Parlament

Bundestag gedenkt der Opfer des Berliner Terroranschlags

Der Bundestag hat sich zu Beginn der Plenarsitzung am Donnerstag, 19. Januar 2017, zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags vom 19. Dezember auf dem Berliner Breitscheidplatz von den Sitzen erhoben. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert dankte Bundespräsident Joachim Gauck dafür, dass er durch seine Anwesenheit dem Gedenken einen besonderen Rang gab.

Dank an die vielen Hilfskräfte

„Der Schmerz der Hinterbliebenen ist unermesslich“, sagte Lammert in seiner Ansprache. Unter den Toten, sechs Frauen und sechs Männer, gegen die der islamistische Terrorist einen Lkw als mörderische Waffe eingesetzt hatte, befanden sich neben sieben Deutschen Menschen aus Polen, der Ukraine, Italien, Tschechien und Israel. Sie hielten sich zur Arbeit in Berlin auf, besuchten die Hauptstadt oder hatten hier eine neue Heimat gefunden. Lammert begrüßte die Botschafter und Gesandten der genannten Länder auf der Ehrentribüne.

„Dutzende wurden bei dem Anschlag zum Teil lebensbedrohlich verletzt, sie kommen aus aller Welt. Viele von ihnen werden noch lange kämpfen müssen, um körperlich wie seelisch ins Leben einzufinden. Nicht anders ergeht es Augenzeugen und den vielen Hilfskräften, denen wir für ihren Einsatz am Tatort und in der Betreuung der Opfer und Hinterbliebenen von Herzen danken“, sagte der Bundestagspräsident.

Plädoyer für sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa

Lammert dankte – als Beispiel für viele andere – „unseren französischen Freunden, die in der Assemblée nationale mit einer Gedenkminute für die Opfer ihre Anteilnahme zum Ausdruck brachten“. Der Präsident erinnerte an den mörderischen Angriff auf feiernde Menschen in der Silvesternacht in Istanbul, an die Bombenattentate auf einen Markt in Bagdad und den Anschlag mit einem Lkw auf Soldaten in Jerusalem. Die Opfer „dieser menschenverachtenden Brutalität“ mahnten, dass sich der weltweiten Terrorgefahr nur gemeinsam entgegentreten lasse: „Und deshalb müssen wir endlich zu einer effektiven sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in Europa und darüber hinaus kommen.“

Die Bevölkerung reagiere „mit bemerkenswerter Besonnenheit“ auf den Terror und demonstriere damit, sich ihr Leben nicht von Drohungen und Angst diktieren lassen zu wollen, betonte Lammert. Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten vom Staat zu Recht, dass er sie schützt. Sicherheit brauche Freiheit, wenn sie nicht zur Repression verkommen soll. „Deshalb sollten wir den Staat mit unseren Ansprüchen auch nicht überfordern – und schon gar nicht dürfen wir vortäuschen, einem unkalkulierbaren Gegner mit scheinbar einfachen Mitteln begegnen zu können“.

„Die freie Gesellschaft ist nicht ohnmächtig“

Die Attentatsserie in der Türkei zeige, dass auch da, wo im Ausnahmezustand regiert und die exekutive Autorität im Staat auf Kosten freiheitlicher und rechtsstaatlicher Prinzipien immer weiter ausgeweitet wird, keine Sicherheit garantiert werden könne, so der Bundestagspräsident. Die freie Gesellschaft sei nicht ohnmächtig, sie könne und müsse sich wehren.

Die Erkenntnisse über den Täter vom Breitscheidplatz „zwingen uns, die Sicherheitsarchitektur in unserem Land zu überdenken“. Organisatorische Fehler und strukturelle Schwächen müssten aufgeklärt und die Konsequenzen daraus gezogen werden. „Wo es dazu des Gesetzgebers bedarf, stehen wir als Abgeordnete in einer besonderen Pflicht – vor allem da, wo es offenkundig nicht nur am Vollzug längst bestehender Gesetze mangelt.“ Sicherheitsbehörden und Justiz müssten bestehende Gesetze auch konsequent anwenden können.

Zwischen Sicherheitsanspruch und Freiheitsversprechen

Für Lammert ist es gerade die Stärke „unserer herausgeforderten Demokratie, dass wir als Gesellschaft darum ringen, wie wir die schwierige Balance zwischen Sicherheitsanspruch und Freiheitsversprechen halten wollen“. Die notwendige Auseinandersetzung dürfe aber nicht auf Kosten von Menschen gehen, die ihrer Herkunft oder Religion wegen in Sippenhaft genommen werden für terroristische Gewalt, „vor der sie vielfach selbst geflohen sind“.

Nachdrücklich eingefordert werden müsse die Auseinandersetzung der Muslime mit ihrer Religion und dem „verhängnisvollen Zusammenhang von Glaube und fanatischer Gewalt“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime habe dies in seiner Stellungnahme unmittelbar nach dem Anschlag in Berlin beispielhaft getan, was Respekt und Anerkennung verdiene.

Roman Herzogs klare Sprache gefragt

„Wo islamistisches Gedankengut verbreitet wird, haben wir es mit aller gebotenen rechtsstaatlichen Härte zu bekämpfen. Terror ist nie religiös, Terror ist immer politisch – die Antwort darauf muss auch politisch sein“, sagte Lammert weiter. Er warb dafür, konsequenter als bislang zu prüfen, „wer zu uns kommt und wer hier bleiben kann“. Und von denen, „die bei uns bleiben, verlangen wir, unseren Gesetzen und unseren Normen vorbehaltlos zu folgen“.

Der Präsident erinnerte an den am 10. Januar verstorbenen früheren Bundespräsidenten Prof. Dr. Roman Herzog, dessen klare Sprache in seiner „unvergessenen“ Rede von 1997 auch heute gefragt sei: „Wer – wo auch immer – führt, muss den Menschen, die ihm anvertraut sind, reinen Wein einschenken, auch wenn das unangenehm ist.“ Und: „Verantwortung ist die unausweichliche Konsequenz der Freiheit.“ Lammert schloss mit den Worten: „Wir sind frei und wir bleiben frei – solange wir für unsere eigenen Angelegenheiten Verantwortung übernehmen.“ (vom/19.01.2017) 

Marginalspalte