Der Familiennachzug nach Deutschland zu Flüchtlingen mit subsidiärem, also eingeschränktem Schutzstatus, bleibt über Mitte März hinaus ausgesetzt. Das beschloss der Bundestag am Donnerstag, 1. Februar 2018, mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion. Für einen entsprechenden Gesetzentwurf der Unionsfraktion (19/439) in der vom Hauptausschuss geänderten Fassung (19/586, 19/595) votierten in namentlicher Abstimmung 376 Abgeordnete. Dagegen stimmten 298, darunter auch zehn Sozial- und drei Christdemokraten; vier Parlamentarier enthielten sich.
Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen
Nach dem Gesetzesbeschluss wird die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen, die am 16. März ausläuft, längstens bis zum 31. Juli 2018 verlängert. Ab dem 1. August sollen danach aus humanitären Gründen monatlich insgesamt 1.000 Ehepartnern sowie minderjährigen Kindern subsidiär Geschützter beziehungsweise Eltern subsidiär geschützter Minderjähriger eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können.
Der Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes, wonach Ausländern aus dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, soll davon ebenso unberührt bleiben wie der Paragraf 23, der bestimmt, dass oberste Landesbehörden aus humanitären Gründen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis anordnen können.
Weitere Initiativen abgelehnt
In namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde ein Gesetzentwurf der AfD-Fraktion zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (19/182). Für den Gesetzentwurf stimmten 84 Abgeordnete. 586 Abgeordnete lehnten ihn ab, es gab zwei Enthaltungen. Keine Mehrheit fand auch ein Gesetzentwurf der Linken zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (19/241). 123 Abgeordnete votierten für diese Vorlage, 554 stimmten dagegen. Enthaltungen gab es nicht.
Der Gesetzentwurf der FDP zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (19/425) wurde mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. Einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (19/454), den Familiennachzug auch zu subsidiär Schutzberechtigten zu ermöglichen, stimmte neben den Antragstellern nur die Linksfraktion zu, sodass auch dieser keine Mehrheit fand.
Gesetzentwürfe der AfD und der Linken
Der AfD-Gesetzentwurf sah dagegen einen „völligen Wegfall des gesetzlichen Nachzugsanspruchs für Familienangehörige subsidiär Schutzberechtigter“ vor. Nach dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion sollte der Nachzug grundsätzlich für weitere zwei Jahre ausgesetzt, aber zugleich für verschiedene Ausnahmefälle wieder zugelassen werden.
Die Linke forderte demgegenüber in ihrem Gesetzentwurf, die derzeitige Warteregelung mit sofortiger Wirkung wieder aufzuheben. Die Grünen forderten in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, keine Initiativen zur Gesetzgebung mit dem Ziel der Verlängerung der Aussetzung zu ergreifen.
Regierung: Kontingent-Regelung statt Rechtsanspruch
In der Debatte warb Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) für den zwischen Union und SPD ausgehandelten Kompromiss. Der Union sei wichtig gewesen, dass es nicht wieder zu einem Anspruch auf Familiennachzug komme, der SPD dagegen, „dass es überhaupt wieder Familiennachzug gibt“. Statt des Anspruchs auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte, den es ab August nicht mehr geben werde, eröffne man im Rahmen eines Kontingents monatlich 1.000 Menschen die Möglichkeit der Familienzusammenführung.
Die bestehenden Härtefallregelungen würden nicht auf das Kontingent angerechnet. Während man für die Kontingent-Regelung Kriterien brauche, entzögen sich Härtefälle einer „Kriterienbeschreibung im Vorhinein“. Man brauche hier auch ,,ein bisschen Barmherzigkeit„. Der Kompromiss stehe “für Humanität und Verantwortung, für Integration und Begrenzung, für Großzügigkeit und Realismus„.
SPD: Ein akzeptabler Kompromiss
SPD-Fraktionsvize Dr. Eva Högl nannte den Umgang mit Schutzsuchenden einen “Gradmesser dafür, wie ernst wir es meinen mit Menschenwürde und dem Schutz der Familie„. Nicht alle verfolgten Menschen könnten in Deutschland Schutz und Sicherheit erhalten, doch erfolge der Familiennachzug legal, sicher und geordnet. Auch sei er wichtig für die Integration. Deshalb sei es für die SPD “sehr schwer, den Familiennachzug auszusetzen, zu begrenzen oder deutlich zu reduzieren„. Trotzdem sei die neue Gesetzesregelung “ein akzeptabler Kompromiss„.
