterstatter. Wir sind auch Kollegen in der Kinderkommission. Dank auch an meine Kollegin Maria Klein-Schmeink, die uns von der gesundheitlichen Seite her unterstützt hat. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei meiner Mitarbeiterin Julia Frederking, die oben zuhört und ohne die es nicht geklappt hätte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Mein Dank geht an dieser Stelle auch an die Verbände, die uns sehr unterstützt haben, sehr viel fachlichen Input geleistet und dazu beigetragen haben, dass sich etwas bewegt und wir einen wirklich fundierten Antrag vorlegen können. Ein wichtiges Etappenziel ist damit erreicht. Die Expertenkommission, die eine Kernforderung dieses Antrags ist, wird daran arbeiten und uns in einem Jahr – das halte ich für eine tolle Sache – ganz klar den politischen Handlungsbedarf aufzeigen. Wir haben dann also einen Rahmen, um die Situation der betroffenen Kinder und deren Familien wirklich grundsätzlich zu verbessern. Diese Kinder und ihre speziellen Bedürfnisse standen bisher viel zu wenig im Fokus. Frau Bahr, Sie haben ein Beispiel gebracht, anhand dessen man sehr gut verstanden hat, dass die Kinder Aufgaben übernehmen müssen, denen sie eigentlich noch gar nicht gewachsen sind. Sie haben geschildert, wie das normale Kinderleben aus den Fugen gerät und dass sie eigentlich niemanden haben, dem sie ihren Kummer und ihre Nöte anvertrauen können. Diese Situation wollen wir verbessern; daran arbeiten wir. Sie haben auch erwähnt, dass diese Kinder ein drei- bis vierfach höheres Risiko haben, später selber psychisch zu erkranken. Es sind 3 bis 4 Millionen Kinder in Deutschland, über die wir sprechen. Wir sprechen also über eine ziemlich große Gruppe. Diese Kinder brauchen unsere Unterstützung ganz besonders. Sie brauchen ein starkes soziales Umfeld und fachlich qualifizierte Hilfe und sind auf Versorgung angewiesen. Bisher ist leider wenig an die Kinder gedacht worden, wenn sich die Eltern in Behandlung begeben haben. Die Expertenkommission, die wir einsetzen, soll nun Lösungsansätze aufzeigen, um künftig eine optimale interdisziplinäre Versorgung betroffener Familien zu gewährleisten und diese Kinder flächendeckend zu unterstützen. Die Situation ist sehr komplex. Es sind sehr viele Probleme zu berücksichtigen, die man nicht so schnell lösen kann. Einfache Antworten sind hier fehl am Platz. Deshalb machen wir uns für die Einsetzung dieser Gruppe stark. Ich sage ganz klar: Diese Expertenkommission ist keine Minimalforderung, wie ich lesen musste, und auch keine Kompromisslösung. Wer das sagt, hat die Sache nicht verstanden. Sie ist nämlich der Kern dessen, was auch die Verbände sich gewünscht haben. Wenn sie gut besetzt ist, wird sie auch sehr kraftvoll sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ich sage auch ganz klar: Sobald in einem Jahr der Bericht auf dem Tisch liegt, heißt es für uns Politikerinnen und Politiker, die Ärmel hochzukrempeln und an die Arbeit zu gehen; denn mein Ziel ist es – ich glaube, das teilen auch Sie –, sobald wie möglich den betroffenen Kindern wirkliche und wirkungsvolle Unterstützung zu gewährleisten. Lassen Sie uns das als Ziel für die nächste Wahlperiode schon jetzt festhalten und auf die Agenda setzen, damit in Zukunft keines dieser Kinder mit seiner Überforderung alleingelassen wird. Danke für die Arbeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat für die Unionsfraktion der Kollege Paul Lehrieder das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Damit mir am Ende meiner Redezeit die Zeit nicht zu knapp wird, will ich gleich mit dem Dank beginnen. Ich darf mich an dieser Stelle ebenfalls sehr herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die wohlmeinend an diesem Antrag mitgeschrieben haben. Ich darf mich auch beim Gesundheitsministerium, besonders bei Annette Widmann-Mauz, und beim Familienministerium bedanken. Liebe Elke Ferner, dass wir das noch zum Ende der Amtszeit der Staatssekretärin Ferner auf den Weg bringen können, finde ich gut. Später können Sie aus dem Saarland nach Berlin schauen und sagen: Da haben wir doch etwas Gutes hinbekommen. Darauf können wir einen Sekt trinken. Natürlich auch herzlichen Dank an Sie, Frau Kollegin Bahr, und an Sie, Frau Kollegin Walter-Rosenheimer, und an Eckhard Pols. Wir haben es gemeinsam geschafft. Das ist kein Erfolg eines Einzelnen, sondern wir haben das gemeinsam auf den Weg gebracht. Vor dreieinhalb Jahren haben wir bereits in der Kinderkommission eine Anhörung dazu gemacht, und wir haben im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor fast drei Jahren eine Anhörung durchgeführt. Ich bin stolz, dass sich um diese Zeit – es ist immerhin kurz vor 23 Uhr – im Plenum zumindest von unserer Truppe die komplette Arbeitsgruppe „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ diesem Thema stellt. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Das gilt natürlich auch für euch. Ich kann jetzt nicht beurteilen, ob ihr vollzählig seid. (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind halt weniger!) Aber ich unterstelle einmal, dass SPD und Grüne hier vollzählig sind. Dieses Thema ist wichtig. Ich will zu meiner Schande gestehen: Vor fünf oder sechs Jahren hatte ich dieses Thema nicht ganz auf dem Schirm. Aber durch die Sachverständigenanhörungen, durch die Ausführungen von etlichen Sachverständigen, etwa von Andreas Schrappe, bin ich sensibilisiert worden. Ich habe extra ein Buch von Schirin Homeier mitgebracht: Sonnige Traurigtage. In diesem Buch wird beschrieben, in welcher Situation diese Kinder leben. Ich glaube, es ist die einzige Bevölkerungsgruppe in unserer Gesellschaft, die keine Lobby hat, die niemanden hat, der für sie kämpft. Wenn wir uns beschweren wollen, finden wir Gewerkschaften, Anwälte, Beratungsstellen. Man geht zur Not zu seinem Abgeordneten und beschwert sich über Sachen, die im Argen liegen. Aber die Kinder haben niemanden, weil die natürlichen Anwälte der Kinder, ihre Eltern, durch psychische Erkrankungen als Anwälte ausfallen. Dann sind sie in einer Situation, in der sie für sich selber Verantwortung tragen müssen, zum Teil auch für Geschwister. Möglicherweise suchen sie in ihrer Verzweiflung die Schuld für das Fehlverhalten oder das Nichtfunktionieren von familiären Beziehungen bei sich. Ja, es ist richtig: Wir hatten vor wenigen Monaten einen parlamentarischen Abend zu der Situation früher Hilfen. Wir haben erfahren, dass 44 bis 70 Prozent der Kinder, die über Jahre hinweg in einer derart belastenden Situation waren, später ebenfalls psychische Unterstützung brauchen. Ja, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz, es wäre ganz gut, wenn wir rechtzeitig auf dieses Problem schauen; denn die Mittel, die wir heute nicht ausgeben, werden wir um ein Mehrfaches in 10, 20 oder 25 Jahren in die psychische Behandlung von kranken Kindern stecken müssen. Darum sollten wir uns fraktionsübergreifend bzw. ressortübergreifend – Gesundheitsressort, Familienressort –, aber natürlich auch zusammen mit den Kommunen, mit den Jugendämtern diesem Problem stellen. Die Zahlen wurden bereits mehrfach genannt: Zwischen 2,6 und 3,8 Millionen Kinder leben in psychisch belasteten Familien. Nicht alle von ihnen brauchen Hilfe; aber wir müssen zumindest hinschauen, um herauszufinden, wo verzweifelte kleine Helden sind. Ich darf mit der geschätzten Erlaubnis des Herrn Präsidenten einfach ein paar Überschriften aus diesem für Kinder geschriebenen richtungsweisenden Buch zitieren, um Ihnen ein paar Denkanstöße zu geben: „Viele Kinder fragen sich: Was ist los mit Mama oder Papa? Doch die Antworten bleiben oft aus.“ „Kinder psychisch erkrankter Eltern erleben überdurchschnittlich häufig Trennungen und Beziehungsabbrüche.“ „Viele Kinder sind auf die Eltern und deren Erkrankung wütend.“ „Viele Kinder fragen sich, ob auch sie eine psychische Erkrankung entwickeln können.“ „Viele Kinder von psychisch kranken Eltern finden keinen Anschluss an Gleichaltrige.“ „Oft sind Kinder der Meinung, dass ihr Verhalten Einfluss auf die elterliche Erkrankung habe, und übernehmen Verantwortung für Geschwister und Eltern.“ Sie befürchten außerdem, dass sich beispielsweise ungezogenes Benehmen oder schlechte Schulleistungen negativ auf das Krankheitsbild der Eltern auswirken können. Mangels Wissen über die Existenz und Erscheinungsformen psychischer Erkrankungen ohne sichtbare Auslöser der Erkrankung sowie der Tabuisierung von psychischer Krankheit innerhalb und außerhalb der Familie können insbesondere jüngere Kinder das elterliche Verhalten überhaupt nicht als krankhaft einstufen. Stattdessen werten sie es als Erziehungsverhalten und suchen die Schuld bei sich. In genau dieser Situation sind wir als verantwortliche Politiker gefordert, zu fragen: Wie können wir diesen kleinen Helden Hilfe geben, Kindern, die in der Gesellschaft quasi im Verborgenen leben? Von den Eltern können wir diese Hilfe nicht erwarten. Sie leben zum Teil in Schuld, schämen sich für ihre Erkrankung, gestehen sich ihre Erkrankung oft genug gar nicht ein. Ich habe mir einmal die Krankheitsbilder herausgesucht: 25 Prozent sind psychische Störungen und Verhaltensstörungen nach Substanzgebrauch – Drogen, Alkohol etc. –, 25 Prozent sind schizophrene Störungen, 20 Prozent sind affektive Störungen, Depressionen, bipolare Störungen, manische Erkrankungen. Von daher ist es eine große Aufgabe, der wir uns stellen. Ich bin allen Wohlmeinenden dankbar, dass wir diese interdisziplinäre Arbeitsgruppe auf den Weg bringen, sodass wir hoffentlich im nächsten Dreivierteljahr ein Ergebnis haben. Liebe Frau Staatssekretärin, ich bitte darum, dass die Ministerien auf der Arbeitsebene auftauchende Probleme lösen und sich auftuende Hürden beseitigen – wir müssen jetzt Wahlkampf machen –, sodass diese Arbeitsgruppe möglichst bald starten kann und wir zu Beginn der nächsten Legislaturperiode dieses Vorhaben konkret angehen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit hat der Kollege Lehrieder die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12780 mit dem Titel „Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Ich glaube, das ist ein guter Antrag. Ich rufe dann die Tagesordnungspunkte 23 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gesamtkonzept Elbe Strategisches Konzept für die Entwicklung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen Drucksachen 18/11830, 18/12181 Nr. 1.3, 18/12844 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den Weg bringen – Sohlerosion stoppen Drucksache 18/12787 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann. – Bitte schön, Herr Ferlemann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die Uhrzeit schon vorgerückt ist, so ist es dennoch ein sehr wichtiges Thema, das wir heute Abend noch behandeln, die Frage des Gesamtkonzeptes Elbe. Dazu muss man wissen, dass es über Jahre schwere Konflikte um die Fragen gab: Soll man die Elbe besser schiffbar machen, wie kann man die Mittel- und die Oberelbe ökologisch stärken, wie funktioniert das? Ökologie und Ökonomie sind die zwei Seiten derselben Medaille. Viele sagen das so. (Beifall der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Danke für Ihren Applaus, Frau Kollegin. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es so ist, wie Sie es sagen! – Zuruf von der SPD: Für das Protokoll: Kollegin Lemke hat applaudiert!) – Also für das Protokoll: Kollegin Lemke hat applaudiert. – Vielen Dank dafür. Häufig wird das so im Munde von Politikern und Verantwortlichen geführt, aber wenn es um das konkrete Umsetzen, Handeln geht, sieht es häufig schwieriger aus. Diese schwierige Aufgabe für eine Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, die ja nur für die Ertüchtigung, die Sicherheit und Leichtigkeit eines Schiffsweges, eines Flusses zuständig ist, dann auch Ökologie zu betreiben, ist eigentlich so vom Gesetz gar nicht vorgesehen. Auf der anderen Seite haben wir an der Elbe eine ökologische Situation, die danach ruft, dass sie verbessert wird. Stichwort „Sohlerosion“. Die Problematik, dass eine Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung eigentlich diese ökologisch sinnvolle Maßnahme gar nicht durchführen kann und durchführen darf, weil sie ja der Ökologie dient, musste überwunden werden. Daneben gab es schwere Konflikte vor allem mit der evangelischen Kirche, die sich sehr um diese Region bemüht, um diesen Fluss bemüht. Das können wir ja auch absolut begrüßen. Deswegen galt es, alle Beteiligten zusammenzuführen zu einem Prozess nach dem Motto: Lasst uns das gemeinsam angucken, dieses unglaublich schöne Flussareal, dieses Ästuar, um Ökologie und Ökonomie zusammenzubringen, auf der einen Seite den Fluss schiffbarer zu machen, vor allem auch unser Versprechen gegenüber den Tschechen einzuhalten, deren Zugang zur Nordsee dieser Fluss ist, und auf der anderen Seite den ökologischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Wir haben das in der vergangenen Legislaturperiode vorbereitet, und es hat dazu ziemlich zum Ende der Legislatur einen Entschließungsantrag gegeben, der uns diese Aufträge erteilt hat. Wir haben diese vier Jahre effektiv genutzt mit zahllosen Gesprächen und Besprechungen. Das Ergebnis liegt vor. Wir haben es geschafft, ein Gesamtkonzept Elbe zu stricken, mit dem sowohl die Schiffbarkeit der Elbe verbessert wird, die Versprechen den Tschechen gegenüber eingehalten werden können, aber auch den ökologischen Notwendigkeiten Rechnung getragen wird, eben Ökologie und Ökonomie im besten Sinne zusammenzubringen. Das war ein riesiger Prozess, der auch Vertrauen bedurfte, vertrauensbildender Maßnahmen. Unzählige Gespräche, Kongresse, Besprechungen haben stattgefunden. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist ein gutes Ergebnis, weil es diesen Bedenken auf der einen Seite und den Belangen auf der anderen Seite Rechnung getragen hat und zu einem Ausgleich geführt hat. Ich bin allen, die daran beteiligt waren, sehr dankbar. Ich möchte mich insbesondere bei meinem Kollegen Ulrich Petzold bedanken. Ulrich Petzold war einer, der immer dann, wenn man mal den Mut verloren hatte und sich gefragt hatte: „Klappt das noch?“, gesagt hat: Wenn es einer schafft, dann du; mach so weiter. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin dir sehr dankbar, dass ich immer wieder Rückendeckung erhalten habe. Daneben darf ich auch den Kollegen Herzog erwähnen, der eigentlich ein Lobbyist der Binnenschifffahrt vom Feinsten ist – das ist der ökologische Verkehrsträger überhaupt –, der aber gesagt hat: Seht zu, dass ihr die Binnenschifffahrt stärkt, aber gleichzeitig auch die Ökologie nicht aus dem Auge lasst! – So haben wir das hinbekommen. Wir haben jetzt ein Gesamtkonzept, das beinhaltet, was wir machen sollen, wie es gehen soll. Nun kommt die Umsetzungsphase. Auch das wird nicht einfach. Wir beginnen mit dem, was, glaube ich, am meisten Vertrauen schafft. Wir stoppen die Sohlerosion. Wir beginnen mit einer ökologischen Maßnahme, realisieren aber auch viele andere Punkte, die die Schifffahrt verbessern: die Streichlinie stärker machen, alte Buhnen wieder nutzen. Das, glaube ich, ist uns gut gelungen. So müssen wir weitermachen. Wie wir es hinbekommen haben, an einem großen Fluss Ökologie und Ökonomie zusammenzubringen, ist ein Beispiel dafür, wie wir es auch an vielen anderen Gewässern in der Zukunft machen müssen: den Ausgleich finden, das Gemeinsame finden, um dann zur Lösung beizutragen. Wir haben einen spannenden, interessanten Prozess vor uns. Wir haben festgelegt, wie wir weiter miteinander umgehen wollen. Ich kann nur alle Beteiligten bitten: Lassen Sie uns gemeinsam so weitermachen! Heute hat ein Umweltverband wieder ein bisschen Kritik geübt. Aber vielleicht hat man auch das Konzept nicht ganz gelesen. Wenn man es getan hätte, hätte man gewusst, welche Vorschläge wir gemacht haben, um das zu einem guten Ergebnis zu führen. In diesem Sinne herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das möglich war! Ich danke sehr für den Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen im Ausschuss eingebracht haben und der uns in die Lage versetzen wird, die Maßnahmen, die wir vorgesehen haben, auch umzusetzen. Alles Gute für die Mittel- und die Oberelbe! Ihnen einen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Herbert Behrens, Fraktion Die Linke. Bitte schön. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wasserqualität der Elbe ist nicht gut, und auch der Binnenschifffahrt auf der Elbe geht es nicht gut. Darum war es ein Fortschritt, als es vor einigen Jahren den Antritt gegeben hat, Ökonomie und Ökologie an dieser Stelle zusammenzubringen, um den Stillstand zu überwinden. Das Verfahren begrüßen wir außerordentlich, und darum ist es gut, dass es das Gesamtkonzept Elbe gibt und wir es heute Abend diskutieren können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte betonen: Wir reden hier über ein Zwischenergebnis. Es ist kein abgeschlossenes Konzept im eigentlichen Sinne. Das geht auch aus dem Text des Konzepts selber hervor. Es ist die Rede davon, dass noch viele offene Fragen zu diskutieren sind. Von daher können wir nicht abschließend sagen: Das ist es jetzt, und darauf bauen die nächsten Maßnahmen auf. – Wir werden weiter in dem Aushandlungsprozess bleiben. So steht es richtigerweise auch im Konzept auf der Seite 12: Dabei – in dem Aushandlungsprozess – wurde auch deutlich, dass nicht alle Fragestellungen im Gesamtkonzept abschließend behandelt werden können. Darauf bestehen wir, wenn es dabei bleiben soll, dass wir der Beschlussempfehlung zustimmen. Wir haben darüber im Ausschuss diskutiert, am Mittwoch zum ersten Mal, sodass wir eigentlich nicht alle grundsätzlichen Positionen erörtern konnten. Wir haben in dieser Debatte aber klargemacht: Wir brauchen einen stabilen Grundkonsens. Dieser Grundkonsens darf nicht durch eine Partei oder eine Gruppe der Beteiligten aufgelöst werden. – Darum hat es lange gedauert. Bis heute sind es vier Jahre gewesen, die gebraucht worden sind, um das Konzept vorzulegen. Wenn ich jetzt den Entschließungsantrag der Großen Koalition sowie die Kritik der Umweltverbände, aber auch der Kirchen und der Bürgerinitiative „Pro Elbe“ sehe, dann habe ich etwas Zweifel, ob dieser Grundkonsens nicht doch zumindest angekratzt wird. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wird er! – Gustav Herzog [SPD]: Von den Umweltverbänden und von der Kirche!) Ich habe intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen gesprochen, und sie haben darauf hingewiesen, dass es nicht ganz so ist, wie es in diesem Entschließungsantrag steht. Darin heißt es nämlich, dass es eine Zustimmung der Umweltverbände gibt, dass es Konsens gibt, wo es um die Zusage an die Tschechische Republik geht, dass man sozusagen den ungehinderten Zugang von Tschechien zur Nordsee realisieren will. Ich habe die Information bekommen, dass dem nicht so ist. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann solltet ihr nicht zustimmen!) Ich bitte die folgenden Redner der Großen Koalition, auf diese Fragen einzugehen: Hat es diese Zustimmung der Umweltverbände gegeben? Wir reden hier nicht nur über singuläre Meinungen, sondern über einen wesentlichen Teil der Beteiligten, die sich dort zusammengefunden haben. Von daher wäre es sicherlich nicht gut, wenn wir ein tragfähiges Konzept aufbauen und dann feststellen müssen, dass dieser Konsens zumindest brüchig wird. Ich erwarte von der Bundesregierung eine Antwort auf die Frage, ob diese Gespräche stattgefunden haben oder nicht. Ich erwarte auch, dass die Frage beantwortet wird: Hat man gegenüber Tschechien in der Vorbereitung bereits eine Zusage gemacht, dass es diesen ungehinderten Zugang geben muss? Wenn diese Fragen nicht beantwortet werden, müssen wir uns vorbehalten, dass wir zu einem anderen Abstimmungsverhalten kommen, als dies bei der Beschlussempfehlung im Ausschuss der Fall war. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt vernünftig!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Behrens, darf ich Sie einmal kurz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Petzold? Herbert Behrens (DIE LINKE): Ja, gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Ulrich Petzold (CDU/CSU): Herr Kollege Behrens, ich habe heute eine E-Mail des Leiters des Biosphärenreservats Mittelelbe bekommen, in der er mir ganz herzlich zu genau diesem Antrag gratuliert hat, den Sie so bezweifeln. Er hat „Juchhu!“ geschrien, als ich ihm über diesen Antrag berichtet habe. Könnten Sie akzeptieren, dass er als Leiter des Biosphärenreservats wirklich glücklich ist mit einem solchen Antrag? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Herbert Behrens (DIE LINKE): Danke für die Frage. – Ich will das gerne in den Kontrast setzen zu der Diskussion, die ich heute Nachmittag mit den Umweltverbänden hatte. Ja, auch die Umweltverbände stehen zu diesem Gesamtkonzept, weil sie der Meinung sind, dass alles, was an wichtigen Fragen zu lösen ist, dort niedergelegt ist. Sie warnen aber davor, heute schon aus den Fragen die Antworten abzuleiten, ohne dass eine Kommunikation darüber stattgefunden hat. Ich appelliere sehr, dass dieser konsensuale Ansatz, den das Verfahren insgesamt hat, auch bis zum Ende trägt. Von daher ist jede positive Stellungnahme sicherlich gern gesehen. Aber auch die Kritik daran muss genauso ernst genommen werden wie die Unterstützung, die wir in unserer Arbeit haben. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesamtkonzept Elbe ist nötig, um den Stillstand zu überwinden, und es ist ausdrücklich erforderlich, dass wir dahin kommen, dass hier Ökologie und Ökonomie zum Ausgleich gebracht werden. Insofern bitte ich Sie sehr darum, dass Sie sich in Ihren Ausführungen noch einmal mit dieser Frage auseinandersetzen, damit wir hier einvernehmlich zu einem guten Ende kommen und in der Lage sind, bei den kommenden Verhandlungen, die zur Ausgestaltung und zur Umsetzung des Konzepts gehören, diese Einmütigkeit auch zu erhalten bzw. wiederherzustellen, wo sie zurzeit aufgelöst scheint. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gustav Herzog [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Dagmar Ziegler das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der SPD) Dagmar Ziegler (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Elbe ist Teil einer gewachsenen Kulturlandschaft. Seit über 200 Jahren sind Maßnahmen unternommen worden, die Schifffahrtsbedingungen auf dem Fluss zu verbessern und Gefahren zu beseitigen. Der Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung führten dazu, dass notwendige Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen nicht oder nur teilweise umgesetzt werden konnten oder sollten. Spätestens seit dem Versailler Vertrag, lieber Herr Kollege Behrens, ist über die Elbe für Tschechien der Zugang zu den Weltmeeren garantiert. Damals ist unseren Nachbarn eine Schiffbarkeit des Flusses zugesagt worden. Die Erarbeitung des Gesamtkonzepts Elbe hat den Anspruch, die jahrzehntelange Stagnation zu beenden. An dem Prozess waren Umwelt- und Wirtschaftsverbände, die zuständigen Bundesministerien für Umwelt und Verkehr, die Anrainerbundesländer, die evangelische Kirche und die Tschechische Republik beteiligt. Gemeinsam mit den Kollegen von der Union, lieber Kollege Jürgen Klimke, haben wir diese Entscheidung sehr intensiv begleitet und politisch flankiert. Wir haben das Gespräch gesucht mit den Mitgliedern des Beratergremiums, aber auch mit den vielen Akteuren und Verantwortlichen vor Ort. Lassen Sie mich zwei Beispiele herausgreifen, um zu verdeutlichen, was an der Elbe passieren muss. Probleme für die Schiffbarkeit auf der Elbe gibt es an circa 4 Prozent der Strecke in Deutschland. Prominentestes Beispiel ist die sogenannte Reststrecke zwischen Dömitz und Hitzacker. Es geht dabei nicht um wildes Ausbaggern. Vielmehr soll sich der Fluss mithilfe von Strombauwerken selbst regulieren. Dass diese ökologisch verträglich gestaltet werden können und so auch Lebensräume für Tiere und Pflanzen bieten, belegen Versuche der Wasser- und Schifffahrtsämter. Gleichzeitig müssen Maßnahmen erforscht und umgesetzt werden, die zu einem Stopp der Sohlenerosion führen. Nur so können ein Absinken des Grundwasserspiegels im Einzugsgebiet und damit das Trockenfallen der wertvollen Auenwälder sowie Probleme für die Landwirtschaft und für das Weltkulturerbe des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches verhindert werden. Von den angenommenen 300 Millionen Euro, deren es zur Umsetzung des Gesamtkonzepts Elbe bedarf, sind nur rund 60 Millionen Euro für die Verbesserung der Schifffahrtsbedingungen vorgesehen. Die übrigen 240 Millionen Euro werden genutzt, um Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache aber auch eines deutlich: Das eine wollen wir nicht ohne das andere. Der Antrag der Grünen spricht leider eine andere Sprache. Ich habe mich über den Beifall zu den Ausführungen des Staatssekretärs sehr gefreut, aber er widerspricht diametral Ihrem Antrag; denn Sie wollen das Moratorium aufrechterhalten, Sie wollen alles verhindern, was der Schiffbarkeit dienen kann. Sie sprechen alles ab, was zur wirtschaftlichen Nutzung der Elbe dient. Das ist mit uns auf keinen Fall zu machen. Der Haushaltsgesetzgeber wird eine andere Sprache sprechen müssen; denn wenn dieser Konsens aufgelöst ist, dann sicherlich nicht von unserer Seite. Wir wollen beides, so wie Sie es auch dargestellt haben. Es gehört aber noch viel mehr dazu. Die Digitalisierung nimmt auch dort ihren Lauf. Die Länder Hamburg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben eine Vereinbarung abgeschlossen, dass Schiffsbegegnungen auch intelligent organisiert werden können, indem man sich die Schiffe nicht auf der gesamten Breite begegnen lässt. Dazu gehört eine andere Ausbildung der Binnenschiffer genauso wie neue Schiffe mit weniger Tiefgang. Das alles wissen wir. Das alles sind Aufgaben, die noch zu erledigen sind, die wir auch so schnell wie möglich angehen müssen. Ich bitte, das zu berücksichtigen und nicht den Konsens, den wir in grundsätzlicher Art und Weise erreicht haben, aufzugeben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Steffi Lemke spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Erstes feststellen, dass diese Debatte vor dem Hintergrund stattfindet, dass die Elbepolitik der letzten Jahrzehnte gescheitert ist. Es ist ein Scherbenhaufen, was an der Elbe gegenwärtig stattfindet und was man dort sieht. Wir haben einen Fluss, der sich eingetieft hat: 2 Zentimeter pro Jahr seit circa 100 Jahren. In einzelnen Flussgebietsabschnitten in der Region bei Dessau, in der ich lebe, genauer bei Barby, sind es fast 2 Meter in den letzten Jahrzehnten. Können Sie sich vorstellen, wie ein Fluss aussieht, der sich 2 Meter eingetieft hat? Die Elbe hat ein Sandbett. Das ist in den letzten Jahren der Flusspolitik in keiner Weise berücksichtigt worden. Man hat gebaut und gebaut mit der Folge, dass sich der Fluss immer weiter eingetieft hat und dort noch weniger Schiffe fahren können als früher. Im Moment haben wir einen Pegelstand von 70 Zentimetern. Ich weiß nicht, welche Schiffe Sie noch fahren lassen wollen. Seit dem Jahr 2015 hatten wir mehrere Monate, in denen gar keine Schiffe fahren konnten. Der Fluss hat das Wasser für die Ausbaupläne, die die Regierungen der letzten Jahrzehnte verfolgt haben, einfach nicht. Das ist das Problem, das wir an der Elbe haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb haben wir Grüne den Prozess um das Gesamtkonzept Elbe begrüßt, weil er versucht hat – Herr Ferlemann hat es dargestellt –, diese Konflikte aufzulösen. Deshalb habe ich geklatscht, als Sie sagten: Wir wollen Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung bringen. Denn die Tonnagen, die auf der Elbe transportiert werden, rechtfertigen überhaupt gar keinen Ausbau. Die Tonnagen, die dort transportiert werden, gehen gegen null. Wir reden prioritär über Kreuzfahrtschiffe, die für den Tourismus eine wichtige Quelle darstellen, und die wir durchaus unterstützen wollen. Aber bei 70 Zentimetern ist für manche von ihnen bereits Schluss. Ich habe geklatscht, Herr Ferlemann, bei der Passage „Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung bringen“. Sie stehen jetzt vor der Aufgabe, Ihre Worte und Taten in Übereinstimmung zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Lietz [CDU/CSU]: Aber Sie auch!) – Ja, natürlich. Ich habe damit aber kein Problem, weil ich in den letzten Jahrzehnten nicht gefordert habe, einen solchen Fluss auszubauen, obwohl es dort überhaupt keinen Gütertransport gab. (Gustav Herzog [SPD]: Kollegin Lemke, niemand will die Elbe ausbauen! – Kirsten Lühmann [SPD]: Vielleicht sollte man das Konzept lesen!) – Sie reden doch auch gleich, Herr Herzog. Dann schauen Sie doch einmal in Ihren Antrag. Das ist das Problem an der Diskussion, die wir gegenwärtig führen. Das Gesamtkonzept Elbe ist eine gute Grundlage, um jetzt voranzukommen. Aber in dem Gesamtkonzept Elbe wird nicht die entscheidende Frage beantwortet, wie die Sohlerosion zu stoppen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das positive Ergebnis dieses Prozesses ist, dass endlich nach Jahrzehnten anerkannt wird, dass die Sohlerosion für die Ökologie und für die Schifffahrt ein Riesenproblem darstellt und das Ökosystem Fluss zum Kippen bringen könnte, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Es ist positiv, dass sich diese Erkenntnis jetzt endlich durchsetzt. Aber es gibt im Gesamtkonzept Elbe keine Antwort darauf, wie das erreicht werden soll. Es findet sich keine Ziel-Jahresgröße. Was Sie aber andererseits als Zielgröße hineingeschrieben haben, ist das Ausbauziel einer Mindestfahrrinnentiefe von 1,40 Meter für die Schifffahrt. Daran halten Sie fest. Sie geben dankenswerterweise zu, dass dies fast der alten Forderung nach einer Tiefe von 1,60 Meter entspricht, weil nun die Parameter ein wenig verändert wurden. Das ist das Problem, und deshalb stellt sich nun sehr wohl die Frage: Ist das mit dem Gesamtkonzept ernst gemeint? Geht es jetzt wirklich darum, die Ökologie an diesem Fluss stärker zu berücksichtigen? Jetzt haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag vorgelegt, in dem sie – erstens – den Ausbau der Reststrecke Dömitz fordern, und zwar prioritär. Deshalb stimmt es nicht, was Sie eben dazwischengerufen haben, nämlich, dass Sie keinen Ausbau wollen. Sie wollen die Reststrecke Dömitz ausbauen. Sie brauchen dafür ein Planfeststellungsverfahren – das ist Ausbau. (Dagmar Ziegler [SPD]: Für die Sohlesanierung auch!) Dies jetzt prioritär zu fordern, wiederspricht der Idee des Gesamtkonzeptes Elbe, weil Sie gar nicht beantworten können, wie dort Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung zu bringen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Darauf kann Ihnen bisher keiner eine Antwort geben. (Kirsten Lühmann [SPD]: Doch! Es gibt gleich eine Antwort! Ich rede noch um Mitternacht!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten, Frau Lemke, und deswegen gibt es keine Zwischenfrage mehr. Ich würde Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schade. Da Sie keine Zwischenfrage mehr zulassen, will ich mit einigen Sätzen abschließen. Der zweite sehr kritische Punkt, den Sie in Ihren Antrag eingebaut haben, ist der geforderte Staatsvertrag mit Tschechien. Man muss dazu wissen, dass Tschechien Staustufen bauen will. In einer solchen Situation einen Staatsvertrag schließen zu wollen, ohne inhaltliche Parameter anzugeben, widerspricht dem Gedanken des Gesamtkonzeptes ebenso. Deshalb möchte ich an Sie appellieren: Reißen Sie mit diesem Antrag nicht ein, (Dagmar Ziegler [SPD]: Dito!) was besonders die Mitarbeiter Ihres Hauses, Herr Ferlemann – auch von dieser Stelle herzlichen Dank an Herrn Klingen –, in jahrelanger mühevoller Arbeit aufgebaut haben. Halten Sie daran fest. Bleiben Sie im Geiste der Forderungen des Gesamtkonzeptes. Der Antrag der Koalitionsfraktionen tut das nicht. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber Ihrer!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das war jetzt ein langer Schluss. – Noch einmal zur Information: Zwischenfragen oder -bemerkungen sind nur innerhalb der Redezeit möglich. Nach Ablauf der Redezeit gibt es keine Zwischenfragen mehr. (Gustav Herzog [SPD]: Frau Präsidentin, untertänigst, sie hat noch 30 Sekunden länger geredet!) – Sie hat die Redezeit überschritten; aber ich wusste ja, dass sie zu Ende war, Herr Herzog. Außerdem haben Sie nachher das Wort. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Opposition hat immer zu wenig Redezeit! – Gegenruf des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]: Wir haben euch Redezeit abgegeben!) Dann hat jetzt der Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lemke, Sie reden über Probleme; wir machen ein Gesamtkonzept, aus dem hervorgeht, wie wir die Probleme lösen können. Ich bin richtig stolz darauf, dass wir heute darüber debattieren können. Ich mache das mit großer Freude und Erleichterung darüber, dass wir ein Gesamtkonzept Elbe mit Ergänzungen aus unserem Antrag vorlegen können. Die Verständigung zwischen Bund und Ländern unter Einbeziehung der maßgeblichen Wirtschafts- und Umweltverbände war keine Selbstverständlichkeit, sondern harte Arbeit. Aber es ist in diesem Zusammenhang ein gutes Ergebnis herausgekommen. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Elbe der CDU/CSU-Fraktion begleite ich die Diskussion über die Zukunft der Elbe seit mehr als zehn Jahren. Bereits in der letzten Legislaturperiode hatten wir dazu einen sehr umfangreichen Antrag eingereicht. Heute liegt nun das Ergebnis des Gesamtprozesses vor. Daraus können wir dreierlei Sachen lernen: Erstens. Prozesse unter Einbeziehung der maßgeblichen Beteiligten, die zudem ergebnisoffen sind, erfordern Zeit und Kompromissfähigkeit der handelnden Akteure. Zweitens. Ein Kompromiss, der von allen Beteiligten mitgetragen werden kann, ist machbar. Dabei können selbst scheinbar gegensätzlich orientierte Interessensgruppen wie Wirtschafts- und Umweltverbände gemeinsame Lösungen entwickeln. Drittens. Das Besondere an diesem Prozess ist das Entstehen einer Vertrauensbasis, die die eigentliche Grundlage der Lösungsversuche und der Lösungsansätze ist. Dieser Erfolg, meine Damen und Herren, ist vor allem auch den am runden Tisch beteiligten Personen zuzuschreiben. Ich darf dem Kollegen Ferlemann in diesem Zusammenhang herzlich für die Zusammenarbeit danken, der Kollegin Ziegler dafür, dass wir im Koalitionsrahmen intensiv die Umwelt- und Wirtschaftsverbände haben hören können und damit zu diesem Ergebnis kommen konnten. Einige Personen darf ich auch namentlich nennen. Das sind die Abteilungsleiter aus dem Umwelt- und dem Verkehrsministerium Dr. Helge Wendenburg und Reinhard Klingen sowie Jochen Kies, der als Fachmann für belastbare Informationen galt und dies auch unter Beweis stellte. Ich freue mich, auch einen Hamburger Kollegen nennen zu dürfen, Henning Finck von der Handelskammer Hamburg, der sich intensiv ins Zeug gelegt hat, einen Kompromiss zwischen Wirtschafts- und Umweltverbänden herbeizuführen. Noch einige Bemerkungen zu unserem Entschließungsantrag. Erstens. Wir fordern: Das Gesamtkonzept soll durch Maßnahmen unterlegt werden, die möglichst rasch umzusetzen sind, Planfeststellungsbeschlüsse sind einzuleiten, und Personal- und Sachmittel müssen über den Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Zweitens. Das Gesamtkonzept ist ein Kompromiss zwischen den vordringlich ökologischen und verkehrlichen Maßnahmen. Wir treten für eine Ausgeglichenheit bei der Umsetzung ein. So erwarten wir, dass binnen Jahresfrist eine Voruntersuchung für die Reststrecke Dömitz–Hitzacker vorgelegt wird, in der die Möglichkeiten der Sanierung der Reststrecke aufgezeigt werden. Gleichzeitig sollen Maßnahmen zum Stopp der Sohlenerosion eingeleitet werden – dies als kleine Antwort auf Ihre Fragen. Drittens. Das Gesamtkonzept soll in einem Anschlussprozess weitergeführt werden, in dem weitere Fragen der Umsetzung sowie der innovativen Erosionsbekämpfung debattiert werden. Viertens. Die Elbe ist ein internationaler Fluss. Deshalb sind tragfähige Vereinbarungen mit der Tschechischen Republik zur Schiffbarkeit der Elbe zu treffen. Ein Staatsvertrag, der auch andere Komponenten beinhaltet, kann hier ein langfristiges Ziel sein. Fünftens. Das Gesamtkonzept Elbe kann nicht nur Vorbild für andere Flussläufe sein, es kann auch über die Bereiche Wirtschaft und Ökologie hinaus greifen. Symbolisch dafür möchte ich den Elberadweg nennen – inzwischen einer der bekanntesten Radwege Europas –, der die Regionen über die Ländergrenzen hinweg verbindet. Hier wünschen wir uns Unterstützung beim Ausbau sowie beim länderübergreifenden Tourismus und der Vermarktung im Ausland. Die Kritik einzelner Umweltverbände sowie der Grünen, der Entschließungsantrag würde dem Gesamtkonzept Elbe nicht gerecht werden, weise ich zurück. Die kritische Haltung einiger Umweltverbände, die teilweise auch im Widerspruch zu deren Zustimmung zum Gesamtkonzept steht, kann ich schon deshalb nicht akzeptieren, weil wir mit unserem Antrag sicherstellen, dass für die Umsetzung der Gesamtkonzeption Elbe Mittel im dreistelligen Millionenbereich zur Verfügung gestellt werden. Das macht deutlich, dass wir schwerpunktmäßig ökologische Maßnahmen umsetzen wollen. Das ist das Gesamtkonzept. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Konzept arbeiten, damit wir es rasch umsetzen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Gustav Herzog, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gustav Herzog (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es 23.30 Uhr ist, bemühe ich Ihre Fantasie: Wo würden Sie Ihre Liebsten zum Picknick einladen? (René Röspel [SPD]: An die Ruhr!) An den Bahndamm? Nein. An den Autobahnzubringer? Nein. Wo gehen die Menschen hin? Ans Wasser. Wir finden sie an der Mosel in Traben-Trarbach, in Oppenheim am Rhein (Beifall des Abg. Marcus Held [SPD]) und vor allen Dingen an der Elbe. Dort kann man sehen: Die Menschen gehen gerne ans Wasser, an unsere Bundeswasserstraßen, Herr Staatssekretär, und sie freuen sich, Frau Lemke, wenn Schiffe auf dem Wasser fahren. Das wollen sie sehen, und sie finden das nicht irgendwie abwertend. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das ist ein guter Zeitpunkt, um Sie zu fragen, Herr Kollege Herzog: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Behrens? Gustav Herzog (SPD): Gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. (Kirsten Lühmann [SPD]: Er hat doch noch gar nichts gesagt!) Herbert Behrens (DIE LINKE): Bevor das Thema durch ist, möchte ich an dieser Stelle eine Zwischenfrage stellen. Ich will Sie fragen, lieber Kollege Herzog, ob es wirklich so ist, wie die Umweltverbände behaupten, nämlich dass sie nicht, so wie es in dem Entschließungsantrag steht, dem Gesamtkonzept Elbe zugestimmt haben? (Dagmar Ziegler [SPD]: Natürlich! Sie haben unterschrieben!) Ich weise darauf hin, dass ich in der Diskussion im Ausschuss auf dieser Grundlage signalisiert habe: Die Linke kann diesem Konzept zustimmen. Wenn ich an so einer zentralen Stelle hinter die Fichte geführt werden, dann werde ich dem nicht zustimmen können. Darum will ich eine klare Ansage haben: Wann haben die fünf Verbände diesem Konzept zugestimmt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Umweltverbände sind nicht der Nabel der Welt!) Gustav Herzog (SPD): Herr Kollege Behrens, vielen Dank für diese Frage. Sie gibt mir die Gelegenheit, etwas zu zitieren, ohne dass meine Redezeit in Anspruch genommen wird, und zwar aus einer Stellungnahme der Umweltverbände, nach denen Sie gefragt haben, vom 13. Januar 2017. Der erste Satz lautet: Mit der Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes für die Elbe … von Bund und Ländern wurde ein wichtiger Prozess in Gang gesetzt, der für alle Beteiligten einen großen Erkenntnisgewinn gebracht hat. Die Umweltorganisationen/BI PE – Bürgerinitiative Pro Elbe – begrüßen diesen Prozess der Erstellung eines Gesamtkonzeptes Elbe als eine wichtige Initiative, den seit über 20 Jahren währenden Konflikt um die Interessen von Ökologie und Binnenschifffahrt aufzulösen. (Beifall bei der CDU/CSU) – Sie begrüßen es; das ist das Entscheidende. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das war vor dem Hintergrund des unveränderten Konzeptes, aber nicht vor dem dieses Antrags!) Dass, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich Fragen offen sind, hat hier niemand bestritten, sondern es ist vielleicht auch die besondere Qualität dieses Prozesses, dass die vorhandenen Konflikte sehr deutlich beschrieben werden. Dem geht niemand aus dem Weg. Die Wasserstraßen sind nun mal nicht nur der umwelt-, sondern auch der menschenfreundlichste Verkehrsträger. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Herzog, Sie regen die Abgeordneten so an, dass Frau Ziegler jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen möchte. Ich sage aber gleich dazu: Das ist die letzte, die jetzt bei Herrn Herzog zugelassen wird. Dass sich jetzt hier keiner mehr meldet! (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich! Die eigene Fraktion! Und bei mir lassen Sie es nicht zu! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht in Ordnung! – Gegenruf der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]: Das entscheidet immer noch die Präsidentin!) Dagmar Ziegler (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, regen Sie sich mal nicht so auf. Ich wollte Herrn Behrens noch einen Gefallen tun, weil er noch einmal nachgefragt hat, ob die Verbände und Initiativen hinter dem abgeschlossenen Gesamtkonzept stehen. Lieber Herr Kollege, ich wollte Ihnen nur sagen: Die Unterschriften aller Beteiligten unter dem Gesamtkonzept – – (Widerspruch des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) – Dann müssen Sie Ihre Kommunikationswege überprüfen. Es sind die Unterschriften drunter. Wenn sich andere Beteiligte da nicht wiederfinden oder nichts davon wissen, dann ist das deren Problem, nicht unseres. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nicht, was Sie hier machen! Das können wir alles künstlich verlängern! Ich möchte wissen, wo in der Geschäftsordnung steht, dass bei einer Zwischenintervention auf jemand anderen Bezug genommen werden darf!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ehe wir uns hier künstlich aufregen: In unserer Geschäftsordnung steht, dass der einzelne Abgeordnete während einer Rede eines Abgeordneten hier vorne am Rednerpult die Möglichkeit hat, wenn der Redner es zulässt, eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber an den Redner gerichtet!) – Das wird dort nicht ausgeführt. Die Geschäftsordnungslage ist aber so. Sie können sich ja nächste Woche im Ältestenrat beschweren. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mache ich! Das war eine sehr einseitige Auslegung!) – Bitte schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Sebastian Hartmann [SPD]: Das hat die Elbe nicht verdient!) Jetzt hat der Kollege Herzog das Wort. Gustav Herzog (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin Lemke, wir sollten uns gemeinsam bemühen, nicht Gräben, die durch diesen Prozess zugeschüttet worden sind, wieder auszuheben. Ich biete an: Wenn wir den Spaten in die Hand nehmen, um Gräben auszuheben, dann, um die Elbauen wieder an den Fluss anzuschließen. Das können wir gerne gemeinsam machen. (Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist ein ökologisches Projekt; da bin ich gerne an Ihrer Seite. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein guter Abend nicht nur für die Elbe, sondern für alle naturnahen Wasserstraßen, weil der Prozess insgesamt ebenso wie die entsprechenden Vorschläge, die gemacht worden sind, Modellcharakter hat. Wegen der Zweifel, die immer noch vorhanden sind – auch bei den Umweltverbänden, bei denen ich den Eindruck habe, dass da nach dem Motto agiert wird: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ –, will ich aus unserer Entschließung zitieren. Da haben wir sehr klar die Bundesregierung aufgefordert, … bei der zeitlichen Abfolge der Umsetzung von Maßnahmen auf eine Ausgeglichenheit von ökologischem und verkehrlichem Nutzen zu achten; – auf eine ökologische und verkehrliche Ausgeglichenheit! – binnen Jahresfrist eine Voruntersuchung für die Reststrecke … vorzulegen …; – zur Sanierung, Frau Kollegin Lemke, nicht zum Ausbau; das ist etwas anderes – unverzüglich einen Untersuchungsauftrag zur Erarbeitung von Szenarien zum Stopp der Erosion an unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen zu erteilen … Ich glaube, es ist ganz im Sinne des Gesamtkonzeptes, dass wir als Parlament der Regierung sagen, was wir von den beiden Ministerien erwarten. Und diese haben da ja ganz hervorragend zusammengearbeitet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, gestatten Sie mir einen persönlichen Satz oder zwei an die Kollegin Wilms, die heute Abend nicht da sein kann, die aber ein sehr engagiertes Mitglied der Parlamentarischen Gruppe Binnenschifffahrt war. (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt!) Mit ihr habe ich mich immer gerne und gut gestritten. Wenn wir uns einig waren, dann waren wir unwiderstehlich. Und eines kann man sagen: Mit Frau Kollegin Wilms war es niemals langweilig. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ich bestätigen!) Ich will ihr persönlich danken, weil sie mit ihrer persönlichen Erklärung zum Abstimmungsverhalten bei der Entscheidung über die Bundesfernstraßengesellschaft, die sie hier vorn vorgetragen hat, für mich als Parlamentarier etwas ganz Tolles gemacht. Sie hat deutlich gemacht: Wir sind hier keine Versammlung von Abnickern oder von Helden, sondern wir sind Vertreter des deutschen Volkes, die sich informieren, die abwägen und entscheiden. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe, der wir hier auch sehr gut nachkommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 23 a zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf Drucksache 18/12844 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 18/11830 über das Gesamtkonzept Elbe/Strategisches Konzept für die Entwicklung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 23 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12787 mit dem Titel „Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den Weg bringen – Sohlerosion stoppen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822 Nr. 5 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/12842 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.9 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12842, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11240 und 18/11617 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum Drucksache 18/10190 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/12831 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren Drucksachen 18/8084, 18/12831 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Marcus Held, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Marcus Held (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute behandeln wir zu später Stunde abschließend in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum. Man möchte sagen: „Endlich beraten wir diesen Gesetzentwurf abschließend“; denn schon am 15. Juli letzten Jahres wurde der Referentenentwurf dazu vorgelegt, und seit dem 10. November 2016 haben wir hierzu zahlreiche Beratungen im Ausschuss und mit unserem Koalitionspartner durchgeführt. Das waren leider nicht immer leichte Gespräche. Dennoch möchte ich mich natürlich für die guten Diskussionen bedanken und auch für das Ergebnis. Dass wir dieses Gesetz auf den Weg bringen wollten, hatten wir ja bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Insofern bin ich froh, dass wir wenigstens einen kleinen Teil aus dem entsprechenden Absatz unseres Vertrages nun endlich umsetzen können. Ich persönlich nenne das einen Einstieg in mehr Qualität und einen Einstieg in mehr Verbraucherschutz. Uns als SPD ist es vor allem um die Verbesserung der Situation von Hunderttausenden Eigentümergemeinschaften in Deutschland gegangen. 9 Millionen Eigentumswohnungen existieren in Deutschland, Tendenz steigend – zum Glück. Unser Ziel war und ist, dass die Verwaltung von Eigentumswohnungen nicht mehr von jedermann durchgeführt werden kann. Deshalb haben wir von Anfang an gefordert, einen Sachkundenachweis einzuführen, verbunden mit einer Weiterbildungspflicht für Verwalter und Mitarbeiter, die aktive Verwaltertätigkeiten im Unternehmen ausüben. Leider konnten wir als SPD in der Koalition nur die Pflicht zu regelmäßigen Fortbildungen durchsetzen. Am Ende der Verhandlungen kamen 20 Stunden innerhalb von drei Jahren heraus. Den Sachkundenachweis fordern wir nach wie vor, dann eben in der nächsten Legislaturperiode; denn unqualifiziertes Handeln bei der Immobilienverwaltung kann zu erheblichen Schäden führen. Für Eigentümer einzelner Wohnungen ist es häufig nur sehr schwer zu überblicken, ob der jeweilige Verwalter über ausreichende Qualifikationen verfügt, um die Verwaltung durchführen zu können. Wohneigentum – das sagte ich schon in meiner ersten Rede zu diesem Gesetzentwurf – wird für viele ältere Menschen hier in Deutschland früher oder später zur Altersvorsorge und damit immer wichtiger. Deswegen ist die Einführung von Qualitätsmerkmalen bei Verwaltern aus unserer Sicht von enormer Wichtigkeit. Auch die öffentliche Anhörung, die wir im Ausschuss durchgeführt haben, zeigte konkret auf, dass wir auf diesem Gebiet als Gesetzgeber in Zukunft einiges regeln sollten. Es herrschte eine ungewohnt große Einigkeit zwischen den verschiedenen Verbänden. Alle wollten klare Voraussetzungen und Regeln, nur der Normenkontrollrat hatte hierzu eine andere, für mich nach wie vor nicht nachvollziehbare Meinung. Schade, dass die Union nur dem Normenkontrollrat ein offenes Ohr geschenkt hat und alle anderen Sachverständigenmeinungen ein bisschen ausgeblendet hat. Ein Blick über den Tellerrand wäre an dieser Stelle sicherlich wünschenswert gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten wollen, zeigt sich auch daran, dass wir eine sogenannte Alte-Hasen-Regelung vorgeschlagen haben, die erfahrene Verwalter für längere Zeit von der Fortbildungsverpflichtung freigestellt hätte. WEG und Mietverwaltungen übernehmen heute schon eine wichtige treuhänderische Aufgabe, nämlich die Verwaltung eines Vermögenswertes in Höhe von über 2 Billionen Euro in Deutschland. Wir haben laut Statistischem Bundesamt rund 261 000 Rechtsverfahren pro Jahr. Diese Rechtsverfahren beschäftigen sich in erster Linie mit Auseinandersetzungen, die vermieden werden könnten, wenn die Hausverwaltungen qualitativ hochwertig arbeiten würden. Deshalb plädierte sogar die ein oder andere Anwaltsvereinigung für eine Verschärfung bei den Berufszulassungsregeln, die wir mit diesem ersten Schritt heute leider noch nicht auf den Weg haben bringen können. Als Koalition, meine Damen und Herren, haben wir aber erreicht – dafür bedanke ich mich –, dass Verwalter von Wohneigentum und vermietetem Wohnraum, also Wohnimmobilienverwalter und Immobilienmakler, künftig eine Gewerbeerlaubnis vorlegen müssen und Wohnimmobilienverwalter darüber hinaus auch eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen müssen. Dies ist sicherlich ein erster Schritt hin zu mehr Verbraucherschutz und hin zu mehr Qualität. Alles in allem bin ich zufrieden, dass dieses Gesetz überhaupt noch in dieser Legislaturperiode zur Umsetzung kommt. Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Verbraucherschutz bei Wohnimmobilien. Das wird bei der nächsten Evaluierung gewiss auch der Normenkontrollrat so sehen. Sicherlich muss in der nächsten Wahlperiode an der einen oder anderen Stelle entsprechend nachjustiert werden, wenn es darum geht, für noch mehr Qualität und noch mehr Verbraucherschutz zu sorgen. Dies wollen zumindest wir als SPD-Fraktion uns auf die Fahne schreiben und nach dem 24. September dieses Jahres angehen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und proste Ihnen mit einem Glas Wasser zu. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Thomas Lutze. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass der Bereich des Immobilienerwerbs und der Immobilienverwaltung ein wichtiges Thema ist, weil viele Menschen davon betroffen sind. Es geht allein bei der Fremdverwaltung von Wohneigentumsgemeinschaften um einen Immobilienwert von 640 Milliarden Euro. Daher ist diese Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur – ich zitiere – „Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohneigentum“ richtig und notwendig. Denn gerade Makler und Verwalter sind mit ständig wechselnden Anforderungen und Gesetzeslagen konfrontiert. Wir Linke begrüßen den Ansatz, eine verbindliche Berufsqualifikation für Makler und Verwalter von Wohneigentum mit gewerblichem Zweck einzuführen. (Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Es ist nicht alltäglich, dass sich Interessens- und Vertreterverbände von Mietern und Wohnungseigentümern mit Maklerverbänden einig sind und gemeinsam eine gesetzliche Regelung aufgrund der momentanen Situation einfordern; das ging ja aus der Anhörung hervor. Als neue Voraussetzung soll es daher eine Erlaubnispflicht für beide Berufe geben, für Makler darüber hinaus einen Sachkundenachweis. Für Verwalter von Wohneigentum soll es zusätzlich eine Versicherungspflicht geben, für Makler allerdings nicht. Diese Berufshaftpflichtversicherung schützt im Endeffekt Mieterinnen und Mieter vor finanziellen Schäden bei Zahlungsunfähigkeit des Verwalters. Diese Maßnahmen sollen auch zur Verbesserung der erbrachten Dienstleistungen und somit zu einer Stärkung des Verbraucherschutzes führen. Ein Sachkundenachweis für Makler soll die Qualität der Arbeit sichern und bremst die dann wahrscheinlich nur vereinzelt auftretenden schwarzen Schafe endlich aus. Die Linke sieht in einigen Bereichen aber noch einen deutlichen Veränderungsbedarf; da schließe ich mich den Worten meines Kollegen Held von der SPD-Fraktion an. Denn der Gesetzentwurf bleibt an mehreren Punkten weit hinter seinen Möglichkeiten zurück: Erstens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Mitarbeiter von Wohneigentumsverwaltern keinen Sachkundenachweis vorlegen müssen, obwohl sie meist dieselben Tätigkeiten ausüben. Bei den Finanzvermittlern ist so etwas im Übrigen eingeführt worden. Zweitens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der obligatorische Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung nicht auch auf Makler ausgedehnt wird. Drittens. Es ist nicht nachvollziehbar, wie eine Fortbildungspflicht von 20 Stunden in drei Jahren die Qualität der Dienstleistung von Wohneigentumsverwaltern erhöhen soll. Das bedeutet einen Tag Fortbildung pro Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein bisschen dünn. (Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Auch die Inhalte dieser Fortbildung sind vollkommen unklar; sie sind nicht geregelt, und Immobilienmakler sind von dieser Fortbildungspflicht übrigens ausgenommen. Das Qualifikationsniveau in der Verwaltungsbranche kann und wird sich so nicht verbessern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zugleich werden die Bürokratiekosten erhöht, wenn allein aufgrund der Erlaubnis- und der Fortbildungspflicht ein Register aufgebaut und regelmäßig aktualisiert werden muss. Der Nutzen für Wohnungseigentümer hingegen ist gering. Im Vergleich mit europäischen Standards werden die deutschen Regelungen in diesem Bereich daher auf den hinteren Plätzen bleiben. Aufgrund dieser Sachlage werden wir der Gesetzesinitiative der Bundesregierung noch nicht zustimmen können, obwohl einiges in die richtige Richtung führt. Wir fordern daher eine Korrektur der aufgeführten Defizite spätestens zu Beginn der nächsten Wahlperiode. Ansonsten können unter anderem Verbraucherschutz und Bürokratieabbau nicht erreicht werden. Herzlichen Dank, ein herzliches Glückauf und einen schönen Feierabend nachher! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Marcus Held [SPD] – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Weidmannsheil!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das mit dem Feierabend dauert noch etwas. Es ist aber schon einmal gut, dass wir ihn gewünscht bekommen. Jetzt hat Astrid Grotelüschen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen! Bei der Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter haben wir von Anfang an recht unterschiedliche Diskussionen geführt. Ich denke, das liegt einfach daran, dass es sich um eine sehr hoch diversifizierte Branche handelt, die in den vergangenen Jahren ständig gewachsen ist und der damit natürlich auch eine steigende Bedeutung beim Verkauf und auch bei der Verwaltung von Immobilien zukommt. Es gibt bisher keine bzw. nur geringe Berufszulassungsregelungen, sodass der Ruf nach gesetzlichen Regelungen immer lauter wurde. In diesem Zusammenhang kam natürlich die Diskussion auf, wie und in welchem Umfang die Politik hier eingreifen soll. Da schieden sich dann doch die Geister. Ich finde, das hat man bei der Anhörung sehr deutlich gesehen, und ich habe das auch in Gesprächen im Wahlkreis feststellen können. In Zeiten von Deregulierung im Europäischen Binnenmarkt – hinsichtlich der Freien Berufe begleite ich das Ganze ja als Berichterstatterin – mutet die Forderung der Branche natürlich – so ging es mir jedenfalls – eher anachronistisch an, weil gleichzeitig Wünsche nach praktikablen und nicht zu bürokratischen Regelungen formuliert wurden. Der Erstentwurf des Ministeriums war ohne nennenswerte Erweiterungen der Regelungen für Makler formuliert, Mietverwalter wurden gar nicht erwähnt, und ein einmaliger Sachkundenachweis von 15 Stunden sollte als Hürde für den zukünftigen Berufszugang aufgestellt werden. Ein zentraler Punkt, der uns in der politischen Diskussion von Anfang an geeint hat, war – das möchte ich schon zusammenfassen –: Wenn wir ein Gesetz formulieren, dann soll es zu einer zusätzlichen Transparenz führen, dem Schutz der Verbraucher dienen und vor allen Dingen durch Einziehen einer Leitplanke zu einer qualitativen Differenzierung bei der Berufsausübung des Maklers und des Verwalters führen. Diesem Vorhaben haben wir uns als CDU/CSU-Fraktion gestellt, und zwar auf dem Hintergrund – das ist schon mehrfach angeklungen –, dass der Erwerb von Wohnungseigentum und natürlich auch dessen Vermietung wichtige Formen der Vermögensbildung hier bei uns in Deutschland sind. Dem Verbraucherschutz kommt hier unter dem Aspekt der Altersvorsorge eine ganz besondere Bedeutung zu – natürlich auch aufgrund der wachsenden Zahl an Fremdverwaltungen. Ich denke, mit dem vorliegenden Entwurf erreichen wir unser Gesamtziel, nämlich den Verbraucherschutz zu stärken, Bürokratie zu vermeiden und die Gewerbefreiheit zu wahren. Wir reden von einer praktikablen Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf und auch mit den nachfolgenden Verordnungen, die wir zur Präzisierung unseres Vorhabens notwendigerweise brauchen, führen wir aus meiner Sicht vier wichtige Leitplanken ein, und zwar in großer Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner. In diesem Zusammenhang danke ich Herrn Held für die – ich bezeichne das jetzt einmal so – unkomplizierte Zusammenarbeit. Die vier Leitplanken lauten, und zwar einheitlich für Makler, für Verwalter und für Mietverwalter, Herr Lutze: erstens Erlaubnispflicht nach § 34c der Gewerbeordnung, zweitens als zentraler Punkt Vermittlung von Fachwissen, das über die IHK oder ein zertifiziertes Institut erbracht werden kann, drittens Informationspflicht und viertens Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung. Aus meiner Sicht ist das eine sehr sinnvolle Kombination von Maßnahmen, die uns, gemeinsam mit der Branche umgesetzt, unseren Zielen etwas näher bringen. Mir ist besonders wichtig – deshalb gehe ich noch einmal auf den zweiten Punkt ein –, dass genau diese Vermittlung von Fachwissen in regelmäßigen Abständen und kontrolliert stattfindet. Hier hat die Immobilienwirtschaft zukünftig aus meiner Sicht die Verpflichtung und auch die Möglichkeit, aktiv ein Lernmodul zu entwickeln, das bei der ersten fälligen sogenannten Fortbildung dem Sachkundenachweis entspricht und dann bei jeder jetzt gesetzlich geforderten Wiederholung, spätestens also nach drei Jahren, die Schwerpunkte auf die Weiterbildung fokussiert bzw. sich aktueller Fragestellungen annimmt. Das, meine Damen und Herren, ist doch allemal mehr Wissensvermittlung und Verbraucherschutz als das, was vorher vorgeschlagen war, nämlich der einmalig in 15 Stunden zu erwerbende Sachkundenachweis. Deshalb finde ich die vereinzelt hochgezogene Diskussion wirklich unredlich, weil wir mit genau dieser Fortbildungspflicht viel mehr für den Verbraucher erreichen werden. (Thomas Lutze [DIE LINKE]: Mit einem Tag Fortbildung im Jahr?) Praktisch ist aus meiner Sicht zudem, dass die Alte-Hasen-Regelung entfällt. Ich betone, dass die Fortbildung nachgewiesen werden muss. Es besteht zudem eine Informationspflicht in Kombination mit der Fortbildungspflicht. Deshalb glaube ich, dass der Verbraucher nach einem Blick auf das Zertifikat sicherlich besser informiert ist und weiß, wer ihm gegenübersitzt. Ich denke, das ist ein starkes Signal, zumal eine Nichterfüllung dieser Pflicht eine Ordnungswidrigkeit darstellt, also auch zu ahnden ist. Mein Ziel und das meiner Fraktion war neben dem Aspekt der erweiterten Verbraucherinformation immer, dass übermäßige Bürokratie und ausufernde Kosten vermieden werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz genau das erreichen. Deshalb werden wir heute Abend oder heute Morgen – ist es schon so weit? ich weiß es nicht – (Gustav Herzog [SPD]: In vier Minuten!) zustimmen und im weiteren Verlauf die Rechtsverordnung inhaltlich und konstruktiv begleiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Branche – das soll mein letzter Satz sein – steht nun in der Pflicht und muss dieses Gesetz nutzen, um sich ab dem kommenden Jahr über Verbraucheraufklärung, über eine gute Informationspolitik und definierte Lerninhalte selbst zu regulieren. So kann sie sicherstellen, dass auch der Verbraucher von diesen Maßnahmen profitieren wird. Ich denke, das wird der Fall sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Christian Kühn. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach so einer Rede denkt man: Jetzt ist alles super. – Aber es ist eben nicht alles super. Die Große Koalition hat bei dem Thema Verbraucherschutz von Eigentümerinnen und Eigentümern wirklich relativ wenig auf die Reihe gebracht. Das, was Sie heute Abend durch das Parlament bringen wollen, ist, sage ich einmal, sehr dürftig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihnen ist dazu nicht richtig viel eingefallen. Ich finde, gerade von der Union ist dieses zögerliche Handeln in diesem ganzen Gesetzgebungsprozess sehr peinlich. Ich als bau- und wohnungspolitischer Sprecher bekomme von Ihnen auf jedem Podium das Hohelied zu hören, wie wichtig Ihnen die Eigentümerinnen und Eigentümer in Deutschland sind (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Genau! – Sind sie auch! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir geben Freiheit und nicht die Regulierung und die Bevormundung!) und was sie für sie alles tun wollen. Wenn es dann aber konkret darum geht, den Verbraucherschutz von Eigentümerinnen und Eigentümern voranzubringen, dann knicken Sie ein und machen einen Gesetzentwurf mit sehr spärlichem Inhalt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe ursprünglich einmal gedacht, dass wir hier im Parlament, also alle vier Fraktionen gemeinsam, den Sachkundenachweis für Verwalter und Makler voranbringen. Das wäre dringend notwendig gewesen. Aus der Idee eines Sachkundenachweises ist nun eine Fortbildungspflicht geworden. Ich finde, das ist angesichts der Tatsache, dass wir beim Verbraucherschutz von Eigentümerinnen und Eigentümern auf den Immobilienmärkten in Deutschland riesengroße Probleme haben, viel zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) WEG-Verwalter in Deutschland verwalten ein Immobilienvermögen in Höhe von 640 Milliarden Euro. Dass wir hier nicht einmal ein Mindestmaß an Qualifikation hinbekommen, was es bei vielen anderen Berufsgruppen gibt, ist, wie ich finde, ein Skandal. Da geht es um das Altersvermögen von Menschen. Da geht es darum, dass deren Vermögen treuhänderisch verwaltet wird, und zwar auf einem hohen Niveau im Rahmen einer schwierigen Gesetzgebungsmaterie. Mir ist nicht klar, warum sich die Union hier so sperrt. Es ist heute Abend schon zitiert worden, wie die Ergebnisse von Gerichtsverfahren zum WEG-Recht sind. Ich meine, das WEG-Recht an sich müsste dringend angepackt werden, damit wir hier endlich mehr Klarheit bekommen. Aber dass Sie bei dem ersten Schritt, bei der WEG-Verwaltung anzusetzen, nicht vorankommen und dass Sie hier so wenig bringen, kann ich nicht verstehen. Es gibt über 30 000 Gerichtsverfahren wegen WEG-Streitfällen. Das ist ein deutlicher Anstieg, und das zeigt ganz klar, dass hier deutlich mehr notwendig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir die Energiewende im Gebäudebereich schaffen wollen, dann schaffen wir das eben nicht nur durch technische Regelungen und Förderprogramme, sondern wir brauchen auch Menschen, die sie umsetzen. Wer sich mit dem Thema „energetische Gebäudesanierung“ beschäftigt, weiß auch, dass ein Verwalter in einer WEG dabei eine ganz zentrale Schlüsselrolle spielt. Dass wir es nicht zum Bestandteil der Ausbildung machen, wie eine Immobilie heute modernisiert wird, ist für mich völlig schleierhaft. Hier wäre es dringend notwendig gewesen, dass Sie vorankommen und einen Sachkundenachweis auch für den Bereich Modernisierung einführen. Ich halte das, was Sie heute Abend hier durchbringen, ehrlich gesagt, ein Stück weit für einen verbraucherpolitischen Skandal. (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Es gibt keine grüne Rede ohne das Wort „Skandal“! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Doch. Denn Sie sind nicht bereit, den Weg für den Sachkundenachweis frei zu machen und damit den Verbraucherschutz wirklich zu stärken. Es geht, wie gesagt, um eine treuhänderische Verwaltung. Wir hätten bei dem Sachkundenachweis mitgemacht, auch wenn es nur der Spatz in der Hand gewesen wäre. Am Ende haben Sie aber aus dem Spatz eine Mücke gemacht, und das ist angesichts der Probleme, die es auf diesen Märkten gibt, viel zu wenig. Denken Sie nur daran, wie die Anhörung gelaufen ist. Da waren sich die Mieterverbände und die Eigentümerverbände einig. Die Makler selber und auch die Verbraucherschützer wollten es. Dass Sie als Union diese Allianz nicht als Weckruf wahrnehmen, dass man hier wirklich vorangehen muss, finde ich sehr, sehr schade, und wir bedauern es sehr, dass wir dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen können. Denn was Sie machen, ist eher Verbrauchertäuschung als etwas, das uns beim Verbraucherschutz bei Eigentum wirklich voranbringt. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode, die jetzt bald zu Ende geht, heißt es – ich zitiere aus diesen Leitlinien, die die Regierungsfraktionen damals vorgaben –: Der Abbau von unnötiger Bürokratie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen. … Wir wollen Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von unnötiger Bürokratie entlasten. … Gesetze müssen einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet werden, – sofern wir sie denn überhaupt brauchen – damit Bürokratielasten vermieden und so gering wie möglich gehalten werden. Ich füge hinzu: Halte Maß und bedenke das Ende! Genau das macht unsere Koalition aus, nämlich dass wir überlegen, ob wir tatsächlich noch mehr Gesetze brauchen. Wir reden jeden Tag darüber, wie viele unnötige Gesetze wir haben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr es überhaupt gemacht?) Die ganzen Diskussionen im Bundestag zeigen, dass es oftmals um Gesetzesvorhaben geht, die unsere Bürger belasten. Sie verwalten nur, und der Bürger hat gar nicht mehr die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Fall wollen wir wieder ein Mehr an Gesetzen. Wir haben uns dann als Koalition mit dem Kollegen Held von der SPD über diesen Gesetzentwurf verständigt, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der einen guten Job gemacht hat!) und wir haben als Union den Entwurf ernsthaft geprüft. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir haben ernsthaft überlegt, diesen Gesetzentwurf gar nicht durchgehen zu lassen. (Marcus Held [SPD]: Das war ehrlich jetzt!) – Ich bin immer ehrlich. So weit müssten Sie mich kennen. Wir haben uns zusammengesetzt und uns gefragt: Was schaffen wir? Was bekommen wir hin? – Dafür bedanke ich mich. Das war nicht einfach. Das stimmt; das gebe ich auch ganz ehrlich zu. Das Ergebnis dieser langen und auch intensiven Verhandlungen ist jetzt ein ausgewogenes Gesetz. Das haben Sie und auch Kollegin Grotelüschen richtig gesagt. Wir haben Maß gehalten und das Ende bedacht. Die Anhörung war aber nicht so eindeutig, wie Sie es geschildert haben. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Im Gegenteil!) – Eher das Gegenteil. – Sie war schon zweigeteilt. Wir sorgen für Verbraucherschutz. Wir schränken die Gewerbefreiheit nicht unnötig ein. Ich wiederhole es noch einmal: Die Verwalter brauchen künftig eine Gewerbeerlaubnis. Für Makler gibt es sie bereits; das wurde schon gesagt. Die Erlaubnisvoraussetzungen sind Zuverlässigkeit und geordnete Vermögensverhältnisse. Die Verwalter müssen die Berufshaftpflichtversicherung abschließen, damit auch gewährleistet ist, dass Verbraucher im Schadensfall zu ihrem Geld kommen. Wir führen die regelmäßige Fortbildungspflicht für Verwalter und Makler ein. Wer den Nachweis nicht erbringt, kann mit einem Bußgeld belegt werden. Wer eine solide Aus- und Weiterbildung hat, nämlich zum staatlich anerkannten Immobilienkaufmann und Immobilienfachwirt, muss erst drei Jahre später mit der Fortbildung beginnen. Ich halte das für richtig. Wichtig ist uns bei alldem: Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Das heißt, Wohnungseigentümer oder Maklerkunden sollten selbst darauf achten, dass Verwalter oder Makler qualifiziert sind. Schließlich geht es dabei um ihre Interessen. Aber nur der, der ausreichend informiert ist, kann tatsächlich richtig entscheiden. Deshalb setzen wir eine Verbraucherinformationspflicht ein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von vielen Vertretern wurde dieser Sachkundenachweis gefordert. Ein solcher Eingriff muss gerechtfertigt sein. (Marcus Held [SPD]: Ja!) – Da können Sie jetzt lachen. (Marcus Held [SPD]: Ich freue mich doch nur!) Wir haben ganz klar gesagt: wenn Missstände benannt werden. Diese wurden nicht benannt. Deshalb haben wir auch darauf verzichtet und das so gelöst, wie wir es gelöst haben. Es hieß, es wäre eine Grundvoraussetzung, um die Notwendigkeit der Regulierung zu erfüllen, um auch verfassungsrechtlich die Rechtfertigung zu beurteilen, zumal die geplanten Regelungen insbesondere kleine und mittelständische Immobilienverwaltungen und -makler belastet hätten. Dass es diese vielen Missstände gibt, hat sich aus den Stellungnahmen der Experten nicht ergeben. Zumindest wurden uns keine Zahlen dazu genannt. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Herr Kaßler hat bei der Anhörung einige Zahlen genannt!) Es gab noch weitere Argumente gegen den Sachkundenachweis. Bei der vieldiskutierten Alte-Hasen-Regelung hätten Verwalter und Makler, die schon länger im Markt sind und von denen behauptet wurde, wir hätten im Zusammenhang mit ihnen Altlasten, keinen Nachweis erbringen müssen. Damit hätte sich zwar der Erfüllungsaufwand der Wirtschaft reduziert, aber überzeugt hätte mich diese Regelung nicht, und zwar deshalb: Wenn die behaupteten Missstände vom Versagen unqualifizierter Altverwalter herrühren, ist nicht einzusehen, warum gerade sie dann keinen Sachkundenachweis leisten sollen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten die Alte-Hasen-Regelung nicht!) Es war auch aus diesem Grund sachgerecht, den Sachkundenachweis nicht einzuführen. Ich denke, bei allen Diskussionen, die geführt wurden, und bei allen Forderungen, die gestellt wurden, müssten wir eigentlich insgesamt überlegen – das könnte dann der neue Bundestag tun –, nicht über einen Sachkundenachweis zu reden, sondern gleich auf die Ausbildung zum Immobilienkaufmann oder zur Immobilienkauffrau zu verweisen. Dann können Sie nämlich die ganzen Punkte, die Sie fordern, zum Beispiel Energie, abdecken. Der Sachkundenachweis, den Sie fordern, ist ein eierlegender Sachkundenachweis. Der bringt Ihnen gar nichts; denn der einmalige Sachkundenachweis bedeutet keine beständige Fortbildung. Wählen Sie lieber gleich einen gescheiten Beruf, dann haben Sie das, was Sie eigentlich wollen. Ich fasse zusammen: Mit dem vorliegenden Gesetz ist dem Verbraucherschutz ausreichend Rechnung getragen. Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Uns ist es hoffentlich gelungen, nicht ein Zuviel an Bürokratie zu erzeugen. Ich bedanke mich fürs Zuhören und danke für die Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 25 a zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12831, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10190 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/12831 fort unter Tagesordnungspunkt 25 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8084 mit dem Titel „Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes Drucksache 18/12493 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/12832 Wenn Sie damit einverstanden sind, werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, das ist der Fall.10 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12832, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/12493 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation Drucksachen 18/12331, 18/12716 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/12820 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall.11 Dann kommen wir auch hier zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12820, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/12331 und 18/12716 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 28 a und 28 b: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen Drucksachen 18/12363, 18/7904, 18/12775 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachtzugverkehr als Teil moderner und klimafreundlicher Mobilität ausbauen – Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches Nachtzugnetz Drucksache 18/12560 Das Thema entspricht auch der jetzigen Zeit. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Da gibt es keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat erneut der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann das Wort. – Bitte schön, Herr Ferlemann. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Tapfer!) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich, was man eigentlich falsch gemacht hat, dass man als Staatssekretär nach Mitternacht noch zu einem Thema hier im Hohen Hause reden muss. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da haben Sie ganz schön viel falsch gemacht! Eigentlich alles!) Die Frage stellt sich deshalb, weil meine Wenigkeit heute Morgen um 7.30 Uhr den ersten Termin hatte, ebenso wie meine geschätzten Kollegen Staatssekretäre, denen ich für die Solidarität, heute Abend diese Debatte noch zu begleiten, von Herzen dankbar bin. Wenn man viel gesprochen hat, merkt man an der Stimme, dass es langsam grenzwertig wird. Wir haben diese Debatte unter anderem dem Kollegen Gastel zu verdanken. Der Kollege Gastel wollte, dass die Mitglieder des Hohen Hauses einmal spüren, wie man sich fühlt, wenn man nachts um diese Zeit in einen Zug steigt, wie man sich fühlt, wenn man mit einem Nachtzug fahren würde. Deswegen ist die Zeit, wie die Präsidentin es gesagt hat, durchaus richtig. Herr Gastel, ich komme gleich noch auf Sie zurück. Es hat natürlich eine große Diskussion in Deutschland gegeben, als die DB AG entschieden hat, sich aus dem Segment Nachtzugverkehr zurückzuziehen. Sie könne ihn wirtschaftlich nicht mehr betreiben, das Wagenmaterial sei veraltet, die Kosten könnten nicht eingespielt werden, und die Nachfrage gehe deutlich zurück. Wir sind sehr froh, dass es durch Vermittlung von Parlamentariern, aber auch unseres Hauses gelungen ist, die ÖBB, die Österreichischen Bundesbahnen, bewegen zu können, dieses Segment in Deutschland zu fahren. Die Österreicher können das, sie verdienen damit auch Geld. Sie haben die Wagen übernommen und modernisiert. Es ist nichts schöner, als morgens mit einem Wiener Schmäh den ersten Kaffee um 5.30 Uhr im Nachtzug genießen zu können. Es ist ein Segment, über dessen Existenz sich viele Menschen freuen. Die DB hat entschieden, als Ausgleich ICs und ICEs zu späterer Stunde fahren zu lassen, und viele Menschen fahren heute mit Fernbussen oder fliegen. Deswegen glauben viele, dass es kein Marktsegment für Nachtzüge mehr gibt. Aber es gibt eine Klientel in unserem Land, die gerne einmal Nachtzug fährt, im Liegewagen oder im Schlafwagen. Ich bevorzuge Letzteres. Es ist wichtig, dass es dieses Verkehrssegment weiter gibt. Wir sind den Österreichern sehr dankbar dafür, dass sie Nachtzüge in Deutschland fahren lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Kollege Gastel, Sie waren gestern – das muss ich jetzt um diese Uhrzeit sagen – ein sehr berühmter Mann im Netz, und Sie werden es wahrscheinlich auch noch heute sein. Ich hoffe, Sie haben die Sequenz gesehen, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war dabei!) in der der Ministerpräsident Ihres Bundeslandes Sie in einer Weise belehrt, die einfach großartig ist. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ganz ohne Schlafwagen!) Der Ministerpräsident hat vollkommen recht. Und auch ich – ich kann es Ihnen nicht ersparen – muss Ihnen heute noch eine leichte Belehrung erteilen. Denn so gut der Antrag der Koalitionsfraktionen ist, um das Segment Nachtzugverkehr zu stärken, so innerlich vollkommen falsch ist wiederum der von Ihnen gestellte Antrag. Sie sind jetzt lange genug im Verkehrsausschuss. Sie sind lange genug dabei. Ich habe Ihnen x-mal das Aktienrecht in Deutschland erklärt und welche Rechte Sie als Parlamentarier und stellvertretend als Eigentümer der Deutschen Bahn haben. Doch jedes Mal stellen Sie wieder Anträge, das Aktienrecht nicht zu beachten – vollkommen neben der Spur, im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht haben Sie den Antrag in einem Nachtzug geschrieben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es sachlich nicht gerechtfertigt. So wie Sie völlig zu Recht die Belehrung vom Ministerpräsidenten bekommen haben, so müssen Sie sich das heute hier auch anhören. Was Sie beantragen, ist inhaltlich wiederum völlig falsch. Gewöhnen Sie es sich ab! Sollte den Wählerinnen und Wählern das Missgeschick passieren, dass Sie noch einmal Mitglied dieses Hauses werden, (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist jetzt aber wirklich völlig unterirdisch!) gewöhnen Sie sich daran, dass Sie sich wenigstens an Recht und Gesetz halten; denn es ist Ihnen oft genug erklärt worden. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den falschen Antrag gelesen!) Von daher gesehen kann ich nur daran appellieren, den Antrag der Koalitionsfraktionen zu unterstützen. Er ist gut. Er hilft uns bei unserer Arbeit. In diesem Sinne freue ich mich, wenn viele Nachtzüge durch Deutschland rollen und sie vor allem sicher und unfallfrei Menschen an die Orte bringen, an die sie gelangen wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Sabine Leidig, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen schönen guten Abend! Ich bin jetzt wirklich verleitet, auf Herrn Ferlemann direkt einzugehen. Das werde ich aber nicht tun, weil ich nur vier Minuten Redezeit habe. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass ein gutes Nachtzugnetz in Europa eine entspannte Alternative zum stressigen und umweltschädlichen Fliegen wäre und dass die Politik dieses Thema viel zu lange verschlafen hat. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch der Journalist und Bahnexperte Thomas Wüpper, der sich mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt hat, und das sagen auch Millionen Reisende, die tatsächlich Nachtzüge, und zwar mit Schlaf- und Liegewagen, sehr gerne benutzen bzw. benutzen würden, wenn es sie denn gäbe. Im besten Fall macht man sich abends ganz entspannt im Zug lang. Zu dieser Zeit schläft man schon. Man spart die Kosten für eine Nacht im Hotel und kommt am nächsten Morgen ausgeschlafen und pünktlich mitten in der Stadt an, in der man sein möchte, und nicht irgendwo jwd in einem Airport. Dazu kommt das berechtigte Gefühl, dass man mit dieser Bahnreise die Umwelt und das Klima wesentlich weniger belastet hat; beim Fliegen sind Abgase und Lärm wirklich ein Riesenproblem. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun sieht die Lage aber leider so aus, dass die Deutsche Bahn AG im Dezember 2016 ihren letzten Nachtzug eingestellt hat. Die Deutsche Bahn AG hat diesen Komfort den Reisenden entzogen, und das, obwohl dieses Angebot laut Bahn-Vorstand Berthold Huber mit einem Fahrgastzuwachs von 30 Prozent im Jahr 2015 aufwarten konnte. Also, das ist schon irgendwie eine kuriose Geschichte. Sie haben es gerade gesagt: Die Österreichische Bundesbahn, die ÖBB, übernimmt einige Verbindungen und baut andere aus. Wir können nach Wien, Salzburg, Rom, Mailand und Venedig fahren, nach Zürich und demnächst auch nach Kroatien, aber es gibt keine Nachtzugverbindungen nach Warschau, nicht nach Paris, nicht nach Kopenhagen, nicht nach Prag, nicht nach Bratislava, nicht nach Amsterdam. Überall dort gibt es Initiativen von Reisenden, von Bahnfreundinnen und -freunden für die Wiederherstellung dieser Nachtzugverbindungen. Es gibt auch bei vielen jungen Leuten einen Bedarf, die nämlich wirklich ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass man Alternativen braucht zum klimazerstörerischen Fliegen. Es hätte natürlich jede Menge Möglichkeiten gegeben für eine Politik auf der Höhe der Zeit, um dieses Nachtzugsegment zu unterstützen. Da muss man nicht sozusagen dirigistisch dem Bahnvorstand Vorschriften machen, aber selbstverständlich kann man auf die Bahn einwirken. Das haben Sie ja jetzt auch mit dem Antrag der Großen Koalition quasi als Auftrag an die Bundesregierung gegeben. Das hätten Sie aber vor drei Jahren machen müssen, als das Thema auf die Tagesordnung kam. Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir im März 2015 die Anhörung hatten, in der Sie sich tatsächlich von den Sachverständigen darüber haben aufklären lassen, dass Nachtzüge eben nicht out und von gestern sind und keiner sie mehr will, sondern dass sie ein wichtiger Teil des Angebots auf der Schiene sind. In der nachfolgenden Debatte wurde hoch und heilig versprochen – auch vom Kollegen Donth; ich habe mir das Zitat noch einmal herausgesucht –, dass es auf keinen Fall dazu kommen würde, dass sich die Deutsche Bahn AG komplett aus diesem Segment zurückzieht. Im Gegenteil, man wäre in enger Abstimmung mit der Bahn für ein neues Konzept. (Michael Donth [CDU/CSU]: Sicher!) Dieses Konzept hat die Bahn sozusagen verkündet, als sie im Dezember 2016 mit der pressewirksamen Aktion „Klimazug zum Klimagipfel nach Kopenhagen“ gleichzeitig verkündet hat: Ende, aus! Wir ziehen uns komplett zurück. – (Zuruf des Abg. Michael Donth [CDU/CSU]) Sie lassen sich da auf der Nase herumtanzen und unterstützen einen Bahnvorstand, der an dieser Stelle wirklich fantasielos ist. Sie hätten zum Beispiel Investitionszuschüsse geben können. Sie haben das Automobilunternehmen Porsche mit 360 Millionen Euro darin unterstützt, auf der IAA einen Elektro-Porsche zu präsentieren. Warum haben Sie dann nicht 30 Millionen Euro übrig, um die Deutsche Bahn zu befähigen, neue Nachtzüge anzuschaffen? Das war ein Argument, warum sich das für Sie nicht lohnen würde. Wir haben eine tolle internationale Kampagne erlebt und erleben sie immer noch. Menschen überall und eben auch ganz viele in Deutschland – 38 000 – haben die Petition unterschrieben; die Betriebsräte haben sich massiv eingebracht. Ich möchte an der Stelle noch einmal sagen: Den Anstoß dazu, dass dieses Thema überhaupt auf die Tagesordnung gebracht wurde, dass wir uns damit beschäftigen, dass Journalisten, Künstlerinnen und Künstler, Professoren, alle möglichen Leute sich damit identifizieren und sagen: „Wir wollen diese Reisekultur“, haben die Betriebsräte aus diesem Bahnsegment gegeben. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Leidig. Sabine Leidig (DIE LINKE): Das sind dieselben, die jetzt vom Bahnkonzern wirklich schäbig behandelt werden und immer noch keine ordentliche Alternativbeschäftigung haben. Ich finde, das ist wirklich auch eine Aufgabe dieses Hauses, sich darum zu kümmern, dass diese Leute nicht auf der Strecke bleiben. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Leidig, jetzt muss ich Sie wirklich bitten, zum Schluss zu kommen. Sabine Leidig (DIE LINKE): Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke. – Nächste Rednerin ist Kirsten Lühmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Vor fast zwei Jahren haben wir uns hier das letzte Mal getroffen, um über dieses Thema zu reden. Grund war, dass die Deutsche Bahn AG angekündigt hat, mit dem Fahrplanwechsel sämtliche Nachtzugverbindungen, die sie selber betreibt, einzustellen. Ich erinnere mich sehr gut: Wir standen hier, und alle Redenden haben von ihren eigenen Erfahrungen in Nachtzügen berichtet. Wir waren uns einig, das waren schöne Erfahrungen. Und damit endete unsere Einigkeit. Die Deutsche Bahn AG hat uns damals gesagt: Wir können die Nachtzüge nicht mehr selber fahren. – Warum nicht? Zum einen ist es die Konkurrenz von Billigfliegern und sind es die Hotelkosten, die deutlich gesunken sind, die dagegenstehen, zum anderen ist es aber auch die Tatsache, dass das rollende Material veraltet ist, auch keine Zulassung mehr hat und für teures Geld hätte nachgerüstet werden müssen. Zum Schluss wurde auch noch die Tatsache genannt, dass die Betriebskosten sehr hoch sind, unter anderem durch erhöhte Trassenpreise im Ausland. Ich weiß es selber. Meine Lieblingsverbindung Berlin–Brüssel ist schon wesentlich früher eingestellt worden, weil die Trassenpreise in Belgien so hoch waren, dass es keine Kunden mehr gab, die diesen Preis bezahlen wollten. Aus all diesen Gründen hat uns die Bahn gesagt: Unsere Züge haben zwar eine hervorragende Auslastung – Herr Gastel, ich kann mich noch erinnern: Sie haben uns hier von Ihren Erfahrungen berichtet; Sie haben mehrfach versucht, kurzfristig in einem Nachtzug zu reservieren, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Wochen vorher schon!) und haben die Auskunft bekommen, dass er ausgebucht ist und Sie nicht mehr hineinkommen; die Bahn hat uns bestätigt, dass es so ist –; aber trotz dieser Auslastung stehen wir vor der Situation, dass wir Verluste in Höhe von 30 Millionen Euro pro Jahr einfahren. Die Frage war: Was ist zu tun? Die Bahn hat uns gesagt: Wir können diese Verluste nicht übernehmen. Wir kündigen aber an, dass wir ein neues Konzept machen, dass wir für Reisende die Möglichkeit anbieten, auch über die Nacht von A nach B zu kommen. In unserer Diskussion gab es einige, die der Meinung waren, das müsse man nicht abwarten, sondern man könne da auch mit Steuergeldern hineingehen. Ich bin sehr froh, dass die Koalition dieses Konzept abgelehnt hat; denn dieses Geld hätte uns im System Schiene an anderer Stelle gefehlt, wo es eventuell einen wesentlich höheren Nutzen hat. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Stuttgart 21 zum Beispiel! Da gibt es 3 Milliarden zusätzlich!) Wenn ich mir das heute anschaue, komme ich zu dem Ergebnis: Es war gut, dass wir gewartet haben, bis die Bahn ihr Konzept vorgelegt hat; denn die Situation heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine sehr komfortable. Erstens. Wir haben die schnellen ICE. Wir haben als Koalition und Bundesregierung in dieser Legislatur sehr viel Geld ausgegeben, um diese schnellen Städteverbindungen zu fördern. Als Letztes wird unter anderem das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8.1/Nr. 8.2 im Dezember eröffnet werden. Die Folge ist, dass die Verbindung von München nach Berlin um glatte zwei Stunden schneller ist. Das heißt, wir werden deutlich mehr Verkehr auf die Schiene bekommen, und das ist auch gut so. Als Zweites hat die Bahn den Nacht-ICE eingeführt. Ja, Herr Ferlemann, dort können Sie kein Bett buchen – das ist richtig –, aber Sie können diesen Zug nachts nehmen, und er hat Liegesitze, die deutlich komfortabler sind als das, was man früher in den Nachtzügen als Liegesitz verkauft hat. Als drittes Segment haben wir tatsächlich die Nachtzüge. Die Bahn hat die Kooperation mit der ÖBB, den Österreichischen Bundesbahnen, gemacht. Aber es gibt nicht nur die ÖBB, sondern auch weitere ausländische Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Nachtzugverbindungen anbieten, zum Beispiel die ungarische Bahn, zum Beispiel die kroatische Bahn und von Moskau über Berlin nach Paris die russische RZD. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine sehr gute Lösung. Wir hören auch, dass sie hervorragend angenommen wird. Trotzdem sind wir als Koalition der Meinung, dass es Optimierungsbedarf gibt. Das Erste ist: Die Deutsche Bahn hat uns im Verkehrsausschuss erklärt, dass die Tarifeinheit mit der österreichischen Bahn – man hat gemeinsame Tarife, man erkennt die Tickets gegenseitig an – nur ein Versuch ist. Wir sind der Meinung: Das darf nicht nur ein Versuch bleiben, sondern das muss verstetigt werden. Hier fordern wir die Bundesregierung auf, ihren Einfluss geltend zu machen, um die Deutsche Bahn davon zu überzeugen. Außerdem muss das natürlich auch auf die anderen Kooperationspartner übertragen werden. Ich hatte ja gesagt: Es sind mehrere ausländische Eisenbahnverkehrsunternehmen. – Für die muss das auch gelten. Der zweite Punkt, den wir angesprochen haben, ist die Tatsache, dass wir im Prinzip ein europäisches Nachtzugkonzept bräuchten; der Beginn ist schon gemacht. Wir haben – das wurde schon gesagt – sehr viele Verbindungen in den Osten Europas, in den Süden Europas, aber nur ganz wenige in den Westen Europas. Wir brauchen ein europäisches Nachtzugkonzept. Dazu müssen wir technische, administrative und Wettbewerbsschranken einreißen. Es kann nicht sein, dass Nachtzugverbindungen zum Beispiel durch überhöhte Trassenpreise in anderen Ländern das Wasser abgegraben wird. Das wollen wir nicht. Ich glaube, dass die Bundesregierung da noch eine sehr wichtige Aufgabe hat, nämlich zusammen mit unseren europäischen Nachbarn ein solches Konzept auf die Beine zu stellen. Der dritte Punkt, den wir in unserem Antrag angesprochen haben, ist die Frage der Buchungen. Es ist sehr schön, dass wir solche Nachtzüge haben. Es bringt uns aber wenig, wenn wir die umständlich auf irgendwelchen Internetseiten suchen müssen. Das Buchungssystem muss eingepflegt werden. Es muss einfacher werden. Die Leute müssen auf diese neuen Möglichkeiten hingewiesen werden. Ich denke, da gibt es auch für die Bahn noch einiges zu tun. Der vierte Punkt ist ein ganz wichtiger Punkt. Er wurde heute auch schon angesprochen. Es ist nämlich das Thema Personal. Die Bahn hat uns vor zwei Jahren zugesichert, dass das Personal, das für ihre Nachtzüge nicht mehr benötigt wird, innerhalb des Konzerns adäquat weiter eingesetzt wird. Wir haben von den Personalvertretungen gehört, dass das in vielen Fällen auch passiert. Aber viele Fälle sind eben noch nicht alle Fälle. Ich glaube, dass wir weiterhin ein Auge darauf werfen sollten, dass diese Ankündigungen und Versprechungen auch eingehalten werden. Der letzte Punkt, den ich hier anspreche, ist die Tatsache, dass wir gerne einmal in der Legislatur einen Bericht von der Bundesregierung hätten, wie es mit diesen Themen weitergegangen ist. Ich glaube, es ist mit der wichtigste Punkt, dass wir nicht sagen: „Wir haben jetzt in dieser Legislatur zwei- oder dreimal über Nachtzüge geredet. Jetzt muss es auch gut sein. Jetzt lasst mal die Bahn arbeiten“, sondern dass wir sagen: Das ist ein Thema, das uns wirklich am Herzen liegt. Diese Nachbesserungen, die wir gefordert haben, diese Konzepte, die wir auflegen, möchten wir als deutsches Parlament verfolgen. – Das können wir nur, wenn die Bundesregierung uns regelmäßig einen Bericht gibt, damit wir als Parlament erkennen können, ob es Punkte gibt, wo wir nachsteuern müssen. Insofern freue ich mich, wenn wir uns hier alle zu einer nachtschlafenden oder vielleicht zu einer etwas prominenteren Zeit in diesem Parlament wiedersehen, um auch weiterhin diesem wichtigen Thema unser Augenmerk zu schenken. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Nachtzüge wurden von der Deutschen Bahn über Jahre hinweg lust- und fantasielos betrieben, und von Jahr zu Jahr wurden mehr und mehr davon aufs Abstellgleis gestellt. Es ist bedauerlich, dass die Deutsche Bahn bei den Nachtzügen das Licht ausgeknipst hat. Hingegen ist es erfreulich, dass die Österreichischen Bundesbahnen die noch verbliebenen Angebote übernommen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist schade, dass CDU/CSU- und SPD-Fraktion in ihrem Antrag letztlich nichts anderes machen, als den Rückzug der Deutschen Bahn aus diesem Marktsegment nachträglich noch zu rechtfertigen. Der Sinn dieses Antrages erschließt sich mir und uns jedenfalls nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was unter fast vier Jahren Großer Koalition fehlte, waren die notwendigen Weichenstellungen für eine starke Bahn. Sie haben nämlich genau das Gegenteil dessen gemacht, was Sie in Ihrem Antrag behaupten bzw. fordern. Ich nenne das Beispiel Trassenpreise. Sie stellen fest, dass die Trassenpreise ab Dezember für die Nachtstunden sinken. Das ist zwar richtig. Was Sie aber verschweigen, ist, dass sie außerhalb der Zeit zwischen 23 Uhr und 6 Uhr steigen werden. Die Nachtzüge fahren aber eben nicht nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr, sondern sie starten schon vorher, und sie kommen erst später, nämlich dann, wenn die Trassenpreise wieder höher sind, an ihrem Ziel an. Sie behaupten, Sie hätten mit Ihrem Bundesverkehrswegeplan ein verbessertes Schienennetz in die Wege geleitet. Da müssen Sie sich mal bitte schön Ihren Bundesverkehrswegeplan anschauen. Seit wann fahren denn Züge auf Straßen? Straßen sind zuhauf in Ihrem Bundesverkehrswegeplan berücksichtigt, aber mehr als die Hälfte der Schienenwege ist noch nicht einmal bewertet worden. Da kommen Sie überhaupt nicht voran, und damit wird auch nichts besser in diesem Bereich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben einen Antrag gestellt. In diesem Antrag fordern wir bessere Wettbewerbsbedingungen für die Schiene, beispielsweise gegenüber dem Flugverkehr. Wir fordern ein europäisches Nachtzugkonzept unter Einbeziehung der Hochgeschwindigkeitsstrecken, damit im Nachtsprung auch längere Distanzen zurückgelegt werden können. Wir fordern den Aufbau eines Deutschland-Taktes im Bundesverkehrswegeplan unter Berücksichtigung der Nachtzüge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit kommen wir aber leider nicht voran, weil das Projekt Deutschland-Takt mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan auf die lange Bank geschoben wurde. Wir fordern Trassenpreise, die niedriger sind als die heutigen und die auf der Empfehlung der Europäischen Union basieren. Das heißt, dass das Grenzkostenprinzip gilt und nicht die Ausnahme, die Sie mit dem höheren Vollkostenprinzip beschlossen haben. Und wir schlagen ein Interrailticket für alle jungen Menschen in der EU vor, um ihnen sowohl Europa als auch die Bahn näherzubringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist jetzt keine Idee von uns, aber wir greifen diese Idee gerne auf. Herr Ferlemann, vielleicht können Sie nachher einmal erklären, was daran bitte schön ein Eingriff in das Aktienrecht ist. Ich kann hier nichts Entsprechendes feststellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Herr Ferlemann braucht selber mal eine Schulung!) Erfreulich ist, meine Damen und Herren, dass die Österreichischen Bundesbahnen angekündigt haben, ihr Nachtzugkonzept weiter auszubauen. Wir hoffen natürlich, dass dann zusätzliche Angebote auch in Deutschland entstehen. Wichtig ist – an die Adresse der Deutschen Bahn gerichtet –, dass die Bahn-Card auch nach Dezember 2017, also auch nach dem Fahrplanwechsel, für die Nachtzüge der ÖBB anerkannt wird. