Parlament

Domscheit-Berg vermisst ganzheitliche Digital-Strategie der Regierung

Eine Frau mit langen glatten Haaren und einer Brille sitzt hinter einem Mikrofon und spricht.

Anke Domscheit-Berg (Die Linke) (DBT/Unger)

Der Bundesregierung fehlt aus Sicht der netzpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Anke Domscheit-Berg (Die Linke), eine ganzheitliche Strategie für die Versorgung mit digitaler Infrastruktur. Es sei ein wiedererkennbares Muster der Bundesregierung, Ausbauziele aufzustellen, die nicht erreicht werden und gleichzeitig neue, größere Ziele vorzugeben, „die in der Zukunft liegen, aber dann auch nicht erreicht werden“, sagt Domscheit-Berg in einem am Montag, 3. Dezember 2018, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Das Interview im Wortlaut:


Frau Domscheit-Berg, Sie wohnen in Fürstenberg an der Havel. Wie sieht es dort mit dem Internet aus?

Ich wäre nicht hingezogen, wenn es im Ort nicht ausreichendes Internet geben würde. Aber ich fahre viel mit der Bahn – nach Berlin oder in den Wahlkreis – und da ist zumeist tote Hose. Ein Funkloch folgt dem anderen. Man kann da weder telefonieren noch arbeiten.

Warum ist Deutschland in Sachen digitale Infrastruktur so schlecht aufgestellt?

Es gibt keine ganzheitliche Strategie für die Versorgung mit digitaler Infrastruktur. Das betrifft sowohl das physische Netz als auch das mobile Netz. Trennen kann man da aber immer weniger, denn für den 5G-Ausbau ist beispielsweise ein flächendeckendes Glasfasernetz nötig.

Die Bundesregierung wollte eigentlich erreichen, dass bis 2018 jeder Haushalt mindestens 50 Megabit pro Sekunde hat. Das Ziel wird verfehlt, aber trotzdem ist die Rede von der Gigabit-Gesellschaft bis 2025.

Das ist ein wiedererkennbares Muster der Bundesregierung. Sie stellt Ausbauziele auf, die sie dann nicht erreicht. Gleichzeitig gibt sie neue, größere Ziele vor, die in der Zukunft liegen, aber dann auch nicht erreicht werden. Gebraucht wird eine vernünftige Strategie, die dazu benötigten Ressourcen und kluge Regulierung, mit besseren Sanktionsmöglichkeiten. Wenn die Bundesnetzagentur Bußgelder von 100.000 Euro verhängen kann, lacht doch ein Konzern wie die Telekom nur.

Was muss also passieren?

Das Telekommunikationsgesetz müsste zum Beispiel dahingehend verändern werden, dass die Bundesnetzagentur ermächtigt wird, unter bestimmten Bedingungen nationales Roaming verbindlich vorzuschreiben. Damit die Kunden des einen Anbieters auch das Netz der anderen Anbieter nutzen können. Das sollte man gerade dort vorgeben, wo es schwer ist, Funklöcher zu schließen.

Aber warum sollte ein Unternehmen, das mit seinen Investitionen diese Funklöcher geschlossen hat, andere daran verdienen lassen?

Sie sollen den Zugang ja nicht kostenlos ermöglichen. Das muss natürlich verrechnet werden. Eine Infrastruktur gemeinsam zu nutzen, ist für alle besser. Man kann das auch mit Auflagen versehen. Etwa so, dass man sagt: Am nationalen Roaming dürfen nur Unternehmen teilnehmen, die selber eine bestimmte Prozentzahl an Netzabdeckung haben. Man könnte auch die Verkehrswege aufteilen. Unternehmen A baut jene Strecke und das Unternehmen B eine andere. Und dann erlauben sie sich gegenseitig den Netzzugang.

Wie ist es denn in den Vorgaben für die 5G-Frequenzversteigerung geregelt?

Da steht, dass alle Bahnlinien und Straßen bis 2022 oder 2024 100 Megabit pro Sekunde haben müssen. Da aber das nationale Roaming nicht vorgeschrieben ist, könnte es dann so sein, das zwar alle Streckenabschnitte versorgt und damit die Funklöcher gestopft sind. Es gebe dann aber Telekom-Strecken, auf denen die Telefónica-Kunden nach wie vor nichts empfangen und umgekehrt. Wir brauchen aber Funklochfreiheit in der Praxis – nicht nur in der Theorie.

Die Bundesregierung  zumindest Kanzleramtschef Helge Braun  rückt ja inzwischen vom Ziel ab, eine lückenlose mobile 5G-Versorgung zu schaffen. LTE  also 4G  sei doch auch verdammt schnell, sagt er.

