Regierungserklärung

Merkel dämpft Erwar­tungen an Gipfel zum EU-Rat und zur Nato

Nach Ansicht von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) könnte die Migration „zur Schicksalsfrage für die Europäische Union werden“. Entweder die Frage werde so bewältigt, dass man „auch in Afrika und anderswo daran glaubt, dass uns Werte leiten“ oder „niemand wird mehr an unser Wertesystem glauben“, warnte sie am Donnerstag, 28. Juni 2018, im Bundestag in einer Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 28. und 29. Juni in Brüssel sowie zum bevorstehenden Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli 2018 in Brüssel. 

Auf dem zweitägigen Treffen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs am Abend über die die künftige Migrationspolitik sprechen. Die Kanzlerin steht innenpolitisch unter Druck, nachdem CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt hatte, bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge an der Grenze zu Bayern abweisen zu lassen, sollte der Gipfel keine zufriedenstellenden Ergebnisse bringen. Seehofer war bei der Debatte selbst nicht anwesend.

Merkel sucht „Koalition der Willigen“

Merkel dämpfte im Vorfeld des Treffens die Erwartungen auf eine umfassende Einigung. Die EU-Staaten seien noch nicht bereit, sich auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu verständigen. 

Deshalb strebe sie kurzfristig eine „Koalition der Willigen“ an. Einigungen dürften in jeden Fall „nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter“ erfolgen, stellte sie jedoch klar.

CSU: Deutschland hat keinen Nachholbedarf an Humanität

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (CDU/CSU) wünschte Merkel für die anstehenden Verhandlungen in Brüssel „viel Erfolg“. Sobald die Ergebnisse des Gipfels bekannt seien, werde seine Partei darüber beraten, „welche nationalen Maßnahmen notwendig sind“, kündigte er an. Er verlieh der Position der CSU, in anderen EU-Staaten registrierte Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, nochmals Nachdruck. Um sich langfristig vor illegaler Migration zu schützen, müsse Deutschland auch geltendes Recht umsetzen. 

Mit Verweis auf die hohe Aufnahmebereitschaft der Bundesrepublik während der akuten Flüchtlingskrise urteilte Dobrindt: „Deutschland hat keinen Nachholbedarf an Humanität.“ Mehr als die Hälfte der Migranten, die nach Europa gekommen seien, würden heute nicht in den Mittelmeerländern leben, sondern in hierzulande.

CDU: Die Koalition erledigt ihre Aufgaben

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU/CSU) verteidigte den Streit unter den Schwesterparteien CDU und CSU in der Asylfrage. Trotz der Diskussionen in der Parteienfamilie erledige die Koalition ihre Aufgaben, wie das beschlossene Baupaket zeige. „Die Menschen können sich darauf verlassen, dass wir unsere Arbeit machen.“ Es sei eine „gesunde Mischung“ notwendig, zwischen dem was in Europa und was in nationaler Verantwortung gemacht werden könne, betonte er. 

„Wir wollen ein Europa ohne Binnengrenzen, aber dafür brauchen wir auch ein Europa mit geschützten Außengrenzen.“ Kauder spielte damit auch auf den geplanten Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex zu einer europäischen Grenzpolizei an, den Merkel und Dobrindt ebenfalls als unerlässlich ansehen.

SPD: Es ist Zeit zu Handeln

SPD-Chefin Andrea Nahles (SPD) hatte zuvor von CDU und CSU die Beendigung ihres Asylstreits und die Rückkehr zur Sachpolitik gefordert. „Streit einstellen, Handeln ist mein Appell“, sagte sie. 

Seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags habe sich nichts in der Sachlage der Flüchtlingspolitik verändert. Man habe Vereinbarungen getroffen, um Steuerung und Kontrolle zu sichern, diese gelte es nun umzusetzen.

AfD: Aufnahme von Flüchtlingen beenden

AfD-Fraktionschef Dr. Alexander Gauland (AfD) machte klar, dass er eine Lösung des Asylkonflikts in Brüssel nicht erwartet. Die anderen europäischen Länder werden sich seiner Einschätzung nach nicht durch Merkel zur Aufnahme von Flüchtlingen bewegen lassen. „Frau Bundeskanzlerin, Sie rufen Europa zur Hilfe, wie es Ihnen passt“, urteilte er. „Doch die Europäer lassen sich nicht kujonieren. Und sie sind auch nicht bereit, Ihre Buntheit, die Morde und Messerattacken und sexuelle Belästigung einschließt, in ihre Länder zu integrieren.“ 

Gauland sprach sich für eine Ende der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland aus. „Schließen wir die Grenzen, steigen aus allen Resettlement-Programmen aus und helfen wir denen, die tatsächlich Hilfe brauchen, an Ort und Stelle.“

FDP: CSU macht Deutschland in der EU erpressbar

Für die Liberalen warf Christian Linder (FDP) der CSU vor, Deutschland in der EU erpressbar gemacht zu haben. „Die Uneinigkeit zwischen CSU und CDU wird die deutsche Verhandlungsposition in der Europäischen Union schwächen“, urteilte er. Er vermute aber, dass die CSU trotz ausbleibender Einigungen einlenken werde. „Das kennen wir: Aus höchsten Staatsämtern heraus mit parteipolitischen Motiven die Stimmung anheizen, um danach beizudrehen und wieder zur Vernunft kommen zu wollen.“

Damit Europa ein Raum der Freiheit ohne Grenzen bleibe, „brauchen wir endlich Kontrolle an der Außengrenze und eine Ordnung im Inneren“, forderte Lindner. Das Thema Migration dürfe zudem nicht allein die politische Agenda bestimmen. Digitalisierung, Bildung und Wohlstand seien ebenfalls wichtige Aufgaben, die nicht verdrängt werden dürften.