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme. Wir sind davon überzeugt: Der Nachtzug hat mit seinen Schlaf- und Liegewagen Potenzial für die Zukunft, wenn es die richtigen Ideen gibt, wenn es den unternehmerischen Willen gibt und wenn es die politische Unterstützung gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin ist die Kollegin Daniela Ludwig, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht ohne Kooperationen. Ein einzelnes Land wird kein nationales Nachtzuggeschäft mit einer positiven Bilanz betreiben können. Das Nachtzugsegment ist ein komplexes, schwieriges Geschäft, das nur gemeinsam zu betreiben ist. – Das hat nicht die Deutsche Bahn gesagt, sondern der Vertreter der ÖBB in der Sachverständigenanhörung des Verkehrsausschusses im Februar dieses Jahres. Ich glaube, damit ist alles gesagt. Das ist auch der Hintergrund unseres Antrages. Wir sind der Meinung, dass die DB mit der ÖBB und mit Privatbahnen europaweit kooperieren darf und können muss, um Nachtzugverkehre zur Verfügung zu stellen. Der Nachtzugbetrieb hat einen hohen Wettbewerbsdruck – das ist heute schon gesagt worden – durch die Fernbusse, die stark genutzt werden, aber auch durch das eigene gute Angebot untertags. Wenn Sie sich die Strecke Berlin–München mit künftig vier Stunden Fahrzeit anschauen, dann wird klar, dass sich die Bahn selber im positiven Sinne Konkurrenz macht, weil sie etwas anbietet, was für die Leute höchst attraktiv ist und sogar auf dieser Strecke mitunter das Flugzeug schlagen wird. Dann ist vielleicht die eine oder andere Strecke im Nachtzugverkehr nicht mehr so attraktiv, wie sie es vielleicht vor 10, 15 oder 20 Jahren war. Das muss man anerkennen. Wir begrüßen es sehr, dass es an vielen Stellen, auch in meinem Wahlkreis, die erfolgreichen Kooperationen mit der ÖBB gibt. Wir begrüßen es aber auch, dass die Deutsche Bahn sich nicht komplett aus dem Nachtzugverkehr zurückzieht, sondern ein eigenes Segment erschließt, nämlich – es ist heute schon gesagt worden – ICE und IC in der Nacht, aber nur mit Sitzplätzen, wohingegen das klassische Nachtzugsegment an geeigneter Stelle von den Österreichern oder anderen übernommen wird. Diese Entwicklungen, die wir gerade in den letzten zwei bis drei Jahren beobachten konnten, sind nicht Ergebnis eines staatlichen Eingriffs oder einer staatlichen Order, sondern sie sind Ergebnis einer unternehmerischen Entwicklung, die auf die Marktnachfrage reagiert. Es ist mir, ehrlich gesagt, wesentlich lieber, wenn sich die Bahn am Kunden orientiert, als wenn wir ihr etwas aufoktroyieren, was nachweislich wirtschaftlich in den letzten Jahren zumindest für die DB nicht funktioniert hat. Hier bitte ich um Verständnis, dass mir die freiwillige Form lieber ist als andersherum und dass wir keine staatlichen Aufträge dafür benötigen. Wir wollen schon gar nicht ein staatlich subventioniertes Nachtzugangebot, wie es die Linken in ihrem Antrag fordern. Das lehnen wir in aller Deutlichkeit ab. Es muss alles eigenverantwortlich und eigenwirtschaftlich funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen sind wir sehr dafür, lieber Herr Gastel, dass wir die bestehenden Kooperationen weiter ausbauen. Wir werden uns das in der nächsten Legislatur, Frau Lühmann, intensiv anschauen. Ich bin sehr dafür, dass wir diesen Bericht konsequent einfordern. Ich bin aber auch dafür, dass wir darauf drängen, dass die Kundenvorteile wie Rabattaktionen usw. auch Bahnen übergreifend gelten müssen. Das ist selbstverständlich. Wenn wir einen europäischen, immer stärker einheitlich werdenden – Stichwort: viertes Eisenbahnpaket – Schienenverkehr anstreben, müssen auch solche Dinge irgendwann Usus werden und ganz selbstverständlich sein und nicht mehr ständig eingefordert werden. Darauf zielt unser Antrag ab. Ich denke, dass wir in der nächsten Legislatur daran weiter arbeiten müssen. Aber noch einmal: Ich halte nicht viel davon, einer Aktiengesellschaft vorschreiben zu wollen, wie sie sich wirtschaftlich zu verhalten hat. Ich halte auch nicht viel davon, den Kunden vorzuschreiben, dass sie zu Millionen den Nachtzug nutzen sollen. Liebe Frau Leidig, wenn in den letzten Jahren Millionen gefahren wären, dann hätte man den Nachzugsverkehr vermutlich auch nicht reduzieren müssen. Also lassen wir mal die Kirche im Dorf. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die waren ja voll ausgelastet! Sie sind ja offensichtlich noch nie mit dem Nachtzug gefahren! Sonst wüssten Sie das!) Lassen wir die Bahnen es so gestalten, wie es die Nachfrage erfordert, auch wenn es für Sie irgendwie eine romantische Bahnfahrt zu sein scheint, wenn man in der Nacht durch die Gegend fährt. Ich glaube, der Kunde kann selber entscheiden, was für ihn bequem ist; das müssen wir ihm nicht vorschreiben. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann aber nur das Angebot nutzen, das es gibt!) Wir unterstützen die Bahnen bei den Kooperationen, die nachgefragt werden. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 28 a zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf Drucksache 18/12775. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/12363 mit dem Titel „Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7904 mit dem Titel „Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Tagesordnungspunkt 28 b stimmen wir jetzt über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12560 mit dem Titel „Nachtzugverkehr als Teil moderner und klimafreundlicher Mobilität ausbauen – Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches Nachtzugnetz“ ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Das ist die Linke. Damit ist der Antrag abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu Ihrer Lebhaftigkeit steht auf meinem Zettel, dass die Tagesordnung erschöpft ist. (Heiterkeit bei Abgeordneten aller Fraktionen) Dann schlage ich mal vor, dass wir Schluss machen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, 23. Juni 2017, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Einen guten Nachhauseweg! (Schluss: 0.42 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 22.06.2017 Bellmann, Veronika CDU/CSU 22.06.2017 Dehm, Dr. Diether DIE LINKE 22.06.2017 Ernstberger, Petra SPD 22.06.2017 Färber, Hermann CDU/CSU 22.06.2017 Gottschalck, Ulrike SPD 22.06.2017 Kömpel, Birgit SPD 22.06.2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 22.06.2017 Mortler, Marlene CDU/CSU 22.06.2017 Müller, Bettina SPD 22.06.2017 Nietan, Dietmar SPD 22.06.2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 22.06.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 22.06.2017 Stritzl, Thomas CDU/CSU 22.06.2017 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22.06.2017 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 22.06.2017 Troost, Dr. Axel DIE LINKE 22.06.2017 Veit, Rüdiger SPD 22.06.2017 Vries, Kees de CDU/CSU 22.06.2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 22.06.2017 Zimmermann, Pia DIE LINKE 22.06.2017 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Emmi Zeulner (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) (Tagesordnungspunkt 7 a) Ich werde heute dem Gesetz zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) – Drucksache 18/7823 – zustimmen. Dies jedoch mit Bedenken, die ich in dieser persönlichen Erklärung darlegen möchte. Zentral zu nennen ist hierbei, dass wir kein Gesetz zu den Pflegeberufen verabschieden wollten, ohne dass die entscheidende Ausbildungs- und Prüfungsordnung als Grundlage und Bezugspunkt vorliegt. Doch nun wird die genaue Ausgestaltung den Parlamentariern der nächsten Wahlperiode überlassen. Wir geben also ein großes Stück zentraler Weichenstellungen aus unserer Hand und können nicht gewiss sein, dass unsere Ziele dann noch berücksichtigt werden. Diesem Umstand sehe ich mit großen Bedenken entgegen. Ein weiterer Punkt ist, dass die gemeinsame generalistische Ausbildung durch mehr generelle Inhalte besonders die Kinderkrankenpflege in ihrer Spezialisierung schwächt. Der Grundgedanke hinter einer Zusammenlegung der Alten- und Krankenpflege war es, dass Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger künftig dieselbe Ausbildung genießen und flexibler einsetzbar sind. Das Ziel der Flexibilität ist weiterhin ein gutes. Das Hauptargument für die Generalistik ist der Umstand, dass sich die Anforderungen in der Kranken- und Altenpflege immer weiter angleichen. So nimmt zum Beispiel die Anzahl der an Demenz erkrankten Menschen in der Krankenpflege immer weiter zu, und umgekehrt müssen sich die Altenpflegekräfte zunehmend mit den Problemen der Wundversorgung beschäftigen. Denn dadurch, dass die Menschen immer älter werden und aber auch immer später in die Pflegeheime gehen, steigt die Pflegebedürftigkeit dort weiter an. Die Kompetenzen, die gefordert sind, überschneiden sich bei diesen beiden Berufsbildern spürbar. Doch im Umkehrschluss zeigt sich auch ganz deutlich, dass die Anforderungen und die Bedürfnisse an und in der Kinderkrankenpflege ganz andere sind – und sich diese durch die demografische Entwicklung auch nicht gewandelt haben. Eine gemeinsame Ausbildung ist hier nicht zielführend. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ausbildung in der Kinderkrankenpflege abgetrennt von der generalistischen Ausbildung erfolgen sollte. Letztlich war es eines der zentralen Ziele, mehr Menschen für den Beruf der Pflege zu begeistern und die Pflege flächendeckend zu sichern. Dieses Ziel werden wir aber nur erreichen, wenn wir auch die kleinen Schulen in der Fläche erhalten. Denn Studien zeigen, dass vor allem dort, wo ausgebildet wird, die Arbeitskräfte gehalten werden können. Durch die Generalistik werden gerade die kleinen Schulen vor große Herausforderungen gestellt. Wir werden von politischer Seite hier genau beobachten müssen, wie sich das entwickelt, um dann, wenn es nötig wird, diese Schulen zu unterstützen und ihnen nicht die Existenzgrundlage zu entziehen. Auch wenn ich diese Bedenken habe, so haben wir durch das Gesetz in vielen Bereichen Verbesserungen erreicht, und diese gilt es zu würdigen. Gut ist, dass die drei Berufsabschlüsse – insbesondere die der Alten- und Kinderkrankenpflege – erhalten bleiben und gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Damit haben wir die Wahlfreiheit der Auszubildenden gesichert und die Ausbildung für die Zukunft attraktiver gemacht. Auf diese Weise haben wir sichergestellt, dass jeder Auszubildende, egal ob Gymnasiast, Real- oder Hauptschüler, den Ausbildungsgang wählen kann, den er für sich selbst am geeignetsten empfindet. Daneben sind auch die Zwischenprüfung und die bessere finanzielle Aufstellung durch den Ausbildungsfonds wichtige Schritte gewesen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Nicole Gohlke, Christine Buchholz, Birgit Menz, Cornelia Möhring, Martina Renner und Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) Wir enthalten uns bei der Abstimmung zur Änderung des Grundgesetzes. Die NPD ist eine neofaschistische Partei, die in der programmatischen Tradition der NSDAP steht. Sie ist eine antisemitische, islamfeindliche, rassistische und menschenverachtende Partei. Sie ist organisch mit rechten Kameradschaften und rechten Schlägertruppen verwoben. Sie gehört auf allen Ebenen politisch bekämpft. Die politische Bedeutungslosigkeit, in der sie heute verschwunden ist, ist das Ergebnis der unermüdlichen, jahrelangen Arbeit Tausender Antifaschistinnen und Antifaschisten in diesem Land. Die Kampagne zum NPD-Verbot leistete dabei einen zentralen Beitrag für antifaschistische Mobilisierung und Aufklärung. Die einstigen Erfolge der NPD wären ohne die politische Aufbauarbeit der VLeute des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht möglich gewesen. Allein in der NPD-Spitze führte der Verfassungsschutz mindestens elf VLeute. Nach Angaben zahlreicher enttarnter Spitzel wurden ihre Honorare, die letztlich aus Steuergeldern bezahlt wurden, massiv für den Aufbau der neofaschistischen Partei eingesetzt. In den NSU-Untersuchungsausschüssen wurde deutlich, dass die Verfassungsschutzbehörden einen maßgeblichen Anteil am personellen und materiellen Aufbau militanter rechter Strukturen haben. Sollte es das tatsächliche Anliegen der Bundesregierung sein, die militante Neonazi-Szene nicht mit weiteren Steuergeldern zu versorgen, sollte sie das gescheiterte VLeute-System beenden und das Bundesamt für Verfassungsschutz auflösen, anstatt diesem immer weitere finanzielle Mittel und Befugnisse einzuräumen. Während das Bundesverfassungsgericht in seinem NPD-Urteil die Verfassungsfeindlichkeit an inhaltliche Kriterien – Menschenwürde, Demokratieprinzip, NSVerherrlichung – gebunden hat, steht hinter dem Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit in der Änderung des Grundgesetzes immer auch der alte „Extremismusansatz“. In der Begründung des Gesetzentwurfes des Bundesrates wird gar vom Ausschluss „extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung“ gesprochen. Gemäß dieser These gibt es innerhalb demokratischer Staaten eine politische Mitte sowie rechts und links davon extremistische Ränder, die eine Gefahr für den Rechtsstaat darstellen würden und dementsprechend bekämpft werden müssen. Doch dabei wird zum einen ignoriert, dass innerhalb der sogenannten politischen Mitte ebenfalls „rechte“ und menschenfeindliche Orientierungen zu finden sind. Die „Mitte“-Studien der Universität Leipzig haben diesen Befund immer wieder empirisch unterstützt. Zum Zweiten wird mit dem „Extremismusansatz“ eine unzulässige Gleichsetzung von Linken und Rechten betrieben. Auch wenn es mit der NPD die richtige Partei trifft, ist nicht ausgeschlossen, dass sich die „Verfassungstreuepflicht“ nicht auch gegen linke Parteien richten kann. Immer wieder stellen CDU- und CSU-Politiker die Verfassungstreue der Linkspartei in Frage. Die NPD verlor bei den letzten Landtagswahlen die einstigen Hochburgen, unter anderem weil unzählige Neofaschistinnen und Neofaschisten in der AfD eine politische Heimat gefunden haben – insofern gilt es auch die AfD aktuell in den Fokus zu nehmen. Rassistische Einstellungen werden nicht durch Verbote gestoppt, sondern indem sich Menschen solidarisch dagegen organisieren. Letztlich müssen soziale Verhältnisse geschaffen werden, in denen rassistisches Gedankengut gar nicht erst gedeihen kann. Der Kampf gegen Rechts wird nicht im Gericht, sondern auf den Straßen, in den Schulen und Betrieben gewonnen. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Ich werde mich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Der Bundestag wird heute eine Änderung des Grundgesetzes beschließen, deren Ziel der Entzug der staatlichen Mittel für die Parteienfinanzierung für Parteien ist, die als verfassungswidrig eingestuft worden sind. Ich enthalte mich bei der Abstimmung der Stimme, weil ich den Entzug von finanziellen Mitteln für ein untaugliches Mittel der Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Parteien halte, die nur aus Gründen der Erfolglosigkeit bei Wahlen nicht dem Parteienverbot unterliegen. Erstens. Ich verstehe zutiefst die Empörung, dass rechte Parteien wie die NPD staatliche Mittel, die sie nach Wahlen erhalten, einsetzen können, um ihre offen oder verdeckt verfassungsfeindliche Politik weiter zu betreiben. Die Hoffnung aber, dass das Wirken der NPD durch den Entzug von staatlichen Mitteln behindert oder gar verhindert werden könnte, ist trügerisch. Zweitens. Die staatliche Finanzierung von Parteien auf der Grundlage des Grundgesetzes ist ein Grundpfeiler der Parteiendemokratie, der – wie alle demokratischen Grundrechte – nicht aus Opportunitätsgründen eingeschränkt werden darf. Demokratie gilt für alle gleichermaßen, oder es ist keine Demokratie. Die Einschränkung demokratischer Rechte beschädigt demokratische Grundwerte, auf die die Bundesrepublik zu Recht stolz ist. Drittens. Wir wissen alle, dass rechtsextremes Denken und Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und demokratische Werte durch Parteien und andere politische Strukturen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein auf erschreckende Zustimmung stoßen. Verbote und der Entzug demokratischer Rechte helfen nicht, rechtes Denken in der Gesellschaft zurückzudrängen und wirkungslos zu machen. Dagegen zeigt das Staatsversagen bei der Aufklärung der NSU-Morde, dass es andere rechtliche Möglichkeiten der Auseinandersetzung und Sanktionierung gibt, die allerdings konsequenter zu verfolgen sind. Wir brauchen eine konsequente Strafverfolgung bei rechtsextremen Straftaten, gleich, ob sie „nur verbal“ oder als offene Gewalt daherkommen. Darüber hinaus brauchen wir eine deutliche Stärkung demokratischer Strukturen. Wir brauchen den Schutz und die Sensibilität der Öffentlichkeit und eine stärkere Resilienz der demokratischen Öffentlichkeit gegen nationalistische und rassistische Äußerungen. Wir brauchen mehr politische Bildung, mehr Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten und eine bessere Unterstützung all jener Strukturen, die das demokratische Gemeinwesen ausmachen. Das wird langfristig helfen, rechtes Denken und demokratiefeindliche Gesinnungen zurückzudrängen und wirkungslos zu machen. Aus diesen Gründen enthalte ich mich der Stimme. Thomas Lutze (DIE LINKE): Heute stimmt der Bundestag namentlich über eine Grundgesetzänderung ab, bei der es um die Parteienfinanzierung geht. Ich werde dem Antrag nicht zustimmen, ich werde mit Stimmenthaltung votieren. Die NPD ist eine offen faschistische und rassistische Partei, die verboten sein sollte. Zweimal lehnte aber das Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag ab, was ich politisch für falsch halte. Nun versuchen große Teile der Politik, der NPD durch Mittelentzug den Garaus zu machen. Ich bleibe dabei: Entweder wird eine Partei verboten, was ich im Falle faschistischer und rechtsextremer Parteien wie der NPD absolut begrüße. Oder man muss sich politisch mit ihnen auseinandersetzen, damit sie keine Wähler mehr bekommen. Der Entzug der Parteienfinanzierung lässt sie als Opfer dastehen. Eine Opferrolle haben sie aber nicht verdient. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) Josef Rief (CDU/CSU): In diesen Tagen trauern wir um Helmut Kohl und sprechen überall darüber, was sein Verdienst war und was von ihm bleibt. Ganz sicher ist es neben der deutschen Einheit auch die Entscheidung, Berlin wieder zur deutschen Hauptstadt zu machen. Helmut Kohl hat stets dafür geworben – auch gegen viele Stimmen in seiner eigenen Fraktion. Wie sich heute zeigt, war das richtig. Sie wissen alle, das war auch für das Parlament eine schwere Entscheidung. Quer durch alle Fraktionen gab es Uneinigkeit. Die Gegner des Umzugs nach Berlin sahen vor allem die Kosten als Problem. In Bonn hatte man sich eingerichtet. Nicht wenige, die damals gegen den Umzug im Bundestag gestimmt hatten, sagen heute, dass sie es hätten besser wissen müssen. Auch ich halte es für eine kluge Entscheidung. Es war für das Zusammenwachsen von Ost und West von sehr großer Bedeutung, dass Berlin als neue, alte Hauptstadt inmitten der neuen Bundesländer lag. Was wäre aus der wiedervereinigten Stadt Berlin geworden, ohne dass sich hier wieder Parlament und Regierung angesiedelt hätten und mit ihnen die vielen Unternehmens- und Verbandsvertretungen, Botschaften, Organisationen und Vereine? Was hätte mit dem Reichstagsgebäude und den vielen leerstehenden Gebäuden passieren sollen? Heute sehen wir ein Berlin, das mit seinem Parlaments- und Regierungsviertel unser Land angemessen repräsentiert. Berlin ist beliebt bei innerdeutschen und internationalen Besuchern. Wir dürfen auch die historische Bedeutung unserer Hauptstadt nicht vergessen. Berlin ist der Ort, an dem so viel gute, aber auch so viel abgrundtief böse Geschichte unseres Landes geschrieben wurde. Nur hier können wir angemessen den Lehren der Geschichte Rechnung tragen. Nur hier mahnt uns täglich der Verlauf der Mauer, der in das Straßenpflaster eingelassen ist, was es bedeutet, wenn wir Freiheit und Demokratie leichtfertig aufs Spiel setzen. In der ganzen Stadt spürt man die Folgen der beiden Diktaturen, die unser Land erleben musste. All dies ist unabhängig davon, ob noch ein Teil der Bundesverwaltung in Bonn verblieben ist. Wir müssen die Diskussion also sachlich führen. Auch wenn Berlin unumstritten unsere Hauptstadt ist, haben wir uns gegenüber Bonn verpflichtet, einen großen Teil der Arbeitsplätze in Bonn zu erhalten. Schon vor fast zehn Jahren sind wir unter die Marke von 50 Prozent der Stellen gefallen, die in Bonn bleiben sollten. Seitdem hat sich einiges verändert. Bonn hat mithilfe des Bundes das Beste aus der Situation gemacht und viele neue Arbeitsplätze angesiedelt, sodass der Anteil von heute unter 40 Prozent verkraftbar erscheint. Bonn ist inzwischen eine Region der Qualifikation, Bildung und Forschung und ein bedeutender Kulturstandort. Zugleich ist die ehemalige Hauptstadt heute ein bedeutender Standort der Vereinten Nationen. Nicht zuletzt muss man auch die Beschäftigten von Post und Telekom hinzuzählen, die ihren Hauptsitz in Bonn haben. Trotzdem sind wir es auch 26 Jahre nach dem Hauptstadtbeschluss des Bundestages der Region Bonn und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Bundesbehörden schuldig, dass wir den Umzug mit Augenmaß machen und an die praktischen Erfordernisse anpassen. Im Haushaltsausschuss lassen wir uns alle zwei Jahre über den Stand und die Kosten der Verwaltung mit zwei Standorten berichten. Im Bundesbauministerium wurde ein Arbeitsstab eingerichtet, der die Entwicklung der vergangenen Jahre in eine ressortübergreifende Strategie überführen soll, um verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, insbesondere für den Standort Bonn und die Beschäftigten dort. Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart, dass wir am Berlin/Bonn-Gesetz festhalten werden. Bonn wird vorerst das zweite politische Zentrum in Deutschland bleiben. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke ab. Es wäre interessant gewesen, wenn die Linke den Antrag vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gestellt hätte. So bleibt politisch ein schaler Beigeschmack. Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Helmut Kohl gelang die Realisierung der deutschen Wiedervereinigung unter anderem deshalb, weil er die Interessen sowohl der Sowjetunion als auch der westlichen Partner ausreichend berücksichtigte und ihnen mit einer umfassenden Einbettung der Bundesrepublik in europäische Strukturen die Angst vor einem wiedervereinigten Deutschland nahm. Der Aspekt einer Berücksichtigung beiderseitiger Interessen wohnt auch dem Berlin/Bonn-Gesetz inne, das die Grundlage für die beiden Regierungsstandorte Berlin und Bonn bildet. Das Berlin/Bonn-Gesetz ist aufgrund der vielversprechenden Entwicklung beider Städte als Erfolgsgeschichte zu bezeichnen. Berlin ist heute anerkannte Hauptstadt Deutschlands, mit all den damit verbundenen positiven Effekten auf Bereiche wie Kultur und Tourismus. Die Stadt Bonn wiederum hat den Wegzug der Legislative sowie erheblicher Teile der Exekutive sehr gut verkraftet. Heute ist die Region ein Kompetenzzentrum in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Telekommunikation und Cybersicherheit. Zudem ist die ehemalige Hauptstadt seit über 20 Jahren UN-Standort und darüber hinaus Sitz von 20 Bundesbehörden sowie zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Gewissermaßen unter der Flagge der Vereinten Nationen hat sich Bonn inhaltlich zu einem Schwerpunkt der Bereiche Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit herausgebildet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das noch immer in Bonn vorhandene Regierungsgeschehen eine zentrale Triebfeder für den gesamten politischen Cluster bildet. Ein im Antrag der Linken geforderter radikaler Umzug nach Berlin hätte daher unabsehbare Folgen sowohl für die Stadt als auch für die Region. Der Fraktion Die Linke argumentiert, dass zwei Regierungssitze ineffektiv, umweltschädlich und zu teuer seien. Es ist schon erstaunlich, dass über 25 Jahre nach dem Beschluss des Berlin/Bonn-Gesetzes diese Punkte verwendet werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Die zusätzlichen ökonomischen und ökologischen Kosten sowie die Effizienzeinbußen waren schließlich schon im Jahr 1991 absehbar. Dennoch sprach sich nach umfangreichen und harten Debatten eine Mehrheit des Deutschen Bundestages für eine Teilung der Regierung auf zwei Standorte aus, eben weil eine Berücksichtigung der Interessen beider Städte gegenüber den Kosten stärker gewichtet wurde. Zudem sollten sowohl Bonn als auch Berlin von der Regelung profitieren. Dieses Streben nach einem Kompromiss ist schließlich ein Merkmal der Demokratie. Sowohl in dem Antrag als auch in der öffentlichen Debatte wird immer wieder auf die durch die zwei Regierungssitze hervorgerufenen Kosten verwiesen. Dabei sind sie in den vergangenen Jahren stetig gesunken und haben aktuell mit 7,5 Millionen Euro einen Tiefstand erreicht. Diese positive Entwicklung ist vor allem den umfangreichen Fortschritten im Bereich der Digitalisierung zu verdanken. Ein Meinungs- und Informationsaustausch setzt heute dank vielfältiger Instrumente nicht mehr die gemeinsame Anwesenheit an einem Ort voraus. Mit Blick auf die finanziellen Aspekte ist es zudem äußerst fragwürdig, nur die aktuell durch die zwei Regierungssitze verursachten Kosten anzuprangern und gleichzeitig die Kosten für einen kompletten Umzug der Ministerien nach Berlin zu verschweigen. Es müssen alle Fakten genannt werden; schließlich ist nur so eine objektive Bewertung der Problematik möglich. Berechnungen gehen davon aus, dass ein Komplettumzug nach Berlin zwischen 2 Milliarden und 5 Milliarden Euro kosten würde. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht würden sich diese Kosten erst in mehreren Hundert Jahren amortisieren. Die Linke schwingt sich in ihrem Antrag zum Verteidiger der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf, fordert jedoch gleichzeitig solch ein staatlich finanziertes Mammutprojekt. Aus fiskalpolitischer Perspektive wäre es zudem sinnvoller, den Bau öffentlich finanzierter Projekte eines solchen Umfangs in konjunkturschwachen Zeiten vorzunehmen. Dieser scheinbar bei den Antragstellern unbekannte Haushaltsgrundsatz entstammt dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahr 1967. Ein besonders kritikwürdiger Punkt des vorliegenden Antrags ist der geforderte Zeithorizont. Bis zum Jahr 2020 soll die Zusammenführung der Bundesministerien in Berlin erfolgen. In Anbetracht der über 7 000 Beschäftigten in Bonn ist die Zeitvorgabe von nur 2,5 Jahren mit Blick auf die Gebäudekapazitäten in Berlin eine immense Herausforderung. Darüber hinaus würden die Bonner Beschäftigten auf einen Berliner Wohnungsmarkt drängen, der schon heute durch eine Angebotsknappheit und deutliche Preisanstiege gekennzeichnet ist. Viel mehr als der leichtfertige Umgang mit den finanziellen Kosten irritiert jedoch, wie abgebrüht die Linke mit den sozialen Kosten umgeht. Schließlich haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise schon vor vielen Jahren für Bonn als Arbeitsplatz entschieden. Sie haben sich ein persönliches Umfeld aufgebaut und Familien gegründet. All dies soll nun nach Plänen der Linken in einer Art Hauruckaktion zerschlagen werden. Der vorliegende Antrag der Linken greift ein wichtiges Problem auf, nur werden daraus die falschen Schlüsse gezogen. Es ist zutreffend, dass sich mittlerweile 65 Prozent der ministeriellen Arbeitsplätze in Berlin befinden, obwohl das Berlin/Bonn-Gesetz eine Mehrheit der Ministeriumsmitarbeiter in Bonn vorsieht. Zudem erfolgen heute fast drei Viertel der Neueinstellungen in Berlin. Es ist somit offensichtlich, dass sich der Schwerpunkt schleichend immer mehr hin zur Hauptstadt verlagert. Diese Entwicklung wird sich aufgrund der Altersstruktur der Bonner Belegschaft und der überwiegend in Berlin stattfindenden Schaffung neuer Planstellen in den nächsten Jahren fortsetzen. Ein solcher nur indirekt gesteuerter Vorgang muss zukünftig in einen geplanten Prozess überführt werden. Es darf dabei allerdings nicht heißen Bonn oder Berlin, sondern es muss ganz im Geiste des Berlin/Bonn-Gesetzes eine Debatte angestoßen werden, in der die Interessen beider Städte ausreichend Berücksichtigung finden. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich als Berliner Abgeordneter durchaus Sympathien für die Intention ihres Antrages „Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz“ hege. Gleichwohl – das wird Sie kaum überraschen – komme ich zu der Erkenntnis, dass ich ihren Antrag im Ergebnis ablehnen werde. Doch lassen Sie uns zunächst mit dem Positiven beginnen. Der vollständige Umzug aller Ministerien nach Berlin ist sinnvoll. Dies ist augenscheinlich. Vordergründig werden oft die Reisekosten als erstes Argument aufgeführt. Es ist zwar richtig, dass diese dann nicht mehr anfallen würden, aber dies ist nur das schwächste Argument. Viel wichtiger ist aus meiner Erfahrung als ehemaliger Mitarbeiter eines Bundesministeriums in Berlin, dass derzeit die formale Arbeitseffektivität erheblich leidet. Aufgaben lassen sich an getrennten Orten nun mal schlechter lösen. Nicht zu unterschätzen sind aus meiner Sicht weiterhin die informellen Gespräche unter Kolleginnen und Kollegen auf den Fluren oder in den Kantinen. Informelle Kontakte haben auch in Behörden eine ausgesprochen wichtige Funktion. Diese fallen bei der derzeitigen Arbeitsteilung häufig weg, und dies allen modernen Errungenschaften wie E-Mail, Telefonkonferenz oder Ähnlichem zum Trotz. Hinzu kommt, dass ich in meinem Berliner Wahlkreis sehr häufig auf das Thema des vollständigen Regierungsumzuges nach Berlin angesprochen werde. Bürgerinnen und Bürger haben kaum Verständnis dafür, dass die Bundesregierung ihre Aufgaben noch immer an zwei mehr als 600 Kilometer voneinander entfernt liegenden Orten wahrnimmt. Ein vollständiger Umzug wäre effektiv, kostengünstig und umweltfreundlich. Jedoch gibt es auch gewichtige Gründe, die gegen Ihren Antrag sprechen. Der wichtigste Grund – wir haben das schon in der ersten Lesung thematisiert – ist, dass Sie für den kompletten Umzug einen extrem kurzen Zeitraum gewählt haben. Binnen eines Zeitraums, der im Jahr 2020 abgeschlossen sein soll, einen solchen Umzug durchzuführen, ist aus Sicht der betroffenen Beschäftigten nur eines: Wahnsinn – mich erstaunt sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, dass Sie ausgerechnet die Interessen der Beschäftigten überhaupt nicht in den Blick genommen haben. Jede Arbeitsorganisation braucht Zeit, um solch einen Umzug zu planen und ihn dann sozialverträglich durchführen zu können. Weiterhin spricht gegen Ihren Antrag, dass die Kosten für einen Umzug, insbesondere wenn er so schnell durchgeführt werden soll, immens sein werden. Unter dem Strich müssen wir konstatieren, dass die Amortisationsphase extrem lang sein wird. Darum bin ich sehr zufrieden, dass die Beauftragte der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich einen hervorragenden Statusbericht vorgelegt hat. Dieser ist eine ehrliche Grundlage, um die notwendige Diskussion über einen sozialverträglichen Umzug anzustoßen. Lassen Sie uns in der nächsten Legislaturperiode hieran gemeinsam arbeiten. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): In der ersten Lesung zu unserem Antrag stellte ich fest, dass es in 2015 fast 21 000 teilungsbedingte Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin gab. Dazu machte Herr Kollege Lengsfeld den spöttischen Zwischenruf: „Was das an CO2 kostet!