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Kolumne der Wehrbeauftragten - November 2024

Porträtfoto der Wehrbeauftragten Eva Högl

Wehrbeauftragte Eva Högl (© DBT/Inga Haar)

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

es gibt kaum Worte, die den Schmerz und die Trauer beschreiben, den der Suizid eines Menschen hinterlässt – im privaten Umfeld bei Angehörigen und im Freundeskreis sowie im dienstlichen Umfeld bei Vorgesetzten und im Kameradenkreis. Zurück bleiben Fassungslosigkeit, Fragen, mitunter auch Vorwürfe. Warum? Wieso? Wie konnte es so weit kommen? Wurden Hilferufe nicht gehört, Warnsignale nicht gesehen? Hätte es verhindert werden können? Es sind bedrückende, lähmende Fragen. Fragen, auf die Antworten zu finden schwerfällt.

Im Amt der Wehrbeauftragten wird jeder Suizid und jeder Suizidversuch, von dem wir Kenntnis erhalten, aufgegriffen und geprüft. Zwei Aspekte sind hierbei von besonderem Interesse: Zum einen, ob es dienstliche Umstände oder Belastungen gab, die ursächlich gewesen sein könnten. Zum anderen, ob Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Hinterbliebene und Betroffene angeboten und umgesetzt wurden.

In den allermeisten Fällen, die in den vergangenen Jahren aufgegriffen und geprüft wurden, lagen die Gründe für den Suizid oder Suizidversuch im persönlichen und privaten Bereich, etwa Probleme in der Beziehung, Familienstreitigkeiten oder eine psychische Erkrankung. In fast allen Fällen zeigten die betroffenen Vorgesetzten und Dienststellen einen sehr umsichtigen Umgang. Sie haben die vielseitigen und fürsorglichen Möglichkeiten der Bundeswehr, etwa die Einbeziehung der Militärseelsorge und des Sozialdienstes bei der Kontaktaufnahme mit und Betreuung von den Hinterbliebenen, umfassend genutzt.

Fahrlässiges, unangemessenes oder taktloses Verhalten von Vorgesetzten war über die Jahre nur in sehr wenigen Einzelfällen festzustellen.

Suizide von Soldatinnen und Soldaten und der Umgang hiermit in der Bundeswehr sind Themen, die ich sehr ernst nehme. Durch Truppenbesuche und Gespräche mit Soldatinnen und Soldaten weiß ich, welch bleierne Schwere sich über einen Verband legen kann, in dem ein Kamerad oder eine Kameradin sich das Leben genommen hat; so feinfühlig die Reaktion im Kameradenkreis oder von Vorgesetzten auch gewesen sein mag.

Zudem: Es gibt selten die eine Ursache für einen Suizid, erst recht nicht im militärischen Kontext. Suizide haben in der Regel mehrere Hintergründe und Ursachen, die miteinander zusammenhängen können. Beispielsweise können private Probleme mit dem Partner / der Partnerin durch das Pendeln oder längere Abwesenheiten, und damit durch dienstliche Umstände, entstehen oder verstärkt werden. Das ist das Ergebnis einer Analyse des Bundeswehrkrankenhauses Berlin von 2016.

Ganz gleich ob vorwiegend private oder dienstliche Beweggründe: Jeder Suizid ist einer zu viel. Suizid und Suizidversuchen gilt es bestmöglich vorzubeugen. Prävention ist ganz entscheidend.

Prävention beginnt im Kameradenkreis. Mit wachsamen Augen und offenen Ohren für Kameradinnen und Kameraden, für ihre Sorgen, Ängste und Nöte. Es geht um Zuhören, Wahrnehmen und Ernstnehmen, Solidarität, Kümmern und Hilfsbereitschaft. Kurzum: gelebte Kameradschaft.

Prävention geht weiter bei Vorgesetzten. Sie ist eine zentrale Aufgabe von Führungskräften. Gute, moderne Führung, die den Menschen in der Uniform im Blick hat. Ein Chef oder eine Chefin, vor der man keine Hemmung hat, sich zu öffnen und anzuvertrauen. Ein Dienstklima, das von Respekt und Anerkennung geprägt ist. Kurzum: gelebte Innere Führung.

Prävention bedeutet, die gesamte Bandbreite des Psychosozialen Netzwerks zu nutzen, und zwar proaktiv und fortlaufend. Truppenärzte, Truppenpsychologie, Militärseelsorge, Sozialdienst – sie alle haben Informations-, Schulungs- und Hilfsangebote, die weit im Voraus einer akuten Notsituation ansetzen.

Jede Soldatin und jeder Soldat sollte sich vor Augen führen: Unter Kameradinnen und Kameraden bin ich nicht allein. Was die Bundeswehr auszeichnet, sind nämlich nicht in erster Linie Panzer, Schiffe oder Flugzeuge, sondern Kameradschaft und Fürsorge. Und die kollektive Kraft von Kameradschaft und Fürsorge zeigt sich in Momenten individueller Schwäche und Krisen am stärksten.

Mit herzlichen Grüßen

Eva Högl,

Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages