Geschichte

Historische Debatten (8): Kontaktsperregesetz

Ein Panzer vor einem Bürogebäude mit Flachdach.
Hans-Jochen Vogel, ein Mann mit Brille und gewelltem Haar, steht an einem Rednerpult.
Drei sitzende Männer unterhalten sich mit einem stehenden.
Zwei sitzende Männer sprechen mit einem stehenden Mann, der seine Hände auf einem Tisch aufstützt.
Männer stehen im Pulk zusammen.
Fünf Männer sind miteinander im Gespräch.
Fünf Männer stehen stumm nebeneinander.
Ein ausgebombtes Auto steht auf einer Straße.
Ein Flugzeug der Lufthansa steht auf einem Rollfeld.
Ein Mann sitzt vor einem RAF-Zeichen mit einem Schild vor sich, auf dem steht: Seit 31 Tagen Gefangener.
Drei Männer stehen stumm nebeneinander.
Mehrere Männer stehen im Plenarsaal des Bundestages in Bonn vor ihren Tischen.
Ein Polizist mit Maschinengewehr steht vor einem weißen Oldtimer-Sportwagen.
Ein unaufgeräumter, spärlich eingerichteter Raum.
Ein Mann geht durch einen Gefängnistrakt.

Bild 1 von 15

Gepanzerte Fahrzeuge sichern am 8. September 1977 in Bonn die Zufahrt zum Bundeskanzleramt. (picture-alliance / dpa | DB Popp)

Bild 2 von 15

In der Debatte zum Kontaktsperregesetz spricht der Bundesminister der Justiz, Hans-Jochen Vogel. Mit dem Gesetz soll der Kontakt von inhaftierten Terroristen untereinander und zur Außenwelt begrenzt werden und in bestimmten Gefahrensituationen ganz verboten werden. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Lothar Schaack)

Bild 3 von 15

Im Bundestag findet die 3. Lesung zum Kontaktsperregesetz statt. Mit dem Gesetz soll der Kontakt von inhaftierten Terroristen untereinander und zur Außenwelt begrenzt werden und in bestimmten Gefahrensituationen ganz verboten werden. Im Bild: Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Wolfgang Mischnick (links) im Gespräch mit dem Bundesminister der Justiz, Hans-Jochen Vogel (2.v.l.) und dem Bundesminister des Innern, Werner Maihofer (2.v.r.) (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Lothar Schaack)

Bild 4 von 15

29.09.1977: Gruppe (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Lothar Schaack)

Bild 5 von 15

29.09.1977: Abgeordnete des Deutschen Bundestags im Gespräch (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Lothar Schaack)

Bild 6 von 15

Im Bundestag findet die 3. Lesung zum Kontaktsperregesetz statt. Mit dem Gesetz soll der Kontakt von inhaftierten Terroristen untereinander und zur Außenwelt begrenzt werden und in bestimmten Gefahrensituationen ganz verboten werden. Im Bild: Der Bundesminister der Justiz, Hans-Jochen Vogel (2.v.r.) im Gespräch mit Werner Maihofer, Bundesminister des Innern (2.v.l.), Hans Jürgen Wischnewski, Staatsminister im Bundeskanzleramt (Mitte) und dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Hans de With (l.) (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Lothar Schaack)

Bild 7 von 15

Die Abgeordneten des Bundestages erheben sich zur einer Schweigeminute, um der Ermordung des Präsidenten des Arbeitgeberverbandes, Hanns Martin Schleyer, zu gedenken. In der Regierungsbank v.r.: Bundeskanzler Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister des Auswärtigen, Werner Maihofer, Bundesminister des Innern, Hans-Jochen Vogel, Bundesminister der Justiz und Hans Apel, Bundesminister der Finanzen (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ulrich Wienke)

Bild 8 von 15

Blick auf den Tatort in Köln. Drei Polizisten und der Fahrer starben am 5. September 1977 im Kugelhagel eines Terrorkommandos. Der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wurde bei dem Überfall entführt. Elf inhaftierte Terroristen sollten durch die Aktion freigepresst werden. Rund sechs Wochen später, am 19. Oktober 1977, wurde die Leiche Schleyers im Elsass/Frankreich im Kofferraum eines Wagens gefunden. (picture-alliance / dpa | Wilhelm Bertram)

Bild 9 von 15

An Bord der entführten Lufthansa-Maschine waren 91 Geiseln. (picture alliance / AP | -)

Bild 10 von 15

Der entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer unter dem Logo der RAF (Rote Armee Fraktion) und einem Schild mit der Aufschrift „Seit 31 Tagen Gefangener“. Das Bild wurde zusammen mit einem Bekennerschreiben an die französische Zeitung „Liberation“ geschickt. Schleyer wurde am 5.9.1977 von der RAF entführt, um inhaftierte Gesinnungsgenossen freizupressen. Drei Polizisten und der Fahrer starben im Kugelhagel des Terrorkommandos. Aufgenommen im Oktober 1977. (dpa - Bildarchiv)

Bild 11 von 15

Stehend gedenken (L-r) Staatssekretär Andreas von Schoeler, Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher und Bundeskanzler Helmut Schmidt zu Beginn einer Debatte im Bonner Bundestages am 8.9.1977 der Opfer des Attentats auf den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. (picture-alliance / dpa | DB Steiner)

Bild 12 von 15

Stehend gedenken die Abgeordneten des Bonner Bundestages am 8.9.1977 der Opfer des Attentats auf den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Zu Beginn der Bundestagsdebatte wies Bundespräsident Karl Carstens (oben rechts auf dem Präsidiumsplatz) darauf hin, dass das Schicksal Schleyers noch ungewiss sei. (picture-alliance / dpa | DB Steiner)

Bild 13 von 15

Ringfahndung, Fahndung nach den Mördern von Hanns-Martin Schleyer, Polizisten, z.T. mit Maschinengewehr bewaffnet, kontrollieren Autos und Personen am 20.10.1977 (picture-alliance / Sven Simon | Windeck)

Bild 14 von 15

Vom baden-württembergischen Justizministerium freigegebenes Foto vom Dezember 1974 der Zelle der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin in der Strafvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. (picture-alliance/ dpa | Justizministerium)

Bild 15 von 15

Ein Vollzugsbeamter der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim geht am 15.10.2002 im Hochsicherheitstrakt des 7. Stocks an den Zellen vorbei, in denen vor 25 Jahren die Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) einsaßen. Am 18. Oktober 1977 wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe tot in ihren Zellen gefunden. (Foto vom 13.10.2002). (picture-alliance / dpa | Norbert Försterling)

Einige Debatten in der Geschichte des Deutschen Bundestages waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Entscheidungen und Dispute der vergangenen Wahlperioden.

Es waren sechs Wochen im September und Oktober 1977, die die Bundesrepublik Deutschland veränderten: Der so genannte Deutsche Herbst stürzte den Staat in eine tiefe innenpolitische Krise. Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte die Rote Armee Fraktion (RAF) nach einer ersten gewalttätigen Befreiung Andreas Baaders den „bewaffneten Widerstand“ ausgerufen. Doch mit der Verschleppung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer am 5. September und der Entführung des Flugzeugs „Landshut“ am 13. Oktober 1977 erreichte der Terror seinen Höhepunkt.

„Deutscher Herbst“: Bewährungsprobe für den Rechtsstaat

Politik und Sicherheitsbehörden mussten unter Hochdruck arbeiten: Es ging schließlich nicht nur darum, die Gefangenen der Terroristen zu befreien und die Täter vor Gericht zu stellen, sondern auch darum, die Fähigkeit des Staates zu beweisen, seine Bürger gegen Gefahren zu schützen - eine „Bewährungsprobe“ für die noch junge deutsche Demokratie.

„Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muss innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was im Rechtsstaat erlaubt ist“, hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) bereits nach dem RAF-Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm 1975 gesagt. Einen Tag nach der Entführung Schleyers, am 6. September 1977, beschloss dann der von Helmut Schmidt eingerichtete „Große Krisenstab“ eine Kontaktsperre für alle Häftlinge der RAF.

Ein folgenreicher Schritt: Ab sofort durften diese weder untereinander noch mit ihren Anwälten kommunizieren. Die Häftlinge sollten isoliert werden, um einen Kontakt der in der Justizvollzugsanstalt Stammheim einsitzenden Hauptstraftäter der RAF mit den Entführern Schleyers zu unterbinden. Gleichzeitig wurde eine Nachrichtensperre für die Medien erlassen.

Was Bundeskanzler Schmidt am 15. September 1977 als eine „unabweisbare Notwendigkeit“ bezeichnen sollte, war für viele Rechtsanwälte und Menschenrechtler jedoch ein „Sündenfall des Rechtsstaats“ und der Höhepunkt einer Reihe neuer Gesetze und Gesetzesnovellierungen wie die Aufnahme des „Terrorismusparagrafen“ 129a in das Strafgesetzbuch, mit denen der Staat die RAF bekämpfte und dabei nach ihrer Ansicht rechtsstaatliche Prinzipien missachtete.

Das damals schnellste Gesetz Deutschlands

Für die verhängte Kontaktsperre konnte sich der damalige Bundesjustizminister Dr. Hans-Jochen Vogel (SPD) zwar auf den in Paragraf 34 des Strafgesetzbuches niedergelegten Rechtsgedanken des „rechtfertigenden Notstandes“ berufen. Doch eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gab es bis dato nicht.

Um einer möglichen Klärung durch das Bundesverfassungsgericht zuvorzukommen, musste die Bundesregierung möglichst schnell ein Gesetz vorlegen, das die Kontaktsperre nachträglich rechtlich legitimierte, zumal eine Reihe von Landesjustizministern und Richtern die Anordnungen der Länderjustizbehörden unter Berufung auf deren Rechtswidrigkeit abgelehnt hatten.

Innerhalb von acht Tagen wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet: Am 28. September 1977 beriet der Rechtsausschuss die Vorlage, schon einen Tag später sollte das Parlament entscheiden. So schnell war vorher noch kein Gesetz in der Bundesrepublik zustande gekommen. Möglich war dies nur, weil Regierung und Opposition das Gesetz „zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz“ als interfraktionellen Entwurf in den Bundestag eingebracht hatten.

Hitziges Wortgefecht vor der Abstimmung

Ungeachtet der gemeinsamen Vorlage geriet die zweite Lesung am 29. September 1977 über das geplante Kontaktsperregesetz zu einer heftigen Kontroverse: Gerade in der SPD, aber auch in der FDP, regte sich Widerstand gegen den Inhalt. Gegenstand der Kritik war auch das rasche Zustandekommen dieses „Blitzgesetzes“.

„Wir beraten heute ein Gesetz, das gestern in den Bundestag eingebracht wurde und dessen endgültiger Wortlaut den Abgeordneten sogar erst heute vorgelegt wurde“, kritisierte Manfred Coppik. Gerade bei einem Gesetz, das „Grundlagen des Verhältnisses von rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien und Notwendigkeiten der Terrorismusbekämpfung“ berühre, müssten alle Gesichtspunkte „sorgfältig“ abgewogen werden, mahnte der SPD-Abgeordnete.

„Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien rettet kein Menschenleben“

Coppik kündigte an, das Gesetz abzulehnen: „Die Aufgabe rechtsstaatlicher Grundprinzipien rettet kein Menschenleben, schafft aber Lebensverhältnisse, in denen die friedliche demokratische Entwicklung in einem Rechtsstaat gefährdet wird und damit weitere Menschenleben in Gefahr geraten.“

Auch eine Gruppe von FDP-Abgeordneten um Dr. Martin Bangemann kritisierte, das geplante Gesetz sei eine „erhebliche Einschränkung der Möglichkeit der Verteidigung“. Das Recht auf eine freie Verteidigung gehöre aber „zu den Grundpfeilern unseres Rechtsstaates“. Der Liberale plädierte in einem Änderungsantrag dafür, den Kontakt zwischen Mandant und Verteidiger nicht grundsätzlich zu unterbinden, sondern die bisherigen Anwälte gegen Ersatzverteidiger auszutauschen.

„Selbsterhaltung und Notwehr kein Rückfall in den Polizeistaat“

Ein Vorschlag, den die Union sofort zurückwies: „Mit diesem Änderungsantrag wäre das Gesetz in seiner Wirksamkeit total erledigt“, meinte der CDU-Abgeordnete Heinz Eyrich. Für die CDU/CSU-Opposition hatte bereits der CSU-Abgeordnete Klaus Hartmann betont, seine Fraktion werde einstimmig für das Kontaktsperregesetz stimmen: In der akuten Lebensgefahr für Hanns Martin Schleyer sei es notwendig, den Kontakt der Terroristen zur Außenwelt zeitweise zu unterbrechen.

Hartmann verteidigte das neue Gesetz mit den Worten: „Nur wenn unser Staat seinen Feinden entschlossen gegenübertritt, kann er die Freiräume der rechtstreuen Bürger auf Dauer bewahren. Selbsterhaltung und Notwehr sind kein Rückfall in den Polizeistaat.“

Kontaktsperregesetz - einmal und nie wieder angewendet

Mit 371 Ja-Stimmen gegen vier Nein-Stimmen bei 17 Enthaltungen beschloss der Bundestag am 29. September 1977 das Kontaktsperregesetz. Bereits am 2. Oktober trat es in Kraft und legalisierte die bei den RAF-Häftlingen in Stammheim seit dem 6. September angewandte Kontaktsperre nachträglich.

Die Lebensgefahr für Hanns Martin Schleyer konnte dadurch jedoch nicht abgewendet werden: Nachdem die Befreiung der gekaperten Lufthansa-Maschine „Landshut“ durch Einsatz der GSG 9 am 18. Oktober in Mogadischu (Somalia) gelungen war, begingen die inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stammheim Selbstmord. Hanns Martin Schleyer, der entführt worden war, um sie freizupressen, wurde am selben Tag noch von der RAF ermordet.

Das Kontaktsperregesetz, als Teil der so genannten „Lex RAF“ geschaffen, ist seitdem nie wieder angewandt worden. (sas/14.08.2017)

Marginalspalte