Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen hat der Bundestag am Freitag, 7. Juni 2019, die Entwürfe der Bundesregierung für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz (19/8285) und ein Gesetz „über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“ (19/8286) jeweils in der vom Innenausschuss modifizierten Fassung (19/10714, 19/10707 neu) verabschiedet. Für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz votierten in namentlicher Abstimmung 369 Abgeordnete; 257 stimmten dagegen. Gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften
Gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften
Ziel dieses Gesetzes ist es, die Fachkräftesicherung „durch eine gezielte und gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften“ aus Nicht-EU-Staaten zu flankieren. Dazu zufolge sollen künftig alle Fachkräfte, die über einen Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation verfügen, in den entsprechenden Berufen in Deutschland arbeiten können. Die Beschränkung auf besonders vom Fachkräftemangel betroffene „Engpassberufe“ soll entfallen.
Auch auf die Vorrangprüfung, ob nicht auch Deutsche oder EU-Bürger für die Stelle infrage kommen, soll bei Fachkräften im Grundsatz verzichtet werden, allerdings verbunden mit der Möglichkeit, bei Veränderungen des Arbeitsmarktes die Vorrangprüfung kurzfristig wieder einzuführen.
Für Fachkräfte mit Berufsausbildung soll zudem die Möglichkeit zur befristeten Einreise zur Arbeitsplatzsuche analog zur Regelung für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung geschaffen und für fünf Jahre befristet erprobt werden. Zudem soll laut Entwurf der Aufenthalt zu ergänzenden Qualifizierungsmaßnahmen für Angehörige von Nicht-EU-Staaten mit im Ausland abgeschlossener Berufsbildung erweitert und attraktiver gestaltet werden.
Erleichterungen für betroffene Ausländer
Die vom Innenausschuss beschlossenen Änderungen sehen unter anderem Erleichterungen für betroffene Ausländer vor, die in Deutschland einen Ausbildungsplatz suchen wollen. Zu den Voraussetzungen dafür zählt nun nicht nur der Abschluss einer deutschen Auslandsschule oder ein Schulabschluss, der den Hochschulzugang in Deutschland eröffnet, sondern auch ein Schlussabschluss, der im Heimatland zum Studium berechtigt.
Verschärft wurden die Anforderungen an Menschen ab 45 Jahren, die nun für einen Aufenthalt zur Beschäftigung ein Mindestgehalt oder eine „angemessene Altersversorgung“ nachweisen müssen.
Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung
Das Gesetz „über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“ zielt darauf ab, bei langfristigen Duldungen aus persönlichen Gründen für bestimmte Ausländer einen rechtssicheren Aufenthalt zu ermöglichen „und eine Bleibeperspektive aufzeigen“. Dabei geht es um Betroffene, die eine qualifizierte Berufsausbildung aufnehmen (Ausbildungsduldung) oder durch eine „nachhaltige Beschäftigung ihren Lebensunterhalt selbst sichern und gut integriert sind (Beschäftigungsduldung)“.
Zudem werden Vorgaben des Koalitionsvertrages zur Ausweitung der Ausbildungsduldung auf Helferausbildungen und zu ihrer bundesweit einheitlichen Anwendung umgesetzt. Nach einer vom Innenausschuss ergänzten Stichtagsregelung können von dem Gesetz nur gut integrierte Geduldete profitieren, die vor dem 1. August 2018 eingereist sind.
Minister: Zuwanderung von Menschen, die wir brauchen
In der Debatte hob Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hervor, dass mit dem Gesetz eine jahrzehntelange Debatte zu dem Thema zu Ende gehe. Es sei geeignet, die illegale Migration durch legale Möglichkeiten zurückzudrängen, und gewährleiste eine Zuwanderung von „Menschen, die nützlich sind für unser Land und die wir brauchen“.
Eine wichtige Botschaft des Gesetzes sei, dass wir „eine Zuwanderung in die Arbeitsplätze bekommen und keine Zuwanderung in die Sozialsysteme“. Auch teile er nicht Befürchtungen, dass das Gesetz „zu großer zusätzlicher Einwanderung“ führen werde.
AfD gegen „Einwanderung in die Sozialsysteme“
René Springer (AfD) kritisierte, das Gesetz sei nicht vom Willen der Menschen im Lande geleitet. Seine Fraktion wolle „kein Lohndumping durch Arbeitsmigration“ und keine Einwanderung in die Sozialsysteme.
