Parlament

Vom Parteien­wettstreit im Wahlkampf bis zur Regierungsbildung

Plakate unterschiedlicher Parteien bestimmen das Bild in den Straßen der Republik. Am 24. September 2017 wählen die Bundesbürger einen neuen Bundestag

Wahlplakate dominieren das Straßenbild in den Wochen vor dem Wahlsonntag. (dpa)

Kurz vor der Bundestagswahl am 24. September sind sie wieder allgegenwärtig: Bekannte und neue Politikerköpfe und dazu die Partei-Logos prangen auf Plakaten in nahezu jeder Straße der Republik. Parteien sind aus der modernen Demokratie nicht wegzudenken. Mit ihren Programmen wetteifern sie um die Gunst der Wähler. Die erfolgreichsten von ihnen ziehen schließlich in den Deutschen Bundestag ein und verleihen auf diese Weise dem Willen der Wähler Ausdruck.

Deutschland hat ein stabiles Parteiensystem

Die Parteienlandschaft in Deutschland zählt zu den stabilsten der Welt. Seit Bestehen der Bundesrepublik wird sie von den beiden großen Volksparteien CDU/CSU und SPD dominiert, die für den Kern des traditionellen politischen Spektrums von konservativen bis hin zu sozialdemokratischen Kräften stehen. Unter der Führung einer von ihnen wurde bislang jede Bundesregierung seit 1949 gebildet – häufig in einer Koalition mit der FDP, deren liberale Programmatik ebenfalls bis in die Entstehungszeit politischer Parteien im 19. Jahrhundert zurückreicht.

Zu den markantesten Veränderungen in der Parteienlandschaft zählt die Gründung neuer Parteien, die sich seitdem über mehrere Legislaturperioden im Bundestag als kleinere politische Kräfte neben den Volksparteien und den Liberalen behaupten konnten, wie beispielsweise Die Grünen. Außerdem hat die deutsche Wiedervereinigung für eine Erweiterung der Wählerschaft und des Parteiensystems gesorgt. So wurde aus den Grünen „Bündnis90/Die Grünen“, und links der SPD betrat 1990 die PDS, seit 2007 als „Die Linke“, die politische Bühne.

All diese als etabliert geltenden Parteien treten bei den Bundestagswahlen seit jeher mit bundesweiten Ambitionen an oder teilen diese Ambitionen, wie die bayerische Regionalpartei CSU mit ihrer großen Schwesterpartei CDU. Einige Parteien wie Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen sind ebenfalls stark regional, im Osten oder Westen, verwurzelt, würden diese geografische „Nische“ aber gern verlassen.

Fünf-Prozent-Hürde erleichtert Bildung stabiler Mehrheiten

Eine Vielzahl nicht etablierter Parteien bewirbt sich zudem bei jeder Bundestagswahl um die Zulassung und wirbt um die Gunst der Wähler. Längst nicht alle von ihnen ziehen aber schließlich in den Bundestag ein. Um eine zu große Zersplitterung des politischen Spektrums im Bundestag zu vermeiden und so die Bildung einer stabilen Regierungsmehrheit zu erleichtern, enthält das Bundeswahlgesetz eine sogenannte Fünf-Prozent-Hürde.

Parteien, die weniger als fünf Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erhalten, bleibt demnach der Einzug in den Bundestag verwehrt. Die Klausel bezieht sich dabei nur auf die Zweitstimmen. Erringt eine kleine Partei jedoch mindestens drei Direktmandate (über die Erststimmen), wird die Klausel nicht angewendet und die siegreichen Direktkandidaten können ihr Mandat antreten.

42 Parteien zur Bundestagswahl 2017 zugelassen

Am 8. August 2017 gab der Bundeswahlleiter bekannt, dass an der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag am 24. September 42 Parteien teilnehmen werden. Darunter die großen, bekannten Parteien, aber auch eine Vielzahl kleiner Parteien, die häufig ein einzelnes politisches Thema in den Blick nehmen. 34 Parteien beteiligen sich mit Landeslisten, acht treten lediglich mit Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten an.

