Der Bundestag hat mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (19/4668, 19/5412) am Donnerstag, 8. November 2018, den Weg für zahlreiche Änderungen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung in namentlicher Abstimmung frei gemacht und angenommen. Das Plenum votierte für die Annahme des Gesetzentwurfs in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung (19/5586) mit 362 Ja-Stimmen, gegen 222 Nein-Stimmen bei 60 Enthaltungen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, eine doppelte Haltelinie für das Rentenniveau und den Beitragssatz einzuführen: Bis 2025 soll demnach das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Dafür verpflichtet sich der Bund, zusätzlich zu den ohnehin steigenden Bundesmitteln, in den Jahren 2022 bis 2025 zu Sonderzahlungen in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich. Weiterer Bestandteil des Gesetzes ist eine bessere Absicherung für Erwerbsminderungsrentner durch eine verlängerte Zurechnungszeit. Dies gilt jedoch nur für Renten-Neuzugänge ab 1. Januar 2019. Eltern erhalten außerdem für vor 1992 geborene Kinder ein weiteres halbes Jahr Erziehungszeit für die Rente anerkannt. Geringverdiener werden bis zu einem Bruttomonatsverdienst von 1.300 Euro bei den Sozialabgaben entlastet, ohne, dass sich das negativ auf ihre Rentenanwartschaften auswirken soll.
Oppositionsinitiativen abgelehnt
Ein zur Debatte von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegter Entschließungsantrag (19/5601) wurde durch eine breite Mehrheit der übrigen Fraktionen abgelehnt. Abgelehnt wurden auch zwei Anträge zur Mütterrente, die die Fraktionen von AfD (19/4843) und Die Linke (19/29) vorgelegt haben, sowie ein weiterer Antrag (19/31), mit dem sich die Linksfraktion für einen Stärkung der Erwerbsminderungsrente einsetzt.
Der AfD-Antrag fand gegen die übrigen Fraktionen keine Zustimmung, ebenso die Vorlage der Linksfraktion zur Mütterrente. Der Antrag zur Erwerbsminderungsrente wurde von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Stimmenthaltung der Fraktionen AfD und Grüne abgelehnt. Zu diesen Vorlagen hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales Beschlussempfehlungen (19/5586) und der Haushaltsausschuss einen Bericht nach Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierung des Gesetzes (19/5587) vorgelegt. Erstmalig diskutiert, direkt abgestimmt und abgelehnt mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen wurde der Antrag der Linksfraktion mit dem Titel „Gesetzliche Rente sichern und Altersarmut bekämpfen“ (19/5526).
SPD: Grundsätzlicher Richtungswechsel
Andrea Nahles, Chefin der SPD-Bundestagsfraktion, verteidigte das Gesetz: „Mit der heutigen Reform vollziehen wir einen grundsätzlichen Richtungswechsel: Die alte Rentenformel sah vor, dass die Renten geringer steigen als die Löhne. Die neue Rentenformel stellt sicher, dass die Renten steigen wie die Löhne. Damit sichern wir die Rente auf dem heutigen Niveau.“
Würde das Rentenniveau jetzt nicht gesichert, dann würde man zulassen, dass die Renten immer weiter sinken und entwertet werden, warnte sie.
AfD: Es müssen Steuermittel verwendet werden
Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) kritisierte, dass ab 2019 erneut Milliarden Euro Beitragsgelder für Leistungen ausgebeben würden, für die vorher keine Beiträge gezahlt worden seien.
Die nun geplanten Leistungen des Gesetzes seien versicherungsfremde Leistungen und müssten entsprechend aus Steuermitteln finanziert werden, sagte sie. Außerdem forderte sie, die Mütterrente künftig nicht mehr mit der Grundsicherung zu verrechnen.
CDU/CSU: Unkenrufe der Unfinanzierbarkeit sind Unsinn
Hermann Gröhe (CDU/CSU) warnte vor zweierlei Alarmismus: Die Unkenrufe, das sei alles nicht finanzierbar, würde es seit Bestehen der Rentenversicherung geben, sie seien Unsinn. Zum anderen dürfe man aber auch das Problem der Altersarmut nicht dramatisieren. „Wenn weniger als drei Prozent der Rentner Grundsicherung brauchen, dann zeigt das doch, dass das Rentensystem funktioniert“, so Gröhe.
Die Debatte um versicherungsfremde Leistungen bezeichnete er als „alte Schlachten“. „Klar ist doch, dass der Steuerzuschuss längst eine Funktion der Beitragsstabilisierung hat, längst auch sozialen Ausgleich befördert und heute schon über den sogenannten versicherungsfremden Leistungen liegt“, betonte er.
