Änderung des Atomgesetzes - 19. AtGÄndG (Gesetzentwurf CDU/CSU)
Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU Entwurf eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (19. AtGÄndG) (Drucksachen 20/3488 und 20/4357)
Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU Entwurf eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (19. AtGÄndG) (Drucksachen 20/3488 und 20/4357)
Der Bundestag hat am Freitag, 11. November 2022, die Laufzeiten für die letzten drei aktiven Atomkraftwerke in Deutschland – Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 – um dreieinhalb Monate bis zum 15. April 2023 verlängert. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Atomgesetzes (20/4217) stimmten von den 661 Parlamentariern, die an der namentlichen Abstimmung teilnahmen, 375 Abgeordnete. 216 votierten dagegen, 70 enthielten sich der Stimme. Der Abstimmung lagen eine Beschlussempfehlung und ein Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (20/4357, 20/4423) zugrunde.
Keine Mehrheit fand hingegen ein Entschließungsantrag, den die CDU/CSU zu dem Gesetzentwurf eingebracht hatte (20/4369). Die Antragsteller kritisierten die Pläne der Regierung als „Scheinlösung“ und forderten unter anderem, den Betrieb der Kernkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 und Emsland bis Ende 2024 zu verlängern. Die Vorlage wurde gegen die Stimmen von Union und AfD abgelehnt. Auch drei weitere Initiativen zur Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland – ein Gesetzentwurf der Unionsfraktion (20/3488) sowie zwei Anträge der AfD (20/32, 20/4062) – wies das Parlament zurück.
Mit der Änderung des Atomgesetzes sollen laut Bundesregierung die Rahmenbedingungen für einen bis zum 15. April 2023 befristeten Weiterbetrieb der Kernkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 geschaffen werden, um Erzeugungskapazitäten im deutschen Stromnetz zu halten und einen positiven Beitrag zur Energieversorgungsicherheit insgesamt, zur Leistungsbilanz und zur Netzsicherheit zu leisten.
Der befristete Weiterbetrieb der drei Kernkraftwerke sei in einer Sonderanalyse der vier regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber für die Stromversorgung für den Winter 2022/23, dem sogenannten Stresstest, als weiterer Baustein zur Energieversorgungssicherheit in Deutschland identifiziert worden. Weiterhin könne der Einsatz der drei Kernkraftwerke im Winter 2022/23 auch das Stromnetz im europäischen Ausland bei drohenden Leistungsdefiziten, insbesondere in Frankreich, unterstützen, teilt die Regierung mit.
Die Bundesregierung entscheide sich in einer durch den Ukrainekrieg ausgelösten Krise dafür, die drei deutschen AKW weiterlaufen zu lassen, um damit die Stromversorgung in Deutschland zu stabilisieren, hatte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Einbringung der 19. Atomgesetznovelle zu Beginn der Sitzungswoche am Mittwoch, 9. November 2022, im Plenum erklärt. Die drei AKW könnten einen „kleinen Beitrag leisten“, um über den Winter zu kommen. Deutlich gemacht hatte sie dabei aber auch, dass der Atomausstieg damit nicht in Frage gestellt werde. „Es bleibt beim Ausstieg, Punkt.“
Christian Kühn (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, verdeutlichte in der abschließenden Debatte noch einmal, was die Bundesregierung zu dieser „pragmatische Entscheidung“ bewogen habe: Neben der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Energiekrise sei auch die „Krise der französischen AKW“ ein Grund, die deutschen AKW befristet weiterlaufen zu lassen. Nicht zuletzt sei aber auch das „energiepolitische Fiasko“ aus 16 Jahren Union-geführten Bundesregierungen verantwortlich: Diese habe die Abhängigkeit zu russischem Öl begründet und die Energiewende verzögert. Der Union hielt Kühn vor, nun mit ihrem Gesetzentwurf auch noch den „Ausstieg aus dem Ausstieg“ zu verfolgen. Das komme aber nicht in Frage.
Dies bekräftigte auch sein Parteikollege Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Umweltausschusses. Er verwies auf die Gefahren der Atomkraft, die durch den Krieg in der Ukraine noch klarer zutage träten: AKW würden dort zu Angriffszielen: „Jeder Tag mit Atomenergie ist ein Tag zu viel“, sagte Ebner. Daher hätte seine Fraktion die drei deutschen AKW am liebsten nur als Notfallreserve im Winter behalten, nicht im Leistungsbetrieb. Der Stresstest der Netzbetreiber habe schließlich auch gezeigt, wie klein ihr Beitrag zur Stromversorgung sei.