“. Ich finde es erschreckend, wie schnell die CDU/CSU mit Hohn und Spott bei der Sache ist, wenn es um Umweltschutz und Ökologie geht. Natürlich sind teilungsbedingte Flüge nicht alleinige Ursache des Klimawandels. Aber es bleibt dabei: Die Teilung der Regierung ist unökologisch. Dies sollte Sie eher zum Nachdenken als zum Spotten anregen. Denn die miese Ökobilanz in Sachen Bonn-Berlin ist ein Abziehbild der politischen Bilanz dieser Regierungskoalition. Dabei tut die Teilung der Regierung in zwei Regierungssitze schon lange nicht mehr not. Das Berlin/Bonn-Gesetz, das seit 1994 in Kraft ist, hat seinen Sinn, seine Aufgabe erfüllt, indem die Bundesstadt Bonn besonders gefördert wurde und heute wirtschaftlich, kulturell und politisch gut aufgestellt ist. Die Region Bonn droht nicht, Einöde zu werden. Da haben manche Kommunen in NRW ganz andere Sorgen. Zudem sind einige wenige Ausnahmen sinnvoll: Wir wollen zum Beispiel nicht, dass Einrichtungen, die in ihrem Wirken explizit der Region Köln/Bonn verbunden sind, nach Berlin umziehen müssen. Dies trifft unter anderem auf das Haus der Geschichte zu. Wir fordern des Weiteren, dass bei einem Umzug des Bonner Regierungssitzes die Mitbestimmungsrechte der Belegschaften beachtet werden. Fast 40 Prozent der Regierungsstellen sind noch in Bonn – ein absurd hoher Wert! Dabei ist eine Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin längst nicht mehr angezeigt, erst recht nicht, wenn es um zukunftsfähiges Regierungshandeln geht. Wir brauchen doch viel eher schnelle Reaktionen, gezielte, auch persönliche Absprachen, kurze Reaktionszeiten. Die Teilung steht dem entgegen und ist schlicht ineffektiv. Selbst wenn die Arbeitsstellen der Regierung sich sehr, sehr langsam zugunsten Berlins bewegen, ist die Trennung der Regierungstätigkeit aus drei weiteren Gründen äußerst ineffektiv: Die Zweiteilung der Bundesregierung schwächt erstens die Rolle Berlins als Bundeshauptstadt. Zweitens wird die Koordinierung zwischen Regierung und Parlament erschwert, was nicht gut für unsere Demokratie ist. Da ferner junge Menschen viel eher nach Berlin als nach Bonn ziehen würden, wird drittens aufgrund der zwei Standorte die Nachwuchsarbeit in den Bundesministerien erschwert. Die anhaltende Trennung der Regierungsstellen ist nicht nur unökologisch und besonders ineffektiv, sondern vor allem auch teuer. Gewiss kostet ein Komplettumzug der Regierungsstellen von Bonn nach Berlin auch Geld. Doch das ist ein einmaliger Akt über einen überschaubaren Zeitraum hinweg. Im Vergleich dazu bleiben die jährlichen Kosten für die Regierungsteilung mit fast 7,5 Millionen Euro in 2016 relativ konstant auf hohem Niveau. Die Kosten für die bereits erwähnten umweltschädlichen Zehntausenden von Dienstreisen pro Jahr beliefen sich in 2015 auf stolze 4,7 Millionen Euro. Und das sind jährliche Kosten! Wie wollen Sie diese Kosten vor den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern weiterhin rechtfertigen? Selbst in einigen Ministerien wird ja schon mehr oder weniger laut über eine Beendigung der Aufteilung der Regierungsstandorte nachgedacht. Vielleicht gibt es Ihnen einen weiteren Ruck, wenn Sie berücksichtigen, dass gemäß einer repräsentativen Umfrage 83 Prozent der Bevölkerung einen Komplettumzug befürworten. Schließlich schwächt eine Zweiteilung der Regierungstätigkeit sogar das föderale System. Wenn das föderale System durch Verteilung einzelner Ressorts, Behörden und sonstiger Einrichtungen auf Standorte außerhalb Berlins wirklich gestärkt werden soll, dann müsste man aber mehrere Standorte in den alten Bundesländern und insbesondere auch in Ostdeutschland wählen. Das Umweltbundesamt in Dessau oder das Biomasseforschungszentrum in Leipzig bleiben da jedoch leider Ausnahmen. Knapp 40 Prozent der Regierungsangestellten sind stattdessen in einer einzigen Stadt angestellt, in Bonn. Damit wird die Grundidee des Föderalismus entwertet. Viele gute Gründe sprechen also für einen Komplettumzug nach Berlin; deshalb brauchen wir ein Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz. Damit muss der Zustand der Regierungszweiteilung bis 2020 endgültig aufgehoben werden. Ich hoffe, dass die Bonner Republik somit in ihren wohlverdienten Ruhestand geschickt wird und alle, die immer noch für zwei Regierungssitze sind, endlich in der Jetztzeit und in der Berliner Republik ankommen, damit wenigstens diese Zweiteilung in unserem Land endlich beendet wird. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich finde, das Bonn/Berlin-Gesetz taugt nicht zum parteipolitischen Streit, weder hier im Bundestag noch im Bundestagswahlkampf. Denn hier geht es um Regionen: einerseits Berlin, andererseits die Region um Bonn. Und diese beiden Regionen gegeneinander auszuspielen, da machen wir Grüne nicht mit. Ich glaube, wenn man hier einen solchen Antrag auf den Weg bringt, dann muss der Blick auf beide Regionen gerichtet sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, wir haben doch ein Problem mit dem Berlin/Bonn-Gesetz. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben, weder in Berlin noch in Bonn. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, was Ministerin Hendricks, die Beauftragte für den Umzug von Bonn nach Berlin, dazu in dieser Wahlperiode gemacht hat: Sie hat mal wieder einen Bericht vorgelegt, eine „ergebnisoffene Bestandsaufnahme“. Was soll das denn sein? Das ist doch nur ein Synonym für Untätigkeit. Hinter solch einem Bericht kann man sich natürlich bestens verstecken und eine weitere Bild-Zeitung-Schlagzeile produzieren. In dem Bericht steht, es gibt Effizienzverluste, die wir lösen müssen. – Wie soll das konkret gestaltet werden? Wie soll die Struktur unter Berücksichtigung aller Interessen neu geordnet werden? Dazu schweigt das BMUB. Dazu schweigen die Ministerin und auch die Bundesregierung. Am Ende hat Hendricks auch hier wieder nicht geliefert. Und ich sage Ihnen eins: Sie ist die zuständige Ministerin, und das hätte sie in dieser Wahlperiode liefern können. Die Große Koalition hat sich in dieser Frage weggeduckt. Eine neue Bundesregierung muss sich wirklich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen, aber nicht in der Form wie der vorliegende Antrag der Linken. Er ist schlicht zu kurz gegriffen und spielt die Regionen gegeneinander aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei einer ernsthaften Debatte wären wir auch dabei gewesen. Aber glauben Sie denn im Ernst, dass diese Bundesregierung hier noch was macht? Was soll die Große Koalition denn in den nächsten eineinhalb Wochen zum Berlin/Bonn-Gesetz noch vorlegen? Nichts. Und sie wird auch nichts vorlegen. Deswegen macht dieser Antrag in der Form heute auch keinen Sinn. Die Forderung umzusetzen, dass der Umzug komplett bis 2020 stattfinden soll, ist schlicht unmöglich. Wo sollen denn die ganzen Liegenschaften und Wohnungen in Berlin herkommen? Wie sollen alle Personalfragen geklärt werden? Dieses Datum ist ein Hauruckdatum. Und da machen wir Grüne nicht mit, denn das produziert Ängste, und damit machen wir keine Politik! Wir Grüne werden uns auch in der nächsten Wahlperiode sehr ernsthaft damit auseinandersetzen, weil wir die Probleme wirklich lösen wollen. Wir werden uns so darum kümmern, dass nicht eine Region in die Röhre guckt. Wir suchen nach einer verantwortungsvollen Lösung für alle. Wir werden dafür sorgen, dass auch die ökologischen Aspekte nicht hinten runterfallen, und wir werden dafür sorgen, dass es auch eine finanzpolitisch sinnvolle Lösung ist. Deswegen lehnen wir Ihren unausgegorenen Antrag heute ab. Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mehr Einwohner, mehr Jobs, junge Bevölkerung. Diese Beschreibung gilt für Bonn, und diese Beschreibung gilt für Berlin. Berlin ist Hauptstadt mit internationaler Ausstrahlung. Bonn ist zweites politisches Zentrum und Kompetenzzentrum Deutschlands für bestimmte Politikfelder. Beides ist gut für Deutschland. Beides nutzt den Bürgern und Bürgerinnen im ganzen Land. Die Linkspartei dagegen startet jährlich eine Neiddebatte gegen die Region Bonn und den Westen Deutschlands. Die Linkspartei redet über Arbeitnehmer in meiner Heimatregion wie über Bürobedarfsartikel. Lebensplanung, Familien, weitere abhängige Arbeitsplätze: Kein Wort darüber von der Linkspartei. Und schaut man genau in den Antrag der Linkspartei, geht es keineswegs nur um die rund 6 000 Jobs in den Bonner Ministerien. Die Linkspartei will auch Tausende weitere Arbeitsplätze in anderen Behörden aus Westdeutschland und Bonn abziehen. Die Linkspartei gibt damit den Anspruch auf, Arbeitnehmerpartei zu sein. Sie will nur regionalen Neid schüren, um sich Stimmen zu sichern. Rund um die verbliebenen ministeriellen Arbeitsplätze und andere Bundesbehörden ist in Bonn ein Kompetenzzentrum für Deutschland entstanden. Drei Beispiele: Die Vereinten Nationen und eine große Zahl von internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen suchen die Nähe zu den Gesprächspartnern der Bundesregierung und der Europäischen Union im nahen Brüssel. Nationale und internationale Wissenschaftseinrichtungen profitieren vom Cluster der dichtesten Wissenschaftsregion Europas (Aachen, Bonn, Köln) und den Gesprächspartnern im Forschungsministerium, im Gesundheitsministerium und weiteren nationalen Behörden. In der Region Bonn ist Deutschlands Cluster für Cybersecurity entstanden: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr, Cyber Defense Center der Deutschen Telekom, Start-ups, mittelständische Firmen, Wissenschaftseinrichtungen sowie die Regulierungsbehörden Kartellamt, Bundesnetzagentur und Bundesanstalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht. Die Linkspartei will dieses Kompetenzzentrum aufbrechen und damit schwächen. Das ist der falsche Weg und schadet dem ganzen Land. Ihren Antrag begründet die Linkspartei mit nachweislich falschen Zahlen und Behauptungen. Die Arbeitsteilung sei ineffizient, behauptet die Linkspartei. Es sei ein „Wanderzirkus“ zwischen Berlin und Bonn notwendig, so die Linkspartei. Machen wir doch einen Faktencheck: Mehr als die Hälfte der rund 6 000 Ministeriumsmitarbeiter in Bonn muss überhaupt keine Dienstreise nach Berlin unternehmen. Ihre Ansprechpartner sitzen in anderen Regionen Deutschlands und in Brüssel. Nebenbei: Eine Dienstreise von Berlin nach Brüssel ist laut Auswertung 125 Prozent teurer als die gleiche Dienstreise von Bonn aus. Die andere Hälfte der Bonner Beamten macht weniger als eine Dienstreise im Vierteljahr nach Berlin. Ein Wanderzirkus sieht wahrlich anders aus. Obwohl die Ausgaben für die Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn stetig sinken, behauptet die Linkspartei, diese Arbeitsteilung sei unbezahlbar. Auch hier ein Faktencheck: Die Arbeitsteilung kostet weniger als 8 Millionen Euro pro Jahr, ein Umzug allein der Ministerien schon bis zu 5 Milliarden Euro, die Kosten für Umzüge weiterer Bundesbehörden nicht einmal mitgerechnet. Hält die Europäische Zentralbank ihre Nullzinspolitik bis zum Jahr 2642 durch, würde sich der Umzug à la Linkspartei rechnen. Rückt die EZB aber noch vor dem Jahr 2550 von der Nullzinspolitik ab, sind allein schon die Zinsen für die Umzugskosten höher als die Ausgaben für die Arbeitsteilung. Der Umzug wird sich also nie rechnen. Das haben alle verstanden, nur die Linkspartei nicht. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU/CSU darauf geeinigt, dass Bonn zweites politisches Zentrum bleibt, so wie es das Berlin/Bonn-Gesetz vorsieht. Die Linkspartei dagegen will – so hat Frau Karawanskij bei der Einbringung des Antrags gesagt – „die Bonner Republik in den Ruhestand … schicken“. Bonner Republik, das steht für erfolgreiche Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat, soziale Verantwortung, Ausgleich der Interessen. Diese Errungenschaften werden wir nicht in den Ruhestand schicken. Diese Erfahrung wollen wir für die Politikbereiche nutzen, in denen sich Bonn zum Kompetenzzentrum Deutschlands entwickelt hat. Deswegen lehnen wir den Antrag der Linkspartei ab. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) Meine Fraktion bringt heute einen Antrag in den Bundestag ein, der die Bundesregierung auffordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit welchem das 1994 geschlossene Berlin/Bonn-Gesetz beendet werden soll. Ich stamme selbst aus dieser Region und vertrete den Rhein-Sieg-Kreis, den ein solches Gesetz unmittelbar und nachteilig betreffen würde. Ich kann diesem Antrag daher nicht mit gutem Gewissen zustimmen und werde es daher auch nicht tun. Diese Entscheidung möchte ich wie folgt begründen: Mit der Verlegung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin sind Tausende von qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen aus der Region Bonn nach Berlin verlagert worden. Die dafür erfolgten Ausgleichsleistungen waren gut angelegt, sie trugen dazu bei, einen Abstieg der Region zu verhindern. Nun ist seit Jahren zu beobachten, dass auch die verbliebenen 50 Prozent der Arbeitsplätze Stück für Stück nach Berlin abwandern. Dieser Trend wird auch von der Bundesregierung und allen Parteien massiv vorangetrieben. Ein Komplettumzug ist in Planung und aller Voraussicht nach auch nicht mehr zu verhindern. Die Menschen vor Ort werden aller Voraussicht nach die Leidtragenden sein, wenn nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, die den Umzug für die Region sozialverträglich gestalten. Da der Komplettumzug in absehbarer Zeit unumgänglich ist, beharre auch ich nicht, wie viele Abgeordnete der Region aus den anderen Fraktionen, auf Einhaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes – es wurde sowieso schon in mehreren tausend Fällen gebrochen –, sondern darauf, dass dieser Umzug sozialverträglich, sowohl gegenüber der Region, als auch gegenüber den direkt Betroffenen, gestaltet wird. Es muss nun geprüft werden, welche Projekte geeignet wären, um den in den letzten Jahren bereits vollzogenen und den anstehenden Arbeitsplatzverlust in der Region aufzufangen. Über die Finanzierung und weitere Ausgleichszahlungen für die Region muss mit dem Bund verhandelt werden. Letztendlich hat der Bund den Menschen der Region mit dem Berlin/Bonn-Gesetz zur damaligen Zeit ein Versprechen gemacht, sie mit den negativen Auswirkungen des Umzuges nicht allein zu lassen. Wenn man nun offenbar beschließt, sich nicht weiter an das eigene Gesetz zu halten, dann hat dies nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern stellt für die vor Ort betroffenen Menschen auch einen herben Vertrauensbruch demokratischer Werte da. Daher ist es umso wichtiger, jetzt schnellstmöglich über adäquate Ausgleichzahlungen zu verhandeln. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 17) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Gerichtsverhandlungen sind öffentlich. Der Rechtsstaat will jedem Bürger die Gelegenheit geben, sich vom Funktionieren rechtsstaatlicher Mechanismen zu überzeugen. Ton- und Fernsehaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung sind bereits seit 1964 unzulässig. Damals hatte man Liveübertragungen sicher noch nicht so sehr im Fokus. Es sollte vielmehr kein öffentliches An-den-Pranger-Stellen geben, zumal natürlich Ton- und Fernsehaufnahmen auch das Verhalten von Richtern, Anwälten, Parteien, Zeugen und Beschuldigten beeinflussen können. Andererseits haben sich bis heute die technischen Möglichkeiten verändert – zumal nicht wegzudiskutieren ist, dass bestimmte Prozesse durchaus von einer Bedeutung sein können, die es rechtfertigt, die Medienöffentlichkeit zu erweitern. Ich freue mich deshalb, dass der vorliegende Gesetzentwurf maßvolle Anpassungen in diesem Bereich vornimmt. Im Zeitalter der Internetberichterstattung, von Internetblogs und anderen neuen Kommunikations- und Informationsformen müssen auch für Transparenz und Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren neue Grundsätze gelten. Dennoch müssen diese Änderungen mit Augenmaß vorgenommen werden, denn es geht daneben auch immer noch um die Wahrung der Beschuldigtenrechte. Zudem muss sichergestellt sein, dass Aufzeichnungen aus dem Gerichtsverfahren nicht im Nachhinein neue Anfechtungsgründe generieren. Dieser Herausforderung wird die Neuregelung gerecht. Ich will aber auf keinen Fall an dieser Stelle unterschlagen, dass wir mit dem heutigen Beschluss auch weitere, ganz wesentliche Optimierungen auf den Weg bringen. So schließen wir eine Regelungslücke, die die Kostentragung für das gerichtliche Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung betrifft, wenn Personen mit Sprach- oder Hörbehinderung bei anderen gerichtlichen Verfahren außerhalb des Strafverfahrens eine Sprach- oder Übersetzungshilfe beigeordnet bekommen. Diese Lücke entstand durch die Tatsache, dass im Strafverfahren die Beiordnung einer Sprach- oder Übersetzungshilfe für das gesamte Verfahren vorgesehen ist. In anderen Gerichtsverfahren ist das jedoch nur für die mündliche Verhandlung der Fall. Sie sehen also, insgesamt ist es ein Gesetz, welches das Gerichtsverfassungsgesetz und die StPO zeitgemäß und mit Augenmaß modernisiert. Deshalb bitte ich um Zustimmung. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Die Demokratie – zum Beispiel auch der Deutsche Bundestag – hat ein elementares Interesse, ihre Entscheidungen bürgernah und aktuell einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Transparenz und öffentliche Berichterstattung sind für die Wahrnehmung der Rechtsstaatlichkeit in unserem demokratischen Gemeinwesen herausragend wichtig. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen der Judikative verstehen, wenn Hintergründe, Abläufe und tragende Gründe der Entscheidung erklärt werden, nur wenn über sie berichtet wird, besteht die Chance, aber auch die Erwartung, diese Entscheidungen zu akzeptieren, bis hin zu deren Umsetzung auf allen sie betreffenden Ebenen. Schon heute sind an den obersten deutschen Bundesgerichten zahlreiche Journalisten akkreditiert. Pressesprecherinnen und Pressesprecher der Gerichte erklären die getroffenen Entscheidungen und stehen den Medienvertretern zur Verfügung. Und auch die Onlineangebote unserer Gerichte haben in den letzten Jahren deutlich aufgeholt. Das zeigt: Die Notwendigkeit, das Bedürfnis, komplexere Angebote zuzulassen, ist immanent. Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung von Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte kommen wir dieser Notwendigkeit nach. Im Kern geht es dabei darum, die Abläufe an unseren obersten Bundesgerichten an die Praxis des Bundesverfassungsgerichtes anzugleichen. Das vorliegende Gesetz sieht hierfür eine Reform der §§ 169 und 186 Gerichtsverfassungsgesetz sowie eine Neufassung des §§ 17a Bundesverfassungsgerichtsgesetz vor. Damit werden die strengen Regelungen, die seit 1964 für Fernsehübertragungen in Gerichtssälen gelten, gelockert. Mit Blick auf eine erweiterte Medienöffentlichkeit wollen wir das durch folgende Maßnahmen erreichen: Erstens. In § 169 Absatz 1 Gerichtsverfassungsgesetz werden wir die Möglichkeit schaffen, Tonübertragungen der mündlichen Verhandlung sowie der Urteilsverkündung in einen Nebenraum für Medienvertreter zu ermöglichen. Ausgestaltet wird diese Regelung als Ermessensentscheidung des zuständigen Gerichtes. Auch ein Untersagen der Tonübertragung wird ermöglicht, sollte dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen von Beteiligten oder Dritten angezeigt sein. Zweitens. § 169 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz sieht darüber hinaus vor, Tonaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Entscheidungsverkündung zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken zu ermöglichen. Gelten wird dies ausschließlich für Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Auch hier gibt es eine Ermessensentscheidung des zuständigen Gerichts. Die Aufnahmen dürfen nicht zur Akte genommen und auch nicht herausgegeben oder zu Verfahrenszwecken genutzt werden. Außerdem müssen sie nach Verfahrensabschluss dem zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme angeboten werden. Diese entscheiden dann, ob den Aufnahmen bleibenden Wert zukommt oder ob sie vom Gericht zu löschen sind. Drittens. Schließlich ermöglicht § 169 Absatz 3 Gerichtsverfassungsgesetz die Übertragung von Entscheidungsverkündungen an den obersten Bundesgerichten im Fernsehen oder Hörfunk. Auch hier gelten entsprechende, gegebenenfalls einschränkende Ermessensentscheidungen des jeweiligen Gerichts. Durch dieses Bündel an Maßnahmen erweitern wir die Medienöffentlichkeit deutlich. Wir verlieren in diesem Zusammenhang nicht aus dem Auge, dass ein Gerichtsverfahren eine höchst sensible Angelegenheit ist und bleibt. Abzuwägen war und ist das öffentliche Interesse gegen gewichtige Persönlichkeitsrechte von Beteiligten oder Dritten. In der Praxis wird beispielsweise zu prüfen sein, ob sich der Charakter einer Verhandlung ändert, wenn die Kamera mitläuft. Darüber hinaus müssen wir zu 100 Prozent ausschließen, dass es zu einem Missbrauch der gefertigten Archivaufzeichnungen kommt. Außerdem sollten und werden wir die Bundesländer ermutigen, die entsprechenden Landesarchivgesetze anzupassen. Gerade mit Blick auf die besondere Sensibilität der zu archivierenden Aufnahmen kann ein Flickenteppich unterschiedlicher Bestimmungen nicht in unserem Interesse sein. Wie bereits eingangs angedeutet, zielt das vorliegende Gesetz jedoch nicht ausschließlich auf eine Erweiterung der Medienöffentlichkeit. Auch beim Thema Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte setzen wir ein klares Zeichen. In § 186 Gerichtsverfassungsgesetz stärken wir den barrierefreien Zugang zu Gerichtsverfahren. Wir erweitern die Leistungen für hör- und sprachbehinderte Menschen, die nach jetziger Rechtslage Gebärdensprachdolmetscher zwar im gesamten Strafverfahren, in allen anderen Verfahren jedoch nur im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Anspruch nehmen können. Künftig soll eine Beiordnung von Kommunikationshilfen auch in den übrigen gerichtlichen Verfahren möglich sein. In Sachen Bürgernähe und Transparenz geben wir unseren obersten Bundesgerichten damit Instrumente an die Hand, die eine Medienöffentlichkeit und einen barrierefreien Zugang auf der Höhe der Zeit sicherstellen. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung. Dr. Matthias Bartke (SPD): Vor kurzem ist bei der ARD eine neue Serie gestartet: Die Sofa-Richter. Privatpersonen sitzen bei sich zu Hause auf der Couch und diskutieren über Rechtsfragen mitten aus dem Leben. Der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam ordnet die Argumente und löst auf, wie die Gerichte wirklich entschieden haben. Die Sendung will den Zuschauern Recht und Justiz näherbringen. Ob die Gerichtsshows auf den Privatsendern ebenfalls dieses Motiv verfolgen, sei mal dahingestellt. Fakt ist aber, dass diese Gerichtsshows bisher im ganz besonderen Maße unser Bild von Gerichten geprägt haben. In den letzten Jahren sind Stimmen laut geworden, die behaupten, den „wahren Willen“ des Volkes zu vertreten. Gleichzeitig beobachten wir eine gefährliche Tendenz, etablierte Institutionen zu verachten. Es ist aktuell deswegen ganz besonders wichtig, unsere Gerichte sichtbar zu machen. Gerichtsurteile, die eben nicht nur individuelle Gerechtigkeit schaffen, sondern für die Allgemeinheit von Belang sind, müssen kommuniziert werden. Dafür schafft der vorliegende Gesetzentwurf die notwendigen moderaten Öffnungen. Verkündungen von Entscheidungen der obersten Bundesgerichte sollen in den Medien übertragen werden können. Dieser Vorschlag ist durchaus auf Skepsis gestoßen. Ich teile diese Skepsis nicht. Die Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts können schon seit 1998 übertragen werden. Es würde wohl niemand so weit gehen, hier von Clowns und Showmastern zu sprechen. Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht genießt zu Recht hohes Ansehen. Die Praxis der Fernsehübertragungen hat dazu beigetragen. Auch die oberste Bundesjustiz muss sich nicht verstecken. Schon heute bereiten sich die Vorsitzenden auf die Urteilsverkündungen wichtiger Verfahren akribisch vor. Sie wissen schließlich, dass vor ihnen die Presse sitzt und jedes einzelne Wort mitschreibt. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass mündliche Verhandlungen und die Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter übertragen werden können. Den Bedarf für diese Regelung hat nicht zuletzt der NSU-Prozess mehr als deutlich gemacht. Nach viel Hin und Her sind die Medienplätze damals verlost worden. Und selbst damit war keine zufriedenstellende Lösung gefunden. Mit der Übertragung in den Medienraum stehen nach Bedarf zusätzliche Plätze für Journalisten zur Verfügung. In der Richterschaft gab es in Bezug auf diese Regelung anfänglich Bedenken. Ich denke, die haben wir aus dem Weg räumen können. Ein Urteil kann nicht aufgehoben werden, weil im Nebenraum etwas nicht richtig funktioniert hat. Und auch die Vorsitzenden werden nicht abgelenkt sein; denn im Nebenraum ist die Justizverwaltung für die Organisation zuständig. Insofern konzentrierte sich unsere parlamentarische Arbeit besonders auf eine weitere Neuregelung. Der Gesetzentwurf sah vor, dass Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung in Ton und Bild dokumentiert werden können – wohlgemerkt nur für wissenschaftliche und historische Zwecke. Wir haben uns geeinigt, dass doch nur Tonaufnahmen möglich sein sollen; Bildmaterial entsteht also keines. Wir haben auch noch mal klargestellt, dass die Tonaufnahmen für kein Gerichtsverfahren verwertet werden dürfen. Die Persönlichkeitsrechte werden damit gewahrt und die Wahrheitsfindung nicht beeinflusst. Die vorgesehene Öffnung ist weit von einem Dammbruch entfernt und ganz klar im Interesse des Rechtsstaats. Wir sollten es nicht den Sofarichtern und überzogenen Gerichtsshows überlassen, Akzeptanz für unsere Justiz zu schaffen. Dr. Johannes Fechner (SPD): Ich freue mich, dass wir heute mit dem Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren einen wichtigen und richtigen Schritt zu mehr Transparenz in der Justiz gehen. Wir wollen, dass die Urteile der obersten deutschen Gerichte auch bei den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar und direkt ankommen. Diese Urteile haben oft weitreichende Auswirkungen. Deshalb ist es wichtig, dass eine schnelle und unmittelbare Information über die Rechtsprechung nunmehr erfolgen kann und somit mehr Transparenz und Bürgernähe entsteht. Mit Inkrafttreten des Gesetzes ist es möglich, dass Urteilsverkündungen der Bundesgerichte live aufgezeichnet und übertragen werden, so wie dies beim Bundesverfassungsgericht schon heute möglich ist. Ebenso wird es nun möglich sein, dass bei zeitgeschichtlich herausragenden Gerichtsverfahren Tonaufnahmen angefertigt werden, um als Dokumentationsgrundlage für die wissenschaftliche und historische Aufarbeitung zur Verfügung zu stehen. Dabei hat die SPD-Fraktion gegen viel Widerstand in den parlamentarischen Verhandlungen zumindest die Tonaufzeichnungen durchgesetzt. Viele Kritiker des Gesetzes hatten die Befürchtung, dass durch TV- bzw. Filmaufzeichnungen, sei es live oder zur Dokumentation, die Wahrheitsfindung gestört werden könnte sowie die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten und die Rechte des Beschuldigten auf ein faires Verfahren verletzt werden könnten. Wir haben im parlamentarischen Verfahren darauf besonders geachtet und sind deshalb zu dem Schluss gekommen, dass wir bei der – dauerhaften – Aufzeichnung während der gesamten Verhandlung zu historischen und wissenschaftlichen Zwecken noch einmal nachbessern und dass nur Tonaufzeichnungen zugelassen werden sollten. Im Hinblick auf die Urteilsverkündung sehen wir die Persönlichkeitsrechte bei TV- bzw. Filmaufzeichnungen gewahrt. Denn zum einen sind Richter der Bundesgerichte bereits erfahren im Umgang mit den Medien und mit dem Publikum vertraut; denn ein solches gibt es ja in der Regel bei Urteilsverkündungen. Zum anderen sind die Verfahren bei Aufzeichnung bzw. Übertragung des Urteils ja bereits abgeschlossen, sodass die Wahrheitsfindung und auch der Prozessablauf nicht gestört und die Rechte der Beteiligten berücksichtigt werden. Dass es hier nicht um Fernsehgerichte à la Barbara Salesch geht, sollte allen klar sein. Denn das Gericht legt selbst fest, ob und wie eine Urteilsverkündung übertragen werden kann und wann ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung vorliegt. Und ein Kachelmann-Prozess dürfte meines Erachtens deshalb auch nicht unter den Begriff des Verfahrens von herausragender geschichtlicher Bedeutung fallen. Wir schaffen mit dem Gesetz eine moderate Öffnung für die Medienöffentlichkeit der Gerichtsverfahren von Bundesgerichten, die sich auch bereits seit 1998 beim Bundesverfassungsgericht bewährt hat. Entgegen vieler Befürchtungen ist nicht eine der übertragenen Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts bei der heute-show oder bei YouTube gelandet – und das entgegen vieler Befürchtungen im Vorfeld! Wir wollen erreichen, dass die Justiz stärker bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt und ein Bewusstsein für unseren Rechtsstaat geschaffen wird. Der Gesetzentwurf schafft auch eine Lösung für die überfüllten Gerichtssäle, weil nunmehr die Tonübertragung in einen Nebenraum für Medienvertreter vom Gericht zugelassen werden kann. Wichtig ist uns auch, noch einmal klarzustellen, dass der Gesetzentwurf einen barrierefreien Zugang zu Gerichtsverfahren regelt. Dazu soll die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern oder anderen geeigneten Kommunikationshilfen in gerichtlichen Verfahren für Personen mit Sprach- und Hörbehinderungen besser verankert werden. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir beschließen heute ein Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen. Seit 1964 gibt es in der Bundesrepublik ein Verbot von Ton- und Fernseh- sowie Rundfunkaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung. Paragraf 169 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes, GVG, erklärt dies für unzulässig. Dieses Verbot wird heute vielfach kritisch hinterfragt, und das zu Recht. Die Entwicklung der Rechtsprechung und die Veränderung der Verbreitung von Nachrichten in den Medien haben die Diskussion verstärkt, ob das strikte gesetzliche Verbot von Bild- und Tonübertragungen angesichts der technischen und gesellschaftlichen Veränderungen insgesamt noch zeitgemäß ist. Der heute zu beschließende Gesetzentwurf dient dazu, mit geeigneten Maßnahmen wenigstens eine moderate Lockerung des bisherigen Verbots der Medienübertragung aus der Gerichtsverhandlung zu erzielen. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Ergänzung des § 169 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG, sowie um Folgeänderungen. Schließlich sollen mit dem Gesetz Verbesserungen für Personen mit Sprach- und Hörbehinderungen zur barrierefreien Zugänglichmachung des Gerichtsverfahrens, bei der Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern oder anderen geeigneten Kommunikationshilfen in gerichtlichen Verfahren gesetzlich verankert werden. Für Die Linke bleibt es ein Grundprinzip, dass Gerichtsverfahren in der Öffentlichkeit, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden. Die geplanten Änderungen des § 169 GVG tragen dem Rechnung. Sie sind moderat und verfolgen lediglich das Ziel, die Gerichtsverfahren in der Öffentlichkeit besser wahrnehmbar zu machen. Dass es dafür ein hohes gesellschaftliches Interesse gibt, hat beispielsweise das große Medieninteresse und gesellschaftliche Interesse an den NSU-Prozessen gezeigt. Einer medialen Massenverwertung wird durch die geplanten Änderungen des § 169 GVG aber nicht Tür und Tor geöffnet. Und das ist gut so. Gegen eine ausschließliche Übertragung von Urteilen oberster Bundesgerichte durch die Medien ist nichts einzuwenden. So werden auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bereits jetzt von den Medien übertragen, ohne dass dies die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts bislang gefährdet hätte oder das Bundesverfassungsgericht zu einer Showbühne verkommen wäre. Auch gegen eine gerichtsinterne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse, das heißt eine Einrichtung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter in demselben Gerichtsgebäude, ist nichts einzuwenden. Der NSU-Prozess in München hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass das Medieninteresse durchaus – und berechtigterweise – beträchtlich sein kann. Um zu vermeiden, dass Teile der interessierten Öffentlichkeit ausgeschlossen werden – zum Beispiel bei Losverfahren, wie sie beim Landgericht München im NSU-Prozess praktiziert wurden –, ist die gerichtsinterne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse ein legitimer Weg. Der Ermöglichung audiovisueller Dokumentationen von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung besitzen, kann nur dann zugestimmt werden, wenn dies in engen Grenzen erfolgt. Denn eine audiovisuelle Aufzeichnung des gesamten Prozessverlaufes kann durchaus Auswirkungen auf das prozessuale Verhalten von Verfahrensbeteiligten haben. Daher ist es unabdingbar, genau zu definieren, wann eine „herausragende geschichtliche Bedeutung“ zu bejahen ist und von wem sowie wofür genau die Aufzeichnungen verwendet werden dürfen. Die Änderungen, die von den Koalitionsfraktionen im Rahmen der Beratungen des Rechtsausschusses eingebracht worden sind, bringen keine genauere Definition, als bei der ersten Lesung bereits kritisiert. Alles in allem geht das Gesetz aber in die richtige Richtung. Meine Fraktion wird deshalb zustimmen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf will eine Öffnung der Gerichtsverfahren gegenüber Öffentlichkeit und Presse bewirken. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden – solange die Rechte der Verfahrensbeteiligten und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und der Gerichte gewahrt bleiben. Da dies nach unserer Einschätzung der Fall ist, werden wir diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben. Die Umsetzung und die Auswirkungen werden wir trotzdem genau beobachten müssen, um gegebenenfalls nachzusteuern. Letztlich wird es im Einzelfall vor allem Aufgabe der Gerichte und natürlich auch der Medienvertreter sein, die Regelungen verantwortungsvoll umzusetzen und einen rücksichtsvollen Umgang mit den neu eingeräumten Möglichkeiten zu etablieren. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Justiz durch dieses Gesetz in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen und Wert geschätzt werden würde. Denn die Wertschätzung der dritten Gewalt könnte in unserer Republik durchaus höher sein. Viele halten den funktionierenden Rechtsstaat irrigerweise für eine Selbstverständlichkeit, obwohl wir derzeit in anderen Ländern sehen, wie schnell es damit vorbei sein kann. Mehr Wertschätzung tut also not. Dazu dürfte dieses Gesetz zwar nur einen sehr begrenzten Beitrag leisten, aber es könnte immerhin ein Signal sein. Es gibt aber auch noch einige Kritikpunkte, die nicht ganz unerheblich sind. So soll bei Prozessen mit zeitgeschichtlicher Bedeutung zwar eine Dokumentation erfolgen, diese darf aber eben gerade nicht zu Beweiszwecken dienen. Das ist nicht ganz so trivial. Die Verlockung, Film- oder Tonaufnahmen im Zweifelsfall auch für Beweiszwecke heranzuziehen, wenn sie denn erst einmal in der Welt sind, liegt auf der Hand. Außerdem kritisiert der Deutsche Richterbund, dass eine solche Dokumentation eine weitere Belastung für große und bedeutsame Verfahren darstellen könne. Der eigentliche Zweck der Strafverfahren, nämlich die individuelle Schuldfeststellung, laufe so nämlich Gefahr, durch andere Interessen überlagert zu werden. In jedem Fall muss dafür Sorge getragen werden, dass die Dokumentation nicht dazu dient, dass sich die Prozessbeteiligten eine Plattform verschaffen oder Zeugen durch Kameras oder Mikrofone noch weiter eingeschüchtert werden. Es ist daher sinnvoll, dass die Dokumentation für wissenschaftliche und historische Zwecke aufgrund Ihres Änderungsantrages nur noch auf Tonaufnahmen beschränkt sein soll und keine Filmaufnahmen angefertigt werden. Die öffentliche Anhörung zu dem Thema hat gezeigt, dass sowohl die Richterschaft als auch die Anwaltschaft ihre anfängliche Skepsis gegenüber dem Gesetzentwurf inzwischen überwiegend abgelegt haben. Letztlich sind es diese Berufsgruppen, die mit der Umsetzung der Regelungen maßgeblich befasst sein werden. Insofern ist es unerlässlich, dass solche Neuerungen nicht gegen sie, sondern mit ihnen umgesetzt werden. Eines möchte ich jedoch noch anmerken: Der Verlockung, Tonaufnahmen bei historischen Prozessen zu Beweiszwecken zu verwenden, kann auf einfachem Wege abgeholfen werden. Die Einführung von Wortprotokollen in sämtlichen Strafverfahren würde helfen, die Beweisführung in jedem Stadium des Verfahrens besser nachvollziehbar und nachprüfbar zu machen. Potenzielle Fehlerquellen würden dadurch – gerade bei langen Hauptverfahren – ausgemerzt. Der Beweisstoff könnte so umfassend gesichert und nachträglicher Streit – zum Beispiel über den Inhalt von Aussagen – vermieden werden. Dank moderner Übertragungssysteme und moderner Technik bedeutet die Anfertigung solcher Aufzeichnungen und Wortprotokolle auch keinen unangemessenen Personalaufwand oder hohe Kosten. Es gäbe damit nicht nur mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, sondern vor allem auch innerhalb des Strafverfahrens. Für Zivilrechtler wie mich ist es ohnehin nie verständlich gewesen, warum ausgerechnet im Strafrecht, wo es am Ende um den stärksten Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte des Bürgers geht, auf ein Wortprotokoll verzichtet wird. Hier gibt es also noch Handlungsbedarf für die nächste Legislatur. Und wo wir schon einmal beim Thema Transparenz sind: Wäre es nicht schön, wenn wir nicht nur für mehr Transparenz in der Justiz, sondern auch im Bundestag sorgen würden? Das Live-Streaming öffentlicher Anhörungen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wird von den Koalitionsfraktionen ausnahmslos abgelehnt. Da kann man sich in Sachen Transparenz doch zukünftig von den Gerichten eine Scheibe abschneiden. Für heute begnügen wir uns mit der Stärkung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes. Das Bundesarbeitsgericht stellte im Jahre 2016 fest, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifverträge, die dem Sozialkassenverfahren der Baubranche zugrunde liegen, Fehlern unterliegen. Hierbei handelte es sich um die Thematik einer fehlenden Ministerbefassung und um die Thematik der Feststellung der 50-Prozent-Grenze. Diese Gründe sind allgemeiner Natur und beziehen sich daher nicht nur auf das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, sondern im Ergebnis auch auf alle Sozialkassenverfahren aller Branchen bzw. deren Tarifverträge, die ein solches Verfahren eingerichtet haben. Aus diesem Grunde ist es konsequent, auch die Tarifverträge, die den Sozialkassenverfahren in anderen Branchen zugrunde liegen, entsprechend zu heilen und die Formfehler zu beseitigen. Bei den 11 Branchen, die betroffen sind, handelt es sich um das Maler- und Lackiererhandwerk, das Dachdeckerhandwerk, das Gerüstbauerhandwerk, das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk, das Betonsteingewerbe, die Steine- und Erdenindustrie nebst Betonsteinhandwerk und Ziegelindustrie, das Bäckerhandwerk, die Brot- und Backwarenindustrie, das Garten-, Landschafts- und Sportplatzbaugewerbe, die Land- und Forstwirtschaft und die Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen. In § 41 des Gesetzes wird auch die Tariffähigkeit der jeweiligen Branchenverbände angesprochen, und die Tarifverträge werden diesbezüglich für wirksam erklärt. Unabhängig davon, ob nun die hier in Rede stehenden Branchenverbände tatsächlich von dieser Regelung betroffen sind, ist es nunmehr geboten und auch die Pflicht der jeweiligen Branchenverbände, genauestens zu überprüfen, ob ihre Tariffähigkeit sich tatsächlich aus ihren Statuten ergibt und die Tariffähigkeit gerichtsfest ist. Darüber hinaus sind die hier angesprochenen Branchen auch in der Verpflichtung, bestehende Abgrenzungsprobleme zwischen ihnen zu beheben. Hier stehen die Branchen und die entsprechenden Verbände in meinen Augen nun in der Pflicht. Auch in den hier genannten Branchen gibt es ähnliche Abgrenzungsprobleme, die jeweils andersartig ausgestaltet sind. Hier erwarte ich nun einvernehmliche Lösungen, die allen Branchen gerecht werden. Mit dem heutigen Gesetz nehmen wir auch eine Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes in § 98 Absatz 6 vor. Dort soll den Sozialkassen die Möglichkeit eröffnet werden, auf Antrag das betroffene Unternehmen zur vorläufigen Leistung der Sozialkassenbeiträge zu verpflichten. Dies gilt für den Fall, dass die Allgemeinverbindlicherklärung in einem anhängigen Rechtsstreit in ihrer Wirksamkeit bestritten wird. In einem solchen Fall ist das Gericht dann gehalten, das Verfahren auszusetzen, bis über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung entschieden worden ist. Dies führt zu einer Verlängerung des Rechtsstreits, bei der die Unternehmen bisher nicht verpflichtet sind, Zahlungen an die Sozialkasse zu leisten. Bevor das Unternehmen jedoch auf Antrag der Sozialkasse durch das Gericht zur vorläufigen Leistung verpflichtet werden kann, ist die Erfolgsaussicht des derzeitigen Sach- und Streitstandes eingehend zu prüfen. Wenn der bisherige Sach- und Streitstand zu der Erkenntnis führt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung offensichtlich unwirksam ist, oder der Unternehmer glaubhaft macht, dass die vorläufige Leistungspflicht ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, so unterbleibt die Anordnung, und der genannte Antrag ist abzulehnen. Überdies kann eine solche Zahlungsanordnung nur dann erfolgen, wenn alle weiteren anspruchsbegründenden Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, so auch der betriebliche Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags bezogen auf das betroffene Unternehmen geklärt ist. Es müssen quasi zunächst einmal alle Voraussetzungen zur Anspruchsbegründung vorliegen, bevor die vorläufige Zahlungsanordnung durch das Gericht gegenüber dem Unternehmen verfügt werden kann. Ob die Rechtsgrundlage, auf der das Unternehmen durch eine Sozialkasse in Anspruch genommen wird, also überhaupt rechtswirksam ist, wird erst ganz zum Schluss überprüft. Währenddessen soll allerdings schon eine vorläufige Zahlungsverpflichtung des Unternehmens gegenüber der Sozialkasse möglich sein. Diese Regelung stellt eine Abkehr vom bisherigen Grundsatz dar, dass eine Zahlung erst dann erfolgen muss, wenn auch ein entsprechender Titel (zum Beispiel Urteil) vorliegt. Daher ist hier auch sehr deutlich zu betonen, dass diese Ausnahmeregelung lediglich für die hier genannten Fälle gelten kann und nicht darüber hinaus bzw. nicht erweitert werden kann und darf. Aufgrund dieser Besonderheit ist mit einem solchen Antrag sehr sorgsam umzugehen. Hier ist der Gesetzgeber gehalten, die Entwicklung aufmerksam zu beobachten und gegebenenfalls entstehenden Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Darüber hinaus sind die Sozialkassen in solchen Fällen auch verpflichtet, Rückstellungen zu bilden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen das von ihnen gezahlte Geld an die Sozialkasse sofort zurückerhalten, wenn sie das Verfahren im Ergebnis doch gewonnen haben. In diesem Fall hätten sie zu Unrecht gezahlt und haben damit auch ein Recht darauf, das Geld unverzüglich zurückzubekommen. Außerdem dürfen sich die Sozialkassen in diesem Fall auch nicht auf die Einrede der Entreicherung berufen. Wenn sie also aufgrund der erhaltenen Zahlungen durch die Unternehmen Zahlungen an Dritte geleistet haben, zum Beispiel an die Arbeitnehmer des Unternehmens, dann trägt die Sozialkasse das Risiko, diese Beträge trotzdem an das Unternehmen zurückzuzahlen. Da die Abwicklung bzw. Rückabwicklung eines derartigen Falles sehr aufwendig und kompliziert sein wird, ist hier den Sozialkassen zu raten, sehr behutsam und sorgsam mit den Möglichkeiten aus dem neuen § 98 Absatz 6 ArbGG umzugehen. Da diese Regelung eine Besonderheit ist, wird im neuen § 113 ArbGG geregelt, dass die Bundesregierung sie drei Jahre nach Inkrafttreten auf den Prüfstand zu stellen hat. Die Auswirkungen sollen durch die Bundesregierung überprüft werden, und es soll eine Einschätzung abgegeben werden, ob an dieser Regelung in § 98 Absatz 6 Satz 2 ArbGG weiter festgehalten werden soll. Ich hoffe sehr, dass sich bis dahin die Situation um die Sozialkassen beruhigt hat. Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, die Entwicklungen im Rahmen der Gesamtsituation um die Sozialkassen herum aufmerksam zu verfolgen. Zum einen muss beobachtet werden, wie sich die Gesetzesänderungen ausgewirkt haben. Zum anderen muss allerdings auch beobachtet werden, ob die Aufgaben, die die Branchen und Verbände aus dem gesamten Verfahren heraus noch zu erfüllen haben, auch tatsächlich erledigt und erfüllt worden sind. Damit spreche ich die Tariffähigkeit der Branchen an. Hier müssen die Satzungen entsprechend überarbeitet werden, und die Verbände müssen ihren Aufgaben nachkommen. Es wäre dem Gesetzgeber sicherlich schwer zu vermitteln, dass er zukünftig noch einmal tätig werden müsste, um Versäumnisse an dieser Stelle zu reparieren. Der Gesetzgeber ist durch sein Handeln in Vorleistung getreten. Nun sind alle Betroffenen in der Pflicht, ihre noch ausstehenden Aufgaben zu erfüllen. Ergänzend dazu sind die Abgrenzungsschwierigkeiten zu regeln. Daher müssen hier Branchenabsprachen getroffen werden. Insbesondere muss die Verbändevereinbarung im Rahmen des SokaSiG I umgesetzt werden. Dies sollte in meinen Augen nun zügig und ohne weitere Verzögerungen erfolgen. Wie gesagt: Der Gesetzgeber ist in Vorleistung getreten, in der Erwartung, dass die Branchen nun die ihnen obliegenden Aufgaben und Verabredungen erfüllen. Zur Abgrenzung der Branchenzugehörigkeit von Unternehmen können sicherlich Konsultationsverfahren helfen. Diese sollten hier auch über die bisherigen Absprachen hinaus eingerichtet werden. Letztlich sollten die Sozialkassen ihre Herangehensweise in jedem Einzelfall auf den Prüfstand stellen. Dabei sollte auch immer berücksichtigt werden, dass die Sozialkassen keine staatlichen, sondern private, von den Tarifpartnern gegründete Einrichtungen sind. Ich persönlich werde die Entwicklungen jedenfalls aufmerksam verfolgen und mir auch als Teil der Gesetzgebung erlauben, zu gegebener Zeit Nachfragen zu stellen. Tobias Zech (CDU/CSU): Am 21. September 2016 und 25. Januar 2017 traf das Bundesarbeitsgericht Entscheidungen mit weitreichenden Folgen: Die Allgemeinverbindlicherklärung für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe wurde aufgrund der fehlenden Ministererklärung sowie mangels Erfüllung des 50-Prozent-Quorums für ungültig befunden. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass viele Unternehmen des Baugewerbes ihre Zahlungen an die Sozialkassen einstellten und Rückzahlungen forderten, sondern stellte ebenfalls die Gültigkeit der Allgemeinverbindlichkeit weiterer Sozialkassenverfahren infrage. Im Januar haben wir dementsprechend bereits aufgrund der großen Dringlichkeit das Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz im Baugewerbe verabschiedet und die SOKA-BAU vor einer möglichen Insolvenz geschützt. In der Konsequenz befassen wir uns nun mit den Sozialkassenverfahren elf weiterer Branchen, die infolge der BAG-Urteile zum Teil in ihrer Existenz bedroht werden bzw. werden könnten. Konkret handelt es sich um das Maler- und Lackiererhandwerk, das Dachdeckerhandwerk, das Gerüstbauerhandwerk, das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk, das Betonsteingewerbe, die Steine- und Erdenindustrie nebst Betonsteinhandwerk und Ziegelindustrie, das Bäckerhandwerk, die Brot- und Backwarenindustrie, den Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, die Land- und Forstwirtschaft, die Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen. Für diese Sozialkassen besteht also zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rechtssicherheit. Mit dem Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz II schaffen wir eine eigenständige Rechtsgrundlage für Beitragseinzug und Leistungsgewährung: Die nach § 5 TVG in der bis zum 15. August 2014 geltenden Fassung für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, die den Sozialkassenverfahren zugrunde liegen, werden beginnend mit dem 1. Januar 2006 kraft Gesetzes mittels statischer Verweisung für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet. Insofern handelt es sich also um ein Gesetz mit temporärer Wirkung. Die Bedeutung der Sozialkassen ist nicht zu unterschätzen. Sie entstanden innerhalb der vergangenen 70 Jahre aufgrund branchenspezifischer Besonderheiten zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So leisten sie für ihre Branchen wichtige Beiträge im Bereich der Aus- und Weiterbildung sowie der Altersvorsorge und sorgen beispielsweise in Branchen mit witterungsbedingter Beschäftigungslosigkeit für konstante Einkommen. Neben der Sicherstellung guter Beschäftigungsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitiert auch der Wirtschaftsstandort Deutschland von den hohen Qualitätsstandards, die die Unternehmen durch die branchenweit finanzierten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten wahren können. Durch die Allgemeinverbindlicherklärungen werden diese Leistungen jeweils von der gesamten Branche getragen. Dies steht nicht zuletzt auch im öffentlichen Interesse. Trotz meiner Unterstützung für dieses Gesetz ist es mir wichtig, zwei Dinge zu betonen: Erstens stellt das Mittel der Allgemeinverbindlichkeit immer einen gesetzgeberischen Eingriff in die Tarifautonomie dar. Die Tarifautonomie ist ein wichtiger Grundpfeiler unseres wirtschaftlichen Erfolgs. Sie ist schützenswert. Der Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit muss immer im öffentlichen Interesse stehen und entsprechend ausgiebiger Prüfung unterliegen. Zweitens sollte allen bewusst sein, dass es sich bei dem Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz II um einen Sonderfall handelt, der dem für alle Beteiligten überraschenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts sowie der sozialpolitischen Relevanz der Sozialkassen geschuldet ist. Ich bin froh, dass wir weitere negative Konsequenzen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der entsprechenden Branchen abwenden konnten. Sie können sich aber auch darauf verlassen, dass wir uns den Bericht der Bundesregierung, zu dem dieses Gesetz verpflichtet, genau ansehen werden. Bernd Rützel (SPD): Im Dezember letzten Jahres und im Januar dieses Jahres haben wir hier über die Rettung der Sozialkassen des Bauhauptgewerbes gesprochen. Schon damals waren wir uns einig, wie wichtig die Sicherung der Sozialkassen ist. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass wir dabei über alle Fraktionsgrenzen hinweg für die Sicherung der Sozialkassen gestimmt haben. Heute stimmen wir über ein ebenso wichtiges Vorhaben ab. Diesmal geht es um die gemeinsamen Einrichtungen von insgesamt 12 Branchen: – im Maler- und Lackiererhandwerk – im Dachdeckerhandwerk – im Gerüstbauerhandwerk – im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk – im Betonsteingewerbe – in der Steine- und Erdenindustrie – im Betonsteinhandwerk und in der Ziegelindustrie – im Bäckerhandwerk – in der Brot- und Backwarenindustrie – im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau – in der Land- und Forstwirtschaft sowie – für Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen. Durch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sind auch ihre gemeinsamen Einrichtungen nun bedroht. Ich möchte noch einmal herausstellen: Das Bundesarbeitsgericht hat in seinen Urteilen nicht das Sozialkassenverfahren in Abrede gestellt. Es hat lediglich Formfehler beanstandet. Und diese korrigieren wir nun. Wir werden nicht zulassen, dass den Sozialkassen aus formalen Gründen nachträglich der Boden entzogen wird. Mit dem Gesetz treten wir rechtssicher und belastbar den Bedenken des Bundesarbeitsgerichts entgegen. Die Sozialkassenverfahren erhalten damit die größtmögliche demokratische Legitimation. Das wurde uns auch in der Anhörung am Montag von zahlreichen Sachverständigen bestätigt. Nun hat sich in diesem Gesetzgebungsverfahren ein neues Problem gezeigt: Viele Unternehmen verweigern den Sozialkassen die Beitragszahlungen. Die Klagen, die von den Sozialkassen dagegen erhoben werden, werden vom Arbeitsgericht nun häufig ausgesetzt. In dieser Zeit erhalten die Sozialkassen also nicht die ausstehenden Beitragszahlungen. Sie benötigen diese Zahlungen aber dringend, weil sie ja auch weiterhin ihre Leistungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen. Bisher hatte die Kasse in dieser Situation keine Möglichkeit, die ausstehenden Beiträge einzuklagen. Das ändern wir nun mit diesem Gesetz. Werden Beitragsklagen der Sozialkassen ausgesetzt, sollen die Sozialkassen künftig die Schuldner gerichtlich zu einer vorläufigen Leistung verpflichten können. Neben der Zahlungsfähigkeit der Sozialkassen stellen wir auf diese Weise auch sicher, dass Betriebe nicht Jahre später, wenn die Zahlungsverpflichtung wieder – und natürlich auch nachträglich – gilt, insolvent sind oder dass sie aufgrund der Forderungen einem Insolvenzrisiko ausgesetzt sind. Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner darauf geeinigt, diese Regelung in drei Jahren zu überprüfen. Ich bin froh, dass es uns im parlamentarischen Verfahren gelungen ist, klarzustellen, dass sich diese Evaluierung auch auf eventuelle Arbeitnehmeransprüche bezieht. Falls von der Entscheidung über die Wirksamkeit einer AVE auch allgemeine Tarifvereinbarungen betroffen sind, müssen diese auf jeden Fall ebenfalls berücksichtigt werden. Gerade in diesen Branchen – oft Niedriglohnbereiche – sind die Beschäftigten stark davon betroffen, wenn ihre Ansprüche für mehrere Jahre auf die lange Bank geschoben werden. Auch die Ansprüche der Beschäftigten in allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen müssen vorläufig befriedigt werden können. Insgesamt werden wir so den bedeutenden Aufgaben gerecht, die die Sozialkassen in Ausbildung, Altersversorgung und anderem wahrnehmen. Und diese Leistungen müssen dauerhaft auch für Beschäftigte gesichert werden, die nicht tarifgebunden arbeiten. Mit der Allgemeinverbindlicherklärung und mit der gesetzlichen Klarstellung, die wir heute verabschieden, sichern wir die Rechte Hunderttausender Beschäftigter. Sie leisten wichtige Arbeit. Dass sie dies weiterhin tun können – und zwar fair bezahlt, fair behandelt und fair abgesichert –, dafür sorgen wir heute. Das ist Verlässlichkeit. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Die Sozialkassen schaffen für die Beschäftigten in den Branchen, in denen es sie gibt, eine ungeheuer wichtige Sicherheit. Seit 60 Jahren verwalten diese Institutionen Urlaubsentgelte, organisieren die Berufsbildung, sichern Arbeitszeitkonten und Betriebsrenten. Das sind alles sozialpolitische Kernaufgaben, die sonst dem Staat überlassen werden müssten. Ich selbst kenne die Sozialkassen seit Anfang der 70er-Jahre. In vielen Diskussionen in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit schauten wir neidisch auf die guten Ausbildungsvergütungen in der Bauwirtschaft, die damals schon 1 500 DM betrugen. Selbst in der Industrie zu der Zeit undenkbar! Am 21. September letzten Jahres schien dieses Sicherheitsnetz für die Bauindustrie plötzlich wegzufallen. Nach herrschendem Mainstream ist man im Laufe der letzten Jahre nicht mehr so ohne Weiteres bereit, Tarifverträge als ein Element zu akzeptieren, das für alle Beteiligten gleiche Wettbewerbsbedingungen bei Löhnen schafft. Denn einige Unternehmen fochten vor Gericht die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags für das Baugewerbe an und stellten ihre Beitragszahlungen ein. Wegen handwerklicher Fehler erklärte das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlichkeit des Bundesarbeitsministeriums aus den Jahren 2008 bis 2014 für unwirksam. Durch diese Entscheidung kam das ganze Gefälle der sozialen Sicherheit in der Bauindustrie ins Wanken. Denn durch die Allgemeinverbindlichkeit entfalten die Tarifverträge auch für tarifungebundene Beschäftigte und Unternehmen der Baubranche Wirkung. Um zu verhindern, dass die Sozialkassen in wirtschaftliche Bedrängnis kommen, hat der Bundestag am 26. Januar diesen Jahres, mit dem SokaSiG I die Tarifverträge im Baugewerbe rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt. Damit können die Kollegen auf dem Bau wieder ruhig schlafen – und bleibt der hohe soziale Standard im Baugewerbe auch künftig erhalten. Doch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. September 2016 und dem 25. Januar 2017 haben auch weitreichende Folgen für Sozialkassen in anderen Branchen. Im Maler- und Lackiererhandwerk, im Dachdeckerhandwerk, im Gerüstbauerhandwerk, im Erde-, Stein- und Betongewerbe, im Bäckerhandwerk, in der Brot- und Backwarenindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft, für Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen und viele andere mehr gibt es eine ähnliche Problematik wie im Baubereich. Das SokaSiG II soll den Inhalt von möglicherweise unwirksamen, in der Vergangenheit abgeschlossenen Allgemeinverbindlicherklärungen ersetzen. Wie wir in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag erfahren haben, ist die Rückwirkung zulässig. Denn das Bundesverfassungsgericht sieht in den stabilen Arbeitsbedingungen und Sozialversicherungen der abhängig Beschäftigten ein „hervorragend wichtiges Gemeinschaftsgut“. Dieses Gut wäre durch ein Zusammenbrechen der Sozialkassen in den betroffenen Branchen gefährdet. Genauso wie bei der Abstimmung zum SokaSiG I stimmt die Linke dem Gesetzentwurf zu. Der Gesetzgeber hat mit diesen Gesetzen einen Schritt gemacht, der beispielhaft für andere Branchen sein könnte. Die Tarifbindung im Einzelhandel wird immer schlechter. So sind nur noch 30 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Gerade hat die Arbeitgeberseite in den aktuellen Tarifverhandlungen schon mal präventiv erklärt, dass egal, was in den Verhandlungen herauskommt, sie einer Allgemeinverbindlicherklärung nicht zustimmen werde. So geht das nicht. Auch hier ist es im gesellschaftlichen Interesse, dass die Kassiererin bei Lidl oder der Lagerist bei Amazon einen Lohn verdient, von dem man leben kann. Scharfmacher des Arbeitgeberlagers missbrauchen ihr Vetorecht zunehmend, um gleiche und gute Standards einer Branche systematisch zu verhindern. Es ist deswegen überfällig, dass die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert wird. Die Linke will den Arbeitgebern ihr Vetorecht nehmen. Wir fordern die Bundesregierung auf, der Verbandsflucht der Arbeitgeber endlich einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Anfang dieses Jahres musste die Sozialkasse der Bauwirtschaft gesetzlich abgesichert werden. Das war notwendig, weil das Bundesarbeitsgericht den allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag für unwirksam erklärt hat, aber nur aus rein formalen Gründen. Und weil solch ein Urteil „für und gegen jedermann“ wirkt, geht es jetzt weiter. In elf Branchen verweigern mittlerweile Betriebe ihre Beitragszahlungen aufgrund des BAG-Urteils, und deshalb rutschen auch andere Sozialkassen in eine finanzielle Schieflage. Niemand von uns hier macht gerne solche Gesetze – da bin ich mir sicher. Aber die Sozialkassen sind wichtig, und deshalb werden wir Grüne heute dem Gesetz auch zustimmen. Die Sozialkassen sind nicht nur historisch gewachsen – sie sind auch politisch erwünscht. Sie garantieren den Beschäftigten vielfältige Ansprüche und sorgen für eine branchenweite soziale Absicherung. Dabei geht es um Altersvorsorge, Berufsunfähigkeit, Lohnfortzahlung bei Arbeitsausfall, Urlaub oder – ganz wichtig – um Aus- und Weiterbildung. Und das ist dann auch alles noch passend zugeschnitten auf die besonderen Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Branchen. Die Sozialkassen entlasten damit die Betriebe. Sie haben auch eine wichtige sozialpolitische Bedeutung und übernehmen quasi staatliche Aufgaben. Und deshalb müssen die Sozialkassen – in diesem Fall jetzt eben gesetzlich – geschützt werden. Die Sozialkassen sind für die Beschäftigten wie auch für die Betriebe wichtig, aber sie funktionieren nur branchenweit, also nur mit allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, die für alle Betriebe der Branche gelten – unabhängig von der Tarifbindung. Denn diese Leistungen könnten von einzelnen Betrieben gar nicht erbracht werden, und wenn sie es schaffen, dann würde das zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Zudem entsteht bei den Betrieben nur durch eine solidarische Finanzierung überhaupt Akzeptanz. Jetzt besteht aber Rechtsunsicherheit bei den Allgemeinverbindlicherklärungen. Deshalb müssen wir gesetzlich handeln, denn ein Solidarsystem wie die Sozialkassen funktioniert nur solidarisch – mit allen. Aber natürlich stellt sich die Frage, ob das Gesetz tatsächlich verfassungskonform ist, denn die Tarifverträge werden jetzt rückwirkend für alle Arbeitgeber gesetzlich angeordnet. Die Einschätzung der Sachverständigen bei der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am Montag war eindeutig. Es bestand Einhelligkeit – der Gesetzentwurf sei verfassungsrechtlich vertretbar, weil der Vertrauensschutz nicht verletzt wird. Denn niemand konnte bisher davon ausgehen, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen keinen Bestand haben. Im Gegenteil – wir müssen das „schützenswerte Vertrauen“ der Betriebe und der Beschäftigten berücksichtigen, die schon lange auf die Tarifverträge und deren Leistungen vertrauen. Hier geht es tatsächlich um Vertrauensschutz. Voraussetzung dafür aber ist, dass bei den Regelungen alles beim Alten bleibt. Und das ist der Fall. Das Gesetz übernimmt den Anwendungsbereich der Tarifverträge. Der Kreis der betroffenen Arbeitgeber bleibt identisch. Es wird also nur formal eine andere Rechtsgrundlage für das Sozialkassenverfahren geschaffen. Vor diesem Hintergrund werden wir dem Gesetz heute zustimmen. Denn viele Beschäftigte, Auszubildende, Rentnerinnen und Rentner, Leistungsanwärterinnen und Leistungsanwärter profitieren von den Sozialkassen, und auch viele Betriebe. Sie alle vertrauen darauf. Die Leistungen der Sozialkassen sind deshalb aus unserer Sicht im öffentlichen Interesse. Sie müssen abgesichert werden – das ist politisch geboten. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Brähmig und Andreas G. Lämmel (beide CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, das SokaSiG II im Eilverfahren zu beschließen, halten wir weiterhin für höchst bedenklich. Die Situation nach dem Beschluss zum SokaSiG I am 26. Januar 2017 hat sich keineswegs geändert. Wir können daher auch dem SokaSiG II nicht zustimmen. Es ist zu befürchten, dass die Mitglieder vieler momentan verhandelnder Verbände massiv betroffen und mit Beitragsforderungen potenziell bedroht sind, die ohne das Gesetz keinerlei Bestand hätten. Zudem ist die Problemlage mit dem Saarland ungeklärt – sollte die Grundlage der Malerkasse nicht mehr eine AVE sein, sondern ein Gesetz, muss entweder das Saarland komplett ausgenommen werden oder dem Saarland eine Regelung aufgezwungen werden, die es bisher nicht hatte. Zur Verbändevereinbarung ist Folgendes zu sagen: Die Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft haben bisher jeden Vorschlag zu einer einfachen und transparenten Abgrenzungsformel aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Man strebt anscheinend nach wie vor an, in einem juristischen Klein-Klein Abgrenzungsmodalitäten abzusprechen. Es ist festzuhalten, dass sich nun betroffene Verbände und Innungen an weiteren juristischen Auseinandersetzungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht beteiligen werden, wenn das SokaSiG I und das SokaSiG II in ihren Folgen durch Verbändevereinbarungen nicht abgemildert werden. Da dies aus heutiger Perspektive nicht im Interesse der Sozialkassen ist, wird auch das SokaSiG II nicht zu einer Befriedung der Situation beitragen, sondern weiteres Öl ins Feuer gießen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): „Fürsorglicher Schutz oder unangemessener Eingriff?