Die gute Botschaft sei, dass es ab dem 1. August wieder Familiennachzug für subsidiär Geschützte geben soll. Auch könnten bereits wieder Anträge gestellt werden. Högl verwies zugleich darauf, dass im vergangenen Jahr 66 Menschen unter die Härtefall-Regelung des Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz gefallen seien. Hier habe man die Aufgabe, diese Härtefall-Regelung anders auszugestalten, damit sie für mehr Betroffene gilt.
AfD gegen Familienzusammenführung in Deutschland
Dr. Christian Wirth (AfD) sagte, nach Auffassung seiner Fraktion habe eine Familienzusammenführung nicht in Deutschland zu erfolgen, sondern beispielsweise in Schutzzonen in Syrien oder seinen Nachbarländern. Das sei aber Aufgabe der Vereinten Nationen und nicht der Bundesrepublik.
Die Bundesregierung wolle indes nicht die subsidiär Geschützten zurückführen. Vielmehr werde der “vollkommene Familiennachzug„ kommen. Wer weiterhin eine ,,Massenmigration nach Deutschland“ wolle, solle dies sagen und den Weg für Neuwahlen frei machen.
FDP will eine klare Härtefallregelung
Stephan Thomae (FDP) betonte, bei dem Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD habe sich die Union „auf ganzer Linie“ durchgesetzt. Dabei werde ,,sogar eine Obergrenze für Härtefälle„ geschaffen, was nicht angehen könne. Seine Fraktion wolle eine klare Härtefallregelung, aber auch gut integrierten Menschen den Nachzug ermöglichen.
Der Kompromiss von Union und SPD erzeuge “sogar bei den Härtefällen Warteschlangen„. Dieser Kompromiss könne nicht der große Wurf sein, und er sei gespannt darauf, wie die SPD-Führung ihn der Partei “schmackhaft machen wollen„.
Linke: Trauerspiel zulasten der Menschlichkeit
Für Die Linke nannte ihr Fraktionschef Dr. Dietmar Bartsch die Übereinkunft zwischen Union und SPD einen “faulen Kompromiss„, bei dem sich die Union “komplett durchgesetzt„ habe. Diese beiden Parteien böten beim Familiennachzug ein “Trauerspiel zulasten der Menschlichkeit„.
Dabei sei es eine moralische Pflicht, Familienzusammenführung zu ermöglichen. Seine Fraktion wolle, “dass jedes Kind in Sicherheit bei seiner Familie aufwachsen kann„. Der vorgelegte Kompromiss sei dagegen “willkürlich, moralisch fragwürdig und unmenschlich„.
Grüne: Unsäglicher Kompromiss
Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sprach von einem “unsäglichen Kompromiss„ zwischen Union und SPD und klagte, das aus einem Grundrecht “ein Gnadenrecht„ werde. Zugleich hielt sie der CSU vor, es zur “Gretchenfrage für dieses Land„ zu machen, ob Familien zusammenkommen können.
“Das ist doch nicht christlich, das ist doch nicht sozial – das ist doch komplett absurd„, fügte sie hinzu. Auch würden die Betroffenen betrogen, denen 2016 gesagt worden sei, dass der Familiennachzug in zwei Jahren wieder möglich sei. Dies schade auch dem Rechtsstaat.
CDU/CSU: Integrationsbereitschaft nicht überfordern
Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) verwies darauf, dass Deutschland in den vergangenen Jahren “Zuflucht in einer sehr großzügigen Weise gewährt„ und eine “große humanitäre Leistung„ erbracht habe.
Die Bundesrepublik habe mehr Menschen in Not aufgenommen “als der Rest Europas zusammen„. Man dürfe aber auch die Aufnahmefähigkeit und Integrationsbereitschaft des Landes nicht überfordern. Dem werde die jetzt gefundene Neuregelung gerecht.
Wer ist “subsidiär Schutzberechtigter„?
Was unter “subsidiär Schutzberechtigten„ zu verstehen ist, regelt Paragraf 4 des Asylgesetzes. Ein Ausländer ist dann subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach dieser Regelung die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Dieser subsidiäre Schutzes wird nicht gewährt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die Person ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, wenn sie eine schwere Straftat begangen hat, wenn sie sich Handlungen hat zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen oder wenn sie eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten nach dem Gesetz auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen. (sto/vom/hau/01.02.2018)