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Karlsruhe legt Verfahren zum Anleihenkauf der EZB dem EuGH vor

Europäische Zentralbank mit Eurozeichen

Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main (picture alliance/prisma)

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfahren zum Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Wie es in einem am Dienstag, 15. August 2017, veröffentlichten Beschluss vom 18. Juli 2017 heißt, geht es dabei um die Frage, ob das Public Sector Purchase Programme (PSPP) der EZB zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Aktenzeichen: 2 BvR 859 / 15, 2 BvR 980 / 16, 2 BvR 2006 / 15, 2 BvR 1651 / 15). Dem EuGH wurden mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Verstoß gegen Verbot monetärer Staatsfinanzierung?

Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die dem Anleihenkaufprogramm zugrunde liegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen sowie über das Mandat der EZB für die Währungspolitik hinausgehen und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreifen. Der Senat beantragt die Durchführung des beschleunigten Verfahrens nach Artikel 105 der Verfahrensordnung des EuGH, weil die „Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert“.

Das PSPP ist Teil des Expanded Asset Purchase Programme (EAPP), eines EZB-Rahmenprogramms zum Ankauf von Vermögenswerten. Das PSPP macht nach Darstellung des Senats den weitaus größten Anteil des Gesamtvolumens des EAPP. Zum 12. Mai 2017 habe das EAPP ein Gesamtvolumen von 1.862,1 Milliarden Euro erreicht, von denen allein 1.534,8 Milliarden Euro auf das PSPP entfallen seien.

Verfassungsbeschwerden gegen das Programm

Die Beschwerdeführer hätten mit ihren Verfassungsbeschwerden geltend gemacht, dass das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) mit dem von ihm aufgelegten Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung (Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union in Verbindung mit den Artikeln 119 und 127 folgende des AEUV) verstoße. Die Deutsche Bundesbank dürfe deshalb an diesem Programm nicht mitwirken, so die Beschwerdeführer. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung seien verpflichtet, geeignete Maßnahmen gegen das Programm zu ergreifen.

Das Bundesverfassungsgericht müsse prüfen, heißt es im Beschluss, ob Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union auf ersichtlichen Kompetenzüberschreitungen beruhen oder den nicht übertragbaren Bereich der Verfassungsidentität berühren – mit der Folge, dass deutsche Staatsorgane weder an ihrem Zustandekommen noch an ihrer Umsetzung mitwirken dürfen.

Richter äußern Zweifel

Aus Sicht des Zweiten Senats bestehen Zweifel, ob der PSPP-Beschluss mit dem Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung vereinbar ist. Artikel 123 Absatz 1 AEUV verbiete es den EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten, Schuldtitel unmittelbar von Einrichtungen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten zu erwerben. Auch Ankäufe am Sekundärmarkt dürften nicht eingesetzt werden, um damit mit Artikel 123 AEUV verfolgte Ziel zu umgehen. Ein Programm, das den Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt zum Gegenstand hat, müsse daher mit hinreichenden Garantien versehen sein, um zu gewährleisten, dass das Verbot monetärer Staatsfinanzierung beachtet wird.

Für einen Verstoß des PSPP-Beschlusses gegen Artikel 123 AEUV spricht nach Darstellung des Senats, dass Einzelheiten der Ankäufe in einer Art und Weise angekündigt werden, die auf den Märkten die „faktische Gewissheit“ begründen könnten, dass

  • das Eurosystem emittierte Staatsanleihen auch erwerben wird,
  • dass die Einhaltung bestimmter Mindestfristen zwischen der Ausgabe eines Schuldtitels auf dem Primärmarkt und seinem Ankauf auf dem Sekundärmarkt nicht nachprüfbar ist,
  • dass erworbene Anleihen bislang durchweg bis zur Endfälligkeit gehalten werden und
  • dass darüber hinaus Anleihen erworben werden, die von vornherein eine negative Rendite aufweisen.

