Parlament

Bettina Hagedorn warnt vor „Privatisierung durch die Hintertür“

Bettina Hagedorn, SPD

Bettina Hagedorn (SPD) (DBT/Simone M. Neumann)

Die SPD-Abgeordnete und Haushaltspolitikerin Bettina Hagedorn sieht „Einfallstore für eine Privatisierung durch die Hintertür“ bei der geplanten Infrastrukturgesellschaft des Bundes für Autobahnen. „Ich hoffe, dass wir diese im jetzt beginnenden parlamentarischen Verfahren noch schließen können“, sagt die 61-Jährige in einem am Montag, 20. Februar 2017, erschienenen Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Kritik übt die Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundestages unter anderem an der geplanten Rechtsform der Gesellschaft. Das Interview im Wortlaut:


Frau Hagedorn, Bundesregierung und Länderchefs haben sich auf eine Neuregelung des Länderfinanzausgleichs geeinigt: Bisherige Geberländer werden entlastet, bisherige Nehmerländer bekommen weiterhin Geld - die Zeche soll ab 2020 mit rund 9,5 Milliarden Euro jährlich der Bund zahlen. Sie als Haushälterin gefragt: Hat die Bundesregierung schlecht verhandelt?

Nein, aber die Begeisterung im Haushaltsausschuss des Bundestages hält sich in überschaubaren Grenzen. Denn es ist nicht nur so, dass der Bund in Zukunft stärker belastet wird. Die finanzstarken Länder werden von dieser Neuregelung enorm profitieren, während die übrigen Länder sich eher bei plus minus null bewegen und das auch nur, weil der Bund sie künftig stärker unterstützen soll. Dadurch wird die Kluft zwischen Arm und Reich auf Länderebene künftig größer. Das ist nichts, was uns im Hinblick auf Gerechtigkeit und Solidarität zufriedenstellen kann.

Von dem geplanten Wegfall des Länderfinanzausgleiches im engeren Sinne halten Sie also nichts?

Die Verfassungsänderung hat für den Bund auf lange Sicht viele Haken. Fakt ist allerdings, dass sich die Länder 16 zu null darauf geeinigt haben und die Bundesregierung dem im Kern auch im Oktober 2016 zugestimmt hat - das ist für uns Abgeordnete natürlich deshalb die Verhandlungsgrundlage. Aber es gilt das „Strucksche Gesetz“: In der Regel wird kein Gesetzentwurf vom Parlament unverändert beschlossen. Da ist noch viel Arbeit zu erledigen.

Hat der Bundestag bei so einem fragilen Kompromiss zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten Gestaltungsspielraum oder geht es nur noch ums Abnicken?

Wenn wir den Gestaltungsspielraum des Bundestages infrage stellen, dann weiß ich nicht, wozu wir noch selbstbewusste Abgeordnete haben. Mit Verlaub: Das, was uns vorlegt wurde, ist Ergebnis von Kamingesprächen zwischen der Kanzlerin und 16 Länderchefs. Ich habe großen Respekt vor all denen, die da verhandelt haben - aber Kamingespräche kommen in unserer Verfassung nicht vor. Wir Abgeordnete sind dafür gewählt, die Auswirkungen dieses hochkomplexen Paketes zu untersuchen, uns über die Konsequenzen bewusst zu werden und möglicherweise Änderungen zu beschließen. Und damit fangen wir jetzt erst an. Am Ende sollen wir mit Zweidrittelmehrheit unsere Verfassung ändern. Das ist eine der schwerwiegendsten Entscheidungen, die der Bundestag überhaupt zu treffen hat.

Bis zur Sommerpause und Bundestagswahl ist allerdings nicht viel Zeit…

Der Zeitdruck ist enorm, weil Regierung und Ministerpräsidenten sich beim Verhandeln viel Zeit gelassen haben. Wir Abgeordneten starten unsere Beratungen ja erst am 6. März im Haushaltsausschuss. Sechs Anhörungen mit über 50 Gutachten von Verbänden, Experten und Wissenschaftlern müssen vorbereitet und ausgewertet werden, um eine solide und seriöse Befassung zu garantieren. Das braucht Zeit. Das wird die anschließende Beratungszeit im Bundesrat gegebenenfalls verkürzen. Aber das ist jetzt halt so.

Klappt es denn noch mit einem Beschluss in dieser Wahlperiode?

