Geschichte

Vor 175 Jahren: Pauls­kir­che beschließt Grund­rech­te des deutschen Vol­kes

Eröffnung der Nationalversammlung 1848 in der Paulskirche in Frankfurt am Main

Blick in die Frankfurter Paulskirche während der ersten Arbeitssitzung der Nationalversammlung am 18. Mai 1848. (picture-alliance/akg-images)

Vor 175 Jahren verabschiedete die Frankfurter Nationalversammlung die „Grundrechte des Deutschen Volkes“. Mit dem Beschluss der Nationalversammlung vom Donnerstag, 21. Dezember 1848, erlangten zum ersten Mal individuelle und staatsbürgerliche Freiheitsrechte Gesetzeskraft in Deutschland. Das „Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volks“ trat am 28. Dezember 1848 nach seiner Verkündung in Kraft und sollte das rechtsstaatliche und freiheitliche Fundament eines neuen deutschen Nationalstaates bilden.

Zugeständnisse der Monarchen

Nach dem revolutionären Aufstand in Paris im Februar 1848 war es auch auf dem Land und in den Städten der deutschen Einzelstaaten zu Aufständen gekommen. Demonstranten gingen für eine Veränderung der herrschenden Machtverhältnisse, die Gewährung von Grund- und Freiheitsrechten und die nationale Einheit auf die Straßen. 

Nach blutigen Straßen- und Barrikadenkämpfen und unter dem Druck der revolutionären Verhältnisse gaben die Monarchen nach und machten der von breiten Schichten getragenen Bewegung wesentliche Zugeständnisse. So wurde die Zensur aufgehoben, politische Aktivitäten wurden zugelassen und reformbereite Regierungen ernannt. Auch der Einberufung einer Nationalversammlung zur Errichtung eines deutschen Nationalstaats stimmten sie zu.

Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt am Main

Von Mitte April bis Mitte Mai 1848 fanden die ersten in ganz Deutschland durchgeführten Wahlen statt. Wählen konnten nach einem Beschluss des sogenannten Vorparlaments alle volljährigen selbstständigen Männer. Frauen waren nicht wahlberechtigt. Am 18. Mai 1848 kamen die gewählten Vertreter der deutschen konstituierenden Nationalversammlung im Kaisersaal des Frankfurter Römers zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen, bevor sie sich zu ihrer ersten Arbeitssitzung in der Frankfurter Paulskirche trafen. 

Die gesetzlich vorgesehene Mitgliederzahl des Paulskirchenparlaments betrug 649 Abgeordnete; aufgrund von Wahlboykotten waren es jedoch lediglich 587 Parlamentarier. Hauptaufgabe des ersten gesamtdeutschen Parlaments sollte, wie es der Präsident der Nationalversammlung Heinrich Freiherr von Gagern (1799-1880) in seiner Antrittsansprache am 19. Mai formulierte, die Schaffung einer Verfassung für Deutschland und der deutschen Einheit sein: „Wir sollen schaffen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation.“

Verabschiedung der Grundrechte

Bereits eine Woche nach ihrer Konstituierung begann die Nationalversammlung ihre Arbeit mit der ihr dringlichsten Aufgabe und setzte am 24. Mai mit großer Mehrheit einen Verfassungsausschuss ein. Am 3. Juli begannen mit der ersten Lesung des Ausschussentwurfs die Beratungen der Grundrechte. 

Der Sprecher des Ausschusses, der Jurist Dr. Carl Georg Christoph Beseler (1809-1888), begründete die Entscheidung: „Wir konnten die Sache von oben her anfangen, wir konnten uns zuerst beschäftigen mit den Spitzen der höchsten Gewalt, mit der Konstituierung der Zentralgewalt, mit ihrer Organisation. Allein auch ein anderer Ausweg stand uns offen: Wir konnten auch damit anfangen, die tieferen Schichten des öffentlichen Lebens zu erfassen, die Rechte festzustellen, die dem ganzen Volke und dem Einzelnen im Volke zukommen. Ihr Ausschuss hat sich nun zu dem Beschluss vereinigt, mit der Feststellung dieser Rechte – wir haben sie Grundrechte genannt – zu beginnen.“ 

Die „politische Einheit, die wir jetzt anstreben“ sollte „auch ihre Wirkung äußern müssen auf die staatsbürgerlichen Rechte der Deutschen“ und „wir wollen jetzt aus dem herauskommen, was uns der Polizeistaat der letzten Jahrhunderte gebracht hat. Wir wollen den Rechtsstaat auch für Deutschland begründen“, sagte Beseler.

Persönliche und politische Freiheitsrechte

Die zweite Lesung der Grundrechte fand am 19. und 20. Dezember statt. Nach nur zwei Lesungen beschlossen die Parlamentarier am 21. Dezember 1848 mit der Verabschiedung des Einführungsgesetzes den Grundrechtskatalog, der als Kernelemente die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte (wie Meinungs-, Presse-, Religions-, Versammlungs- und Gewerbefreiheit, Vereinsrecht, Freizügigkeit und so weiter) sowie die Abschaffung der Todesstrafe enthielt. 

Auch die Unverletzlichkeit des Eigentums, die Freiheit der Person, das Briefgeheimnis, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre und das Petitionsrecht gehörten neben weiteren Rechten dazu. Mit einigen Änderungen wurden diese Grundrechte in die Reichsverfassung vom 28. März 1849 aufgenommen (Abschnitt VI, Paragrafen 130 bis 189).

Staatenhaus und Volkshaus

Die am 27. März 1849 verabschiedete Reichsverfassung sollte einen föderalen deutschen Einheitsstaat konstituieren, dem mit Ausnahme des Kaisertums Österreich alle Staaten des Deutschen Bundes angehörten (kleindeutsche Lösung). Sie sah einen erblichen Kaiser als Staatsoberhaupt vor, der auch das Recht zur Einsetzung der Regierung hatte. 

Dem Reichstag, der sich aus einem Staatenhaus und einem demokratisch zu wählenden Volkshaus zusammensetzte, oblagen vor allem die Gesetzgebung, das Budgetrecht und die Kontrolle der Exekutive. Die zentrale Frage der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament blieb offen und sollte später geregelt werden.

Vorbildfunktion für spätere Verfassungen

Als im April 1849 der von der Nationalversammlung zum „Kaiser der Deutschen“ gewählte preußische König Friedrich Wilhelm IV. das ihm angetragene Amt unter Berufung auf seine im Gottesgnadentum begründete monarchische Legitimation ablehnte, waren die Bemühungen der Paulskirche um eine Verfassung und die Errichtung eines deutschen Nationalstaats gescheitert. Dadurch verloren sowohl das Einführungsgesetz vom 27. Dezember 1848 als auch die Reichsverfassung ihre Gültigkeit.

Trotz des Scheiterns der Frankfurter Nationalversammlung und ihres Vorhabens, Deutschland im Rahmen einer parlamentarisch-demokratischen Verfassung zu einigen, gehören die Grundrechte des deutschen Volkes zu den Leistungen des Paulskirchenparlaments, die eine fortwirkende Bedeutung behalten haben und eine Vorbildfunktion für spätere Verfassungen hatten. Sowohl die Weimarer Verfassung als auch das Grundgesetz und die Verfassungen der Bundesländer beruhen in ihren Abschnitten über Grundrechte auf diesem Rechtekatalog. (klz/18.12.2023)

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