Parlament

Kolumne der Wehrbeauftragten - April 2025

Porträtfoto der Wehrbeauftragten Eva Högl

Wehrbeauftragte Eva Högl (© DBT/Inga Haar)

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

am 11. März habe ich den Jahresbericht 2024 der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übergeben und anschließend auf der Bundespressekonferenz vorgestellt.

2024 war einmal mehr ein sehr besonderes Jahr für die Bundeswehr. Es war geprägt von sicherheits- und verteidigungspolitischen Umbrüchen und wachsenden Spannungen weltweit – der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die eskalierenden Konflikte im Nahen Osten, die zunehmenden Spannungen in Ostasien und der Sahelzone, die Amtsübernahme Donald Trumps. Diese Entwicklungen stellen die deutsche Verteidigungspolitik – und die Bundeswehr – vor erhebliche Herausforderungen.

Im Jahr 2024 war die Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung als Kernauftrag in vollem Gange. Hervorzuheben ist dabei die begonnene Aufstellung der Brigade Litauen. Die dauerhafte Stationierung von 4.800 Soldatinnen und Soldaten in Litauen ist eine historische Entscheidung. Sie verdeutlicht Deutschlands Engagement für die Sicherheit und Stabilität in der Region. Anfang des Jahres hatte der Bundestag das Artikelgesetz „Zeitenwende“ beschlossen: Ein entscheidender Baustein mit vielen wichtigen Maßnahmen, die den Dienst in Litauen attraktiv gestalten sollen.

Ausdruck der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung ist auch die kontinuierliche Unterstützung der Ukraine. Die EU-Ausbildungsmission zur Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten war im vergangenen Jahr die zahlenmäßig größte Mission der Bundeswehr mit durchschnittlich 1.500 gebundenen deutschen Kräften.

2024 war Personal weiterhin ein Top-Thema. Genügend und vollständig einsatzbereites Personal ist der Schlüssel zur Verteidigungsfähigkeit. Dieser Schlüssel liegt noch immer in einiger Entfernung. Gestiegene Zahlen bei Bewerbungen und Einstellungen konnten den Personalbestand gerade so halten, jedoch nicht erhöhen. Dafür sind Abbruchquoten und die Anzahl unbesetzter Dienstposten unverändert zu hoch. Die Truppe schrumpft und altert somit weiter.

Für sehr großen Unmut sorgt, dass viele Soldatinnen und Soldaten auf ihre Beförderungen warten, da im Verteidigungshaushalt die erforderlichen Planstellen fehlen. Das ist ein untragbarer Zustand, der schnellstmöglich abgestellt werden muss.

Angesichts des massiven Personalmangels wird immer lauter und immer konkreter über verschiedene Modelle der Wehrpflicht diskutiert. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat als ersten, richtigen Schritt ein Wehrdienstmodell vorgeschlagen, das jedoch wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht verabschiedet wurde.

Ich favorisiere ein deutlich weitergehendes Modell: ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen, das bei der Bundeswehr, im sozialen Bereich, im Klimaschutz, in der Denkmalpflege, im Bevölkerungsschutz, bei der Katastrophenhilfe, bei Blaulicht-Organisationen oder in anderen Bereichen erfolgen kann.

In den Bereichen Material und Infrastruktur gab es 2024 Anzeichen von Verbesserungen, auch wenn diese noch nicht ausreichen. So konnten die jährlichen Infrastruktur-Investitionen zwar auf rund 1,6 Milliarden Euro gesteigert werden. Allerdings ist das nicht genug bei einem Gesamtinvestitionsbedarf von geschätzten 67 Milliarden Euro. Der Bundestag hat wichtige Beschaffungen auf den Weg gebracht und 97 „25-Millionen-Vorlagen“ mit einem Auftragsvolumen von insgesamt rund 58,5 Milliarden Euro verabschiedet: Ein eindrucksvoller Rekordwert. Nur wird es Monate bis Jahre dauern, bis dieses Material tatsächlich auf dem Hof stehen wird.

Den positiven Ansätzen bei Personal, Material und Infrastruktur muss noch mehr Nachdruck und noch mehr Tempo verliehen werden, damit sie nachhaltiger, sichtbarer und spürbarer werden. Dafür braucht es einen neuen Wehrdienst, weitere Reformen für schnellere Beschaffungen, weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung – und einen verlässlichen und auskömmlichen Verteidigungshaushalt.

Wenige Tage nach Vorstellung des Jahresberichts hat der Bundestag in einer in vielerlei Hinsicht historischen Entscheidung mit einer Zweidrittel-Mehrheit das Grundgesetz geändert, um ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz einzurichten und die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben zu lockern. Angesichts der gewaltigen Geldsummen gab es intensive Diskussionen. Doch es braucht diese Investitionen, um die vollständige Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr wieder herzustellen und glaubhaft abschrecken zu können. Es ist gut investiertes Geld in unsere Sicherheit, in Frieden und Freiheit.

Mit herzlichen Grüßen

Eva Högl,

Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages