Der Bundestag hat am Freitag, 17. Januar 2020, erstmals den Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung 2019 (19/14500) sowie in verbundener Beratung drei Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Agrarpolitik beraten. In namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG in ihrer Regelungsschärfe auch für neue Gentechnik beibehalten – Regulierung im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip auch in Zukunft sichern“ (19/9952), zu dem der Landwirtschaftsausschuss eine Beschlussempfehlung vorgelegt hatte (19/11179). 123 Abgeordnete unterstützten den Antrag, 417 Abgeordnete stimmten dagegen, es gab 79 Enthaltungen.
Von der Tagesordnung abgesetzt wurde die abschließende Beratung eines Antrags der Linken „Gemeinsame Agrarpolitik ändern – Insektenfreundliche Landwirtschaft fördern“ (19/9344), zu dem ebenfalls eine Beschlussempfehlung des Agrarausschusses vorliegt (19/13656).
Ministerin: Ackerland gehört in Bauernhand
Für Nachhaltigkeit bei der Nahrungsmittelproduktion sprach sich die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU), in der Debatte aus. Ökologisches, Ökonomisches und Soziales gehöre dabei zusammen. Soeben habe ihr der Rundgang auf der Agrarmesse „Grüne Woche“ in Berlin gezeigt, dass die Bauernschaft in einem Boot mit der Verbraucherschaft sitze.
Das Menschenrecht auf Nahrung werde nicht erreicht, wenn es nach den Vorschlägen der Grünen gehe, nämlich zurück in die Landwirtschaft, wie sie früher einmal war. Die Landwirtschaft sei Teil der Zukunft und nicht der Vergangenheit. Ackerland gehört in Bauernhand, erklärte sie. Die Pachtpreise dürften nicht durch Spekulation weiter steigen.
CDU/CSU besorgt über Stimmung unter Bauern
Albert Stegemann (CDU/CSU) zeigte sich sehr besorgt über die aktuelle Stimmungslage in der Landwirtschaft, die dazu führe, dass keiner mehr Bauer werden wolle. Bei der Erörterung der Themen Düngeverordnung oder Insektenschutz stellten sich ihm die Nackenhaare hoch. Permanente Schwarzmalerei führe nicht zu zukunftsgewandter Ernährungspolitik.
Made in Germany sei ein gutes Verkaufsargument für landwirtschaftliche Produkte. Der Grund dafür liege nicht in Gesetzen und Verordnungen, sondern im Einsatz der Landwirte. Er wolle, dass sich auch in Zukunft viele junge Menschen für die Landwirtschaft entscheiden – wie einst er selbst.
SPD: Dissens zwischen Agrar- und Umweltministerium
Dr. Matthias Miersch (SPD) beklagte, dass die Bundesregierung in der Agrarpolitik nicht in der Lage sei, mit einer Stimme zu reden, weil zwischen Landwirtschaftsministerium und Umweltministerium ein nicht überbrückbarer Dissens bestehe. Wenn immer mehr Betriebe aufgäben, müsse man an die Wurzel des Übels gehen. Und das sei die Frage, wie gefördert werde: ob Konzerne gefördert werden oder mittelständische Familienbetriebe.
Miersch ging auf den Tierschutz ein. 2016 habe es eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema Sauenschutz gegeben. Erst jetzt liege ein erster Gesetzentwurf vor. Der sehe eine Übergangsfrist von 17 Jahren vor.
AfD: Politik bietet Bauern keine Planungssicherheit
Wilhelm von Gottberg (AfD) machte im Agrarbericht zahlreiche Worthülsen aus. Zu den aktuellen Problemen der Bauern werde aber nichts gesagt. Der Bericht könne nicht zufriedenstellen. Er enthalte zwar Wichtiges, aber auch Überflüssiges und Widersprüchliches. Im Wesentlichen entscheide Brüssel, wie die Düngeverordnung zeige.
Die Politik biete den Bauern keine Planungssicherheit. Löblichen Ankündigungen stehe mangelnde politische Umsetzung gegenüber. Er klagte über „absurde Russlandaktionen“, die zu Exporteinbußen geführt hätten. Russland bleibe bei Agrarprodukten ein ganz wichtiger Partner.
FDP: In der Agrarpolitik grundsätzlich umdenken
Frank Sitta (FDP) beanstandete, der Agrarbericht enthalte nichts außer Ankündigungen. Das komme geradezu einer Arbeitsverweigerung gleich. Dass selbst die Unionsfraktion das freiwillige Tierlabel nicht mehr unterstütze, bedeute Misstrauen gegen die eigene Ministerin.