Trotzdem werde die Grünen-Fraktion den geplanten Streckbetrieb der Meiler mittragen, kündigte der Abgeordnete an. Entscheidend sei, dass kein neuer Brennstoff beschafft und damit keine Grundlage für eine weitere Verlängerung des Betriebs über den 15. April hinaus geschafft werde.
Die SPD stellte sich ausdrücklich hinter diese Position: Mit der geplanten Atomgesetzänderung schaffe die Ampel die rechtliche Grundlage, dass die restlichen Brennstäbe „ertüchtigt“ und der vorhandenen Brennstoff in den AKW bis zum Frühling aufgebraucht werden dürfen.
Das sei Kern der Regelung, „nicht mehr und nicht weniger“. Am 15. April schließe sich dann das Kapitel der Atomkraftnutzung in Deutschland „unwiderruflich.“
Nicht festlegen wollten sich die Liberalen: Carina Konrad (FDP) ließ offen, ob es nach dem 15. April 2023 noch einmal der AKW zur Stabilisierung der Stromversorgung bedürfe. Den Weiterbetrieb bis zum Frühling nannte sie in jedem Fall „unumgänglich“. Ziel sei eine sichere und bezahlbare Stromversorgung, um die Grundlage des Wohlstands zu erhalten. „Industrie, Handwerksbetriebe und Mittelständler“ bräuchten beides, sichere und bezahlbare Preise, sonst drohe die Wirtschaft Schaden zu nehmen. Abwanderung und Arbeitslosigkeit seien die Folge.
Um das zu verhindern, habe die Bundesregierung schon einiges getan, so Konrad und verwies unter anderem auf das Gesetz zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren. Sie werde sich aber auch mit umstrittene Themen wie Gas-Fracking auseinandersetzen, um Deutschland voranzubringen.
Steffen Bilger (CDU/CSU) monierte die geplante Regelung als unzureichenden „Minimalkonsens“. Der Streckbetrieb bis zum 15. April bringe zu wenig: Nicht nur helfe er nicht, die Strompreise genügend zu dämpfen und die Verbraucher zu entlasten, er gebe auch keine Antworten für den Winter 2023/24.
Ganz anders der Gesetzentwurf der CDU/CSU: Dieser finde eine „angemessene und maßvolle“ Antwort auf die gegenwärtige Energiekrise, meinte der CDU-Abgeordnete. Es bleibe beim Ausstieg, versicherte er, aber die Laufzeiten würden bis Ende 2024 verlängert. Das schaffe Versorgungssicherheit, senke Strompreise und „erspare der Atmosphäre viele Millionen Tonnen CO2“. Das aber nehme die Bundesregierung in Kauf, die lieber Kohlekraftwerke wieder hochfahre, so Bilgers Kritik.
Thomas Ehrhorn (AfD) warf der Bundesregierung eine völlig verfehlte Energiepolitik vor. Mit „irrer Sanktionspolitik“ gegen Russland habe sie die Gasknappheit provoziert, mit ihrer Energiewende zerstöre sie die „Industrienation Deutschland“ und riskiere die „Verarmung der Bevölkerung“, so der Abgeordnete.
Ein zeitlich begrenzter Streckbetrieb bringe Deutschland „keinen Meter weiter“. Es brauche auch in Zukunft noch grundlastfähige Atomkraftwerke, sagte der Abgeordnete.
Völlig konträr dazu die Position der Linksfraktion. Punkt für Punkt zählte Ralph Lenkert (Die Linke) die Nachteile der Atomkraft auf. Diese sei zuallererst ein Risiko: Menschliches Versagen, Materialverschleiß – die Technik sei nicht vollends beherrschbar, argumentierte der Abgeordnete.
Mit dem Ukrainekrieg drohe nun auch noch die Gefahr eines atomaren Super-GAU. Zudem sei die weitere Nutzung teuer, umwelt- und gesundheitsschädlich und nicht mehr zu versichern. Sie zementiere überdies die Abhängigkeit von russischem und kasachischem Uran und produziere weiter giftigen Atommüll, für den es kein Endlager gebe. Um den Strompreis zu senken, brauche es Atomkraftwerke aber gar nicht. Für hohe Preise seien vor allem „falsche Marktregeln und Spekulation“ verantwortlich, daher brauche es Regeln im Stromsystem, forderte Lenkert.
Keine Mehrheit fand ein Gesetzentwurf der CDU/CSU (20/3488), die sich für längere Laufzeiten bis mindestens zum 31. Dezember 2024 ausgesprochen hatte. Aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine habe sich die Energieversorgungssituation in Deutschland nach Darstellung der Unionsfraktion erheblich zugespitzt, Gas-und Strompreise seien auf ein Rekordniveau gestiegen, so die Unionsfraktion in ihrem abgelehnten Gesetzentwurf. Dennoch gebe es immer noch einen hohen Anteil an Gasverstromung im deutschen Strommix, obwohl es aus Sicht der Fraktion Alternativen gibt. Nach derzeitiger Gesetzeslage müssten die drei letzten in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke Isar 2 (Bayern), Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg) und Emsland (Niedersachsen) zum 31. Dezember 2022 den Leistungsbetrieb einstellen. Damit würden zusätzlich sechs Prozent grundlastfähige Stromkapazitäten aus dem aktuellen Stromproduktionsmix wegfallen, schrieben die Abgeordneten.
Da „ausufernde Strompreise“ und eine nach dem Stresstest nicht zu jedem Zeitpunkt gegebene Versorgungssicherheit eine große Gefahr für die wirtschaftliche Prosperität darstellten, wodurch eine soziale Schieflage in Deutschland drohe, sei daher eine Ausweitung des Stromangebots und der inländischen Stromproduktion zwingend erforderlich. Neben einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien sei ein zeitlich begrenzter Weiterbetrieb der sich noch im Betrieb befindenden Kernkraftwerke das Mittel der Wahl. Vorgeschlagen wurde eine Laufzeitverlängerung bis mindestens 31. Dezember 2024. Für die Vorlage stimmten 242 und 413 dagegen. Zu dem Entwurf lagen eine Beschlussempfehlung und ein Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (20/4357, 20/4423) vor.
Die AfD-Fraktion forderte in ihrem ersten abgelehnten Antrag (20/32), die Laufzeitbeschränkungen der Atomkraftwerke aufzuheben. Deren Weiterbetrieb bei drohender, ernster Netzinstabilität sei notfalls auch staatlich zu gewährleisten. Zu der Vorlage, die mit den Stimmen von 581 Abgeordneten abgelehnt wurde, lag eine Beschlussvorlage des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (20/763) vor. 72 Parlamentarier hatten für den Antrag votiert.
Darin heißt es: Zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung müsste die Bundesregierung auf die Landesregierungen einzuwirken, „notfalls sofort per Erlass durch die Bundesregierung“, eine provisorische Laufzeitverlängerung für die noch in Betrieb befindlichen beziehungsweise noch betriebsbereiten Kernkraftwerke zu erteilen. Sofern den Betreibern der Weiterbetrieb nicht zuzumuten sei, müsste dieser durch den Bund sichergestellt werden, verlangte die AfD-Fraktion.
In ihrem zweiten abgelehnten Antrag (20/4062) plädierte die AfD für die umfassende Förderung der Forschung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. „Eine Energieversorgung zu Kosten und damit auch Preisen, die es deutschen Unternehmen erlauben, auch international wettbewerbsfähig zu produzieren, ist für den Erhalt des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Deutschland und damit auch für den Erhalt unseres Wohlstands zwingend notwendig“, so die Fraktion.
Die Bundesregierung sollte sich deshalb unter anderem der Einstufung der Kernenergie als nachhaltige, also „grüne“ Technologie durch die Europäische Kommission anschließen. Das Atomgesetz sollt so geändert werden, dass die Erforschung der friedlichen Nutzung der Atomenergie in Deutschland künftig wieder möglich ist. Bereits im Haushalt 2023 sollten Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro für die Erforschung der friedlichen Nutzung der Kernenergie bereitgestellt und damit die Kernenergieforschung im gleichen Umfang gefördert werden, wie es für die Forschung an der Erzeugung von „grünem Wasserstoff“ derzeit beabsichtigt ist. Der Antrag wurde auf Grundlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (20/4358) mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen zurückgewiesen. (sas/mis/che/hau/11.11.2022)