Zuvor hatte der Bundeswahlausschuss die „Parteieigenschaft“ der zugelassenen Bewerber bestätigt, also dass diese Gruppen sämtliche Anforderungen und Merkmale einer Partei erfüllen.

Schlüsselrolle der Parteien in der Demokratie

Ohne Parteien wären demokratische Wahlen auf staatlicher Ebene nicht durchführbar. Parteien bieten den Bürgern zudem über den Wahltag hinaus die Möglichkeit der politischen Mitwirkung, integrieren eine Vielzahl einzelner Interessen, bündeln diese zu gemeinsamen Zielen und schaffen auf diese Weise abstimmungsfähige Optionen für staatliches Handeln im Parlament – kurzum, sie spielen eine Schlüsselrolle als Vermittler zwischen Gesellschaft und Staat, verleihen mittels der Parlamentsabgeordneten der Volkssouveränität Ausdruck.

Dieser besonderen Rolle der Parteien in der repräsentativen Demokratie trägt ihre Erwähnung im Grundgesetz Rechnung. Parteien haben in Deutschland verfassungsrechtlichen Rang. „Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen“, heißt es in Artikel 21 des Grundgesetzes.

„Zusammenschlüsse von Bürgern“ 

Das Parteiengesetz wiederum definiert den Begriff der Partei näher und beschreibt konkret die Aufgaben der Parteien. Danach sind Parteien Zusammenschlüsse von Bürgern, die auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag mitwirken wollen. Dazu müssen sie „insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl Ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten“.

Darüber hinaus enthält das Parteiengesetz Vorschriften über einzelne Bereiche des Parteiwesens wie die Gründung, Namensgebung und interne Organisation der Parteien, Grundsätze der Finanzierung, Gleichbehandlung und Rechenschaftslegung sowie den Vollzug des Verbots verfassungsfeindlicher Parteien. In ihrer Organisation sind Parteien zudem an die allgemeinen vereinsrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches gebunden.

Kritik an der Macht der Parteien

Auch wenn die Funktion, die politische Parteien heute in der Demokratie erfüllen, von den allermeisten anerkannt wird, ist die starke Position der Parteien im modernen politischen System in weiten Teilen der Bevölkerung und unter Experten nicht unumstritten. So erstreben vor allem Verfechter der direkten Demokratie, den Einfluss der Parteien in der parlamentarischen, repräsentativen Demokratie zugunsten eines Ausbaus von Elementen der Bürgerbeteiligung zurückzudrängen.

Dabei spielten Parteien in der Geschichte demokratisch verfasster Staaten nicht immer die Rolle, die sie heute innehaben, sondern ihre Funktionen und Möglichkeiten bei der Organisation politischer Meinungsbildung und Mitgestaltung haben sich im Lauf der Zeit gewandelt. Im ersten demokratisch gewählten Parlament in Deutschland von 1848 gab es noch keine Parteien. Mit dem Begriff „Partei“ bezeichnete man damals allgemein Weltanschauungen statt feste Organisationen. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben sich aus losen politischen Bewegungen Parteien gebildet.

299 unterschiedliche Stimmzettel

Sämtliche zur Bundestagswahl zugelassenen Parteien erscheinen in den Bundesländern und Wahlkreisen, in denen sie antreten, auf den Stimmzetteln. Dabei werden für jeden der 299 Wahlkreise, in die das Land für die Wahl eingeteilt ist, eigene Stimmzettel gedruckt, da in jedem Wahlkreis andere Kandidatinnen und -kandidaten antreten. Die Reihenfolge, in der die Parteien auf den Stimmzetteln aufgelistet sind, variiert zudem von Bundesland zu Bundesland. 