Linke: Merkel steht vor „Scherbenhaufen ihrer Politik“

Nach Ansicht von Linken-Fraktionschefin Dr. Sahra Wagenknecht (Die Linke) steht Bundeskanzlerin Merkel vor dem „Scherbenhaufen ihrer Politik“. Sie habe das Porzellan zerschlagen und die europäischen Partner immer wieder gegen sich aufgebracht. 

So habe sie die Mittelmeerstaaten einst im Streit um das Dublin-System allein gelassen und sich kaum solidarischer verhalten als heute Ungarn oder Polen. Der CSU warf Wagenknecht vor, vor der Landtagswahl in Bayern „Symbolpolitik“ zu betreiben.

Grüne: CSU betreibt Politik der Angstmache

Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/die Grünen) kritisierte die CSU für ihre Haltung im Asylstreit scharf. „Was Sie machen, ist eine Politik der Angstmache.“ Daraus entstehe nur mehr Angst, aber „nie mehr Sicherheit“.  

Die CSU verfolge ein „Deutschland der Abschottung, des Egoismus, ohne Kooperation und ohne Zusammenhalt“, konstatierte sie und appellierte: „Steigen Sie aus aus dieser Spirale der Unvernunft.“ Das Innenministerium sei nicht die Neben-Wahlkampfzentrale der CSU. 

Entschließungsanträge der FDP abgelehnt

Mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag der FDP (19/2995) der die Bundesregierung auffordert, bei den bevorstehenden Verhandlungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sich für eine europäische Lösung einzusetzen. Es sollte ein neuer Krisenmechanismus etabliert werden, der Solidarität und Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten ausgewogen verbindet. Staaten, die Schutzsuchenden besonders Zuflucht gewähren, sollten von der EU unterstützt werden.

Ebenfalls mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen negativ beschieden wurde ein zweiter Entschließungsantrag (19/2996), der forderte, den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU von 2021 bis 2027 danach auszurichten, einen europäischen Mehrwert für Mitgliedstaaten und Bürger zu schaffen. Der Finanzrahmen solle möglichst noch vor der Europawahl im Mai 2019 beschlossen werden. Vor einer Zusage Deutschlands zu höheren Beiträgen in den EU-Haushalt solle eine Ausgaben- und Aufgabenkritik stehen. Höheren Beiträgen solle die Regierung nur als Ultima Ration zustimmen, schreibt die FDP.

Entschließungsanträge der Linken abgelehnt

Keine Zustimmung unter den übrigen Fraktionen fand ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke (19/2993), der die Bundesregierung aufgefordert hat, beim Nato-Gipfel und danach das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben, abzulehnen. Nato-Einsätze außerhalb des Nato-Gebiets seien generell abzulehnen. Die Allianz müsse sich aus Afghanistan und dem Irak zurückziehen.

Mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde auch ein zweiter Entschließungsantrag (19/2994) der Linksfraktion mit der Forderung, wirtschaftspolitische Maßnahmen zum Abbau der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse vorzulegen. Über ein öffentliches Investitionsprogramm solle die Regierung zur Schließung der Investitionslücke und zur Stärkung der Binnennachfrage beitragen und die Annäherung der Volkswirtschaften in der Eurozone befördern.

Entschließungsanträge der Grünen abgelehnt

Auch Bündnis 90/Die Grünen konnte sich nicht mit zwei Entschließungsanträgen zur Regierungserklärung durchsetzen. Im ersten Antrag (19/2992) forderte die Fraktion die Bundesregierung auf, den Fokus beim Nato-Gipfel auf die Bündnisverteidigung zu richten und eine Erhöhung des Verteidigungsetats um auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzulehnen. Auch solle sich die Regierung für konventionelle sowie nukleare Abrüstung einsetzen und sich von US-Präsident Trumps Afghanistan-Strategie distanzieren. Stattdessen solle sie auf eine Abzugsperspektive für Afghanistan dringen. Keine der übrigen Fraktion stützte den Antrag.

Der zweite Entschließungsantrag (19/3032) fand zumindest die Unterstützung der Linksfraktion bei Enthaltung der FDP. Die Bundesregierung wurde darin aufgefordert, die Bereitschaft Deutschlands zur Aufnahme der Flüchtlinge des Rettungsschiffs „Lifeline“ im Mittelmeer zuzusagen und so zu einer europäischen Lösung beizutragen. Die Verteilung der Flüchtlinge solle mit den Ländern geklärt werden, die ihre Bereitschaft zur Aufnahme signalisiert haben. (joh/sas/vom/28.06.2018)

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