Parlament

Cornelia Möhrings Fragen zu Rezepten gegen den Hebammenmangel

Im Anschluss an die Regierungsbefragung fand in der Plenarsitzung am Mittwoch, 26. April 2017, die Fragestunde statt. Vertreter der Bundesregierung beantworteten Fragen der Abgeordneten (18/12020), die getrennt nach Ressortzuständigkeit aufgerufen wurden. 

Hohe Arbeitsbelastung, geringer Lohn: Immer mehr Hebammen in deutschen Krankenhäusern klagen über verschlechterte Arbeitsbedingungen. Fast die Hälfte von ihnen kümmert sich um drei Frauen gleichzeitig während der Geburt, so ein aktuelles Gutachten, das der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erstellt hat. Für Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke, ein unhaltbarer Zustand. In der Fragestunde wollte Möhring von der Bundesregierung wissen, wie sie der Personalknappheit in Geburtenstationen entgegenwirken will. Warum sie den Beruf der Hebamme in Gefahr sieht und wie er künftig wieder attraktiver werden könnte, erklärt die Abgeordnete aus Schleswig-Holstein im Interview:


Frau Möhring, kürzlich sorgte der Hinweis einer Hebamme via Facebook für viel mediale Aufmerksamkeit: Diese riet Paaren, vor Ostern besser kein Kind zu zeugen. Andernfalls könne die Geburt in die Weihnachtszeit fallen, in der die Besetzung im Kreißsaal noch knapper sei als sonst. Übertreibt die Hebamme?

Nein, sie schlägt absolut zu Recht Alarm. Wenn wir uns die Entwicklung der Geburtenstationen in Deutschland ansehen, lässt sich daran schon das Ausmaß der Misere erkennen. Die Zahl der Krankenhäuser mit Kreißsaal ist zwischen 1991 und 2015 um 40 Prozent gesunken. Das ist ein Rückgang, der gerade in ländlichen Regionen besonders spürbar wird: In Schleswig-Holstein können deshalb auf Inseln wie Amrum, Sylt oder Helgoland keine Geburten mehr stattfinden. Für die betroffenen Frauen und ihre Familien ist das genauso eine zusätzliche Belastung wie für die verbleibenden Geburtsstationen: Einer Studie des Deutschen Hebammenverbands zufolge betreuen 46 Prozent der Hebammen in Kliniken drei Geburten parallel, 13 Prozent sogar mehr als vier Geburten gleichzeitig. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Dabei ist die Zahl der Hebammen in den vergangenen 25 Jahren durchaus gewachsen. Wie kommt es, dass die Geburtenstationen dennoch unterbesetzt sind?

Die Zahl der Hebammen ist tatsächlich von 6.620 im Jahr 1991 auf über 9.000 im Jahr 2015 gestiegen. Gleichzeitig jedoch hat sich die Quote der Hebammen in Teilzeit verdreifacht. Der Zuwachs deckt also keinesfalls das Arbeitsvolumen.

Umfragen zufolge erwägen viele Hebammen, aufgrund der Arbeitsbedingungen ihren Beruf zu wechseln. Jedes zweite Krankenhaus hat bereits Probleme, offene Stellen zu besetzen. Gerät hier ein ganzer Berufsstand in Gefahr?

Hebammen sind meistens Frauen, die sehr klare Wertvorstellungen haben und ihren Beruf als einen Auftrag verstehen. Immer mehr von ihnen haben aber offenbar den Eindruck, dass sie der hohen Verantwortung nicht mehr gerecht werden können. Angesichts der gestiegenen Arbeitsbelastungen in Kliniken und der oftmals schwierigen wirtschaftlichen Lage freiberuflicher Hebammen verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren die Zahl derjenigen, die sich für einen Ausbildungsplatz in der Geburtshilfe beworben haben, gesunken ist. Der Beruf muss wieder attraktiver werden.

Der Hebammenverband wirft Krankenhäusern vor, an Personal zu sparen, um Geld zu verdienen. Woran liegt es, dass die Geburtshilfe chronisch unterfinanziert ist?

Das Grundübel der Krankenhausfinanzierung ist die Abrechnung auf Basis der sogenannten Fallpauschalen, denn diese setzen Fehlanreize. Wenn die Wirtschaftlichkeit anstatt der Versorgung der Patienten im Mittelpunkt steht, führt das zu Entwicklungen, wie wir sie in der Geburtshilfe beobachten können: Die Krankenhäuser haben erkannt, dass man mit ihr keinen Profit machen kann. Mehr als 60 Prozent der Geburtenstationen arbeiten nicht kostendeckend. Die Folge: Personal wird abgebaut, Stationen werden geschlossen.

Dabei empfehlen medizinische Leitlinien die Eins-zu-eins-Betreuung einer Schwangeren durch eine Hebamme, denn sie hilft, Geburtskomplikationen zu vermeiden. In Länder wie Großbritannien und Norwegen ist eine solche Betreuung bereits Realität – in Deutschland nicht. Was läuft schief?

Dass die Empfehlung hierzulande ohne erkennbare praktische Wirkung bleibt, liegt daran, dass keine ernsthaften Maßnahmen für die Umsetzung ergriffen werden. Ganz anders in Großbritannien, Norwegen oder auch Spanien: Dort gibt es beispielsweise auf Länder- oder Regionalebene eine entsprechende Personalplanung. Eine solche existiert bei uns ebenso wenig wie Kontrollen, ob die Empfehlungen eingehalten werden – oder eingehalten werden können. Hier fehlt schlicht der politische Wille. Auch der GKV-Spitzenverband (Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen, d. Red.) unterstützt die Eins-zu-eins-Betreuung nicht.

Was sollte die Bundesregierung tun, um die Arbeitsbedingungen von Hebammen zu verbessern?

In erster Linie müsste die Bundesregierung die Eins-zu eins-Betreuung gesetzlich verankern. Zudem bräuchte es dringend eine bedarfsorientierte Personalbemessung. Wir als Linksfraktion haben dazu einen Antrag vorgelegt, in dem wir eine angemessene und verbindliche Personalausstattung für Pflegekräfte – aber auch selbstverständlich für Hebammen – fordern. Außerdem plädieren wir für eine Aufwertung des Hebammenberufs: Hebammen sollten, ähnlich wie in den Niederlanden, künftig von Anfang an die erste und wichtigste Ansprechpartnerin in der Schwangerschaft sein. Ihre Vergütung müsste entsprechend angepasst werden. Überhaupt sind wir überzeugt, dass Hebammenleistungen zur Grundversorgung gehören

Das heißt konkret?

Das bedeutet, dass es künftig – gerade in ländlichen Regionen – integrierter Lösungen bedarf, um die Versorgung zu gewährleisten. Diese kann über Versorgungszentren laufen, Hebammenstützpunkte  – oder auch in Kooperation mit Krankenhäusern. Aber nicht zuletzt: Wer die Situation der klinischen Geburtshilfe verbessern will, muss die Abrechnung über Fallpauschalen abschaffen und eine bedarfsgerechte Krankenhausfinanzierung einführen. Das ist natürlich ein dickes Brett – aber eben auch ein sehr wichtiges.

(sas/26.04.2017)

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