Europapolitik Europol-Kontrollausschuss: Rechtsextremismus, Geld, Datenschutz
Ein Déjà-vu meinte Boris Pistorius erlebt zu haben. Wenn man über Rechtsextremismus reden wolle, so sagte der niedersächsische Innenminister und Ko-Vorsitzende des Gemeinsamen Parlamentarischen Kontrollausschusses für das Europäische Polizeiamt (Europol), während der 7. Sitzung des Gremiums am Montag, 28. September 2020, habe er schon oft erlebt, dass es reflexhaft die Forderung gebe, man dürfe nicht nur über Rechtsextremismus, sondern müsse auch über Linksextremismus und islamistischen Terrorismus reden. Das zu tun, habe aber niemand in Frage gestellt, betonte Pistorius. „Der heutige Themenschwerpunkt ist aber Rechtextremismus und Rechtsterrorismus.“ Das habe angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre „mehr als seine Berechtigung“. Rechtextremismus und Rechtsterrorismus stellten „im Augenblick“ die gefährlichsten aller Entwicklungen dar und seien nicht mit der Gefahr von Links zu vergleichen. Die Täter würden grenzübergreifend agieren, weshalb das Ganze auch ein Thema für Europol sei.
Verschiebung des geltenden Wertekanons
Den Rechtsextremismus bezeichnete der niedersächsische Innenminister als eine Brücke zum Rechstterrorismus und auch zum Rechtspopulismus. Beleg dafür sei, dass heute „aus der Mitte der Gesellschaft“ Äußerungen fallen würden, wie sie noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen seien, sagte Pistorius. „Wir erleben eine Verschiebung des bislang als unverrückbar geltenden Wertekanons in der Europäischen Union.“ Er müsse schon schlucken, wenn bei der Diskussion über Rechtextremismus und Rechtsterrorismus von einer „Invasion illegaler Migranten“ die Rede sei, so der Leiter der Delegation des Bundesrates beim Gemeinsamen parlamentarischen Kontrollausschuss. Das führe zu einer Relativierung – genauso, wie „wenn man die verschiedenen Extremismus-Phänomene miteinander vergleicht“.
Allgemeingültige Definition des Rechtsextremismus gefordert
Bei der Diskussion mit Vertretern der nationalen Parlamente und Mitgliedern des Europäischen Parlamentes zuvor gab es in der Tat Wortmeldungen, die vor einer Konzentration auf den Rechtsextremismus warnten und eine Gleichbehandlung mit dem Linksextremismus forderten. Zudem wurde auch die Frage gestellt, was Europol dazu beitragen könne, um Terrorist/-innen unter den Migrant/-innen zu erkennen. Gleichzeitig gab es klare Aussagen, wonach eine spezifische Debatte über Rechtsextremismus richtig und wichtig sei. Benötigt wird nach Ansicht mehrerer Parlamentarier/-innen auch eine allgemeingültige Definition, was genau Rechtsextremismus ist. Außerdem wurde auch das Problem rechtsextremistischer Tendenzen in den Sicherheitsbehörden zur Sprache gebracht.
„Lagebild“ zu rechtsextremistischen Tendenzen
Dazu werde in Deutschland die Innenministerkonferenz im Herbst eine Übersicht erstellen, um zu einem „vernünftigen Lagebild“ zu kommen, kündigte der als Gastredner geladene Präsident des Verfassungsschutzes Niedersachsen, Bernhard Witthaut, an und warnte zugleich vor einer Vorverurteilung. Witthaut verwies des Weiteren darauf, dass sich Rechtsextremisten oftmals im Internet radikalisierten. Es sei daher ein europaweit gültiger Rahmen sinnvoll, der die Verpflichtung der Provider und Plattformbetreiber regelt, rechtsextreme Inhalte zu löschen und zu verhindern, dass in entsprechenden Chatrooms die Personen mit ihrem „Nickname“ ungestört in der digitalen Welt agieren können.
Rechtsradikale peitschen sich im Internet gegenseitig auf
Das Problem der Radikalisierung und Vernetzung über das Internet sprach zuvor auch Wil van Gemert, Stellvertretender Exekutivdirektor von Europol und Leiter der Abteilung Operative Tätigkeiten, an. Vielfach sei zu beobachten gewesen, dass sich die Täter/-innen im Internet gegenseitig aufgepeitscht hätten. Rechtsradikale, so der Europol-Vertreter, hätten sich bei diesem Vorgehen von Dschihadisten inspirieren lassen.
Um die Szene bekämpfen zu können, reichten die traditionellen Methoden nicht mehr aus, sagte van Gemert. „Wir brauchen neue Mittel und Wege in allen Mitgliedstaaten.“ Die angekündigte Sicherheitsstrategie der EU könne die Zusammenarbeit stärken, betonte er. Es brauche aber auch einen kohärenten Kommunikationsfluss aller Mitgliedsstaaten, „damit wir mit größerer Schlagkraft tätig werden können“. Was den Online-Terrorismus angeht, so könnte hier Europol aus der Sicht van Gemerts sehr schnell reagieren, „wenn die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden“. Das sei aber derzeit nicht der Fall.