Dazu erklärte der Bundeswahlleiter: „Die Reihenfolge ist zunächst nach den Parteien bestimmt, die mit Landeslisten antreten. Ihre Reihenfolge in der rechten Spalte des Stimmzettels richtet sich nach der Zahl der Zweitstimmen, die die einzelnen Parteien bei der letzten Bundestagswahl 2013 in dem jeweiligen Land erzielt haben. Die übrigen Parteien sind in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet.“

Jeder Wähler hat zwei Stimmen 

Jeder Wähler hat bei der Wahl zum Deutschen Bundestag zwei Stimmen, die Erst- und die Zweitstimme. Die Wahlberechtigten können sowohl am Wahltag, dem 24. September, im Wahllokal abstimmen, als auch per Briefwahl, sie können dies im Inland tun sowie im Ausland. Sämtliche, die Bundestagswahl betreffenden organisatorischen Fragen sind im Bundeswahlgesetz geregelt, die Fäden laufen beim Bundeswahlleiter zusammen.

Im Wahlkampf heißt es nun für die Parteien um Stimmen zu werben und auf diese Weise eine möglichst große Zahl an Mandaten, also Sitzen im Parlament zu erringen. Je mehr Parlamentssitze eine Partei erhält, desto größer ihre politische Macht.

Die Fraktionen – Ausdruck parteipolitischer Macht

Die Abgeordneten derjenigen Parteien, die den Sprung ins Parlament schaffen, bilden dort entsprechende Fraktionen. Durch die Fraktionen verleihen die Parteien ihrem politischen Willen im Parlament Ausdruck, tragen ihren Wettbewerb um die beste politische Lösung aus. Die Anzahl der errungenen Sitze bestimmt die Stärke einer Fraktion.

Das Fraktionswesen ist in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Demnach sind Fraktionen „Vereinigungen von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen. Mitglieder des Bundestages, die sich zusammenschließen wollen, ohne Fraktionsmindeststärke zu erreichen, können als Gruppe anerkannt werden“. Auch dies ist möglich: Abgeordnete, die keiner Partei angehören oder sich keiner Fraktion anschließen, gelten als fraktionslos.

Fraktionen strukturieren die Parlamentsarbeit

Indem die Parteien im Bundestag Fraktionen bilden, strukturieren und organisieren sie ihre politische Arbeit im Parlament. Ähnlich der Organisation der Parteien nehmen Abgeordnete in den Fraktionen bestimmte Funktionen wie Fraktionsvorsitz oder Fraktionsgeschäftsführung wahr. Die Strukturen der einzelnen Bundestagsfraktionen ähneln einander stark.

Zu den wesentlichen Auswirkungen der Bildung von Fraktionen und ihrer zahlenmäßigen Stärke gehört, dass die Besetzung wichtiger Parlamentsgremien wie des Ältestenrates oder der Ausschüsse der Fraktionsstärke entsprechend vorgenommen werden muss. Je mehr Mitglieder eine Fraktion zählt, desto größer ihr Einfluss.

Hilfstruppe der Regierung statt Kontrolle der Exekutive?

Das Wahlergebnis zum 18. Deutschen Bundestag hatte zur Folge, dass sich vier Fraktionen bildeten. Die CDU/CSU-Fraktion ist mit 310 Sitzen die stärkste Fraktion, gefolgt von der SPD-Fraktion mit 193 Sitzen, der Fraktion Die Linke mit 64 Sitzen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit 63 Sitzen. Insgesamt umfasst der 18. Deutsche Bundestag 630 Abgeordnete.

Der politische Wettbewerb tritt bei den Fraktionen, die die Regierungsmehrheit bilden, in den Hintergrund zugunsten der Unterstützung der gemeinsam getragenen Regierung. Vielmehr setzen die Mitglieder der Regierungsfraktionen gemeinsam die Vorhaben der Bundesregierung um. Demgegenüber schärfen die Oppositionsfraktionen ihr Profil als politische Alternative in Konkurrenz zur Regierungsmehrheit. Sie sind es vor allem, die die Kontrollrechte des Parlaments ausüben.

Fraktionszwang statt freies Mandat?

