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Schöler über die Wir­kungen des karika­turis­tischen Federstrichs

Ein Mann sitzt an einem Tisch, vor sich eine Flasche und ein Glas Wasser.

Professor Ulrich Schöler unternahm als Vortragsredner einen Streifzug durch Jahrhunderte von „Politik und Karikatur“. (DBT/Melde)

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) wird die Aussage zugeschrieben, dass ein Politiker den Gipfel der Popularität erklommen hat, wenn er zum Objekt der Satire geworden ist. Allein 18.000 Kohl-Karikaturen zähle die Pressedokumentation des Deutschen Bundestages, die den ehemaligen Bundeskanzler zum Gegenstand haben und in Anspielung auf dessen Äußeres sich gerne des Birnen-Motivs bedienen, stellte Prof. Dr. Ulrich Schöler in einem Vortrag zum Thema „Politik und Karikatur – ein Streifzug durch die Jahrhunderte“ am Montag, 17. Dezember 2018, fest. 

Zu den politischen Wirkungen des karikaturistischen Federstrichs zählten aber auch die Klagen des französischen Königs Ludwig des XIV. über die verletzenden Verzerrungen der Zeichner wie auch die Kriegserklärung des englischen Königs 1672 an die Niederlande wegen verunglimpfender Bildsatiren. Diese besondere Wirkungsgeschichte der Karikatur zeichnete der scheidende Leiter der Abteilung Wissenschaft und Außenbeziehungen des Deutschen Bundestages und stellvertretende Direktor beim Deutschen Bundestag in der Veranstaltungsreihe „Forum W“ der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages nach und verabschiedete sich damit von Kollegen und Publikum.

W-Forum besticht mit Rednern und relevanten Themen

Prof. Dr. Horst Risse, Direktor beim Deutschen Bundestag, bedankte sich bei dem 65-jährigen Initiator und Organisator des Veranstaltungsformats, das in den zwölf Jahren seines Bestehens zahlreiche prominente Redner angezogen und relevante Themen behandelt habe.

Über seine Verwaltungstätigkeit hinaus habe Schöler das W-Forum nicht nur zu einem zentralen Bestandteil der Abteilung W gemacht. Die Veranstaltungsreihe des Bundestages habe darüber hinaus eine enorme Außenwirkung entfaltet und sich so einen festen Platz im Kanon der zahlreichen hochkarätigen Veranstaltungen in Berlin erobert, stellte Risse fest.

Honoré Daumier als anregender Ausgangspunkt

Das Thema „Karikatur und Politik“ liege ihm sehr am Herzen und daher habe er seine über die Jahre hinweg entstandene akademische Ausarbeitung darüber als „freundlich-fröhliche Form des Verabschiedens“ von dem Format „W-Forum“ mitgebracht, sagte Schöler. Immer wieder anregender Ausgangspunkt für seine Beschäftigung mit Karikaturen sei das Werk des Franzosen Honoré Daumier, der sich im 19. Jahrhundert mit politischen und sozialkritischen Darstellungen einen Namen gemacht hatte, vor allem aber dessen überzeichnete Bilder der Berufsgruppe der Juristen („Die Juristen“), einem Klassiker in der Geschichte der Karikatur.

Schöler spannte den Bogen seiner Ausführungen von frühen grafischen Zeugnissen als Agitationsmittel des politischen Streits in Antike und Mittelalter über die flämischen Meisterwerke von Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel und die Reformationszeit in Deutschland sowie die Hochzeiten der politischen Karikaturen im 19. und 20. Jahrhundert in England und Frankreich bis hin zur modernen, tagesaktuell produzierten Satire im Medienzeitalter. Er illustrierte seine Beobachtungen anhand zahlreicher bildlicher Darstellungen bekannter Karikaturisten.

Enge Verflechtung von Politik und Karikatur

In allen Epochen habe es entsprechend der lateinischen Bedeutung des Wortes „karikare“ (übertreiben, überladen) Bilder mit Verfremdungen gegeben, die den Betrachter unmittelbar emotional und nicht auf einer rationalen Ebene ansprechen. Die Funktion der Karikatur, ihre Zielrichtung und ihre Rezeption, habe sich zwar über die Jahrhunderte gewandelt, ebenso wie ihre Produktionsbedingungen. Diese Form der Bildsprache habe aber schon immer die politisch verhandelten innen- und außenpolitischen Themen der Zeit aufgegriffen. Sie sei dabei Teil des kollektiven Gedächtnisses. Viele Ereignisse und Entwicklungen blieben nur deshalb in der Erinnerung haften, weil sie in der Karikatur dargestellt worden seien.

