Der Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer wird 2021 für 90 Prozent der Steuerpflichtigen abgeschafft und für viele weitere gesenkt. Der Bundestag hat am Donnerstag, 14. November 2019, abschließend über eines der zentralen Vorhaben der Großen Koalition beraten: Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die große Mehrzahl der Steuerzahler ab 2021. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995“ (19/14103) stimmten die Abgeordneten der Koalition in zweiter Lesung gegen die Stimmen der Opposition. Anschließend wurde auf Verlangen der FDP mit einem Ergebnis von 369 Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen gegen 278 Nein-Stimmen namentlich über den Entwurf abgestimmt, womit dieser angenommen wurde. Der Finanzausschuss hatte hierzu eine Beschlussempfehlung (19/15152) und der Haushaltsausschuss einen Bericht zur Finanzierbarkeit nach Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages (19/15155) vorgelegt.
Ebenfalls abschließend diskutierte das Parlament einen Gesetzentwurf der FDP für ein „Gesetz zur vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags“ (19/14286) sowie einen Antrag der AfD, mit dem sich diese für die „Abschaffung des Solidaritätszuschlaggesetzes“ einsetzt (19/4898). Zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der FDP sowie zur Abstimmung über den AfD-Antrag hat der Finanzausschuss ebenfalls eine Beschlussempfehlungen (19/15152) vorgelegt. Auch über beide Oppositionsvorlagen wurde namentlich abgestimmt. Der Entwurf der FDP erreichte mit 88 Ja-Stimmen bei 70 Enthaltungen gegen 497 Nein-Stimmen keine Mehrheit. Ebenfalls abgelehnt wurde der Antrag der AfD mit 571 gegen 83 Stimmen.
Finanzminister: Fair und gerecht
Bundesfinanzminister Olaf Scholz sah mit dem anstehenden Beschluss das Gerücht widerlegt, einmal eingeführte Steuern würden nie mehr abgeschafft. Für die große Mehrheit werde der Solidaritätszuschlag künftig wegfallen, für weitere 6,5 Prozent der Steuerpflichtigen reduziert. Man sei mit der deutschen Einheit weit vorangekommen, und die weitgehende Reduzierung des dafür gedachten Zuschlags auf die Einkommensteuer sei auch ein Zeichen des Erfolges beim Zusammenwachsen in Deutschland.
Allerdings sei „die deutsche Einheit eine Aufgabe, die wir weiterhin zu schultern haben“, und deshalb werde der sogenannte Soli nicht vollständig abgeschafft. Dabei gehe es nicht nur um die ganz große Frage der gleichwertigen Lebensverhältnisse, im Übrigen auch im Westen Deutschlands. Das sei auch nicht eine Sache für eine Sondersteuer, sondern gehöre „zu den selbstverständlichen Aufgaben einer demokratischen Republik“. Es sei aber beispielsweise unverändert nötig, die Wachstumskerne in Ostdeutschland dauerhaft zu stärken.
Daneben hob Scholz aber hervor, dass zum Funktionieren eines Landes „ein faires und gerechtes Steuersystem“ gehöre. Das heiße, „dass diejenigen, die über besonders viele Möglichkeiten verfügen, etwas zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Funktion beizutragen, das auch mehr tun als andere“. Deshalb werde für diejenigen der Soli zunächst beibehalten. Und einer späteren, vollständigen Abschaffung müsse eine Steuergerechtigkeits-Debatte vorangehen.
AfD: Teilweise Beibehaltung verfassungswidrig
Der AfD-Abgeordnete Stefan Keuter wies darauf hin, dass es sich beim Soli um eine Ergänzungsabgabe handele. Eine solche sei aber nur für vorübergehende Bedarfsspitzen zulässig, wovon keine Rede mehr sein könne. Eine Beibehaltung des Zuschlags für einen Teil der Steuerzahler über das Auslaufen des Solidarpaktes Ende 2019 hinaus sei verfassungswidrig.
Keuter ermunterte Bürger, die in Zukunft weiter den Soli zahlen müssen, dagegen zu klagen. Bei dem erwarteten Erfolg käme dann auf den Bund eine erhebliche Steuerrückzahlung zu, wie es auch nach der erfolgreichen Klage gegen die Brennelementesteuer für Kernkraftwerksbetreiber der Fall gewesen sei.
CDU/CSU dringt auf völlige Abschaffung
Als „ersten großen Schritt zum Abbau des gesamten Solidaritätszuschlages“ bezeichnete Olav Gutting (CDU/CSU) den anstehenden Beschluss. Es gehe dabei um „nicht weniger als die Wiederherstellung eines Stücks Glaubwürdigkeit unseres Steuersystems“. Gutting schrieb es auf die Fahnen seiner Fraktion, Forderungen aus der Opposition wie auch aus der SPD abgewiesen zu haben, den Abbau des „Soli“ mit einer Erhöhung des Einkommensteuertarifs gegenzufinanzieren.
Gutting drängte den Koalitionspartner SPD, noch in dieser Legislaturperiode den zweiten Schritt zu beschließen, nämlich den „endgültigen, vollständigen Wegfall“ des „Soli“ bis 2026. Sein Fraktionskollege Sebastian Brehm wies darauf hin, dass bei einer vollständigen Abschaffung bereits jetzt der Haushaltsspielraum ausgeschöpft worden wäre. Maßnahmen wie die Erhöhung des Kindergeldes und die Förderung des Wohnungsbaues wären dann nicht mehr möglich gewesen, argumentierte Brehm.
FDP: Geschenk für Olaf Scholz
Dagegen forderte Christian Dürr (FDP) die Unionsfraktion auf, ihr Wahlversprechen einzulösen, den Soli abzuschaffen. „Sie denken nicht an 30 Jahre Mauerfall, sondern Sie denken an den Bundesparteitag der SPD“, warf er den CDU/CSU-Abgeordneten vor. Nach der Grundrente sei die nur teilweise Abschaffung des Soli „das zweite Geschenk, das Sie Olaf Scholz mit auf den Weg zu seiner Wahl zum Parteivorsitz geben“.
Dürr wies darauf hin, dass Sparer sowie kleine und mittlere Familienbetriebe weiter den Soli zahlen müssten. Denn der Zuschlag wird auf die Kapitalertragsteuer und die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften weiterhin erhoben. Letztere stellten den Großteil der Arbeitsplätze. Gerade hier sei angesichts einer drohenden Wirtschaftskrise eine Entlastung nötig, argumentierte Dürr.
Linke: Hälfte der Menschen hat nichts davon
Ebenso kritisch, aber mit entgegengesetzten Argumenten bewertete Fabio De Masi (Die Linke) den Gesetzentwurf. Fast die Hälfte der Bevölkerung habe von der Abschaffung des Soli nichts, „weil sie nämlich zu wenig verdienen, um den Soli zu bezahlen“. De Masi forderte eine grundlegend andere Steuerpolitik. In den letzten 20 Jahren seien die oberen 30 Prozent der Bevölkerung steuerlich entlastet und die unteren 70 Prozent belastet worden. „Unser Problem ist nicht der Soli, unser Problem ist eine Steuerpolitik gegen 70 Prozent der Bevölkerung“, rief De Masi.
Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags verwies De Masi auf Experten, die diese bejahten. Entschieden darüber werde nicht von der Politik, sondern von den Verfassungsrichtern.
Grüne sehen neue Ungerechtigkeiten
Auch Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) argumentierte, dass mit dem Gesetzentwurf neue Ungerechtigkeiten entstünden. Sie verwies darauf, dass derzeit beispielsweise eine Familie mit zwei Kindern erst ab 50.000 Euro Jahreseinkommen den „Soli“ bezahlen müsse. Für alle, die darunter liegen, bringe die Neuregelung daher keine Entlastung. Auch verwies sie darauf, dass das Durchschnittseinkommen etwa in Thüringen wesentlich niedriger sei als in Bayern. Von der teilweisen „Soli“-Abschaffung würden damit bayerische Steuerpflichtige wesentlich mehr profitieren als thüringische.
