Arbeit

Heil: Wir brau­chen einen stär­ker vor­sor­genden Sozial­staat

Es scheint, als habe die Bundeskanzlerin nicht nur die Richtlinienkompetenz in politisch strittigen Fragen. Beobachtet man die Grundsatzdebatten zur Regierungserklärung im Bundestag, fällt auf, dass der rote Faden ihrer eigenen Rede vom 21. März sich auch durch die Beiträge fast aller nach ihr zu Wort kommenden Minister zieht: Es ist die Frage, wie der Kitt aussieht, der die Gesellschaft zusammenhält. Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, machte am Donnerstag, 22. März 2018, da keine Ausnahme, als er die Debatte über die künftige Arbeits- und Sozialpolitik der Großen Koalition eröffnete.

Vollbeschäftigung als zentrales Ziel

„Wir können uns die Ausgrenzung eines erheblichen Teils der Gesellschaft nicht leisten und müssen uns am Ende der Legislaturperiode beantworten, welchen Beitrag wir geleistet haben, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden“, formulierte der Minister seinen hohen Anspruch.

Diese „Bruchlinien“ konstatierte Heil nicht nur bei Einkommen und Vermögen, beim Thema Arbeit und Bildung. Mit höheren Sozialtransfers allein seien diese jedoch nicht zu überwinden. „Wir brauchen einen stärker vorsorgenden Sozialstaat“, der es ermögliche, dass Menschen ihre Chancen nutzen können. Darüber hinaus bezeichnete Heil die Vollbeschäftigung, „aber nicht irgendeine Vollbeschäftigung, sondern gute Arbeit“, als zentrales Ziel seiner Politik. 

„Rückkehrrecht auf Vollzeit auf den Weg bringen“

Als erstes großes Projekt werde sein Ministerium deshalb das Rückkehrrecht auf Vollzeit auf den Weg bringen, um Frauen ein selbstbestimmtes Leben, auch im Alter, zu ermöglichen. Er kündigte außerdem einen „Masterplan gegen Kinderarmut“ und eine Reform des Kinderzuschlags an, von der insbesondere Alleinerziehende profitieren würden. 

Im Sommer soll, so der Minister, die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ihre Arbeit beginnen, um Konzepte dafür zu erarbeiten, damit die Rente auch langfristig den Lebensstandard sichern kann. „Denn wir dürfen nicht zulassen, dass die Generationen gegeneinander ausgespielt werden“, betonte Heil.

AfD: Menschen am Wohlstand angemessen beteiligen

Die Botschaft von sozialer Gerechtigkeit, mit der die SPD im Übrigen die Wahl verloren habe, glaubten die Wähler schon lange nicht mehr, konstatierte Uwe Witt (AfD). Er warf dem Minister persönlich vor, die Hartz-Gesetze und Rentenkürzungen von Beginn an unterstützt zu haben und prophezeite, „das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht“. 

Soziale Gerechtigkeit erfordere eine angemessene Beteiligung der Menschen am gesellschaftlichen Wohlstand und „keine unangemessene Beteiligung jener Menschen, die hier her kommen“, sagte Witt. „Sie nehmen den Menschen alles weg: Geld, Lebensstandard und kulturelle Identität und träumen von sozialen Wohltaten für Europa“, warf er der Bundesregierung vor.

CDU/CSU: Langzeitarbeitslose gezielt fördern

Hermann Gröhe (CDU/CSU), Gesundheitsminister in der vergangenen Legislaturperiode, entgegnete: „Ihre Polemik zeigt, dass Sie vom Wesen unseres Sozialstaates nichts verstanden haben.“ Artikel 1 des Grundgesetzes von der Unantastbarkeit menschlicher Würde bedeute für den Sozialstaat, niemals eine Politik des Wir-gegen-die-Anderen zu verfolgen. 

Gröhe betonte, dass stabile soziale Sicherungssysteme nicht ohne eine gute wirtschaftliche Gesamtsituation zu haben seien. Das Ziel der Vollbeschäftigung sei nur realistisch, wenn die verschiedenen Gruppen von Langzeitarbeitslosen gezielt gefördert werden. Deshalb würden die Ausgaben im Haushaltstitel für Eingliederungen in den Arbeitsmarkt erhöht, kündigte Gröhe an.

FDP: Sie geben das Geld mit dem Gartenschlauch aus

Johannes Vogel (FDP) kritisierte insbesondere die geplante Rentenpolitik der Großen Koalition, die Milliardensummen in ein neues Rentenpaket stecken wolle, aber Altersarmut damit nicht verhindere. „Sie geben das Geld mit dem Gartenschlauch aus“, so der Vorwurf des Liberalen. 

Und damit nicht genug, wolle die Bundesregierung auch noch die Rentenformel manipulieren, indem sie den Nachhaltigkeitsfaktor aussetzt. „Die Beiträge werden dadurch stärker und früher steigen“, sagte Vogel voraus. Er forderte statt dessen, ein einheitliches Renteneintrittsalter endgültig abzuschaffen.

Linke: Saat der Agenda 2010 ist aufgegangen

Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken, fokussierte ihre Rede vor allem auf grundsätzliche Kritik an den Hartz-IV-Gesetzen. So habe die Debatte um Äußerungen des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) ein Gutes, denn sie habe die „soziale Ignoranz der Bundesregierung gegenüber Hartz-IV-Betroffenen“ offenbart. 

Ein Blick in den Koalitionsvertrag bestätige dies. So finde sich dort nichts über die Berechnung der Regelsätze, die Minister Heil vor ein paar Jahren selbst noch als willkürlich kritisiert hatte, empörte sich Kipping. „Die Saat der Agenda 2010 ist aufgegangen“, die Gesellschaft sei gespalten worden und die Bundesregierung gefährde den sozialen Frieden weiter, sagte sie.

Grüne: Reform der Grundsicherungssysteme nötig

Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) unterstellte der Bundesregierung ebenso, „keine belastbaren Antworten auf die Zukunftsfragen“ zu haben. Sie gebe Menschen, die sich um- und weiterqualifizieren wollen, keine Perspektive, rede stattdessen „wolkig“ von einer Weiterbildungsstrategie. 

Sie habe keine Lösung dafür, dass Hartz IV für viele Beschäftigte als Bedrohung empfunden werde, weil ihnen dort im Fall von Arbeitslosigkeit keine Perspektiven angeboten würden. Dabei zeige die aktuelle Debatte über Hartz IV, wie nötig eine Reform der Grundsicherungssysteme sei, appellierte Kurth.

SPD: Arbeit bedeutet auch Anerkennung und Teilhabe

Katja Mast (SPD) stellte die Frage: „Was macht einen sozialen Arbeitsmarkt aus?“ Die Antwort lieferte sie auch gleich hinterher: „Arbeit bedeutet nicht nur Geld, sondern auch Anerkennung und Teilhabe.“ In diesem Sinne werde auch der Koalitionsvertrag wirken, denn er stärke nicht nur die Tarifbindung, sondern schiebe auch einen Riegel vor die Kettenbefristungen. 

Auch zum Thema Kinderarmut biete der Koalitionsvertrag einiges: „Da steckt richtig viel Zukunft drin“, verteidigte sie in knappen Worten die Regierungspläne. (che/22.03.18)

Marginalspalte