Springer warf die Frage auf, wie es sein könne, dass trotz des großen Mangels an Altenpflegern die Arbeitslosigkeit ausländischer Altenpflegern in den vergangenen acht Jahren um 64 Prozent gestiegen sei. Bevor man nach neuen Fachkräften rufe, solle man erst „diejenigen in Arbeit bringen, die schon hier sind“.
FDP: Großer Wurf in der Einwanderungspolitik notwendig
Johannes Vogel (FDP) betonte, Handwerker, mittelständische Unternehmer, Pflegeeinrichtungen und andere suchten in Deutschland händeringend nach Fachkräften. Für diese Herausforderung sei das Gesetz der Regierungskoalition „zu wenig“.
Während in der Begründung des Gesetzes von 25.000 zusätzlichen Fachkräften pro Jahr ausgegangen werde, sagten aktuelle Studien, dass jährlich mindestens 260.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt würden. Notwendig sei ein „großer Wurf in der Einwanderungspolitik“.
Linke: Gesetz orientiert sich nicht am Gemeinwohl
André Hahn (Die Linke) bemängelte, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz bediene einseitig die Interessen von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Es orientiere sich weder am Gemeinwohl, noch habe es die Interessenlage von Migranten im Blick.
Auch werde damit Einwanderung „allein nach ökonomischen Verwertbarkeitskriterien“ ausgerichtet: „Wer nützlich ist, darf kommen; alle andere müssen draußen bleiben.“ Eine solche Einwanderungspolitik könne seine Fraktion nicht mittragen.
Grüne: Paradigmenwechsel im Einwanderungsrecht bleibt aus
Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) konstatierte, dass sich die Union „erstmalig zum Einwanderungsland Deutschland“ bekenne. Gleichwohl bleibe der dringend benötigte Paradigmenwechsel im Einwanderungsrecht aus.
Ein Einwanderungsgesetz, das seinen Namen verdient, müsse transparent, globalisierungstauglich, fair und einladend sein. Die Bundesregierung betreibe dagegen eine „Einwanderungsverhinderungspolitik“. Auch das Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungsgesetz der Regierungskoalition sei „vollkommen unzureichend“.
SPD: Bleiberecht für integrierte Geduldete
Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD) sagte, Deutschland sei ein Einwanderungsland, und Einwanderung brauche Regeln, die mit dem Gesetz geschaffen würden. „Es ist ein guter Tag für Deutschland, dass wir das heute tun“, fügte er hinzu, Deutschland brauche Zuwanderung, und die SPD habe 20 Jahre für ein solches Gesetz gekämpft.
Nun werde man eine gesetzliche Grundlage haben, Einwanderung zu steuern, die an strenge Voraussetzungen gebunden sei. Auch werde geregelt, dass gut integrierte Geduldete hier ein Bleiberecht haben.
CDU/CSU: Guter und ausgewogener Kompromiss
Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) nannte das Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen „sehr guten und ausgewogenen Kompromiss“ zwischen einer Öffnung hin zu „mehr Einwanderung, die wir brauchen“, und dem Ziel, diese Einwanderung bedarfsorientiert zu steuern.
Daher handele es sich um einen „guten Tag“, wenn das Gesetz beschlossen werde, doch handele es sich dabei auch nicht um einen „absoluten Quantensprung“. Schließlich habe man schon bisher Einwanderungstatbestände etwa im Aufenthaltsgesetz.
Initiativen der Opposition abgelehnt
Gegen die Stimmen der Grünen und bei Enthaltung der FDP lehnte der Bundestag über einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Einwanderungspolitik (19/6542) ab. Keine Mehrheit fand auch ein Antrag der FDP-Fraktion (19/9924), den alle übrigen Fraktionen ablehnten.
Abgelehnt wurden darüber hinaus zwei Anträge der Fraktion Die Linke. Dem ersten Antrag (19/9052) stimmte neben der Linken auch die FDP zu, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab. Dem zweiten Antrag (19/9855) stimmte neben der Linken ebenfalls die FDP zu, die Grünen enthielten sich, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab.
Gegen die Stimmen der Grünen, der FDP und der Linken lehnte das Parlament zudem einen Antrag der Grünen (19/6541) mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD ab.
