Nach einer scharfen Kontroverse hat der Bundestag am Freitag, 7. Juni 2019, das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz zur erleichterten Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer beschlossen. In namentlicher Abstimmung votierten 371 Abgeordnete für den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines „Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ (19/10047, 19/10506) in der vom Innenausschuss geänderten Fassung (19/10706). 159 Parlamentarier votierten gegen die Vorlage, 111 enthielten sich.
Neuregelungen bei der Abschiebungshaft
Mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz werden unter anderem die Voraussetzungen der Abschiebungshaft geändert. So sollen die Voraussetzungen für Sicherungshaft abgesenkt werden, um ein Untertauchen zu verhindern. Ferner wird die sogenannte Vorbereitungshaft auf Gefährder ausgeweitet. Neu eingeführt wird zudem eine „Mitwirkungshaft“. Sie soll eine Vorführung aus der Haft ermöglichen, wenn der Ausländer bestimmten Anordnungen zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung keine Folge leistet. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Klarstellung im Rahmen des Ausreisegewahrsams, dass das Kriterium Fluchtgefahr nicht vorliegen muss.
Zusätzlich zu den bisherigen knapp 500 speziellen Abschiebungshaftplätzen sollen zudem durch ein vorübergehendes Aussetzen des Trennungsgebots von Abschiebungs- und Strafgefangenen bis zu 500 weitere Plätze in Justizvollzugsanstalten für den Vollzug der Abschiebungshaft genutzt werden können. Des Weiteren soll einem Ausländer nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise der Termin einer geplanten Abschiebung nicht angekündigt werden dürfen, um ein Untertauchen des Betreffenden zu verhindern. Informationen zum konkreten Ablauf einer Abschiebung werden strafrechtlich als Geheimnis eingestuft. Machen Amtsträger oder „besonders verpflichtete Personen“ dem Abzuschiebenden oder Dritten solche Informationen zugänglich, können sie sich demnach strafbar machen und andere Personen wegen Anstiftung oder Beihilfe belangt werden.
Einführung einer neuen Duldungskategorie
Eingeführt werden soll auch eine neue Duldungskategorie „für Personen mit ungeklärter Identität“. Sie soll Ausreisepflichtigen erteilt werden, deren Abschiebung aus von ihnen zu verantwortenden Gründen nicht vollzogen werden kann, etwa weil sie ihrer Passbeschaffungspflicht nicht nachkommen oder über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit täuschen. Die Betreffenden sollen den Angaben zufolge keine Erwerbstätigkeit aufnehmen dürfen; auch soll eine Wohnsitzauflage ausgesprochen werden können.
Außerdem kann künftig die Verletzung von Mitwirkungspflichten während des Asylverfahrens in größerem Umfang als bisher zu Leistungseinschränkungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz führen. Asylbewerber, bei denen feststeht, dass Deutschland nicht für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, und deren Überstellung durchgeführt werden kann, sollen nur noch Anspruch auf eingeschränkte Leistungen haben. „Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, denen bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt wurde, der fortbesteht, haben nur noch Anspruch auf Überbrückungsleistungen“, heißt es in der Vorlage weiter.
Zu den vom Innenausschuss hinzugefügten Ergänzungen zählt unter anderem, dass zur Ergreifung eines abzuschiebenden Ausländers dessen Wohnung von der zuständigen Behörde betreten werden kann. Auch soll ein ausreisepflichtiger Ausländer in Ausreisegewahrsam genommen werden können, wenn er die Frist zur Ausreise um mehr als 30 Tage überschritten hat. Ferner vorgesehen ist unter anderem, dass erwachsene Asylbewerber ohne Kinder bis zu eineinhalb Jahren statt wie bisher bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen sollen.
Minister: Menschen ohne Bleiberecht müssen Land verlassen
In der Debatte sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), entscheidend für die Akzeptanz des Asylrechts sei es, die Zuwanderung zu begrenzen und als Rechtsstaat konsequent gegenüber jenen vorzugehen, „die diesen Schutzbedarf nicht haben, aber mit unterschiedlichen Gründen in ihre Heimatländer nicht zurückkehren wollen“.
