Parlament

Was sind Überhang- und Ausgleichsmandate?

Ein leerer Stuhl im Plenarsaal mit Unterlagen und Sitzungskalender

Überhangmandate werden durch sogenannte Ausgleichsmandate kompensiert. (DBT/Simone M. Neumann)

709 Abgeordnete hat der 19. Deutsche Bundestag nach der Bundestagswahl vom 24. September 2017 gezählt. Damit hatte das bundesdeutsche Parlament 111 Abgeordnete mehr als normal vorgesehen. Und das Plenum umfasste damit 78 Abgeordnete mehr als im Vergleich zur 18. Wahlperiode. Damals zählte der Bundestag nach der Bundestagswahl vom 22. September 2013 insgesamt 631 Parlamentarier und somit 33 Abgeordnete mehr als vorgesehen.

Die reguläre Mindestanzahl der Sitze liegt bei 598: 299 Abgeordnete werden in den Wahlkreisen direkt gewählt, die gleiche Anzahl zieht über die Landeslisten der Parteien in den Bundestag ein. Wie viele Mitglieder der 20. Bundestag nach der kommenden Bundestagswahl am 26. September 2021 haben wird, ist völlig offen. Nur eins ist sicher: Das Bundestagsplenum wird deutlich mehr Sitze haben als 598. Bereits seit der Wiedervereinigung 1990 gehörten dem Bundestag stets mehr als 600 Mitglieder an. Das lag an der unterschiedlich hohen Anzahl von Überhangmandaten. Seit 2013 gibt es jedoch noch einen weiteren Grund: die Ausgleichsmandate. Was aber sind Überhangmandate und Ausgleichsmandate – und wie kommen sie zustande?

Überhangmandate sind kein neues Phänomen

Überhangmandate sind eine Besonderheit des personalisierten Verhältniswahlrechts im föderal verfassten Deutschland. Sie kommen zustande, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr dort nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen.

In der Geschichte der Bundesrepublik sind Überhangmandate keine neue Erscheinung: Bereits bei der ersten Bundestagswahl 1949 gab es zwei Überhangmandate. Doch ein Thema, über das kontrovers diskutiert wurde, waren sie lange nicht. Das lag daran, dass sie in der Vergangenheit den Ausgang von Bundestagswahlen kaum beeinflusst haben.

Rekord bei der Bundestagswahl 2009

Das hat sich jedoch geändert, seit nach der Wiedervereinigung die Zahl der Überhangmandate bei den gesamtdeutschen Bundestagswahlen zunehmend gestiegen ist. SPD und CDU/CSU erhielten auf diese Weise zusätzliche Mandate – ein Nachteil für die anderen Parteien, die ohne Ausgleichsmandate blieben. 1998 konnte beispielsweise die SPD alle der insgesamt 13 Überhangmandate auf sich vereinen. 2009 profitierte wiederum die Union von 24 Überhangmandaten – ein Rekord.

Je mehr aber solche Extra-Mandate anfielen, desto mehr widersprachen die Kräfteverhältnisse im Parlament dem eigentlichen Zweitstimmenergebnis und damit dem Grundsatz der Verhältniswahl. Bei einem knappen Wahlausgang hätte es sogar passieren können, dass nicht die Zahl der Zweitstimmen über die Verteilung der Macht entscheidet, sondern die Überhangmandate. Eine knappe Wahlniederlage hätte sich bei der Vergabe der Sitze in einen Wahlsieg verwandeln können. Das Wahlergebnis wäre so ins Gegenteil verkehrt worden.

Paradoxe Situation des „negativen Stimmgewichts“

Ein weiteres Problem stellte das „negative Stimmgewicht“ dar: Durch das Zusammenspiel von Überhangmandaten und der Verrechnung der Stimmen zwischen den Landeslisten konnte es zu der paradoxen Situation kommen, dass weniger Stimmen zu mehr Sitzen für die jeweilige Partei führen – und umgekehrt.

Dies veranlasste das Bundesverfassungsgericht zuletzt 2012 dazu, das bislang geltende Wahlrecht für verfassungswidrig zu erklären. Das Wahlrecht verletze „die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl“ und bewirke, „dass der Wählerwille in sein Gegenteil verkehrt wird“, so das Urteil der Richter.

Kompensation für Überhangmandate

Das Wahlgesetz, das der Bundestag im Februar 2013 verabschiedete, hatte somit vor allem das Ziel, entstehende Überhangmandate zu neutralisieren: Bei Bundestagswahlen anfallende Überhangmandate werden seitdem durch sogenannte Ausgleichsmandate für die anderen Parteien kompensiert. Erhält eine Partei also ein oder mehrere Überhangmandate, dann wird die Gesamtzahl der Sitze im Bundestag solange erhöht, bis das Größenverhältnis der Fraktionen im Bundestag den Anteil der Zweitstimmen bei der Wahl genau widerspiegelt.

Um diesen Proporz im Parlament über die gesamte Wahlperiode hinweg zu wahren, rücken seit 2013 für jegliche frei werdende Mandate neue Abgeordnete über die Landeslisten nach. Bislang blieben die Sitze nach dem Ausscheiden des Inhabers eines Überhangmandates unbesetzt. In der 17. Legislaturperiode (2009 bis 2013) etwa verlor die CDU/CSU-Fraktion deshalb zwei Mandate. Das Plenum schrumpfte von anfänglich 622 Sitzen auf 620.

Vor- und Nachteile der Ausgleichsmandate

Der Vorteil der Wahlrechtsreform von 2013: Das Kräfteverhältnis im Bundestag bleibt auch dann erhalten, wenn eine Partei überdurchschnittlich viele Überhangmandate auf sich vereint. Keine Partei kann künftig also mehr einen Vorteil aus Überhangmandaten ziehen.

Der Nachteil ist allerdings: Durch Ausgleichsmandate kann das bundesdeutsche Parlament deutlich größer werden als bisher. Im 18. Deutschen Bundestag im Jahr 2013 kamen aufgrund der Neuregelung zu den 598 regulären Sitzen vier Überhangmandate und 29 Ausgleichsmandate hinzu. Davon waren auf die CDU 13, die SPD zehn, die Die Linke vier und Bündnis 90/Die Grünen zwei Ausgleichsmandate entfallen.

Bei der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag im Jahr 2017 waren es sogar 46 Überhangmandate, von denen 36 auf die CDU, sieben auf die CSU und drei auf die SPD entfielen. Diese Überhangmandate wurden wiederum mit 65 Ausgleichsmandaten kompensiert. Davon entfielen 19 Mandate auf die SPD, 15 auf die FDP, elf auf die AfD, zehn auf Die Linke und zehn auf Bündnis 90/Die Grünen. Wie viele es im 20. Bundestag sein werden, wird erst nach der Bundestagswahl am 26. September 2021 feststehen. (sas/09.03.2021)

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