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Kultur und Geschichte

Laudatio von Tissy Bruns an die Geschwister Anita und Marian Blasberg

anlässlich der Verleihung des Medienpreises Politik 2010 des Deutschen Bundestages am 23. Februar 2011

 

Liebe Geschwister Blasberg,

Sie sind jung, jetzt geht es um nur einen Text und die spannendste Frage des Abends ist beantwortet. Drei gewichtige Gründe, dass diese Laudatio kürzer ausfällt als die erste. Gerade darum aber habe ich lange überlegt, wie ich mit einem Vergleich den Reiz Ihres Textes erklären kann, dem die Jury in großer Eintracht erlegen ist. Ich weiß, dass ich jetzt hoch greife: Ist es möglich, hat einmal jemand gefragt, am Schicksal einer ganz normalen Lübecker Kaufmannsfamilie die Zeit vor der Wende zum 20.Jahrhundert zu erklären? Es geht, wenn es einer kann.

Und es ist eben auch möglich, an einer kleinen Stadt in Ostdeutschland den Zustand unserer Demokratie im Jahr 2010 zu zeigen, wenn man es kann, wie die Autoren Anita und Marian Blasberg.

Nach Anklam muss man ja erst mal kommen. Ein Städtchen in Ostvorpommern. 20000 Einwohner, als die Mauer fällt, heute noch 14 000. Monika Zeretzke, die Rote Moni, hat noch ein Foto von damals: SPD-Schulz in seiner Lederjacke, CDU-Lehrkamp mit Vollbart, Moni mit Zuversicht im Gesicht.

In einem fein und klug und schonungslos beobachteten Menschenpanorama entfalten unsere Preisträger das Drama, das in Anklam zwanzig Jahre nach der Eroberung der Freiheit von der Demokratie nur noch Bruchstücke übrig lässt. Der Held ihres Stückes ist der „Dicke“, Michael Galander, ein Unternehmer, der Bürgermeister in Anklam werden kann, weil die Bürger von den Parteien nichts mehr erwarten. Und er bleibt trotz einer Suspendierung, trotz Staatsanwalt und Rechtsaufsicht, die seine Amtsführung untersucht. 65 Prozent haben ihn wieder gewählt, zwei von drei Wählern.

Aber nicht zwei von drei Bürgern. 1990, bei der ersten Wahl, war die ganze Stadt auf den Beinen. „Bei der letzten Kommunalwahl ging nicht einmal die Hälfte vor die Tür.“

Man braucht Mut und Ambition, um Leserinnen und Leser für diesen trostlosen Stoff zu interessieren. Und ein scharfe Beobachtungsgabe, Realitätssinn, Haltung und Sinn für Dramaturgie, um diese Leser dann auch bei der Stange zu halten. Den Geschwistern Blasberg, wie die beiden Autoren in der Jury schnell hießen, gelingt nicht nur das. Da steht der Dicke, der in dieser Stadt alles in der Hand und im Griff hat, am Anfang ihrer Geschichte auf der Rathaustreppe und nennt die Stadtvertreter lässig „meine Demokraten“. Ein Bürgermeister, der von sich sagt, er sei kein Politiker. Keine Partei, eine Wählergruppe ist seine Basis, die sich Initiativen für Anklam nennt. „Sie sind Bauunternehmer und Planungsingenieure, Leute, die Gaststätten führen, Pflegedienste, Gartenbaubetriebe. Sie sagen: Was für die Unternehmen gut ist, ist gut für Anklam. Im Kommunalwahlkampf charterten sie einen Segelflieger und kreisten mit einem IfA Banner über der Stadt, Jetzt verlosen sie Einkaufsgutscheine vor dem Baumarkt eines Mitglieds.“

In Anklam, am Rande der Republik, wird die Politik abgewählt. Wie konnte das passieren? fragen die Autoren. Sie erzählen einen ungewöhnlichen, den Ausnahmefall, ganz aus Alltag dieser Stadt. Beobachten Menschen, die dort leben, sich abmühen, im Kommunalparlament engagieren, resignieren. Im Leser steigt die Ahnung auf, dass hier womöglich ein exemplarischer Fall geschildert wird, dass es sich um Verhältnisse handelt, die sich auch anderswo entwickeln könnten, der Leser bleibt dabei. Und fängt an, sich selbst Gedanken zu machen. Und Fragen zu stellen

Das ist eine fabelhafte journalistische Arbeit. Ich vermute, dass sie ohne eine klare demokratische Haltung gar nicht möglich wäre. Man muss schon eine Vorstellung davon haben, was Demokratie sein könnte, um so präzise aufzudecken, was in ihr schief gehen kann. Dieser innere Maßstab der Autoren wird den Lesern an keiner Stelle vorgehalten. Nie wird der „Dicke“ denunziert. Die unermüdlichen Rackerer des Anklamer Parlamentarismus erfreuen sich keinerlei Rücksicht einer Correctness, wohl aber der Empathie der beiden Autoren.  Anita und Marian Blasbergs Text spricht eine deutliche Warnung aus, weil er auf jeden Alarmismus verzichtet.

Am Ende des Dramas versammeln sich 256 NPD-Anhänger auf dem Anklamer Bahnhofsvorplatz. Wer sich vor ihnen aufbaut, ist der dicke Herr Galander.  „Wir sind die wahren Demokraten“ ruft NPD-Chef Andrejewski ins Megaphon. Galander ist der Einzige, der sich ihm an diesem Morgen entgegenstellt. „Jetzt machen sie die Sache unter sich aus“.

Damit endet der Text. Und wer es liest, der hat ihn, den Gedanken: Na, da muss man doch wirklich etwas machen.

Herzlichen Glückwunsch!

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