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Parlament

Rheinischer Antimilitarist: Alexander S. Neu

Alexander S. Neu (Die Linke)

Alexander S. Neu (Die Linke) (DBT/Melde)

Klappern gehört zum Geschäft – zum politischen allemal. Das weiß auch Dr. Alexander S. Neu, seit seinem Einzug in den Bundestag 2013 Obmann der Fraktion Die Linke im Verteidigungsausschuss. Wer öffentliche Aufmerksamkeit erregen und Debatten anstoßen will, muss provozieren. Der promovierte Politikwissenschaftler aus dem Wahlkreis Rhein-Sieg-Kreis I scheint das bisweilen mit Lust zu tun. Bei seiner ersten Rede im Plenum erntete er empörte Zurufe und eine Ermahnung der Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn, als er der Bundesregierung vorhielt, „die völkerrechtliche Etablierung von Präventivkriegen als Selbstverteidigungsfall“ sei „nichts anderes als ein Ermächtigungsgesetz“.

„Kein Freund diplomatischer Begrifflichkeiten“

Ein Jahr später rief Neu in einem Youtube-Video zu einer Demonstration „gegen die Kriegstreiber der Sicherheitskonferenz“ in München auf, an der er selbst teilnahm. Die prompte Verärgerung der Veranstalter nahm er dankend in Kauf. „Ich bin kein großer Freund von diplomatischen Begrifflichkeiten, die die Öffentlichkeit nicht versteht“, verteidigt sich der 46-Jährige, der in beiden Ohrläppchen Ringe und oft einen Pferdeschwanz trägt. „Man muss die Dinge beim Namen nennen.“ Auf der Konferenz träfen sich „Militärs, Rüstungsindustrie und Außenpolitiker vorwiegend westlicher, proatlantischer Orientierung, um ihre Interessen zu diskutieren. Das prangere ich mit klaren Worten an.“

„Sehr hart kontra zu geben“, das hat sich Neu für seine erste Legislaturperiode vorgenommen. Sicher auch aus politischem Kalkül: „Als neuer Abgeordneter aus dem überaus linken Landesverband Nordrhein-Westfalen (NRW) müsse er sich eine radikale Aura schaffen“, zitierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in ihrem Porträt der „Ganz linken Linken“ Kollegen des aus Much im Bergischen Land stammenden Sicherheitsexperten.

Das Büro des Vorgängers geerbt

Profilierung tut not, schließlich führte die Galionsfigur der Linken in der Linken, die neue Ko-Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Dr. Sahra Wagenknecht, bei der Bundestagswahl 2013 die NRW-Landesliste an. Andere Parteilinke wie Sevim Dağdelen und Andrej Hunko fanden sich ebenfalls auf den vorderen Plätzen. Alexander Neu gelang knapp von Platz zehn der Sprung in den Bundestag.

Neu im Parlament ist Neu jedoch keineswegs. Seit 2006 arbeitete er als Referent für Sicherheitspolitik in der Bundestagsfraktion Die Linke. Sein Chef war der frühere verteidigungspolitische Sprecher Paul Schäfer, der 2013 nicht mehr zu Wahl antrat. Neu hat sein Büro mit Blick auf den Birkenhain im Innenhof geerbt. Wie viele Nachfolger versucht auch er sich abzusetzen: Im Gegensatz zu Schäfer, der eine Beteiligung der Bundeswehr an UN-Missionen nicht ausschloss, lehnt Neu diese gemäß dem Grundsatzprogramm der Linken strikt ab.

Keine Bundeswehrbeteiligung an UN-Missionen

Vorstellen könnte er sich deutsche Streitkräfte als Teil eines UN-Militäreinsatzes nur, wenn die Vollversammlung der Vereinten Nationen darüber zu entscheiden hätte, nicht der Sicherheitsrat. Diese Position vertrat er 2014 in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“ anlässlich der von Bundespräsident Joachim Gauck angestoßenen Debatte, ob Deutschland auch durch Militäreinsätze mehr internationale Verantwortung übernehmen müsse.

Für Neu ist die Antwort klar: „Deutschland kann gern mehr Verantwortung übernehmen – im zivilen Bereich, aber nicht militärisch.“ Anders als die verteidigungspolitische Sprecherin Christine Buchholz will er die deutschen Streitkräfte aber nicht abschaffen, sondern nur strikt zur Landesverteidigung einsetzen. „Ich bin kein Pazifist. Ich bin Antimilitarist“, stellt Neu klar. „Ich akzeptiere, wenn Länder zur Selbstverteidigung eine Armee haben. Insofern stehe ich auch zu Bundeswehr als Verteidigungsarmee gegen militärische Angriffe von außen.“

OSZE-Wahlbeobachter im ehemaligen Jugoslawien

Aus den militärischen Strukturen der Nato hingegen solle Deutschland austreten, findet er. Neu, der in der Ukraine-Krise Russland verteidigt hat, träumt stattdessen von einer europäisch-russischen Wirtschafts- und Sicherheitsunion. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa müsse gestärkt werden: „Wir wollen eine OSZE von Lissabon bis Wladiwostok, die demokratischer ist und endlich sicherheitskollektive Verantwortung übernimmt.“

Neu selbst arbeitete mehrere Jahre für die Organisation im ehemaligen Jugoslawien. Zwischen 2000 und 2004 war er unter anderem zur Beobachtung von Wahlen und Medienberichterstattung in den Konfliktgebieten auf dem Balkan.

Von den Guten und den Bösen im Krieg

Für seine Doktorarbeit, die in dieser Zeit ebenfalls entstand, nahm er wiederum die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der „Times“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ unter die Lupe. „Ich wollte zeigen, welche Bilder sie aufbauen, um den Konfliktparteien klare Rollen zuzuschreiben – hier die ‚good guys‘, da die ‚bad guys‘ –, und wie sich solche Stigmatisierungen verfestigten“, erklärt Neu. Sein Fazit: Die Serben seien nahezu uneingeschränkt als die Übertäter dargestellt worden, die Slowenen, Kroaten und muslimischen Bosnier hingegen fast ausschließlich als Opfer.  

Neus Auseinandersetzung mit den Konflikten auf dem Balkan ist nicht nur wissenschaftlich motiviert. Als Kind jugoslawischer Eltern wurde er in Deutschland geboren und wuchs in einer deutschen Familie auf. Als junger Mann jedoch suchte er nach seinen Wurzeln. So lernte er seine biologischen Eltern kennen – und deren Heimat, im „serbisch-mazedonischen Raum“.

„Raumschiff Berlin“

Wissenschaftliche Aufsätze, Konzepte, Papiere – hier ist Neu, der in Bonn neben Politik auch Soziologie und Philosophie studiert und von einer akademischen Karriere geträumt hat, in seinem Element. Das „Raumschiff Berlin“, wie er den Bundestag nennt, ist inzwischen seine Welt, ebenso abgehoben wie sein Kernthema, die Außen- und Sicherheitspolitik. Mit dem Mandat und der dazugehörenden Wahlkreisarbeit habe er begonnen, „bodenständig“ zu werden, stellt Neu fest.

Das Spektrum der Themen, mit denen er sich jetzt auch beschäftigen muss, reicht von Anwohnerprotesten gegen den Lärm einer Fleischfabrik bis zur Verkehrspolitik. „Für mich ist das alles Neuland. Aber nicht uninteressant“, sagt der Abgeordnete. Sich nicht immer mit kriegerischen Konflikten, Geopolitik oder Wehrtechnik beschäftigen zu müssen, sondern auch mal mit dem „ganz normalen Leben“ sei ganz „erfrischend“, findet der Vater zweier Kinder.

Vorgartenmaße und die Achse des Bösen

Es gab eine Zeit, da nervte ihn aber das Klein-Klein der Kommunalpolitik: Von 1999 bis 2004 – damals noch als Mitglied der Grünen – saß Neu in der Bezirksvertretung Köln-Ehrenfeld. „Die Diskussion um Vorgartenmaße war nicht so meine Welt“, erinnert er sich. Lieber beschäftigte er sich mit der Außen- und Sicherheitspolitik.

Im „AK Internationales“ organisierte er Diskussionsveranstaltungen wie etwa zu „Nordkorea - Nächste Station auf der Achse des Bösen?“. Zu dieser Zeit habe er noch versucht, die Grünen weiter nach links zu bringen, erzählt Neu. Als sich 2005 die Gründung der Partei Die Linke abzeichnete, verließ er jedoch die Ökopartei.

Umweltkatastrophe als „Erweckungserlebnis“

Dabei war es doch eine Umweltkatastrophe, die ihn politisierte: 1986 brannte eine Lagerhalle des Chemiekonzerns Sandoz in Basel – dabei floss hochgiftiges, rotgefärbtes Löschwasser in den Rhein und löste ein Massenfischsterben aus. Dass das benachbarte Chemieunternehmen Ciba-Geigy den Unfall nutzte, um sich billig seiner Chemie-Abfälle zu entledigen, in dem es diese auch in den Fluss einleitete, schockte Neu, damals ein 17-Jähriger, der in seiner Freizeit Leichtathletik trieb: „Für mich war das eine Art politisches Erweckungserlebnis“, erinnert er sich.

„Bei einem Staatsunternehmen wäre das nicht passiert, davon war ich überzeugt, denn die sind ja nicht profitorientiert.“ Nach der Wende in der DDR habe er zwar „ernüchtert“ feststellen müssen, dass die Lage der Umwelt dort noch viel schlimmer gewesen sei. „Ich bin aber links geblieben“, sagt er. „Wenn auch nicht im staatssozialistischen Sinn der DDR.“ (sas/09.11.2015)

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