Parlament

Die Fußangeln der personalisierten Verhältniswahl

Blick auf rote Roben von Verfassungsrichtern, die am Tisch sitzen.

Das aktuelle Wahlrecht ist auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen. (dpa)

Für die Bundestagswahl am Sonntag, 24. September 2017, kommt das Wahlrecht zur Anwendung, das bereits bei der vergangenen Bundestagswahl am 22. September 2013 galt und das auf der am 21. Februar 2013 vom Bundestag verabschiedeten Wahlrechtsreform basiert (17/11819, 17/12417). Die Gesetzesänderung geht auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von 2012 zum Sitzzuteilungsverfahren für die Wahlen zum Deutschen Bundestag zurück.

Der Bundestag hatte damals beschlossen, am System der personalisierten Verhältniswahl festzuhalten, bei dem die Personenwahl von Wahlkreisbewerbern nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl mit der Verhältniswahl von Landeslisten der Parteien kombiniert ist und durch Anrechnung der gewonnenen Direktmandate auf die Listenmandate der Grundcharakter der Verhältniswahl gewahrt wird. 

Der lange Weg zur Reform

Warum war es so schwierig, ein verfassungsgemäßes Wahlrecht zu verabschieden? Eine provokante Antwort lautet, in den Parteien überwiege das politische Interesse gegenüber dem Interesse an einer grundgesetzkonformen Regelung.

Oder ist das Bundesverfassungsgericht einfach zu streng? Kritiker beklagen, mit zunehmend detaillierten und komplizierten Vorgaben habe das Gericht den Gesetzgeber bei Wahlrechtsreformen vor nahezu unlösbare Probleme gestellt.

„Kaum noch nachzuvollziehendes Regelungsgeflecht“

Zweifellos ist das Wahlrecht ein harter Brocken, da es unterschiedliche, zum Teil widerstreitende Prinzipien zu verbinden sucht: Personen-, Mehrheits- und Verhältniswahlrecht, unitaristische  Elemente und föderale Belange. Daraus hat sich bei der Berechnung der Sitzzuteilung im Bundestag ein „für den Wähler kaum noch nachzuvollziehendes Regelungsgeflecht“ entwickelt, wie es in einem der zahlreichen Wahlrechtsurteile aus Karlsruhe heißt.

Als verfassungswidrigen Effekt dieses Regelungsgeflechts hat das Verfassungsgericht 2008 das sogenannte negative Stimmgewicht gerügt; die paradoxe Situation, dass mehr Zweitstimmen für eine Partei zu weniger Sitzen dieser Partei im Bundestag führen können.

Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte eine Nachwahl in Dresden bei der Bundestagswahl 2005. Hätte die CDU damals mehr als 41.225 Zweitstimmen in Dresden erhalten, hätte ein anderer CDU-Landesverband einen Listenplatz nach Sachsen abgeben müssen, da die verschiedenen Landesverbände einer Partei um Sitze im Bundestag konkurrieren.

Abwanderung eines Mandats vermieden

Nun hatte Sachsen aber bereits mehr erfolgreiche Direktkandidaten als dem Bundesland nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze im Bundestag zustanden. Diese sogenannten Überhangmandate bleiben unabhängig vom Zweitstimmenergebnis erhalten. Die nachträgliche Verbesserung des Zweitstimmenergebnisses nützte dann aber nichts mehr. Das Mandat, welches dafür zur CDU nach Dresden gewandert wäre, hätte die Partei bundesweit gesehen einen Abgeordnetensitz gekostet.

Auf diese Folgen wies die CDU die sächsischen Wähler im Wahlkampf hin. Mit Erfolg: Der CDU-Direktkandidat gewann, aber die Partei bekam nur 38.208 Zweitstimmen, sodass die befürchtete Abwanderung eines Mandats nach Dresden und damit ein Sitzverlust für die CDU im Bundestag vermieden werden konnte.

Höchstens „etwa 15“ Überhangmandate

Auch wenn der Effekt des negativen Stimmrechts „von unterschiedlichen Zusammenhängen“ abhängt, wie es in dem Karlsruher Wahlrechtsurteil von 2008 heißt, sei damit jedenfalls „regelmäßig dann zu rechnen, wenn bei einer Wahl Überhangmandate entstehen“. Als zulässige Höchstgrenze für Überhangmandate ohne Ausgleich haben die Verfassungsrichter in ihrem Wahlrechtsurteil von 2012 „etwa 15“ festgesetzt.

Weiter bestimmte das Gericht, dass den Bundesländern nicht länger Sitzkontingente nach der Wählerzahl zugeordnet werden dürften. Die Wahlrechtsnovelle von 2013 sah deshalb vor, dass der Bevölkerungsanteil der Länder maßgeblich für die Sitzzuteilung ist.

Wirkung der Überhangmandate wird neutralisiert

Die politisch zentrale Neuerung der Reform betrifft jedoch die Überhangmandate. Erringt eine Partei mehr Direktmandate als es ihrem Zweitstimmenanteil entspricht, werden Ausgleichsmandate an die anderen Parteien vergeben werden bis die Gesamtzahl der Mandate pro Partei (Direktmandate plus Listenmandate) den Anteil der für die Parteien abgegebenen Zweitstimmen möglichst genau wiedergibt.

Die Wirkung der Überhangmandate wird also vollständig neutralisiert. Diesen Weg hatte die SPD-Fraktion bereits bei der letzten Wahlrechtsreform vorgeschlagen. Die Unionsparteien, die bei der Bundestagswahl 2009 alle 24 Überhangmandate erhielten, setzten damals jedoch gemeinsam mit der FDP durch, dass die Überhangmandate durch die Neuregelung nicht angetastet wurden.

Widerstand bei der Linksfraktion

Auf Widerstand stieß das Ausgleichsmodell, für das nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern auch Bündnis 90/Die Grünen von früheren Positionen abrückten, weiterhin bei der Linksfraktion. Ihr Gesetzentwurf (17/11820) sah stattdessen vor, Überhangmandate mit Listenmandaten der betreffenden Partei in anderen Bundesländern zu verrechnen.

Dagegen wurde vor allem in der CDU, aber auch in der SPD eingewandt, dieser Vorschlag gehe zulasten bestimmter Landesverbände und führe zu erheblichen föderalen Verzerrungen. Die Linksfraktion wendete ihrerseits gegen das Ausgleichsmodell ein, es könne zu einer Aufblähung des Bundestages führen. Dazu hieß es in den übrigen Fraktionen, gemessen an der Einwohnerzahl habe Deutschland eines der kleinsten Parlamente in Europa. (gel/vom/25.01.2017)

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