“ – Diese Frage stellen sich Betreuungsrichter nahezu täglich und wandern dabei nicht selten auf einem ziemlich schmalen Grat. Wenn es um ärztliche Zwangsmaßnahmen geht, müssen sie ganz genau abwägen: Soll der psychisch Kranke wirklich gegen seinen Willen ein Medikament verabreicht bekommen? Soll der geistig Behinderte wirklich medizinisch untersucht werden, obwohl er partout nicht einwilligen will? Oder sollen solche Maßnahmen unterbleiben, obwohl wir wissen, dass die Patienten ohne die medizinisch indizierte Behandlung einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden erleiden oder gar versterben können? Hier gilt es für den Richter, das Recht jedes einzelnen, über seine Gesundheit und sein Leben selbst zu entscheiden, in Einklang zu bringen mit der staatlichen Schutzpflicht, wonach die Gemeinschaft einen Hilflosen nicht sich selbst überlassen darf. 2013 hat der Gesetzgeber in § 1906 BGB eine Vorschrift geschaffen, die genau dieses Spannungsfeld regeln soll, eine, die so wenig Zwang wie möglich vorschreibt und gleichzeitig so viel Schutz wie nötig gebietet. Der Gesetzgeber ist dabei sehr sorgsam vorgegangen und hat die Voraussetzungen für die Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen recht eng gestrickt. So dürfen sie unter anderem nur vorgenommen werden, wenn die Zwangsmaßnahme notwendig ist, um drohende erhebliche Gesundheitsgefahren abzuwenden. Und sie sind auch nur dann zulässig, wenn sie im Rahmen einer Unterbringung erfolgen. Im letzten Jahr hat das Bundesverfassungsgericht nun genau an dieser Stelle eine Schutzlücke aufgetan. Im konkreten Fall ging es um eine Patientin mit Suizidabsichten, die an Demenz erkrankt war und körperlich so geschwächt war, dass sie nicht mehr in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht war und auch nicht untergebracht werden musste. Als sie an Brustkrebs erkrankte, lehnte sie die lebensnotwendige Behandlung ab. Was war in diesem Fall nun zu tun? Die Voraussetzungen des § 1906 lagen nicht vor, weil sie ja nicht untergebracht war. Gleichzeitig war aber eine Unterbringung nicht mehr möglich, denn sie konnte sich alleine nicht mehr fortbewegen. Die Zwangsbehandlung konnte folglich nicht durchgeführt werden. Tatsächlich gibt das aktuelle Recht vor, dass in Fällen, in denen sich der Betreute räumlich nicht entziehen will oder körperlich hierzu nicht in der Lage ist, eine ärztliche Zwangsmaßnahme nicht angeordnet werden kann. Sie kann wirklich nur dann angeordnet werden, wenn der Patient vorher untergebracht worden ist. Doch wo soll der Unterschied sein? Auf der einen Seite haben Sie eine hilflose Person, die in einer Einrichtung untergebracht ist und sich daher nicht entziehen kann. Auf der anderen Seite haben Sie eine hilflose Person, die freiwillig in einer Einrichtung ist oder die sich aufgrund eines Oberschenkelhalsbruchs nicht aus dem Krankenhaus fortbewegen kann. Es kann doch nicht sein, dass wir da einen Unterschied machen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, schließen wir nun diese vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Schutzlücke im Betreuungsrecht, indem wir die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln. Statt an eine freiheitsentziehende Unterbringung kann die Zwangsmaßnahme künftig auch an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus geknüpft werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem oben beschriebenen Fall betont, dass der Staat aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz verpflichtet ist, Betreute, wenn notwendig, vor schweren gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Dabei darf keiner durchs Raster fallen. Gleichzeitig stand der Gesetzgeber vor der schwierigen Aufgabe, auch das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten nicht zu sehr einzuschränken. Auch hier haben wir eine gute Lösung gefunden; denn der natürliche Wille des Betreuten muss als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts grundsätzlich akzeptiert werden. Darüber hinaus haben wir nach der ersten Beratung noch eine weitere wichtige Änderung an dem Gesetzentwurf vorgenommen: So wollen wir die Möglichkeit einer Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde für den Verfahrenspfleger einführen. Ähnlich wie im Verwaltungsrecht soll dieser die Möglichkeit erhalten, gerichtlich feststellen zu lassen, dass eine erledigte Maßnahme innerhalb eines Betreuungsverfahrens rechtswidrig war. Gemeint sind damit zum Beispiel solche Fälle, in denen Betroffene ohne die erforderlichen Voraussetzungen in Pflegeheimen fixiert oder ruhiggestellt werden. Bislang wurde dies von der Rechtsprechung abgelehnt, da der Verfahrenspfleger nicht in eigenen Grundrechten betroffen ist. Lediglich die Beschwerde für eine andauernde Maßnahme war möglich. Wir sind aber der Ansicht, dass es keinen Unterschied für den Grundrechtsschutz des Betroffenen machen darf, ob die Maßnahme noch andauert oder sich bereits erledigt hat. Entscheidend ist, dass die Betroffenen infolge ihrer psychischen oder geistigen Erkrankung meist nicht in der Lage sind, ihre Rechte selbst wahrzunehmen. Lassen Sie mich abschließend bitte Folgendes festhalten: Zwangsmaßnahmen dürfen immer nur die Ultima Ratio, also das letzte wirksame Mittel, sein. Wir sollten mit dieser Möglichkeit deshalb sehr bedacht umgehen. Wir schaffen heute als Gesetzgeber die notwendige rechtliche Grundlage, um alle Betreuten im Notfall bestmöglich zu schützen. Vorrangig gilt es aber, die Betreuten durch Zeit und Worte von der Notwendigkeit einer Maßnahme zu überzeugen und ihnen dadurch so viel selbstbestimmtes Leben wie möglich zu lassen. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir beraten abschließend einen Gesetzentwurf, der sich mit der äußerst schwierigen und emotionalen Thematik der ärztlichen Zwangsmaßnahmen beschäftigt. Die Erfahrung einer medizinischen Zwangsbehandlung stellt für viele, die diese Situation erleben, eine unvorstellbar schwere Belastung, vielfach eine Grausamkeit, dar. Diese einschneidenden Erfahrungen, die uns Betroffenenverbände persönlich und eindrucksvoll geschildert haben, machen nachdenklich. Wir sehen hier im Gesetzgebungsverfahren eine gewisse Parallelität zur Diskussion in der letzten Wahlperiode. Die an uns herangetragenen Schilderungen haben uns dazu veranlasst, den Gesetzentwurf noch einmal zu überdenken und den Schutz und das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen noch stärker in den Vordergrund zu stellen. Bevor ich aber auf die einzelnen Änderungen zu sprechen komme, möchte ich noch kurz auf eine Frage eingehen, die sich vor dem Hintergrund der uns geschilderten Erfahrungen stellt: Warum lassen wir als Gesetzgeber ärztliche Zwangsbehandlungen überhaupt zu? Mit dieser Frage spreche ich zugleich die Kernforderungen einzelner Betroffenenverbände an, wonach jegliche Zwangsbehandlungen verboten werden sollten. Bitte stellen Sie sich die folgende Situation vor: Ein 21-jähriges Mädchen ist stark unterernährt, wiegt bei einer Größe von 1,65 Meter nur noch 30 Kilogramm. Das Mädchen leidet an Anorexia nervosa, ebenfalls bekannt als Magersucht. Sie hat ein extrem gestörtes Essverhalten, eine falsche Körperwahrnehmung, nimmt sich als übergewichtig wahr und verkennt ihre akut lebensbedrohliche Situation. Sie lässt sich nicht behandeln, auch nicht auf Zureden ihres Vaters, der ihr Betreuer ist. Daraufhin wird mit seinem Einverständnis eine Zwangsbehandlung angeordnet, die dem Mädchen das Leben rettet. Eine solche Situation zeigt, dass wir in bestimmten Fällen die Möglichkeit zur zwangsweisen Behandlung – und das möchte ich an dieser Stelle besonders betonen – als letztes Mittel nicht ausschließen sollten. Wir müssen als Gesetzgeber auch der sich aus dem Grundgesetz ergebenden staatlichen Schutzpflicht gerecht werden. Dabei müssen wir einerseits das Selbstbestimmungsecht des Betreuten im Blick behalten, andererseits auch seinen Schutz vor schweren Gesundheitsschäden. Diese Abwägung fand im Rahmen des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Jahre 2013 und auch im gegenwärtigen parlamentarischen Verfahren statt. Der uns heute zur abschließenden Beratung vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung knüpft an die Reform vom Jahr 2013 an und schließt die vom Bundesverfassungsgericht im Juli 2016 festgestellte Regelungslücke. Diese Regelungslücke betrifft betreute Personen, die sich freiwillig in einer Klinik befinden oder sich krankheitsbedingt räumlich nicht entfernen können. Sie können nach der geltenden Gesetzeslage nicht ärztlich zwangsweise behandelt werden, selbst dann nicht, wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind und ihnen gute Genesungschancen prognostiziert werden, da sie nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können. Daher sieht der Gesetzentwurf eine „Entkoppelung“ der ärztlichen Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung vor und lässt medizinische Zwangsbehandlung nun im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Krankenhaus zu. Zurückkommend auf den Anfang meiner Rede, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Ausgestaltung der „Entkopplung“ nicht nur auf Kritik mancher Betroffenenverbände stieß, sondern auch auf Bedenken einzelner Sachverständiger in der öffentlichen Anhörung. Dabei wurde insbesondere die Sorge geäußert, der Gesetzentwurf könne ungewollt neue Türen für Zwang öffnen. Eine solche Folge war weder geplant noch beabsichtigt. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass wir diese Bedenken zügig und umfassend in einem Änderungsantrag umsetzen konnten. Die erste Änderung betrifft die Bindung an den Willen des Betreuten. Der Betreuer darf einer ärztlichen Maßnahme an Stelle des betreuten Patienten nun nur dann zustimmen, wenn die ärztliche Maßnahme dem zu beachtenden Patientenwillen entspricht. Für diese Entscheidung des Betreuers sind Patientenverfügung, Behandlungswünsche und der mutmaßliche Wille des Betreuten in dieser Reihenfolge maßgeblich. An dieser Stelle wird das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen erheblich gestärkt. Durch den Gesetzentwurf in seiner Ursprungsfassung kam die Bindung des Betreuers an den Patientenwillen hingegen nur unzureichend zum Ausdruck. Aus einer negativen haben wir eine positive Formulierung gemacht. Eine zweite fundamentale Änderung möchte ich besonders hervorheben. Nach geltender Rechtslage gibt es, wie bereits erwähnt, zwei Schritte, bis eine ärztliche Zwangsmaßnahme überhaupt stattfinden darf. Bei den zwei Hürden handelt es sich um zwei richterliche Genehmigungsvorbehalte, die die Betroffenen schützen, aber auch ärztliche Zwangsmaßnahmen verhindern können. Konkret bedeutet das, dass gegenwärtig zunächst nur die freiheitsentziehende Unterbringung genehmigt wird. Verweigert der Betreute auch nach der Unterbringung die ärztliche Behandlung, würde in einem zweiten Schritt geprüft, ob eine ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigt werden darf. Dieses zweistufige Verfahren, das auch die Betroffenenverbände als einen substanziellen Schutz zur Vermeidung von ärztlichen Zwangsbehandlungen verstehen, führen wir auch für die zwangsweise Verbringung des Betreuten zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus ein. Diese strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen werden der befürchteten Ausweitung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen effektiv entgegenwirken. Für die Anwendung von Zwang und dessen Auswirkungen für die Betroffenen, auch wenn er unter der Maßgabe, dem Wohl der Betreuten zu dienen, geschieht, muss der Gesetzgeber stets sensibilisiert sein. Das Bundesministerium für Gesundheit hat zwei bundesweite Studien in Auftrag gegeben. Das erste Projekt zielt auf eine Erfassung und vertiefende Analyse von ärztlich angeordneten Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Versorgung ab. Im Rahmen des zweiten Projekts soll insbesondere untersucht werden, welche Maßnahmen geeignet sind, Zwang zu vermeiden oder zu vermindern. Sobald die Projekte abgeschlossen sind, werden wir uns ausführlich mit den Ergebnissen befassen und weitere Handlungsmöglichkeiten prüfen. Dr. Matthias Bartke (SPD): Der Gesetzentwurf, den wir heute beschließen wollen, regelt einen sehr sensiblen Bereich. Im Mittelpunkt stehen dabei sowohl das Selbstbestimmungsrecht wie auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das sind zwei Rechte, die in den weitaus meisten Fällen Hand in Hand gehen. In manchen Fällen müssen sie aber auch gegeneinander abgewogen werden. Es war nicht zuletzt die Anhörung zu dem Gesetzentwurf, die wohl alle Anwesenden sehr nachdenklich gestimmt hat. Bei der Anhörung war unter anderem der Chefarzt einer psychiatrischen Klinik als Sachverständiger geladen, der von einer Zwangsbehandlung berichtete. Der Patient litt nicht nur unter einer psychischen Erkrankung, sondern auch unter einer lebensgefährlichen Schilddrüsenüberfunktion. Die Behandlung dieser Überfunktion lehnte er strikt ab; aber sterben wollte er auch nicht. Im Resultat wurde er mit Schilddrüsenmedikamenten zwangsbehandelt. Dieses Beispiel zeigt uns, dass es Umstände geben kann, die eine ärztliche Zwangsbehandlung notwendig machen. Zwangsbehandlungen sind daher bei psychisch Kranken grundsätzlich möglich. Sie stehen aber zu Recht unter sehr engen Voraussetzungen. Dazu zählt bisher, dass nur zwangsbehandelt werden darf, wer auch zwangsuntergebracht ist. Das hat aber zur Folge, dass hilfsbedürftige Menschen, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt werden und sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen können, selbst notfalls nicht gegen ihren natürlichen Willen ärztlich behandelt werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr entschieden: Diese Rechtslage verstößt gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Staat hat eine Schutzpflicht zu erfüllen. Dazu gehört im Zweifelsfall auch, Bürger vor sich selbst zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns daher aufgetragen, die festgestellte Schutzlücke unverzüglich zu schließen. Diesem Auftrag sind wir mit einem maßvollen Gesetzentwurf nachgekommen: Wir entkoppeln die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung. Ärztliche Zwangsmaßnahmen werden stattdessen an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus gebunden. In den vergangenen Wochen ist mir immer wieder die Sorge begegnet, dass es durch das neue Gesetz zu massiven Ausweitungen der Zwangsbehandlungen kommen wird. Und tatsächlich müssen wir ehrlich sagen: In Zukunft können theoretisch mehr Menschen zwangsbehandelt werden. Schließlich kommen dann auch diejenigen infrage, die nicht untergebracht sind. Das liegt aber in der Natur des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Würden zukünftig nur dieselben Personen zwangsbehandelt werden können wie bisher, hätten wir unsere Aufgabe verfehlt. Davon abgesehen gibt es aber keinen Anlass, von einer Ausweitung der Zwangsbehandlungen auszugehen. Im Gegenteil: Die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einwilligung ebenso wie die strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen bleiben erhalten. So muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Der Betreute muss aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können. Die Zwangsmaßnahme muss dem nach § 1901a BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entsprechen. Hier haben wir übrigens nachgebessert. Ursprünglich sah der Gesetzentwurf vor, dass der Wille des Betreuten der Maßnahme nicht entgegenstehen darf. Wir haben diese Voraussetzung im Interesse der Betreuten nun enger gefasst. § 1901a regelt, dass einer Patientenverfügung Ausdruck und Geltung verschafft werden muss. Wenn keine Patientenverfügung vorliegt, muss der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen feststellen. Gab es mündliche oder schriftliche Äußerungen? Was sind die ethischen oder religiösen Überzeugungen, was sind die persönlichen Wertvorstellungen des Betreuten? Vor einer ärztlichen Zwangsmaßnahme muss außerdem versucht werden, den Betreuten von der Maßnahme zu überzeugen. An dieser Stelle haben wir die Vorschrift sogar verschärft: Wir haben ergänzt, dass das Gespräch ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks geführt werden muss. Wir wollen dem Überzeugungsgespräch damit zu mehr Wirksamkeit verhelfen. Es reicht nicht, schnell zu sagen: „Das wäre aber wichtig“, und das Gespräch damit als erledigt anzusehen. Der Betreuer darf in die Zwangsmaßnahme außerdem nur einwilligen, wenn der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere, weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann. Und last, but not least: Der zu erwartende Nutzen muss die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Wir haben übrigens noch zwei weitere Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen, um das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu stärken: Zukünftig soll in einem ersten Schritt grundsätzlich nur über die zwangsweise Verbringung in ein Krankenhaus entschieden werden. Erst in einem zweiten Schritt soll darüber entschieden werden, ob die Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme erteilt werden darf. Der Gesetzentwurf sah vor, dass die Verbringung in das Krankenhaus zusammen mit der Maßnahme entschieden wird. Die Aufteilung in zwei Entscheidungen schafft eine zusätzliche Hürde und hilft so, ärztliche Zwangsbehandlungen zu vermeiden. Die andere Änderung betrifft die Verfahrenspflege. Bisher ist der Verfahrenspfleger zwar berechtigt, Beschwerde einzulegen. Wenn die Maßnahme aber schon erledigt ist, kann er keinen Antrag stellen, um die Statthaftigkeit der Beschwerde feststellen zu lassen. Bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen liegt aber ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor, und regelmäßig ist auch eine Wiederholung nicht auszuschließen. Wir schaffen darum ein Antragsrecht auf Feststellung einer Rechtsverletzung für Verfahrensbeistand und Verfahrenspfleger. Damit stärken wir den Grundrechtsschutz der besonders schutzwürdigen Betroffenen. Ich habe schon in Bezug auf den zu beachtenden Willen die Patientenverfügung angesprochen. Eine Patientenverfügung vermeidet Unsicherheiten. Jede und jeder kann für sich selber regeln, welche Behandlungen vorgenommen und welche unterlassen werden sollen. Damit lassen sich im Resultat auch Zwangsbehandlungen vermeiden. Wir verpflichten Betreuer daher zukünftig, auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und bei der Errichtung zu unterstützen. Es ist also keineswegs so, dass der Gesetzentwurf Patientenverfügungen aushebeln würde. Stattdessen stärken wir die Patientenverfügung als wichtiges Instrument. Wir sind mit dem Gesetzentwurf den schmalen Grat zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz der Betroffenen gegangen. Wir haben dabei eine gute Lösung für das Schließen der Schutzlücke gefunden. Wir sind mit dem Gesetz aber noch nicht am Ende angekommen. Ich habe zu Beginn meiner Rede von dem Chefarzt der psychiatrischen Klinik und dessen Beispiel einer Zwangsbehandlung berichtet. Was ich da noch nicht gesagt habe: Seit 2011 war das die einzige Zwangsmaßnahme bei mehr als 7 000 Behandlungen in dieser Klinik. Das ist eine ungewöhnlich niedrige Quote. Sie zeigt uns: Wo ein Wille zur Vermeidung von Zwang ist, ist auch ein Weg. Ärzte und Pflegepersonal müssen sich Zeit nehmen für die Patienten. Sie müssen ihre Bedürfnisse und Probleme ernst nehmen. Die Zwangsbehandlung darf nur als letztes Mittel dienen, wenn wirklich alle anderen Lösungen versagen. Die unterstützte Entscheidungsfindung muss das oberste Ziel sein. Auch der Einsatz von Mitarbeitern, die als Patienten Erfahrung mit der Psychiatrie gemacht haben, ist ein vielversprechender Ansatz. Die strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen und Zulässigkeitsvoraussetzungen sind ohne Frage wichtig. Am Ende kommt es aber auf die Praxis an. Mir liegt daher auch die vorgesehene Evaluierung besonders am Herzen. Wir werden die Auswirkungen der Änderungen auf die Anwendungspraxis untersuchen. Die Art und Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen und die Wirksamkeit der Schutzmechanismen werden dabei im Mittelpunkt stehen. Am Ende werden wir Bilanz ziehen und dort nachbessern, wo es nötig ist. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir reden heute abschließend über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten. Es geht hier um die Frage, unter welchen Voraussetzungen gesetzliche Betreuer ärztlichen Zwangsmaßnahmen gegen den Willen von Betreuten zustimmen können. Ausgangspunkt dafür ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Sommer 2016. Schaue ich mir jetzt seine gesetzliche Umsetzung an, dann habe ich erhebliche Bedenken, ob der Gesetzwurf zur Umsetzung des VerfG-Urteils tatsächlich beiträgt. Insbesondere stoßen Zwangsmaßnahmen grundsätzlich auf erhebliche Bedenken. Nach Aussage des von der Linken benannten Sachverständigen Dr. med. Martin Zinkler, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Heidenheim, sind Zwangsmaßnahmen in den allermeisten Fällen gar nicht erforderlich. Mit diesem Gesetzentwurf besteht die Gefahr, dass von Zwangsmaßnahmen noch exzessiver Gebrauch gemacht wird, als es bisher der Fall war. Nicht ausreichend Rechnung trägt der Gesetzentwurf dem Grundrecht auf eine freie Lebensgestaltung. Es gibt über objektive Fakten und logisches Folgern hinaus einen Bereich der Bewertung und Gewichtung dieser Fakten, der nichts mit mangelnden geistigen Fähigkeiten zu tun hat. Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, die unter gesetzlicher Betreuung stehen, ist aber auch in anderer Hinsicht eingeschränkt. Und ich bekomme das immer wieder zu spüren, wenn ich in meinem Wahlkreis Havelland/Oberhavel die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtungen der Lebenshilfe besuche. Da werde ich zum Beispiel immer wieder gefragt: Na? Dürfen wir diesmal wählen gehen? – Was meine ich? Menschen, denen zur Besorgung aller Angelegenheiten ein Betreuer bestellt ist oder die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und wegen befürchteter Allgemeingefährlichkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, sind in Deutschland vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Das heißt, sie dürfen weder wählen noch sich zur Wahl stellen. Aufgrund dieser Regelungen sind etwa 85 000 Menschen von Bundestags- und Europaparlamentswahlen ausgeschlossen. Die Begründung dafür ist, man müsse annehmen, diese Personen seien zu einer vernünftigen Wahlentscheidung nicht in der Lage, da ihnen die nötige Einsicht fehle. Dieses Argument ist gleich aus mehreren Gründen problematisch bzw. falsch. Einerseits kann bei den betroffenen Personen keineswegs von einer grundlegenden Unfähigkeit zum Treffen rationaler Entscheidungen ausgegangen werden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben wurde. Andererseits handelt es sich beim Wahlrecht um ein fundamentales politisches Grundrecht, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein muss. Dazu hat sich Deutschland durch die Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen im Jahr 2009 verpflichtet. Artikel 29 der Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, „Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen“, zu garantieren. Wählen ist Menschenrecht. Die menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlüsse müssen endlich abgeschafft werden. Statt Menschen mit Behinderungen von politischen Grundrechten auszuschließen, muss es vielmehr darum gehen, die notwendigen Unterstützungen zu schaffen, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen. Dazu gehört eine barrierefreie Ausgestaltung von Wahllokalen, dazu gehört vollständig einkommens- und vermögensunabhängige persönliche Assistenz, die nicht bevormundend, sondern selbstermächtigend tätig ist, und dazu gehört eine barrierefreie politische Kommunikation. Gibt es beispielsweise umfassende Informationen zu allen politischen Themen in Leichter Sprache, können sich deutlich mehr Menschen tiefergehend mit Politik auseinandersetzen. In der vergangenen Woche hat meine Fraktion gemeinsam mit der Grünenfraktion dazu einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, der eine Streichung der menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderungen noch vor der Bundestagswahl im September vorsieht. In dieser Woche hat die Große Koalition die Debatte im Ausschuss verhindert. Sie verhält sich damit genauso wie im Zusammenhang mit der durch drei Gesetzentwürfe eingeforderte Öffnung der Ehe für eingetragene Lebenspartnerschaften. Erst plustert sich vor allem die SPD auf: „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns.“ Und wenn es zu entscheiden ist, kommt nichts als heiße Luft. Dies ist Verweigerung gegenüber dem berechtigten Interesse der Bürgerinnen und Bürger, dass wir eine Lösung für ihre Probleme finden. In der kommenden Woche haben Sie, sehr geehrte Abgeordnete der SPD, die letzte Chance, Ihren Worten auch Taten folgen zu lassen und die menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlüsse vor der Bundestagswahl abzuschaffen. Nutzen Sie diese Chance! Dem zu beschließenden Gesetzentwurf zur Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen können wir aus den eingangs genannten Gründen eine Zustimmung nicht geben. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gesetzgebungsverfahren ist aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangshandlung bei Betreuten, die zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen können, notwendig geworden. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, unverzüglich eine Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung für diese Fallgruppe zu schaffen, da die Schutzlücke mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar sei. Ziel muss sein, die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Schutzlücke hinsichtlich der besonderen Personengruppe zu schließen, ohne dabei die Voraussetzungen für Zwangsbehandlungen im Allgemeinen auszuweiten. Mit der Reform im Jahr 2013 scheint es – zumindest ersten veröffentlichten Zahlen zufolge – gelungen zu sein, Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Erfolg, der nicht durch das Öffnen neuer Türen gefährdet werden darf. Je restriktiver die rechtlichen Möglichkeiten zur Zwangsbehandlung sind, umso mehr wird die Psychiatrie sich weiterentwickeln und auf Zwangsbehandlungen verzichten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung birgt die Gefahr der Ausweitung der Anwendung von Zwang in der Psychiatrie über das Erforderliche und das vom Bundesverfassungsgericht Geforderte hinaus. Deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Er erlaubt die Zwangsbehandlung auch für Betroffene, die sich freiwillig im psychiatrischen Krankenhaus befinden. Dies könnte ein Hemmnis für Menschen in Krisen darstellen, sich freiwillig in psychiatrische Behandlung zu begeben. Zwar können Personen, die nicht behandelt werden wollen, das Krankenhaus wieder verlassen. Aber gerade bei Personen in schweren Krisen, bei denen eine Zwangsbehandlung infrage kommt, besteht die Gefahr, dass sie nicht in der Verfassung sind, das Krankenhaus zu verlassen, oder nicht wissen, wohin sie ansonsten gehen sollen. Anstatt die Zwangsbehandlung von der Unterbringung zu entkoppeln, wäre es besser gewesen, in § 1906 BGB eine entsprechende Anwendung des Absatzes 3 für stationär behandelte Personen festzulegen, die sich einer Zwangsbehandlung räumlich nicht entziehen können. Denkbar wäre auch – in Abweichung zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes –, festzulegen, dass eine Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 Absatz 1 BGB immer schon dann erforderlich ist, wenn der Aufenthalt des Betreuten seinem Willen widerspricht. Positiv finden wir, dass der Gesetzentwurf die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung auf einen stationären Krankenhausaufenthalt beschränkt und eine ambulante Zwangsbehandlung ausgeschlossen bleibt. Menschen müssen sich zu Hause sicher fühlen können. Wir begrüßen auch den absoluten Vorrang des Patientenwillens und die Konkretisierung des Überzeugungsversuchs im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts („mit genügend Zeit und ohne Druck“). Sinnvoll, aber nicht ausreichend ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Evaluation der Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen auf die Anwendungspraxis. Notwendig ist ein dauerhaftes Monitoring über Anzahl, Dauer und Durchführung von Zwangsbehandlungen, um Missstände in der Praxis und gesetzliche Fehlentwicklungen zu erkennen und zu korrigieren. Zwangsmaßnahmen sind schwere Eingriffe in die Grundrechte von Menschen, die, solange sie stattfinden, streng kontrolliert werden müssen. Mit der Änderung des § 1901a BGB werden Betreuer verpflichtet, Betreute in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und sie auf ihren Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung zu unterstützen. Wir hätten uns hier die ausdrückliche Erwähnung von Behandlungsvereinbarungen gewünscht, weil damit auch die Behandlerinnen und Behandler in die Pflicht genommen werden. Vorteil einer Behandlungsvereinbarung ist außerdem, dass sie Behandlungswünsche deutlich macht und nicht nur wie die Patientenverfügung Behandlungsauschlüsse formuliert. Auch wenn es in den psychiatrischen Krankenhäusern ein stärkeres Bewusstsein für den mit der Anwendung von Zwang verbundenen Grundrechtseingriff zu geben scheint, sind wir noch weit entfernt von einem Ende des Zwangs in der Psychiatrie. Deshalb sind weitere Anstrengungen nötig, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und Betroffene in der Entscheidungsfindung zu unterstützen, anstatt ihre Entscheidung zu ersetzen. Maßgeblich ist, die psychiatrische-psychotherapeutische Versorgung so zu organisieren, dass stationäre Aufenthalte und Zwang von vornherein vermieden werden. Hierfür braucht es neue Formen der akuten Krisenhilfe, mehr integrierte Versorgungsangebote und genügend psychotherapeutische Plätze ohne lange Wartezeiten. Hilfreich sind zudem Nachsorgeangebote unter Einbeziehung von Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen psychisch Kranker, die darauf ausgerichtet sind, das Auftreten einer psychiatrischen Krise frühzeitig zu erkennen. Insgesamt muss die Versorgungsstruktur weiterentwickelt werden, hin zu einem personenzentrierten, gemeindenahen und sektorübergreifenden Angebot. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes (Tagesordnungspunkt 26) Lena Strothmann (CDU/CSU): Seit 2003 bin ich Abgeordnete im Deutschen Bundestag, und fast so lange begleitet mich auch schon die Diskussion um das Schornsteinfegergesetz. Als ich mich erstmals mit dem Thema beschäftigt habe, hätte ich nicht damit gerechnet, dass der Inhalt meiner letzten Rede heute hier im Plenum wieder Thema sein wird. Im Rahmen der parlamentarischen Beratung der aktuellen Novellierung des Schornsteinfegergesetzes haben mich viele Stellungnahmen von Schornsteinfegern, vor allem aber von Ofenbauern und Sanitär- und Heizungsbauern erreicht. Um die aktuelle Diskussion zu verstehen, ist ein Blick auf die Novellierung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes aus dem November 2008 und die zweite Stufe der Umsetzung Anfang 2013 notwendig. Mit der Neuregelung wollte die EU für Wettbewerb auf dem deutschen Schornsteinfegermarkt sorgen. In Deutschland gibt es etwa 14 Millionen kehr- und überprüfungspflichtige Heizungsanlagen, auf die circa 7 500 Schornsteinfegerbetriebe, Kleinstbetriebe, kommen. Laut altem Schornsteinfegerrecht war das gesamte Bundesgebiet in Kehrbezirke unterteilt, in denen je ein Bezirksschornsteinfegermeister allein verantwortlich war. Der Staat hat dem Bezirksschornsteinfegermeister hoheitlich die staatlichen Grundaufgaben zur Messung und Überwachung der Feuerstätten, Heizungsanlagen etc. hinsichtlich Betriebs-, Brandsicherheit, Energieeinsparung und Klimaschutz übertragen. Frei werdende Kehrbezirke wurden nach bestimmten Kriterien – Wohnort im Kehrbezirk etc. – und einer Liste weiterbesetzt. Alternativ hätte eine staatliche Behörde diese Aufgaben übernehmen müssen. Die Länder haben die Zuständigkeitsübertragung auf die unteren Behörden im Zuge der Novelle 2008 abgelehnt. Diese Gesetzgebung verstieß laut EU-Kommission jedoch gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, da anderen europäischen Schornsteinfegern die Übernahme eines Kehrbezirkes verwehrt blieb. Die EU-Kommission hat daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet, und das deutsche Schornsteinfegerrecht wurde auf den Prüfstand gestellt. Aus Sicht der Europäischen Kommission hat es die Regeln eines freizügigen Marktes verletzt. Um die staatlichen Aufgaben der Betriebs-, Brandsicherheit, der Energieeinsparung und des Klimaschutzes ohne eine neue Behörde weiterhin durch das Schornsteinfegerhandwerk ausüben zu können, hat die Bundesregierung 2008 mit der EU-Kommission einen Kompromiss ausgehandelt. Danach wurde das sogenannte Schornsteinfeger-Monopol 2013 aufgehoben und die hoheitlichen Aufgaben der Schornsteinfeger auf einen Kernbereich zum Beispiel Abgasmessung laut Bundes-Immissionsschutzgesetz und Bundesimmissionsschutzverordnung beschränkt. Die übrigen Schornsteinfegerarbeiten wurden dem freien Wettbewerb überlassen. Mit den jährlichen Abgasmessungen und Prüfungen kann man seitdem einen Kaminkehrer seiner Wahl beauftragen. Darunter fallen nun nicht nur alle freien Feger, die amtlich registriert sind, sondern auch Installateure/Heizungsbauer, SHKs, mit Zusatzqualifikation zum Kaminkehrer. Zentral für die heutige Diskussion: Nach dem Wegfall des Schornsteinfeger Monopols wurde zum Ausgleich das Nebenerwerbsverbot der Schornsteinfeger aufgehoben. Schornsteinfeger sind seitdem nicht mehr nur auf die jährlichen Kehrwochen beschränkt und können weitere Leistungen anbieten. Ist ein Schornsteinfeger in der Handwerksrolle eingetragen, darf er nun auch Öfen bauen, Rauchmelder installieren und deren jährliche Prüfung durchführen oder die Heizungsanlage kontrollieren. Seitdem beklagen einige Ofen-Luftheizungsbauer und der SHK-Verband, dass sich viele Schornsteinfeger nach dem Wegfall des Nebenerwerbsverbots im Ofenbauer-Handwerk, dem Kompetenzbereich der SHKs, selbstständig gemacht haben und sie seitdem unter einem starken Konkurrenzdruck und einer Verzerrung des Wettbewerbs leiden. Daneben beklagen sie, dass die Schornsteinfeger durch die Feuerstättenschau und ihre Kehrbuchdaten über relevante Kundeninformationen verfügen und diese Daten zu eigenen Geschäftszwecken nutzen, um selbst Öfen zu verkaufen. Die Ofenbauer und SHKs fordern seitdem die Wiedereinführung des Nebenerwerbsverbots für Schornsteinfeger und setzen sich dafür ein, dass dies in die Novellierung des SchfHwG aufgenommen wird. Ich bin der Auffassung, dass hier unternehmerisches Denken und Handeln und keine Regulierung durch die Politik gefragt sind. Wir haben die Möglichkeit der Wiedereinführung eines solchen Wettbewerbsverbots geprüft. Sie ist als faktisches Berufsverbot verfassungsrechtlich nicht zulässig und daher – abgesehen von inhaltlichen Gründen – rechtlich nicht möglich. Die Aufhebung des Nebenerwerbsverbots war zudem eine Bedingung des Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission gegen das alte Schornsteinfeger-Handwerksgesetz im Jahr 2005 und wurde bei der Novelle des SchfHwG im Jahr 2008 umgesetzt. Die aktuelle Kritik und die Argumente des SHK-Handwerks und der Ofenbauer sind nicht neu. Die Forderung, dass Schonsteinfeger im eigenen Bezirk keine Kaminöfen verkaufen sollen dürfen, wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach diskutiert, aber nicht umgesetzt. Dabei wird es auch bleiben. Die Abnahme der neuen oder geänderten Feuerstätten seitens der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger erfolgt nach den Landesbauordnungen der Länder. Zuständige Behörden sind die jeweiligen Bauaufsichtsbehörden. Sie sind verantwortlich und nicht die Politik. Es ist Sache der Länder und der jeweils zuständigen Sachaufsichtsbehörden von Land, Kreis oder Stadt durch entsprechende Verordnungen hier verlässliche Regelungen zu schaffen und zu deren Einhaltung zu überprüfen. Aus § 18 Absatz 2 SchfHwG ergibt sich bereits, dass keine Abnahme durch den Schornsteinfeger erfolgen darf, wenn er die Anlagen selbst eingebaut oder verkauft hat. Und das ist auch richtig so. Eine Werkstatt darf ja auch nicht die Verkehrssicherheit eines selbst reparierten Autos feststellen; das macht der TÜV. Gleichzeitig ist der Bezirksschornsteinfeger verpflichtet, seine Aufgaben ordnungsgemäß, gewissenhaft und unabhängig durchzuführen. Damit sollen Interessenskonflikte vermieden werden. Die Länder wurden in der Vergangenheit immer wieder aufgefordert, im Rahmen der Aufsicht auf mögliche Interessenkollisionen zu achten und diese zu unterbinden. Wenn es schwarze Schafe gibt – und die gibt es leider immer und in fast allen Bereichen – sind den zuständigen Länderbehörden oder den Kartellbehörden der Länder die entsprechenden Fälle zu nennen, damit diese aktiv werden können. § 21 (3) enthält bereits entsprechende Sanktionsmechanismen. Nachdem ich jetzt viel darüber gesprochen habe, was das Gesetz nicht enthält – nämlich die seitens der SHKs und Ofenbauer geforderte Wiedereinführung des Nebenerwerbsverbots der Schornsteinfeger –, möchte ich die verbleibende Zeit nutzen, um Ihnen von den Inhalten der Novelle zu berichten. Bei der Novelle 2017 geht es vor allem darum den, Vollzug der Länder zu erleichtern und die Verwaltung von Kehrbezirken zu vereinfachen. Da die Bestellung zum bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger befristet ist, müssten Kehrbezirke nach dem Ablauf von sieben Jahren neu ausgeschrieben werden. Die neu vorgesehene Sammelausschreibung soll eine lückenlose Besetzung der Kehrbezirke sicherstellen. Daneben sieht der Entwurf Änderungen vor, um die Kehrbezirksverwaltung zu verbessern. Sie betreffen unter anderem das Vollstreckungsrecht, die Regelung der Vertretung und den Schutz von Kehrbuchdaten. So muss das Kehrbuch vom bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger elektronisch und nachvollziehbar erfasst werden und jährlich aktuell sein. Bei Verstößen sind nun hohe Geldbußen festgeschrieben. Um die Neutralität weiterhin sicherzustellen, wird die Feuerstättenschau auch zukünftig ausschließlich vom bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger durchgeführt. Diese ist weiterhin zweimal innerhalb von sieben Jahren durchzuführen, jetzt jedoch frühestens alle drei Jahre. Die Unterscheidung von hoheitlichen Aufgaben in der Zuständigkeit öffentlich beliehener Schornsteinfeger und Tätigkeiten, die dem Wettbewerb unterliegen, wird damit beibehalten. Die Neuregelung verpflichtet neue Haus- und Wohnungseigentümer zudem, Eigentumswechsel am Grundstück an den zuständigen bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger zu melden. Neu ist auch die Streitwertfestsetzung auf 500 Euro bei gerichtlicher Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger. All diese Inhalte sind unstrittig. Ein wichtiger Punkt, der die Diskussion um das Nebenerwerbsverbot aufgreift: Der Schornsteinfeger darf keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, die er oder andere Mitarbeiter verkauft, eingebaut, zur Nutzung überlassen haben. Das gilt auch für Gesellschaften die verkauft, eingebaut, zur Nutzung überlassen haben, an welcher der Bezirksschornsteinfeger rechtlich oder wirtschaftlich beteiligt ist. Hier haben wir mit unserem Änderungsantrag die Definition des Angehörigen noch einmal etwas präzisiert und verschärft. Demnach darf der Schornsteinfeger nicht nur keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, die er verkauft/eingebaut hat, sondern auch nicht für solche, die seine Angehörigen oder Angehörige seines Betriebs verkauft/eingebaut haben. Das gilt auch für Gesellschaften, an denen er selbst, seine Angehörigen oder Angehörige seines Betriebs rechtlich oder wirtschaftlich beteiligt sind. Damit ist klargestellt, dass der Schornsteinfeger auch keinen Ofen prüfen und abnehmen darf, der beispielsweise über die gemeinsame GmbH mit seiner Frau oder seinem Kollegen verkauft oder eingebaut wurde. Auch wenn ich bezweifle, dass in der Praxis eine große Zahl an Ehepartnern oder Mitarbeitern Ofenstudio GmbHs gegründet haben, damit ihr Partner als Schornsteinfeger eigene Öfen verkaufen, einbauen und prüfen und abnehmen kann, so haben wir diese rechtliche Lücke und Hintertür nun im Sinne der Ofenbauer und SHKs, aber auch der Verbraucher geschlossen. Da dies heute meine letzte Rede hier im Plenum ist, möchte ich an dieser Stelle die die Gelegenheit nutzen, um mich zu bedanken und bei Ihnen zu verabschieden. Das gilt für die Kollegen aus der Fraktion, mit denen wir gemeinsam viel erreicht haben, aber auch für den Koalitionspartner, mit dem wir bei handwerkspolitischen Themen zumeist an einem Strang gezogen haben. Da ich dem Handwerk in meiner Funktion als Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen noch weiter erhalten bleibe, bin ich mir sicher, auch in der nächsten Legislaturperiode weiter zu dem ein oder anderen Handwerksthema zusammenzuarbeiten. Darauf freue ich mich. Sabine Poschmann (SPD): Im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber das Schornsteinfegerwesen grundlegend reformiert. Seinerzeit ging es darum, ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission abzuwenden. Die EU-Kommission hatte die bestehenden Regeln als unverhältnismäßige Hemmnisse für die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit in der EU kritisiert. Als Reaktion darauf wurde das Schornsteinfegermonopol abgeschafft. Im Gegenzug erhielten die Schornsteinfeger die Erlaubnis, Nebentätigkeiten auszuüben. Diese neue Situation verunsicherte damals viele Schornsteinfeger. Viele befürchteten, allein von ihrem Kerngeschäft nicht mehr leben zu können. Daher haben sich viele in die Handwerksrolle eintragen lassen, um sich weitere Einkommensquellen zu erschließen. In der Praxis kam es dann aber anders als gedacht. Die meisten Schornsteinfeger sind heute mit ihren eigentlichen Schornsteinfegertätigkeiten gut ausgelastet und haben ein verlässliches, solides Einkommen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Menschen diesem Handwerk vertrauen und dessen Arbeit schätzen. Warum dann also eine Novelle des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes? Nun, zunächst einmal geht es uns darum, den Vollzug des Gesetzes durch die Länder zu vereinfachen. So wird bei der Verwaltung der Kehrbezirke klargestellt, dass die sogenannte Sammelausschreibung als Verfahren zur Neubesetzung von Bezirken genutzt werden kann. Auf diese Weise wird eine lückenlose Besetzung der Kehrbezirke gewährleistet und der Prozess der Massenausschreibungen verschlankt. Dann wollen wir die Kehrbuchdaten besser schützen. Dazu werden die Anforderungen an die Übergabe der Kehrbuchdaten konkretisiert. Zudem wurden die Pflichten der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger bei der Übergabe von Bezirken an Nachfolger präzisiert. Darüber hinaus wollen wir die Anforderungen an die Neutralität der Bezirksschornsteinfeger verschärfen. Für die allermeisten Schornsteinfeger brauchen wir hier eigentlich keine Neuregelung, denn sie erledigen ihre Aufgaben auch so unparteiisch und zuverlässig. Leider gab es in der Vergangenheit aber auch einzelne Fälle, in denen bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger ihre Stellung ausgenutzt und sich die von ihnen eingebauten Öfen gegenseitig abgenommen haben. Dies darf natürlich nicht sein. Bereits nach geltender Rechtslage dürfen bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger daher keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, wenn sie diese selbst oder Angehörige ihres Betriebes eingebaut oder verkauft haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir noch einen Schritt weiter. In Zukunft dürfen Schornsteinfeger auch dann keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, wenn Angehörige des Schornsteinfegers rechtlich oder wirtschaftlich an der Gesellschaft beteiligt sind, die die Anlage verkauft oder eingebaut hat. Damit schließen wir aus, dass ein Bezirksschornsteinfeger eine Anlage von jemandem abnimmt, mit dem er in einer verwandtschaftlichen oder nachweislichen wirtschaftlichen Beziehung steht. Wir sind uns bewusst, dass damit noch nicht alle theoretisch denkbaren Fälle von Wettbewerbsverzerrung zulasten der Ofenbauer ausgeräumt sind. Daher haben wir die vom Ofenbauerhandwerk geforderten weiteren Beschränkungen der Nebentätigkeitsbefugnis für Bezirksschornsteinfeger geprüft, diese aber letztlich nicht in das Gesetz aufgenommen. Denn die damit verbundenen Eingriffe in die Berufs- und Gewerbefreiheit der Schornsteinfeger wären, wenn überhaupt, verfassungsrechtlich nur schwer zu rechtfertigen gewesen. Es wird daher Aufgabe der Handwerksvertreter vor Ort sein, Lösungen zu finden, die einen für beide Berufsgruppen fairen Wettbewerb ermöglichen. Das klappt in vielen Regionen gut und ist auch in beiderseitigem Interesse. Abschließend lässt sich sagen, dass die aktuellen Änderungen und die von 2008 wichtige und richtige Schritte für das Schornsteinfegerhandwerk sind. Denn dies ist eine Branche mit Zukunft. Während die Lehrlingszahlen in vielen Gewerken rückläufig sind, liegt die Ausbildungsbereitschaft dort seit einigen Jahren auf hohem Niveau. Auch das Interesse an diesem Beruf ist gestiegen: Mit der Ausschreibung der Kehrbezirke steigen die Chancen junger Menschen, frühzeitig bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger zu werden. Es ist somit gut, dass wir hier aktiv geworden sind. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Novelle zum Schornsteinfeger-Handwerkgesetz ist notwendig, da einige Paragrafen und Passagen aus der Übergangszeit nach der Liberalisierung obsolet geworden sind. Ferner haben sich aus aktuellen Rechtsprechungen und Praxiserfahrungen weitere Anpassungen ergeben. Schauen wir also auf die jeweils geplanten Änderungen. Die Bestellung zum bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger erfolgt befristet; nach sieben Jahren müssen die Kehrbezirke neu ausgeschrieben werden. Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass unter anderem Sammelausschreibungen zur Besetzung von Kehrbezirken durchgeführt werden sollen. Dies ist sinnvoll, da mit der Möglichkeit der Sammelausschreibung eine lückenlosere Besetzung der Kehrbezirke sichergestellt wird. Auch die Präzisierungen hinsichtlich der obligatorischen Aufgaben wie Feuerstättenschau, Berichtswesen und Abnahmetätigkeiten sind sinnvoll. Selbiges gilt auch für die Festschreibung der unmittelbaren Ausfertigung einer Duldungsverfügung durch die zuständigen Behörden, wenn Schornsteinfegern der Zutritt für Grundstücke und Gebäude zur Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten verweigert wird. Dass außerdem die Abnahme von Anlagen und Feuerstätten nicht mehr durch Bezirksschornsteinfeger, deren Angestellte und Vertreter vorgenommen werden dürfen werden soll, wenn diese an der Erstellung dieser Anlagen beteiligt waren, führt dazu, dass Erstellung und Überprüfung der Vorschriftsmäßigkeit zukünftig deutlicher als bisher getrennt werden. Im internationalen und europäischen Vergleich werden immer wieder der hohe Standard und das geringe Risiko deutlich, die durch die nach wie vor geltenden Regularien und Überwachung durch das Schornsteinfegerhandwerk gesichert werden. Das Niveau der Betriebs- und Brandsicherheit kann in Deutschland trotz vereinzelter Missbräuche als hoch bezeichnet werden und wird durch die vorgesehenen Änderungen des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes weiter verbessert. Die Innungsverbände unterstützen daher das Maßnahmenpaket grundsätzlich. Dass die Betreiber von Feuerstätten in Deutschland selbst im europäischen Vergleich am sichersten leben, ist unzweifelhaft auch ein Verdienst des Schornsteinfegerhandwerks. Zugleich werden vom Gesetzgeber stets wachsende Vorgaben im Hinblick auf Baurecht, Betriebs- und Brandsicherheit, Umweltschutz, Energieeinsparung und Klimaschutz erlassen, deren Durchsetzung, Überwachung und Prüfung von den öffentlichen Behörden gar nicht übernommen werden können. Dies bedeutet, dass über das Schornsteinfeger-Handwerksgesetz viele der hoheitlichen Tätigkeiten dem Handwerk übertragen werden, womit nicht zuletzt für die Sicherheit der über 30 Millionen bundesdeutschen Feuerstätten nur Fachkräfte mit einer Mindestqualifikation als Schornsteinfegergeselle zuständig sind. Hinzu kommt, dass immer mehr Schornsteinfeger inzwischen neben ihrer Schornsteinfeger-tätigkeit andere Gewerbe gegründet haben, unter anderem auch Ofenstudios. Es gibt Berichte, wonach einige Schornsteinfeger die hoheitlichen Tätigkeiten nutzen, um ihr privates Gewerbe anzukurbeln, indem beispielsweise bei der Feuerstättenschau oder Abnahme von Heizanlagen gleich noch Kunden akquiriert werden. Diese Vermischung von hoheitlichen Tätigkeiten und privatwirtschaftlichen Interessen ist nicht erlaubt und vor allem auch gefährlich. Betreffenden Beschwerden muss daher vonseiten der Behörden intensiver nachgegangen werden. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schornsteinfeger bringen Glück, weiß der Volksmund. Leider hatten Sie in der großen Koalition bei der Liberalisierung des Schornsteinfegerwesens im Jahr 2008 kein besonders glückliches Händchen. Die damalige Reform ging nicht weit genug, was die zahlreichen Eingaben und Schreiben, die wir hierzu bekommen haben, zeigen. Es ist deutlich, dass es erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt und die angestoßene Liberalisierung nicht durchschlagend war. Leider geht die heute vorliegende Änderung des Schornsteinfegerhandwerks auf diese Problemstellung nicht ein. Das Gesetz beschränkt sich auf die Regelung praktischer Anwendungsschwierigkeiten beispielsweise bei Ausschreibung, Verwaltung und Übergabe von Kehrbezirken oder auch auf die Sicherung der Kehrbuchdaten. Diese Anpassungen sind richtig, auch um die lückenlose Besetzung von Kehrbezirken zu gewährleisten. Deshalb stimmt meine Fraktion dem Gesetz zu. Auch im Ausschuss hat der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Interessenkonflikte bei der baurechtlichen Abnahme neuer Heizungsanlagen verhindern soll, unsere Zustimmung erhalten. Schornsteinfeger sollten ihre hoheitlichen Aufgaben mit der größtmöglichen Unabhängigkeit erfüllen. Doch mit diesem Gesetz stellen Sie einmal mehr unter Beweis, dass Sie in der Regierung lediglich Dienst nach Vorschrift leisten. Einleitend schreiben Sie zwar, dass dieses Gesetz den Wettbewerb im Schornsteinfegerhandwerk verstärken soll. Doch Maßnahmen in diese Richtung sucht man im Gesetzestext dann ebenso vergeblich wie den Gestaltungsanspruch der großen Koalition in ihrer Regierungszeit insgesamt. Längst ist doch der Begriff „Schornsteinfeger“ mehr als irreführend. Schornsteinfeger selber bezeichnen sich als Experten der Energieerzeugung. Dabei spielen Fragen der Energieerzeugung in Hinblick auf Immissionen und der Energieeffizienz eine entscheidende Rolle. Längst müsste der Schornsteinfeger umbenannt werden zum „Energiewendemanager“, oder so ähnlich. Entsprechend fordern wir Grüne, das Thema viel breiter anzugehen. Dazu kommt die Forderung nach mehr Markttransparenz und fairem Wettbewerb. Deshalb fordern wir Grüne eine bessere Umsetzung der Liberalisierung bei nicht hoheitlichen Schornsteinfegertätigkeiten. Hierzu braucht es eine neutrale Evaluierung der zurückliegenden Reform des Schornsteinfegerwesens. Ich fordere Sie auf: Wenn Sie schon keine Regelung zur Stärkung des Wettbewerbs in das Gesetz bringen, dann lassen Sie doch wenigstens die zurückliegende Reform gründlich prüfen. Diese Evaluierung muss auf der einen Seite die wettbewerblichen Auswirkungen bewerten und auf der anderen Seite die Sicherung der hohen Feuersicherheits- und Umweltschutzstandards bei Heizungsanlagen im Blick haben. Es ist zu prüfen, welche konkreten Maßnahmen den Wettbewerb stärken und dabei einen fairen Interessenausgleich zwischen Schornsteinfegern, Ofen- und Luftheizungsbauern und weiteren Akteuren erzielen können. Auch eine Energieberatung kann stärker im Fokus der Überprüfungs- und Wartungsarbeiten stehen. Nicht zuletzt sollte geprüft werden, ob die mit der Reform beabsichtigte Kostenreduktion im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher tatsächlich erreicht worden ist. Der vorliegende Entwurf ist zwar ein Hüpfer in die richtige Richtung, springt aber viel zu kurz. Die Regierungskoalition hat offensichtlich noch nicht begriffen, dass die Energiewende viel stärkere Veränderungen nach sich zieht, wobei die Digitalisierung und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Überwachung und Steuerung von Heizungsanlagen noch gar nicht betrachtet wurden. Hier bedarf es erheblicher Arbeiten und Veränderungen, die sich sowohl an klaren Zielen des Klimaschutzes ausrichten als auch nachhaltige Veränderungen anstreben und offensichtlich nur von uns Grünen betrieben werden. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute mit einer Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, die am 19. Juni 1997, also heute vor fast genau 20 Jahren, beschlossen wurde. Die Urkunde sollte und soll es den Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) noch heute ermöglichen, Übereinkommen, die veraltet oder nicht mehr relevant sind, aufzuheben, was bis dahin nur durch eine Neufassung der entsprechenden Abkommen möglich war. Seit ihrer Gründung im Jahre 1919 hat die IAO bereits über 180 Übereinkommen abgeschlossen. Im Laufe ihrer Geschichte gab es einen Weltkrieg, einen Kalten Krieg und starke wirtschaftliche Veränderungen in der Welt. Wer hätte damals daran geglaubt, welch beeindruckende Geschichte die asiatischen Volkswirtschaften zurücklegen würden, und wer hätte sich vorstellen können, dass im einst so verfeindeten Europa ein riesiger Binnenmarkt entstehen würde? Da ist es nicht überraschend, dass unter den knapp 200 Abkommen auch welche existieren, die in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren haben und keinen nützlichen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Organisation mehr leisten. An dieser Stelle ist es gut und richtig, dass es der Konferenz der Delegierten der Mitgliedstaaten freisteht, Abkommen auf Vorschlag des Verwaltungsrats aufzuheben. Warum ist es richtig, diese Urkunde zu ratifizieren? Die IAO hat 187 Mitgliedstaaten und vereinigt dadurch fast alle Staaten der Welt. Die zehn Mitgliedstaaten, denen wirtschaftlich die größte Bedeutung zukommt, sind ständige Mitglieder der Allgemeinen Konferenz der IAO. Diese Staaten haben also eine große Verantwortung innerhalb der Organisation. Auch Deutschland zählt dazu. Über zwei Drittel der Mitgliedsländer haben die Urkunde bereits ratifiziert. Mit der nun geplanten Ratifizierung der Urkunde würde die Bundesrepublik ein klares, deutliches und wichtiges Signal aussenden, dass der Schutz der Arbeitnehmerrechte und die Wahrung der Menschenrechte und der sozialen Standards unverzichtbar in der heutigen Welt sind. 70 bis 80 Prozent der Beschäftigten weltweit sind ohne oder nur mit unzureichender sozialer Absicherung beruflich tätig. Es ist eine der großen Aufgaben unseres Jahrhunderts, diesen Wert zu senken und nach Möglichkeit dahin gehend zu verändern, dass nach den nächsten 98 Jahren Existenz der IAO die Statistik lautet: 80 Prozent der Beschäftigten verfügen über eine sehr gute soziale Absicherung. Die Internationale Arbeitsorganisation ist die einzige UN-Organisation, in der nicht nur Vertreter von Regierungen zu finden sind, sondern zu gleichen Teilen auch Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Diese Struktur mag vielleicht mit ein Geheimnis dafür sein, warum die IAO in den vergangenen Jahren so gut arbeiten und effektiv gegen Kinderarmut und informelle Beschäftigung vorgehen konnte. Sie ermöglicht es der IAO aber auch, eine Plattform zu sein, auf der alle Akteure diskutieren und gemeinsam realistische und langfristig orientierte Antworten auf die drängenden Probleme finden. Von dem ausgehend kann durch den Dialog der Beteiligten ein abgestimmtes Handeln garantiert werden. Die IAO wurde nicht umsonst mit dem Friedensnobelpreis geehrt; denn wie sie in der Präambel ihrer Verfassung festgeschrieben hat: „Der Weltfrieden kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden.“ Und in den kommenden Jahrzehnten mangelt es international betrachtet nicht an Baustellen, auf denen die soziale Gerechtigkeit ausgebaut werden muss. Dabei hat die IAO eine herausragende Position bei der sozialen Gestaltung der Globalisierung. Es müssen gemeinsam nachhaltige Instrumente gefunden werden, um internationale Standards zu erhöhen und das Leben von Milliarden Menschen zu verbessern. Die IAO ist dafür gut gerüstet. Vielleicht werden Sie sich nun fragen, wo die Verbindung zum heutigen Tagesordnungspunkt zu finden ist. Ich möchte es Ihnen erklären: Obsolete Abkommen können eine unnötige bürokratische Hürde für die wirtschaftliche Entwicklung der unterentwickelten Länder, aber auch für die Entwicklung Deutschlands darstellen. Nicht jede Regierung der Mitgliedstaaten der IAO verfügt wie die deutsche Bundesregierung über einen Koordinator für Bürokratieabbau, der in den letzten vier Jahren mit Erfolg dazu beigetragen hat, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich ist. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat ebenfalls erkannt, dass veraltete Arbeitsmarktgesetze die Volkswirtschaft hemmen können. Es kann nur von europäischem Interesse sein, dass Frankreich innerhalb der EU mit Reformen zu alter Stärke zurückfindet, und auch, dass die Länder Afrikas außerhalb der EU eine Wirtschaftskraft entwickeln, die den Menschen vor Ort eine Zukunftsperspektive bietet und sie nicht zur Migration zwingt. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Aufhebung überalterter Abkommen dazu beitragen kann, die Lebens- und Arbeitssituation vieler, vieler Menschen weltweit zu verbessern, und bitte deshalb im Namen der CDU/CSU-Fraktion um Ihre Stimme. Unterstützen Sie die Ratifizierung, und geben Sie der Internationalen Arbeitsorganisation den Handlungsspielraum, den sie benötigt, um auf die schnell wechselnden Rahmenbedingungen unserer heutigen und unserer zukünftigen Welt reagieren zu können. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): 1921 hat die Internationale Arbeitsorganisation das Mindestalter von Kohlenziehern und Heizern auf Dampfschiffen festgelegt. Auf Schiffen dürfen seither dazu keine Jugendlichen unter 18 Jahren beschäftigt werden. Ausnahmen gibt es an Häfen, wenn nur Jugendliche zur Verfügung stehen: Dort können statt eines Erwachsenen auch zwei Jugendliche unter 16 eingesetzt werden. Die Technik von Schiffen hat sich seit 1921 stark verändert. Mit dem Einzug der Dieselmotoren verloren die Berufe des Kohlenziehers und des Schiffsheizers an Bedeutung. Auch die Rechtsetzung der ILO ist fortgeschritten: Das Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung von 1973 hat das Übereinkommen Nr. 15 (Kohlenzieher und Heizer) inhaltlich ersetzt. Man höre und staune: In Kraft war es aber immer noch. Dieses Übereinkommen Nr. 15 ist eines von sechs Abkommen, auf das die 106. Internationalen Arbeitskonferenz der ILO letzte Woche die Verfassungsänderung, die wir heute ratifizieren, angewandt hat. Die Änderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation sieht ein Verfahren vor, mit dem veraltete und nicht mehr relevante ILO-Übereinkommen aufgehoben werden können. Das macht inhaltlich Sinn; es gibt jedoch ein völkerrechtliches Problem: Völkerrechtlich vertretbar wäre eine Aufhebung eines Übereinkommens dann, wenn alle Staaten, die das jeweilige Übereinkommen ratifiziert haben, der Aufhebung zustimmen. Die Verfassung der ILO regelt das nun anders: Sie sieht vor, dass die Konferenz der ILO mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der anwesenden Delegierten Übereinkommen aufheben kann. Deutschland hat wegen dieser völkerrechtlichen Einschätzung die Ratifizierung der Verfassungsänderung lange nicht eingeleitet. Die überwiegende Mehrheit der ILO-Mitgliedstaaten teilt diese Auffassung jedoch nicht. Die Änderung der ILO-Verfassung trat am 8. Oktober 2015 für alle ILO-Mitglieder in Kraft, weil eine ausreichende Anzahl an Mitgliedstaaten die Änderung ratifiziert hat. Damit gilt sie auch für Deutschland. Mit der Ratifizierung vollziehen wir nun die bereits in Kraft getretene Änderung nach. Dies ist nach unserer Verfassung geboten. Die Alternative wäre nur der Austritt aus der ILO. Das aber – und das versteht sich von selbst – kommt für uns alle absolut nicht infrage. Klaus Ernst (DIE LINKE): 1997 wurde von der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ein Verfahren beschlossen, mit dem veraltete und nicht mehr relevante Übereinkommen aufgehoben werden können. Bisher waren dazu zwei Schritte notwendig. Zuerst wurde das alte Übereinkommen durch eine Neufassung der IAO aktualisiert. Diese Neufassung enthielt eine entsprechende Kündigungsklausel, die dazu führte, dass bei der folgenden Ratifizierung durch die Mitglieder der IAO das Übereinkommen automatisch gekündigt wurde. Einzelne Mitglieder hatten so die Chance, eine Neufassung nicht zu ratifizieren und somit dessen Kündigung zu umgehen. Die vorliegende Änderung sieht vor, dieses Verfahren zu vereinfachen. Zukünftig soll die Allgemeine Konferenz auf Vorschlag des Verwaltungsrates veraltete Abkommen direkt aufheben können. Dazu ist nur noch eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Delegierten erforderlich. Die im bisherigen Verfahren notwendige Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten der IAO fällt weg. Wie Sie wissen, hat die Bundesrepublik die Abänderungsurkunde bisher wegen völkerrechtlicher Bedenken nicht ratifiziert. Nach Auffassung der Bundesregierung wäre eine Aufhebung eines veralteten Übereinkommens völkerrechtlich nur vertretbar, wenn alle Staaten, die das betreffende Übereinkommen ratifiziert haben, der Aufhebung zustimmen. Es müsste aus Sicht der Bundesregierung wenigstens für diese Vertragsstaaten die Möglichkeit geschaffen werden, dass das Übereinkommen zwischen ihnen weiter angewandt wird. Dieser Auffassung ist die Mehrheit der Mitglieder (unter anderem Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Vereinigtes Königreich) nicht gefolgt. Zwei Drittel der Mitglieder der IAO haben der Abänderungsurkunde zugestimmt, wie es Artikel 36 der Verfassung der IAO erfordert. Diese ist am 8. Oktober 2015 in Kraft getreten. Um keinen verfassungswidrigen Zustand herbeizuführen, muss die Bundesrepublik Deutschland nun ein Zustimmungsverfahren durchführen, unabhängig jedweder Bedenken. Als Alternative würde nur die Kündigung der IAO-Verfassung in Betracht kommen. Dies ist weder wünschenswert noch eine realistische Perspektive. Eine Gefahr, dass ein veraltetes Übereinkommen gegen den Willen von Mitgliedstaaten aufgehoben werden kann, ist äußert gering. Zum einen können nur Übereinkommen aufgehoben werden, die sich als grundsätzlich hinfällig darstellen. Zum anderen müssen zwei Drittel der Mitglieder der Konferenz der Aufhebung zustimmen. Die in der Abänderungsurkunde festgeschriebene Verfahrensänderung ist in einem demokratischen Verfahren von zwei Dritteln der Mitglieder der IAO beschlossen worden. Aus unserer Sicht scheint das neue Verfahren zur Aufhebung veralteter Abkommen zudem praxistauglich. Die Linke begrüßt den Gesetzentwurf daher und stimmt ihm zu. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es hat 20 Jahre gedauert hat, bis die 1997 von der Internationalen Arbeitsorganisation IAO beschlossene Urkunde heute dem Bundestag zur Ratifikation vorgelegt wird. Die Urkunde sieht eine Abänderung der IAO-Verfassung vor. Sie macht es möglich, dass der Verwaltungsrat der Allgemeinen Konferenz vorschlagen kann, veraltete und nicht mehr relevante Übereinkommen der IAO aufzuheben. Die bisherigen Bundesregierungen waren mit der Änderung der IAO-Verfassung aus gutem Grund nicht einverstanden. Deswegen hat es 20 Jahre gedauert, bis der Bundestag damit befasst wurde. Es wurde befürchtet, dass die Aufhebung einzelner Übereinkommen wichtige internationale Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer außer Kraft setzt. Und wir, die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, teilen diese Befürchtung. Die bisherigen Bundesregierungen waren der Auffassung, dass die Aufhebung von IAO-Übereinkünften völkerrechtlich nur unter zwei Bedingungen vertretbar wäre. Erstens. Alle Staaten, die einer Übereinkunft beigetreten sind, müssten der Aufhebung zustimmen. Und zweitens. Für die Vertragsstaaten muss es die Möglichkeit geben, die Übereinkommen auf freiwilliger Basis anzuwenden. Dafür warben die unterschiedlichen Bundesregierungen seit 1997 in den IAO-Gremien. Doch viele IAO-Staaten sind der deutschen Auffassung nicht gefolgt. Zwei Drittel der IAO-Staaten haben die Urkunde im Oktober 2015 ratifiziert. Deswegen bleibt jetzt nur noch die Wahl: Entweder wir kehren der IAO den Rücken, oder der deutsche Gesetzgeber ratifiziert die Urkunde. Denn wenn wir nicht ratifizieren und trotzdem in der IAO bleiben würden, wäre dies ein verfassungswidriger Zustand. Natürlich müssen wir diese Urkunde ratifizieren, und deshalb werden wir Grünen heute auch zustimmen. Denn wir stehen ohne Wenn und Aber hinter der IAO. Für uns ist sie eine enorm wichtige, sinnvolle und schützenswerte Organisation. Gerade in Zeiten globaler Wertschöpfungsketten muss es auf globaler Ebene eine Verständigung über internationale Rechtsnormen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geben. Die IAO ist damit beauftragt, soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und Arbeitsrechte zu befördern und Menschenhandel zu verhindern. An dieser wichtigen Aufgabe hat sich knapp 100 Jahre nach der Gründung der IAO überhaupt nichts geändert. Im Gegenteil – neue Entwicklungen, wie die Digitalisierung, machen sie wichtiger denn je. Die Internationale Arbeitsorganisation hat seit 1919 erheblich dazu beigetragen, dass im internationalen Arbeitsrecht wichtige Normen gesetzt werden konnten. Beispielsweise hat das erste IAO-Übereinkommen Obergrenzen für die Länge von Arbeitstag und Arbeitswoche in der Industrie definiert. Inzwischen gibt es fast 190 solcher IAO-Konventionen, die sich unter anderem mit dem Mindestalter von Beschäftigten, mit der Versicherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, mit den Rechten von Seeleuten oder von Migrantinnen und Migranten befassen oder mit dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Deshalb muss die IAO weiterhin unterstützt und gestärkt werden. Der IAO-Verwaltungsrat hat nun die Möglichkeit, einzelne Übereinkommen außer Kraft zu setzen. Die Risiken sind benannt. Aber es besteht auch die Chance, das internationale Arbeitsrecht transparenter und damit auch wirkungsvoller zu gestalten. Wir hoffen sehr, dass sowohl der IAO-Verwaltungsrat als auch die Allgemeine Konferenz sehr verantwortungsvoll handeln werden. Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf, sich intensiv an weiteren Übereinkommen zu beteiligen. Denn es gibt nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in den Industriestaaten noch erhebliche Defizite bei den Arbeitsbedingungen und im Bereich der sozialen Sicherheit. 1)  Anlage 2 2)  Anlagen 3 und 4 3)  Ergebnis Seite 24572 D 4)  Anlage 5 5)  Anlage 6 6)  Anlage 7 7)  Anlage 8 8)  Anlage 9 9)  Anlage 10 10)  Anlage 11 11)  Anlage 12 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 III Plenarprotokoll 18/240