Blütezeiten habe die politische Karikatur immer dann erlebt, wenn dank revolutionärer Ereignisse wie 1789 oder 1848 die Schranken der Zensur zeitweilig fielen, erklärte Schöler. Aber auch Entwicklung wie der Aufstieg des Bürgertums und die Formierung moderner Parteienlandschaften in Europa im 19. Jahrhundert hätten die Satire-Zeichner beflügelt.  Immer habe sich dabei die enge Verflechtung von Politik und Karikatur gezeigt, so Schöler. Während sich die Kunstform noch in der frühen Neuzeit vor allem in den Dienst der Nationen stellte, wurden nun sämtliche Ereignisse des Alltags und der Politik auf die spitze Feder des Karrikaturismus genommen.

Befreiende Wirkung in Krisen und Notsituationen

Zahlreiche Karikaturen und Zeitschriften entstanden im Zuge der ersten deutschen Demokratie zur Zeit der Frankfurter Paulskirche, eine Entwicklung, die sich im Kaiserreich und in der Weimarer Republik fortsetzte. Künstler wie George Grosz trugen zur Popularität des Genres bei und lebten davon. Die Parteien hätten die Bedeutung der Karikatur erkannt und eigene Publikationen wie „Der wahre Jakob“ oder „Simplicissimus“ hergestellt.

Zu den positiven Seiten der Karikatur gehörte die „befreiende Wirkung von Karikaturen in Krisen und Notsituationen“, auf die Siegmund Freud 1905 hingewiesen habe. Zu den dunklen Kapiteln aber zähle, wie sehr sich Karikatur immer wieder zu Propagandazwecken instrumentalisieren ließ, nicht zuletzt zu Kriegszeiten, und nicht zuletzt dank immer billigerer Herstellungsmethoden. Die nationalsozialistische Propaganda gipfelte schließlich in antijüdischen Darstellungen. Während des Krieges warfen die Kriegsparteien wechselseitig Karikaturen enthaltende Botschaften durch Flugzeuge und Raketen hinter den feindlichen Linien ab.

Schlüssel zum Verständnis einer Epoche

Der Wissenschaftler Schöler warb dafür, Karikaturen als wesentlichen Teil der historischen Überlieferung neben der Fülle der oft viel mehr beachteten Textdokumente sowohl in der politisch-historischen Forschung als auch in der didaktischen Arbeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken, da diese Form der künstlerischen Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Ereignissen das Bild einer Epoche erst vervollständige. Karikaturen böten ein reichhaltiges Anschauungsmaterial und seien ein Schlüssel zum Verständnis einer Epoche.

Am besten gedeihe das Genre der Karikatur unter den politisch freien Bedingungen einer gefestigten Demokratie mit einer unabhängigen Presselandschaft, ja die Karikatur sei ein demokratisches Medium. Und zwar, weil sie vorrangig ein Medium der Kritik sei. Sie arbeite sich an herrschenden Zuständen und damit auch an den Herrschenden ab. Damit handele es sich um ein „Medium für die Schwachen und gegen die Starken“.

„Lachen, das auf den Lippen gefriert“

Heute bezögen sich Karikaturen stärker als je zuvor auf aktuelle Ereignisse und machten sich mehr denn je das Mittel der grafischen Vereinfachung zunutze. Die Karikatur habe sich „vom Medium der Politik zum Medium, das Politik von außen darstellt“, gewandelt. Auch in der heutigen Zeit neuer Dynamiken und Komplexitäten, einer Zeit der Unübersichtlichkeit, funktioniere das Genre der politischen Karikatur und habe nichts von seiner Aussagekraft verloren, Ereignisse und Phänomene abzubilden. Karikaturen griffen, damals wie heute, die aktuellen, großen Themen der Zeit auf, und enthielten dabei auch warnende Botschaften. 

Schöler illustrierte dazu anhand aktueller Beispiele zu den Themen „GroKo“, Klima und Migration, wie beim Betrachter der Moment vordergründiger Erheiterung von dem Schreck böser Vorahnungen abgelöst werde. „Karikatur ist und bleibt etwas Anstößiges und erzeugt meist das Lachen, das auf den Lippen gefriert.“ (ll/18.12.2018)

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