Paus plädierte dafür, eine „Soli“-Abschaffung mit einer Steuerreform zu verbinden, die Geringverdiener entlastet und Spitzenverdiener stärker belastet.
SPD: Überwiegende Mehrheit profitiert
Dagegen sprach Dr. Wiebke Esdar (SPD) von einem „Gesetz, von dem die überwiegende Mehrheit der Menschen ab dem 1. Januar 2021 profitiert“. Richtig sei, dass beispielsweise Manager, die mehr als das Hundertfache ihrer Arbeitnehmer verdienen, weiterhin den Soli zahlen müssen. „Ihre Entlastung würde erhebliche soziale Unwucht bringen“, hielt sie den Befürwortern einer Totalabschaffung entgegen.
Den Kritikern von der linken Seite des Plenarsaals sagte Lothar Binding (SPD), man könne „nicht mit der Rohrzange Entfernungen messen“, sondern müsse das richtige Werkzeug für die richtige Aufgabe nehmen. Wer eine Steuer nicht zahle, könne hier natürlich auch nicht entlastet werden. Dann zählte Binding eine Reihe von Gesetzesbeschlüssen der Koalition auf, die „den Schwächeren“ zugute gekommen seien.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Regierung plant, den steuerlichen Solidaritätszuschlag in einem ersten Schritt zugunsten niedriger und mittlerer Einkommen zurückzuführen. Das Entlastungsvolumen soll ab 2021 9,8 Milliarden Euro betragen und 2022 auf 11,2 Milliarden Euro steigen. Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe, die 1991 zur Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit zunächst für ein Jahr und ab 1995 unbefristet eingeführt wurde. Seit 1998 wird er in Höhe von 5,5 Prozent der Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld erhoben.
Wie es zur Begründung heißt, stellt der erste Entlastungsschritt für niedrige und mittlere Einkommen eine wirksame Maßnahme zur Stärkung der Arbeitsanreize, der Kaufkraft und der Binnenkonjunktur dar. Bürgerinnen und Bürger mit mittleren und niedrigen Einkommen hätten eine deutlich höhere Konsumquote als Spitzenverdienende, für die der Solidaritätszuschlag weiterhin erhoben werden soll.
Freigrenze soll stark angehoben werden
Die Bundesregierung führt dazu sozialstaatliche Erwägungen an, da höhere Einkommen einer stärkeren Besteuerung unterliegen sollen als niedrige Einkommen. Soziale Gesichtspunkte rechtfertigten es auch, einen Teil der Einkommensteuerpflichtigen nicht zu erfassen. Wegen der aktuell weiterhin bestehenden finanziellen Lasten des Bundes aus der Wiedervereinigung werde der Solidaritätszuschlag nur teilweise zurückgeführt.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die sogenannte Freigrenze, bis zu der der Solidaritätszuschlag nicht erhoben wird, stark erhöht wird. Bei einkommensteuerpflichtigen Personen beträgt diese Freigrenze derzeit 972 Euro bei Einzel- und 1.944 Euro bei Zusammenveranlagung. Diese Freigrenze soll auf 16.956 beziehungsweise 33.912 Euro erhöht werden. Dadurch sollen 90 Prozent aller bisherigen Zahler des Zuschlags von der Zahlung befreit werden. Für höhere Einkommen wird eine Milderungszone eingerichtet, um einen Belastungssprung beim Überschreiten der Freigrenze zu vermeiden. Die Wirkung der Milderungszone nimmt mit steigendem Einkommen ab.
Gesetzentwurf der FDP
Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion verfolgt das Ziel, den steuerlichen Solidaritätszuschlag ab dem 1. Januar 2020 abzuschaffen. Darin heißt es, dass der Solidaritätszuschlag 1995 mit der Begründung eingeführt worden sei, der Zuschlag sei zur Finanzierung der Vollendung der Einheit als finanzielles Opfer unausweichlich und mittelfristig zu überprüfen. Der zur Vollendung der deutschen Einheit aufgelegte Solidarpakt II laufe 2019 aus, sodass auch die Legitimation des Solidaritätszuschlagsgesetzes nach Ansicht der FDP-Fraktion spätestens zu diesem Zeitpunkt wegfällt.
