+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

Parlament

Parlamentarier beschäftigt die Lage in Griechenland

Eine Gruppe von 17. Männern und Frauen steht in einem Raum mit Tischen und mit einer getäfelten Tribüne

Deutsche und griechische Abgeordnete zusammen im Plenarsaal des hellenischen Parlamentes (David Aydintan)

Es ist eine doppelte Belastung, mit der Griechenland derzeit konfrontiert ist: Zum einen kämpft das südeuropäische Land noch immer mit den Auswirkungen der Finanz- und Schuldenkrise. Zum anderen steht es seit Monaten im Zentrum des europäischen Flüchtlingsdramas: Allein 2015 kamen rund 850.000 Flüchtlinge von der Türkei aus auf den nahen griechischen Inseln der Ägäis an. Eine Situation, die das krisengeschüttelte Land zuletzt an die Grenzen seiner Kapazitäten gebracht hat.

Delegationsreise nach Griechenland

Um sich selbst einen Eindruck von der aktuellen Lage zu verschaffen, reiste im Mai 2016 eine Delegation der Deutsch-Griechischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages nach Griechenland.

„Die Flüchtlingspolitik, aber auch die wirtschaftliche und soziale Situation Griechenlands waren die wichtigsten Themen“, sagt die Vorsitzende der Parlamentariergruppe, Annette Groth (Die Linke), die die insgesamt fünfköpfige Delegation geleitet hat. Weitere Mitglieder waren die Abgeordneten Bernhard Schulte-Drüggelte, Christian Haase, Jürgen Klimke (alle CDU/CSU) sowie Elke Ferner, Annette Sawade (beide SPD) und Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen).

Bundestag und Hellenisches Parlament seit 1963 in Kontakt

In der griechischen Hauptstadt Athen wurden die Parlamentarier zunächst von Tassos Kourakis, dem Vize-Präsidenten des Hellenischen Parlaments, begrüßt. Zudem kamen sie mit Mitgliedern der Griechisch-Deutschen Freundschaftsgruppe zusammen, zu der die Parlamentariergruppe des Bundestages bereits seit ihrer erstmaligen Konstituierung 1963 regelmäßigen Kontakt pflegt.

Gemeinsam mit dem neuen Vorsitzenden Athanasios Athanasiou wolle sie dazu beitragen, die Beziehungen zu intensivieren, betont Groth. „Eine Gegeneinladung nach Berlin haben wir bereits ausgesprochen.“

Gespräche mit Ministern, Wirtschaft und Gewerkschaften

Neben Parlamentariern – wie den Mitgliedern des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Hellenischen Parlament – führte die deutsche Delegation auch mit Vertretern der griechischen Regierung Gespräche, so etwa mit dem stellvertretenden Finanzminister Tryfon Alexiadis, der Tourismusministerin Elena Kountoura und der stellvertretenden Ministerin für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Rania Antonopoulou.

Um ein möglichst vollständiges Bild der wirtschaftlichen und sozialen Situation im Land zu bekommen, kamen die Abgeordneten auch zu Gesprächen mit Vertretern von Wirtschafts- und Arbeitnehmer-Verbänden zusammen.

Griechenland „solidarisch begleiten“

„Die Lage mutet dramatisch an“, fasst Groth die Gespräche zusammen. Seit 2009 leitet die Abgeordnete, die menschenrechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist und den Wahlkreis Bodensee im Bundestag vertritt, die Deutsch-Griechische Parlamentariergruppe. Ihre Aufgabe als Vorsitzende sieht sie seither in der „solidarischen Begleitung“ des krisengebeutelten Landes. Wie auch den anderen Mitgliedern der Gruppe gehe es ihr vor allem darum, „Griechenland zu helfen“, sagt sie. „Das eint uns über Fraktionsgrenzen hinweg.“

Eine Hilfe, die Griechenland sicher brauchen kann. „Das Bruttoinlandsprodukt ist zwischen 2009 und 2015 um ein Viertel gesunken. Die Erwerbstätigenquote liegt inzwischen bei knapp 50 Prozent. Rund zehn Prozent weniger als vor sechs Jahren“, sagt Groth. Im Fokus der griechischen Regierung stünden daher insbesondere Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – vor allem unter jungen Menschen. „Ziel ist es, so sagte uns die stellvertretende Ministerin Antonopoulou, 300.000 Arbeitsplätze zu schaffen“, berichtet die Abgeordnete.

Aus Schlauchbooten werden Rucksäcke

Mit speziellen Projekten und Kleinkrediten würden gerade auch Start-up-Unternehmen gefördert. Eines dieser Start-ups, die „keema In-store Music Services Unternehmensgesellschaft“, besuchte die Delegation während ihres Besuchs in Athen. „keema entwickelt Musiksoftware für große Unternehmen, Hotels und Flughäfen – und ist damit mittlerweile sehr erfolgreich“, erzählt die Vorsitzende der Parlamentariergruppe.

Beeindruckt hat sie auch das soziale Unternehmen „Odyssea“, das eine Gruppe von Studierenden gegründet hat. Deren Unternehmens-Idee: Upcycling. „Sie nähen aus den Abertausenden von Schwimmwesten und Schlauchbooten, die die Flüchtlinge an den Stränden zurückgelassen haben, Rucksäcke und Taschen.“

Soziale Folgen des rigiden Sparkurses

Für Groth sind dies allerdings nur kleine Lichtblicke. Nach den Jahren des rigiden Sparkurses, den die Regierungen dem Land seit Ausbruch der Krise als Gegenleistung für die Finanzhilfen verordnet hat, träten die soziale Folgen der Krise immer deutlicher zutage: „Die Renten und Gehälter sind massiv gekürzt worden. Ein Großteil der Griechen kann sich keine Krankenversicherung leisten. Immer mehr Kinder leben in Armut“, sagt die Linke-Abgeordnete, die – so wie ihre Fraktion – die harten Sparauflagen für Griechenland stets kritisiert hat. „Die Griechen hatten aber einfach keine andere Wahl, als diese zu akzeptieren.“

Die Flüchtlingskrise jedoch drohe Griechenland vollends zu überfordern, findet Groth, zumal die für das Land so wichtige Tourismusbranche im vergangenen Jahr eingebrochen sei. „Wer wollte da schon zum Erholen nach Kos, Lesbos oder Samos?“, fragt sie mit Blick auf die Inseln der östlichen Ägäis, wohin bis vor wenigen Monaten Tausende Flüchtlinge von der Türkei aus übersetzten. „Die Tourismusministerin sagte uns, die Branche hoffe nun auf ein besseres Jahr“, berichtet Groth. „Noch einmal so ein Szenario wie im letzten Jahr würde die Menschen, die vom Tourismus auf den Inseln leben, an den Rand einer Katastrophe bringen.“
Neonazi-Aufmarsch in Athen

Schuldenkrise und Flüchtlingskrise könnten sich zu einem „gefährlichen Stimmungslage“ verquicken, fürchtet Groth zudem: „Bislang war die griechische Bevölkerung sehr solidarisch. Im Gegensatz zu Deutschland brannten in Griechenland keine Flüchtlingsunterkünfte.“

Doch das könne sich ändern. Einen Aufmarsch der neonazistischen Partei „Chrysi Avgi“ habe sie selbst in Athen beobachtet, berichtet die Abgeordnete: „Es waren etwa 300 Anhänger, die da auf der Straße marschierten und ‚Türken raus! Mongolen raus!‘ skandierten. Es war beängstigend.“

„Pasta und Kartoffeln, kaum Vitamine“ in Flüchtlingslagern

Wie es den Flüchtlingen in Griechenland geht, darüber informierten sich die Bundestagsabgeordneten bei Besuchen unter anderem in den Flüchtlingseinrichtungen Schisto und Skaramangas: „Ich habe in Griechenland schon sehr schlimme Flüchtlingslager gesehen, in denen die Menschen förmlich inhaftiert waren“, erinnert sich Annette Groth.

Dies sei nun zum Glück nicht mehr der Fall. Die Unterbringung erfolge sowohl in Zelten als auch in Containern, berichtet sie von ihren Eindrücken. Allerdings sei die Versorgung mit Lebensmitteln „unzureichend“. „Es gibt vor allem Pasta und Kartoffeln, kaum Vitamine“, kritisiert sie. Obst und Gemüse bekomme nur, wer sich vom letzten Ersparten noch welches kaufen könne. Doch in dieser Lage seien eben nur wenige Flüchtlinge.

„Familienzusammenführung müsste absolute Priorität haben“

„Aber das größte Problem für die Menschen ist die Unsicherheit“, erklärt Groth. „Sie wissen nicht, wie lange sie in den Lagern bleiben müssen. Das mache krank, sagte mir ein Geflüchteter.“ Alle klagten darüber, dass die Registrierung, die eine Voraussetzung für ein Asylverfahren ist, immer wieder verschoben werde.

Besorgniserregend sei auch die große Zahl von Frauen mit kleinen Kindern in den griechischen Lagern, berichtet Groth: „Ihre Ehemänner sind oft bereits hier in Deutschland. Die Familienzusammenführungen müssten deshalb absolute Priorität haben“, fordert die Linke-Politikerin.

Unüberwindbare bürokratische Hindernisse

Doch obwohl anerkannte Flüchtlinge in Deutschland genau darauf ein Recht haben, monieren Flüchtlingshilfeorganisationen wie Pro Asyl, dass Betroffene diesen Rechtsanspruch meist gar nicht einlösen könnten. Ihnen würden oft unüberwindbare bürokratische Hindernisse in den Weg gelegt. Ein Eindruck, den die Mitarbeiter griechischer Hilfsorganisationen teilen: Bei einer Roundtable-Diskussion mit den Bundestagsabgeordneten hätten sie genau diese Vermutung geäußert, berichtet Groth: „Ihr Schluss war, dass man hierzulande offenbar den Prozess der Familienzusammenführung extra verzögert – als Abschreckung.“

Aus Sicht der Abgeordneten eine „sehr gefährliche und kurzfristig gedachte Politik“: „Wird den Menschen nicht zügig geholfen, wächst das Risiko, dass sie in die Kriminalität abrutschen – oder sich radikalisieren“, so Groth. Und das könne kaum im Interesse Deutschlands und der Europäischen Union liegen. (sas/21.07.2016)

Marginalspalte