Es bleibe „ein Label, was kein Schwein will, und ein Insektenschutzprogramm, das keiner Mücke hilft“ – und demonstrierende Landwirte, die sich nicht mitgenommen fühlten. In der Agrarpolitik müsse grundsätzlich umgedacht werden.
Grüne: Schlechte Stimmung ernst nehmen
Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/Die Grünen) machte Angst, Verunsicherung und große Frustration in der Landwirtschaft aus. Der Nachwuchs fehle. Ausstiegsberatung habe Hochkonjunktur. Viele könnten gar nicht mehr aufgeben, weil sie hoch verschuldet seien. Er mahnte dazu, diese schlechte Stimmung ernst zu nehmen, weil sonst Bauern an den rechten Rand verloren gehen könnten.
Die Gesellschaft wolle eine bäuerliche Landwirtschaft, in der es Tieren, Boden und Wasser gut gehe, sagte er. Gefragt sei Ehrlichkeit, beschied er in Richtung Unionsfraktion: Wer das Blaue vom Himmel verspreche, werde gar nichts halten können.
Landesminister: Bauern wollen faire Preise
Der Thüringer Minister für Infrastruktur und Landwirtschaft, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke), prangerte die Geiz-ist-geil-Kultur an. Sie sei dafür verantwortlich, dass die Landwirtschaft mit dem Rücken an der Wand stehe.
Die Bauern wollten faire Preise für gute Arbeit und nicht für die Profite der Handelsunternehmen arbeiten. Er setzte sich dafür ein, bei der Festsetzung von Standards mit freiwilligen Selbstverpflichtungen aufzuhören.
Agrarbericht 2019
Wie aus dem Agrarbericht 2019 hervorgeht, verfolgt die Bundesregierung das Ziel einer nachhaltigen, flächengebundenen Landwirtschaft, die sowohl innovativ-ökologisch als auch konventionell produziert und zur Erhaltung der Artenvielfalt sowie attraktiver Natur- und Erholungsräume beiträgt. Diese Art der Landwirtschaft müsse wirtschaftlich sein und technische Entwicklungen nutzen dürfen.
Leitbild sei demnach eine nachhaltige, ökologisch verantwortbare, ökonomisch leistungsfähige und regional verankerte Landwirtschaft, die angemessen zur Erhaltung oder Schaffung attraktiver, lebenswerter und vitaler ländlicher Regionen beiträgt. Demnach setzt sich die Regierung für eine agrarstrukturelle Entwicklung ein, in der familiengeführte Unternehmen im Mittelpunkt stehen. Ziel sei es, die breite strukturelle Vielfalt der Betriebsformen und Produktionssysteme zu erhalten. Dabei soll auf eine am Tierwohl orientierte, umweltgerechte, wirtschaftlich tragfähige sowie gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung in Deutschland hingearbeitet werden.
Auf europäischer Ebene werde sich für eine finanziell angemessen ausgestattete Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) eingesetzt, um deren einkommensstabilisierende Wirkung zu erhalten und einen ambitionierten Umwelt-, Klima, Natur- und Tierschutz zu gewährleisten. Leistungen, die der Umwelt zugute kommen, sollen im Rahmen der GAP stärker gefördert werden.
Grünen-Antrag zur Freisetzungsrichtlinie abgelehnt
Die Grünen forderten in ihrem abgelehnten Antrag (19/9952), dass der Bundestag eine Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung im Hinblick auf die Beratungen in Brüssel über die EU-Freisetzungsrichtlinie abgibt. Die Abgeordneten verlangten, dass sich die Bundesregierung in der EU für die Stärkung des Vorsorgeprinzips einsetzt, indem auch neue gentechnische Methoden unter dem Rechtsrahmen der Freisetzungsrichtlinie verbleiben. Einer Änderung der Richtlinie, die die Wahlfreiheit und das Vorsorgeprinzip gefährdet, sollte sie nicht zustimmen und diese auch sonst nicht unterstützen.
Auch sollte sich die Regierung für die Weiterentwicklung von Nachweisverfahren neuer Gentechniken einsetzen, um den Vollzug der Richtlinie mit den Bundesländern zu gewährleisten. Die Grünen sahen in der Richtlinie ein wirkungsvolles Instrument zur Regulierung von gentechnisch veränderten Organismen.
