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Parlament

Die rote Kämpferin: Heidemarie Wieczorek-Zeul

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD)

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) (Heidemarie Wieczorek-Zeul)

Willy Brandt wirkt fast blass im farbenfrohen Büro von Heidemarie Wieczorek-Zeul. Direkt hinter ihrem Schreibtisch hat sie eine Fotografie des SPD-Schwergewichts hängen – daneben die UN-Sonderbotschafterin und Menschenrechtlerin Waris Dirie. Beide übermächtig groß und schwarz-weiß. Darunter hat sich Heidemarie Wieczorek-Zeul selbst postiert. Bunt und in Farbe, wie es die „rote Heidi“ liebt, lehnt das eingerahmte Wahlplakat aus den neunziger Jahren am Schrank – seltsam, halbfertig, als wolle Wieczorek-Zeul sich selbst nicht in einer Reihe mit Brandt und Dirie sehen. Willy Brandt gilt als ihr großer Förderer, Waris Dirie verkörpert den Kampf für Menschenrechte und Gerechtigkeit.

Das ist auch ihr Anliegen. Heidemarie Wieczorek-Zeul war elf Jahre Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit unter Schröder und unter Merkel, 26 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages. Nun räumt sie ihr Büro im Paul-Löbe-Haus – freiwillig. „Ich habe gedacht, mein 70. Geburtstag ist ein schöner, äußerlicher Anlass, um als Abgeordnete aufzuhören“, lacht Wieczorek-Zeul.

Im Duell mit Schröder und Scharping

Im November vergangenen Jahres feierte die „rote Heidi“ – wie sie aufgrund ihrer Haarfarbe und ihrer linken Position in der SPD genannt wird – das runde Jubiläum. Altbundeskanzler Gerhard Schröder hielt die Laudatio. Wieczorek-Zeul und Schröder verbindet ein besonderes Verhältnis, wenn man so will. Die SPD-Linke trat 1993 gegen Schröder im direkten Duell um den Parteivorsitz an. Sie verlor. Gegen Schröder und gegen Rudolf Scharping, der im Juni 1993 zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde. Man habe durchaus um Positionen gestritten, sich aber immer respektiert, sagt Wieczorek-Zeul über Schröder heute.

Altkanzler Schröder verglich sie zum 70. Geburtstag mit der hartnäckigen Witwe aus dem Lukas-Evangelium. Heidemarie Wieczorek-Zeul lacht: „Sie ist jemand, die solange den Richter nervt, bis sie ihr Recht bekommt.“ Immer wieder am Ball bleiben, immer wieder fordern. So sieht sich auch die „rote Heidi“ selbst. Ein guter Politiker brauche eine Vision, müsse in der Praxis kompromissbereit und nachhaltig sein, immer vorangehen und sich nicht vom richtigen Weg abbringen lassen, sagt die ehemalige Ministerin.

Kritik am Treffen mit dem Dalai Lama

Heidemarie Wieczorek-Zeul wusste früh, was sie will. Die Erfahrungen mit der Nazi-Barbarei und die Trümmer des Zweiten Weltkrieges entfachten in ihr den Drang nach Veränderung. Als Studentin hatte sie ein Kolloquium mit dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer – dem Ankläger in den Auschwitz-Prozessen. Auch ihr Professor habe sie motiviert, in die Politik zu gehen. „Ich wollte etwas bewegen“, sagt Wieczorek-Zeul.

1965 tritt sie in die SPD ein, 1974 wird sie zur Bundesvorsitzenden der Jungsozialisten, damals als erste Frau. 1979 wird sie Mitglied des Europäischen Parlamentes. Ihr Vorbild Willy Brandt war dabei die treibende Kraft. „Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich Europaabgeordnete wurde“, so Wieczorek-Zeul.

Seit 1987 sitzt sie im Deutschen Bundestag, von 1998 bis 2009 war sie Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der Irak-Krieg fiel in ihre Zeit. Das Vorgehen der USA bezeichnete sie damals als Verbrechen. Diesen Ausdruck würde Heidemarie Wieczorek-Zeul heute wieder verwenden, sagt sie sofort. 2002 traf sie den Dalai Lama, als einziges Regierungsmitglied und erntete dafür Kritik – auch aus den Reihen der SPD. Die damalige Aufregung kann Wieczorek-Zeul heute immer noch nicht verstehen. „Ich habe schon ganz andere Menschen getroffen.“

Der Gedanke an Rücktritt

Heidemarie Wieczorek-Zeul geht ihren eigenen Weg – hartnäckig und zielsicher, gegen alle Widrigkeiten. Doch als Finanzminister Hans Eichel (SPD) zu Beginn ihrer Minister-Ära den Etat für ihr Ministerium kürzte, wollte sie aufhören. „Es gab eine Phase nach anderthalb Jahren, in der ich an Rücktritt dachte. Doch ich habe es durchgestanden.“

Aufgeben hätte auch nicht ins Bild gepasst. Heidemarie Wieczorek-Zeul ist eine Kämpferin, eine, die nicht locker lässt. Eine, die ihr Recht einfordert – so wie die hartnäckige Witwe aus der Bibel. Mit dem Widerstand kam die Wertschätzung. Kanzler Schröder achtete ihre Politik, ihren Sinn für Gerechtigkeit. Als erste Entwicklungshilfeministerin durfte Wieczorek-Zeul im Bundestag eine Regierungserklärung abgeben.

„Das Leid in sich hineinlassen“

Sie kämpfte als Ministerin gegen die Genitalverstümmelung bei Mädchen, gegen die Verbreitung von Aids, und für mehr Bildung in den Entwicklungsländern. „Die Initiative zur Entschuldung  der hochverschuldeten ärmsten Entwicklungsländer haben wir 1999 in Gang gesetzt. Sie brachte 125 Milliarden Dollar Entlastung für die Entwicklungsländer, die sie in Gesundheit und Bildung investieren sollten. Das hat dazu geführt, dass in Afrika 34 Millionen Kinder mehr in die Schule gehen können“, sagt Wieczorek-Zeul stolz.

Dennoch: Auf den vielen Reisen begegnete ihr immer wieder das bedrückende Schicksal der Menschen, die Armut vor Ort. Man müsse das Leid in sich hineinlassen, und daraus so viel Energie entwickeln, um Veränderungen zu schaffen. Ein Feuer entfachen, um etwas zu bewegen, meint die ehemalige Ministerin.

Engagiert für einen eigenständigen Staat Palästina

Die Flamme ist in ihrem Herzen noch längst nicht erloschen. Sie möchte sich weiter einmischen – auch ohne einen Platz im Parlament. „Wir brauchen ein parlamentarisches Kontrollorgan zur Frage der Waffenexporte. Das muss in jedem Fall umgesetzt werden, egal ob ich im Plenum sitze oder nicht, sonst würde Deutschland immer mehr zu einem großen Waffenexporteur“, sagt sie mit Nachdruck. „Und ich werde mich immer für einen eigenständigen Staat Palästina engagieren.“

Also auch in Zukunft wird sich Wieczorek-Zeul von der politischen Bühne nicht ganz verabschieden. „Ich werde weder auf dem Sofa sitzen noch stricken“, lacht die Frau mit den markant roten Haaren. Die Haarfarbe werde sie beibehalten. „Die habe ich nicht aus politischen Gründen. Ich bin von Natur aus schwarzhaarig. Meine Mutter hatte rote Haare, als diese früh gestorben ist, habe ich meine Haare rot gefärbt.“

Mit einem Bein in Berlin

Die „rote Heidi“ ist privat eine leidenschaftliche Kinogängerin. Künftig bleibt ihr mehr Zeit dafür und für ihre anderen Hobbys: Wandern, Lesen, Essen gehen mit Freunden oder Sprachen lernen. Heidemarie Wieczorek-Zeul spricht französisch, englisch, spanisch und etwas arabisch. Sie liebt das Reisen, vor allem Afrika liegt ihr am Herzen.

Die Entwicklungen dort werde sie weiterverfolgen, ebenso wie die deutsche Politik für diese Länder. „Ich werde mit einem Bein weiter in Berlin bleiben, vielleicht auch mit zweien“, schmunzelt sie. Es ist dieses vielsagende Lächeln. Heidemarie Wieczorek-Zeul weiß, was sie will. Und dafür kämpft sie. Das setzt sie durch. Unter der Fotografie Willy Brandts in ihrem Büro liegen rote Boxhandschuhe. Sie waren einmal ein Geschenk für alle weiblichen Ministerinnen im Kabinett Merkel. Sie passen zu Heidemarie Wieczorek-Zeul wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. (ldi/29.04.2013)

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