Die von den Koalitionsfraktionen ins Auge gefassten Preisbremsen für Gas, Wärme und Strom können nach dem Willen der Bundestagsmehrheit nun greifen. Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP setzten ihre Vorhaben in namentlicher Abstimmung durch. Für den Gesetzentwurf „zur Einführung von Preisbremsen für leitungsgebundenes Erdgas und Wärme und zur Änderung sonstiger Vorschriften“ (20/4683) stimmten am Donnerstag, 15. Dezember 2022, 370 Abgeordnete. 256 Parlamentarier votierten gegen die Vorlage, 33 enthielten sich. Einen Gesetzentwurf „zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen“ (20/4685) nahm das Parlament mit 373 Ja-Stimmen bei 187 Nein-Stimmen und 101 Enthaltungen an.
Abgelehnt hat das Plenum zwei von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Entschließungsanträge zur Erdgasbremse (20/4913) und zur Strompreisbremse (20/4918) sowie einen von der AfD-Fraktion vorgelegten Entschließungsantrag (20/4919) und einen Änderungsantrag (20/4917) zur Gaspreisbremse. Beide Ursprungsentwürfe wurden zuvor im Ausschuss für Klimaschutz und Energie noch an einigen Stellen geändert. Den Abstimmungen lagen neben den entsprechenden Beschlussempfehlungen des Ausschusses (20/4911, 20/4915) jeweils Berichte gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit (20/4912, 20/4916) zugrunde.
Gesundheitsminister: Wir lassen uns nicht erpressen
In der vorangegangenen Debatte hatte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) betont, es handle sich auch um ein Signal an Moskau: „Wir lassen uns nicht erpressen, wenn es um die Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte geht.“
Lauterbach meinte ausdrücklich mit Blick auf den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), die Koalition könne stolz auf die Gesetze sein. Sie böten eine gute Grundlage, um durch die Krise hindurchzukommen und stärker aus ihr herauszukommen. Er verwies darauf, dass Krankenhäusern und Pflegeheimen die Mehrkosten für Strom und Gas zu hundert Prozent ausgeglichen werden sollen.
Grüne: Ein Winter der Solidarität
Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) meinte, das Problem der teuren Energie habe schon vor Putins Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen, nämlich durch die jahrzehntelange Abhängigkeit von russischem Gas. Dies sei niemals billig gewesen. Jetzt zahlten die Bürgerinnen und Bürger den Preis dafür.
Die Koalition nehme Geld in die Hand und lasse niemanden in dieser Krise allein. So werde auch die Wirtschaft geschützt, ebenso wie Krankenhäuser, Pflegeheime und andere soziale Einrichtungen. Aus dem Winter der Wut werde ein Winter der Solidarität. Der Opposition hielt sie eine Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten vor, die Koalition handele. Putin habe die Stärke der Demokratie in Deutschland und die Solidarität mit der Ukraine unterschätzt: „Wir lassen uns nicht spalten.“
Union: Deutschland ist noch nicht über den Berg
Andreas Jung (CDU/CSU) machte klar, dass Deutschland bei der Bekämpfung der Energiekrise noch nicht über den Berg sei. Es müssten alle Potenziale zur Energieeinsparung genutzt werden. Der Koalition hielt er vor, statt einer starken Antwort zu viel Zeit habe verstreichen lassen. Erst im September habe sie die Gaskommission eingesetzt. Deshalb komme die Energiepreisbremse nicht vor, sondern erst nach dem Winter.
Er kritisierte, dass die Koalition von den Vorschlägen der Kommission abweiche, da sie der Industrie mit Hürden und Anforderungen begegne. Die Arbeitsfähigkeit der Industrie werde in dieser Krise aufs Spiel gesetzt. Es bleibe eine Bremse für Investitionen in die Erneuerbaren Energien.
SPD: Es gibt keine Blaupause
Dr. Matthias Miersch (SPD) strich heraus, die Ampelkoalition stelle mit den Energiepreisbremsen unter Beweis, dass sie gestalten und Preissicherheit schaffen könne. Den Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion hielt er vor, gegen die 200 Milliarden Euro an Schulden gestimmt zu haben, die die Voraussetzung für die jetzigen Maßnahmen seien.
Er hob hervor, dass nun auch die Nutzer von Öl und Pellets bei der Unterstützung ähnlich gestellt werden sollen wie die Gaskunden. Die Koalition werde aufpassen, dass die Maßnahmen auch wirken und gegebenenfalls nachsteuern. Es gebe eben keine Blaupause. Es handle sich um ein lernendes Verfahren. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien sei der Schlüssel zur Energiesouveränität.
AfD kritisiert „planwirtschaftliche Transfers“
Steffen Kotré (AfD) sagte, das Abrissunternehmen Ampelkoalition mache Schulden, die nicht mehr rückzahlbar seien. Planwirtschaftlich würden Löcher mit Steuergeldern gestopft, die ohne die Sanktionen gegen Russland gar nicht erst entstanden wären. Geboten sei, auf Kernenergie, Kohleverstromung und die Beendigung der Sanktionen zu setzen.
Über Umwege komme weiterhin russisches Gas nach Deutschland. Russland bekomme also weiter Geld. Die Koalition gehöre wegen der Veruntreuung von Steuergeldern auf die Anklagebank. Die planwirtschaftlichen Transfers lösten nicht die Probleme und gefährdeten die Zukunft.
FDP: Koalition ist reaktionsfähig
Dr. Lukas Köhler (FDP) erklärte, die Koalition tue alles dafür, gegen den Krieg in der Ukraine zu arbeiten, dafür zu sorgen, dass der Mittelstand erhalten bleibt, dass Härten die Bürger weniger treffen, dass die Ukraine unterstützt werde. Mit den Gesetzen habe die Koalition einfache, schnelle und wirksame Instrumente vorgelegt. Sie beweise jeden Tag, dass sie reaktionsfähig sei.
Perfekt seien die Maßnahmen gewiss nicht, aber die Koalition habe sich für Pragmatismus entschieden. Eine Gasmangellage dürfe nicht passieren. Deshalb dürfe auch die deutsche Gasförderung nicht ausgeschlossen sein.
Linke sieht „industrielle Basis“ gefährdet
Klaus Ernst (Die Linke) stufte die über Jahrzehnte niedrigen Gaspreise als Ursache des Wohlstands der Bundesrepublik ein. Er freue sich, dass sich Ex-Kanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) nicht für ihre Politik gegenüber Russland entschuldige.
Nach seiner Rechnung verdoppele sich der Gaspreis durch die Gaspreisbremse. Die industrielle Basis Deutschlands werde gefährdet.
Preisbremsen für Erdgas und Wärme
Die Preisbremsen sollen die steigenden Energiekosten und die schwersten Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen abfedern, heißt es im Koalitionsentwurf. Trotz zahlreicher Maßnahmen, die die Bundesregierung bereits umgesetzt habe, verblieben die Preise für Erdgas und Wärme in Deutschland und Europa sowie die sich daraus ergebenden Belastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen weiterhin auf sehr hohem Niveau. Zugleich drohe ein weiterer Anstieg dieser Preise. „Vor diesem Hintergrund sind weitere Maßnahmen erforderlich“, schreiben die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.
Diese Maßnahmen verfolgten nicht nur das Ziel, durch die Ausweitung des Angebots einen weiteren Anstieg der Preise für Erdgas und Wärme zu verhindern. „Sie sollen vor allem zu einer spürbaren Entlastung bei privaten, gewerblichen, gemeinnützigen und industriellen Letztverbraucherinnen und -verbrauchern sowie Kundinnen und Kunden führen.“
Kontingent für Erdgas- und Wärmeverbrauch
Die Entlastung bestimme sich nach einem Kontingent des Erdgas- und Wärmeverbrauchs zu einem vergünstigten Preis. Kleine und mittlere Letztverbraucher mit Standardlastprofil oder Kunden, insbesondere Bürgerinnen und Bürger sowie kleine und mittlere Unternehmen, sollen der Vorlage zufolge von ihren Lieferanten 80 Prozent ihres Erdgasverbrauchs zu 12 Cent je Kilowattstunde beziehungsweise 80 Prozent ihres Wärmeverbrauchs zu 9,5 Cent je Kilowattstunde erhalten.
Industriekunden sollen von ihren Lieferanten 70 Prozent ihres Erdgasverbrauchs zu 7 Cent je Kilowattstunde oder 70 Prozent ihres Wärmeverbrauchs zu 7,5 Cent je Kilowattstunde erhalten.