Die Einrichtung der Parteien und Fraktionen überlagert dabei zwei in der Verfassung festgeschriebene Prinzipien: zum einen die Kontrollfunktion des Parlaments als Ganzes gegenüber der Regierung, zum anderen das Prinzip des freien Mandats, auf das sich die Abgeordneten immer wieder berufen und das die Abgeordneten keiner anderen Instanz unterwirft als ihrem Gewissen, das allerdings bei den allermeisten Entscheidungen zugunsten einer effizienten Parlamentsarbeit von der Fraktionsdisziplin überwölbt wird.

Entsprechend ihrer bei der Wahl erreichten Stimmenzahl versuchen die Parteien eine Regierung zu bilden oder sich an der Regierungsbildung zu beteiligen. Dabei fällt normalerweise der größten Fraktion die Aufgabe zu, die Regierungsbildung voranzutreiben, wozu sie sich in den allermeisten Fällen einen oder zwei Koalitionspartner suchen muss. Noch nie erlangte eine einzelne Partei bei Bundestagswahlen einen so großen Stimmenanteil, dass sie allein regieren konnte.

Koalition als Basis für eine stabile Regierung

Zumeist ging eine der beiden großen Volksparteien eine Koalition mit einem kleineren Partner, der FDP oder den Grünen, ein. Bereits dreimal kam es zur Bildung einer sogenannten Großen Koalition aus CDU und SPD, nämlich 1966 bis 1969 unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger sowie während der Kanzlerschaft von Angela Merkel in den Wahlperioden 2005 bis 2009 und seit 2013.

Statt Wahlaussagen zugunsten möglicher Koalitionspartner zu treffen, lassen die Politiker und Parteistrategen im Wahlkampf die Frage, mit wem sie nach der Wahl eine Regierung bilden wollen, aus taktischen Gründen meist offen. Lange gültige, traditionelle Muster, wer politisch zu wem passt oder welche Kombinationen von Parteien rechnerisch möglich sind, wurden durch den sich wandelnden Zeitgeist und das Auftreten neuer Parteien immer wieder überwunden.

Von den Koalitionsverhandlungen ...

Spätestens 30 Tage nach der Bundestagswahl muss der neu gewählte Bundestag gemäß Artikel 39 des Grundgesetzes zu seiner ersten, konstituierenden Sitzung in der neuen Wahlperiode zusammenkommen. Unter den Parteien beginnen Sondierungsgespräche über eine mögliche Zusammenarbeit. Entscheiden sich zwei oder mehr Parteien zur Zusammenarbeit, nehmen sie Koalitionsverhandlungen auf.

Erfolgreiche Koalitionsverhandlungen werden mit einem Koalitionsvertrag besiegelt, der die Grundlagen der Regierungsarbeit für die folgenden vier Jahre der Wahlperiode enthält. Die Unterhändler der Parteien legen in den Koalitionsverhandlungen die inhaltlichen Schwerpunkte der Zusammenarbeit, häufig bis ins Detail, fest, vereinbaren die Aufgaben- und Ressortverteilung und die Vergabe der entsprechenden Ämter.

... bis zur Kanzlerwahl

Mit ihrer Stimmenmehrheit wählen die zur Regierungskoalition zusammengeschlossenen Fraktionen schließlich die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler und stimmen in den folgenden vier Jahren der Wahlperiode gemeinsam für die Gesetzesvorhaben der Regierung. Bundeskanzler und Kabinettsmitglieder erhalten zuvor vom Bundespräsidenten ihre Ernennungsurkunden und legen anschließend in einer Zeremonie im Bundestag unter Leitung des Bundestagspräsidenten ihren Amtseid ab.

Im Durchschnitt der letzten Jahrzehnte findet die Wahl des Bundeskanzlers und die Vereidigung des Kabinetts fünf bis sechs Wochen nach der Bundestagswahl statt. Mit fast drei Monaten dauerte es in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode dagegen außergewöhnlich lange, die Vorgängerregierung blieb bis Dezember geschäftsführend im Amt, das schwarz-rote Kabinett konnte erst am 17. Dezember 2013 vereidigt werden. (ll/25.08.2017) 

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