„Menschen ohne Bleiberecht müssen unser Land verlassen. Einer Pflicht zur Ausreise muss auch eine tatsächliche Ausreise folgen“, betonte Seehofer. Die Regierungskoalition wolle verhindern, „dass Personen während oder nach einem Asylverfahren untertauchen oder ihre wahre Identität verschleiern“.
AfD: Gesetz ist ein Katalog hohler Ankündigungen
Dr. Bernd Baumann (AfD) kritisierte, das Gesetz sei ein „Katalog hohler Ankündigungen“. So verspreche es Wiedereinreisesperren für Intensivtäter, doch werde an den offenen Grenzen nicht kontrolliert.
Ferner solle dem Gesetz zufolge bestraft werden, wer Migranten vor einer Abschiebung warnt, doch „alle links-grünen Flüchtlingshelfer, die vor einer Abschiebung warnen, sollen straffrei bleiben“. Das Gesetz für eine „angeblich geordnete Rückkehr“ sei eine „Doppellüge: Es schafft weder Ordnung noch Rückkehr“.
FDP: Ungelöstes Kompetenzchaos zwischen Bund und Ländern
Linda Teuteberg (FDP) bemängelte, statt das Asyl- und Aufenthaltsrechts grundlegend zu überholen, betreibe die Regierungskoalition „Flickschusterei“. Zwar enthalte das vorgelegte Gesetz auch Verbesserungen, doch gehe die Koalition die grundlegenden Probleme damit nicht an.
Dies gelte vor allem für das „ungelöste Kompetenzchaos zwischen Bund und Ländern“. Es sei höchste Zeit, „dass der Bund hier endlich die Zuständigkeit für das gesamte Rückführungsmanagement an sich zieht“.
Linke: Flüchtlinge nicht mit Strafgefangenen unterbringen
Ulla Jelpke (Die Linke) sprach von einem „beispiellosen Angriff auf die Schutzrechte der betroffenen Flüchtlinge“. Das Gesetzespaket der Regierungskoalition sei „voller Schäbigkeiten“. So werde etwa die Abschiebehaft so stark ausgeweitet, „dass man jetzt auch Flüchtlinge mit Strafgefangenen unterbringt“.
Dies sei europarechtswidrig. Auch die Einführung einer „Duldung zweiter Klasse“ sei ein Skandal. „Dieses Hau-ab-Gesetz“ sei ein „Katalog der Grausamkeiten, der nur so strotzt vor Menschenverachtung“.
Grüne: Gesetz ist Angriff auf die Zivilgesellschaft
Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) hielt der SPD vor, dem Gesetz trotz Kritik auch in den Reihen der Sozialdemokraten zuzustimmen und sich dabei darauf zu verlassen, dass das Bundesverfassungsgericht die verfassungswidrige Neuregelung „wieder einsammelt“.
Mit dem Gesetz werde ein Angriff auf Prinzipien des Grundgesetzes „verbunden mit einem Angriff auf die Zivilgesellschaft“. So sollten „Menschen kriminalisiert werden, die Abschiebetermine weitersagen“.
SPD: Abschiebehaft ist allerletztes Mittel
Dr. Eva Högl (SPD) verwies darauf, dass in Deutschland von rund 240.000 vollziehbar ausreisepflichtigen Menschen 180.000 geduldet seien, deren Abschiebung ausgesetzt sei. Mit dem neuen Gesetz schaffe man Regelungen, die Ausreisepflicht besser durchzusetzen.
Wer unter gar keinen Umständen im Land bleiben dürfe, müsse die Bundesrepublik auch wieder verlassen. Nur so werde die Ausnahme Schutzsuchender in der Gesellschaft dauerhaft Akzeptanz finden. Dabei sei für die SPD die Abschiebung und gegebenenfalls Abschiebehaft immer nur das „allerletzte Mittel“.
