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Kolumne der Wehrbeauftragten - Oktober 2024

Porträtfoto der Wehrbeauftragten Eva Högl

Wehrbeauftragte Eva Högl (© DBT/Inga Haar)

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

der Einsatz Künstlicher Intelligenz wird viele Lebensbereiche verändern – und auch für die Bundeswehr große Veränderungen mit sich bringen. Das wohl meistdiskutierte Szenario ist der Einsatz autonomer Waffensysteme, die auf Basis Künstlicher Intelligenz völlig eigenständig, ohne jeglichen menschlichen Einfluss, handeln – von der Zielerfassung bis zur Wirkung. Der Einsatz solch einer „starken“ KI ist für die Bundeswehr und insbesondere für das Konzept der Inneren Führung mit seinem Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“ eine echte Herausforderung.

Dem Konzept der Inneren Führung und dem Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“ liegt ein ganz bestimmtes Menschenbild zugrunde: Soldatinnen und Soldaten sind keine bloßen Objekte, die Befehle blindlings befolgen. Sie sind eigenverantwortliche Subjekte, deren Handeln an Recht und Gesetz, an Werte und Normen und letztlich vor allem an ihr eigenes Gewissen gebunden ist.

Im scharfen Ende des Soldatenberufs konzentriert und kristallisiert sich das, wofür das Konzept der Inneren Führung in seiner Gänze und Vielfalt steht. Es ist der Soldat als „Staatsbürger in Uniform“, der die Entscheidung zum Einsatz letaler Waffen treffen sollte – aus der Überzeugung und der Einsicht, damit seinem Gewissen zu folgen und den Werten und Normen des Grundgesetzes zu entsprechen. In diesem Moment ist der innerste Kern des Konzepts der Inneren Führung – der des eigenverantwortlichen, gewissensgeleiteten soldatischen Handelns – in jedem Fall zu wahren.

Beim Einsatz einer „starken“ KI wären Soldatinnen und Soldaten jedoch nicht mehr handelnde, verantwortliche und verantwortungsbewusste Subjekte. Vielmehr wären sie reine Objekte bzw. Zuschauer, die Handlungen und Entscheidungen Künstlicher Intelligenzen zur Kenntnis nehmen, ohne sie zu beeinflussen, womöglich gar noch nicht mal mit der Fähigkeit, sie zu verstehen.

Der Einsatz einer „starken“ KI erscheint daher nur schwer vereinbar mit der Grundkonzeption der Inneren Führung und dem Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“. Nicht zuletzt deshalb lehnt auch die aktuelle Bundesregierung Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, ab und engagiert sich für deren internationale Ächtung.

Es gibt jedoch andere Einsatzgebiete von KI, außerhalb von Waffensystemen bzw. letaler Wirkmittel, in denen es darauf ankommen wird, im konkreten Einzelfall sowie in der täglichen Praxis Innere Führung, das Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“ und den sie tragenden Grundsatz der menschlichen/soldatischen Eigenverantwortung mit Leben zu füllen und zu wahren.

Hierbei können zwei Leitlinien Orientierung und Handlungssicherheit geben.

Erstens: So viel Innere Führung in Künstlicher Intelligenz wie möglich. Systeme Künstlicher Intelligenz entstehen nicht in einem luftleeren Raum. Die ihnen zugrunde liegenden Algorithmen müssen programmiert bzw. neuronale Netze mit Daten gespeist werden. Damit können grundlegende Parameter, die KI-basierte Entscheidungen tragen und beeinflussen, vorher festgelegt werden – und zwar im Sinne des Konzepts der Inneren Führung und des Leitbilds vom „Staatsbürger in Uniform“.

Zweitens: So viel Künstliche Intelligenz in Innerer Führung wie nötig. Zukünftig wird es mehr denn je wichtig sein, digitale Kompetenzen von Soldatinnen und Soldaten zu stärken, allen voran von jenen, die im Dienst unmittelbar und eng mit KI-Systemen arbeiten, von ihnen unterstützt oder gar auf sie angewiesen sein werden. Soldatinnen und Soldaten sollten dazu befähigt werden, wenn sie eine KI schon nicht vollends beeinflussen können, sie doch zumindest in Grundzügen verstehen und nachvollziehen zu können. Nur so kann ein Grundmaß an Vertrauen in die technischen Systeme und ihre Leistung geschaffen werden. Und dieses Vertrauen ist – analog zum Vertrauen in Kameradinnen und Kameraden sowie in Vorgesetzte – eine Grundvoraussetzung, um eigenverantwortliches, gewissengeleitetes Handeln gewährleisten zu können.

Mit diesen beiden Leitlinien können Innere Führung und Künstliche Intelligenz zusammen gedacht und gestaltet werden. Hierdurch können die Grundsätze der Inneren Führung auch beim Einsatz Künstlicher Intelligenz aufrechterhalten werden.

Mit herzlichen Grüßen

Eva Högl,

Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages