Der Bundestag hat es am Freitag, 30. Oktober 2020, abgelehnt, zur Corona-Pandemie einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Einen entsprechenden Antrag der AfD-Fraktion (19/22832) lehnte er in namentlicher Abstimmung mit 519 gegen 75 Stimmen ab. Grundlage war eine Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses (19/23471). Die AfD hatte argumentiert, die Bundesregierung habe durch den im März 2020 angeordneten Lockdown massiv in die grundgesetzlich geschützten Rechte der Bürger und der Wirtschaft eingegriffen. Infolgedessen bestehe ein großes öffentliches Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts.
In namentlicher Abstimmung ebenfalls abgelehnt wurde ein Antrag der AfD-Fraktion „auf Abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes wegen Paragraf 5 Absatz 2 Nummer 1 bis 8 Infektionsschutzgesetz“ (19/23529). 552 Abgeordnete lehnten den Antrag ab, 74 stimmten ihm zu, es gab eine Enthaltung. In der Vorlage zweifelt die Fraktion die Vereinbarkeit der pandemiebedingten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes mit dem Grundgesetz an.
CDU/CSU: Unzulässig, unzumutbar, widersprüchlich
Beide Anträge stießen in der Debatte auf heftigen Widerspruch aller anderen Fraktionen. Den ersteren Antrag nannte Patrick Schnieder (CDU/CSU) „unzulässig, unzumutbar und widersprüchlich“. Unzulässig vor allem, weil der Bundestag nach dem Gesetz eine Untersuchungskompetenz nur zu abgeschlossenen Vorgängen habe, die Pandemie aber noch andauere und damit auch die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung.
Unzumutbar, weil „gerade die Mitarbeiter, die im Kampf gegen die Pandemie gebraucht werden“, stattdessen einem solchen Ausschuss zuarbeiten müssten. Und widersprüchlich, weil sich der Antrag in seiner Argumentation „platter Verschwörungstheorien“ bediene. „Pfui, schämen Sie sich dafür“, schleuderte Schnieder den Abgeordneten zur Rechten entgegen.
Enquete-Kommission statt Untersuchungsausschuss?
Schnieder räumte gleichwohl ein, es gebe „Fragen, die wir beantworten müssen“, etwa: „Waren wir richtig vorbereitet?“ Dies müsse aber geschehen, wenn die Pandemie überwunden sei, und das richtige Gremium dafür sei nicht ein Untersuchungsausschuss, sondern eine Enquete-Kommission. Noch konkreter sprach sich Katrin Helling-Plahr (FDP) dafür aus, zu Beginn der nächsten Legislaturperiode eine solche Enquete-Kommission einzusetzen.
Zum zweiten Antrag der AfD-Fraktion wiesen mehrere Redner verschiedener Fraktionen darauf hin, dass ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages genüge, um einen Normenkontrollantrag zu stellen. Einen Mehrheitsbeschluss dazu herbeiführen zu wollen, sei widersinnig. „Ein Parlament, das sein eigenes Gesetz für verfassungswidrig hält, müsste dieses Gesetz ändern“, sagte Sonja Amalie Steffen (SPD).
AfD: Merkel und Helfershelfer einsperren
Für die antragstellende Fraktion warf Thomas Seitz (AfD) der Bundesregierung vor, sie habe anfangs Corona ignoriert und Schutzmittel ins Ausland geliefert. Die AfD habe man im Bundestag „ausgelacht für ihre Forderung nach Einreisebeschränkung“. Mitte März habe die Bundesregierung dann „eine panische 180-Grad-Wende“ gemacht. „Statt Untätigkeit gab es nun hektischen und panischen Aktionismus“, kritisierte Seitz. Die Regierung habe den Ausnahmezustand über das Land verhängt und große Teile der Wirtschaft und Gesellschaft abgeschaltet. Es seien Grundrechte teilweise außer Kraft gesetzt und die „Maske als Symbol des Gehorsams vor der Regierung“ verordnet worden.
Deutlich schärfer noch warf Stephan Brandner (AfD) den „Altparteien“ vor, „Freiheit, Grundrechte, Demokratie hemmungslos und schamlos mit Füßen“ zu treten. Nur ein Recht bleibe bestehen, nämlich das auf unbegrenzte Zuwanderung. „Hoffen wir“, sagte er auf Bundeskanzlerin Merkel bezogen, „dass diese millionenfache Verfassungsbrecherin samt ihrer Helfershelfer, einige sitzen ja hier vor mir und neben mir, ihre letzten Tage im Amt und, wenn es nach mir geht, auch ihre letzten Tage in Freiheit verbringt. So wie Merkel uns einsperrt, muss auch sie eingesperrt werden.“ Bundestagsvizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich forderte Brandner daraufhin auf, sich zu mäßigen.
SPD für größere Rolle des Bundestages
In den Redebeiträgen der SPD-Fraktion spielte die Rolle des Bundestages in der Pandemiebekämpfung eine große Rolle. Dass die Parlamente in der Vergangenheit den Regierungen in Bund und Ländern die Entscheidungskompetenz überlassen hätten, sei richtig gewesen, sagte Sonja Amalie Steffen. Denn es hätten in kurzer Zeit erhebliche, wichtige und schnelle Regelungen erfolgen müssen. Inzwischen verlangten die Bürger aber „völlig zu Recht“ einheitliche, nachvollziehbare und verhältnismäßige Regelungen. Dass Verwaltungsgerichte überall im Bund Corona-Maßnahmen kippen müssten, weil sie nicht nachvollziehbar begründet, zu unbestimmt und unverhältnismäßig waren, sei „schlichtweg unerfreulich“.
