Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 241. Sitzung Berlin, Freitag, den 23. Juni 2017 Inhalt: Tagesordnungspunkt 29: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland – 15. Kinder- und Jugendbericht – und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/11050 24691 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Siebter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland – Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften – und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/10210 24691 B Dr. Katarina Barley, Bundesministerin BMFSFJ 24691 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 24693 A Markus Koob (CDU/CSU) 24694 B Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24696 B Dr. Carola Reimann (SPD) 24697 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 24698 B Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) 24699 B Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24700 C Stefan Schwartze (SPD) 24701 D Martin Patzelt (CDU/CSU) 24702 D Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksachen 18/12354, 18/12624 24704 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 24704 B Katja Kipping (DIE LINKE) 24706 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 24706 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 24706 C HonD Albert Weiler (CDU/CSU) 24707 A Michaela Engelmeier (SPD) 24708 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) 24709 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24712 A Markus Paschke (SPD) 24713 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) 24713 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) 24714 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 24716 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) 24717 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24717 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 24719 A Herbert Behrens (DIE LINKE) 24719 C Katja Mast (SPD) 24720 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 24721 C Namentliche Abstimmung 24723 A Ergebnis 24725 D Tagesordnungspunkt 31: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten schaffen Drucksache 18/12781 24723 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu der Unterrichtung durch die Deutsche Welle: Entwurf der Fortschreibung der Aufgabenplanung 2014 bis 2017 der Deutschen Welle für das Jahr 2017 Drucksachen 18/10856, 18/11025 Nr. 1.5, 18/12514 24723 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Ulle Schauws, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten ermöglichen Drucksache 18/12803 24723 C Marco Wanderwitz (CDU/CSU) 24723 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 24728 A Martin Dörmann (SPD) 24729 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24730 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 24731 D Siegmund Ehrmann (SPD) 24733 A Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des 4. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes Drucksache 18/12700 24734 D Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) 24734 D Richard Pitterle (DIE LINKE) 24736 B Christian Hirte (CDU/CSU) 24738 A Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24740 C Andreas Schwarz (SPD) 24742 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) 24743 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 24745 C Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 24746 B Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Suizidprävention weiter stärken – Menschen in Lebenskrisen helfen Drucksache 18/12782 24748 A Rudolf Henke (CDU/CSU) 24748 B Birgit Wöllert (DIE LINKE) 24749 B Helga Kühn-Mengel (SPD) 24750 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24751 B Ute Bertram (CDU/CSU) 24752 A Dirk Heidenblut (SPD) 24753 A Hubert Hüppe (CDU/CSU) 24754 A Tagesordnungspunkt 34: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland Drucksachen 18/11413, 18/12656 24755 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung sicherstellen Drucksachen 18/6191, 18/12777 24755 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen Drucksachen 18/11412, 18/12778 24755 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen Drucksache 18/12794 24755 C Sönke Rix (SPD) 24755 C Nicole Gohlke (DIE LINKE) 24756 D Gudrun Zollner (CDU/CSU) 24758 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24759 C Dr. Daniela De Ridder (SPD) 24760 D Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 24761 D Tagesordnungspunkt 35: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung: – 18. Legislaturperiode – Drucksache 18/12505 24763 D Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi 24764 A Kerstin Kassner (DIE LINKE) 24765 A Heike Brehmer (CDU/CSU) 24766 A Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 24767 D Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 24769 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 24770 A Nächste Sitzung 24771 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 24773 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Ulrike Bahr, Dr. h. c. Edelgard Bulmahn, Bernhard Daldrup, Dr. Karamba Diaby, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh-Krämer, Martin Gerster, Angelika Glöckner, Michael Groß, Bettina Hagedorn, Rita Hagl-Kehl, Ulrich Hampel, Frank Junge, Josip Juratovic, Thomas Jurk, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Katja Mast, Dr. Matthias Miersch, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Stefan Rebmann, Petra Rode-Bosse, Bernd Rützel, Johann Saathoff, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Dr. Dorothee Schlegel, Dagmar Schmidt (Wetzlar), Ursula Schulte, Norbert Spinrath, Kerstin Tack, Bernd Westphal und Dagmar Ziegler (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 30) 24773 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sarah Ryglewski und Cansel Kiziltepe (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 30) 24774 C Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 30) 24775 A Petra Crone (SPD) 24775 A Ulrich Freese (SPD) 24775 B Kirsten Lühmann (SPD) 24775 D Markus Paschke (SPD) 24776 B Dr. Simone Raatz (SPD) 24776 D Andreas Rimkus (SPD) 24777 A Dr. Nina Scheer (SPD) 24777 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 24777 D Gülistan Yüksel (SPD) 24778 B Anlage 5 Amtliche Mitteilungen 24778 C 241. Sitzung Berlin, Freitag, den 23. Juni 2017 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland – 15. Kinder- und Jugendbericht – und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/11050 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Siebter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/10210 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll eine Stunde darüber debattiert werden. – Das ist offensichtlich unstreitig. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesfamilienministerin Katarina Barley. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der Präsident hat es gesagt: Ich stelle Ihnen heute zwei Berichte der Bundesregierung vor, und zwar den 15. Kinder- und Jugendbericht und den siebten Altenbericht. Die in den beiden Berichten behandelten Lebensphasen liegen zwar ganz weit auseinander, haben aber einige Schnittstellen, an denen die jeweiligen Probleme und Bedürfnisse durchaus vergleichbar sind; dazu komme ich später. Diese beiden Generationen bilden die wesentlichen Pfeiler des Generationenvertrages. Dieser Generationenvertrag wird derzeit durch den demografischen Wandel auf die Probe gestellt. Auf folgende Fragen müssen wir Antworten finden: Wie schaffen es junge Menschen in einer immer älter werdenden Gesellschaft, die Belastungen zu stemmen, und wie schaffen es ältere Menschen, so lange und so gut wie möglich selbstbestimmt in ihrer gewählten Umgebung zu leben? Beide Fragen müssen wir vor dem Hintergrund des demografischen Wandels neu beantworten. Der 15. Kinder- und Jugendbericht ist der allererste, der sich auf die Phase der Jugend bezieht und beschränkt. Ich musste erst lernen, dass dies etwas Revolutionäres ist; denn wenn man über Kinder- und Jugendpolitik redet, liegt der Fokus oft auf den Kindern. Das ist auch gut so. An dieser Stelle machen wir auch wirklich sehr viel. Aber die Lebensphase der Jugend ist in der politischen Wahrnehmung manchmal etwas unterrepräsentiert. Deswegen freue ich mich als Mutter von zwei Söhnen, die sich gerade im jugendlichen Alter befinden, dass deren Belange und Bedürfnisse in diesem Kinder- und Jugendbericht an prominenter Stelle berücksichtigt werden. Der Kinder- und Jugendbericht benennt drei Kernaufgaben, die Jugendliche zu erfüllen haben. Sie müssen sich qualifizieren. Sie müssen sich entscheiden, in welche Richtung ihr Leben gehen soll und was sie dafür tun wollen und tun können. Sie werden selbstständig – wie alle Eltern wissen, ist das nicht immer ohne Schmerzen möglich – und finden ihren Platz in der Familie und in der Gesellschaft. All das ist leichter gesagt als getan. Der Kinder- und Jugendbericht trifft dazu einige Aussagen. Eine Aussage, die ich für wichtig halte, ist: Junge Menschen brauchen Freiräume. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich eine große Verfechterin der Ganztagsschule bin; in diesem Punkt war ich nicht immer einer Meinung mit meinen Söhnen. Ich jedenfalls halte sie für eine pädagogisch sehr wichtige Errungenschaft. Das ist auch unter sozialen Gesichtspunkten absolut geboten. Die Schule nimmt damit einen großen Raum ein. Wir als Gesellschaft, die Eltern, aber auch andere aus dem Umfeld der Jugendlichen müssen darauf achten, dass Jugendliche über diese zeitliche Beanspruchung hinaus Freiräume und Zeit haben, wo sie ihre anderen Fähigkeiten und Bedürfnisse ausleben können. Das betrifft neben der Zeit auch die Orte. Wir wissen, dass es hier Probleme gibt. Viele Orte, an denen sich Jugendliche aufhalten, an denen sie sich treffen, sind in finanzieller Notlage. Viele Jugendklubs in den östlichen Bundesländern sind zum Beispiel geschlossen worden. Hier ist wirklich noch viel zu tun. Die Jugend fordert einen ganz eigenen Politikansatz; ich glaube, das habe ich schon hinreichend deutlich gemacht. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat diesen Politikansatz in den letzten Jahren sehr konsequent durchgehalten. Wir haben eine Jugendstrategie „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“. Kernelement ist Beteiligung. Das hat auch dieser Bericht gezeigt: Was wir wirklich dringend tun müssen, ist, dass wir weniger über Jugendliche reden und mehr mit ihnen. Wir brauchen eine Jugendpolitik für die Jugend, aber eben auch mit der Jugend und von der Jugend. Einen Satz aus dem Jugendbericht fand ich dazu besonders spannend, nämlich den, in dem es heißt, wir als Ältere würden immer erwarten, dass Jugendliche in die bereits bestehenden Strukturen hineingehen und sich dort beteiligen. Wir hinterfragen viel zu selten, ob es nicht vielleicht andere Strukturen, neue Strukturen, jugendgerechtere Strukturen gibt. Natürlich sind die Jugendparlamente ein großer Pfeiler – auch in meiner Heimatstadt Trier gibt es ein solches –, aber es gibt darüber hinaus auch Beteiligungsmöglichkeiten, die sich Jugendliche selber erarbeiten können, erarbeiten müssen und wo wir ihnen auch die besagten Freiräume geben müssen. (Beifall bei der SPD) Das Spannungsfeld zwischen Jugend und älterer Generation ist – das habe ich schon gesagt – dort am stärksten ausgeprägt, wo das tägliche Leben stattfindet, in den Kommunen. Deswegen haben wir in den Kommunen Jugendbeteiligung als Demografiedialog organisiert. Dabei wurde nirgendwo ein Generationenkonflikt festgestellt. Das Bild, das so oft gebraucht wird, das man in der Politik so oft hört, es würden sich die Generationen mit ihren Interessen gegeneinanderstellen – gerade in der Rentendiskussion ist das der Fall, es gibt aber noch andere –, wurde nirgendwo bestätigt. Es gibt einen ganz großen Willen der Jugendlichen, mitzugestalten und sich vor Ort in die Gesellschaft einzubringen. Wir haben jetzt auch den siebten Altenbericht vorgelegt. Wenn ich gerade gesagt habe, dass die kommunalen Rahmenbedingungen für junge Menschen zentral sind, dann muss man feststellen: Dies gilt für ältere Menschen noch mehr. Das weiß, glaube ich, jeder und jede hier. Ich komme aus einem eher ländlich geprägten Wahlkreis und muss feststellen: Die Politik muss ihr Augenmerk noch sehr viel stärker auf diesen Bereich legen. Für die ältere Generation ist es noch viel existenzieller, dass sie dort leben bleiben können, wo sie ihren Lebensmittelpunkt sehen, wo sie oft schon viele Jahre leben. Dazu gehören altersgerechte Wohnangebote, Zugang zu medizinischer Versorgung und Daseinsvorsorge. Ich nehme als Beispiel den öffentlichen Personennahverkehr. Wen sehen Sie darin, wenn Sie mit dem Bus fahren? Sie sehen junge Menschen, die noch keinen Führerschein haben, Sie sehen alte Menschen, die kein Auto mehr haben, und Sie sehen Frauen. Wen sehen Sie nicht? Männer im mittleren Alter. Das sind aber in der Regel diejenigen, die über ÖPNV-Angebote entscheiden. Ich spitze es ein wenig zu, aber nicht viel. Da müssen wir uns viel stärker einsetzen für die Interessen dieser Gruppen. (Beifall bei der SPD) Was wir brauchen – das sagt auch die Sachverständigenkommission –, ist eine gute Ausstattung der Kommunen. Das können wir nur gemeinsam machen. Diese große Aufgabe können nur Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam stemmen. Deswegen empfiehlt die Sachverständigenkommission die Diskussion über eine Gemeinschaftsaufgabe „Demografischer Wandel“, um gemeinsam dieses ganz dicke Brett bohren zu können und dafür sorgen zu können, dass die Menschen, egal ob jung oder alt, wirklich dort leben können, wo sie selber ihren Lebensmittelpunkt sehen. Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, was mir meine Mitarbeiter gesagt haben, als sie mir den Jugendbericht vorgestellt haben. Sie haben gesagt, sie haben festgestellt: Das ist eine richtig tolle Generation. Das ist eine engagierte, eine motivierte, eine interessierte Generation, die da heranwächst, auf die wir uns freuen können, die auch bereit ist, mit uns Erwachsenen gut zusammenzuarbeiten und gemeinsam eine gerechte, eine gute Gesellschaft aufzubauen. Zu den Erfahrungen aus dem Altenbericht. Wir wissen, dass unsere Alten so aktiv sind wie nie, dass sie sich ehrenamtlich in die Gesellschaft einbringen wie nie. Deswegen heißt es, auch sie zu stärken. Wir müssen auch die Kommunen stärken. Diese Bundesregierung hat das schon getan wie keine Bundesregierung zuvor. Aber es bleibt weiterhin viel zu tun. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Norbert Müller das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich möchte die Gelegenheit heute nutzen, kurz in Bezug auf die Kinder, Jugend- und Familienpolitik dieser Großen Koalition Bilanz zu ziehen. Sie sind mit wenigen Erwartungen, die Sie geweckt haben, gestartet, und Sie haben es geschafft, diese noch zu unterbieten. Aus einem Entgeltgleichheitsgesetz, das die Sozialdemokraten gefordert haben, wurde erst ein Entgelttransparenzgesetz, und davon blieb am Ende nur die Überschrift. Aus dem Schutz von jugendlichen Flüchtlingen wurden die Aussetzung des Familiennachzugs – Sie wissen, mit welchen tödlichen Folgen – und eine Jugendhilfe zweiter Klasse für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge; jedenfalls will das der Koalitionsausschuss. Aus der großen Lösung im Kinder- und Jugendhilferecht, die Sie im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, wurde ein kleingeistiger Gesetzentwurf mit einem Großangriff auf die Rechte von Kindern, von Familien und auf den sozialpädagogischen Ansatz des noch sehr jungen Sozialgesetzbuches VIII, also des Kinder- und Jugendhilferechts. Aus den Verhandlungen zu einem Bundes-Kita-Qualitätsgesetz wurde ein Qualitätsentwicklungsprozess, der sinnentleert ist und am Ende keinem Kind und keiner Familie etwas bringt. Zur Bekämpfung der Kinderarmut haben Sie sich gleich gar nichts vorgenommen. Das war wenigstens ehrlich. Aber den 3 Millionen armen Kindern ist damit nicht geholfen. Jetzt mag man sagen: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Nur: Was ist, wenn der Spatz vielleicht ganz hübsch aussieht, weil er aus Plüsch ist, aber leider wenig lebendig ist? Diese Wahlperiode bleibt damit eine der vielen verpassten Gelegenheiten, auch wenn zum Beispiel die Aufstockung der Mittel für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“, das sich an viele junge Menschen richtet, etwas Gutes ist; das haben wir auch positiv begleitet. Die Bundesregierung hat – in guter Tradition ihrer Vorgängerregierungen – zwar viele spannende Berichte entwickelt, die aus diesem Ressort kommen – Kinder- und Jugendbericht, Altenbericht, Engagementbericht, Gleichstellungsbericht –, aber Sie leiten sie dem Parlament erst zu, wenn die Wahlperiode eigentlich an ihrem Ende angekommen ist. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja!) Deswegen müssen Sie aus diesen Berichten auch gar keine Konsequenzen mehr ziehen. Es ist natürlich schön bequem, Berichte zu entwickeln, aus denen man dann keine Konsequenzen mehr ziehen muss, aber das ist schlecht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte Ihnen kurz fünf Vorschläge für eine gute Kinder- und Jugendpolitik unterbreiten. Erstens. Bekämpfen wir endlich die Kinder- und Jugendarmut. Jedes Kind soll dieser Gesellschaft gleich viel wert sein. Das heißt, Sie müssen Familien unterstützen. Ich will jetzt als Lösung nicht wieder hören: Man muss nur die Eltern in Arbeit bringen, das löst das Problem. Jedes zweite Kind, das arm ist, lebt in einer Familie, in der Elternteile zum Teil Vollzeit arbeiten, und sie sind trotzdem arm. Das heißt, wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, wir brauchen wieder normale Arbeitsverhältnisse, und wir brauchen Unterstützung für die Familien, die trotzdem arm sind. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es geht auch darum, für Leistungen zu sorgen, die allen Kindern zur Verfügung stehen: kostenfreies Schul- und Kitaessen, Frühstück und Mittagessen. Das wäre eine sinnvolle Maßnahme, die Gleichheit unter Kindern und Jugendlichen herstellt. Mit vollem Bauch spielt und lernt es sich eben deutlich besser. Ein beitragsfreier ÖPNV ist eine gute Voraussetzung für Kinder und Jugendliche, an dieser Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben zu können. Zweitens. Eine Konsequenz aus dem 15. Kinder- und Jugendbericht muss es sein, die Jugendverbände zu stärken. Ja, aber auch junge Volljährige müssen besser unterstützt werden. Das sogenannte Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – das kein Stärkungs, sondern ein Schwächungsgesetz ist; insbesondere für die jungen Volljährigen, insbesondere für die unbegleiteten Minderjährigen –, das Sie vorgelegt haben, geht genau in die gegenteilige Richtung. Es kann mir niemand begreiflich machen, warum Sie einen Bericht vorlegen, in dem Sie feststellen, dass sich die Jugendphase verlängert, und gleichzeitig an dieser Jugendphase herumfummeln und versuchen, die Rechte abzubauen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Wir brauchen mehr Beteiligung, mehr Ombudsstellen, aber auch eine Absenkung des Wahlalters. Wir stehen kurz vor der Bundestagswahl. Kein Mensch kann verstehen, warum in mehreren Flächenländern inzwischen 16-Jährige – übrigens mit einer guten Wahlbeteiligung – an landesweiten Wahlen teilnehmen dürfen, im Bund dafür aber keine Mehrheit zu schaffen sein soll. Wir wollen, dass das Wahlalter auf 16 gesenkt wird, und ja, wir wollen, dass die Kinderrechte endlich ins Grundgesetz kommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Wir wollen die Erziehung zum Frieden statt einer weiteren Verklärung des Militärischen gegenüber jungen Menschen. Stoppen Sie die Bundeswehrwerbung in Schule, in Kita und in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stoppen Sie die Rekrutierung von Minderjährigen für die Streitkräfte. Tun Sie etwas gegen Kindersoldaten. Drücken Sie nicht nur einmal im Jahr rote Hände auf ein Blatt Papier, sondern setzen Sie sich effektiv gegen Kleinwaffenexporte ein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fünftens und letztens. Stärken wir das Öffentliche. Wir brauchen mehr Personal in Schule, Kita, Hort und Jugendhilfe. Damit das geht und der Bund sich angemessen an der Finanzierung beteiligen kann, ohne Länder und Kommunen aus der Pflicht zu entlassen: Beseitigen Sie endlich, spätestens zu Beginn der nächsten Wahlperiode dieses depperte Kooperationsverbot. Das braucht kein Mensch. Es ist nur ein Hindernis in der Kinder- und Jugendpolitik. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Markus Koob ist der nächste Redner für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Markus Koob (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundesministerin, ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, Ihnen persönlich zu Ihrem neuen Amt zu gratulieren und Ihnen im Sinne unserer Familien, Jugend, Senioren und Frauen eine erfolgreiche verbleibende Amtszeit zu wünschen. Wenn ich in der Vergangenheit die öffentliche Diskussion zum Thema Jugend beobachtet habe, stellte ich fest, dass es oft, nach meinem Geschmack zu oft um Themen wie Komasaufen, Gewalt, Zigarettenkonsum, Null-Bock-Stimmung oder Schulschwänzer ging. Diese gesellschaftliche Sicht auf Jugendliche hat sich durch zahlreiche erschienene Studien in den letzten Jahren glücklicherweise um 180 Grad ins Positive gedreht. So zeichnete vor allem die Shell-Jugendstudie ein überaus positives Bild der Jugend von heute: Sie ist pragmatisch, schätzt Werte wie Familie, Freundschaft und Partnerschaft, ist politikinteressiert. Erstmals seit den 1990er-Jahren bewertet eine Mehrheit der Jugendlichen die Zukunft der Gesellschaft positiv. Die eigene Zukunft wird sogar noch positiver eingeschätzt. Für Jugendliche zählt im Beruf die persönliche Erfüllung mehr als die Karriereorientierung. Die Jugendlichen haben mehr Angst vor Fremdenhass als vor Zuwanderung. Jugendliche nutzen das Internet mit allen Möglichkeiten, sind aber kritisch bezüglich der Datenverarbeitung durch große Unternehmen. Die große Mehrheit legt Wert auf Werte wie Respekt vor Gesetz und Ordnung. In vielerlei Hinsicht sollte die Jugend von heute für uns alle ein Vorbild sein. Pragmatismus, Optimismus und Toleranz sind Werte, die unsere Gesellschaft im Ganzen stärken und für die Zukunft sichern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Da könnten ruhig ein paar mehr klatschen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Wir wollten die Union mal aufwecken!) – Ja, ich weiß, die schlafen noch ein bisschen. Vor allem das ehrenamtliche Engagement der Jugend ist bemerkenswert. Neben vielfältigen Hobbys, familiären Verpflichtungen und dem Schulunterricht schafft es eine Vielzahl von Jugendlichen, sich neben diesen Hauptverpflichtungen ehrenamtlich zu engagieren. Sie tragen durch ihr Engagement für Sport, Kirche, Schule, Kultur, freiwillige Feuerwehr, Jugendrotkreuz, Jugend-THW, DLRG, um nur einige wenige zu nennen, maßgeblich zum Funktionieren unserer Gesellschaft bei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zwar engagieren sich im Vergleich zum Jahr 1999 weniger Jugendliche; nichtsdestotrotz leisten sie eine hervorragende Engagementarbeit. Als Politiker habe ich den höchsten Respekt vor ihrer Leistung. Ingrid Pahlmann wird das, glaube ich, in ihrer Rede gleich noch einmal genauer ins Licht rücken. Auch der 15. Kinder- und Jugendbericht zeichnet wie zuvor bereits die Shell-Jugendstudie ein überaus positives Bild der Jugend von heute. Dabei wird erstmals überhaupt der Fokus ausschließlich auf die Lebenswirklichkeit der Jugend gelegt und die Kindheit ausgespart. Kindheit ist wichtig, aber in der Forschung schon gut repräsentiert. Auch ich begrüße deshalb die Schwerpunktsetzung auf das Thema Jugend sehr; das wurde Zeit. Dabei ist der Begriff der Jugend eher als unkonkreter Sammelbegriff zu verstehen. Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass zur Jugend alle gehören, die sich jung fühlen; aber zumindest die Menschen zwischen 12 und 27 Jahren können sich diesen Begriff getrost ans Revers heften, nach einem Vorschlag der Sachverständigenkommission sogar die Menschen bis zu einem Alter von Mitte 30, was ich als 39-Jähriger zwar sehr schmeichelhaft finde, aber doch etwas übertrieben. Zudem ist die Jugend genauso pluralistisch wie die Gesellschaft insgesamt. Die eine Jugend gibt es nicht, nur viele individuelle Jugendliche. Nicht nur, weil ihr Anteil an der Gesellschaft aktuell so groß ist wie der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesellschaft, müssen wir in diesem Haus gemeinsam die vielfältigen Interessen der Jugend bestmöglich vertreten; denn Repräsentation ist nicht allein eine Frage des Wählendürfens, sondern vor allem eine Frage des Vertretenwerdens. Ich weiß, dass für eine angemessene Repräsentation der Jugend weiß Gott nicht alle Entscheidungen dieser Legislaturperiode hilfreich gewesen sind. Dennoch werde ich mich auch in Zukunft weiter dafür einsetzen, dass politische Konzepte wie bei der Rente nicht nur bis ins Jahr 2030 reichen. (Beifall der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD]) Ein Rentenkonzept, welcher Partei auch immer, muss die Interessen der Jugend sehr intensiv berücksichtigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sönke Rix [SPD]: Überhaupt mal ein Konzept haben!) Abgesehen von der Rentenpolitik haben wir in dieser Legislaturperiode mit unseren beschränkten Kompetenzen auf Bundesebene viel für die Jugend in unserem Land erreicht. Wir haben auf Bundesebene auf vielfache Weise dazu beigetragen, Jugend zu ermöglichen, indem wir sowohl die Eltern als auch die Länder und Kommunen finanziell stark entlastet haben, so stark wie keine Bundesregierung je zuvor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Die Familien, in denen Jugend lebt und in denen sich Jugend entfaltet, haben wir durch die Erhöhung des Entlastungsbetrages, den Ausbau des Unterhaltsvorschusses, die Erhöhung von Kindergeld, Kinderfreibetrag, Grundfreibetrag und Kinderzuschlag sowie Elterngeld Plus entlastet. Auch der Ausbau von Mehrgenerationenhäusern und die Ausweitung des Jugendschutzgesetzes auf E-Zigaretten und E-Shishas kamen der Jugend in dieser Wahlperiode zugute. Wenn ich mir in meiner voraussichtlich letzten Rede in dieser Legislaturperiode etwas von Ihnen, Frau Ministerin, wünschen darf, dann, dass Sie im Gegensatz zu Frau Schwesig endlich auf die Gefahren für Kinder und Jugendliche durch den Konsum von konventionellen Wasserpfeifen reagieren und einen Entwurf zur Reform des Jugendschutzgesetzes vorlegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Schon zu Beginn des Jahres 2016 hielten dies in einer Anhörung alle Experten zum Wohle der Kinder und Jugendlichen in unserem Land für notwendig. Nehmen Sie dieses Wissen ernst, und schützen Sie unsere Kinder und Jugendlichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der diesjährige Kinder- und Jugendbericht kommt zu keinen revolutionären, aber dennoch zu wichtigen Erkenntnissen. Die Jugend von heute steht hinter der Demokratie als bestmöglicher Staatsform. Sie ist politisch interessiert und keineswegs politikverdrossen. Sie wendet sich bei Problemen überwiegend an Familie und Freunde, strebt in größerer Zahl nach höheren Bildungsabschlüssen als noch vor ein paar Jahren und ist konstant zu drei Vierteln religiös, wenngleich individueller und kirchenunabhängiger. Jugend ist zudem durch eine höhere internationale Mobilität gekennzeichnet, durch eine geringere Arbeitslosigkeit als im Rest Europas, sie bewegt sich in der digitalen Welt im Wissen um Datensparsamkeit mit Leichtigkeit – wenngleich der digitale Zugang von Regionen, Bildungsabschluss und sozialem Status abhängt –, sie kommuniziert vielfältig online, nach wie vor aber auch offline, und liebt die Freizeitgestaltung innerhalb ihrer jeweiligen Peergroup. In Zeiten großer gesellschaftlicher Änderungen, globaler Herausforderungen und damit verbundenen Unsicherheiten wächst die Jugend von heute in einem unübersichtlichen Umfeld auf. In einem solchen Umfeld Jugend zu ermöglichen, ist die Aufgabe von uns allen. Von der Politik sind die geeigneten Rahmenbedingungen vorzugeben und anzupassen, von der Gesellschaft die benötigten Freiräume für die Entfaltung von Jugendlichen bereitzustellen, und schließlich sind vom direkten sozialen Umfeld, von Vätern und Müttern, Lehrern, Freunden und Familienangehörigen, Geborgenheit, finanzielle Sicherheit und persönliche und soziale Unterstützung zu geben. Aber – das halte ich in der Diskussion über Jugend für wichtig – das Ermöglichen von Jugend ist für die Jugendlichen nicht passiv im Sinne von Gewähren von Jugend zu verstehen. Auch sie selbst müssen sich ihre Jugend aktiv ermöglichen. Sie müssen sich selbst engagieren, sich selbst qualifizieren, sich selbst im Internet schützen, sich selbst ihre eigenen Freiräume schaffen, sich selbst und sich gegenseitig helfen. Wir alle haben bei der Entscheidung über den Brexit gesehen, dass Jugendliche zwar ganz überwiegend proeuropäisch eingestellt sind, bei der Abstimmung aber deutlich unterrepräsentiert waren. Das müssen wir alle gemeinsam ändern. Denn in allen europäischen Ländern sind die Jugendlichen außerordentlich proeuropäisch eingestellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Grundvoraussetzung für das bestmögliche Aufwachsen der größtmöglichen Zahl von Kindern und Jugendlichen, um ihnen eine bestmögliche Zukunft zu geben – da danke ich der Sachverständigenkommission für ihre Klarheit –, ist die angemessene finanzielle Ausstattung der Kinder- und Jugendarbeit sowie der sozialen Dienste. Wie beim für die Herstellung von Chancengerechtigkeit überaus wichtigen Aspekt des Bildungssystems sind hier aber originär vor allem die Länder und Kommunen mit ihren Kompetenzen gefragt. Ich bin mir sicher, dass sie den 15. Kinder- und Jugendbericht detailliert analysieren und auf dessen Ergebnisse reagieren werden. Unser Bildungssystem muss – egal ob in Hamburg oder Berlin, Bayern oder Niedersachsen – alle Kinder und Jugendlichen mit ihren jeweiligen Schwächen und Stärken so mitnehmen, dass keine Chancen ungenutzt bleiben, egal welches Geschlecht, welche ethnische Zugehörigkeit, welche regionale oder familiäre Herkunft, welchen sozialen Status oder welche körperliche Verfasstheit das jeweilige Kind aufweist. Wenngleich die Chancen mittlerweile gleicher verteilt sind, ist eine chancengleiche Jugend noch nicht erreicht; dieses Ziel muss deshalb weiter von uns verfolgt werden. Daher werden meine Fraktion und ich uns die 22 Thesen der Sachverständigenkommission aus dem 15. Kinder- und Jugendbericht in der kommenden Legislaturperiode genau ansehen und, wo nötig, Antworten formulieren, damit die Jugend für den größten Teil der Jugendlichen ein möglichst unbeschwerter Lebensabschnitt bleibt und für die wenigen anderen Jugendlichen ein unbeschwerter Lebensabschnitt wird. Ich erlaube mir an dieser Stelle auch eine persönliche Anmerkung. Ich finde es gut, dass wir einen so umfassenden Bericht vorgelegt bekommen haben; er umfasst fast 600 Seiten. Ich stelle allerdings auch nach vier Jahren Parlamentszugehörigkeit und Gesprächen mit rund 2 000 Schülerinnen und Schülern immer wieder fest, dass wir sehr genau wissen, wie die Jugend tickt, wie sie denkt, wie sie lebt, dass aber umgekehrt die Frage, wie Jugendliche den Zugang zu Politik finden, immer noch mit sehr, sehr vielen Fragezeichen behaftet ist. Vielleicht sollten wir uns deshalb gemeinsam intensiver der Frage zuwenden: Wie können wir das verbessern? Ich kann zu meinem Glück sagen, dass ich in meinem Wahlkreis über eine politische Nachwuchsorganisation verfüge, auf die ich sehr stolz bin. Es muss aber Standard werden, dass wir den Jugendlichen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und dass sie wissen, wie Politik funktioniert und wohin sie sich wenden müssen. Ich glaube, das ist eine gemeinsame Aufgabe für uns alle; denn die Jugend von heute ist die Demokratie von morgen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katja Dörner hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Das Auffälligste an der Jugendpolitik dieser Bundesregierung ist, dass sie nicht stattfindet, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und das ist eine sehr schlechte Nachricht für die Kinder und Jugendlichen in unserem Land. Ich will das auch sehr konkret machen: Was ist aus dem Jugendcheck geworden? (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Nichts!) Der Ankündigung, mit dem Jugendcheck alle Vorhaben des Bundes systematisch mit Blick auf die Interessen der Jugendlichen zu überprüfen, konnten sehr viele etwas abgewinnen, und wir alle wissen: Gerade die Jugendverbände haben sich sehr intensiv mit diesem Vorschlag auseinandergesetzt, und sie haben selber gute Vorschläge gemacht, wie man mit einem solchen Jugendcheck sicherstellen kann, dass eben auch Generationengerechtigkeit befördert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Referentenentwurf zur SGB-VIII-Reform versteckte sich dann ein „Jugendcheckchen“, und der Kabinettsbeschluss sah noch nicht einmal mehr dieses „Checkchen“ vor. Das zentrale Projekt tatsächlich eigenständiger Jugendpolitik dieser Legislaturperiode wurde von Union und SPD sang- und klanglos versenkt. Das zeigt, welchen Stellenwert die Jugendlichen bei dieser Bundesregierung tatsächlich haben, nämlich keinen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Koob, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, wie gut es ist, dass wir einen Bericht haben, der sich dezidiert mit der Jugend beschäftigt. Das finde ich auch. Sie haben in Ihrer Rede aber kein einziges Projekt genannt, das in dieser Legislaturperiode tatsächlich zugunsten der Jugendlichen gelaufen ist. Das ist doch extrem bezeichnend, und das müssen wir hier sehr kritisch betrachten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass Jugendpolitik faktisch nicht stattfindet, zeigt auch der sehr traurige Umgang mit den Care Leavern, also mit den jungen Menschen, die nicht bei ihren leiblichen Eltern, sondern in Heimen oder Wohngruppen aufwachsen und deshalb häufig ohne familiären Rückhalt den Weg ins Leben finden müssen. In Bezug auf Hilfestellung beim Übergang in die Selbstständigkeit, in die eigene Wohnung, in die Ausbildung oder auch ins Studium – auch in die finanzielle Selbstständigkeit – gibt es aus unserer Sicht ganz dringenden Handlungsbedarf. Es gab lange Fachdebatten darüber und eigentlich fachlich auch eine große Einigkeit. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, dass sich die Care Leaver selbst auf ganz bewundernswerte Art und Weise organisiert und ihre Erfahrungen und Forderungen in diesen Prozess mit eingebracht haben. Was ist im Rahmen der SGB-VIII-Reform aus diesem Prozess geworden? Daraus ist auch gar nichts geworden, und das ist extrem bitter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir als Grüne haben mit unserem Antrag noch einmal sehr stark herausgehoben, dass wir die Stärkung des Rechtsanspruchs auf Leistungen der Jugendhilfe für die Care Leaver wollen und dass wir diesen Rechtsanspruch auch bis zum 23. Lebensjahr ausweiten wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Blick auf die Care Leaver ist nichts passiert. Stattdessen bekommen wir mit der SGB-VIII-Reform aller Voraussicht nach eine Länderöffnungsklausel für die Versorgung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge. Wir sind davon überzeugt: Mit dieser Öffnungsklausel wird einer Zwei-Klassen-Kinder-und-Jugendhilfe Tür und Tor geöffnet. Wir lehnen das entschieden ab. Das ist das Gegenteil einer guten Jugendpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Kinder- und Jugendbericht beleuchtet auch das Thema „Soziale Ungleichheit“. Wir haben hier in letzter Zeit sehr häufig über Kinderarmut gesprochen. Ich will aber gerade auch darauf hinweisen, dass der Anteil armer Jugendlicher mit knapp einem Viertel besonders hoch ist. Deshalb brauchen wir ganz dringend eine bessere materielle Absicherung von Jugendlichen durch eine Grundsicherung, die sicherstellt, dass alle Jugendlichen dem Staat endlich gleich viel wert sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute auch über den Altenbericht. Wenn es um die Teilhabe armer älterer Menschen geht, schließt sich der Kreis zu dem, was ich über Kinder- und Jugendarmut gesagt habe. Es ist natürlich wunderbar, dass die Menschen in Deutschland immer älter werden und dass sie sich engagieren und einmischen. Es gibt aber eben nicht nur die sogenannten Silver Ager, die mit Wohnmobil und Pedelec ihren Ruhestand genießen. Viele ältere Menschen sind auf Unterstützung angewiesen. Auch hier bleiben ganz große Baustellen für die nächste Legislaturperiode. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir brauchen nicht nur verzahnte Unterstützungssysteme im Gesundheits- und Pflegebereich, sondern auch größere und gezieltere Unterstützung für ein altersgerechtes und generationenübergreifendes Wohnen. Was wir ganz sicher nicht brauchen – das sagen wir Grüne ganz klar –, ist eine Kanzlerin, die mit Blick auf die zunehmende Altersarmut sagt, bei der Rente sehe sie überhaupt keinen Handlungsbedarf. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union hat kein Rentenkonzept!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Carola Reimann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jung und Alt zeichnen sich vor allem durch ihre Vielfalt aus. Menschen mögen gleichen Alters sein, aber ihre Lebenslagen, ihre Interessen und ihre Bedürfnisse sind oft ganz verschieden. Da ist also ein differenziertes Bild gefragt – jenseits von Etiketten und Schubladen. Alter ist nämlich nicht gleich Pflege, Rente und Modelleisenbahn. Jugend ist auch nicht gleich Snapchat, YouTube und Instagram. Einen wertvollen Einblick in diese Vielschichtigkeit der Jugend und des Alters geben uns die vorliegenden Berichte, der Kinder- und Jugendbericht sowie der Altenbericht. Kolleginnen und Kollegen, gerade die Lebensphase Alter hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant, ja stark verändert. Wir werden so alt wie nie zuvor. Wir bleiben so aktiv wie nie zuvor. Die Lebenslagen der Menschen über 65 Jahre haben sich immer weiter ausdifferenziert. Eigenständigkeit und Selbstbestimmung sind dabei vielen sehr wichtig. Die richtigen Rahmenbedingungen für ein gutes Leben im Alter zu schaffen, ist deshalb eine immer komplexer werdende Aufgabe. Umso wichtiger sind die Empfehlungen des siebten Altenberichts, den wir jetzt vorliegen haben. Kolleginnen und Kollegen, dass dabei die Rolle der Kommunen im Zentrum steht, ist kein Zufall. Gerade für Ältere ist der Wohnort, oft nur die Wohnung und die direkte Nachbarschaft, der Lebensmittelpunkt. Für sie hat das direkte Umfeld noch mehr Bedeutung als für Jüngere. Gute, lebendige Nachbarschaften, passgenaue lokale Dienstleistungsangebote und eine gute Versorgung bei Gesundheit und Pflege sind für sie sehr wichtig. (Beifall bei der SPD) Die lokalen Strukturen sind auch deshalb so wichtig, weil die eigenen Kinder oft an einem anderen Ort leben und beruflich eng eingebunden sind. Umso wichtiger ist, dass die Kommunen ihre Verantwortung sehen und gerade für Ältere eine funktionierende Infrastruktur vorhalten können. (Beifall bei der SPD) Deshalb war der SPD-Bundestagsfraktion schon vor dieser Legislaturperiode klar, dass die finanziellen Rahmenbedingungen in den Kommunen erheblich verbessert werden müssen. Heute können wir feststellen: In kaum einer Legislaturperiode wurde für Kommunen mehr erreicht. Das ist gut für die Kommunen und natürlich gut für die Menschen, die dort leben, gerade für die ältere Generation. (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, starke Kommunen, eine gute Infrastruktur vor Ort und gute, lebendige Nachbarschaften sind nicht nur im Interesse älterer Menschen. Auch Jüngere profitieren davon, zum Beispiel durch die Förderung des Engagements und durch gute öffentliche Verkehrsangebote; die Ministerin hat uns hier ihre im Bus gemachten Erfahrungen schon mitgeteilt. Öfter als man denkt, stimmen die Bedürfnisse der Jüngeren mit denen Älterer überein, aber eben auch nicht immer. Auch das wird im Altenbericht betont. Deshalb ist es gut, dass es da zwar Unterschiede gibt, dass aber hier in dieser Debatte beide Berichte, Kinder- und Jugendbericht sowie Altenbericht, in einer verbundenen Debatte unter einem Tagesordnungspunkt besprochen werden. Damit machen wir auch klar: Wir lassen nicht zu, dass Altersgruppen gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der SPD) Unser Ziel ist eine generationenübergreifende Politik, die die Interessen von Jung und Alt im Blick hat. Kolleginnen und Kollegen, zentraler Befund beider Berichte ist soziale Ungleichheit. Gerade bei jungen Menschen fallen die Chancen je nach Lebenslage sehr unterschiedlich aus. Keine Frage: Insgesamt gesehen geht es Deutschland gut. Umso schlimmer finde ich es, dass die ungleiche Chancenverteilung in diesem Land weiterhin besteht: zwischen Familien, zwischen Jugendlichen und auch zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Soziale und räumliche Disparitäten bzw. Ungleichheiten: Dieser Befund aus beiden Berichten ist für uns ein klarer Handlungsauftrag. Wir brauchen mehr Investitionen in gute Bildung für alle, von der Kita bis zur Berufsausbildung und zum Studium, (Beifall bei der SPD) und wir brauchen ein dauerhaft tragfähiges, leistungsfähiges und belastbares Hilfesystem für Alt und Jung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Jüngere und Ältere sind jedoch nicht nur auf Unterstützung angewiesen, Sie übernehmen häufig selbst Verantwortung und engagieren sich für andere. Das ist wertvoll für unsere Gesellschaft, genauso wie die Mitwirkung an den politischen Entscheidungsprozessen. Eine generationengerechte Politik ist nur dann möglich, wenn sich alle Generationen daran beteiligen. Auch das ist heute Morgen schon gesagt worden. (Beifall bei der SPD) Hier sind Jung und Alt aufgefordert, mitzureden und mitzugestalten. Und wir sind gefordert, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Strukturen für diese Mitentscheidung auch zeitgemäß sind. Das hat die Ministerin angesprochen, und ich will dazusagen: Das Haus hat sich nach Kräften bemüht, die Jugend zu beteiligen. Ich denke, es gibt aber noch einiges zu tun. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auch bei der Bundestagswahl wäre ein solcher erster wichtiger Schritt. (Beifall bei der SPD) Liebe Frau Ministerin, dass die Interessen von Jung und Alt in der Bundesregierung weiterhin sehr gut vertreten sind, haben Sie heute mit Ihrer Rede gezeigt. Ich freue mich, dass wir an der Spitze des Hauses eine engagierte Kämpferin für Jung und Alt haben. Liebe Katarina Barley, auch von mir alles Gute und viel Erfolg für die wichtigen Aufgaben! Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Siebte Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland stellt die Sorge und Mitverantwortung in der Kommune und damit den Aufbau und die Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften in den Mittelpunkt der Untersuchungen. Die neue Generation der Seniorinnen und Senioren unterscheidet sich von ihren Vorgängergenerationen ganz erheblich. Heute sind sie mobiler, sozial gut vernetzt, gesundheitlich und geistig fit und eine wichtige Stütze für die Familie und Gesellschaft. Ausgeprägter Wunsch der älteren Menschen ist, ein selbstbestimmtes und aktives Leben so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Nirgendwo zeigen sich die demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen so deutlich wie in den Kommunen, wo die Menschen wohnen, arbeiten und zusammenleben. Das heißt für die Kommunen, Wege und Möglichkeiten zu finden, gemeinsam mit den Vertretern des zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort, den Vereinen, Verbänden und der Kirche, eine Infrastruktur zu schaffen, die eigenständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglicht und sichert. So wurde im Koalitionsvertrag unter anderem festgeschrieben, dass im Rahmen des siebten Altenberichts, der im Frühjahr 2015 vorzulegen war, integrative regionale seniorenpolitische Gesamtkonzepte zu entwickeln sind. Nach mehrfachem Drängen der Opposition wurde der Bericht schließlich im November 2016 an den Bundestag überwiesen; beraten wurde er dann aber noch lange nicht. Heute steht er auf unserer Tagesordnung. Er wird im Schnellverfahren ohne Debatten in den Ausschüssen und ohne eventuelle Anhörungen letztlich im Bundestag durchgewunken. Das ist genauso wie beim Jugendbericht; so muss man nämlich keine Konsequenzen aus den Berichten ziehen. Stellt sich die Regierung eine Zusammenarbeit mit dem außerparlamentarischen Sachverstand so vor? Ich finde das eher oberpeinlich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Weiter fordern die Sachverständigen in ihren Handlungsempfehlungen Bund und Länder auf, den Kommunen mehr Mitbestimmung einzuräumen. So empfehlen sie, die Finanzhoheit in diesem Land vom Kopf auf die Füße zu stellen, sowie die Unterstützung von informellen Hilfsnetzwerken aus Familien, Freunden und Nachbarn, die Förderung ehrenamtlichen Engagements älterer Menschen und die verbesserte Beratung für pflegende Angehörige. Dabei muss man aber bei der Förderung des ehrenamtlichen Engagements immer darauf achten, dass sie tatsächlich on top geht, weil das Engagement nicht als Ausfallbürge für angeblich nicht finanzierbare staatliche Aufgaben herhalten darf. So wie die Sachverständigen formuliert auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme, dass es auf strukturelle, inhaltliche und finanzielle Rahmenbedingungen sowie darauf ankommt, die „sehr unterschiedlichen Entwicklungen in den Kommunen in Deutschland“ zu beachten. Betroffen seien alle wichtigen Lebensbereiche und die Lebensqualität des Miteinanders aller Generationen vor Ort. Das betrifft Wohnen, Wohnumfeld und Daseinsvorsorge, medizinische, pflegerische und betreuende Versorgung, Selbstbestimmung, Bildung und Information, Mobilität und soziale Kontakte. Eine wichtige Unterscheidung bei der Beschreibung regionaler Vielfalt ist die Differenzierung von städtischem und ländlichem Raum. So gibt es laut Bericht erhebliche Unterschiede hinsichtlich Wohlstand, Infrastruktur und Bevölkerungszusammensetzung. – Alles neue Tatsachen? Da müssen wir uns wirklich an den Kopf fassen: Das war uns doch seit Jahren bekannt. Daraus hätte man schon längst etwas entwickeln müssen. (Beifall bei der LINKEN) Um die Situation der Kommunen zu verbessern, dürfen haushaltspolitische Zwänge nicht sinnvolle Entwicklungen in der Seniorenpolitik demontieren, und das ist jahrelang gemacht worden. Kommunen brauchen finanzielle Stabilität und Planungssicherheit. Scheinbarer oder tatsächlicher Geldmangel darf nicht zur Streichung von Leistungen führen. So wären eine gezielte Förderung von wirtschaftlicher Betätigung durch den Abbau von Einschränkungen zugunsten der öffentlichen Hand und die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer erstrebenswert. Fazit: Erfolgversprechende Potenziale sind vorhanden. Sie müssen greifen, weil für den Erfolg einer emanzipatorischen Seniorenpolitik engagierte Menschen in Politik und Gesellschaft entscheidend sind. Die Gestaltungskraft der Kommunen könnte bei angemessener Verteilung der vorhandenen Finanzen und Ressourcen sowie nachhaltigem, sozialgerechtem Handeln der politisch Verantwortlichen – und das sind Sie, meine lieben Kollegen aus der Koalition – gemeistert werden. Hier sind Bund und Länder gefordert. Auf geht’s – hoffentlich. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Pahlmann hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben nun schon viele Aspekte zu den beiden umfangreichen und interessanten Berichten gehört. Bevor ich eine weitere Perspektive, nämlich die des bürgerschaftlichen Engagements, in unsere Debatte einbringe, möchte ich erst einmal beiden Sachverständigenkommissionen für ihre Arbeit danken. Worauf ich nun in den nächsten Minuten eingehen möchte, ist ein Thema, das unsere ganze Gesellschaft betrifft. Mit beiden Berichten decken wir nicht nur eine ungemein weite Spanne des Lebens ab, sondern betrachten auch zwei für das bürgerschaftliche Engagement sehr wichtige Gruppen. Und wichtig sind diese Gruppen für das bürgerschaftliche Engagement in zweierlei Hinsicht: zum einen natürlich als Ziel von Engagement. Ich denke da an die vielen Vereine, beispielsweise die vielen Sportvereine, in denen ehrenamtliche Trainerinnen und Trainer Kinder und Jugendliche betreuen und so deren Freizeit mitgestalten. Ich denke aber auch an nachbarschaftliche Hilfevereine, in denen man sich beim Einkaufen, der Garten- oder auch der Sorgearbeit gegenseitig unterstützt. Viel wichtiger für unsere Gesellschaft ist aber – und das wissen wir sowohl aus der Engagementforschung insgesamt als auch aus den beiden uns vorliegenden Berichten – das Engagement von Jugendlichen und auch Älteren als aktive, sich einbringende Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU) Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren sind gesamtgesellschaftlich die am stärksten engagierte Gruppe, ein Fakt, den wir in meinen Augen viel zu selten anerkennen, wenn wir zum Beispiel mal wieder auf die jungen Menschen schimpfen, die sich nicht an Wahlen beteiligen, sich nicht für Politik interessieren oder vermeintlich nur mit dem Smartphone spielen. Dieses Engagement der jungen Generation ist für unsere Gesellschaft von enormer Bedeutung. Aber auch die Heranwachsenden profitieren davon. Grundsätzlich schlummert im Engagement ein Bildungsschatz von unsagbarem Wert. Man lernt, Verantwortung zu übernehmen, für andere, aber auch für sich selbst, man lernt von seinem Gegenüber, den Erfahrungen, die jede Einzelne und jeder Einzelne gemacht hat, und man lernt, sich einzubringen. Man erfährt Wertschätzung von anderen und spürt, dass man gebraucht wird. An dieser Stelle lässt sich die Brücke zu den Älteren in unserer Gesellschaft schlagen. Besonders bei 60- bis 65-Jährigen stellen wir eine hohe Engagementbereitschaft fest, aber wir wissen aus Studien auch, dass sich gerade auch Hochaltrige weiter einbringen wollen. Sie haben den großen Wunsch, Teil der Gemeinschaft zu sein. Auch sie wollen Mitverantwortung tragen und spüren und weiterhin Anerkennung erhalten. Leider setzt mit zunehmendem Alter häufiger das Gefühl ein – das hat uns Herr Professor Kruse bei der Vorstellung des Altenberichts im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement eindrücklich verdeutlicht –, von der Gesellschaft vergessen zu werden. Die älteren Menschen haben das Gefühl, dass ihre Kompetenzen und Fähigkeiten nicht mehr gebraucht werden, und das müssen wir verhindern. Viele Menschen sind immer länger fit und aktiv. Wir brauchen ihr Engagement für unsere Gemeinschaft. Daran müssen wir arbeiten und eine Lösung dafür finden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Crone [SPD]) Der Altenbericht empfiehlt hier als eine Möglichkeit die Schaffung von Gelegenheitsstrukturen. Dabei sieht er vor allem den lokalen Raum. Er sieht hier in den Kommunen die größten Chancen. Es gilt, möglichst lokale Begegnungsräume zu schaffen, um den Austausch zu fördern und somit jedem und jeder Einzelnen zu verdeutlichen, dass er oder sie gebraucht wird. In meinen Augen – da bin ich glücklicherweise einer Meinung mit der Altenberichtskommission – sind die Mehrgenerationenhäuser, die wir in dieser Legislaturperiode weiter gestärkt haben, genau ein solcher Raum. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es können sich alle Generationen einbringen, sich gegenseitig stärken und voneinander profitieren. Miteinander und voneinander lernen ist auch im Bundesfreiwilligendienst in besonderem Maße möglich. Das ist ein weiteres Beispiel für die großen Anstrengungen, die wir als Bund zur Förderung des Engagements und somit zur Förderung von Jung und Alt unternehmen. Der BFD zeichnet sich durch die Besonderheit aus, für alle Altersgruppen offen zu sein. Es ist uns damit ein Stück weit gelungen, den langerprobten Weg der Jugendfreiwilligendienste als Bildungsdienst für alle Generationen zugänglich zu machen. Wir als Unionsfraktion stehen hinter dem BFD und können uns auch sehr gut vorstellen, dessen Einsatzbereiche zum Beispiel auch auf viele Aufgaben für Senioren und Seniorinnen, aber auch Familien mit Unterstützungsbedarf zukünftig auszuweiten, immer natürlich unter der Berücksichtigung des Eigensinns des bürgerschaftlichen Engagements. Nicht nur wir als Union sehen im freiwilligen Engagement für jeden Aktiven, egal wie agil oder fit er ist, eine Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wir wollen einen ermöglichenden Staat, der den Raum und den Rahmen für die breite Vielfalt des Engagements schafft. Gleichzeitig dürfen wir aber das Engagement nicht überlasten. Es darf nicht zur Bewältigung jeder Herausforderung herangezogen werden. Dies trifft in besonderem Maße in der Kinder- und Jugendarbeit sowie im Kontext mit der älteren Generation zu. Es gilt immer, einen guten Weg zwischen Haupt- und Ehrenamt zu finden, zwischen Professionalität und dem besonderen Blick des Außenstehenden, zwischen bezahltem Handeln und freiwilligem Einbringen. Dabei gilt auch: Wir müssen das Engagement bzw. die engagierten Menschen in unserem Land vor unnötiger Bürokratie bewahren und von dieser befreien, wo immer das nötig und möglich ist. Dies empfehlen auch die beiden Expertenkommissionen. Gerade im Kinder- und Jugendbereich wird darauf hingewiesen, wie hoch die externen Anforderungen an Verbände, Organisationen und Einrichtungen in diesem Bereich bereits sind. Wir müssen hier klug abwägen. Ich möchte kurz zwei Beispiele darlegen: zum einen das erweiterte Führungszeugnis für die in der Kinder- und Jugendhilfe Tätigen. Wir wollten bereits in dieser Legislaturperiode eine bürokratiearme Ja-Nein-Auskunft einführen, um beispielsweise Vereinsvorsitzende zu entlasten. Da haben sich meine Kolleginnen Christina Schwarzer und Gudrun Zollner sehr gut eingebracht, und sie haben gute Vorarbeit geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kompliment. Leider war dieser Schritt in dieser Periode nicht umsetzbar. Aber ich kann Ihnen versichern: Wir werden uns weiter in der nächsten Periode dafür einsetzen, damit das gelingt. Das andere Beispiel betrifft etwas, was uns gerade in den letzten Tagen besonders beschäftigt. Ich möchte das Vorhaben, die Meldepflichten für die offene Jugendarbeit massiv auszuweiten, nennen. Wir sind uns hier im Hause – das gilt für meine beiden Beispiele – alle einig: Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist absolut wichtig. Da gibt es überhaupt keine Diskussion. Wir dürfen aber durch unsere Maßnahmen nicht dazu beitragen, dass das Engagement im Kinder- und Jugendbereich zurückgeht, dass es zu einem Sterben der wichtigen offenen Jugendarbeit kommt. Am Ende würde es für viele Jugendliche keine dieser so wichtigen Anlaufstellen mehr geben, und es würde für viele Jugendliche die Möglichkeit, sich zu engagieren, verloren gehen. Eines ist auch klar: Engagement ist immer eine Frage der eigenen Biografie. Engagement muss gelernt werden; es bedarf hierfür Vorbilder. Das ist wieder ein gutes Beispiel, wie die von uns heute debattierten Berichte ineinandergreifen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit einem Blick auf die Uhr fürchte ich allerdings, dass meine verbleibende Redezeit nicht mehr ausreichen wird, um näher und tiefer auf diesen Aspekt einzugehen. Ich möchte mich abschließend bei allen Engagierten in unserem Land bedanken. Euer Einsatz ist es, der unsere Gesellschaft und unsere Gemeinschaft so wertvoll macht. Vielen Dank für jede Stunde, für jede Minute, die dafür aufgewendet wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächste hat Frau Beate Walter-Rosenheimer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen auf den Tribünen! Nicht viel. – So traurig es ist, aber diese zwei Worte beschreiben, wie ich finde, die Bilanz der Arbeit der Bundesregierung für junge Menschen leider sehr treffend. Nicht viel ist geschehen – und das, obwohl die Vorhaben der ehemaligen Ministerin Schwesig im Jugendbereich ohnehin nicht sonderlich ambitioniert waren. Nicht einmal das, was auf der Liste stand, wurde durchgesetzt. Hier ein paar Beispiele: Der sogenannte Jugendcheck wurde die gesamte Wahlperiode hindurch hin- und hergepustet und ist nun geplatzt wie eine Seifenblase. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hinsichtlich der Jugendbeteiligung hatte sich die Ministerin immer wieder einmal öffentlich für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ausgesprochen. Passiert ist gar nichts. Da war der SPD das Eisen wohl leider zu heiß. (Sönke Rix [SPD]: Das war der Union zu heiß, nicht uns!) – Na ja, auch ihr habt nicht richtig Druck aufgebaut, sodass wir das durchsetzen können. (Sönke Rix [SPD]: Wir haben verhandelt!) Das, was uns zur Reform der Kinder- und Jugendhilfe bisher vorliegt, ist wirklich eher ein Reförmchen. In dieser Form würde sie noch viele substanzielle Verschlechterungen für Jugendliche bringen; das muss man einfach so sagen. Jugendpolitisch wirkte diese Wahlperiode für mich wie eine Beschäftigungstherapie und ein substanzloses Schaulaufen vor den Verbänden und der Öffentlichkeit. Dabei wäre so viel zu tun gewesen, gerade jugendpolitisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der im Frühjahr dieses Jahres erschienene Kinder- und Jugendbericht zeigt deutlich, worum es in der Jugendpolitik gehen muss: Jugend braucht Freiräume. Jugend darf nicht daraus bestehen, sich immer weiter qualifizieren zu müssen. Jugendliche brauchen politische Teilhabe. Wir haben heute schon gehört, dass sie sich nicht mehr so gerne in Parteien engagieren; aber sie sind sehr engagiert und sehr politisch. Sie zeigen ihr Engagement eben anders, und dem muss die Politik Rechnung tragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Thema „Care Leaver“ – meine Kollegin Katja Dörner hat es schon gesagt –: Junge Menschen kann man mit der Volljährigkeit nicht einfach so ins Leere laufen lassen. Sie sind nicht so erwachsen, dass sie sich immer allein versorgen können. Diese Versorgungslücke muss man schließen. Junge Menschen brauchen einen besseren Zugang zum Ausbildungssystem. Wir haben viel zu viele junge Menschen, die in irgendwelchen Übergangssystemen herumhängen. Eine gute Ausbildung ist ein effektiver Schutz vor Jugendarmut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch junge Geflüchtete sind ein Thema dieses Berichts. Diese jungen Menschen sind in erster Linie Jugendliche. Eine Zweiklassenjugendhilfe, wie die Bundesregierung sie offenbar plant, wäre fatal. Kollege Koob von der CDU, Sie haben es gerade gesagt: Gleichberechtigung unabhängig von der Herkunft. – Wenn die Union das schon sagt, dann ist das schon etwas, finde ich. Da appelliere ich auch an die SPD, es nicht zuzulassen, dass es für Jugendliche, die aus anderen Ländern kommen, eine Politik zweiter Klasse gibt, dass wir also eine Zweiklassenjugendhilfe bekommen. An dieser Stelle muss ich auch an die sozialdemokratische Ehre appellieren. Wir wollen keine Jugendhilfe zweiter Klasse. Herr Koob, wir wollen, dass Ausbildung, auch die junger Geflüchteter, gerecht gestaltet wird. Sie haben, finde ich, gute Ansichten. Ich kann vielem, was Sie gesagt haben, zustimmen. Ich wünsche mir, dass Sie das auch Ihren Kollegen in Bayern, den Kollegen von der CSU, einmal nahebringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Alles in allem ist es doch absurd, wenn die Bundesregierung Experten mit der Erstellung umfangreicher Berichte zur Lage der Nation, zur Lage der Jugendlichen betraut und dann diese Erkenntnisse fast komplett ignoriert. Wenn ich mir diesen Kinder- und Jugendbericht anschaue, stelle ich fest, dass Ignoranz das Markenzeichen dieser Großen Koalition ist und dass diese Koalition eine Große Koalition der – sorry – kleinen oder manchmal leider auch kleingeistigen Ideen war. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckhard Pols [CDU/CSU]: Gestern hast du uns noch gelobt!) Im Zusammenhang mit dem Thema „Kinder aus Familien mit psychisch kranken Eltern“ habe ich gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit gemacht. Ich würde mir das auch für andere Themen sehr wünschen; denn gerade was Jugendpolitik angeht, ist sehr viel offen. Ich möchte darstellen, was wir Grüne ausgearbeitet haben und fordern: Ausweitung der Hilfe für junge Volljährige – dieses Themas solltet ihr euch annehmen; es ist wirklich wichtig –, eine flächendeckende Verankerung von Schulsozialarbeit, Jugendberufsagenturen, Stärkung der Beteiligung, Senkung des Wahlalters oder auch Verbesserung der Lebenssituation von queeren Jugendlichen. Das sind Themen, bei denen man ganz viel machen kann. Mehr kann ich in der Kürze der Zeit gar nicht mehr sagen. Ich möchte abschließend sagen, dass ich die jugendpolitische Bilanz dieser Regierung für schlecht halte. Ich finde, dass eine – in Anführungszeichen – „alte“ parlamentarische Mehrheit jungen Leuten mehr zutrauen sollte. Alle demografischen Prognosen sagen uns, dass wir eine Lobby für junge Menschen brauchen. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Ende. – Wir brauchen einfach statt einer Autolobby, Rüstungslobby und Bankenlobby eine Jugendlobby. Ich bitte sehr darum, dass die Regierung der nächsten Legislaturperiode mehr Gewicht auf eine gute Jugendpolitik legt. Die Jugend ist nämlich unsere Zukunft. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster hat das Wort Stefan Schwartze für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Stefan Schwartze (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich haben wir einen Bericht, der die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen in den Mittelpunkt stellt. Er zeigt uns ganz deutlich, vor welchen besonderen Herausforderungen die jungen Menschen heute stehen. Wie zeichnet sich die Jugendphase heute aus? Sie ist oft davon geprägt, zu funktionieren, möglichst gut und möglichst schnell in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Beschäftigung zu sein. Qualifizierung, Verselbstständigung, Selbstpositionierung sind die drei Kernforderungen, damit alle jungen Menschen ihren eigenen Weg finden und ein selbstständiges Leben führen können. Jugend ist heute eine gesellschaftliche Minderheit geworden. Etwa jeder Neunte in der Bundesrepublik gehört zu den 15- bis 24-Jährigen. Wir müssen diese Gruppe sichtbarer machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein Jugendcheck, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, hätte dabei unserer Gesetzgebung sehr geholfen. Leider haben wir darüber keine Einigung erzielen können. Aber der Kampf für diesen Jugendcheck wird in der nächsten Wahlperiode weitergehen. (Beifall bei der SPD) Wenn es nach mir ginge, könnten Jugendliche mit 16 wählen. Wer entscheiden kann, ob er weiter zur Schule geht oder eine Ausbildung beginnt, der kann und muss auch über die Rahmenbedingungen mitentscheiden dürfen. (Beifall bei der SPD) Ich bin davon überzeugt, dass mit der Absenkung des Wahlalters auch das politische Interesse gestärkt würde. Im Bericht heißt es deutlich: Jugendliche zeigen hohe Demokratieaffinität und ein vielseitiges Engagement. Jugendliche selbst sollten Akteure sein, die die Jugendpolitik mitgestalten. Ich bin froh, dass sie das bei der Jugendstrategie im Ministerium auch waren und sich dort einbringen konnten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein wesentlicher Grundpfeiler der Entwicklung ist neben dem Elternhaus die Schule. Dort werden Kinder und Jugendliche nicht nur gebildet, sondern sie knüpfen Kontakte und Freundschaften für ihr ganzes Leben und verbringen den Großteil ihres Tages dort. Zu unserer Bildungsverantwortung gehört es daher, Schulen zu modernisieren. Trotz aller Entlastungen der Kommunen: In die Schulen haben wir in den letzten Jahren viel zu wenig investiert. Wir brauchen gut ausgerüstete Klassenzimmer mit moderner Ausstattung und digitaler Technik. Digitale Bildung muss Gegenstand von Unterricht sein. Der Erwerb von digitalen Kompetenzen ist heutzutage grundlegend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Neben der Modernisierung brauchen wir auch ein Angebot für einen flächendeckenden Ganztagsausbau. Guter Ganztag braucht jugendpädagogische Konzepte. Guter Ganztag muss so gestaltet sein, dass ehrenamtliches Engagement in Vereinen und in Jugendverbänden gefördert wird. (Beifall bei der SPD) Sie sind ein wichtiger Bildungsort, und dort werden Freundschaften geschlossen, die oft ein Leben lang halten. In dieser Entwicklungsphase ist es zudem elementar, dass Jugendliche ihre Freiräume haben und leben können. Sie brauchen Rückzugsorte, die nicht mit Leistungszwang und Fremdbestimmung verbunden sind. Bereits in der Schule muss es für die Jugendlichen eine frühzeitige Berufsorientierung geben, damit sie ihre Möglichkeiten und Talente erkennen und ein guter Start in die Ausbildung gelingt. Neben einer Ausbildungsgarantie müssen wir den Zugang zur dualen Ausbildung erleichtern und ihre Qualität steigern. Dazu gehört für mich ganz klar auch, dass wir jedem Jugendlichen eine Ausbildungsvergütung gewähren. (Beifall bei der SPD) Berufsausbildungen, die Geld kosten, darf es definitiv nicht mehr geben. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]) Jugendliche, die einen erfolgreichen Schulweg nicht im ersten Anlauf schaffen, brauchen einen zweiten, einen dritten; sie brauchen die Kultur der mehreren Chancen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) So können auch noch junge Erwachsene einen erfolgreichen Weg gehen. Die Jugendlichen haben mit der richtigen Hilfe und Unterstützung – davon bin ich zutiefst überzeugt – auch die Potenziale dazu. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich möchte mich jetzt von hier vorn aus ganz persönlich bei einer Kollegin bedanken. Liebe Petra Crone, wir haben 2009 hier zusammen angefangen. Du hast mit ganzem Herzen für deine Themen in unserem Familienbereich gestritten. Vor allem die ältere Generation und das Thema Pflege lagen dir dabei immer am Herzen. Jetzt hast du dich entschieden, nicht mehr zu kandidieren. Wir als Arbeitsgruppe wünschen dir alles, alles erdenklich Gute. Es war eine Riesenfreude, mit dir zusammenzuarbeiten, und – wenn ich das von hier vorn aus einmal so sagen darf – eigentlich waren wir ein bisschen ein Dreamteam. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Schwartze. – Diesen guten Wünschen kann ich mich auch vom Präsidium aus anschließen. Vielen Dank, Frau Crone, für Ihre Aktivität im Familienausschuss, in dem ich ja eine Zeit lang auch Mitglied war. – Herzlichen Dank. Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht nunmehr der Kollege Martin Patzelt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche für Frau Timmermann-Fechter. Sie ist gerade gestern an ihrem Geburtstag relativ nachhaltig erkrankt, und ich bin hier in die Bresche gesprungen. Ich soll Sie grüßen; sie hätte sehr gern zu diesem Thema gesprochen. Nun bin ich eingesprungen, und das gibt mir die Gelegenheit, aus meiner Sicht ein paar Akzente zu setzen. Ich übernehme also nicht nur ihren Bericht. Ich bin für das Feld nicht Berichterstatter, aber von meinem Lebensalter her in der Seniorenproblematik doch ein bisschen erfahren. Wir erleben in den Kommunen jetzt vermehrt, dass sich Seniorinnen und Senioren auf sogenannten Seniorenmessen darstellen. Sie präsentieren da ihre sportlichen Aktivitäten, sie präsentieren ihr Engagement in der Gesellschaft, ihre Freizeitgestaltung in Chören, in Seniorentheatern, in Bastelkreisen. Sie haben eigene Begegnungsstätten. Sie machen darauf aufmerksam, dass sie eine aktive Rolle in unserer Gesellschaft spielen wollen und tatsächlich auch spielen. Sie gestalten eine Seniorenzeitung, werden von Wohlfahrtsverbänden, auch von den Kommunen unterstützt. Es ist eine Frage der Wahrnehmung, es ist die Frage, wie wir als die Generation der Entscheider – dazu zähle ich mich auch wieder – die Senioren in ihrer Situation und mit ihren Potenzialen tatsächlich auch anerkennen. Ich finde es hervorragend, dass wir die Diskussion des Jugendberichts und des Altenberichts zusammen durchführen. Es setzt noch einen drauf, dass wir das zusammen mit dem Engagementbericht diskutieren. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) Diese drei Dinge gehören unausweichlich zusammen, wenn man eine gesunde Gesellschaft denkt. „Die Jungen und die Alten müssen fest zusammenhalten“ war in meiner Kinderzeit ein Hit, und daran hat sich wahrscheinlich nichts geändert. Es gilt, in einer sich immer mehr diversifizierenden Gesellschaft, in einer Gesellschaft, in der die Kommunikationsstrukturen sich völlig verändert haben – ich denke nur an das Internet und die Möglichkeit der älteren Generation, damit zu kommunizieren –, neue Wege zu finden. Wie schaffen wir es, dass die Jungen und die Alten ausreichend und in einer produktiven Weise miteinander kommunizieren können? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht auf die Erfahrungen der Alten verzichten. Sie bringen etwas aus ihrer Lebensgeschichte mit, was die junge Generation nicht mehr haben kann; ich denke nur an das Erleben von Armut, Not, Krieg und Aufbau. Wir haben schon öfter gemerkt: Wenn junge Menschen solche Erfahrungen nicht mehr haben, sind sie geneigt, die Welt, die Umwelt und die Zukunft aus ganz anderer Perspektive zu bedenken, und sie kommen dementsprechend zu bestimmten Entscheidungen. Kontinuität von historischer Erfahrung und Innovation in der Zukunft kommen eigentlich nur durch einen gesunden Austausch zwischen den Generationen zustande. Unsere Aufgabe als Politiker wäre es, Strukturen, Möglichkeiten genau dafür zu finden und die Bedingungen dafür zu fördern. Wir machen vieles. Wir haben in der letzten Periode 130 Millionen Euro mehr für die „Soziale Stadt“ ausgegeben – zusätzlich zu den 700 Millionen Euro, die wir für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen. Wir haben die Projekte der Mehrgenerationenhäuser verstetigt. Aus Modellprojekten wurden ständige Einrichtungen – und das alles, weil wir erkannt haben: Wir brauchen auch Strukturen für den Austausch der Generationen und für ihr Zusammenwirken. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber wir dürfen nicht in die Gefahr geraten, die alten Menschen lediglich als Objekte unserer guten Versorgung zu betrachten. Wir wollen ihnen auch die Möglichkeit des Engagements geben. Ich schließe mich Ihnen, Frau Reimann, da an; Sie haben das vorhin sehr betont. Wir müssen den alten Menschen deutlich machen, nicht nur verbal, sondern auch durch Strukturen und durch die Organisation unseres Zusammenlebens, dass wir sie brauchen, dass sie unverzichtbar sind. Entsprechend den Möglichkeiten, die ältere Menschen haben – sie sind an Orte gebunden, sie sind an bestimmte Kommunikationsformen gebunden –, müssen wir ihnen die Dinge erleichtern. Wir müssen es schaffen, dass wir im Gespräch bleiben. Wir haben viele Leistungen von alten Menschen immer wieder auch öffentlich herausgestellt. Denken Sie nur mal daran, was gerade die Generation der Großeltern heute für den Zusammenhalt von Familien leistet! In Patchworkfamilien sind Großeltern oft der Anker und ein Garant dafür, dass in einer sich ständig wandelnden Welt Kinder noch ein Stückchen Heimat erleben. Wenn all das, was die Großeltern da an Zeit, an Engagement und auch an Geld hineinstecken, wegfallen würde, wäre mir bange um den Zusammenhalt dieser Gesellschaft. Diese Leistung darf nicht nur individualisiert gesehen werden. Vielmehr muss sie im Zusammenhang mit unserer gesamtgesellschaftlichen Situation und Entwicklung hervorgehoben werden. Die Frage ist ja nicht nur, welche Möglichkeiten wir jungen Menschen geben, sich an Entscheidungen in der Kommune zu beteiligen. Vielmehr hat der Altenbericht ja auch darauf verwiesen: Die Lebensorte der älteren Menschen sind vorwiegend in den Kommunen. Hier tragen wir eine große Verantwortung. Die Frage ist daher: Wie geben wir älteren Menschen die Möglichkeit der Beteiligung an Entscheidungen in den Kommunen bei einer wachsenden Abhängigkeit von Ort, Gelegenheit und Kommunikationsform? Darüber müssen wir nachdenken. Das müssen wir fördern. Das alles ist in unserem eigenen Interesse. Es ist ein gemeinsamer Weg, den wir gehen. Die Erfahrungen von Medizinern und Verhaltensforschern zeigen, dass ein höheres Lebensalter gerade dann gut und lebenswert sein kann, wenn Menschen beteiligt werden, wenn sie sich im Rahmen der Möglichkeiten, die sie haben, engagieren können. Darauf müssen wir unser Augenmerk legen. Wer rastet, der rostet. Das merken wir auch selber immer wieder – eine alte kollektive Erfahrung. Lassen Sie uns in der kommenden Legislaturperiode genau da weiterdenken. Es geht nicht immer nur um konkrete Maßnahmen, sondern auch darum, das Ganze miteinander, mit Alt und Jung, zusammenzudenken. Ich meine dabei nicht nur die politische Bühne, wo wir von Maßnahme zu Maßnahme rutschen und denken: Dann haben wir es geschafft. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11050 und 18/10210 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Drucksache 18/12354 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/12624 Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst Frau Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Saal und auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, herzlichen Dank, dass Sie uns Gelegenheit geben, hier nun zum siebten Mal die Position der SPD zur sachgrundlosen Befristung kundzutun. (Beifall bei der SPD) Ja, auch die SPD will Arbeitsverträge verbieten, die ohne jede Begründung nur auf Zeit abgeschlossen werden. Solche Arbeitsverträge brauchen wir nicht. (Beifall bei der SPD) Sie schwächen die Position von Beschäftigten und versperren gerade jungen Menschen die Möglichkeit, sich eine gute Lebensperspektive aufzubauen und die eigene Zukunft zu planen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was folgt daraus politisch?) Ich verstehe an dieser Stelle die hartnäckige Verweigerung unseres Koalitionspartners CDU/CSU, hier endlich etwas zu ändern, nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU, wollen doch unbedingt, dass sich junge Menschen in Deutschland für Kinder und Familie entscheiden. Hier haben Sie eine wunderbare Möglichkeit. Schaffen Sie endlich die sachgrundlosen Befristungen ab, und Sie haben auf der Stelle eine wirksame Maßnahme zur Geburtensteigerung. Denn Untersuchungen belegen klar, dass unbefristet Angestellte mehr Kinder haben als Beschäftigte in einem befristeten Arbeitsverhältnis. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das würde den Staat überhaupt nichts kosten. Eine sehr gute Maßnahme wäre das. Ich frage Sie: Warum schlagen Sie sich in einer so wichtigen Frage auf die Seite der Unternehmen und Personalabteilungen? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weiß sie eigentlich, dass wir zusammen regieren?) Schon klar: Personalchefs und -chefinnen haben weniger Arbeit und größere Rechtssicherheit mit dieser Art von Verträgen. Aber denken Sie doch bitte auch an die jungen Menschen. Haben sie kein Recht auf einen guten Start ins Berufsleben? Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU, Sie könnten gleichzeitig auch die Lebenssituation vieler Frauen deutlich verbessern. Die aktuelle Ausgabe von arbeitsmarkt aktuell des DGB aus diesem Monat fasst die Sachlage sehr gut zusammen – ich zitiere –: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir alle nicht abonniert!) Befristete Beschäftigungen nehmen immer mehr zu. Inzwischen haben 3,2 Mio. Menschen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis. Bei Männern sind 38 Prozent aller neu abgeschlossenen Arbeitsverträge befristet, bei Frauen sind es sogar 47 Prozent. Vor allem junge Menschen sind betroffen. Befristungen schaffen nicht nur berufliche Unsicherheiten, sondern sind oft auch mit deutlichen Lohneinbußen verbunden. Schlimm ist, dass etwa die Hälfte aller Befristungen ohne sachlichen Grund ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In welchem Ministerium sind eigentlich die meisten unbefristeten Arbeitsverträge?) Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU: Geben Sie sich einen Ruck, und machen Sie dem Spuk endlich ein Ende! Unsere Unterstützung haben Sie. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kümmern Sie sich um unbefristete Arbeitsverhältnisse in Ihren Ministerien! Da gibt es die meisten!) Sie, meine Kolleginnen und Kollegen der Linken und Grünen, werden uns gleich dazu auffordern, für den Gesetzentwurf zu stimmen, um damit die sachgrundlosen Befristungen abzuschaffen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nach dieser Rede würde ich das auch tun!) Das werden wir nicht ohne die CDU/CSU tun; denn wir haben gemeinsam einen Koalitionsvertrag geschlossen. Darin steht, dass CDU, CSU und SPD nur gemeinsam stimmen werden. Daran halten wir uns auch. Das würden Sie genauso erwarten, wenn wir eine Koalition hätten. (Beifall bei der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Ich würde so was erst gar nicht unterschreiben!) Nun ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der Linken. Natürlich können Sie hier im Bundestag immer wieder dieselben Anträge und sogar wortgleiche Gesetzesinitiativen einbringen. (Zurufe von der LINKEN: Ja!) Das ist in einer Demokratie Ihr gutes Recht. Wenn wir aber heute auf Ihre Initiative hin zum siebten Mal dasselbe Thema diskutieren und dieselben Argumente zum siebten Mal austauschen, so frage ich mich: Fällt Ihnen nichts Weiteres ein? (Beifall bei der SPD) Ist Ihnen zum Ende der Legislaturperiode die Puste ausgegangen? Ich hätte mich gefreut, heute mit Ihnen zum Beispiel über Arbeit auf Abruf zu sprechen. Bei dieser unwürdigen Beschäftigungsmöglichkeit erfahren die Beschäftigten immer erst kurz vorher, wann und wie lange sie zur Arbeit kommen sollen. Theoretisch müssen sie mindestens vier Tage im Voraus informiert werden. Praktisch sind die Beschäftigten aber meist auf die Arbeitseinsätze und auf das damit verbundene Geld angewiesen und beschweren sich nicht, wenn ganz kurzfristig ein Anruf vom Arbeitgeber kommt. Diese Art der Arbeit macht Planbarkeit und eine weitere Arbeit für die Betroffenen gänzlich unmöglich. Auch solchen Entwicklungen müssen wir einen Riegel vorschieben. Wo, so frage ich, bleibt da die Linke? (Lachen bei der LINKEN – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch peinlich, Frau Hiller-Ohm! Sie haben jeden Antrag von uns abgelehnt!) Ich kann mich an keinen sonst so gerne hier im Plenum von Ihnen losgelassenen Empörungsschrei erinnern. Nur Zwischenrufe haben Sie an dieser Stelle. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist dreist!) Wir werden mit unserem derzeitigen Koalitionspartner, CDU/CSU, an dieser Stelle leider auch nicht mehr weiterkommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie wollten sich einmal bedanken für die gute Zusammenarbeit! Das wäre langsam Zeit! Wir tragen Sie hier durch! Wir haben einen Erfolg nach dem anderen bei den Umfragen, und Sie beschweren sich! Das finde ich nicht richtig!) Aber wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden uns in unserem Regierungsprogramm, das wir am Wochenende in Dortmund beschließen, gegen diese ausbeuterischen Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten aussprechen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, lassen Sie kurz vor Schluss noch eine Zwischenfrage zu? Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir wollen gute Arbeit und faire Löhne, damit Altenpfleger, Erzieher, Krankenschwestern, Busfahrer, Kassiererinnen und alle hart arbeitenden Menschen in unserem Land für ihre verantwortungsvollen Tätigkeiten endlich gerecht entlohnt werden und ihre Arbeit so wertgeschätzt wird, wie sie es verdienen. Wir haben auch gute Konzepte für Steuer und Rente vorgelegt, die zeigen, wie soziale Gerechtigkeit in Deutschland funktionieren kann. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie können auch weiterhin den Kopf in den Sand stecken!) Ich komme zum Schluss. (Heiterkeit bei der SPD) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und auch der Grünen, sollten sich genau überlegen, in welchem Land Sie leben wollen (Volker Kauder [CDU/CSU]: In einem CDU/CSU-Land!) und ob es der richtige politische Weg ist, den konservativen Kräften direkt oder indirekt den Weg zu ebnen. Gute Arbeit und Verbesserungen für die Menschen, die für sich und ihre Familien hart schuften müssen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das mit dem Schluss hat aber nicht geklappt! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Können Sie noch einmal nach Martin rufen?) um über die Runden zu kommen, gibt es nur mit einer starken Sozialdemokratie und mit starken Gewerkschaften. (Beifall bei der SPD) Wir haben in den letzten Jahren schon vieles erreicht und das Leben der Menschen verbessert. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir werden weiter kämpfen. (Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Jetzt noch nach Martin rufen!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Ich gebe der Kollegin Kipping für die Fraktion Die Linke Zeit für eine Kurzintervention. Katja Kipping (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Hiller-Ohm, Sie haben hier mit viel Verve über das Thema „Arbeit auf Abruf“ gesprochen. Mal abgesehen davon, dass es natürlich ein Thema ist, mit dem sich die Linke beschäftigt und zu dem wir tolle Vorschläge gemacht haben: Verstehe ich Ihren Einwurf jetzt richtig, dass Sie als SPD, wenn wir als Linke jetzt einen Antrag zu dem Thema einbringen, dem zustimmen werden, um dieses wichtige Thema wirklich in Angriff zu nehmen? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, möchten Sie darauf antworten? – Ja. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Links reden, rechts abstimmen!) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das war ja nun eine tolle Frage. (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Danke schön. Natürlich würden wir dem nicht zustimmen. Aber Sie und auch wir hätten dann doch die Gelegenheit, über dieses Thema hier im Plenum öffentlich zu diskutieren und unsere Positionen auszutauschen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das machen Sie doch gerade!) Das wäre toll. Denn wir haben eine Position dazu, sind aber mit dem Koalitionspartner verbunden – das wissen Sie doch auch. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gehen Sie doch mal gemeinsam Kaffee trinken!) So, wie wir es vereinbart haben, werden wir gemeinsam stimmen. Das ist doch richtig so. Aber Sie haben die Chance verpasst, hier im Plenum ein Thema, das für viele Menschen wichtig ist, anzusprechen und zu diskutieren. Diese Chance haben Sie verpasst, und das finde ich schade. Wenn Sie siebenmal das gleiche Thema „sachgrundlose Befristung“ hier aufs Tapet bringen, dann ist das toll und Ihr Recht. Aber Sie vertun eine Chance, und Sie geben uns nicht die Chance, uns hier zum Thema „Arbeit auf Abruf“ auszutauschen. (Beifall bei der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was zu beweisen war! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut! Bravo! Gut, dass ihr darüber geredet habt!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Wir machen jetzt in der Aussprache weiter. Als Nächster hat Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Glanzstück war das natürlich nicht, Frau Hiller-Ohm. Ich verstehe, Sie sind in einer schwierigen Lage. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Gar nicht! In einer guten!) Aber dass man einfach das Thema wechselt, weil man bei dem anderen Thema nicht mehr aus der Mühle herauskommt, ist nicht besonders überzeugend. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Wir wollen einen funktionierenden Arbeitsmarkt, der den Wert der Arbeit anerkennt. Zugleich müssen die Rahmenbedingungen so geändert werden, dass die Menschen mit mehr Zuversicht in die Zukunft blicken können. Deshalb werden wir die sachgrundlose Befristung abschaffen, um insbesondere jungen Menschen Perspektiven und mehr Planbarkeit für ihr berufliches und privates Leben zu ermöglichen. Warum klatschen Sie denn nicht? Das ist Ihr Wahlprogramm. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber Sie sind nicht einmal in der Lage, dann zu klatschen, wenn es um Ihr Wahlprogramm geht. Liebe Freundinnen und Freunde von der SPD, weil wir so freundlich sind, geben wir Ihnen heute mit unserem Antrag die Chance, diesen Teil Ihres Programms noch vor der Wahl umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen auch, warum das Ihre Chance ist: weil Sie zurzeit so auftreten und von Fehler zu Fehler tapsen, dass ich glaube, dass Sie nach der Wahl überhaupt nicht mehr dazu in der Lage sind – das ist das Problem –, entweder, weil Sie sich auf die Große Koalition einlassen, oder, weil sich Frau Merkel einen noch bequemeren Koalitionspartner sucht. (Zurufe von der SPD) In der Opposition werden Sie dann wieder links – das ist nichts Neues. Nehmen Sie also Ihr Programm ernst, und stimmen Sie heute unserem Antrag zu, die befristete Beschäftigung abzuschaffen! Dann machen Sie wenigstens zum Schluss etwas Vernünftiges, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Laut DGB hatten im Jahr 2015  3,2 Millionen Menschen nur noch eine befristete Beschäftigung. Die Hälfte der Befristungen war sachgrundlos. Fast jede zweite Neueinstellung – 42 Prozent – erfolgte nur noch befristet. Und Sie berufen sich auf den Koalitionsvertrag, um zu begründen, dass Sie da nichts ändern müssen. Das ist traurig, meine Damen und Herren, richtig traurig! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiler zu? Klaus Ernst (DIE LINKE): Ja, aber gerne. HonD Albert Weiler (CDU/CSU): Herr Ernst, ich habe da jetzt schon mit Spannung zugehört. Ich bin jetzt etwas später gekommen; ich habe Sie schon von draußen gehört. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das schadet in der Regel nicht!) Ich habe Angst, dass Sie hier noch einen Herzinfarkt bekommen. Deshalb wollte ich Sie mal etwas dämpfen. Meine Frage: Ist die Angst jetzt so groß, dass die SPD nicht mit Ihnen koalieren will, dass Sie hier jetzt solche Schreiparaden machen? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden jetzt dem Thema aber auch nicht gerecht!) Wissen Sie, die Befristung als solche – ich habe es Ihnen schon mal gesagt –, auch für zwei Jahre, schafft Arbeitsplätze. (Zurufe von der LINKEN) Ich werde es jetzt wiederholen: Als langjähriger Bürgermeister hatte ich viele befristet Beschäftigte, die ich aber fast alle in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis übernommen habe. Diese befristeten Arbeitsverhältnisse haben mir die Möglichkeit gegeben, festzustellen, ob die Betreffenden ins Team passen. Viele, die ins Team gepasst haben, habe ich behalten. Diejenigen, die nicht ins Team gepasst haben, sind gegangen. Wenn das anders gewesen wäre, wäre das für beide Seiten nicht gut gewesen, weder für den Angestellten noch für das Team; denn letztendlich muss das System funktionieren. In meiner Gemeinde funktioniert es gut. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn eigentlich?) Durch Geschrei, Geplärre, so eine Ausdrucksweise und Beschimpfungen wird das Ganze nicht besser. Das wird auch den Angestellten nicht gerecht, selbst wenn ich berücksichtige, dass wir uns in der Wahlkampfzeit befinden. Danke schön. (Zurufe von der LINKEN: Weiterreden! – Weiterreden! – Nicht aufhören!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Lieber Kollege, ich empfehle Ihnen, zuerst unseren Gesetzentwurf zu lesen und dann eine Zwischenfrage zu stellen. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie bemerkt, dass es nicht generell um Befristungen, sondern allein um die sachgrundlose Befristung geht. Das ist der erste Punkt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihr zweiter Punkt betrifft die Aussage, dass wir Angst hätten, die SPD koaliert nicht mit uns. Das Problem ist nicht, dass wir Angst haben, dass sie nicht mit uns koaliert. Das Problem ist vielmehr, dass die SPD so wenige Stimmen bekommen könnte, dass sie gar nicht mit uns koalieren kann. Das ist das Problem. Das wäre bedauerlich; denn wenn es so käme, bekäme es die SPD, die ja die Position vertritt, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen, faktisch nicht hin, weder mit Ihnen von der Union – das haben Sie gerade bewiesen – noch mit der FDP, mit der sie möglicherweise koaliert. Dann bliebe alles so, wie es ist. Es würde sich dann nichts ändern, obwohl der Zustand, so wie ich ihn beschrieben habe, absolut unakzeptabel ist. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage das alles so laut, Kollege, weil es mich nervt, dass wir seit zwölf Jahren diskutieren und uns eigentlich einig sind, dass wir wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt brauchen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie waren immer so laut, nicht nur heute!) und dass Sie zusammen mit Ihrem Koalitionspartner – Sie haben Mitschuld; das war Ihr Koalitionspartner nicht alleine – Bremser sind. Sie sitzen hinten und bremsen den Zug. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wir fahren den Zug!) Ich sage Ihnen: Sie werden den Zug auf Dauer nicht bremsen können. Das Interesse der Menschen an vernünftiger Arbeit wird sich durchsetzen, mit Ihnen oder ohne Sie, Herr Weiler. (Beifall bei der LINKEN) Damit habe ich die Frage ausreichend beantwortet. Sie dürfen sich wieder setzen. Jede zweite Neueinstellung erfolgt nur noch befristet. Ich sage Ihnen: Das ist ein Skandal angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Republik. Betroffen sind vor allem junge Menschen. Sie hangeln sich häufig von einem befristeten Job zum nächsten. Sie leben in ständiger Planungsunsicherheit. Ihr Spitzenkandidat sagt dazu: Das kann nicht unser Angebot für die Jugend sein; darum werden wir die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen. – Dann machen Sie es doch! Nicht nur Blabla, sondern Taten, liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der LINKEN – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, und das machen wir auch!) Wie wir wissen, erhalten befristet Beschäftigte einen Lohn, von dem sie kaum leben können. Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten mit befristetem Vertrag liegt bei 30 Prozent. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut hat festgestellt: Über ein Viertel der befristet Beschäftigten unter 35 Jahre verdient mit einer Vollzeittätigkeit weniger als 1 100 Euro. Unternehmen missbrauchen Befristungen – genauso wie die Leiharbeit – zum Drücken der Löhne. Das wissen Sie. Sie hätten die Chance, das zu ändern. Selbst der Deutsche Bundestag macht diesen Unfug mit. Künftig sollen selbst die Beschäftigten des Fahrdienstes des Deutschen Bundestags, also die Fahrerinnen und Fahrer, die uns herumkutschieren, nur noch auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge erhalten. Aus welchem sachlichen Grund? Rechnen Sie damit, dass es uns in einem Jahr nicht mehr gibt, weil die AfD so stark wird? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wovon reden Sie eigentlich?) Wie kann man denn überhaupt auf die Idee kommen, Leute, die uns teilweise schon 20 Jahre durch die Gegend fahren, nur noch befristet einzustellen? (Beifall bei der LINKEN) Sie schreiben im Leitantrag Ihres Parteivorstandes zum Parteitag: „Den öffentlichen Arbeitgebern kommt hier eine besondere Verantwortung zu.“ Damit haben Sie recht. Dieser Verantwortung werden Sie aber nicht gerecht. Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, es gibt erneut Bedarf an einer Zwischenfrage. Klaus Ernst (DIE LINKE): Gerne. Wer denn? Vizepräsidentin Michaela Noll: Aus der SPD-Fraktion. Klaus Ernst (DIE LINKE): Aha. Okay. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sollen wir das Mikrofon etwas leiser drehen?) – Nein, sonst wacht Ihr nicht auf. Michaela Engelmeier (SPD): Dieses Mal ist es die Sozialdemokratie, Herr Ernst. – Sie haben gerade den Kollegen von der Union darauf hingewiesen, dass die sachgrundlose Befristung der aktuelle Tagesordnungspunkt ist. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob auch Sie das verstanden haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe den Eindruck, dass Sie glauben, dass es sich um den Tagesordnungspunkt „SPD-Bashing“ handelt. (Heiterkeit bei der SPD) Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es ist doch unglaublich, was Sie da gerade erzählen. Nehmen Sie doch unser Wahlprogramm zur Kenntnis! Wir Sozialdemokraten sind diejenigen, die immer dafür gesorgt haben, dass die Arbeitnehmerrechte gestärkt werden. Vielleicht kommen wir einfach zum Thema zurück. Sagen Sie uns noch ein bisschen was zur sachgrundlosen Befristung. Dann haben wir alle gewonnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Klaus Ernst (DIE LINKE): Liebe Frau Kollegin, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie genau gemerkt, dass ich das mache. Ich wollte Ihnen etwas zu Ihrem Wahlprogramm sagen, zu dem, was da drinsteht. Wissen Sie, was das Problem ist? Da kommt so viel heiße Luft, dass man eigentlich einen Heißluftballon damit füllen könnte. (Heiterkeit bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Ach komm! – Weitere Zurufe von der SPD) Spätestens heute werden die Menschen wieder merken, ob Sie das, was Sie sagen, ernst meinen oder ob Sie das, was Sie sagen, nur als Blabla für die Bevölkerung verbreiten. Wissen Sie, ich würde mir wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie durch dieses Blabla wenigstens in den Umfragewerten steigen würden. Aber die Menschen durchschauen es, wenn Sie einerseits eine Forderung erheben, aber hier im Deutschen Bundestag das Gegenteil machen und so dafür sorgen, dass alles beim Alten bleibt. Das ist nicht aufrichtig. Das ist im Prinzip ein angesagter Betrug am Wähler: wenn man etwas sagt, aber gleichzeitig weiß, man kriegt es nicht hin, weil es mit der FDP nicht geht oder mit der CDU/CSU nicht hinzukriegen ist. Das ist die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit dieser müssen Sie sich auseinandersetzen. Deshalb unser Antrag. Damit das für alle klar ist: Wir wollen hier heute dafür sorgen, dass die Menschen, die befristete Arbeitsverträge haben – nicht nur die, die hier sitzen und uns zuhören –, vor allem die vielen jungen Menschen, übrigens überwiegend Frauen, wieder eine echte Chance am Arbeitsmarkt haben, dass sie nicht mehr befristet beschäftigt sind, sondern dass sie Planungssicherheit haben. Diese Chance können Sie heute mit uns nutzen, indem Sie zustimmen. Wenn Sie es nicht tun, verlieren Sie Ihre Glaubwürdigkeit endgültig, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, um es noch einmal deutlich zu machen: Wie ist es denn in den Ministerien, die Sie führen? Wie ist es denn bei der öffentlichen Hand? (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wie ist es bei den SPD-geführten Ministerien?) Sie schreiben ja im Leitantrag, öffentliche Arbeitgeber hätten eine besondere Verantwortung. Da haben Sie recht. Aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage ergibt sich, dass sich im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, also eines SPD-geführten Ministeriums, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, genau!) der Anteil der Befristungen im Zeitraum von 2007 bis 2015 nahezu versechsfacht hat. Inzwischen sind 17,2 Prozent dort nur noch befristet beschäftigt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also lassen Sie uns da mal raus!) 13,7 Prozent aller Beschäftigten dort haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag ohne sachlichen Grund. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Na, so was!) – Ja, genau. Darüber rege ich mich auch auf. Sie sich auch. Da haben Sie ausnahmsweise einmal recht. – Deshalb sage ich Ihnen: Es geht darum, erst im eigenen Haus auszumisten, bevor man hier die großen Töne spuckt. (Beifall bei der LINKEN) Im Geschäftsbereich von Frau Nahles, im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, waren fast die Hälfte aller Befristungen im Jahr 2016 sachgrundlos, nämlich 41,6 Prozent. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oha!) Das ist ein Armutszeugnis und beweist wieder: Wenn Sie das wirklich ändern wollen, dann geht das nicht durch dolle Sprüche. Von wegen SPD-Bashing. Ich wäre froh, wenn es anders wäre, das können Sie mir glauben. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD) Dann hätten wir zusammen nämlich die Chance, das zu ändern. Wir wären wahrscheinlich die einzige Koalition, die das wirklich ändern könnte. Aber Sie machen eine Politik – auch indem Sie heute unseren Antrag ablehnen –, die dazu führt, dass Sie draußen kein Mensch mehr ernst nimmt. Das ist ein Problem. Ich hätte es auch gerne anders. Aber dafür sind nicht wir mit unserem Antrag, sondern Sie mit Ihrem Handeln verantwortlich. Ändern Sie Ihr Handeln! Schaffen Sie die befristete Beschäftigung heute mit uns ab! Ich danke Ihnen für das Zuhören. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Ernst. – Als Nächstes erteile ich das Wort Herrn Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist wieder einmal eine Debatte, in der sich die Union fröhlich zurücklehnen kann; denn es scheint ja im Augenblick nichts Wichtigeres zu geben als die Auseinandersetzung zwischen den Linken und der SPD. Ich will Ihnen sagen: Uns geht es um die Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!) Das ist keine billige Polemik. Ich will Ihnen sagen, worum es geht: Erst das Land, dann die Menschen und ganz am Schluss die Partei. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh ja!) Wenn wir dies in unserer Bevölkerung nicht deutlich machen, werden wir auch kein Vertrauen aufbauen. Deswegen bin ich etwas befremdet über die Art der Diskussion. Aber ich könnte mich auch fröhlich zurücklehnen und sagen: Lass sie mal. Meine Damen und Herren, als ich 2005 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, gab es in Deutschland circa 5 Millionen Erwerbslose. Damals entstand die zweite Große Koalition. Wir hatten hohe Staatsschulden. Die Rentenversicherung brauchte im September des Jahres Geld, um überhaupt die Renten auszahlen zu können. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr habt ja auch einige Steuern gesenkt vorher!) Den Betrieben ging die Luft aus. Es gab jede Menge Insolvenzen. Ich will Ihnen sagen: Den Beschäftigten haben der hohe Kündigungsschutz und eine unbefristete Beschäftigung in dem Moment überhaupt nicht geholfen. – Wenn wir über unbefristete Beschäftigung bzw. unbefristete Anstellungsverhältnisse diskutieren, dann können wir darüber nicht im luftleeren Raum diskutieren, sondern müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die jeweilige betriebliche Situation im Blick behalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Sachgrundlose Befristung ist ein Flexibilisierungsinstrument für die Unternehmen. Ich will nicht bestreiten, dass in manchen Unternehmen systematischer Missbrauch damit betrieben wird. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Müssen wir ändern!) Ich bezweifle aber, ob die Statistiken, die uns vorliegen, die reale Situation wiedergeben, wenn ich mir anschaue, wer alles eingerechnet wird, zum Beispiel Auszubildende. Was uns in der Tat umtreibt, ist nicht die Tatsache, dass über dieses Thema in den Parlamenten diskutiert wird, sondern dass in den eigenen Ministerien und Behörden – da gebe ich dem Kollegen Ernst ausnahmsweise recht – die sachgrundlose Befristung als Instrument bei der Einstellung genutzt wird, ebenso in den Kommunen und Landratsämtern. Herr Kollege Ernst, schauen Sie einmal nach Thüringen. Sie werden in dem von Ihrer Partei regierten Bundesland nichts anderes feststellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das heißt ja nicht, dass es richtig ist!) Aus den Personalabteilungen der Unternehmen hören wir, man könnte auch mit jeder Menge begründeter Befristungen arbeiten. Das ist aber in nicht geringen Fällen klageanfällig. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss man an der Stelle was regeln!) Die sachgrundlose Befristung ist ein wichtiges Instrument, um Beschäftigung zu schaffen, und das ist ja auch gelungen. Wir erleben in dieser Debatte, dass ein Partikularbereich herausgenommen wird, der aufgrund der guten Konjunktur, in der wir uns befinden, plötzlich zum Topthema wird. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon lange ein Thema!) Das Topthema ist, dass wir so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Das Topthema ist, dass die Arbeitslosenzahlen auf einem niedrigen Niveau sind. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Und die Armutsquote?) Das Topthema ist, dass die Betriebe qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer suchen. Topthema ist auch, dass wir erstmalig über Fachkräftemangel diskutieren, während wir vor zehn, zwölf Jahren noch über hohe Arbeitslosigkeit diskutiert haben. Die sachgrundlose Befristung ist nicht das entscheidende Thema. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es treibt auch uns um, dass im Wissenschaftsbetrieb an den Universitäten bevorzugt mit sachgrundloser Befristung gearbeitet wird. Nirgendwo gibt es so viel befristete Beschäftigung wie in diesem Bereich. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dafür haben Sie doch gesorgt!) Die wenigste befristete Beschäftigung werden Sie übrigens in der Wirtschaft finden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht beim Thema „sachgrundlose Befristung“ um zwei Aspekte. Es geht zum einen um Flexibilität für die Betriebe, es geht aber auch um Sicherheit für die Beschäftigten. Wir haben ein großes Interesse daran, dass wir von Sicherheiten sprechen, die wirken, und nicht von sogenannten Scheinsicherheiten. Was wirkt? Für die Beschäftigten wirkt zunächst einmal, wenn die Betriebe in einer guten wirtschaftlichen Verfassung sind und die Arbeitsplätze sicher sind. Das ist das beste Mittel, um langfristig Beschäftigung zu organisieren. Ich habe aber schon deutlich gemacht, dass die besten Schutzinstrumente nicht greifen und nichts nutzen, wenn sich die wirtschaftliche Situation abschwächen sollte. Die Menschen werden, wenn die Insolvenz eintritt, genauso arbeitslos. Wir tun alles dafür, dass keine Insolvenzen eintreten. Wir machen eine Wirtschaftspolitik mit Augenmaß. Diese Wirtschaftspolitik, diese Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sichert Arbeitsplätze und gibt den Menschen eine gute Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiterer Aspekt, den wir brauchen, um für Sicherheit zu sorgen – da sind die meisten hier im Hohen Haus wahrscheinlich bei mir –, ist eine ordentliche und starke Mitbestimmung. Für die Sicherheit für die Beschäftigten sorgt in dem Fall, dass es wirtschaftlich danebengeht, ein tragfähiges soziales Netz, das den Einzelnen vorübergehend auffängt. Meine Damen und Herren, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ist für uns nicht das Thema. Wir werden deswegen, nicht nur, weil wir in einer Koalition mit der SPD sind, sondern aus Überzeugung, diesen Antrag ablehnen. Ich glaube, dass uns die Frage der sachgrundlosen Befristung auch im Zusammenhang mit dem Thema Digitalisierung, also der aktuellen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, beschäftigen wird. Dabei geht es um Fragen der Sicherheit und um die Frage, ob das eigentliche Ziel, dass der Mensch im Mittelpunkt der Wirtschaft und im Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Handelns steht, erreicht wird. In der katholischen Soziallehre, im Konzilsdekret „Gaudium et Spes“ heißt es: Ursprung, Ziel und Zentrum allen Wirtschaftens ist der Mensch. – Das ist aber keine Anforderung an den Staat und seine Gesetzgebung allein; das ist eine Frage nach dem Verständnis, wie wir unsere Wirtschaft gestalten. Geld allein, Umsatzrendite allein, Kapital allein ist kein Selbstzweck, es hat dem Menschen zu dienen. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage Ihnen: Unternehmen, die dies aus dem Blick verlieren, haben keine Perspektive am Markt. Wer nur mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen arbeitet, nur mit Minijobs, nur mit prekären Beschäftigungsverhältnissen, nur mit Zeit- und Leiharbeit, wird als Unternehmen keine Zukunft haben. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür gibt es ziemlich viele davon!) Ich habe das erlebt, als wir 2010 gemeinsam mit den FDP-Kollegen die sogenannte Schlecker-Drehtürklausel eingeführt haben. Damals haben wir Schlecker verboten, Menschen in ihre eigenen Zeitarbeitsfirmen zu entsenden, um sie dann zu niedrigeren Löhnen wieder einzustellen. Wissen Sie, was das Ergebnis war? Schlecker gibt es nicht mehr. (Katja Mast [SPD]: Aber nicht deshalb, Karl! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das hat doch andere Gründe gehabt!) Wer so mit Menschen umgeht, muss wissen, dass sein Betrieb langfristig keine Perspektive hat; das ist ein entscheidender Punkt. Das richtet sich nicht nur an die Politik, das richtet sich auch an die Unternehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es geht auch um andere Fragen. Es geht zum Beispiel um die Frage, welche Rahmenbedingungen wir sonst noch setzen, damit Menschen in Deutschland eine gute Perspektive haben. Ich sage Ihnen nur, dass ich mit großer Sorge betrachte, dass wir dabei sind, viele gesellschaftliche Leitplanken zu zerstören. Für mich ist eine Leitplanke die Aufrechterhaltung des Sonntagsschutzes. Das ist keine Beliebigkeit, sondern hat etwas mit einer gesunden Entwicklung in unserer Gesellschaft zu tun. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Eines erfüllt mich mit großer Sorge: Ich glaube, dass die eigentliche Aufgabe darin liegt, alles dafür zu tun, dass Menschen auf Dauer mit ihrer eigenen Hände Arbeit und ihres eigenen Kopfes Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Dabei habe ich die Menschen mit Behinderungen im Blick, die kein Sprachrohr und keine laute Lobby haben. Es gibt die einen, die eine laute Lobby haben, und die anderen, die keine haben. Für die haben wir uns einzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben uns auch einzusetzen für die Langzeitarbeitslosen, die nur mit externer Hilfe langfristig eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Besonders treibt mich die Situation der Kinder und Jugendlichen um – lassen Sie mich auch das an dieser Stelle erwähnen –, die aus Familienverhältnissen kommen, in denen man schon seit Generationen überwiegend von Sozialhilfe lebt. Wenn wir dort nicht einsteigen, verspielen wir die Zukunft unseres Landes. Die Zukunft unseres Landes wird verspielt, wenn wir uns nicht um Kinder kümmern oder die Rahmenbedingungen so setzen, dass Kinder gar nicht erst geboren werden. Ich sage Ihnen: Die Zukunft, auch die Zukunft unserer Wirtschaft hängt davon ab, ob wir Familien haben, die Stabilität und Sicherheit geben, ob wir Familien haben, die Ja sagen zu Kindern. Wenn dies gegeben ist und die Wirtschaft in einer guten Verfassung ist, ist mir bei den anderen Fragen der sozialen Absicherung ernsthaft nicht bange. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ein Abgeordnetenmandat ist ein Mandat auf Zeit. Mit der Konstituierung des neuen Bundestages nach der Bundestagswahl endet mein Mandat hier im Deutschen Bundestag. (Katja Mast [SPD]: Befristet!) Ich will deswegen die Gelegenheit gerne nutzen – ich hoffe, Sie haben Verständnis –, ein herzliches Wort des Dankes zu richten an die Menschen in meinem Wahlkreis, die mich seit 2005 mit überwältigender Mehrheit direkt als ihren Vertreter in den Deutschen Bundestag gewählt haben. Damit verbinde ich einen Dank und einen Riesenrespekt vor den unglaublich vielen Ehrenamtlichen, die der Kitt unserer Gesellschaft sind und diese Gesellschaft zusammenhalten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Ich sage ein herzliches Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag, egal welcher Fraktion sie angehören. Ich habe den Eindruck, dass ich in keiner Sitzung des Deutschen Bundestages dümmer geworden bin. Der Erkenntnishorizont hat sich zwar nicht im jeweiligen Tempo erweitert, aber ich habe hier immer ein gutes und faires Miteinander erlebt. Ich bitte um Verständnis, dass ich ein besonderes Wort des Dankes an meine Fraktion und meine Arbeitsgruppe „Arbeit und Soziales“ sage. Sehr herzlich danke ich unserem Fraktionsvorsitzenden und unserer Fraktion insgesamt für das Vertrauen, das sie mir bei der Erfüllung meiner Aufgabe als Sprecher immer wieder entgegengebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Dankeschön sage ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Hohen Hauses, die immer für einen guten Sitzungsablauf gesorgt und in ihren Gesichtsausdrücken nie zur Kenntnis gegeben haben, was sie eigentlich denken. (Heiterkeit) Ein herzliches Dankeschön sage ich auch meinen eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Als Abgeordnete haben wir die Aufgabe, unserem Land zu dienen. Dass ich dies tun konnte, verdanke ich deren Hilfe und Unterstützung. Ich bitte um Verständnis, dass ein besonderes Dankeschön an meine Frau und an meine Familie geht. Ich scheide mit der Konstituierung des neuen Bundestages aus dem Bundestag aus. Ich wünsche Ihnen persönlich alles erdenklich Gute. Sollte ich etwas Gutes bewirkt haben, dann wäre ich sehr zufrieden. Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Lieber Kollege Karl Schiewerling, es gibt Kollegen, die man ungern gehen lässt. Du zählst dazu. Du hast eben gesagt: Geld allein ist kein Selbstzweck, es hat den Menschen zu dienen. – Dieses Zitat nehmen wir in die nächste Legislaturperiode mit. Als du sagtest, Leitplanke sollte sein, den Sonntagsschutz hochzuhalten, habe ich Einstimmigkeit festgestellt. Du hast oftmals den Menschen, die im Schatten stehen, eine Stimme gegeben, und du warst einer der nettesten Kollegen in unserer Landesgruppe. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden dich vermissen. Danke schön! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kollegen, wir setzen die Aussprache fort. Jetzt hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege Schiewerling, wir Grünen wünschen Ihnen alles Gute und ganz viele interessante und neue Tätigkeiten. Ich mache es ganz kurz: Wir, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitikerinnen und -politiker der grünen Bundestagsfraktion, werden Sie bestimmt vermissen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal ist heute die sachgrundlose Befristung unser Thema. Erst vor drei Monaten haben wir hier alle Argumente austauschen können. Die einen waren für und die anderen gegen die sachgrundlose Befristung. Eigentlich ist alles gesagt, und die Haltungen sind klar. Wir Grünen bleiben dabei: Sachgrundlose Befristungen sind unnötig und nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Vor mittlerweile 32 Jahren wurde die sachgrundlose Befristung von Schwarz-Gelb eingeführt. Inzwischen ist sie in der Arbeitswelt gängige und beliebte Praxis. Aber „grundlos“ meint ja im Wortsinn nichts anderes, als unbegründet zu befristen. „Unbegründet“ wiederum meint, vom gesunden Menschenverstand aus betrachtet, durchaus „unberechtigt“. Dennoch halten Sie, die Union, weiterhin an der sachgrundlosen Befristung fest. Die Zahl der Befristungen steigt kontinuierlich an, und das sogar bei sehr guter Konjunktur und obwohl freie Arbeitsplätze teilweise gar nicht besetzt werden können. Für uns Grüne ist das eine Fehlentwicklung, die korrigiert werden muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer gute Gründe hat, der kann natürlich weiterhin befristen – ich sage es immer wieder –: vorübergehend bei Auftragsspitzen, bei Projekten auf Zeit, bei Elternzeit oder längerer Krankheit, zur Erprobung und sogar, wenn der Grund in der Person liegt. Dieser Katalog an Gründen ist noch nicht einmal abgeschlossen. Für eine Befristung gibt es ausreichend gute Gründe, für eine sachgrundlose Befristung aber nicht. Lediglich in einer ganz besonderen Situation sind aus unserer Sicht sachgrundlose Befristungen eine Zeit lang akzeptabel, und zwar, wenn sich Menschen auf den Weg machen, ein neues Unternehmen zu gründen. Die Linke will auch diesen Paragrafen abschaffen. Wir wollen das nicht. Deshalb werden wir uns heute enthalten. Es wäre einfach toll, wenn man einmal einen Kompromiss finden und einen gemeinsamen Antrag hinbekommen würde, sodass tatsächlich alle zustimmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen diesen Paragrafen nicht streichen; wir wollen diesen Freiraum für die Existenzgründerinnen und Existenzgründer erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei dieser Ausnahme wollen wir eine sachgrundlose Befristung zulassen. Ansonsten wollen wir sie komplett abschaffen. Die Union argumentiert ja gerne, das gehe nicht, denn eine begründete Befristung bringe einen riesigen Berg an Bürokratie. Dieses Argument überzeugt uns Grüne aber überhaupt nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn jemand länger krank oder in Elternzeit ist, dann ist eine Befristung ganz einfach zu begründen und auch zu dokumentieren. Wenn ein Betrieb nur vorübergehend mehr Personal braucht, dann gibt es auch dafür Gründe, und diese Gründe kann man ebenfalls dokumentieren. Wenn das schwierig ist – Herr Schiewerling hat das gerade angesprochen –, dann will der Betrieb in der Regel einfach nur flexibel bleiben. Aber genau dann geht es doch um das unternehmerische Risiko, aber, wie der Begriff schon sagt, das Risiko haben nicht die Beschäftigten, sondern die Unternehmen zu tragen. So wäre es richtig; alles andere ist nicht fair und auch nicht gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Arbeitgeber erwarten durchaus zu Recht sichere rechtliche Rahmenbedingungen für ihr wirtschaftliches Handeln. Die Beschäftigten haben aber auch ein Recht auf sichere Rahmenbedingungen. Sie brauchen sie für ihre Lebensplanung. Deshalb wollen wir die sachgrundlose Befristung abschaffen. Wir Grünen streiten für gute und für sichere Arbeit. Wir wollen eine humane Arbeitswelt; denn das ist gut für die Beschäftigten und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Langfristig und nachhaltig gedacht – Herr Schiewerling, Sie haben das gerade angesprochen – ist das natürlich auch gut für die Unternehmen. Deshalb sollten Sie, die Union, endlich handeln. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Markus Paschke für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit meinem herzlichen Dank an dich, Karl Schiewerling, für die gute und faire Zusammenarbeit beginnen. Das ist meine erste Legislaturperiode, und ich habe dich immer als harten, aber fairen Verhandlungspartner erlebt. Es hat Spaß gemacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mein Dank gilt auch zwei Kolleginnen, die heute voraussichtlich ihre letzte Rede halten, nämlich Brigitte Pothmer und Waltraud Wolff. Auch mit euch hat die Zusammenarbeit riesigen Spaß gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bevor ich in das Thema einsteige, muss ich gestehen, dass ich mir vorhin echt Sorgen gemacht habe. Lieber Klaus Ernst, diese Sorgen hast du mir mit deinem Redebeitrag bereitet. Ich hatte das Gefühl, ein großer Teil deiner Rede zeugte davon, dass ihr Angst vor Verantwortung und Verlässlichkeit habt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich wünsche euch, dass ihr auch einmal die Chance habt, die Erfahrung zu machen, etwas im Interesse der Menschen umzusetzen, statt immer nur darüber zu reden. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist aber schwieriger! Bessermachen ist schwieriger als Besserreden! – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Meine sehr geehrten Damen und Herren, rufen wir uns doch noch einmal in Erinnerung: Was ist ein Normalarbeitsverhältnis? Nach einem erfolgreichen Bewerbungsverfahren bekommt man einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer Probezeit. Wenn man die überstanden hat, dann hat man ein wenig Sicherheit für sich, für seine Lebensplanung und seine Familie. Das ist normal oder sollte es zumindest sein. Aber viele junge Menschen, insbesondere bis Mitte 30, kennen das gar nicht mehr. Im Gegenteil: Sie gucken mich ungläubig an, wenn ich „alter Mann“ erzähle, dass es so etwas einmal gab. Sie kennen nur Unsicherheit durch Befristungen und andere prekäre Beschäftigungsformen. Das müssen und werden wir ändern. Es mangelt der SPD nicht an der Erkenntnis und auch nicht am Willen zur Umsetzung. An der Einsicht mangelt es leider nur unserem Koalitionspartner. Ich erinnere mich noch gut an die Feststellung des Kollegen Oellers, der in der Debatte im September 2015 gesagt hat: Schaut man sich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes an, so stellt man fest, dass keine Schieflage und kein Handlungsbedarf bestehen. – Das sehe ich völlig anders. Wenn ich mich recht erinnere, haben alle Redner der Union die Brückenfunktion der sachgrundlosen Befristung betont. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird dagegen eindeutig festgestellt: Je länger eine Befristung dauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden. Man kann hier also weniger von Brückenfunktion, sondern mehr von Einsperrfunktion reden. Prekäre Arbeit führt zu prekärer Arbeit und nicht zum Normalarbeitsverhältnis. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Leider konnten wir die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung bei der Union nicht durchsetzen. Diese Forderung haben wir bei der letzten Bundestagswahl im Wahlprogramm gehabt, und wir haben sie jetzt wieder aufgenommen. Sie hat für uns einen sehr hohen Stellenwert. Was wir aber durchsetzen konnten, waren zahlreiche andere und lange nötige Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir haben die Generation Praktikum beendet. Wir haben den Mindestlohn eingeführt. Wir haben das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ausgeweitet sowie Leiharbeit und Werkverträge stärker reguliert. Wir haben vieles getan, um eine gute Arbeit zu gewährleisten. Vizepräsidentin Michaela Noll: Das war ein guter Schlusssatz, Herr Kollege. Markus Paschke (SPD): Ich komme zum Schluss. Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Heute stimmen wir in einer namentlichen Abstimmung ab, aber die wahre Abstimmung, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, findet am 24. September statt. Da ist Bundestagswahl. Wer gute Arbeit und eine Perspektive für junge Menschen möchte, der gibt beide Stimmen der SPD. Danke. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Als Nächster erteile ich der Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Markus Paschke, ich bin immer total irritiert, wie es gelingt, die Tatsachen zu verdrehen. Wir sind bereit, Verantwortung für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen zu übernehmen. Nach allem, was ich bisher gehört habe, seid ihr diejenigen, die das nicht mitmachen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist aus meiner Sicht doch eine Verdrehung der Tatsachen. (Katja Mast [SPD]: Ich finde es auch spannend, wie ihr begründet, dass ihr beim Mindestlohn nicht mitgestimmt habt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jede zweite Befristung ist eine sachgrundlose Befristung. Die betroffenen Menschen müssen in Angst und Unsicherheit leben, und das ohne Grund. Arbeitsverträge mit Verfallsdatum sind nichts anderes als Disziplinierungsinstrumente. Wer befristet beschäftigt ist, macht den Mund nicht auf und wehrt sich nicht gegen Ungerechtigkeiten. Der Kündigungsschutz ist ausgehebelt genauso wie die Chance, sich bei betrieblichen Wahlen als Kandidatin bzw. Kandidat zu beteiligen. Nächstes Jahr haben wir Betriebsratswahlen. Wenn das so weitergeht, werden wir es nicht hinbekommen, die sachgrundlosen Befristungen bis zu diesem Zeitpunkt abzuschaffen. Deswegen: Macht jetzt mit, nicht später! (Beifall bei der LINKEN) Es verstößt gegen jedes Verständnis von guter Arbeit, wenn Arbeitsverträge ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes befristet werden. Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Dass der Fisch am Kopf anfängt zu stinken, zeigt sich am inflationären Gebrauch von Befristungen in Ministerien dieser Bundesregierung, wo man die Chance hätte, das schon jetzt abzuschaffen. Hören Sie auf, prekäre Beschäftigung zu adeln und salonfähig zu machen! Sie machen Menschen zu Lückenbüßern, die sich marktkonform verhalten müssen und nach Gutsherrenart gefeuert werden können. Manche Unternehmen wechseln so ihre Mitarbeiter öfter als manch einer seine Socken. Wer sachgrundlos befristet, überträgt das wirtschaftliche Risiko auf die Beschäftigten. Unternehmen machen fette Gewinne, aber bei den Beschäftigten kommt nichts an. So pampern Sie Unternehmen und lassen die Beschäftigten im Regen stehen. Wir brauchen endlich einen Politikwechsel. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: In Thüringen!) Jeder Tag, an dem es so weiterläuft, ist ein schlechter Tag. Beschäftigte sind keine Einwegflaschen, die man nach Gebrauch einfach wegwerfen kann. Menschen sind keine reinen Kostenfaktoren. Nur die Unternehmen, die bereit sind, sich an ihre Beschäftigten zu binden, sorgen für Qualifizierung und gute Arbeitsbedingungen. Motivierte und qualifizierte Mitarbeiter garantieren gute Produkte und werden so zum Wettbewerbsvorteil. Prekäre Beschäftigung untergräbt den Wettbewerb über Produkte. Daher gehört sie abgeschafft. (Beifall bei der LINKEN) Die Zeit dieser Bundesregierung ist abgelaufen. Die CDU/CSU hat den offenen Koalitionsbruch schon vollzogen. Sie haben Millionen Frauen im Regen stehen lassen, indem Sie das Rückkehrrecht auf Vollzeit verhindert haben. Da war Schluss mit Koalitionsvereinbarungen und dem Einhalten von Vereinbarungen, die man einmal getroffen hat. Das nenne ich einen sachlichen Grund, die CDU als Frau nicht zu wählen. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hätten Sie ja sowieso nicht gemacht!) – Nein, hätte ich auch nicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Eben! Gott sei Dank!) Ich bin nicht sachgrundlos befristet beschäftigt. Aber alle, die in der Situation sind, haben spätestens jetzt einen sachlichen Grund, Sie nicht zu wählen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe SPDler, habt doch einmal den Hintern in der Hose, Leitplanken für gute und sichere Beschäftigung aufzustellen! Stimmt heute unserem Gesetzentwurf zu, wenn wir schon die Arbeit für euch machen! Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Uhr. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sofort. – Warten Sie nicht bis zum Programmparteitag an diesem Wochenende! Je schneller wir diesen Mist begraben, desto besser. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes erteile ich dem Kollegen Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich schließt sich heute zum Ende meiner ersten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag – ich hoffe, dass noch einige folgen werden – gewissermaßen ein Kreis. Meine erste Rede im Deutschen Bundestag durfte ich genau zu diesem Thema halten. Ich gehe davon aus, dass dies meine letzte Rede in dieser Legislaturperiode sein wird, und ich darf wieder zum selben Thema reden. Dazwischen lagen sieben Reden, wie Sie eben sagten, Frau Hiller-Ohm. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie oft wir über dieses Thema debattiert haben. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, sieben!) Aber in meinen Augen war bei jeder Debatte die Sachlage nicht unbedingt verändert. Für manche ist vielleicht vieles eine Wiederholung, was ich heute sage; aber ich will die Problematik ein bisschen versachlichen und sie von der Bauchebene wegholen. Zudem möchte ich auf bestimmte Dinge eingehen, die in der heutigen Diskussion in meinen Augen zu wenig beachtet worden sind. Natürlich – das sage ich vorweg ganz deutlich – wäre es uns und auch mir persönlich am liebsten, wenn wir nur unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnisse hätten und die Befristungsquote quasi bei null läge. Aber die Realität ist leider Gottes eine andere, und auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten sehen anders aus. Um die Bedeutung der Befristungen und auch der sachgrundlosen Befristungen noch mehr hervorzuheben, muss man ganz deutlich sagen, dass die Befristungen für viele Beschäftigte, die jetzt einen Arbeitsplatz haben, auch eine Brücke in den Arbeitsmarkt waren. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das stimmt eben gerade nicht!) – Doch, das stimmt sehr wohl. Schauen Sie sich das doch mal an. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das stimmt nicht!) Jetzt kommen wir mal auf Zahlen zu sprechen: Mittlerweile erreicht die Anzahl der Erwerbstätigen einen Rekord. Die Zahl von 44 Millionen ist schon angekratzt. Bei welchen Zahlen lagen wir 2005? Karl Schiewerling ist eben darauf eingegangen, ich brauche das nicht zu wiederholen. Das Gleiche gilt für die Arbeitslosenzahl. Diese ist von 2005 von 5 Millionen auf mittlerweile ungefähr 2,6 Millionen zurückgegangen. (Katja Mast [SPD]: Das ist auch gut so, hat aber nichts mit sachgrundloser Befristung zu tun!) Das ist so. Die Brückenfunktion hat funktioniert, weil die befristeten Beschäftigungen im Rahmen des Klebeeffekts durch Übernahmen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse übergegangen sind. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Über sieben Jahre, über zehn Jahre!) Insbesondere haben wir Übernahmequoten, die bei annähernd 40 Prozent liegen, und diese Quote finde ich persönlich sehr hoch. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum können die Menschen nicht gleich richtig eingestellt werden?) Schauen Sie sich einmal die befristeten Beschäftigungsverhältnisse an. Sie können hier natürlich mit absoluten Zahlen arbeiten und sagen, die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse steigt stetig. Dann müssen Sie aber auch dazusagen, dass die Arbeitslosenzahlen weiter sinken und dass die Erwerbstätigenzahlen weiter steigen. Das geht natürlich damit einher. Wichtig ist, dass man den prozentualen Zusammenhang und die Relation sieht. Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Ernst zu? Wilfried Oellers (CDU/CSU): Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Wir debattieren dieses Thema jetzt zum siebten oder achten Mal im Deutschen Bundestag. Da sind alle Zwischenfragen gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist so, dass wir bei einer Befristungsquote von circa 7 Prozent liegen. Wenn wir uns anschauen, wie der Verlauf in den letzten Jahren ist, dann muss man sagen, dass der Verlauf zeigt, dass die Befristungen ihre Funktion erfüllt haben. Wenn wir den Zeitraum ab 2000 betrachten, dann ist festzustellen, dass wir bis 2010 einen Anstieg der Anzahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse hatten. Ich weise aber auch darauf hin, dass wir 2008/2009 eine Wirtschaftskrise zu bewältigen hatten und dass es gerade die befristeten Beschäftigungsverhältnisse waren, die dazu geführt haben, dass die Menschen in Arbeit gekommen sind, und dass wir daraufhin gut aus der Wirtschaftskrise herausgekommen sind. Seit 2010 sinkt die Zahl wieder. Das zeigt ganz deutlich, dass die Arbeitgeber mit diesem Instrument sorgfältig umgehen. Wenn wir uns die konkreten Branchen anschauen, dann muss man sagen: Von den 7 Prozent befristeten Beschäftigungsverhältnissen sind mehr als die Hälfte im öffentlichen Dienst angesiedelt. Wenn ich zu diesem Bereich den wissenschaftlichen Bereich noch hinzunehme, dann sind es von dieser Hälfte wiederum mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst, die ebenfalls befristet sind. Was haben wir gemacht? Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf den Weg gebracht, um entsprechende Regelungen einzuführen. Das heißt, die Privatwirtschaft als solche steht hier etwas außen vor. Ich will Ihnen jetzt ein paar Beispiele aus dem öffentlichen Bereich nennen. Frau Hiller-Ohm, Sie haben uns eben sehr stark angegriffen. Jetzt darf ich den Ball einmal zurückspielen. Ihr Nochfinanzminister in Nordrhein-Westfalen, Walter-Borjans, schreibt Stellen sachgrundlos befristet aus. Sie hätten ihm mal Bescheid sagen sollen, dass er das vielleicht nicht tun sollte. Sie machen selber von dem Instrument Gebrauch. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Auch der Borjans wollte es abschaffen!) Darüber hinaus darf ich aber vielleicht einmal ein positives Beispiel der öffentlichen Hand bringen. Ich darf dabei aus meinem Wahlkreis berichten. In meinem Wahlkreis gibt es eine Behörde, in der der Behördenleiter irgendwann sagte: Mensch, ich habe hier vier Beschäftigte, denen ich stets die befristeten Schwangerschaftsvertretungsarbeitsverhältnisse verlängert habe. Das ist ein Sachgrund, der zieht und gegen den im Ergebnis keiner etwas sagen kann. Was hat er sich aber gesagt? Er sagte: Mensch, die Leute können ja nicht richtig planen. – Das war immer Ihr Argument. Was hat der Behördenleiter gemacht? Der Behördenleiter hat gesagt: Komm, wir stellen die jetzt unbefristet ein, weil mein Apparat so groß ist, dass ich im Laufe der Jahre ständig eine Schwangerschaftsvertretung brauchen werde. Deswegen kann ich gleich unbefristet einstellen. Ich darf in diesem Rahmen erwähnen – das erfüllt mich auch mit einem gewissen Stolz –, dass dieser Behördenleiter der CDU angehört. (Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Guter Mann! Es kann ja nicht alles falsch sein!) Was geschah aber in der Debatte im entsprechenden Kommunalgremium? Ich darf hier auch sagen, dass die CDU in diesem Gremium die absolute Mehrheit hat. Die Opposition hat losgelegt und gewettert: Mensch, wie kann man denn jetzt wieder die Personaldecke erhöhen! Dann hat man ihr erklärt, was die Hintergründe waren; ich habe es gerade gesagt. Dazu muss man ganz ehrlich sagen: Da sollte man ganz kleine Brötchen backen, auch von Ihrer Seite aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einige Worte zur sachgrundlosen Befristung verlieren; denn das ist mir ganz besonders wichtig. Die sachgrundlose Befristung ist das einzige unbürokratische Flexibilisierungsinstrument, das wir noch im Arbeitsrecht haben. Alle anderen Flexibilisierungsinstrumente sind sehr stark reguliert. Wenn wir wollen, dass die Wirtschaft noch atmen und auf Auftragsspitzen reagieren kann, wenn wir wollen, dass die Wirtschaft auf die ungewisse Zukunft reagieren kann, weil sie nicht weiß, wie sich die Konjunktur entwickelt und wie die Entwicklung im Unternehmen verlaufen wird, dann brauchen wir ein Instrument, mit dem die Unternehmer flexibel umgehen können. Das Instrument der sachgrundlosen Befristung ist auf zwei Jahre beschränkt. Ich halte das für einen vertretbaren Zeitraum. (Katja Mast [SPD]: Wir nicht!) Wenn das Beschäftigungsverhältnis weiterläuft, dann mündet es sofort in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Ich halte es für geboten, dass wir daran festhalten. Ich muss ganz ehrlich sagen: Die Entwicklung am Arbeitsmarkt – Karl Schiewerling hat es eben schon gesagt – zeigt doch, dass dieser Weg der richtige war. Wichtig ist, dass die Menschen in Beschäftigung kommen, am liebsten natürlich unbefristet, aber wir müssen auch den besonderen Gegebenheiten in einer gewissen Weise Rechnung tragen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe eben erwähnt, dass ich ein neuer Abgeordneter bin. Deswegen steht es mir vielleicht nicht unbedingt zu – andere wären vielleicht geeigneter, die Aufgabe zu übernehmen –, das zu sagen, was ich jetzt sagen werde. Ich bin der erste Redner nach Karl Schiewerling. Karl Schiewerling hat gerade seinen Abschied angekündigt. Lieber Karl, ich darf dir an dieser Stelle für unsere Arbeitsgruppe, aber auch für die gesamte Fraktion einen sehr herzlichen Dank für deine Arbeit aussprechen. Dieser Dank kommt wirklich von Herzen. Karl, du warst jemand – das habe ich in dieser Legislaturperiode und auch alle anderen, die mit dir zu tun haben, erfahren –, der immer ein ausgleichendes Wesen hatte. Dieses ausgleichende Wesen hat es dir immer ermöglicht, nicht nur Brücken zu bauen, sondern auch Brücken wieder aufzubauen, die einmal eingerissen worden sind. Das ist noch viel schwieriger, als neue Brücken zu bauen, muss man ganz ehrlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Diskussionen über die Gesetze, die wir beraten haben, waren nicht immer ganz einfach. Aber deine ruhige Art und das Bewusstsein, dass wir ein Ziel vor Augen haben, waren immer sehr wichtig. Du hast eben von Werten gesprochen. Damit kann ich den Bogen zu der Feststellung schlagen, dass diese Werte für dich immer der entsprechende Kompass waren. Mit deiner Überzeugungskraft und auch mit deiner Art warst du für jeden eine Vertrauensperson; das möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich gesagt haben. Vom kleinsten Abgeordneten bis hin zur Führungsspitze hast du sehr großes Vertrauen genossen. Deswegen darf ich dir im Namen der Arbeitsgruppe, aber auch der Fraktion für die Zukunft alles erdenklich Gute wünschen und insbesondere Gottes Segen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege Oellers. – Den Wünschen schließe ich mich gerne an. Bevor wir die Aussprache fortsetzen, erteile ich dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort für eine Kurzintervention – Betonung auf „kurz“. Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin, recht herzlichen Dank. – Ich muss ein paar Bemerkungen machen. Ich wollte einfach nur sagen, Herr Oellers, dass es meines Erachtens inakzeptabel ist, der Wirtschaft menschliche Fähigkeiten zuzusprechen. Atmen tun Menschen und Tiere, nicht Fabriken und auch nicht die Wirtschaft. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Die Wirtschaft besteht aus Menschen!) Aber wenn man so einen Ansatz wählt, kommt man natürlich auch zu völlig falschen Schlussfolgerungen. Herr Oellers, die Zahl der Arbeitslosen ist gering; da haben Sie recht. Aber haben Sie sich schon einmal angeschaut, wie viele Arbeitsstunden aufgrund von Befristungen eigentlich mehr geleistet worden sind? Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ist annähernd gleich geblieben. Was sich verändert hat, ist die Verteilung. Früher waren viele Menschen arm ohne Arbeit. Heute sind sie arm trotz Arbeit. Das ist ein Problem, das wir lösen müssen. Eine Schwierigkeit dabei ist die Befristung von Beschäftigung. Etwas, was gesagt worden ist, ist völlig falsch – ich kann es nicht stehen lassen –: Sie haben behauptet, das einzige Flexibilisierungsinstrument, das die Unternehmer hätten, sei befristete Beschäftigung. Herr Oellers! (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Falsch zugehört!) – Oder das letzte, das noch ungeregelt ist. Was ist denn das für eine Behauptung! Herr Oellers, es gibt doch das Instrument der Probezeit. Ich weiß überhaupt nicht, wozu es gut ist, die Probezeit immer weiter auszudehnen und daraus eine befristete Beschäftigung zu machen. Herr Schiewerling, vom Alter her gehören wir zur selben Kohorte. Zu der Zeit, als wir eine vernünftige Ausbildung durchlaufen haben, war völlig klar: Wir bekommen nach der Ausbildung einen unbefristeten Job. So etwas gibt es heute fast nicht mehr. Viele Menschen werden nur noch befristet eingestellt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt auch nicht!) Das ist genau das Problem: Die Probezeiten, die es früher gab, sind durch befristete Beschäftigungsverhältnisse immer weiter ausgedehnt worden. Es gibt die Möglichkeit flexibler Arbeitszeiten. Es gibt auch die Möglichkeit der Leiharbeit. Wie viel Flexibilität wollen Sie denn noch? Wir müssen, wie Herr Schiewerling gesagt hat, die Leitplanken stärken und enger setzen, weil die Menschen sonst tatsächlich entgrenzt werden. Ich bedauere sehr, dass Sie in Ihrem Weltbild eher von der atmenden Wirtschaft als von atmenden Menschen sprechen. Ich hoffe, Sie werden im Laufe Ihres Lebens da noch zu vernünftigen Schlussfolgerungen kommen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, möchten Sie darauf erwidern? – Bitte. Wilfried Oellers (CDU/CSU): Herr Ernst, folgende Erwiderung darauf: Es ist nicht richtig, dass ich gesagt habe, dass Befristung das einzige Flexibilisierungsinstrument ist. Sie haben das wichtigste Adjektiv dabei vergessen – darauf kommt es mir an –: Ich halte Befristung für das einzige unbürokratische Flexibilisierungsinstrument. Alle anderen Flexibilisierungsinstrumente sind mit sehr hohem Dokumentationsaufwand verbunden. Deswegen ist es mir wichtig, dass Sie von der heutigen Debatte in Erinnerung behalten – bitte nicht verwechseln –: Das ist das unbürokratischste Flexibilisierungsinstrument; denn ein Arbeitgeber braucht sich in den zwei Jahren einer Befristung keine Gedanken über das Vorhandensein eines bestimmten Sachgrunds zu machen. Wenn sich bei Befristung mit Sachgrund der Sachgrund ändert, kann ein Arbeitgeber dahin gehend gerichtliche Schwierigkeiten bekommen, dass geklärt werden muss, ob der neue Sachgrund für eine Befristung überhaupt greift. Die Praxis müssen Sie sich von daher ein bisschen genauer anschauen. Es ist auch nicht richtig, dass die meisten Beschäftigungsverhältnisse sachgrundlos eingegangen werden. Es gibt genügend Branchen – da verweise ich insbesondere auf das Handwerk –, die händeringend nach Fachkräften suchen. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Dazu passt Ihre Argumentation gar nicht. Im Übrigen, was die Zahlen betrifft – Sie haben gerade noch Zahlen genannt –: Ich will es bei dem zeitlichen Rahmen dieser Debatte belassen. Ich verweise auf meine acht dazu in der Vergangenheit gehaltenen Reden. Da ist das zahlenmäßig alles schön aufgearbeitet. Das können Sie sich einmal durchlesen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik muss doch sein, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Bedürfnissen der Wirtschaft nach hinreichender Flexibilität auf der einen Seite und den Bedürfnissen der Beschäftigten nach Sicherheit auf der anderen Seite herzustellen. Lieber Herr Oellers, lieber Herr Schiewerling, wenn 40 Prozent aller Neueinstellungen befristet sind, dann hat das mit Auftragsspitzen wirklich nichts mehr zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn dann junge Menschen und dann auch noch vor allen Dingen Frauen davon besonders betroffen sind, dann ist das einfach nicht mehr ausgewogen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die Unsicherheit, die mit befristeten Arbeitsverträgen notwendigerweise einhergeht, trifft genau auf eine Lebensphase, in der wichtige Entscheidungen getroffen werden. Da fragen sich die jungen Menschen: Kann ich mir die Gründung einer Familie leisten? Kann ich finanzielle Verpflichtungen für eine Wohnung eingehen? Wir wissen doch, dass insbesondere Frauen, die befristet in ihr Arbeitsleben starten, dazu neigen, die Entscheidung für ein Kind immer weiter hinauszuschieben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wollen wir familienpolitisch nicht, aber das wollen doch auch die Frauen nicht. Weil wir diesen Zwang nicht wollen, geben doch Bund, Länder und Kommunen Jahr für Jahr Milliarden Euro dafür aus, den jungen Menschen die Entscheidung für ein Kind leichter zu machen. Das ist doch die Politik, die wir unterstützen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist es doch so, dass auch das Familienministerium die Rahmenbedingungen dafür erleichtern will. Aber liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und CSU!) solche Bemühungen verpuffen natürlich, wenn wir arbeitsmarktpolitisch in die völlig entgegengesetzte Richtung marschieren. Wenn wir in dieser Frage etwas erreichen wollen, dann müssen wir in allen Ressorts an einem Strang ziehen. Das mag für die GroKo vielleicht unzumutbar sein, aber gut wäre es, wenn wir dann an diesem Strang auch noch in eine Richtung ziehen würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt in diesem Fall ganz konkret: Die sachgrundlose Befristung muss weg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Frau Hiller-Ohm, ich respektiere die Koalitionsdisziplin und mache das Theater der Linken an dieser Stelle nicht mit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber mit Koalitionsdisziplin können Sie nun wahrlich nicht erklären, warum im Arbeitsministerium und im Familienministerium die Zahl der Befristungen noch einmal exorbitant in die Höhe geschnellt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich frage mich wirklich: Mit welcher Autorität wollen denn die Familienministerin und die Arbeitsministerin der Wirtschaft entgegentreten, wenn es darum geht, die Zahl der Befristungen in der Wirtschaft zu reduzieren? Nein, da müssen Sie wirklich einmal Ihre Hausaufgaben machen. Ich kann Ihnen nur sagen: Glaubwürdigkeit sieht anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Die Befristungen müssen auch weg, weil sie inzwischen wirklich absurde Blüten treiben. In den Jobcentern sind inzwischen 95 Prozent aller befristeten Arbeitsverträge, die von der BA kommen, sachgrundlos befristet, meine Damen und Herren. Das geht doch mit einem permanenten Know-how-Verlust einher. Permanent müssen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingearbeitet werden. Sie wissen doch genauso gut wie ich: Wenn die Jobcenter eines brauchen, dann brauchen sie qualifizierte und gut eingearbeitete Arbeitskräfte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da geht die Befristung nicht nur für die Beschäftigten nach hinten los, da geht sie auch für die Institution nach hinten los, und da geht sie vor allen Dingen für die Menschen nach hinten los, die auf die Institution Jobcenter und die Qualität der Arbeit angewiesen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Ja, es gibt gute Gründe, zu befristen, es gibt keine guten Gründe, sachgrundlos zu befristen. Deswegen muss dieser Paragraf aus meiner Sicht weg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Arbeit einer Abgeordneten ist befristet. Aber sie ist aus einem sehr guten Sachgrund befristet. Das hier wird vermutlich meine letzte Rede hier im Deutschen Bundestag sein. Deswegen möchte ich noch ein paar persönliche Bemerkungen machen. Sie haben schon gehört, nach zwölf Jahren Bundestag habe ich mich entschieden, nicht wieder zu kandidieren. Mit anderen Worten: Mein Vertrag hier läuft im September aus. Aber freuen Sie sich nicht zu früh. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin dann der Souverän. Sie wissen: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Ich werde weiterhin Zeitung lesen, auf Facebook und auf Twitter unterwegs sein, und wenn Sie es mir hier wirklich zu arg treiben, dann – das kann ich Ihnen versprechen – werde ich Sie in der nächsten Sprechstunde in Ihrem Wahlkreisbüro besuchen. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Es könnte sein, dass das für Sie nicht vergnügungssteuerpflichtig wird. Wir Arbeitsmarktpolitikerinnen und Arbeitsmarktpolitiker sind streitbare Leute, und ich finde, das muss auch so sein. Denn immerhin kämpfen wir hier für die Würde der Menschen und für die Gerechtigkeit. Ich weiß auch, ich konnte Sie nicht mit jeder Rede von mir glücklich machen, aber ganz ehrlich: Es hätte auch unkomplizierter sein können. Wenn Sie meine jeweils wirklich gut begründeten Argumente einfach mal als die Ihren übernommen hätten, dann hätten wir uns nicht so oft in den Haaren liegen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Ja, wir haben hier gestritten. Wir haben uns in den Haaren gelegen. Aber, ich finde, manchmal hat es doch auch Spaß gemacht – oder? –, mir jedenfalls. Ich möchte mich deswegen bei Ihnen für die engagierte, offene und zum Teil leidenschaftliche Zusammenarbeit und für diese Debatten bedanken. Ich fürchte, das werde ich vermissen. Vielleicht vermissen Sie auch ein bisschen die lachende Koralle. Ich danke Ihnen. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Michaela Noll: Liebe Frau Kollegin Pothmer, Sie sehen an dem anhaltenden Applaus: Diese Koralle wird wahrscheinlich von vielen vermisst werden. – Ihre Ankündigung, dass Sie im Wahlkreisbüro vorbeikommen, wird von dem einen oder anderen wahrscheinlich als Drohung wahrgenommen, weil Sie jede Debatte immer besonders leidenschaftlich und lebendig geführt haben. Ich glaube, dieser sogenannte Ruhestand wird auch bei Ihnen ein Unruhestand sein; denn Sie haben immer Politik gemacht. Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. In diesem Sinne herzlichen Dank für diese zwölf Jahre! (Beifall) Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bürgerliche Gesetzbuch ist kompromisslos und eindeutig: Die Probezeit eines Arbeitsverhältnisses dauert längstens sechs Monate. Ebenso eindeutig ist das Kündigungsschutzgesetz: Nach sechs Monaten gelten die festgelegten Schutzvorschriften. – Meine Damen und Herren, das ist Gesetz in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In der Praxis sieht das anders aus. Wir haben es heute schon oft genug gehört: 42 Prozent der neuen Arbeitsverträge 2015 waren befristet – die Mehrzahl davon ohne sachliche Begründung. Wenn man nachfragt, erfährt man: Die wichtigste Begründung für eine Befristung von Arbeitsverhältnissen – so heißt es auch im Kurzbericht 5/2016 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – ist – man höre und staune – die Erprobung neuer Mitarbeiter. Genauso eindeutig wie das Gesetz ist, ist in der Praxis die Umgehung. Die Linke schlägt in ihrem Entwurf vor, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen. Das ist auch eine Forderung, die die SPD hat, und sie steht auch im Entwurf unseres Wahlprogramms. Denn für uns ist eines ganz klar: So berechtigt es ist, eine Vertretung für eine Elternzeit befristet zu beschäftigen, so unberechtigt ist es, Befristungen dazu zu nutzen, Arbeitnehmerrechte auszuhebeln. Das wollen wir beenden. (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit 19 Jahren bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages, und in dieser Zeit habe ich Situationen wie heute immer wieder mal erlebt: Inhaltlich gibt es Übereinstimmungen mit der Opposition. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Behrens von der Fraktion Die Linke zu? Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Aber ja, gerne. Herbert Behrens (DIE LINKE): Vielen Dank für die Möglichkeit, die Zwischenfrage zu stellen. – Mir geht es um ein konkretes Problem. Wir haben uns seit Jahren mit der Umstrukturierung, mit der sogenannten Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung beschäftigt. Wir wissen, dass heute immer noch weit über Bedarf ausgebildet wird – alles klar, kein Problem; man wird nicht alle übernehmen können. Aber: Die, die übernommen werden, werden befristet übernommen. Warum ist es in dieser Bundesbehörde so, dass befristet übernommen wird? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da ist sie doch nicht verantwortlich! – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Wie wäre es mit einer Regierungsbefragung?) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Vielen Dank für diese Frage. – Ich bin nicht die Bundesregierung, (Beifall bei der SPD) die diese Frage hier sicherlich hätte beantworten können, wenn Sie sie in der Befragung der Bundesregierung gestellt hätten. Ich bin auch nicht zuständig für die Bundesbehörde der Schifffahrtsverwaltung. Aber: Wenn Sie diese Debatte verfolgt haben, Kollege Behrens, dann wissen Sie: Eines ist ganz deutlich geworden: Eingeführt worden ist die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung vor Jahren von Schwarz-Gelb. (Beifall bei der SPD) Wir, die SPD, haben seit langer Zeit in diesem Haus gemeinsam mit der Opposition festgehalten, dass das ein Ausmaß angenommen hat, das wir einfach nicht mehr tragen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen, dass auch unser Koalitionspartner diese Situation erkennt. Vielen Dank für Ihre Frage. Eine andere Antwort kann ich Ihnen nicht geben. (Beifall bei der SPD) Ich war dabei, zu sagen, dass wir als SPD Teil dieser Koalition sind. Wenn die Linke das immer und immer wieder auf die Tagesordnung bringt, muss man auch einmal feststellen, dass der deutsche Parlamentarismus keine wechselnden Mehrheiten vorsieht. Das hat keine Tradition in Deutschland. Wir haben Koalitionen, und da verspricht man sich am Anfang in einem Vertrag, was man umsetzen will und was nicht. (Beifall bei der SPD) Dieser Vorschlag hat in der Koalition keine Mehrheit gefunden. Das kann ich persönlich bedauern, aber Fakt ist: Es gibt keine Mehrheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist doch klar: Nur gemeinsam kann man Ziele erreichen, und wechselnde Mehrheiten gibt es, wie gesagt, nicht. Deshalb diskutieren wir ja auch lange und ausführlich und beschließen dann mehrheitlich. Aus diesem Grund werden wir natürlich auch dem Antrag der Linken nicht zustimmen können, auch wenn wir ihn in der Sache nachvollziehen können. Wir tun uns doch alle immer wieder einmal schwer mit Entscheidungen, egal ob das in Koalitionen ist, ob das in der Fraktion ist, ob das in Arbeitsgruppen ist. Wir haben nicht immer alle die gleiche Meinung. Das geht uns doch allen so. Vielleicht war der eine oder andere Fraktionsvorsitzende, den ich einmal hatte, der Meinung, dass ich das Recht, meine Gewissensfreiheit auszuüben, exzessiv genutzt habe. Ich sehe das überhaupt nicht so. Ich wollte mir an dieser Stelle sozialdemokratisch treu bleiben. Fakt ist doch: Es geht nicht immer nur um die Einzelfrage, sondern es geht auch um die Richtung. Die Richtung muss stimmen, und in dieser Legislaturperiode hat mit Blick auf Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik die Richtung doch gestimmt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Wir haben zwar die sachgrundlose Befristung nicht abgeschafft, aber wir haben den Mindestlohn eingeführt. (Beifall der Abg. Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]) Wir haben Verbesserungen bei Leiharbeit und Werkverträgen hinbekommen. Wir haben in dieser Legislatur eine rentenpolitische Arbeit geleistet, die ihresgleichen sucht. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir haben auch das Bundesteilhabegesetz beschlossen. Das hätte man in einer anderen Konstellation als einer Großen Koalition nicht beschließen können, weil es ein Systemwechsel für Menschen mit Behinderung ist. Vor diesem Hintergrund sage ich zum Schluss dieser letzten Rede hier im Deutschen Bundestag für mich ganz selbstbewusst: Die Richtung hat gestimmt. Damit kann ich mich dann auch guten Gewissens hier verabschieden. Das ist meine letzte Rede; ich habe es eben schon gesagt. Ich wünsche dem zukünftigen Bundestag, dass es eine gute Diskussionskultur gibt, dass man aufeinander hört und dass er gute Entscheidungen im Interesse der Menschen in unserem Land trifft. Vielen herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Abgeordneten der SPD erheben sich) Vizepräsidentin Michaela Noll: Liebe Kollegin Wolff, auch Ihnen herzlichen Dank für 19 Jahre – 19 Jahre für die Menschen. Den Appell, den sie bezüglich einer guten Diskussionskultur an uns gerichtet haben, werden wir uns zu Herzen nehmen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Sie haben Ihre Richtung jetzt bestimmt. Für diese Zeit wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Herzlichen Dank! (Beifall) Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Katja Mast (SPD): Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde meine Redezeit heute ausschließlich 43 Jahren Abgeordnetentätigkeit widmen. Beginnen will ich mit Waltraud Wolff, die 1998 in den Deutschen Bundestag gekommen ist, ihre erste Rede zum Agrarhaushalt gehalten hat und ihre letzte Rede jetzt zum Thema „Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik“. Ich weiß, liebe Waltraud, es war dir ein Herzensanliegen, dass du in den letzten vier Jahren Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für die SPD-Bundestagsfraktion hast machen können. Ich weiß auch, dass dein Motto „Ich will in einem erfolgreichen Land leben, in dem soziales Gleichgewicht herrscht“ unsere Arbeit immer bereichert hat. Du warst unsere Europäerin in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales. Wir haben super mit dir zusammengearbeitet: Danke für deine Zuverlässigkeit und die Teamarbeit. Aber du hast auch einen ganz großen Humor. Ich will allen noch einmal in Erinnerung rufen, wie du diesen hier im Deutschen Bundestag bei deiner Rede zum Sozialabkommen mit Uruguay dokumentiert hast. Vielen Dank! Wir wünschen dir viel Erfolg auf deinem weiteren Weg. Es war eine Ehre, mit dir zusammenzuarbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Zu meinem Kollegen Karl Schiewerling: Lieber Karl, zwölf Jahre sind wir gemeinsam im Deutschen Bundestag gewesen. Wir haben in dieser Großen Koalition viele SMS geschrieben, viel telefoniert, gemeinsam viel Wochenendarbeit gemacht, aber immer mit dem klaren Ziel: Wir haben 40 Gesetze und Vorhaben gut auf den Weg gebracht und hier im Deutschen Bundestag verabschiedet. Wenn ich an die Zusammenarbeit der gesamten SPD-Bundestagsfraktion mit dir denke, dann fallen mir drei Dinge besonders ins Auge: Politik mit Haltung, mit Anstand und mit klarer christlicher Verwurzelung. Ich glaube, genau das zeichnet dich aus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Du hast viel erreicht und warst dabei selten laut. Ich glaube, das zeichnet dich auch aus. Ein Punkt wurde heute noch gar nicht thematisiert: Du warst auch einmal der Sprecher der Arbeitsgruppe Petitionen der CDU/CSU-Fraktion und hast damals mit Gabriele Lösekrug-Möller, die jetzt auf der Regierungsbank sitzt, das Thema Heimkinder auf die Agenda gesetzt. Man kann ganz klar sagen: Ohne euch zwei gäbe es heute keine Heimkinderstiftung. Auch das darf man an dieser Stelle nicht vergessen, lieber Karl Schiewerling. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Du hast immer das Auge dafür gehabt, dass unsere Jugend eine Chance bekommt. Du hast dich sehr für diejenigen engagiert, die zwischen den Sozialgesetzbüchern durch das Netz fallen. Du hinterlässt große Fußstapfen, lieber Karl Schiewerling. Du bist ein feiner Kerl. Wir werden dich vermissen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Liebe Brigitte Pothmer, auch wir waren zwölf Jahre gemeinsam im Ausschuss und haben uns mit dem Arbeitsmarkt und mit Sozialpolitik beschäftigt. Ich will an dieser Stelle nicht verheimlichen, dass mein Team sich immer gefreut hat, wenn du vor mir gesprochen hast. Sie haben gesagt: Dann hat die Chefin die richtige Betriebstemperatur. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Das heißt, bei dir sind die Argumente immer durch die Luft gewirbelt und geflogen. Ich finde, dich zeichnet aus: deine kämpferische Leidenschaft, deine hohe Fachlichkeit und auch die Kompetenz – das hat man vorhin wieder gemerkt –, zuzugestehen, wenn die Regierung doch einmal einen Fortschritt erreicht; zwar meist etwas leiser artikuliert als die Gegenargumente, aber du hast das dennoch erwähnt. Ich finde, auch das zeichnet eine gute Oppositionspolitikerin aus. Wir werden dich vermissen. Wir wünschen dir an dieser Stelle, dass du ganz viel wie die Koralle lachen kannst, liebe Brigitte Pothmer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Zu allen drei kann ich an dieser Stelle nur sagen: Vielen Dank für die hervorragende Zusammenarbeit! 43 Jahre Abgeordnetentätigkeit – Politik wird von Menschen bewegt. Ihr seid außerordentliche Menschen. Eines ist auch klar: Einmal Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikerin bzw. politiker, immer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikerin bzw. politiker, egal ob im aktiven Parlamentarismus oder danach. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin Mast. – Es war jetzt nicht unbedingt eine Rede zum Thema, aber es hat vielen, auch auf der Besucherebene, noch einmal gezeigt, dass das Leben der Abgeordneten sehr vielfältig ist. Für 33 Jahre Abgeordnetentätigkeit möchte ich allen Kollegen noch einmal danken. Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat das Wort die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als letzte Rednerin der Unionsfraktion in dieser Debatte darf ich mich ganz kurz der Würdigung anschließen. Liebe Frau Kollegin Brigitte Pothmer, liebe Waltraud Wolff, seitens der Unionsfraktion allen Respekt und allen Dank für Ihre stets sachkundige und leidenschaftliche Mitarbeit gerade auch in unserem Ausschuss! Es war auch dem Kollegen Schiewerling gerade ein großes Bedürfnis, das kundzutun. Ihre Mitarbeit war immer von dem Willen geprägt, gemeinsam zu Ergebnissen zu kommen. Vielen Dank und alles Gute für das, was bei Ihnen danach kommt! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als Rednerin der CSU möchte ich mich dem Dank an Karl Schiewerling anschließen. Bei dir, tief verwurzelt in der katholischen Soziallehre, wusste man immer, wo es langgeht. Du hast immer nach Kompromissen gesucht und solche auch gefunden. Es war vielleicht gar nicht immer so ganz leicht mit uns von der CSU; aber du gehst mit unserem allergrößten Respekt. Du wirst diesem Parlament als Mensch und als Politiker mit Sicherheit fehlen. Herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich mache die Kehre zur sachgrundlosen Befristung. Schon der Begriff ist wirklich grauenhaft. Das klingt ja nach dem Gegenteil von Sachlichkeit und nach dem Gegenteil von Sachgründen, also ein bisschen nach Willkür. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Nicht nur ein bisschen, sondern so ist es! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Ist es ja auch! Genau! Genau so ist es!) Diese Willkür wird ganz allein der Arbeitgeberseite zugeschrieben. Sachgrundlose Befristung klingt so ein bisschen nach Manchester-Kapitalismus, (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist Manchester-Kapitalismus! Genau!) nach Unterdrückung und nach Einseitigkeit, (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) nach einem groben Ungleichgewicht der Kräfte. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Genau das ist es auch!) Das mag es auch tatsächlich im Einzelfall so geben. Wo es so etwas gibt, ist das natürlich nicht in Ordnung. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Ach was!) Natürlich gibt es keinen Beschäftigten, der lieber einen befristeten als einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat, weil ein unbefristeter Arbeitsvertrag Sicherheit und Planbarkeit gibt, gerade für junge Menschen, die zum Beispiel eine Familie gründen wollen. Aus diesen Gründen lässt sich mit befristeten Arbeitsverträgen gut Stimmung machen, auch gut Wahlkampf führen. Aber so ganz gerecht wird es der Sache trotzdem nicht. (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU] – Zuruf von der LINKEN: So ein Blödsinn!) Nach den Einlassungen der Kollegin Krellmann von der Linken vorhin möchte ich doch einmal versuchen, das Bild aufzubrechen, dass Willkür nur auf Arbeitgeberseite herrschen kann. Es gibt – das wissen wir doch alle, die wir auch mal im normalen Berufsleben waren – genauso Arbeitnehmer, die willkürlich blaumachen, die sich willkürlich vor der Arbeit drücken und damit schlechte Stimmung ins Team bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch so etwas gibt es natürlich in der Arbeitswelt. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Deswegen muss man alle sachgrundlos befristen! Genau!) Weil man auch aus Arbeitszeugnissen nicht immer schlau wird, ist jede Neueinstellung natürlich mit einem gewissen Risiko für den Arbeitgeber verbunden. (Karin Binder [DIE LINKE]: Dafür gibt es die Probezeit!) Wenn es unter den Arbeitnehmern schwarze Schafe gibt, ist es menschlich nachvollziehbar, dass ein Arbeitgeber bei Neueinstellungen vorsichtig und manchmal vielleicht auch zu vorsichtig ist. Generell ist es aber so – da, meine ich, sind wir uns alle einig –, dass es viele gute Gründe gibt, Arbeitsverhältnisse zu befristen. Es wurden einige Beispiele genannt. Bei einer Vertretung für eine Frau, die in Elternzeit ist, ist die Befristung gut begründet. Auch die Arbeitsverhältnisse, die wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geben, sind aus gutem Grund befristet. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja auch ein sachlicher Grund!) Nach den Zahlen des IAB haben zurzeit knapp 8 Prozent der Beschäftigten einen befristeten Arbeitsvertrag. Seit Jahren liegt die Befristungsquote deutlich unter 10 Prozent. Tatsächlich stellen wir zugleich einen Anstieg der Zahl derer fest, die einen ohne sachlichen Grund befristeten Arbeitsvertrag unterschreiben bzw. unterschreiben müssen. Es sind vor allem Berufseinsteiger und -rückkehrer. Hier kann ich nur hoffen, dass der Arbeitsmarkt dahin gehend einen Druck auf die Unternehmen ausübt, sich attraktiver darzustellen und mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse anzubieten. Trotzdem ist es eben nicht so, wie hier manchmal suggeriert wird, dass die Befristungen völlig ausufern. Im europäischen Vergleich stehen wir zum Beispiel gar nicht so schlecht da. Wir liegen bei der Befristungsquote deutlich unter dem EU-Durchschnitt und bewegen uns im Vergleich zu anderen Mitgliedsländern im Mittelfeld. Dort kennt man mitunter ganz andere Zahlen: Zum Beispiel sind in Polen 24,3 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse befristet, in Spanien 22,8 Prozent. Natürlich kann man bei diesen Vergleichen nicht immer eine niedrigere Befristungsquote mit einer höheren Arbeitsplatzsicherheit gleichsetzen, weil der Kündigungsschutz national sehr unterschiedlich geregelt ist. Auch bei der Gleichstellung von Frauen und Männern stehen wir im europäischen Vergleich ganz ordentlich da. In den allermeisten anderen Ländern sind die Befristungsquoten bei Frauen deutlich höher als bei Männern. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht wirklich besser!) Deutschland zählt hier zu den Ländern mit den geringsten Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Gerade im öffentlichen Dienst schaut es allerdings auf den ersten Blick nicht gut aus. Er hat eine höhere Befristungsquote als die Privatwirtschaft. Da muss sich auch die SPD an die eigene Nase fassen. Die Landesregierung in Rheinland-Pfalz zum Beispiel stellt Lehrer seit Jahren fast ausschließlich nur noch befristet ein, als gäbe es in Rheinland-Pfalz künftig keine Kinder mehr. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, dann ist das erledigt!) Aber auch hier lohnt ein zweiter Blick. Der überwiegende Teil der Befristungen ist im Bereich der Wissenschaft und im öffentlichen Dienst zu finden. Nach wie vor stellen Angehörige akademischer Berufe die größte Gruppe innerhalb der Befristungen dar. Hier haben wir jedoch mit der Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz am richtigen Punkt angesetzt. Die sachgrundlose Befristung wurde auf Beschäftigte begrenzt, die zu ihrer Qualifizierung beschäftigt sind. Eine ganze Reihe weiterer Befristungsmöglichkeiten wurde gestrichen. Es zeichnet sich ab, dass sich an den Universitäten und Hochschulen unseres Landes eine Trendwende vollzieht. Allgemein betrachtet sind und bleiben befristete Arbeitsverträge gerade für Berufsanfänger und Wiedereinsteiger ein wichtiges Modell. Für die meisten Berufseinsteiger ist es de facto nicht wirklich ein Problem, weil die allermeisten anschließend in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse übernommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt keine Einbahnstraße sein darf. Wir fordern mehr Wahlfreiheit und mehr Rechte für Arbeitnehmer, und zwar, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzubringen und um ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Wir wollen aus diesem Grund auch den Arbeitgebern ein gewisses Maß an unbürokratischer Flexibilität erhalten. Deshalb können wir dem Gesetzentwurf der Linken nicht zustimmen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Frau Kollegin Freudenstein. – Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Es liegt eine Vielzahl von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12624, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12354 abzulehnen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke in der zweiten Beratung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b sowie den Zusatzpunkt 10 auf: 31.   a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten schaffen Drucksache 18/12781 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Deutsche Welle Entwurf der Fortschreibung der Aufgabenplanung 2014 bis 2017 der Deutschen Welle für das Jahr 2017 Drucksache 18/10856, 18/11025 Nr. 1.5, 18/12514 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Ulle Schauws, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten ermöglichen Drucksache 18/12803 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne meine heutige Rede mit einem Zitat aus der Zeit aus dem letzten Monat: Im Februar 2013 skizzierte der Generalstabschef der russischen Streitkräfte ... seine Vision einer modernen Armee. Politische Ziele ... seien im vernetzten Zeitalter nicht mehr nur mit konventioneller militärischer Macht zu erreichen, sondern durch den „breit gestreuten Einsatz von Desinformation“, die das Protestpotenzial der Bevölkerung verstärken solle – zum Beispiel durch geleakte Dokumente. Natürlich nicht in Russland, sondern in den anderen Ländern, in denen Russland tätig ist. In eine medienpolitische Rede mit der russischen Armee einzusteigen, mag auf den ersten Blick überraschen, auf den zweiten Blick zeigt sich hier aber, glaube ich, in aller Deutlichkeit die weltpolitische Realität im Jahr 2017: Eine Vielzahl von Autokraten und Diktatoren unterdrückt zunehmend weltweit die Pressefreiheit. Journalistinnen und Journalisten werden in vielen Ländern immer härter verfolgt und drangsaliert. Wir sehen einen weltweit massiv verstärkten Kampf um die öffentliche Meinung, frei nach Clausewitz: Kommunikation ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. – Folglich wächst die Bedeutung derjenigen, die für diese Kommunikation verantwortlich sind, sie tragen: die Medienberichterstatterinnen und Medienberichterstatter sowie die Anstalten des internationalen Auslandsrundfunks. Politik muss, wir müssen, meine ich, ein größeres Augenmerk als bisher auf ihre Ausstattung und ihre Arbeitsbedingungen, ihren Schutz und ihre Sicherheit legen. Die Koalitionsfraktionen geben auf diese Aufgabenstellung heute zwei Antworten: Erstens. Wir bringen eine Entschließung zur Fortschreibung der Aufgabenplanung der Deutschen Welle ein. Damit beteiligen wir uns an der öffentlichen Debatte über den künftigen Kurs des deutschen Auslandsrundfunks. Zweitens. Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, sich bei den Vereinten Nationen für die Schaffung des Amtes eines Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen. Beides, der verstärkte Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit und die weitere Ertüchtigung der Deutschen Welle als in der internationalen Medienöffentlichkeit deutlich vernehmbare Stimme aus Deutschland, gehört zusammen. Sonntagsreden über die Bedeutung und den Schutz der Presse- und Medienfreiheit sind schon viele gehalten worden. Wie aber kann im Falle von Medien und Journalismus das Montagshandeln aussehen angesichts der in unserem Grundgesetz verankerten Staatsferne der Medien, angesichts der Tatsache, dass die Verfolgung von Medienberichterstattern nicht in unserem Land Thema ist, sondern anderswo: in Staaten, mit denen wir nicht befreundet sind, die sich entsprechende Mahnungen als unzulässige Einmischungen von außen verbitten, aber teilweise leider zunehmend auch in Mitgliedsländern der Europäischen Union? Stellvertretend für alle verfolgten und inhaftierten Journalistinnen und Journalisten hat heute Reporter ohne Grenzen vor dem Reichstagsgebäude an viele Betroffene erinnert. Einige Kolleginnen und Kollegen haben sich beteiligt, beispielsweise Martin Dörmann. Es ist wichtig und richtig, dass unsere Frau Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister Einschränkungen der Pressefreiheit bei ihren Staatsbesuchen immer wieder klar ansprechen. Wir brauchen aber auch einen supranationalen Handlungsansatz. Daher bin ich Reporter ohne Grenzen sehr dankbar für ihren Vorstoß, einen UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalisten zu installieren. Reporter ohne Grenzen setzt sich seit längerem sehr verdienstvoll weltweit für die Rechte und das Wohl von Journalistinnen und Journalisten ein. Ihre Mahnungen und Hinweise sowie die Rangliste der Pressefreiheit sind für uns eine wichtige Orientierungshilfe und Richtschnur unseres politischen Handelns. Vielen Dank dafür stellvertretend, wie ich glaube, für das ganze Haus. (Beifall im ganzen Hause) Der Vorschlag von Reporter ohne Grenzen setzt an der richtigen Stelle an. Der Beauftragte soll direkt beim UN-Generalsekretär angesiedelt sein. Das Mandat ist mit dem Schutz von Journalistinnen und Journalisten präzise definiert und eng umrissen. Es gibt zwar bereits einen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Meinungsfreiheit; ich habe aber gelernt: Der Sonderbeauftragte ist höherwertig. Er oder sie könnte sich zudem allein auf die Sicherheit und Unversehrtheit von Journalistinnen und Journalisten konzentrieren. Derzeit stehen fast 30 Länder, darunter Frankreich und Japan, hinter dem Vorschlag von Reporter ohne Grenzen. Wir wollen, dass sich Deutschland schnellstmöglich unter den Unterstützerstaaten einreiht. Es reicht nicht länger aus, auf informeller und diplomatischer Ebene Wohlwollen zu signalisieren. Es geht um den Schutz von Demokratie und Menschenrechten in der Welt. Da muss Deutschland vorn ran. Meine Fraktion hat sich bereits vor einem Jahr öffentlich für den Vorschlag von Reporter ohne Grenzen ausgesprochen. Unsere Außenpolitiker haben dankenswerterweise uns Medienpolitikern die Federführung überlassen; dafür ein herzlicher Dank an die Außenpolitiker. Ich sehe es als wichtige Aufgabe für die nächste Wahlperiode des Deutschen Bundestages – das ist eine Art Hausaufgabe an das dann neue Hohe Haus –, dass wir analog zur Auswärtigen Kulturpolitik so etwas wie eine auswärtige Medienpolitik entwerfen. Sie wird mehr umfassen müssen als die Unterstützung der Deutschen Welle. Eine angemessene Ausstattung des Auslandsrundfunks aber gehört in jedem Fall dazu. Die Deutsche Welle ist der Beitrag des Bundes zu medialer Vielfalt und Meinungsfreiheit in der Welt. Ja, sie sendet im Auftrag der Bundesregierung, und ja, BKM hat die Rechtsaufsicht über den Sender, aber sie entscheidet stets allein über ihre Programme und sie transportiert stets unterschiedliche Meinungen und Standpunkte. Wir haben in dieser Legislaturperiode mehrfach in Debatten über die Deutsche Welle gesprochen. In den vergangenen vier Jahren hat sich der Sender mit tiefgreifenden Reformen fit gemacht für den rasanten digitalen Medienwandel. Dafür sind zuallererst der Intendant und sein Team verantwortlich. Ich möchte deshalb zum Ende der Legislaturperiode Peter Limbourg und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für die geleistete Arbeit danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Ausbau des englischen TV-Programms zum Breaking-News-fähigen Kanal war aus unserer Sicht richtig, um die internationalen Entscheider und Multiplikatoren zu erreichen und die deutsche Sicht auf die Welt verständlich zu transportieren. Englisch ist derzeit die Lingua franca unserer Zeit. Mit der Reform des deutschsprachigen Fernsehkanals, die uns vor nicht langer Zeit hier im Bundestag präsentiert wurde, hin zu einem Kulturkanal transportiert die Deutsche Welle ein facettenreiches Bild unseres Landes als Kulturnation. Sie kommt damit ihrem gesetzlichen Auftrag und nicht zuletzt dem Wunsch des Deutschen Bundestages nach, die deutsche Sprache zu pflegen und ihre Programme prominent auf Deutsch anzubieten, so wie es im Deutsche-Welle-Gesetz vorgesehen ist. Neben dem linearen Fernsehen wird das Internet mehr und mehr zum führenden Informationsmedium. Deshalb muss die Welle auf den wichtigen digital verbreiteten Plattformen und Social-Media-Diensten mit ihren Angeboten präsent sein. Das tut sie verstärkt. Es gelingt auch auf diese Weise, direkte Verbindungen zu den Nutzern herzustellen – Stichwort „User-generated Content“. Zudem gilt es, auf die veränderte Weltlage – ich verweise auf das Zitat zu Beginn meiner Rede – und neue Krisenherde zu reagieren. Die Deutsche Welle hat ihre russisch- und ukrainischsprachigen Programme ausgebaut und ist damit zu einem der wichtigsten Anbieter unabhängiger, seriöser Informationen in der Region geworden. Sowohl in der arabischen Welt als auch in der Türkei wird die Presse- und Meinungsfreiheit leider mehr und mehr verletzt, sind autokratische Tendenzen auf dem Vormarsch. Für 2017 hat der Deutsche Bundestag daher zusätzliche Mittel für die Ausweitung der türkisch- und arabischsprachigen Programme bereitgestellt. Die Deutsche Welle sendet mit DW (Arabia 2) vorübergehend im Inland, um den Flüchtlingen aus dem arabischen Raum ein wertiges Informationsangebot zu unterbreiten und Orientierung über Deutschland zu geben. Das ist eine Ausnahme, die die Situation erforderte, und eine gute Lösung aus meiner Sicht. Die Deutsche Welle hat sich in den letzten Jahren neu und sehr gut aufgestellt. Damit einher ging ein deutlicher Bedeutungszuwachs in der Politik und hier im Parlament. Diesen gestiegenen Stellenwert haben sich der Sender und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit wirklich guter Arbeit verdient. Besonders freut mich – das geht dir, lieber Martin, sicherlich ähnlich, weil wir das in den Gremien miterleben –, dass, nachdem am Anfang die Stimmung unter einem Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr skeptisch war, mittlerweile, da der Reformprozess läuft, die Signale komplett auf positiv stehen. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung wissen, was sie an ihrem Auslandsrundfunk haben. Beide haben in den letzten Jahren den Etat der Deutschen Welle erheblich gesteigert. Mit dem Bundeszuschuss aus dem BKM-Haushalt von nun rund 325 Millionen Euro sind wir wieder da, wo wir in den 90er-Jahren waren, bevor es in der rot-grünen Regierungszeit Kürzungen gegeben hat. Dafür, dass wir das geschafft haben, möchte ich einerseits dem Bundesfinanzminister danken, andererseits unserer Staatsministerin, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wo ist die eigentlich?) unseren Haushaltspolitikern Rüdiger Kruse und Johannes Kahrs und nicht zuletzt noch einmal dir, lieber Martin Dörmann. Wir haben, glaube ich, gerade an dieser Stelle in der letzten Legislaturperiode sehr eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Martin Dörmann [SPD]: So ist es! Vielen Dank!) Der Eckwertebeschluss der Bundesregierung sieht für 2018 eine nochmalige Erhöhung des Bundeszuschusses um 25,7 Millionen Euro vor. Dazu sage ich von parlamentarischer Seite: Gut so. Mit der heute zur Abstimmung stehenden Entschließung geben wir uns die Hausaufgabe für die kommende Legislaturperiode, die Deutsche Welle weiter fit zu machen. Wir haben unter anderem gesagt: Der Betrag, den unser Nachbar Frankreich für seinen Auslandsrundfunk ausgibt – das ist noch ein bisschen mehr –, sollte so die Benchmark sein, an der wir uns orientieren – im Interesse unseres Landes, im Interesse von Demokratie und im Interesse der Menschenrechte weltweit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, Herr Kollege Wanderwitz. Bevor wir die Aussprache fortsetzen, möchte ich Ihnen kurz das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung in der zweiten Beratung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, Drucksachen 18/12354 und 18/12624, mitteilen: abgegebene Stimmen 520. Mit Ja haben gestimmt 53, mit Nein haben gestimmt 409, Enthaltungen 58. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 519; davon ja: 53 nein: 408 enthalten: 58 Ja DIE LINKE Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Uwe Feiler Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner HonD Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Gabriele Groneberg Michael Groß Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Daniela Kolbe Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Enthalten SPD Heinz-Joachim Barchmann Marco Bülow Steffen-Claudio Lemme Andreas Rimkus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wir setzen jetzt unsere Aussprache fort. Als Nächstes erteile ich das Wort dem Kollegen Harald Petzold für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucherinnen und Besucher! Wir beraten heute einen Antrag der Großen Koalition und einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. In beiden geht es um die Einsetzung eines Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten. Ferner beraten wir heute die Fortschreibung der Aufgabenplanung der Deutschen Welle. Da der Kollege Wanderwitz hier so tut, als müsse man diese zwei Themen zusammenpacken, da sie so wichtig seien, komme ich nicht umhin, zurückzufragen: (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum in der vorletzten Woche?) Wenn Ihnen das so wichtig ist, warum packen Sie das in einem Tagesordnungspunkt zusammen, obwohl Sie wissen, dass wir allein zum Thema Deutsche Welle eine eigenständige Debatte benötigen? Und vor allem: Warum kommen Sie in der vorletzten Sitzungswoche mit diesem wichtigen Antrag zum Schutz der Journalistinnen und Journalisten um die Kurve? (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Es wäre traurig, wenn es nichts zu kritisieren gäbe! – Dagmar Ziegler [SPD]: Sollen wir die letzten zwei Wochen gar nichts machen?) Die Taktik, die Sie anwenden, ist immer die Gleiche: Wenn Sie nicht wollen, dass wirklich ernsthaft über ein Thema gesprochen wird, packen Sie Themen so zusammen, dass man weder über das eine noch über das andere richtig reden kann. (Martin Dörmann [SPD]: Sie haben schon viel Zeit vergeudet! Fangen Sie doch einfach mal an!) Wenn wir tatsächlich über die Deutsche Welle intensiv reden wollen, müssten wir vor allem darüber reden, dass diese umfangreiche Mittelaufstockung, die in den vergangenen Jahren im Übrigen auch mit den Stimmen der Oppositionsfraktionen, wenn ich Sie daran erinnern darf, beschlossen worden ist, nicht genutzt worden ist, um endlich die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse zu verringern. Es ist nicht gelungen, dort endlich eine faire Vergütung durchzusetzen. Es ist nicht gelungen, endlich den Frauenanteil zu erhöhen. Deswegen bleiben wir bei unseren Forderungen: Statt einen sinnlosen Wettbewerb mit der BBC, mit CNN, mit Al Jazeera oder Russia Today anzustreben, sollten wir endlich dafür sorgen, dass bei der Deutschen Welle eine faire Vergütung gezahlt wird, dass dort keine prekären Beschäftigungsverhältnisse mehr herrschen und dass es zu einer Tarifangleichung kommt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ansonsten wäre natürlich viel mehr Geld nötig; das wissen Sie. Es wäre viel mehr Geld nötig, wenn man die Deutsche Welle tatsächlich zu einem wirkungsvollen Instrument im Hinblick auf die Auslandsberichterstattung über die Bundesrepublik Deutschland ausbauen wollen würde. Ich will für meine Fraktion den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Welle für ihre Arbeit herzlich danken, die sie trotz schwieriger Rahmenbedingungen bei der Deutschen Welle leisten, sowohl beim Sender als auch bei der DW Akademie. (Beifall der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Ich möchte dem Sender dazu gratulieren, dass er in diesem Jahr den Freedom of Speech Award an die White House Correspondents’ Association verliehen hat, also an die Journalistinnen und Journalisten des Weißen Hauses. Ihr Chef, Jeff Mason, hat bei der Preisverleihung – aus meiner Sicht völlig zutreffend – gesagt: Auch in etablierten Demokratien ist der Schutz von Journalistinnen und Journalisten unabdingbar. Gerade in den Vereinigten Staaten erleben wir etwas, was im freiesten Land der Welt niemand für möglich gehalten hätte, nämlich dass Journalistinnen und Journalisten verunglimpft, herabgesetzt, geradezu zum Feind der Nation erklärt werden und dass ihre Arbeitsbedingungen so weit eingeschränkt werden, dass von Pressefreiheit schon fast nicht mehr die Rede sein kann. Andere Beispiele sind Russland und Mexiko, wo kritische Journalistinnen und Journalisten einfach erschossen werden. In Polen dürfen Journalistinnen und Journalisten nicht mehr über die Parlamentssitzungen berichten. In Ungarn und Polen werden bei den Sendern einfach die Führungen ausgetauscht, oder kritische Journalistinnen und Journalisten werden entlassen. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Der Gipfel ist die Türkei, wo über 100 Journalistinnen und Journalisten in Gefängnissen sitzen und wo wir maximale Besorgnis oder ganz besondere Besorgnis seitens der Bundesregierung zum Ausdruck bringen. Weil wir mit dem Diktator und Kurdenmörder Erdogan ja einen schmutzigen Deal vereinbart haben, damit Flüchtlinge von Deutschland ferngehalten werden. Auch das muss angesprochen werden, weil es dazugehört, wenn man über Pressefreiheit und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten spricht. Ich bin dem Bündnis 90/Die Grünen dankbar, dass dieser Antrag eingebracht und die Große Koalition noch einmal herausgefordert wurde, selber etwas vorzulegen, damit wir nicht nur über Ihren Antrag reden, der leider keine Mehrheit bekommen hätte. (Martin Dörmann [SPD]: Wir waren vorneweg!) Außerdem bin ich natürlich auch den Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition dankbar. Denn ich weiß, dass dieses Anliegen ohne Ihren Antrag hier gar nicht mehrheitsfähig gewesen wäre. (Martin Dörmann [SPD]: Das ist Quatsch!) Aber ich frage Sie natürlich: Warum sagen Sie nichts zur finanziellen Ausstattung eines solchen Sonderbeauftragten? Warum sagen Sie nichts dazu, ob die Bundesrepublik Deutschland einen freiwilligen finanziellen Beitrag leistet? Dazu sind wir nämlich aufgefordert worden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Warum sagen Sie nichts dazu, dass Sie nicht bereit sind, Whistleblower zu schützen? Warum sagen Sie nichts dazu, dass Sie mit Ihrem Konzept der Vorratsdatenspeicherung natürlich auch die Arbeit der freien Presse einschränken? All diese Dinge gehören in diesem Zusammenhang mit auf den Tisch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem sage ich: Der Antrag ist wichtig, er geht in die richtige Richtung, und deswegen wird meine Fraktion dem Antrag zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Martin Dörmann für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne kritischen Journalismus wäre unsere Gesellschaft eine gänzlich andere. Sie wäre weniger frei, weniger vielfältig, weniger demokratisch, und sie wäre sicher auch unsozialer und ungerechter. Denn der Fortschritt und der Zusammenhalt einer Gesellschaft sind eng verbunden mit dem freien Austausch von Argumenten und mit der öffentlichen Kontrolle demokratischer Macht. Zu beidem leistet der Journalismus einen unverzichtbaren Beitrag. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte wissen wir, wie wichtig Presse- und Meinungsfreiheit sind. Deshalb will die Koalition zum Ende dieser Legislaturperiode mit zwei Anträgen bewusst ein deutliches Zeichen setzen. Dieses Thema wird ja nicht das erste Mal behandelt; Kollege Petzold, das wissen Sie ganz genau. Deshalb bedaure ich, dass Sie dieses positive Zeichen hier nicht noch deutlicher unterstützt haben. Es kann uns alle nicht unberührt lassen, dass die Unabhängigkeit von Medien und sogar die körperliche Unversehrtheit von Journalistinnen und Journalisten in immer mehr Staaten bedroht sind. Laut Reporter ohne Grenzen wurden im vergangenen Jahr weltweit mindestens 74 Medienschaffende ermordet, und 400 saßen wegen ihrer Tätigkeit in Haft. In diesem Haus haben wir wiederholt die Freilassung von Deniz Yücel und aller anderen inhaftierten Journalistinnen und Journalisten angemahnt, und das will ich auch an dieser Stelle noch einmal bekräftigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In einem der beiden Anträge fordert die Koalition die Einrichtung eines Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten. Mein Fraktionskollege Siegmund Ehrmann wird für meine Fraktion gleich noch näher darauf eingehen. Ich möchte mich auf den zweiten Antrag konzentrieren. Er ist bereits erwähnt worden und befasst sich mit der Aufgabenplanung der Deutschen Welle, deren Fortschreibung wir nachdrücklich unterstützen. Erst kürzlich hat die Deutsche Welle auf ihrer internationalen Medienkonferenz wieder ein deutliches Zeichen für Presse- und Meinungsfreiheit gesetzt. Intendant Peter Limbourg hat das Global Media Forum mit folgenden Worten eröffnet: Allen Despoten, Autokraten und Gewaltherrschern sage ich: Ihr werdet die Meinungsfreiheit nicht ewig unterdrücken können. Sie ist stärker als ihr. Ich glaube, dem können wir uns alle hier gemeinsam voll und ganz anschließen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nachdem ich ihn gerade schon zitiert habe, darf ich anschließen, dass ich mich sehr freue, dass Intendant Peter Limbourg heute mit Programmdirektorin Gerda Meuer dieser Debatte beiwohnt. Herzlich willkommen! Ich will mich den Dankesworten meines Kollegen Wanderwitz anschließen und natürlich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle einschließen. Ich glaube, dort wird tolle Arbeit geleistet, und wir beide haben in den Gremien erlebt, wie engagiert das Mitarbeiterteam dort ist. Ein herzliches Dankeschön an alle! (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bereits erwähnt worden: In dieser Legislaturperiode ist es uns gelungen, unsere Auslandssender nach langen Jahren der Kürzungen und der Unsicherheit endlich wieder finanziell zu stabilisieren und programmlich zu stärken. 2013 sind wir mit 277 Millionen Euro gestartet, heute liegt der Etat bei 325 Millionen Euro. Diese Steigerung war und ist auch notwendig, und es ist vor allen Dingen gut angelegtes Geld; denn wir erleben ja alle, wie sehr das politische und das mediale Umfeld weltweit in Bewegung sind. Damit wächst das Bedürfnis nach Informationen und verlässlicher Einordnung und nicht zuletzt nach einem Gegenpol zur staatlichen Propaganda autoritärer Regime. Genau aus diesen Gründen ist die Arbeit der Deutschen Welle so wichtig. Sie ist journalistisch unabhängig, in 30 Sprachen global unterwegs und trimedial präsent, das heißt, per Internet, per Fernsehen und per Radio. Damit erreicht sie jede Woche über 135 Millionen Menschen. Mit den Angeboten der DW Akademie fördert sie zudem in den Ländern der Entwicklungszusammenarbeit professionellen Journalismus, Medienkompetenz und Meinungspluralismus. Dank ihrer hohen Qualität und Glaubwürdigkeit gilt die Deutsche Welle international als Stimme der Freiheit und als verlässlicher Nachrichtenlieferant. – Ich glaube, wir dürfen hier auch noch einmal applaudieren – ich sehe, Sie wollen das tun –; (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) denn das nutzt in der Tat auch uns. – Das ist die Aufgabe der Deutschen Welle. Sie trägt damit auch zur Verbreitung unserer Werte und zu einem positiven Deutschlandbild weltweit bei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen sind, wie beschrieben, gewachsen. Die Deutsche Welle hat darauf mit einer erfolgreichen Programm- und Strukturreform reagiert, die wir unterstützen. Nun gilt es, den nächsten Schritt zu machen. Ich habe es bereits erwähnt: Wir haben eine Stabilisierung des Haushaltes hinbekommen. Kollege Wanderwitz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der französische Auslandsrundfunk und auch BBC World deutlich mehr Gelder zur Verfügung haben, und ich glaube, es sollte an uns sein, dieses Niveau ebenfalls anzustreben. Dem haben wir in unserem Antrag Ausdruck verliehen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, das in den nächsten Haushaltsberatungen nachzuvollziehen. Das ist sozusagen die Hausaufgabe für die nächste Legislaturperiode. Die Deutsche Welle kann dann vor allen Dingen noch besser mit der Unterdrückung freier Medien umgehen und auf Krisen und propagandistische Tendenzen reagieren, weil sie ihr Programm und auch ihr Sprachenangebot dann auf einem technisch hohen Niveau ausweiten kann. Das führt dazu, dass sie am Ende noch mehr Menschen erreicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist voraussichtlich die letzte kultur- und medienpolitische Debatte für uns alle hier im Hause in dieser Legislaturperiode. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die im Ausschuss gut zusammengearbeitet haben. In den meisten Dingen sind wir uns ja sogar einig. Da, wo wir uns nicht einig sind, sollten wir uns streiten, und dann muss am Ende eine Lösung herbeigeführt werden. Deshalb danke ich auch noch einmal meinem Pendent auf der Unionsseite, Marco Wanderwitz, für die gute Zusammenarbeit. Ich glaube, man kann sagen, wir haben in dieser Legislaturperiode gemeinsam einiges im Bereich Kultur und Medien bewegt. Einiges bleibt aber noch zu tun. Uns liegen heute zwei Anträge vor, die das zum Ausdruck bringen. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Aufgabe für die nächste Legislaturperiode mit einem starken Votum gemeinsam unterstützten. Noch einmal ein herzliches Dankeschön an alle. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Tabea Rößner hat jetzt für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Endlich ringt sich die Große Koalition dazu durch, ein Anliegen zu unterstützen, das Reporter ohne Grenzen – sie wurden schon erwähnt – und auch wir seit langem fordern, nämlich die Einrichtung eines UN-Sonderbeauftragten für Presse- und Medienfreiheit. Sie haben dafür ein bisschen länger gebraucht. Aber besser spät als nie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Dörmann [SPD]: Wir sind das erste Parlament weltweit!) Zugegeben: Das Thema ist zu ernst für parlamentarische Seitenhiebe. Es ist nämlich äußerst dringlich. Die weltweite Lage von Journalistinnen und Journalisten verschärft sich Jahr für Jahr. Zurzeit sitzen weltweit rund 350 oder 400 Journalisten – die Zahlen gehen ein bisschen auseinander – in Haft. 74 Medienvertreter weltweit wurden im vergangenen Jahr getötet. Die gefährlichsten Länder sind Syrien, Afghanistan, Mexiko, der Irak und der Jemen. Dort droht Medienschaffenden täglich Gefahr für Leib und Leben. Lieber Kollege Dörmann, zur Pressefreiheit in der Türkei hat sich die Bundesregierung leider erst geäußert, als ein Journalist mit deutschem Pass inhaftiert wurde. (Martin Dörmann [SPD]: Das stimmt so nicht!) Nun, es gibt mit David Kaye zwar einen Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit, der an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Bericht erstattet. Doch für ihn ist die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten nur eines von vielen Themen. Er ist unter anderem zuständig für jedwede Art von Zensur, Sperrung und Regulierung von Inhalten in Presse, Funk und Internet, für die Wahrung von Anonymität, für Verschlüsselung, für den Schutz von Whistleblowern und natürlich für alles, was die Meinungsfreiheit betrifft. Er beobachtet die Entwicklung in den einzelnen Ländern, sammelt alle Informationen und ist Ansprechpartner für Regierungen und Nichtregierungsorganisationen. All das macht er ehrenamtlich. Herr Kaye dürfte Ihnen übrigens gut bekannt sein. Sie haben ihm gerade einiges an Arbeit verschafft. Seine umfassende Kritik am Netzwerkdurchsetzungsgesetz liegt bereits auf Ihrem Tisch. Zumindest diese Arbeit, meine Damen und Herren, hätten Sie ihm ersparen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber das ist eine andere Baustelle. Er hat leider immer mehr zu tun. Daher ist es dringend erforderlich, jemanden bei der UN zu haben, der seine ganze Zeit und Kraft zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten einsetzen kann. Ein Sonderbeauftragter hat dafür bessere Voraussetzungen als ein Sonderberichterstatter. Lieber Marco Wanderwitz, der Unterschied ist: Ein Sonderbeauftragter ist hauptamtlich tätig. Außerdem hat er einen Stab von Mitarbeitern, auf die er zurückgreifen kann. Vor allem: Er kann eigeninitiativ tätig werden. Er muss also nicht warten, bis ihn beispielsweise Mexiko einlädt, um sich in Mexiko mit der Frage der Sicherheit von Medienschaffenden zu befassen. (Martin Dörmann [SPD]: Deshalb wollen wir das ja!) Wir wollen der Stellung dieses Sonderbeauftragten mehr Gewicht verleihen. Deshalb haben wir dazu einen eigenen Antrag eingebracht. Ich möchte sehr dafür werben, dass Sie ihn heute mitbeschließen. Es ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, warum Deutschland immer noch nicht der Group of Friends on the Protection of Journalists bei den UN beigetreten ist. 17 Staaten aus allen Regionen der Welt sind bereits Mitglieder und machen sich für das Thema stark. Angesichts der weltweiten Entwicklung ist es allerhöchste Zeit, dass sich Deutschland hier engagiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Finanzierung des Sonderbeauftragten muss auf soliden Füßen stehen. Daher sollte sich Deutschland klar dafür einsetzen, dass die Finanzierung aus dem laufenden UN-Budget erfolgt. Im Zweifel kann sich Deutschland auch selbst verpflichten, zumindest einen Teil der Finanzierung zu übernehmen. Von nichts kommt halt auch nichts. Wo wir gerade bei dem Thema sind, dass gute Arbeit eben nur mit einer soliden Finanzierung gemacht werden kann: Die Budgetaufwüchse bei der Deutschen Welle begrüßen wir ausdrücklich, ebenso die angestrebte Verstetigung der Mittel. Wir werden aber auch in der nächsten Wahlperiode immer mit einem kritischen Auge begleiten, wohin diese Gelder fließen, lieber Herr Limbourg. Wenn es um den Ausbau des Programmbereichs und um Tarifangleichungen im Personalbereich geht, ist das natürlich gut. Was wir kritischer sehen, ist der Umbau der Deutschen Welle zu einem englischsprachigen Breaking-News-Kanal und zu einem Sender mit einem größeren Sendeschwerpunkt im Inland. Beides geht am Auftrag der Deutschen Welle vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gehört nämlich nicht zum Auftrag der Deutschen Welle, Ausländer im Inland mit Nachrichten zu versorgen. Dafür gibt es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und zu dessen Kernaufgabe gehört vor allen Dingen auch die Integration. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die bisherigen Kooperationen zwischen Deutscher Welle und Öffentlich-Rechtlichen reichen unserer Meinung nach aus. Was die Sprachenvielfalt angeht, ist diese eine der Kernkompetenzen der Deutschen Welle. Wenn sie Menschen gerade in ihren Regionalsprachen erreicht, kann sie damit Demokratie fördern. Ich denke, das ist alles in unserem Sinne. Die Deutsche Welle leistet in unserer globalisierten Welt ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zu unabhängiger Berichterstattung und demokratischem Austausch in der Welt. In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich auch die DW Akademie erwähnen, die bei der Aus- und Fortbildung und der Unterstützung von Journalistinnen und Journalisten einen zentralen Beitrag leistet. Sie darf bei den Budgetplanungen nicht ins Hintertreffen geraten. (Martin Dörmann [SPD]: So sehen wir das auch!) Abschließend noch ein persönliches Wort. Ich hoffe nicht, dass dies meine letzte Rede ist, aber ich weiß, dass Siggi Ehrmann heute seine letzte Rede halten wird. Ich möchte mich bei ihm als Ausschussvorsitzenden ganz herzlich bedanken. Ich denke, wir haben gut zusammengearbeitet. Das gilt im Übrigen auch für die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit in der nächsten Wahlperiode. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Astrid Freudenstein hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Dank und dem Glückwunsch an den Kollegen Ehrmann möchte ich mich an dieser Stelle anschließen. Alles Gute, vielen Dank! Medien werden gerne als vierte Gewalt im Staate bezeichnet, als System, das neben der Legislative – das sind wir –, der Exekutive und der Judikative existiert. In aller Regel ist mit dem Begriff der vierten Gewalt auch gleich Kritik verbunden. Der Begriff der vierten Gewalt ist verfassungstheoretisch völlig falsch, und offen gesagt mag auch ich ihn nicht so richtig, weil er tatsächlich schief ist. Medien sind nicht demokratisch legitimiert. Sie sind oft nur Teil der Wirtschaft und zum Geldverdienen da. Sie verfügen vor allem über keinerlei staatliche Gewalt, um dieses Staatswesen zu verändern. Natürlich nehmen sie aber in der Bundesrepublik eine wichtige öffentliche Aufgabe wahr. Sie haben eine Wächter- und Kontrollfunktion und sind damit wesentlicher Bestandteil unserer demokratischen Verfasstheit, aber sie üben keine staatliche Gewalt aus. Gleichwohl ist das geschriebene oder gesprochene Wort für uns Politiker manchmal quälend. Mitunter fühlen wir uns ungerecht behandelt; mitunter werden wir ungerecht behandelt. Generell ist es aber richtig, dass das Verhältnis zwischen Politik und Medien angespannt ist; alles andere wäre Kumpanei und dem demokratischen Wesen abträglich. Alles in allem finde ich, dass wir in Deutschland mit diesem angespannten Verhältnis zwischen Presse und Politik seit 1945 ganz gut gefahren sind. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie man es besser organisieren sollte. In den vergangenen Jahren ist ein Wandel zu erkennen gewesen. Es gibt recht leidenschaftliche und hitzige Diskussionen darüber, was Journalismus darf: Wo liegt die besondere Verantwortung, Dinge zu benennen oder eben auch nicht zu benennen? Welche Bilder muss man zeigen? Welche Bilder sollte man aus gutem Grund nicht zeigen? Die Diskussionen sind schwierig, aber wichtig. An Medienkritik ist nichts Schlimmes zu finden. Sie macht die Dinge besser, zumal Journalisten ebenso wie Politiker nur Menschen sind und natürlich auch Fehler machen. Mit einem „Lügenpresse“-Vorwurf wird jedoch der Bereich der Medienkritik deutlich verlassen. Wenn Menschen in unserem Land mit diesem Kampfbegriff um sich werfen, dann ist das eine generelle Verunglimpfung und Abwertung, die jeder sachlichen Grundlage entbehrt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Politische Kräfte, die in unserem Land mit solchen Begriffen agieren bzw. agitieren, stellen sich ins Abseits. Sie haben nicht einmal im Ansatz begriffen, was Demokratie bedeutet. Ein solcher Zustand kann einem auch hier bei uns in Deutschland Angst machen. Wenn man aber ins Ausland schaut, dann wird es durchaus noch ernster. Schauen wir in die USA. Der amerikanische Präsident – der Führer der freien Welt – beschimpft Medien als Feinde des amerikanischen Volkes und kanzelt selbst die Berichterstattung seriöser Medien als Fake News ab. Schauen wir aber – das wurde eben auch schon von den Kollegen getan – in die Türkei, stellen wir fest: Da geht es nicht mehr nur um unsachliche Kritik oder Verunglimpfung, sondern da geht es um Gewalt und Freiheitsentzug. Seit dem gescheiterten Staatsstreich im vergangenen Jahr haben die türkischen Behörden so viele Journalisten verhaftet wie in wohl keinem anderen Land der Erde. Aber Journalisten werden nicht nur beschimpft oder eingesperrt, um sie an ihrer Arbeit zu hindern. Die Gewalt gegen sie reicht bis zum Mord, und das nicht einmal selten. Eine neue Studie über Journalistenmorde belegt die Gefahr. Zwischen 2002 und 2016 wurden demnach 1 700 Tötungen von Pressemitgliedern dokumentiert, allein 400 davon in den vergangenen beiden Jahren. Und entgegen der weitverbreiteten Auffassung, Journalisten würden überwiegend im Kreuzfeuer von Bürgerkriegen, bei ihrer Arbeit, bei ihrer Berichterstattung oder von kriminellen Banden getötet, zeigt diese Untersuchung, dass viele Journalisten außerhalb von Kampfzonen und Konfliktzonen entweder von staatlicher Seite getötet werden oder dass die Täter nicht eindeutig identifiziert werden können. Es wird davon ausgegangen, dass die Täter in neun von zehn Fällen unbestraft bleiben. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es bei Morden eine Aufklärungsquote von über 90 Prozent. Viele der Länder mit den höchsten Zahlen an getöteten Journalisten bringen die Täter nicht einmal vor Gericht. Besonders dramatisch ist die Situation in Russland, Brasilien, Pakistan, Bangladesch oder Mexiko. Die Studie untermauert mit ihrem Ergebnis also die Notwendigkeit unseres Antrages, weil die aktuellen Entwicklungen tatsächlich dramatisch sind. Deshalb müssen wir unsere Bemühungen verstärken; denn eine offene und demokratisch verfasste Gesellschaft ist nur mit einer freien und unabhängigen Presse machbar. Aber eine solche nicht vom Staat gelenkte und keiner Zensur unterworfene Medienlandschaft kann es nur geben, wenn Journalisten und Reporter beim Recherchieren und beim Schreiben nicht mit Gewalt oder Gefängnis rechnen müssen. Ein Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten könnte die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten effektiv überwachen. Er könnte – wo nötig – den Finger in die Wunde legen. Dieses Thema kann nämlich gar nicht genug Öffentlichkeit bekommen. Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass wir auch hier bei uns in Deutschland erkennen, wie wertvoll eine freie Presse ist, auch wenn sie gelegentlich wehtut. Sie ist ein Aushängeschild für unsere Demokratie und eine Errungenschaft, und so schmerzhaft sie manchmal für die Politik sein mag, so unkorrekt sie uns vielleicht manchmal im Einzelfall auch erscheinen mag: Eine unfreie Presse ist in jedem Fall eine schlechte Presse. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jetzt hat Siegmund Ehrmann als letzter Redner in dieser Aussprache das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Man kann es nicht oft genug wiederholen, und ich will das ausdrücklich in meiner letzten Rede, die ich von diesem Pult aus im Bundestag halten werde, unterstreichen: Unabhängiger kritischer Journalismus ist ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften. Deshalb muss es erst recht einen Ausschuss für Kultur und Medien interessieren, was sich in diesem Sektor tut. Das haben wir in dieser Legislaturperiode in zwei Fachgesprächen getan. Wir haben uns mit der Lage der Meinungs- und Medienfreiheit weltweit, aber auch in unserem Land auseinandergesetzt; denn auch in unserem Land gab es infolge der populistischen „Lügenpresse“-Kampagne Grund genug, genauer hinzuschauen auf Übergriffe auf Journalisten und auch auf die Frage, ob unsere Sicherheitsorgane, Polizei, Staatsanwaltschaften alles tun, um dem Herr zu werden. Diese Attacken sind und waren zu verurteilen, und das mit allem Nachdruck. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe keine Zweifel, und es ist unstreitig: In unserem Rechtsstaat sichern eine kritische Öffentlichkeit, aber auch – im rechtsstaatlich enger gefassten Sinne – die Polizei, die Staatsanwaltschaften sowie die Gerichte die Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit. Das ist in vielen Ländern der Welt nicht der Fall. Es sind erschütternde Zahlen, mit denen uns die weltweit vernetzte NGO, also Nichtregierungsorganisation, Reporter ohne Grenzen konfrontiert. Der sehr anschaulich gestaltete Jahresbericht 2016 macht das deutlich. Ich kann jedem nur empfehlen, dort hineinzuschauen. Seit 2007 sind mindestens 696, also rund 700 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Tätigkeit getötet worden. Die Brennpunkte wurden von Kollegin Freudenstein genannt. Darüber hinaus nenne ich Syrien, Afghanistan, den Irak und Jemen. Mexiko wurde schon erwähnt. Dazu drei konkrete Beispiele: Salad Osman Sagal – das ist eine junge Frau, 24 Jahre alt – arbeitete als Moderatorin für Radio Mogadischu in Somalia. Sie wurde Anfang Juni 2016 in der somalischen Hauptstadt erschossen. Die Täter entkamen; allerdings deuten Indizien auf eine Aktion der Terrorgruppe al-Schabab hin, die schon viele Journalistinnen und Journalisten in Somalia ermordet hat. Ein zweites Beispiel: Anabel Flores Salazar, 32 Jahre alt, berichtete für ihre Zeitung aus einer Ostprovinz in Mexiko, Veracruz, über das organisierte Verbrechen. Im Februar 2016 wurde sie entführt. Ihre Leiche wurde am nächsten Tag, entsetzlich zugerichtet, in einem Nachbarstaat aufgefunden. Allein in Mexiko sind in diesem Jahr schon vier Journalistinnen und Journalisten ermordet worden. Ein drittes Beispiel: Ich erinnere an María Esther Aguilar Cansimbe, verschwunden im November 2009. Sie recherchierte für lokale und regionale Zeitungen über organisierte Kriminalität und Machtmissbrauch und wurde schon lange vor ihrem Verschwinden drangsaliert. Schutz fand sie nicht. Sie ist verschwunden. Alles deutet darauf hin, dass sie nicht mehr lebt. Eingeleitete Ermittlungsverfahren liefen ins Leere. Reporter ohne Grenzen wandte sich Mitte 2015 an eine spezielle UN-Arbeitsgruppe für Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen. All das sind bisher stumpfe Waffen. Deshalb ist die Frage, wie das Völkerrecht wirksamer durchgesetzt werden kann, um Journalistinnen und Journalisten nicht schutzlos zu lassen, eine zentrale Frage. Allein die guten UN-Resolutionen reichen nicht aus. Sie haben das Thema zwar auf die internationale Agenda gehoben, aber sie bilden aus sich heraus kein ausreichendes Instrumentarium, um wirksam eingreifen zu können. Deshalb stellen wir diesen Antrag und fordern die Bundesregierung auf, die sehr breit getragene Initiative der Vereinten Nationen zu unterstützen, einen Sonderbeauftragten des Generalsekretärs zum Schutz der Journalisten einzusetzen. Dieser hätte nämlich Sonderermittlungsfunktionen. Direkt dem Generalsekretär zugeordnet, könnte er wirksam handeln; er könnte Verfahren einleiten und in Verbindung mit anderen menschenrechtlichen Instrumenten nachhaltig Wirkung erzielen. Ich gehe auf Tabea Rößner ein und bedanke mich zunächst einmal für die freundlichen Worte zu meinem Ausscheiden. Ich will aber auch auf den Antrag, den ihr gestellt habt, inhaltlich eingehen. Die erste Forderung deckt sich weitestgehend mit dem Inhalt des Antrags, den die Regierungskoalition vorgelegt hat. Allerdings funktioniert der einseitige Beitritt Deutschlands zu dieser Unterstützergruppe so nicht. Das würde die Proportionalität gefährden. Man kann dieser nur beitreten, wenn zeitgleich organisiert wird, dass aus anderen Regionen ebenfalls Mitglieder in dieser Initiative mitwirken. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können wir ja machen!) Die Akteure im Auswärtigen Amt arbeiten daran. Das ist auf dem Weg. Insofern bitte ich Sie alle, dem Koalitionsantrag zuzustimmen. Martin Dörmann hat vorhin schon deutlich gemacht: Wenn die lange Dauer kritisiert wird, ist doch darauf hinzuweisen, dass wir die Ersten weltweit sind, die in einem Parlament darüber diskutieren. Ich finde, es ist ein gutes Ergebnis der Koalition, dass wir das im Finale noch eingebracht haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es mit meinen Abschiedsworten nicht übertreiben, aber ein paar Worte seien mir gestattet. Seit 2002 vertrete ich als direkt gewählter Abgeordneter die Menschen in der Region Moers, Krefeld und Neukirchen-Vluyn. Sie haben mir das Vertrauen übertragen. Ich hoffe, dass ich das auch in dieser Wahlperiode gerechtfertigt habe. Ich danke allen aus meiner Region, insbesondere aus meiner Partei, die mir diese Kandidatur überhaupt erst ermöglicht und mir das Vertrauen für dieses Mandat geschenkt haben. Ich danke im Speziellen natürlich insbesondere den Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich in der Kulturpolitik zusammengearbeitet habe. Das gilt für die kleine, aber feine Arbeitsgruppe, die hier heute zugegen ist, aber auch fraktionsübergreifend. Ich habe im Parlament wunderbare Menschen kennengelernt. Meine Damen und Herren, was ich als sehr persönliche Anmerkung ganz zum Schluss ansprechen möchte: Als einer, der 1952 tief im Westen der Republik geboren wurde, hätte ich mir zwei Dinge in meinem Leben nicht vorstellen können: zunächst einmal, dass ich in meinem – in Anführungszeichen – „früheren“ Leben als leitender Mitarbeiter einer Kommunalverwaltung 1990 als Berater in die Heimatstadt meiner Jugendfreunde, nach Seelow, eingeladen werde, um beim Aufbau von Kommunalverwaltung zu beraten. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass ich hier gemeinsam mit altersgleichen Kolleginnen und Kollegen aus Ostdeutschland, den stillen Helden meiner Jugend, die eine friedliche Revolution auf den Weg gebracht haben, für Freiheit und Demokratie eintreten kann. Das ist für mich nach wie vor rein emotional das Größte, was es gibt. Ich hoffe, dass dieses Parlament dem Frieden unseres Landes, dem Wohl der Menschen mitten in Europa, aber auch weltweit in Verantwortung treu bleibt. Insofern alles Gute für die Zukunft – denen, die bleiben, und denen, die kommen! Herzlichen Dank. (Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten der SPD erheben sich) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich möchte Ihnen, Herr Ehrmann, auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen noch einmal ganz herzlichen Dank sagen. Ich glaube, dass Sie für viele wie auch für mich immer das Gesicht der Kulturpolitik in diesem Parlament waren. Sie haben mit großer Beharrlichkeit, aber auch sehr erfolgreich immer wieder deutlich gemacht, dass Kulturpolitik auch im Deutschen Bundestag eine große Bedeutung hat. Auch dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich danken, und ich möchte Ihnen einfach alles Gute für die Zukunft wünschen. (Beifall) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt mit unserem parlamentarischen Alltag weitermachen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 18/12781 mit dem Titel „Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten schaffen“. Nachdem alle Redner die Bedeutung dieses Beschlusses noch einmal unterstrichen haben, bitte jetzt um Ihr Handzeichen, wenn Sie diesem Antrag zustimmen. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Der Antrag ist damit einstimmig angenommen worden. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich komme zum Tagesordnungspunkt 31 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu der Unterrichtung durch die Deutsche Welle über die Fortschreibung der Aufgabenplanung 2014 bis 2017 der Deutschen Welle für das Jahr 2017. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12514, in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/10856 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12803 mit dem Titel „Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten ermöglichen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 32: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des 4. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes Drucksache 18/12700 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Aussprache hat Dr. Hans-Ulrich Krüger für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man mich vor anderthalb Jahren gefragt hätte: „Was verstehst du unter Cum/Ex?“, hätte ich, außer dass es sich um zwei lateinische Wörter handelt, nicht viel dazu sagen können. Dass sich hinter Cum/Ex Finanzbetrügereien ohnegleichen versteckten, musste auch ich erst begreifen und – wie viele andere auch – verstehen lernen. Das hat seinen Grund. Das Geschäftsmodell Cum/Ex zu verstehen, braucht eben Zeit. Es ist nämlich beunruhigend, zu sehen, wie viele kriminelle Energie Finanzmarktakteure an den Tag gelegt haben, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die nur ein einziges Ziel hatten: den Staat zu betrügen. Cum/Ex-Geschäfte sind Gestaltungsmodelle mit Aktienleerverkäufen um den Dividendenstichtag, die auf eine mehrfache Erstattung oder Anrechnung einer nur einmal gezahlten Kapitalertragsteuer gerichtet waren. Ganz einfach ausgedrückt: Einmal wurde Kapitalertragsteuer gezahlt, und es wurden mindestens – ich bitte, das Wort „mindestens“ zu beachten – zwei Steuerbescheinigungen ausgestellt. Das ist im normalen Leben ungefähr so, als wenn eine Familie mit einem Kind morgens in der Stadt A Kindergeld beantragt, dann nachmittags in die Stadt B fährt und für dasselbe Kind ein weiteres Mal Kindergeld nicht nur beantragt, sondern – schlimmer noch – auch tatsächlich gewährt bekommt. Jedem rechtschaffenen Menschen muss an dieser Stelle klar sein: Hier stinkt etwas, hier ist etwas faul. Diese doppelte Ausstellung einer Kapitalertragsteuerbescheinigung war nunmehr also der Gegenstand unserer Prüfung. Dabei ist offensichtlich, dass durch die Auszahlung bzw. Anrechnung dieser Gutschriften der Allgemeinheit wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, ein Schaden, den die beteiligten Finanzmarktakteure als Beute unter sich aufteilten. Das Bundeszentralamt für Steuern kommt für seinen Bereich zu dem Ergebnis, dass der entstandene Schaden durch diese Geschäfte um die 500 Millionen Euro betrug. Nimmt man also einen entsprechenden Maßstab für die Landesfinanzbehörden, so kann ein weiterer Schaden von circa 400 Millionen Euro angenommen werden, sodass wir insgesamt bei knapp 1 Milliarde Euro liegen. Es gibt – das ist in den Medien mehrfach dargestellt worden; ich denke, das werden meine Kollegen gleich auch noch intensiv tun – auch andere, auf hypothetischen Zahlen beruhende Berechnungen, die aber nicht belegbar sind. Nur: Bei einer Kapitalertragsteuer von 25 Prozent auf eine Dividende von 4 oder 5 Euro müssen Zigmilliarden an Aktienpaketen hin und her und her und hin transferiert worden sein, um diese 1 Milliarde Euro, die dem Steuerzahler wehtut, die uns allen wehtut, zu erzielen. Der 4. Untersuchungsausschuss, der „Cum/Ex“, wurde auf Bestreben der Oppositionsfraktionen einberufen mit dem Ziel, zu klären, ob Cum/Ex-Geschäfte durch Fehler staatlicher Einrichtungen erleichtert wurden. In knapp anderthalb Jahren hat der Ausschuss insgesamt 46 Sitzungen absolviert, davon 18 öffentliche Beweisaufnahmen; er hat dabei fünf Sachverständige und circa 70 Zeuginnen und Zeugen gehört. Wir haben 107 Zeugenbeweisbeschlüsse und 96 Aktenbeweisbeschlüsse gefasst. In dieser kurzen Zeit haben wir eine für alle beteiligten Personen herausragende, arbeitsintensive Aufgabe gelöst, für die ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern meinen Respekt ausspreche und ihnen nochmals für ihren Einsatz danken möchte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sehr fleißig!) In der Bewertung der Ergebnisse des Ausschusses möchte ich auch gern eines klarstellen: Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen waren zu jedem Zeitpunkt rechtswidrig. (Beifall der Abg. Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU] – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat bloß niemand gesagt!) Wir haben klar festgestellt, dass das deutsche Steuerrecht in den Jahren 1999 bis 2012 keinerlei Möglichkeit geboten hat, eine einmal einbehaltene Kapitalertragsteuer in rechtmäßiger Art und Weise mehrfach anrechnen zu lassen. Eine diesbezügliche Gesetzeslücke hat nie bestanden. Das, was Banken und Finanzmarktakteure mit krimineller Energie vollzogen haben, war rechtswidrig, auch wenn diese Akteure meinten, mit juristischen Gutachten den Eindruck erwecken zu können, seriöse Geschäfte zu betreiben. Ich wiederhole: Jedem rechtschaffenen Menschen ist klar: Für eine einmal gezahlte Steuer gibt es nur einmal eine Bescheinigung. Die entgegenstehende Geschäftspraxis war verwerflich, kriminell. Den Akteuren gehört insofern das Handwerk gelegt. Das, denke ich, war einer der wesentlichen Punkte. Da müssen wir uns dafür bedanken, dass es mittlerweile intensiv arbeitende Staatsanwaltschaften gibt, die die Täter überführen und überführen werden. Mein Dank geht in diesem Fall auch an den scheidenden Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der durch den Ankauf von Steuer-CDs einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, den Fahndungsdruck zu erhöhen und die Verursacher dieser Geschäfte zu bezeichnen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie auch noch was über Peer Steinbrück?) Die beteiligten Finanzmarktakteure haben ihre Anlagenstrategie den für sie zuständigen Behörden gegenüber bewusst verschleiert mit der Folge, dass die Entwicklung des Geschäftsmodells nicht erkennbar war. Superreiche und Banker haben sich eine Parallelwelt geschaffen, in der ein Beitrag zu unserer Solidargemeinschaft nicht mehr vorkommt. „Gier frisst Seele“ oder „Gier frisst Anstand“, meine Damen und Herren, das passt hier ganz gut. Der Ausschuss hat ferner klar dargelegt, dass die zuständigen Behörden in Bund und Ländern in den letzten Jahren unter Hochdruck zum einen Kapitalertragsteuererstattungen verweigert, zum anderen bereits erstattete Steuern zurückgeholt haben – in Anbetracht der komplizierten und schwer zu durchschauenden Sachverhalte eine respektable Leistung. Ich darf daher sagen: Die mit der Materie befassten staatlichen Stellen haben nach Erkennen dieses undurchschaubaren Geschäftsmodells Gutes und Herausragendes geleistet. Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss noch einige Worte des Dankes sagen. Auch wenn wir darüber streiten können, ob dieser Ausschuss notwendig war oder nicht – ich weiß, da gibt es zwischen den Mehrheitsfraktionen und der Opposition Bewertungsunterschiede –, möchte ich doch eines klarstellen: Trotz aller Kontroversen und unterschiedlichen Meinungen danke ich Ihnen allen für die konstruktive, sachliche Atmosphäre im Ausschuss. Der überwiegende Teil der Beweisanträge ist gemeinsam gestellt worden, ein noch größerer Teil von Beweisbeschlüssen von allen Fraktionen gemeinsam gefasst worden. Ein weiterer großer Dank geht an das Sekretariat mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die auch unter Missachtung der Wochenenden Erhebliches geleistet haben, mich hervorragend unterstützt haben und allen Beteiligten ihre Dienste über das Maß hinaus angeboten haben. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Der gleiche Dank gilt selbstverständlich allen Mitarbeitern der Fraktionen und natürlich auch dem von allen Fraktionen gemeinsam eingesetzten Ermittlungsbeauftragten Jürgen Kapischke, der uns mit seinem Sachverstand als ehemaliger Generalstaatsanwalt nachhaltig und hervorragend unterstützt hat. Für mich selber kann ich sagen: Der Vorsitz dieses Untersuchungsausschusses hat meine Arbeit in den letzten anderthalb Jahren bereichert, und ich bin dankbar dafür, dass ich zum Abschluss meiner Tätigkeit im Deutschen Bundestag noch einmal eine derart verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen durfte. Herzlichen Dank und Tschüs! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Auch Ihnen, Herr Krüger, einen ganz herzlichen Dank für die Arbeit, die Sie geleistet haben. Gerade die Arbeit in einem Untersuchungsausschuss ist – das wissen wir alle – nicht nur sehr anspruchsvoll, sondern auch sehr zeitaufwendig und manchmal auch sehr mühsam. Aber er ist ein ganz wichtiges Instrument für den Deutschen Bundestag. Deswegen Ihnen ganz herzlichen Dank! (Beifall) Richard Pitterle hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Heute werde ich noch einmal über den größten Steuerskandal in Deutschland sprechen, und ich freue mich sehr, dass ich aufseiten der Linken an dessen Aufdeckung und Aufklärung maßgeblich beteiligt war. Zugleich ist dies meine Abschiedsrede. Für die nächsten vier Jahre werden Sie von mir verschont werden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen aus dem Untersuchungsausschuss, dem Finanzausschuss und dem Rechtsausschuss, aber auch bei meinem Kollegen aus dem Wahlkreis, Clemens Binninger, für die wertschätzende Zusammenarbeit bedanken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kein Dank gebührt allerdings den politisch Verantwortlichen, die es zugelassen haben, dass der Staat jahrelang durch die sogenannten Cum/Ex-Geschäfte ausgeplündert wurde. Natürlich stellt sich die Frage: Wie konnte das passieren? Wir von der Linken wollten zusammen mit den Grünen dieser Frage nachgehen und haben deswegen vor ungefähr anderthalb Jahren hier im Bundestag den Untersuchungsausschuss zu den Cum/Ex-Geschäften durchgesetzt. Seitdem hat sich mehr und mehr gezeigt, dass das bitter nötig war. Durch unsere Arbeit ist das Thema auf die Agenda gekommen, fleißige Journalistinnen und Journalisten haben angefangen, zu graben, und bei den Staatsanwaltschaften laufen die Ermittlungen inzwischen auf Hochtouren. Das alles haben wir Oppositionsfraktionen von Linken und Grünen in Teamarbeit ins Rollen gebracht, und darauf können wir sehr stolz sein. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, Cum/Ex-Geschäft klingt kompliziert, ist aber eigentlich denkbar einfach. Im Prinzip heißt das nämlich: einmal zahlen und doppelt oder gleich mehrfach wieder kassieren. Und das ging vereinfacht gesagt so: Cum/Ex-Geschäfte waren Aktiengeschäfte, die um den Dividendenstichtag herum stattfanden. Das ist der Tag, an dem die Dividende auf die Aktie ausgezahlt wird. Daher kommt der lateinische Name Cum/Ex. Das heißt auf Deutsch „mit“ und „ohne“ und steht für mit und ohne Dividende. Man hat nun einen Zustand hergestellt, in dem von außen gesehen eine einzelne Aktie scheinbar mehrere Eigentümer gleichzeitig hatte. Für die auf die Aktie anfallende Dividende wurde dann nur einmal Kapitalertragsteuer gezahlt, aber jeder dieser scheinbaren Eigentümer erhielt dafür jeweils eine Bescheinigung, mit der er sich die Steuer zurückerstatten lassen konnte. Der Fiskus nimmt also einmal Kapitalertragsteuer ein und erstattet sie mehrfach zurück – ein milliardenschweres Minusgeschäft auf unser aller Kosten, Geld, das wir von der Linken deutlich sinnvoller hätten verwenden wollen, zum Beispiel für die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern und vieles mehr. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Schlimmste an der Geschichte ist, dass diese Tricksereien seit Jahrzehnten bekannt waren. Bereits in den 1990er-Jahren gab es Fachaufsätze zu diesem Thema, und im Jahr 2002 wurde das Bundesfinanzministerium auch noch einmal durch den Bankenverband ausdrücklich auf dieses Problem hingewiesen. Und trotzdem hat es noch bis zum Jahr 2012 gedauert, bis die Cum/Ex-Geschäfte durch eine Gesetzesänderung wirksam unterbunden wurden. Mit diesem Versagen aufseiten des Bundesfinanzministeriums haben wir uns im Untersuchungsausschuss genau auseinandergesetzt, und was dabei zutage gefördert wurde, war schlicht haarsträubend: Die gut bezahlten Beamten mussten zugeben, dass das Ministerium unterbesetzt war, dass sie die Thematik damals schlichtweg nicht verstanden haben oder sich gleich gar nicht zuständig fühlten. Stattdessen hat man dem Bankenverband blind vertraut und dessen damaligen Gesetzesvorschlag zur Eindämmung der Cum/Ex-Geschäfte fast wortgleich in das Jahressteuergesetz 2007 übernommen – ein kapitaler Fehler. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn dem Bankenverband ging es einzig und allein darum, die Haftungsrisiken für die deutschen Banken zu minimieren. Über ausländische Banken waren Cum/Ex-Geschäfte aber immer noch möglich, und darauf wurde durch den Bankenverband auch ausdrücklich hingewiesen. Im Jahressteuergesetz 2007 konnte dann auch der dümmste Finanzhai noch einmal nachlesen, dass man fröhlich Cum/Ex-Geschäfte über das Ausland machen konnte. Und so geschah es dann auch: Die Cum/Ex-Party kam so richtig in Gang. Über die Jahre bildete sich eine regelrechte Cum/Ex-Mafia, ein Netzwerk aus Beratern, Banken und Investoren. In diesem Dunstkreis finden sich auch illustre Namen wie die von Investor Carsten Maschmeyer oder Drogeriekönig Erwin Müller. Auch die Deutsche Bank, die renommierte Rechtsanwaltskanzlei Freshfields oder die Allianz-Versicherung haben in diesem Reigen eine Rolle gespielt. Nennenswerte Gegenwehr aus dem Bundesfinanzministerium über all die Jahre: Fehlanzeige! Die von uns betriebene Aufklärung hat noch einen weiteren Totalausfall offengelegt: die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin. Die BaFin soll als Bankenaufsicht eigentlich auch nachschauen, dass bei den Banken alles mit rechten Dingen zugeht. Doch weit gefehlt: Nach eigenen Angaben hat man sich fast ausschließlich um die Frage der Solvenz der Banken gekümmert. Steuerrechtliches hat nicht interessiert. Das ist doch wohl eine gewaltige Schieflage. Jedem Bratwurstverkäufer, der einmal die Wurst fallen lässt, entzieht man die Gewerbeerlaubnis. Aber wenn Banker Geschäfte auf Kosten des Staates machen, soll das in Ordnung sein? Das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) Auch wenn ich in den nächsten vier Jahren nicht mitwirken kann, verspreche ich Ihnen: Die Linke wird hier immer wieder den Finger in die Wunde legen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, dass Sie angesichts dieser katastrophalen Fehlleistungen beim Bundesfinanzministerium und der BaFin in Ihrem Abschlussbericht behaupten, das Ministerium und die BaFin hätten sich nichts vorzuwerfen, lässt einem die Haare zu Berge stehen. (Beifall bei der LINKEN) Möglicherweise wollen Sie nur Ihre Herren Finanzminister Steinbrück und Schäuble schützen, aber das lässt die Opposition Ihnen so nicht durchgehen. Die politische Verantwortung liegt bei diesen beiden Bundesfinanzministern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist am Ende: Wie verhindern wir, dass sich so etwas noch einmal ereignet? Hier will ich kurz drei Punkte nennen. Erstens. Die Ministerien dürfen sich Gesetzentwürfe nicht einfach von den jeweiligen Lobbyverbänden schreiben lassen, sondern müssen stattdessen die Abgeordneten des Bundestages frühzeitig mit einbinden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Interessenvertreter an einem Gesetzentwurf beteiligt sind, so muss das im Entwurf auch entsprechend gekennzeichnet sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Banken dürfen nicht nur mit Samthandschuhen angefasst werden. Wenn sich eine Bank an illegalen Geschäftspraktiken beteiligt, sollte sie auch mit Lizenzentzug rechnen müssen. Die BaFin muss hier endlich durchgreifen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Wir brauchen deutlich mehr Personal in der Finanzverwaltung und endlich auch eine spezialisierte Bundesfinanzpolizei, die gegen eine solch organisierte Finanzkriminalität vorgehen kann. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass windige Finanzhaie schon nach dem nächsten Steuertrick suchen, um sich die Taschen zu füllen. Wir sind es den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern schuldig, dass diese Finanzhaie es nie wieder so einfach haben, wie es bei den Cum/Ex-Geschäften der Fall war. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Auch Ihnen, Herr Pitterle, danke ich ganz ausdrücklich für Ihre Arbeit. Sie waren zwei Legislaturperioden in diesem Bundestag und haben sich gerade dem Thema Finanzpolitik mit großem Einsatz gewidmet. Auch Ihnen alles Gute für die Zukunft. (Beifall) Christian Hirte hat als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Hirte (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Ausschussvorsitzender Dr. Krüger hat gerade geschildert, mit welch hoher Intensität wir uns über viele Tage, Wochen und Monate der Thematik Cum/Ex gewidmet haben und dass wir gemeinsam fraktionsübergreifend zu der Feststellung gekommen sind, dass diese Cum/Ex-Geschäfte rechtswidrig waren und sind. Sicher ebenso einig waren wir uns auch darüber, dass einzelne kriminelle Marktteilnehmer, Banken und Berater organisiert zusammengearbeitet haben, um den Fiskus in die Irre zu führen. Bei der Frage allerdings, ob politisches oder fachliches Versagen dazu führte, dass das kriminelle Vorgehen einzelner Finanzmarktakteure lange Zeit unterschätzt oder unbeachtet blieb, gehen die Meinungen zwischen Koalition und Opposition nahezu schon naturgemäß auseinander. Das hat man gerade bei den Ausführungen des Kollegen Pitterle festgestellt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Natur hat das nichts zu tun! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man hätte sich auch verständigen können, wenn Sie sinnvoll gearbeitet hätten!) Das ist auch nicht verwunderlich. Man kann schließlich nicht erwarten, dass die Opposition ihr schärfstes Schwert aus der Hand legt (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie zwingen uns ja zu einem Untersuchungsausschuss! Das ist ja der Skandal!) und dass ein Untersuchungsausschuss seine Arbeit völlig losgelöst von parteipolitischen Kalkülen unaufgeregt im Stillen verrichtet, um dann heute in friedlicher Eintracht seine Ergebnisse zu präsentieren. Fairness und Sachlichkeit kann man trotz zeitweiliger schriller Momente sicher von einem Parlamentier erwarten, nicht aber richterliche Unbefangenheit. Das gilt offenkundig besonders in einem Wahljahr. So ist wohl auch zu verstehen, dass man versucht, mit haltlosen Schuldzuweisungen und dem Kolportieren von horrenden Steuerausfällen in Milliardenhöhe mit aller Macht Aufmerksamkeit zu generieren. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte?) Es gab in der Vergangenheit Untersuchungsausschüsse, in denen sich die Mitglieder um Einstimmigkeit bei allen Entscheidungen bemüht haben (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott, die CDU/CSU vertuscht wieder Skandale!) und der Presse sogar gemeinsam abgestimmte Statements vorgelegt haben. Als wir im November 2015 mit der Ausschussarbeit begannen, schien es zunächst auch bei unserem Untersuchungsausschuss so zu sein. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede erklärt sehr gut, wie es zu dem Skandal kam! – Gegenruf der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU]: Zuhören!) – Hören Sie mal zu, Herr Hofreiter. – An der gemeinsamen und praktisch durchgehend konsensualen Arbeit – gemeinsam und nahezu ausschließlich konsensual – hat sich bis zum Ende der Ermittlungen nichts geändert. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird schön weiter vertuscht!) Erst als wir in die Phase kamen, in der wir den Abschlussbericht erstellt haben, hat sich die Opposition von der gemeinsamen Arbeit verabschiedet. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie haben etwas vorgelegt, was unterirdisch war und fachlich daneben!) An der gemeinsamen Arbeit hatte sich auch nichts geändert, als wir teilweise bis spät nachts zusammensaßen und festgestellt haben, dass parlamentarische Untersuchungsarbeit gelegentlich schwieriges, langwieriges und auch beschwerliches Handwerk ist. Ebenso beschwerlich fanden das anscheinend auch einige Journalisten, weil es schwierig ist, einem normalen Menschen kurz und nachvollziehbar zu erklären, was Cum/Ex überhaupt ist. Kollege Krüger hat das, glaube ich, gerade hervorragend getan, jedenfalls für Juristen. Ob das die Allgemeinheit so versteht – da bin ich nicht ganz sicher. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die versteht das! Verlassen Sie sich drauf!) Schon bei der Einsetzung unseres Untersuchungsausschusses hat unser Bundestagspräsident Lammert angemerkt, dass in der Ausschussarbeit viel erreicht sei, wenn es uns gelänge, einer breiten Öffentlichkeit überhaupt zu erklären, was wir da untersuchten. (Zuruf der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Nach meinem Eindruck ist es so, dass wir, wenn wir das zum Maßstab nehmen, nicht so sehr erfolgreich waren. Die Komplexität der Materie führte auch dazu, dass die Berichterstattung im Vergleich zu anderen Untersuchungsausschüssen eine geringere mediale Wirkung erzielte, als sich das mancher sicherlich erhofft hat. Ausnahmen wie beim Erscheinen des Zeugen Maschmeyer bestätigen diese Aussage eher noch. Einigen ist es dann offensichtlich zu still um den Ausschuss geworden. Deshalb war man gerade bei den Grünen in den letzten Wochen eifrig bemüht, die Cum/Ex-Problematik zum medialen Großereignis zu machen, an dessen Ende jetzt ein riesiges Steuerloch stehen soll. Nach NSA, NSU, Edathy und VW ist man beim Cum/Ex-Untersuchungsausschuss endlich da, wo sich der Kollege Schick schon immer sehen wollte: als Chefankläger im angeblich größten Steuerskandal der Nachkriegsgeschichte. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie denn einen größeren?) – Ich komme noch dazu. Aus diesem Grund hat es die Fraktion der Grünen wohl am Ende auch abgelehnt, nach der gemeinsamen, praktisch ausschließlich konsensualen Ermittlung diesem Haus auch einen gemeinsamen Bericht – zusammen mit der Koalition – vorzulegen. Denn hätte man sich womöglich mit Union und SPD auf ein gemeinsam getragenes Ergebnis verständigt, wäre die überzogene Aufregung ja weniger glaubhaft gewesen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie jetzt auch mal zu der Ungeheuerlichkeit des Steuerbetrugs, oder was? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Peanuts!) Die Ergebnisse unseres Abschlussberichts möchte ich daher kurz und in aller Sachlichkeit darstellen. Wie schon erwähnt: Die Geschäfte waren und sind rechtswidrig. Die gesetzlichen Regeln waren klar. Schon jedem Laien erschließt sich sofort, dass man von etwas einmal Gezahltem, nämlich Kapitalertragsteuer, nicht mehrmals etwas zurückverlangen kann. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bloß nicht den Beamten des Finanzministeriums und Ihrem Minister!) Das war offenkundig auch für die Beteiligten so klar, dass sie ihr Handeln mit extremem Aufwand verschleiert haben oder zu verschleiern versucht haben. Die Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass durch einen kleinen, aber lauten Kreis von Beratern – mit Professoren, mit Gefälligkeitsgutachten – und Steuerpflichtigen der Versuch unternommen wurde, Steuergesetze und entsprechende finanzgerichtliche Entscheidungen bewusst gegen deren Sinn auszulegen. Die zuständigen Behörden in Bund und Ländern leisteten und leisten jedoch gute Arbeit. Sie konnten nämlich in zahlreichen Fällen verhindern, dass zu Unrecht beantragte Anrechnungen oder Erstattungen der Kapitalertragsteuer auch tatsächlich angerechnet oder ausgezahlt wurden. Außerdem ist es bereits gelungen, den Großteil der bereits angerechneten oder erstatteten Kapitalertragsteuern erfolgreich zurückzufordern. Das Bundeszentralamt für Steuern hatte zur Bewältigung seiner Aufgaben dazu auch stets – anders, als es Kollege Pitterle behauptet hat – das notwendige Personal und auch umfassende Unterstützung bei der Prüfung der entsprechenden Anträge. Die zuständigen Mitarbeiter haben sich dabei erfreulicherweise auch nicht von einzelnen dreisten Steuerhinterziehern einschüchtern lassen. Wir haben eher den Eindruck gewonnen, dass die Beamten fachlich hochkompetent und engagiert ihrer Arbeit nachgegangen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]) Die Steuer- und Justizbehörden ermitteln aktuell umfassend zu den Cum/Ex-Geschäften, und es bestehen gute Aussichten, unberechtigte Steuererstattungen mit Zinsen zurückzuerhalten sowie strafrechtliche Verurteilungen zu erwirken. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ganz viel ist verjährt, weil Sie zu spät reagiert haben!) Die tatsächliche Schadenshöhe durch Cum/Ex-Geschäfte, Herr Kollege Dr. Schick, dürfte insoweit nur einen Bruchteil der öffentlich – insbesondere auch von Ihnen – genannten Summen in Milliardenhöhe betragen. Ob tatsächlich ein Millionen- oder Milliardenschaden für den Fiskus entstanden ist, lässt sich heute überhaupt noch nicht seriös beziffern. Wer dies tut, lenkt mit Fantasiezahlen von der hervorragenden Aufklärungsarbeit unseres Ausschusses ab. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Fantasiezahlen, weil Sie die Fälle von vor 2005 unter den Tisch fallen lassen!) – Sie selber sind gleich noch dran. Vielleicht können Sie es dann erklären. Der Ausschuss konnte Ihre Zahlen nicht belegen. Die Grundlage war häufig unseriös. Der Ausschuss hat neben der Sachverhaltsermittlung und der rechtlichen Einordnung den Vorwurf widerlegt, das Finanzministerium und das Bundeszentralamt für Steuern hätten die Fälle zu zögerlich aufgeklärt. Das Gegenteil ist der Fall. Als erstmals durch einen Whistleblower im März 2009 (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht der erste Whistleblower! Das ist falsch!) im BMF klar wurde, dass es ein Problem in erheblichem Umfang gibt, hat man drei Tage später – dazwischen lag ein Wochenende – eine Kommission eingesetzt und wenige Wochen später das uns allen bekannte BMF-Schreiben vom 5. Mai 2009 auf den Weg gebracht, (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was nichts gebracht hat!) das vorsah, dass Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bestätigen müssen, dass der Erwerb der Aktien im Sinne der Steuerbescheinigungen in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Leerverkäufen getätigt wurde. 2010 fiel dann im BMF unter Finanzminister Wolfgang Schäuble die Entscheidung für eine umfassende Neuregelung des Besteuerungsverfahrens. Dabei wurde ein kompletter Systemwechsel vollzogen, der sowohl erdacht als auch praktisch für die Marktbeteiligten handhabbar gestaltet und juristisch sauber auf den Weg gebracht werden musste. Nach der Erstellung des Gesetzentwurfs durch das BMF im gleichen Jahr konnte der Bundestag das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz im Jahr 2011 verabschieden. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Cum/Cum lief weiter!) Die Bedingungen, die den Steuerbetrug mit zu Unrecht beantragten Anrechungen oder Erstattungen der Kapitalertragsteuer erleichtert haben, wurden damit endgültig beseitigt. Das System des Kapitalertragsteuereinbehalts und deren Abführung wurde nämlich zum 1. Januar 2012 auf das sogenannte Zahlstellenprinzip umgestellt. Hier also von einem Untätigsein der Verwaltung oder der Politik zu reden, ist schlicht unredlich und falsch. Weil offenkundig Ihnen, Herr Kollege Schick, im Laufe der Ausschussarbeit klar wurde, dass mit dem Thema Cum/Ex im Wahlkampf gegen die Regierung kein Blumentopf zu gewinnen ist, haben Sie sich nach und nach mehr auf das Thema Cum/Cum versteift. Der Ausschuss ist dabei einvernehmlich Ihrem Wunsch entgegengekommen, auch diese Geschäfte zu untersuchen. Hierbei geht es um solche Geschäfte, bei denen ausländische Aktionäre ihre Papiere kurz vor dem Tag der Dividendenzahlung an deutsche Institute übertrugen. Der Grund war, dass sich inländische Kapitalmarktteilnehmer im Gegensatz zu den ausländischen ihre Kapitalertragsteuer erstatten oder anrechnen lassen konnten. Durch Cum/Cum-Gestaltungen ersparten sich also die Inländer die Kapitalertragsteuer, die sie anteilig über Vertragsmodalitäten an den ausländischen Aktionär weitergaben. Alle profitierten, nur der Fiskus verlor. Dieses Phänomen habe ich übrigens schon im Rahmen meiner Steuervorlesungen im Studium kennengelernt, damals noch bekannt unter dem Namen „Dividendenstripping“. Wer hat dafür gesorgt, dass letztendlich mit der Investmentsteuerreform 2016 Abhilfe geschaffen wurde? Nicht die Grünen – auch nicht in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung von 1998 bis 2005 –, erst recht nicht die Linke, sondern das Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble. Ich möchte noch einmal auf die Fantasiezahlen zu sprechen kommen. Diese lenken – ich habe das bereits ausgeführt – von den tatsächlichen Thematiken ab. Aus unserer Sicht ist klar, dass die Höhe der behaupteten Schäden – zuletzt bis ins geradezu Absurde; von 49 Milliarden Euro war manchmal die Rede – von den eigentlichen Umständen und der eigentlichen Arbeit ablenken soll, nicht nur von unserer Ausschusstätigkeit, sondern auch und vor allem von denjenigen, die in den Behörden dafür Sorge getragen haben, dass kein Schaden in dieser Höhe entstanden ist. Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, ganz herzlich all denjenigen Danke zu sagen, die bei der Ermittlungsarbeit mitgeholfen haben, vor allem den Mitarbeitern der Fraktionen. Auch herzlichen Dank an das Ministerium, das uns immer umfassend informiert und mit Unterlagen unterstützt hat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dr. Gerhard Schick hat als nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf die Debatte eingehe, möchte ich als Allererstes all denjenigen Beamtinnen und Beamten in den Steuerverwaltungen und in den Staatsanwaltschaften danken, die teilweise mit enormem Engagement versucht haben, Schaden abzuwenden, Schaden zu verringern und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Ich wünsche dabei allen in den nächsten Monaten und Jahren, in denen diese Strafverfolgungs- und Ermittlungsarbeit weitergeht, Erfolg, damit möglichst viel Geld zurückkommt und es wirklich gelingt, diese Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. (Beifall im ganzen Hause) Aber jetzt zu dem, was den Bundestag angeht: zur politischen Verantwortung und der Debatte hier. Die Ausführungen von Herrn Hirte, dem CDU-Obmann, haben sehr deutlich gezeigt, was der Schwerpunkt der Arbeit der Koalition in diesem Untersuchungsausschuss war. Schwerpunkt Ihrer Arbeit war, dass möglichst wenig von diesem Ausschuss bekannt wird. Ihr einziges Interesse war, dass der Ausschuss möglichst schnell beendet ist, damit man über diesen großen Finanzskandal nicht mehr reden muss; (Zuruf von der CDU/CSU) das war Ihr Begehr. Sie haben von Anfang an gesagt, der Untersuchungsausschuss sei nicht erforderlich. Schließlich kommen Sie zu dem absurden Ergebnis, alle Behörden hätten alles sachgerecht und pflichtgemäß gemacht. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erstaunlich!) Ja ist es denn sachgerecht, wenn ich den Hinweis eines Whistleblowers an die Finanzaufsicht, der sagt: „Da läuft was schief“, liegen lasse, nicht die Staatsanwaltschaft einschalte, ihn nicht ans Bundesfinanzministerium weiterleite? Das können Sie doch niemandem erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ist es sachgerecht, dass trotz Einsetzung der Kommission im Jahr 2009 – sobald man Bescheid wusste – und trotz des nächsten Whistleblower-Hinweises – als klar war, was für ein dramatischer Griff in die Kasse des Steuerzahlers da erfolgt – bis 2011 immer noch Auszahlungen an diese Fonds erfolgten? Nein, es war ein Fehler, der zu Milliardenverlusten für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler führt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie wollten das alles, all diese Fehler, unter einen Teppich kehren. Aber Sie haben keinen Teppich gefunden, der groß genug wäre, um diesen größten Finanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland darunter zu kehren. Trotzdem ist es gelungen, das aufzuklären; darauf sind wir als grüne Fraktion gemeinsam mit den Linken stolz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben einen Nichtangriffspakt geschlossen: Ihr sorgt dafür, dass nichts Unangenehmes für Wolfgang Schäuble rauskommt, und wir sorgen dafür, dass nichts Unangenehmes für Peer Steinbrück rauskommt. – Das kann nicht die Aufgabe des Bundestages sein, sondern ein solcher Skandal muss aufgeklärt werden. Diese Aufklärung muss auch weitergehen; denn es gibt noch einige offene Punkte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich finde es zum Beispiel absolut inakzeptabel, dass sich von den betroffenen öffentlichen Banken – Landesbanken, die DekaBank, bei den Cum/Cum-Geschäften teilweise auch die Sparkassen – bisher niemand getraut hat, vor die Öffentlichkeit, die beklaut worden ist, zu treten und Rechenschaft darüber abzulegen, wie es sein kann, dass öffentliche Banken den Griff in die Tasche des Steuerzahlers mitorganisiert haben. Warum stellt sich von den öffentlichen Finanzinstitutionen, vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband, vom Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands und den einzelnen Instituten niemand hin und erklärt es einmal der Gesellschaft? Das wäre doch einmal nötig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich hoffe, dass unsere Kolleginnen und Kollegen auf Landesebene – ich richte den Appell an sie – die Aufklärungsarbeit weiterführen. Es ist doch nicht erklärbar – so viel zu dem Thema „Da ist nichts schiefgelaufen“ –, dass die Steuerabteilungen der Landesfinanzministerien in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg – übrigens alle unter schwarz-gelber Regierung; damit Sie das auch einmal wissen – (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) an einer Gesetzgebung gegen Cum/Ex in den Jahren 2005 und 2006 sowie 2009 und 2010 mitgewirkt haben und dieselben Landesministerien, zuständig für die Landesbanken, gleichzeitig nichts unternommen haben, damit die Landesbanken aufhören, diese Geschäfte zu betreiben. Darüber muss es doch Aufklärung geben, und dafür müssen Leute politisch Verantwortung übernehmen – namentlich die Landesminister Stratthaus, Wiegard und Linssen, die dazu bisher nichts gesagt haben; das geht so nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dasselbe Sichwegducken sehen wir auch auf Bundesebene. Zu dem größten Finanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der in ihrer Amtszeit stattgefunden hat, hat die Bundeskanzlerin bisher keine Silbe gesagt. Genauso Peer Steinbrück, der in Vorträgen landauf, landab die ganze Welt erklären kann – außer im Untersuchungsausschuss. Dort, wo er nicht gesetzlich dazu verpflichtet war, hat er bisher kein Wort dazu gesagt, was in seinem Geschäftsbereich unter seiner Verantwortung schiefgelaufen ist. Genauso ist es bei Wolfgang Schäuble. Es ist signifikant, dass er auch in dieser Debatte nicht anwesend ist. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Er soll herkommen!) Nur im Untersuchungsausschuss, wo wir ihn zwingen konnten, Stellung zu nehmen, hat er etwas zu diesem Thema gesagt. Sonst hat er, der über die Flüchtlingskrise, über Donald Trump und Opern ganz groß Auskunft gibt, dazu noch kein einziges Wort gesagt. – Das heißt: Es wird keine Verantwortung übernommen, es wird sich weggeduckt. Deshalb ist meine Aufforderung ganz klar: Der Bundesfinanzminister muss aufhören, sich wegzuducken. Er muss endlich die politische Verantwortung übernehmen. Er muss den Menschen erklären, was schiefgelaufen ist, und er muss den Weg freimachen, damit die Fehler korrigiert und endlich Konsequenzen gezogen werden. So darf das nicht weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist doch der Skandal im Skandal: Sie waren nicht bereit, im Untersuchungsausschuss auch nur fünf Minuten über nötige Konsequenzen zu reden. Das ist doch das Mindeste, nachdem so ein Schaden entstanden ist, dass wir versuchen, Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. Die Abgeordneten der Großen Koalition haben geschrieben: Der Ausschuss hat die Überzeugung gewonnen, dass die Verantwortlichen in Bund und Ländern bei den Themen seines Untersuchungsauftrags keiner Empfehlung bedürfen. Damit müssen wir befürchten, dass ein solcher Skandal noch einmal passiert; denn Sie sind nicht bereit, aus den Fehlern zu lernen. Ich finde, das ist eine üble Arbeitsverweigerung. Ich bin als Parlamentarier wirklich empört, dass Sie sich der gemeinsamen Arbeit an den Konsequenzen nicht gestellt haben. Wie viel Steuergeld muss eigentlich verlorengehen, dass Konsequenzen gezogen werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will ganz bewusst die Konsequenzen für den Deutschen Bundestag benennen. Sowohl bei der Gesetzgebung zum Jahressteuergesetz 2007 als auch nachher beim Gesetz, mit dem die Geschäfte geschlossen wurden, wussten wir im Finanzausschuss alle miteinander – Kollege Krüger hat das gerade zugegeben, dass er das Thema nicht auf dem Schirm hatte – nicht, um was es ging, sondern wir haben die Vorlagen aus dem Finanzministerium im Wesentlichen durchgewunken. Aber der Finanzausschuss darf kein Wurmfortsatz des Finanzministeriums sein. Wir haben die Verantwortung, und deswegen müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dass in Zukunft Vorschläge aus Lobbyverbänden nicht mehr eins zu eins in ein Gesetz übernommen werden. Cum/Ex ist auch ein Lobbyismus-Skandal. Wir müssen auch hier die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Wir brauchen schärfere Regeln gegen Lobbyismus, und wir brauchen eine stärkere Aufstellung des Parlamentes, damit uns solche Fehler nicht noch einmal passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir müssen dafür sorgen, dass die Finanzaufsicht neu aufgestellt wird. Wir brauchen ein Whistleblower-Gesetz. Alle wichtigen Hinweise kamen von Whistleblowern. Wann schützen wir endlich diese Menschen, die uns so wertvolle Hinweise geben? Eines ist mir besonders wichtig. Im Moment laufen die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, um zu klären, wie man mit den Fällen von Cum/Cum umgeht. Es stellt sich die Frage: Gehen die Betriebsprüfer los, decken das auf und holen die Milliarden zurück, oder tun sie es nicht? Das Finanzministerium ist bereit, einen Deal mit den Banken zu machen und somit nicht allem auf den Grund zu gehen. Das darf nicht sein. Wir haben den Anspruch, dass alles Geld, was zurückgeholt werden kann, auch zurückgeholt wird. Es darf nicht erneut Geschenke für Banken geben, die mit Steuertricks versucht haben, uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. So geht das nicht! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Andreas Schwarz für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andreas Schwarz (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der große französische Romancier Émile Zola beschreibt in seinem im Jahr 1891 veröffentlichten Roman Das Geld die Folgen hemmungsloser Gier und Habsucht in der Finanzindustrie. Der Roman handelt von dem Treiben seiner Hauptfigur Aristide Saccard, einem windigen und betrügerischen Spekulanten, der zunächst sagenhaften Reichtum erwirbt, am Ende aber alles verliert. Der Roman ist 125 Jahre alt, an Aktualität hat er aber nichts eingebüßt; aber dazu später mehr. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das können Sie in Ihr Poesiealbum schreiben!) Hemmungslose Gier ist nicht nur der Antrieb von Aristide Saccard, sie ist auch der Antrieb der für die Cum/Ex-Betrügereien Verantwortlichen. Mit der Erfindung einer angeblichen Gesetzeslücke ließ man sich die zuvor einmal gezahlte Kapitalertragsteuer gleich mehrfach erstatten bzw. anrechnen. Das ist illegal. Das haben sowohl das Gutachten von Professor Spengel für den 4. Untersuchungsausschuss als auch die Expertenanhörung zweifelsfrei ergeben. Es bestand nämlich zu keinem Zeitpunkt eine Gesetzeslücke. Es bedurfte vielmehr krimineller Energie und einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit, um solche Geschäfte zum Schaden der Allgemeinheit durchzuführen. Ein Beamter des BMF hat es in seiner Befragung vor dem Ausschuss auf den Punkt gebracht: Das ist organisierte Kriminalität – Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns ist durch die Ausschussarbeit erwiesen, dass es ein Zusammenwirken von verschiedenen Vertretern der Finanzindustrie mit dem Ziel der Ausplünderung des Staates gegeben hat. Es ist evident, dass dieses System nur funktionieren konnte, wenn wenige Leute zeitgleich agiert haben. Wir reden also von schwerer bandenmäßiger Steuerhinterziehung. Dieses Netzwerk, bestehend aus Banken, Beratungsfirmen, Anwälten, Wissenschaftlern und Börsenhändlern, baute seinen Geschäftserfolg auf einer Erfindung, einer angeblichen Gesetzeslücke, die niemals existierte, auf. Um diese Mär zu verbreiten, wurden Wissenschaftler engagiert, die mit ihren Veröffentlichungen versuchten, die Rechtsmeinung zugunsten ihrer abstrusen Rechtskonstruktionen zu drehen. Ich muss zugeben, dass mich das Engagement einiger Wissenschaftler in diesem ganzen Cum/Ex-Komplex ganz besonders empört. Da war so manch beamteter Professor offenbar nicht genug ausgelastet mit Forschung und Lehre. Als Blaupause für die Aktivierung publizistischer Helfershelfer für eigene Zwecke könnte wiederum Émile Zolas Roman gedient haben; denn auch Saccard überlegt, wie er die Machenschaften seiner Bank in ein besseres Licht rücken kann. Er kommt auf die Idee, von den Gewinnen seiner Geschäfte mehrere notleidende Zeitungen aufzukaufen, um so die öffentliche Meinung bezüglich der Geschäfte seiner Bank in seine Richtung zu lenken. Das war scheinbar bereits vor 125 Jahren im Finanzwesen gängige Praxis. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Kommentare und Veröffentlichungen der letzten Tage verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Schuldfrage geklärt ist und die Schuld beim Staat verortet wird. Die Schuldigen sind aber die Netzwerke der Finanzindustrie, die massiv Steuern zulasten der Allgemeinheit hinterzogen haben. Sie tragen die Verantwortung für die Cum/Ex-Geschäfte und sonst niemand. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Ladendiebstahl ist auch verboten. Trotzdem wird geklaut. Dafür ist aber nicht der Ladenbesitzer verantwortlich zu machen, sondern der Dieb. Hier werden scheinbar Verantwortlichkeiten verschoben, und das kann man so nicht akzeptieren. Gegenwärtig arbeiten die Ermittlungsbehörden auf Hochtouren daran, den Cum/Ex-Sumpf trockenzulegen. Bundesweit laufen Dutzende Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte, mit weiteren wird gerechnet. In Émile Zolas Roman endet die Geschichte tragisch: Die hemmungslose Gier hat am Ende alles niedergerissen. Der schöne Schein fällt in sich zusammen. Not und Elend der Anleger sind die Folge. – Auch in unserem Fall, Cum/Ex, gibt es Verlierer: uns alle, den Staat und alle seine ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Aber das hat die kriminellen Netzwerke nicht tangiert, geschweige denn von ihren Betrügereien abgehalten. Die Aussagen eines Steuerrechtsexperten vor dem Untersuchungsausschuss sprechen Bände. Auf die bohrenden Nachfragen des Kollegen Schick, ob man sich denn Gedanken darüber gemacht habe, dass die Rendite dieser Geschäfte von dem Geld ehrlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgebracht wird, antwortete er – ich zitiere –: Es ist diskutiert worden, und es ist hingenommen worden, ja. Die Zeit zitiert aus einem Meeting von Berger mit Bankern wie folgt – ich zitiere –: Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch. Diese beiden Zitate veranschaulichen die moralische Verkommenheit und die Skrupellosigkeit dieser Cum/Ex-Netzwerke. Darüber, dass Schaden entstanden ist, sind wir uns alle einig; aber niemand kann ihn gegenwärtig seriös auf Heller und Pfennig beziffern. Umso wichtiger ist, dass der Staat nun das ergaunerte Geld wieder zurückholt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Roman kann sich Saccard einer mehrjährigen Haftstrafe zwar gerade noch so eben entziehen, am Ende aber ist der Preis, den er zu zahlen hat, die Flucht ins Exil. Schon damals stellte offenbar die Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland eine mögliche Folge der Verstrickung in kriminelle Geschäfte dar. Dieser Roman ist wirklich erschreckend aktuell. Saccard verliert zwar alles und verlässt seine Heimat; geläutert ist er aber keineswegs. Lapidar heißt es – Zitat –: „... das liegt ihm im Blut.“ Da gibt es Parallelen, wenn man an Hanno Berger denkt, der mittlerweile im Exil in der Schweiz lebt, nicht in den Ausschuss kommen und auch nicht aussagen wollte. Man kann nur hoffen, dass sich in der Causa Cum/Ex die Betroffenen besinnen und reinen Tisch machen. Es gibt Bankhäuser, die sich im Zuge der Ermittlungen um Aufklärung bemühen und teilweise bereits Einigungen mit den Strafverfolgungsbehörden erzielt haben. Freilich geschah das nur auf öffentlichen Druck; das gehört sicherlich zur Wahrheit dazu. Ein Skandal allererster Güte bleibt, dass die Commerzbank, die sich im Jahre 2009 vom Staat mit über 18 Milliarden Euro retten ließ, über Jahre hinweg selbst Cum/Ex-Geschäfte betrieben hat, den Staat also mit ausgeplündert hat, der sie zuvor gerettet hat. Da fasst man sich an den Kopf. Wie war das noch mal mit Moral, Skrupel und Demut? Ganz ehrlich, die Skepsis hinsichtlich der Läuterung diverser Akteure in der Finanzindustrie überwiegt. Demut scheint kein durchlaufender Posten in dieser Branche zu sein, wie wir bei diversen Befragungen in den Ausschusssitzungen unüberhörbar vernehmen konnten. Oder mit den Worten von Immanuel Kant: Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist ... schwerer, wenn die Einsicht spät kommt ... Eine kleine Ergänzung möge Herr Kant mir nachsehen: Es wird auch teurer, wenn man lange braucht. Zum Abschluss möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen: an das Ausschusssekretariat für seinen unermüdlichen Einsatz, an meine Arbeitsgruppe, die sehr viel lesen musste, und an die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen und deren Mitarbeiter für das gute Miteinander. Zu guter Letzt danke ich den Zeugen für die gewonnenen Einsichten. Das gilt besonders für diejenigen, die im Ausschuss nichts gesagt haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Fritz Güntzler hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Anderthalb Jahre Arbeit im Untersuchungsausschuss liegen hinter uns. Es war sehr zeitintensiv. Anders als Sie es dargestellt haben, Herr Schick, finde ich, wir haben uns die notwendige Zeit genommen. Wenn Sie noch Fragen hatten, haben wir die Sitzungen immer verlängert. Wir haben Ihnen eigentlich alle Möglichkeiten gegeben, Ihre Fragen zu stellen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt leider nicht!) Wir haben teilweise sogar zusätzliche Termine anberaumt. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Das kann ich bestätigen! Ich war dabei!) Von daher glaube ich, wir haben im Untersuchungsausschuss sehr gut und solide zusammengearbeitet, auch wenn wir zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ich gebe zu: Als seit über 20 Jahren praktizierender Steuerberater war ich von manchem überrascht, was uns im Untersuchungsausschuss geboten wurde. Das Ganze mündet jetzt in fast 1 000 Seiten. Wer Lust hat, kann das alles nachlesen, auch die Sondervoten und das Votum der Mehrheitsfraktionen. Wir bleiben der Nachwelt also erhalten. Als erstmaliges Mitglied eines Untersuchungsausschusses habe ich mich am Anfang gefragt: Ist das überhaupt sinnvoll? Ich habe gedacht, es sei sinnvoll. Aber ich musste feststellen, dass die Opposition doch immer wieder geneigt war, diesen Untersuchungsausschuss als Instrument der Skandalisierung zu nutzen. Das war der Sache nicht immer zuträglich, sondern – im Gegenteil – sehr abträglich. Herr Schick, ich hätte mir gewünscht, dass Sie nicht nur eine Seite wahrgenommen hätten, also nicht unter selektiver Wahrnehmung gelitten hätten, sondern sich einmal das Ganze angesehen hätten, um dann zu einem objektiven Urteil zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]) Meine Damen und Herren, Cum/Ex-Geschäfte – das haben meine Vorredner schon gesagt – waren und sind rechtswidrig. Das ist die Auffassung, zu der wir gelangt sind. Die höchstrichterliche Rechtsprechung steht noch aus. Aber wir haben Rechtsprechungen, insbesondere vom Finanzgericht Hessen. Es hat ausgeführt, die doppelte Anrechnung von Kapitalertragsteuer sei „abwegig“ – so das wörtliche Zitat –, wenn sie nur einmal abgeführt worden ist. Das widerspricht völlig dem Grundverständnis der Kapitalertragsteuer als Abzugssteuer. Die Einbehaltung einer Steuer ist Voraussetzung für die Anrechnung der Steuer. Von daher kann es nicht anders sein. Insofern ist für mich klar, dass sich diejenigen, die diese Cum/Ex-Geschäfte initiiert haben, auch der Steuerhinterziehung nach § 370 Abgabenordnung schuldig gemacht haben. Ich hoffe, die Strafverfolgungsbehörden werden dem nachgehen. Wir haben Hinweise, dass es so ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben lange über das Thema Eigentum gesprochen und uns gefragt: Kann es zweimal Eigentum geben? Dazu sage ich nach dem Motto des Highlanders – „Es kann nur einen geben“ –: Es kann nur einen Eigentümer geben. Von daher glaube ich, die Verdoppelung des wirtschaftlichen Eigentums, von der wir in manchen Aufsätzen hochbezahlter – wie wir feststellen durften – Professoren lesen mussten, ist hinfällig. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das muss man nicht gesetzlich regeln! Das versteht sich von selbst!) Das ist eigentlich geregelt, wie wir ja auch festgestellt haben. Bei Cum/Ex gab es keine Gesetzeslücke, weil die betriebenen Modelle von vornherein immer illegal gewesen sind. Von daher hat man sich die Frage gestellt, ob eine Gesetzgebung notwendig gewesen wäre, und es ist gut, dass wir jetzt entsprechende gesetzliche Maßnahmen ergriffen haben. Zum politischen Spiel gehört es ja auch, mit Zahlen zu arbeiten. Darüber haben wir heute ja auch schon mehrfach diskutiert. Es ist ein Gutachten von Herrn Professor Spengel aus Mannheim in den Ring geworfen worden, das zu extremen Zahlen kommt. Ich finde es interessant, dass selbst Herr Professor Spengel im Vorwort von extremen Annahmen spricht. Das macht deutlich, dass er selber das Gefühl hat, dass er wohl ein wenig zu hoch gegriffen hat. Herr Krüger hat auch schon darauf hingewiesen, dass diesem Gutachten hypothetische Rechenmodelle zugrunde liegen. Es ist nicht beachtet worden, dass die Erstattung teilweise verweigert und gar nicht ausgeführt wurde, dass es Rückforderungen gegeben hat und dass weitere Verfahren noch laufen. Seriöserweise müsste man das alles eigentlich mit einrechnen, sodass man zu einem anderen Ergebnis kommen würde. Ich gebe aber zu: Ich glaube, keiner hier im Saal und keiner der Zeugen, die wir vernommen haben, kann tatsächlich seriös sagen, was für ein Schaden entstanden ist und was letztendlich als Schaden übrig bleibt. Von daher wäre ich mit der Beurteilung, dass das der größte Finanzskandal der Bundesrepublik Deutschland ist, noch sehr vorsichtig. Warten wir einmal ab, was unter dem Strich herauskommt. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn gleichauf?) Wir haben uns auch damit zu beschäftigen gehabt – das war ja der eigentliche Auftrag des Untersuchungsausschusses –, ob es eine Untätigkeit der Finanzbehörden gab. Ich habe den persönlichen Eindruck gewonnen, dass wir in Deutschland eine tolle Finanzverwaltung haben, die sehr engagiert ist. Ich denke zum Beispiel an die Zeugeneinvernahme einer jungen Dame vom Bundeszentralamt für Steuern, die sich selbst bei Amtshaftungsvorwürfen zur Wehr gesetzt und die Kapitalertragsteuer nicht ausgezahlt hat, und es gibt auch noch andere Beispiele. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Wissen von heute stellen sich manche Dinge anders dar. Uns ist von mehreren deutlich gesagt worden, dass man zum damaligen Zeitpunkt gar nicht erahnen konnte, welches Ausmaß diese Cum/Ex-Geschäfte haben. Es ist uns auch wissentlich dargestellt worden – vielleicht falsch; das weiß ich nicht –, dass es letztlich um technische Probleme geht. In dem Schreiben des Bankenverbandes aus dem Jahre 2002 ist von technischen Problemen und nicht von einem Steuergestaltungsmodell gesprochen worden. Von daher war das gar nicht erkennbar, auch wenn heute einfach unterstellt wird, dass man doch hätte sehen müssen, dass dort Milliarden durch die Gegend geschoben worden sind. Ich habe Gespräche mit Wirtschaftsprüfern geführt, die derzeit Sonderprüfungen im Auftrag der BaFin durchführen. Sie haben mir gesagt, dass sie wissen, dass diese Bank Cum/Ex-Geschäfte gemacht hat, trotzdem seien sie nicht in der Lage, sie zu finden. Sie haben jetzt ganz große Modelle entwickelt, um der Sache überhaupt Herr zu werden. Der Eindruck, der hier von der Opposition erweckt wird, man müsse nur in eine Bank hineingehen und würde sofort Cum/Ex-Geschäfte sehen, ist also schlicht falsch. Von daher brauchte man mehr Informationen, damit es gelingt, das aufzuklären. Ich zitiere gerne Herrn Schmitt, den Leiter der Abteilung Steuern beim Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg, das mittlerweile ja von Grün regiert wird. Er sagte im Untersuchungsausschuss: Aus Sicht der Verwaltung war nicht vorstellbar, mit welcher Energie sogenannte Finanzberater und Investoren durch ausgeklügelte Cum/Ex-Geschäfte im In- und Ausland an diesem Grundsatz – dem Grundsatz, dass Eigentum nur einmal erworben werden kann – rütteln würden mit dem Ziel, dem deutschen Staat systematisch bereits vereinnahmte Steuergelder in schwindelerregender Höhe wieder abzujagen. Wer Herrn Schmitt kennt, der weiß, dass das ein ganz solider Finanzbeamter und Steuerabteilungsleiter ist. Das war eben der Kenntnisstand bei der Finanzverwaltung damals. Von daher war die Dramatik, die man jetzt vielleicht erkennt, zum damaligen Zeitpunkt gar nicht gegeben. Wir wissen ja auch – Kollege Schwarz hat darauf hingewiesen –, dass hier Akteure zusammengearbeitet – man könnte teilweise das Gefühl haben, dass es hier um organisierte Kriminalität geht – und sich abgesprochen haben, um den deutschen Staat zu schädigen. Wir haben dann auch über Cum/Cum gesprochen. Herr Pitterle hat vorhin eingeworfen, warum dort so spät reagiert worden ist. Herr Kollege Pitterle, es gab hier von 2005 bis 2011 aufgrund der europäischen Rechtsprechung eine Unsicherheit. Von daher konnten wir erst 2011 damit beginnen, über Cum/Cum-Regelungen nachzudenken. Das haben wir im Investmentsteuerrecht über den § 36a EStG dann auch gemacht. Herr Kollege Schick, Sie haben die Arbeit des Finanzausschusses vorhin sehr selbstkritisch beleuchtet. Das mag für das Jahressteuergesetz 2007 zutreffen. Damals waren Sie Mitglied des Finanzausschusses, ich nicht; ich kann dazu nichts sagen. Ich kann nur sagen: Als wir das Investmentsteuerrecht beraten haben, in dem es eigentlich gar nicht um Cum/Cum ging, haben wir uns sehr intensiv mit dem § 36a EStG – ursprünglich war das der § 36 Absatz 2a EStG – beschäftigt und Anpassungen vorgenommen, um das zielgerichtet zu bearbeiten. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil der Gesetzentwurf ziemlich grottig war! In der Tat: Er war grottig!) Der Finanzausschuss hat seine politische Aufgabe – darauf lege ich Wert – über alle Fraktionsgrenzen hinweg wahrgenommen. Den Vorwurf, die Mitglieder des Finanzausschusses hätten schlechte Arbeit gemacht, lasse ich jedenfalls für den jetzigen Finanzausschuss nicht gelten. Für 2007 kann ich es nicht sagen. Mich wundert manchmal, warum Sie die Dinge, die Sie jetzt ansprechen und von denen Sie denken, sie wären schon bekannt gewesen, nicht damals zur Sprache gebracht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und wieso Sie in der Gesetzesberatung 2007 keine Fragen gestellt haben. Es zeichnet Sie ja aus, dass Sie das Ganze selbstkritisch beleuchten. Aber die Frage stellt sich schon. Sie haben in Ihrem Sondervotum erwähnt, im Rahmen des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes seien Sie über zwei BMF-Schreiben nicht informiert worden. Dazu muss ich Ihnen sagen: BMF-Schreiben sind öffentlich. Sie sind jedem Bürger zugänglich, auch einem deutschen Abgeordneten. (Margaret Horb [CDU/CSU]: Richtig!) Wenn Sie sich hätten kundig machen wollen, hätten Sie die BMF-Schreiben einfach lesen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich feststellen, dass es gelungen ist – über den Zeitablauf haben wir lange gestritten –, durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz die gesetzlichen Lücken bei Cum/Ex zu schließen. Wir haben über das Investmentsteuerreformgesetz die Gesetzeslücken bei Cum/Cum geschlossen – alles in der Zeit von Wolfgang Schäuble. Er hat seine Arbeit gut gemacht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege Lothar Binding das Wort. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Richard Pitterle hat vorhin gesagt, dass sich das Ministerium keine Gesetzentwürfe schreiben lassen solle. Das finden auch wir. Da muss absolute Transparenz her, das ist nicht in Ordnung. Gerhard Schick hat etwas Ähnliches gesagt, er sagte, externe Beratung dürfe nicht so weit gehen, dass sie die Gesetzgebung beeinflusse. Ich finde, beides lenkt von dem heute zu debattierenden Problem ab. Wäre das so gewesen, hätten Externe die Gesetze geschrieben, dann wären sie doch nicht so dumm gewesen, das so zu machen, dass Cum/Ex kriminell wäre. Nein! Sie hätten gesagt: Wir machen uns ein Gesetz, mit dem Cum/Ex erlaubt wird, sodass Cum/Ex legal ist; dann können wir machen, was wir wollen. – Insofern ist dies das absolut falsche Beispiel. Auch das Beispiel Lobbyismus lenkt davon ab, dass es hier um kriminelle Machenschaften geht. Andreas Schwarz hat schon den Steuerfachabteilungsleiter des BMF zitiert, der selbst öffentlich gesagt hat: Das ist organisierte Kriminalität. Es ist doch so: Wenn heute ein Mord geschieht, dann wird dem Parlament doch auch nicht politische Untätigkeit vorgeworfen, und wir werden auch nicht sofort in die Gesetzgebung einsteigen. Schließlich weiß jeder: Darum kümmert sich die Staatsanwaltschaft. Das ist im Rechtskreislauf wunderbar geregelt. – Da brauchen wir nicht aktiv zu werden. Wir sind auch nicht zuständig. Das wäre anmaßend. Es wäre auch gar nicht zulässig, dass wir von uns aus mit der Strafverfolgung beginnen. Insofern: Wir müssen deutlich machen, dass das, was die feinen Herren und Damen gemacht haben, nämlich der gesamten Öffentlichkeit Geld im dreistelligen Millionenbereich, vielleicht sogar im Milliardenbereich, aus der Tasche zu ziehen, kriminell ist. Das muss man wissen. Heute müssen wir fragen: Was können wir für die Zukunft an Maßnahmen ergreifen? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen; da müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen. Es gab im Zusammenhang mit den Panama Papers die Idee verschiedener SPD-geführter Länder, die Telefonüberwachung auszuweiten. Mithilfe der Telefonüberwachung hätte Cum/Ex damals verhindert werden können. Diese war aber nicht erlaubt. Nun muss man sagen, dass im Moment – vielleicht ändert sich das ja – die Union in dieser Richtung erfolgreich blockiert. Es wäre klug, in Richtung Telefonüberwachung noch mehr zu tun. Manchmal gelingt auch etwas. Mit der Reform des Investmentsteuerrechts haben wir längere Haltefristen eingeführt. Das war sehr gut. Aber manchmal misslingt auch etwas. Eine Ursache für Cum/Cum, Cum/Ex und all die anderen Geschäfte ist unser Schedulensystem. Das bedeutet: In einer Kiste sind die Steuersätze für Einkommen niedrig, in der anderen sind sie höher. Jeder, der ein bisschen etwas von Gestaltung versteht, weiß: Ich lenke jeden Gewinn und all das, was ich sonst noch möchte, in die Schedule mit dem niedrigen Steuersatz. Deshalb wäre es unbedingt erforderlich, die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne aus Streubesitz aufzuheben. Es ist mein Appell an die Union, hier endlich mitzumachen, weil sonst jeder Gewinn in die Schedule mit den niedrigen Steuersätzen gelenkt wird. Das darf nicht sein. Wenn Sie das zulassen, dann gibt es einen systematischen Weg zur legalen Steuergestaltung – so sagen wir es vornehm –, aber im Grunde ist es legalisierte Hinterziehung. Das darf nicht sein. Deshalb ist es klug, in die Zukunft zu schauen und sich darum zu kümmern, was demnächst zu passieren hat, und deshalb freuen wir uns auf die nächste Legislaturperiode. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Ich bin zwar schon gestern verabschiedet worden, aber frei nach Martin Luther: Hier stehe ich und kann nicht anders. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ehrlich gesagt hatte ich mir für meine letzte Rede ein Thema aus meiner Berichterstattertätigkeit im Rechtsausschuss gewünscht. Nun ist es aber anders gekommen. Ich freue mich dennoch, dass ich hier die gute Arbeit des 4. Untersuchungsausschusses mit einer Rede vor Ihnen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, mit zum Abschluss bringen darf. Die Arbeit des 4. Untersuchungsausschusses betrifft ein Thema, das mir als Juristin – ich sage das ganz konkret für mich – anfangs nicht besonders geläufig war. Steuergestaltungsmodelle, Dividendenstripping, Cum/Ex: Diese Themen haben mich weder in meiner Zeit als Anwältin für Familienrecht beschäftigt, noch hatte ich Berührungspunkte in einem der Themen, für die ich als Berichterstatterin zuständig war. Aber dieser Untersuchungsausschuss ist ein Beleg dafür, dass ein Untersuchungsausschuss durchaus zur Aufklärung komplizierter Sachverhalte beitragen kann. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann war es ja doch sinnvoll!) Ob wir der durch unseren Bundestagspräsidenten Lammert bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zum Ausdruck gebrachten Hoffnung, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, womit wir uns hier eigentlich beschäftigen, vollständig nachgekommen sind, sei dahingestellt. Insgesamt haben wir – das wurde schon gesagt – über 70 Zeugen vernommen, unter anderem aus Banken, Ministerien, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und dem Bundeszentralamt für Steuern, mit dem Ergebnis: Ein systematisches Versagen der beteiligten Behörden konnten wir nicht feststellen. Im Gegenteil: Das Bundesministerium der Finanzen hat 2009, nachdem es über mögliche Probleme mit Steuergestaltungsmodellen informiert worden war, umgehend reagiert und Gespräche mit den obersten Finanzbehörden der Länder gesucht. Parallel dazu arbeitete das Bundesfinanzministerium an einer Gesetzesänderung, mit der die missbräuchlichsten Gestaltungen im Bereich der doppelten Kapitalertragsteuer endgültig unterbunden werden sollten. Auch die Zeugenaussagen von ehemaligen und aktiven Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium haben bei uns im Ausschuss den Eindruck verstärkt, dass man mit vollem Einsatz nach einer umsetzbaren Lösung gesucht hatte. Cum/Ex ist und bleibt ein schwieriges und sperriges Thema, das man auch erklären muss; es ist aber auch – das erachte ich durchaus für wichtig – ein Thema, bei dem man nicht wahllos mit angeblichen Schadenssummen hausieren gehen sollte. Meine Kollegen haben schon erläutert, dass es sich bei den Cum/Ex-Geschäften um Steuergestaltungsmodelle rund um den Dividendenstichtag handelt. Dieses trickreiche Verwirrspiel, bei dem es einzig und allein darum ging, den Staat zu erleichtern, wurde von Investoren, Banken, Beratern und Wissenschaftlern für legal gehalten. Dass eine einmal gezahlte Steuer mehrfach zurückerstattet wird, hört sich rechtswidrig an. Dafür muss man kein Steuerexperte sein. Die Arbeit im 4. Untersuchungsausschuss hat uns eindeutig nähergebracht, wie einige wenige Marktakteure unsere geltenden Steuergesetze und entsprechende finanzgerichtliche Entscheidungen gegen ihren Sinn ausgelegt haben. Lange wurde in der juristischen Diskussion auf das Fehlen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung verwiesen. Dass Cum/Ex-Geschäfte rechtswidrig sind und dies auch waren, daran besteht nach Durchsicht aller Akten und Anhörung aller Zeugen kein Zweifel. Das hat darüber hinaus auch das Finanzgericht Kassel in diesem Jahr bestätigt, indem es eine Klage der Commerzbank abgewiesen hat, die auf die Erstattung von Kapitalertragsteuern aus Cum/Ex-Geschäften abzielte. Wir können also davon ausgehen, dass der Staat einen Teil der unberechtigten Steuererstattung mit Zins und Zinseszins zurückerhält. Darüber hinaus hat uns die Arbeit im Ausschuss aufgezeigt, wie bestimmte Marktakteure ihre Anlagestrategie bewusst vor den Behörden verschleiert haben. Häufig wurden zu diesem Zweck Fondsgestaltungen gewählt. Vertreter verschiedener Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen nutzten die erarbeiteten Gestaltungen zum Zweck der Gewinnmaximierung aus. Diejenigen Stimmen, die unter Hinweis auf die allgemeine Begründung des Jahressteuergesetzes 2007 allerdings behaupten, der Gesetzgeber habe eine Rechtsgrundlage für die Legalisierung von Cum/Ex-Geschäften geschaffen, ignorieren den klaren Gesetzeswortlaut. Leerverkäufe, die darauf basierten, waren eindeutig rechtswidrig. Wer eine Lücke im damaligen Gesetzestext herbeiredet, unterstützt objektiv das Geschäft der Cum/Ex-Akteure. Nach dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung vom 14. April 2016, der Auswertung des Sachverständigengutachtens von Professor Spengel sowie durch die Zeugenvernehmung wurde dem Ausschuss bestätigt: Das Steuerrecht bot in den Jahren 1999 bis 2012 zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, eine einmal einbehaltene Kapitalertragsteuer in rechtmäßiger Weise mehrfach anrechnen bzw. erstatten zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Daher möchte ich den Vorwurf, das Bundesfinanzministerium habe durch das Jahressteuergesetz 2007 eine Rechtsgrundlage für die Legalisierung von Cum/Ex-Geschäften geschaffen, hier entschieden zurückweisen. (Beifall bei der CDU/CSU) Weder dem Bundesfinanzministerium noch dem Bundeszentralamt für Steuern kann der Vorwurf gemacht werden, die hier vorliegenden Cum/Ex-Fälle zögerlich behandelt zu haben oder gar die Bedeutung der Fälle nicht erkannt zu haben. Unser Finanzminister Wolfgang Schäuble, der ebenfalls als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss geladen war, erläuterte uns, dass er sich schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt im Jahr 2009 mit Cum/Ex-Gestaltungen befasst habe. Er führte weiter aus, dass die gesetzliche Regelung von 2007 offensichtlich nicht ausreichend gewesen sei. Deshalb habe man sich im Finanzministerium intensiv um eine Lösung der Cum/Ex-Fälle bemüht. Im Zuge dieser Bemühungen wurde der Gesetzentwurf zum OGAW-IV-Umsetzungsgesetz, bei dem das System des Kapitalertragsteuereinbehalts zum 1. Januar 2012 umgestellt wurde, auf den Weg gebracht. Durch das neue System wurde gezielten und geplanten Cum/Ex-Gestaltungen mit Leerverkäufen erfolgreich entgegengewirkt. Fortan waren mehrfache Bescheinigungen ausgeschlossen. Die mit der Investmentsteuerreform 2016 eingeführte längere Haltefrist als Voraussetzung der steuerlichen Berücksichtigung von Aktien leistet Gleiches für die Cum/Cum-Geschäfte. Ich möchte daher noch einmal festhalten: Das Bundesministerium der Finanzen und insbesondere Minister Schäuble haben in durchaus nachvollziehbarer und angemessener Zeit reagiert und einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der missbräuchliche Gestaltungen im Bereich doppelter Kapitalertragsteuer endgültig unterbindet. Die Opposition behauptet immer wieder, mehrere Milliarden Euro seien dem deutschen Fiskus und der Gemeinschaft der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entzogen worden. Mal reden die Oppositionskollegen von 12 Milliarden Euro, dann von 7 Milliarden Euro, und am Ende hören wir noch einmal 10 Milliarden Euro. Eine seriöse Schätzung liegt all dem nicht zugrunde. Auf welche Höhe sich der Schaden tatsächlich beläuft, können wir heute nicht sagen. Nicht belegbare Zahlen möchte ich daher nicht äußern, nur so viel: Ich glaube, dass der Schaden sehr viel geringer ist. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie!) Die zuständigen Behörden in Bund und Ländern und unter ihnen nicht zuletzt das Bundeszentralamt für Steuern haben in den letzten Jahren vorbildlich Cum/Ex-Fälle bearbeitet und bereits ausgezahlte Steuern zurückgeholt oder eine Auszahlung der Kapitalertragsteuer gar nicht erst vorgenommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dieser Arbeit hat das Bundeszentralamt für Steuern maßgeblich dazu beigetragen, dass die tatsächliche Schadenshöhe nur einen Bruchteil der öffentlich immer wieder genannten 12 Milliarden Euro ausmacht. Zum Schluss möchte ich mich bei Ihnen, bei allen Mitgliedern im Ausschuss und auch bei allen Mitarbeitern für die konstruktive Mitarbeit bedanken. Wir haben teilweise bis zu zwölf Stunden hintereinander Zeugen vernommen. Ich möchte mich aber ausdrücklich auch bei dem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Dr. Krüger, für seine stets objektive, unabhängige und sehr kollegiale Art, diesen Ausschuss zu leiten, bedanken. Vielen Dank auch dafür, lieber Hans-Ulrich. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, liebe Frau Sütterlin-Waack. Ich bin nicht sicher, ob wir Sie heute hier wirklich verabschieden können; denn Sie haben so viel in den Deutschen Bundestag eingebracht, dass ich nicht weiß, ob Ihre Fraktion nicht nächste Woche noch einmal auf Sie angewiesen ist. Dann würden wir Sie zum dritten Mal verabschieden, aber jedenfalls von meiner Seite aus: Wir verlieren mit Ihnen eine über alle Fraktionen hinweg geschätzte Kollegin, die sehr engagiert und immer sehr kooperativ gewesen ist. Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall für Ihre neue Aufgabe alles Gute. Weil wir ja ein föderaler Staat sind, werden wir wahrscheinlich mit Ihnen auch in Zukunft immer wieder zusammentreffen, und darauf freuen wir uns. Vielen Dank für Ihre Arbeit. (Beifall) Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des 4. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 18/12700. Der Ausschuss empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Suizidprävention weiter stärken – Menschen in Lebenskrisen helfen Drucksache 18/12782 Interfraktionell wurde vereinbart, dass für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen werden sollen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rudolf Henke von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Rudolf Henke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sechzehn Jahre jung – gestorben an der Härte der Welt. Als sie von seiner Beerdigung kamen, schwiegen sie betroffen. Vater und Mutter weinten bitterlich. Ihr Sohn hatte sich das Leben genommen. „Das ist schon der Dritte in diesem Jahr“, sagte der Pfarrer. Niemand fragte, wie groß die Verzweiflung und die Einsamkeit der Jugend noch sein müsse, um sie zu bemerken. Das Leben nahm weiter seinen Lauf. Es änderte sich nichts. Es änderte sich keiner. Dieses Zitat eines unbekannten Autors findet man bei den Materialien des Teams „Ökumenischer Kreuzweg der Jugend“. Machen wir uns nichts vor: Das Leben ist nicht so, dass die Politik den Menschen versprechen kann: Ihr seid von allen Lebenskrisen verschont. – Freunde sterben, Ehepartner sterben, Lebensentwürfe gehen zu Bruch. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, Menschen verlieren ihre Gesundheit, Menschen verlieren ihre Wohnung, Menschen verlieren ihre Partnerin, ihren Partner, Menschen verlieren jeden, der sie ansieht, jedes Ansehen. Auf den Mitmenschen in einer solchen Situation zuzugehen, ist eine Aufgabe, die nicht wir hier im Deutschen Bundestag lösen können. Die werden wir nur dadurch lösen können, dass wir darüber sprechen, dass jeder einen braucht, der bereit ist, ihm zu begegnen. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die man formulieren muss. Wenn es dann gelingt, diejenigen, die in den Hilfesystemen als Ehrenamtliche, als Freiwillige, als Nächste arbeiten, dadurch zu stärken, dass man besser untersucht, besser erforscht, welche Formen von Suizidalität im Einzelnen unter welchen Bedingungen am besten verhütet werden können, dann hat man auch der Prävention sehr geholfen, und es ist gut, dass wir uns heute darum bemühen, dies gemeinsam zu entwickeln. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Deutschland sind jährlich rund 10 000 Todesfälle auf einen vollendeten Suizid zurückzuführen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der Suizidversuche etwa zehnmal so hoch liegt. Zwar haben sich die Zahlen seit 2005 nicht maßgeblich verändert, aber die Zahl der tatsächlich durchgeführten Suizide in Deutschland hat in den letzten 35 Jahren doch deutlich abgenommen. Zu Beginn der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts lag sie noch bei fast 19 000 pro Jahr, Anfang der 90er-Jahre bei rund 14 000 jährlich. Jetzt, wie gesagt, pendelt sie um rund 10 000 jährlich. Dennoch gilt: Jeder Suizidversuch und erst recht jeder Suizid ist einer zu viel. Weitere Anstrengungen zur Vermeidung von Suiziden und Suizidversuchen müssen unternommen werden, um betroffenen Menschen und deren Angehörigen frühzeitig Auswege in Form von Behandlung, Unterstützung, etwa durch die Vermittlung in eine Therapie oder Selbsthilfegruppe, und Prävention anbieten zu können. Zu den Erfordernissen des Handelns äußert sich der gemeinsam von CDU/CSU, SPD und Grünen vorgelegte Antrag in einer Vielzahl von Punkten und Positionen. Er führt Dinge auf, die noch zu tun sind. Er führt Dinge auf, bei denen wir froh sind, dass es dazu schon lange entsprechende Programme gibt. Ich verweise auf das Nationale Suizidpräventionsprogramm aus dem Jahr 2002. Lassen Sie mich neben der Werbung für die Annahme dieses Antrags noch einen anderen Punkt ansprechen, der ebenfalls im Zusammenhang mit diesem Antrag steht. Wir haben nicht ohne Kontroverse, aber mit großer Mehrheit im Jahr 2015 in das Gesetz geschrieben: (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht. Das heißt, auch die Hilfe zum Suizid ist straffrei möglich. Wir haben im März ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erlebt, wonach der Staat Patienten in extremen Ausnahmefällen den Zugang zu Medikamenten mit tödlicher Wirkung nicht verwehren dürfe, da dies ein Eingriff in die Grundrechte sei, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt das Leben enden soll. Dabei, so das Gericht, beschränkt sich der Grundrechtsschutz – Zitat – „nicht auf Fälle, in denen infolge des Endstadiums einer tödlichen Krankheit der Sterbeprozess bereits begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht“. Die Bewertung, ob ein solcher Ausnahmefall besteht oder nicht, soll nach Meinung des Gerichtes das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte durchführen, also eine staatliche Behörde, deren eigentliche Aufgabe die Risikobewertung von Arzneimitteln und deren Zulassung ist. Wenn nun das Selbstbestimmungsrecht so weit geht, dass der Staat bei der Frage „Wie nehme ich mir das Leben?“ als Agent, als Handlanger dienen muss, dann resultieren daraus meines Erachtens keine Prävention von Suizid oder bestmögliche Behandlung von Suizidgedanken, sondern die Beförderung von Suizid. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen ist es gut, dass wir heute einen weiteren Beitrag dazu leisten, dass ein gesellschaftliches Klima entsteht, in dem weder Krankheiten noch Bilanzsituationen zu einer Ausgrenzung von Menschen führen. Wir wollen auf allen Ebenen dafür sorgen, dass weniger Menschen den Weg in den vorzeitigen Tod als Ausweg sehen. Staatliche Unterstützung für die Durchführung des Suizids steht dazu in krassem Gegensatz. (Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Nicht der vorzeitige Tod ist unser Ziel, sondern eine Hilfe, die das Ja zum Leben leichter möglich macht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege. Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Dann kann der Gedanke aus dem Team „Ökumenischer Kreuzweg der Jugend“ vielleicht auch irgendwann einmal mit den Sätzen enden: Es änderte sich viel. Es änderten sich viele. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Birgit Wöllert das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Birgit Wöllert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, die hier zuschauen und zuhören! Vor fast genau zwei Jahren habe ich hier zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen“ gesprochen. Heute liegt ein gemeinsamer Antrag dreier Fraktionen, der Fraktionen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vor. Obwohl es in den vergangenen zwei Jahren viele Gespräche und Diskussionen zum Thema Suizid gab, haben diese leider nicht zu einer inhaltlichen Qualifizierung des ursprünglichen Antrags beigetragen. Weil wir aber der Meinung sind, dass tatsächlich dringender Handlungsbedarf besteht, Möglichkeiten zu finden, die Selbsttötungen verhindern – egal aus welchen Gründen, entweder aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund bestimmter Situationen –, werden wir uns zu diesem Antrag enthalten. Ich möchte das jetzt begründen. Erstens. Zum Welttag der Suizidprävention 2016 gab es eine gemeinsame Erklärung der Kollegin Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen, des Kollegen Heidenblut von der SPD und mir – die CDU/CSU wollte sich da nicht beteiligen –, die auch mit Expertinnen und Experten abgesprochen war. Diese Erklärung enthielt sieben gemeinsame Forderungen, die abgestimmt waren. Hinter diesen Forderungen bleibt der vorliegende Antrag leider zurück. So fehlt völlig die Einschränkung des Zugangs zu Waffen oder bestimmten Arzneimitteln, um spontane Suizide besser zu verhindern. Es fehlt auch die Forderung nach der Bereitstellung von Forschungsmitteln im Bundeshaushalt zur systematischen Bewertung und Weiterentwicklung von Suizidpräventionsmaßnahmen. Hinzu kommt, dass Sie den gesamten Antrag mit allen Ihren Empfehlungen, Bewertungen und Bitten unter Haushaltsvorbehalt stellen. Das heißt, es darf nicht mehr kosten. Zweitens. Schon in der Überschrift haben Sie eine scheinbar bedeutungslose Veränderung versteckt. Im früheren Antrag wurde die Unterstützung der „Menschen in Krisen“ gefordert, jetzt wollen Sie „Menschen in Lebenskrisen“ helfen. Damit wird davon ausgegangen – das kam jetzt auch bei Ihnen, Kollege Henke, zum Ausdruck –, dass es sich um die Bewältigung von ganz persönlichen Krisen in schwierigen individuellen Lebenssituationen handelt. Die Ursachen von Krisen liegen aber nicht nur in eigenen Lebenssituationen und persönlichen Lebensverhältnissen begründet, sie können auch in gesellschaftlichen Umbrüchen und in gesellschaftlichen Zusammenhängen begründet sein. (Beifall bei der LINKEN) Und genau das fehlt uns in Ihrem Antrag. Sie beschreiben im Feststellungsteil ausführlich, in welchen Übergängen von einer Lebensphase zur anderen Menschen besonders suizidgefährdet sind. Das ist alles richtig; aber wir kritisieren, dass Sie in allen Ihren Maßnahmen davon ausgehen, dass die Betroffenen selbst Anpassungsstrategien entwickeln und Gesellschaft sich nicht verändert. Wir als Linke sagen, Suizidprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei deren Erfüllung es Aufgaben für alle Beteiligten gibt. Sie betrifft alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, nicht nur des staatlichen Lebens. Eine Gesellschaft, in der ein Klima der Anerkennung, der Achtung, der Wertschätzung des Einzelnen herrscht und in der nicht Leistungsdruck, Konkurrenz, Ausgrenzung und Angst das Leben der Menschen bestimmen, bietet allerbeste Voraussetzungen für eine wirksame Suizidprävention. (Beifall bei der LINKEN) Genau dieser Aspekt kommt in Ihrem Antrag zu kurz. Ich denke, hier gibt es in der nächsten Legislaturperiode Möglichkeiten, konkretere Aufgabenstellungen zu formulieren, die auch diese Aspekte besser berücksichtigen. Einem solchen Antrag würde die Linke dann auch sehr gern zustimmen, und sie wäre auch bereit, daran mitzuarbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Helga Kühn-Mengel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abgeordneten Dr. Rudolf Henke [CDU/CSU]) Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Es ist ein ernstes, ein trauriges, aber ein ganz wichtiges Thema. Deswegen ist es gut, dass wir hier wenigstens noch am Ende dieser Legislatur auf die Notwendigkeit dringen, diejenigen, die sich selber töten wollen, zu erreichen, ihnen ein Angebot zu machen. Die Zahlen hatte Herr Henke schon genannt: 10 000 Menschen pro Jahr. Im internationalen Vergleich liegen wir hoch. Andere Staaten haben auf diesem Feld mehr erreicht. Wir wollen mit diesem Antrag auch dafür sorgen, dass hier der Anschluss erreicht wird. Die meisten, die sich selber töten, wollen nicht sterben, sie wollen nur nicht mehr leben, sie wollen so nicht mehr leben – mit den Ängsten vor der Zukunft, vor Schmerzen, vor Einsamkeit. Da gibt es viele Gründe. Nicht immer ist der Suizid Ausdruck einer psychischen Erkrankung; er ist aber immer Ausdruck einer tiefgreifenden seelischen Krise, und da ist es schon ganz wichtig, dass wir ein Angebot machen. Frau Wöllert, ich möchte noch betonen – das ist mir ganz wichtig –: Wir haben mit vielen Gesetzen, die wir in dieser Legislatur beschlossen haben, auch Lebensumstände verbessert, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auch wenn sich das nicht in jedem Satz widerspiegelt und auch wenn man noch mehr tun könnte. Ich will das jetzt nicht aufzählen, sondern so pauschal stehen lassen. Dafür gibt es viele Beispiele. Für uns als Gesundheitspolitiker und politikerinnen ist es wichtig, festzustellen, dass mehr als 80 Prozent derjenigen, die einen Suizid begangen haben, zum Zeitpunkt des Todes nicht adäquat behandelt wurden und dass pro Jahr 100 000 Menschen, die einen Suizidversuch gemacht haben, mit dem Gesundheitssystem in Kontakt kommen. Da müssen wir uns schon fragen: Wo ist die Aufmerksamkeit? Wo wird diesen Menschen ein Angebot gemacht? Was kommt in der Ausbildung und Weiterbildung vielleicht zu kurz? Es ist sehr wichtig, sich mit diesem Teil zu beschäftigen. Es gibt viele gute Angebote. Über diejenigen, die im Antrag erwähnt sind, hinaus denke ich an das SeeleFon in Bonn – ein Angebot, das Angehörigenverbände eingerichtet haben –, an das Atriumhaus in München und an [U25], das ich ganz wichtig finde. Bei Menschen bis zu 25 Jahren ist Selbstmord die zweithäufigste Todesursache. Es gibt in der Altersgruppe bis 25 Jahre 500 Suizide pro Jahr. [U25] macht diesen Menschen über einen EMail-Kontakt ein Angebot. Das BMFSFJ fördert diese Maßnahme, zunächst einmal zeitlich begrenzt. Aber es ist wichtig, so etwas in die Regelversorgung aufzunehmen. Wie wichtig auch geschlechtsspezifische Angebote sind, möchte ich Ihnen am Beispiel einer Einrichtung deutlich machen, die es in Köln gibt. Jedes siebte lesbische Mädchen in Nordrhein-Westfalen im jungen Alter, bis 23 oder 25 Jahre, stirbt durch eigene Hand. Deswegen gibt es dieses Angebot, finanziert vom Land Nordrhein-Westfalen, noch von der alten Regierung vor Jahren eingeführt. Die Stadt Köln und, ich glaube, auch die Sparkasse sind beteiligt. Aber nicht das ist entscheidend, sondern die Tatsache, dass es ein solches Angebot gibt. Ich habe das bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, fand die Zahl wirklich erschütternd. Das zeigt, wie sehr wir uns darum kümmern müssen, dass geschlechtsspezifische, gruppenspezifische Angebote im System verankert werden. (Beifall bei der SPD) Wir müssen immer wieder deutlich machen: Diese Krisendienste – ob telefonisch, ob online, ob in der persönlichen Beratung – sorgen nicht nur dafür, dass ein Suizid weniger stattfindet, sondern verhindern auch Zwangsmaßnahmen, Zwangseinweisungen, die hier häufig passieren. Aber wie geht es weiter, nachdem man die Menschen erreicht hat? Wo sind die Versorgungsketten? Wo sind die regionalen Versorgungspunkte? Wo sind die niedrigschwelligen und zielgruppenspezifischen Angebote? Davon gibt es zu wenige. Es ist viel passiert. Herr Henke hat schon erwähnt das Nationale Suizidpräventionsprogramm, NaSPro, 2002 eingeführt – da war die Frau Präsidentin noch Ministerin –, eine hervorragende Institution. Wir haben auch vieles gemacht, was diese Menschen begleitet und unterstützt, vom Präventionsgesetz – Stichwort „Setting“ – über die betriebliche Gesundheitsförderung bis zur Palliativversorgung. Aber hier muss noch mehr geschehen. Daran wollen wir arbeiten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Auch wenn ich weiß, dass manche das nicht mehr hören können: Es ist wahrscheinlich meine letzte Rede. Deswegen möchte auch ich Danke sagen. Wenn etwas gut ist an diesem Beruf, den wir haben, dann ist es, dass man im Kleinen wie im Großen etwas verändern kann und dass man dabei in Kontakt mit so vielen kompetenten Menschen kommt, was wirklich bereichernd ist – nicht im finanziellen Sinn natürlich. Vielen Dank. (Beifall) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kühn-Mengel. – Auch von unserer Seite aus noch einmal Danke für die Arbeit, die Sie hier im Deutschen Bundestag seit vielen Jahren geleistet haben. Sie waren vor allen Dingen immer sehr nah am Menschen, wie man sagt, sehr stark engagiert in der Gesundheitspolitik, der Patientenversorgung und haben sich die Frage gestellt: Wie muss etwas aussehen, damit es für die Menschen am besten ist? Sie waren die erste Patientenbeauftragte auf Bundesebene. Ich glaube, alle Kollegen und Kolleginnen schätzen Sie, weil Sie zu denjenigen gehörten, die sehr stark auf Qualitätsverbesserung gesetzt haben, auf Prävention, auf Versorgung, Rehabilitation und Pflege. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit. – Vielleicht dürfen Sie ja nächste Woche noch einmal eine letzte Rede halten. Dann werden wir noch einmal danken. Danke schön. (Beifall) Jetzt hat für Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink das Wort. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kühn-Mengel, es ist mir eine Ehre, Ihnen heute, nach dieser besonderen Rede, noch einmal Danke zu sagen. Dass es zum Abschluss dieser Wahlperiode zu einem solchen interfraktionellen Antrag kommen konnte, ist ja auch Ihnen zu verdanken. Ich bin froh, dass wir in dieser Wahlperiode ein so wichtiges Thema so positiv abschließen können. Ich gestehe, dass ich es sehr gut gefunden hätte, wenn wir auch die Fraktion der Linken hätten einbeziehen können. Ich weiß durch die vorherigen Gespräche, die wir geführt haben, auch durch die gemeinsame Erklärung, die wir beim letzten Welt-Suizid-Präventionstag 2016 zusammen verfasst haben, dass das durchaus möglich gewesen wäre. Ich glaube, das hätte uns angesichts der grundlegenden Bedeutung dieses Themas gut angestanden. Aber ich glaube, das Ganze ist damit nicht zu Ende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir alle sind aufgerufen, uns beispielsweise am 10. September 2017 wieder gemeinsam für die Enttabuisierung des Suizids einzusetzen und dieses Thema besprechbar zu machen. Gerade die Politik ist aufgerufen, in dieser Beziehung zu helfen, und in diesem Zusammenhang wäre ein gemeinsames Signal durchaus förderlich. Wir haben es eben gehört: Jeder braucht in der Tat einen Menschen, der bereit ist, ihm zuzuhören, da zu sein. Genau daran hapert es ja sehr oft. Dass es hapert, hat auch damit zu tun, dass dieses Thema so stark mit Tabus, mit Vorurteilen, mit Ängsten, mit Scham belegt ist. Das alleine macht oftmals frühzeitige Hilfe unmöglich oder erschwert sie, weil das Thema einfach nicht beredbar ist. Das zeigt schon, wie wichtig der Zusammenhang von Aufklärung, Information und Akzeptanz gerade für diesen Bereich ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir es schaffen, eine gemeinsame Haltung zu haben. Ich sage das auch im Hinblick darauf, dass wir ja eine durchaus schwierige Debatte zum Thema Sterbehilfe hatten. Das ist ein ganz anderer Themenbereich, aber er zeigt: Immer dann, wenn nicht genug zur Suizidprävention und zur Hilfeleistung im Vorfeld getan wird, kommen Menschen in Situationen, wo sie tatsächlich das Gefühl haben, dass es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Wir wissen: In der Regel ist das eine Verengung der Sichtweise und die Zuspitzung einer Lebenskrise. Oftmals sind das Reichen einer Hand, die helfende Hand, aber auch das Zuhören ganz wichtige Faktoren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von daher finde ich es ganz wichtig, dass wir es geschafft haben, diese interfraktionelle Initiative zu ergreifen. Es ist wahr: 2015, als wir unseren Antrag eingebracht haben, enthielt er einige Punkte mehr. Aber letztendlich, Frau Wöllert, ist es nicht entscheidend, ob wir eine vollständige Aufzählung der Ursachen und der Handlungsansätze machen und ob wir uns vollkommen einig sind. Es ist wichtig, dass wir uns darüber einig sind, dass wir etwas tun wollen, dass wir uns darüber einig sind, dass wir unsere Hilfen und Angebote bündeln müssen, besser aufeinander abstimmen müssen und dass wir in den jeweiligen Bereichen das tun, was uns möglich ist. Daran scheitern wir im Bundestag häufig, weil wir Hilfeleistungen auf verschiedene Sozialgesetze verteilen, weil mal der Bund, mal die Länder, mal die Kommunen zuständig sind. Das ist aber etwas, was der einzelne Mensch in einer solchen Situation gerade nicht gebrauchen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist es so wichtig, dass wir diese gemeinsame Erklärung, die 18 Handlungspunkte, die genannt worden sind, als eine Verbindlichkeit ansehen, die wir in die nächste Wahlperiode mitnehmen. Wir müssen darauf schauen: Sind unsere Hilfsangebote wirklich angemessen? Sind sie stetig genug? Sind sie gut genug aufeinander abgestimmt? Gestern Abend, sehr spät, hatten wir eigentlich die gleiche Debatte: die Debatte über die Kinder von psychisch kranken Eltern. Dort haben wir eine ganz ähnliche Gemengelage. Von daher bin ich sehr froh, dass wir es geschafft haben, diesen Antrag auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dass wir hier weitermachen. Es geht um die Verkürzung von Wartezeiten für die Psychotherapie, es geht um die Verstetigung von Beratungsangeboten von verschiedenen psychosozialen Initiativen und Beratungsstellen, es geht um die Arbeit – sie wurde schon genannt – von [U25], einem Onlineberatungsangebot von Jugendlichen für Jugendliche, das für dieses Jahr finanziert ist, aber nicht darüber hinaus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sollten wir als Ansporn nehmen, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass eine solch wichtige Arbeit, bei der eine bundesweite Onlineberatung angeboten wird, rechtzeitig verstetigt wird, und solche niederschwelligen Angebote auch wirklich vorzusehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In dem Sinne bin ich sehr froh, dass es zu dieser gemeinsamen Initiative gekommen ist. Ich hoffe, dass wir weiter gemeinsam daran arbeiten. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt Ute Bertram das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ute Bertram (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten und beschließen heute über ein Thema, das eines der traurigsten und tragischsten Kapitel menschlicher Existenz betrifft, nämlich den Suizid, den Selbstmord. Es gibt ihn, seit es die Menschheit gibt, und es wird ihn so lange geben, wie es die Menschheit gibt. Er war und ist Gegenstand der Philosophie und Literatur. Er hat inhaltlich eine Öffnung erfahren, die sich im Begriff des Freitods ausdrückt. Auch geschichtlich, vor allem kirchengeschichtlich hat der Suizid eine Wandlung erfahren. Sah man im Selbstmörder vor allem den Mörder, der sich an seinem Leben vergangen hat, das er von Gott geschenkt bekommen hatte, so sind wir heute, zu Recht, wie ich meine, davon abgekommen, im Suizid ein moralisches oder gar tatsächliches Unrecht zu sehen. Auch die auslösenden Momente können sehr verschieden sein. Sie reichen von einer tiefen Depression über eine ausweglos erscheinende Konfliktsituation bis hin zum sogenannten Bilanzsuizid. Auch äußerliche Ursachen, wie individuelle Diskriminierung oder politische Umwälzungen, können nachweislich zum Suizid führen. Meine Damen und Herren, heutzutage stehen Überlegungen im Mittelpunkt, wie suizidales Verhalten vermieden oder zurückgedrängt werden kann. Dies gilt ganz dezidiert auch für den vorliegenden Antrag, den die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen nach intensiver Vorbereitung gemeinsam eingebracht haben, wofür ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanke. In Deutschland beklagen wir rund 10 000 Todesfälle, die auf Suizid zurückzuführen sind – pro Jahr. Schätzungen gehen davon aus, dass auf einen vollendeten Suizid zehn Versuche kommen. Im Antragstext stellen wir fest, dass ein großer Teil der Suizide und der Suizidversuche Ausdruck einer psychischen Krise oder einer psychischen Erkrankung ist. Nur zu einem kleinen Teil ist der Suizid das Ergebnis einer souveränen Entscheidung. Also müssen präventive Maßnahmen hier ansetzen. Unentbehrlich ist dabei, dass die Menschen in psychischen Krisen niederschwellige und vor allem schnelle Hilfe erreicht. Dies kann aber auch nur geschehen, wenn eine suizidale Gefährdung frühzeitig erkannt wird. Dafür ist generell ein vorurteilsfreier Umgang der Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen notwendig. Es ist aber auch der gesamtgesellschaftliche Aspekt unabdingbar, dass das Umfeld des Suizidgefährdeten die Lage konkret erfasst und tätig wird. Für die Politik stellt sich die Suizidprävention als bereichsübergreifende Querschnittsaufgabe dar, zu der die unterschiedlichen staatlichen und nichtstaatlichen Akteure in unterschiedlichster Art und Weise beitragen können und müssen. Mit diesem Antrag an die Adresse der Bundesregierung wollen wir mit einem 18 Punkte umfassenden Forderungskatalog erreichen, dass der Bund möglichst alle Register zieht, um Suizidprävention zu stärken. Zu diesen Forderungen gehört, dass die Prävention psychischer Krankheiten ressortübergreifend wahrgenommen wird und gemeinsam mit den Ländern darauf hingewirkt wird, psychischen Erkrankungen vorzubeugen, sie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Dasselbe gilt für die Förderung der seelischen Widerstandskraft. Die Suizidprävention muss auch im Rahmen der Nationalen Präventionskonferenz ihren Niederschlag finden; hier ergeht die Aufforderung an die Bundesregierung, auf Modellvorhaben für niedrigschwellige und schnell zugängliche Leistungen hinzuwirken. Ein weiterer Punkt, den ich herausheben möchte, ist die stärkere Berücksichtigung älterer und alter Menschen, auch gerade derjenigen, die in Einrichtungen der Altenhilfe leben. Denn hier entwickeln sich oft Depressionen, die unerkannt bleiben und deshalb nicht oder nur unzulänglich behandelt werden. Wir müssen auch noch stärker unser Augenmerk auf Regelungen im Baurecht richten, die einen Suizid möglichst verhindern. Hier sind vor allem psychotherapeutische und psychiatrische Einrichtungen sensible Orte. Aber auch Stellen, die sich als bevorzugte Orte für Suizide erwiesen haben, müssen systematisch präventiv um- oder ausgestaltet werden. Meine Damen und Herren, im Bereich der Prävention kann die Bundesregierung viel tun, auch die Länder und die Kommunen. Auch ehrenamtliches Engagement ist hier möglich; das kann ich Ihnen als Mitglied im Verein für Suizidprävention Hildesheim authentisch bestätigen. Doch mein Appell lautet: Jeder kann suizidpräventiv wirken. Dies setzt in erster Linie voraus, dass wir – jeder und jede von uns – unsere Umgebung, unsere Mitmenschen aufmerksam und mit Anteilnahme wahrnehmen. Kein Suizid kommt aus dem Nichts. Meistens geht ihm ein Hilferuf voraus, oft ein stiller. Deshalb müssen wir alle besonders gut zuhören, nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen. Stimmen Sie bitte dem Antrag zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Dirk Heidenblut für die SPD-Fraktion. Bitte schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dirk Heidenblut (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Ich freue mich auch, dass wir hier – auch wenn wir über ein Thema reden, über das man sich sicherlich nicht freuen kann – endlich zu einer gemeinsamen Initiative kommen. Ich erlaube mir, ein Wort einer meiner Vorrednerinnen aufzugreifen – ich halte es für eine sehr schöne Formulierung –: dass wir das Thema weiter besprechbar machen. Allein das ist schon ein ganz wichtiger Ansatz. Denn schon dadurch, dass wir uns hier mit diesem Antrag beschäftigen, bewirken wir etwas. Frau Kollegin Wöllert, ich war auch sehr froh, dass wir schon im letzten Jahr etwas machen konnten. Ich gebe Ihnen auch recht: Wir waren an einigen Stellen weiter. Aber so schlecht, wie Sie ihn machen, finde ich unseren Antrag auch wieder nicht. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: So schlecht habe ich ihn auch gar nicht gemacht!) Aber es ist ganz wichtig, dass wir an der Stelle – das will ich deutlich sagen – wirklich zeigen, dass wir gemeinsam etwas tun wollen, weil uns 10 000 Tote nicht kalt lassen, weil uns die Menschen, die im Suizid den einzigen oder zumindest einen Ausweg sehen, wichtig sind und weil wir sie von diesem Ausweg nach Möglichkeit abbringen wollen. Das ist unser Kernansatz. Der Kollege Henke hat zu Recht deutlich gemacht: Das können wir nicht alleine tun. – Das werden wir am Ende auch nicht mit dem vorliegenden Antrag schaffen. Aber wir können dafür sorgen, dass nicht nur darüber geredet wird, sondern dass damit auch die Aufmerksamkeit geschärft wird; meine Vorrednerin hat das sehr deutlich gemacht. Nur wenn wir alle aufmerksam sind, bekommen die betreffenden Menschen den ersten Zugang. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sehen den Antrag als gemeinsames Zeichen. Ich hätte mir durchaus gewünscht, dass wir einen gemeinsamen Antrag vorlegt hätten. Ich würde mich freuen, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Linken, doch noch zu einer Zustimmung kommen könnten. In unserem Antrag steht nichts, dem man nicht zustimmen kann. Sicherlich kann das eine oder andere noch verbessert werden. Aber daran kann man arbeiten. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Dann machen wir ihn gemeinsam!) Der Antrag ist letzten Endes durchaus wegweisend. Die Gründe der Menschen für einen Suizid sind vielfältig. Es ist auch nicht an uns, eine Aussage über diese Gründe zu treffen. Aber es ist sehr wohl an uns, dafür zu sorgen, dass solche Gründe nicht vorhanden sind oder dass die Rahmenbedingungen, wenn solche Gründe vorhanden sind, so sind, dass sich statt eines Suizids eine andere Möglichkeit findet. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Ein Grund ist sehr häufig eine psychische Erkrankung oder zumindest eine massive psychische Belastung. Daher ist es nach wie vor fatal, dass Menschen in vielen Situationen oft monatelang auf den ersten Ansprechpartner warten müssen, der ihnen in fachlicher Hinsicht in irgendeiner Form Hilfe leisten kann. Es ist richtig, dass wir als Große Koalition den G-BA aufgefordert haben, hier endlich zu handeln und dafür zu sorgen, dass im Rahmen der Psychotherapie-Richtlinie schnellere und bessere Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden. Aber das muss – diese Bemerkung sei mir an dieser Stelle gestattet – nun auch umgesetzt werden. Dazu gehört auch, dass die handelnden Fachkräfte wie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten durch entsprechende Ausstattung, Zeitkontingente und angemessene Bezahlung in die Lage versetzt werden, die von uns gewollten Angebote zu eröffnen. Das ist ein wesentlicher Punkt. Der Kollege Henke hat nicht zu Unrecht die Frage angesprochen, ob wir bestimmte Medikamente eigentlich zugänglich machen müssen, um sozusagen den Suizid zu ermöglichen. Ich möchte darauf nicht näher eingehen, nur so viel: Wir müssen auch in entgegengesetzter Richtung vorgehen. Wenn wir bestimmte Medikamente, die Menschen in den gerade geschilderten ausweglosen Situationen, in denen jedwede andere Behandlung nicht gewirkt hat, brauchen – ich spreche ausdrücklich Cannabis als Medikament an –, für nötig halten und der Meinung sind, dass die betreffenden Menschen sie erhalten sollen, dann dürfen wir erwarten, dass der G-BA diese Medikamente zügig verfügbar macht; denn solche Medikamente zurückzuhalten sowie Menschen in ihrem Leid, ihrem Elend und in ausweglosen Situationen alleine zu lassen, ist wahrlich keine Suizidprävention, sondern das genaue Gegenteil. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ) Wir haben viel erreicht und viele Aspekte berücksichtigt. Wenn wir uns den aufgelisteten 18 Punkten – vor allem in der nächsten Legislaturperiode – im Detail intensiv widmen, können wir noch viel mehr Prävention erreichen. Eines ist ganz wichtig: Wir müssen Menschen, die meinen, in einer ausweglosen Situation zu sein, die Hoffnung geben, dass es weitergeht. Nachdem so viele schöne Projekte angesprochen wurden, möchte ich auf ein weiteres hinweisen. Der Verband, dem ich angehöre, hilft mit einem sogenannten Wünschewagen bundesweit Menschen, die vor dem Tod stehen und um ihr Leben kämpfen. Das ist ein tolles Projekt, das zu erwähnen, an dieser Stelle gut passt. Wenn man bis zum Schluss weiß, dass man es wagen kann, Wünsche zu haben, dass das Leben noch lebenswert ist, dann ist das ein ganz wesentlicher Schutz vor Suizid. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich würde mich sehr freuen, wenn doch noch alle dem Antrag zustimmen könnten. Ich glaube, dass nichts dagegen spricht. Danke schön. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat jetzt Hubert Hüppe das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist ein gutes Zeichen, dass wir zum Abschluss dieser Legislaturperiode diesen Beschluss fassen. Er bringt unsere gesundheitspolitische und ethische Überzeugung zum Ausdruck. Wir sagen – das hat eben schon der eine oder die andere gesagt –: Jeder Suizid und jeder Suizidversuch ist einer zu viel. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war bei der Einbringung nicht so!) Deswegen – auch das beinhaltet dieser Antrag – ist es richtig, dass wir uns den gefährdeten Menschen zuwenden und ihnen Hilfen anbieten. Wir machen ferner deutlich: Der Staat ist Garant des Lebens, nicht der Garant für einfache Wege und wirksame Mittel zur Selbsttötung. Die heutige Vorlage kommt im wahrsten Sinne aus der Mitte des Hauses; das ist bereits gesagt worden. Sie bringt zum Ausdruck – das finde ich ganz wichtig –, dass Suizidprävention möglich ist, dass man wirklich etwas für die gefährdeten Menschen tun kann. Ich halte es übrigens für ganz wichtig, dass in diesem Antrag auf die UN-Behindertenrechtskonvention Bezug genommen wird; denn da heißt es: Man muss dafür sorgen, dass das Bewusstsein entsteht, dass zum Beispiel psychisch kranke, depressive Menschen zu uns gehören, und wir müssen aufpassen, dass diese nicht diskriminiert werden und keine Angst haben müssen, dass ihnen, wenn sie über ihre Erkrankung sprechen, nur Ablehnung oder möglicherweise sogar soziale Konsequenzen entgegenschlagen. Dieses Bewusstsein gibt es überhaupt noch nicht. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Welcher Arbeitnehmer würde sich denn trauen, seinem Arbeitgeber zu sagen, dass er depressiv ist, dass er psychische Probleme hat; das würde sich doch kaum einer trauen. Meine Damen und Herren, sprechen wir doch mal über uns selber – wir können ja immer gut über andere reden –: Würde sich denn einer von uns trauen, während des Wahlkampfes, wenn man darauf angesprochen wird, zu sagen: „Ja, ich bin depressiv, ich habe psychische Probleme“? Da kann jeder einmal in sich gehen. Das ist nicht einfach. Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, die Möglichkeit zu schaffen, dass sich diese Menschen auch an anonyme Adressen wenden können – einige wurden genannt –, damit sie, wenn sie in gefährlichen Situationen sind, rund um die Uhr die Möglichkeit haben, Menschen anzusprechen; denn Krisen gucken nicht auf die Uhr und halten sich nicht an Arbeitszeiten, vielmehr können sie abends entstehen, sie können nachts entstehen, sie können morgens entstehen. Da hier schon einige gute Institutionen genannt worden sind, danke ich an dieser Stelle den 104 in Deutschland vorhandenen Telefonseelsorgestellen, weil sie gute Arbeit leisten und wahrscheinlich schon dem einen oder anderen – auch jungen Menschen – geholfen haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier wird deutlich, dass wir sehr unterschiedliche Gruppen haben. Wir haben einmal den stetig wachsenden Anteil von älteren Menschen, die befürchten, dass sie, wenn sie ins Heim kommen, von anderen abhängig werden. Dafür zu sorgen, dass sie dann so weit wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld leben können, hat übrigens etwas mit Inklusion zu tun. Auch das ist Prävention, zu sagen: Die Menschen sollen – solange es eben geht – in ihrem gewohnten Umfeld leben können. Daneben gibt es die jungen Menschen, die zum Teil neuen Gefahren ausgesetzt sind – Stichwort: Cybermobbing. Auch das gilt es zu beobachten. Es gibt eine Gruppe, die im Antrag noch nicht angesprochen wurde – wenn wir in der neuen Legislaturperiode darüber sprechen, ist es mir ein wichtiges Anliegen, dass wir auch über diese Menschen sprechen –: Es sterben auch Menschen in Justizvollzugsanstalten. Dass Menschen sich in Gefängnissen umbringen, ist dort die häufigste Todesursache. Auch das ist eine wichtige Gruppe, bei der wir überlegen müssen: Wie können wir erreichen, dass die Signale dort aufgenommen werden? Ein letzter Punkt. Es ist natürlich auch wichtig, wie die Öffentlichkeit damit umgeht. Wie gehen die Medien damit um? Es ist schon über den sogenannten Werther-Effekt gesprochen worden. Es gibt bekannte Sportler, bekannte Schauspieler, die sich selbst getötet haben. Die Folge war nicht selten, dass in den Monaten darauf dies für viele, die schon gefährdet waren, der letzte Impuls war, umzusetzen, was sie sich vorher nur vorgenommen hatten. Weil es üblich geworden ist, sich über Medien zu beschweren, möchte ich an dieser Stelle den Medien einen herzlichen Dank aussprechen, die in den allermeisten Fällen sehr sensibel mit diesem Problem umgehen. Wenn sie berichten, weisen sie meistens gleich auf Hilfsangebote hin. Auch dafür, denke ich, kann man einmal Dank sagen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es bleibt viel zu tun. Wichtig ist, dass von dieser Debatte heute ein Signal ausgeht und es auch ein Signal für die nächste Wahlperiode sein wird, das zeigt, dass wir uns für die Würde eines jeden Menschen einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist beendet. Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12782 mit dem Titel „Suizidprävention weiter stärken – Menschen in Lebenskrisen helfen“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c sowie Zusatzpunkt 11 auf: 34. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland Drucksachen 18/11413, 18/12656 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung sicherstellen Drucksachen 18/6191, 18/12777 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen Drucksachen 18/11412, 18/12778 ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen Drucksache 18/12794 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Debatte 38 Minuten vorgesehen. – Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält der Kollege Sönke Rix von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte gar nicht damit gerechnet, als Erster zu reden. Irgendwie war ich im falschen Film. Ich dachte, da es Oppositionsanträge sind, spricht als Erstes ein Redner von der Opposition; (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch gedacht!) aber wir sprechen ja über das Votum des Ausschusses. – Das hast du auch gedacht? Wunderbar. Wir können ja noch tauschen. Nein, ich fange einfach einmal an. Allerdings kann ich jetzt nicht, wie das sonst so meine Art ist, auf die Vorrednerinnen und Vorredner eingehen. (Heiterkeit) Ich habe mir aber vorweg einige Gedanken gemacht, was sie wohl sagen werden, und natürlich habe ich auch die Anträge gelesen. So ist es ja nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Heiterkeit) Ich möchte in erster Linie auf den Antrag der Grünen zur Gleichstellungspolitik allgemein eingehen. Meine Kollegin wird nachher noch auf die bildungs- und gleichstellungspolitischen Fragen eingehen. Dieser Antrag bietet eine gute Gelegenheit, am Ende der Wahlperiode Resümee zu ziehen und zu betrachten, was wir in der vergangenen Zeit geleistet haben. Da es im Antrag heißt, wir hätten viel zu wenig getan und könnten noch mehr tun, möchte ich auf ein paar Aspekte verweisen. Im Antrag wird gefordert, mehr Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ergreifen. Ich finde, mit dem Elterngeld Plus haben wir eine besonders gute Maßnahme zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergriffen, weil damit die Partnerschaftlichkeit in den Mittelpunkt gerückt und deutlich gemacht wird, dass nicht nur ein Elternteil die Arbeitszeit reduzieren soll, um mehr Zeit für die Familie zu haben; vielmehr wollen wir die Chance bieten, dass sich beide Elternteile dafür Zeit nehmen. Das Elterngeld Plus ist eine hervorragende Maßnahme. Wir können das Elterngeld Plus auch zu einer Familienarbeitszeit ausbauen; das ist gar keine Frage. Ich weiß, die Grünen haben ähnliche Ideen. Manuela Schwesig hatte bereits einen entsprechenden Entwurf angekündigt. Unser Koalitionspartner ist noch nicht bereit, das mitzumachen. Darüber werden wir uns dann einfach im Wahlkampf streiten. Es wäre gut, wenn wir in der nächsten Wahlperiode hier eine Mehrheit hätten, um eine gesetzlich verbindliche Familienarbeitszeit einzuführen. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch sagen, dass wir Sozialdemokraten traurig sind, dass wir eines, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, nicht umsetzen konnten. Es scheiterte an der Bereitschaft unseres Koalitionspartners, an dieser Stelle große Schritte zu machen. Ich meine das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit. (Beifall bei der SPD) Das haben wir bitter nötig. Wir alle wissen – aber anscheinend ist das einigen noch nicht richtig bewusst –, dass wir hier ein Problem haben; denn durch das nicht vorhandene Rückkehrrecht drängen wir Frauen in Altersarmut. Ich finde, wir sind gut beraten, so schnell wie möglich, vielleicht mit neuen Mehrheiten, ein Rückkehrrecht in diesem Parlament zu beschließen. (Beifall bei der SPD) Ich will auf drei Dinge eingehen, die wir geleistet haben und die zumindest in der Gleichstellungspolitik ein Stück weit historisch sind. Das eine ist die Einführung der gesetzlichen Frauenquote. Ich finde, es war ein erster wichtiger Schritt, dass wir die gesetzliche Frauenquote bei größeren Unternehmen eingeführt haben. Ich weiß, dass man die Frauenquote auch für kleinere Unternehmen hätte einführen können – auch wir hätten hier viel mehr gewollt –; aber dass wir überhaupt eine gesetzliche Frauenquote haben, ist, wie ich finde, ein großes Verdienst dieser Regierungskoalition. Ich will an dieser Stelle sagen: Herzlichen Dank an alle Fraktionen, vor allem an die Frauen in allen Fraktionen! Die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit hat dafür gesorgt, dass der Druck auf uns männliche Kollegen so groß wurde, dass wir diese gesetzliche Regelung geschaffen haben. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der SPD – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Ein Hoch auf die Frauensolidarität!) Auch bei der Frage der Lohngerechtigkeit haben wir einen, wie ich immer sage, kleinen, aber wichtigen Schritt unternommen. Wir haben Lohntransparenz hergestellt, damit Frauen für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn bekommen. Ich finde es richtig, dass wir eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen haben. Wir sorgen für Transparenz, um der Lohndiskriminierung entgegenzuwirken. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich weiß, dass wir im Parlament und in der Gesellschaft hart darum gerungen haben. An dieser Stelle gilt mein herzlicher Dank auch allen außerhalb des Parlaments, die daran mitgewirkt haben, dass wir das umsetzen konnten. In der nächsten Wahlperiode werden wir weitere und deutlichere Schritte auf dem Weg zur Lohngerechtigkeit unternehmen; aber die ersten Schritte wurden unternommen. Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, auch wenn dieses Thema nicht federführend bei uns im Familien- und Frauenausschuss behandelt wurde: die Reform des Sexualstrafrechts. Wir wissen, dass auch dieser Erfolg nur dank der guten Zusammenarbeit der Frauenpolitikerinnen und -politiker, insbesondere der weiblichen Kollegen, möglich wurde. Nur dadurch ist es gelungen, „Nein heißt Nein“ verbindlich ins Gesetz zu schreiben. Bei diesem Gesetzesvorhaben haben vor allem die Frauen aus der Zivilgesellschaft dazu beigetragen, dass das am Ende einstimmig, also mit einem starken Votum, beschlossen worden ist. Dieser lange Kampf der frauenpolitischen Szene hat sich gelohnt, weil wir nun endlich verbindlich „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht festgeschrieben haben. (Beifall bei der SPD) Weil wir am Ende der Wahlperiode stehen, kann man schon auf die nächste Wahlperiode blicken. Laut Umfrageergebnissen sieht es im Moment so aus, dass – ich denke, das befürchten wir gemeinsam – Rechtspopulisten in unser Parlament einziehen könnten. Wir arbeiten – hoffentlich gemeinsam – daran, dies zu verhindern. Dieser Umstand macht aber deutlich, dass das, was wir hier mit großen Mehrheiten beschlossen haben und was wir für selbstverständlich halten und als Grundwerte ansehen – Gleichstellung, Gleichberechtigung –, keine Selbstverständlichkeit ist. Diese Rechtspopulisten ziehen in ihren Programmen und Aussagen alles ins Lächerliche, was zu den Themen Gleichstellung, Gleichberechtigung und Frauenförderung auf der Tagesordnung steht. Dagegen sollten wir gemeinsam kämpfen. Auch wenn wir mit unterschiedlichen Schwerpunkten in den Wahlkampf gehen, wollen wir hoffentlich alle gemeinsam die AfD aus dem Parlament raushalten, um unsere Grundwerte, insbesondere zur Gleichstellung, weiterhin aufrechtzuerhalten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt Nicole Gohlke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist leider eine wirklich dürftige Bilanz, die die Große Koalition in puncto Gleichstellungspolitik und bei der Frauenförderung vorzuweisen hat. Union und SPD haben zu wenig getan. Das, was sie getan haben, war halbherzig. Die Situation hat sich im Kern kaum verbessert. Das hat dramatische Folgen für Frauen. Das muss sich endlich ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frauen werden im Schnitt um 21 Prozent schlechter bezahlt als Männer. Frauen sind besonders von Armut betroffen; denn vor allem Frauen arbeiten in Minijobs und im Niedriglohnbereich. Nicht zufällig werden gerade die Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, schlechter bezahlt. Es sind immer noch Frauen, die überwiegend unbezahlte Arbeit in Haushalt, Familie und Ehrenamt leisten; und am Ende, im Alter, sind sie es, die überwiegend in prekären Verhältnissen und Altersarmut landen. Frauen bekommen durchschnittlich ein Drittel weniger Rente als Männer. Das ist doch Wahnsinn! Das ist ein Skandal! (Beifall bei der LINKEN) Bei der Armut stellen Frauen die Mehrheit. An anderer Stelle sind Frauen eine Seltenheit, nämlich wenn es um die gutbezahlten Jobs in der Wirtschaft geht. Die Frauenquote in den Vorständen der 160 wichtigsten börsennotierten Unternehmen Deutschlands liegt bei peinlichen 6,7 Prozent. In der Wissenschaft stößt man auf das gleiche Problem: Frauen absolvieren zwar über die Hälfte aller Studienabschlüsse, bei den Promotionen liegt der Frauenanteil noch immer bei über 40 Prozent; aber bei den Habilitationen und Professuren, also genau da, wo es um die Karriere geht, bricht der Frauenanteil auf 18 Prozent ein. Das ist die Situation im Jahr 2017, und das ist nichts anderes als systematische und strukturelle Diskriminierung. Die gehört endlich beendet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Obwohl die Situation so ist, wie ich sie beschrieben habe, und obwohl die Ungerechtigkeit so offensichtlich und so massiv ist, führen die neuen rechten Kräfte einen Feldzug gegen die vermeintliche Genderideologie und gegen die Gleichstellung, die ja in Wahrheit überhaupt nicht erreicht ist, aber überfällig wäre. Aber den neofaschistischen und autoritären Kräften wie der AfD reicht die bestehende Diskriminierung nicht aus, mit der die Menschen hier zu kämpfen haben. Die Diskriminierung von Muslimen oder Geflüchteten, die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung, das alles reicht ihr nicht aus. Kräfte wie die AfD wollen eine Gesellschaft der Ungleichheit und der Ungleichwertigkeit. Genau das gehört bekämpft. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Genau das macht zum Beispiel die Geschlechterforschung. Weil sie das macht, weil sie Ungerechtigkeiten offenlegt, gerät sie ins Visier der neuen Rechten. Deswegen müssen wir der Geschlechterforschung jetzt den Rücken stärken. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Wissenschaft hat sich mit den Genderstudies eine Disziplin etabliert, die die Beziehungen von Geschlecht und Gesellschaft erforscht und Mechanismen der Unterdrückung offenlegt. Es ist das Verdienst der Frauenbewegung und der Geschlechterforschung, dass inzwischen auch im Mainstream die Erkenntnis angekommen ist, dass die soziale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen mit Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit einhergeht, die gesellschaftlich und kulturell gemacht sind. Nur aufgrund der hartnäckigen Arbeit in den Instituten für Geschlechterforschung gibt es heute überhaupt Initiativen zur Förderung von Mädchen und Frauen, zum Beispiel in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, oder insgesamt Initiativen zum Abbau von beruflichen Geschlechterstereotypen. Strategien zur Förderung von Gleichstellung und Vielfalt wie zum Beispiel das Gender-Mainstreaming, das Diversity Management in Unternehmen oder auch der Ausbau der Infrastruktur von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, das alles ist ein gesellschaftlicher Fortschritt. Daran darf es keinen Zweifel geben. Das muss die Politik aber auch deutlich machen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn die AfD heute fordert, dass Bund und Länder – ich zitiere aus ihrem Wahlprogramm – „keine Mittel für die ‚Gender-Forschung‘ mehr bereitstellen“ dürfen und dass „‚Gleichstellungsbeauftragte‘ an den Universitäten ... abzuschaffen“ sind, dann erwarte ich aber auch einmal eine Reaktion oder Aktivität der Bundesregierung, die deutlich macht, dass solche rechten Vorstöße auf geschlossene Ablehnung stoßen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist auch der Vorschlag der Grünen, ein Nachwuchsprogramm in der Genderforschung aufzulegen, so sympathisch. Das wäre natürlich ein deutliches Signal an die Wissenschafts-Community, dass die Bundesregierung hinter der Wissenschaftsfreiheit steht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber vielleicht ist das Problem ja auch, dass einigen in der Union dieser ganze reaktionäre Mist gar nicht so fern ist. (Zurufe von der CDU/CSU: Was? – Wie bitte?) – Dann hören Sie mal zu. – Auch die Junge Union, Ihre Jugendorganisation, fordert, ganz im Gleichklang mit der AfD – auch das ist ein Zitat –, „die finanzielle Förderung der sog. Gender-Studies einzustellen“. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Dass solche Vorschläge gemacht werden, lässt tief blicken und sagt viel über das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit aus. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage ganz klar: Wer es heute mit der Wissenschaftsfreiheit ernst meint, der muss die Genderforschung verteidigen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion Gudrun Zollner das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, stellen wir fest, dass der privilegierte Zugang von Männern zu höherer Bildung jahrhundertelang die Vormachtstellung der Männer begründete. (Zuruf von der LINKEN: Hat aber nichts genutzt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Erst im Jahr 1900 erlaubte als erstes Bundesland das Land Baden Frauen das Hochschulstudium, und es sollte noch bis zum Jahr 1909 dauern, bis Frauen schließlich in ganz Deutschland studieren konnten. Deshalb freut mich die Meldung von letzter Woche, dass in Bayern so viele Frauen habilitiert wurden wie noch nie. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber wie konnten sich alte Rollenbilder so lange durchsetzen? Blicken wir zurück in die 50er-, 60er- und 70er-Jahre. Der 7. Sinn erklärte uns, dass der Rückspiegel in Autos von Frauen nur zum Lippennachziehen genutzt wird. Oder denken Sie an die Filme und Bücher über die gute Hausfrau, darüber, wie sie das Leben ihres Mannes erleichtern kann. Ein Werbespot aus dem Jahr 1954 behauptet, eine Frau habe zwei Lebensfragen: Was ziehe ich an? Was koche ich? – Und im BGB in der Fassung von 1958 lesen wir: Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist. Es ist auch dieses Denken, welches sich jahrhundertelang entwickelt hat, das uns auf dem Weg zur Gleichstellung noch immer ausbremst. Wir werden das nicht von heute auf morgen umstellen können, dabei handelt es sich um eine Generationenaufgabe, und das kann die Politik auch nicht alleine. Wir müssen die alten Zöpfe endlich abschneiden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aus dieser Rollenverteilung heraus entstanden auch die schlecht bezahlten Frauenberufe. Sie waren ja nur als Zuverdienst gedacht. Hier müssen wir dringend ansetzen. Erzieherinnen, Altenpflegerinnen usw. – ich könnte die Liste beliebig fortsetzen – leisten einen unschätzbaren Beitrag für uns alle auf hohem Niveau. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ja, da darf auch mal geklatscht werden. – Deshalb war unser Beschluss von gestern, dass im Bereich der Altenpflege kein Schulgeld mehr bezahlt werden muss, so wichtig und auch überfällig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es sind auch nicht mehr automatisch Männer, die die Haupternährer der Familien sind. Im Gegenteil: Viele Frauen, zum Beispiel Alleinerziehende, übernehmen diese Rolle immer häufiger. Die Aufwertung dieser frauenspezifischen Berufe – auch die finanzielle Aufwertung – sollte eine prioritäre Aufgabe des Familienministeriums sein. Dass wir die Gleichberechtigung von Frauen und Männern noch besser voranbringen wollen, steht außer Frage. Die wichtigste Aufgabe ist daher, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu verbessern. Ich möchte an dieser Stelle auch das Ehrenamt hinzunehmen, dessen Bedeutung in unserer Gesellschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Wir haben dafür in den letzten Jahren viele Gesetze auf den Weg gebracht und sehr viel Geld in die Hand genommen. Kollege Rix hat schon einige Maßnahmen aufgezählt. Um nur kurz einige zu erwähnen: Elterngeld Plus, Familienpflegezeit, Kitaausbau, Frauenquote, Entgelttransparenzgesetz. Bevor weitere Forderungen gestellt werden, sollten wir erst einmal die positiven Wirkungen dieser Gesetze abwarten. Dass wir in Deutschland auf einem guten Weg sind, bescheinigt uns auch die OECD-Studie „Dare to Share“. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Darin wird festgestellt, dass Deutschland in den vergangenen Jahren die Voraussetzungen für die Erwerbstätigkeit von Müttern deutlich verbessert hat und wir eines der OECD-Länder mit der dynamischsten Familienpolitik und den höchsten Frauenerwerbsquoten sind. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und mit der Ausgestaltung des Elterngeldes haben wir bereits wichtige Voraussetzungen für eine gleichmäßigere Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Elternteilen geschaffen. Am Mittwoch dieser Woche haben wir bei der Regierungsbefragung zum Gleichstellungsbericht viel über Gender Care Gap und Gender Pension Gap gehört. Wer fordert, die Erziehungs- und Pflegeleistungen, die für Angehörige zu Hause erbracht werden, finanziell anzuerkennen, hat unsere volle Unterstützung. Wer aber gleichzeitig gegen das Betreuungsgeld ist, was genau hier ansetzt, widerspricht sich in meinen Augen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Ach, Gudrun!) Wer das eine fordert, kann das andere nicht ablehnen. Dasselbe gilt beim Gender Pension Gap. Aufgrund geringerer Erwerbszeiten und niedrigerer Löhne haben Frauen weniger Rentenansprüche. Wer sich zu Recht daran stört, darf konsequenterweise nicht gegen die von der CSU geforderte Mütterrente sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann aus Steuergeldern!) Eine wichtige Aufgabe für die Politik der Zukunft wird das Thema „Gleichberechtigung von Frauen“ bei den Flüchtlingen sein. Gerade hier ist die männerdominierte Denkweise sehr ausgeprägt vorhanden. Dem müssen wir von Anfang an entgegentreten, auch den betroffenen Frauen zuliebe. Vor allem Deutschkurse ermöglichen es den Frauen, sich zu integrieren und ihre Kinder in diesem Sinne zu erziehen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mir die vorliegenden Anträge durchlese, stellt sich mir die Frage: Ist für Sie Gleichberechtigung nur dann erreicht, wenn beide in Vollzeit arbeiten? (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Dann haben Sie aber nicht gut gelesen!) Ich finde, nein. Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann ist für mich eine gleichberechtigte Aufteilung der täglichen Aufgaben und Pflichten in einer Partnerschaft, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) und es obliegt dieser Partnerschaft, dies eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu tun. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und alle Möglichkeiten zu haben! Dafür müssen wir sorgen!) Meinen Ausführungen können Sie also entnehmen, dass wir Ihre Anträge heute ablehnen werden. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist inkonsequent!) Eine bayerische Politikerin sagte einmal: Nur der Mann von gestern hat Angst vor der Frau von heute. (Dr. Claudia Lücking-Michel [CDU/CSU]: Na ja!) In diesem Sinne freue ich mich, hier viele Männer von heute zu sehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Because it’s 2015.“ Das sagte der kanadische Premierminister Justin Trudeau auf die Nachfrage, warum sein Kabinett zu 50 Prozent mit Frauen besetzt sei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) 50 Prozent Frauen im Kabinett, das ist doch selbstverständlich. Diese Haltung, liebe Kolleginnen und Kollegen, würde ich mir auch von Angela Merkel wünschen. Aber die Bundeskanzlerin verfällt ja regelrecht in Schockstarre, wenn sie auf einem Podium gefragt wird, ob sie Feministin sei. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Quatsch! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Das ist alles andere als überzeugend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wie sieht es bei uns mit der Gleichstellung aus? Der Zweite Gleichstellungsbericht zeigt: Der Fortschritt ist eine Schnecke. Das darf nicht so bleiben. 2013 in Deutschland – ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD –: Dazu werden wir das Teilzeitrecht weiterentwickeln und einen Anspruch auf befristete Teilzeit schaffen … Eine richtig gute Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir unterstützen das sehr. Warum ist das Rückkehrrecht so wichtig? Es holt Frauen aus der Teilzeitfalle mit all den positiven Folgen für ihr Einkommen, ihre Unabhängigkeit, ihre Alterssicherung. Es ebnet auch Männern den Weg, für die Kindererziehung, für die Pflege des erkrankten Vaters, für eine aufwendige Weiterbildung in Teilzeit zu gehen, weil auch die Männer wissen: Ich komme aus dieser Teilzeit wieder heraus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Rückkehrrecht auf Vollzeit – 2013 im Koalitionsvertrag festgelegt – ist im Sommer 2017 sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden. Es ist gescheitert. Das ist schwarz-rote Gleichstellungspolitik. Viel Lärm um wenig! Ich finde, die Frauen und auch die Männer in diesem Land haben wirklich mehr verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Claudia Lücking-Michel [CDU/CSU]) 2015 in Deutschland: große Party für das Quotengesetz. Was ist daraus geworden? Die Frauenquote für Vorstände blieb unverbindlich. 2017 stellt Manuela Schwesig fest – Zitat –: Da, wo sich Unternehmen selbst die Zielvorgaben setzen können, sagen tatsächlich welche: null. Es ist nun wirklich keine Überraschung, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass eine unverbindliche Quote nicht wirkt. Um das vorauszusehen, muss man wirklich keine Prophetin sein. Gegen Vorstände in Männerhand hilft nur eine verbindliche Frauenquote. Hier bleibt das Quotengesetz leider halbherzig. Das rächt sich nun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) 2016 in Deutschland: Entwurf eines Entgeltgleichheitsgesetzes. Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet. Der Gesetzentwurf wurde regelrecht filetiert und schrumpfte zum Transparenzgesetz: mehr Transparenz nur für Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten. Etwas mehr Transparenz für weniger als die Hälfte aller Frauen, das hat mit echter Entgeltgleichheit wirklich gar nichts mehr zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die wirklich wirkungsmächtigen Prüfverfahren bleiben unverbindlich. Sie sind überhaupt nur für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten vorgesehen. Für dieses Gesetz – das muss man leider sagen – ist sogar der Terminus „Bettvorleger“ ein regelrechter Euphemismus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist ja nicht so, als würde die schwarze-rote Gleichstellungspolitik nur von uns kritisiert. Dafür genügt ein Blick in das neue Gutachten zum Zweiten Gleichstellungsbericht. Frauen kümmern sich fast doppelt so häufig um die Angehörigen, haben aber nur die Hälfte der Rentenansprüche, die Männer haben. Das nenne ich eine Statistik der Ungerechtigkeit, und das muss dringend ein Ende haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Schon im Ersten Gleichstellungsbericht wurden die neuralgischen Punkte benannt: Rückkehrrecht, Minijobs und Ehegattensplitting. Was ist in den sechs Jahren seit dem Ersten Gleichstellungsbericht in diesen Punkten passiert? Es ist überhaupt nichts passiert. Es waren sechs verschenkte Jahre. Das darf im Sinne der Frauen auf keinen Fall so weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vieles, was im Bereich der Gleichstellung in den letzten Jahren und Jahrzehnten erkämpft worden ist, ist aktuell mächtig unter Beschuss. Rechte mobilisieren gegen den angeblichen Genderwahn, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, geschlechtergerechte Sprache und neue Rollenbilder. Für die Rechtspopulisten und die AfD scheint es regelrecht eine neue Lieblingsbeschäftigung zu sein, gegen die Geschlechterforschung zu agieren. Forscherinnen und Forscher, die sich mit Geschlechterforschung beschäftigen, werden verhöhnt und beleidigt, und ihre Arbeit wird diskreditiert. Diesen Entwicklungen sollten wir alle gemeinsam ganz entschieden entgegentreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) An der Stelle entfalten sich mit voller Wucht wissenschaftsfeindliche Tendenzen. Der Weg in andere Wissenschaftsgebiete ist dann sicherlich auch nicht weit. Das Wissensgebiet Geschlechterforschung verdient es, finanziell gestärkt zu werden. Leider fällt der Bundesregierung auch dazu nicht viel ein. Die Fördersituation der Geschlechterforschung ist weiterhin prekär. Wir brauchen dringend neue Perspektiven für Gender in der Forschung. Auch da hat die Bundesregierung leider eine große Leerstelle in ihrer Bilanz. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Gleichstellungspolitik ist kein Schnee von gestern, sondern topaktuell. Es geht um gerechte Bezahlung, gerechte Renten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie um den Kampf gegen Gewalt und gegen Rollenstereotype. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Sie haben sie gelesen, und ich würde Ihnen raten: Stimmen Sie ihnen zu, damit wir heute sagen können: Because it’s 2017! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die SPD-Fraktion Dr. Daniela De Ridder. (Beifall bei der SPD) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Rängen! Liebe Kolleginnen der Opposition, ich wünschte mir so manches Mal mehr Frauensolidarität. Hätten wir die auch in diesem Parlament, dann müssten Sie doch anerkennen, dass wir in dieser Legislaturperiode so viel Frauenpolitik durchgesetzt haben und so viel Gewinnbringendes für Frauen erreicht haben wie selten zuvor, (Beifall bei der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!) beispielsweise die Frauenquote und das Entgelttransparenzgesetz. Das mag zwar alles nicht reichen, aber man muss es doch würdigen, anerkennen und unterstützen. Ich fahre fort mit dem Elterngeld Plus, der Familienpflegezeit und dem Kitaausbau. (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Mütterrente!) All dies sollte man anerkennen und würdigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sie haben ja recht: Wenn es darum geht, der AfD und ihren Kampfparolen gegen Gender-Mainstreaming und Genderforschung entgegenzutreten, dann müssen wir uns verbünden und dem gemeinsam solidarisch entgegentreten. (Beifall bei der SPD) Im Übrigen steht mit meiner Person gerade das Beispiel eines Hassobjekts am Rednerpult, liebe Frau Gohlke, nämlich mit Blick auf das, was die AfD verkündet. Ich war lange Genderforscherin, und ich war lange Gleichstellungsbeauftragte und damit für Gender-Mainstreaming zuständig. Ja, es ist eine Schande, dass Populisten Gleichstellung infrage stellen. Aber dabei soll es nicht bleiben. Gerade im Wissenschaftsbereich haben wir eine ganze Menge durchgesetzt. Lassen Sie mich daran erinnern, dass wir einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs geschlossen haben, der gerade auch die Karrierewege junger Nachwuchswissenschaftlerinnen in den Blick nimmt. Aber auch da gilt, dass wir die Frauen nicht isoliert betrachten dürfen, sondern dass wir auch junge Väter in den Blick nehmen müssen. Wenn Männer ein Teil des Problems sind, dann müssen sie doch auch ein Teil der Lösung sein. Das ist unerlässlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall der Abg. Dr. Claudia Lücking-Michel [CDU/CSU]) Da darf auch gerne geklatscht werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zweitens will ich noch einmal deutlich machen, dass der Arbeitsmarkt segregiert ist und dass Frauen – das hat Frau Kollegin Zollner schon angesprochen – auch dann entsprechender Würdigung und Anerkennung bedürfen, wenn sie sich für frauenspezifische Bereiche wie die Pflegewissenschaften entscheiden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Drittens haben wir Programme wie „Frauen an die Spitze“, mit denen wir deutlich machen: Ja, Frauen können denken. Frauen können forschen. Frauen können lehren. Darin müssen sie auch unterstützt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber nicht genug: Nein, wir sind nicht nur zufrieden. Das will ich keineswegs in Abrede stellen. Ja, es hätte mich gefreut, liebe Unionskolleginnen, wäre es uns gelungen, jetzt schon eine ganz klare Aussage dahin gehend zu machen, wie es mit dem Professorinnenprogramm weitergeht. Schade, dass der Antrag, den wir entwickelt haben, am Widerstand der Union gescheitert ist. Eine Schwalbe reicht eben nicht, um einen Sommer zu machen. Eine Kanzlerin reicht nicht, um gute Gleichstellungspolitik zu machen. (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Aber notwendig ist sie!) Das ist ärgerlich, und das wird in der nächsten Legislaturperiode noch einmal deutlich akzentuiert werden müssen. Ja, liebe Claudia Lücking-Michel, auch ich bin ein Fan der Quote, wenn Sie mit dem Kaskadenmodell daherkommen. Aber warum ist es uns nicht gelungen, dies stärker zu transportieren? Das wird beantwortet werden müssen. Ich war ganz erschrocken: Exzellenzstrategie, sagte der Kollege Kaufmann neulich in einer Diskussion, an der Kai Gehring und ich teilgenommen haben, habe nichts mit Gender-Mainstreaming oder Gender und Diversity zu tun. Das finde ich fahrlässig. Ich denke allein an das Medizinstudium und daran, dass es eigentlich gesichertes Wissen darüber gibt, dass die Symptome etwa bei Herzinfarkt bei Frauen anders aussehen als bei Männern. Wenn wir dringend auf Genderforschung angewiesen sind, dann können wir nicht ignorieren, dass Exzellenz in der Wissenschaft und Gender zusammengehören und beobachtet werden müssen. (Beifall bei der SPD) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier noch vieles zu tun, und wir müssen uns dem auch widmen. Wir von der SPD schlagen deshalb vor, sofort noch einmal darüber nachzudenken – und wir haben ja noch ein bisschen Zeit –, wie es weitergehen soll mit der Genderforschung, wie es auch mit der Unterstützung der jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen weitergehen muss. Wir schlagen vor, liebe Claudia Lücking-Michel, dass es noch einmal einen Vorstoß in dem Programm „Frauen an die Spitze“ und vor allem im Professorinnenprogramm gibt. Was wir dazu tun müssen – und das ist unser Vorschlag, den Martin Schulz dann hoffentlich wird durchsetzen können –, ist sicher, einen Gleichstellungsrat einzusetzen, in dem wir all diese Expertise, die Frauen und Männer mitbringen, bündeln und zur Unterstützung von Frauen und Männern in der Wissenschaft einbringen. Wir wollen da überhaupt nicht ausschließend wirken. Liebe Frauen, die Sie die Chance haben, zu wählen: Wählen Sie nicht nur so, dass Sie denken, Sie müssten die althergebrachten Rezepte von gestern unterstützen. Wählen Sie bitte auch in Ihrem eigenen Interesse diejenigen, die Gleichstellung unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dann erhält jetzt Dr. Claudia Lücking-Michel das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Auch von mir am Schluss der Debatte noch einmal der Schwerpunkt und der besondere Blick auf die Situation von Frauen in der Wissenschaft. Um hier auf Veränderungen und Entwicklungen zu kommen, muss ich gar nicht in das letzte Jahrhundert oder in die 50er-Jahre zurückgehen. Es reicht, wenn ich mich an die Situation zu Beginn meines Studiums erinnere. Vor 30 Jahren habe ich ein geisteswissenschaftliches Studium aufgenommen. In all den Jahren meines Studiums ist mir sage und schreibe nicht eine einzige Professorin begegnet, in keinem Seminar und in keiner Vorlesung, nirgendwo. Ich war nicht in einer Ausnahmesituation an einer schlecht ausgestatteten Universität. Ich habe an verschiedenen Standorten studiert, in Deutschland und im Ausland. Das war die Regel. Eine der ersten Statistiken, die wir zu dem Thema haben, stammt aus dem Jahr 1987, und sie weist einen Anteil von Frauen an Professuren von 5,1 Prozent auf. Was mich allerdings fast noch mehr erschüttert, ist, dass mir das damals als junger Studentin fast normal vorkam. Jedenfalls habe ich lange gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass daran wohl irgendetwas nicht richtig sein kann, dass rund um mich herum in sämtlichen Veranstaltungen nur Männer Lehrende waren. Bis dahin war für mich die Bildungsbiografie weitgehend gut gelaufen, zumindest hatten meine Eltern keinen Zweifel daran gelassen, dass ihre Tochter genauso eine Chance auf Ausbildung und Studium haben soll wie der Sohn. Ich bin vielleicht eine Spätzünderin, aber erst nach der Promotion wurde mir so richtig klar, wie benachteiligt Frauen in der Academia sind. Als ich dann aus der Uni heraus in das Berufsleben kam, musste ich auch dort feststellen, wie wenige Führungspositionen von Frauen besetzt werden. Ich erinnere mich wie heute an eine Diskussion mit meinem ersten Chef, der während des Bewerbungsverfahrens die Akte zur Seite legte und sagte: Die können wir wegtun. Sie hat ja ein kleines Kind. Er hat daraufhin die Akte gar nicht weiter gelesen. Das war das Bild. Die Frage, wie weit man als Frau beruflich kommt, in der Wissenschaft und außerhalb, hängt nach wie vor nicht allein und als Erstes davon ab, wie qualifiziert man ist, sondern nach wie vor sind es die vermeintlichen Nebenschauplätze, wo sich Karriere entscheidet. Noch immer wirken die geschlechtsbezogenen Zuschreibungen, die dazu führen, dass Personalentscheider Frauen weniger zutrauen als Männern, obwohl sie gleich qualifiziert sind. Noch immer müssen Frauen mangels Rollenvorbilder in Führungspositionen selbst definieren, wie sie die Rolle als Führungskraft erfolgreich ausfüllen wollen; denn eines ist sicher: Das funktioniert nicht einfach, indem man mittels Copy and Paste die Männerrollen übernimmt. Noch immer müssen Frauen mit ihren Partnern verhandeln, wie die Verantwortung in der Familie und im Beruf aufgeteilt wird, während nach wie vor viele Männer selbstverständlich davon ausgehen, dass die Frauen und die Mütter ihrer Kinder ihnen den Rücken freihalten. Ich stelle das so ausführlich dar, weil ich umgekehrt jetzt im Gespräch mit Frauen Anfang 20, zum Beispiel mit meiner Tochter, die mitten im Studium ist, feststelle, dass sie dieselben Vorstellungen wie ich damals haben: Wenn ich top qualifiziert bin, dann wird es keine Schwierigkeiten für mich geben. – Wenn es doch nur so wäre! Wir haben in den verschiedenen Reden vorher schon viel zur Analyse gehört. Sie merken, ich bin mit Ihnen ganz einig. Ich sehe auch: Im Wissenschaftsbereich ist es nach wie vor überhaupt nicht zufriedenstellend, dass heute fast jede fünfte Professur von einer Frau besetzt ist; denn angesichts der Tatsache, dass wir die Hälfte der Menschheit ausmachen, kann man wahrlich nicht damit zufrieden sein. Man kann erst recht nicht damit zufrieden sein, wenn man sieht – auch das haben wir gerade schon gehört –, dass Frauen die Mehrheit derjenigen bilden, die ein Studium erfolgreich abschließen, sie erfolgreich die Promotion hinlegen und dann trotzdem auf dem Weg zwischen Promotion und Lehrstuhl und weiterer wissenschaftlicher Karriere ausscheiden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer der Gründe ist, dass die Sorgearbeit nach wie vor Frauenarbeit ist. Natürlich sollten die Väter genauso Verantwortung für die Familie übernehmen wie die Mütter. Aber tatsächlich gibt es den Begriff des sogenannten Gender Care Gaps. Es gibt also nicht nur einen Pay Gap, sondern auch einen Care Gap. Eine Frau in Deutschland, die 34 Jahre alt ist, leistet im Schnitt doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeit wie der gleichaltrige Mann. Der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017“ hat das kürzlich extra zum Thema gemacht und festgestellt, dass Wissenschaftlerinnen – oh Wunder, wir hätten es auch so gewusst, aber jetzt wird es auch in einem Bericht der Bundesregierung statistisch belegt – ein Riesenproblem damit haben, das zeitliche Zusammenfallen von Qualifizierungsphase und Familiengründung miteinander in Einklang zu bringen. An einer Stelle bin ich aber deutlich anderer Meinung als meine Vorrednerinnen; denn ich sage: Die Entwicklung geht langsam voran, aber immerhin in die richtige Richtung. Einiges haben wir in dieser Legislaturperiode tatsächlich zugunsten der Frauen auf den Weg gebracht. Wir haben mit dem Tenure-Track-Program die Zahl der planbaren Karrierewege deutlich erhöht. Wir haben für mehr und umfassendere Kinderbetreuungsmöglichkeiten gesorgt. Die DFG hat mit den forschungsorientierten Gleichstellungsstandards – ein Mammutwort – ein wunderbares Instrument, (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Die gab es schon vorher!) um den Kulturwandel zugunsten von mehr Chancengleichheit ganz entscheidend einzuleiten. Wir haben das kluge Instrument der Gleichstellungspauschale, mit der Frauen Geld zur Verfügung gestellt wird, um Verwaltungs- oder Laborunterstützung für Frauen zu gewähren, die schwanger sind oder aus der Elternzeit zurückkehren. Anders als der Kollege das gesagt hat, wie gerade berichtet wurde, hat die Exzellenzstrategie natürlich etwas mit Gleichstellung zu tun; denn als Kriterium für die Bewilligung von Projektanträgen ist an entscheidender Stelle verankert worden, dass zur Gleichstellung Aussagen gemacht werden müssen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das sollte der Kollege dann auch zur Kenntnis nehmen!) – Wir werden ihm sagen, dass er noch einmal nachschauen soll. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Ich bitte darum!) Was mir am Ende besonders wichtig ist, ist der Verweis auf das Professorinnenprogramm. Das hat nämlich wirklich gute Funktionen und hat auch schon ausreichend Wirkung gezeigt, indem es einerseits die Zahl der Professuren für Frauen erhöht und andererseits fordert, dass eine Kultur der Chancengleichheit strukturell in den Universitäten verankert wird. Gerade heute hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe darüber diskutiert. Sie geht mit bei dem Vorschlag der CDU, dieses Professorinnenprogramm fortzuschreiben und fortzusetzen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das hätte man aber auch schon eher machen können!) Es hört sich so an, als würde diese Arbeitsgruppe der GWK bei den Vorschlägen mitgehen, die die CDU eingebracht hat. Wir haben nämlich gesagt, dass das Professorinnenprogramm in Zukunft Mittel zur Verfügung stellen soll, mit denen die geförderten Professorinnen zum Beispiel unterhalb einer Professur jungen Frauen Gelder zur Verfügung stellen können. Diese Frauen können etwa für die Leitung von Nachwuchsgruppen eingesetzt werden. Wir wollen die Vereinbarkeit in der Familienphase, die oft in der Postdocphase richtig wichtig wird, verbessern, und wir wollen insgesamt eine angemessene Erhöhung der Mittel für das Professorinnenprogramm. Das alles würde nicht ausreichen, wenn nicht ganz stark zum Ausdruck käme: Strukturell muss es Veränderungen geben, und diese Veränderungen müssen all diejenigen, die Anträge stellen, auch verankern. Meine Damen und Herren, es ist einiges passiert, aus meiner Sicht – da stimme ich Ihnen zu – viel zu wenig. Ich hoffe aber, dass wir dank der Programme, die wir aufgelegt haben, und gemeinsamer Anstrengungen wirklich sagen können: Wenn meine Tochter einmal auf ihren Studienanfang zurückblicken wird, kann sie feststellen: Seitdem ist so viel an Veränderung im Sinne der Chancengerechtigkeit passiert, dass wir im Sinne der Gleichberechtigung und damit auch im Sinne der Exzellenz und guter Wissenschaft entscheidende Schritte vorangekommen sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12656, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11413 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 34 b. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12777, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6191 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 c. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12778, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11412 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Zusatzpunkt 11. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12794 mit dem Titel „Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wir stimmen nach ständiger Übung zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Deshalb frage ich: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition so beschlossen, und wir stimmen über den Antrag heute nicht ab. Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt 35: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung – 18. Legislaturperiode – Drucksache 18/12505 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda Die Fraktionen haben vereinbart, dass für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen sind. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer immer schon einmal wissen wollte, warum der Tourismus auch in Deutschland ein ökonomisches Schwergewicht und ein Jobmotor ist, dem sei der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung wärmstens zur Lektüre empfohlen, oder er greift zu der am Mittwoch veröffentlichten Studie „Wirtschaftsfaktor Tourismus Deutschland“, die wir als Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert haben: fast 3 Millionen Beschäftigte, ein Umsatz von 290 Milliarden Euro, knapp 4 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Etwa jeder 15. Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Tourismus ab. 2016 war das siebte Rekordjahr in Folge für den Tourismus in Deutschland. Das sind Zahlen, die für sich sprechen. Wir wollen einen Tourismus, der wächst und nicht wuchert. Wir wollen gerechte Teilhabe aller an Wertschöpfung und Wohlstand. Deshalb war der Mindestlohn auch in diesem Bereich so wichtig. (Beifall bei der SPD) Denken Sie nur an die mies bezahlten Putzfrauen. – Ja, ich weiß, politisch korrekt heißt das heute „Reinigungspersonal“, aber manchmal wird mit dieser Korrektheit verschleiert, dass es meistens eben doch Frauen sind, die den Dreck anderer Leute wegmachen und die deshalb einen besonders großen Anspruch auf unseren Respekt haben. Auch für die ist der Mindestlohn das Mindeste. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unseren Initiativen für weitere Verbesserungen beim barrierefreien Tourismus, damit Reisen für alle möglich ist, und auch für einen in ländlichen Regionen erfolgreichen Kulturtourismus, damit Arbeit und Einkommen und Perspektive in ländlichen Regionen entstehen können, verfolgen wir aus meiner Sicht wichtige sozial- und strukturpolitische Ziele. Aber es geht nicht nur um Zahlen und Bilanzen, es geht nicht immer nur um wirtschaftliche Stärke, es geht nicht immer nur ums liebe Geld. Nackte wirtschaftliche Kennzahlen sind nicht alles. Ebenso wichtig muss uns eigentlich sein, dass die deutsche Tourismusbranche wie keine andere das positive und freundliche Deutschlandbild im Ausland prägt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Offenheit und die Freundlichkeit, mit der wir Gäste in Deutschland willkommen heißen, trägt weltweit zum Ansehen unseres Landes bei. Denken Sie an das wirklich unglaublich gelungene Motto der WM 2006: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Auf dieses freundliche und helle Bild fällt jedoch immer mal wieder ein dunkler, ja ein brauner Schatten. Brennende Flüchtlingsheime sind keine gute Werbung für unser Land. Wer ausländerfeindliche Parolen brüllt oder diese stillschweigend duldet, der darf sich nicht wundern, wenn irgendwann Gäste ausbleiben. Auch deshalb gilt es, Gesicht zu zeigen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn nicht noch irgendetwas völlig Verrücktes passiert, dann war das nach fast 27 Jahren meine unwiderruflich letzte Rede im Deutschen Bundestag. Dieses Parlament ist für mich immer etwas Großartiges gewesen. Meine Kolleginnen und Kollegen hatten es nicht immer leicht mit mir, und ich hatte es nicht immer leicht mit ihnen. (Mechthild Rawert [SPD]: Das kann gar nicht sein!) So soll es sein an einem Ort, wo nur selten zu viel und häufig zu wenig gestritten wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war mir eine Ehre. (Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten der SPD erheben sich – Abg. Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] überreicht der Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke einen Blumenstrauß) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Liebe Iris Gleicke, auch von dieser Stelle aus möchte ich noch einmal danken für das Wirken über 27 Jahre. Sie waren Mitglied des ersten gesamtdeutschen Parlaments, das sich im Dezember 1990 hier in diesem Hause konstituiert hat. Sie haben sich seitdem als Parlamentarierin immer in den Bereichen Bauen, Wohnen, Verkehr, Jugend engagiert. Sie haben als Geschäftsführerin der Fraktion gewirkt. Sie waren Parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Sie sind jetzt Parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft und Energie. Sie sind nicht nur Tourismusbeauftragte und Beauftragte für den Mittelstand, sondern Sie sind auch Beauftragte für die neuen Bundesländer, und das ist einer der Schwerpunkte, für die Sie seit Ihrem ersten Tag in diesem Parlament gearbeitet haben, nämlich dafür, dass wir wirklich gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herstellen. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass über die Jahre das zusammenwachsen konnte, was zusammengehört, und dafür gehört Ihnen unser aller Dank für Ihr Engagement. Wir wünschen Ihnen alles Gute für den weiteren Lebensweg. (Beifall) Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Kerstin Kassner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Es ist jetzt für mich nicht ganz leicht, zu sprechen. Auch von meiner Seite alles Gute und vielen Dank für die wirklich sehr gute Zusammenarbeit, Frau Gleicke! Für die Zukunft alle guten Wünsche! (Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin: Danke schön!) Das Beste zum Schluss der heutigen Sitzung! Sie werden mir nicht widersprechen: Tourismus gehört zu den besten Dingen im Leben. Man freut sich auf Reisen. Es ist etwas Wunderbares. Deshalb ist es für meine Fraktion und für meine Partei sehr wichtig, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen. „Tourismus, Reisen für alle“, das ist unser Motto. „Reisen für alle“ heißt: Wir möchten, dass Kinder und Jugendliche reisen können – unabhängig vom Portemonnaie der Eltern. Wir möchten, dass sie viel erleben, nicht nur in Sachen Bildung und Wissensanhäufung, sondern vor allem auch im Sinne von sozialer Kompetenz. Es geht um wunderbare Erlebnisse, die einen durch das Leben tragen. Reisen ist aber noch viel mehr. Reisen ist Gesundheitsvorsorge, ist Gesundheitsförderung, und das sollte uns unbedingt wichtig sein. Reisen – wir haben es gerade gehört – ist natürlich auch Völkerverständigung, eine ganz wichtige Botschaft nach draußen. Das Zusammensein mit anderen Nationen, mit anderen Völkern bereichert uns und macht auch über Grenzen hinweg die Verständigung, die Akzeptanz und den gegenseitigen Respekt einfacher. Das ist etwas sehr Wichtiges. Deshalb ist es gut, dass wir noch in dieser Legislaturperiode den Tourismuspolitischen Bericht diskutieren können. Da will ich gleich sagen: Es ist eine Fleißarbeit, die dahintersteckt. Es gibt nur zwölf Mitarbeiter, die sich in allen Ministerien zusammen mit Tourismus beschäftigen. Frau Gleicke hatte noch acht Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Ich sage ganz deutlich: zu wenig für eine solch wichtige Aufgabe. Wir haben gehört, wie viel Wertschöpfung sich dahinter verbirgt, wie viele Menschen sich dahinter verbergen. Deshalb sage ich: Da gehören deutlich mehr hin. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Für mich ist es Chefsache. Tourismus muss Chefsache werden; denn nur dann, wenn alle Ministerien dieser Regierung alle Belange, die sie vorantreiben, auch auf ihre Relevanz für den Tourismus hin prüfen, wird es solche Dinge, wie wir sie in dieser Legislaturperiode erlebt haben, nicht mehr geben. Ich nenne einmal drei Beispiele, die nicht nur mich, sondern auch alle anderen im Ausschuss sehr geärgert haben. Das erste Beispiel ist das Wassertourismuskonzept aus dem Verkehrsministerium. Dieses Konzept verdient weder den Namen „Konzept“, noch hat es etwas mit Tourismus zu tun. Denn es war eigentlich ein Konzept, um Geld einzusparen, und das kann doch bitte schön nicht sein. Wir wollen doch nicht auf der einen Seite etwas aufbauen und es auf der anderen Seite wieder einreißen. Das darf nicht passieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein zweites Beispiel, das ich Ihnen leider auch nicht ersparen kann, ist die Frage der Hinzurechnung von Hotelkapazitäten. Ein Reiseveranstalter mietete Hotelzimmer an. Diese wurden von den Finanzbeamten so angesehen, als ob er sie sein Eigentum nennen dürfte. Das geht nicht. Wir müssen wirklich sagen: Wir wollen, dass mehrere Anbieter miteinander kooperieren können, aber wir wollen nicht, dass das zulasten ihrer Finanzausstattung geht. Das geht so nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Gülistan Yüksel [SPD]) Ein drittes Beispiel ist die Pauschalreiserichtlinie. Hier ist europäisches Recht umgesetzt worden. Das ist alles gut und mit Blick auf den Verbraucherschutz für die Reisenden eine Verbesserung. Wenn ich mir aber anschaue, was dabei herausgekommen ist, so muss ich leider eine Verschlechterung konstatieren, und zwar bei Tagesreisen. Erst ab 500 Euro für eine Tagesreise greift der Versicherungsschutz. Liebe Zuhörerinnen und Zuschauer, es ist wahrscheinlich die Ausnahme, dass man 500 Euro für eine Tagesreise bezahlt. Aber erst dann, wenn die Reise so teuer ist, fällt man unter den Versicherungsschutz. Die meisten Reisen kosten aber im Durchschnitt 120 Euro. Insofern geht diese Regelung wirklich am Verbraucherschutz vorbei; das müssen wir so sagen. Das wäre nie passiert, wenn das tatsächlich zur Chefsache gemacht worden wäre; das muss ich hier so konstatieren. Eine Sache fehlt mir noch im Bericht. Frau Gleicke hat es schon gesagt: Das Allerwichtigste, das Kapital in der Tourismusbranche sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die tatsächlich oft unter schwierigen Bedingungen – harte Arbeit, wenig Geld – zu Zeiten, wo andere frei haben oder sich erholen wollen, arbeiten müssen. Deshalb müssen wir hier sagen: Das muss gewürdigt werden, das muss unterstützt werden, und wir müssen gemeinsam vorantreiben, dass hier bessere Bedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Branche geschaffen werden, damit es zukünftig Spaß macht, dort zu arbeiten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Eine letzte Bemerkung. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die letzte. Kerstin Kassner (DIE LINKE): Ja, natürlich. – Es gibt immer weniger Forschung im Tourismus. Wenn wir wollen, dass das Gute, das Beste noch besser wird, dann müssen wir uns auch mit der Zukunft beschäftigen. Es kann nicht sein, dass immer weniger Professoren in der Tourismusbranche forschend tätig sind. Da muss ein Umdenken, ein andere Förderung stattfinden. Das wünsche ich mir. Insofern: Ihnen allen einen schönen Urlaub und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Tourismusbranche ein gutes Auskommen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich darf die nachfolgenden Rednerinnen und Redner noch einmal an die Einhaltung der Redezeit erinnern, sonst wird das nichts mit dem Nach-Hause-Fahren. Jetzt hat die Kollegin Heike Brehmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Heike Brehmer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung in der 18. Wahlperiode ist eindrucksvoll. Er beleuchtet, wie vielfältig die Ressorts den politischen Rahmen gestaltet haben. Für den Bericht und die tourismuspolitische Tatkraft in dieser Wahlperiode spreche ich der Bundesregierung deshalb im Namen des Ausschusses für Tourismus meinen herzlichen Dank aus. Der Dank gilt vor allem der Tourismusbeauftragten der Bundesregierung, unserer Kollegin Iris Gleicke, die zusammen mit ihrem engagierten Team einen großen Anteil daran hat. Herzlichen Dank! Um es gleich vorwegzunehmen: Die Bilanz unserer Tourismuspolitik in dieser Wahlperiode kann sich sehen lassen. Sie ist ohne Übertreibung eine Erfolgsgeschichte. Mit den von der Bundesregierung gestalteten Entfaltungsspielräumen ist es der Tourismusbranche in den zurückliegenden Jahren gelungen, von einem Übernachtungsrekord zum nächsten zu eilen. Im Jahr 2016 war es immerhin der siebte Rekord in Folge mit beeindruckenden 447 Millionen Übernachtungen. Das entspricht einer weiteren Steigerung um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diesen Erfolg verdanken wir in erster Linie den fast 3 Millionen Beschäftigten, welche in Deutschland in der Tourismusbranche arbeiten. Sie sind das freundliche Gesicht, welches Gäste aus dem In- und Ausland bei uns willkommen heißt. Ihnen gebührt unser Dank und unsere volle Anerkennung für ihre erbrachte Leistung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Großen Anteil an diesem Erfolg hat auch die Deutsche Zentrale für Tourismus. Sie war mit ihrem professionellen Auslandsmarketing wesentlicher Treiber der dynamischen Entwicklung des Incoming-Tourismus. Der Tourismusausschuss hat dies nachhaltig unterstützt, indem wir uns für einen maßgeblichen Finanzierungsbeitrag aus Bundesmitteln entschieden haben und diese aufgestockt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in dieser Wahlperiode viel getan, um die Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche zu erhöhen. Einige Projekte will ich herausgreifen. So wurde beispielsweise der Ausbau des barrierefreien Tourismus durch die Bereitstellung verbesserter Informationen über passende Reiseangebote unterstützt. Ein besonderes Gütesiegel, das inzwischen in elf Bundesländern im Einsatz ist, soll Barrierefreiheit zu einem sichtbaren Markenzeichen des Tourismus in Deutschland machen. Für unseren Tourismusausschuss hat das Thema Barrierefreiheit eine besondere Bedeutung. Es stand in den letzten vier Jahren mehrfach im Zentrum unserer Ausschussberatungen, zuletzt in dieser Woche mit dem Expertengespräch zur nachhaltigen Wertschöpfung durch Barrierefreiheit. Ein weiteres Markenzeichen des Reiselandes Deutschland ist der Kulturtourismus. Er wurde in der laufenden Wahlperiode auf Initiative von Tourismuspolitikern von CDU/CSU und SPD mit einem völlig neuen Ansatz in das Blickfeld gerückt. Mit dem Projekt „Die Destination als Bühne“ werden ländliche Modellregionen professionell angeleitet, konkrete kulturhistorische Angebote zu entwickeln und in der Praxis zu erproben. Die Förderung des ländlichen Tourismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Bundesregierung und unseres Tourismusausschusses. Bereits in der vergangenen Wahlperiode gab es hierzu ein vom Bundeswirtschaftsministerium gefördertes Projekt mit Handlungsempfehlungen und zahlreichen Fachveranstaltungen für die Praktiker vor Ort. Das Interesse war so groß, dass bei der ersten Staffel nicht alle politischen Akteure zum Zuge gekommen sind. Der Ausschuss hat sich deshalb gleich zu Beginn dieser Wahlperiode für eine weitere Staffel eingesetzt, die mit ebenso großem Erfolg stattgefunden hat. Wir haben uns weiterhin dafür eingesetzt, dass auf dem wachsenden Gebiet der Vermietung von Ferienhäusern und Ferienwohnungen Rechtsunsicherheiten beseitigt wurden. Insbesondere die Vermietung in Wohngebieten war nicht eindeutig geregelt und in den Kommunen umstritten. Mit der neuen Baunutzungsverordnung ist ein von vielen gelobter fairer Interessenausgleich gelungen. Die Eigentümer von Ferienwohnungen gewinnen Planungssicherheit für die wirtschaftliche Nutzung ihrer Immobilie, während die Gemeinden gleichzeitig die Ansiedlung von Ferienwohnungen planerisch steuern können. Der Tourismusausschuss hatte das Thema bereits in einer öffentlichen Anhörung im März 2016 aufgegriffen und entsprechende Impulse geben können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so erfolgreich die Tourismuspolitik in dieser Wahlperiode auch war, dürfen wir die Augen nicht vor den vor uns liegenden Herausforderungen verschließen. Der Tourismuspolitische Bericht nennt viele ganz deutlich. Herausgreifen möchte ich nur einige Aspekte, weil sie aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion besonders wichtig sind. Erstens. Tourismus gedeiht nur dort, wo Sicherheit herrscht. Verschlechtert sich die Sicherheitslage, verändert sich auch das Reiseverhalten der Touristen. Die Verlagerung von Reiseströmen, wie sie in diesem Jahr vom östlichen zum westlichen Mittelmeer hin zu beobachten sind, kann Reiseländer schmerzhaft treffen. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass der Tourismuspolitische Bericht das Ziel der Bundesregierung betont, der Sicherheit aller Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, oberste Priorität einzuräumen. Deutschland muss ein sicheres Reiseland bleiben. Zweitens. Wir leben in modernen Zeiten, in denen die Digitalisierung unser tägliches Zusammenleben und die Art, wie wir wirtschaften, immer mehr durchdringt. Das gilt gerade auch im Tourismus. Reiseplattformen im Internet werden stärker und setzen die klassischen Vertriebsformen zunehmend unter Druck. Speziell die neuen Geschäftsmodelle der Sharing Economy verändern den Tourismus, weil der Anbieter privater Unterkünfte häufig von gesetzlichen Regelungen nicht erfasst wird oder er sie unterläuft. Hier werden wir überlegen müssen, wie faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den digitalen und den klassischen Anbietern geschaffen werden können. Dies war im Kern auch der Ausgangspunkt für die neue EU-Pauschalreiserichtlinie, deren gesetzliche Umsetzung in Deutschland vom Bundestag in diesem Monat verabschiedet wurde. Drittens. Die Zukunftssicherung in der deutschen Tourismuswirtschaft steht und fällt aus meiner Sicht mit einer wirksamen Strategie gegen den Fachkräftemangel. Hier ist sicherlich zuerst die Branche gefordert, den Berufseinstieg für junge Menschen noch attraktiver zu gestalten. Zudem sollte sich der Tourismusausschuss künftig noch stärker für eine verbesserte Wertschätzung der im Tourismus geleisteten Arbeit einsetzen. Gerade im Gastgewerbe besteht ein großer Bedarf an Fachkräften mit dualer Ausbildung. Um hier Erfolg zu haben, ist das Erlernen eines soliden Ausbildungsberufs der richtige Weg. Dazu müssen wir die jungen Menschen ernsthaft ermutigen. Viertens möchte ich abschließend noch einen Gesichtspunkt ansprechen, der aus meiner Sicht zu Recht von den Tourismusverbänden und den Mitgliedern unseres Ausschusses eingefordert wird: Tourismus sollte in der Politik ein Stellenwert zukommen, der seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung entspricht. Gemäß den vom Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch veröffentlichten Daten erzeugt der Tourismus eine direkte Bruttowertschöpfung in Höhe von 105 Milliarden Euro und damit rund 4 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft. Er liegt damit vor dem Maschinenbau oder dem Einzelhandel. Knapp 3 Millionen Menschen sind direkt im Tourismus beschäftigt. Die Tourismusbranche ist daher ein Schwergewicht, für die sich der Ausschuss als verlässlicher Partner etabliert hat. Dem entspricht die Erwartung der Branche, dass der nächste Tourismusausschuss eine größere parlamentarische Rolle spielt, beispielsweise in Form von Federführung bei der Beratung von Gesetzesvorlagen mit großer Relevanz für diesen Wirtschaftszweig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unter den Tourismuspolitikern sehe ich dazu fraktionsübergreifend eine uneingeschränkte Bereitschaft. Dafür und für die konstruktive Zusammenarbeit während der vergangenen Jahre danke ich den Kolleginnen und Kollegen des Tourismusausschusses sehr herzlich. Die Zusammenarbeit im Ausschuss mit Ihnen war immer sehr angenehm. Auch soweit es die Koordination der Tourismuspolitik in der künftigen Bundesregierung betrifft, halte ich eine Aufwertung des Tourismus für berechtigt. Der bisher im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie angesiedelte Staatssekretär bzw. die Staatssekretärin sollte künftig ausschließlich für den Tourismus zuständig sein, und dieser Bereich sollte mit mehr Personal ausgestattet werden, damit seine Belange entsprechend seiner ökonomischen Bedeutung ernst genommen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin zuversichtlich, dass wir mit Tatkraft und Ideenreichtum die vor uns liegenden Herausforderungen im Tourismus meistern werden und die Erfolgsgeschichte des Reiselands Deutschland in der nächsten Wahlperiode um ein weiteres Kapitel fortschreiben können. Dabei gilt auch hier der Satz des Reformators Martin Luther: Wir sind immer auf dem Wege und müssen verlassen, was wir kennen und haben, und suchen, was wir noch nicht kennen und nicht haben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Markus Tressel das Wort. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für den ausführlichen Bericht, den Sie uns zum Ende dieser Wahlperiode vorgelegt haben. Er zeigt ja zusammen mit den Kennzahlen, die Sie diese Woche vorgelegt haben, die Bedeutung der Branche für Deutschland, für die Bundesländer und auch für die Kommunen auf. Sie haben die Zahlen vorhin genannt: Das ist ja schon außerordentlich, auch wenn man es in Relation zu anderen Branchen setzt. Allein deshalb ist es schon wichtig, dass wir heute darüber im Deutschen Bundestag diskutieren. Der Tourismus ist eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft mit hoher Relevanz gerade für unsere Regionen. Es ist außerordentlich wichtig, darüber auch einmal im Deutschen Bundestag zu debattieren. Die Zahlen sind gut; Sie haben sie vorhin genannt. Die Zahl der Übernachtungen ist im vergangenen Jahr um 11 Millionen gestiegen. Das ist definitiv ein Grund zur Freude. Es ist aber kein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen. Es gibt zahlreiche Aufgaben und große Herausforderungen für die Tourismuspolitik, die darüber entscheiden, ob wir uns in den kommenden Jahren zu einem zukunftsfesten Standort entwickeln. Ein Punkt ist dabei ganz wichtig, der nach Trumps Ankündigung, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, zum Glück wieder ganz oben auf der Agenda steht: Es ist die drohende Klimakatastrophe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass der Tourismus wie keine andere Branche auf eine intakte Umwelt und auskömmliche Lebensbedingungen angewiesen ist. Diese Einsicht und das, was daraus für das Regierungshandeln folgt, kommen mir im Bericht etwas zu kurz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da hätte ich mir mehr gewünscht als den Verweis auf die Mitgliedschaft Deutschlands in der Globalen Partnerschaft für nachhaltigen Tourismus. Ich sage ganz deutlich: Der Tourismus kann an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag leisten – wir haben vorhin gehört, wie groß die Branche ist –, nicht nur um des Klimaschutzes willen, sondern auch zur Bewahrung seiner eigenen wirtschaftlichen Grundlage. Das muss in der kommenden Legislaturperiode deutlicher werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt auch noch andere Herausforderungen, die wir in den kommenden Jahren noch nachdrücklicher angehen müssen. Diese haben Sie im Bericht adressiert. Die veränderten globalen Sicherheitsbedingungen sind da ebenso zu nennen wie der demografische Wandel, die Digitalisierung, das Thema Fachkräftemangel. All das sind große Herausforderungen, für deren Bewältigung man die Weichen jetzt stellen muss. Diese Veränderungen bergen ja nicht nur Risiken, sondern bieten auch Chancen für den Standort. Wenn wir es schaffen, dass noch mehr Menschen das eigene Land entdecken, wenn wir es schaffen, dass nicht nur die Städte von dem Boom profitieren, sondern auch der ländliche Raum, dann haben wir einen großen Schritt nach vorn gemacht. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich fest davon überzeugt, dass wir einen Masterplan für den Deutschlandtourismus brauchen, damit wir langfristig ein qualitativ hochwertiges touristisches Produkt halten und ausbauen können. Da müssen wir uns der Frage stellen, wie wir die Finanzierung von Innovationen und Weiterentwicklung verbessern können. Das ist für viele zu undurchsichtig, und die Banken sind bei niedriger Eigenkapitalquote oft auch nicht bereit, dafür eine Finanzierung bereitzustellen. Insbesondere in den ländlichen Regionen schlummern hier noch immense Potenziale, von denen die Menschen vor Ort profitieren können. Wir brauchen mehr Kooperation und Koordination, und wir brauchen weniger Kirchturmdenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Wir haben in dieser Legislaturperiode mit den Modellprojekten „Kulturtourismus in ländlichen Räumen“ und „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ tatsächlich einen Anfang gemacht. Aber wir alle wissen, dass Modellprojekte am Ende oft nicht nachhaltig sind. Das touristische Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land ist immer noch enorm. Deshalb sage ich auch ganz deutlich: Das Engagement für den ländlichen Raum muss in der kommenden Legislaturperiode abseits von Modellprojekten verstetigt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur der Bericht zeigt ja auf, welche Aufgaben noch vor uns liegen. Auch in vielen Expertengesprächen und Anhörungen, die wir im Ausschuss hatten, ist das deutlich geworden. Barrierefreiheit, Mobilität, Netzausbau und Verbraucherschutz sind da exemplarisch zu nennen. Am Beispiel der Reiserechtsnovelle – auch das wurde angesprochen – ist einmal mehr klar geworden: Wenn wir unsere Mitwirkungsrechte auf europäischer Ebene umfassend nutzen und europäische Initiativen mitgestalten wollen, müssen wir uns künftig frühzeitiger untereinander und mit den Adressaten koordinieren. Auch da gibt es noch Luft nach oben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, wir brauchen auch – die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben das ebenfalls gesagt – eine aktivere Rolle des Bundes in der Koordinierung. Das ist überhaupt nicht leistbar mit einer Beauftragten und neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines Referates, selbst wenn die noch so gut arbeiten. Frau Kassner hat das vorhin sehr deutlich gemacht: Ein Land, das so viel Wertschöpfung durch den Tourismus hat und in dem so viele Menschen vom Tourismus leben, braucht eine gut ausgestattete politische Koordination in diesem Bereich. Ich sage auch deutlich: Wir brauchen kein eigenständiges Tourismusministerium; aber das Tourismusreferat im Wirtschaftsministerium muss personell besser ausgestattet werden und besser mit den Referaten verzahnt werden, die in anderen Ministerien Tourismuspolitik machen. Auch da gibt es im Übrigen Kirchturmdenken, wenn in zwölf Ministerien irgendwie Tourismuspolitik in diesem Land gemacht wird. Da wäre schon viel gewonnen, wenn klar würde, wer den Hut aufhat und sich das personell auch widerspiegeln würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Zum Schluss, Frau Staatssekretärin, möchte ich Ihnen, aber auch den Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für das kollegiale Miteinander in den vergangenen vier Jahren herzlich danken. Wir haben trotz manchmal unterschiedlicher Auffassung in der Sache gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Ein herzliches Dankeschön auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur in den Büros, sondern auch im Ausschuss und im Tourismusreferat des Wirtschaftsministeriums; da wird sehr gute Arbeit geleistet. Auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. Herzlichen Dank dafür! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Vielleicht können wir den Dank das nächste Mal in die Rede einbauen und nicht immer hintanhängen. Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion ist die nächste Rednerin. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Rängen und hier im Saal! „Kein Zweifel: Tourismus ist in Deutschland eine Erfolgsstory.“ So lautet der erste Satz des Tourismuspolitischen Berichts; er ist ganz treffend, sagt eigentlich schon alles. Ich bedanke mich ganz herzlich bei unserer Tourismusbeauftragten, Iris Gleicke, und ihrem tollen Team für diesen großartigen Bericht. (Beifall bei der SPD) – Danke schön. Die Zahlen wurden schon genannt. Der Tourismus beschert unserem Land fast 290 Milliarden Euro Umsatz jährlich und zählt somit zu den wirtschaftlichen Schwergewichten. Wem, liebe Kolleginnen und Kollegen, verdanken wir das? Zum einen der Investitionsbereitschaft, Kreativität und Ausdauer der vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, zum anderen aber auch den Beschäftigten, die Tag für Tag hart für dieses gute Ergebnis arbeiten. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich bei diesen 3 Millionen Menschen im Namen meiner Fraktion besonders bedanken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie bringen jeden Tag ihre Leistung – in den Restaurants, Hotels und Reisebüros, bei Veranstaltern, Busunternehmen, Freizeitparks, auf Campingplätzen und in der Touristinfo. Danke für die tolle Arbeit. Sie sind der Motor des Tourismus in Deutschland! (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Ihre Arbeit muss aber auch entsprechend wertgeschätzt werden. Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, hapert es leider oft. Das zeigt sich an den vielen schwierigen Arbeits- und Ausbildungsverhältnissen und an den niedrigen Löhnen, die in der Branche gezahlt werden. Hier muss sich dringend etwas ändern, wenn wir die guten Ergebnisse im Tourismus auch zukünftig halten wollen. Denn – da spreche ich kein Geheimnis aus – gerade in der Gastronomie und Hotellerie fehlen schon heute Fachkräfte. Bei der anhaltend guten Beschäftigungslage wird sich diese Situation angesichts der Konkurrenz mit anderen Branchen noch verschärfen. Junge Menschen suchen sich nach dem Schulabschluss für sie attraktivere Ausbildungsalternativen. Nur ein Beispiel aus meiner Region, der Ostseeküste in Schleswig-Holstein: Seit acht Monaten sucht dort ein Gastronomiebetrieb über Anzeigen verzweifelt nach Köchen und Tresenkräften. Im Arbeitsagenturbezirk Lübeck/Ostholstein meldeten die Betriebe seit Jahresbeginn über 900 offene Stellen. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Genau!) Verschärft wird die Situation dadurch, dass aufgrund der guten Nachfrage viele neue Betriebe eröffnen. Allein in Lübeck, in meiner Stadt, entstehen zurzeit fünf neue große Hotels. Die brauchen natürlich auch Personal. Der Kampf um Personal hat also bereits begonnen. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Längst!) So werden Beschäftigte aus Not zunehmend von Konkurrenten abgeworben. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann es nicht sein. Hier brauchen wir dringend Lösungen, damit der Deutschlandtourismus auch zukünftig seinen Höhenflug fortsetzen kann. Die Branche selbst ist gefordert. Aber auch wir, die Politik, können Rahmenbedingungen setzen. Das haben wir auch schon getan, zum Beispiel mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Er hilft den Beschäftigten, vor allem den vielen Frauen, die in der Branche, in der Gastronomie und in den Hotels, oft für sehr wenig Geld arbeiten. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Wenn die alle Personal brauchen, bezahlen die die auch besser, sonst finden die doch keine!) Die Forderungen aus der Branche nach weiterer Flexibilisierung der Arbeitszeit und nach Zwölf-Stunden-Schichten halten wir für kontraproduktiv. Stattdessen sollten wir alles dafür tun, die Ausbildung attraktiver zu gestalten. Wir als SPD wollen für eine angemessene Mindestausbildungsvergütung sorgen. Wir wollen flächendeckend Jugendberufsagenturen einrichten, um Jugendlichen Beratung und Unterstützung aus einer Hand beim Einstieg in Ausbildung und Beruf zu geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es schon gehört: Der Tourismus ist insgesamt gut aufgestellt, aber es stehen noch große Herausforderungen an. Die Fachkräftesicherung habe ich angesprochen. Der Anschluss an die modernen Kommunikationstechnologien und barrierefreies Reisen sind weitere wichtige Aufgabenfelder. Es muss uns auch gelingen, den Tourismus insgesamt besser zu koordinieren. Die Kleinteiligkeit der Branche und die Verankerung als Querschnittsaufgabe vieler Ministerien des Bundes und der Länder können im internationalen Wettbewerb sehr schnell zum Nachteil werden. Das neue Kompetenzzentrum Tourismus, das unsere Tourismusbeauftragte gerade auf den Weg bringt, kann dazu beitragen, die Tourismuspolitik schlagkräftiger aufzustellen. Damit komme ich zu dir, liebe Iris. Du hast heute deine letzte Rede im Bundestag gehalten. Es freut mich, dass du deine Arbeit als Tourismusbeauftragte mit dem Bericht und der darin festgehaltenen tollen Bilanz abschließen kannst. Danke dafür! Es ist enorm, was du mit deinem wirklich kleinen Team im Bereich Tourismus bewegt hast. Du hast dich in den dreieinhalb Jahren immer an vorderster Front dafür eingesetzt, dass der Tourismus in der Politik die Berücksichtigung findet, die er verdient. Und: Du hast die wichtigen Themen, die in der Tourismusbranche unter den Nägeln brennen, angepackt und hast, wo es ging, für Verbesserungen im Sinne des Tourismus gesorgt. Dafür, liebe Iris, ein ganz großes Dankeschön! (Beifall im ganzen Hause) Auch wenn du dann nicht mehr hier im Parlament bist, ist es für uns, für die SPD, aber, wie ich denke, auch für meine Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen ganz klar: Wir kämpfen weiter für den Tourismus. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU hat jetzt Barbara Lanzinger das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in der nächsten Wahlperiode nicht mehr dabei, aber angesichts der Anzahl der Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen, würde ich mir wünschen, dass auch parlamentarisch deutlich sichtbar wird, wie wichtig Tourismuspolitik ist. Das wäre sehr schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist wie immer so, dass diejenigen, die anwesend sind, sich das anhören müssen. Ich freue mich, dass uns der Tourismuspolitische Bericht vorgelegt wurde. Danke schön! Er ist spannend, er ist hochinteressant, er ist informativ, er ist komplex, und er bietet eine ausgezeichnete Übersicht darüber, dass Tourismus ein Zusammenspiel, eine Vernetzung unendlich vielfältiger wichtiger Akteure ist. Das ist vielen, auch bei uns in der Politik, oftmals gar nicht so bewusst. Der Tourismuspolitische Bericht zeigt deutlich, dass Tourismuspolitik eines Zusammenwirkens aller politischer Ebenen und auch der Bundesministerien bedarf. Die Akteure sind im Bericht aufgeführt; ich nenne jetzt nicht alle. Ich möchte mich aber bei all denen, die heute anwesend sind – das sind ja nicht viele –, ganz herzlich bedanken. Vielleicht sollte man die Bedeutung des Tourismus in Zukunft noch stärker herausarbeiten. Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe. Das spüren wir ganz deutlich. Bereits auf den ersten Seiten des Berichts wird deutlich – als Tourismuspolitiker und politikerinnen wissen wir das aus zahlreichen Begegnungen auf allen Ebenen, auch mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen –: Tourismus ist ein erfolgreicher dynamischer Wirtschaftssektor und -faktor. Liebe Kollegin Hiller-Ohm, ich denke, gerade weil dieser Sektor so ein dynamisches Kraftpaket ist, ist es auch gelungen, den Mindestlohn in diesem Bereich zu etablieren. Ich weiß nicht, ob es uns gelungen wäre, so stabil weiterzuarbeiten, wenn wir nicht die Kraft gehabt hätten, die Anhebung des Mindestlohnes aufzufangen. Davon bin ich überzeugt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Kraftpaket Tourismus ist für die Bruttowertschöpfung und für die Beschäftigung enorm wichtig. Der Tourismus hat eine wuchtige – ich nenne es bewusst so – Schubkraft für unseren Mittelstand, für das Handwerk, für die Landwirtschaft, für die regionalen Erzeuger, für die Bauwirtschaft, für die Automobilindustrie, für den Flugzeugbau und vieles mehr. Das ist also ein ungeheures Potenzial, das er hat und das wir schöpfen und heben müssen. Es gilt auch in Zukunft, sich bewusst zu machen, was Tourismus bedeutet und welche Schubkraft er insbesondere für die von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägte Branche entwickelt. Im Jahr 2016 – es wurde schon gesagt – konnte ein neuer Rekord bei den Übernachtungen verzeichnet werden. Es gab 11 Millionen mehr Gäste als 2015. Das ist gewaltig, insbesondere auch angesichts der Gesamtzahl. Das alles ist nicht gottgegeben, das wissen wir. Insgesamt ist eine klare Themen- und Zielgruppenfokussierung notwendig. Es ist wichtig, ganz klar herauszuarbeiten: Was ist für unsere Regionen entscheidend? Womit können wir die Schätze, die wir in Deutschland haben, heben und den Menschen zugänglich machen? Lassen Sie mich ein, zwei Beispiele nennen. Der Boom im Städtetourismus hält an. Auch ein Trend in Richtung Wasserdestinationen an den Küsten und in den Seeregionen ist klar erkennbar. Schauen wir uns nur einmal Regensburg an: Die Stadt war schon immer berühmt und kann seit langem viele Besucher verzeichnen; aber seit der Aufnahme in die UNESCO-Weltkulturerbeliste wird die Stadt förmlich überrannt. Das zeigt, dass die Entwicklung auch kippen kann. Auch da müssen wir etwas tun. Ein besonderes Augenmerk gilt unseren ländlichen Regionen. Ich möchte erwähnen, dass die Koalitionsfraktionen unter Federführung der Union – ich sage das sehr selbstbewusst – ein Konzept für den Kulturtourismus im ländlichen Raum erarbeitet haben, um die ländlichen Regionen nachhaltiger zu stärken. Die Besonderheit dabei war, dass der Begriff „Kulturtourismus“ weit gefasst wurde, nämlich als Verbindung von klassischen Kulturangeboten mit gastronomischen Traditionen, mit dem historischen Bauerbe, mit dem Erleben von Landschaft, mit den Schätzen unserer Heimat und dem Können unserer Menschen. Ich fasse es zusammen: Es geht dabei einfach um Kulturgenuss. Die Bundesregierung hat die Idee dankenswerterweise aufgegriffen und umgesetzt. Ich halte das für gut. Ich denke, wir sollten uns wünschen, dass mehr entsprechende Pilotprojekte initiiert werden, vielleicht auch grenzübergreifende Projekte, also in die europäischen Nachbarregionen hinein. Als Beispiele nenne ich das Elsass und Südtirol. Man kann sich hier sicher manches denken, was sinnvoll wäre. Wir sind gut aufgestellt für die kommenden Jahre. Mit dem Bauhaus-Jahr und dem Luther-Jahr haben wir viele gute Möglichkeiten, um für uns zu werben. Die Tourismusbranche und die politische Tourismusarbeit stehen vor großen Herausforderungen. Das hat auch unsere Delegationsreise nach Madrid deutlich gezeigt, auch das Gespräch mit dem Generalsekretär der UNWTO, Taleb Rifai. Es war hochinteressant und spannend, mit ihm zu reden, gerade über das Thema Nachhaltigkeit im Tourismus. Das Thema Nachhaltigkeit ist wirklich in allen Bereichen aufzugreifen. Ich komme jetzt auf das Beispiel des boomenden Städtetourismus zurück: Dieser Tourismus stellt die Verantwortungen vor sehr große Herausforderungen. Dabei geht es um die Themen Sicherheit, Infrastruktur, Wohnungsübernachtungen, also Übernachtungen in Privatunterkünften, Umweltbelastungen und vieles mehr. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt für die Zukunft. Erwähnen möchte ich ganz kurz auch die barrierefreie Mobilität. Es sind variable Angebote erforderlich, um Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen das Reisen zu ermöglichen. Ebendiese unterschiedlichen, individuellen Angebote können äußerst interessant und wichtig sein für Familien mit Kindern, für die ältere Bevölkerung, im Grunde für uns alle. Der Tourismuspolitische Bericht hat 76 Seiten. Es lohnt sich, ihn zu lesen. Man erfährt sehr deutlich: Tourismus ist keine Nebensache, sondern Tourismus ist das Topthema für die Politik. Das muss es auch in Zukunft sein. Ich bedanke mich für die sehr konstruktive Zusammenarbeit mit allen Fraktionen im Tourismusausschuss. Es machte Spaß, es machte Freude. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Gleicke, ganz herzlich für die sehr angenehme Zusammenarbeit. Auch wenn wir beide uns oftmals gekabbelt haben, fand ich die Zusammenarbeit ganz toll. Ich glaube, es macht uns beiden Spaß, Politik so zu gestalten. Vielen Dank Ihnen und Ihrem Team für Ihre Arbeit! An dieser Stelle danke ich auch der DZT. Die Auslandsvertretungen der DZT sind – das habe ich in Madrid erfahren dürfen, und auch unsere Ausschussvorsitzende hat das schon erwähnt – tolle Botschafter im Ausland für Deutschland. Ich möchte schließen mit zwei Zitaten: Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben. Wilhelm Busch meinte – ich denke, das gilt für uns alle –: Drum o Mensch, sei weise, pack die Koffer und verreise! Danke schön. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das waren zum Ende unserer heutigen Debatte ja ganz passende Worte. Wir müssen noch die Vorlage auf Drucksache 18/12505 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung angelangt. Ich bedanke mich bei Ihnen für die engagierten Debatten und wünsche Ihnen ein hoffentlich etwas geruhsames Wochenende. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. Juni 2017, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 16.00 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 23.06.2017 Bellmann, Veronika CDU/CSU 23.06.2017 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 23.06.2017 Brand, Michael CDU/CSU 23.06.2017 Dehm, Dr. Diether DIE LINKE 23.06.2017 Ernstberger, Petra SPD 23.06.2017 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 23.06.2017 Färber, Hermann CDU/CSU 23.06.2017 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 23.06.2017 Gabriel, Sigmar SPD 23.06.2017 Gienger, Eberhard CDU/CSU 23.06.2017 Gottschalck, Ulrike SPD 23.06.2017 Grötsch, Uli SPD 23.06.2017 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 23.06.2017 Herzog, Gustav SPD 23.06.2017 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.06.2017 Jüttner, Dr. Egon CDU/CSU 23.06.2017 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.06.2017 Kömpel, Birgit SPD 23.06.2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 23.06.2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 23.06.2017 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 23.06.2017 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 23.06.2017 Mortler, Marlene CDU/CSU 23.06.2017 Müller, Bettina SPD 23.06.2017 Nahles, Andrea SPD 23.06.2017 Nietan, Dietmar SPD 23.06.2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 23.06.2017 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.06.2017 Pilger, Detlev SPD 23.06.2017 Schiefner, Udo SPD 23.06.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 23.06.2017 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 23.06.2017 Stritzl, Thomas CDU/CSU 23.06.2017 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.06.2017 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 23.06.2017 Troost, Dr. Axel DIE LINKE 23.06.2017 Veit, Rüdiger SPD 23.06.2017 Vries, Kees de CDU/CSU 23.06.2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 23.06.2017 Wilms, Dr. Valerie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.06.2017 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Ulrike Bahr, Dr. h. c. Edelgard Bulmahn, Bernhard Daldrup, Dr. Karamba Diaby, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh-Krämer, Martin Gerster, Angelika Glöckner, Michael Groß, Bettina Hagedorn, Rita Hagl-Kehl, Ulrich Hampel, Frank Junge, Josip Juratovic, Thomas Jurk, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Katja Mast, Dr. Matthias Miersch, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Stefan Rebmann, Petra Rode-Bosse, Bernd Rützel, Johann Saathoff, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Dr. Dorothee Schlegel, Dagmar Schmidt (Wetzlar), Ursula Schulte, Norbert Spinrath, Kerstin Tack, Bernd Westphal und Dagmar Ziegler (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 30) Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 war diese Position ebenso deutlich formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber weiterhin unser erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür wir uns auch zukünftig gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einsetzen werden. Auch das SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 wird die Forderung der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen beinhalten. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werden wir dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sarah Ryglewski und Cansel Kiziltepe (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 30) Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung positioniert. Auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 haben wir diese Position deutlich formuliert: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Auch das Regierungsprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2017 enthält die Forderung nach einer Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. In der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten viele Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreicht, unter anderem den Mindestlohn, einen ersten Schritt zur Bekämpfung von Werkverträgen und Leiharbeit, das Lohngleichheitsgesetz, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die damit für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung bleibt weiterhin unser erklärtes politisches Ziel, für das wir uns gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einsetzen werden. Eine sozialdemokratisch geführte Regierung wird als erstes Reformen für gute Arbeit und gerechte Löhne umsetzen, die mit der Union nicht machbar sind, allem voran die Abschaffung von befristeten Arbeitsverträgen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Lediglich aus diesem Grund stimmen wir dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zu. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungspunkt 30) Petra Crone (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 war diese Position ebenso deutlich formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Das SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 wird die Forderung der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen beinhalten. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Ulrich Freese (SPD): Die SPD steht seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Schon in der letzten Wahlperiode hat meine Fraktion mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung gefordert. Auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 haben wir diese Position deutlich formuliert: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch heute inhaltlich ein. Leider konnten wir in den Koalitionsverhandlungen mit der Union die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung nicht vereinbaren, und auch heute verhindert der Widerstand von CDU und CSU, dass wir ein entsprechendes Gesetz eingebracht und verabschiedet haben. Im Koalitionsvertrag hat die SPD viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchgesetzt, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken: beispielsweise den gesetzlichen Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert, und es wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ist weiterhin mein erklärtes politisches Ziel, für das ich mich in der kommenden Wahlperiode gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einsetze. Im SPD-Programm zur Bundestagswahl 2017 werden die Ziele Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen stehen. Daran werden wir einen zukünftigen Koalitionspartner messen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Kirsten Lühmann (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar positioniert. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 war dieses Ziel ebenso deutlich formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert beziehungsweise wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber weiterhin mein erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür ich mich auch zukünftig gemeinsam mit meinen Kollegen und Kolleginnen der SPD-Bundestagsfraktion einsetzen werde. Auch das SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 wird diese Forderung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen beinhalten. In jedem Koalitionsvertrag vereinbaren die Parteien, im Deutschen Bundestag einheitlich abzustimmen. Kein Partner darf gegen den erklärten Willen des anderen gesetzliche Vorstöße machen beziehungsweise solche Anträge unterstützen. Davon hat die SPD in dieser Legislaturperiode schon mehrfach profitiert. So zum Beispiel bei der Frage von Einsätzen der Bundeswehr im Innern, die von der Union gefordert, von der SPD aber klar abgelehnt werden. Hier ist es nun umgekehrt. Da sich die CDU/CSU weiterhin verweigert, werde ich vertragstreu sein und dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Markus Paschke (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 war diese Position ebenso deutlich formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und sich auch in der laufenden Legislaturperiode kein Erkenntnisgewinn bei der Union eingestellt hat. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber weiterhin mein erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür ich mich auch zukünftig gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einsetzen werde. Auch das SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 wird die Forderung der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen beinhalten. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Die wichtige Abstimmung über die sachgrundlose Befristung findet am 24. September durch die Wähler statt. Der heutige Antrag ist ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver. Dr. Simone Raatz (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 war diese Position ebenso deutlich formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben wir außerdem einen wichtigen Schritt zur Eindämmung von Befristung an Hochschulen und in der Forschung gemacht. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber weiterhin mein erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür ich mich auch zukünftig gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einsetzen werde. Auch das SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 wird die Forderung der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen beinhalten. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Andreas Rimkus (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 war diese Position ebenso deutlich formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber weiterhin mein erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür ich mich auch zukünftig gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einsetzen werde. Auch das SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 wird die Forderung der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen beinhalten. Daher werde ich mich bei der Abstimmung zum Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke enthalten. Dr. Nina Scheer (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus, auch mit dem aktuell entstehenden Wahlprogramm, worin die SPD sich auch für die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen ausspricht. Leider waren diese Vorhaben mit der CDU/CSU in dieser Legislaturperiode nicht zu vereinbaren. Dies verdeutlicht, dass es mit einer Regierungsbeteiligung von CDU/CSU nicht gelingt, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten aber dennoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart und umgesetzt werden, allen voran der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Leider wird vonseiten der antragstellenden Fraktion Die Linke mittels des Antrags unterstellt, die SPD setze sich nicht für ihre eigenen Forderungen ein. Wider besseres Wissen erweckt die Fraktion Die Linke damit in der Öffentlichkeit den Eindruck, in einer Koalition als Fraktion gegen den Koalitionspartner stimmen zu können. Damit unterstellt sie der SPD-Fraktion zugleich, die eigenen Forderungen nicht ernst zu nehmen bzw. gar Wahlversprechen zu brechen. Dies möchte ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Es ist vielmehr die Fraktion CDU/CSU, die es zu verantworten hat, wenn die Abschaffung sachgrundloser Befristungen in dieser Legislaturperiode nicht umgesetzt werden kann. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 war diese Position ebenso deutlich formuliert worden: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird weiterhin auf der SPD-Agenda bleiben, genauso wie die Begrenzung von Kettenbefristungen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Gülistan Yüksel (SPD): Die SPD spricht sich seit langem für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD-Bundestagsfraktion beispielsweise mit dem Antrag „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird aber weiterhin mein erklärtes politisches Ziel bleiben, wofür ich mich auch zukünftig gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einsetzen werde. Auch das SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 wird die Forderung der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Überprüfung der Sachgründe für Befristungen zur Begrenzung von Kettenbefristungen beinhalten. Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 958. Sitzung am 2. Juni 2017 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschließung gefasst: 1. Zu Artikel 2 Nummer 6 (§ 3 Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz) Der Bundesrat stellt fest, dass die Haltung von Pelztieren in Gefangenschaft und die Tötung dieser Tiere zur ausschließlichen Gewinnung von Pelztiererzeugnissen keinen vernünftigen Grund im Sinne des § 1 des Tierschutzgesetzes darstellt. Diese Form der Pelztierhaltung erfüllt nicht die Anforderungen an eine art- und verhaltensgerechte Haltung der Tiere nach § 2 des Tierschutzgesetzes. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, auf ein sofortiges Verbot der Haltung und der Tötung von Tieren zur Pelzgewinnung sowie auf eine Deklarationspflicht für Pelze und Pelzprodukte hinzuwirken. Begründung: § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes sagt: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“. Ferner schreibt das Tierschutzgesetz in § 2 vor, dass Tiere ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht unterzubringen sind und dass die Möglichkeit der Tiere zu artgemäßer Bewegung nicht so eingeschränkt werden darf, dass ihnen Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Aus tierschutzfachlicher Sicht sind mindestens die Anforderungen der Empfehlungen des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft herausgegebenen Sachverständigengutachtens über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren aus dem Jahre 2014 einzuhalten, um nur annähernd dem Bewegungs- und Sozialverhalten von Pelztieren Rechnung zu tragen. Der Bundesrat hat schon in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (BR-Drucksache 302/12 – Beschluss –) in Ziffer 12 auf das Haltungsverbot von Pelztieren hingewirkt. Im Jahre 2015 hat der Bundesrat dann einen Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes eingebracht (BR-Drucksache 217/15 – Beschluss –), der vor dem Hintergrund des Artikels 20a des Grundgesetzes zum Ziel hatte, die Haltung und Tötung von Pelztieren allein zur Pelzgewinnung zu verbieten, um so das Leiden der Tiere zu verhindern. Im Übrigen ist diesem Bundesratsbeschluss zufolge die Haltung in Gefangenschaft und die Tötung von Pelztieren kein vernünftiger Grund im Sinne des § 1 Tierschutzgesetz. Die Bundesregierung hatte in ihrer Stellungnahme die Initiative des Bundesrates unterstützt und ein gesetzliches Pelztierhaltungsverbot als den richtigen Weg zur Sicherstellung des Tierschutzes eingestuft (BT-Drucksache 18/5866). Der vorgenannten Stellungnahme wie auch der Begründung zum vorliegenden Gesetz zufolge wird davon ausgegangen, dass die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Mindestanforderungen an die Pelztierhaltung, wie sie im Gesetz und in der geltenden Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung beschrieben werden, wirtschaftlich nicht realisierbar ist. Angesichts der Tatsache, dass die im Gesetz formulierten und nach der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung schon jetzt geltenden Haltungsanforderungen de facto nicht eingehalten werden und die entsprechenden Übergangsfristen in der Verordnung bereits abgelaufen sind, ist ein umgehendes Verbot geboten. Mit der Einführung der Deklarationspflicht für Pelze und Pelzprodukte können Konsumentinnen und Konsumenten Auskunft über Tierart, Herkunft und Gewinnungsart (Wildfang oder Zuchttiere) erhalten und auf diese Weise eine bewusste Kaufentscheidung fällen. Bisher fehlt es an einer solchen Regelung auf EU- bzw. Bundesebene. 2. Zu Artikel 2 Nummer 6 (§ 4 Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz) Auf Grund wissenschaftlich begründeter Anhaltspunkte für Schmerzen und Leiden von Feten ab dem letzten Drittel der Trächtigkeit bei der Schlachtung von Muttertieren bedarf es eines grundsätzlichen Schlachtverbots hochträchtiger Nutztiere. Der Bundesrat stellt fest, dass die im Gesetz eingeräumten Ausnahmemöglichkeiten zu weitreichend und unbestimmt sind. Begründung: Auf Grund wissenschaftlich begründeter Anhaltspunkte für Schmerzen und Leiden von ungeborenen Kälbern, Lämmern, Ferkeln und Fohlen durch Sauerstoffmangel bei der Schlachtung von Muttertieren ab dem letzten Drittel der Trächtigkeit sind Regelungen für ein Schlachtverbot hochträchtiger Nutztiere erforderlich. Bisher vorliegenden Erkenntnissen u. a. der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg zufolge, die gemeinsam mit der Universität Leipzig das Bundesforschungsprojekt „SiGN“ zur Schlachtung gravider Nutztiere durchführt, gibt es drei Gründe für die Schlachtung trächtiger Tiere: die weitere Nutzung der Tiere erscheint unwirtschaftlich (z. B. auf Grund teurer Behandlungskosten), die Trächtigkeit ist nicht bekannt oder auf Grund von Verletzungen. Nicht zuletzt aus ethischen Gründen ist die Schlachtung von Muttertieren in den vorgenannten Fällen nicht vertretbar, dies gilt auch für die im Gesetz ausgenommenen Schafe und Ziegen: Auch bei Feten bzw. ungeborenen Lämmern der kleinen Wiederkäuer ist wie bei ungeborenen Nachkommen von Equiden, Rindern und Schweinen von Schmerzen und Leiden durch Sauerstoffmangel auszugehen. Unterschiedliche Haltungsverfahren der Nutztiere rechtfertigen keine Ausnahme von dem Verbot. Die in hiesigen Breitengraden gehaltenen Schaf- und Ziegenrassen haben überwiegend eine saisonale Brunst, so dass der Ablammzeitraum und damit das letzten Drittel der Trächtigkeit grundsätzlich bekannt sind. Bei asaisonalen Rassen ist ein Deckmanagement möglich. Die im Gesetz festgelegten Ausnahmetatbestände sind zu weitreichend und unbestimmt. Tierschutzfachlich und -rechtlich kommen Ausnahmen vom Schlachtverbot allenfalls in Betracht, wenn sie im Falle von Tierseuchenausbrüchen aufgrund der Situation vor Ort als Einzelfallentscheidung durch den Amtstierarzt oder die Amtstierärztin angeordnet werden. – Gesetz zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung – Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat begrüßt mit Nachdruck das vorliegende Gesetz und das darin verfolgte Ziel, die Steuerumgehung mittels ausländischer Briefkastenfirmen zu bekämpfen. Gleichzeitig erneuert der Bundesrat seine Forderung, dass über die in dem Gesetz enthaltenen Maßnahmen hinaus zügig weitere geeignete Schritte zur Erhöhung der Transparenz bei finanziellen Auslandsbeziehungen und zur Bekämpfung der internationalen Steuerumgehung notwendig sind. Der Bundesrat sieht unverändert dringenden Handlungsbedarf insbesondere bei der Schaffung von Regelungen für eine gesetzliche Anzeigepflicht für Steuergestaltungen. Die Arbeiten zur Implementierung einer gesetzlichen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen müssen so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht werden. Eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen leistet einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken, weil sie den Gesetzgeber frühzeitig in die Lage versetzt, zielgerichtet und effektiv auf Steuergestaltungen zu reagieren. – Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Postdienstrechts – Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der laufenden Verhandlungen zur Änderung der Vierten Geldwäscherichtlinie (RL (EU) 2015/849) für eine mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen vereinbare Regelung zum öffentlichen Zugang zum Transparenzregister einzusetzen. Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung können nur effektiv bekämpft und von vornherein verhindert werden, wenn der Zugang zum Transparenzregister öffentlich ausgestaltet ist. Dies betonte der Bundesrat bereits ausdrücklich in seiner Stellungnahme vom 31. März 2017 (Beschluss, BR-Drucksache 182/17(B)). Für die Erreichung dieses Ziels ist es notwendig, dass die Bundesregierung die Entscheidungen auf europäischer Ebene vorantreibt und maßgeblich mitgestaltet. 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung außerdem, in Zusammenhang mit der geplanten Änderung der Vierten Geldwäscherichtlinie erneut die Verhältnismäßigkeit, insbesondere die Erforderlichkeit eines öffentlichen Zugangs zum Transparenzregister, zu prüfen. Zwar steht der Strafanspruch allein dem Staat zu. Allerdings sollte in die Prüfung insbesondere einbezogen werden, dass an der Aufdeckung von Briefkastenfirmen zur Verschleierung von Vermögen oder der Geldwäsche nicht allein Behörden, sondern eine Vielzahl anderer Personen, wie z. B. Journalisten, beteiligt waren und sind (vgl. „Panama Papers“). Das verfolgte Ziel, die Transparenz zu erhöhen, darf nicht durch unnötige Bürokratie unterlaufen werden. Es besteht die Gefahr, dass durch eine (zeitaufwändige) Abwägung zwischen dem Interesse derer, die Einsicht begehren, und dem Interesse der Eingetragenen die erstrebte Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Daher stellt der gestaffelte Zugang kein gleich geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels dar. Der öffentliche Zugang zum Transparenzregister ist somit erforderlich. Der Angemessenheit kann beispielsweise dadurch Rechnung getragen werden, dass der Eingriff in die Rechte des Eingetragenen durch Rückausnahmen begrenzt wird, vor der Nutzung des Registers eine Online-Registrierung erforderlich ist und die Einsichtnahme zum Zweck der Datenschutzkontrolle protokolliert werden kann. 3. Darüber hinaus fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, sich zumindest im Rahmen der künftigen Diskussion um die Ausgestaltung des Transparenzregisters mit dem Argument der Vergleichbarkeit zum Handelsregister auseinanderzusetzen. Die im Transparenzregister gespeicherten Angaben sind denjenigen im öffentlich zugänglichen Handelsregister vergleichbar. Dies wird auch durch die Verweise auf das Handelsregister und die mit der dortigen Eintragung geltende Fiktion der Erfüllung der Mitteilungspflicht im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Vierten Geldwäscherichtlinie deutlich. Mit diesen Argumenten betonte der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme vom 31. März 2017 (Beschluss, BR-Drucksache 182/17(B)), dass das Transparenzregister wie das Handelsregister für jede Person zugänglich sein soll. – Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht – Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises – Gesetz zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat begrüßt, dass die Ermittlungsbefugnisse der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsbehörden erweitert und dadurch ein weitestgehender Gleichlauf von zivilprozessualer und öffentlich-rechtlicher Vollstreckung herbeigeführt werden sollen. Dieser Zielsetzung entspräche es, den mit dem Inkrafttreten des EuKoPfVODG vom 21. November 2016 (BGBl. I S. 2591) seit dem 26. November 2016 bestehenden Widerspruch zwischen den Datenerhebungsrechten des Gerichtsvollziehers nach den §§ 755 und 802l ZPO und den Übermittlungsbefugnissen der Stellen nach § 74a Absatz 1 SGB X und der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 74a Absatz 2 SGB X durch die Streichung der Wertgrenze von 500 Euro aufzulösen. Insbesondere die Tatsache, dass eine entsprechende Anpassung des § 74a SGB X in dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz nicht enthalten ist, stellt nach Auffassung des Bundesrates eine Fortsetzung der Benachteiligung der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsbehörden des Bundes und der Länder dar, weil diese Behörden im Vergleich zu den Gerichtsvollziehern über weniger Befugnisse verfügen und deshalb die Erfolgsaussichten der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen geringer sind als die Erfolgsaussichten der Vollstreckung privatrechtlicher Forderungen. Durch die vom Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 10. März 2017 (BR-Drucksache 65/17 (Beschluss)), Ziffern 5 und 6) geforderte Streichung der Wertgrenze von 500 Euro sollte ferner sowohl die im Gemeinwohlinteresse liegende Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen gefördert als auch den Interessen der privaten Gläubiger und Kleinunternehmen gedient werden. Gründe der Verfahrensökonomie bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung können aus Sicht des Bundesrates angesichts dieses öffentlichen Interesses das Festhalten an der Wertgrenze nicht rechtfertigen. Auch das Interesse des Schuldners am Schutz seiner Daten kann das öffentliche Interesse nicht überwiegen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die dringend notwendige Änderung des § 74a SGB X herbeiführt. – Zweites Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften – Erstes Gesetz zur Änderung des E-Government-Gesetzes – Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs – Gesetz zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsannex) – Gesetz zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG) – Gesetz zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes (Hochwasserschutzgesetz II) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat bekräftigt die in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 2016 (BR-Drucksache 655/16 – Beschluss –) dargelegten Bedenken zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er bedauert, dass sie in dem nun vorliegenden Gesetz des Deutschen Bundestages nicht hinreichend berücksichtigt wurden. 2. Der Bundesrat stellt ebenfalls fest, dass der dem Gesetz zugrunde liegende Gesetzentwurf hinsichtlich der Angaben zum Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft nicht vollständig ist. Insbesondere ist die Vorgabe der hochwasserangepassten Bauweise nicht klar definiert, so dass eine Berechnung der daraus resultierenden Kosten nicht belastbar möglich ist. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der entstehende Verwaltungsaufwand bei den Landesbehörden ebenso wie die für Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft zu erwartenden Kosten erheblich sind. Da konkrete Vorgaben für die Umsetzung der Anforderungen der hochwasserangepassten Bauweise fehlen, muss jeweils im Einzelfall beurteilt werden, ob ein Vorhaben den Kriterien entspricht. 3. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass die bundesgesetzlichen Regelungen zum Hochwasserschutz mit Blick auf ihre Wirksamkeit und den erforderlichen Aufwand bis spätestens 31. Dezember 2019 evaluiert werden und die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat dazu berichtet. – Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes – Gesetz zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen – Gesetz zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsgesetz – EgVG) – Gesetz zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts – Gesetz zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) – Gesetz zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass sie die Anträge Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen auf Drucksache 18/5104 und Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern auf Drucksache 18/9856 zurückzieht. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umsetzungsbericht zum Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung von Resolution 1325 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 2013 bis 2016 Drucksache 18/10852 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung von Resolution 1325 zu Frauen, Frieden, Sicherheit des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 2017 bis 2020 Drucksache 18/10853 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Stand und Perspektiven des Wettbewerbs im deutschen Krankenversicherungssystem Drucksachen 18/11490, 18/11683 Nr. 5 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Koordinatorin der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt Die deutsche Luft- und Raumfahrt – Innovation und Hochtechnologie für eine Welt im Wandel Drucksachen 18/11692, 18/12181 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Energieforschung 2017 Drucksachen 18/11972, 18/12181 Nr. 1.15 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Energieeffizienz-Aktionsplan 2017 (NEEAP) der Bundesrepublik Deutschland Drucksachen 18/11973, 18/12181 Nr. 1.16 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung 2016 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates Bessere Rechtsetzung 2016: Mehr Zeit für das Wesentliche Drucksachen 18/12305, 18/12443 Nr. 1.5 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Strategie der Bundesregierung zur vorbildlichen Berücksichtigung von Biodiversitätsbelangen für alle Flächen des Bundes Drucksache 18/9710 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie Neuauflage 2016 Drucksache 18/10910 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung 2016 Drucksache 18/11975 – Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (Arbeitsbericht 18. Wahlperiode) Drucksache 18/12511 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/12654 Nr. A.1 Ratsdokument 8823/17 Innenausschuss Drucksache 18/8936 Nr. A.4 Ratsdokument 8670/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.11 Ratsdokument 10904/16 Drucksache 18/10932 Nr. A.2 Ratsdokument 14082/16 Drucksache 18/10932 Nr. A.3 Ratsdokument 15075/16 Drucksache 18/11029 Nr. A.1 Ratsdokument 15386/16 Drucksache 18/11229 Nr. A.2 Ratsdokument 5258/17 Drucksache 18/11484 Nr. A.5 Ratsdokument 6086/17 Drucksache 18/11484 Nr. A.6 Ratsdokument 15812/16 Drucksache 18/11484 Nr. A.7 Ratsdokument 15813/16 Drucksache 18/11484 Nr. A.8 Ratsdokument 15814/16 Drucksache 18/11693 Nr. A.1 Ratsdokument 5710/17 Drucksache 18/11693 Nr. A.2 Ratsdokument 5712/17 Drucksache 18/11693 Nr. A.4 Ratsdokument 6448/17 Drucksache 18/11693 Nr. A.5 Ratsdokument 6760/17 Drucksache 18/12456 Nr. A.3 Ratsdokument 8339/17 Sportausschuss Drucksache 18/11484 Nr. A.9 EP P8_TA-PROV(2017)0012 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/419 Nr. A.40 Ratsdokument 12257/13 Drucksache 18/419 Nr. A.41 Ratsdokument 12259/13 Drucksache 18/419 Nr. C.15 Ratsdokument 9037/13 Drucksache 18/7612 Nr. A.17 Ratsdokument 5252/16 Drucksache 18/8140 Nr. A.8 Ratsdokument 6799/16 Drucksache 18/8140 Nr. A.9 Ratsdokument 6801/16 Drucksache 18/8140 Nr. A.10 Ratsdokument 6802/16 Drucksache 18/9881 Nr. A.2 Ratsdokument 11885/16 Drucksache 18/10116 Nr. A.14 Ratsdokument 12503/16 Drucksache 18/10116 Nr. B.5 Ratsdokument 12109/16 Drucksache 18/10116 Nr. B.6 Ratsdokument 12496/16 Drucksache 18/10311 Nr. A.9 Ratsdokument 12675/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/12456 Nr. A.7 EP P8_TA-PROV(2017)0098 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/11484 Nr. A.16 EP P8_TA-PROV(2017)0010 Drucksache 18/12654 Nr. A.7 Ratsdokument 8631/17 Drucksache 18/12654 Nr. A.8 Ratsdokument 8637/17 Drucksache 18/12654 Nr. A.9 Ratsdokument 8693/17 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/10449 Nr. A.21 Ratsdokument 13288/16 Drucksache 18/11484 Nr. A.26 Ratsdokument 5768/17 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/11825 Nr. A.3 ERH 35/2016 Drucksache 18/12456 Nr. A.15 Ratsdokument 8198/17 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/8470 Nr. A.30 EP P8_TA-PROV(2016)0123 Drucksache 18/10116 Nr. A.33 EP P8_TA-PROV(2016)0344 Drucksache 18/10449 Nr. A.22 EP P8_TA-PROV(2016)0409 Drucksache 18/11029 Nr. A.27 Ratsdokument 15792/16 Drucksache 18/11229 Nr. A.32 EP P8_TA-PROV(2016)0485 Drucksache 18/11229 Nr. A.35 Ratsdokument 5743/17 1)  Anlagen 2 bis 4 2)  Ergebnis Seite 24725 D --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 241. Sitzung, Berlin, Freitag, den 23. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 241. Sitzung, Berlin, Freitag, den 23. Juni 2017 III Plenarprotokoll 18/241