Parlament

Hellmich: In die EU-Ver­teidi­gungspolitik kommt un­geheure Bewegung

Ein älterer Mann mit kurzen weißen Haaren und einer schwarzen Brille lächelt

Wolfgang Hellmich (SPD) (DBT/Melde)

Wie sieht die Zukunft der europäischen Verteidigung aus? Eine Frage, mit der sich auch die Interparlamentarische Konferenz zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU von Donnerstag, 7. September, bis Sonnabend, 9. September 2017, in Tallinn beschäftigt. Drei Szenarien, die von einer freiwilligen Zusammenarbeit bis hin zu einer Verteidigungsunion reichen, hat die EU-Kommission als Vorschläge vorgelegt. „In die europäische Verteidigungspolitik ist eine ungeheure Bewegung gekommen“, lobt Wolfgang Hellmich (SPD), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses.

Im Interview plädiert der Abgeordnete für eine intensivere Kooperation – auch, um zum Beispiel die EU besser vor Cyberattacken zu schützen. Überzeugt zeigt sich Hellmich als Leiter der Bundestagsdelegation zudem von der Zukunft einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. „Am Ende wird sich die Einsicht durchsetzen, dass eine Verteidigungsunion notwendig ist.“ Das Interview im Wortlaut:

Herr Hellmich, wie schätzen Sie die Stimmung der Delegierten ein: Welcher Vorschlag für die Zukunft der EU-Verteidigung findet am meisten Unterstützer?

In die europäische Verteidigungspolitik ist eine ungeheure Bewegung gekommen. Noch vor zwei, drei Jahren war das absolut nicht absehbar. Vor allem auch, weil viele Mitgliedstaaten in der Frage der Verteidigungszusammenarbeit auf der Bremse gestanden haben.

Großbritannien etwa…

Ja, aber nicht allein. Es waren auch polnische und schwedische Delegierte, die sich im vergangenen Jahr auf der Konferenz in Bratislava sehr klar gegen eine vertiefte europäische Verteidigungszusammenarbeit ausgesprochen haben. Das sieht inzwischen anders aus: Mehr Mitgliedstaaten, wie etwa auch Estland, wollen sich beteiligen. Was die Vorschläge der EU-Kommission betrifft: Es geht heute nicht um die Entscheidung für oder gegen das eine oder andere Szenario. Langfristiges Ziel ist aber eine Verteidigungsunion, da bin ich mir sicher. Dafür gibt es zwar weder eine konkrete Verabredung noch einen bestimmten Zeitrahmen – jedoch viele einzelne Schritte auf dem Weg dahin. Am Ende wird sich die Einsicht durchsetzen, dass eine Verteidigungsunion notwendig ist.

Ist die Entscheidung, ein Hauptquartier zur Bündelung des zivil-militärischen Krisenmanagements der EU einzurichten, ein solcher Schritt? Oder die Pläne für einen europäischen Kampfjet? 

Ja, die Möglichkeiten für eine ständige strukturierte Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und  Verteidigungspolitik, die der Vertrag von Lissabon immer geboten hat, werden nun erstmals genutzt. Die deutsch-französische Regierungsvereinbarung macht zum Beispiel konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung der Zusammenarbeit und führt neue Kriterien ein. Das ist ein entscheidender Unterschied zu vorher, als zwar allgemeinverbindliche Erklärungen gefasst wurden – aber nichts daraus folgte.

Lange lag das Feld der europäischen Verteidigungspolitik brach, nun wagen sich die EU-Mitgliedstaaten vor. Wie ist die plötzliche Dynamik zu erklären?

Dazu beigetragen hat sicher auch die Wahl des US-amerikanischen Präsidenten Trump. Dass dieser die Nato zunächst als obsolet bezeichnet hat, bewegte auch die kleineren osteuropäischen Länder dazu, intensiver über eine Vertiefung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit nachzudenken.

Eine vertiefte EU-Verteidigungszusammenarbeit soll keine Konkurrenz zur Nato sein, sondern nur eine Ergänzung, so heißt es. Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Ein erster Schritt der Kooperation ist etwa der Abgleich der Verteidigungsplanung zwischen Nato und EU. Dabei gilt zu klären, wo es möglicherweise Beschaffungs- und Verteidigungslücken gibt, die einzelne EU-Staaten, die auch Mitglied der Nato sind, schließen können. Weiter geht es um Kooperation im Bereich der Boden-und Luftverteidigung, im Kampf gegen hybride Kriegsführung und Cyberangriffe. Das sind Felder, in denen sich EU und Nato ergänzen können. Die Missionen jedoch werden unterschiedlich bleiben. Der Auftrag der EU ist schließlich ein völlig anderer als der der Nato, die eine reine Verteidigungsgemeinschaft ist.

Insgesamt etwa 4500 Nato-Soldaten, darunter 450 aus Deutschland, sind seit 2016 entlang der Nato-Ostgrenze stationiert. Insbesondere den nach der Annexion der Krim durch Russland verunsicherten Balten scheint das nicht zu auszureichen. Engagiert sich Deutschland hier genug?  

Natürlich wären die im Baltikum und in Polen stationierten Soldaten allein im Ernstfall nicht in der Lage, einen Angriff Russlands, das gerade ein großes Manöver an der Nato-Grenze vorbereitet, abzuwehren. Aber das Signal des Nato-Einsatzes ist eindeutig: Wer eines dieser Länder angreift, greift das gesamte Bündnis an und entfesselt einen Krieg mit allen Nato-Staaten. Wichtiger als die Anzahl der Soldaten ist es aus meiner Sicht, die Widerstandsfähigkeit der Staaten gegen Cyberattacken zu stärken. Von diesen geht derzeit eine größere Bedrohung aus als von klassischen kinetischen Angriffen.

Sie haben die Irritationen im transatlantischen Verhältnis seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump bereits angesprochen. Die Konferenz beschäftigt sich jetzt mit der Frage, wie es wieder gestärkt werden kann. Wie wichtig sind denn die transatlantischen Beziehungen noch?

Sehr wichtig, trotz der jüngsten Spannungen. Schließlich sind die USA und die EU politisch und wirtschaftlich eng verflochten. Ich bin überzeugt, dass wir uns vom transatlantischen Bündnis nicht verabschieden dürfen und auch nicht verabschieden können. Dass Europa die eigene Verteidigung stärken will, ist dazu kein Widerspruch. Wir brauchen die transatlantischen Beziehungen, und es wird des verstärkten diplomatischen Einsatzes aller EU-Mitgliedstaaten bedürfen, um die Zusammenarbeit wieder zu verbessern.

(sas/01.09.2017)

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