Mittag: Unterfinanzierter Haushalt von Europol
Zu Beginn der Tagung am Montag hatte die zweite deutsche Ko-Vorsitzende, die SPD-Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag, angesichts des breiten Aufgabenspektrums von Europol, wozu unter anderem die Bekämpfung von Straftaten des Menschenhandels, der Kinderpornographie, der Geldwäsche, des Terrorismus und Extremismus gehörten, eine Unterfinanzierung der Behörde beklagt. Für das „von uns gewollte Aufgabenfeld, das sich noch erweitern soll“, müsse der Haushalt aufgestockt werden, sagte sie.
De Bolle: Analyse von Informationen ist die „DNA von Europol“
Catherine de Bolle, Exekutivdirektorin von Europol, hatte im Anschluss deutlich gemacht, dass die Corona-Pandemie auch Auswirkungen auf die Innere Sicherheit Europas gehabt habe. Die Kriminellen hätten die Pandemie als Gelegenheit genutzt, um neue Illegale Aktivitäten auf den Weg zu bringen, sagte de Bolle. Es liege in der Natur des Organisierten Verbrechens, sich schnell an neue Situationen anzupassen. Im Ergebnis habe es mehr Cyberkriminalität gegeben, auch habe der Schmuggel mit gefälschten Produkten zugenommen. Europol habe die Mitgliedstaaten bei all den Untersuchungen in diesen Bereichen unterstützt und Berichte sowie Analysen dazu erstellt, wie sich die Kriminellen an die veränderten Bedingungen anpassen.
Apropos Analysen – aus Sicht der Europol-Direktorin ist die Analyse von Informationen „die DNA von Europol“. Damit werde ein Mehrwert geschaffen. Benötigt werde dazu die Verarbeitung von großen Datenmengen. So könne es gelingen, bessere Einblicke in die kriminellen Aktivitäten zu erlangen, sagte de Bolle.
Datenschutzbeauftragter kritisiert Datenspeicherung
Allerdings ist die bisherige Praxis aus Sicht des Europäischen Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski bedenklich. Die dauerhafte Speicherung großer Datenmengen durch Europol erfolge „entgegen der einschlägigen Bestimmungen der Europol-Verordnung“, kritisierte er und fügte hinzu, dass Europol derzeit strengere Auflagen als die Behörden der Mitgliedstaaten habe. Wiewiórowski machte deutlich, dass weder das Instrument der Künstlichen Intelligenz noch andere moderne Analysemöglichkeiten von ihm angezweifelt würden. Die Mengen an Daten, die von den Mitgliedstaaten an Europol gesandt werden, seien aber größer als die Kapazität, die von der Behörde verarbeitet werden könne. Europol habe einen vorgegeben Zeitrahmen, um die Daten zu verarbeiten, der angesichts der Menge nicht einzuhalten sei. Daher müssten derzeit die legitim eingereichten Daten länger gespeichert werden, als das im Mandat von Europol festgelegt sei, sagte der Datenschutzbeauftragte.
Für Boris Pistorius ergibt sich angesichts des „Dissens in der Interpretation des Mandats von Europol“ Handlungsbedarf. Die EU-Kommission, so seine Forderung, müsse möglichst schnell klären, ob das aktuelle Mandat noch ausreichend für die Arbeit der Behörde ist.
Europas Sicherheit darf nicht unter Brexit leiden
Ein möglicher „No-Deal“ macht europäischen Sicherheitspolitikern – diesseits und jenseits des Ärmelkanals - Sorge. Das wurde während des zweiten Teils der 7. Sitzung des Gemeinsamen Parlamentarischen Kontrollausschusses für das Europäische Polizeiamt (Europol) am Dienstag, 29. September 2020, deutlich. Susanne Mittag, SPD-Bundestagsabgeordnete und Ko-Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollausschusses, erinnerte daran, dass die Zusammenarbeit mit Großbritannien in Fragen der Inneren Sicherheit sehr eng gewesen sei. Mit Ablauf der Übergangszeit am 31. Dezember 2020 werde aber die Europol-Verordnung in Großbritannien nicht mehr gelten. „Das bedeutet, dass der Datenaustausch ab dem Januar nicht mehr möglich sein wird, wenn im Rahmen der laufenden Verhandlungen keine Ersatzregelung gefunden wird“, machte sie deutlich.
Seehofer: Polizeilicher Informationsaustausch muss möglich sein
Ein Problem, das auch Horst Seehofer Sorge macht. „Der Brexit hat massive Auswirkungen auf die polizeiliche Zusammenarbeit in Europa“, sagte der als Gastredner geladene Bundesinnenminister. Es werde daher darauf ankommen, die Informationsverluste in Folge des Brexits auszugleichen. „Uns ist wichtig, dass nicht plötzlich britische Täter in der EU oder deutsche Täter in Großbritannien untertauchen oder neue Straftaten verüben können“, sagte der CSU-Politiker. Es setze darauf, dass in den Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und Großbritannien ein Ergebnis erzielt werde, „das eine enge Anbindung Großbritanniens an Europol erlaubt“. Der polizeiliche Informationsaustausch müsse weiterhin möglich sei, forderte er.
EU-Kommission ist auch auf „No-Deal“ vorbereitet
Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, gab sich optimistisch, dass in den Verhandlungen, die sich aktuell in der entscheidenden Phase befänden, eine Partnerschaft zum Informationsaustausch und zur Bekämpfung von Straftaten erreichbar ist. Gelinge dies nicht, würden Notmaßnahmen greifen, zu denen die Kommission schon einen Leitfaden entwickelt habe. „Wir sind vorbereitet“, stellte Johansson klar.
Britische Abgeordnete fordert Sicherheitsarrangements
Die britische Unterhaus-Abgeordnete Yvette Cooper betonte als Gast der Sitzung, im Innenausschuss des Unterhauses sei man sich – trotz aller unterschiedlichen Betrachtungen zum Freihandelsabkommen oder dem Brexit – einig, „dass Großbritannien bei Sicherheitsmaßnahmen und Verbrechensbekämpfung mit der EU eng zusammenarbeiten sollte“. Eine Zusammenarbeit mit Europol sei vor diesem Hintergrund besonders wichtig, betonte Cooper. Selbst wenn es keine Ergebnisse für den Handel gebe, müsse man trotzdem im Januar Sicherheitsarrangements einführen.
Aus dem Kreis der Vertreter nationaler Parlamente und Mitglieder des Europäischen Parlamentes wurde während der Diskussion ebenfalls die Forderung nach einer Weiterführung der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen zwischen der EU und Großbritannien erhoben. Boris Pistorius (SPD), niedersächsischer Innenminister und Ko-Vorsitzender des Europol-Kontrollausschusses fasst daher im Anschluss der Diskussion zusammen, dass das Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit sehr groß sei. Die Sicherheit in Europa dürfe unter dem Brexit nicht leiden, betonte er.
Mittag: Ausreichende Ausstattung für Europol wird benötigt
Der Europol-Kontrollausschuss befasste sich auch mit der anstehenden Reform der Europol-Verordnung. „Gespannt“ erwarte der Kontrollausschuss hierzu die für Ende des Jahres angekündigten Vorschläge der EU-Kommissarin für Inneres, sagte Susanne Mittag. Klar ist für sie, dass Europol, angesichts der steigenden Erwartungen an die Behörde, „eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung benötigt“. Die Einigung des Europäischen Rates aus dem Juli 2020 sehe aber faktisch eine Kürzung des Europol-Haushaltes vor, gab sie zu bedenken.
Seehofers Unterstützung hat die deutsche Ko-Vorsitzende schon einmal. „Wir brauchen eine merkliche Aufstockung der Mittel, um die immer wichtiger werdende Arbeit von Europol zu gewährleisten“, sagte der deutsche Innenminister mit Nachdruck. Auch er warte mit Spannung auf die Vorschläge der EU-Kommission zur Änderung der Europol-Verordnung. Seiner Auffassung nach müssten unter anderem die Möglichkeiten der Telekommunikations-Überwachung an die modernsten Technologien angepasst werden. Auch brauche es eine verbesserte Zusammenarbeit mit privaten Internetprovidern, um gegen Hasskriminalität und anderen Kriminalitätsformen im Zusammenhang mit dem Internet vorgehen zu können.
Johansson kündigt „ausgewogenen Vorschlag“ an
EU-Kommissarin Johansson kündigte an, bis Dezember einen „ausgewogenen Vorschlag“ vorzulegen. Sie verwies darauf, dass für Europol die Analyse großer Datenmengen Basis der Ermittlungserfolge sei. Bedenken des Europäischen Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski werde sie aufgreifen, machte sie deutlich. Klar sei auch, dass sie keinen Vorschlag machen werde, mit dem die Grundrechte nicht eingehalten werden. Für Johansson gibt es aber „keinen Widerspruch zwischen einer effizienten Umsetzung des Rechts und der Einhaltung der Grundrechte“.
Forderungen aus dem Kreis der Abgeordneten nach mehr parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten nahm der deutsche Innenminister auf. Ein Mehr an Befugnissen für die Sicherheitsbehörden müsse auch mit einer Stärkung der Kontrollbefugnisse der Parlamente einhergehen, sagte Seehofer. (hau/29.09.2020)