CDU/CSU: Asylanträge oft im EU-Ausland schon gestellt
Thorsten Frei (CDU/CSU) mahnte, man brauche „mehr Härte“ in Bezug auf Menschen, die nicht schutzbedürftig und nicht bleibeberechtigt sind, sondern außer Landes müssen. Dies beginne schon bei der Einreise nach Deutschland.
So sei es im vergangenen Jahr bei einem Drittel der eröffneten Asylverfahren um Menschen gegangen, „die in anderen europäischen Staaten bereits einen Asylantrag gestellt haben oder sogar bereits einen Schutzstatus hatten“. Deshalb sei es konsequent, diesen Menschen abgesenkte Leistungen zuzumuten.
Datenaustauschverbesserungsgesetz
Zugleich verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der Koalition und der AfD-Fraktion den Regierungsentwurf eines „Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetzes“ (19/8752) in modifizierter Fassung (19/10705). Damit sollen die Nutzungsmöglichkeiten des Ausländerzentralregisters (AZR) weiterentwickelt werden, um Aufgaben, die nach der Verteilung von Schutzsuchenden auf die Länder und Kommunen bestehen, effizienter organisieren und steuern zu können. Weitere Maßnahmen sollen der Erhöhung der Sicherheit, einer besseren „Steuerung der freiwilligen Ausreise und Rückführung“ sowie einer „Verbesserung der Registrierung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern“ dienen. Unter anderem wird der Abruf von Daten aus dem AZR „in Echtzeit“ weiteren Behörden ermöglicht. Danach können künftig etwa auch die Jugendämter, die Staatsangehörigkeits- und Vertriebenenbehörden sowie das Auswärtige Amt und seine Auslandsvertretungen Daten im automatisierten Verfahren aus dem AZR abrufen.
Darüber hinaus sollen unbegleitete minderjährige Ausländer zukünftig zeitnah zu ihrer Einreise – und damit vor der Stellung eines Asylantrags durch die Notvertretung des Jugendamts oder den Vormund – durch Aufnahmeeinrichtungen und Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) registriert werden können. Schließlich wird das Mindestalter für die Abnahme von Fingerabdrücken, die derzeit erst ab Vollendung des 14. Lebensjahres zulässig ist, auf den Zeitpunkt der Vollendung des sechsten Lebensjahres herabgesetzt.
Wohnsitzregelung entfristet
Ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der AfD verabschiedete das Parlament einen weiteren Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/8692, 19/9764), zu dem der Innenausschuss eine Empfehlung (19/10704) vorgelegt hatte. Damit wird die mit dem Integrationsgesetz vom Juli 2016 eingeführte Wohnsitzregelung für international Schutzberechtigte entfristet. Ohne eine Verlängerung der Regelung, die sonst am 6. August dieses Jahres außer Kraft getreten wäre und schutzberechtigte Ausländer verpflichtet, ihren Wohnsitz drei Jahre lang in einem bestimmten Land und gegebenenfalls an einem bestimmten Ort zu nehmen, würde laut Vorlage „ein wichtiges integrationspolitisches Instrument für die Betroffenen und die zu diesem Zweck erforderliche Planbarkeit der Integrationsangebote von Ländern und Kommunen entfallen“.
Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme (19/9764) unter anderem für eine Ergänzung des Gesetzentwurfs plädiert. Nach dem Willen des Bundesrates sollte in dem Gesetzespassus, wonach die Verpflichtung schutzberechtigter Ausländer zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ost aufgrund unzumutbarer Einschränkungen auszuheben ist, hervorgehoben werden, dass eine solche Einschränkung unter anderem besteht, „wenn die Wohnortverpflichtung eine gewalttätige oder gewaltbetroffene Person an einen Wohnort bindet“.
In ihrer Gegenäußerung sagte die Bundesregierung eine Prüfung des Vorschlags zu. Nach ihrer Einschätzung sei die vorgeschlagene Anfügung allerdings nicht erforderlich, da bereits die geltende Rechtslage den Gewaltschutzfällen vollumfänglich Rechnung trage. (sto/07.06.2019)