Demografiepolitische Bilanz der Regierung kontrovers diskutiert
Ende 2015 haben in Deutschland 82,2 Millionen Menschen gelebt und damit fast zwei Millionen mehr als noch 2011. Das geht aus der als Unterrichtung vorliegenden „demografiepolitischen Bilanz der Bundesregierung zum Ende der 18. Wahlperiode“ (18/11145) hervor, über die der Bundestag am Freitag, 24. März 2017, debattierte. Danach setzte sich die Bevölkerung Ende 2015 aus 73,5 Millionen Deutschen und 8,7 Millionen Ausländern zusammen; 11,5 Millionen verfügten über eigene Migrationserfahrungen. Allein im Jahr 2015 sind dem Bericht zufolge netto 1,139 Millionen Menschen zugewandert.
Trotz der hohen Zuwanderung vor allem junger Menschen hat sich die Alterung der Bevölkerung den Angaben zufolge auch in den vergangenen Jahren fortgesetzt. Entfielen laut Bericht 2011 auf 100 Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren rund 34 Personen ab 65 Jahre, lag dieser Wert 2015 bereits bei 35 Personen. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland beträgt bei Geburt für Männer 78,2 Jahre und für Frauen 83,1 Jahre.
Regierung: Schwarze Null als wichtigster Erfolg
,,Wir leben länger, wir sind gesünder als alle Generationen vor uns, wir werden immer mobiler - das ist die positive Seite des demografischen Wandels„, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Ole Schröder (CDU), in der Debatte. Klar sei aber auch, dass die Alterung der Gesellschaft fortschreiten werde. Auch bei einer hohen Netto-Zuwanderung müsse mit einem deutlichen Rückgang der Erwerbsbevölkerung gerechnet werden. Die Gesellschaft werde ,,möglicherweise kleiner“, ,,wahrscheinlich heterogener„ und ,,sicherlich älter“.
Diesen Wandel müsse man gestalten, betonte Schröder. Grundlage für ,,Wachstum, Wohlstand und vor allem tragfähige öffentliche Finanzen„ sei eine möglichst hohe Erwerbstätigkeit. Benötigt werde eine ,,qualifizierte Zuwanderung“. Der CDU-Parlamentarier mahnte zugleich, die Rente mit 67 nicht infrage zu stellen und nicht wieder ,,auf Kosten der jungen Generation Politik zu machen„. Dass es erstmals seit 1962 wieder ausgeglichene Haushalte und damit keine Haushaltspolitik zulasten dieser Generation gebe, sei ,,demografiepolitisch mit das Wichtigste, was es überhaupt gibt“, sagte Schröder und betonte: ,,Die schwarze Null ist der wichtigste demografiepolitische Erfolg, den wir in dieser Wahlperiode erzielt haben.„
Linke für Umverteilung von oben nach unten
Für Die Linke kritisierte ihre Abgeordnete Sabine Zimmermann, dass die Regierung in ihrer Bilanz ,,die massive Ausbreitung von Altersarmut“ in ihrer Bilanz nicht erwähne. Bei sinkendem Rentenniveau könnten künftig immer mehr Menschen von ihrer Rente nicht leben können. Vielen Menschen fehle das Geld für eine private Vorsorge, und oft ließen die Arbeitgeber sie ,,bei der Betriebsrente im Stich„.
Als einziges falle der Regierung dazu ein, dass die Menschen länger arbeiten sollten. Es würden aber nicht alle älter, und nicht alle blieben im hohen Alter gesund. ,,Eine Politik, die den demografischen Herausforderungen vorbeugt, kostet Geld“, betonte Zimmermann. Dafür brauche man ,,eine Umverteilung von oben nach unten und eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung„.
SPD: Die Auswirkungen gestalten
Die SPD-Abgeordnete Petra Crone betonte, dass die Bevölkerung ,,älter, weniger und bunter“ werden, lasse sich nicht stoppen oder umkehren. Vielmehr müsse man die Auswirkungen gestalten. Dabei habe man ,,die Debatte um eine Einwanderungsgesellschaft im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel bislang nicht ausreichend geführt„. Dazu fordere ihre Fraktion bereits seit Langem ein Einwanderungsgesetz.
Crone hob zugleich die Bedeutung von Bildung als Schlüssel zur “Teilhabe am beruflichen, politischen und gesellschaftlichen Leben in jedem Alter„ hervor. In diesem Zusammenhang forderte sie, das sogenannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich aufzuheben, das auch der Fachkräftesicherung entgegenstehe.
Grüne: Erheblicher Handlungsdruck
Doris Wagner (Bündnis 90/Die Grünen) verwies auf “erheblichen Handlungsdruck„ aufgrund des demografischen Wandels. Diesen Hebel könne man nutzen, um die Gesellschaft zu modernisieren, doch die Regierung lasse “ihn praktisch ungenutzt„. Man müsse sich etwa fragen, wie man von der “Willkommenskultur zu einem wirklichen Einwanderungsland„ komme. Hier müsse Deutschland attraktiver werden.
Über ein Punktesystem könne man gut qualifizierte Fachkräfte in die Bundesrepublik holen. Zudem müsse “Demografiepolitik auch immer Gleichstellungspolitik„ sein, “denn ohne Frauen geht es nicht„. Notwendig seien unter anderem ein “wirklich wirkungsvolles Entgeltgleichheitsgesetz„ sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen.
CDU/CSU: Zuwanderung in Arbeit notwendig
Der CSU-Parlamentarier Michael Frieser gab zu bedenken, dass Zuwanderung “die Fragen eines demografischen Wandels nicht automatisch„ beantworte. Er sei “sofort bereit, über die Frage von Einwanderung und Zuwanderung zu reden, wenn diese Gesellschaft bereit ist, über die Frage zu diskutieren: Wen können wir gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel brauchen?„, sagte Frieser.
Zuwanderung bedeute “nicht gleichzeitig Stabilität von Sicherungssystemen„. Notwendig sei “eine Zuwanderung in Arbeit und nicht eine Zuwanderung ins Arbeitsamt„.
Antrag der Grünen abgelehnt
Der Bundestag überwies die demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung zusammen mit einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel “Gemeinsam für ein gutes Morgen – Den demografischen Wandel gestalten„ (18/11606) zur federführenden Beratung an den Innenausschuss.
Bei Enthaltung der Linken lehnte das Parlament einen weiteren Antrag der Grünen (18/9797) ab. Darin hatte die Fraktion gefordert, die Teilhabe älterer Menschen zu stärken. Der Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend hatte dazu eine Beschlussempfehlung (18/11645) vorgelegt. (sto/24.03.2017)