Erster neuer Antrag der Grünen
Erstmals auf der Tagesordnung des Parlaments standen drei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen. „Über den eigenen Tellerrand hinaus – Mit Agrarökologie und kohärenter Politik Ernährungssouveränität im Globalen Süden ermöglichen“ lautet der Titel des ersten Antrags (19/16496), der federführend im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung weiterberaten werden soll. Die Grünen fordern die Bundesregierung unter anderem auf, ein Recht auf Nahrung durchzusetzen und sich für die Umsetzung der Freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung auf nationaler und internationaler Ebene einzusetzen. Auch solle das Fakultativprotokoll zum Sozialpakt der Vereinten Nationen rasch unterzeichnet und ratifiziert werden.
Gefordert wird ferner, die Agrarökologie ins Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit zu rücken, den Anteil agrarökologischer Projekte zu erhöhen sowie sich auch auf EU- und UN-Ebene für agrarökologische Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Die Fraktion will ferner, dass Saatgut als Gemeingut anerkannt und der freie Austausch sowie die Züchtung traditionellen Saatguts unterstützt werden.
Zweiter neuer Antrag der Grünen
Der Titel der zweiten Vorlage lautet „Landwirtschaft und Ernährung zukunftsfest machen“ (19/16493). Sie soll im Anschluss an die halbstündige Diskussion zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen werden. Die Grünen fordern die Bundesregierung darin unter anderem auf, der Tierhaltung eine Zukunft zu geben. Kurzfristig müsse sie gängige Verstöße gegen das Tierschutzgesetz abstellen. Der gesetzliche Standard müsse auf ein akzeptables Niveau angehoben werden. Ein neu zu schaffendes Kompetenzzentrum für den Schutz und das Wohlbefinden der Tiere sowie die Einrichtung eines Bundesbeauftragten für Tierschutz sollen diesen Prozess begleiten.
Bei Fleisch und Milch müsse eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung eingeführt werden, so wie es sie für Eier schon gibt. Eine Pestizid-Reduktionsstrategie mit dem verbindlichen Ziel einer Halbierung des Einsatzes bis 2025 muss dazu umfassende Beratung und Forschung zu nichtchemischen Alternativen vorsehen, aber auch eine herstellerseitige Pestizidabgabe sowie einen umgehenden Ausstieg aus besonders problematischen Stoffen wie Glyphosat und den bienengiftigen Neonikotinoiden. Darüber hinaus müssten Bäuerinnen und Bauern beim Bodenschutz und dem Erhalt der Artenvielfalt unterstützt werden.
Dritter neuer Antrag der Grünen
Die dritte Vorlage der Grünen trägt den Titel „Schutz für bäuerliche Betriebe vor übergroßer Marktmacht“ (19/16491) und wurde anschließend zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Wirtschaft und Energie überwiesen. Der Agrarpolitische Bericht wird im federführenden im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft beraten. Die Grünen fordern die Bundesregierung unter anderem auf, zum Schutz der landwirtschaftlichen Erzeuger vor übergroßer Nachfragemacht und zur Wiederherstellung des fairen Wettbewerbs im Lebensmittelmarkt die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette so bald wie möglich in deutsches Recht zu überführen.
Sie solle zudem prüfen, welche Folgen eine Erweiterung des Geltungsbereichs der grundsätzlich verbotenen Handelspraktiken zwischen der Land- und der Lebensmittelwirtschaft auf die in der Richtlinie genannten Handelspraktiken hätte. Sichergestellt werden müsse, dass die Nachfrageseite die Erzeuger nicht in vollständige Abhängigkeit bringen kann. Beispielsweise könnte den Erzeugern ein Sonderkündigungsrecht gegeben werden, das ihnen bei ruinösem Preisverfall mehr Flexibilität ermöglicht oder indem es Molkereien verboten wird, den Milch-Auszahlungspreis erst nach der Lieferung festzusetzen.
Abgesetzter Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke will eine insektenfreundliche Landwirtschaft fördern. Dazu legten die Abgeordneten einen Antrag (19/9344) vor, der mithilfe einer Änderung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die Zahlungen von EU-Fördermitteln an ökologische und soziale Kriterien bindet. Außerdem sollen insektenfreundliche Kulturflächen wie Brachen, Schon- und Schutzstreifen, Hecken, Flurgehölze, Kleingewässer und Streuobstwiesen mit Blühaspekten gefördert werden, die auf eine vielfältige Agrarlandschaft abzielen.
Darüber hinaus sollen alle Möglichkeiten im Rahmen der GAP genutzt werden, um die Feld-, Wiesen-, Wald- und Gewässerrandstrukturen ökologisch aufzuwerten und Biotopverbunde auszubauen.(ste/eis/sas/17.01.2020)