Gesetzentwurf der Grünen
Die Grünen wollten mit ihrem Gesetzentwurf die bestehenden Regelungen der Arbeitskräfteeinwanderung durch ein Einwanderungsgesetz liberalisieren, systematisieren und vereinfachen. Der Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit werde erleichtert und auch für Asylbewerber sowie Geduldete geöffnet, schreibt die Fraktion. Das gegenwärtige, an den Nachweis eines Arbeitsangebots gebundene und daher nachfrageorientierte Arbeitsmigrationsrecht solle „durch die Chance der Angebotsorientierung (,Punktesystem') ergänzt“ werden, also um die Möglichkeit für Arbeitskräfte zur Arbeitsplatzsuche vor Ort.
Das Einwanderungsgesetz sollte zudem „die Bildungsmigration zu einem echten migrationspolitischen Schwerpunkt“ ausbauen. Die Möglichkeiten, in Deutschland zu studieren oder einen qualifizierten Berufsabschluss im Rahmen der Aus- und Weiterbildung zu machen, sollten demnach durch Rechtsansprüche rechtssicher ausgestaltet werden.
Zentrales Element dieses Gesetzes sei drittens eine „grundlegend verbesserte Möglichkeit zur angebotsorientierten Einwanderung“, heißt es in der Vorlage weiter. Auf Basis eines Punktesystems sollte Fachkräften mit einer erkennbar guten Integrationsprognose eine jährlich festgelegte Anzahl sogenannter „Talent-Karten“ erteilt werden. Damit könnten diese Menschen für sich und ihre Familien in Deutschland eine ihrer Qualifikation entsprechende Beschäftigung suchen und finden.
Antrag der FDP
„Für einen konsequenten Ansatz in der Einwanderungspolitik – Eckpunkte eines umfassenden Einwanderungsgesetzbuches“ lautete der Titel des FDP-Antrags, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, einen Gesetzentwurf zur Schaffung eines einheitlichen Einwanderungsgesetzbuches vorzulegen. Dabei sollten Asyl für politisch Verfolgte im Sinne des Grundgesetzartikels 16a und Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sowie nach Artikel 18 der Europäischen Grundrechtecharta gewährleisten werden. Ferner sollte der Vorlage zufolge ein neuer Schutzstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge eingeführt werden, der auf die Dauer der Kriegs- oder Bürgerkriegshandlungen im Heimatland begrenzt sein sollte.
Beim Asylverfahren sollte der Bund nach dem Willen der Fraktion für alle Fragen zuständig sein, die den Schutzstatus und den Aufenthalt des Schutzsuchenden in Deutschland betreffen, während sich die Länder auf die Aufgabe der Integration konzentrieren sollen. Registrierung und Erstaufnahme inklusive der medizinischen Versorgung sollten laut Antrag in zentralen Unterbringungseinrichtungen erfolgen, in denen alle mit dem Asylverfahren befassten Behörden sowie die Verwaltungsgerichte eingebunden sind.
Um die Einwanderung in den Arbeitsmarkt „verständlich und einfach zu steuern“, wollte die Fraktion ein „Zwei-Säulen-System“ einführen, „bestehend aus einer überarbeiteten Blue Card als Kerninstrument der Fachkräfteeinwanderung mit Arbeitsplatzangebot und der Einführung einer Chancenkarte mit einem Punktesystem zur Steuerung der Vergabe von Visa zur Arbeitssuche“. Für anerkannte Flüchtlinge und gut integrierte Asylsuchende sollte es nach den Vorstellungen der Abgeordneten die Möglichkeit eines „Spurwechsels“ aus dem Asylverfahren oder dem vorübergehenden humanitären Schutzstatus in eine der beiden Säulen der Einwanderung in den Arbeitsmarkt geben.
Erster Antrag der Linken
Die Linke drang in ihrem ersten Antrag auf eine „offene, menschenrechtsbasierte und solidarische Einwanderungspolitik“ (19/9052). Die Fraktion rügte, dass der Regierungsentwurf „einseitig auf die Interessen der deutschen Wirtschaft beziehungsweise von Unternehmen“ ausgerichtet sei, „menschenrechtlichen, humanitären und integrationspolitischen Anforderungen“ hingegen nicht gerecht werde. Die Bundesregierung sollte aufgefordert werden, sowohl diesen Gesetzentwurf als auch den Entwurf für ein Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung zurückzuziehen.
Stattdessen sollte nach dem Willen der Fraktion ein Gesetzentwurf für eine „offene und solidarische Ausgestaltung der deutschen Einwanderungspolitik“ vorgelegt werden, „in dem Einwanderungserleichterungen vor allem nach menschenrechtlichen, entwicklungspolitischen und humanitären Gesichtspunkten und nicht nach ökonomischen Nützlichkeitskriterien oder nationalstaatlichen Eigeninteressen ausgestaltet werden“.
Dabei sollten der Vorlage zufolge das „Recht auf Familienzusammenleben im Aufenthaltsrecht“ gestärkt und Nachzugsbestimmungen erleichtert werden. Ferner sollte laut Antrag eine Bleiberechtsregelung vor allem an die Aufenthaltsdauer anknüpfen müssen und „keine weiteren hohen Anforderungen stellen“. Zudem wollte die Fraktion etwa eine Stärkung der Aufenthalts- und Beschäftigungsrechte Eingewanderter.
Zweiter Antrag der Linken
In ihrem zweiten Antrag (19/8285) begrüßte die Fraktion, dass der Arbeitsmarkt für Menschen aus Ländern außerhalb der EU geöffnet werde. Diese Öffnung sei richtig und wichtig, müsse aber nach dem Grundsatz „Gute Arbeit für alle“ erfolgen. Aus diesem Grund sei der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fachkräfteeinwanderung abzulehnen, denn er bediene „einseitig Interessen von Unternehmen und deren Verbänden“. Fachkräfteeinwanderung werde so „dazu missbraucht, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen und einen Unterbietungswettbewerb zu befördern“.
Um „Konkurrenz und Unterbietung am Arbeitsmarkt zu verhindern“, sollte die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktion unter anderem den Mindestlohn auf mindestens zwölf Euro erhöhen und die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtern, sachgrundlose Befristungen sowie Kettenbefristungen verbieten und Minijobs sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen. Auch forderte die Fraktion in dem Antrag die Bundesregierung auf, „Regeln für einen Spurwechsel von der Duldung hin zu einem echten Bleiberecht für Geflüchtete mit Arbeits- und Ausbildungsplatz zu formulieren und rechtssicher für alle Beteiligten gesetzlich zu verankern“.
Ferner sollte die Bundesregierung ein Verfahren zum Bestandteil des Gesetzentwurfs machen, in dem gemeinsam mit den Sozialpartnern und der Bundesagentur für Arbeit entschieden wird, in welchen Branchen ein Fachkräfteengpass vorliegt. Ebenso sollte sie dem Antrag zufolge unter anderem ein Verfahren verankern, das „im Austausch mit den von Abwanderung von Arbeitskräften betroffenen Ländern sichert, dass deren sozio-ökonomische Entwicklung nicht behindert wird“.
Antrag der Grünen
Die Grünen forderten die Bundesregierung in ihrem Antrag mit dem Titel „Bleiberecht für Geflüchtete gestalten, Aufenthaltsrechte stärken, Rechtssicherheit schaffen, Spurwechsel ermöglichen“ (19/6541) auf, „allen potenziellen Auszubildenden, Studierenden und im Arbeitsmarkt integrierten Asylsuchenden und Geduldeten den Wechsel in einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Ausbildung, des Studiums oder der Erwerbstätigkeit zu ermöglichen“. Ferner sollte die Regierung der Vorlage zufolge Hürden für die stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelungen im Aufenthaltsgesetz für langjährig Geduldete absenken.
Auch sollten nach dem Willen der Fraktion „Hürden, die in Zusammenhang mit der Aufenthaltsverfestigung und der Förderung nachhaltiger Aufenthaltsperspektiven bestehen“, ebenso abgebaut werden wie unnötige bürokratische Hemmnisse. „Die Rechtssicherheit des Aufenthalts ist in den Fokus zu rücken“, heißt es in dem Antrag weiter. Insbesondere sollte dabei unter anderem „auf die Vereinheitlichung und Senkung von Voraufenthaltszeiten, die Schaffung von Rechtsansprüchen bei Aufenthaltstiteln“, und auf eine „realistische Gestaltung der Mitwirkungspflichten“ geachtet werden. (sto/hau/07.06.2019)