Im Rückblick gestand Dr. Edgar Franke (SPD) ein, man habe gewusst, dass eine zweite Welle kommt. „Deshalb hätte der Bundestag früher eingebunden werden müssen.“ Nun gelte es, „rechtliche Leitplanken für Regierungshandeln einzuziehen“. Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) rief allerdings in Erinnerung, dass der Änderung des Infektionsschutzgesetzes im März eine breite Diskussion in Bundestag und Bundesrat vorangegangen sei und es bereits 70 Bundestagsdebatten zu Corona gegeben habe. „Wir im Parlament schauen ganz genau hin, wenn es um wesentliche Debatten geht“, nahm er für sich und seine Kollegen in Anspruch.
FDP: Futter für die Aluhüte
Eine größere Rolle der Parlamente forderten auch Redner von FDP, der Linken und der Grünen. Die Vorschläge der AfD dazu lehnten sie gleichwohl entschieden ab. Diese stelle „hier Schaufensteranträge zur Debatte, um kruden Verschwörungstheorien weiteren Aufwind zu verschaffen“, kritisierte Katrin Helling-Plahr (FDP).
Die meisten AfD-Abgeordneten seinen „ja nicht dumm, aber skrupellos und berechnend“. Es gehe ihnen mit der Forderung nach einem Untersuchungsausschuss nicht darum, herauszufinden, was man hätte besser machen können und daraus für die Zukunft zu lernen. Sie wollten vielmehr „Futter bieten für die Aluhüte in Ihren Reihen“.
Linke: Um die Probleme der Menschen kümmern
Friedrich Straetmanns (Die Linke) nahm für seine Fraktion in Anspruch, seit Monaten Fehler und Schieflagen in der Corona-Politik zu kritisieren. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten über Monate mit weniger Geld auskommen, Arbeitslose würden mit den Mehrausgaben für Hygieneartikel und Gesundheitsvorsorge allein gelassen, das seien „Probleme der Menschen da draußen, um die wir uns hier kümmern müssen“. Zur AfD-Forderung nach einem Untersuchungsausschuss sagte er: „Wir sagen Ja zur kritischen Überprüfung der Corona-Maßnahmen, aber Nein zu Ihrem Antrag.“
Zu deren anderem Antrag verwies Niema Movassat (Die Linke) darauf, dass die Verordnungen im Zusammenhang mit der Pandemie in der Regel von den Landesregierungen erlassen würden. In fast allen Ländern aber könnten die Landtage Normenkontrollverfahren einleiten.
Grüne: Kommen Sie herunter von Ihrem hohen Ross
Dr. Manuela Rottmann (Bündnis 90/Die Grünen) verwies darauf, dass ihre Partei im Bund und in den Ländern, in denen sie zum Teil mitregiert, im Frühjahr und auch jetzt „harte Entscheidungen mitgetragen“ habe. Die Grünen seien aber „in einer Frage ganz klar: Wir brauchen dringend die Beteiligung der Parlamente und eine hinreichende parlamentarische Grundlage für derart einschneidende Grundrechtseingriffe“.
An hier noch zögernde Kollegen aus der Koalition wie den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus, appellierte sie: „Kommen Sie herunter von Ihrem hohen Ross.“
Abgelehnter Untersuchungsausschuss-Antrag
Der Untersuchungsausschuss sollte nach dem Willen der AfD klären, ob der Lockdown „notwendig, verhältnismäßig und rechtmäßig“ war und sich ein Gesamtbild der Handlungen und Unterlassungen der Bundesregierung und der ihr nachgeordneten Behörden vor und während der Corona-Pandemie verschaffen.
Insbesondere sollte der Untersuchungsausschuss klären, ob die Bundesregierung auf eine Pandemie durch ein Coronavirus ausreichend vorbereitet war. Zu diesem Gesamtbild gehören aus Sicht der Abgeordneten auch die Konsequenzen des Handelns oder Unterlassens der Bundesregierung und der ihr nachgeordneten Behörden auf den Verlauf, die Wirkung und die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgen. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse sollten Handlungsempfehlungen für den Fall einer zukünftig auftretenden Pandemie erarbeitet werden, so die Forderung.
Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wäre die Zustimmung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages erforderlich gewesen.
Abgelehnter zweiter Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion zweifelte in ihrem abgelehnten zweiten Antrag (19/23529) die Vereinbarkeit der pandemiebedingten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) mit dem Grundgesetz an und warb dafür, dass sich Bundestagsabgeordnete in ausreichender Zahl zusammenfinden, um beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung zu beantragen, dass die Vorschriften des Paragrafen 5 Absatz 2 Nr. 1 bis 8 des IfSG mit dem Grundgesetz unvereinbar und damit nichtig seien. Darin sind die Ermächtigungen für das Bundesministerium für Gesundheit geregelt, im Rahmen einer festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite unbeschadet der Befugnisse der Länder tätig zu werden. Die AfD argumentierte, dass die Regelung dem Gesundheitsministerium weitreichende Befugnisse zum Erlass von Anordnungen und Rechtsverordnungen einräumt, die mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren seien.
Die Antragsteller hatten erwartet, dass das Bundesverfassungsgericht diese Vorschriften für verfassungswidrig und nichtig erklären würde. Um den Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen zu können, hätten sich ihm 178 Bundestagsabgeordnete anschließen müssen, schrieb die AfD. (pst/vom/pk/hau/mwo/ste/30.10.2020)