Parlament

Das Wahlrecht zur Bundestagswahl 2021

Wahlbenachrichtigungsschein

Die Wählerinnen und Wähler erhalten eine Benachrichtigung zur Bundestagswahl. (picture-alliance/chromorange)

Den Reigen der jüngsten Wahlrechtsreformen eröffnete der Bundestag am Donnerstag, 21. Februar 2013. Damals nahm er den gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur 22. Änderung des Bundeswahlgesetzes (17/11819) in der vom Innenausschuss geänderten Fassung (17/12417) an. Die Änderungen traten am 9. Mai 2013 in Kraft und wurden bei der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 erstmals angewendet.

Ziel war es, die die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteil vom 25. Juli 2012 umsetzen. Das Gericht hatte die Regelungen des Sitzzuteilungsverfahrens in Paragraf 6 des Bundeswahlgesetzes für nichtig erklärt, welche als Folge des Regelungsauftrags seines Urteils zum Wahlrecht vom 3. Juli 2008 vom Bundestag schon einmal angepasst worden waren.

Beseitigung des „negativen Stimmgewichts“

Ein Kernanliegen der Reform war die Änderung des Sitzzuteilungsverfahrens mit dem Ziel, das sogenannte negative Stimmgewicht zu beseitigen. Dieser Begriff beschreibt eine Paradoxie des alten Wahlrechts: Ein Mehr an Zweitstimmen konnte für eine Partei in bestimmten Konstellationen ein Weniger an Sitzen im Bundestag bedeuten und umgekehrt ein Weniger an Zweitstimmen ein Mehr an Sitzen.

Das seit den Wahlen zum 18. Bundestag geltende Wahlrecht kann in Abgrenzung zu den Regelungen, nach denen noch der 17. Deutsche Bundestag im Jahr 2009 gewählt wurde, wie folgt skizziert werden:

Beibehaltung der personalisierten Verhältniswahl

Das personalisierte Wahlrecht bleibt bestehen. Auch weiterhin wird die Personenwahl von Wahlkreisbewerbern nach den Regeln der relativen Mehrheitswahl (Erststimme) und die Wahl nach Landeslisten der Parteien im Wege der Verhältniswahl (Zweitstimme) kombiniert.

Maßgeblich für die Sitzanteile der Parteien im Bundestag ist das Zweitstimmenergebnis.

Verfahren der Sitzverteilung

An der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nehmen nur Parteien teil, die im Bundesgebiet mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Diese Sperr- oder auch Grundmandatsklausel genannte Regelung bleibt also auch nach dem neuen Wahlrecht erhalten.

Die Sitzverteilung als solche vollzieht sich aber mit wesentlichen Unterschieden zum alten Recht: Bei dem noch für die 18. Bundestagswahl geltenden Wahlrecht wurde in einem ersten Schritt zunächst ermittelt, wie viele Sitze eine Partei bundesweit aufgrund der Zweitstimmen erlangt hatte (sogenannte Oberverteilung). Diese Sitze wurden auf die Landeslisten der Parteien nach ihren jeweiligen Zweitstimmenergebnissen verteilt (sogenannte Unterverteilung).

Die Landeslisten einer Partei galten in der Regel bei der Sitzzuteilung als verbunden (Listenverbindung). Diese Regelung wurde abgeschafft. Die Sitzverteilung vollzieht sich nicht mehr wie bisher zuerst auf Bundesebene, sondern auf Landesebene.

Erste Stufe: Sitzkontingente nach Bevölkerungszahl

In einer ersten Stufe werden für die einzelnen Bundesländer bereits vor der Wahl feste Kontingente der insgesamt zu vergebenden Sitze bestimmt, die sich nach dem jeweiligen Bevölkerungsanteil (ohne Ausländer) richten. Nach der Wahl werden die Sitze auf die Landeslisten der Parteien zunächst getrennt nach den Bundesländern gemäß dem dort jeweils erzielten Zweitstimmenergebnis vergeben.

Für jedes Bundesland wird die Zahl der direkt in den Wahlkreisen gewonnenen Sitze auf die für die Landesliste jeder Partei ermittelten Sitze gemäß Zweitstimmenergebnis angerechnet. Hat eine Partei in einem Bundesland mehr Sitze in den Wahlkreisen errungen als sie nach der oben beschriebenen Sitzzuteilung auf die Landeslisten erzielt hat, so bleiben ihr auch diese direkt errungenen Sitze wie nach dem altem Wahlrecht erhalten (sogenannte Überhangmandate).