PSPP könnte sich als unverhältnismäßig erweisen“

Die Richter halten es ferner für möglich, dass der PSPP-Beschluss vom Mandat der EZB nicht gedeckt ist. Ihrer Ansicht nach könnte der PSPP-Beschluss sich nicht mehr als währungspolitische, sondern als überwiegend wirtschaftspolitische Maßnahme darstellen. Zwar habe das PSPP eine währungspolitische Zielsetzung und bediene sich dazu geldpolitischer Mittel. Die wirtschaftspolitischen Auswirkungen aufgrund des Volumens des PSPP und der damit verbundenen Voraussehbarkeit des Ankaufs von Staatsanleihen seien jedoch bereits unmittelbar im Programm selbst angelegt.

Damit könnte sich das PSPP aus Sicht des Senats in Bezug auf die zugrunde liegende währungspolitische Zielsetzung als unverhältnismäßig erweisen. Zudem ließen die Beschlüsse, die die Grundlage des Programms bilden, eine nachvollziehbare Begründung vermissen, die es erlauben würde, während des mehrere Jahre umfassenden Vollzugs der Beschlüsse zu überprüfen, ob das Programm weiterhin erforderlich ist.

Untätigkeit von Bundestag und Bundesregierung gerügt

Die Beschwerdeführer, darunter etliche Professoren, rügen die Untätigkeit von Bundestag und Bundesregierung mit Blick auf eine mögliche Verletzung der Verfassungsidentität im Sinne von Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes, weil das PSPP zu erheblichen Risiken für den Bundeshaushalt führe und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühre.

Nach Ansicht des Zweiten Senats ist derzeit  nicht absehbar, ob das grundgesetzlich geschützte Budgetrecht des Deutschen Bundestages und dessen haushaltspolitische Gesamtverantwortung durch den PSPP-Beschluss oder seine Umsetzung im Hinblick auf mögliche Verluste der Deutschen Bundesbank berührt werden können.

„Durchführung des PSPP dauerhaft beobachten“

Bundestag und Bundesregierung seien aber verpflichtet, die Durchführung des PSPP dauerhaft zu beobachten. Diese Beobachtungspflicht sei darauf gerichtet festzustellen, ob insbesondere aus dem Volumen und der Risikostruktur der erworbenen Anleihen, die sich auch nach ihrem Erwerb ändern kann, ein konkretes Risiko für den Bundeshaushalt erwächst.

Eine Verletzung der Verfassungsidentität käme aber in Betracht, wenn durch den PSPP-Beschluss ein Mechanismus begründet würde, der auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen Dritter mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen hinausliefe, sodass aufgrund dieses Mechanismus der Deutsche Bundestag nicht „Herr seiner Beschlüsse“ bliebe und sein Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben könnte.

Risiken einer unbegrenzten Risikoteilung

Die Beschwerdeführer hätten insoweit plausibel dargelegt, heißt es weiter, dass in den rechtlichen Grundlagen des ESZB eine Änderung der Risikoverteilung hin zu einer gemeinschaftlichen Haftung auch für die 80 Prozent der angekauften Schuldtitel angelegt sei, die die nationalen Zentralbanken von nationalen Emittenten ihres eigenen Staates erwerben und für die aktuell eine gemeinschaftliche Haftung nicht vorgesehen sei. Bei dem Ausfall von Anleihen einer Zentralregierung sei es naheliegend, wenn nicht sogar zwingend, dass der EZB-Rat darauf mit einem Beschluss reagiere, der eine volle Risikoteilung bewirke. Das laufe auf eine Umverteilung von Risiken bisher nicht bekannter Größenordnung hinaus, für die die EZB kein Mandat habe.

Eine unbegrenzte Risikoteilung innerhalb des Eurosystems und daraus resultierende Risiken für die Gewinn- und Verlustrechnung der nationalen Zentralbanken würden nach Auffassung des Senats die Verfassungsidentität im Sinne von Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes verletzen, wenn sie eine Rekapitalisierung der nationalen Zentralbanken mit Haushaltsmitteln in einem Umfang erforderlich machen können, wie sie der Senat in seiner Rechtsprechung zu den Euro-Rettungsschirmen Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) an die Zustimmung des Deutschen Bundestages gebunden habe. Es komme mithin für den Erfolg der Verfassungsbeschwerden darauf an, ob eine solche Risikoteilung nach dem Primärrecht, also den europäischen Verträgen, ausgeschlossen werden kann. (vom/15.08.2017)

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