Wir werden uns alle Mühe geben, das Paket noch vor der Sommerpause über die Runden zu bringen. Aber es hängt auch vom Bundesrat ab. Die Länder werden vor der Frage stehen: Akzeptieren wir jetzt die Änderungen, die der Bundestag möglicherweise noch vornimmt, oder laufen wir Gefahr, dass das ganze Paket aufgrund der Bundestagswahl der Diskontinuität anheimfällt? Das werden die Länder vermutlich nicht wollen, obwohl ihnen mögliche Änderungen nicht so richtig schmecken mögen.

In dem Gesetzespaket sind zahlreiche Vorhaben enthalten, die im engeren Sinne nichts mit dem Finanzausgleich zu tun haben. Ist das sachgerecht?

Zumindest ist es nicht unüblich, dass bei einer Einigung von 16 Ländern mit dem Bund für den angestrebten Kompromiss auf viele Sonderwünsche eingegangen wird, um ‚alle an Bord‘ zu bekommen. Im Parlament werden wir die sehr unterschiedlichen Aspekte des Gesetzespaketes durch sechs Anhörungen transparent machen.  Als diejenige, die im Haushaltsausschuss für den Verkehrsetat zuständig ist, werde ich mich insbesondere mit der Infrastrukturgesellschaft befassen. Das ist einer der umstrittensten Teile des Gesetzespaketes.

Der Bund will die Verantwortung für die Autobahnen komplett selbst übernehmen anstatt die Länder in seinem Auftrag arbeiten zu lassen. Ist das eine gute Idee?

Ich teile grundsätzlich die seit Jahren vom Bundesrechnungshof (BRH) geäußerte Kritik an der Ineffizienz der bisherigen Auftragsverwaltung. Es spornt eben nie sparsames Handeln an, wenn der Bund einerseits alleine zahlt und die Länder andererseits relativ selbstbestimmt die Ausführung managen. Die Verantwortung für Finanzierung und Durchführung gehören in eine Hand. Darum ist die Entflechtung von Zuständigkeiten bei dieser Reform entscheidend für den künftigen Erfolg. Doppelstrukturen bei Bund und Ländern müssen vermieden, die behördliche Arbeitsfähigkeit zur Sicherstellung der hohen Investitionssummen in die Verkehrsinfrastruktur muss auch in der Übergangszeit gewährleistet bleiben. Die zurzeit vorgesehene vollständige Inbetriebnahme der Infrastrukturgesellschaft zum 1. Januar 2021 erscheint daher für einen so komplexen Behördenumbau mit deutlich über 10.000 Beschäftigten zu ehrgeizig. Das Stichwort „Privatisierung“ birgt in diesem Zusammenhang zusätzlichen politischen Sprengstoff.

Nun sollen sowohl die Autobahnen als auch die Infrastrukturgesellschaft im unveräußerlichen Bundeseigentum verbleiben. Das klingt doch eher danach, als sei die Privatisierung vom Tisch…

Ja, es ist ein wichtiger Erfolg, dass mit diesen beiden Schritten eine doppelte Privatisierungsbremse im Regierungsentwurf steht - da gab es manchen am Verhandlungstisch mit ganz anderen Vorstellungen. Aber das reicht absolut nicht! Ich favorisiere wie der BRH eine Gesellschaftsform als Anstalt öffentlichen Rechts. Vorgesehen ist allerdings eine GmbH ohne Prüfrechte des BRH mit einer Öffnungsklausel für eine Aktiengesellschaft. Das würde Transparenz verhindern sowie Steuerungs- und Kontrollrechte des Parlaments unterlaufen. Die vorgesehene unbegrenzte Kreditfähigkeit der Gesellschaft bewirkt Renditechancen für Private zulasten von Steuerzahlern oder Autofahrern. Es gibt noch weitere Einfallstore für eine Privatisierung durch die Hintertür im Gesetz. Ich hoffe, dass wir diese im jetzt beginnenden parlamentarischen Verfahren noch schließen können.

Privates Kapital könnte immerhin den Bundeshaushalt entlasten…

Aus meiner Sicht nicht. ÖPP-Projekte sind auch aus Sicht des BRH mitnichten preiswerter, binden aber vertraglich garantiert über Jahrzehnte jährlich große Summen aus dem Bundeshaushalt und belasten damit unsere Kinder und Enkel. Dass die öffentliche Hand leider oft zu langsam - und damit unwirtschaftlich - baut, hat vor allem mit jahrelangem Personalabbau und deshalb mangelnden Planungskapazitäten in Bund und Ländern zu tun. Aber vom Grundsatz her kann sich, flapsig gesagt, niemand so billig verschulden wie der Staat. Private zahlen höhere Zinsen, die sie also plus Rendite erwirtschaften müssen. Das müssen dann die Nutzer bezahlen. Das ist volkswirtschaftlich nicht wirklich schlau.

(scr/20.02.2017)

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