Einführung einer Strompreisbremse
Durch die Strompreisbremse sollen Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher bis zum 30. April 2024 bei den Strompreisen entlastet werden (20/4685). Auch wenn die Großhandelspreise für Strom zuletzt zurückgegangen seien, verblieben die Strompreise in Deutschland und Europa weiterhin auf einem deutlich höheren Niveau als vor der Krise, wird zur Begründung angeführt. Zugleich sorgten die anhaltend hohen Börsenstrompreise auch für einen Anstieg anderer Strompreisbestandteile. So prognostizieren die Übertragungsnetzbetreiber für das Jahr 2023 einen erheblichen Anstieg der Redispatchkosten für Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen im deutschen Stromnetz, der im Ergebnis höhere Übertragungsnetzkosten und damit höhere Übertragungsnetzentgelte bedeuten würde.
Im Einzelnen soll die Entlastung wie folgt ausgestaltet sein: Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft, deren vertragliche Strompreise bereits jetzt oder über den Umsetzungszeitraum des Gesetzes hinweg über einer gesetzlich definierten Höhe liegen, sollen durch ein Basispreiskontingent bei ihrem Stromverbrauch entlastet werden, indem jede Stromentnahmestelle eine bestimmte Strommenge zu einem vergünstigten Preis erhält. Haushalte und Kleingewerbe (Entnahmestellen mit einem Verbrauch von bis zu 30.000 Kilowattstunden – kWh) erhalten ein auf 40 Cent/kWh (inklusive Netzentgelten, Steuern, Abgaben und Umlagen) gedeckeltes Kontingent in Höhe von 80 Prozent ihres historischen Netzbezuges. Entnahmestellen mit mehr als 30.000 kWh Jahresverbrauch, also insbesondere mittlere und große Unternehmen, erhalten ein auf 13 Cent/kWh (zuzüglich Netzentgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen) gedeckeltes Kontingent in Höhe von 70 Prozent ihres historischen Netzbezuges. Um den Elektrizitätsversorgungsunternehmen ausreichend Zeit für die Implementierung der Strompreisbremse zu geben, erfolge die Auszahlung der Entlastungsbeträge für Januar und Februar 2023 im März 2023.
Entlastung von industriellen Unternehmen
Die Entlastung von insbesondere industriellen Unternehmen mit besonders hohen Stromkosten folge den Vorgaben und insbesondere den Beihilfehöchstgrenzen des „Befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine“, den die EU-Kommission am 28. Oktober 2022 beschlossen hat. Die Übertragungsnetzentgelte im Jahr 2023 werden den Angaben zufolge durch einen Zuschuss in Höhe von 12,84 Milliarden Euro auf dem Niveau des Jahres 2022 stabilisiert und damit ein deutlicher Anstieg verhindert, der sich in der Plankostenprognose der Übertragungsnetzbetreiber für das Jahr 2023 abzeichnete. Diese Stabilisierung der Übertragungsnetzentgelte komme allen Stromverbraucherinnen und Stromverbrauchern zugute. Die Entlastungsmaßnahmen seien so ausgestaltet, dass für den Verbrauch oberhalb des festgelegten Basiskontingents weiterhin gleichzeitig Anreize zum Energiesparen aufrechterhalten würden, heißt es im Entwurf.
Die für diese Entlastungsmaßnahmen erforderlichen Finanzmittel sollen zu einem erheblichen Teil aus der Stromwirtschaft generiert werden. So sehr die Stromverbraucherinnen und -verbraucher unter den hohen Strompreisen litten, so sehr profitierten viele Stromerzeuger von eben diesen hohen Strompreisen: Diese kriegs- und krisenbedingten Überschusserlöse sollen mit dem Gesetz „in angemessenem Umfang“ abgeschöpft und zur Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen verwendet werden, heißt es weiter. Dabei komme dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF eine Auffangfunktion zu: Zum einen stelle er die Zwischenfinanzierung sicher, denn die Entlastungsbeträge würden bereits ab März 2023 gewährt, die Überschusserlöse müssten jedoch erst ab August 2023 abgerechnet und gezahlt werden. Zum anderen werde am Ende der Laufzeit der Strompreisbremse ein Fehlbetrag auf den Konten der Übertragungsnetzbetreiberbe stehen, da die abgeschöpften Überschusserlöse geringer als die gewährten Entlastungsbeträge sein werden.