FDP: Das Gesetz ist unverantwortlich
Johannes Vogel (FDP) dagegen bezeichnete die Pläne der Bundesregierung als unverantwortlich und falsch: „Gerade weil Sie das Geld mit der Gießkanne ausgeben, werden die Kosten explodieren.“ Rund 90 Prozent der Ausgaben würden nicht gegen Altersarmut helfen, die Rentenformel werde zulasten der Jüngeren manipuliert und eine langfristige Finanzierung sei nicht geklärt.
„Kurzfristig greifen Sie einfach in die Beitragskasse“, kritisierte er. Vogel forderte gezielte Maßnahmen gegen Altersarmut, eine Stärkung der kapitalgedeckten Altersversorgung und flexible Renteneintritte.
Linke: Horrorzahlen zu beschwören, ist unseriös
Matthias W. Birkwald (Die Linke) warf den Experten, die in den Medien mit Milliardensummen um sich werfen würden, Angstmache vor: „In eine Glaskugel bis 2060 zu schauen und dann Horrorzahlen zu beschwören, sei schlicht unseriös.“
Natürlich gebe es einen demografischen Wandel, der rechtfertige jedoch keine Rentenkürzungen, denn bei der Rente gehe es um Wertschätzung von Lebensleistung und dass man später ein Leben in Würde und nicht in Armut führen könne, betonte Birkwald. „Wenn alle ihren fairen Anteil zahlen, ist das finanzierbar“, betonte er.
Grüne: Rente ist mehr als eine bessere Sozialhilfe
Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) betonte: „Die gesetzliche Rente muss mehr sein als eine bessere Sozialhilfe. Sie ist eine Einkommensversicherung und als solche muss sie auch für die Mittelschicht attraktiv bleiben.“
Gleichzeitig kritisierte jedoch auch er, dass die Finanzierung der Rentenpläne nicht nachhaltig geklärt sei. So spreche die Bundesregierung zwar immer davon, eine Demografiereserve anlegen zu wollen, kläre aber nicht, wo und wie dies genau geschehen solle.
Minister: Hören Sie auf, von Geschenken zu reden
Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeits- und Sozialminister, verteidigte dagegen das Gesetz, denn „wir erneuern damit ein Kernversprechen des Sozialstaates, dass sich die Menschen im Alter auf ein auskömmliches Einkommen verlassen können“.
An die FDP-Fraktion gerichtet, sagte er: „Hören Sie auf, von Geschenken zu reden, es geht um die Anerkennung von Lebensleistung. Das sichert den Zusammenhalt.“
Entschließungsantrag der Grünen
In ihrem abgelehnten Entschließungsantrag forderten die Grünen die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf zurückzuziehen und Gesetzentwürfe vorzulegen, die Antworten auf die rentenpolitisch dringlichen Fragen geben. Das Rentenniveau müsse langfristig stabilisiert und eine solide Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung über einen Maßnahmenmix nachhaltig sichergestellt werden.
Außerdem sollte die Erwerbsbeteiligung von Frauen ausgeweitet, die Beschäftigungssituation von älteren Arbeitnehmern gefördert, die Beschäftigungssituation von prekär Beschäftigten verbessert und mit einem Einwanderungsgesetz Einwanderern ein unkomplizierter und nachhaltiger Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden.
Anträge der Linken
Die Erwerbsminderungsrente wollte auch Die Linke stärken. Konkret forderte sie in ihrem abgelehnten Antrag (19/29), die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente zum 1. Juli 2018 abzuschaffen und die sogenannte Zurechnungszeit vom 62. auf das 65. Lebensjahr zu verlängern.
Zudem verlangte Die Linke bei der Mütterrente die vollständige Gleichstellung aller Kindererziehungszeiten. Bisher werden die Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder mit zwei Entgeltpunkten bei der Rente berücksichtigt. Für nach 1992 geborene Kinder gibt es drei Entgeltpunkte. Die Linke forderte nun drei Entgeltpunkte für alle Erziehungszeiten. Außerdem verlangt sie, dass die sogenannte Mütterrente aus Steuermitteln finanziert wird.
In ihrem neuen, ebenfalls abgelehnten Antrag zur Sicherung der gesetzlichen Rente (19/5526) forderte die Fraktion, die Kindererziehungszeiten für alle Kinder in Deutschland unabhängig vom Geburtsjahr und Geburtsort bei der Rentenberechnung gleichermaßen zu berücksichtigen, sodass für die Erziehung aller Kinder drei Entgeltpunkte berücksichtigt werden. Die Leistungen für Kindererziehungszeiten sollten vollständig aus Steuermitteln des Bundes finanziert werden.
Antrag der AfD
Die AfD wiederum forderte in ihrem abgelehnten Antrag, die Mütterrente nicht mehr auf die Grundsicherung im Alter anzurechnen.
Es sei ein Gebot der Fairness den Müttern gegenüber, keine volle Einkommensanrechnung der Renten für Erziehungszeiten vorzunehmen, denn so würden sich die Änderungen bei der Mütterrente auch bei armen Rentnerinnen auswirken, so die Fraktion in ihrem Antrag. (che/08.11.2018)