Den Fortbestand des Sonderopfers Soli hält die FDP-Fraktion für einen Verstoß gegen das Grundgesetz, da er als sogenannte Ergänzungsabgabe gegenüber der regulären Besteuerung Ausnahmecharakter besitze und dementsprechend nicht dauerhaft, sondern nur zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen erhoben werden dürfe. Wörtlich heißt es in dem Gesetzentwurf: „Das ,Sonderopfer Soli' wurde mit der Finanzierungsnotwendigkeit der Vollendung der Deutschen Einheit begründet und dieses Ziel ist spätestens mit Auslaufen des Solidarpaktes II eindeutig erreicht worden.“
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird unter anderen auf eine Stellungnahme des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, hingewiesen, der erklärt habe, das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 sei mit dem Ende des Solidarpaktes II nicht mehr zu rechtfertigen. Die FDP-Fraktion zitiert Papier: „Ab diesem Zeitpunkt ist das Gesetz mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar.“ Das würde auch dann gelten, wenn es zu einem schrittweisen Abbau der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer käme. Die Voraussetzungen für die Erhebung des Solidaritätszuschlags insgesamt entfielen ab dem vorgenannten Zeitpunkt. Daher habe Papier der Bundesregierung empfohlen, selbst den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustands zu vermeiden und das Gesetz mit Wirkung zum 1. Januar 2020 aufzuheben.
Antrag der AfD
Auch die AfD-Fraktion will den steuerlichen Solidaritätszuschlag „unverzüglich und uneingeschränkt“ abschaffen. In einem Antrag heißt es, diese seit über 25 Jahren andauernde Steuer-Sonderbelastungen müssten endlich beendet werden. Die AfD-Fraktion sieht unter anderem eine Ungleichbehandlung von gewerblichen und nichtgewerblichen Einkünften. Außerdem stellt sie fest, dass der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe allein zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt erhoben werden dürfe, „weil sich die Ergänzungsabgabe im Vergleich zu den sonstigen Steuern, die in der Finanzverfassung aufgezählt sind, wie die seltene Ausnahme zur Regel verhält“. Zwar müsse eine Ergänzungsabgabe nicht von vornherein befristet erhoben werden. Dennoch verbiete der Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe eine dauerhafte, immerwährende Erhebung dieser Steuer mit neuen Begründungen. Auch ein dauerhafter Finanzbedarf des Staates dürfe nicht zu einer dauerhaften Beibehaltung einer Ergänzungsabgabe mit wechselnden und neuen Begründungen führen.
„Es ist höchste Zeit, die verfassungswidrige Erhebung des ,ungleichen Dauer-Solis' zu beenden“, erklären die Abgeordneten. Insbesondere Freiberufler und Arbeitnehmer ohne ausländische Einkünfte würden durch das Solidaritätszuschlaggesetz diskriminiert, „und zwar durch die Privilegierung gewerblicher und ausländischer Einkünfte bei der Erhebung des Solidaritätszuschlags“. Die dem Staat durch die Abschaffung fehlenden rund 18 Milliarden Euro können durch den Haushaltsüberschuss im Jahr 2017 von 38,4 Milliarden mehr als kompensiert werden, erwartet die AfD-Fraktion. Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden seien im Haushaltsjahr 2017 gegenüber 2016 um insgesamt 4,1 Prozent auf 674,6 Milliarden Euro gestiegen. Auch für das Jahr 2018 seien ähnliche Haushaltsüberschüsse zu erwarten. Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Verabredung zwischen Union und SPD, dass nur die unteren 90 Prozent vom Solidaritätszuschlag verschont werden sollen, bezeichnet die AfD-Fraktion als verfassungsrechtlich problematisch. (pst/hle/sas/14.11.2019)