Boni- und Dividendenverbot
Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben in beiden ihren Gesetzentwürfen per Änderungsantrag einige Ergänzungen vorgenommen. So wurden in Paragraf 29a (Gaspreisbremse) beziehungsweise 37a (Strompreisbremse) jeweils ein Boni- und Dividendenverbot eingefügt. Dieses sieht vor, dass ein Unternehmen, das eine Entlastungssumme über 25 Millionen Euro bezieht, den Mitgliedern seiner Geschäftsführung sowie Mitgliedern von gesellschaftsrechtlichen Aufsichtsorganen bis zum Ablauf des 31. Dezember 2023 keine Boni oder vergleichbare Vergütungen im Sinn des Paragrafen 87 Absatz 1 Satz 1 des Aktiengesetzes gewähren darf. Weiterhin dürfen jenen Personen vom 1. Dezember 2022 bis zum 31. Dezember 2023 keine freiwilligen Vergütungen oder Abfindungen gewährt werden, „die rechtlich nicht geboten sind“, wie es in den Änderungsanträgen hieß.
In beiden Gesetzentwürfen ist zudem ein Passus zum sogenannten Differenzbetrag eingefügt worden (Paragraf 16 Gaspreisbremse, Paragraf 5 Strompreisbremse), der einen Missbrauch der Entlastungsinstrumente verhindern soll: Die Berechnung des Differenzbetrags solle Kunden vor steigenden Energiekosten schützen und einen wirksamen Wettbewerb zwischen Anbietern gewährleisten, heißt es in den Gesetzen. So sollen die Kunden einen Anreiz bekommen, Anbieter mit wettbewerbsfähigen Preisen zu wählen, und einen Missbrauch der Entlastungsregelung zu verhindern. Dieser könnte dann eintreten, wenn man absichtlich einen Vertrag mit hohen Preisen wählt, um dann eine entsprechend hohe Entlastungszahlung zu erhalten. Zudem wurde eingefügt, dass die Entlastung, die Vermieter an ihre Mieter weitergeben müssen, für die laufende Abrechnungsperiode zu berücksichtigen ist: „Die Höhe der Entlastung und die Höhe des auf den Mieter entfallenden Anteils an der Entlastung sind mit der Abrechnung für die jeweilige Abrechnungsperiode gesondert auszuweisen“, heißt es in Paragraf 26 (Gaspreisbremse) und Paragraf 12a (Strompreisbremse).
Sachfremde Gesetzesänderungen
Zusammen mit dem Gesetz zur Gaspreisbremse will die Regierung weitere Vorschriften ändern, unter anderem im Fünften Buch Sozialgesetzbuch. Dort geht es unter anderem um die Vergütung von Apothekern für die Erstellung von Covid-19-Impfzertifikaten. Hierfür sollen sie im Zeitraum 1. Januar 2023 bis zum 30. Juni 2023 eine Vergütung in Höhe von sechs Euro je Erstellung erhalten. Eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes soll es durch Änderung von Paragraf 20c Apothekern ermöglichen, Grippeschutzimpfungen und Schutzimpfungen gegen das Coronavirus durchzuführen.
Des weiteren sieht eine Änderung des Stabilisierungsfondsgesetzes vor, dass es Programme zur Abfederung von Preissteigerungen für private Verbraucher geben soll, falls diese Brennstoffe wie beispielsweise Heizöl, Pellets oder Flüssiggas nutzen und „nicht in ausreichendem Ausmaß von der Strom- und Gaspreisbremse oder anderen Entlastungsmaßnahmen erfasst werden“.
Entschließung angenommen
Im Rahmen des Abstimmung über die Beschlussempfehlung wurde zudem eine Entschließung der Koalitionsfraktionen angenommen, die die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, im Juli 2023 einen Bericht zur Wirkung der Preisbremsen vorzulegen; zu prüfen, inwieweit die bestehenden Programme ausreichen, um Liquiditätsengpässe bei Unternehmen zu verhindern und die Möglichkeit zu eruieren, bis zum Sommer 2023 innerhalb der Gas-, Wärme- und Strompreisbremsen ein Basiskontingent für Haushalte umzusetzen, um einkommensschwächere Haushalte zu entlasten. (fla/mis/hau/ste/15.12.2022)