Auf einhellige Ablehnung der anderen Fraktionen ist am Freitag, 29. Januar 2021, ein Antrag der AfD-Fraktion (19/26239) gestoßen, das im November 2020 vom Bundestag verabschiedete dritte Bevölkerungsschutzgesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Den Antrag auf abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nr. 2 des Grundgesetzes lehnten in namentlicher Abstimmung 531 Abgeordnete ab, 81 stimmten ihm zu, es gab eine Enthaltung. Eine Normenkontrolle hätte vorausgesetzt, dass 178 Abgeordnete, ein Viertel der Mitglieder des Bundestages, dem Antrag zustimmen. Zuvor hatten alle Fraktionen außer der AfD dafür gestimmt, über den Antrag abzustimmen. Dagegen hatte die AfD dafür plädiert, ihren Antrag zur weiteren Beratung in die Ausschüsse zu überweisen.
CDU/CSU: AfD-Antrag formal absurd und unberechtigt
Abgeordnete der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD und der Fraktionen FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen warfen der AfD vor, mit dem Antrag die Gesellschaft spalten und Angst in der Bevölkerung schüren zu wollen. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) erklärte, die AfD bediene mit „kruden Behauptungen“ die Narrative der Querdenker.
Der Antrag sei „formal absurd“ und populistisch und in der Sache „völlig unberechtigt“. Es gebe sehr wohl Einschränkungen der Grundrechte, aber mit dem Ziel, die Pandemie in den Griff zu bekommen.
SPD: Die Einschränkungen sind gerechtfertigt
Dr. Edgar Franke (SPD) betonte, die Einschränkungen seien gerechtfertigt, und ein Großteil der Menschen halte diese Umfragen zufolge für richtig. Der AfD-Antrag sei parteipolitisch motiviert und nicht an der Sache orientiert.
Der AfD gehe es nicht um Demokratie und den Rechtsstaat. Mit deren „Schaufensterantrag“ solle vielmehr vermeintliches Politik- und Regierungsversagen dokumentiert werden.
FDP: Schwerwiegende Mängel des AfD-Antrags
Dr. Wieland Schinnenburg (FDP) sagte, die AfD halte sich nicht an die Grundwerte der Verfassung. Ìhr Antrag weise „schwerwiegende Mängel“ auf und sei „völlig daneben“. Die Fraktion wolle, dass der Bundestag etwas begrüße. Das nütze gar nichts.
Was die AfD brauche, sei ein fundierter, brauchbarer Antrag und 178 Unterschriften von Bundestagsageordneten. Beides werde die AfD nicht bekommen. Begrüßen würde es die FDP dagegen, wenn die AfD dem nächsten Bundestag nicht mehr angehört.
Linke: AfD ist Gift für die Demokratie
Niema Movassat (Die Linke) warf der AfD vor, mit dem Antrag ein „billiges Geschäftsmodell“ zu verfolgen, was in der Corona-Verharmlosung bestehe. Seriöser Kritik an der Pandemie-Politik der Regierung werde so ein Bärendienst erwiesen.
Die AfD sei „Gift für die Demokratie“, welches sachliche Debatten verhindere. Was die Partei betreibe, sei zutiefst verachtenswert.
Grüne: Vieles läuft nicht optimal bei der Pandemie-Bekämpfung
Dr. Manuela Rottmann (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, an dem „Elaborat“ der AfD gebe es nichts zu begrüßen, daher werde es abgelehnt. Rottmann nutzte ihre Rede, um zu betonen, dass es bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie noch „viel Luft nach oben“ gebe. Vieles laufe nicht optimal.
Die Diskussionen darüber sollten aber nicht dazu dienen, parteipolitischen Profit daraus zu schlagen. Die Bevölkerung habe einen Anspruch auf eine ehrliche, verständliche und respektvolle Ansprache.
AfD: Verfassungswidrigkeit liegt auf der Hand
Für die AfD-Fraktion begründete der Abgeordnete Stephan Brandner den Antrag. Für seine Fraktion liege die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes „geradezu auf der Hand“. „Wenn schon Ausnahmezustand, dann Normierung im Grundgesetz“, sagte Brandner. Dies nenne man Vorrang der Verfassung.
Das Infektionsschutzgesetz sei ein „bewusst vage gehaltenes Unterjochungs- und Freiheitsberaubungsgesetz“. Die Regierung wolle „frei schalten und walten können zulasten der Bürger“.
AfD sieht Bestimmtheitsgebot verletzt
In dem Antrag auf abstrakte Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht wegen des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (drittes Bevölkerungsschutzgesetz, 19/23944, 19/24334, 19/24350), durch das im Wesentlichen das Infektionsschutzgesetz geändert wurde, heißt es, es bestünden „erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) mit dem Grundgesetz“.
Abgeordnete des Bundestages sollten sich „in ausreichender Zahl zusammenfinden“, um beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung zu beantragen, dass die neuen Bestimmungen der Paragrafen 5 Absatz 1 und 28a IfSG „mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig sind“. Eine Normenkontrolle würde voraussetzen, dass 178 Abgeordnete, also ein Viertel der Mitglieder des Bundestages, dem Antrag zustimmen. In einem solchen Verfahren wird die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm unter allen in Frage kommenden Gesichtspunkten überprüft.
Zur Begründung des Antrag hieß es unter anderem, die neuen Regelungen verstießen gegen das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Ausprägungen der Gewaltenteilung und des Rechtsstaatsprinzips. Erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bestünden auch im Hinblick darauf, dass die Neuregelung für den Fall einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ einen verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand begründe, der einen massiven Eingriff in die Grundrechte von Millionen Menschen ermögliche. Die Betroffenen seien „größtenteils gesunde Menschen, die im Sinne der Weiterverbreitung des Virus keine unmittelbare Gefahr darstellen“. (mwo/29.01.2021)