Zweite Stufe: Das Ausgleichsverfahren

Neu ist aber die zweite Stufe der Sitzverteilung, bei der vor allem entstandene Überhangmandate durch die Vergabe weiterer Mandate mit Blick auf den bundesweiten Parteiproporz vollständig ausgeglichen werden (sogenannte Ausgleichsmandate). Es wird deshalb zunächst die Gesamtzahl der Sitze so lange vergrößert, bis alle nach der Berechnung der ersten Stufe ermittelten Sitze inklusive der Überhangmandate auf Listenmandate anrechenbar sind.

Das bedeutet, dass sich der Sitzanteil jeder Partei gemäß ihrem Zweitstimmenanteil um die Anzahl eventueller Überhangmandate erhöht. Sodann werden noch so viele weitere Sitze vergeben, bis sich der bundesweite Parteienproporz nach dem Zweitstimmenergebnis in der Sitzverteilung widerspiegelt.

So erlangen die Parteien durch Überhangmandate keinen relativen Vorteil. Zuletzt werden die den einzelnen Parteien auf Bundesebene zugewiesenen Sitze auf die Landeslisten der Parteien nach ihrem dortigen Zweitstimmenanteil verteilt, wobei auf jede Landesliste mindestens so viele Sitze entfallen wie die Partei im Land Direktmandate erworben hat.

Reform 2020: Bundestag soll nicht weiter wachsen

Gut sieben Jahr später, am am Donnerstag, 8. Oktober 2020, beschloss der Bundestag eine erneute Änderung des Wahlrechts, als er den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (19/22504) auf Empfehlung des Innenausschusses (19/23187) unverändert annahm. Mit der Gesetzesänderung 2020 bekräftigte der Bundestag, an der mit der Wahlrechtsänderung von 2013 eingeführten Sitzzahlerhöhung zum Ausgleich von Überhangmandaten festzuhalten. Das Kernanliegen der Wahlrechtsänderung war es aber, eine weitere Vergrößerung des Bundestages zu verhindern.

Denn aufgrund von 46 Überhangmandaten und 65 Ausgleichsmandaten hat der 19. Bundestag 709 Mitglieder, also 111 mehr als die im Bundeswahlgesetz vorgesehene Regelgröße von 598 Abgeordneten. Daher beschloss das Parlament für die Bundestagswahl am 26. September 2021 und die folgende 20. Wahlperiode des Bundestages folgende Wahlrechtsänderungen:

Zusätzlichen Berechnungsschritt eingeführt

Durch die teilweise Anrechnung von Direktmandaten auf Listenmandate der gleichen Partei in anderen Bundesländern auf der ersten Stufe soll ein weiterer Aufwuchs vermieden werden. Hierzu wird wie bisher auf der ersten Stufe die prozentuale Verteilung der Listenmandate für die Parteien in den Bundesländern ermittelt. Neu eingeführt wurde die Regelung, dass jeder Landesliste der höhere Wert aus entweder der im Land errungenen Direktmandate oder dem auf ganze Sitze aufgerundeten Mittelwert zwischen diesen und den für die Landesliste der Partei nach der ersten Stufe ermittelten Sitzen zugeordnet wird.

Dieser zusätzlich eingeführte Berechnungsschritt kann zu einer Reduzierung der garantierten Mindestsitzzahlen im anschließenden Ausgleichsverfahren der zweiten Stufe führen und dient somit einer Kompensation eines Teils der Überhangmandate.

Ausgleichsmandate erst nach drei Überhangmandaten

Die Wahlrechtsänderung 2020 sieht zudem vor, dass das Ausgleichsverfahren erst nach drei Überhangmandaten einsetzt. Bei der Berechnung der Sitzzahlerhöhung auf der zweiten Stufe (Ausgleichsmandate) werden bis zu drei nicht anrechenbare Direktmandate nicht berücksichtigt und erst danach setzt der Ausgleich durch die Sitzzahlerhöhung ein.

Dadurch können künftig bis zu drei unausgeglichene Überhangmandate entstehen. Der nicht durchgeführte Vollausgleich aller Überhangmandate dient der Reduzierung der Bundestagsmandate. (wd/09.03.2021)

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