Zu sagen, das schnellste Netz wird nicht überall gebraucht, finde ich nicht in Ordnung. Man kann ja überlegen, in welchen Stufen man es ausbaut. In dem 170-seitigen Kriterienkatalog für die Versteigerung steht nur an einer Stelle eine Verpflichtung zu 5G drin. Aber nicht bei Abdeckung von Haushalten oder Verkehrswegen. Sowohl bei den 98 Prozent Versorgung von Haushalten als auch bei Straßen und Bahnlinien steht nur 100 Megabit pro Sekunde. Das geht alles mit 4G. Man nutzt also die 5G-Versteigerung, um Funklöcher im 4G-Netz zu flicken. Vom Ausrollen eines 5G-Netzes in der Fläche steht da nichts. Das ist der gleiche Fehler wie bei der Breitbandförderung. Da wurden auch nicht 1.000 Megabit pro Sekunde als Ziel ausgegeben sondern 50. Das war auch mit Vectoring zu machen.

Was war so falsch an der Optimierung der Kupferkabelleitungen? Für viele Kunden hat das kurzfristig zu einer Verbesserung geführt. Den meisten reicht es schließlich, wenn sie Netflix ruckelfrei empfangen können.

Uploads sind damit sehr langsam. Sprechen sie mal mit Rechtsanwälten, die künftig elektronische Gerichtsakten hochladen müssen, oder mit Architekten, die umfangreiche Baupläne verschicken müssen. Oder mit dem Arzt, der hochauflösende MRT-Bilder auch versenden können muss. Bei mir im Wahlkreis gibt es eine kleine Firma, die Präzisionsmechanik auf Weltmarktniveau herstellt. Sie bekommt ihre Aufträge per USB-Stick im Briefumschlag, weil die vorhandene Internetleistung für komplexe Pläne nicht ausreicht. Zu denken, das hat alles noch Zeit und wird eigentlich nicht gebraucht, ist typisch Deutsch. In Schweden hingegen hat man früh das Glasfasernetz ausgebaut, die Nachfrage wuchs stets mit der verfügbaren Internetgeschwindigkeit. Dort haben häufig Städte ein eigenes Glasfasernetz ausgebaut und dann an Diensteanbieter vermietet, die für einen florierenden Wettbewerb sorgen. Das ist für die öffentliche Hand sogar profitabel.

Hätte also auch in Deutschland der Staat das Glasfasernetz bauen und das nicht den Unternehmen überlassen sollen?

Jede Infrastruktur ist eigentlich eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Daher müsste bei den milliardenschweren Förderprogrammen als oberstes Primat festgeschrieben sein, dass eine ausbauwillige Kommune den Erstzugriff auf Fördergelder erhält. Nur in den anderen Fällen sollten das Unternehmen tun. Bei uns ist es leider genau andersrum.

Welche Rolle spielt das Ex-Staatsunternehmen Telekom beim Glasfaserausbau?

Keine gute. Es gibt eine zu enge Verfilzung der Telekom mit der Bundesregierung. Man kann nicht ein Unternehmen regulieren, an dem man der größte Einzelaktionär ist. Wenn Förderprogramme so zugeschnitten werden, das dieses Unternehmen davon am meisten profitiert, ist das im Grunde Insiderhandel und ethisch extrem problematisch. Das geht gar nicht. So landet man dann beim Vectoring. Damit wurde nachweislich der Ausbau von Glasfaser verlangsamt. Man kann nachschauen, wie die Zahl der neuen FTTH-Anschlüsse der Telekom genau in dem Jahr einbrach, als die Förderrichtlinie für den Breitbandausbau durch war, denn dann kann Vectoring statt Glasfaser ins Haus. Das führte ja auch zur Rüge durch den Europäischen Rechnungshof, der sagt, Deutschland kann seine Gigabit-Ziele bis 2025 nicht erreichen, wegen der Vectoring-Strategie.

Die Bundesregierung hat aber inzwischen reagiert. Kupferkabel  also Vectoring  wird nicht mehr gefördert.

Es fehlt aber immer noch an einer Gesamtstrategie. Jetzt soll ein Sondervermögen für Breitbandförderung aufgesetzt werden, um die ländlichen Räume und die Schulen anzubinden. Das wird aber von den Einnahmen der Frequenzsteigerung abhängig gemacht.

Eine Anschubfinanzierung in Höhe von 2,4 Milliarden Euro soll es aber in jedem Falle geben.

Ja, aber warum macht man daraus nicht einen ganz normalen Haushaltstitel? Für Panzer geht das ja auch. Oder ist Internet an Schulen dann doch nicht so wichtig?

(hau/03.12.2018)

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